Skip to main content

Full text of "Internationales Archiv für Ethnographie"

See other formats


ARCHIVES   INTERNATIONALES 

D'ETHNOGRAPHIE. 


PAS 

Prof.  D.  ANUTSCHIN,  Moskou;  Prof.  F.  BOAS,  New-York,  N. Y.;  L.  BOUCHAL,  Vienne; 
H.  CHEVALIER,  Paris;     G.  J.  DOZY,  Zeist;     Prof.  J.  J.  M.  DE  GROOT,  Berlin;     -       - 

H.  H.  JUYNBOLL,  Leide;     Prof.  H.  KERN,  Utrecht; 

Prof.  F.  VON  LUSCHAN,  Berlin;     J.  J.  MEYER,  la  Haye; 

Prof.  A,  W.  NIEUWENHUIS,  Leide;  ERLAND  Frh.  VON  NORDENSKIÖLD,  Stockholm; 
Prof.  C.  SNOUCK  HURGRONJE,  Leide;  Prof.  E.  B.  TYLOR,  Oxford;  -  -  -  - 
Prof.  C.  C.  UHLENBECK,  Leide. 

RÉDACTEUR: 

Prof.  A.  W.  NIEUWENHUIS. 


Nosce  te  ipsum. 


VOLUME  XXIII. 


Avec   XXII   planches. 


LIBRAIRIE  ET  IMPRIMERIE  ci-devant  E.  J.  BRILL,  LEIDE. 

EIINEST  LEROUX,  PARIS.  —  C.  F.  WINTER'SCHE  VERLAGSHANDLDNG,  LEIPZIG. 

On  sale  b^  KEGAN  PAUL,  TRENCH,  TRCBNER  &  Co.  (Limii),  LONDON. 

1916. 


INTERNATIONALES   JlRCJÎIV 

FÜR 

ETHNOGRAPHIE. 

HERAUSOEOEBEN 

VON 

Pkop.  D.  ANUTSCHIN,  Moskau;  Prof.  F.  BOAS,  New- York,  N.Y.;  L  BOUCHAL,  Wien; 
H.  CHEVALIER,  Paris;   G.  J.  DOZY,  in  Zeist;  Prof.  J.  J.  M.  DE  GROOT,  Berlin;     -       - 

H.  H.  JÜYNBOLL,  Leiden;     Prof.  H.  KERN,  Utrecht; 

Prof.  F.  VON  LUSCHAN,  Berlin;       J.  J.  MEYER,  "s-Gravenhage ; 

Prof.  A.  W.  NIEUWENHUIS,  Leiden;  ERLAND  Frh.  VON  NORDENSKIÖLD,  Stockholm; 
Prof.  C.  SNOÜCK  HURGRONJE,  Leiden;  Prof.  E.  B.  TYLOR,  Oxford;  -  -  -  - 
Prof.  C.  C.  UHLENBECK,  Leiden. 

REDAKTION  : 

Prof.  A.  W.  NIEUWENHUIS. 


Nosce  te  ipsum. 


BAND  XXIII. 


Mit  XXII  Tafeln. 


BUCHHANDLUNG  dsd  DRUCKEREI  vormals  E.  J.  BRILL,  LEIDEN. 

ERNEST  LEROUX,  PARIS.  —  C.  F.  WINTER'SCHE  VERLAGSHANDLUNG.  LEIPZIG. 

On  »ale  by  KEGAN  PAUL,  TRENCH,  TRÜBNER  &  Co.  (LimJ),  LONDON. 

1916. 


BUCHDKUCKEREI   vobkals    E.    J.    BEILL ,    LEIDEN. 


SOMMAIRE.  —  INHALT. 


Page. 

H.  H.  JuTNBOLL,  Balinesische  Farbenzeichnungen  rait  Darstellungen  aus  alt-javanischen 

Schriften.  Mit  Tafeln  II— XI 8 

Hugo  Künike,  Beiträge  zur  Phonetik  der  Karajâ-sprache  (Brasilien)    ....  147 
A.  W.   NiEuwBNHüis,    Die   Veranlagung   der   malaiischen    Völker   des   Ost-Indischen 

Archipels.  (Mit  Tafeln  XII— XXII) 17,  49 

G.  J.  NiEüWENHüis,  Ueber  den  Tanz  im  Malaiischen  Archipel 183 

CuBT  Sachs,   Die  litauischen   Musikinstrumente  in  der  Kgl.  Sammlung  für  Deutsche 

Volkskunde  zu  Berlin.  Mit  Tafel  I 1 

G.  C.  Uhlenbbce,  Seme  blackfoot  song  texts 241 

REVUE  BIBLIOGRAPHIQUE.  —  BIBLIOGRAPHISCHE  ÜBERSICHT. 
DozY,  Dr.  G.  J 84,  186,  243 

LIVRES  ET  BROCHURES.  —  BÜCHERTISCH. 
P.  88,  188,  246. 


Supplément.   J.  H.  Holwebda:   Die  Niederlande  in  der  Vorgeschichte  Europa's  (Ausgra- 
bungen und  Studien).  Mit  18  Tafeln. 


DIE  LITAUISCHEN  MUSIKINSTRUMENTE 

IN   DER   KCL.   SAMMLUNG   FÜR   DEUTSCHE 

VOLKSKUNDE   ZU    BERLIN 


VON 


Dr.    CURT    SACHS   (Berlin). 
Mit  einer  Tafel. 


Der  Littau  ist  geneigt  zum  Heulen,  Spielen,  Singen, 

Die  Kauckel,  Trüb,  Geig,  Pfeiff,  musz  bey  ilim  ofte  klingen. 

Für  die  Kulturgeschichte  und  Völkerkunde  hat  Litauen  ein  ganz  besonderes  Interesse. 
Festgeklemmt  in  dem  kleinen  Landzipfel  zwischen  dem  Kurischen  Haff  und  dem  Riga'schen 
Meerbusen,  hat  es  in  allen  Kreuz-  und  Querwanderungen  der  Völker  einen  geschützten 
Winkel,  ein  natürliches  Stauwerk  abgegeben  und  viele  Kulturgüter  unverfiilschter  bewahren 
können  als  all  die  Lander,  deren  Lage  ein  dauerndes  Durchfluten  frischer  Stämme  begünstigte. 
Der  musikwissenschaftliche  Ausschnitt  aus  der  Menge  dieser  Kulturgüter,  zu  dem  die 
zufällig  in  der  Berliner  Kgl.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  vereinigten  seltenen  Ton- 
werkzeuge den  Anlass  geben,  wird  daher  denen,  die  an  Kulturgeschichte  und  Ethnologie 
Anteil  nehmen,  als  ein  kleiner,  von  fachspezialistischem  Standpunkt  aus  gelieferter 
Beitrag  —  wie  wir  hoffen  —  willkommen  sein  ;  umsomehr ,  als  heute  auch  in  Litauen 
Violine  und  Ziehharmonika  schon  fast  ganz  die  nationalen  Instrumente  verdrängt  haben,  i) 
Für  die  Musikwissenschaft  ist  die  Beschäftigung  mit  den  Resten  der  alten  osteuropäischen 
Tonkunst  geradezu  eine  Lebensfrage;  soweit  sich  heute  schon  die  Dinge  überblicken 
lassen ,  hat  das  musikalische  Mittelalter  vom  Osten  unseres  Erdteils  her  entscheidende 
Einflüsse  erfahren. 

Der  Kustos  der  Sammlung,  Herr  Dr.  Kakl  Brunner,  hat  mir  die  Untersuchung  des 
Materials  in  liebenswürdigster  Weise  erleichtert. 

Bogenzither  [Hornbostel-Sachs  311.121.21— 71] *)  aus  Russisch-Litauen  (Eingangs- 
Journal  V.  .36,  1908);  Landesname  unbekannt.  Die  Enden  eines  Weidenrutenbogens 
von  91  cm  Bogen-  und  85  cm  Sehnenlänge  sind  durch  eine  lose  Darmsaite  (strianà  fem.) 
verbunden.  Als  Resonator  soll  nach  Angabe  des  Etiketts  eine  Schweinsblase  mit  Holz- 
steg  (kumelys  [kumeüa] ,   dimin.  kumelükas  masc. ,  eigentlich   „kleines  Füllen")  3)  dienen  ; 

1)  Vgl.  F.  Tbtzneb  im  Globus  LXXIII  (1896)  p.  116. 

^  Die  beigefügten  Kennzahlen  beziehen  sich  auf  die  v.  HoRNBOSTEL-SACHs'ache  Klassifikation  der  Musik- 
instrumente ;  vgl.  Zeitschrift  für  Ethnologie   1914,  p.  553  ff. 

»)  Die  litauischen  Namen  sind  nach  Fb.  Kurschat  (Wörterbuch  der  littauischen  Sprache,  Halle  1874) 
gegeben;  die  kursivgedruckten  Wörter  folgen  der  gebräuchlichen  ScHLEiCREB'schen  Schreibung  (vgl. dessen 
Litauische  Grammatik,  Prag  1856);  in  eckigen  Klammern  bringen  wir  eine  eigene,  modernere  Transskription. 

Aus  drucktechnischen  Gründen  musste  ~  über  ij  fortgelassen  werden. 
I.  A.  f.  E.    XXIII.  1 


—    2    — 

diese  beiden  Glieder,  die  zwischen  Stange  und  Saite  eingeklemmt  werden,  fehlen  hier. 
Zum  Streichen  der  Saite  dient  ein  zweiter  Weidenbogen  von  103  cm  Länge  mit  einer 
Darmsaite  von  80  cm  als  Bezug. 

Das  Instrument  stellt  die  Verschmelzung  zweier  Typen  dar  [Taf.  I.  Fig.  1] ,  des  Bum- 
basses  und  des  Musikbogens.  Man  versteht  unter  Musikbogen  einen  dem  Schiessbogen  gleichen 
und  ursprünglich  mit  ihm  identischen  Apparat ,  dessen  Sehne  zu  musikalischen  Zwecken  in 
Schwingung  versetzt  wird.  In  der  Regel  bedient  man  sich  dazu  eines  schlagenden  Stäb- 
chens oder  des  zupfenden  Fingers,  in  sehr  seltenen  Fällen  eines  Streichbogens.  Die  eine 
Formante  des  vorliegenden  litauischen  Typus  ist  offenbar  dieser  Streich-Musikbogen  (HS. 
311.121 — 71),  wie  er  an  den  verschiedensten  Orten,  bei  den  Ho  oder  Kolh  in  Vorder- 
indien 1) ,  bei  den  südafrikanischen  Buschleuten  2) ,  bei  den  Tuarek  3)  und  im  mittelalter- 
lichen Spanien  vorkommt.  Bleibt  die  Blase  mit  dem  Steg.  Sie  ist  der  wesentliche 
Bestandteil  eines  sonderbaren  Bettelmusikanteninstruments,  das  in  Deutschland  Bumbass 
genannt  wird ,  in  der  Wissenschaft  aber  unter  dem  französischen  Namen  Basse  de  Flandre 
bekannter  ist.  Seine  typische  Form  ist  die  einer  langen,  schellen  besetzten  Stange  mit 
angeknüpfter  Darmsaite;  dazwischen  wird  eine  Ilinder])lase  eingeklemmt.  Durch  Anreissen 
mit  einem  gezahnten  Holzstock  gerät  die  Saite  in  Schwingung  und  teilt  die  Vibrationen 
der  Blase  mit;  der  Klang  ähnelt  dem  Trommelwirbel. 

Ueber  die  Verbreitung  und  die  Geschichte  des  Bumbasses  wissen  wir  noch  sehr 
wenig.  Er  ist  seit  dem  17.  Jahrhundert  in  Deutschland,  den  Niederlanden,  Frankreich. 
England ,  Island ,  Spanien  und  Italien  nachzuweisen ,  und  der  vielgereiste  Philipp  Hain- 
hofer  aus  Augsburg  nennt  ihn  1629  in  seinem  Dresdner  Tagebuch  eine  neue  inuention, 
was  man  wohl  nicht  allzu  ernst  nehmen  darf.  Wie  das  Instrument  in  allen  Fällen  aus- 
gesehen hat,  lässt  sich  nicht  feststellen.  Das  eine  aber  ist  sicher:  gerade  Stange,  Schel- 
lenbesatz und  Schrapstock  sind  nicht  allgemeine  Voraussetzungen.  Van  der  Straeten 
bildet  im  achten  Bande  seiner  Musique  aux  Pays-Bas*)  einen  holländischen  Kupfer- 
stich des  17.  Jahrhunderts  ab,  auf  dem  ein  Narr  im  Freien  den  Bumbass  spielt;  statt 
der  geraden  Stange  ist  hier  ein  einfacher  Bogen  Saitenträger;  die  zwei  starken  Saiten, 
die  seine  Enden  verbinden,  werden  mit  einem  zweiten,  kleineren  Bogen  gestrichen,  und 
eine  kleine  Blase  ist  nahe  dem  einen  Ende  eingeklemmt.  Der  litauische  Bumbass  hat 
also  sein  genaues  Gegenstück  im  Holland  des  17.  Jahrhunderts;  nur  ist  hier  der  Streich- 
bogen erheblich  kürzer.  Van  der  Steaeten  hat  seinen  Stich  spanischen  Landleuten  vor- 
gelegt; die  ältesten  besannen  sich  auf  ähnliche  Instrumente  ihrer  Kindheit.  Danach 
scheint  also  auch  in  Spanien  die  Doppelbogenform  heimisch  gewesen  zu  sein.  Möglicher- 
weise ist  es  identisch  mit  dem  primitiven  Weihnachts-Streichinstrument  Babel,  von 
dessen  Existenz  mir  der  Direktor  der  Biblioteca  Nacional  zu  Madrid,  Sr.  J.  Rodriguez 
Mari'n,  liebenswürdigst  Mitteilung  gemacht  hat,  über  dessen  Natur  ich  aber  Näheres 
nicht  in  Erfahrung  bringen  konnte.  Einen  italienischen  Beleg  fand  ich  für  den  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts:  eine  Darstellung  aus  den  hervorragend  schön  in  Callots  Manier  radierten 
Figvre  con  instrvmenti  mvsicali  e  boscarecci  des  Gio.  Battä.  Bracelli 
pit  tore  Florent  in  0    in    Roma,    die    nach    dem    Stil   des   Griffels  und  der  Trachten 


1)  H.  Balfoue,  The  Natural  History  of  the  Musical  Bow,  Oxford  1899,  p.  66. 

2)  Ebenda  p.  30. 

3)  Jean,  Les  Touareg.  Paris  1909,  p.  211. 

4)  Bruxelles  1888,  VIII  196. 


—    o    — 

in  die  Jahre  1620 — 30  gehören  dürften,  zeigt  einen  Mann  mit  bogenförmigem  Bumbass; 
die  Linke  hält  die  Stange  im  obern  Drittel  und  drückt  sie  diagonal  gegen  die  Brust, 
während  die  Rechte  den  kleineren  Streichbogen  führt  i).  Endlich  kommt  der  Streich- 
Bumbass  noch  heute  als  Weihnachtsinstrument  —  wie  das  spanische  Rabel  —  im  ost- 
preussischen  Oberland  vor;  einer  der  drei  Knaben,  die  als  Heilige  Drei  Könige  umziehen, 
macht  sich  eine  rudimentäre  Bogenzither  aus  einem  etwa  meterlangen,  aufgebogenen 
Holzbrett,  drei  Saiten,  einem  urwüchsigen  Streichbogen  und  einem  Resonanzkörper;  als 
solcher  ist  hier  aber  nicht  eine  Blase,  sondern  eine  —  Zigarrenkiste  unter  die  Saiten 
geklemmt  2). 

Das  gemeinsame  Mutterinstrument  all  dieser  Bogenzithern  ist  ohne  Zweifel  der  oben- 
erwähnte asiatische  Musikbogen.  Eine  offene  Frage  bleibt  nur  Annahmeland  und  Annah- 
mezeit der  Tierblase,  die  wohl  die  in  der  Heimat  übliche  Resonanzkalebasse  oder  -kokos- 
nu!<s  abgelöst  hat. 

Brettzither  [HS  314.121]  aus  Popel  [Popjel],  Gouvernement  Kovno;  Nr.  V  b  2. 
Landesname  kanklèa  [kankîës],  seltener  kahklys  [kahklis]  und  kahklai.  fem.  ;  der  des  Spielers 
kanklininkas  |Taf.  I  Fig.  2].  Aus  Tannenholz  ist  in  einem  Stück  eine  kantige  Schale  geschnitzt, 
die  in  der  Aufsicht  die  Form  eines  viereckigen,  geradseitigen  VogeUlügels,  im  Quer- 
.schnitt  die  eines  Sechsecks  hat;  der  obere  Rand  greift  am  breiten  Ende  über.  Auf  die 
Vorderöffnung  ist  eine  dünne  Tannenholzdecke  gepasst  und  mit  zwei  Eisennägeln  befes- 
tigt; mit  dem  Zirkel  hat  man  ihr  zwei  Ornamente  aus  einander  schneidenden  Kreisen 
eingeritzt,  und  in  die  Schnittpunkte  sind  je  sieben  kleine,  runde  Schallöcher  gebohrt. 
Das  schmale  Ende  des  Schalenrandes  ist  auf  drei  Seiten  lehnenartig  überhöht;  die  beiden 
Seitenlehnen  sind  durch  einen  Eisennagel  verbunden ,  dem  man  eine  Federpose  als  Mantel 
gegeben  hat.  An  diesen  Nagel  als  Halter  sind  die  fünf  Messingsaiten  gehängt,  die  am 
breiten,  überstehenden  Ende  des  Instruments  von  vierkantigen,  hinterständigen  Holzwirbeln 
gespannt  werden.  Fig.  2a.  In  diesem  Ende  ist  ein  Loch  zum  Durchziehen  der  Tragschnur. 
Lange  47,  grösste  Breite  11,5 ,  kleinste  Breite  H ,  grösste  Tiefe  4 ,  Halterhöhe  1,25  cm.  [Fig.  2]. 

Das  Stück ,  von  dem  im  Königsberger  Prussiamuseum  3)  und  im  Tilsiter  Litauischen 
Museum  Parallelen  aufbewahrt  werden,  stellt  den  kleineren  der  beiden  litauischen  Kanklës- 
Typen  dar;  der  grössere  hat  fast  die  doppelte  Länge  und  die  dreifache  Breite  sowie 
Darmsaiten.  Beide  sind  Mitglieder  einer  Familie  von  Zithern  in  Vogelilügelform ,  der  das 
finnische  Kantde,  das  estnische  Kännel,  das  livländische  Kanala,  das  lettische  Kohkle 
oder  Kuakle,  die  russische  Gu8li  und  die  ceremisische  Kislja  angehören.  Jedes  der  hier 
vertretenen  Läniier  nimmt  den  Typus  für  sich  in  Anspruch  ;  wohl  keines  ganz  mit  Recht. 
Alle  Einzelheiten  im  Bau  dieser  Zithern  weisen  nach  Asien  hin.  Die  kantige  Zurichtung 
des  Holzkörpers  entspricht  derjenigen  der  turkistanischen ,  westasiatischen  und  südslavi- 
.schen  Lauten  vom  Tanburtypus;  die  unteren  Saitenenden  um  ein  rundes  Querstäbchen 
zu  rollen ,  ist  die  Art ,  wie  z.  B.  auch  die  Hinterinder  den  Bezug  ihrer  Krokodilzithern 
einhängen;  die  geritzten  Kreisornamente  der  Decke  mit  den  kleinen  Schallöchern  in  den 


1)  Das  —  wie  es  scheint  —  einzige  Exemplar  besitzt  die  Freiherrlich  von  Lipperheide'sche  Kostüm- 
bibliothek zu  Berlin. 

2)  „Brummbass",   nach   einer  Photographie   und  frdl.  Mitteilungen  des  Herrn  Prof.  Dr.  Sch.nippel  aus 
Osterode. 

»)  N».  786,  aus  Wetzkallen,  Kr.  Pillkallen,  angeblich  Mitte  18.  Jahrhunderts. 


Schnittpunkten  sind  vorderasiatisches  Gut;  auch  die  Fünfsaitigkeit  scheint  vorzugsweise 
asiatisch  zu  sein  ^.  Vor  allem  ist  der  scharf  konvergierende  Verlauf  der  Flankenlinien 
noch  heute  für  asiatische  Zithern,  namentlich  aber  für  die  persische  Brettzither  typisch. 
Die  Kankles  darf  daher  nicht  ganz  isoliert  werden. 

Zithern,  oder  wenigstens  Saiteninstrumente  ausserhalb  der  Lautenfamilie,  sind  seit 
alter  Zeit  slavischer  Besitz.  Im  Jahre  591  n.  Chr.  werden  in  Thrakien  vor  den  byzan- 
tinischen Kaiser  Maurikios  drei  Slaven  „von  der  Küste  des  westlichen  Ozeans"  mit 
Saiteninstrumenten  geführt;  diese,  sagten  die  Männer,  seien  das  wichtigste  slavische 
Musikinstrument.  2)  Der  Mönch  Ermenrich  von  Ellwangen  schreibt  in  der  ersten  Hälfte 
des  9.  .Jahrhunderts  an  Abt  Grimold  von  St.  Gallen  über  das  Psalterium  der  tanzenden 
Slaven.  Auch  andere  synchronistische  Schriftsteller  heben  in  ihren  Berichten  über  die 
Slaven  Tonwerkzeuge  hervor  S) ,  die  freilich  ebenso  wie  diejenigen  der  Maurikiosgeschichte 
aus  den  Bezeichnungen  xi^üqu^  Xvqu  oder  allenfalls  ipalnjotoi'  heraus  ohne  Zuhilfenahme 
frühmittelalterlicher  Miniaturen  nicht  genügend  bestimmt  werden  können.  Das  kirchen- 
slavische  Wort  für  diese  Instrumente  ist  gäsk;  in  neuslavischen  Bezeichnungen  für 
Saiteninstrumente,  wie  russ.  ryciii  gusli,  sloven,  gosli^  poln.  gèél,  lebt  es  wenig  verändert 
fort.  Miklosich  ^}  leitet  gäsk  von  einem  wohl  urslavischen^  gad-th  =  gand-tli  her.  Es  wäre 
sehr  verlockend,  hier  Ann.  kantete  anzuknüpfen  und  die  slavolettische  Sippe  kankles  usw. 
auf  das  Finnische  zurückzuführen  ;  die  Ersetzung  des  Dentals  durch  den  Guttural  —  kan- 
tele^ kankles  oder  kanklai  —  wäre  ja  ein  lautgesetzlicher  Vorgang.  Allein,  der  Uebergang 
von  der  gutturalen  Media  zur  Tenuis  darf  nicht  ohne  weiteres  vorausgesetzt  werden, 
und  das  Thema  gad-th  kann  kaum  als  etymologischer  Ausgangspunkt  benutzt  werden. 
Sicherer  ist  jedenfalls  der  von  Fick  betretene  Weg,  unmittelbar  auf  ein  indogermanisches 
kan,  kanati  „töne"  zurückzugehen,  das  seinerseits  —  wie  wir  hinzufügen  möchten  — 
die  ähnlichen  Bildungen  sanskr.  g^j^r  kankala  „Schmuck  mit  Glöckchen"  und  grusinisch 
kankula  „[musikalisches]  Schlagbrett"  hervorgebracht  hat.  Dagegen  scheint  bisher  über- 
sehen zu  sein,  dass  das  genannte  persische  Instrument  cank  Ju^,  auf  dessen  morphologi- 
sche Uebereinstimmung  mit  der  litauischen  Zither  wir  aufmerksam  machen  konnten, 
auch  etymologisch  verwandt  ist,  da  ja  die  Mouillierung  von  k  zu  c,  von  der  gutturalen 
zur  palatalen  Tenuis  lautgesetzlich  ist.  Das  einmal  anerkannt,  ergibt  sich  eine  zahlreiche 
Sippe  von  Wörtern,  meist  mit  der  Bedeutung  „Harfe"  oder  „Zither",  die  über  Ost-,  Süd- 
und  Westasien  sowie  Osteuropa  verbreitet  ist.  Ihre  äussersten  Ausläufer  sind  birmanisch 
tsaun,  chinesisch  cên  und  k'in  mit  der  südchinesischen  Form  kam  und  der  Shangaier  mn, 
im  Westen  grusinisch  cangi  und  conguri,  kurdisch  cungur  und  serbokroatisch  cangura  und 
im  Norden  finnisch  kantele. 


J^Das  griechische  atrcdxo^dov  z.B.  galt  als  skytisch  [J. Pollux,  Onomasticon  IV  60  (ed.  Basileae  1536 
p.  209)]. 

2)  Theophylakt.  Simok.  Chron.  VI  2,  ed.  Bonn,  p.  243,  244.  —  F.  Kbek,  Einleitung  in  die  slavische 
Literaturgeschichte,  2.  Aufl.,  Graz  1887,  p.  375. 

J' ^g'-,2-ß-  ^^'1:^^^''''  <*^-  ^-  ^-  CHVOLbsoN  p.  31,  und  A.  J.  Garkavi,  Skazan.  musulbnianskich  pisat. 
p.  Zbb.  Letzteres  Werk  wird  von  Krek  zitiert  und  konnte  von  mir  nicht  eingesehen  werden.  Chvolisox 
übersetzt  ^uL  ianäbir  mit  rycjii  gusli,  was  wohl  falsch  ist. 

4)  F.  Miklosich,  Etymologisches  Wörterbuch  der  slavischen  Sprachen,   Wien  1886,  p.  72:  Lexicon 
^laoosloyenico-graeco-latinum,  Wien  1862-65,  p.l60;  Vergleichende  Grammatik  der  slavischen  Sprachen, 

w"r?erKh,'LSlbSril?)8-^t  ilétf  ^"'""'  *  '""'■  '"  "^^  ^'"'''"^'*'  ^'^"'^•^°^  etymologisches 


-   5  - 

Langspfeifen  [HS  421.111.22].  Aus  Cadosij,  Gouv.  Kovno:  Landesname  pyjnnè 
[pipinê]^i  fem.  Vier  Holzpfeifen  von  verschiedener  Länge,  deren  Unterende  mit  Harz  ver- 
schlossen und  deren  Oberrand  doppelt  ge.sattelt  ist.  Die  beiden  Sättel  stehen  einander 
gegenüber:  auf  den  höheren  wird  die  Unterlippe  des  Bläsers  gestützt,  sodass  der  Atem 
bequem  über  den  als  Schneide  wirkenden  tieferen  streichen  kann.  Alle  vier  Pfeifen  sind 
in  der  Aussenwand  mit  kurzen  breiten  Einkerbungen  versehen,  deren  Zahl  die  relative 
Tonstufe  ihrer  Trägerin  angibt.  Eine  Ritzmarke  in  der  Wandmitte  fehlt  nur  bei  der 
dreikerbigen :  die  hellere  Farbe,  der  sorgfältigere  Zuschnitt  und  die  dickere  Wand  kenn- 
zeichnen diese  Pfeife  als  ursprünglich  einer  andern  Serie  angehörig  ]Taf.  I  Fig.  3j.  Die 
tonometrische  Untersuchung  der  Pfeifen  2)  ergab  : 


Kerbenzahl 

Schwingungs- 
zahl. 

Tonhöhe. 

Distanz. 

6 

69«.^ 

'S' 

4 

764 

it 

421  CenU») 

2 

849 

a' 

183      „ 

8 

-        i        1 

884 

^ 

89      „ 

Die  Pipine  ist  geeignet,  l>esonderes  ethnologisches  und  musikwissenschaftliches  Interesse 
zu  erregen.  Zunächst  ist  der  Zuschnitt  der  oberen  OefTnung  auffällig.  Die  vergleichende 
Instrumentenkunde  kennt  Pfeifen  mit  zwei  Sätteln  vom  oberen  .San-Gebiet  in  Birma, 
von  der  zentralen  Gegend  des  südlichen  Indonesien,  also  Timor  und  Umgebung,  von 
Polynesien  und  von  Afï'ika  her.  Der  Völkerkunde  sind  Uebereinstimmungen  der  Realien 
zwischen  Südosta-sien  und  den  afrikanischen  Saumländern  vertraut  :  sie  beruhen  zum  Teil 
auf  unmittelbarer  ost westlicher  Einfuhr,  zum  grösseren  Teil  aber  auf  einer  sehr  alten 
gleichmä-ssigen  Expansion,  deren  Herd  im  mittleren  oder  südlichen  Asien  anzunehmen 
ist.  Da  in  diesem  Fall  nur  an  peripherischen,  weitabliegenden  Punkten  eine  Erhaltung 
stattgefunden  hat,  im  Innern  des  Bezirk.s  aber  jede  Spur  verwischt  zu  sein  scheint, 
lässt  sich  ein  Rückschluss  auf  das  bedeutende  Alter  dieser  Pfeifeneinrichtung  machen. 

Dazu  kommt  etwas  anderes.  Jedes  Instrument,  das  nur  eines  einzigen  Tones  fähig 
ist.  gehört  einer  wesentlich  früheren  Entwicklungsstufe  an,  als  mehrtönige,  melodiefähige 
Instrumente.  Der  allgemeingültige  Weg  zerfällt  in  drei  oder  vier  Etappen.  Auf  der  ersten 
wird  ein  beliebiges  selbständiges  Klangorgan  gespielt ,  auf  der  zweiten  wird  eine  Reihe 
verschieden  abgestimmter,  gleichartiger  Klangorgane  von  ebensovielen ,  orchestermässig 
zusammenwirkenden  Si)ielern  bedient .  auf  der  dritten  werden  diese  abgestimmten  Klang- 
organe zu  einem  einzigen,  von  einem  einzigen  Spieler  bedienten  Instrument  vereinigt. 
So  wird  aus  der  einfachen  Schlagröhre  ein  Schlagröhrenorchester  und  aus  diesem  durch 


1)  Der  Name  toamzdis  (masc.)  —  Spieler  wanudziutoju  (wamzdzioätoyis]  —  ist  heute  veraltet. 
*)  Herr  Dr.  E.  M.  v.  Horvbobtbl  hatte  die  Freundlichkeit,  die  Pfeifen  mit  seinem  Reisetonometer  IV 
lu  meMen. 


^  1  Cent  =     jQQ-  de«  temperierten  Halbtons. 


-.    6   - 

Zusamraenziehung  ein  Xylophon;  so  werden  aus  dem  einzelnen  Gong  Gongorchester  — 
bei  den  Moi  in  Kambodza  z.  B.  —  und  aus  diesen  dann  Gongspiele  wie  in  Birrna,  Java 
usw.  1).  Entsprechend  stellen  die  litauischen  Eintonpfeifen  die  Mittelstufe  dar  zwischen 
der  unabhängigen  Signalpfeife  und  dem  als  „Panflöte"  bekannten  floss-  oder  bündel- 
förmigen  Pfeifenverband.  Ihrerseits  ist  die  Panflöte  nicht  der  Endpunkt  der  Entwicklung; 
hinter  ihr  steht  die  Reduktion  der  vielen  Röhren  zu  einer  einzigen,  deren  Länge  durch 
Oeffnen  oder  Decken  seitlicher  Grifflöcher  augenblicklich  auf  diejenigen  der  früheren 
Einzelröhren  gebracht  werden  kann.  In  Asien  sind  Eintonpfeifenorchester  heute  noch  im 
oberen  San-Gebiet  (Birma)  erhalten  2);  sie  werden  ausserdem  bei  den  Basongo  im  Kongo- 
staat 3) ,  bei  den  Dakka  in  Adamaua  *)  bei  den  Bavenda  in  Rhodesia  ^j,  im  südöstlichen 
Deutsch-Ostafrika  6)  und  bei  den  venezolanischen  Guaraunos-Indianern  angetroffen. 

Die  Panflötenstufe  ist  für  Litauen  in  der  Literatur  schon  früher  belegt  worden.  Als 
Skaudumas  ~)  ist  eine  Flossflöte  aus  zwölf  mit  Gras ,  Bast  oder  Spahn  zusammengebun- 
denen Holzpfeifen  bekannt^).  Die  vierte,  durch  Grifflöcher  in  einer  Röhre  charakteri- 
sierte Entwicklungsstufe  der  Flöte  ist  in  der  Sammlung  vertreten  durch  eine 

Schnabel  flöte  [HS  42L212.122]  aus  Russ.  Litauen.  Der  Landesname  ist  wohl 
pypelys  [p/pelis]  masc. ,  der  des  Spielers  pypeliutojis  [pipelioätoyis].  Das  Stück  ist  aus  Holz 
hergestellt,  an  der  Mündung  offen  und  am  Oberende  zugeschärft.  Der  Aufschnitt  hat  vier- 
eckige Form  und  sitzt  auf  der  Vorderseite  ;  innerhalb  eigener  Vertiefungen ,  wie  sie  in 
Asien  und  auf  der  Balkanhalbinsel  häufig  sind ,  liegen  vier  vorderständige ,  hochrecht- 
eckige Grifflöcher.  Das  Stück  ist  im  ganzen  3,15  cm  lang  und  misst  im  Durchmesser  2  cm; 
die  Schneide  des  Aufschnitts  ist  vom  Oberende  3,  das  Zentrum  des  untersten  Grifflochs 
von  der  Mündung  6,5,  das  des  obersten  13,5  cm  entfernt  |Taf.  I  Fig.  4]. 

Da  die  Flöte  vier  Grifflöcher  hat,  also  auf  regelmässige  Weise  fünf  Töne  hervor- 
zubringen vermag,  gehört  sie  melodisch  derselben  frühen  Entwicklungsstufe  an  wie  die 
fünfsaitige  Zither,  obgleich  sie  als  Instrument  einen  höheren  Typus  darstellt  als  die 
zwölfpfeifige  Panflöte. 

Klarinette  [HS  421.211.12]  aus  Cadosij,  Gouvernement  Kovno  (E.  J.  V.  36,  1908). 
Als  korrekten  Landesnamen  darf  man  birbyné  [birbinë]  fem.  —  Spieler  birbininkas  —  in 
Anspruch  nehmen;  nach  Kurschat  II  ii  48  heisst  so  „jedes  Blaseinstrument,  das  einen 
schnarrenden  oder  summenden  Ton  giebt  wie  den  einer  Fliege,  Wespe,  Klarinette." 
Eine  beiderseits  off'ene,  zylindrische  Holzröhre  mit  drei  vorderständigen,  hochrecht- 
eckigen Grifflöchern  innerhalb  eigener  Vertiefungen  nahe  dem  Unterende.  In  unmittel- 
barer Nachbarschaft  des  Oberendes  ist  aus  dem  Holz  eine  aufschlagende  Zunge  derart 
herausgelöst,   dass  sie  an  der  Wurzel  noch  festsitzt;  der  ehemalige  Verschlusspfropfen 

1)  Vgl.  C.  Sachs,  Die  Musikinstrumente  Indiens  und  Indonesiens  (Handbuch  der  Königlichen  Museen) 
Berlin  1915,  p.  22  ff.,  37  usw.. 

2)  Exemplare  im  Münchener  Ethnographischen  Museum. 

3)  Hilton— Simpson  ,  Land  and  Peoples  of  the  Kasai ,  p.  36. 

4)  Sammlung  des  Verfassers,  von  der  L.  FROBENios'schen  Expedition. 

5)  Sammlung  der  Berliner  Missionsgesellschaft,  gemessen  von  v.  Hobnbostel. 

6)  Abb.  bei  Karl  Weule,  Wissenschaftliche  Ergebnisse  meiner  ethnographischen  Forschungsreise  in 
?^o  m  f  o^  Deutsch-Ostafnkas,  Mitteilungen  aus  den  deutschen  Schutzgebieten,  Ergänzungsheft  1,  Berlin 
lyvo,  laf.  39,  Fig.  1. 

')  Name  bei  Kürschat  nicht  zu  belegen. 

«)  H.  npuBanoBb,  MycHKanbiibie  HHCxpyMeHTbi  pyccKaro  iiapoAa  bt.  cbhsh  ct,  cooiBMCTByiomHMH  HHCTpvMeiiTaMii 
4pyrHxi  CTpaHT,,  sanHCKii  Hmh.  PyccK.  Apx.  OömecTsa  VIH.  II.  234. 


-  7   - 

des  oberen  Endes  fehlt.  Beim  Blasen  muss  dies  Ende  bis  Ober  die  Zunge  hinaus  in  den 
Mund  genommen  werden,  sodass  die  Zunge  durch  Wechselwirkung  ihrer  Elastizität  und 
des  eingeblasenen  Luftstroms  periodisch  den  Zugang  zur  Röhre  öffnet  und  schliesst.  Der 
Klang  ist  sehr  scharf,  fast  trompetenartig.  Lange  15,25,  Durchmesser  1,5  cm.  Da  die 
Tonhöhe  sich  nach  dem  Grad  ändert,  in  dem  der  Pfropfen  in  die  Röhre  eindringt,  sind 
tonometrische  Aufnahmen  beim  Fehlen  dieses  wichtigen  Instruraententeils  zwecklos  [fig.  5]. 
Solche  idioglotte  Klarinetten,  d.h.  Blasinstrumente,  aus  deren  Wand  durch  drei 
Schnitte  eine  elastische ,  auf  abgeschrägte  Leibungen  schlagende  Zunge  gewonnen  ist , 
sind  asiatisches  Gut  und  heute  noch  namentlich  in  Vorderindien  und  im  Malaiischen 
Archipel  vertreten.  Auf  sie  geht  die  heteroglotte  Klarinette  der  europäischen  Musik  mit 
ihrer  aufgebundenen  oder  aufgeschraubten  Zunge,  dem  „Blatt",  zurück. 

Trompete  (HS  423.112.1]  aus  Friedrichsberg,  Kr.  Orteisburg  —  also  nicht  eigent- 
lich Litauen ,  aber  sachlich  zugehörig  —  (N.  V.  Ja  458).  Landesname  triibà  oder  trinbà 
(trübä,  triübä]  fem.;  der  Blä.ser  heisst  trubytojis  [trubltoyis]  oder  triubitojis.  Ein  Hirten- 
instrument aus  Tannenholz  in  gerader,  allmählich  erweiterter  Form.  Die  Röhre  ist  aus 
vier  Spähnen  zusammengefügt,  mit  Rinde  Oberzogen  und  eng  mit  Rohr  bewickelt.  Ein 
Mundstück  ist  trotz  des  weiten  Durchmessers  nicht  vorhanden.  Das  Instrument  hat  eine 
Länge  von  100,  einen  oberen  Innendurchmesser  von  2,1  und  einen  unteren  Innendurch- 
messer von  10  cm.  (Taf.  I  Fig.  «].    An  sie  schliesst  sich  eine  zweite 

Trompete  [HS  423.112.2]  aus  der  Gegend  von  Telsi  in  Russisch  Litauen,  von 
den  Zemaiten  (E.  J.  V.  36,  1908).  Die  gehälftete,  allmählich  erweiterte  Tannenholzröhre 
ist  S-förmig  wie  die  Trompeten  des  15.  Jahrhunderts  und  wie  unsere  Posaune  aus 
mehreren  mit  Harz  aneinandergeklebten  Gliedern  zu.sannnengesetzt  und  mit  Rinde  über- 
zogen; je  zwei  von  den  drei  Führungen  werden  durch  Querstege  gehalten.  Das  Oberende 
ist  zu  einem  einfachen  Mundstück  (bumoa  gàlos),  das  Unterende  zu  einem  wenig  aus- 
ladenden Schallbecher  zugeschnitzt.  Höhe  ><'Jy,  Gesamtlänge  190,  Enddurchmesser  11  cm. 
[Taf.  I  Fig.  7J. 

Die  litauische  Truba  teilt  ihren  Namen  mit  den  wendischen ,  russischen ,  rutheni- 
schen ,  serbischen ,  kroatischen  und  syrjänischen  Trompeten  und  mit  der  samojedischen 
Maultrommel  ;  Form  und  Herstellungsart  hat  sie  gemein  mit  den  Hirtenhörnern  der 
Schweiz  (Alphorn)^),  Skandinaviens  (lur),  Estlands  {luik),  Polens  (ligatoka),  Rumäniens 
{budum)  und  des  oberen  Amurgebiets.  Auch  in  Litauen  ist  sie  ausschliesslich  Hirten- 
instrument geworden;  früher  fand  sie  auch  bei  Hochzeiten,  Kindtaufen  und  Umzügen 
Verwendung.  „Zwey  Kerdel  *)  blasen  auf  solchen  ihren  Posaunen  gleich ,  welches  einen 
ziemlichen  Schall  giebet"  ').  „Gleich"  kann  wohl  nur  als  „im  Einklang"  gedeutet  werden. 
Dieser  paarweise  Gebrauch  kann  bei  allen  asiatischen  Tuben  beobachtet  werden,  bei 
denen  der  Hebräer ,  deren  Führer  Mose  auf  Gottes  Geheiss  zwei  silberne  Hazözeroth 
anfertigen  musste,  in  Turkistän,  in  Tibet,  in  Indien  usw.  Wenn  hier  ein  baltisches 
Volk  mit  wesentlich  a.siatischer ,  zäh  festgehaltener  Kultur  dies  typische  Trompetenpaar 
im  Einklang  bläst,  so  i.st  das  ein  neuer,  schwerwiegender  Beweis  gegen  diejenigen,  die 


1)  Vgl.  auch  die  von   M.   Praitobius  im   2.   Band  seines  Syntagma  musicum  (Wolffenbüttel  1618) 
erw&bnte  und  abgebildete  Holztrompete  des  deutschen  Mittelgebirges. 
>)  Preusa.  .Kerle,  M&nner". 
*)  Th.  LKPmtB,  Der  Preusche  Littauer,  1690,  Danzig  1744,  p.  94. 


-   8   - 

aus  den  paarweisen  Funden  bronzezeitlicher  Trompeten  der  Ostseeküste,  der  vielumstrit- 
tenen Lurer,  eine  Zweistimmigkeit  in  der  vorgeschichtlichen  Musik  der  Nordgermanen 
herleiten  wollen  i). 


Alle  im  Vorgehenden  beschriebenen  Tonwerkzeuge  weisen  unzweideutig  nach  Asien. 
Bogen-  und  Brettzither,  Eintonpfeifen ,  Schnabelflöte,  Klarinette  und  Holztrompeten 
tragen  nach  Art  und  Ausführung  den  Stempel  dieses  Erdteils.  Die  genaue  Zeit  der 
Abwanderung  lässt  sich  naturgemäss  nicht  feststellen.  Dass  es  sich  aber  um  eine  beträcht- 
lich zurückliegende  Epoche  handelt,  ist  aus  der  Natur  der  Instrumente  herauszulesen. 
Die  höchstentwickelten,  Brettzither  und  Schnabelflöte,  haben  nur  fünf  Töne  Umfang, 
die  andern  noch  weniger,  und  die  Typen  selbst  sind  bereits  zum  Teil  in  der  Heimat 
ausgestorben  und  nur  an  peripherischen  Punkten ,  Indonesien  und  Afrika ,  erhalten. 
Namenthch  die  Eintonpfeifen  reden  deutlich:  ihre  Familie  ist  so  alt,  dass  nicht  nur  sie 
selbst  schon  fast  vollständig  aus  Asien  verschwunden  ist,  sondern  dass  sogar  die  aus 
ihr  entwickelte  Panflöte  dort  nur  noch  wenig  Boden  hat. 


BALINESISCHE   FARBENZEICHNUNGEN 
MIT  DARSTELLUNGEN  AUS  ALT-JAVANISCHEN 

SCHRIFTEN 

VON 

Dr.    H.    H.    JUYNBOLL 

Direktor  des  Ethnographischen  Reichsmuseums  in  Leiden. 
Mit  10  Tafeln. 


Im  16.  Bande  dieser  Zeitschrift  veröffentlichte  Verfasser  dieses  unter  dem  Titel 
„Proeven  van  Balineesche  teekenkunst"  einige  Tafeln  aus  der  grossen  Samm- 
lung farbiger,  balinesischer  Zeichnungen,  die  Dr.  van  der  Tüük  mit  seinen  Hand- 
schriften und  Büchern  der  Universitätsbibliothek  in  Leiden  vermachte.  Seit  dieser  Zeit 
hat  auch  der  Maler  W.  0.  J.  Nieuwenkamp  in  seiner  Arbeit  „Bali  en  Lombok"  ver- 
schiedene dieser  Zeichnungen  wiedergegeben,  während  eine  kurze  Beschreibung  der  ganzen 
Sammlung  im  zweiten  Teil  meines  Supplements  zum  Katalog  der  javanischen  und  madu- 
resischen  Handschriften  der  Leidener  Universitätsbibliothek  auf  Seite  474— 485  zu  finden  ist. 

Vor  einiger  Zeit  (im  September  1913)  gelangte  das  Ethnographische  Reichsmuseum 
in  Leiden  in  den  Besitz  von  30  solchen  Zeichnungen,  durch  obengenannten  Herrn  Nieuwen- 

1)  Cf.  C.  Sachs,  Reallexikon  der  Musikinstrumente,  Berlin  1913,  p.  265  f. 


-  9   - 

KAJip  wahrend  seines  Aufenthalts  in  Bali  gesammelt.  Als  eine  Fortsetzung  unserer  vorigen 
Abhandlung  werden  wir  jetzt  die  Zeichnungen,  soweit  sie  auf  die  altjavanischen  epischen 
CJedichte  ArjunaunwUha  und  RUmUyana  und  auf  das  altjavanische  Prosawerk  Calon  Arang 
Bezug  haben ,  mit  den  nötigen  Erklärungen  bekannt  machen. 

Das  Arjunawixoüha  wurde  bereits  im  Jahre  1850  durch  R.  Friederich  mit  einer 
interlineairen  Übersetzung  im  Balinesischen  im  23  Bande  der  Abhandlungen  der  Batavia- 
schen  Genossenschaft  für  Künste  und  Wissenschaften  veröffentlicht.  Bei  der  Erklärung  der 
Bilder  werden  wir  erst  die  balinesisthen  Beischriften  im  Text  und  in  der  Übersetzung 
mitteilen.  Zur  näheren  Erläuterung  wird  der  altjavanische  Text  die  nötigen  Angaben 
verschaffen.  Der  Hinweis  darauf  wird  erleichtert,  weil  der  balinesische  Zeichner  bei 
jedem  Bild  die  Anfangsworte  des  Gesanges,  in  welchem  das  dargestellte  Ereignis  beschrie- 
ben wird ,  mitteilt.  In  Dr.  van  dkr  Tüuk's  Sammlung  (cod.  3390)  enthalten  die  Bilder 
38,  241,  288,  289,  290,  291,  292,  293,  294,  295,  29«  und  297  Darstellungen  aus  dem 
Arjunamioäha. 

Tafel  II  (Serie  1865/23).  Überschrift:  (|M<.Muâ7^u7Kic<Mt^c|KnN  -n-n^^«,Mi^«oc..^.Q, 

i>»M|.  „Dies  (sind)  alle  Götter  mit  vier  Gesichtern ,  ferner  gehen  sie  (nämlich  die  Widyü- 
dhari*8  oder  Apaarasen)  von  links  nach  rechts  um  sie  herum." 

Oben  rechts  steht:  Mtin>âM|é.M^ii^-n^v>  „Gedicht  am{><^/cparaniär</ia".  Der  Zeichner 
meint ,  dass  dieses  im  Gesang  I  erzilhlt  wird ,  der  mit  ambfk  sang  paramarthapanditn 
(der  Geist  des  vollkommenen  Weisen»  beginnt.  Die  Namen  der  vier  Götter  sind  von  links 
nach  rechts:  ^J^àÊ&gfL^   WiijnUy  uginim«   Indra,  »j,^cn^-r,K  /fu^arn  otier  (^itoa  und  t^àicnyix 

Brahma.  Von  den  sieben  Himmelnymphen  {Widyadhar('a  oder  Apaarasen)  tragt  die 
mittlere  auf  der  Tafel  keinen  Namen.  Die  anderen  heissen  von  links  nach  rechts: 
umm'Si'ny  TuTijunQ  biru ,  «j.«n-ft«^»S,  Widyndliari  Suci,  .y»«.«e«%  ix)<ama,  eine  Verstümmelung 
von  Tiloltamä,  H(*5""  Suprabhä,  •^«ni^T>*2|<  Kendaran  und  m<m««<i«>  Gagar  Mayang.  Um 
zu  erfahren,  wer  die  mittlere  Himmelnymphe  ist,  stehen  uns  das  Kawi-Balinesische 
Wörterbuch  von  Dr.  van  dkr  Took  und  Dr.  Hazeu's  Abhandlung  ül>er  Nini  Towong 
(Tydschrift  Ind.  T.  L.  Vk.  XLIII,  S.  :«i— 107)  zu  Gebote,  aber  weder  das  Kawi-Baline- 
sische Wörterbuch,  in  welchem  (III,  S.  527 s.v.  âmj»«*-*)  12  Namen  von  Widyndhari's 
genannt  werden,  noch  der  Teil  von  Dr.  Hazeu's  Abhandlung,  welcher  speziell  über  diese 
Himmelnymphen  handelt  (S.  «0—72),  gibt  einige  Aufklärung,  da  selbst,  wo  sieben 
Namen  genannt  werden  (S.  «8),  diese  grösstenteils  von  den  hier  mitgeteilten  abweichen. 
Gehen  wir  jetzt  nach,  was  das  altjavanische  Gedicht  im  Gesang  I  Ober  den  Gegen- 
stand dieses  Bildes  als  nähere  Erklärung  gibt.  Wir  lesen  hier,  wie  Niw.ätakawaca , 
der  Fürst  der  Dämonen  (daüya\  dessen  Residenz  ManimSntaka  heisst  und  am  Sfldfusse 
des  Berges  Meru  liegt,  für  (tötter  und  andere  Geister  (yahna  und  astira)  unverwundbar 
ist,  und  nur  durch  einen  Menschen  getötet  werden  kann.  Von  die.ser  Unverwundbarkeit 
macht  er  Missbrauch,  indem  er  die  Götter  ungemein  quält.  Darum  suchen  die  Götter  einen 
Helfer  in  der  Not.  Çakra  (Indra)  hört,  da-ss  Parlha  (Arjuna),  der  mittlere  der  fünf  Pändatoa' s , 
auf  dem  Berge  Indraklla  Busse  tut.  Man  vermutet,  dass  er  den  Göttern  wird  helfen 
können,  zuerst  muss  er  jedoch  auf  die  Probe  gestellt  werden.  Hierzu  werden  sieben 
Himmelnymphen  ausgewählt ,  die  versuchen  sollen ,  ihn  durch  ihre  Anmut  von  seiner 
Ascèse  abzuleiten.  Von  diesen  sieben  Nymphen  werden  in  Vers  7c  vom  Gesang  I  jedoch 
I.  A.  f.  E.   XXIII.  2 


-    10  - 

nur  zwei  mit  Namen  genannt:  M'pMl»ra^lÄ«mly^^»l«nlM»Mt«^ffl^J^^Ml»>olMJIMU)».-l_«^«•>^c»^:  von  diesen 
waren  die  beiden  ersten,  Tilottama,  mit  der  die  Erzählung  scliliesst,  und  Suprabhä." 
Die  Namen  der  fünf  anderen  Nymplien  sind  durcii  den  Balinesischen  Zeichner  also  nicht 
dem  Text  des  Gedichtes  entnommen.  Von  diesen  sieben  Nymphen  wird  in  Vers  86  von 
Clesang  I  gesagt:  i>jŒ»i^(nn««*»««(»3«>»^^<n^«"'i"'*i'^"^'^'"^'"»*'  v^^^  liefen  mit  der  rechten 
Seite  ihm  zugewendet  ganz  um  sie  herum,  erwiesen  ihnen  Ehre  und  liefen  dreimal  herum". 
Die  Götter  schämten  sich,  ihre  Köpfe  umzuwenden,  und  deshalb  wird  in  Vers  8c  von  Gesang  I 
erzählt:  »Ajfl,cr77«/n»,in«^inj^iK»«n«j|»<Ti-»cc)»ij-ri  »niiat/ni<Bj»snii^«^j«  „(rott  Brahmü  beKam  plötz- 
lich vier  Antlitze  und  Gott  Indra  wollte  viele  Augen  haben." 

Im  altjavanischen  Text  wird  also  von  Wimu  und  Çiwa  nicht  gesprochen,  sondern 
nur  von  Brahma  und  Indra.  Auch  wird  von  Indra  nicht  gesagt,  dass  er  vier  Köpfe, 
sondern  dass  er  viele  Augen  erhielt.  Dies  ist  in  Uebereinstiramung  mit  dem  Beinamen 
Sahasraksa  (der  Tausendäugige),  welchen  er  in  der  indischen  und  auch  in  der  altjavani- 
schen Literatur  trägt  i).  Wie  man  sieht ,  hat  der  balinesische  Zeichner  hier  sehr  phanta- 
siert. Auch  die  Tempelschelle  ighanta)  und  die  Weihrauchschale,  die  hier  alle  vier 
Götter  in  den  Händen  tragen ,  sind  eher  Attribute  balinesischer  Priester  als  indischer 
Götter.  Die  grüne  Farbe  von  Wisnu^  die  weisse  von  Çiioa  und  Indra  und  die  gelbe  von 
Brahma  erregen  Aufmerksamkeit.  Das  Ueberkleid  von  Brahma  und  Wi^nu  ist  blau  mit 
roten  Blumen,  das  von  Indra  weiss  mit  roten  Punkten,  während  Çiwa  nur  eine  Schulter- 
bedeckung trägt. 

Tafel  III  (Serie  1865/22).  Überschrift  :  tJÄ«^,ol^a»^^M..JK^,?çjJ^y^  :  „Dies  ist  das  Gedicht 

„akweh  tkap".  Zur  Erklärung  diehe,  dass  Gesang  IV  des  Arjunawiwaha  (Ausg.  Fbiederich.  S. 
nrtKJ)  mit  diesen  beiden  Worten  beginnt:  <i-Mi;»g?i^Mi|^.Ti«üi«ai^,«^«sn«ji<ym»jj»i>  :  viele  (waren 

die  Weisen),  womit  sie  (die  Widyädharl's)  das  Gelübde  von  Pandit's  Sohn  (Arjuna)  zu 
zerstören  versuchten".  Die  Verleitungsszene,  die  hier  dargestellt  wird,  ist  jedoch  bereits 
im  Gesang  III  des  altjavanischen  Gedichtes  beschrieben  worden.  Oben  in  der  Mitte 
sieht  man  auf  der  Tafel  Arjuna  in  der  Haltung  eines  Asceten  sitzen  mit  der  Unterschrift: 
<M-r,««iaE^«n«N  :  „Arjuna^  Busse  verrichtend".  Bei  den  Nymphen,  die  ihn  umgeben,  steht 
von  links  nach  rechts:  u>%^£,^■.  die  widyädhart  Srici,  ^.^  mm^n  :  Ä'endran  (auf  Tafell: 
Kendaran),  »^^lJ,cn^  :  Suprabhä,  die  ihren  linken  Arm  durch  Arjuna' s  rechten  Arm  steckt, 
-7»Mi«n«.N  :  TUottamä,  die  ihren  rechten  Arm  durch  Arjuna's  linken  Arm  steckt ,  ,m<^«u.^: 
Gagar  Mayang  und  K,|^:t^^■^^  :  Tunjung  Biru,  die  auf  ihrem  rechten  Fuss  steht,  während 
sie  mit  ihrer  linken  Hand  ihren  rechten  Fuss  aufhebt.  Es  ist  alsob  der  Zeichner,  indem 
er  Suprabhä  und  Tilottamä  direkt  neben  Arjuna  abbildet,  zu  kennen  geben  will,  dass  nur 
diese  beiden  Nymphen  im  Text  mit  Namen  genannt  sind.  Dieselbe  Verleitungsszene  ist 
auch  auf  dem  Verschlag  einer  Schlafstelle  (Serie  36H/lj  und  auf  einer  Gardine  (Serie 
964/8)  in  der  Balinesischen  Abteilung  des  Ethnographischen  Reichsmuseums  «)  abgebildet. 
Auch  die  Zeichnung  291  von  Dr.  van  der  Tuuk's  Bildersammlung  (cod.  3390)  stellt  dar , 


1)  Dr.  VAN  debTuuk,  Kawi-Balinesisches  Wörterbuch,  III,  S.  125  s.v.:  »^xn«^^   wo  eine  Stelle  aus  dem 
altjavanischen  Brähmändapuräna  zur  Erklärung  dieses  Beinamens  herangezogen  wird. 
.    JJ  SH^%.tT'"®"  „Katalog  von  Bali  und  Lombok",  S.  32  und  34  und  Pleyte,  „Indonesian 

ATZ  f    Im.   Ji.1^, 


i 


-  11  - 

wie  Suprab/iâ  und  Tilottamä  sich  bemühen ,  Arjuna  zu  verleiten  i).  Man  sieht  also ,  wie 
volkstümlich  diese  Geschichte  auf  Bali   ist. 

In  dem  altjavaniscben  Gedicht  wird  erzählt,  wie  die  Apsarasen  (Nymphen)  nach  drei 
Tagen  unverrichteter  Sache  zurückkehren  (Gesang  IV,  Vers  10).  Dies  hörend,  sind  die 
Götter   beruhigt.   Gesang  V  beginnt  wie  folgt:  4>nu>ji^{«tni^>.i>^'nu«nruui}Mu<snK»i^i7n(> 

mOt  des  Götterfürsten  und  aller  Fürsten  war  beruhigt ,  den  Bericht  hörend ,  wie 
gut  Pändu's  Sohn  Ascèse  verrichtet  hat.  Nach  ihrer  Meinung  war  es,  als  ob  ihnen  das 
Haupt  des  Dâmonenfûrsten  (Nitoätakatcacat  bereits  angeboten  war."  Nun  sucht  Indra  in 
der  Crestalt  eines  alten  Sehers  Arjuna  auf.  (Gesang  V,  Vers  2 — 5).  Dies  wird  dargestellt 
auf:  TafellV  (Serie  18H5/26)  links  unten.  Die  Aufschrift:  tA&Aun^â^vt^Qf^  :  „dies  (ist) 
da«  (Tedicht  „tcus  manggêh"  bezieht  sich  auf  die  oben  bezeichneten  Anfangsworte  von 
(Tcsang  V.  Man  sieht  hier  ytr/wn«  .sitzen  mit  <ier  Unterschrift:  •j'n«j*nc*4sii(»N  :  Arjuna,  Busse 
verrichtend."  Bei  dem  alten  Mann  mit  dem  Stock  in  der  Hand  steht  die  Beischrift  :  um  en 
cjâfua*MâuiMra|atMti»«m|x  :    Indra,   die  Gestalt  eines  stockalten   Mannes   angenommen 

habend."  In  Vers  H  von  (iesang  VI  wird  erzahlt,  wie  der  alt«  Mann  wieder  die  Gestalt 
von  Indra  annimmt  und  in  Vers  8,  wie  vr  verschwindet. 

Eine  neu»-  Epi.so<le  beginnt  in  (resang  VII.  Da  wird  von  einem  Daüya  (Dämon), 
Mnka  genannt,  gesprochen,  der  Pürtha  (Arjuna)  auf  dem  Berge  Indraktla  zu  beläs- 
tigen sich  anschickt,  um  ihn  in  seiner  Ascèse  zu  stören  (Vers  3i.  Er  nimmt  die  Gestalt 
eines  Ebers  an  (Vers  4c:  m,^tmtofQnQtMnia-n-ri*ji  :  „er  verwandelte  sich  in  ein  Schwein  von 

einer  sehr  schrecklichen  Gestalt.")  Um  dies«'n  Eber  zu  schiessen  kommt  Circa  in  der 
Gestalt  eines  J&gers  (Vers  6d:  u,£l^»,AMiS,wu>m<nny:  „Der  groi^^e  Nilakanfha  (Çiwa)  ka.m. 
Dies  wird  dargestellt  im  obersten  und  grös-sten  Teil  der  Tafel  III.  Die  Oberschrift  : 
t^S^A^m^m&^^J^m^^MÊ^  :  ^dics  (i.st)  das  Gedicht  sampumfa"  weist  auf  die  Anfangsworte 
von  Gesang  VIII,   welche  lauten:  •L>f«^Mf|QSt;>âWa<m-niâ<}toM|(>  «p^Jt^uyuoMiui^en 

«••^(t  as||g*u|T>ini«nimiôrâcjui(4*-ni4>«<  :  -Nachdem  tT  { Arjuna)  seinen  Pfeil  abgeschos.s(-n 
hatte,  traf  dieser  (den  Eber»  in  die  Leisten,  aber  der  trott  (Çiwa)  .schos.s  zugleich 
und  sie  (die  Pfeile)  trafen  zusammen,  (sodas.<<)  der  gros.se  Eber  eine  Wunde  erhielt." 
Auch  auf  dem  Bild  sieht  man  nur  einen  Pfeil  in  dem  Rücken  des  Ebers  sitzen , 
welcher  jedoch  an.scheinend  durch  Arjuna  abgeschos,sen  ist.  Dieser  steht  rechts  mit  der 
Beischrift  :  ^^6^^  :  „Pilrtha"  (Arjuna).  Links  steht  (^'Uoa  mit  der  Beischnft:.™»jT)»  :  „Içicara" 
iÇiicà).  Er  zeigt  mit  seiner  rechten  Hand  nach  dem  Eber,  wahrend  seine  linke  Hand  seinen 
Bogen  umfa.sst.  Hinter  ihm  her  kommt  Brahma  gelaufen,  welcher  hier  nur  mit  einem 
Kopf  dargestellt   wird,  mit  der  Beischrift:  irn«>  :   „Brahma".   (Janz  hinten  (oben  links) 

steht  Wi^nu,  welcher  ebenso  wie  Brahma  auch  mit  einem  Bogen  bewaffnet  ist,  mit  der 
Beischrift:  &«%  „Wi>fnu".  Auch  auf  den  Bildern  241  und  294  von  Dr.  van  der  Tuuk's 
Tafel.sammlung  (cod.  3.^90»)  wird  dieser  Vorgang  abgebildet. 

1)  8iene  mein   ,äuppl.  op  den  Catal.  der  jav.   en   madur.  Handschriften  II,  S.  48ij. 
^  Siehe  mein   ,Suppl.  Catal.  Jav.    en  mad.   Handschr.  Il",  S.  48.ü  und  Nieuwemkakp,  ,Bali 
und  Lombok"    8.  38. 


-   12   -  . 

Çiim  und  Arjuna  geraten  in  Streit  wegen  der  Frage,  wer  den  Eber  getötet  habe. 
Sie  bekämpfen  einander  (Gesang  VIII,  Vers  8  bis  Gesang  IX,  Vers  3).  Endlich  besiegt 
Arjuna  seinen  Gegner  (Gesang  IX,  Vers  4).  Als  er  jedoch  bemerkt,  dass  er  mit  Çiwa 
gekämpft  hat,  preist  Arpim  den  Gott  mit  Lobgesängen  (Gesang  X  und  XI).  Zur  Be- 
lohnung schenkt  Çiwa  ihm  einen  Wunderpfeil,  welcher  Pacupati  heisst  (Gesang  Xli, 
Vers  ll.  Nun  wird  Arjuna  eingeladen,  in  den  Himmel  zu  kommen.  Dort  vernimmt  er, 
dass  Mioätakatcaca  weder  durch  Astira's ,  noch  durch  ?%?j'8  (Seher) ,  weder  durch  Deica's 
noch  durch  Dänawa's,  sondern  nur  durch  einen  Menschen  getötet  werden  kann  (Gesang 
XIV,  Vers  10).  Wrhaspati  rät,  SuprabhU  nach  NiwUtakawaca  zu  senden.  Arjuna 
geht  jedoch  mit,  um  zu  sorgen,  dass  ihr  nichts  geschieht  (Gesang  XIV,  Vers  15 
bis  20).  In  Manimantaka  angekommen,  sagt  SuprabhU,  dass  sie  von  Indra  an  NiwU- 
takawaca angeboten  wird.  Dieser  nimmt  sie  auf  seinen  Schoss  und  liebkost  sie  i).  Dies 
sehend  fliegt  Arjuna  auf  die  Pforte  igopura),  die  er  eintritt,  um  dadurch  NiwUta- 
kawaca herauszufordern.    Dies  wird  erzählt  in  Vers  10  von  Gesang  XIX:  ^«j|jiut^*^on> 

„Doch  Pänclu's  Sohn  (Arjuna)  hörte  es.  Er  erinnerte  sich  seiner  Verabredung  (nämlich 
dass  er  über  SuprabhU  wachen  sollte).  Er  flog  darauf  auf  die  Pforte  zu  und  stellte  sich 
darauf.  Mit  einem  donnernden  Getöse  stürtzte  diese  zusammen,  wie  er  sie  eintrat." 
Dieses  Schauspiel  ist  vorgestellt  auf: 

Tafel  V  (Serie  1865/21).  Die  Überschrift:  t^Ä.Ä«7,M,,5^«^«j«^M^  :  „dies  (ist)  das  Ge- 
dicht dunungan'\  hat  sicher  Bezug  auf  die  Anfangsworte  von  Gesang  XVIII:  <^{l^Kl>*>n*2|^ 
obwohl  die  abgebildete  Begebenheit  erst  in  Gesang  XIX  erzählt  wird.  Links  sieht  man 
Niwatakaioaca  mit  SuprabhU  auf  seinem  Schoss.  Die  Beischrift  lautet:  <.-n9<n*a)<>^uM»u«<;n| 

^^■n^ßll^Jl^a^^,s  :   „der  Baitya  iNiicUta)katoaca ,   welcher  SuprabhU  zärtlich   zuspricht  und 

liebkost".  Dieselbe  Aljbildung  findet  man  auf  Tafel  289  von  van  der  Tuuk's  Tafelsamm- 
lung (cod.  3390)2)  zurück. 

Rechts  oben  sieht  man  Arjuna  auf  der  Türe  sitzen,  die  er  mit  seinen  Füssen  zer- 
tritt. In  der  rechten  Hand  hebt  er  einige  Steine  drohend  gegen  NiwUtakawaca  auf. 
während  er  in  der  linken  Hand  einen  Speer  mit  rotem  Schaft  festhält,  wie  sie  auf 
Bali  häufig  vorkommen.  Dass  Arjuna  wirklich  gemeint  ist,  ergibt  sich  aus  der  Beischrift  : 
^lutf^iKis  :  „Arjuna".  Das  Tor  (gopura)  zeigt  typisch  balinesische  jBawaspah'-Ornamente. 
Siehe  auch  Tafel  293  von  cod.  3390.  Ferner  wird  in  dem  altjavanischen  Gedicht  erzählt, 
wie  NiwUtakawaca  mit  seinem  Heer,  welches  in  Vers  7  bis  U  von  Gesang  XXI  beschrieben 
wird ,  gegen  die  Götter  zieht.  Indra  beratet  mit  seinem  patih  CitrUnggada ,  wie  er  NiwU- 
takaicaca  wiederstehen  könne  (Vers  1  bis  7  von  Gesang  XXII).  Die  Waffenrüstung  von 
Indra,  CitrUnggada,  Citrasena,  Jayanta  oder  Jayantaka,  dem  ältesten  Sohn  von  Itidra, 
von  Arjuna  und  dem  Wagenlenker  Mätali  werden  ausführlich  beschrieben  im  Gesang  XXIII 
(Vers  1  bis  8).   Der  Streit  zwischen  den  Göttern  und  Dämonen  wird  abgebildet  auf: 

Tafel  VI  (Serie  1865/24):  Die  Überschrift:  t^Ä.rt.«w.«.niw«^M)»ji,jMx  :  „dies  ist  das 
nahe  Ende  von  NiwUtakawaca"   hat  Bezug  auf  das  auf  der  Tafel  dargestellte  und  nicht 


1)  Im   Museum   für   Land-   und   Völkerkunde   zu   Rotterdam    ist  ein   bemalter  Fächer  aus  Badong, 
worauf  dieses  Schauspiel  dargestellt  wird:   Suprabha  getragen  von  Watëkkwaca  [Niwätakatmca). 

2)  Siehe  mein  Supplement  op  den  Catalogus  der  jav.  an  madur.  Handschriften  II,  S.484. 


-   13  - 

auf  die  Anfangsworte  eines  neuen  Gesanges  im  altjavanischen  Gedicht,  wie  bei  den 
vier  ersten  Tafeln.  Von  dieser  Episode  wird  in  dem  Gedicht  nicht  gesprochen.  Die 
Beischriften    sind    von   links   nach   rechts:    «omju.ignx  :    ,.Kalawaktra'\    Dies  ist  der  Name 

eines  der  Affen  in  dem  Rämäyanah.  Kr  kommt  nicht  in  dem  Arjunamwäha  vor;  er 
streitet   hier   mit   â^7MM^  :  ^CUrasena",  der  ihn  mit  einem  Kris  durchbohrt.   Dasselbe 

tut  die  unter  ihm  stehende  m^i^u«  :  ^CüranggadcC  mit  dem  Dämon  «nn^v  :  „Bufjkrta'\ 

welche  ebensowenig  im  altjavanischen  Text  vorkommt,  dessen  Name  jedoch  „Übel- 
tater", fflr  einen  Dämon  gut  gewählt  ist.  Die  Hauptperson  auf  dieser  Tafel  ist  jedoch 
Nitcutakawaca  mit  Unterschrift:  «SioâraMi>  „Iwatëkwaca  (!)".  Er  ist  grün  gefärbt.  In  der 
rechten  Hand  trägt  er  eine  Waffe  mit  zwei  Klingen,  während  er  mit  dem  Zeigefinger 
seiner  linken   Hand   drohend  nach  Arjuna  weist.    Dies  wird  beschrieben  in  Vers  5a,  von 

Gesang    ÜVll:    tft.u^ml((^lKtsn^i*^n*:l^^snêfn*J^^Jtl^n^aKt^ettv^x^ctrmnKnlm*^n\'.    „däUU    Streckt  iVZlürttfl- 

kawaca  erfreut  seine  linke  Hand  aus,  seine  Keule  in  die  HAhe  erhebend".  Letzteres  tut 
er  auf  der  Tafel  nicht.  Die  mit  einem  Kris  bewaffnete  Person  ist  laut  der  Beischrift 
c)ii;«<in«|x  :  ^Ddëm'\  sein  Diener.    Rechts  sieht  man  Arjuna  mit  der  Beischrift  »jT)Mr«oM 

r,8ang  Rajimai'.)"  In  seiner  Brust  steckt  ein  Pfeil,  während  er  mit  beiden  Händen  eine 
Lanze  mit  kurzem  Schaft  festhält. 

Tafel  VII  (Serie  18»).')/2ô).  Hier  wird  der  entscheidende  Streit  zwischen  Nitcutakawaca 
und  Arjuna  a>)gebildet ,  sowie  dieser  im  Gesang  XXVII  des  altjavanischen  Gedichtes 
I)e8chriel)en  ist.  Die  Überschrift:  «if«n>u*afMg|o»jUM^^x  :  „Gedicht  sang  In/ang  Pûçu- 
paçOstra"  hat  Bezug  auf  die  ersten  Worte  dieses  Gesanges.  Die  Hauptfigur  mit  seinen 
sieben   Kr)pfen   ist  Niicätakatcaca  mit  der  Beischrift:  t^um^muMcAu^uv  :  „der  Daitya 

(Nvoflta)kawaca ,  von  Gestalt  verändert".  Da.ss  matrimkrama  laut  den  Balinesen  hier 
diese  Bedeutung  hat,  ergibt  sich  aus  der  >>alinesischen  Uebersetzung  von  Vers  :^a  von 
Gesang  XXVII ,  wo  ^â^ux  Obersetzt  wird  mit  c.mu«^>  während  es  in  Vers  8&  aber- 
setzt wird  mit  ■n*»amji^  Es  steht  jedoch  nicht,  dass  er  sieben  Köpfe  bekam,  wie  auf 
un.serer  Tafel,  wohl  da.ss  er  die  Waffe  ^aang  hijang  Tripurüntakügnicara"  abschoss.  Hier 
jedoch  tragen  seine  Hände  eine  Wurfscheibe  (cakra),  eine  Stichwaffe  mit  zwei  Klingen 
(ebenso  wie  auf  Tafel  V)  und  ferner  Keulen  und  eine  Fackel.  Es  i.st  auffallend ,  dass  die 
Köpfe   von    Niwatakawaca   drei    Augen   halten,   wie  çitoa.  Unten  links  steht  âAucmtfm» 

5gi^«fl^c>M|c«»»M£«  :  „Dies  sind  seine  Untergel^nen  zu  Pferde".  Wie  man  sieht,  sind  die 
Pferde  im  Vergleiche  mit  den  grossen  Daitya'a  viel  zu  klein  gezeichnet,  wovon  die  vor- 
dersten mit  Keulen  und  Krissen  bewaffnet  siml. 

An  der  rechten  Seite  steht  oben:  u«n«n/u*ofijQKmi}tnc««.jût>»£im«3«;tc««g|*2i7<A^ 
«•uui^M.  :  „Dies  ist  der  Pfeil  von  Arjxtna,  der  einem  flammenden  Feuer  gleicht,  wodurch 
der  Daüya  Niwatakawaca  umkommen  wird".  Man  sieht ,  wie  Arjuna  den  Feuerpfeil 
Paçupati  auf  seinen  Bogen  legt.  Laut  dem  Gedicht  <Gesang  XXVII,  Vers  iSb)  heisst  der 
Pfeil,  mit  dem  Arjuna  Nitcutakawaca  tötet,  „ÇanrabandhanaJ"  Unten  rechts  auf  der 
Tafel  steht  <j^.»i^i^»uMc>%  :   „die  Untertanen   der  Götter",   Sie  sind  hier  mit  typisch 

i)Sarga  XVIII,  18  Aus«.  Kern. 


-   H   - 

balinesischen  Lanzen  vorgestellt.  Auch  auf  der  Tafel  297  von  cod.  33901)  wird  dieser 
Streit  abgebildet.  Hiermit  ist  die  Besprechung  der  Tafeln,  die  Schildeningen  aus  dem 
Arjunaiciwäha  darstellen,  erledigt. 

Tafel  VIII  (Serie  1865/27).  Der  Gegenstand  dieses  Bildes  ist  dem  altjavanischen  Epos 
Rämäyana  entlehnt,  welches  im  Jahre  1900  von  Prof.  Kern  veröffentlicht  ist.  Oben  steht: 
«Ä.-?,Ä^«3c.jl10^^«'î;<m.^M^  :  ,,hier  wird  KimhJiakarna  überwältigt".  Der  weisse  Affe,  der 
auf  seinem  rechten  Fuss  steht,  ist  laut  der  Beischrift  »/»^«.««j^n  :  „Hanumän",  während 
die  Hauptfigur  links  ».-n^^j^crrav  Kumhhakarna  darstellt,  welcher  den  Affenfürsten  »^(j^-ux 
„Sugrlwa"  bekämpft.  Im  altjavanischen  Rämäyana  wird  der  Streit  von  Kumhhakarna 
gegen  die  Affen  beschrieben  in  Sarga  XXII ,  Vers  50  :  Darauf  wurde  Kumhhakarna  über- 
wältigt, durch  die  Atten  angefallen.  Ausgelassen  wie  sie  waren,  warfen  sie  Berge  auf 
ihn ,  schlugen  ihn  mit  Stöcken ,  stiessen  ihn  mit  Lanzen ,  schleuderten  Steine  und  Blitze 
nach  ihm ,  schlugen  ihn  mit  den  Fäusten ,  schlugen  ihn  auf  die  Nase  u.  s.  w.  aber  sie 
verwundeten  ihn  nicht,  die  Steine  wurden  zermalmt,  die  Berge  wurden  zerschmettert, 
die  Stöcke  zerbrachen.  Sofort  darauf  rächte  sich  Kumhhakarna,  indem  er  eine  unend- 
liche Anzahl  Affen  verschlang  u.  s.  w..  Letzteres  ist  auch  auf  unserer  Tafel  abgebildet , 
wo  man  die  Gliedmassen  der  Affen  aus  Kumbhakarna's  Mund  kommen  sieht ,  während 
man  andere  Affen  an  seinen  Beinen  emporsteigen  und  in  sie  hineinbeissen  sieht. 

Endlich  wird  in  Vers  67  und  den  folgenden  erzählt,  wie  Sugrtwa  selbst  gegen  Kum- 
bhakarna  auftritt.  Er  reisst  einen  gewaltigen  Baum  aus,  mit  dem  er  Kumhfiakarna , 
jedoch  ohne  Erfolg  l)ekämpft.  Kumhhakarna  ist  in  Begriff  Sugrtwa  mit  seinem  Speer 
zu  treffen,  als  Hanuman  ihm  zu  Hilfe  eilt  (Vers  81)  und  Kumhhakarna  mit  einem  Wurf- 
spiess  in  die  Mitte  seines  Knies  trifft  (Vers  82).  Dieser  Moment  ist  vom  Zeichner 
zum  Gegenstand  dieser  Tafel  gewählt  :  Sugrlwa  ist  nahe  daran ,  zu  unterliegen ,  als 
Hanumän  gerade  im  richtigen  Augenblick  zu  Hilfe  eilt.  Unten  rechts  auf  der  Tafel  sieht 
man,  wie  ein  Diener  von  Rcmana  (Togok)  von  einem  Diener  von  Räma  an  dem  Hals 
gepackt  wird.  Es  ist  überflüssig  zu  sagen,  dass  diese  Diener  im  altjavanischen  Text 
nicht  vorkommen ,  sondern  dem   Wayang  entlehnt  sind. 

Eine  derartige  Abbildung,  wie  diese  Tafel,  findet  man  in  meiner  Abhandlung  „Indo- 
nesische en  Achterindische  voorstellingen  uit  het  Eämäyana".  (Bijdragen  Taal- ,  Land-  en 
volkenkunde,  sechste  Fortsetzung,  X,  p.  501—565)  als  Tafel  V  mit  Erklärung  auf  S. -541 
und  565.  Auch  Tafel  282  von  Dr.  van  der  Tüuk's  Sammlung  (cod.  .3390)  stellt  den 
Kampf  zwischen  Sugrnca  und  Kumhhakarna  dar. 

Tafel  IX  (Serie  1865/29).  Diese  und  die  beiden  folgenden  Tafeln  enthalten  Dar- 
stellungen aus  der  altjavanischen  Schrift  Galon  Arang ,  wovon  eine  metrische  und  eine 
Prosa  Redaktion  besteht,  welche  beide  in  meinem  Supplement  op  den  Catalog,  der  jav. 
en  mad.  Handschr.  I,  S.  248  und  II,  S.  299—300)  beschrieben  sind.  In  beiden  Redak- 
tionen wird  von  der  Heldin  der  Erzählung,  Calon  Arang ,  einer  Witwe  (rangda\,  die 
in  Girah  wohnt,  erzählt,  dass  sie  eine  Hexe  ist.  Aus  diesem  Grunde  will  niemand 
ihre  schöne  Tochter  Ratnamanggali  heiraten.  Aus  Zorn  hierüber  wendet  sie  sich  zur 
Göttin  Durgä,  welche  sie  ersucht,  alle  Einwohner  vom  Lande  Daha,  Ober  das  König 
Airlangghya  herrscht ,  zu  vertilgen.    Hierzu  ruft  sie  ihre  Schülerinnen  zusammen .  welche 


1)  Siehe  mein  Suppl.  Cat.  jav.  en  mad.  Handschr.  II,  S.  485. 


-   15   - 

auf  Seite  9  vom  cod.  45H1  heissen:  Wökcir^a,  Mahi/^awadana ,  Lindya,  Lëndë,  Gaudi  y 
Griifang  und  Larung.  Dieses  Schauspiel  ist  nun  auf  dieser  Tafel  dargestellt,  wo  die 
Hexe  und  die  Göttin  beide  in  schrecklicher  Gestalt  abgebildet  sind.  Rechts  steht  laut  der 
Aufschrift  St-ntfaSi-n^y    „die  Witwe  von   Dirah"  ^).   Sie  hält  mit  der  rechten  Hand  eine 

Flamme  fest,  welche  aus  ihrem  Munde  kommt.  Vor  ihr  stehen  von  links  nach  rechts: 
âxn^u.  PTôArfirço  (Schweinekopf),  Ä»i«-»j>  :  „iarw"*),  darunter:  Ä»uâ^  ..i^nfZz"»),  und: 
«Sn<tn>  :  „Lancia"  *\. 

Tafel  X  (Serie  1 86.5/30).  Diese  Tafel  schlies.st  sich  direkt  der  vorigen  an.  Im  alt- 
javanischen Text  vom  Calon  Arang  (cod.  45H1 ,  S.  KJ)  wird  erzählt  wie  Durgä,  die 
Göttin  des  Todes,  nachdem  CcUon  Arang  mit  ihren  Schülerinnen  vor  ihr  getanzt  hat, 
erlaubt,  dass  sie  die  Bewohner  von  Da  h  a  durch  Fiel)er  sterben  lässt.  Auf  dieser  Tafel 
wird  es  hingestellt,  al.sob  Colon  Arang  ein  schriftliches  Gesuch  persönlich  an  Durgä 
üljerreicht.  Rechts  steht  Durgä  mit  der  Überschrift:  ençi-ft^jrrjx  :  ..Göttin  Durera".  Sonderbar 

ist,  dass  ihr  rechter  Arm  aus  ihrer  Nase  zum  Vorschein  kommt,  und  dass  ihr  Körper 
mit  grossen  Flecken  bedeckt  ist.  alsob  sie  an  einer  Hautkrankheit  leidet.  Vor  ihr  steht 
in  menschlicher  Gestalt  Calon  Arang  mit  der  Clierschrift:  ^■nf|a&■r,f^  :   „die  Witwe  von 

Dirah".  Auf  dem  Brief,  welchen  sie  Dtirga  überreicht ,  steht  :  uwMitnm.  :  „Schrift  auf 
Elfenl)ein".  Es  scheint  also  eine  Elfenbeintafel  darzustellen.  Hinter  ihr  stehen  in  ehr- 
erbietiger Haltung  ihre  sechs  Schülerinnen  in  menschlicher  Gestalt,  einen  aëmbah  machend, 
von  links  nach  rechts  ,^Q^'^t»ty  ..Wôkçiraa":  AaAt**j,*a<nn'  :  „Mahisaicadana",  ^m-n^t 
..Larung".  Darunter  von  links  nach  rechts:  «»mj«,«  Muyang"  :  ej.»«.ÄN  „Lèndya",  und: 
cnfut^«  ..Lêndè".  Hierbei  ist  zu  bemerken,  dass  dir  beiden  fehlerhaften  Beischriften  auf 
der  Tafel  verbessert  sind  durch  Vergleichung  mit  der  Aufzühliuig  ihrer  Namen  auf 
Seite  9  des  altjavanischen  Textes  der  Oa/on  Arang  (Ckxl.  45H1). 

Tafel  XI  (Serie  lR«ö/28).  Im  altjavani.schen  Text  wird  ferner  erzahlt,  wie  Airlangghya 
vier  Weise  ruft ,  um  gegen  Calon  Arang  Hilfe  zu  bieten  (S.  20).  Die  Namen  dieser 
Weisen  (Dharmmaja ,  Tanakung,  Kantca  und  ilonaguna)  sind  bekannt  als  die  der  Ver- 
fasser der  alt  javanischen  Gedichte:  Saramadahawt,  Wrttasancatja,  Arjunaunwâha  und  Suma- 
naaäntaka  ').  ^ïkyi  sagt,  dass  nur  Mpu  Rharada  die  Behexung  von  C^xlon  Arang, 
wodurch  sie  alle  Untertanen  von  Airlangghya  krank  macht,  brechen  kann.  Von  diesem 
Mjm  Bharada  wird  im  Beginn  der  Erzählung  mitgeteilt,  dass  er  erst  zu  Lmdh  2Wt«, 
und  -später  zu  Wi>}yamuka  Ascèse  verrichtet.  Auf  Verlangen  seiner  Tochter  MedhauHitt , 
welche  durch  ihre  Stiefmutter  verwahrlost  wird,  las.st  er  sich  an  dem  (Jrte,  wo  seine 
erste  Frau  verbrannt  ist,  nieder  (S.  7).  Als  seine  Hilfe  gegen  Calon  Arang  verlangt 
wird,  befiehlt  er  seinem  Schüler  Bahula,  um  ihre  Tochter  Ratna  vianggali  anzuhalten 
(8.  23).  Dadurch  hofft  er  den  Zorn  von  Colon  Arang  aufzuhalten.  Bharada  ruft  durch 
seine  Zaubermacht  viele  Leichen  wieder  zum  Leben  (S.  30».  Er  verweist  die  beiden 
Schülerinnen    von   Calon  Arang.,    Wôkçtnsa    und    Mahi^awadana ,   die   ihn   ersuchen,  ob 

1)  In  Cod.  4561  lautet  diaaer  Name  Oirah,  in  0)d.  8934  jedoch  Jirah. 
*)  .      a       ■    Larvng. 
»)    ,       ,        ,    Lèndya. 

«)    ,       ,        ,     Léndé. 

h  Siehe  Ober  diese  vier  Oedichte  den  ersten  Teil  meines  Supplements  op  den  Cat.  der  jav.  en  madur. 
Handschriften,  S.  1.37—189,  S.  132,  S.  118—117,  und  144—147,  sowie  die  dazu  zitierte  Literatur. 


-   16   - 

er  sie  aus  ihrem  Hexenzustand  erlösen  will,  nach  Calon  Arang  (S.  34).  Diese  verbrennt 
eine  Waringin  mit  dem  Feuer,  das  aus  ihrem  Körper  kommt,  um  Bkarada  ein  Pröbchen 
von  ihrer  Zaubermacht  zu  geben.  Darauf  vrill  sie  auch  Bharada  verbrennen ,  doch  dieser 
tötet  sie  und  macht  sie  darauf  wieder  lebend  (S.  37).  Nachdem  Bharada  sie  gelehrt  hat, 
wie  sie  erlösst  werden  kann,  stimmt  Cnlon  Arang  zu  zu  sterben,  worauf  Bharada  ihre 
Leiche  verbrennt  (S.  38).  Dies  wird  auf  unserer  Tafel  vorgestellt.  Unten  links  steht: 
^■.°,^^^nA,pi-hs  :  „Geschichte  von  Calon  Arang".  Bei  dem  flammenden  Feuer,  worin  man 
den  Kopf  von  Calon  Arang  sieht,  steht  die  Aufschrift:  «Tl-T,g««1â^t  Die  Hexe  ver- 
brennt". Rechts  sieht  man  Mpu  Bharada,  der  mit  einem  unnatürlich  langen  Zeigefinger 
auf  Calon  Arang  deutet,  mit  der  Beischrift:  ^^»^»»^(s  :  ,.pu  Pradah",  entartet  aus  Mpu 
Bharada.  Die  Person  unten  rechts  [ist  laut  der  Beischrift:  .Äß^^  ,,Sëmar".  Dieser  ist 
auch  hier  wieder  dem  Wayang  entlehnt,  und  kommt  in  der  altjavanischen  Erzählung 
nicht  vor. 

Bevor  wir  die  Beschreibung  der  Tafeln  beenden ,  sei  noch  darauf  hingewiesen ,  dass 
Bharada  in  der  Tat  eine  historische  Person  ist.  Er  wird  als  Dichter  des  Bhomakäioya 
bezeichnet  und  auch  im  merkwürdigen  altjavanischen  Gedicht  Nügarakrtügama .,  dessen 
Inhalt  jetzt  durch  Prof.  Kern's  Übersetzung  ganz  bekannt  geworden  ist,  wird  er  an 
zwei  Stellen  erwähnt  (XVI ,  3  und  LXVIII ,  2)  i).  Sogar  in  der  durch  Prof.  Keen  ver- 
öffentlichten Sanskrit-Inschrift  von  Simpang  von  1289  (Tijdschr.  Indische  Taal-,  Land-  en 
Volkenkunde,  LH,  S.  100 — 108)  wird  er  in  Vers  3  genannt.  Calon  Arang  wird  durch 
Prof.  Kern  mit  der  „Frau  von  gewaltiger  Kraft,  einer  Riesin  ähnlich"  gleichgestellt,  die 
im  Jahre  1032  durch  Er-Langga  unterworfen  wurde,  laut  der  Urkunde  dieses  Fürsten, 
veröffentlicht  durch  Prof.  Kern  in  den  Bijdragen  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde,  4e  volgr. 
X  (1885),  S.  13.  Vers  26.  Mit  Bezug  auf  Obenstehendes  würde  eine  Veröffentlichung  der 
Calon  Arang  sehr  zu  begrüssen  sein. 

Was  die  Zeichnungen  betrifft,  so  machen  dieselben  nicht  den  Eindruck,  alt  zu  sein. 
Nur  die  Zeichnung  VIII  scheint  einigermassen  älter  zu  sein  wie  die  anderen.  Im  Allge- 
meinen kömmt  es  mir  jedoch  vor,  als  ob  die  Zeichnungensammlung  von  Dr.  van  der- 
TüUK  (Cod.  3390)  älter  ist  wie  diese  Bilder  aus  der  Sammlung  Nieüwenkamp.  Beide  Samm- 
lungen sind  bemerkenswert  als  Beweis,  in  wie  hohem  Grade  die  altjavanische  Literatur 
auf  Bah  ist  bleiben  fortleben.  Übrigens  ergibt  sich  dasselbe  aus  vielen  Gegenständen  im 
Besitze  des  Ethnographischen  Reichsmuseums ,  u.  a.  aus  den  Verschlagen  von  Schlaf- 
stellen mit  Darstellungen  aus  dem  Rclmäyana,  der  Calon  Arang  und  dem  Arjunawiwäha 
auf  Seite  81—32  meines  Kataloges  von  Bali  und  Lombok  beschrieben. 


1)  Vergleiche  die  Übersetzung  und   Anmerkungen  von  Prof.  Kern  in  den  Bndragen  Taal-,  Lind-  an 
Volkenkunde,  Teil  62  (1910)  S.  368-360  und  Teil  68  (1913),  S.  410—418. 


DIE  VERANLAGUNG  DER  MALAIISCHEN  VÖLKER 
DES  OST-INDISCHEN   ARCHIPELS. 


III.    Das  logische  denken  A. 

Versucht  man,  sich  ein  Urteil  über  die  Veranlagung  des  logischen  Denkens  der 
malaiischen  Völker  zu  bilden,  so  müssen  nach  dem,  was  in  dieser  Hinsicht  beim  Vorstel- 
lungsvermögen  (Supplement  des  XXIen  Bds.  dieses  Archivs)  und  beim  Erinnerungsvermögen 
(Bd.  XXII  iS.  IH.")  u.  ff.»  schon  besprochen  wurde,  die  Existenzbedingungen  dieser  Stämme 
ern.stlich  in  Betracht  gezogen  werden.  Gerade  wie  dort,  gilt  auch  hier:  man  hat  ihre 
kulturellen  Erscheinungen  in  Verbindung  mit  dem  Milieu  zu  beurteilen,  um  sie  als  Mass 
der  Veranlagung  dos  logischen  Denkens  verwenden  zu  kt'»nnen.  Bei  der  Ausarbeitung 
meiner  Untersuchungen  Ober  die  obigen  Teile  des  menschlichen  Verstandes  waren  die 
l)ezûglichen  Daten  aus  unserer  Zusammenlebung  nur  in  so  weit  in  Betracht  zu  ziehen, 
als  sie  schliesslich  mit  den  unter  den  Malaien  erlialtenen  Ergebnissen  verglichen  wurden. 
Es  zeigte  sich  dabei,  da-ss  die  Malaien  in  dieser  Hinsicht  eine  Kiitwicklung  erreicht  haben, 
die  sich  sehr  gut  mit  der  unserigen  vergleichen  lässt,  vorausgesetzt,  dass  die  Vorbedin- 
gungen zu  dieser  Entwicklung  gebührend  berücksichtigt  werden. 

Bereits  bei  einer  oberflächlichen  Betrachtung  dessen ,  was  man  auf  dem  Gebiet  des 
logischen  Denkens  unter  den  Malaien  beobachet,  filllt  es  nicht  nur  auf,  dass  dieses  sich 
unter  ihnen  in  besonderer  Form  zeigt,  wie  leicht  begreiflich,  sondern  auch,  dass  dort  die 
höchsten  Formen  des  logischen  Denkens,  die  Grundlagen  unserer  Kulturfort.schritte,  nämlich 
das  mathematische  und  naturwissenschaftliche  Denken,  zu  fehlen  scheinen.  Ohne  grosse  Über- 
treibung kann  man  behaupten,  dass  das  exakte  und  das  naturwissenschaftliche  Denken 
falls  es  unter  den  Malaien  vorkommt ,  sicher  ein  sehr  verstecktes  Dasein  unter  ihnen 
führt.  Könnte  man  beweisen,  das-s  diese  Denkformen  im  Cîrunde  von  denen  des  täglichen 
Lebens  abweichen  und  wirklich  unter  den  Malaien  fehlen,  so  würde  dies  unüberwindliche 
Schwierigkeiten  für  unsere  weitere  Untersuchung  ergeben,  da  diese  die  Wertschätzung  des 
Verstandes  der  Malaien  bezweckt  und  man  nicht  länger  berechtigt  sein  würde  zu  erwägen, 
ob  die  Malaien  in  Zukunft  vielleicht  Träger  unserer  höheren  Zivilisation  werden  könnten. 

Auf  anderen  wissenschaftlichen  und  kulturellen  Gebieten  kann  man  allerdings  wichtige 
Unterschie«le  zwischen  den  Malaien  und  den  höchststehonden  Völkern  feststellen;  allein 
bereits  eine  oberflächliche  Betrachtung  lehrt,  dass  die  Entwicklungsformen  auf  den  Gebieten 
der  Sprache,  der  gesellschaftlichen  Einrichtungen,  der  Religion  u.  s.  w.  denn  doch  nicht  so 
grundverschieden  sind,  wie  das  bei  den  exakten-  und  den  Naturwissenschaften  der  Fall 
zu  sein  scheint.  In  wie  weit  diese  Betrachtungen  richtig  sind,  wird  aber  erst  eine  genaue 
Untersuchung  ausweisen  können. 

Deshalb  kommt  es  mir  notwendig  vor,  an  erster  Stelle  den  Grundformen  des  mathe- 
matischen   und    naturwi.ssenschaftlichen    Denkens    nachzuspüren    und    zu    untersuchen , 

I.  A.  f.  E.    XXIII.  8 


-   18   - 

in  wie  fern  sich  diese  unter  den  Malaien  ausfindig  machen  lassen.  Erst  an  zweiter  Stelle 
kann  es  für  unsere  Untersuchung  als  wichtig  erachtet  werden,  sich  in  die  Erscheinungen 
des  logischen  Denkens  an  sich  zu  vertiefen. 

Das  riesenhafte  Gebäude  unserer  ausgebildeten  exakten  und  Naturwissenschaften  mit 
allen  ihren  Nebengebieten  und  den  praktischen  Anwendungen  in  unserer  Zusammenlebung 
wird  uns  dabei  weniger  beschäftigen.  Wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  die  für  uns 
unerforschlichen  Anfänge  dieser  Wissenschaften  uns  viele  Tausende  von  Jahren  zu  den 
ersten  Zeiten  der  Kulturvölker  in  Egypten,  Mesopotamien  und  Vorder-Indien  zurückführen 
und  dass  seither  die  höchst  stehenden  Gelehrten  von  hunderten  Menschengeschlechtern 
sich  an  der  Ausbildung  derselben  beteiligt  haben,  so  wäre  eine  Untersuchung  derselben 
auch  wohl  ein  kaum  zu  vollbringendes  Unternehmen.  Vielmehr  wird  es  unsere  Aufgabe 
sein,  in  Erfahrung  zu  bringen,  aus  welchen  Denkarten  des  Menschen  die  Anfänge  dieser 
Wissenschaften  sich  haben  entwickeln  können. 

Die  Disziplin ,  die  sich  mit  dem  Erforschen  der  Grundformen  des  menschlichen  Denkens 
beschäftigt,  die  Logik,  wird  uns  dabei  führen  müssen.  In  engerem  Sinn  wird  es  die 
Erkenntnistheorie  sein,  die  uns  das  Material  liefert,  das  wir  für  unsere  Untersuchung 
nötig  haben.  Hauptsächlich  werde  ich  mich  dabei  auf  das  Werk  des  Herrn  Prof.  Dr. 
G.  Heymans  in  Groningen:  „Die  Gesetze  und  Elemente  des  wissenschaftlichen  Denkens". 
Aufl.  II  Leipzig  1906  stützen.  Da  ich  ein  eingehendes  Studium  der  Erkenntnistheorie 
bei  meinen  Lesern  nicht  voraussetzen  darf,  fühle  ich  mich  verpflichtet,  das  Wesentliche  der 
dortigen  Anführungen  hier  zu  wiederholen.  So  werde  ich  auch  hintereinander  die  Arith- 
metik, die  Geometrie,  die  Naturwissenschaften  und  die  Mechanik  zu  jenem  Zweck  behan- 
deln und  an  der  Hand  der  Ergebnisse  zu  bestimmen  versuchen,  ob  sich  verwandte 
Äusserungen  unter  der  Malaien  finden. 

Die  Abithmetik. 

Die  Beweisführungen  der  Arithmetik  enthalten  zwar  in  methodologischer  Hinsicht 
viel  Interessantes,  bieten  aber  der  Erkenntnistheorie  keine  neuen  Probleme.  Ihr  charak- 
teristisches Gepräge  verdanken  sie  hauptsächlich  dem  Umstände,  dass  die  arithmetischen 
Sätze  fast  alle  Identitätsurteile  sind  und  als  solche  zwei  allgemeine  Urteile,  welche  sich 
nur  durch  die  Verwechslung  von  Subjekt-  und  Prädikatbegriif  unterscheiden,  in  sich 
befassen.  Die  dadurch  bedingte  Umkehrbarkeit  arithmetischer  Sätze  ermöglicht  es,  in 
gleicher  Weise  auch  die  arithmetischen  Schlüsse  umzukehren.  Sämmtliche  arithmetischen 
Schlüsse  lassen  sich  ohne  Rest  aus  den  logischen  Grundgesetzen  erklären. 

Um  so  interessanter  sind  die  Ausgangspunkte  der  arithmetischen  Beweisführung  : 
die  elementaren  Urteile  der  Arithmetik.  Dieselben  sind  allgemeiner  Natur  ;  sie  beziehen  sich, 
jedes  für  sich ,  nicht  auf  eine  einzelne  Tatsache ,  sondern  auf  eine  der  Zahl  nach  unbe- 
stimmte Vielheit  von  Tatsachen.  Schon  die  einfachsten  arithmetischen  Sätze,  wie  etwa 
3  +  1=4,  a  +  6  =  6  +  a  sind  allgemeine  Urteile  :  jener  behauptet ,  dass  jede  Zusammen- 
fassung van  drei  Objekten  mit  einem  Objekte  vier  Objekte  ergebe,  dieser,  dass  die  Summe 
je  zweier  Zahlen  von  der  Reihenfolge  der  Summanden  unabhängig  sei. 

In  der  Arithmetik  sind  uns  die  allgemeinen  Sätze,  mit  welchen  sie  anfangt,  unmit- 
telbar, ohne  Erfahrungsbeweis,  evident;  sie  werden  nicht  aus  den  komplizierten  Verhält- 
nissen abstrahiert,  sondern  diese  werden  aus  jenen  bewiesen.   Eine  zweite  Eigentümlich- 


-   19   - 

keit  der  Arithmetik  liegt  in  dem  Umstände ,  dass  ihre  Sätze  durchweg  apodiktischer 
Natur  sind.  Den  arithmetischen  Sätzen  haftet  die  volle  Gewissheit  ihrer  notwendigen 
Geltung  an. 

Als  eine  letzte,  die  arithmetischen  von  den  physikalischen  Sätzen  unterscheidende 
Eigenschaft  kommt  noch  die  absolute  Exaktheit  in  Betracht,  welche  wir  jenen 
ohne  Bedenken  zugestehen.  In  der  Naturwissenschaft  ergeben  die  genauesten  Messungen 
doch  immer  nur  approximative  Resultate.  In  der  Arithmetik  ist  es  ganz  anders;  sie 
bietet  absolute  Genauigkeit,  das  heisst,  Genauigkeit  bis  auf  eine  beliebige  Zahl  von  Dezi- 
malen. Die  Hindemis.se,  welche  die  Mangelhaftigkeit  unserer  Sinnesorgane  und  Instru- 
mente auf  jedem  anderen  Gebiete  dem  exakten  Wissen  entgegenstellt,  scheinen  für  die 
Arithmetik  nicht  zu  bestehen. 

Dieser  spezifische  Charakter  der  Arithmetik  ware  vollkommen  begreiflich,  wenn 
sämmtliche  Lehrsätze  derselben  analytische  Urteile  und  somit  die  einfachen  arithmetischen 
Urteile  ausschliesslich  Definitionen  wären.  Wenn  dagegen  unter  den  letzten  Gründen  der 
Arithmetik  noch  andere  als  definierende  Urteile  vorkamen,  so  wäre  die  Sache  weniger 
klar.  Denn  entweder  kannten  diese  anderen  Urteile  synthetische  Urteile  apriori  sein  und 
dann  würde  ihre  Gewissheit  an  und  für  sich  eine  Erklärung  fordern  ;  oder  aber  es  könnten 
synthetische  Urteile  aposteriori ,  also  Erfahrungsurteile  sein ,  dann  müsste  aber  erklart 
werden ,  wie  aus  Beobachtungen ,  welche  nur  Tatsächliches  bieten  und  immer  fehlbar 
sind ,  die  apodiktische  und  vollkommen  exakte  arithmetische  Gewissheit  entstehen  könne. 

Untersucht  man  jetzt  die  arithmetischen  Elementarurteile,  dann  findet  man  in  den 
Lehrbüchern  für  gewöhnlich  die  Zahl  als  eine  Menge  von  Einheiten,  die  Einheit  als  ein 
einzelnes  Ding,  jede  Zahl  für  sich  als  die  vorhergehende  -|-  1  und  die  Addition  als  die 
Zusammenfügung  mehrerer  2Jahlen  definirt.  Wir  wollen  untersuchen,  ob  diese  Definitionen 
zum  Beweis  einer  einfachen  Additionsformel,  wie  etwa  7 -+-4 —  11  ausreichen?  Für 
gewöhnlich  wird  dieser  Beweis  folgendermas.sen  geführt: 

7-1-4  —  7-4-a+l  (nach  der  Definition  von    4) 

-7  +  2  +  1+1  (     .  n  n  »        3) 

-7  +  1  +  1  +  1  +  1  (  „  „  „  „2) 

-8  +  1  +  1  +  1          (  „  „  „  „8) 

-9  +  1  +  1                  (  „  „  „  „9) 

-10+1                        (  „  „  „  „     10) 

-11                               (  „  „  „  „     11) 

Es  fragt  sich,  ob  diesem  Beweise,  ausser  den  Definitionen,  noch  andere,  verschwiegene 
Yoraoflsetzungen  zu  Grunde  liegen  und  dann  findet  sich  in  der  angeführten  Beweisführung 
eine  bedenkliche  Lücke.  Wenn  man  versucht,  dieselbe  auf  eine  Reihe  von  Syllogismen 
zurückzuführen ,  so  zeigt  sich  Folgendes  :  Wir  haben  den  Satz  7  +  4  —  7  +  1  +  1  +  1  +  1 
dadurch  bewiesen ,  dass  wir  für  4  3  + 1 ,  für  3  2  +  1  und  für  2  1  +  1  substituirt 
haben;  eigentlich  mOsste  demnach  dieser  Satz  folgenderweise  geschrieben  werden: 
7 +  4  —  7 +  (((1  +  1»+ 1)  +  1).  Dann  sind  aber  die  Klammern  vernachlässigt  worden 
und  haben  wir  uns  für  berechtigt  gehalten ,  die  verschiedenen  Einheiten  der  Reihe  nach 
mit  der  7  zu  verbinden,  um  so  zuletzt  die  Zahl  11  herauszubekommen.   Das  heisst  also: 


-   20   - 

wir  haben  einen  Übergang  zu  Stande  gebracht,  der  sich  folgenderweise  formulieren  lässt: 
7  _j_  (  (  (1  _f_  1)  -f  1)  -f  1)  =  { (  (7  +  1)  +  1)  +  1)  +  1  und  die  Möglichkeit  dieses  Übergangs 
lässt  sich  keineswegs  aus  den  aufgestellten  Definitionen  ableiten.  —  Oder  ganz  allgemein  : 
Um  eine  Additionsformel  aus  den  vorliegenden  Definitionen  beweisen  zu  können,  muss 
entweder  einmal  oder  wiederholt  die  allgemeine  Voraussetzung  angewandt  werden: 
a -j- (b -^  c)  =  {u -\- b) -\- c ,  welche  als  das  Gesetz  der  Associaüvität  bezeichnet  zu  werden  pflegt. 

Wenn  man  diese  Voraussetzung  zu  Grunde  legt,  kann,  wie  leicht  ersichtlich,  jede 
Formel  des  Einsundeins  in  streng  logischer  Weise  bewiesen  werden.  Da  das  Produkt  als 
die  Summe  gleicher  Summanden,  die  Potenz  als  das  Produkt  gleicher  Faktoren  definiert 
zu  werden  pflegt,  während  die  Substraktion,  Divisions-  und  Wurzelformeln  (soweit  die- 
selben nur  positive  ganze  Zahlen  betreff'en)  sich  ohne  Mühe  auf  die  entsprechenden  Addi- 
tions-, Multiplikations-  und  Potenzirungsformeln  zurückführen  lassen ,  reicht  das  Associa- 
tivitätsgesetz  aus,  sämratliche  das  Gebiet  der  natürlichen  Zahlen  nicht  überschreitenden 
arithmetischen  Formeln  logisch  zu  beweisen.  Sobald  dagegen  negative,  gebrochene,  irra- 
tionale oder  imaginäre  Zahlen  in  die  Rechnung  hineintreten,  stösst  man  auf  neue  Probleme  ; 
denn  es  ist  aus  den  aufgestellten  Definitionen  keineswegs  einzusehen,  was  Zahlen  wie 
—  2,  V2)  K2  oder  V—l  eigentlich  bedeuten  sollen. 

Es  muss  also,  vorläufig  wenigstens,  dabei  bleiben,  dass  die  arithmetische  Gewissheit 
sich  aus  den  arithmetischen  Begriffen  nicht  vollständig  erklären  lässt ,  sondern  dass  dazu 
gewisse  Voraussetzungen  mit  zu  Grunde  gelegt  werden  müssen,  welche  weder  Definitionen, 
noch  auch,  so  weit  wir  jetzt  sehen  können,  analytische  Urteile  sind. 

Lässt  man,  der  Übersichtlichkeit  und  Kürze  wegen,  die  empirische  Theorie  von 
J.  Stuart  Mill  (siehe  Ende  dieses  Abschnittes),  so  wie  die  geometrischen  und  chrono- 
metrischen Theorien  zur  Erklärung  der  Grundgedanken  der  Arithmetik,  bei  Seite,  so  kann 
man  auf  folgende  Weise  versuchen,  die  Denkprozesse,  welche  das  Individuum  und,  so 
weit  wir  sehen  können,  auch  die  Menschheit  zur  Aufstellung  der  arithmetischen  Sätze 
führen  oder  geführt  haben ,  zu  rekonstruieren.  Dadurch  werden  wir  über  die  Bedeutung , 
welche  den  arithmetischen  Begriff'en  im  gegebenen  Denken  zukommt,  näher  unterrichtet. 

Das  Zählen:  Der  Anfang  alles  Rechnens  ist  jedenfalls  das  Zählen.  Was  ist  nun' 
eigentlich  dieses  Zählen?  Fragen  wir  noch  etwas  genauer:  in  welcher  Weise  wird  dem 
Kinde  die  Kunst  des  Zählens  und  die  Erkenntnis  der  Zahlen  beigebracht?  Bekanntlich 
werden  dem  Kinde  einige  Gegenstände  vorgelegt;  von  dem  Unterrichtenden  wird  der 
Reihe  nach  auf  jeden  derselben  hingewiesen  und  werden  dabei  die  Laute  eins,  zwei,  drei 
U.S.W,  ausgesprochen.  Durch  die  endlose  Wiederholung  dieses  Spieles  erreicht  man  ein 
doppeltes  Resultat:  erstens  werden  diese  Laute  in  dieser  bestimmten  Reihenfolge  bald 
von  dem  Kinde  auswendig  behalten,  zweitens  lernt  es  dieselben  in  der  bezeichneten  Weise, 
in  dem  es  vorliegende  Objekte  successive  mit  je  einem  dieser  Laute  zusammendenkt, 
anzuwenden.  Wird  nun  für  einen  bestimmten  Fall  das  Ergebnis  dieses  Prozesses  von  dem 
Lehrer  in  dem  Satze  :  dies  sind  fünf  Steinchen,  zusammengefasst,  so  kann  das  Kind  sich 
dabei  ofTenbar  nichts  anderes  denken  als:  diese  Steinchen  lassen  sich  mit  den  Lauten  eins 
bis  fünf  in  der  bezeichneten  Weise  ohne  Überschuss  zusammenfassen,  —  Gesetzt  nun, 
dass  das  Kind  es  zeitlebens  nicht  weiter  als  bis  zu  dieser  Anwendung  der  Zahlwörter 
brächte,  was  bei  wenig  entwickelten  Völkern  und  Ungebildeten,  auch  bei  einzelnen  Malaien 
vorkommt,  welchen  Nutzen  würde  es  dann  daraus  ziehen  können  ?  Offenbar  ist  es  an  sich 
wenig  interessant  zu  wissen,  dass  sich   bestimmte  vorliegende  Objekte  mit  den  Lauten 


-  21   - 

eins,  zwei,  drei  u.  s.  w.  paarweise  und  ohne  Überschuss  im  Denken  'zusammenfassen  lassen. 
Aber  es  kann  Einem  sehr  interessant  sein,  zu  wissen,  ob  sich  bestimmte  vorliegende 
Objekte  in  dieser  Weise  zusammenfassen  lassen.  Gesetzt  ich  besitze  einige  Geldstücke, 
brauche  davon  jeden  Tag  eines  und  erwarte  erst  mit  Anfang  des  nächsten  Monats  neue 
Zufuhr,  so  ist  es  mir  sehr  interessant  zu  wissen,  ob  ich  für  jeden  kommenden  Tag  des 
laufenden  Monats  ein  Geldstück  habe  oder  nicht.  Davon  kann  ich  mich  überzeugen, 
wenn  ich  die  Tage  und  die  Geldstücke  paarweise  im  Denken  zusammenfasse.  Nun  kann 
ich  aber,  wenn  ich  wissen  will,  ob  sich  zwei  Gruppen  von  Objekten  in  der  bezeichneten 
Weise  ohne  Überschuss  paarweise  zusammenfassen  lassen  nicht  immer,  wie  in  dem  ange- 
führten Fall,  direkt  die  Probe  machen.  Ich  wünsche  etwa  zu  wissen,  ob  ich  in  einer 
oder  in  der  anderen  Woche  mehr  Geld  ausgegeben  habe,  oder  ob  von  zwei  Wäldern  der 
eine  otler  der  andere  mehr  Bäume  hat;  hier  kann  ich  auf  direktem  Wege  unmöglich  mich 
davon  überzeugen ,  ob  und  an  welcher  Seite  die  paarweise  Zusammenfassung  dieser 
Objekte  einen  Cberschuss  zurücklassen  würde.  Unter  solchen  Umständen  kann  nun  die 
auswendig  gelernte  Reihe  der  Zahlwörter  treffliche  Dienste  leisten.  Denn  ich  brauche 
nur  die  Geldstücke  der  einen  Woche  oder  die  Bäume  des  einen  Waldes  zu  zählen,  d.h. 
mit  den  Zahlwörtern  von  Eins  an  paarweise  zusammenzufassen  und  dann  die  nähmliche 
Operation  mit  den  Geldstücken  der  anderen  Woche  oder  den  Bäumen  des  anderen  Waldes 
auszuführen,  um  schlie.'<slich ,  durch  Vergleichung  der  in  den  beiden  Fällen  verwendeten 
Zahlwörterreihen,  das  gesuchte  Verhältnis  festzustellen. 

In  diesen  und  ähnlichen  Fallen  erfüllt  die  Reihe  der  Zahlwörter  offenbar  die  Rolle 
eines  Massstabes,  mittelst  dessen  wir  zwei  Erscheinungsgruppen  in  bezug  auf  die 
Möglichkeit  der  paarweisen  Zusammenfa.ssung  untersuchen.  Genau  so  wie  wir  überall, 
wenn  wir  zwei  durch  Raum  oder  Zeit  getrennte  Gegenstände  in  bezug  auf  irgend  welche 
Eigenschaft  vergleichen  wollen,  dazu  einen  Massstab  verwenden,  den  wir  .successive  an 
die  beiden  Gegenstände  anlegen,  also  für  Gewichtsverhaltnisse  das  Kilogramm,  für  Längen  — 
Verhältnisse  das  Meter  u.  s.  w. ,  genau  so  vergleichen  wir  zwei  Gruppen  von  Objekten  in 
Bezug  auf  ihre  Anzahl  mittelst  des  Massstabes,  den  wir  in  der  Zahlenreihe  besitzen. 

VjS  ist  übrigens  klar ,  dass  dieser  Massstab ,  ebenso  wie  jene  anderen ,  ein  Produkt 
willkürlicher  Feststellung  und  als  solches  keineswegs  der  einzig  mögliche  ist.  Im  Prinzip 
könnte  jede  der  Anzahl  nach  unveränderlich  bestimmte  und  nicht  an  einen  festen  Ort 
gebundene  (iruppe  von  Objekten  die  nämlichen  Dien.ste  leisten:  also  etwa  Einschnitte  in 
einem  Kerbstock,  Kieselsteine,  die  Finger  der  Hände,  Knoten  in  Schnüren  u.  s.  w.  Tat- 
sächlich werden  auch  auf  niedrigeren  Bildungsstufen  alle  diese  Objekte  als  Zählmittel 
benutzt.  In  Bezug  auf  ihre  praktische  Anwendbarkeit  stehen  sie  aber  sämmtlich  hinter 
einer  im  Gedächtniss  aufbewahrten",  geordneten  Reihe  beliebiger  Laute  zurück.  Erstens 
hat  man  diese  Laute,  so  oft  man  dieselben  als  Massstab  für  die  Vergleichung  verschie- 
dener Anzahlen  gebrauchen  will,  immer  zur  Hand,  während  Kerbstock  oder  Kieselsteine 
einem  nicht  immer  zu  Gebote  stehen.  Zweitens  kann  man  übereinkommen  (wie  in 
unserem  Zahlensystem),  diese  Laute  derartig  aus  einander  zu  bilden,  dass  sich  die  Reihe 
derselben  ins  Unbegrenzte  fortsetzen  lä&st,  während  andere  Zählmittel  doch  immer  nur 
in  begrenzter  Anzahl  vorliegen.  Drittens  aber  wird  es  durch  die  Einführung  der  geord- 
neten i^hlenreihe  ausserordentlich  viel  leichter,  bestimmte  Anzahlen  im  Gedächtnis  zu 
behalten  und  anderen  mitzuteilen,  als  sonst  der  Fall  sein  würde. 

Dem   steht   allerdings   der   Nachteil   gegenüber,   dass  diese  Art  der  Mitteilung  nur 


-   22   - 

unter  Sprachgenossen  möglich  ist.  Von  diesem  verhältnismässig  seltenen  Fall  abgesehen , 
bietet  aber  die  geordnete  Zahlenreihe  so  entschiedene  Vorteile,  dass  sich  die  allgemeine 
Verbreitung  dieses  Zählmittels  leicht  erklären  lässt. 

Wenn  wir  zwei  Gruppen  von  Objekten ,  welche  sich  paarweise  ohne  Überschuss  im 
Denken  zusammenfassen  lassen ,  gleichzählig  nennen ,  so  kommt  der  Begriff  des  Gleich- 
zähligen  historisch  und  logisch  vor  dem  Begriff  der  Zahl.  Aus  den  tatsächhchen 
Schwierigkeiten,  welche  bei  räumlich  oder  zeitlich  getrennten  Objekten  der  direkten 
Entscheidung  über  die  Gleichzähligkeit  derselben  im  W^ege  stehen,  entsteht  das  Bedürfnis 
eines  allgemein  anwendbaren  Massstabes;  und  als  einen  solchen  hat  man  (der  Sprach- 
geschichte zufolge  nach  und  aus  anderen  Zählmitteln)  die  Zahlenreihe  konstruiert.  Auf 
diese  willkürlich  gewählten  aber  fest  geordneten  Laute  beziehen  sich 
nun  sämmtliche  Sätze   der   reinen   Arithmetik. 

Was  meinen  wir  eigentlich  damit,  wenn  wir  die  Summe  der  reinen  Zahlen  7  und  4 
der  reinen  Zahl  11  gleichsetzen?  Nichts  weiter,  als  dass  sich  die  bekannten  Laute  von 
eins  bis  sieben  und  von  eins  bis  vier  mit  den  Lauten  von  eins  bis  elf  ohne  Überschuss 
paarweise  zusammenfassen  lassen.  Wenn  wir  dieses  bei  kleinen  Zahlen  aus  dem  Kopf 
durchführen,  so  kann  es  bei  grösseren  Zahlen  vorkommen,  dass  wir  uns  irgend  eines 
anschaulichen  Hilfsmittels  bedienen ,  z.  B.  Striche  auf  einem  Papier.  Dann  sind  offenbar 
diese  Striche  wieder  der  Massstab ,  mittelst  dessen  wir  uns  über  die  Gleichzähligkeit  der 
beiden  Zahlenreihen  unterrichten.  In  einer  oder  der  anderen  Weise  ist  aber  die  Ge- 
wissheit jeder  beliebigen  Additionsformel  a-\-b  =  c  in  der  Einsicht  begründet ,  dass  die 
Zahlen  1  bis  a  und  1  bis  b  mit  den  Zahlen  1  bis  c  ohne  Überschuss  sich  paarweise 
zusammenfassen  lassen. 

Fragen  wir  nun  zuerst,  ob  das  in  diesen  reinen  Additionsformeln  enthaltene  Wissen 
analytischer  oder  synthetischer  Natur  sei  :  Diese  Formeln  beziehen  sich  nicht  auf  ein 
Gegebenes,  sondern  auf  eine  willkührlich  festgestellte  und  überlieferte  Reihe  von  Wort- 
lauten und  sagen  von  denselben  nur  so  viel  aus ,  als  sie  dieser  willkührlichen  Feststellung 
verdanken.  Für  denjenigen,  der  die  Zahlwörter  als  Glieder  dieser  Reihe  kennt,  müssen 
demnach  die  Additionsformeln  analytische  Urtheile  sein. 

Für  grössere,  mehrziffrige  Zahlen  pflegt  man  die  Additionsformeln  durch  einen  abge- 
kürzten Prozess  zu  beweisen.  Den  Satz  :  832  +  156  =  988  stellt  man  bekanntlich  so  auf: 
man  zählt  2  und  6 ,  3  und  5 ,  8  und  1  zusammen.  Allein  dieser  Prozess  lässt  sich  leicht 
dem  früher  erörterten  Schema  unterordnen. 

Die  Zahlenreihe  ist  von  zehn  an  solcherweise  konstruirt,  dass  die  spateren  Zahlen 
immer  durch  ein  wiederholtes  Setzen  der  früheren  gewonnen  werden  und  dass  demnach 
in  der  gesprochenen  oder  geschriebenen  Zahl  n  die  Möglichkeit  zum  Ausdruck  kommt, 
die  Zahlen  von  1  bis  n  mit  den  teilweise  wiederholt  gesetzten  Zahlen  von  1  bis  10  paar- 
weise zusammenzufassen. 

So  kommt  in  dem  Worte  832  die  Tatsache  zum  Ausdruck ,  dass  sich  die  Zahlen  von 
1  bis  832  mit  achtmal  den  Zahlen  von  1  bis  100,  dreimal  den  Zahlen  von  1  bis  10  und 
zweimal  der  Zahl  1  zusammenfassen  lassen;  während  die  Zahlen  von  1  bis  100  sich 
wieder  zehnmal  der  Zahlen  von  1  bis  10  zusammenfassen  lassen.  Der  erwähnte  Abkür- 
zungsprozess  besteht  nun  darin,  dass  man  für  die  Zahlen  von  1  bis  832  eine  gleiche 
Anzahl  von  anderen  Zahlen,  nämlich  achtmal  die  Zahlen  von  1  bis  100,  dreimal  die  von 
1  bis  10  und  zweimal  die  Zahl  1  substituiert;  und  ebenso  für  die  Zahlen  von  1  bis  156 


-   23   - 

einmal  die  Zahlen  von  1  bis  100,  fünfmal  die  Zahlen  von  1  bis  10  und  sechsmal  die 
Zahl  1.  Durch  Zusammenfügung  dieser  beiden  Gruppen  von  neuen  Zahlen  bekommt  man 
neunmal  die  Zahlen  von  1  bis  100,  achtmal  die  Zahlen  von  1  bis  10  und  achtmal  die 
Zahl  1  heraus.  Aus  der  Einrichtung  unserer  Zahlenreihe  geht  wieder  hervor,  dass  sich 
diese  Zahlen  mit  den  Zahlen  von  1  bis  988  paarweise  müssen  zusammenfassen  lassen. 

Um  dieses  Hesultat  zu  erreichen,  hat  man  also  das  Gesetz  anwenden  müssen,  dass 
zwei  Gruppen  von  Zahlen  (oder  anderen  Objekten),  welche  sich  mit 
einer  dritten  Gruppe  jede  für  sich  paarweise  zusammenfassen  lassen, 
sich    auch   unter  einander   paarweise   müssen   zusammenfassen    lassen. 

Dieses  Substitutionsgesetz  lässt  sich  aber  aus  dem  Begriff  der  paarweisen 
Zusammenfassung  analytisch  begründen  :  denn  wenn  die  Objekte  der  Gruppe  A  einmal 
mit  den  Objekten  der  Gruppe  B  und  sodann  mit  den  Objekten  der  Gruppe  C  paarweise 
zusammengedacht  worden  sind,  so  braucht  man  nur  diese  beiden  Operationen  gleichzeitig 
stattfinden  zu  lassen  oder  als  gleichzeitig  stattfindend  zu  denken,  um  auch  die  Objekte 
der  (iruppe  B  mit  derjenigen  der  Gruppe  C  paarweise  in  je  einer  Denkart  zusammen- 
gefasst  zu  haben. 

Die  Art  und  Weise,  wie  die  reinen  Additionsformeln  gewöhnlich  für  grössere  Zahlen 
bewiesen  werden,  geht  demnach  über  den  Rahmen  des  rein  analytischen  Beweises  nicht 
hinaus. 

Auch  das  Associativitätsgesetz  ist  in  den  jetzt  begründeten  Definitionen  der 
arithmetischen   Begriffe  analytisch  enthalten.    Denn  wenn  der  Satz  a  -\-  b  -^  c  =  d  nur 

bedeutet,  da.ss  die  Zahlwörter  1, o,  1, b,  1, c  sich  ohne  Oberschuss  mit 

den   Zahlwörtern    1 , d   paarweise   zusammenfassen   lassen ,   so   erhellt  aus  dem  im 

vorigen  Abschnitt  begründeten  Gesetz,  da.ss  dieses  Ergebnis  sich  nicht  ändert,  wenn  wir 

für  die  Zahlen  1 a  und  1 , b  die  damit  paarweise  zusammenfa-ssbaren  Zahlen 

1 , {a-{-b)  f-Mler  für  die  Zahlen  1 , b  und  1 , c  die  damit  paarwei.se  zusam- 
men  fassbaren   Zahlen   1 (b  +  c)  an  die  Stelle  treten  las.sen  und  dass  demnach 

a -\- b  -^  c  ^a  {a -\- b) -\- c  =  a -\- (b -\- c)  ist. 

Es  ist  schliesslich  klar,  dass  aus  der  rein  analytischen  Natur  der  Additionsformeln, 
mit  Rücksicht  auf  die  bekannten  Definitionen  der  übrigen  arithmetischen  Operationen, 
die  rein  analytische  Natur  dieser  übrigen  Operationen,  so  weit  dieselben  sich  nur  auf 
natürliche  Zahlen  beziehen .  unmittelbar  folgt. 

Nun  werden  aber  die  nämlichen  Satze  mit  gleicher  apodiktischer  Gewissheit  auch 
auf  die  Wirklichkeit  angewandt  :  wir  behaupten ,  dass  sieben  und  vier  Objekte  zusammen 
immer  elf  Objecte  und  dass  elf  Objekte  immer  sieben  und  vier  Objekte  sein  müssen.  Es 
fragt  sich  nun,  oh  und  wie  .sich  das  unbedingte  Vertrauen,  mit  welchem  wir  die  Arith- 
metik auf  die  Wirklichkeit  anwenden ,  erklären  las.se. 

In  welcher  Weise  wenden  wir  die  arithmetischen  Begriffe  und  Gesetze  auf  die  Wirk- 
lichkeit an?  Wohl  erstens  dadurch,  da.ss  wir  die  wirklichen  Objekte  zählen.  Dieses 
ergiebt  Urteile  wie:  „dies  sind  drei  Steinchen",  „Rom  hatte  sieben  Könige",  „es  giebt 
Tier  Planeten,  welche  grösser  als  die  Erde  sind. 

In  diesen  tritt  regelmä.ssig  als  Subjekt  die  (îesammtheit  der  Exemplare  eines  bestimmten 
Begriffs  auf,  wahrend  das  Prädikat  die  Zahlen  angiebt,  mit  welchen  diese  Exemi)lare 
sich  paarweise  ohne  Überschuss  zusammenfas.sen  lassen.  Es  sind  also  Erfahrungsurteile, 
die  Ober  das  in  der  Erfahrung  Gegebene  nicht  hinausgehen  ;  auch  keineswegs  Nothwendig- 


-   24   - 

keit  oder  absolute  Exaktheit  in  Anspruch  nehmen.  Solche  Urteile  sind  also  synthetische 
Urteile  aposteriori. 

Etwas  anders  verhält  es  sich  mit  denjenigen  Urteilen,  in  welchen  nicht  bloss  die 
Begriffe,  sondern  auch  die  Sätze  der  reinen  Arithmetik  auf  die  Wirklichkeit  angewendet 
werden.  Urteile  wie:  7  Dinge  und  4  Dinge  sind  11  Dinge,  beziehen  sich  ohne  Zweifel 
auf  die  Wirklichkeit,  sind  aber  gleichzeitig  apriorischer  Natur. 

Offenbar  meint  man  mit  diesen  Urteilen  nichts  weiter,  als  dass  sämmtliche  Dinge, 
welche  sich  mit  7  +  4  zählen  lassen,  sich  auch  als  11  müssen  zählen  lassen.  Dieser 
Satz  ist  aber  rein  analytischer  Natur,  denn  er  folgt  logisch  aus  dem  entsprechen- 
den Satz  der  reinen  Arithmetik  7  +  4  =  11,  in  Verbindung  mit  dem  früher  erwähnten 
Substitutionsgesetz.  Auch  die  Anwendung  der  arithmetischen  Sätze  auf  die  Wirklichkeit 
geht  demnach  über  die  Grenzen  des  analytischen  Denkens  nicht  hinaus.  Die  Gesetze  der 
angewandten  Arithmetik  können  und  dürfen  absolut  allgemeine  und  notwendige  Geltung 
in  Anspruch  nehmen,  weil  es  nicht  Naturgesetze,  sondern  Denkgesetze  sind. 

Wir  sehen  jetzt  auch  ein,  was  es  bedeutet,  wenn  man  in  der  Arithmetik  die  Ein- 
heiten als  vollkommen  gleich  betrachtet.  Diese  Gleichheit  bezieht  sich  nicht  auf 
die  gezählten  Objekte  in  ihrer  Totalität ,  sondern  hur  auf  die  Eigenschaft  derselben , 
unter  einem  Begriff  zu  fallen,  dessen  Exemplare  man  gerade  zählen 
will.  Nur  mit  dieser  Eigenschaft  hat  die  Arithmetik  es  zu  tun;  in  bezug  auf  diese 
Eigenschaft  sind  aber  die  gezählten  Objekte  sich  wirklich  gleich. 

Die  Erweiterung  der  Zahlenreihe.  Die  vorhergehenden  Erörterungen  reichen 
nur  zur  Erklärung  derjenigen  Sätze  der  reinen  oder  angewandten  Arithmetik  aus,  welche 
ausschliesslich  auf  ganze  und  positive,  also  auf  die  sogenannten  natürlichen  Zahlen  sich 
beziehen.  Die  Einführung  negativer,  gebrochener,  irrationaler  und  imaginärer  Zahlen 
giebt  zu  neuen  Problemen  Veranlassung.  Was  die  reine  Arithmetik  anbelangt,  führt 
offenbar  die  arithmetische  Grundoperation ,  das  Zählen ,  niemals  über  die  Reihe  der  natür- 
lichen Zahlen  hinaus  ;  und  auch  in  der  angewandten  Arithmetik  ist  es  keineswegs  unmittel- 
bar klar,  was  mit  einer  negativen,  gebrochenen,  irrationalen  oder  imaginären  Zahl  von' 
Gegenständen  gemeint  sein  sollte.  Dei  Satz,  hier  sind  Dinge,  bedeutet  ja  nach  dem  Vor- 
hergehenden  nichts   weiter   als  :    diese   Dinge  lassen  sich  mit  den  Zahlen  1 , n  ohne 

Überschuss  paarweise  zusammenfassen  ;  wird  aber  «  =  —  2,  =  i/^,  =  |/  2  oder  =  K  —  1 
gesetzt,  so  ist  nicht  einzusehen,  wie  sich  diese  ursprüngliche  Bedeutung  jenes  Satzes 
aufrecht  erhalten  liesse. 

Der  natürliche  Ausgangspunkt  für  die  Erklärung  der  negativen  Zahlen  bleibt  jeden- 
falls die  Betrachtung  derjenigen  Fälle,  in  denen  denselben  eine  reelle  Bedeutung  beigelegt 
werden  kann.  Was  die  negativen  Zahlen  in  diesen  Fällen  bedeuten,  hat  schon  Gauss 
vollkommen  klar  dargelegt:  „Positive  und  negative  Zahlen  können  nur  da  eine  Anwen- 
dung finden,  wo  das  Gezählte  ein  Entgegengesetztes  hat,  was  mit  ihm  vereinigt  gedacht 
der  Vernichtung  gleich  zu  stellen  ist.  Genau  besehen  findet  diese  Voraussetzung  nur  da 
statt,  wo  nicht  Substanzen  (für  sich  denkbare  Gegenstände)  sondern  Relationen  zwischen 
je  zwei  Gegenständen  das  Gezählte  sind. 

Postuliert  wird  dabei ,  dass  diese  Gegenstände  auf  eine  bestimmte  Art  in  einer  Reihe 

geordnet  sind ,  z.  B.  A ,  B ,  C ,  D und  das  die  Relation  des  A  zu  B  als  der  Relation 

des  B  zu  C  gleich  betrachtet  werden   kann.    Hier   gehört  nun  zu  dem  Begriff"  der  Ent- 


-   25   - 

gegensetzung  nichts  weiter  als  der  Umtausch  der  Relation,  so  dass,  wenn  die  Relation 
(oder  der  Übergang)  von  A  joi  B  als  -(-  1  gilt,  die  Relation  von  B  zu  A  durch  —  1  dar- 
gestellt werden  muss.  Insofern  also  eine  solche  Reihe  auf  beiden  Seiten  unbegrenzt  ist, 
repräsentiert  jede  reelle  ganze  Zahl  die  Relation  eines  beliebig  als  Anfang  gewählten 
Gliedes  zu  einem  bestimmten  Ciliede  der  Reihe." 

Solche  entgegengesetzte  Übergange  sind  beispielsweise  Bewegungen  vor-  und  rück- 
wärts, Gelderwerb  und  Schuldenmachen,  der  Übergang  von  einem  früheren  zu  einem 
spateren   und   derjenige  von  einem  spateren  zu  einem  früheren  Zeitpunkt  u.  s.  w.. 

In  all  diesen  Fallen  ist  es  klar,  dass  der  Gegensatz  des  Positiven  und  Negativen 
nicht  die  Zahl  sondern  das  Gezählte  betrifft.  Wenn  e  eine  beliebige  Relation  oder  einen 
beliebigen  Übergang  vorstellt,  so  bedeutet  —  8e  nicht,  dass  dieser  Übergang  —  3  mal, 
sondern  dass  8  mal  ein  anderer,  diesem  entgegengesetzter  Übergang  zu  Stande  gebracht 
werden  muss.  Ausdrücke  wie  etwa  'M  und  — 5«  beziehen  sich  demnach  auf  verschiedene 
Einheiten  ;  es  sind  ungleichnamige  Zahlen ,  welche  sich  als  solche ,  ohne  Erweiterung  des 
Begriffs  als  dessen  Exemplare  sie  gezahlt  werden,  ebensowenig  addiren  lassen  wie  etwa 
3  Äpfel  und  5  Birnen.  Nur  der  Umstand,  dass  diese  verschiedenen  Einheiten  sich  paar- 
weise aufheben,  ermöglicht  es,  für  '^-\-îi( — e)  einfach  2  ( — «)  oder  — 2«  zu  schreiben. 
Das  Minuszeichen  hat  hier  nur  die  Aufgabe,  den  Charakter  der  in  der  Rechnung  ver- 
wendeten Einheiten  in  bezug  auf  andere  Einheiten  zu  ^stimmen. 

Auch  wo  es  in  dem  Multiplikator  eines  Produkts  vorkommt,  behält  es  die  nämliche 
Bedeutung,  woraus  sich  die  Multiplikationsregeln  für  negative  Zahlen  von  selbst  ergeben. 

Ähnlich  verhalt  es  sich  mit  den  gebrochenen  Zahlen.  Auch  hier  haben  wir  es 
ursprünglich  mit  verschieilenartigen  Einheiten,  also  mit  Exemplaren  verschiedener  Be- 
griffe zu  tun,  und  zwar  mit  solchen,  welche  die  Eigenschaft  besitzen,  dass  Einheiten 
der  einen  Art  mit  einer  Einheit  der  anderen  Art  äquivalent  sind.  Nur  das  Verhältnis 
zwist;hen  jenen  verschiedenen  Feinheiten,  welches  in  den  Nennern  zum  Ausdruck  kommt, 
ermöglicht  es  auch  hier,  eine  additive  Verbindung  zwi.scheii  denselben  zu  Stande  zu 
bringen. 

Für  die  irrationalen  und  imaginären  Zahlen  gilt  das  Nämliche.  Auch  hier  i.st  es  im 
Gronde  nicht  die  Zahl  sondern  die  Einheit,  welche  ihre  Natur  ändert:  wenn  in  der 
Geometrie  «  eine  beliebige  Einheitsreihe  bedeutet,  so  sind  «|/2  und  b|/'-2  andere  Ein- 
heiten, welche  sich  rein  arithmetisch  in  jener  erstrren  nicht  ausdrücken  las.sen,  sondern 
deren  Bedeutung  geometrisch  durch  Hinweisung  auf  das  I^ngenverhältnis  zwischen 
Kathete  und  Hypothenusa  im  rechtwinkligen  gleichschenkeligen  Dreieck  oder  auf  das 
Richtungsverhaltnis  verschiedener  Axen  erklärt  werden  muss.  Wo  es  sich  um  solche 
Einheiten  handelt,  bietet  die  Einführung  der  negativen,  gebrochenen,  irrationalen  und 
imaginären  Zahlen  kein  Problem. 

Es  fragt  sich  nur,  aus  welchen  Gründen  der  Mathematiker  sich  berechtigt  glaubt, 
das  erweiterte  Zahlensystem  ganz  allgemein,  ohne  zu  fragen,  ob  Einheiten,  mit  welchen 

er  sich  zur  Zeit  beschäftigt,  andere  von  der  Form  —  e,  j,  eJ/2  und  e  |/ — 1  neben  sich 

zulassen,  .seinen  Operationen  zu  (trunde  zu  legen. 

Die  nähere  Untersuchung  ergiebt,  dass,  wenn  auch  die  oft  dazu  angeführten  Einzel- 
fälle an  sich  zur  Begründung  der  Operationen  mit  anderen  als  natürlichen  Zahlen  nicht 
ausreichen,  diesfjlben  dennoch,  in   Verbindung  mit  dem  rein  analytischen,  aus  dem  Be- 

I.  A.  f.  E.    XXIII.  i 


^  26  - 

griffe   des   Zählens   gefolgerten  Substitutionsgesetz,  das  Verfahren  der  Mathema- 
tiker vollständig  zu  erklären  und  zu  rechtfertigen  im  Stande  ist. 

Aus  dem  Substitutionsgesetz  folgt  analytisch,  dass  eine  für  Zahlen  geltende  Gleichung 
auch  für  Anzahlen  beliebiger  Objekte  und  eine  für  Anzahlen  beliebiger  Objekte  geltende 
Gleichung  auch  für  Zahlen  gelten  rauss.  Die  reinen  Zahlengleichungen,  mit  welchen  die 
Rechnung  anhebt,  müssen  demnach  auch  für  solche  Einheiten  gelten,  welche  negative, 
gebrochene ,  irrationale  und  imaginäre  Einheiten  neben  sich  zulassen.  Gelten  aber  diese 
Gleichungen  für  solche  Einheiten,  so  müssen  für  die  nämlichen  Einheiten  auch  andere 
Gleichungen  gelten,  welche  sich  durch  Vermittlung  der  negativen,  gebrochenen,  irratio- 
nalen oder  imaginären  Einheiten  aus  den  ersteren  ableiten  lassen.  Diese  abgeleiteten, 
für  die  betreffenden  Einheiten  geltenden  Gleichungen  müssen  aber  auch  wieder  für  reine 
Zahlen  gelten,  denn  sie  sagen  nur  aus,  dass  die  nämlichen  Objekte  sich  so  wohl  in  der 
von  dem  Gleichheitszeichen  als  in  der  nach  dem  Gleichheitszeichen  angedeuteten  Weise 
zählen  lassen  ;  m.  a.  W,  (nach  dem  Substitutionsgesetz)  dass  auch  die  betreffenden  Zahlen 
gleich  sind.    Bis  dahin  Prof.  Heymans. 

Aus  Obigem  erhellt,  dass  es  der  Erkenntnistheorie  gelungen  ist,  nachzuweisen,  auf 
welchen  Wegen  das  menschliche  Denken  die  ersten  Schritte  auf  dem  Gebiet  der 
Arithmetica  zurückgelegt  haben  muss.  Die  Basis,  auf  welcher  die  arithmetische  Wissen- 
schaft im  Lauf  der  Zeiten  als  eine  Zusammenstellung  von  analytischen  Begriffen  ausge- 
bildet '  worden  ist,  besteht,  wie  auf  S.  21  erörtert  wurde,  darin,  dass  Zahlenreihen  als 
Mass  von  Anzahlen  von  Gegenständen  u.  s.  w.  gebraucht  wurden.  Im  Grunde  tun  niedrig 
stehende  Völker  dasselbe,  wenn  sie  dazu  Gegenstände  beliebiger  Art  verwenden.  Beide  Handel- 
weisen beruhen  also  auf  derselben  Denkweise  des  menschlichen  Geistes.  Von  unseren  Zahlen- 
reihen kann   nur  gesagt  werden ,  dass  sie  viel  zweckmässiger  als  jene  Gegenstände  sind. 

In  den  Zusammenlebungen  der  Völker  des  Malaiischen  Archipels  kommt  eine  solche 
Messung  der  Anzahlen  von  Gegenständen  mittelst  Reihen  von  zufällig  anwesenden  anderen 
Gegenständen  vielfach  vor.  Unter  den  weniger  entwickelten  Stämmen  ist  dies  selbst  ziemlich 
allgemein  verbreitet  und  in  ein  und  demselben  Stamm  sind  dazu  mehrere  Methoden 
gebräuchlich.  Im  allgemeinen  zählt  man  gern  mit  Hilfe  seiner  Finger  und  Zehen  bis 
zwanzig.  Weiter  werden  auch  Steinchen,  Stückchen  Holz  oder  sonst  etwas  verwendet. 
Für  längeren  Gebrauch  besitzen  die  Malaien  auch  andere  Mittel  wie  die  Knotenschrift, 
Kerbe  in  Holz  u.  s.  w.  Diese  Gewohnheiten  sind  von  Neu-Guinea  bis  Sumatra  ver- 
breitet worden ,  wie  im  Folgenden  erläutert  werden  wird. 

Vom  Stamm  der  Nuforesen  an  der  Dorehbai  erwähnt  der  Missionar  van  Hasselt: 
Um  den  Verlauf  der  Tage  und  Nächte  zu  messen ,  bedienen  sie  sich  eines  Bändchens  und 
machen  darin  so  viele  Knoten ,  als  sie  Tage  danach  berechnen  wollen.  Wenn  sie  z.  B. 
mit  den  Bergbewohnern  verabredet  haben,  dass  sie  nach  zehn  Nächten  kommen  wollen, 
um  mit  ihnen  zu  handeln  oder  Nahrungsmittel  zu  holen,  so  knüpfen  beide  Parteien, 
die  Berg-  und  die  Strandbewohner ,  in  ein  Bändchen  zehn  Knoten ,  von  denen  sie  täglich 
einen  auflösen  und  so  wissen  sie  am  Ende  der  zehn  Tage,  dass  die  verabredete  Zeit 
verstrichen  ist. 

Von  den  Stämmen,  die  die  Insel  des  Timor-Archipels  bewohnen,  müssen  die  Roti- 
nesen  erwähnt  werden.  Wenn  sie  jemandem  einen  Bericht  senden  oder  sich  irgend  wel- 
chen   Ereignisses   erinnern   wollen,   so   verwenden   sie  dazu  eine  Schnur  mit  einzelnen 


-  2,1  - 

Knoten,  die  die  verschiedenen  Objekte  vorstellen,  die  sie  besprechen  oder  deren  sie  sich 
erinnern  wollen. 

Auf  den  Aru-Inseln  nimmt  man  einen  Blattstiel  der  Sagopalme,  in  welche  man 
kleine  Querstabe,  die  Schulden  vorstellen,  anbringt.  Greht  der  Eingeborene  dort  auf 
Reisen,  z.B.  für  10  Tagen,  so  versieht  er  sich  mit  einem  Stück  Schnur  mit  10  Knoten, 
von  welchen  jeden  Tag  einer  gelöst  wird ,  bis  keiner  mehr  übrig  bleibt  ;  dann  kehrt  er 
zurück.  Auch  auf  der  Insel  Cerara  findet  sich  ein  ahnlicher  Brauch,  da  sich  die  Häupt- 
linge auf  den  Kei-Inseln  nicht  selten  dieses  Mittels  bedienen ,  wenn  sie  jemand  an  einem 
bestimmten  Tage  aufzurufen  wünschen. 

Über  die  Alfuren  von  Buru  endlich  wird  mitgeteilt,  dass  sie,  um  den  Betrag  einer 
Schuld  zu  behalten  oder  die  Zahl  von  Kokos-  und  anderen  Bäumen,  von  Mannern,  Frauen 
und  Kindern  zu  wissen ,  Kerbstöcke  von  Holz  oder  Palmblattstielen  anwenden  und  auch 
Schnüre  mit  Knoten  gebrauchen. 

Auf  der  Insel  Celebes  werden  die  2^hl  der  Personen  in  einer  neuen  Niederlassung 
oder  die  Tage  der  Opfer  durch  eine  Knotenschnur  angegeben.  Unter  den  Fürsten  der 
Makassaren  und  Buginesen  zeigte  man  mittelst  Knoten  in  einem  Lontarblatt  an ,  wie 
viele  Tage  noch  vergehen  würden ,  bevor  ein  Krieg  ausbrechen  oder  ein  Fest  gegeben 
werden  würde.  Im  täglichen  Leben  werden  ähnliche  KnotenschnOre  von  jungen  Palm- 
blattern angewandt. 

Auf  Seite  108  von  Adriani  und  Krcyt,  Mittol-Celebes ,  erwähnen  die  Autoren  in 
Bezug  auf  die  Toradja  folgende  Bräuche:  Beim  Handel  nehmen  sie  ihre  Zuflucht  zu 
allerhand  Hilfsmitteln,  Stückchen  Holz,  einem  Rotan,  in  welchem  Knicke  gemacht 
werden,  und  ähnlichem  mehr.  Diese  selben  Hilfsmittel  brauchen  sie  ebenfalls  beim  Be- 
sprechen der  Rechtsangelegenheiten.  Wenn  eine  Busse  besprochen  wird,  scheint  ein 
Toradja  sich  nur  dann  die  Grösse  derselben  vorstellen  zu  können ,  wenn  er  jeden  Büffel 
durch  ein  Stück  Baumblatt ,  oder  Holz  u.  s.  w.  vergegenwärtigt  sieht  ;  nur  eine  Folge 
der  Ungewohnheit ,  abstrakt  zu  denken.  Ein  Toradjahäuptling  kam  einmal  von  einer 
Rechtssitzung  und  erzählte,  da.ss  ihm  eine  Busse  von  zwanzig  Büffeln  auferlegt  sei. 
Als  wir  unsere  Verwunderung  Ol)er  die  Höhe  dieser  Busse  äusserten ,  fragte  der  Mann  : 
finden  Sie  das  viel?  Er  öffnete  dann  seinen  Betheisack  und  zählte  zwanzig  Stückchen 
PinangnuKs  aus.   Dann  rief  er  auf  einmal  aus:    „Werde  ich  Das  bezahlen  können?" 

In  Band  II,  Seite  265:  Um  beim  Feststellen  der  Zusammenkünfte  oder  Feste  Ver- 
sehen zu  vermeiden,  verteilt  man  Schnüre  mit  so  vielen  Knoten,  als  noch  Nächte  ver- 
laufen mû.s.sen,  bevor  der  verabredete  Tag  anbricht. 

Im  Westen  des  Archipels  wird  der  Gebrauch  dieser  Knotenschrift  unter  einzelnen 
Stämmen  von  Sumatra  erwähnt.  Von  den  Redjang  im  Ursjjrungsgebiet  des  Musi 
erklart  Marsden:  „When  they  may  have  occasion  to  recollect  at  a  distance  of  time,  the 
tale  of  any  commodities  they  are  carrying  to  market  or  the  like,  the  country  people 
often  a&sist  their  memory  by  tying  knots  on  a  string ,  which  is  produced ,  when  they 
want  to  specify  the  number." 

Auch  die  Bataker  von  Nord-Sumatra  bedienen  .sich  der  Knotenschrift.  So  wird 
unter  ihnen  bei  einer  Rechtsverhandlung  die  Summe  Geldes,  die  die  verlierende  Partei 
dem  Schiedsrichter  zu  bezahlen  hat,  mittelst  eines  Knotens  in  einer  Schnur  angegeben. 
Knoten  werden  ebenfalls  augewendet,  um  eine  Anzahl  Tage,  die  vor  einer  Übereinkunft 
noch  vergehen  müssen,  nicht  zu  verges.sen. 


-  28   - 

Wenn  zwei  kämpfende  Parteien  den  Krieg  zu  beenden  wünschen,  unterbreiten  sie 
die  Schlichtung  der  Angelegenheit  zwei  neutralen  Häuptlingen.  Diese  erhalten  dann  von 
beiden  Parteien  ein  Messer,  eine  Lanze  oder  einen  Ring  zum  Zeichen,  dass  die  Feind- 
seligkeiten vorläufig  aufgeschoben  sind.  Wenn  diese  Schiedsrichter  den  Streit  nicht 
schlichten  können,  so  geben  sie  diese  Pfände  zurück  und  dazu  eine  Schnur  mit  vier 
Knoten  mit  der  Anweisung,  die  Kämpfe  nicht  eher  wieder  aufzunehmen,  bevor  keine 
Knoten,    von   denen  jeden    Tag    einer   gelöst   wird,    mehr   an    der  Schnur  vorkommen. 

Die  Dajak  im  Nord- Westen  von  Borneo  haben  die  Gewohnheit,  wenn  sie  Stammes- 
genossen und  Freunde  in  einem  Krieg  zu  Hilfe  herbeirufen,  diesen  zwei  Bla.srohrpfeile 
von  verschiedener  Grösse  zu  schicken.  In  Beiden  sind  Kerbe  eingeschnitzt.  Die  Zahl  der 
Kerbe  im  kleinsten  Pfeil  zeigt  die  Zahl  der  für  den  Anfall  benötigten  Mannschaften  an, 
während  die  Kerbe  auf  dem  grossen  sich  auf  die  Zahl  der  Krieger  aus  jedem  Dorf  bezieht. 
Sind  die  Pfeile  an  der  einen  Spitze  verbrannt  und  an  der  anderen  bemalt,  so  erklärt 
dieses  die  Absicht,  das  anzufallende  Dorf  mit  Feuer  und  Schwert  zu  verwüsten. 

In  LiNG  Roth.  The  Natives  of  Sarawak  and  British  North  Borneo  I  Seite  77  finden 
wir  Folgendes  erwähnt:  When  Sir  Charles  Brooke  was  first  appointed  to  Fort  Sakarang 
he  wished  to  send  certain  instructions  to  the  chiefs  and  this  is  how  a  Dyak  named 
Sadon  learned  his.  instructions  :  „One  Dyak ,  who  was  a  proved  freind ,  came  to  me  to 
receive  instructions  and  I  fully  expected ,  it  would  have  taken  three  or  four  days  before 
he  could  learn  all  the  particulars  by  heart ,  as  they  have  no  means  of  distinguishing 
marks  or  letters.  I  commenced  the  lesson ,  with  my  imperfect  knowledge  of  the  Dyak 
language,  and  was  surprised  how  wonderfully  acute  his  mind  was  and  how  strong  his 
memory.  He  brought  a  few  dry  leaves,  which  he  tore  into  pieces;  these  I  exchanged 
for  paper,  which  served  better.  He  arranged  each  piece  .separately  on  a  table  and  used 
his  fingers  in  counting  as  well ,  until  he  reached  ten ,  when  he  lifted  his  foot  on  the 
table  and  took  each  toe  to  accord  with  each  bit  of  paper  answering  to  the  name  of  the 
village,  name  of  chief,  number  of  followers  and  amount  of  fine:  after  having  finished 
with  his  toes  he  returned  to  his  fingers  again  and  when  my  list  was  completed ,  I 
counted  forty-five  bits  of  paper  arranged  on  the  table;  he  then  asked  me  to  repeat  them 
once  more,  which  I  did,   when  he  went  over  the  pieces,  his  fingers  and  toes  as  before. 

„Now",  he  said,  „this  is  our  kind  of  letter;  you  white  men  read  dififerently  to  us". 
Late  in  the  evening  he  repeated  them  all  correctly,  placing  his  finger  on  each  paper  and 
then  said ,  „Now,  if  I  recollect  them  to-morrow  morning  it  will  be  allright,  so  leave  these 
papers  on  the  table";  after  which  he  mixed  them  all  in  a  heap.  The  first  thing  in  the 
morning  he  and  I  were  at  the  table  and  he  proceeded  to  arrange  the  papers  as  on  the 
evening  before  and  repeated  the  particulars  with  complete  accuracy:  and  for  nearly  a 
month  after,  in  going  round  the  villages,  far  in  the  interior,  he  never  forgot  the  different 
amounts. 

Letzterer  Bericht  könnte  ebenso  wohl  als  Beispiel  für  das  gute  Erinnerungsvermögen 
der  Dajak  dienen  als  zum  Beweise ,  dass  die  der  Arithmetik  zu  Grunde  liegende  Denkart, 
um  Gegenstände  zu  gebrauchen  zum  Vergleich  mit  Reihen  von  anderen  Gegenständen  oder, 
wie  hier  auch  mit  bestimmten  Summen ,  diesen  Völkern  von  Borneo  gar  nicht  fremd   ist. 

Die  bis  jetzt  angeführten  Beispiele  stammen  alle  aus  der  ältesten  Schicht  der  malai- 
ischen Archipelbevölkerung,  die  fremden  Einflüssen  relativ  wenig  unterworfen  gewesen 
ist.    Diese  Äusserungen  des  Denkens  sind  der, malaiischen  Rasse  also  eigentümlich. 


-  29   -    • 

Eine  Menge  Kulturerscheinungen  in  höheren  malaiischen  Zusammenlebungen  könnten 
als  Beispiele  für  höhere  Entwicklung  dieser  Denkart  aufgefasst  werden.  Zum  Teil  sind  diese 
wohl  durch  fremden  Einfluss  eingeführt  oder  entwickelt  worden.  Jedenfalls  sind  sie  aber 
jetzt  eine  wesentliche  Art  des  Denkens  in  diesen  Kreisen  und  werden  vielfach  gepflegt.  Sie 
können  als  Zahlen  m  ystik  zusammengefasst  werden.  Aus  den  unten  anzuführenden 
Beispielen,  die  den  ganzen  Archipel  umfassen,  zeigt  sich,  welch  einen  mächtigen  Ein- 
druck der  Begriff  Zahl  auf  die  Phantasie  der  Malaien  ausübt  und  wie  sehr  die  heiligen 
Zahlen  einen  essentiellen  Teil  ihrer  Kulturformen  bilden. 

In  seinen  Werken  ûlïer  Atjeh,  das  malaiische  Reich  in  Nord-Sumatra  und  den 
(Jajolandern ,  giebt  Prof.  Dr.  Snoück  Hübgronje  einige  Beispiele  für  die  wichtige  Rolle, 
die  der  Zahl  Vier  in  der  populären  muhararaedanischen  Mystik  des  Archipels  zukommt. 
Von  den  Goldmachern  unter  den  Gajoe  erzählt  er:  ^.Ausserdem  versäumt  man  hierbei 
ebensowenig  wie  bei  dem  ladang-B&u  und  bei  der  Jacht  die  nötigen  Massregeln,  um  die 
(iunst  der  Herren  des  Ortes  zu  gewinnen.  Ihre  Namen  sind  Sidang  Tëtap,  Sidang  Abri- 
min,  Sidang  Salèh,  Sidang  Salihin.  Diese  Vierzahl  ist  eine  der  vielen,  die  in  der  popu- 
lären muhammedanischen  Mystik  dieses  Archii)els  solch  eine  wichtige  Stelle  einnahmen 
und  die  Gajoe  (Gebirgsstämme  des  Innern^  bringen  sie  in  Verbindung  mit  den  vier  Ele- 
menten inasir  ai  opat),  woraus  Alles  geschaffen  worden  ist:  tojibh,  w6th,  rara,  kuja 
oder  Erde,  Wasser,  Feuer  und  Wind  oder  Luft.  Für  die  geheimnisvollen  Herren  des 
Flussrandes  legt  man,  mit  der  Bitte  um  Erlaubnis  zur  Arbeit  in  ihrem  Gebiet,  am  Ufer 
ein  Opfer  in  Form  einer  Schüssel  von  dem  auf  keinem  kanduri  (religiösen  Fest)  fehlenden, 
unenthGlsten ,  gedörrten  Reise,  mit  dem  dazu  gehörigen  eingekochten  Ei  und  weiter  eine 
Sirihprieme". 

Etwas  Verwandtes  findet  sich  in  der  Vierzahl  der  von  den  Atjeh'schen  Sultanen 
angestellten  Häuptlingen  unter  den  Gajoe,  unter  den  Tol)a-Batak,  unter  den  Karo- 
Batak  und  den  Timor-Batak. 

Beim  Schliessen  einer  Heirat  auf  den  Babar-Inseln  begiebt  sich  der  Mann  u.  a.  Abends 
nach  dem  Hause  seiner  Verlobten.  Diese  erwartet  ihn  in  Gesellschaft  einiger  Frauen  in 
einem  dunkeln  Zimmer.  Nachdem  der  Bräutigam  die  Zahlen  von  eins  bis  sieben  aus- 
gesprochen hat,  geht  er  im  Zimmer  umher  und  versucht,  im  Dunkeln  seine  Braut  zu 
finden.  Ist  ihm  dies  geglückt,  was  gewöhnlich  erst  nach  einiger  Zeit  gelingt,  wenn  das 
Mädchen  verschämt  ist  oder  ihn  necken  will,  so  bringt  er  sie  zu  einer  der  Anwesenden. 
Diese  stösst  dann  die  Köpfe  der  jungen  Leute  gegen  einander,  und  nachdem  sie  zusam- 
men aus  einer  Kokosschale  gegessen  hal)en.  gilt  die  Heirat  als  geschlossen. 

Die  Olo-Ngadju-Dajak  glauben,  dass  die  Seele  des  ausgestreuten  Reises  als  Bote  zum 
Se«'lenland  ziehe,  um  diese  zu  holen.  ^Zu  Anfang",  schreibt  der  l)ekannte  Missonar 
Hakdkla.sd,  „wirft  man  7  Mal  drei  Finger  voll  enthülsten  Reises  aus,  des.sen  Gana,  Seelen, 
zu  7  Jungfrauen  werden;  darauf  wirft  man  zum  achten  Male  Reis  aus,  des.sen  Gana 
zur  Kleidung  und  zum  Schmuck  der  7  Jungfrauen  wird"  u.  s.  w.. 

In  der  Minabasa  auf  der  Insel  Celebes  war  folgende  Beeidigung  üblich  :  Ein  walian 
(Priester»  legte  ein  geladenes  Gewehr  auf  den  Boden ,  mit  dem  Kolben  nach  Süden  ;  an 
der  Ostseite  von  diesem  wurde  ein  Leinwandstreifen  hingelegt  und  an  der  Westseite 
zwei  Schwerter  gekreuzt  in  den  Boden  gesteckt.  Der  walian  unterbreitet  dann  die  Ange- 
legfnheit,  die  beschwört  werden  muss,  den  Anwesenden  und  betet  zu  den  empung  oder 
Geistern,  dass  der  Meineidige  durch  die  Waffen  umkommen  möge;  dann  macht' er  mit 


-   30   ^ 

einem  Stock  neun  Streifen  auf  den  Boden,  die  er  laut  nachzählt  und  spaziert  darauf 
dreimal  zwischen  den  Waffen  umher.  Dasselbe  tut  Derjenige,  der  den  Eid  zu  leisten 
hat.  Darauf  wird  die  Flinte  abgefeuert  und  das  Stück  Leinwand  unter  den  Anwesenden 
verteilt. 

Von  den  Orang  Benuwa  auf  der  Halbinsel  Malakka  lesen  wir  bei  Newbold:  „The 
souls  of  the  bad  are  to  be  devoured  by  spectres,  who  approach  the  graves  for  that  pur- 
pose on  the  seventh  day  after  interment,  on  which  fires  are  kindled  to  drive  the  evil 
spirits  away." 

Bei  den  Olo-Ngadju  auf  Borneo  bleibt  die  Seele  oder  liau  nicht  immer  in  ihrem 
Himmel  oder  lewu-liau.  Wenn  sie  nämlich  7X7  Mal  die  Zeit ,  die  sie  auf  Erden  zuge- 
bracht hat,  in  dem  lewu-liau  geblieben  ist,  stirbt  sie,  oder  vielmehr,  geht  sie  hier  auf 
Erden  in  den  Bast,  die  Blüten,  das  Blatt  oder  die  Frucht  eines  Fruchtbaumes  Ober. 

Die  Niasser  glauben,  dass  Dieses  geschehe  nach  neun  Mal  der  Lebensdauer  auf  Erden. 

Unter  den  Karo-Batak  wird  den  Toten  noch  vier  Tage  lang  Essen  an  seinem  ge- 
wöhnlichen Platz  im  Hause  und  danach  noch  vier  Tage  lang  auf  sein  Grab  gestellt,  mit 
den  Worten:    Hier  ist  dein  Reis,  iss! 

Unter  den  Toba-Batak  bringt  die  Witwe  während  sieben  Tagen  am  Morgen  Essen 
auf  das  Grab  ihres  verstorbenen  Ehemannes. 

Unter  den  muhammedanischen  Javanern  werden  die  sëdëkah  oder  Opfermahle  für 
einen  Toten  gehalten  am  ersten ,  dritten ,  siebenten ,  vierzigsten ,  hundertsten  und  tau- 
sendsten Tage  nach  seinem  Sterben. 

Unter  den  Menangkabau-Malaien  von  Mittel-Sumatra  geschieht  Dies  am  dritten, 
siebenten,  vierzehnten,  vierzigsten  und  hundertsten  oder  hundert  und  zehnten  Tage. 

Auch  unter  den  Makassaren  und  Buginesen  von  Celebes  werden  Erinnerungsfeste  zu 
Ehren  der  Toten  gefeiert.  Dabei  werden  unterschieden  die  grossen  Nächte  oder  wânni- 
batowa  und  die  kleinen  Nächte  oder  wânni-baiiju.  Die  Ersten  fallen  auf  den  dritten, 
siebenten,  vierzigsten  und  hundertsten,  die  Letzteren  auf  den  zehnten,  zwanzigsten, 
dreissigsten ,  fünfzigsten,  siebzigsten,  achtzigsten  und  neunzigsten  Tag  nach  dem  Be-. 
gräbnis. 

Um  die  Entstehung  ihrer  Götterwelt  zu  erklären ,  besitzen  die  Minahasser  die  Legende 
von  Lumimuut  und  Toar.  Lumimuut  ist  eine  weibliche  Gottheit,  die  aus  der  Erde 
hervorgekommen  ist.  Aus  ihrer  Heirat  mit  Toar  entsprangen  zweimal  neun  Kinder,  die 
man  in  einer  Gruppe,  die  makaruwa-sijow ,  zusammenfasst.  Nachher  entsprang  eine 
andere  Gruppe  von  dreimal  sieben,  die  makatUu-pitu.  Endlich  folgte  eine  dritte  Gruppe, 
die  nur  einmal  drei  Kinder  enthielt;  diese  waren  die  Schwestern  Pasijowan.  Von  diesen 
Letzteren  wurde  eine  angestellt  als  Priesterin  der  Götter,  die  beiden  anderen  wurden  die 
Mütter  von  der  Bevölkerung  in  der  Minahasa. 

In  der  javanischen  Mythologie  Manik  Maja  wird  erzählt ,  dass  die  Erde ,  als  sie  sich 
aus  dem  Chaos  entwickelte ,  sieben  unter  einander  liegende  Regionen  enthielt.  Von  diesen 
wird  die  untere  und  siebente  von  einer  Schlange  getragen,  die  durch  ihre  Bewegungen 
die  Erdbeben  verursacht. 

Die  bilian  oder  Priester  und  Priesterinnen  der  Dajak  von  Sanggau  in  West-Borneo 
rufen  ihre  Götter  auf,  indem  sie  unter  dem  Hersagen  von  Zaubersprüchen  sieben  Male 
Reis  in  die  Luft  werfen. 

Die  Dauer  der  Trauerzeit  war  anfangs,  bei  den  Völkern  des  Indischen  Archipels  wohl 


-    31    - 

gänzlich  unbestimmt  und  hing  sie  hauptsächlich  von  der  Zeit  ab,  in  welcher  das  Toten- 
fest gefeiert  wurde.  Indessen  ist  dies  bei  einigen  Völkern  nicht  mehr  der  Fall  und  findet 
sich  hier  bereits  ein  bestimmter  Termin  für  die  Trauer  festgesetzt.  Bei  den  Batak  z.  B. 
währt  das  mortudjung,  das  Trauern  der  Witwe  viele  Tage.  Im  Südosten  von  Borneo 
dauert  l)ei  den  Maänjan  oder  Dajak  des  Distriktes  Duson-Timor  die  Trauer  für  einen 
erwachsenen  Mann  49,  für  ein  Kind  7  Tage. 

Auf  Celebes  sehen  wir  die  Buginesen  des  Reiches  Bone  um"  einen  regierenden  Fürsten 
100  Tage,  um  ein  Mitglied  des  fürstlichen  Hauses,  je  nach  Massgabe  seines  Alters,  Ge- 
schlechtes und  Standes  50,  40,  20  oder  10  Tage  trauern.  Vom  Volke  trauert  eine  Witwe 
für  ihren  Mann  40  Tage.  Auch  im  Reiche  Luwu  sehen  wir,  wie,  mindestens  im  Haupt- 
orte, die  Trauer  um  einen  regierenden  Fürsten  ebenfalls  100  Tage  dauert.  Aus.serhalb 
desselben  wird  durch  das  Volk  40,  durch  die  Vasallen  20  Tage  lang  getrauert. 

Von  den  verschiedenen  Stämmen  der  Bewohner  der  Molukken  erwähnen  wir  hier 
die  von  Aml)on  und  den  Ulia.ser-Inseln ,  bei  welchen  die  Traner  40  und  die  von  Kisar, 
bei  welchen  sie  nur  5  Tage  währt,  weiter  die  von  Babar  und  der  Gruppe  von  Leti, 
Moa ,  und  Lakor,  \m  welchen  die  Trauerzeit  sich  bis  zum  erstfolgenden  Neumond  erstreckt. 

Das  auf  das  Haaropfer  zurückzuführende  feierliche  Haarschneiden  der  Kinder  geschieht 
l)ei  den  Makassaren  und  Buginesen:  mit  drei  Mal  sieben  Scheeren,  wenn  der  Junggeborene 
ein  Prinz  und  mit  zwei  Mal  sieln-n,  wenn  er  von  niedrigerem,  fürstlichen  Geblüt,  während 
bei  Kindern  von  noch  geringerem  Stande  die  Anzahl  Scheeren  sich  bis  auf  sieben  und 
schliesslich  bis  auf  eine  verringert. 

Aus  den  vorhergehenden  Beispielen  folgt,  dass  dl»;  Grundlagen  der  Arithmetika  im 
geistigen  Leben  aurh  der  niedrig  entwickelten  Malaien  sich  allgemein  nach\AWisen  lassen. 
Es  würde  nicht  schwer  sein,  noch  viele  andere  Erscheinungen  arithmetischer  Art  auf 
anderen  Kulturgebieten  aufzudecken.  So  werden  die  Rechte  zum  Suchen  von  Busch- 
produkt^-n  unter  den  primitiven  malaiischen  Stämmen  oft  gegen  1/10  des  Ertrage.s 
erworljen,  das  Mieten  der  Aecker  gegen  1/4—1/2  der  Ernte  kommt  sehr  häufig  vor,  ebenso 
das  Berechnen  von  Zinsen  in  vielerlei  Formen. 

In  den  2Jeitn'chnungen  der  jetzigen  Insel  Java  und  amlere  findet  man  höchst  zu.sam- 
mengesetzte  Kombinationen  der  vielen  Zeitrechnungen  malaiisch-polynesischer ,  hinduisti- 
Bcher  und  muhammedanischer  Herkunft  aus  vergangenen  Zeiten;  in  der  Wahrsagerei 
erreichen  diese  Zusammenstellungen  ihren  Höhepunkt.  Das  Studium  dieser  im  Archipel 
allgemein  verbreiteten  Wahrsagerei  würde  ül)erhaupt  besonders  stark  entwickelte  Systeme 
von  Vergleichungen  von  Zahlenreihen  unter  einander,  von  diesen  mit  Begriffen  und  von 
Begriffen  unter  einander  aufdecken.  Als  Beispiel  vergleiche  man  die  Beschreibung  der 
kutika  vom  Barito,  Bd.  XXII  Taf.  XVI  S.  127. 

Mit  diesen  Ergebnissen  ist  eine  andere  Theorie  der  Arithmetik ,  nämlich  die  empi- 
rische Theorie  John  Stuart  Milus  schwer  in  Einklang  zu  bringen.  Um  diesen  Gegensatz 
aufzuhe>>en  und  ihres  Urhel)ers  wegen  ist  es  aber  notwendig,  diese  Meinung  noch  einer 
näheren  Untersuchung  zu  unterwerfen.  Auch  hier  wird  Prof.  Heymans  unser  Führer  sein  : 

Nach  J.  S.  Mill  ist  die  Arithmetik  eine  empirische  Naturwissenschaft,  beziehen  sich 
ihre  Gesetze  auf  gegebene ,  wahrnehmbare ,  physikalüsche  Tatsachen.  Wenn  die.se  Meinung 
sich  den  Verhältnissen  angemess(,'n  zeigen  .sollte,  würde  diese  Wissenschaft  auf  einer 
Abstraktion   aus  beobachteten   Tatsachen   beruhen,  was  sich  bereits  in  ihren  Anfängen 


-   32   - 

gelten  lassen  würde.  Damit  ständen  aber  diese  Anfänge  weit  über  dem  Horizont  der 
niedrigsten  hier  untersuchten  Völker;  denn  es  würde  schwer  sein,  zu  behaupten, 
dass  ihre  geistige  Entwicklung  sie  dazu  befähigte,  sich  mit  der  Arithmetik  als  einer 
Abstraktion  zu  befassen.  Deshalb  ist  es  wichtig  nachzuspüren,  ob  die  Grundsätze  der 
Arithmetik  sich  wirklich  als  eine  empirische  Wissenschaft  gestalten. 

Nach  Mill  ist  das  Merkwürdige  der  Zahlen  nicht,  dass  sie  sich  auf  nicht  Gege- 
benes ,  sondern  vielmehr ,  dass  sie  sich  auf  alles  Gegebene  beziehen  ;  daraus  sei  es 
eben  zu  erklären,  dass  man  sich  bei  den  Zahlen  nichts  Bestimmtes  vorstellt  und  dem- 
zufolge glaubt,  denselben  eine  von  allem  Vorstellbaren  unabhängige  Existenz  zuerkennen 
zu  müssen.  Aehnliches  komme  aber  überall  vor,  wo  durch  öftere  Wiederholung  die 
Prozesse  des  Denkens  mechanisch  zu  verlaufen  angefangen  haben  und  demnach  die  Vor- 
stellung der  Symbole,  unter  Unterstützung  durch  die  Vorstellung  der  Gegenstände  zur 
Erreichung  des  Denkzweckes  ausreicht.  Sobald  man  sich  aber  darauf  besinne,  was  denn 
eigentlich  diesen  Prozessen  ihre  Beweiskraft  sichere,  sei  man  immer  wieder  genötigt,  auf 
die  Dinge ,  welche  durch  die  Symbole  bezeichnet  werden ,  zurückzugehen. 

Wie  die  arithmetischen  Begriffe,  so  beziehen  sich  nach  Mill  auch  die  arithmetischen 
Urteile  auf  gegebene  Tatsachen.  Selbst  em  .so  einfacher  Satz  wie  6  =  2+  1  .sei  keines- 
wegs als  eine  blosse  Worterklärung,  als  eine  Definition  der  S  aufzufassen,  es  komme  in 
demselben  die  physikalische  Tatsache  zum  Ausdruck,  dass  solche  Mengen  von  Gegenständen 
bestehen,  die,  wenn  verschiedenlich  angeordnet,  auf  unsere  Sinne  einen  verschiedenen 
Eindruck  machen. 

Diese  empiristische  Theorie  der  Arithmetik  reicht  aber  nicht  aus,  den  spezifischen 
Charakter  der  vorliegenden  Tatsachen,  also  die  Allgemeinheit,  Apodiktizität  und  Exaktheit 
des  arithmetischen  Wissens  zu  erklären. 

Es  ist  doch  klar,  dass  die  von  Mill  als  die  eigentüchen  Untersuchungsobjekte  der 
Arithmetik  bezeichneten  „physikalischen  Tatsachen"  bei  Weitem  nicht  so  allgemein  vor- 
kommen, dass  sie  unsere  felsenfeste  Überzeugung,  die  Arithmetik  mOs.se  für  alles  Denk- 
bare gelten,  auch  nur  als  möglich  erklären  könnten.  Im  günstigsten  Falle  wären  es  doch 
immer  nur  die  materiellen  Dinge,  welche  in  der  von  Mill  angedeuteten  Weise  durch 
verschiedenartige  Anordnung  verschiedene  sinnliche  Eindrücke  hervorzubringen  vermöch- 
ten: die  nämlichen  drei  Ereignisse,  oder  drei  Begriffe,  oder  drei  Relationen  können 
doch  nicht  das  eine  Mal  so,  das  andere  Mal  anders  geordnet  vorkommen.  Dennoch  neh- 
men wir  keinen  Anstand ,  den  Satz  .3  =  2  +  1  auch  für  drei  Glockenschläge ,  drei  Regie- 
rungsformen, oder  drei  Werte  der  Unbekannten  in  einer  Gleichung  gelten  zu  lassen. 
Aber  auch  drei  Fixsterne,  drei  Flüsse,  drei  Häuser  haben  sich  niemals  nach  verschie- 
denen Anordnungen  unserer  Beobachtung  dargeboten  ;  dennoch  wird  Niemand  es  unrichtig 
nennen,  wenn  wir  dieselben  auch  einmal  als  2+1  Fixsterne,  Flüsse  oder  Häuser  zu 
bezeichnen  für  gut  finden.  Nun  ist  es  zwar  leicht,  hier  von  induktiver  Verallgemeinerung 
zu  sprechen;  es  wäre  aber  doch  auffallend,  dass  die  Wissenschaft,  die  überall  sonst  eine 
bei  bestimmten  Objekten  beobachtete  Erscheinung  nur  für  die  bastimmte  Gattung, 
welcher  diese  Objekte  angehören,  zum  Gesetz  erhebt,  hier  auf  einmal  dieser  Regel  untreu 
geworden  wäre  und  Sätze,  welche  nur  für  eine  engbegrenzte  Gruppe  von  Objekten  sich 
verifizieren  lassen,  unbedenklich  und  zwar  mit  apodiktischer  Gewissheit,  auf  alle  mög- 
lichen Objekte  anzuwenden  sich  getraute.  Wir  müssten  doch,  so  scheint  es,  etwas  davon 
bemerken,  dass  die  Gewissheit  der  arithmetischen  Gesetze  eine  geringere  wäre  für  Fix- 


-    33   - 

sterne  als  für  Planeten,  für  Häuser  als  für  Bausteine,  für  Flüsse  als  für  Wassertropfen. 
Ebenso  bemerken  wir  als  zweifellos,  dass  die  Gewissheit  des  Gravitationsgesetzes  eine 
geringere  ist  für  Atome  und  Molecule,  wo  wir  dasselbe  nicht  haben  verifizieren  können, 
als  für  Himmelskörper. 

Zu  ahnlichen  Bemerkungen  als  die  Allgemeinheit  und  Apodiktizitat  der  arithmetischen 
Urteile  giebt  auch  die  denselben  anhaftende  absolute  Genauigkeit  Veranlassung.  Die 
physikalischen  Tatsachen,  aus  denen  nach  Mill  die  arithmetischen  Gesetze  abstrahiert 
.sein  sollen,  sind  nicht  nur  nicht  allgemein,  sondern  auch  nicht  exakt.  Denn  erstens  ist 
schon  die  Mangelhaftigkeit  unserer  Sinnesorgane  und  Instrumente  Ursache,  dass  die 
Ergebnisse  der  sinnlichen  Wahrnehmung  niemals  und  demnach  auch  hier  nicht,  voll- 
kommene Exaktheit  l)eanspruchen  können.  Aber  auch  wenn  wir  von  diesen  Beobachtungs- 
fehlern absehen,  sind  die  Naturerscheinungen  keineswegs  immer  darauf  angelegt,  die 
exakte  Geltung  der  arithmetischen  Gesetze  in  dem  Sinne  Mill's  zu  bestätigen.  Der  sinn- 
liche Eindruck,  den  die  Beobachtung  einer  Mischung  von  1  L.  Alcohol  und  1  L.  Wasser 
in  uns  erzeugt ,  entspricht  keineswegs  dem  sinnlichen  Eindruck ,  den  wir  der  Beobachtung 
einer  Mischung  von  1  L.  Was.ser  mit  noch  1  L.  Wasser  verdanken  :  die  Summe  von  1 
und  1  wäre  demnach  nicht  immer  ^  2.  Selbst  dem  scheinbar  identischen  Satze  2  =  1 
dürfte  keine  vollkommen  exakte  Geltung  zugeschrieben  werden;  denn  wenn  wir  ein 
Objekt  zweimal  l)eobachten,  kann  sich  zwi.schen  den  beiden  Beobachtungen  in  demselben 
etwa-s  geändert  haben. 

Mill  hat  diese  Schwierigkeiten  dadurch  zu  lösen  versucht,  dass  er  den  arithmetischen 
Sätzen  nur  hypothetische,  durch  die  Gleichheit  der  Einheiten  (und  wohl  auch  durch  die 
Abwetienheit  störender  Um.stande)  bedingt«  Geltung  zuerkannte.  Aber  er  hat  nicht 
erklart,  warum  wir,  wenn  spatere  Beobachtung  die  Ergebnisse  unserer  Rechnung  nicht 
vollkommen  genau  bestattigt,  sofort  und  ohne  Schatten  eines  Zweifels  Beobachtungs- 
fehler oder  Veränderungen  in  dem  Objekte  der  Untersuchung  für  diese  Abweichung 
verantwortlich  machen  und  an  die  Möglichkeit,  da.ss  die  arithmetischen  Gesetze  eine 
Ausnahme  erleiden  sollten,  selbst  nicht  denken. 

Die  empirische  Naturwissenschaft  macht  es  anders.  Allerdings  wird  auch  sie,  weim 
einmal  die  Beobachtung  nicht  zur  Theorie  passt,  an  erster  Stelle  untersuchen,  ob  nicht 
störende  Umstände  oder  Beobachtungsfehler  die  Abweichung  erklären  können,  aber 
keineswegs  wird  sie  von  vornherein  die  Möglichkeit  ausschliessen ,  da.ss  die  Theorie  sell)st 
der  Korrektur  bedürfen  könnte.  Selbst  einer  so  durchsichtigen  und  allseitig  bestätigten 
Theorie,  wie  derjenigen  der  Gravitation,  gegenüljer  haben  Forscher  wie  Newton,  Euler, 
Oacss  es  nicht  unterla-ssen ,  auf  diese  Möglichkeit  Rücksicht  zu  nehmen.  Nur  den  mathe- 
matischen Gesetzen  gegenüber  erhebt  sich  niemals  der  Schatten  eines  Zweifels;  nur  hier 
werden  immer  wieder  die  Tatsachen  an  der  Theorie  und  wird  niemals  die  Theorie  an 
den  Tatsachen  gemessen.  Wenn  diese  mathematischen  Gesetze  blosse  Abstraktionen  aus 
der  Wirklichkeit  waren,  so  liesse  sich  die  Ausnahmestellung,  die  dieselben  den  anderen 
Naturgesetzen  gegenüber  einnehmen ,  wohl  kaum  erklären. 

Es  kommen  noch  einige  andere  Tatsachen  des  Denkens  gegen  Mill's  Auffassung  in 
Betracht,  die  alle  die  empirische  Theorie  des  arithmetischen  Denkens  als  unhaltbar 
erweisen.  {Fortsetzung  folgt). 


L  A.  f.  E.    XXIII. 


-  34    - 


REVUE  BIBLIOGRAPHIQUE.  -  BIBLIOGRAPHISCHE  ÜBERSICHT. 


Pour  les  abréviations  voir  p.  24,   192  du   Tome  précédent, 
ugrischen  Forschangen, 


Ajouter:   ï.  U.  =  Anzeiger  der  FinnUcli- 


GÉNÉRALITÉS. 

M.  B.  Verneau  (A.  XXV  p.  366)  rend  compte  des 
actes  du  Congrès  international  d'Ethnologie  et  d'Eth- 
nographie de  Neuchâtel. 

M.  P.  G.  Mahoudeau  (R.  A.  XXV  p.  21  :  Un  pré- 
curseur du  polygénisme:  Isaac  La  Peyrère)  publie 
une  notice  sur  l'auteur  d'un  livre  paru  en  1655: 
Les  Pré-Adamites. 

M.  le  docteur  D.  Goldschmidt  (R.  A.  XXIV  p.  393) 
rappelle  les  théories  de  M.  A.  Lekeboullet  (Esquis- 
ses zoologiques  de  l'homme),  qui  repoussait  l'idée 
que  l'homme  et  le  singe  sont  de  la  même  espèce 
animale. 

M.  le  docteur  G.  Papillault  (R.  A.  XXV  p.  35: 
Les  origines  subjectives  des  deux  grandes  théories 
évolutionnistes:  Educationnisme  et  Sélectionnisme) 
traite  les  principaux  auteurs  éducationnistes  comme 
Cabanis,  Lamarck,  tandis  que  „le  sélectionnisme  de- 
vait prendre  sa  forme  définitive  dans  l'Angleterre 
du  XIXe  siècle,  parce  qu'il  y  trouvait  réunis  tous 
les  facteurs  psycho-sociaux  nécessaires,  suivant  un 
développement  parallèle  à  celui  de  l'éducationnisme 
dans  la  France  du  XVIIIe  siècle." 

Z.  E.  XLVI  publie  des  contributions  anthropolo- 
giques de  M.  Hans  Virchow  (p.  478:  Die  Nacken- 
muskelfelder  eines  kindlichen  Schimpanse.  Av.  fig.; 
p.  504:  Halb  Schädel-  halb  Maske  eines  Negers.  Av. 
fig.;  p.  527:  Einfluss  des  Zahnmangels  auf  die  Ge- 
sichtsbildung und  auf  die  ürsprungsfelder  einiger 
Gesichtsmuskeln.  Av.  flg.);  M.  von  Luschan  (p. 480: 
Ober  das  Vorkommen  eines  Os  postmalare  beim 
Menschen.  Av.  flg.;  p.  483:  Skelett  von  Teurnia. 
Av.  flg.). 

A.A.  publie  des  observations  du  Dr.  Sergio Sergi 
(XIII  p.  358:  Die  mimischen  Gesichtsmuskeln  einer 
Mikrokephalen);  du  Dr.  Th.  Mollison  (XIII  p.  388: 
Zur  Beurteilung  des  Gehirnreichtums  der  Primaten 
nach  dem  Skelett.  Av.  flg.);  et  du  Dr.  M.  von  Feey 
(p.  342:  Die  physiologischen  und  psychologischen 
Grundlagen  der  Gevyichtsschätzung.  Av.  flg.), 

A.  XXV  publie  des  observations  du  Dr.  Nello 
PücciONi  (p.  291  :  Morphologie  du  maxillaire  inférieur); 
et  de  M.  L.  Testut  (XXV  p.  323 ,  477  :  Dissection 
d'un  imbécille). 

M.  le   docteur  Paul  Godin   (A.  I.  XLIV  p.  295) 


traite  des  lois  de  croissance,  „auxquelles  m'ont  con- 
duit mes  recherches  sur  la  croissance  des  diverses 
parties  du  corps." 

M.  Ebnsï  Wähle  (A.A.  XIII  p. 404:  Urwald  und 
offenes  Land  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Kultur- 
entwicklung) et  M.  le  Dr.  Franz  Ahbendts  (Korr. 
A.  G.  XLV  p.  73:  Siedelungen  und  Verkehr  in  der 
Vorzeit)  donnent  des  études  d'anthropogéographie. 

Mad.  Elsie  Clews  Parsons  (Am.  A.  XVII  p.  41: 
Links  between  Religion  and  Morality  in  Early  Cul- 
ture) traite  des  relations  entre  la  religion  et  la 
moralité. 

M.  Charles  Peabody  (Am.  A.  XVII  p.  143:  Cer- 
tain Further  Experiments  in  Synaesthesia)  publie 
des  réponses  à  un  questionnaire  sur  l'étude  infantile. 

A.  G.  Wien  XLV  contient  un  discours  (p.  1)  du 
Dr.  L.  VON  Schboeder,  consacré  à  la  mémoire  de 
feu  le  baron  von  Andrian,  président  d'honneur  de 
la  Société  d'Anthropologie. 

M.  H.  Hubert  (A.  XXV  p.  845:  La  Commission 
des  monuments  historiques.  Les  projets  de  loi  sur 
les  fouilles.  La  nouvelle  loi  sur  les  monuments  his- 
toriques) publie  le  texte  de  la  nouvelle  loi  avec  de» 
observations. 

A.  XXV  contient  encore  des  observations  de  M. 
H.  Breuil  (p.  4-20:  A  propos  des  masques  quater- 
naires) à  propos  d'un  article  de  M.  Deonna,  avec 
une  réponse  de  celui-ci. 

M.  Henry  Balfoob  (A.  I.  XLIV  p.  82:  Frictional 
Firo-making  with  a  Flexible  Sawingthong.  Av.  fig.) 
publie  une  étude  d'ethnographie  comparée. 

M.  S.  Hazzledink  Warben  (A.  I.  XLIV  p.  412: 
The  Experimental  Investigation  of  Flint  Fracture 
and  its  Apphcation  to  Problems  of  Human  Imple- 
ments. Av.  pi.  et  fig.)  traite  la  question  des  éolithes 
avec  la  conclusion  qu'à  tort  on  y  a  cru  voir  des 
traces  de  l'ouvrage  humain. 

M.  F.  Schradeb  (R.  A.  XXV  p.  1:  Les  relations 
géographiques  à  travers  la  préhistoire  et  l'histoire) 
donne  un  cours  de  géographie  anthropologique. 

M.  Arthur  Keith  (A.L  XLIV  p.  12:  The  Recon- 
struction of  Fossil  Human  Skulls.  Av.  fig.)  fait  des 
observations  sur  la  crâniographie;  et  M.  le  Prof.  R. 
Neuhauss  (A.  A.  XIII  p.  835:  Die  Verwertung  pho-' 
tographischer  Reise-Aufnahmen)  traite  les  photos 
de  voyage. 


-   35  - 


EUROPE. 

M.  Haks  Menzel  (Z.  £.  XLVI  p.  205:  Die  geolo 
gische  Entwickelungsgeschicbte  der  älteren  Post- 
glazialzeit im  nördlichen  Europa  und  ihre  Beziehung 
zur  Prähistorie  ;  p.  240  :  Die  paläontologischen  Grund- 
lagen  für  die  Chronologie  des  Diluvialmenächen) 
publie  des  données  pour  la  chronologie  du  genre 
humain.  Il  compte  9400  ans  depuis  la  fin  de  la 
période  glaciale  jusqu'aujourdhui  et  donne  13500  ans 
pour  la  période  du  dégel. 

M.  W.  J.  KN0WLE8  (A.  I.  XLIV  p.  88  :  The  Anti- 
quity of  Man  in  Ireland,  being  an  Account  of  the 
Older  Series  of  Irish  Flint  Implements.  Av.  fig.) 
donne  une  contribution  à  l'archéologie  de  l'Irlande. 

M.  W.  H.  Cook  (A.  I.  XLIV  p.  212:  On  the  Dis- 
covery  of  a  Human  Skeleton  in  a  Brick-earth  De- 
posit in  the  Valley  of  the  River  Medway  at  Hailing, 
Kent.  At.  pi.);  M.  âbtudb  Kkith  (A.  I.  XLIV  p.  228: 
Report  on  the  Human  and  Animal  Remains  found 
at  Hailing,  Kent);  MM.  C.  O.  Silioman  et  F.  Q. 
Pabsoks  (A.  I.  XLIV  p.  241:  The  Cheddar  Man:  A 
Skeleton  of  late  Palaeololitic  Date.  Av.  pi.  et  flg.) 
décrivent  des  découvertes  récentes. 

Les  résultats  de  fouilles  près  d'Ipswich  font  le 
siùet  d'articles  de  M.  Rcoihald  A.  Smith  (A.  I.  XLIV 
p.  876:  Flint-finds  in  Connection  with  Sand);  et  de 
M.  A.  Ibvimo  (A.  L  XLIV  p.  386:  Some  Recent  Work 
on  Later  Quaternary  Oeology  and  Anthropology, 
with  its  Bearing  on  the  Question  of  „Pre-BouMer- 
Clay  Man"). 

M.  Maubicb  Piboutbt  (A.  XXV  p.  268.  Av.  fig.) 
décrit  des  fouilles  d'un  tumulus  de  l'Age  du  Bronze 
aux  environs  de  Salins,  Jura,  et  y  ajoute  des  ré- 
flexions sur  la  région  d'origine  de  la  métallurgie  du 
bronze. 

R.  A.  XXIV  contient  des  contributions  de  M.  A. 
DS  Mobtillet  (p.  878;  Le  dolmen  de  l'Étang-la  Ville, 
Seine-et-Oise.  Av.  flg.»;  XXV  p. 63:  Epée  en  bronie 
de  forme  insolite.  Av.  flg.;  p.  97:  Poignard  en  fer 
de  provenance  espagnole.  Av.  flg.). 

M.  Mabcelun  Boule  joint  à  son  rapport  général 
des  travaux  de  l'année  1913  (A.  XXV  p.  225)  la 
reproduction  de  dessins  trouvés  dans  la  grotte  de 
Oargas,  Hautes  Pyrénées,  sur  les  parois  delaQrotte 
de  la  Vache. 

MM.  BBBtm.  et  Obbbmaieb  (A.  XXV  p.  233:  Tra- 
vaux en  Espagne.  Av.  fig.)  décrivent  les  fouilles  du 
.Castillo",  à  Puente-Viesco,  Santander,  de  nouvelles 
grottes  ornées  de  la  région  Cantabrique,  l'exploration 
mpeatre  en  Sierra  Morena,  la  région  de  Vêlez  Blanco, 
la  prospection  entre  la  province  d'Alméria  et  la 
Sierra  Morena,  la  prospection  de  la  région  entre 
Valence,  Alicante  et  Ayora. 

M.  W.  L.  H.  DüCKWOBTH  (A.L  XLIV  p.  264:  Cave 


Exploration  at  Gibraltiu-.  Av.  flg.)  décrit  des  fouilles 
dans  la  région  de  Gibraltar. 

M.  G.  Sehgi  (A.A.  XIII  p. 309:  Die  Etrusker  und 
die  alten  Schädel  des  etruskischen  Gebietes.  Av.  flg.) 
publie  une  étude  sur  la  cràniologie  étrusque. 

A.  I.  XLIV  contient  une  contribution  archéologique 
du  Rév.  H.  J.  Dukinfield  Astlet  (p.  394  :  Notes  on 
the  Hypogeum  at  Hal-Saflieni,  Malta). 

M.  Alexander  Coülim  (Z.  V.  R.  XXXII  p.  326: 
Die  Wüstung)  donne  une  contribution  à  l'histoire 
du  droit  pénal  au  moyen  âge. 

Korr.  A.  G.  XLV  contient  des  contributions  du 
Dr.  A.  KiEKEBUscH  (p.  61:  Die  Ausstellung  der  Bûcher 
Funde  im  Märkischen  Museum  zu  Berlin  und  neue 
Beobachtungen  in  vorgeschichtlichen  Wohnstätten. 
Av.  flg.);  et  du  Dr.  K.  Classen  (p.  80:  Der  Dienst 
der  Nertbus,  die  älteste  geschichtliche  Kunde  aus 
Holstein). 

Z.  E.  XLVI  publie  un  discours  sur  quelques  fouilles 
récentes,  avec  discussion,  par  M.  Fritz  Wieoebb 
(p.  421  :  Ober  die  prähistorische  Untersuchung  einiger 
deutscher  Diluvialfundstätten);  un  discours  de  M.  A. 
KiXKEBuscH,  suivi  de  communications  nouvelles  de 
M.  H.  Grosse  (p.  438:  Die  Ausgrabungen  des  Märki- 
schen Museum  im  Jahre  1913.  Av.  flg.);  une  étude 
chronologique  de  M.  Josef  Baybb  (p.  466  :  Die  Chro- 
nologie der  diluvialen  Kulturen  und  Ablagerungen 
in  den  Alpen  und  in  Norddeutschland),  des  notices 
archéologiques  de  M.  R.  Krieo  (p.  447:  Ein  vorge- 
schichtlicher Schmelzofen.  Av.  flg.);  et  de  M.  C. 
ScHUCHHARDT  (p.  622:  Goldfund  von  Messingwerk 
bei  Eberswalde). 

M.  le  docteur  H.  Wxisobbbeb  (R.  A.  XXV  p.  77. 
Av.  flg.)  décrit  des  tombes  néolithiques  d'Alsace. 

M.  G.  Obamt  Maccubdy  (Am.  A.  XVII  p.  139: 
Intorglacial  Man  from  Ehringsdorf  near  Weimar.  Av. 
flg.)  fait  des  observations  sur  une  découverte  de 
restes  humains. 

M.  Obbbmaikb  (A.  XXV  p.  264.  Av.  flg.)  décrit 
des  fouilles  en  Bavière. 

M.  le  docteur  A.  Chbrvin  (R.  A.  XXIV  p.  402) 
pnblie  des  considérations  générales  sur  les  langues 
parlées  en  Autriche-Hongrie  par  les  différentes  nati- 
onalités. 

Z.  O.  V.  contient  des  contributions  du  Dr.  Irma 
HiPT  XX  (p.  157:  Das  alte  Lied  vom  Prinzen 
Eugen);  du  Dr.  Fr.  Dibul  (p.  160:  Füllungsmarken 
(Eichzeichen)  auf  Gelassen  aus  gebranntem  Ton); 
du  Dr.  Emil  Fischeb  (p.  165:  Flechten  und  Weben 
im  Kinderspiel  der  balkanischen  Macedowlachen. 
Av.  flg.);  de  M.  Anton  Daculeb  (p.  168:  Oberinn- 
taler und  GrOdener  Bauernhäuser.  Av.  flg.);  du  Dr. 
M.  Help  (p.  169:  Das  Faule- Weib-Singen  zu  Mareit 
im  Ridnauntal,  Tirol);  de  M.  Rudolf  Moser  (p.  171: 


-  36   - 


Das  Gruakraut  in  Niederosterreich);  de  M.  Kabl 
Rkitkkeb  (p.  175:  Wildereraberglaube  in  Obersteier- 
mark); de  M.  Anton  Dachleb  (p.  176:  Weihnachten 
und  das  Goldene  Rössl). 

M.  le  docteur  L.  K.  Moseb  (Korr.  A.G.  XLV  p.53: 
Die  Abstammung  der  Rumänen  in  Istrien  auf  Grund 
sprachlicher  Studien)  publie  une  étude  sur  la  popu- 
lation istrien  ne  d'après  Dacia  preistorica  de  M.  N. 
Densusanu. 

Le  dialecte  des  pasteurs  des  Alpes  et  du  Balkan 
fait  le  sujet  d'une  étude  du  Dr.  Emil  Fischer  (Korr. 
A.G.  XLV  p.  56:  Die  europäische  Alpen  oder  Hirten- 
sprache). 

Mad.  Beatbice  L.  Stevenson  (Am.  A.  XVII  p.  58: 
The  Gusle  Singer  and  his  Songs.  Av.  flg.)  consacre 
un  article  au  chant  populaire  des  Serbes. 

M.  le  docteur  Keum  Dbontschilow  (A.  A.  XIII 
p.  337  :  Die  Körpergrösse  der  bulgarischen  Hekruten 
und  ihre  Verteilung  in  den  einzelnen  Distrikten) 
fait  des  observations  sur  les  dimensions  du  corps 
dos  soldats  bulgares. 

M.  St.  Mladenov  (Morgenl.  LXVIII  p.  687:  Ein 
Beitrag  zum  türkischen  Sprichwörterschatz)  explique 
des  proverbes  recueillis  parmi  les  Bulgares,  avec  la 
traduction  bulgare. 

P.  U.  publie  une  analyse  des  études  sur  des  dia- 
lectes finnois,  de  M.  Airila  Mabtti  (Lautgeschicht- 
licho  Untersuchung  des  dialekts  von  Tornio)  et  de 
M.  Lorosela  Jussi  (Lautgeschichtliche  Untersuchung 
des  südösterbottnischen  dialekts;  et  une  contribution 
à  l'ethnologie  de  M.  A.  A.  Sachmatov  (Beiträge  zur 
mordwinischen  Ethnographie). 
ASIE. 

M.  JosEP  KoHLEE  (Z.  V.  R.  XXXII  p.  502)  rend 
compte  du  livre  de  M.  Aethur  Ungnad  (Babyloni- 
sche Briefe  aus  der  Zeit  der  Hammurapi-Dynastie). 

M.  Fbitz  Schiff  (A.  A.  XIII  p.  348:  Anthropolo- 
gische Untersuchungen  an  jüdischen  Kindern  in 
Jerusalem)  publie  les  résultats  de  son  enquête  à 
Jérusalem;  et  M.  le  Dr.  S.  Weissenbebg  (A.A. XIII 
p.  383:  Armenier  und  Juden),  en  remarquant  la 
ressemblance  entre  les  Juifs  et  les  Arméniens,  ac- 
cepte l'hypothèse  du  Dr.  von  Luschan  d'un  mélange 
des  deux  peuples. 

Mitt.  G.  G.  Wien  publie  une  notice  (LVIII  p.  84: 
Heidnische  Kulte  im  Kaukasus)  sur  les  restes  du 
paganisme  chez  des  tribus  du  Caucase. 

Tandis  que  M.  Risley  trouvait  dans  l'endogamie 
des  Hindous  un  gage  de  la  pureté  des  castes,  M. 
W.  Crooke  (A.  L  XLIV  p.  270:  The  Stability  of 
Caste  and  Tribal  Groups  in  India)  donne  une  quan- 
tité de  cas,  qui  ont  déterminé  un  mélange  de  races 
assez  semblable  à  celui  de  l'Europe. 

M.  Sarat  Chandba  Roy  (A.  I.  XLIV  p.  324  :  Magic 


and  Witchcraft  on  the  Chota-Nagpur  Plateau.  A  Study 
in  the  Philosophy  of  Primitive  Life)  publie  une  étude 
psychologique  sur  des  tribus  montagnardes  de  l'Inde. 

Mad.  Weiss  (Z.G.E.  1915  p.  73:  Von  0  Pien  Ting 
nach  Ma  Pien  Ting  durchs  Lololand.  Av.  pi.),  dans 
ses  notes  de  voyage ,  donne  des  détails  sur  les  Lolos 
entre  les  fleuves  Yangtse  et  Toung. 

M.  H.  Paementier  (Bull.  E.  0.  XIV  n«.  6)  publie 
une  étude  sur  l'architecture  interprétée  dans  les 
bas-reliefs  du  Cambodge. 

M.  H.  H.  van  Kol  (I.  G.  XXXVI  p.  1488:  De 
historische  verhonding  tusschen  Japan  en  Nederland) 
donne  un  exposé  historique  sur  les  relations  entre 
le  Japon  et  les  Pays-Bas. 

M.  JosEF  KoHLEB  (Z.  V.  R.  XXXII  p.  507:  Rechts- 
vergleichende Skizzen)  publie  une  notice  sur  un  livre 
de  M.  Simon  sur  les  îles  Riukiu  ou  Liou-Kiou. 

M.  W.  J.  Pebey  (A.  L  XLIV  p.  281  :  The  Orien- 
tation of  the  Dead  in  Indonesia)  publie  une  étude 
sur  les  causes  déterminant  la  position  des  cadavres, 
soit  la  face  tournée  vers  l'orient,  coutume  qu'on  a 
attribuée  au  culte  solaire,  ou  dans  une  autre  direc- 
tion, peut  être  vers  le  pays  d'origine  de  la  tribu. 

M.  le  Dr.  J.  P.  Kleiweo  de  Zwaan  (I.  G.  XXXVII 
p.  173:  De  Hond  in  het  Volksgeloof  der  Inlanders 
van  den  Indischen  Archipel)  rappeile  les  traditions 
populaires  concernant  le  chien  chez  les  tribus  de 
l'Indonésie. 

M.  D.  W.  N.  DE  BoEB  (T.  B.B.  XLVII  p.  378:  De 
Permalimsekten  van  Oeloean,  Toba  en  Habinsaran) 
publie  une  communication  sur  une  religion  nouvelle, 
fondée  parmi  les  Bataks,  curieux  mélange  de  paga- 
nisme sous  l'influence  d'idées  catholiques. 

M.  L.  VAN  VuuBEN  (I.  G.  XXXVI  p.  1533)  fait  des 
remarques  critiques  sur  le  livre  de  M.  A.  Gbübaüee 
(Unter  Kopfjägern  in  Central-Celebes.  Leipzig). 

M.  P.  A.  Mandagei,  (T.  B.  B.  XLVII  p.  194  :  Ge- 
schiedenis  van  het  Bantiksche  volk)  raconte  des  tra- 
ditions concernant  une  tribu  de  la  Minahassa,  Celebes. 
AUSTRALIE  et  OCÉANIE. 

M.  le  docteur  Rudolf  Pöch  (Studien  an  Einge- 
borenen von  Neu-Südwales  und  an  australischen 
Schädeln.  Av.  pl.  et  flg.)  publie  une  étude  crânio- 
métrique  sur  des  tribus  indigènes. 

A.  I.  XLIV  contient  des  contributions  de  Mad. 
Daisy  M.  Bates  (p.  65:  A  Few  Notes  on  Some 
South-western  Australian  Dialects);  M.  Hebbket 
Basedow  (p.  195:  Aboriginal  Rock  Carvings  of  Great 
Antiquity  in  South  Australia.  Av.  pl.)  :  MM.  Richaed 
J.  A.  Bebby,  a.  W.  D.  Robertson  et  L.  W.  G.  BIJchnkb 
(p.  122:  The  Craniometry  of  the  Tasmanian  Aboriginal): 
et  M.  Elsdon  Best  (p.  127  :  Ceremonial  Performances 
pertaining  to  Birth,  as  Performed  by  the  Maori  of 
New  Zealand  in  Past  Times). 


-   37 


If.  le  docteur  Fabio  Fbassbtto  (A.A.  XIII  p. 397: 
Ascie  litiche  di  Mangaia  con  manico  monumentale. 
At.  pi.  et  fig.)  décrit  une  hache  en  pierre,  provenant 
des  îles  Cook  près  de  la  Nouvelle  2<élande. 

M.  RonicKK  (Z.E.  XLVI  p.  .507:  Mitteilungen  über 
ethnographische  Ergebnisse  der  Kaiserin  Augusta- 
Fluss-Ezpedition.  Av.  flg.)  publie  un  rapport  sur  les 
résultats  de  l'exploration  de  la  Nouvelle  Guinée. 

H.  B.  Nkühaüss  (Z.  E.  XLVI  p.  629:  Felszeich- 
nungen auf  der  Insel  ümboi.  Av.  flg.)  décrit  des 
dessins  rupestres,  trouvés  sur  une  Ile  située  entre 
la  Nouvelle  Guinée  et  la  Nouvelle  Foméranie. 

Les  Nouvelles  Hébrides  fournissent  des  sujets  de 
communications  de  M.  Fklix  Spxibkb  (Z.  E.  XLYI 
p.  -4-56:  Forschungsreisen  in  den  Neuen  Hebriden 
1910-1912;  A.A.  XIII  p.  323:  Die  Ornamentik  von 
St.  Cruï.  Av.  flg.). 

Le  Rév.  W.  G.  Ivihs  (A.  I.  XLIV  p.  168:  Native 
Stories    from    Ulawa)  donne   la  transcription  avec 
traduction  de  contes   populaires  recueillis  sur  l'Ile 
Contrariété,  une  des  Iles  Salomon. 
AFRIQUE. 

M.  le  docteur  Karl  Wxulb  (P.  M.  LX  p.  132: 
VAlkerwanderungen  in  Afrika.  Tatsftchliches  und 
Methodisches)  publie  une  étude  sur  les  migrations 
des  peuples  en  Afrique. 

M.  O.  W.  Mdrrat  (A.  I.  XLIV  p.  397:  Hasan  and 
the  Princess)  donne  la  transcription  avec  traduction 
d'un  conte  nubien. 

M.  le  docteur  Curt  Radlaukb  (A.  A.  XIII  p.  451  : 
Anthropometrische  Studien  an  Somali,  Haschia.  Av. 
pi.  et  flg.)  publie  les  résultats  de  ses  mesuragee 
parmi  les  Somalis. 

M.  L.  BxoTTBB  (R.  A.  XXV  p.  27)  publie  l'analyse 
de  la  résine  carthaginoise  C  provenant  d'un  sarco- 
phage phénicien:  et  (p.  411)  l'analyse  dune  résine 
carthaginoise  entourant  le  corps  momifié  d'un  prêtre 
phénicien. 

Les  notes  de  voyage  de  M.  Huoo  Picard  (Z.  E. 
XLVI  p.  486:  Reise  in  Algerien,  Tunesien  und  in 
der  Sahara.  Av.  fig.)  contiennent  des  détails  ethno- 
graphiques. M.  Otto  Caisar  Abtbaubb  (p.  496:  An- 
thropologische Arbeiten  in  der  Kyrenaika)  y  joint 
des  photos  de  Beri>ère8  de  la  péninsule  Barka. 

La  communication  de  M.  Fromholz  (Z.  E.  XLVI 
p.  COl:  Steinzeitliche  Gerate  aus  der  algerischen 
Sahara)  donne  lieu  à  une  discussion  sur  l'âge  de  la 
pierre  en  Afrique. 

M.  0.  B.  M.  Flamand  (A.  XXV  p.  438:  Deux 
stations  nouvelles  de  pierres-écrites.  Av.  tig.)  décrit 
des  gravures  rupestres  découvertes  dans  le  cercle  de 
Djelfa,  Algérie. 

Les  Touareg  font  le  sujet  de  communications  de 
M.  Fb.  db  Zbitkbb  (A.I.  XLIV  p.  851:  LesToiuursg 


du  Sud.  Av.  pi.;   A.  XXV  p.  469:  Etude  anthropo- 
logique sur  les  Touareg  du  Sud). 

M.  John  Aberceomby  (A.  I.  XLIV  p.  302:  The 
Prehistoric  Pottery  of  the  Canary  Islands  and  its 
Makers.  Av.  pi.  et  fig.)  fait  des  observations  sur  la 
population  primitive  des  îles  Canaries. 

M.  E.  BOboi  (A.  A.  XIII  p.  415:  Sammlung  von 
Ewe-Sprichwörtern)  donne  la  transcription  avec  la 
traduction  et  des  notes  explicatives  de  926  proverbes 
en  cours  parmi  le  peuple  Ewe. 

M.  le  Prof.  Augustin  Kbämke  (A.A.  XIII  p.  865: 
Zwei  sehr  kleine  Pygmäenschädel  von  Neuguinea 
und  meine  Messungen  an  Buschmännern  in  Süd- 
Afrika.  Av.  flg.)  publie  des  observations  cràniométri- 
ques  sur  les  pygmées. 

AMERIQUE. 

M.  Eduabd  Stücken  (A.A.  XIII  p.  817:  Spuren 
des  .Himmelsmannes"  in  Amerika)  publie  une  étude 
d'ethnologie  comparée. 

Am.  A.  XVII  contient  des  contributions  de  M. 
MoBTKN  P.  PoRsiLD  (p.  1  :  The  Principle  of  the  Screw 
in  the  Technique  of  the  Eskimo.  Av.  pi.  et  flg.); 
M.  John  R.  Swanton  (p.  17:  Linguistic  Position  of 
the  Tribes  of  Southern  Texas  and  Northeastern 
Mexico);  M.  Thxodcob  db  Boov  (p.  69:  Potteiy  from 
certain  Caves  in  Eastern  Santo  Domingo,  West  Indies. 
Av.  pi.  et  flg.):  M.  Edward  Sapik  (p.  98:  Southern 
Paiute  and  Nahuatl,  A  Study  in  Uto-Aztekan;  p.  188: 
Algonkin  languages  of  California),  réplique  à  une 
attaque  du  Dr.  Michrlson;  Mad.  Barbaba  Fbeibe- 
Marrkco  (p.  198:  A  Note  on  Kinship  Terms  Com- 
pounded with  the  Postfix  'E  in  the  Hano  Dialect  of 
Tewa),  observations  à  propos  d'articles  de  MM.  Har- 
BiNOTOH  et  Sapib  sur  les  Tewa;  M.  Fred  H.  Sterns 
(p.  121  :  A  Stratification  of  Cultures  in  Eastern  Ne- 
braska. Av.  pi.). 

M.  £.  W.  Lbndbrs  (Z.E.  XLVI  p.  404:  Mythe  des 
,Wah-ru-hap-ah-rah"  oder  des  heiligen  Kriegskeulen- 
bfmdels.  Av.  flg.)  donne  une  contribution  à  la  my- 
thologie de  la  tribu  Winnebago  dans  l'état  de  Ne- 
braska, racontée  par  M.  Joseph  Lahèrb  de  cet  état, 
avec  lexplication  d'un  talisman. 

MM.  Junius  Henderson  et  John  Peabody  Hab- 
BiNOTON  (B.  Am.  Ethn.  Bull.  56)  publient  une  étude 
ethnologique  sur  les  Indiens  Tewa. 

MM.  O.  Enoebrand  et  I.  Kauirez  Castaûeda  (R.  A. 
XXV  p.  56)  publient  une  étude  sur  les  simples  des- 
tinés à  des  usages  médicaux  ou  superstitieux  vendus 
au  marché  de  Zumpango,  Mexique. 

M.  Neil  M.  Judd  (Am.  A.  XVII  p.  128:  The  Use 
of  Glue  Molds  in  Reproducing  Aboriginal  Monuments 
at  Quirigua,  Guatemala.  A  v.  pi.  et  flg.)  décrit  une 
méthode  de  reproduction  des  monuments. 

M.   Herxamr   von   Ihbkino  (Z.  E.  XLVI  p.  249: 


-   38   - 


Das  Alter  des  Menfechen  in  Südamerika)  'publié  une 
étude  sur  l'invasion  de  l'homme  dans  l'Amérique 
du  Sud  et  prouve  qu'ellen'a  pas  été  antérieure  à 
l'époque  pliocène. 

M.  le  docteur  Th.  Koch-Grünbebg  (A.  A.  XIII  p. 
371:  Zaubersprüche  der  Taulipang-Indianer)  donne 
une  contribution  sur  une  tribu  indienne  de  la  Guyane. 

Z.  E.  XLVI  contient  encore  des  contributions  de 


M.  A.  JaHn  (p.  267:  Parauhanos  und  Guajiros  und 
die  Pfahlbauten  am  See  von  Maracaibo.  Av.  fig.), 
avec  des  vocabulaires;  et  de  M.  Cubt  Nimüendajü 
Unkel  (p.  284:  Die  Sagen  von  der  Erschaffung  und 
Vernichtung  der  Welt  als  Religion  der  Apapocuva- 
Guarani.  Av.  flg.),  qui  a  vécu  plusieurs  années  parmi 
ces  Indiens  comme  un  d'eux. 
Zeist,  juin  1916.  G.  J.  Dozy. 


LIVRES  ET  BROCHURES.  —  BÜCHERTISCH. 


I.  J.  LoEWENTHAL,  Die  Eeligion  der  Oitalgonkin, 
Berlin,  Druck  von  W.  &  S.  Loewenthal,  1913. 

Dr.  Loewenthal,  an  able  pupil  of  Prof.  Seler's, 
has  not  only  compiled  from  authors  of  the  last  three 
centuries  all  extant  information  about  Eastern  Al- 
gonquian  beliefs  and  cults,  arranging  his  materials 
in  proper  order,  but  at  the  same  time  he  has  tried 
to  distinguish  between  genuine  Algonquian  and 
foreign  (Iroquoian,  and  indirectly  also  Mexican)  ele- 
ments, and  to  penetrate  to  the  ethnopsychical  sub- 
stratum of  the  magical  and  religious  phenomena. 
Nevertheless,  the  true  value  of  Dr.  Loewenthal's 
essay  is  chiefly  in  his  lucid  exposition  of  the  facts 
which  will  remain  facts  for  ever,  not  in  his  hypo- 
theses about  migrations  and  origins  of  religious  con- 
ceptions and  cults,  be  those  hypotheses  ever  so 
enticing.  Now,  for  example,  Freudianism  has  a  great 
influence  on  the  minds  of  students  of  individual  and 
ethnic  psychology,  but  after  a  while  perhaps  new 
psychical  facts  will  be  discovered  and  then  much  of 
what  now  seems  probable  will  have  to  be  modified 
as  exaggerated,  or  cast  aside  as  erroneous. 

C.  C.  Uhlenbeok. 
II.   R.  B.  DixoN   and   A.  L.  Keoebeb,    New   lin- 
guistic families  in  California  (American  Anthropologist 
N.  S.  Vol.  XV,   Lancaster  Pa.),    Published   for  the 
American  Anthropological  Association,  1913. 

Since  a  few  years  Prof.  Krokbee  and  Dr.  Dixon 
are  trying  to  reduce  the  hitherto  assumed  improb- 
able great  number  of  linguistic  stocks  in  California 
to  [a  more  moderate  number.  They  now  recognize 
a  Penutian  family,  comprising  Yokuts  (Mariposan), 
Wintun  (Copehan),  Costanoan,  Maidu  (Pujunan),  and 
Miwok  (Moquelumnan);  a  Hokan  family,  constituted 
of  Karok  (Quoratean),  Chimariko,  Shasta,  Pomo 
(Kulanapan),  Yana,  Esselen,  and  Yuman;  an  Isko- 
man  family,  consisting  of  Chumash  and  Salinan, 
and  possibly  related  to  Hokan;  a  Ritwan  family, 
comprising  Yurok  (Weitspekan)  and  Wiyot  (Wishos- 
kan).  And  then  they  continue:  „Of  the  five  [groups 
of  languages]  not  involved,  four  are  mainly  extra- 
Californian.  These  are  Shoshonean,  Washo,  Lutu-- 


ami,  and  Athabascan.  The  fifth  is  Yuki,  which 
remains  isolated.  On  this  basis  the  only  purely  or 
principally  Californian  families  would  be  five:  Penu- 
tian, Hokan,  Ritwan,  Iskoman,  and  Yuki;  and  the 
total  number  in  any  way  represented  in  the  state, 
nine,  instead  of  twenty-one.  That  this  basis  is  sound, 
and  the  probability,  as  here  outlined,  a  ceitainty, 
the  authors  hope  to  demonstrate  when  their  full 
evidence  can  be  presented." 

With  full  acknowledgment  of  Prof.  Kboeber's  and 
Dr.  Dixon's  unremitting  labour,  I  do  not  suppose 
that  this  new  classification  of  the  languages  of  Cali- 
fornia will  prove  to  be  definitive,  though  it  certainly 
advances  our  insight  in  their  mutual  relations.  Dr. 
Sapib  has  shown  already  that  Ritwan  (Wiyot  and 
Yurok)  is  genetically  related  to  the  Algonquian 
languages,  and  so  it  is  no  more  to  be  considered 
as  a  purely  or  principally  Californian  family.  Mr. 
Habrinqton  announces  that  his  study  of  Yuman 
and  Chumash  leads  him  to  believe  that  they  are 
akin  to  each  other,  and  „that  the  relationship  is 
traceable  even  in  some  of  the  more  minute  features 
of  the  structure",  which  would  result  in  merging 
Iskoman  (Chumash  and  Salinan)  into  Hokan.  And 
there  is  little  doubt  that  within  a  few  decennia 
still  other  relationships  among  the  now  assumed 
Californian  families  themselves,  and  also  between 
Californian  and  extra-Californian  famiUes  will  be 
discovered.  C.  C.  Uhlenbeok. 

III.  A.  L.  Kboebeb,  Serian,  Teqnistlatecan ,  and 
Hokan  (University  of  California  Publications  in  Ame- 
rican Archaeology  and  Ethnology,  Vol.  11,  No.  4), 
University  of  California  Press,  1915. 

In  his  well-known  work  -The  American  race" 
Brinton  classified  Seri  and  Chontal  (Tequistlatecan) 
as  members  of  the  Yuman  stock  (p.  109—113),  without 
being  able  to  give  sufficient  proofs  of  his  assertion. 
Beinton's  opinion  was  rejected  by  Hewitt  in  his 
linguistic  appendix  to  Mc  Gee's  monograph  on  the 
Seri  (Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnology 
XVII,  p.  299  sqq.).  Since  that  time  Prof.  Kroebkr 
and  Dr.  Dixon  have  merged  the  Yuman  group  into 


-  39 


the  great  Hokan  family,  comprising  also  Karok, 
Chimariko,  Shasta,  Porno,  Yana,  and  Esselen.  Now 
Prof.  Kboxbkb  tries  to  demonstrake  that  Bbinton 
was  right  in  combining  Sen  and  Chontal  with  Yuman, 
and  that  they  ought  to  be  considered  as  belonging 
to  the  Hokan  family.  He  girea  not  only  a  compar- 
ative table  of  words  from  Seri,  Cbontal,  and  Yuman 
(in  the  Mohaye  dialect),  enlarged  by  selecfefons  of 
parallel  forms  from  other  Hokan  languages,  but  he 
also  tries  to  establish  regular  sound-correspondences. 
Though  the  words  compared  in  Prof.  Kbobber's  lists 
are  not  very  numerous,  and  though  the  established 
sound-relations  are  a  little  vague  as  yet,  still  the 
eTldence  brought  forward  may  be  regarded  as  con- 
clusive for  original  genetic  unity  of  Seri,  Chontal, 
and  Yuman.  C.  C.  Uhlxnbeck. 

IV.  P.  E.  OoDDARD,  8ar»i  t«tt  (university  of 
California  Publications  in  American  Archaeology  and 
Ethnology,  Vol.  11,  N<».  8),  Berkeley,  Univei-sity  of 
California  Press,  1916. 

Among  the  Athapascan  tribes  the  Sarsi  may  claim 
a  special  interest  because  of  their  close  association 
with  an  Algonquian  people,  the  Northern  Blackfeet 
of  Albeila.  Dr.  Ooddabd'b  present  contribution  to 
the  knowledge  of  the  Sarsi  is  a  collection  of  texts 
with  literal  translations  for  the  purpose  of  furnishing 
material  for  phonetic  and  grammatical  study.  The 
texts  were  recorded  during  the  summer  of  1806. 
Dr.  OooDARD  intends  to  publish  soon  a  grammatical 
analysis  of  the  material  contained  in  the  texts.  Free 
translations  of  most  of  them  have  been  or  will  be 
published.  C.  0.  Uhlknbick. 

V.  P.  E.  GoDDABD,  c^oU  ttxta  (University  of 
California  Publications  m  American  Archaeology  and 
Ethnology,  Vol.  10,  N«.  7),  Berkeley,  university  of 
California  Press,  IQU. 

Dr.  OouDABD  baa  already  given  us  an  interesting 
account  of  the  nearly  extinguished  Chilula  Indians 
of  Morthwestem  California.  Now  he  presents  a  pretty 
cppioos  collection  of  Chilula  texts  with  interlinear 
and  free  translations.  The  differences  between  the 
Chilula  dialect  and  Hupa  are  not  very  important 

C.  C.   ÜHLIMBECK. 

VI.  E.  Sapib,  >etM  on  Chaata  Cofta  phonology  and 
morpliolofy  (Uuiversity  of  Pennsylvania  Anthropolo- 
gical Publications,  Vol.  II,  N«.  2),  Philadelphia, 
Published  by  the  university  Museum,  1914. 

While  Dr.  Sapib  was  studying  the  Takelma  language 
in  the  summer  of  1906,  he  was  living  with  a  full- 
blood  Chasta  Ckwta  Indian.  In  moments  of  leisure 
he  availed  himself  of  this  welcome  opportunity  to 
collect  some  data  on  the  Chasta  (Tosta  language, 
an  Athapascan  dialect  of  southwestern  Oregon.  Dr. 
Bapib's  grammatical  eesay,  in  which  the  phonetical 


system  and  all  parts  of  speech  of  the  language  aVe 
considered,  is  illustrated  by  a  short  text.  An  ap- 
pendix contains  a  few  words  in  the  Galice  Creek 
and  Applegate  Creek  dialects,  also  belonging  to  the 
Athapascan  family.  The  paper  is  preceded  by  a  list 
of  , Corrigenda  and  addenda  to  Takelma  texts". 

C.  C.  Uhlenbeck. 

VII.  R.  A.  Stewart  Macalisteb,  The  Langnage  of 
the  Hawar  or  Zott,  the  Homad  Smithi  of  Palestine.  London, 
Bernard  Quaritch. 

Dans  cet  ouvrage,  dont  les  parties  ont  successivement 
paru  dans  le  Journal  de  la  Gypsy  Lore  Society, 
it.  Stewart  Macalisteb  étudie  le  dialecte  parlé  dans 
une  horde  de  Tsiganes  établie  tout  près  de  Jérusalem. 
Les  textes  que  l'auteur  a  recueillis  se  composent 
d'une  centaine  d'historiettes;  ils  sont  accompagnés 
d'une  ti'aduction  anglaise,  suivis  d'un  glossaire  de 
1341  articles  et  précédés  d'une  introduction  gram- 
maticale. Le  langage  de  ces  Tsiganes  représente  donc 
le  dialecte  syrien. 

D'une  manière  générale  on  admet  que  tous  les 
dialectes,  tant  en  Asie  qu'en  Europe,  ont  une  même 
origine  (selon  M.  Finck  il  faudrait  en  excepter  le 
dialecte  arménien).  (Cependant  au  coura  de  l'histoire 
le  groupe  asiatique  s'est  distingué  nettement  du  groupe 
européen,  non  seulement  par  rapport  au  lexique 
mais  encore  par  la  stiucture.  Et  d'abord  il  y  a  dans 
tous  les  dialectes  européens  un  nombre  considérable 
de  mots  que  les  Tsiganes  ont  adoptés  lors  de  leur 
établissement  parmi  des  populations  occidentales;  ce 
sont  en  premier  lieu  des  mots  grecs.  Si,  dans  le 
dialecte  syrien,  l'absence  de  ces  mots  s'explique,  il 
n'en  est  pas  ainsi  de  l'absence  de  plusieui-s  termes 
d'origine  indienne  ou,  en  général,  asiatique,  qui, 
dans  les  dialectes  européens,  sont  usuels,  et  dont 
l'emploi  dans  le  dialecte  syrien  ne  serait  pas  éton- 
nant. Ainsi  —  pour  ne  citer  que  quelques  exemples  — 
on  ne  trouve  pas  dans  les  textes  de  Jérusalem  des 
formes  correspondant  à  anguit  (doigt),  avgin  (miel), 
bar  (pierre),  beng  (diable),  buzni  (chèvre),  caco  (vrai), 
ciriklo  (oiseau),  cor  (voleur),  devel  (dieu),  diukel 
(chien),  iv  (neige),  lil  (lettre),  maco  (poisson),  mo2  (vin), 
pair  (feuille),  rat  (seigneur),  ra/c/o  (garçon),  ruA  (arbre), 
aovnakai  (or),  éaslir  (fer),  iukar  (gentil),  triak  (sou- 
lier), vudar  (porte)  etc.  Bien  qu'il  soit  possible,  et 
même  vraisemblable,  que  les  équivalents  de  ces  mots 
se  retrouvent  dans  beaucoup  de  dialectes  asiatiques, 
il  faut  pourtant  reconnaître  que  le  langage  des  Tsi- 
ganes de  Jérusalem  les  remplace  par  d'autres  termes, 
soit  indigènes,  soit  étrangers. 

Parmi  ces  derniers  les  termes  purement  arabes 
sont  pour  la  plupart  marqués  comme  tels  dans  le 
glossaire,  tandisque  pour  d'autres  l'origine  turque 
ou  persane  est  le  plus  souvent  passée  sous  silence. 


-   40   - 


Kapi  (porte)  est  noté  comme  mot  turc,  mais  l'auteur 
n'explique  pas  par  exemple  dérmân  (médicament), 
rtim  (moitié),  kôl  (bras),  injlr  (figue),  däwai  (cha- 
meau), qui  pourtant  sont  faciles  à  reconnaître.  Nisub- 
kerär  (ériger)  est  une  locution  analogue  de  nasb 
etmek  en  turc;  dfang,  coup  de  fusil,  a  une  certaine 
ressemblance  avec  tüfenk,  fusil;  hig,  moustache, 
pourrait  bien  être  emprunté  à  hyïyq,  qui  en  turc  a 
le  même  sens.  On  pourrait  faire  d'autres  rappro- 
chements encore;  mais  beaucoup  de  mots  seront 
des  énigmes. 

Dans  ses  observations  grammaticales  l'auteur  se 
contente  d'un  exposé  purement  descriptif,  il  s'ab- 
stient d'explications  comparatives  ou  historiques. 
Parmi  les  traits  distinctifs  de  plusieurs  dialectes 
asiatiques  il  y  a  l'absence  des  occlusives  sourdes 
aspirées,  si  fréquentes  chez  les  Tsiganes  européens; 
elles  remplacent  souvent,  dans  les  mots  d'origine 
indienne,  des  sonores  aspirées,  qui,  en  Asie,  sont 
devenues  des  sonores  simples,  comme  dans  har 
(frère),  6ën  (soeur),  hdrdâ  (plein),  qui,  chez  les  oc- 
cidentaux, sont  souvent  phral,  phen,  pherdo;  ou 
dans  gäm  (soleil),  dduar  (laver),  dont  les  équivalents 
européens  sont  souvent  kham,  thow-.  Ailleurs,  kh 
européen  correspond  à  ks  sanscrit:  ici  les  dialectes 
asiatiques  ont  k,  comme  dans  iki  (oeil),  mäkilä 
(mouche);  les  formes  européennes  sont  jakh,  makhi. 
Les  sifflantes  qui  en  sanscrit  sont  s  et  f,  et  qui 
chez  les  Tsiganes  européens  sont  représentées  par 
s,  sont  dans  le  dialecte  syrien  souvent  s,  p.e.  dans 
mdnûs  (homme),  dos  (dix),  ms  (vingt),  siri  (tête), 
wars  (année),  warsindà  (pluie),  saï  (cent),  slldâ  (froid), 
etc.  On  remarquera  la  conservation  de  w  initial  dans 
wars,  warsindà,  wis,  en  regard  desquels  l'européen 
a  berS,  brisin,  bis.  De  même  dans  hast  (main),  hri 
(coeur)  une  gutturale  est  conservée'qui  se  perd'en 
Europe:  vast,  jïlo.  Ainsi  à  scr.  lohita  (rouge)  corres- 
pond en  Syrie  lûhrà,  en  Europe  Mo:  l,  issu  d'une 
dentale,  se  changé  en  r  dans  le  dialecte  syrien;  ce 
changement  se  retrouve  p.e.  dans  le  suffixe  de  la 
3ième  personne  du  sing.  prés,  ind.:  kerél:  kérar. 
Quelquefois  t  intervocalique  a  disparu  tout  à  fait, 
comme  dans  saï  (cent),  vat  (vent),  pour  lesquels 
l'européen  a  sel  (scr.  çata),  balwdl  (scr.  vdta). 

Non  moins  intéressants  que  les  changements  pho- 
nétiques sont  les  procédés  de  la  morphologie.  La 
langue  des  Tsiganes  est  en  principe  une  langue  indo- 
européenne, mais  dans  les  dialectes  de  l'Asie  occi- 
dentale la  morphologie  ne  présente  pas  toujours  un 
aspect  indo-européen  pur.  Voici  un  exemple.  La 
porte  de  la  maison  s'exprime  par  küriäk  kdpiüs. 
La  forme  kuriak  (de  kuri,  maison)  a  la  valeur  d'un 
ablatif  ou  d'un  génitif:  kuriak  signifie  de  la  mai- 
son. Or,  la  forme  dont  ce  génitif  dépend  n'est  pas 


kapi,  la  porte,  mais  kapius:  c'est-à-dire  que  le  mot 
kapi  est  pourvu  du  suffixe  pronominal  de  la  S'«"»« 
personne  du  sing.  Cette  construction  ressemble  par- 
faitement à  la  construction  turque.  Ni  en  arabe,  ni 
en  persan  on  ne  s'exprime  de  cette  manière,  et  les 
Tsiganes  d'Europe  ignorent  tout  à  fait  l'emploi  des 
formes  pronominales  comme  suffixes  possessifs. 

Toutefois,  si  la  langue  des  Tsiganes  occidentaux 
(gi'ecs,  slaves  etc.)  a  en  général  un  aspect  indo- 
européen, il  faut  pourtant  reconnaître  que,  même 
dans  ces  dialectes,  la  déclinaison  présente  une  cer- 
taine analogie  avec  la  déclinaison  dans  les  langues 
dites  agglutinantes.  Dans  le  dialecte  grec  p.  e.  l'ab- 
latif sing,  raklés-tar  est  caractérisé  par  la  même 
désinence  que  l'ablatif  plur.  raklén-dar,  comme  en 
turc  l'abl.  sing,  qouchdan  (de  qouch,  oiseau)  a  le 
même  suffixe  que  l'abl.  plur.  qouchlardan,  tandisque 
p.  e.  en  grec  la  désinence  -o?  de  frorfôç  indique  à  la 
fois  le  génitif  et  le  singulier,  et  s'oppose  au  gén. 
plur.  Troàûr.  Dans  les  dialectes  des  Tsiganes  asia- 
tiques l'indépendance  des  syllabes  désinentielles  est 
marquée  plus  fortement:  car  entre  celles-ci  et  leur 
base  d'autres  suffixes  peuvent  s'intercaler.  Ainsi  le 
datif  sing,  de  kuri  (maison,  tente)  est  küriätä,  mais 
à  notre  tente  s'exprime  par  kûriâmintà,  où, 
comme  en  turc,  le  suffixe  pronominal  précède  la 
désinence.  Le  mouchoir  est  dans  ma  poche 
se  traduit  par  tfili  éëbimmék,  où  zèb,  poche,  est  suivi 
d'abord  du  suffixe  pronominal  de  la  U^^  pers. ,  ce 
qui  fait  zèbim;  le  second  m  représente  ici  le  suffixe 
du  locatif,  et  êk  est  ce  qu'on  appelle  le  suffixe  pré- 
dicatif. 

Ceux  qui  étudient  le  dialecte  syrien  sauront  gré 
à  l'auteur  de  son  travail  considérable.  En  1890  le 
Journal  de  la  Gypsy  Lore  Society  publia  un 
„very  valuable  Syriac-Gypsy  vocabulary",  mais  qui 
n'était  que  de  deux  ou  trois  pages.  Tout  autre  est 
l'ouvrage  dont  nous  rendons  compte.  Lors  de  son 
séjour  en  Palestine  M.  Stewart  Macalistkb  a  trouvé 
parmi  les  Tsiganes  un  jeune  homme  intelligent  qui 
a  voulu  lui  servir  d'interprète,  et  qui  lui  a  fourni 
des  textes  abondants.  Ces  textes,  notés  avec  soin, 
permettront  peut-être  aux  linguistes  d'établir  les 
causes  qui  ont  déterminé  le  caractère  actuel  du 
dialecte.  a.  Kldyvkb. 

Vin.  E.  Stromer  von  Reichenbach.  Lehrbnch  dar 
Palaeoioolotfie,  H.  WirbelUere.  Leipzig/Berlin.  Teubner. 
1912. 

Der  zweite  Teil  des  bekannten  Lehrbuchs  der 
Palaeozoologie  erschien  schon  1912,  nachdem  der 
erste  bereits  1909  erschienen  war.  Mit  Vergnügen 
bin  ich  bereit,  auf  Wunsch  der  Redaktion  des  Inter- 
nationalen Archivs  für  Ethnographie  das  Buch  auch 
vom  zoologischen  Standpunkt  anzukündigen,  nachdem 


-    41    - 


dies  vom  palaeontologiscben  schon  früher  geschehen 
ist;  denn  es  ist  offenbar  nicht  weniger  für  Zoologen 
als  für  Palaeontologen  bestimmt.  Immer  enger  wird 
das  Band  zwischen  diesen  beiden  Disziplinen.  Mehr 
und  mehr  werden  die  palaeontologischen  Funde  in 
zoologische  Hand-  und  sogar  Lehrbücher  eingefloch- 
teu.  Und  zwar  werden  nicht  nur  die  wichtigsten 
fossilen  Tiere  in  zoologische  Bücher  eingereiht  wie 
das  ja  schon  längst  geschieht,  sondern  die  Funde 
werden  vergleichend-anatomisch,  phylogenetisch  und 
Tier-geographisch  verarbeitet.  Ich  brauche  nur  z.B. 
an  Weber's  vorzügliches  Lehrbuch  .Die  Säugetiere" 
zu  erinnern.  Als  Stroheb  von  Rbichenbach  den 
ereten  Teil  seines  Buches  publizieite,  gab  es  meines 
Wissens  kein  palaeontologisches  Lehrbuch,  welches 
nun  umgekehrt  so  sehr  mit  der  Vergleichenden 
Anatomie,  Phylogenie  ujb.w.  und  mit  der  Evolutions- 
lehre Rechnung  gebalten  hat.  Stbomkr  hat  mehr  als 
Jemand  vor  ihm  fortwährend  die  rezente  Tierwelt 
vor  Äugen  gehabt  und  die  Fortschritte  der  modernen 
Zoologie  in  seinem  Buche  verarbeitet.  Nun  scheint 
es  mir  sehr  erwünscht,  dass  in  gewissen  Funkten 
Einheit  komme;  so  Hndet  man  z.B.  in  den  meisten 
palaeontologischen  Lehrbüchern  noch  sehr  viel  6e> 
wicht  auf  die  Heterocerkio  gelegt,  was  nicht  in 
Einklang  mit  den  Befunde  der  Entwicklung8-0e> 
schichte  ist.  In  Stbomcb's  Buch  ist  dies  vermieden. 
Ebenso  tritt  die  Oruppe  der  „Totracorallia"  etwas 
weniger  auf  der  Vordergrund.  Leider  werden  anderer- 
seits die  „Ganoiden"  noch  als  grosse  Oruppe  .aus 
praktischen  Gründen"  beibehalten.  Dies  kommt  mir 
nicht  richtig  vor.  In  einem  Lehrbuch  soll  man  aller- 
dings etwas  konservativ  sein  und  keine  grossen 
Neuigkeiten  einführen.  Aber  einmal  wird  das  Ver- 
altete doch  unhaltbar. 

Ein  beträchtlicher  Teil  —  etwa  sechsig  Seiten  — 
sind  schliesslich  allgemeinen  palaeontologischen  Be- 
trachtungen gewidmet:  , Faunenfolge, Tiergeographie 
und  Oekologie  in  der  geologischen  Vergangenheit" 
u.  8.  w..  Besonders  lesenswerth  ist  das  Kapitel  über 
(Palaeozoologie  und  Entwicklungstheorie".  Es  ist 
denn  auch  kein  Wunder  dass  die  Zoologen  das  Lehr- 
buch der  Palaeozoologie  mit  Freuden  begrüssen. 

O.  C.  J.  VOSMABB. 

IX.  J.  W.  Fewkej:.  I  Cua  Orandl.  Ariiooâ.  Il  Anti- 
f «itiM  «f  tb«  Upp«r  Vard*  Klvcrand  Walnut  Oreek  VaUejrt , 
Ariwna.  (28t>>  Annual  Report  of  the  Bureau  of  American 
Ethnology»  Wash.  1912. 

Die  Altertümer  des  Gila- Tales  im  Süden  des  ameri- 
kanischen Staates  Arizona  sind ,  wie  im  historischen 
Teile  der  ersten  Abhandlung  ausführlich  boschrieben 
wird,  schon  seit  Jahrhunderten  bekannt  und  auch 
gelegentlich  untersucht  worden.  In  den  Wintern 
1906—1907  und  1907—1908  wurde  aber  Verfasser 
I.  A.  f.  £.    XXIII. 


durch  den  Vorstand  des  Smithonian-Instituts  mit 
der  systematischen  Ausgrabung  derselben  beauftragt 
und  konnte  er  seine  Untersuchung  nach  Wünsch 
beenden.  Sie  erstreckte  sich  über  mehrere  von 
Mauern  umgebene  Flächen,  in  welchen  sich  ver- 
schiedene, zum  Teil  noch  aufrechtstehende  Gebäude 
wie  z.  B.  Casa  Grande  befanden.  Die  meisten  wurden 
aber  bei  der  Blosslegung  als  niedrige,  meterdicke 
Ziegelmauern  entdeckt.  Diese  Komplexe  scheinen 
als  Zufluchtsorte,  Wohnungen  der  Häuptlinge  und 
Zeremonialhäuser  der  auswärts  in  fast  ganz  ver- 
schwundenen Hütten  lebenden  Ackerbauer  gedient 
zu  haben.  Von  diesen  Häusern  wurden  Pfahlenden 
in  ursprünglicher  Lage  und  verschiedene,  meist 
steinerne  Gegenstände  der  Bewohner  aufgefunden; 
dadurch  konnte  man  sich  über  ihre  Lebensweise 
orientieren  und  auch  Schlüsse  über  ihre  Verwandt- 
schaft mit  Nachbarvölkern  ziehen. 

Die  zahlreichen  hübschen  Tafeln  tragen  zum  Ver- 
ständnis des  im  Text  Gesagten  sehr  bei;  nur  ist  es 
zu  bedauern,  dass  die  Grösse  der  vielen  abgebildeten 
Gegenstände  nicht  angegeben  worden  ist. 

Erwähnung  verdient  der  Fund  eines  Priestergrabes 
mit  Totenbeigaben  und  Zeichnungen  auf  den  Krypt- 
wänden, der  Oberbleibsel  von  Adlerkäflgen  und  be- 
deutender Spuren  von  ausgebreiteten  Irrigations- 
weihern und  -Gräben. 

Auch  in  den  Niederlassungen  wie  Casa  Grande 
erlauben  die  Arten  der  ausgegrabenen  Topfscherben 
einen  besseren  Schluss  auf  Kultur  und  Verwandt- 
schaft der  ehemaligen  Bewohner  als  viele  anderen 
arcbaeologischen  Funde.  Eine  charakteristische  Ver- 
zierung leistet  hier  ebenfalls  die  besten  Dienste. 

Im  letzten  Kapitel  entwirft  Verfasser  eine  Schilder- 
ung der  mutmasfilichen  Zugrichtungen  dieser  acker- 
bauenden und  ihrer  benachbailen  Stämme.  Sie  zeigen 
viel  Ot>creinkunft  mit  denen  vom  jetzigen  Nord- 
Mexico;  durch  die  Täler  der  Verde  und  der  Tonto- 
Flüsse  scheinen  sie  auf  der  Suche  nach  bessern 
Ackern  noch  weiter  nörd-  und  östlich  gezogen  zu 
sein.  Die  zunehmende  Versalzung  ihrer  Felder  durch 
langdauernde  Irrigation  soll  vielleicht  mehr  als  die 
Anfälle  von  Feinden  oder  zunehmende  Dürre  zu 
diesen  Wanderungen  veranl.-ust  haben. 

Eine  Liste  von  mehr  als  800  in  Caea  Grande  ge- 
sammelten Gegenständen  ist  als  Appendix  zu  dieser 
Abhandlung  hinzugefügt  worden. 

Die  zweite  Abhandlung  besteht  aus  einer  Auf- 
zählung, Abbildung  und  Beschreibung  der  in  den 
benachbaiten  Verde  und  Walnut-Creek-Tälern  vor- 
kommenden Oberreste  von  menschlichen  Wohnungen 
und  Befestigungen.  Ausgrabungen  wurden  hier  nicht 
vorgeuommen  und  auch  nicht  alle  anwesenden  Ruinen 
vollständig  genannt.  Da  jedoch  die  charakteristischen 

6 


-    42    - 


betrachtet  worden  sind  und  ausserdem  die  Meinung 
des  Verfassers  über  die  daran  sich  knüpfenden  Schlüsse 
in  bezug  auf  Verwandtschaften  der  hiesigen  Stämme 
mit  denen  von  Casa  Grande,  der  Pueblo's  Apachen 
u.a.  erläutert  wird,  so  bilden  beide  Aufsätze  wert- 
volle Ergänzungen  zu  einander.  Das  Studium  der 
Walnut-Creekruinen  ist  ausserdem  an  sich  wichtig, 
da  ihnen  bis  jetzt  keine  eingehendere  Bearbeitung 
zu  Teil  geworden  ist. 

Es  handelt  sich  hier  an  erster  Stelle  um  befestigte 
Plätze  und  Gebäude  auf  den  Höhen,  zum  Zweck 
der  Verteidigung  der  in  den  Flächen  in  der  Nähe 
des  Stromes  ansässigen  ackerbauenden  Bevölkerung. 
Das  Alter  der  Ruinen  konnte  bis  jetzt  noch  nicht 
sicher  festgestellt  werden;  es  scheint  aber  nicht  sehr 
weit  zurückzureichen,  da  ^durchziehende  Missionäre 
im  achtzehnten  Jahrhundert  die  Bewohner  noch 
angetroffen  haben  müssen. 

Die  mehr  als  hundert  Tafeln,  zum  Teil  mit  ver- 
schiedenen Bildern  und  ungefähr  70  Textfiguren, 
tragen  zur  richtigen  Beurteilung  der  wichtigen  Unter- 
suchungen des  Verfassers  sehr  wesentlich  bei. 

A.   W.   NiKUWENHUIS. 

X.  NORTHCOTE  W.  Thomas.  F.  B.  A.  I.  Anthropolo- 
gical Beport  on  the  Edospeaking  peoples  of  Nigeria.  Fart  I 
Law  and  Custom,  II  Linguisties.  London  1910. 

Anthropological  Beport  on  the  Ibo-speaking  peoples 

of  Nigeria,  Fart  I.  Law  and  Cnstom.  II  Dictionary.  Ill 
Vocabularies.  London  1913. 

Diese  Werke  beziehen  sich  auf  einen  Teil  der 
Neger-Bevölkerung  im  „Central  Province"  an  beiden 
Ufern  des  britischen  Unteren  Nigers;  die  Edo- 
sprechenden  Stämme  wohnen  rechts  vom  Niger,  die 
Ibo-sprechenden  hauptsächlich  am  linken  Ufer  und 
beide  nehmen  also  den  mittleren  Teil  des  früheren 
Benin  ein.  Sie  sind  an  allen  Seiten  von  andere 
Sprachen  redenden  Völkern  umgeben.  Wie  die  Titel 
der  Bücher  schon  verraten ,  War  die  Erforschung  der 
Sprachen  und  der  Literatur  dieser  Stämme  Haupt- 
sache; Verfasser  hat  sich  aber  während  seines  Auf- 
enthaltes in  den  Jahren  1909,  1910  und  1911  nicht 
nur  mit  seinen  literarischen  Studien  befasst,  son- 
dern auch  ein  sachliches  Bild  von  den  anderen 
kulturellen  Besonderheiten  dieser  Neger  entworfen. 
Für  das  richtige  Verständnis  seiner  literarischen  Ver- 
öffentlichungen war  dies  zweifellos  angezeigt,  stellt 
den  Ethnographen  aber  in  den  Stand,  sich  die  Zu- 
samraenlebungen  einzelner  dieser  merkwürdigen 
Negerstämme  besser  zu  vergegenwärtigen. 

Im  ersten  Teil  über  die  Edo-sprechenden  Stämme 
werden  I  Language  and  People,  II  Religion  and 
Magie,  III  Marriage  and  Birth,  IV  Inheritance, 
Adoption  and  Property,  V  Law  and  VI  Kinship  in 
122  Seiten  behandelt.  Die  Beobachtungen  sind  offen- 


bar sorgfältig  mehrmals  sichergestellt  und  bilden  als 
Ganzes  eine  vertrauenswerte  Skizze  der  Kultur  dieser 
Stämme.  Die  nicht  immer  eingehenden  Schilderungen 
erhalten  dadurch  einen  besonderen  Wert,  dass  sie 
in  den  verschiedenen  Dörfern  nachgespürt  und  die 
gefundenen  Abweichungen  alle  angegeben  worden 
sind.  Der  grosse  Unterschied  zwischen  den  vielen 
Sprachen  in  denselben  Dörfern,  auf  einer  relativ 
kleinen  Oberfläche  verbreitet,  bildet  gewiss  eine 
collatérale  Erscheinung. 

Sehr  wahrscheinlich  lagen  der  Zusammenstellung 
dieses  und  des  zweiten  Werkes  an  erster  Stelle 
praktische  Zwecke  zu  Grunde,  die  bei  den  behan- 
delten Gegenständen  zweifellos  erreicht  worden  sind; 
eigentümlich  berührt  es  dabei,  dass  die  politische 
Organisation  dieser  Stämme  nur  sehr  spärlich  er- 
wähnt wurde;  jedenfalls  genügt  dieses  nicht,  um  sich 
eine  Vorstellung  von  den  Verhältnissen  auf  diesem 
Gebiet  zu  machen,  was  des  Interesses  wegen  zu 
bedauern  ist.  Bilder  sind  dem  Werke  nicht  beigefügt 
worden,  wohl  aber  eine  Karte  der  Verbreitung  der 
Edo-sprechenden  Völker. 

Der  zweite,  sprachliche  Teil  enthält  eine  ansehn- 
liche Zahl  Texte  aus  dem  Edo  selbst  und  den  ver- 
wandten Sprachen  (128  Seiten),  eine  Edo-Sprachlebre 
(12  S.),  ein  vergleichendes  Wörterbuch  (16  S.),  in 
welchem  die  Übersetzungen  von  englischen  Wörtern 
in  den  Sprachen  der  Edogruppe  aufgezeichnet  sind 
und  schliesslich  eine  Übersetzung  von  Edowörtern 
und  Ausdrücken  (60  S.). 

Die  zweite  Arbeit  über  die  Ibo-sprechenden  Völker 
wurde  nach  dem  Muster  der  vorigen  eingerichtet; 
sie  ist  aber  etwas  ausführlicher  und  illustriert,  was 
dem  Werte  des  Ganzen  zu  Gute  kommt  und  den 
Text  an  verschiedenen  Stellen  angenehm  erläutert. 

Auffalligerweise  ist  auch  hier  nur  sehr  wenig  in 
bezug  auf  Verwaltung,  Einteilung  und  Grundbesitz 
eines  Stammes  aufgenommen  worden,  wenn  auch  an 
mehreren  Stellen  Beobachtungen  auf  die  Eigenarten 
dieser  Kulturelemente  hinweisen.  Unter  den  skiz- 
zierten Zuständen  giebt  es  verschiedene,  die  unsere 
Aufmerksamkeit  sehr  verdienen;  schon  im  Anfang 
auf  Seite  15  des  ersten  Teiles,  der  der  Ethnologie 
gewidmet  ist,  fällt  uns  die  Berechnung  der  Kinder- 
sterblichkeit auf,  die  Verfasser  auf  50%  anschlägt. 
Später  werden  die  Erscheinungen  der  Reinkarnation, 
die  unter  einzelnen  Stämmen  besondere  hervortreten, 
besprochen.  Nach  der  Aussage  des  Verfassers  fand 
er  unter  den  Ibo-sprechenden  Stämmen  besondere 
wenig  Sagen  und  Erzählungen  vor;  von  ethnologi- 
schem Standpunkt  interessiert  es  uns  aber  sehr, 
dass  er  an  der  ersten  Seite  unter  „Tradition  and 
Folklore"  eine  Mythe  erwähnt,  die  die  Erklärung 


43   - 


enthält ,  wie  die  Ackerbaugewachse  aus  den  Körpern 
von  menschlichen  Wesen  entstanden  seien,  eine  Über- 
zeugung, die  auch  unter  den  ursprünglichen,  malai- 
ischen Völkern  herrscht. 

Der  zweite,  fast  400  Seiten  starke  Band,  enthält 
ein  ,English-Ibo"  und  ein  ,Ibo-Engli8h"  Wörterbuch, 
was  eine  wichtige  Vervollständigung  im  Vergleich 
zu  denen  des  ersten  Werkes  bedeutet. 

Der  dritte  Teil  von  200  Seiten  enthält  „Proverbs, 
Conversation,  Narratives,  1  bo-Vocabularies"  und  eine 
Ibo-Sprachlebre.  In  allen  diesen  Kapiteln  ist  der 
einheimische  Text  angegeben  und  darunter  buch- 
stäblich übersetzt  worden.  Nicht  nur  für  praktisch- 
politische Zwecke,  sondern  auch  für  die  Sprach- 
wiasenschaft  und  Völkerkunde  ist  dadurch  höchst 
wertvolles  Material  veröffentlicht  worden. 

A.  W.  NiBUWENHCIS. 

XI.  Fay-Coopeb  Coli.  Traditions  of  the  Tingnians. 
A  study  of  Philippine  Folk-lore.  (Field  Museum.  An- 
thropological Series.  Vol.  XIV  N».  1)  Chicago  1915. 

Während  der  R.  F.  Cummivos  Philippinen-Expe- 
dition hat  Verfasser  in  16  Monaten  91  Oberlieferungen, 
ZeremonialsprOche  und  Fabeln  unter  dem  Tinguian- 
Stamm  von  Nord-West-Luzan  gesammelt.  Zum  Teil 
an  Ort  und  Stelle,  zum  Teil  mit  Hilfe  eines  Tinguian- 
Malaien  in  Amerika  hat  er  diese  Texte  übersetzen 
können.  Diese  Obersetzungen  veröffentlicht  er  jetzt 
■US  «thnologiacben  Rücksichten  in  diesem  Band  von 
296  OkUT-Seiten. 

In  einer  Einleitung  von  32  Seiten  hat  er  die  eth- 
Dograpbiachen ,  durch  das  Studium  dieser  Erzählungen 
erhaltenen  Ergebnisse  zusammongefaast.  Bei  Acker- 
bau, Viehzucht,  Heirat  u. s. w.  sind  seit  deren  Ent- 
stehungszeit wichtige  Veränderungen  vor  sich  ge- 
gangen, woraus  abzuleiten  ist,  daes  diese  Periode 
weit  zurückliegt  und  die  Folklore  uns  auch  in  Indien 
wichtige  Schlüsse  auf  frühere,  sonst  oft  ganz  unbe- 
kannte Zuat&nde  unter  einem  Volke  gestattet 
Deshalb  ist  es  auch  besonders  wertvoll,  dass  die 
ganze  Sammlung  sich  auf  einen  einzelnen  Stamm 
baaiebt  Natürlicherweise  ist  auch  hier  in  Betracht 
ffKOgen  worden,  daae  Vermischung  mit  l>enachbarten 
Stämmen  möglich  war.  Sollte  das  Material  liiei^u  vor- 
banden sein,  so  erwartet  Verfasser  von  einem  ver- 
gleichenden Studium  mit  der  Folklore  andererStAmme 
der  Philippinen  noch  wichtigere  Ergebnisse. 

Die  31  Erzählungen  aus  der  mythischen  Vorzeit 
nehmen  weitaus  den  gröesten  Raum  (188  S.)  ein; 
sie  sind  offenbar  buchstäblich  nach  dem  Original 
übersetzt  worden,  besitzen  meistens  ein  sehr  ein- 
beiÜiehM  Gepräge  und  liefern  wohl  die  wertvollsten 
Besonderheiten  über  die  Kultur  dieses  Stammes  in 
langst  vergangenen  Zeiten.  Sehr  bezeichnend  sind 
die  Qeachicbten  88 — 11 ,  die  durch  die  Prie»terinnen 


während  bestimmter  Zeremonien  gesungen  werden; 
es  zeigt  sich,  dass  es  in  der  Tat  weniger  Beschwö- 
rungsformeln als  kleine  bezügliche  Erzählungen  sind, 
die  die  Oeister  zur  Hilfe  heranlocken  sollen.  Es 
handelt  sich  hier  also  um  dieselben  Kulturerschei- 
nungen wie  bei  anderen  ursprünglichen  malaiischen 
Stämmen.  Deshalb  besitzen  diese  literarischen  Pro- 
dukte der  Tinguian-Kultur  feste,  überlieferte  Formen 
im  Oegensatz  zu  den  anderen,  die  durch  die  Erzähler 
immer  mehr  oder  weniger  nach  ihrem  eignen  Ge- 
schmack und  Talent  geändert  werden.  In  bezug  auf 
Inhalt  reihen  sie  sich  ähnlichen  unter  anderen  Ma- 
laien an. 

Aus  literarischen  Gründen  ist  es  zu  erhoffen,  dass 
Verfasser  in  der  Lage  sein  werde,  auch  die  ursprüng- 
lichen Texte  in  der  Tinguian-Sprache  herauszugeben. 

A.  W.   NiEUWKNHUIS. 

XII.  QoBI.NEAU's  Rassenwerk.  Aktenitüeke  and  Be- 
trachtangon  tnr  Ooichioht«  und  Kritik  de«  „Etiai  lar 
l'inogalité  des  raeoa  hniaainos"  von  L.  äCHBMANN.  Fr. 
Frommans  Verlag.  Stuttgart.  M.  IO,öO. 

Durch  die  Bewunderung,  welche  er  für  die  Haupt- 
lehren der  GoBiNXAu'schen  Arbeit,  Ungleichheit  der 
menschlichen  Rassen  und  Stellung  der  Germanen 
an  der  Spitze  derselben ,  und  für  die  Persönlichkeit 
des  Grafen  Gobineau  hegte,  getrieben,  hat  Verfasser 
darüber  ein  Buch  zusammengestellt,  wie  es  wohl 
nur  selten  über  sehr  hervorragende  Gelehrten  ge- 
schrieben wird. 

Die  erste  Hälfte  von  nicht  weniger  als  296  Seiten 
sind  dem  Briefwechsel  Oobinkau's  mit  hervorragen- 
den Zeitgenossen  und  der  Kritik,  welche  an  sein 
„Essai  sur  l'inégalité  des  races  humaines"  geübt 
worden  ist,  gewidmet;  das  ganze  Material  ist  nach 
Ländern  eingeteilt  und  besprochen  worden  und  giebt 
ein  übersichtliches  Bild  von  der  Aufregung,  welche 
in  wissenschaftlichen  und  anderen  Kreisen  die  Er- 
scheinung dieses  sehr  bedeutenden  Werkes  seiner 
Zeit  verursachte.  Wer  den  Mut  hat,  diesen  ersten 
Teil  durchzuarbeiten,  wird  einen  starken  Eindruck 
von  der  Bedeutung  des  grossen  Denkers  und  seiner 
Arbeit  erhalten  und  daneben  nochmals  bestätigt  sehen, 
welchen  Schwierigkeiten  neue  Begriffe  selbst  in  einer 
sich  neu  bildenden  Wissenschaft,  wie  die  Ethnologie 
damals  war,  begegnen. 

Im  zweiten,  fast  ebenso  umfangreichen  Teil  werden 
die  Form,  der  Inhalt  und  die  äusseren  Umstände 
der  Entstehung  des  Werkes  besprochen  und  in  Be- 
ziehung mit  den  damals  herrschenden  wissenschaft- 
lichen Begriffen  in  allgemeinen  Zügen  vom  Ver- 
fasser kritisch  erörtert.  Er  zeigt  sich  dabei,  dass 
Professor  Schemann  bei  der  grossen  Verehrung  für 
seinen  wissenschaftlichen  Helden  und  bei  der  Be- 
wunderung für  sein  System  dennoch  die  Schwächen 


-   44 


beider  sehr  gut  herausfühlt.  Um  seine  Ausführungen 
nach  ihrem  Wert  schätzen  zu  können,  spürt  der 
Leser  aber  immer  wieder  das  Bedürfniss,  das  GoBi- 
NEAu'sche  Werlt  selbst  gründlich  zu  kennen. 

Für  jeden  Forscher  in  der  Entwickelung  der  Völker- 
kunde und  der  Geschichte  während  des  vorigen 
Jahrhunderts  wird  diese  Abhandlung  über  Gobineau 
ein  wichtiges  Hilfsmittel  zur  richtigen  Würdigung 
der  EoUe  dieser  hervorragenden  Persönlichkeit  auf 
den  Gebieten  der  Anthropologie,  der  Ethnologie, 
Sociologie,  Geschichte  nnd  Verwandtes  bilden  kön- 
nen. Nur  werden  ihm  nicht  Alle  den  hier  ihm 
zugeteilten  absoluten  Wert  für  die  ethnologischen 
Wissenschaften  beimessen,  ebenso  wenig  wie  sie 
das  Zutrauen  in  ein  ständiges  Steigen  der  Wichtig- 
keit seiner  Axiomen  teilen  werden. 

A.    W.   NlEUWENHÜIS. 

XIII.  H.  F.  Steensby.  Contributions  to  the  Ethnology 
and  Anthropogeography  of  the  Polar-Eskimos  (Reprinted 
from  „Meddelelser  ora  Grönland"  vol.  XXXIV) 
Copenhagen. 

Zu  den  Eskimos,  welche  bis  vor  kurzem  am  wenig- 
sten durch  höhere  Kulturen  beeinflusst  worden  sind, 
gehören  zweifellos  die  nördlichsten,  die  Etah-  oder 
Cape- York  Eskimos,  welche  abgeschieden  von  den 
anderen  die  Halbinsel  zwischen  Mellvill-Bay  und 
Kane  Basin  bewohnen.  Wie  sich  aus  ihrer  in  dieser 
Abhandlung  vorkommenden  Geschichte  ergiebt, 
haben  sie  ihre  Lebensweise  durch  Berührung  mit 
der  zivilisierten  Aussenwelt,  welche  die  Einfuhr  von 
Holz,  Eisen,  Waffen  u.  s.  w.  durch  Tausch  zur  Folge 
hatte,  erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vorigen 
Jahrhunderts  einigermassen  verändern  können,  aber 
dennoch  bis  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  ihre 
sehr  primitieve  Lebensart  grösstenteils  beibehalten. 

Im  Allgemeinen  besitzen  sie,  ihrer  Eiswüste  an- 
gemessen, eine  Kultur  wie  die  übrigen  Eskimo- 
stänime,  aber  es  fehlten  ihnen  früher  einzelne  der 
wichtigsten,  man  könnte  denken  unmissbaren  Be- 
standteile derselben,  nämlich  das  Eskimoboot  (kayak), 
und  damit  die  Möglichkeit  des  Fischens  und  der 
Jagd  auf  offener  See,  Pfeil  und  Bogen,  das  Wurf- 
brett, die  Rentierjagt,  die  Salmfischerei  und  selbst 
das  Treibholz.  Wunderbar  zeigt  es  sich  hier,  mit  wie 
wenigen  Hilfsmitteln  sich  der  Mensch  in  diesen 
Einöden  hat  behaupten  können.  Auch  tritt  die 
Eskiraokultur  von  Süd-Grönland  z.  B.  dieser  gegen- 
über als  hochentwickelt  hervor.  Jetzt  hat  die  Ver- 
breitung von  Böten,  Pfeil  und  Bogen  unter  ihnen 
(seit  +  I860)  und  die  Begegnung  mit  Europäern  und 
Amerikanern  vieles  umgestaltet. 

Es  scheint,  dass  die  bemerkenswerte  Rückständig- 
keit dieser  Stämme  von  ihrer  Herkunft  aus  dem 
Innern  des  amerikanischen  Pestlandes  und  von  den 


physischen  Verhaltnissen  ihrer  nördlichst  gelegenen 
Wohnorte  abhängig  gewesen  ist.  Natürlicherweise 
ist  gerade  deshalb  die  hier  gegebene  ausführliche 
Beschreibung  ihrer  Lebensweise  und  Hilfsmittel  in 
Verband  mit  dem  Wechsel  des  Klimas  im  Lauf  eines 
Jahres  desto  interessanter. 

Ausdrücklich  wird  hervorgehoben ,  dass  diese  Men- 
schen weder  an  Intelligenz  noch  an  Fertigkeit  den 
anderen  Eskimos  nachstehen  und  dass  gerade  sie 
den  letzten  Polarforschern  wie  Pkaby  u.a.  nicht  zu 
ersetzende,  wichtige  Dienste  geleistet  haben. 

Weil  der  Verfasser  nicht  nur  seine  eigenen  For- 
schungsergebnisse unter  diesen  Etaeskimos  ausge- 
arbeitet, sondern  dabei  auch  die  früheren  Angaben 
über  sie  vom  Anfang  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
an  verwendet  hat,  so  besitzen  wir  in  dieser  Ab- 
handlung einen  wichtigen  zusammenfassenden  Beiti^ag 
zur  Ethnologie  dieser  besonders  bemerkenswerten 
Stämme.  Nicht  nur  an  sich  ist  Dies  von  grossem 
wissenschaftlichen  Wert;  auch  für  die  Kenntniss 
von  Kulturen  auf  niedrigster  Entwickelungsstufe  ist 
es  sehr  wichtig. 

Wie  in  so  mancher  Untereuchung  über  niedrig 
stehende  Völker  fehlt  auch  hier  leider  ein  wichtiger 
Teil  ihrer  gesellschaftlichen  Erscheinungen,  —  die 
pathologischen  Verhältnisse  unter  diesen  Menschen. 

Ihre  geringe  Zahl  wird  hier  wie  so  oft  an  erster 
Stelle  den  dürftigen  Ernährungsumständen  zuge- 
schrieben; aber  auch  diese  äussern  sich  denn  doch 
schliesslich  in  Krankheitserecheinungen,  welche 
ausserdem  auf  hygienischen  Verhältnissen  und  Ge- 
wohnheiten beruhen. 

Für  die  Zunahme  einer  Bevölkerung  siud  sie  von 
hervorragender  Wichtigkeit. 

Eine  eingehende  Betrachtung  dereelben  würde  uns 
vielleicht  auch  eine  Erklärung  dafür  gegeben  haben , 
weshalb  auch  diese  Stämme  in  den  letzten  Jahren 
so  sehr  stark  an  Zahl  abgenommen  haben,  worüber 
wir  jetzt  in  diesem  Buche  nichts  erfahren. 

A.    W.   NlEÜWENHÜIS. 

XIV.  J.  P.  Kleiwkg  de  Zwaan,  Die  Insel  Nias  bei 
Sumatra  III,  Anthropologische  Untersuchungen  über  die 
Niasser.   Maitinus  Nyhoff.    Haag  1914. 

Verlevendigd  door  1  kaart,  118  afbeeldingen,  8 
krommen  en  26  tabellen  zun  in  dit  boek  de  uitge- 
werkte  waarnemingen  vervat,  die  Dr.  Kleiwkg  de 
ZwAAN  op  zijn  onderzoekingsreis  naai-  Nias  over  de 
lichamelijke  kenmerkeu  van  deze  eilanders  kon  büeen- 
brengen.  Wilde  men  het  meest  kenmerkende  van 
dezen  doorwrochten  arbeid  aangeven,  dan  zouden 
daarvoor  de  26  tabellen  der  lichaamsmaten  van  1298 
Personen,  die  ieder  44  kenmerken,  dus  gezamenluk 
57000  in  gefallen  opleverden,  op  den  voorgrond  ge- 
plaatst  kunnen  worden.  Inderdaad,  de  sterkste  indrak, 


-  45  - 


dien  men  na  de  lazing  behoudt,  is  wel  deze:  wat 
heeft  de  schrvJTer  zieh  een  moeite  getroost,  om  zijn 
belangrük,  maar  niet  altüd  aantrekkelük  niateriaal 
door  rationeele  en  veelzijdige  bewerkingtotzün  reclit 
te  doen  komen.  Hoewel  zieh  verheugende  in  daar- 
Toor  bijzonder  gunstige  omstandigheden ,  heeft  htj 
toch  een  mate  van  belangstelling  en  doorzettings» 
vermögen  bü  het  berekenen  en  uitgeven  dier  tal- 
looze  cyfere  aan  den  dag  gelegd,  die  niet  alledaagsch 
is.  Hetzelfde  kan  gexegd  worden  over  het  gebniik, 
dat  van  de  literatuur  gemaakt:  deze  werd  daarvoor 
uitvoerig  nagegaan  en  aangewend.  Door  deze  eigen- 
schappen  kan  ook  van  dit  boek  over  Nias  getuigd 
worden,  dat  het  onder  die  over  den  Oost-Indischen 
Archipel  eenig  in  zun  soort  is.  De  waarde  van  het 
boek  wordt  nog  vermeerderd  door  de  uitgebreide 
kennis,  die  de  beer  db  Zwaan  van  de  Menang- 
kabauers  bezit,  zoodat  by  met  zaakkennis  een  ver- 
geiyking  tusschen  dezen  twee  Maleische  volken  heeft 
kunnen  maken. 

Wat  den  inhoud  van  dit  boek  belreft,  die  is  ver- 
deeld  over  achttien  hoofdstukken,  in  ieder  van  welke 
een  afzonderiyke  groep  büzonderheden  aangaande 
liet  voik  als  geheel  en  byzondere  personen  beliandeid 
wordt:  by  v.:  !<>.  overlevêringen  omirent  de  afstam- 
ning  der  Niaasers;  2^.  vroegere  wetenschappeiyke 
uitspraken  daaromtrent:  8".  algeroeene  beschryving 
der  lichaamsvonnen  ;  40.  eigen  onderzoekingen  over 
uiteriyke  lichaamskenmerken  :  5o.  dactyloscopie  ;  6f. 
oogen  en  beharing;  TO.  afmetingen  van  het  hoofd; 
8i>.  bespreking  der  lichaamsmaten  enz.. 

Hoofdstuk  U  verdient  byzondere  vernielding,  daar 
hierin  besproken  worden  de  vervaardigingswyze  en 
de  eigenschappen  der  gipaniasken ,  die  Dr.  di  Zwaan 
ook  nu  weer  ten  getale  van  64  heeft  woten  te  maken. 
Deze  zun  op  11  platen  aan  het  einde  afgebeeld  en 
getuigen  van  de  voortreflTeiyke  wyze,  waarop  men 
hier  een  en  ander  niet  te  bereiken  juisten  indruk 
van  dezen  volkstam  verkrygen  kan. 

In  dasen  zelfden  gedachtengang  en  vooral  by  een 
werk,  waaraan  zooveel  zorgen  ter  wille  van  het 
wetenschappeiyk  reeultaat  besteed  syn,  mögen  de 
af  beeldingen  naar  pbotograpbieche  opnamen  nog  wel 
ter  aprake  worden  gebracht.  Er  zyn  er  niot  minder 
dan  118,  alle  in  autotypie.  Deze  voldoen  voor  een 
gedeelte  aan  de  behoefte  tot  illustreering  van  alge- 
meene  lichaamskenmerken,  voor  een  ander  deel  zyn 
tJi  daarvoor  geheel  onvoldoende.  Dit  ligt  gedeelteiyk 
aan  het  te  kleine  formaat,  vooral  van  verscheiden 
groepen,  verder  aan  het  te  grove  raster,  dat  voor 
de  vervaardiging  gebruikt  is  en  ten  slotte  daaraan , 
dat  zy  alle  in  den  tekst  gedrukt  zyn.  Zooais  in  den 
aanhef  reeda  gezegd  werd,  de  vele  plaatjes  dragen 
zeker  tot  aardige  opsiering  van  het  boek  by,  maar 


bedenkt  men,  boeveel  wetenschappelüke  byzonder- 
heden  er  op  die  manier  verloren  gaan,  dan  kan  men 
zulks  slechts  betreuren. 

Een  eigenaardige  kyk  op  de  omstandigheden,  waar- 
onder  Dr.  dk  Zwaan  moest  werken,  verkrügt  men 
door  de  afwezigheid  van  vrouwen  onder  de  1298 
mannen,  die  door  hem  anthropologisch  onderzocht 
konden  worden.  Daarom  worden  de  vrouwen  slechts 
bebandeld  voor  zoover  van  haar  zichtbare  kenmeiken 
konden  worden  vermeld. 

By  het  uitwerken  zyner  gegevens  moet  het  voor 
den  sehryver  weinig  opwekkend  geweest  zyn,  niet 
meer  positieve  uitkomsten  van  wyder  strekking  te 
kunnen  vaststellen,  dan  hier  het  geval  is.  Zonder 
twyfel  is  het  op  zichzelf  reeds  aantrekkeiyk  en  weten- 
schappeiyk van  gewicht,  de  uitkomsten  zyner  waar- 
nemingen  in  goed  omschreven  vorm  voor  zieh  te 
zien.  De  ondei'zoekingen  hebben  echter  ten  dool, 
een  beter  inzicht  in  de  anthropologische  verhoudin- 
gen  onder  de  behandelde  volkstammeu  zolf  en  in 
hun  Stelling  tegenover  andere  te  verkrtjgen.  Dit  nu 
is  slechts  tot  op  zekere  hoogte  hier  bereikt  kunnen 
worden:  vaststaande  besluiten  daaromtrent  kon  de 
beer  db  Zwaan  zelfs  slechts  enkele  trekken.  In  dat 
opzicht  zyn  zyn  uitkomsten  te  vergeiyken  met  die 
der  geheele  physische  anthropologie,  wier  aanvan- 
keiyke,  meer  algemeene  uitspraken  by  uitgebreidor 
en  dieper  onderzoek  minder  en  minder  als  goldig 
bleken  gehandhaafd  te  kunnen  worden. 

A.   W.   NlEÜWENHÜIS. 

XV.  N.  Adbiani  en  A.  C.  Kruyt.  De  Baréaipra- 
ktnda  Toradjk'i  vsn  Kiddra-CalabM,  III.  Taal-  an  letter- 
kandige  SchaU  dar  Barea'tsAl  an  ovarxieht  van  hat  tutl- 
gabiad  Calabaa    —   Zaid-Hklmaheira, 

(Sprachliche-  und  Literarische  Skizze  der  Barée- 
Spracbe  und  Obersicht  des  Sprachgebietes  von  Celebes 
bis  SOd-Halmaheira).  Hit  einer  Sprachkarte.  Batavia 
19U. 

Als  dritter  und  letzter  Teil  dieses  gediegenen 
Werkes  über  Mittel-Celebes  ist  Jetzt  diese  Abhandlung 
über  die  Sprachen  von  Ost-Mittel-Celebes  und  den 
Nachbargebieten  erschienen.  Sie  bildet  das  Resultat 
der  jahrelangen  Forschung  des  Herrn  Dr.  N.  Adriani, 
der  sich  im  Jahre  1894  unmittelbar  nach  seiner 
Promotion  zum  Doktor  der  indonesischen  Sprachen 
zum  Zweck  einer  Bibelübersetzung  und  der  dazu 
nötigen  Vorarl>eiten  in  Mittel-Celebes  ansiedelte. 
Unter  lebhafter  Teilnahme  an  der  von  Herrn  Dr. 
A.  C.  Krdyt  am  Possosee  geleiteten  Missionsarbeit 
hat  er  sich  seitdem  mit  Talent  seiner  Aufgabe 
gewidmet. 

Im  Lauf  der  Jahre  sind  schon  eine  Menge  lite- 
rarische Veröffentlichungen  aus  diesem  Gebiet  von 
seiner  Hand  erschienen;  in  das  jetzt  vorliegende  Werk, 


-   46 


das  eine  überaus  grosse  Sammlung  von  literarischen 
Produkten  der  Toradja  und  allgemeiner  gehaltenen 
Angaben  über  weiter  östliche  Sprachen  mitsammt 
der  Resultate  seiner  bezüglichen  Studien  enthält,  sind 
jene  aber  nicht  wieder  aufgenommen  worden;  nur 
wird  an  mehreren  Stellen  mit  Angabe  der  Titel  u.s.w. 
danach  verwiesen.  Dennoch  umfasst  dieser  stattliche 
Band  mehr  ais  700  Seiten  und  legt  also  ein  sprechendes 
Zeugnis  für  die  Menge  des  gesammelten  und,  wie 
der  Inhalt  zeigt,  sehr  eingehend  durchgearbeiteten 
Materials  ab. 

Verfasser  hat  sich  nicht  auf  sein  eigenes  Studium- 
gebiet beschränkt,  sondern  auch  die  in  der  Literatur 
schon  bekannten  oder  auf  seine  Anfrage  von  vielen 
Beamten  und  Offizieren  gesammelten  sprachlichen 
Daten  berücksichtigt.  Dadurch  gibt  dieses  "Werk 
den  jetzigen  Stand  unserer  Kenntnisse  von  dem 
indonesischen  Sprachgebiet  östlich  von  der  Insel 
Borneo  an.  Natürlicherweise  ist  dabei  vieles  aus 
Mangel  an  gutem  ßeobachtungsmaterial  lückenhaft 
geblieben;  einem  sehr  geschulten  Literaturen,  wie 
Verfasser,  bot  das  ihm  Bekannte  jedoch  manches, 
woraus  er  wenigstens  fundamenteile  Schlüsse  ziehen 
konnte.  Dieses  wird  am  besten  durch  die  beigegebene 
Sprachkarte  der  Insel  Celebes,  in  welcher  die  Ver- 
breitungsgebiete von  etwa  50  einheimischen  Sprachen 
angegeben  worden  sind,  bewiesen.  Seine  Betracht- 
ungen über  Dr.  Brandes'  Sprachgrenze  im  Malaiischen 
Archipel  zeigen  uns  ausserdem,  über  wie  viel  grös- 
seres Material  er  jetzt  verfügte  als  jener  im  Jahre 
1884. 

Weitaus  der  umfangreichste  Teil  des  Buches  ist 
der  Bare'e- Sprache  an  sich  gewidmet;  die  erste  Hälfte 
bezieht  sich  auf  ihre  sprachlichen  Eigentümlichkeiten 
und  ihr  Verhältnis  zu  den  Nachbargebietsn  ;  die 
zweite  auf  die  Literatur  der  Bare'e-Sprache. 

In  einer  ethnographischen  Zeitschrift  wie  diese 
ist  man  zu  einer  Besprechung  der  letzten  Hälfte 
am  ehesten  geneigt;  die  Wichtigkeit  des  hier  Ge- 
botenen zwingt  uns  in  diesem  beschränkten  Raum 
ausserdem,  nur  diese  zu  behandeln. 

Unsere  Bewunderung  für  das  Sammeltalent  des 
Verfassers  und  seine  vorzügliche  Bearbeitung  bei 
Seite  lassend,  fällt  es  an  erster  Stelle  auf,  welch 
eine  ausgebreitete  Literatur  primitive  malaiische 
Stämme  wie  diese  Toradja  besitzen.  Dr.  Adriani 
erwähnt,  dass  er  schon  ungefähr  300  Prosastücke 
nebst  einer  Menge  Poesie  früher  veröffentlicht  oder 
hier  aufgenommen  hat.  Da  die  Toradja  weder  lesen 
noch  schreiben  können,  sind  diese  alle  durch  münd- 
liche Überlieferung  in  der  Literatur  der  Stämme 
bestehen  geblieben. 

Die  meiste  Proza  besteht  aus  Erzählungen  ver- 
schiedenster Art,  wie  man  sie  auch  von  anderen 


Malaien,  wenn  auch  nicht  in  so  grosser  Zahl  kennt 
Tieren  (hier  an  erster  Stelle  dem  Gespenstaffen,  Tar- 
sius  spectrum),  Geistern  und  Göttern,  Riesen,  auch 
Kopfjägern  kommt  in  diesen  Geschichten  die  Haupt- 
rolle zu.  Diese  Prosastücke  dienen  den  Toradja  in 
bestimmter  Jahreszeit  zur  Unterhaltung.  Eigentüm- 
licherweise ist  diese  nur  während  der  Erntezeit 
erlaubt,  sonst  verboten;  weniger  strenge  Leute  er- 
lauben sich  diesen  Zeitvertreib  bis  zum  Anfang  der 
nächsten  Ackerbauarbeiten.  Demnach  dauert  diese 
Periode  3  oder  5  Monate. 

Bei  der  Behandlung  der  vielen  Prosastücke  hat 
Verfasser  den  Inhalt  im  Niederländischen  angegeben, 
den  Toradjatext,  der  sich  im  Mundo  eines  jeden 
Erzählers  ändert,  aber  weggelassen;  nebenher  hat 
er  sich  ausführlich  über  manche  ethnographischen 
und  soziologischen  Besonderheiten  ausgesprochen. 
Zum  Studium  der  Psychologie  dieser  Stämme,  ihrer 
Überzeugungswelt  und  gesellschaftlichen  Einricht- 
ungen erhalten  wir  dadurch  ein  sehr  wertvolles 
Arbeitsfeld. 

Dies  gilt  ebenfalls  von  der  poetischen  Literatur; 
Verfasser  hat  sich  aber  bestrebt,  die  Toradjatexte 
nebst  Übersetzung  des  Inhalts  zu  veröffentlichen. 
Wenn  auch  diese  Texte  'im  Munde  verschiedener 
Männer  und  Frauen  Abweichungen,  oft  selbst 
ziemlich  grosse,  aufweisen,  so  war  es  doch  leichter, 
hier  einen  Normaltext  anzugeben.  Die  poetischen 
Litaneien,  die  bei  der  Religion  so  viel  Verwendung 
finden,  sind  auch  ziemlich  fest  in  Form,  nur  sehr 
wechselnd  in  Vollständigkeit. 

Über  die  erforderlichen  Eigenschaften  eines  Toradja- 
gedichtes  äussert  sich  Verfasser  folgendermassen  : 

Der  Rythmus  ist  die  erete  Anforderung,  der  ein 
Gedicht  der  Toradja  genügen  muss.  Alle  poetischen 
Erzeugnisse  müssen  sich  für  den  rythmischen  Vor- 
trag eignen;  die  Vorstellung,  dass  man  Poesie  für 
sich  geniessen  könne,  ist  den  Toradja  ganz  fremd. 
Ein  Fehler  im  Rythmus  wird  daher  von  den  takt- 
festen Toradja  sofort  bemerkt.  Poesie  wird  meistens 
singend  vorgetragen ,  aber  Recitativ  und  Gesang  sind 
noch  nicht  geschieden;  Melodien  ohne  Worte  kennt 
man  nicht.  Der  Rythmus  ist  daher  ebenso  sehr  die 
Seele  des  gesungenen  Vortrags  als  des  Vortrags 
ohne  Gesang. 

Das  Versmass  der  Gedichte  hat  im  allgemeinen 
einen  trochäischen  Charakter.  Das  wundert  uns  nicht 
bei  einer  Sprache  wie  das  Bare'e,  das  zweisilbige 
Stammwörter  so  stark  bevorzugt,  dass  es  keine 
anderen  einsilbigen  Wörter  kennt  als  pro-  und  en- 
klitische, die,  wenn  sie  ab  und  zu  selbständig  vor- 
kommen, stets  zu  zwei  Rylben  ausgedehnt  werden. 
Da  die  Betonung  im  allgemeinen  auf  die  vorletzte 
Sylbe  fällt,  bildet  jedes  Stammwort  rythmisch  einen 


—   47    - 


TrocbAus.  Dies  vorleiht  dem  Rythmus  der  Bare'e- 
Poesie  den  obenerwähnten  Charakter. 

Dass  auch  andere  Masse  vorkommen,  wird  sich 
bei  der  Behandlung  der  verschiedenen  Dichtarten 
zur  Genüge  ergeben,  sie  bleiben  jedoch  stets  in  der 
Minderheit. 

Die  zweite  Anforderung  ist  die  des  Reims.  Dieser 
ist  aber  nicht  für  alle  Dichtarten  notwendig.  In  der 
raego-  und  in  der  «ourafce- Poesie ,  im  dulua-  und 
im  (engke-^ang  ist  meistens  kein  Reim  zu  bemerken, 
auch  bei  anderen  Gesängen  fehlt  er  bisweilen.  Aber 
die  kajori-  und  boiingioni-Poesie  bedingt  den  Reim 
und  diese  Dichtarten  sind  die  populärsten. 

Eine  viel  weniger  strenge  Anforderung,  als  die 
beiden  vorhergehenden,  ist  der  Parallelismus.  Man 
bedient  sich  hauptsächlich  in  der  religiösen  Poesie 
des  Parallelismus.  In  den  wuroÄs-Gesängen  ist  er 
entachleden  Regel;  auch  in  den  tengke-  und  pompe- 
Mofa-Gesftngen  kommt  er  häufig  vor.  Er  dient  also 
an  erster  Stelle,  um  dem  Satz  einen  Rythmus  zu 
verleihen,  indem  die  Sätze  länger  und  schwerer 
werden  und  ganz  im  Oleichgewicht  bleiben.  Jedoch 
auch  bei  der  leichteren  Poesie  tritt  nicht  selten 
PantUelismuB  auf.  Hier  hat  er  jedoch  den  Zweck, 
dem  Dichter  Gelegenheit  zu  geben,  seine  Sprach- 
kenntnisse zu  beweisen,  da  der  Paralleleatz  aus 
WechaelwOrtern  der  Ausdrücke  aus  dem  ersten 
Sftts  bestehen  muss.  Diese  aus  dem  gebräuchlichen 
Vorrat  zu  wählen  oder  aus  den  weniger  bekannten 


Synoniemen  der  Priestereprache  oder  aus  einer  der 
Nachbarsprachen  der  Bare'e,  die  ihm  bekannt  ist, 
oder  nach  eigener  Ei"findung  Umschreibungen  und 
Sprachbilder  zu  formen,  ist  für  einen  geübten 
Toraclja-Sprachkünstler  eine  dankbare  Arbeit,  denn 
solche  Beweise  von  Gabe  wissen  die  Zuhörer  sehr 
zu  schätzen. 

Wie  vielseitig  diese  doch  so  wenig  entwickelten 
Toradjastämme  die  Poesie  anzuwenden  lieben,  zeigen 
die  vielen  Gruppen  von  Verfassers  Einteilung.  Er 
untei-scheidet  unter  I  literarische  Poesie  6  Gruppen, 
unter  II  Tanzpoesie  1  Gruppe,  unter  III  Kriegs- 
poesie  2  Gruppen,  unter  IV  religiöse  Poesie  4  Gruppen 
und  unter  V  Kinderpoesie  2  Gruppen.  Sie  werden 
alle  in  ungefähr  250  Seiten  mit  vielen  Beispielen 
behandelt.  Es  sind  wohl  wenig  schriftlose  Völker 
in  ihren  literarischen  Produkten  so  eingehend  er- 
forscht worden,  wie  diese  Toradja  von  Herrn  Dr. 
Adrian'i.  Hat  Verfasser  dadurch  ein  beredtes  Zeugnis 
für  ihre  geistige  Lebhaftigkeit  und  Leistungsfähigkeit 
abgelegt,  so  gewinnen  wir  zu  gleicher  Zeit  die 
erhebende  Oberzeugung,  dass  er  mit  grosser  Men- 
schenliebe und  ernstem  Pflichtgefühl  wfihrend  diesen 
langen  Jahren  erfüllt  gewesen  sein  muss,  um  die 
überaus  gro«sen  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Voll- 
endung eines  solchen  Werkes  entgegen  setzten, 
überwinden  zu  können. 

A.   W.  NlBÜWBNUÜIS. 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOGR.  Bd.  XXIII. 


TAF.  I. 


Litauische  Musikinstrumente.  S.  1—8. 


u. 

< 


X 
X 


z 

r 

H 
u 


Z 

u 

< 


•n 
ai 

o^ 

(/) 

c 
w 
M 

c 

3 
C 


(2 


< 
I- 


X 
X 

s 

ai 

8 

z 

r 
I- 

UJ 


r 
u 

< 

h-" 

Z 


a 


œ 


Ö 


u 

c 

3 
C 


< 
I- 


hm-  '" 

'■S^t^- 

>* 

y 

/* 

4 

^''w^ 

JL.» 


Utif 


^M 


-X* 


m4« 


V  •  • 


.\\v' 


k 

^* 

y 

"**     \^x& 

P'-^ 

~S,3^^ 

M 

^1^^. 

À 

m 

o 


c 
c 

3 
C 


X 

u 
oc 

< 


n 


X 
X 

2 

o: 

O 
O 

z 
r 

H 
u 


/-^: 


^Y 


^^r 


■^ 


F«% 


^Js3ï 


L<« 


o« 


?•»!' 


V_« 


CQ 


=  l 


-jV 


tu 

< 


I  f 


X 
X 

S 

aè 

8 

z 

X 


< 

Z 


«s 

00 


c 


c 


c 

X) 


u. 


oa 


u. 

< 

H- 


z 

X 


X 

u 

< 


in 

o 

00 

u 

■c 


at 

c 

3 
C 


03 


< 


X 

X 

2 


z 
z 

H 
u 


Z 

u 

02 


c 


c 


c2 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOGR.  Bd.  XXIII. 


TAP.  VIII. 


Balinesische  Farbenzeichnungen.  S.  14.    Serie  1865/27. 


X 
X 

s 

oc 

8 

z 

r 

lU 

± 
u 


•o 

00 


c>5 


B 
V 

c 

3 
C 

x: 


es 


ca 


< 


X 

S 

O 

o 
z 
r 
I- 
u 


Z 

u 

< 


■'"'."«^ —        "■■'5Bi 

^  " 

>•  ^^-^  >• 

^   -^^  J^ 

It    ^j.yAki'^r.^f^Là/iU^SM  m^ 

^B^^^^^^                 .k^K.    ^ft2^MP\  ^M^l 

^'xr:«:^^'.^^.   '  A. 

'^^^^Sfi^^^ 

^^^^L*^^^^^.          d^^A     ^^^^^K    y  *'Vy^^l 

f  ''^ 

ife^v^  ^ 

ï'mm 

^^^^"'^^^8 

i  >'     Ê 

^     -^^   ^  ~     ^^^^NèàB^^>j> 

^^#         ^*^Rfî 

^ii^^^  -^^j^^Ê^^^M 

if    ^^ 

^     f           -<•      ^^^ 

|||n^^^^^  ^N|^^\Scj^^^/^ 

/       4-' 

^2«^^R^1| 

.      '  A 

S^^^s\l       s>'?     ^b«^'' 

B^^v  mP^^B^^X]^^^^  >HI 

>*    *'^ 

MQ-y^V     t.    -^^ 

fy^  ^^'^^^^^^^Jl^vr 

^ 

Wmifm  MM^f^^m, 

/V^*  -*-•  ^.-'îlP)  . Jbn 

î^^S 

'^Jr 

1  -*• 

^"  ^^^ 

/* 

^^Mf\ 

■  .>'m 

^^y^ 

>?    '   ^f^^Ê" 

»Lv.'"^^:^^  IH 

JV^  __,.-.— <T">-^          "f^if 

wiêÊ 

'v^^aSb^^t'^i 

wÜti^,^^-  ^Ae^^^ï  tfc^i 

^  ^^•^k 

Ir^^H&DHHi^^^^^S' 

^SS^^^^^iJn 

i    eß^i 

c*.                ^^mP*^sh^^^^^                     ^k^'V^B 

/'^ 

hx^ 

sr^iK^ 

^^f# 

gl^^jg^^^^^jMl^  ^' 

j!    >• 

J^            .      ^*.ii-^- 

JrjC^^^^^^^^SJjÉr^ 

vf'-'-^^o.-W .% 

^pp^^^^b^^^^s^il^^  ^ 

>•    >• 

■^  "J^^.]^ 

(X 


c 


ca 


< 


X 
X 

S 

oi 

8 

z 

X 


z 


00 


t/) 


C 
3 


C 
V 
S) 


CQ 


DIE  VERANLAGUNG  DER  MALAIISCHEN  VÖLKER 
DES  OST-INDISCHEN  ARCHIPELS 


VON 


Prof.  Dr.  A.  W.  NIEUWENHUIS  (Leiden). 


UI.  Das  Logische  Denken  A. 

Fortsetzung. 

Die  Geometrie. 

Wenn  wir  uns  von  den  Formen  des  Denkens,  die  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen, 
an  der  Hand  von  Prof.  Heyman's  Ausführungen  Rechenschaft  geben  wollen,  so  zeigt  sich 
Folgendes: 

Die  Geometrie  verfährt,  wie  die  Arithmetik,  im  Grossen  und  Ganzen  deduktiv,  indem 
sie  von  allgemeinsten  Grundsätzen  (Axiomen)  ausgeht,  und  ihre  Lehrsätze  als  Folgerungen 
aus  diesen  Grundsätzen  darstellt.  Über  die  Frage,  wie  viele  und  welche  Grundsätze  zur 
Begründung  der  Geometrie  erforderlich  seien,  herrscht  Streit;  jedenfalls  werden  dazu  aber 
Sätze  gerechnet  wie-  diese:  dass  eine  gerade  Linie  durch  zwei  beliebige  ihrer  Punkte  be- 
stimmt werde  und  dass  durch  einen  Punkt  ausserhalb  einer  geraden  Linie  nur  eine  derselben 
parallele  Linie  gezogen  werden  könne.  Wir  wei"den  damit  anfangen  müssen,  uns  über  die 
Natur  dieser  Grundsätze  und  der  darauf  gebauten  Beweisführung  vorläufig  zu  orientieren. 

Dass  die  geometrischen  Axiome  apriorischer  Natur  sind,  kann  nicht  bezweifelt  werden. 
Denn  apriori  heisst  „über  das  Gegelx-ne  hinausgehend";  die  geometrischen  Axiome  gehen 
af)er  offenbar  über  das  Gegebene  hinaus.  Denn  erstens  kommt  denselben  Apodikticität 
zu:  wir  sind  nicht  nur  Oberzeugt,  dass  es  keine  gerade  Linie  giebt,  welche  nicht  durch 
zwei  beliebige  ihrer  Punkte  bestimmt  wird,  sondern  wir  behaupten  auch,  dass  es  eine 
solche  nicht  geben  könne.  In  der  Erfahrung  ist  uns  aber  immer  nur  Tatsächlichkeit,  nicht 
Notwendigkeit  gegeben. 

Als  apodiktische  Sätze  haben  femer  die  geometrischen  Axiome  absolute  Allge- 
meinheit; sie  gelten  gleichmässig  fQr  Wahrgenommenes  und  Nichtwahi-genommenes,  und 
behalten  selbst  für  dasjenige,  was  infolge  zeitlicher  und  räumlicher  Entfernung,  unend- 
licher Grösse  wler  unendlicher  Kleinheit  nicht  wahrgenommen  werden  kann,  ihre  volle 
Gewissheit.  Drittens  aber  kommt  den  geometrischen  Axiomen  vollkommene  Exaktheit 
zu;  demzufolge  auch  den  daraus  abgeleiteten  quantitativen  Sätzen  absolute  Richtigkeit, 
d.  h.  Richtigkeit  bis  zu  einer  willkürlichen  Anzahl  von  Dezimalen,  zugeschrieben  wird. 
Wir  wissen  z.  B.,  dass  die  Winkelsumme  des  Dreiecks  180°  ist,  nicht  etwa  mit  einem 
möglichen  Fehler  von  einigen  Hunderteln  oder  Tausensteln  einer  Sekunde,  sondern  eben 
ohne  möglichen  Fehler,  vollkommen  genau.  Offenbar  geht  auch  in  dieser  Hinsicht  unser 
I.  A.  f.  E.  XXIII.  7 


—  52  — 

derselben  parallele  (in  der  nämlichen  Ebene  liegende   und  dieselbe   nicht  scheidende) 

Linie  konstruieren. 

Die  RiEMANN-HELMHOLTz'schen  Untersuchungen  haben  bewiesen,  dass  aus  diesen  wenigen 
Elementarüberzeugungen  die  ganze  gewaltige  Masse  des  geometrischen  Wissens  sich  aufbaut. 

Die  Frage  nach  dem  wesentlichen  Inhalte  unseres  elementaren  räumlichen  Wissens 
wäre  damit  erledigt.  Jetzt  kommt  die  andere  :  wie  die  Tatsache  dieses  Wissens  zu  erklären 
sei?  Ihren  Grund  findet  dieselbe  in  der  Einsicht,  dass  dieses  Wissen  apriorischer  Natur  ist, 
d.  h.  dass  es  über  die  gegebene  Erfahrung  hinausgeht. 

Wie  lässt  es  sich  nun  erklären,  dass  wir,  in  dem  wir  für  die  Beobachtung  der  Ver- 
hältnisse in  unserem  Räume  über  relativ  mangelhafte  Mittel  verfügen,  dennoch  für  die 
Lehrsätze  unserer  Geometrie  notwendige  und  vollkommen  exakte  Wahrheit  in  Anspruch 
nehmen?  Warum  fordern  wir  bei  einer  mathematischen  Beweisfühning  nicht  jene  peinliche 
Sorgfalt  der  Messungsmethoden,  jene  gewissenhafte  Ausschliessung  störender  Umstände, 
ohne  welche  keine  physikalische  Beweisführung  uns  überzeugen  kann?  Warum  endlich  hat 
die  mathematische  Naturwissenschaft,  welche  bei  allen  ihren  Untersuchungen  die  Gkîltung 
der  Axiome  bis  ins  Gebiet  des  unmessbar  Grossen  und  des  unmessbar  Kleinen  voraussetzt, 
niemals  das  Bedürfnis  empfunden,  sich  durch  eingehende  Messungen,  so  weit  es  möglich 
war,  von  der  Richtigkeit  dieser  Voraussetzungen  zu  überzeugen?  Es  sind  zur  Erklärung 
dieser  Besonderheiten  mehrere  Hypothesen  aufgestellt  worden;  keine  von  diesen  ist  so  gut 
im  Stande  dieselben  zu  erklären  wie  die  Hypothese  Kant's: 

Auf  obige  Fragen  lässt  sich  vielleicht  eine  Antwort  finden,  wenn  wir  uns  erinnern, 
dass  dasjenige,  was  wir  wahrnehmen,  nicht  als  identisch  mit  den  ausser  uns  existierenden 
Dingen  selbst,  sondern  nur  als  eine  Wirkung  dieser  Dinge  auf  unser  Wahrnehmungsver- 
mögen aufgefasst  werden  kann.  Für  bestimmte  Gebiete  ist  diese  Vermutung  schon  von 
der  empirischen  Naturwissenschaft  bestätigt  worden.  Dieselbe  nimmt  an,  dass  unsere 
Farben-  und  Tonempfindungen  durch  mechanische  Prozesse  in  der  Aussenwelt,  welche  also 
an  sich  mit  Ton  und  Farbe  wenig  zu  schaffen  haben,  veranlasst  werden;  dass  demnach 
jede  gegebene  Empfindung  aus  dem  Zusammenwirken  dieses  mechanischen  Reizes  mit  der 
bleibenden,  eben  auf  Ton-  und  Farbenempfindung  eingerichteten  Organisation  unseres 
Wahrnemungsvermögens  resultiert. 

Nun  ist  es  allerdings  wahr,  dass  wir  uns  des  Besitzes  einer  solchen  Erkenntnis  nicht 
klar  und  deutlich  bewusst  sind  ;  es  könnte  aber  dennoch  sein,  dass  dieselbe,  wie  so  manche 
andere  (man  denke  etwa  an  die  vielen  Momente,  die  wir  unbewusst  bei  der  Schätzung  der 
Entfernung  gesehener  Objekte  in  Anschlag  bringen),  unter  den  unbewussten  oder  halfl)*-- 
wussten  Grundlagen  des  bewussten  Denkens  eine  Rolle  spielte;  dass  also  der  Geist, 
ohne  sich  davon  mit  Worten  Rechenschaft  ablegen  zu  können,  in  der  gegebenen  Erfahrung 
den  vom  Subjekte  herrührenden  Allgemeincharakter  von  dem  spezifischen,  dem  einwir- 
kenden Objekte  zuzuschreibenden  Inhalte  zu  unterscheiden  und  diese  Unterscheidung  logisch 
zu  verwerten  vermöchte.  Dann  wäre  für  die  Existenz  apriorischer,  auf  gegebene  Erfahrung 
sich  beziehender  Gewissheit  jedenfalls  eine  Möglichkeit  der  Erklärung  gefunden;  denn  diese 
Gewissheit  liesse  sich  dann  vielleicht  so  begreifen,  dass  sie  eben  nur  jenen  vom  Subjekte 
herrührenden  Allgeraeincharakter  der  Erfahrung  beträfe.  Damit  wäre  aber  ihre  apriorische 
Natur  erklärt,  denn  alle  gegebene  Erfahrung  muss  sich  offenbar  den  Bedingungen  fügen, 
welche  in  der  Einrichtung  unseres  Wahrnehmungsvermögen  selbst  begründet  sind. 

Das  Vorhergehende  möge  dazu  dienen,   die  von  Kant  aufgestellte  Hypothese,  dass 


—  53  — 

auch  die  raumliche  Natur  der  Erscheinungen  überhaupt  zur  „Form" 
derselben  gehöre,  also  rein  subjektiven  Ursprung  sei,  zu  erläuteren.  Zur 
Begründung  dieser  Hj'pothese  werden  von  Kaxt,  ausser  der  Tatsache  der  apriorischen 
Gewissheit  der  geometrischen  Grundsätze,  noch  folgende  Erwägungen  angeführt.  Ei-stens: 
wenn  unsere  Erkenntnis  des  Raumes  aus  dem  Inhallte  der  Erfahrung  stammte,  so  müsste 
sie,  da  der  Raum  als  ein  Ganzes  sich  nicht  wahrnehmen  lässt,  aus  den  einzelnen  Raum- 
erfahrungen abstrahiert  sein.  Dann  könnten  wir  aber  den  Raum  nicht  als  einen  einzigen, 
der  alle  besonderen  Räume  in  sich  befasst,  noch  auch  als  eine  unendliche  Grösse  denken, 
denn  der  Allgemeinbegriff  befasst  niemals  seine  Exemplare  als  Teile  in  sich  und  der  aus 
verschiedenen  Grössen  abstrahierte  Begriff  kann  unmöglich  eine  bestimmte  Grösse  als 
Merkmal  in  sich  schüessen.  Sodann  hegt  aber  auch  jeder  einzelnen  Raurawahrnehmung 
schon  die  Vorstellung  des  Raumes  überhaupt  zu  Grunde;  damit  ich  etwas  räumlich  bestim- 
men kann,  muss  mir  das  Raumschema  zu  Gebote  stehen.  Demnach  kann  die  Vorstellung 
des  Raumes  nicht  aus  den  Verhältnissen  der  äusseren  Erscheinung  durch  Erfahrung  erborgt 
sein,  sondern  diese  äussere  Erfahrung  ist  selbst  nur  durch  gedachte  Vorstellung  allerei-st 
möglich. 

Zweitens  ist  der  Raum  eine  notwendige  Vorstellung.  Man  kann  sich  niemals  eine 
Vorstellung  davon  machen,  dass  kein  Raum  sei,  ob  man  sich  gleich  ganz  wohl  denken 
kann,  dass  keine  Gegenstäntle  darin  angetroffen  werden.  Auch  diese  sonst  schwer  zu 
erklärende  Tatsache  Hesse  sich  begreifen,  wenn  der  Raum  sich  zur  gesammten  äusseren 
Erfahrung  ähnlich  verhielte  wie  die  Farbe  zur  Gesichtswahrnehmung.  Kant  schliesst:  „der 
(iaum  ist  nichts  anders,  als  nur  die  Form  aller  Ei-scheinungen  äusserer  Sinne  d.  h.  die 
.subjektive  Bt>dingung  der  Sinnlichkeit,  unter  der  allein  uns  äussere  Anschauung  möglich 

ist.    Weil die   Recepti\ität  des  Subjekts,  von  Gegenständen  afflcirt  zu  werden,  noth- 

wendiger  Weise  vor  allen  Anschauungen  dieser  Objekte  vorhergeht,  so  lässt  sich  verstehen, 
wie  die  Form  aller  Erscheinungen  vor  allen  wirklichen  Wahrnehmungen,  mithin  a  priori 
im  Gemüthe  gegeben  sein  könne  und  wie  sie  als  eine  reine  Anschauung,  in  der  alle  Gegen- 
stände bestimmt  werden  müssen,  Principien  der  Verhältnisse  derselben  vor  aller  Erfahrung 
enthalten  könne." 

Die  Raumlehre  Kant's  gehört  zu  den  kühnsten  Hypothesen  aus  der  ganzen  Geschichte 
der  Wis.s«'nschaft  ;  nicht  mit  Unrecht  wurde  dieselbe  von  ihrem  Urheber  der  heliozen- 
trischen Hypothese  Copernicus'  an  die  Seite  gestellt.  Denn  genau  so  wie  diese,  erklärt 
auch  jene  das  an  bestimmten  Objekten  Wahrgenommene  dadurch,  dass  sie  es  einem  ganz 
verschiedenen  Objekte,  an  welchem  es  nicht  wahrgenommen  wird,  zuschreibt.  Genau  so 
wie  die  copemicanische,  findet  dann  auch  die  Hypothese  Kant's  ihren  schlimmsten  Feind 
in  dem  gegebenen  Sinnenschein,  welchem  sie  sich  widersetzt.  Mit  gleicher  Entrüstung 
führte  man  gegen  Kant  an:  wie,  dieser  unendliche  Raum,  der  alles  Bestehende  in  sich 
schlir^sst,  sollte  blosser  Schein  sein  und  ich,  der  ich  mich  als  ein  unendlich  kleines  Objekt 
im  Raum  kenne,  sollte  die  ganze  Vorstellung  dieses  Raumes  aus  mir  hei-vorgebracht  haben  ? 

Diesen  fast  unüberwindlichen  Sinnenschein  gilt  es  nun  vor  Allem,  durch  Hinweisung 
auf  oDaloge  Fälle  und  durch  Betonung  desjenigen,  was  die  Kantische  Hypothese  zur 
Erklärung  gegebener  Tatsachen  leisten  könnte,  seines  Gewichtes  zu  berauben.  Jenes  kann 
wieder  am  Besten  durch  die  Erinnerung  an  Farben-  und  Tonemplindungen  geschehen,  deren 
rein  subjektive  Natur  dem  unwissenschaftlichen  Denken  genau  so  widersinnig  erscheint, 
wie  die  entsprechende  Eigenschaft  der  Raumvorstellung.  Was  die  Leistungsfähigkeit  der 


—  54  — 

betreffenden  Hypothese  anbelangt,  mag  nur  bemerkt  werden,  dass  dieselbe  einzig  und 
allein  im  Stande  zu  sein  scheint,  die  seit  Jahrtausenden  feststehende  und  von  keinem 
denkenden  Menschen  bezweifelte  Evidenz  des  mathematischen  Wissens  als  eine  sachlich 
begründete  nachzuweisen.  Das  mathematische  Wissen  ist,  wie  die  Untersuchungen  Riemann's 
und  Helmholtz'  bewiesen  haben,  synthetischer  Natur;  dennoch  beansprucht  es,  wie  die 
tägliche  Erfahrung  des  Denkens  lehrt,  absolut  allgemeine,  notwendige,  exakte  Geltung. 
Wenn  es  sich  aber  auf  ein  ausser  uns  Existierendes,  also  auf  den  Inhalt  der  Erfahrung, 
beziehen  sollte,  so  müsste  es  aus  Einzelwahrnehmungen,  denen  niemals  Notwendigkeit  und 
Exaktheit  zukommt,  entstanden  sein;  es  müssten  also  aus  nicht  notwendigen  und  nicht 
exakten  Prämissen  notwendige  und  vollkommen  exakte  Schlussfolgerungen  abgeleitet  worden 
sein  und  es  ist  klar,  dass  dieses  nicht  nach  logischen  Gesetzen  hätte  stattfinden  können. 
Wenn  dagegen  die  geometrischen  Grundsätze  nur  auf  die  Rezeptivität  des  Subjekts,  also 
auf  etwas  rein  Psychisches,  sich  beziehen  sollten,  so  wäre  eine  vollkommen  genaue  Erkenntnis 
derselben  wenigstens  denkbar,  dann  aber  auch  die  Überzeugung,  dass  sie  für  alle  räumliche 
Erfahrung  notwendig  gelten  müssen,  erklärt. 

Wir  sehen  nun  wohl  ein,  dass  wenn  das  geometrische  Wissen  logisch  begründet  sein 
soll,  die  elementaren  Urteile,  welche  demselben  zu  Grunde  liegen,  nicht  auf  objektive 
sondern  auf  subjektive  Daten  sich  beziehen  müssen.  Aus  welchen  subjektiven  Daten  aber 
und  wie  aus  diesen  subjektiven  Daten  das  geometrische  Wissen  entsteht,  darüber  sagt  die 
Kantische  Lehre  nichts.  Um  sie  zum  Range  einer  der  Verifikation  fähigen  Hypothese  zu 
erheben,  müsste  derselbe  demnach  näher  präzisiert  werden. 

Vor  allem  werden  wir  zu  untersuchen  haben,  welchem  Sinne  wir  eigentlich  die  Daten 
verdanken,  welche  in  letzter  Instanz  unserer  Raumerkenntnis  zu  Grunde  liegen.  Man 
könnte  sich  veranlasst  fühlen  zu  meinen,  dass  nicht  ein  einziger  Sinn,  sondern  dass  alle 
oder  doch  mehrere  Sinne,  jeder  für  sich,  uns  räumliche  Daten  zuführen.  Ort  und  Gestalt 
wahrgenommener  oder  vermuteter  Gegenstände  beurteilen  wir  nach  Tast-,  Gesichts-,  Bewe- 
gungs-,  teilweise  auch  nach  Gehörs-  und  Geruchseindrücken.  Es  lehrt  aber  schon  eine 
oberflächliche  Erwägung,  dass  keineswegs  allen  diesen  Eindrücken  an  sich  schon  räumliche 
Bedeutung  zukommt,  sondern  dass  mindestens  einige  derselben  nur  durch  Erfahrung  und 
Association  mit  anderen  Eindrücken  für  die  Orientierung  im  Räume  Bedeutung  gewinnen. 
So  ganz  besonders  die  Gehörs-  und  Geruchseindrücke.  In  den  Daten  der  Gehörs-  und  Ge- 
ruchsempflndungen  an  und  für  sich  ist  uns  nichts  Räumliches  gegeben;  in  einem  Menschen, 
der  nur  über  Gehörs-  und  Geruchsempflndungen  verfügte,  könnte  die  Raumvorstellung 
nicht  entstehen. 

Ähnliches  scheint  von  den  Tasteindrücken,  sofern  sie  nicht  durch  Be wegungseind rücke 
unterstützt  werden,  also  von  den  reinen  Hautempfindungen,  zu  gelten.  Die  wesentlichen 
Daten,  welche  uns  mit  dem  Dasein  und  den  Eigenschaften  des  Raumes  bekannt  machen, 
werden  also  entweder  in  dem  Gebiete  der  Gesichtsempfindungen,  oder  in  demjenigen  der 
Bewegungsempfindungen,  oder  aber  in  beiden  zu  suchen  sein.  Zur  Beantwortung  der  Frage, 
welche  von  diesen  drei  Möglichkeiten  angenommen  werden  muss,  erinnern  wir  eretens  an 
die  wichtige,  schon  früher  erwähnte  Tatsache,  dass  auch  Blindgeborene  zum  vollen  Ver- 
ständnis der  Geometrie  gelangen  können. 

Aus  dieser  Tatsache  geht  hervor,  dass  jedenfalls  die  Bewegungsempfindungen  für  sich 
zur  Entstehung  und  Ausbildung  räumlichen  Wissens  die  genügenden  Daten  bieten.  Es 
bleibt  also  nur  noch  die  Frage,  ob  auch  der  Gesichtssinn  für  sich  solche  Daten  biete,  oder 


—  oo  — 

aber  ob  den  Gesichtsempfindungen  nur  durch  Association  mit  gleichzeitigen  Bewegungs- 
empfindungen das  Vermögen,  uns  über  räumliche  Verhältnisse  unterrichten  zu  können, 
zukomme. 

Es  erscheint  zunächst  als  selbstverständlich,  dass  die  Frage  bejaht  werden  müsse;  die 
unmittelbarste  Selbstbesinnung  scheint  zu  lehren,  dass  uns  die  Daten  des  Gesichtssinnes 
von  Hause  aus,  ohne  irgendwelche  associative  Verarbeitung,  in  räumlicher  Ordnung  gegeben 
seien.  Diese  Aussagen  des  unmittelbaren  Bewusstseins  sind  in  solchen  Fragen  aber  keines- 
wegs zuverlässig.  Bekannte  Erscheinungen  wie  diejenigen  des  blinden  Flecks,  das  Einfach- 
lieben  während  tatsächlich  zwei  verschiedene  Netzhautbilder  gegeben  sind,  mannigfache 
Gesichtstäuschungen  (die  scheinbare  Verwandlung  eines  geteilten  Quadrates  in  ein  Rechteck, 
das  Grössenverden  der  untergehenden  Sonne,  das  scheinbare  Konvergieren  horizontaler 
Linien,  die  durch  konvergierende  Linien  geschnitten  werden)  bieten  den  Beweis,  dass  auch 
in  dem  scheinbar  reinen  Gesichtseindruck  schon  vieles  durch  Association  modifiziert  sein 
kann.  Ähnliches  gilt  aber  auch  von  so  wesentlichen  Bestandteilen  unserer  Raumvoretellung 
wie  dreifache  Ausdehnung  und  Unbegrenztheit.  Die  elementaren  Empfindungen,  welche  als 
Kennzeichen  von  Entfernungen  in  der  dritten  Dimension  aufgefasst  werden,  sind  wie 
bekannt,  sehr  verschiedener  Art:  Bewegungsempfindungen  beim  Konvergieren  der  Augen- 
achsen und  beim  Akkomodieren,  die  scheinbare  Grösse  des  gesehenen  Objektes,  die  Ver- 
schiedenheit der  von  beiden  Augen  empfangenen  Eindrücke  u.  s.  w.  Die  Heterogenität 
dieser  Daten  unter  einander  und  eines  jeden  derselben  mit  der  im  zweiten  dimensionalen 
Gesichtsfelde  gesehenen  Entfernung,  macht  es  undenkbar,  dass  dieselben  ursprünglich  d.  h. 
also  ohne  associative  Verbindung  mit  anderen  Eindrücken  als  Zeichen  für  Entfernungen 
aufgefasst  werden  sollten  ;  und  dennoch  glauben  wir  die  Tiefendimension,  ebenso  unmittelbar 
wif  die  beiden  anderen,  durch  den  Gesichtssinn  zu  erkennen. 

Sodann  ist  uns  das  Gesichtsfeld  jedesmal  nur  als  eine  begrenzte  Fläche  gegeben;  wenn 
wir  bei  Kopf-  und  Körperbewegungen  den  Inhalt  desselben  wechseln  sehen,  so  können  wir 
diese  Erscheinung  nur  dann  als  einen  Beweis  für  die  allseitige  Ausbreitung  des  Raumes 
auffassen,  wenn  wir  schon  wissen,  was  die  gleichzeitigen  Bewegungsempfindungen  bedeuten, 
nämlich  eine  Änderung  unserer  Stellung  im  Räume.  Ohne  diese  Vorkenntnis  würde  der 
wechselnde  Inhalt  des  Gesichtsfeldes  nur  als  eine  Aufeinanderfolge  von  Erscheinungen  in 
einem  begrenzten  fzwei  dimensionalen)  Räume  aufgefasst  werden  können. 

Es  stellt  sich  also  heraus,  dass  wir  in  der  Gesichtswahrnehmung  Vieles  und  darunter 
sehr  Wesentliches,  als  unmittelbar  gegeben  auffassen,  welches  die  genauere  Analyse  als 
importierte  Waare  erkennen  lässt;  und  so  könnte  man  jedenfalls  hypothetisch  die  Frage 
aufwerfen,  ob  nicht  die  räumliche  Ordnung  der  Gesichtseindrücke  überhaupt  seine  solche 
importierte  Waare  sei.  Zur  Begründung  dieser  Hypothese  Hesse  sich  erstens  anführen,  dass 
es  jedenfalls  ein  Gebiet  (das  der  Bewegungsempfindungen)  giebt,  woher  und  einen  Weg 
(den  der  Association),  auf  welchem  der  Import  stattfinden  könnte.  Die  Annahme  einer 
ursprünglich  gegebenen  räumlichen  Ordnung  der  Gesichtseindrücke  ist  demnach  zur 
Erklärung  der  tatsächlichen  räumlichen  Auffassung  derselben  jedenfalls  unnötig.  Dass  aber 
diese  Annahme  auch  unrichtig  ist,  wird  wohl  in  entscheidender  Weise  durch  die  Beo- 
bachtungen an  operierten  Blindgeborenen  bewiesen. 

Ein  20-jähriger  Mensch  mit  beiderseitigem,  angebomem  Katarakt,  der  zwar  Licht  und 
selbst  ein  gewisses  Vermögen  für  Farbenempfindungen  besass  aber  niemals  Umrisse 
gesehen    und  keine   Kenntnis  von  der  Form  der  Körper  hatte,  konnte  nach   gelungener 


—  56  — 

Operation  die  in  einer  Ebene  gelegenen  Formen  nicht  unterscheiden.  Noch  am  dritten 
Tage  wusste  er  nicht  anzugeben,  welches  von  zwei  vorgehaltenen  Stücken  Kartonpapiers 
das  runde,  welches  das  quadratische  sei.  Auf  die  Frage,  was  rund,  was  viereckig  sei, 
führte  er  mit  den  beiden  Händen  die  entsprechenden  Bewegungen  aus. 

Nach  einiger  Zeit  lernte  er  das  rechteckige  Stück  am  Winkel,  also  dem  plötzlichen 
Richtungsunterschied  erkennen.  Auch  hatte  er  kein  Urteil  über  die  gegenseitige  Grösse 
von  zwei  gleichgestalteten  Papierstücken  ohne  den  Gebrauch  der  Hände,  ebensowenig  über 
Entfernungen.  In  diesen  Beobachtungen  finden  wir  einen  Grund,  dass  nicht  nur  die  dritte 
Dimension  und  die  Unbegrenztheit,  sondern  dass  der  räumliche  Charakter  in  den  ursprüng- 
lichen Daten  des  Gesichtssinnes  nicht  gegeben  ist.  Diejenigen  Daten,  welche  uns  ursprünglich 
und  unmittelbar  mit  räumlichen  Verhältnissen  bekannt  machen,  können  demnach,  wie  es 
scheint,  nur  dem  Gebiete  der  Bewegungsempfindungen  angehören.  Allerdings  lässt  sich 
dieser  Satz  nicht  direkt,  durch  Beobachtung  oder  Experiment  beweisen;  erstens  sind  uns 
keine  Fälle  bekannt,  in  denen  Bewegungsempfindungen  von  Geburt  an  entweder  nicht, 
oder  mit  Ausschliessung  sämmtlicher  anderer  Empfindungen  gegeben  wären;  und  zweitens 
lassen  sich  auch  in  der  Phantasie  die  Daten  des  Bewegungssinnes  nicht  scharf  von  den 
Daten  anderer  Sinne  absondern. 

Zur  Begründung  des  aufgestellten  Satzes  lässt  sich  aber  erstens  darauf  hinweisen,  dass 
die  Daten  sämmtlicher  anderer  Sinne,  wie  wir  gesehen  haben,  zur  Erklärung  unseres 
tatsächlichen  räumlichen  Wissens  nicht  ausreichen.  Zweitens  auf  die  bekannte  Tatsache, 
dass  Kinder  und  auch  operierte  Blindgeborene  durch  Bewegungen  sich  im  Räume  orientieren 
und  die  Gesichtsempfindungen  räumlich  interpretieren  lernen. 

Drittens  wäre  mit  Riehl  daran  zu  erinnern,  wie  überaus  scharf  unsere  Unterscheid ungs- 
fahigkeit  dieser  Bewegungsempfindungen  ist,  was  wir  jedesmal  inne  werden,  so  oft  die 
Ausführung  unserer  Bewegungen  von  der  Aufmerksamkeit  auf  dieselben  allein  abhängt, 
z.  B.  wenn  wir  uns  im  Dunkeln  zu  orientieren  haben  oder  wenn  wir  auch  nur  auf  unsere 
Ruhelage  im  Finstern  achten. 

In  entscheidender  Weise  würde  aber  die  Richtigkeit  der  aufgestellten  Vermutung  nur 
dadurch  bewiesen  werden  können,  dass  sich  die  Tatsachen  unseres  räumlichen  Wissens,  se 
wie  dieselben  im  gegebenen  Denken  vorliegen,  vollständig  aus  derselben  erklären  Hessen. 

Die  einfachst  denkbare  Hypothese  über  die  Beschaffenheit  der  ursprünglichen  Daten 
des  Bewegungssinnes  ist  nun  wohl  diejenige  Riehl's,  nach  welcher  die  Bewegungsempfin- 
dungen uns  ursprünglich  als  „eine  Mehrfachheit  qualitativ  verschiedener  Bestimmungsweisen" 
gegeben  seien,  derart,  dass  von  einer  Bestiramungsweise  ein  stetiger  Übergang  zu  einer 
davon  verschiedenen  möglich  ist.  Riehl  nennt  diese  mehrfach  bestimmten  Bewegungsemp- 
findungen Richtungsgefühle  und  nimmt  an,  dass  wir  drei  verschiedene  Arten  derselben 
besitzen:  die  Gefühle  des  Zugs  der  Schwere,  wenn  diesem  nachgegeben  oder  ihm  entgegen 
gewirkt  wird,  die  Gefühle  intendierter  oder  ausgeführter  seitlicher  Bewegungen,  welche 
durch  die  Lage  unserer  Gliedmassen  wo  nicht  erzeugt,  doch  verstärkt  werden,  endlich  die 
Gefühle,  welche  der  beabsichtigten  oder  wirklich  erfolgenden  Bewegung  nach  vor-  oder 
rückwärts  eigentümlich  sind. 

Um  sich  vollständig  über  den  Punkt,  dass  es  sich  hier  um  Gefühle,  nicht  etwa  um 
die  Vorstellungen  der  Teile  unseres  Körpers  oder  die  der  Richtungen  im  Räume  handelt, 
klar  zu  werden,  kann  man  die  Rauravorstellung  des  Blindgeborenen  als  Hilfsbegriff  ein- 
führen. Die  Hypothese  Riehl's  enthält  dann  einfach  Folgendes:  wenn  wir  einen  Blindge- 


—  57  — 

borenen  Bewegungen  nach  oben  oder  nach  unten,  nach  links  oder  nach  rechts,  nach  vom 
oder  nach  hinten  ausführen  sehen,  dem  Blindgeborenen  selbst  nur  drei  qualitativ  verschiedene, 
jedes  für  sich  eines  Entgegengesetzten  fähige  Gefühle  ins  Bewusstsein  treten.  Ganz  besonders 
muss  der  Gedanke  zurückgedrängt  werden,  alsob  der  Blindgeborene  schon  Etwas  davon 
wQsste,  dass  diese  GefQhle  Bewegungen  in  einem  dreidimensionalen  Räume  bedeuten,  denn 
gerade  die  Entstehung  des  räumlichen  "Wissens  bei  Blindgeborenen  soll  die  RiEHL'sche 
Hypothese  erklären.  Offenbar  ist  diese  Hypothese  die  einfachst  denkbare,  sofern  die  Tatsache, 
dass  der  Blindgeborene  zwischen  verschiedenen  Richtungen  und  zwischen  verschiedenen 
Entfernungen  unterscheiden  kann,  überhaupt  erklärt  werden  soll. 

Welche  Vorstellung  wird  aber  der  Blindgeborene,  der  aufgestellten  Hypothese  zufolge, 
mit  dem  Worte  Raum  verbinden?  Soviel  ist  klar,  dass  es  ihm  an  der  Möglichkeit  fehlen 
muss,  die  Ausdehnung  unmittelbar  aufzufassen.  Die  Tastwahrnehmungen  der  Koexisteuzver- 
hâltnisse  weichen  von  den  entsprechenden  Vorstellungen  des  Gesichts  darin  ab,  dass  ihnen 
das  charakteristische  Merkmal  des  letzteren  fehlt:  das  simultane  Aussereinandersein  der 
T0i]ge8tellten  Elemente.  Von  einem  Räume  als  einem  selbständig  ausser  uns  existierenden 
Etwas,  als  einem  in  jedem  Momente  tatsächlich  gegebenen  riesigen  Behälter,  in  welchem 
sämmtliche  Dinge  ihren  Platz  haben,  wird  demnach  der  Blindgeborene  einfach  keine 
Ahnung  haben.  Wohl  aber  wird  er  dazu  gelangen  können,  ein  allgemeines  Schema  sämmt- 
licher  nach  Qualität  und  Quantität  möglicher  BewegungsgefQhle  aufzustellen  und  jedem 
Ding  einen  Ort  innerhalb  desselben  anzuweisen.  Dieses  Schema,  ein  reines  Gedankending, 
wird  sich  der  Blindgelx)rene  \m  dem  Worte  Raum  denken  können. 

Der  Raum  ist  für  ihn  nicht  Anschauung  sondern  Begriff  und  dieser  Begriff  hat  keinen 
anderen  Inhalt  als  die  Vorstellung  der  dreifach  bestimmten  Bewegungsgefühle  mit  dem 
Nebengedanken,  dass  diese  Gefühle  sich  nach  Willkühr,  in  beliebiger  Zusammensetzung 
and  Quantität,  erzeugen  lassen. 

Jetzt  muss  untereucht  werden,  ob  diese  RiEHL'sche  Hypothese  zur  Erklärung  der 
gegebenen  Tatsachen  ausreicht.  Die  Tatsache,  welche  sie  erklären  soll,  ist  das  Vorkommen 
eines  dem  unsrigen  vollständig  entsprechenden  geometrischen  Wissens  bei  Blindgeborenen. 
Seinem  Inhalte  nach  haben  wir  dieses  Wissen  durch  die  Axiome  der  Dreidimensionalität, 
der  Kontinuität,  der  Homogenität  oder  Kongruenz,  der  geraden  Linie  (das  die  Unendlichkeit 
des  Raumes  analytisch  in  sich  enthält)  und  der  Parallelen  —  seiner  allgemeinen  Natur 
nach  durch  die  Merkmale  der  absoluten  Allgemeinheit,  der  Apodikticität  und  der  Exaktheit 
bestimmt  gefunden. 

Was  erstens  die  dreifache  Bestimmtheit  und  die  Kontinuität  betrifft,  so  ist 
es  unmittelbar  klar,  dass  tliese  Eigenschaften  dem  Schema  der  Bewegungsempfindungen, 
welches  nach  der  RiEHL'schen  Hypothese  für  den  Blindgeborenen  unserem  „Räume" 
entspricht,  zukommen  müssen.  Dem  Axiome,  dass  von  einem  beliebigen  Punkte  aus  sich 
nur  drei  senkrecht  auf  einander  stehende  Geraden  ziehen  lassen,  entspricht  für  den  Blind- 
geborenen der  Satz,  dass  er  nur  in  drei  elementaren  Qualitäten  (Richtungen)  Bewegungs- 
gefühle erzeugen  kann  ;  dem  Axiome,  dass  jene  Geraden  kontinuierliche  Grössen  sind,  der 
Satz,  dass  die  Quantität  (Mass)  dieser  Bewegungsgefühle  kontinuierlicher  Zunahme  fähig 
ist.  Beides  ist  dem  Blindgt^borenen  ex  hypothesi  in  der  unmittelbarsten  Selbstwahrnehmung 
gegeben. 

Nicht  unmittelbar  gegeben,  aber  dennoch  leicht  zu  erklären  ist  die  Gewissheit,  die 
dem  Homogeneitätö-  oder  Kongruenzaxiom  für  Blindgeborene  zukommt.  Wenn  der 
I.  A.  f.  K.  XXIII.  8 


—  58  — 

Raum  für  ihn  nichts  weiter  ist  als  das  Schema  der  überhaupt  möglichen  Bewegungserap- 
findungen,  so  kann  auch  die  Kongruenz  des  Raumes  für  ihn  nichts  weiter  als  die  Kongruenz 
dieses  Schema's  sein.  Dieselbe  muss  ihm  demnach  einfach  selbstverständlich  erscheinen, 
denn  dieser  Raum  ist  nicht  ein  Gegebenes,  sondern  die  blosse  Vorstellung  der  beliebigen 
Fortsetzung  eines  identischen  Bewegungsprozesses.  Der  Blindgeborene  kann  demnach  getrost 
behaupten,  dass  der  ihn  jetzt  umgebende  Raum  vollkommen  homogen  ist  mit  demjenigen, 
in  welchem  er  gestern  verweilte,  denn  er  behauptet  damit  nichts  Anderes  als  die  Identität 
der  Bewegungsempfindung  mit  sich  selbst. 

Daher  auch  die  Forderung,  dass  es  unbedingt  möglich  sein  müsse,  an  jedem  Orte  des 
Raumes  eine  einer  gegebenen  kongruente  Figur  zu  konstruieren.  Raurafiguren,  mathema- 
tische Körper,  sind  für  den  Blindgeborenen  nichts  weiter  als  Ausschnitte  aus  dem  Schema 
der  Bewegungsempfindungen  ;  dieselben  werden  ausschliesslich  durch  Qualität  und  Quantität 
der  entsprechenden  Bewegungsempfindungen  bestimmt;  und  die  Gewissheit,  dass  sie  sich 
an  jeder  Stelle  jenes  Schema's  in  gleicher  Bestimmung  konstruieren  lassen,  ist  einfach 
darin  begründet,  dass  es  die  nämlichen  Bewegungserapfindungen  sind,  die  in  endloser 
Wiederholung  jede  Stelle  dieses  Schema's  ausfüllen. 

Das  Axiom  der  geraden  Linie  sagt  aus,  dass  zwei  verschiedene,  von  einem  Punkte 
aus  gezogene  gerade  Linien,  beliebig  verlängert,  keinen  zweiten  Punkt  gemein  haben  können. 
Eine  gerade  Linie  ist  für  den  Bewegungssinn  nur  eine  Reihe  konstant  zusammengesetzter 
Bewegungsgefühle;  der  Punkt  ist  für  denselben  nichts  weiter  als  ein  Moment  aus  einer 
Reihe  successiv  erzeugter  Bewegungsgefühle  und  wird  nur  durch  die  Quantität  der  zur 
Erreichung  desselben  erforderten  Bewegungsgefühle  bestimmt.  Das  Axiom  der  geraden  Linie 
will  also  in  der  Sprache  des  Bewegungssinnes  nur  sagen,  dass  wenn  von  einem  durch  die 
Erzeugung  beliebiger  Bewegungsgefühle  zu  erreichenden  Anfangszustand  aus,  zweimal  in 
verschiedener  aber  jedesmal  konstanter  Zusammensetzung,  Reihen  von  Bewegungsgefühlen 
erzeugt  werden,  diese  beiden  Prozesse,  beliebig  fortgesetzt,  keine  Momente  enthalten  können, 
welche  durch  die  nämlichen  Beträge  an  Bewegungsgefühlen  der  drei  Arten  bestimmt  werden. 

Diese  Behauptung  ist  aber  nicht  mehr  ein  unbeweisbares  Axiom,  sondern  ein  streng 
zu  beweisender  Lehrsatz.  Der  Anfangszustand  der  beiden  Prozesse  sei  durch  die  Bewegungs- 
gefühle 0,  R,  V  bestimmt,  die  konstannten  Verhältnisse,  in  welchen  von  diesem  Anfangs- 
zustand aus  Bewegungsgefühle  erzeugt  wurden,  seien  0,,  R,  und  F,  und  Oj,  Ä,  und  J\; 
es  werde  demnach  vorausgesetzt,  dass  nicht  0,  :  ß,  :  F,  =  Oj  :  ß,  :  F,.  Dann  wird  offenbar 
jeder  im  Verlauf  des  ersteren  Prozesses  zu  erreichende  Moment  durch  einen  Ausdruck 
von  der  Form  (0 +p  0,,  R +  i)  R^,  V  +  pVj,  jeder  im  Verlauf  des  zweiten  Prozesses  zu 
erreichende  Moment  durch  einen  Ausdruck  von  der  Form  (0  +  q  0^,  R  +  q  R^,  V  +  q  F,) 
quantitativ  bestimmt.  Es  gilt  zu  beweisen,  dass  niemals,  welche  Werte  man  für  p  und  q 
anzunehmen  beliebe,  die  Gleichungen  0  +  p  0,  =  0  +  q  0^,  R  +  p  R,  =  R  -  q  R^  und 
F  +  pF,  =  F-fgFj  zusammen  gelten  können. 

Dieser  Beweis  lässt  sich  aber  sehr  einfach  führen,  denn  wenn  für  bestimmte  Werte 
von  p  und  g  jene  drei  Gleichungen  zusammen  gelten  sollten,  so  liesse  sich  daraus  sofort  ableiten  : 

pO,=qO.,  pR,=qR.^  pV^=q  V,  oder  p  :  g  =  0,  :  0,  =  Ä,  :  Ä,  =  F,  :  V^  oder 
0,  :  Ä,  :  F,  =  Oj  :  Bj  :  Fj,  was  der  Voraussetzung  widerspricht. 

Aus  den  Daten  des  Bewegungssinnes  nach  der  Hypothese  Riehl's  lässt  sich  demnach 
das  Axiom  von  der  geraden  Linie  in  der  Form,  die  es  für  den  Blindgeborenen  haben  muss, 
analytisch  ableiten. 


-  59  — 

Das  Axiom  von  der  Unendlichkeit  des  Raumes  ist  nach  den  Riemann- 
HELMHOLTz'schen  Untersuchungen  in  den  vorhergehenden  analytisch  enthalten,  es  kann 
aber  für  die  Einsicht  in  die  Leistungsfähigkeit  der  RiEHL'schen  Hypothese  nützlich  sein, 
noch  Folgendes  anzuführen. 

Für  den  Blindgeborenen  ist  die  Unendlichkeit  des  Raumes  nicht  die  gegebene  Unend- 
lichkeit eines  vorgestellten  Dinges,  sondern  die  gedachte  Unendlichkeit  eines  psychischen 
Prozesses.  Aus  der  blossen  Tatsache  der  willkührlichen  Erzeugung  von  Bewegungsempfin- 
dungen ergiebt  sich  ihm  auf  rein  analytischem  Wege  der  fundamentale  Gegensatz  zwischen 
Raum  und  Stoff  (leerem  und  erfülltem  Raum,  freier  und  gehemmter  Erzeugung  von  Be- 
wegUDgsempfindungen),  sowie  die  notwendige  Teilnahme  des  zweiten  an  den  Eigenschaften 
dea  ersteren.  Der  Begriff  des  unendlichen,  an  jedem  Punkte  entweder  leeren  oder  stoffer- 
fQllten  Raumes  hat  für  ihn  keinen  anderen  Inhalt  als  den  der  begrifflich  unendlichen  Fort- 
setzung, faktisch  al)er  in  jedem  Momente  entweder  freien  oder  gehemmten  Erzeugung  von 
Bewegungsempfindungen.  Demnach  wird  auch  wohl  der  Blindgeborene  ganz  wohl  den  Aus- 
druck: die  Dinge  seien  ausser  einander  im  Räume,  verstehen  können.  Jedes  Ding  ist  ja 
für  ihn  nur  ein  bestimmter  Komplex  von  gehemmten  Bewegungsempfindungen  und  er 
wird  leicht  einsehen  können,  dass  all  diese  komplexen  Teile  des  Systems  der  überhaupt 
vorstellbaren  Bewegungsempfindungen  sind  und  dass  dieselben  als  solche  ausser  einander 
sich  befinden. 

Das  Axiom  von  den  Parallelen  lautet  nach  der  Formulierung  von  Helmholtz: 
Durch  einen  ausserhalb  einer  geraden  Linie  liegenden  Punkt  wird  nur  eine  einzige  und 
nicht  zwei  verschiedene  jener  ersten  parallele  Linie  gelegt  werden  können.  Parallel  nennt 
man  aber  zwei  Linien,  die  in  ein  und  derselben  Ebene  liegen  und  sich  niemals  schneiden, 
80  weit  sie  auch  verlängert  werden  mögen.  Durch  eine  ziemlich  umständliche  Rechnung 
Iftsst  sich  dieses  Parallelenaxiora  aus  den  Daten  des  Bewegungsinnes  nach  der  Hypothese 
Riehl's  analytisch  ableiten.  Nachdem  man  davon  überzeugt  ist,  kann  man  die  Schritte, 
die  den  Blindgeborenen  zu  diesem  Wissen  führen,  folgender  Weise  zurechtlegen:  An  gege- 
benen Parallelen  wirtl  dem  Blindgeborenen  nicht  zuerst  die  Eigenschaft  derselben,  in  einer 
Ebene  zu  liegen  und  sich  niemals  zu  schneiden,  sondern  vielmehr  das  elementare  Merkmal 
der  Richtungsgleichheit,  also  der  gleichen  Zusammensetzung  der  entsprechenden  Richtungs- 
geftlhle  auffallen. 

Er  wird  demnach  die  Parallelität  verschiedener  Reihen  von  Bewegungsgefühlen  durch 
dieses  Merkmal  definieren  und  dann  sofort  einsehen,  dass  von  einem  gegebenen  Anfangs- 
momente aus  nur  eine  einzige,  einer  gegebenen  parallo  Reihe  von  Bewegungsgefühlen 
erzeugt  werden  kann.  Sodann  wird  er  sich  leicht  davon  überzeugen,  dass  letztere  Reihe 
mit  der  gegebenen  unmöglich  einen  Moment  gemein  haben  kann.  Schliesslich  wird  er  in 
einer  oder  der  anderen  Weise,  je  nachdem  er  sich  den  Begriff  der  Ebene  zurecht  legt,  zur 
Einsicht  gelangen  können,  dass  zwei  solche  gleichgerichtete  Geraden  immer  innerhalb  einer 
Ebene  liegen  müssen  und  dass  Geraden,  welche  innerhalb  einer  Ebene  liegen  aber  nicht 
gleichgerichtet  sind,  sich  notwendig  irgendwo  schneiden  müssen. 

Es  erübrigt  noch  zu  untersuchen,  ob  auch  die  allgemeine  Natur  des  geometrischen 
Wissens,  also  seine  Apodikticität,  Allgemeinheit  und  Exaktheit  aus  dem  Gegeben- 
sein der  Daten  beim  Blindgeborenen  nach  der  Hypothese  Riehl's  sich  erklären  lassen. 

Man  wird  leicht  finden,  dass  diese  Frage  in  der  nämlichen  Weise  beantwortet  werden 
muss,  wie  die  fHlher  aufgeworfene  Fiage,  ob  und  in  welcher  Weise  sich  die  apodiktische 


—  60  — 

Gewissheit  der  logisclien  Gesetze  erklären  lasse.  So  wie  der  apodiktischen  Gewissheit 
des  logischen  Denkens  die  Tatsache  der  doppelten  Reaktionsfähigkeit  des  Geistes  (nämlich 
nach  den  Prinzipien  der  Verneinung  und  des  ausgeschlossenen  Dritten),  so  liegt  der  apo- 
diktischen Gewissheit  des  geometrischen  Denkens  die  Tatsache  der  dreifachen  qualitativen 
Bestimmtheit  und  beliebigen  quantitativen  Verraehrbarkeit  der  Bewegungsgefühle  zu  Grunde. 
Diese  Tatsache  ist  bloss  als  eine  solche,  nicht  als  notwendig  gegeben  ;  ist  sie  aber  gegeben, 
so  lässt  sich  daraus  die  allgemeine,  notwendige  und  exakte  Geltung  der  Riemank-Helm- 
HOLTz'schen  Axiome  für  das  Schema  der  Bewegungsgefühle  auf  rein  logischem  Wege 
beweisen. 

Dass  schliesslich  der  Blindgeborene  die  Gewissheit  der  geometrischen  Sätze  nicht  nur 
für  den  Raum  überhaupt  (also  für  das  Schema  der  Bewegungsgefühle)  sondern  auch,  und 
zwar  mit  der  nämlichen  apriorischen  Gewissheit,  für  die  gegebene  Wirklichkeit  im  Räume 
gelten  lässt,  findet  seine  einfache  Erklärung  in  dem  Umstände,  dass  die  räumlichen  Eigen- 
schaften des  Gegebenen  eben  an  das  Schema  der  Bewegungsgefühle  gemessen  werden. 
Gestalt,  Grösse  und  Ort  gegebener  Objekte  bedeuten  für  den  Blindgeborenen  nichts  weiter 
als  gewisse  Komplexe  qualitativ  und  quantitativ  bestimmter  Bewegungsgefûhle,  deren 
Erzeugung  durch  jene  Objekte  gehemmt  wird  und  haben  demnach  an  den  Eigenschaften, 
welche  den  Bewegungsgefühlen  im  Allgemeinen  zukommen,  notwendig  Teil. 

Die  logischen,  arithmetischen  und  geometrischen  Gesetze  bieten  apriorische  Gewissheit 
nur  über  Erscheinungen,  welche  in  Urteile  umgesetzt,  gezählt  oder  gemessen  worden  sind. 
Im  Grunde  bezieht  sich  diese  apriorische  Gewissheit  nur  auf  die  Urteilsform,  in  welche 
die  Erscheinungen  passen,  auf  die  Zahlenreihe,  mit  welcher  sie  gleichzählig  sind,  und  auf 
die  Bewegungsgefühle,  welche  durch  sie  gehemmt  werden. 

Damit  ist  aber  offenbar  das  Rätsel,  welches  die  Tatsache  jener  apriorischen  Gewissheit 
uns  geboten  hatte,  prinzipiell  gelöst. 

Auf  Grund  der  vorhergehenden  Erörterungen  scheint  die  Hypothese  Riehl's  in  dem 
nämlichen  Sinne  bewiesen,  wie  etwa  durch  die  mechanische  Lichttheorie  die  Aetherhypo- 
these  bewiesen  und  die  optischen  Erscheinungen  erklärt  worden  sind. 

Für  die  Philosophen  der  empiristischen  Schule,  als  deren  hervorragendster  Vertreter 
John  Stuart  Mill  betrachtet  werden  kann,  ist  die  Geometrie,  wie  die  Logik  und  die 
Arithmetik,  eine  empirische  Naturwissenschaft.  Die  Begriffe,  die  sie  aufstellt,  die  Verhält- 
nisse, die  sie  untersucht,  sind  durch  die  sinnliche  Wahrnehmung  bekannt,  aus  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  abstrahiert;  ihre  Grundsätze  fassen  nur  zusammen,  was  diese  uns  lehrt. 
Die  besondere  Art  der  Gewissheit  der  geometrischen  Sätze,  ihre  Notwendigkeit,  Allgemein- 
heit und  Exaktheit  wird  zum  Teil  einfach  geleugnet,  zum  Teil  auch  in  der  nämlichen 
Weise,  wie  für  die  Logik  und  die  Arithmetik  erklärt. 

Für  Mill  sind  die  wahren  Gegenstände  geometrischer  Untersuchung  nicht  der  aus- 
dehnungslose Punkt,  sondern  das  „minimum  visibile",  der  kleinste  noch  sichtbare  Teil  einer 
Fläche;  nicht  die  eine  dimensionale  Linie,  sondern  der  Kreidestrich  oder  der  gespannte 
Faden;  nicht  der  vollkommene  Kreis  sondern  etwa  die  Durchschnittflache  eines  Baumes; 
und  die  geometrischen  Definitionen  sollen  durch  Generalisation  aus  der  Wahrnehmung 
dieser  gegebenen  Objekte  entstanden  sein.  Ist  Dieses  aber  einmal  zugegeben,  so  folgt  not- 
wendig, dass  den  geometrischen  Lehi-sätzen  nur  approximative  Wahrheit  zukommen  kann. 
Das  Angeführte  beweist  schon  wie  sehr  Mill  auch  hier  sich  bestrebt  hat,  weniger  seine 
Theorie  den  Tatsachen,  als  die  Tatsachen  seiner  Theorie  anzupassen. 


—  61  — 

Den  geometrischen  Axiomen  gewährt  Mill  dagegen  eine  strenge,  von  allem  Hypothe- 
tischen freie  Geltung. 

Die  elementaren  Urteile,  aus  deren  Verbindungsprodukten  die  gesammte  Geometrie 
besteht,  beziehen  sich  auf  die  Dreizahl  der  Raumdimensionen,  auf  deren  kontinuierliche 
Veränderung,  auf  die  Kongruenz  verschiedener  Raumteile,  auf  die  Geltug  des  Axioms  von 
der  geraden  Linie  (welche  die  Unendlichkeit  des  Raumes  in  sich  schliesst)  und  auf  die 
Geltung  des  Parellelenaxioms.  Diesen  Urteilen  wird  apodiktische,  allgemeine,  exakte  Wahr- 
heit zugeschrieben.  Mill  erklärt  diese  Letzte  aus  Associationswirkungen. 

Die  unendliche  Ausdehnung  des  Raumes  einerseits,  seine  unendliche  Teilbarkeit  (Kon- 
tinuität) andererseits,  soll  uns  deshalb  selbstverständlich  und  notwendig  ei-scheinen,  weil 
wir  niemals  einen  Gegegenstand  gesehen  haben,  ohne  dass  sich  noch  etwas  Anderes  dahinter 
befände  und  weil  wir  noch  keinen  Körper  wahrgenommen  haben,  der  nicht  zerleg- 
bar wäre. 

Gesetzt  nun,  diese  Erklärung  wäre  richtig,  so  müsste  uns  offenbar  die  unendliche 
Ausdehnung  und  die  unendliche  Teilbarkeit  der  Materie  genau  so  selbstverständlich  und 
notwendig  erscheinen  wie  die  entsprechenden  Eigenschaften  des  Raumes;  denn  die  von 
Mill  angeführten  Wahmohmungstatsachen  beziehen  sich  doch  unmittelbar  nur  auf  die 
(wahrnehmbare;  Materie  und  erst  mittelbar  auf  den  (an  sich  nicht  wahrnehmbaren)  Raum. 
Die  nämlichen  Erfahrungen,  die  uns  hinter  jedem  Räume  noch  andere  Räume  und  in  jedem 
Raumteil  noch  kleinere  Raumteile  gezeigt  halten,  haben  uns  demnach  hinter  jeder  Materie 
noch  andere  Materie  und  in  jedem  8tofileil  noch  kleinere  Ötoffteile  entdecken  lassen  und 
trotz  dieser  vollständigen  Gleichheit  der  Umstände  soll  sich  in  dem  ersten  Fall  eine  , un- 
zertrennliche Association"  ausgebildet  haben,  kraft  deren  wir  ausser  Stande  sind,  eine 
Grenze  für  Ausdehnung  und  Teilbarkeit  des  Raumes  auch  nur  als  möglich  zu  denken, 
während  in  dem  zweiten  weder  die  atomistische  Hypothese,  noch  der  Gedanke,  dass  viel- 
leicht nur  ein  Teil  des  Raumes  Materie  enthalte,  dem  Denken  auch  nur  die  geringsten 
Schwierigkeiten  zu  bereiten  scheint. 

Zu  ähnlichen  sonderbaren  Schlüssen  führt  diese  Theorie  in  bezug  aui  die  Kongruenz 
▼erschiedener  Raumteile. 

Die  Evidenz  der  Euklidischen  Axiome  ist  nach  Mill  ein  Ergebnis  der  sogenannten 
Methode  der  sich  begleitenden  Veränderungen  :  wir  haben  zwar  niemals  eine  vollkommen 
gerade,  dagegen  oft  mehr  oder  weniger  krumme  Linien  wahrgenommen  und  dabei  jedesmal 
bemerkt,  dass  je  geringer  die  Krümmung  um  so  kleiner  auch  der  Raum  wird,  die  zwei 
solche  Linien  einschliessen.  Daraus  halten  wir  abgeleitet,  dass  zwei  vollkommen  gerade 
Linien  keinen  Raum  einschliessen  würden.  Nun  wird  allerdings  in  der  empirischen  Natur- 
wissenschaft von  dieser  Methode  ein  ausgiebiger  Gebrauch  gemacht;  es  ist  aber  auffallend, 
dase  die8elt>e  nirgends  sonst  als  in  der  Geometrie  auch  nur  den  Schein  eines  apriorischen 
Wissens  hat  zu  Stande  bringen  können.  Sollte  nun  das  gänzlich  verschiedene  Verhalten 
der  Wissenschaft  den  geometrischen  Erscheinungen  gegenüber  durch  eine  einfache  Berufung 
auf  die  Methode  der  sich  begleitenden  Veränderungen  erklärt  sein  ? 

Wie  aus  obigem  hervorgeht,  hält  man  von  erkenntnistheoretischem  Standpunkt  jetzt 
an  der  Oberzeugung  fest,  dass  unsere  geometrische  Denkweise  sich  am  besten  aus  Muskel- 
gefühlen erklären  lässt.  Da  letztere  vom  Gesichtssinn  in  ^ien  Hintergrund  gedrängt  werden 
und   sich  zum  Teil  deshalb  auch  an  Blindgeborenen  nur  teilweise  demonstrieren  lassen, 


—  62  — 

findet  diese  Hypothese  ihre  grösste  Stütze  darin,  dass  sie  uns  gestattet,  die  so  auffallenden 
Eigenschaften  der  geometrischen  Sätze  vollständig  zu  erklären. 

Bei  unserer  Untersuchung  ruht  auf  uns  also  die  Verpflichtung,  nachzuweisen,  dass  unter 
den  Malaien  die  Äusserungen  eines  gut  entwickelten  Muskel-  oder  Bewegungsgefühls  an- 
wesend sind  und  uns  berechtigen,  auf  eine  gleich  gute  Leistungsfähigkeit  wie  bei  den 
europäischen  Rassen  zu  schliessen.  Ausserdem  wäre  es  wichtig,  wenn  nachher  der  Nachweis 
geliefert  werden  könnte,  dass  sich  nicht  nur  die  Vorbedingungen  zur  Entwicklung  geome- 
trischer Begriffe  unter  den  Malaien  finden,  sondern  dass  diese  sich  in  der  Tat  unter  ihnen 
entwickelt  haben  und  in  ihren  Zusammenlebungen  praktisch  verwendet  werden.  Dabei  ist 
aber  besondere  Vorsicht  zu  betrachten,  denn  weitaus  die  meisten  malaiischen  Völker  des 
Archipels  haben  viele  Grundbegriffe  ihrer  jetzigen  Sitten  und  Gewohnheiten  höher  zivilisier- 
ten Süd-Asiaten  entlehnt.  Wir  sind  somit,  besonders  bei  der  Wertschätzung  dieser  geome- 
trischen Begriffe  unter  den  Malaien,  streng  an  die  bezüglichen  Erscheinungen  unter  den 
am  wenigsten  von  Fremden  beeinflussten  Stämmen  gebunden.  Ausserdem  müssen  die  Art 
dieser  Begriffe  und  ihr  Zusammenhang  mit  dem  täglichen  Leben  in  Betracht  gezogen  werden. 

Der  Nachweis  eines  fein  entwickelten  Muskelgefühls  ist  durch  die  Untersuchung  ein- 
facher Muskelbewegungen  wohl  sehr  schwer  zu  liefern,  da  es  uns  an  sehr  genauen  Mess- 
vorrichtungen beim  lebenden  Menschen  fehlt.  Ausserdem  werden  unsere  Muskelgefühle  bei 
unseren  Körperbewegungen  durch  zusammengesetzte  Muskelbewegungen  ausgelöst  und  ver- 
wendet. Bei  diesen  Bewegungen  wird  unbewusst  das  richtige  Verhältnis  der  Arbeit  ver- 
schiedener Muskelgruppen  innegehalten  und  durch  Übung  ein  Minimum  an  Kraftgebrauch 
verwendet.  Zu  welchen  oft  erstaunlichen  Leistungen  sich  einzelne  Personen  in  unserer 
Gesellschaft  auf  diesem  Gebiet  aufschwingen  können,  zeigen  uns  z.  B.  unsere  Musiker, 
Fechtmeister,  Gaukler,  Akrobaten  u.  s.  w.  Obschon  diese  Leistungen  nicht  als  Massstab  für 
die  Veranlagung  unseres  Muskelgefühls  im  Allgemeinen  aufgefasst  werden  können,  so  sind 
diese  individuellen  Äusserungen  doch  sehr  beachtenswert. 

Ihrer  eigenartigen  Zusammenlebung  gemäss,  werden  wir  bei  den  malaiischen  Völkern 
nicht  dieser  selben,  höheren  Entwicklung  des  Muskelgefühls  und  der  Muskelkraft  be- 
gegnen. Es  gibt  dort  aber  andere,  die  uns  in  dieser  Hinsicht  als  Mass  dienen  können.  Un- 
ter den  Dajak  als  Völkergruppe  der  Urmalaien  erheischen  vielerlei  Beschäftigungen  und 
Spiele  eine  besondere  Entfaltung  der  uns  interessierenden  Muskeleigenschaften.  Es  wird 
also  für  unseren  Zweck  genügen,  dieses  Volk  m  diesem  Punkte  zu  prüfen. 

Von  den  Tänzen,  die  bei  den  Malaien  im  Schwange  sind,  kommen  an  erster  Stelle 
die  auch  unter  den  Dajak  üblichen  Schwerttänze  für  unsere  Untersuchung  in  Betracht, 
denn  zur  Aufführung  derselben  muss  das  feinste  Ebenmass  in  den  Muskelbewegungen  zu- 
sammen mit  einer  grossen  Kraftleistung  innegehalten  werden.  Da  die  Bewegungen  nach 
dem  Takt  von  vielen  klëdi-Melodien  ausgeführt  werden  müssen,  sind  die  Tänzer  dabei 
auch  an  Zeit  und  Rhythmus  streng  gebunden.  In  bezug  auf  Letzteren  fallt  die  grosse  Kompli- 
ziertheit der  Bewegungen  schwer  in's  Gewicht.  Im  zweiten  Band  meines  Werkes  :  Querdurch 
Borneo  habe  ich  auf  Seite  132  Folgendes  über  den  hier  geübten  Tanz  angegeben:  „Bei  den 
Bahau  und  Kënja  werden  diese  Waflfentänze  beinahe  stets  nur  von  einem  Mann  ausge- 
führt, der  sich  mit  Schild  und  Schwert  bewaffnet  und  in  der  Regel  auch  noch  mit  Kriegs- 
mantel und  Mütze  schmückt.  Auf  Tafel  12«  ist  ein  solcher  Schwerttänzer  in  einer  der  höchst 
eigenartigen  Bewegungen  des  kënja  dargestellt.  Dieser  wird  stets  nach  der  Melodie  des 
klëdi   ausgeführt,  den  hier  ein  daneben  hockender  Knabe  spielt Der  kënja  wird  meist 


—  63  — 

in  der  breiten  Galerie  der  Häuptlingswohnung  vorgenommen  und  besteht  aus  lebhaften, 
oft  sehr  graziösen  Körperbewegungen,  die  mit  weiten  Sprüngen  und  Ausrufungen  abwech- 
seln  Die  Gewandtheit  im   Tanz   ist  sowohl  bei   den  einzelnen  Stämmen  als  bei  den 

Individuen  sehr  verschieden Sämmtliche  Kriegstänze  haben  zw^ar  den  Zweck,  die  Ge- 
schicklichkeit in  der  Handhabung  der  Waifen  zu  beweisen,  doch  dienen  sie  gleichzeitig 
anch  zur  Darstellung  irgend  eines  Vorfalls  aus  dem  Kriegs-  oder  Alltagslebens.  So  wird 
dem  Publikum  z.  B.  das  Sähen,  Mähen,  Jäten,  Früchtestehlen  u.  s.  w.   durch  bestimmte 

Schwerttänze   vorgeführt Mit  dem  Sinn  des  Tanzes  verändert  sich  auch  stets  die  auf 

dem  klédi  gespielte  Melodie Obgleich  die  Töne  des  klëdi  sehr  sanft  klingen,  und  der 

kënja  mit  seinen  Schritten  und  Sprüngen  auf  den  harten  Planken  recht  viel  Lärm  verur- 
sacht, folgt  der  Tänzer  doch  stets   genau  der  vorgetragenen  Melodie In  Anbetracht, 

dass  die  Ausführung  des  Schwerttanzes  eine  grosse  körperliche  Anstrengung  erfordert, 
können  sich  ihm  nur  Stamme,  die  starke  Leibesübungen  gerne  haben,  widmen". 

Unter  den  Kénjastàmmen  am  Oberen  Kajanfluss  erlebte  ich,  wie  auf  Seite  387  beschrieben 
wurde.  Folgendes  :  „Al>ends  lag  ich  bereits  sehr  müde  in  meinem  Klambu,  als  man  mich  nach 
oben  ins  Häuptlingshaus  rufen  Hess,  wo  50  Mann,  die  in  der  Galerie  in  einer  Reihe  stan- 
den, eine  Art  von  „ngarang"  oder  Tanz  aufführen  sollten.  Alle  hatten  ihre  besten  Kleider 
an.  Die  bewährten  Krieger  trugen  besonders  schöne  und  gut  erhaltene  Kriegsmäntel  aus 
Pantherfellen  und  Tinggangfedem,  auch  wohl  aus  langhaarigen  Ziegenfellen,  und  Kriegs- 
mützen mit  hübschen  Federn  auf  dem  Kopfe.  Die  kräftig  und  schön  gebauten  jungen  Män- 
ner standen  mit  dem  Rücken  zu  uns  gekehrt  und  bewegten  sich  nach  den  Tönen  der 
klëdi,  welche  von  zwei  Männern  gespielt  wurden.  In  langsamen  Schritten  zogen  sie  an  uns 

hin  und  wieder  zurück,  erst  rechts  fortschreitend,  dann  wieder  links für  uns  Fremde 

war  der  Anblick  besonders  interessant,  da  wir  gar  nicht  daran  gewohnt  waren,  so  viele 
Personen  auf  Kommando  mit  einer  bei  den  Bahau  gänzlich  unbekannten  Genauigkeit,  streng 
nach  dem  Rhythmus  der  Musik,  sich  bewegen  zu  sehen. 

Am  anderen  Abend  wurde  das  Fest  wiederholt  und  fanden  ausserdem  Schwerttänze 
statt,  V>ei  welchen  wir  die  Grazie  und  die  Kraft  bewunderten,  mit  der  die  Kënja  sich  be- 
wegten. Wenn  ein  Krieger  mir  allzu  nahe  trat,  kam  mir  unwillkührlich  der  Tod  des  Long- 
Glat-Häuptlings  in  den  Sinn,  dem  ein  Këqja  beim  Schwerttanz  plötzlich  den  Kopf  abge- 
schlagen hatte;  es  war  mir  ein  beruhigendes  Gefühl,  dass  ich  zwischen  dem  Häuptling 
und  dessen  Frau  sass". 

In  seinem  Buch  „Hea<lhunter'8,  London  1901"  sagt  Haddon  auf  Seite  358  von  einer 
ähnlichen  AufFührung:  „The  dance  consisted  of  a  series  of  indescribable  crouching,  jumping, 
squirming  movements,  in   which  the  approved  positions  of  actual  warfare  were  blended 

with  the  gyratory  motions  of  and  posturing  of  more  ordinarj'  dancing The  numerous 

and  rapid  graceful  movements made  a  fascinating  picture  of  savagery,  in  which  the 

beauty  of  dextrous  movement  with  harmony  and  contrast  of  colour  were  combined  with 
the  deaply  seated  human  passion  for  combat  and  bloodshed". 

Unter  den  Waffen  der  Dajak  ergiebt  das  Blasrohr  als  Jagd-  und  Kriegswaffe  uns  zwei- 
fellos die  besten  Anhaltspunkte  zur  Beurteilung  ihres  hochentwickelten  Muskelgefühls  Taf.  126. 
Das  Blasrohr  der  Dajak  ist  ein  bis  2  M.  langer  Stab  aus  sehr  hartem  Holz,  der  seiner  ganzen 
Länge  nach  sehr  gleichmässig  durchbohrt  und  zum  Durchblasen  von  leichten,  vergifteten, 
aus  Palmblattstiel  geschnitzten  Pfeilen  verwendet  wird.  Der  Schütze  umfasst  das  Mundende 
mit  beiden   Händen,   und  bringt  dieses  vor  den  Mund,  nachdem  der  durch  einen  leichten 


—  64  — 

Konus  am  Hinterende  genau  in  der  Öffnung  passende  Pfeil  hineingeschoben  worden  ist. 
Mittelst  eines  am  Vorderende  angebrachten  Richtstabs  wird  das  Rohr  auf  das  Ziel,  einen 
Vogel,  Affen,  auch  wohl  Menschen  u.  s.  w.  gerichtet  und  dann  der  Pfeil  durch  starkes  Bla- 
sen mit  grosser  Schnelligkeit  hinausgetrieben.  In  bezug  auf  die  erreichten  Entfernungen 
und  Treffsicherheit  des  Schusses  findet  man  in  Ling  Roth,  Bd.  II,  Seite  187  Folgendes 
angegeben:  „In  advancing,  the  surapitan  (Blasrohr)  is  carried  at  the  mouth  and  elevated 
and  they  will  discharge  at  least  five  arrows  to  one  compared  with  a  musket.  Beyond  a 
distance  of  twenty  yards  they  (the  Kayans)  do  not  shoot  with  certainty,  from  the  lightness 
of  the  arrow,  but  I  have  frequently  seen  them  practice  at  the  above-named  range  and  they 
usually  struck  near  the  centre  of  the  crown,  none  of  the  arrows  being  more  than  an  inch 
or  two  from  each  other.  On  a  calm  day  the  utmost  range  may  be  a  hundred  yards".  (Sir 
J.  Brooke,  Mundy  1.  261).  Capt.  Mundy  says:  „At  twenty  yards  distance,  the  barb  meeting 
the  bare  skin,  would  bury  half  the  arrow  in  the  flesh,  but  would  not  penetrate  cloth  at 
a  distance  of  forty  yards;  the  extreme  range  may  be  eighty  and  ninety  yards",  (ii.  227). 
On  the  Koti  river  the  Kayans  will  strike  an  object  at  40  yards  and  will  kill  a  monkey  or 
bird  at  that  distance;  when  the  darts  are  poisened,  they  will  throw  them  60  yards,  as  in 
war,  or  at  some  large  ferocious  animal,  which  they  seldom  eat".  Mr.  Horsbury  gives  the 
wounding  at  30  yards.  The  Ukits  are  said  to  use  the  tube  with  deadly  aim.  A  correspon- 
dent at  Saratok  (Dutch  Borneo)  writing  to  the  S.  G(ouvernment)  records  good  aim  at  30 
paces  with  a  six  feet  sumpitan  at  a  target,  slightly  bigger  than  a  man's  head." 

Auf  S.  462.  Bd.  I  findet  sich:  „I  have  seen  a  Murut  strike  fish  after  fish  with  uner- 
ring certainty  with  arrows  from  a  sumpitan,  even  at  more  than  a  foot  below  the  surface 
of  the  stream."  (Burbidge,  p.  62). 

Vergegenwärtigt  man  sich,  welche  Muskelwirkungen  bei  diesen  Leistungen  zur  Geltung 
kommen,  so  sind  es  an  erster  Stelle  diejenigen,  die  den  Rumpf  in  der  Stellung  des  Schüt- 
zen fixieren  und  ihn  in  den  Stand  setzen,  die  Zielrichtung  einzuhalten.  Weiter  erheischt 
das  Wegblasen  des  Pfeiles  aber  eine  sehr  grosse  Anstrengung  von  allen  Thorax-  und 
Bauchmuskeln,  die  beim  heftigen  Blasen  eine  Rolle  spielen;  wobei  sich  dann  wohl  ungp- 
ßihr  alle  willkührlichen  Körpermuskeln  dermassen  zusammenziehen  müssen,  dass  sich  das 
gerichtete  Blasrohr  an  seinem  Zielende  möglichst  wenig  bewegt.  1  mm.  ei^ibt  hier  aut 
20  m.  Entfernung  schon  1  cm.  seitliche  Abweichung,  ohne  die  unregelmässige  Abweichung 
des  Geschosses  durch  die  doch  immerhin  dürftige  mechanische  Einrichtung  dieser  Schuss- 
vorrichtung in  Betracht  zu  ziehen.  Durch  Übung  muss  der  Dajak  also  im  Stande  sein, 
mittelst  einer  unendlichen  Menge  Abstufungen  der  Zusammenziehungen  seiner  Muskulatur 
während  der  nicht  geringen  Dauer  des  Blasens  sich  so  unbeweglich  wie  nur  möglich  zu 
halten.  Das  Zielen  mit  unseren  vorzüglich  konstruierten  Kugelgewehren  ist  sehr  viel  leichter, 
da  eine  nur  ganz  geringe  Bewegung  des  Fingers  den  Schuss  blitzschnell  losgehen  lässt. 

Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  nur  ein  vorzüglich  veranlagtes  Muskelgefühl  eine  so 
hohe  Leistung  der  Muskeln  ermöglicht.  Der  Gebrauch  dieser  Blasrohre  ist  unter  den  be- 
züglichen Stämmen  allgemein  und  war  ehemals  im  Indischen  Archipel  weit  verbreitet. 

Durch  die  natürlichen  Verhältnisse  ihres  Landes  dazu  veranlasst,  unterscheiden  sich  die 
Dajak  auf  zwei  anderen  Gebieten  durch  eine  überaus  grosse  Geschlicklichkeit,  die  nur  mit 
Hilfe  ausgezeichneter  Bewegungsgefühle  zu  erreichen  ist,  nämlich  als  Träger  und  Ruderer 
in  den  Urwäldern  und  Stromschnellen  der  tropischen  Gebirge.  Man  liest  keine  Reiseerinne- 
rungen aus  ähnlichen  Gegenden,  worin  nicht  über  diese  Leistungen  der  Dajak  bewundernd 


—  65  — 

geschrieben  wird.  Nebst  ihren  Characktereigenschaften  hat  dies  zur  Überzeugung  geführt,  dass 
die  vielen  wissenschaftlichen  Expeditionen  und  die  ausführliche  militärische  Erforschung 
in  Niederländisch-Neu-Guinea  während  der  letzten  10  Jahre  nur  mit  ihrer  Hilfe  ausge- 
führt werden  konnten.  Sie  wurden  denn  auch  immer  wieder  zu  Hunderten  dazu  an- 
geworben. 

Nur  dann  kann  eine  solche  Geschicklichkeit  als  etwas  Aussergewöhnliches  und  als 
Beweis  einer  günstigen  Anlage  der  Muskelbewegung  und  des  Muskelgefühles  gelten,  wenn  in 
der  Tat  Aussergewöhnliches  geleistet  wird.  Während  meiner  siebenjährigen  Reisen  im  gebirgi- 
gen und  waldbedeckten  Innern  der  Insel  Borneo  habe  ich  stets  meine  Bewunderung  für 
ihre  Geschicklichkeit  behalten;  wie  aus  den  einzelnen  unterstehenden  Zeugnissen  ersicht- 
lich, ergeht  es  allen  Reisenden  so,  wenn  sie  auch  noch  so  lange  im  Lande  umhergezogen 
sind.  Ein  gutes  Beispiel,  welche  Anforderungen  an  Geschicklichkeit,  Kraft,  Mut  und  Ein- 
sicht einer  dajakischen  Bemannung  auf  den  Reisen  oft  zugemutet  werden,  liefert  meine 
Beschreibung  einer  Episode  einer  Flussfahrt,  in  „Quer  durch  Borneo  I  S.  211: 

„Der  Kapuas  drängt  sich  hier  zwischen  zwei  Bergrücken  hindurch  in  einem  Bette,  das 
die  grossen  Wassermassen  oft  nicht  fassen  kann;  ausserdem  werden  die  zum  Teil  haus- 
hohen Felsblöcke  am  Ufer  bei  Hochwasser  durch  die  Strömung  rund  und  glatt  geschliffen. 
Diese  Felswüstenei  erstreckt  sich  600  m.  längs  des  Flusses,  der  brausend  und  schäumend 
durch  das  unregelmässige  Bett  hindurchschiesst.  Bei  dem  niedrigen  Wasserstande,  den  wir 
jetzt  glücklicher  Weise  hatten,  legten  wir  die  Strecke  bis  zu  den  Wasserfallen  in  kurzer 
Zeit  zurück,  um  sie  auffahren  zu  können  und  landeten  guten  Mutes  unterhalb  eines  haus- 
hohen Sandsteinblockes  am  linken  Ufer.  Der  Block  benahm  uns  zwar  die  Aussicht  auf  den 
„Qurung  Délapan",  beschützte  aber  unsere  zwölf  Böte  vor  den  seitlich  vorbeischiessenden 
Wassermas.sen.  Wahrend  wir  beschuhton  Europäer  nach  einiger  Übung  beim  Gehen  auf 
Baumstämmen  oder  über  Flu.ssgeröll  noch  eine  erträgliche  Figur  bilden,  ist  es  auf  einem 
Terrain  wie  dem  vor  uns  liegenden  um  unsere  Haltung  bald  geschehen.  Bereits  das  Ver- 
lassen des  kiellosen  Bootes,  das  schaukelnd  und  ächzend  zwischen  den  andern  auf  dem 
bewegten  Wasser  lag,  erforderte  Überlegung  und  Balanzierkunst  und  gleich  der  erste  Tritt 
auf  dem  nassen,  runden,  glatten  Felsblock  am  Ufer  war  ein  Wagstück.  Trotz  unserer  gut 
beschlagenen  Sohlen  wurde  uns  das  Vorwärtskommen  über  und  zwischen  diesen  glatten 
Steinmassen  sehr  schwierig,  wahrend  die  barfüssigen  Kajan,  schwer  belastet,  den  langen 
Weg  nach  oben  mit  vieler  Würde  und  Bedachtsamkeit  zurücklegten.  Auch  die  kleinsten 
Päckchen  mussten  aus  den  Böten  genommen  und  über  die  Felsen  bis  oberhalb  der  Was- 
serfälle getragen  werden,  so  dass  es  Stunden  dauerte,  bevor  man  an  den  Transport  der 
Böte  denken  konnte.  Mit  Rudern  und  Stangen  war  in  diesem  Wasserchaos  nichts  anzu- 
fangen, daher  holten  die  Kajan  aus  dem  Walde  lange  Stücke  Rotan  von  der  Stärke  dicker 
Taue  und  befestigten  sie  vom  und  hinten  an  den  beiden  Bootsenden.  Die  gewandtesten 
Männer  zogen  das  Boot  erst  um  den  schützenden  Block  herum  und  dann  längs  dessen 
Fuss  hin  die  Fälle  hinauf.  Sind  die  Umstände  günstig,  so  riskiert  es  ein  Mann  im  Boote  zu 
bleiben,  um  dessen  Anprall  an  die  Felswände  zu  verhindern.  Auf  diese  Weise  wurde  ein 
Boot  nach  dem  anderen  um  die  verschiedenen  vorspringenden  Felsblöcke  bugsiert,  ein 
mühevolles  und  zeitraubendes  Werk.  Der  Zug  der  Gepäckträger  über  die  Felsen  bot  ein 
lebendiges  und  belustigendes  Schauspiel;  denn  der  Transport  so  vieler  Güter  der  verschie- 
densten Form  stellte  auch  an  die  hoch  entwickelte  Kletterkunst  der  Kajan  grosse  Anfor- 
derungen und  sobald  Form  und  Gewicht  des  Packens  ein  Tragen  auf  dem  Rücken  nicht 
I.  A.  r.  K  will.  9 


—  66  - 

zuliessen,  schwankte  der  Träger  ununterbrochen  und   so  manches  Ausgleiten  hatte  einen 

Fall  zur  Folge. 

Noch  lebhafter  und  aufregender  ging  es  auf  der  Wasserseite  zu  ;  hier  entfalteten  die 
Dajak  eine  solche  Kraft,  Umsicht  und  Fertigkeit,  dass  auch  ein  an  dergleichen  wilde  Schau- 
spiele Gewohnter  von  Bewunderung  erfüllt  werden  musste.  Da  jeder,  durch  die  Anspan- 
nung erregt,  dem  anderen  über  das  Gedonner  des  "Wassers  hin  etwas  zuzuschreien  ver- 
sucht, herrscht  überall  ein  scheinbares  Durcheinander;  in  Wirklichkeit  weiss  aber  jeder 
genau,  was  er  zu  tun  hat.  Während  die  erste  Gruppe  bereits  einen  neuen  Felsblock  er- 
klimmt, steht  die  zweite  oft  bis  zur  Mitte  im  tobenden  Wasser  und  hält  das  hintere  Seil 
straff,  um  das  Boot  nicht  anstossen  zu  lassen;  dann  wird  auch  dieses  Seil  nach  oben  ge- 
holt und  so  geht  es  langsam  weiter.  Ein  Europäer  tut  unter  solchen  Verhältnissen  am  besten, 
sich  jeder  Einmischung  zu  enthalten  und  ganz  dem  Rat  der  sorgsamen  Häuptlinge  zu  folgen. 

Bei  dem  günstigen  Wasserstande  liess  man  mich,  als  die  geföhrlichsten  Stellen 
überstanden  waren,  im  Boote  Platz  nehmen.  Nachdem  wir  mit  einigen  Böten  bereits 
ein  gut  Stück  vorwärts  gekommen  waren,  stand  ich  einen  Augenblick  allein  in  dem 
meinigen,  um  die  Ankunft  der  übrigen  abzuwarten.  Da  fing  das  Wasser  plötzlich  mit 
solcher  Geschwindigkeit  an  zu  steigen,  dass  ich  allein  nicht  im  Stande  war,  den  einen 
Rand  meines  Bootes,  der  eben  noch  frei  unter  einem  vorspringenden  Felsrand  geschaukelt 
hatte  und  jetzt  unter  diesem  eingeklemmt  war,  zu  befreien.  Das  Boot  neigte  sich  zugleich 
stark,  aber  einige  Dajak  sprangen  in  den  Fluss  und  ich  auf  den  Felsblock  und  so  glückte 
es  diesmal,  mein  Boot  vor  dem  Umschlagen  und  einige  meiner  Sachen  vor  einem  unwill- 
kommenen Bad  zu  behüten. 

Mit  dem  immer  schneller  ansteigenden  Wasser  vermehrten  sich  alle  Schwierigkeiten 
derart,  dass  an  ein  Überschreiten  der  Wasserfälle  nicht  zu  denken  gewesen  wäre,  wenn 
wir  nicht  bereits  den  halben  Weg  zurückgelegt  gehabt  hätten  und  nicht  der  Rückzug 
ebenso  viel  Hindernisse  wie  das  Vorwärtsgehen  verursacht  hätte. 

Unsere  weitere  Fahrt  bestand  in  einem  heftigen  Kampfe  mit  den  tobenden  Wellen. 
Bald  im  Boote  schaukelnd,  bald  im  dornigen  Uferwalde  allein  einen  Weg  suchend,  über- 
liess  ich  die  Bestimmung  über  meine  Person  und  Habe  gänzhch  meiner  Mannschaft. 
Bald  nach  Mittag  glaubte  ich  an  einzelnen  grossen  Felsblöcken  am  Ufer  zu  erkennen,  dass 
wir  die  eigentlichen  Fälle  überwunden  hatten.  Obgleich  ich  bereits  zwei  Mal  den  Kapua.s 
hinaufgefahren  war,  konnte  ich  doch  in  dem  schnellfliessenden,  unruhigen  Strom  nicht  das 
stille  Wasser,  das  sich  von  hier  bis  zur  Mündung  des  Bungan  hinziehen  musste,  erkennen. 

Die  Felsblöcke  am  Ufer,  die  das  Flussbett  einengten  und  mich  stets  wieder  das  Boot 
zu  verlassen  zwangen,  verschwanden  jetzt,  aber  die  Schwierigkeiten  verminderten  sich 
darum  nicht.  Die  heftige  Strömung  konnte  nur  mit  der  grössten  Kraftanspannung  und 
dadurch,  dass  man  an  der  Innenseite  der  Buchten  entlang  fuhr,  überwunden  werden.  Zu 
diesem  Zweck  mussten  wir  immer  wieder  die  hoch  brausende  Mitte  des  Flusses  durch- 
queren, ein  Wagstück,  das  nur  wenige  Dajak  zu  unternehmen  sich  getrauten.  Ihrem  Bei- 
spiel folgend  stellten  die  übrigen  ihr  Boot  in  einem  bestimmten  Winkel  gegen  die  Strom- 
richtung, ruderten  aus  aller  Macht  und  kamen  so  hinter  einer  beschirmenden  Landzunge 
zum  Verschein,  um  im  nächsten  Augenblick  von  der  rasenden  Strömung  der  Flussmitte 
gepackt  und  mit  schaudererregender  Schnelligkeit  gegen  das  andere  Ufer  geschleudert  zu 
werden.  In  solch  einem  Augenblick  spannte  die  Bemannung  zuerst  alle  Kräfte  an,  um  den 
ersten  Anprall  der  Bootspitze  der  Einbäume  gegen  das  Ufer  zu  verhindern;  war  dies  ge- 


—  67  — 

glückt,  so  sprangen  alle  im  Fahrzeug  in  die  Höhe,  ergrififen  die  Stangen  und  suchten  nun 
auch  den  Anstoss  der  Bootsrânder  zu  brechen. 

Die  Bewegungen,  die  die  langen,  schmalen  Fahrzeuge  ausführten,  waren  äusserst  unan- 
genehm und  sicher  ist,  dass  ich  dem  Himmel  dankte,  als  uns  nachmittags  gegen  4  Uhr 
die  braimen  Wellen  des  Kapuas  nicht  mehr  an  das  andere  Ufer,  sondern  in  das  stille, 
dunkle  Wasser  seines  Nebenflusses,  des  Bungan,  warfen,  der  sich  wie  ein  See  unter  dem 
Gewölbe  der  überhangenden  Uferbäume  hinzog". 

Der  italienische  Reisende  Odoardo  Beccari  beschreibt  auf  Seite  312  seiner  „Wande- 
rings in  the  great  forests  of  Borneo"  London  1904  ein  ähnliches  Ereignis:  „We  had  now 
reached  the  most  dangerous  part  of  the  river,  for  there  are  here  three  rapids  at  no  great 
distance  apart,  which  have  to  be  passed.  The  waters  were  then  low  and  the  rocks  nume- 
rous, threatening  no  little  danger  to  the  boats.  When  the  water  is  high,  navigation  is  less 
difficult,  for  iho  difference  of  level  in  the  rapids  becomes  much  less  and  the  danger  of 
being  driven  on  rocks  is  also  greatly  diminished.  The  increasing  roar  caused  by  the  falling 
water  warned  us  of  the  close  proximity  of  the  rapid,  though  we  had  heard  it  a  long  way 
back.  At  the  first  big  fall  we  unloaded  our  boat,  carrying  everything  on  the  men's  shoul- 
ders along  the  shore  beyond  the  dangerous  part;  but  we  all  returned  to  the  boat  to  make 
our  dash  through  the  foaming  waters.  For  me  it  was  quite  a  new  sensation;  and  indeed 
I  felt  it  quite  possible  I  might  never  have  the  opportunity  of  narrating  it.  I  had  full  faith 
in  my  Kayans  however  and  especially  in  the  expert,  who  wielded  the  steering  paddle  at 
the  stem.  Drawn  up  to  his  fullest  height,  he  looked  eagerly  for  the  best  passage.  This 
was  no  easy  task,  for  not  only  has  the  steersman  to  avoid  the  rocks  which  are  above 
water,  but  those  just  covered  by  it,  which  are  still  more  dangerous,  capsizing  the  canoe 
in  an  instant.  At  first  the  current  seemed  nothing  out  of  the  common,  but  as  we  approa- 
ched it  increased  in  force  until  there  seemed  almost  something  uncanny  in  its  overwhel- 
ming strength.  About  fifty  or  sixty  yards  ft-om  the  rapid  our  steersman  had  already  made 
up  his  mind  as  to  the  line  to  be  followed.  His  great  object  was  to  keep  the  boat  with 
plenty  of  way  on  in  the  current;  for  woe  betide  us  if  we  but  swerved  an  instant;  wo  should 
have  been  at  once  capsized  and  done  for!  As  we  approached  the  bigger  part  of  the  fall 
the  paddlers  redoubled  their  efforts  and  our  long,  light,  narrow  boat  shot  like  an  arrow 
down  the  swell  and  in  an  instant  was  righted  in  the  bubbling  waters  of  the  pool  beneath, 
in  a  cloud  of  pulverized  water  which  formed  a  mistlike  column  around  us.  I  feel,  that 
It  would  be  attempting  the  impossible  to  endeavour  to  translate  into  words  the  emotions 

of  that  moment,   which  came  and   went  like  a  flash  of  lightning  ! It  requires  the 

sangfroid  and  experience  of  the  Kayans  to  shoot  such  rapids.  The  feat  is  partly  accom- 
plished by  taking  the  fall  at  such  a  pace  that  the  canoe  reaches  calm  water  beyond  almost 
before  it  has  time  to  sink.  It  is  all  important,  that  the  paddlers  should  not  get  frightened 
at  the  amount  of  water  shipped,  but  continue  to  paddle  with  all  their  strength  until  the 
danger  is  well  past. 

In  »Sarawak,  its  inhabitants  and  productions  by  Hugh  Low,  London  1848"  finden  wir 
auf  Seite  401:  „Accordingly,  having  breakfasteil  we  pulled  up  against  the  stream  for  about 
six  miles  in  a  heavy  rain  to  the  Rheum  (Wasserfall)  Ledong,  a  rapid  formed  by  limestone 
banks,  which  contracts  the  stream,  leaving  a  narrow  passage  for  the  water,  which  rushes 
through  with  great  velocity  and  a  boiling  torrentlike  appearance.  It  is  rendered  dangerous 
to  boats  descending  the  river  by  a  large  rock  just  under  water,  directly  opposite  to  the 


—  68  — 

passage,  so  that  to  avoid  it,  boats  must  turn  suddenly  to  the  left,  while  shooting  the 
rapid  and  again  to  the  right  to  avoid  the  rocky  bank.  This  requires  considerable  practice 
and  dexterity". 

Dass  nicht  nur  die  Gebirgstämme,  sondern  auch  die  der  flachen  Küsten  ausgezeichnete 
Seefahrer  sind,  erhellt  aus  Folgendem  in  „Ling  Roth,  Natives  of  Sarawak  and  Brit.  N.  Bor- 
neo" Bd.  II  S.  249:  „When  describing  pomfret  fishing  reference  was  made  to  the  Bintulu 
harengs.  Mr.  Crocker  thus  describes  them:  „they  are  particularly  adapted  for  going  through 
the  surf,  which  prevails  on  the  N.  W.  coast  in  the  N.  E.  monsoon  owing  to  the  shallow 
bars  at  the  mouths  of  the  rivers.  They  receive  the  sea  broadside  on  and  the  natives 
manage  their  craft  with  such  dexterity  that,  although  they  often  go  to  sea,  when  a  ship's 
boat  could  not  live  five  minutes,  they  never  swamp.  They  are  about  40  feet  long,  the 
bottom  being  a  simple  canoe  hollowed  out  of  a  tree  ;  planks  are  raised  on  each  side  fastened 
by  wooden  pegs  :  in  place  of  knees  they  strengthen  the  boat  by  several  thwarts  connecting 
each  plank,  a  beam  runs  down  the  middle  of  the  boat  fastened  to  the  thwarts.  The  ends 
of  the  boat  are  square,  fastened  by  pegs  and  rotans.  They  are  strong  and  buyant  and  are 

propelled  by  short  oars  fastened  on  rotan  row-locks The  Muka  people  pull  short  oars 

with  a  plunging  and  a  splashing  stroke  with  more  jerk  than  spring  and  the  tub  splashes 
through  the  water  as  dry  as  a  collier  and  while  coming  in  through  a  heavy  breaking  surt 
running  far  over  their  heads  they  watch  for  the  roll  and  while  in  the  trough  pull  with 
all  their  might;  but  when  the  wave  is  curling  to  break,  they  suddenly  slew  their  crafts 
broadside  on  and  so  receive  it  with  the  exposed  side  well  out  of  water.  Directly  it  has 
passed,  away  they  go  again  as  fast  as  possible,  until  another  roller  overtakes  them,  when 
they  repeat  the  same  manoeuvre". 

Versucht  man  unter  den  höher  stehenden  Malaien  des  Archipels  die  gut«  Veranlagung 
des  ßewegungsgefühls  durch  die  Höhe  seiner  Entwicklung  darzulegen,  so  verfügt  man  nicht 
mehr  über  die  oben  erwähnten  gut  koordinierten  Bewegungen  des  ganzen  Körpers;  das 
Blasrohr  z.  B.  wird  nur  noch  als  Spielzeug  gebraucht,  die  Schwerttänze  nehmen  Formen 
an,  die  durch  Europäer  in  ihren  Einzelheiten  schwer  geschätzt  werden  können;  Bambu- 
schnitzereien  werden  viel  seltener  und  weniger  hübsch  gearbeitet. 

Es  treten  dagegen  an  ihrer  Stelle  die  manuellen  Geschicklichkeiten  bei  den  Industrien 
in  den  Vordergrund.  In  Niederländisch  Indien  werden  die  eingeborenen  Arbeiter  von  den 
europäischen  Industriellen  gerade  dort  am  meisten  geschätzt,  wo  Handfertigkeit  besonders 
erwünscht  ist.  Die  Verhältnisse  liegen  aber  für  unsere  Untersuchung  in  den  einheimischen 
Industrien  einfacher  vor,  wobei  man  natürlicherweise  die  besonderen  Vorbedingungen  bei 
der  Entwicklung,  wie  das  Fehlen  einer  technischen  Erziehung  in  unserem  Sinne,  und  wei- 
ter die  Umstände  bei  der  Ausübung,  wie  die  oft  äusserst  beschränkten  Hilfsmittel,  zu 
gleicher  Zeit  in  Rechnung  zu  ziehen  hat. 

Nachdem  verschiedenes  aus  diesen  einheimischen  Gewerben  in  den  zwei  ersten  Teilen  dieser 
Arbeit  relatif  ausführlich  behandelt  und  verwendet  worden  ist,  w^erde  ich  mich  hier  darauf 
beschränken,  sie  nur  in  bezug  auf  die  dabei  hervortretende  Geschickhchkeit  zu  er\N'ähnen. 

Unter  den  höher  zivilisierten  Malaien  der  Insel  Sumatra  nehmen  die  Menangkabauer 
die  erste  Stelle  ein.  Unter  ihnen  sind  zahlreiche  Industrien  zu  hoher  Entwicklung  gelangt. 
Im  Flechten  und  Weben  liefern  die  Frauen  Prachtstücke  des  menschlichen  Könnens, 
während  die  Männer  zu  den  besten  Bearbeitern  der  Edelmetalle  im  Archipel  gehören. 


—  69  — 

Den  Flechttechniken,  von  welchen  Dr.  Lehmann  75  Arten  im  Archipel  unterscheidet, 
werde  ich  nur  ein  Beispiel  entnehmen,  das  schon  im  ersten  Teil  gedient  hat,  nämlich  die 
auf  den  dortigen  Tafeln  XX— XXIII  abgebildeten  Matten  und  Taschen.  Bei  deren  Anferti- 
gung aus  dünnen  Pandanusstreifen  muss  das  Muster  durch  stets  wechselnde  Anwendung 
der  Flechtmetbode  gebildet  werden,  wobei  an  das  genaue  Innehalten  der  erforderlichen 
Kraft  für  die  Regelmässigkeit  der  Arbeit  ernste  Ansprüche  gestellt  werden.  Begreiflicher- 
weise rückt  die  Kontrolle  der  Augen  durch  ständige  Übung  der  manuellen  Leistung  dabei 
mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund;  die  Ausführung  wird  dann  halb  mechanisch  und  mit 
dem  Wechseln  der  Bewegungen  nach  den  Anforderungen  des  Mustere  ist  es  ebenso.  Die 
Muskeln  der  Hände  und  der  Arme  werden  dabei  in  ganz  genau  abgestufter  und  stets 
wechselnder  Anspannung  angestrengt;  man  könnte  von  einem  wahren  Muskelspiel  reden. 
Bis  zu  welcher  grossen  Höhe  die  Genauigkeit  dieser  Muskelarbeit  bei  solchen  vorzüglichen 
Leistungen  gestiegen  sein  muss  und  wie  wichtig  die  Rolle  des  Muskelgefühles  dabei  ist, 
zeigen  die  abgebildeten  Gegenstände  genügend  an;  jeder  Fachmann  wird  das  zugebei  müs- 
sen. Die  auf  Tafel  XX — XXII  abgebildeten  Matten  gehören  zu  den  selteneren  Prachtleistun- 
gen; die  Taschen  auf  Tafel  XXIII  werden  dagegen  allgemein  von  den  Frauen  und  Mädchen 
zum  täglichen  Gebrauch  angefertigt  Wie  früher  schon  bemerkt  wurde,  wird  diese  Flechtart 
auf  der  ganzen  Insel  gepflegt. 

Von  den  wunderschönen  Webereien  sind  für  unseren  Zweck  weniger  diejenigen  dienlich, 
deren  Muster  ganz  mittelst  des  Webstuhls  angefertigt  werden,  als  die  hübschen  Gold-  und 
Silberbrokate  der  Tafel  XXVII  des  zweiten  Teiles  dieser  Arbeit  im  Jahrgang  XXII,  die 
durch  Weberei  aus  freier  Hand  dargestellt  werden.  Das  Mittelstück  des  Tuches  aus  Palëm- 
bang  auf  Tafel  XXX  ist  für  diesen  ein  gutes  Beispiel.  Alle  dort  vorkommenden  tumpals 
und  Sterne  sind  durch  Einführung  des  Einschlags  aus  freier  Hand  eingewebt  worden.  Die 
dazu  erforderlichen,  immer  wechselnden  Zahlen  der  Kettenfaden  werden  dazu  mit  einem 
kleinen  Schwert  gehoben,  um  den  Metallfaden  des  Einschlags  einführen  zu  können.  Dies 
erheischt  von  der  Weberin  nicht  nur  eine  überaus  grosse  Leistung  des  Erinnerungs-  und 
Vorstellungsvermögens,  sondern  sie  muss  ausserdem  über  eine  sehr  ausgebildete  Geschick- 
Hchkeit  verfügen,  um  die  feinen,  seidenen  Kettenfaden  über  der  Breite  eines  tumpals 
oder  Sterns  in  richtiger  Zahl  und  Anordnung  aufzuheben.  Wie  früher  bereits  hervorgehoben, 
macht  sie  dies  durch  ihre  Geschicklichkeit  derartig,  dass  die  Arbeit  relativ  nicht  lange 
dauert.  Unter  den  Gewerben  der  Menangkabäu  Männer  verdient  das  der  Gold-  und  Silber- 
schmiede genannt  zu  werden.  Seit  Alters  her  sind  die  wimdervollen  Filigransilbersachen 
aus  den  „Padang'sche  Bovenlanden"  bekannt;  das  Klöppeln  der  Gold-  und  Silberposamente 
gehört  ebenfalls  zu  ihren  Fälligkeiten,  wie  die  Frauen  die  Klöppelei  mit  Baumwollfaden 
verdientvoll  betreiben. 

Dieses  und  Ähnliches  kann  man  auch  von  anderen  malaiischen  Völkern  des  Archipels 
berichen;  zum  Schluss  genüge  aber  eine  etwas  ausführlichere  Behandlung  der  schwierig- 
sten Bearbeitung  der  Edelmetalle  unter  den  höher  stehenden  malaiischen  Völkern,  nämlich 
des  Treibens. 

In  Europa  wird  das  Treiben  der  Edelmetalle  zu  den  schwierigst  auszuführenden  Gold- 
schmiedearbeiten gerechnet.  Noch  mehr  als  bei  den  anderen  verleiht  hier  die  manuelle 
Geschicklichkeit  im  Hantieren  der  Meissel  und  Hammer  den  hohen  Wert  und  das  Persön- 
liche in  der  Ausführung.  Es  gehört  eine  bestimmte  Anlage  dazu,  um  sich  durch  unsere 
theoretische  und  technische  Erziehung  so  weit  ausbilden  zu  können,  dass  man  in  der  Treib- 


—  70  — 

technik  verdienstvolle  Arbeit  liefert.  Manche  Goldschmiede  sind  nicht  im  Stande,  es  je  zu 
dieser  Höhe  zu  bringen. 

Ohne  weiter  auf  die  europäische  Technik  des  Treibens  einzugehen,  verdient  doch 
Erwähnung,  dass  der  europäische  Kunsttreiber  sich  für  seine  Arbeit  von  vier-  bis  fünfhun- 
dert Meissein  der  verschiedensten  Formen,  mehrerer  Treibhammer,  oft  von  sonderbarster 
Gestalt,  und  noch  anderer  Instrumente  bedient.  Die  Meissel  fertigt  er  sich  selber  für  seine 
Arbeit  an.  Es  kommt  jetzt  nur  selten  vor,  dass  der  europäische  Kunsttreiber  seine 
Gegenstände  auch  ganz  fertig  zu  stellen  versteht;  er  überlässt  letzteres  meistens  anderen 
Fachgenossen. 

Unter  den  höher  stehenden  malaiischen  Völkern  des  Archipels  wird  das  Treiben  der 
Edelmetalle  besonders  dort  geübt,  wo  von  Alters  her  die  üppige  Lebensführung  der  reichen 
Fürsten  und  Adligen  die  Goldschmiedekunst  stützte.  So  war  sie  früher  und  ist  zum  Teil 
noch  hochentwickelt  auf  den  Inseln  Java,  Bali  und  Lombok,  unter  den  Makassaren  und 
Buginesen,  unter  den  Atjehern  und  Menangkabauern.  Auch  das  Treiben  wird  da  neben  den 
anderen  Fächern  wie  Ziselieren,  Filigranarbeit,  Giessen  und  Setzen  von  Edelsteinen  geübt. 
Um  sich  die  Verhältnisse,  unter  welchen  hier  gearbeitet  wird,  lebhaft  vergegenwärtigen 
zu  können,  übernehme  ich  die  folgende  Skizze  eines  javanischen  Goldschmiedes  aus  einer 
Abhandlung  J.  E.  Jaspeb's:  „Het  een  en  ander  over  inlandsche  Goud- en  Zilversmeedkunst". 
(Tijdschrifb  voor  het  Binnenlandsch  Bestuur): 

„Er  war  nur  ein  ganz  einfacher  Javaner,  ein  echter  Dorfarbeiter,  der  seinen  Beruf  von 
seinem  Vater  gelernt  hatte  und  ihn  auch  seinen  Sohn  wieder  lehren  würde.  Er  was  der 
Typus  eines  bescheidenen  Künstlers,  nur  arbeitend,  wenn  ihm  etwas  aufgetragen  wird; 
lange  darüber  sinnend,  bevor  er  zu  arbeiten  anfangt;  mit  vollem  Eifer,  wenn  er  einmal 
schafft  und  immer  arbeitend  für  einen  kleinen,  kargen  Lohn,  der  bis  auf  den  geringsten 
Betrag  heruntergefeilscht  wird.  Er  war  gutmütig,  Hess  sich  leicht  beschwatzen,  nahm  die 
Aufträge  an,  die  man  ihm  aufzwang;  ich  glaube  aber  nur  deshalb,  weil  er  nun  einmal 
nicht  umhin  konnte  zu  schaffen,  wie  sein  Vater  es  gemacht  hatte  und  wie  sein  Sohn  es 
später  tun  würde. 

Wie  bei  so  vielen  javanischen  Handwerkern  war  auch  in  ihm  das  stille  aber  starke 
Bedürfnis  fest  eingewurzelt,  um  ruhig  an  einem  feinen  zarten  Machwerk  herumzubasteln, 
das  er  durch  eigene  Gedanken,  eigenen  Geschmack  und  eigene  Händearbeit  zu  einem 
bescheidenen  Kunstwerk  herausbildet. 

Er  war  Silberschmied  mehr  aus  Liebhaberei,  als  um  mit  dem  Verdienst  seine  ganze 
Existenz  zu  fristen.  Er  war  kein  Dilettant,  da  er  dazu  viel  zu  lange  die  Silberschmiedkunst 
ausgeübt  hatte;  auch  arbeitet  er  zu  geschickt  und  war  in  seiner  Auffassung  zu  fest,  um 
nur  diesen  Namen  zu  verdienen.  Ein  Berufsschmied  war  er  aber  auch  nicht,  da  er  Reis- 
felder besass  und  der  Ackerbau  ihm  seine  Haupteinnahmen  lieferte.  Er  war  also  Künstler, 
ein  sehr  bescheidener  Künstler,  in  einer  verlorenen  Ecke  des  Dorfes  wohnend,  nur  dann 
und  wann  arbeitend  und  obschon  innerlich  recht  stolz  auf  das,  was  er  bis  jetzt  abgeliefert 
hatte,  doch  eher  zurückhaltend  mit  seinen  Leistungen  vor  den  Augen  des  neugierigen  Be- 
suchers, wie  das  ja  stets  dem  mehr  oder  weniger  misstrauischen  Javaner  eigen  ist. 

Ich  besuchte  ihn  in  seiner  Werkstatt.  Diese  war  nur  ein  kleines  Fleckchen,  ungeschlos- 
sen von  Fenstern  und  einer  Tür,  vor  der  nur  eine  graue  Rotangardine  herunterhing. 
Dahinter  sass  er  auf  dem  Boden  vor  einem  niedrigen  Bänkchen,  seinem  Arbeitstisch, 
worauf  eine   Menge  eiserner  Instrumente,    Stifte   und   blankes  Metall  durcheinander  lag. 


—  71  — 

Hinter  dieser  dürftigen  Werkstatt  mit  ihren  fleckigen  und  beschmutzten  Mauern  wohnte 
er  in  einem  Häuschen,  das  etwas  netter  und  reiner,  halb  hinter  einer  Gardine  von  buntem, 
geblümtem  Kattun  verborgen  war. 

Auf  dem  aus  Erde  bestehenden  Fussboden,  ungleich  und  feucht,  lag  hier  und  da  eine 
Matte,  ein  Häufchen  Instrumente  ;  in  der  Nähe  des  Fensters  an  der  einen  Seite  ein  impro- 
visieiter  Tisch  aus  Holz  von  Petroleumkisten,  fleckig-fettig-schwarz  geworden  durch  den 
langen  Gebrauch;  an  der  anderen  Seite  ein  schiefes  Gestell,  voll  Spinnengewebe  und  alter 
Sachen,  ein  trübes  Bild  von  früherem  Luxus. 

Beim  Ofen,  einer  primitiven  Heizstätte,  lagen  in  einer  dunklen  Ecke  die  russigen  Zangen 
verstreut  am  Boden  zwischen  Stücken  von  Schmelzkübeln,  gebrochenen  Eisenstücken  und 
allerhand  unbegreiflichen  Gegenstände  herum,  deren  Gebrauch  nur  dem  mit  allem  sich  be- 
schäftigenden Schmiede  bekannt  war. 

Ich  gebe  diese  Beschreibung  des  Innern  dieser  Werkstätte  des  javanischen  Silber- 
schmiedes, weil  andere  Gewerbekünstler  in  einer  nicht  viel  besseren  Umgebung  arbeiten 
und  weil  man  darüber  erstaunt,  dass  er,  in  einer  solchen  ärmlichen,  trübseligen  Umgebung 
schaffend,  noch  Gegenstande  zu  bilden  versteht,  die  man  ihrer  zarten  Linienführung  und 
ihrer  trefflichen  Zeichnung  wegen  bewundem  muss." 

Da  auch  ausserhalb  der  Insel  Java  unter  den  Malaien  ähnliche  Zustande  herrschen, 
lernt  man  hierdurch  die  Verhältnisse  kennen,  in  welchen  die  Meisterstücke  des  indischen 
Kunstgewerbes  oft  entstehen;  für  unseren  Zweck  ist  diese  Beschreibung  nützlich,  da  sie 
die  Rolle  der  manuellen  Geschicklichkeit  veranschaulicht. 

In  t>ezug  auf  diese  liest  man  in  derselben  Abhandlung  noch  Folgendes:  „Die  Kunst 
des  Treibens  wird  nur  noch  selten  (auf  Java)  geübt,  denn  es  müssen  dünne  Silber-  und 
Ooldplatten  geschmiedet  werden,  was  für  den  einheimischen  Schmied  mit  seinen  äusserst 
einfachen  Instrumenten  höchst  beschwerlich  ist;  nachher  hat  er  das  Must^'r  durch  das 
regelmässige  Beklopfen  von  vom  und  hinten  so  auszutreiben,  dass  die  Verzierungen  an 
der  Vorderseite  „en  relief  zum  Vorschein  kommen 

Gerade  wie  beim  Ziselieren  und  Gravieren  die  prachtvollsten  Zeichnungen  vom  Javaner 
mit  nur  einzelnen  Arten  von  Meisselchen  ausgearbeitet  werden  können,  so  werden  auch 
zum  Treiben  des  Silbers  nicht  mehr  als  drei  oder  vier  Treibmeissel  verwendet.  Ihre  ver- 
schiedenen Eindrücke  werden  derartig  zusammengesetzt,  dass  das  Ganze  der  Figuren  den- 
noch zart  von  Linien  und  korrekt  in  der  Erhöhung  ist. 

Die  von  der  Insel  Madura  stammenden  goldenen  und  silbernen  Gegenstände  sind  oft 
Juwelen  der  Treibkunst Es  scheinen  auf  Madura  die  fähigsten  Künstler  im  Kunst- 
treiben zu  wohnen." 

Aus  Obigem  erhellt,  bis  zu  welchem  hohen  Grade  der  Entwicklung  die  manuelle  Ge- 
schicklichkeit der  Malaien  steigen  kann,  obschon  die  technische  Erziehung,  wie  wir  diese 
in  Europa  z.  B.  kennen,  fast  ganz  fehlt.  Eine  solche  Geschicklichkeit  besteht  aber  ausschliess- 
lich in  der  Ausführung  fein  koordinierter  Bewegungen,  bei  welchen  ein  zart  entwickeltes 
MuskelgefQhl  die  graduellen  Abstufungen  in  der  Anspannung  der  vielen  mitarbeitenden 
Muskeln  regelt,  wenn  der  Impuls  zur  Bewegung  vom  Gehirn  ausgegangen  ist.  Dass  auch 
das  MuskelgefQhl  eine  Funktion  unseres  Nei-vensystems  ausmacht,  ist  bekannt. 

Auch  für  das  Treiben  gilt,  was  bei  so  vielen  einheimischen  Gewerben  zu  bemerken  ist, 
dass  weder  von  Modellen  noch  von  Zeichnung  Gebrauch  gemacht  wird  ;  alles  geschieht  aus 
dem  Kopf  oder,  wie  man  auf  Bali  sagt,  „aus  dem  Herzen." 


—  72  — 

Besser  wie  jede  weitere  Betraciitung  wird  aber  die  Vorfüiirung  von  einzelnen  Pracht- 
exemplaren des  malaiischen  Kunsttreibens  Zeugnis  von  der  guten  Anlage  des  Muskelge- 
fühls ablegen  können.  Auch  hierbei  muss  daran  erinnert  werden,  dass  man  dazu  in  Europa 
nur  über  diejenigen  Gegenstände  verfügt,  die  zufällig  in  Museen  gewandert  sind  oder  sich 
in  Privatbesitz  befinden.  Da  es  sich  hier  oft  um  sehr  kostbare  Kunstprodukte  handelt, 
sind  sie  selten,  und  die  besten  bleiben  wohl  in  indischem  Besitz. 

Von  der  Insel  Madura  stammt  die  Krissscheide  von  getriebenem  Silber  in  meinem 
Privatbesitz,  abgebildet  auf  Taf.  XIII,  Fig.  a.  Die  aus  Silberblech  bestehende  Hülle  des 
unteren  Teiles  des  Krissfutterales  umfasst  die  aus  Holz  verfertigte  Scheide,  deren  oberer, 
breiter  Teil  aus  dem  sehr  geschätzten,  hellen,  mit  dunklen  Flecken  marmorierten  Kemuni- 
Holz  verfertigt  ist.  Ähnliche  metallene  Hüllen  werden  aus  Gold,  Silber  oder  aus  Legierungen 
dieser  Metalle  angewendet  und  zeigen  entweder  die  glatte  Farbe  des  Metalls,  oder  sind 
mehr  oder  weniger  ziseliert,  getrieben  oder  auch  wohl  mit  Edelsteinen  besetzt. 

Die  hier  auf  der  "Vorderseite  befindliche  Ornamentik  bietet  durch  die  Feinheit  der 
Blätter,  Blüten  und  Vögel  und  durch  die  Zartheit  der  Linienführung,  wie  auch  durch  die, 
hohen  Anforderungen  entsprechende  Ausführung  des  Treibens  gerade  für  unsere  Unter- 
suchung ein  sehr  geeignetes  Beispiel.  Diese,  mit  echt  indischer  Üppigkeit  verzierte,  läng- 
liche Fläche  bietet  zwar  auch  in  bezug  auf  Stil  und  Entwurf  manches  Beachtenswerte,  das 
vielleicht  später  behandeld  werden  wird,  aber  ihre  Art  des  Treibens  interessiert  uns  jetzt 
am  meisten. 

Das  Treiben  ist  nur  von  der  Vorseite  nach  innen  geschehen  und  derartig,  dass  die 
feinsten  Blumen  und  Ranken  ganz  scharf  in  hohem  Relief  sich  in  zart  geschwungenen  Linien 
auf  dem  zurückgedrängten  Hintergrund  erheben.  Aus  den  vielen  kleinen  Unterschieden 
der  Figuren  geht  hervor,  dass  auch  diese  überaus  feine  Verzierung,  nach  einheimischer  Arbeits- 
weise, mit  einfachen  Punzen,  nicht  mit  zusammengesetzten  Treibeisen  ausgeführt  worden  ist. 
Die  von  oben  nach  unten  verschieden  geformten  und  sich  verkleinerenden  Vögel  mit 
den  dazwischen  angebrachten  Mittelfiguren  zeigen  diese  Eigentümlichkeit  der  Bearbeitung 
zur  Genüge.  Dass  diese  Arbeit  „aus  dem  Kopf  verfertigt  werden  konnte,  ist  für  die  Fähig- 
keit dieses  Maduresen  bezeichnend  genug.  "Wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass  das  Treiben 
nur  durch  ganz  genau  koordinierte  Bewegungen  ausgeführt  werden  kann  und  diese  getrie- 
bene Scheide  sich  in  bezug  auf  Technik  mit  den  besten  europäischen  Kunstwerken  dieser 
Art  vergleichen  lässt,  so  muss  dieser  maduresische  Arbeiter  mit  einem  sehr  gut  ange- 
legten Muskelgefühl  geboren  sein. 

Auf  Bali,  einer  Insel,  wo  die  Bearbeitung  der  Edelmetalle  und  der  Edelsteine  aut 
einer  hohen  Stufe  steht,  begegnen  wir  häufig  getriebener  Arbeit,  ausgezeichnet  durch  das 
Treiben  von  der  Hinterseite  nach  vorn  des  über  der  Fläche  des  Silber-  oder  Goldbleches 
erhabenen  Musters.  Diese  erhabenen  Figuren  werden  dann  nachher  durch  Treiben  und 
Ziselieren  an  der  Vorderseite  vervollständigt.  Daneben  kommt  auch  die  einseitige  Trieb- 
arbeit von  der  Vorderfläche  aus  vor. 

Während  man  beim  Treiben  der  Maduresen  eine  sehr  starke  Kontrolle  der  Augen  auf 
das  Ergebnis  der  Hände-  und  Muskelarbeit  voraussetzen  darf,  lallt  dieses  Hilfsmittel  beim 
Treiben  von  hinten  nach  vorn  viel  weniger  ins  Gewicht.  Um  ein  Relief  mit  so  vielen  Über- 
gängen zu  erhalten,  wie  sie  z.  B.  viele  Blattmuster  zeigen,  kann  man  dabei  wohl  nur  an  erster 
Stelle  mit  der  genau  abgestuften  Kraft  des  Schlages  beim  Treiben  rechnen,  die  ebenso 
genau  koordinierte   Muskelbewegungen  voraussetzt.  Es  wird   ausdrücklich   gemeldet,   dass 


—  73  — 

ebenso  wenig,  wie  bei  anderen  ursprünglichen  Industrien  im  Archipel,  beim  Treiben  auf 
Bali  weder  Modelle  gemacht  noch  Zeichnungen  verwendet  werden.  Alles  geschieht  aus 
dem  Kopf. 

Der  grosse  silberne  Deckel  aus  Klunkung,  der  im  Ethnographischen  Reichsmuseums 
in  Leiden  unter  Serie  1684  N".  90  beschrieben  ist,  ist  von  derartiger  Arbeit  ein  hübsches 
Beispiel.  Das  Silberblech  ist  vorher  zu  einer  kuppeiförmigen  Flache  von  8  c.M.  Höhe  und 
27.1  c.M.  Durchmesser  aufgetrieben  worden,  die  dann  mit  getriebenen  Blumen-  und  Blät- 
teiTOUstem  verziert  worden  ist. 

Abgebildet  auf  Taf.  XIV,  zeigt  dieser  wundervoll  '  getriebene  Gegenstand  eine  beson- 
dere schön  entworfene  Verzierung  von  dalima-Blüten  und  Blattranken.  Gerade  hier  sind 
die  grösseren  Flächen  der  Blüten  und  Blätter  durch  zarte  Übergänge  des  Reliefs  ausge- 
zeichnet, was  besonders  in  bezug  auf  das  Kunsttreiben  ins  Gewicht  fallt.  An  der 
Hinterseite  des  Deckels  sieht  man  in  Vertiefungen  dieselben  Muster,  die  die  Vorderseite 
erhaben  zieren,  scharf  abgezeichnet.  Das  nachfolgende  Treiben  der  Relieffiguren  an  der  Vor- 
derflache hat  dem  Ganzen  natürlich  ein  viel  kunstvolleres  Gepräge  verliehen. 

Dieses  Kunstwerk  macht  den  Eindruck,  von  einem  gut  geübten  Künstler  verfertigt 
worden  zu  sein;  er  hat  es  denn  auch  verstanden,  die  Figuren  einander  so  ähnlich  zu 
machen,  dass  sich  nur  bei  genauer  Betrachtung  zeigt,  dass  sie  in  Kleinigkeiten  unter 
einander  ziemlich  verschieden  sind  und  auch  <lie  Ranken  ungleich  verlaufen.  Dies  zeigt 
zur  Genüge  an,  dass  auch  der  baiische  Kunsttreiber  seine  Werke  mittelst  weniger  und 
einfacher  Punzen  ausarbeitet  und  diesen  Nachteil  seinen  europäischen  Kollegen  gegenüber 
durch  eigne  Fähigkeit  ausgleicht. 

Die  getriebene  silberne  Vase,  Fig.  a  u.  b  auf  Taf.  XV,  die  im  ethnographischen  Reichs- 
museum in  Leiden  als  Serie  1602  N".  64  bekannt  ist,  mag  als  zweites  Beispiel  dieser 
Kunsttreiberei  dienen.  Das  Silberblech  ist  hier  zu  einer  zylindrischen  Oberfläche  gebogen 
und  die  ganze  Aussenseite  mit  getriebenen  Figuren  in  Relief  verziert;  längs  des  Ober- 
randes Blumen-  und  Blätterranken  zwischen  zwei  aus  Vierecken  bestehenden  parallelen 
horizontalen  Linien.  Darunter  acht  Darstellungen,  je  von  einem  Rahmen  umschlossen,  ab- 
wechselnd zwei  Blumen  über  einander  und  ein  Vogel,  der  über  ein  vierfüssiges  Tier  fliegt, 
von  Blattranken  umgeben.  Auch  längs  des  nach  innen  gebogenen  Unterrandes  ein  Blatt- 
omament.  Die  Vase  stammt  aus  Badung,  Süd-Bali. 

Im  Gegensatz  zu  dem  vorigen  Kunstwerk  ist  die  Verzierung  auf  dieser  Vase  so  un- 
gleichartig, wie  es  sich  nur  mit  einer  einheitlichen  Verzierung  vereinigen  üess.  Im  oberen 
Blattrand  sind  die  an  den  Ranken  sitzenden  Blattomamente  alle  verschieden,  wenn  sie 
auch  streng  in  derselben  Fonnart  entworfen  sind.  Dasselbe  kennzeichnet  die  Blatt-  und 
Tierflguren .  der  acht  Vierecke.  Die  vier  Vögel  sind  einander  sehr  ungleich  in  der  Haltung 
des  Körpers;  die  darunter  stehenden  VierfQssler  unterscheiden  sich  hauptsächhch  durch 
Kopf,  Schwanz  und  Körperhaltung  von  einander.  Auch  die  Einfassungen  der  Vierecke 
und  kleinere  Besonderheiten  zeigen  Differenzen. 

Dieses  Kunstprodukt  zeichnet  sich  also  durch  denselben  Charakter  aus,  wie  so  viele 
malaiischen  Gewerbe,  nämlich  durch  die  Vielheit  der  Verzierungsformen,  was  von  un- 
serem Standpunkt  wiederum  interessant  i.st,  da  es  anzeigt,  dass  diese  nicht  mit  Schablonen 
auf  Punzen,  sondern  wie  gewöhnlich  mit  einer  beschränkten  Zahl  sehr  einfacher  Treibeisen 
aufgebaut  worden  sind. 

Das  Treiben  ist  der  Hauptsache  nach  von  innen  nach  aussen  geschehen;  an  der  In- 
I.  A.  f  K.  H<l.  xxm.  10 


—  74  — 

nenseite  befindet  sich  also  das  ganze  Muster  tief  ausgebuchtet  mit  den  Spuren  der  Punzen, 
die  die  Grundlinien  der  Figuren  eintrieben.  An  der  Aussenseite  ist  das  Relief  mit  ober- 
flächlichem Treiben  aus-  und  nachgearbeitet  worden.  Dort  findet  man  z.  B.  an  der 
Unterseite  der  Figuren  die  Spuren  der  Punzen,  die  dort  den  Boden  weiter  zurückgetrieben 
haben,  um  das  Erhabene  stärker  hervortreten  zu  lassen.  Der  Grund  des  Musters  ist  punktiert. 
In  bezug  auf  Entwurf  und  Ausführung  soll  die  Abbildung  für  sich  sprechen. 

Die  goldene  gambir-Dose  aus  Klunkung,  Serie  1684  N".  17  des  ethn.  Reichsmuseums  in 
Leiden,  abgebildet  auf  Taf.  XVI  Fig.  a,  gehört  zweifellos  zu  den  wertvollsten  Triebarbeiten 
der  Sammlungen.  Die  Dose  sowie  der  Deckel  sind  ganz  verziert  mit  getriebenen  Blumen- 
und  Blattfiguren  en  relief,  an  den  Wänden  in  drei  Fächer  verteilt;  der  Deckel  wird  durch 
vier  glatte  bandartige  Streifen,  die  von  den  Ecken  ausgehen  und  durch  einen  Mäanderrand 
um  die  Mitte  in  fünf  Fächer  verteilt. 

Die  Ornaraentierung  dieser  Dose  steht  als  Triebarbeit  deshalb  über  der  oben  behan- 
delten, weil  die  Figuren  auf  diesen,  aus  einem  dicken  Goldblech  bestehenden  Flächen  be- 
sonders hoch  derartig  getrieben  worden  sind,  dass  die  Seitenränder  des  Reliefs  nicht  nur 
ganz  gerade  aus  der  Fläche  heraustreten,  sondern  hie  und  da  über  die  Fusslinien  hinüber- 
hängen.  Dazu  ist  die  Verzierung  von  innen  aus  sehr  tief  und  in  scharfen  Umrissen  aus  der 
Oberfläche  hinausgetrieben  und  die  Fusspartien  der  Figuren  sind  nachher  mit  Punzen 
scharf  von  aussen  nach  innen  zurückgedrängt  worden. 

Die  an  den  Seitenflächen  befindlichen  Grecränder  sind  von  aussen  nach  innen  getrie- 
ben, wie  auch  die  Ausarbeitung  der  Blumen-  und  Blattornamente  von  aussen  her  ange- 
bracht worden  ist.  Auch  bei  dieser  Dose  zeigt  die  Ungleichheit  der  Unterteile  in  der  Oma- 
mentierung  an,  dass  die  gewöhnliche  einheimische  Arbeitsweise  mittelst  weniger  einfacher 
Punzen  befolgt  worden  ist. 

Die  doppelte  silberne  Gambirdose,  Serie  1602  N".  106,  abgebildet  auf  Taf.  XIII  Fig.  ft, 
verdient  ebenfalls  als  getriebener  Gegenstand  vorgeführt  zu  werden.  Die  Dosen  bestehen 
aus  einem  runden,  bauchig  ausgetriebenen  Mittelstück,  einem  aufgelöteten  Boden  und  einem 
Deckel,  mittelst  eines  Scharniers  mit  dem  Mittelstück  verbunden.  Die  grösste  Dose  ist  am 
hübschesten  gearbeitet.  Um  ihr  Mittelstück  ist  eine  Reihe  von  länglichen  Schilden  ange- 
bracht, alle  mit  einem  Blattornament  en  relief  verziert.  Oben  und  unten  wird  diese  Schild- 
reihe mit  zwei  Reihen  einfacher  Motive  eingefasst.  Sowohl  Boden  als  Deckel  sind  mit 
einem  einzigen  schön  modellierten  Blumen-  und  Blattoraament  versehen.  Sie  bestehen 
aus  einer  bombierten  Silberblechplatte,  auf  welcher  von  innen  heraus  die  sehr  zusammen- 
gesetzten Ornamente  en  relief  getrieben  wurden  ;  auch  bei  diesen  sind  die  Blätter  mit  gros- 
sem Geschmack  gebogen  worden.  Um  das  Relief  noch  zu  erhöhen,  ist  das  Silberblech  an 
einzelnen  Stellen  nach  innen  getrieben.  Von  aussen  sind  die  Ornamente  von  Boden,  Deckel 
und  Schildreihe  mit  besonderer  Gewandtheit  mittelst  Treiben  ausgearbeitet.  Die  Blatt- 
brnamente  der  Schilde  besitzen  einen  gemeinsamen  Zug,  sind  aber  unter  einander  ver- 
schieden. Auch  diese  Arbeit  trägt  das  Gepräge,  mit  einfachen  Punzen  aus  dem  Kopf  aus- 
geführt worden  zu  sein. 

Die  goldene  Gambirdose  Serie  1602  N".  95,  abgebildet  auf  Taf.  XVI  Fig.  ft,  die  nach 
ähnlichem  Modell  wie  die  vorige  zusammengesetzt  und  verziert  ist,  zeigt  ebenfalls  der- 
artige Blumen-  und  Blättermuster;  nur  ist  die  Oberfläche  derselben  ausführiich  mittelst 
scharfer  Punzen  gestrichelt.  Das  Relief  ist  nicht  so  hoch  wie  bei  N".  106.  Auch  hier  sind 
Boden  und  Deckel  im  allgemeinen  gleich  verziert,  nur  ist  die  Verzierung  des  Bodens  etwas 


—  75  — 

höher  aufgetrieben.  Auch  der  dreiteilige  Rand  ist  von  innen  nach  aussen  herausgetrieben 
worden. 

Die  Blattmuster  der  24  Schilde  sind  einander  ähnlich,  zeigen  aber  doch  im  Besonderen 
Verschiedenheiten,  sodass  keine  zwei  einander  ganz  gleich  sind.  Auch  hier  ist  die  Schraf- 
fienmg  geübt,  die  tieferen  Partien  pointiert. 

Die  Oberfläche  ist  durch  langen  Gebrauch  abgenutzt. 

Um  wenigstens  ein  paar  Beispiele  von  Treibarbeiten  anderer  Völker  zu  geben,  sind  die 
beiden  Krisscheiden  auf  Tafel  XVII  a  und  b  abgebildet  worden.  Fig.  a  stellt  eine  bugine- 
sische,  goldene  Krisscheide  aus  Siak  (Insel  Sumatra)  dar.  Sie  besteht  aus  Holz,  ist  aber  mit 
getriebenem  Goldblech  ganz  bedeckt.  Der  einfach  mit  glatten  Goldstreifen  umwundene  un- 
tere Teil  ist  weggelassen  worden.  Der  Kris  ist  im  Ethnographischen  Reichsmuseum  unter 
S.  1522  N».  1  bekannt. 

Der  dünnere  Teil  ist  im  Durchschnitt  oval  und  wird  nach  oben  breiter,  wo  er  plötzlich 
eine  ahnsehnliche  Verbreiterung  erfährt.  Die  getriebenen  Figuren  bestehen  aus  Blattoma- 
menten  innerhalb  glatter  und  leicht  verzierter  Ränder. 

Das  Relief  der  Ornamente  ist  durch  Treiben  von  aussen  nach  innen  angebracht  wor- 
den. Ausser  den  hübschen  Konturen  der  Blattformen  ist  die  feine  Biegung  ihrer  Ober- 
flächen sehr  bemerkenswert  Diese  Rundungen  sind  bei  der  Abarbeitung  mittelst  äusserst 
feiner,  scharfer  Punzen  angebracht  worden.  Die  hierdurch  verursachten  feinen  Rillen  sind 
unter  Vergrösserung  gut  zu  sehen.  Die  Biegungen  sind  von  sehr  verschiedener  Form  und 
ganz  dem  Verlauf  der  Verzierungslinien  angepasst. 

Fig.  b  auf  Taf.  XVII  bildet  die  Darstellung  der  getriebenen  Metallbedeckung  einer 
Krisscheide  aus  Bandjarmassin,  Süd-Bomeo.  S.  761,  N".  80.  Sie  besteht  aus  mit  Gold  be- 
decktem Kupfer,  das  aul  den  erhabensten  Teilen  durch  Abnutzung  blossliegt. 

Die  Omamentierung  der  von  oben  nach  unten  schmäler  werdenden  länglichen  Fläche 
besteht  im  breiteren  Teil  aus  hübsch  modellierten  Blätter-  und  Blütenranken,  die  nach 
unten  zu  immer  einfacher  werden.  Die  Hauptfiguren  sind  von  innen  nach  aussen  getrie- 
ben worden;  das  hierdurch  erhaltene  Relief  ist  weiter  durch  Treiben  von  der  Oberfläche 
aus  abgearbeitet  worden.  Dabei  hat  man,  wie  beim  vorigen  Gegenstand,  die  Flächen  der 
Blatter  und  Blüten  mit  besonderer  Sorgfalt  so  gebogen,  dass  sie  die  Ornamentierung  hübsch 
erigänzen. 

Die  angeführten  Daten  erlauben  den  Schluss,  dass  die  Veranlagung  und  Entwicklung 
des  Muskelgefühls  bei  den  niedriger  und  höher  stehenden  Malaien  gut  sind,  denn  auch  der 
Europaer  leistt^t  auf  ähnlichen  Gebieten  nichts  höheres.  Es  würde  aber  Wunder  nehmen,  wenn 
sich  nicht  auch  in  den  malaiischen  Zusammenlebungen  Erscheinungen  hervortun  würden,  die 
die  Entwicklung  und  praktische  Verwendung  geometrischer  Auffassungen  darlegten.  Auf 
diesem  Gebiet  soll  man  aber  mit  der  nötigen  Vorsicht  urteilen,  denn  die  höher  entwickelte 
malaiische  Gesellschaft  ist  schon  so  lange  und  so  bedeutend  von  sehr  zivilisierten  Völkern 
beeinflusst  worden,  dass  ihre  praktische  Geometrie  keinen  Schluss  auf  ihre  eigenen  psy- 
chischen Exzesse  zulässt.  Man  ist  vielmehr  darauf  angewiesen,  unter  jenen  fa.st  unberühr- 
ten malaiischen  Stämmen  nachzuforschen,  die  im  Innern  der  Inseln  Borneo  und  Celebes 
seit  Jahrhunderten  ein  von  aussen  wenig  gestörtes  Dasein  fristeten.  Die  hier  ansässigen 
Dajak  und  Toradja  sind  ausserdem  unter  einander  eng  verwandt  und  in  unserer  Zeit  gründ- 


—  76  — 

lieh  erforscht  worden.  Ich  werde  von  diesen  an  erster  Stelle  die  Dajak  in  Betracht  ziehen 
und  nur  gelegentlich  auf  die  Toradja  zurückgreifen.  Zur  Erleichterung  der  Übersicht  werde 
ich  kurz  einzelne  der  Beobachtungen  erwähnen,  die  Äusserungen  geometrischen  Denkens 
erstens  in  einer  Dimension,  also  Richtung  und  Längenmass,  zweitens  in  zwei  Dimen- 
sionen, also  Oberfläche,  und  drittens  in  drei  Dimensionen,  also  Raumverhältnisse,  darstellen. 

Manches  zeugt  dafür,  dass  auch  die  Dajak  einsehen,  dass  die  gerade  Linie  den  kür- 
zesten Weg  zwischen  zwei  Orten  bildet,  denn  sie  legen  ihre  Pfade,  auch  wenn  sie  durch 
Täler  oder  über  Berge  führen,  viel  mehr  in  derselben  Richtung  an,  als  wir  es  tun  würden. 
Die  Schwierigkeiten  sind  für  sie  allerdings  geringer  als  für  uns,  im  Gehen  und  Tragen 
weniger  trainierte  Europäer.  Die  für  sie  höchst  beschwerliche  Anlage  von  Hecken,  um 
ihre  Gewächse  gegen  die  Waldestiere  zu  beschützen,  geschieht  auch  immer  in  geraden 
Linien;  die  über  sehr  gebirgiges  Terrain  hinziehenden,  oft  sehr  unregelmässig  aus  den 
Urwäldern  gerodeten  Felder  zäumen  sie  vorzugsweise  mit  langen  geraden  Hecken  ein.  Die 
Praxis  im  Schiessen  mit  dem  Blasrohr  zwingt  die  Dajak  nicht  nur,  dabei  ihr  ganzes 
Talent  auf  die  Innehaltung  einer  bestimmten  Richtung  anzuwenden,  sondern  auch  den 
Einflüssen  der  Entfernung,  des  Luftstroms  u.  s.  w.  auf  die  Schiessrichtung  Rechnung  zu 
tragen  (S.  oben  Seite  63).  Wie  gut  sie  mit  Längenmassen  zu  rechnen  verstehen,  werde  ich 
an  unterstehenden  Beispielen  zu  zeigen  versuchen. 

In  Ling  Roth,  the  Natives  of  Serawak,  Band  II  Seite  240  finden  wir:  As  an  equiva- 
lent for  our  inches  and  feet  the  natives  use  fingers  —  one,  two,  three,  four;  four  fingers 
constituting  the  breadth  of  a  hand;  their  span  consists  of  that  between  the  thumb  and 
first  finger  and  a  long  span  in  some  cases  between  the  thumb  and  the  second  finger,  but 
the  latter  measurement  is  not  generally  allowed,  as  the  following  storj-  will  show.  Once, 
while  seated  in  a  house  talking  to  a  chief,  I  was  a  witness  of  a  heated  dispute,  which 
took  place  between  two  of  his  followers  anent  the  sale  of  a  pig.  A  pig  is  sold  by  measu- 
rement, the  measurement  being  taken  (by  means  of  a  string)  of  the  girth  of  the  body 
just  behind  the  forelegs;  and  for  every  span's-length  of  a  string,  a  dollar  has  become  the 
fixed  price.  Now  the  buyer  wanted  to  use  the  span  of  the  second  finger  and  thumb;  the  seller 
of  course  objected  as  in  a  large  pig  the  use  of  the  longer  span  would  materially  decrease  the 
price.  After  a  heated  discussion,  both  parties  appealed  to  their  chief  to  give  a  decision.  I  was 
anxious  to  see  how  the  old  chief  would  get  out  of  the  difficulty,  as  it  was  evident  he  did 
not  wish  to  offend  either  of  them,  and,  on  the  whole,  I  think  he  managed  very  cleverly. 

Both  the  disputants  sat  down  in  front  of  him,  and  explained  the  point  of  contention, 
whereupon  he  said  to  the  buyer  :  „now  if  you  were  pointing  at  a  man  (pointing  at  a  man's 
eye  is  a  form  of  insult),  and  were  to  do  it  with  your  second  finger  (at  the  same  time 
pointing  with  his  second  finger)  how  foolish  it  would  look,  would  it  not?"  The  buyer  was 
obliged  to  admit  that  it  would  be  so.  „Well  then  !"  said  the  chief,  ,the  first  finger  is  the 
one  to  use  and  we  won't  adopt  any  new  fads  in  this  house".  The  two  men  went  away, 
satisfied  with  the  chief's  decision  and  pig  was  sold.  (Hose,  J.  A.  L  XXIII  pag.  168—170)." 

The  Dusun  measuring  of  cloth  is  rather  an  amusing  occupation.  All  cloth  is  measured 
by  the  fanthom  or  dapah,  which  is  seldom  more  than  5  feet  10  inches,  often  less,  being 
the  length  that  a  Dusun  can  stretch,  while  holding  the  cloth  between  the  tips  of  his  fin- 
gers across  his  chest.  The  villagers  invariably  hunt  up  their  longest  dapah  stretcher  and 
he  measures  the  first  length,  which  is  cut  off  —  all  eyes  during  this  operation  being  bent 
on  the  cloth  to  see  that  it  is  just  slack  and  not  stretched  in  the  least."  (Whitehead). 


—  77  — 

Als  ich  ira  Jahre  1897  mit  dem  Kajanhäuptling  Kwing  Irang  beim  neuen  Hause  seines 
Nebenbuhlers  Bëlarè  anlegte,  machte  jener  von  der  Abwesenheit  des  Hausherrn  Gebrauch, 
und  hess  seine  Leute  ganz  genau  die  Masse  dieser  hübschen  Wohnung  aufnehmen.  Die 
Kajan  wollten  nähmlich  ihrem  Häuptling  einen  neuen  Palast  bauen,  der  aber,  seiner 
grösseren  Wüi-de  gemäss,  länger,  breiter  und  höher  als  der  von  Bélarè  werden  musste  und 
auch  tatsächlich  wurde.  Meine  Bootsmannschaft  zog  denn  auch  nach  vollbrachter  Arbeit 
voll  innerer  Genugtuung  mit  mir  den  Fluss  weiter  abwärts. 

Eine  st>hr  bedeutende  Anweisung  eines  starken  Richtungsbewusstseins  und  einer  Kennt- 
nis der  Mittel  zur  Bestimmung  derselben  ergibt  bei  den  Dajakstämmen  ihre  Feststellung 
des  Anfangs  eines  Ackerbaujahres  nach  dem  Stand  der  Sonne  oder  anderer  Gestirne. 
Hierzu  sind  mehrere  Methoden  in  letzter  Zeit  bekannt  geworden.  So  findet  man  auf  Seite 
106  des  ersten  Bandes  von  Hose  and  Mc.  Doüoall's  „The  Pagan  Tribes  of  Borneo"  :  „The 
clerck  of  the  weather"  (he  has  no  ofBcial  title,  though  the  great  importance  of  his  function 
secures  him  general  respect)  has  no  knowledge  of  the  number  of  days  in  the  year,  and 
does  not  count  their  passage.  He  is  aware  that  the  lunar  month  has  twenty-eight  days, 
but  he  knows  that  the  dry  season  does  not  recur  after  any  number  of  completed  months 
and  therefore  keeps  no  record  of  lunar  months.  He  relies  almost  entirely  upon  observation 
of  the  slight  changes  of  the  sun's  altitude.  His  ob.servations  are  made  by  the  help  of  an 
instrument  closely  resembling  the  ancient  Greek  gnomon,  known  as  tukar  do  or  aso 
do.  (Taf.  XVUI  Fig.  a). 

A  straight  cylindrical  pole  of  hardwood  is  fixed  vertically  in  the  ground;  it  is  carefully 
adjusted  with  the  aid  of  plumb  Hues,  and  the  possibility  of  its  sinking  deeper  into  the 
earth  is  prevented  by  passing  its  lower  end  through  a  hole  in  a  board  laid  horizontally 
on  the  ground,  its  surface  flush  with  the  surface  of  the  ground,  which  is  carefully  smoothed. 
The  pole  is  provided  with  a  shoulder,  which  rests  upon  this  board.  The  upper  end  of  the 
pole  is  geueraliy  carved  in  the  form  of  a  human  figure.  The  carv'ing  may  be  very  elabo- 
rate or  the  figure  may  be  indicated  only  by  a  few  notches.  The  length  of  the  pole  from 
the  collar  to  its  upper  extremity  is  made  equal  to  the  span  from  tip  to  tip  of  outstretched 
arms  of  its  maker,  plus  the  length  of  his  span  from  tip  of  the  thumb  to  that  of  the  first 
finger.  This  pole  (aso  do)  stands  on  a  cleared  space  before  or  behind  the  house  and  is 
surrounded  by  a  strong  fence;  the  area  within  the  fence,  some  three  or  four  yards  in 
diameter,  being  made  as  level  and  smooth  as  possible.  The  clerk  of  the  weather  has  a 
neatly  workwl  flad  stick,  on  which  lengths  are  marked  of  by  notches;  these  lengths  are 
measured  by  laying  the  stick  along  the  radial  side  of  the  left  arm,  the  butt  end  against 
the  anterior  fold  of  the  armpit.  A  notch  is  then  cut  at  each  of  the  following  positions: 
one  notch  about  one  inch  from  the  butt  end,  a  second  opposite  the  middle  of  the  upper 
arm,  one  opposite  the  elbow,  one  opposite  the  bend  of  the  wrist,  one  at  the  first  interphalan- 
geal  joint,  one  at  the  finger-tip.  The  other  side  of  the  rod  bears  a  larger  number  of  notches, 
of  which  the  most  distal  marks  the  greatest  length  of  the  mid-day  shadow,  the  next  one 
the  length  of  the  mid-day  shadow  three  days  after  it  has  begun  to  shorten,  the  next  the 
length  of  the  shadow  after  three  more  days'  shortening  and  so  on.  The  mid-day  shadow 
is,  of  course,  the  minimal  length  reached  in  the  course  of  the  day.  and  the  marks  denoting 
the  changes  in  length  of  the  shadow  are  arrived  at,  purely  empirically,  by  marking  off 
the  length  of  the  mid-day  shadow  every  three  days. 

The  clerc  of  the  weather  measures  the  shadow  of  the  pole  at  mid-day,  whenever  the 


-  78  — 

sun  is  unclouded.  As  the  shadow  grows  shorter  after  reaching  its  maximal  length,  he 
observes  it  with  special  care  and  announces  to  the  village  that  the  time  of  preparing  the 
land  is  near  at  hand.  When  the  shadow  reaches  the  notch  made  opposite  the  middle  ot 
the  arm,  the  best  time  for  sowing  the  grain  is  considered  to  have  arrived;  the  land  is 
therefore  cleared  and  made  ready  before  this  time  arrives.  Sowing  at  times,  when  the 
shadow  reaches  other  notches  is  held  to  involve  various  disadvantages,  such  as  liability 
to  more  than  the  usual  number  of  pests-monkeys,  insects,  rats  or  sparrows.  In  the  case 
of  each  successful  harvest,  the  date  of  the  sowing  is  recorded  by  driving  a  peg  of  ironwood 
into  the  ground  at  the  point  denoting  the  length  of  the  mid-day  shadow  at  that  date.  The 
weather  prophet  has  other  marks  and  notches,  whose  meaning  is  known  only  to  himself; 
his  procedures  are  surrounded  by  mistery  and  kept  something  of  a  secret,  even  trom  the 
chief  as  well  as  from  the  rest  of  the  village,  and  his  advice  is  always  followed. 

The  method  of  observing  the  sun  described  above  is  universal  among  the  Kenyahs, 
but  some  of  the  Kay  ans  practice  a  different  method.  A  hole  is  made  in  the  roof  of  the 
weather-prophet's  chamber  in  the  long-house,  and  the  altitude  of  the  mid-day  sun  and  its 
direction,  north  or  south  of  the  meridian  are  observed  by  measuring  along  a  plank  fixed 
on  the  floor  the  distance  of  the  patch  of  sunlight  (falling  through  the  hole  on  to  the  plank) 
from  the  point  vertically  below  the  hole.  The  horizontal  position  of  the  plank  is  secured 
by  placing  upon  it  smooth  spherical  stones  and  noting  any  inclination  to  roll.  The  sunbeam, 
which  enters  this  hole  called  kleput  toh  (=  blow-pipe  of  the  spirit). 

Some  of  the  Klemantans  practice  a  third  method  to  determine,  when  the  time  for 
sowing  is  at  hand,  using  a  bamboo  some  feet  in  length,  which  bears  a  mark  at  a  level 
which  is  empirically  determined.  The  bamboo  is  filled  with  water  while  in  the  vertical 
position.  It  is  then  tilted  till  it  points  towards  a  certain  star,  when  of  course  some  water 
escapes.  After  it  has  been  restored  to  the  vertical,  the  level  of  the  surface  of  the  remai- 
ning water  is  noted.  The  coincidence  of  this  level  with  the  mark  mentioned  above  indica- 
tes that  the  time  for  sowing  is  come". 

Die  Kajanstämme  am  Oberen  Mahakam  gebrauchen  den  Untergang  der  Sonne  an  einer 
bestimmten  Stelle,  um  ihre  Saatzeit  festzustellen. 

In  meinem  "Werke  Quer  durch  Borneo,  Teil  I,  Seite  317  findet  man  darüber  :  Der  offizielle 
Saattag  fiel  diesmal,  wie  auch  sonst  öfters,  nicht  mit  dem  wirklichen  Saattag  zusammen. 
Den  ersteren  bestimmt  der  alte  Priester  Bo  Jok  nach  dem  Stand  der  Sonne,  indem  er 
neben  dem  Hause  zwei  längliche  Steine,  einen  grösseren  und  einen  kleineren,  aufrichtet 
(Taf.  XVIII  Fig.  b  )  und  dann  den  Zeitpunkt  beobachtet,  in  dem  die  Sonne  in  der  Verlängerung 
der  Verbindungslinie  dieser  beiden  Steine  hinter  den  gegenüberliegenden  Hügeln  untergeht. 
Der  Saattag  ist  der  einzige,  den  Bo  Jok  auf  astronomischem  Wege  bestimmt. 

Vor  der  Niederlassung  Batu  Sala  der  Long-Glat-Dajak  lag  ein  Fels  im  Oberen  Maha- 
kam, an  dessen  Oberfläche  mir  eine  Vertiefung  gezeigt  wurde.  Diese  Vertiefung  sollte 
entstanden  sein  durch  das  Sitzen  des  Priesters,  der  von  diesem  Felsen  aus  den  Niedergang 
der  Sonne,  bis  in  eine  Vertiefung  im  Kamm  des  Gebirges,  am  Horizont  beobachtete  zur 
Bestimmung  der  Saatzeit.  Alle  diese  Methoden  sind  ursprünglich  genug  und  ihre  Verschie- 
denheit beweist,  dass  es  sich  hier  nicht  um  etwas  Fremdes,  Übernommenes  handelt. 

Von  ihren  Auffassungen  in  bezug  auf  Fläche  legen  ihre  industriellen  Produkte  an  erster 
Stelle  Zeugnis  ab  ;  mit  diesem  Begriff  haben  sie  sich  zu  befassen  bei  der  Verzierung  ihrer 
Web-,   Schnitz-,  Flechtarbeiten   u.  s.  w.,  bei  der  Verteilung  in  mehrere  Flächen,  wenn  die 


—  79  — 

Verzierung  aus  mehreren  gleichen  Ornamenten  besteht,  oder  bei  der  Anwendung  der  Sym- 
metrie, wovon  auf  Tafel  I  im  ersten  Teil  dieser  Arbeit  solch  ein  hübsches  Beispiel  zu 
sehen  ist. 

Auch  bei  der  Überlegung,  auf  welche  Weise  die  nötigen  Wohnungen  auf  ein  bestimm- 
tes Landstück  aufgestellt  werden  können,  z.  B.  in  der  Form  eines  langen  Hauses,  oder 
mehrerer,  oder  wie  dieselben  neben  einander  zu  bauen  sind,  was  alles  vor  einer  Über- 
siedelung festgestellt  werden  muss,  haben  sie  sich  eingehend  mit  mehreren  Eigenschaf- 
ten der  Flächen  auseinander  zu  setzen.  Dazu  müssen  die  Oberflächen  der  einzelnen 
Wohnungen  bestimmt  und  in  Gedanken  neben  einander  gefügt  werden,  um  sich  ein  Bild 
des  Ganzen  machen  zu  können. 

Wenn  ein  Stamm,  wie  z.  B.  der  Kajanstamm  am  Mahakara  im  Jahre  1897,  bei  seiner 
Übersiedelung  anfangs  nur  zum  Teil  die  neue  Niederlassung  bezieht  und  einige  Familien 
noch  auf  ihren  Feldern  wohnen  bleiben,  so  muss  man  jenen  in  den  Wohnungsreihen  den 
nötigen  Raum  für  ihre  Wohnungen  ganz  genau  aussparen  (Taf.  XX  Fig.  «).  Diese  Beispiele 
genügen  für  den  Beweis,  dass  diesen  Dajakstämmen  die  mit  Fläche  verbundenen  Begriffe 
nicht  fremd  sein  können. 

Im  ersten  Teil  dieser  Arbeit  ist  die  Bambusschnitzeroi  bereits  vom  damaligen  Stand- 
punkt aus  besprochen  worden.  Es  wurde  dabei  hervorgehoben,  wie  bemerkenswert  genau 
die  Verteilung  dieser  zylindrischen  Oberflächen  ohne  Hilfe  von  Zeichnen  oder  Messen  ge- 
schieht, dass  also  die  Verfertiger  sich  bei  ihren  Überlegungen  eingehend  mit  den  Eigen- 
8chaft<»n  di«»ser  dreidimensionalen  Oberflächen  zu  befassen  haben.  Auch  bei  anderen  Arten 
der  Verzierung  ist  das  nötig,  z.  B.  bei  Spiralen  und  anderen  regelmässigen  Figuren.  Dort, 
wo  diese  geometrische  Formen  bilden,  wie  bei  den  viereckigen  Schnitzereien  der  Toradja 
von  Celebes,  tritt  dies  sehr  einleuchtend  zu  Tage. 

Nicht  weniger  praktische  Erfahrung  bezüglich  dreidimensionaler  Eigenschaften  erhalten 
die  Dajak  bei  ihrem  Häuserbau  ;  dieser  nimmt  viel  von  ihrer  Zeit  in  Beschlag,  da  sie  immer 
wieder  nach  mehreren  Jahren  aus  den  verschiedensten  Beweggründen  einen  neuen  Wohnort 
aufsuchen.  Bis  zu  welcher  Höhe  diese  Stämme  es  in  bezug  auf  Häuserbau  gebracht  haben, 
zeigen  die  zwei  auf  Taf.  XIX  a  und  b  stehenden  Abbildungen  eines  während  meines  Aufent- 
haltes bei  ihnen  gebauten  Häuptlingshauses  der  Kajan-Dajak  am  Oberen  Mahakam.  Die  Schief- 
heit des  Gerüsts  ist  der  Verzeichnung  durch  den  photographischen  Apparat  zuzuschreiben. 

Aus  diesen  unter  Geometrie  behandelten  Daten  geht  also  hervor,  dass  zwar  theoreti- 
sche Geometrie  unter  den  Malaien  ui-sprünglich  nicht  betrieben  wird,  dass  aber  ihre  Ver- 
anlagung die  Möglichkeit  zur  Entwicklung  dieser  Wissenschaft  in  der  Form  eines  gut  ent- 
wickelten Muskelgefühls  enthalt,  dass  dieses  Muskelgefühl  sowohl  unter  den  weniger  als 
unter  den  höher  zivilisierten  Stämmen,  der  Umgebung  angepasst,  ausgezeichnete  Leistun- 
gen ermöglicht,  dass  schliesslich  das  Vorkommen  der  Anfänge  einer  praktischen  Geometrie 
unter  den  wenig  berührten  malaiischen  Stämmen  uns  zu  dem  Schluss  berechtigt,  dass  auch 
in  der  Anlage  der  Malaien  die  Vorbedingungen  zur  Entwicklung  dieser  Wissenschaft 
vorhanden  seien. 


-SO- 


DAS  NATURWISSENSCHAFTLICHE   DENKEN. 

Bereits  eine  oberflächliche  Betrachtung  lehrt,  dass  das  naturwissenschaftliche  Denken 
sich  in  manchen  Beziehungen  von  dem  mathematischen  Denken  unterscheidet.  Die  elemen- 
taren, unmittelbar  gewissen  Grundsätze  der  Mathematik  sind  ausnahmslos  allgemeine,  eine 
unbestimmte  Vielheit  von  Einzelfällen  in  sich  befassende  Urteile:  aus  diesen  elementaren 
Urteilen  werden  nach  den  bekannten  logischen  Gesetzen  zusammengesetzte,  auf  ein  beschränk- 
teres Gebiet  sich  beziehende  Urteile  aufgebaut;  und  diesen  sämmtlichen  elementaren  oder 
zusammengesetzten  Urteilen  wird  notwendige,  vollkommen  allgemeine  und  vollkommen 
exakte  Gewissheit  zuerkannt.  In  allen  diesen  Beziehungen  gilt  aber  genau  das  Umgekehrte 
für  die  Naturwissenschaft. 

Erstens  sind  die  Ausgangspunkte  der  naturwissenschaftlichen  Beweisführung  Urteile, 
die  nicht  auf  die  Gesammtheit  der  unter  einen  Allgemeinbegriff  fallenden  Gegenstände, 
sondern  nur  auf  einzelne  Gegenstände  oder  auf  einzelne  Ereignisse  sich  beziehen.  Die  Natur- 
wissenschaften sind  empirische  .  Wissenschaften  ;  ihre  Gewissheit  ist  in  der  Erfahrung  begrün- 
det; diese  Erfahrung  aber  bietet  niemals  das  Allgemeine  als  solches,  sondern  ist  aus  einer 
Menge  einzelner  Beobachtungen  und  Experimente  zusammengesetzt.  Diese  sind  die  einzigen 
bewussten  Gründe  naturwissenschaftlicher  Gewissheit  ;  aus  denselben  wird  in  letzter  Instanz 
die  abstrakteste  Formel  wie  das  einfachste  empirische  Gesetz  bewiesen.  Allerdings  werden 
stellenweise  auch  allgemeine  Sätze  als  Ausgangspunkte  der  naturwissenschaftlichen  Argu- 
mentation verwendet;  dann  sind  aber  entweder  diese  Sätze  schon  früher  aus  der  Erfahrung 
bewiesen  worden,  oder  dieselben  werden  bloss  versuchsweise  aufgestellt  und  ihre  nachfol- 
gende Gewissheit  beruht  eben  darauf,  dass  die  aus  denselben  sich  ergebenden  Folgerungen 
von  der  Erfahrung  bestätigt  werden.  So  wie  so  sind  es  doch  wieder  Urteile  über  einzelne 
Tatsachen,  die  als  letzte  Elemente  der  naturwissenschaftlichen  Gewissheit  zu  Grunde  liegen. 

Damit  hängt  aber  eine  zweite  Eigentümlichkeit  des  naturwissenschaftlichen  Denkens 
eng  zusammen.  Während  die  Mathematik  im  Verlaufe  ihrer  Beweisführung  zu  Sätzen 
gelangt,  die  auf  ein  stets  beschränkteres  Gebiet  sich  beziehen,  wird  umgekehrt  das  Gïebiet, 
auf  welches  die  naturwissenschaftlichen  Urteile  sich  beziehen,  im  Laufe  der  Beweisführung 
fortwährend  erweitert.  Aus  der  Gewissheit  elementarer,  auf  einzelne  Erscheinungen  sich 
beziehender  Urteile  entsteht  ein  Wissen  von  Gesetzen^  von  , Gattungsurteilen",  die  also  von 
der  unbestimmten  Vielheit  der  einer  bestimmten  Gattung  angehörigen  Erscheinungen  etwas 
aussagen. 

Aus  diesen  Gattungsurteilen  werden  wieder  andere,  auf  eine  noch  mehr  umfassende 
Gruppe  von  Erscheinungen  sich  beziehende  Urteile  abgeleitet  (also  durch  Induktion);  und 
so  fort  bis  zu  den  höchsten  Gesetzen  und  Theorien,  dem  Gravitationsgesetz,  der  Atom-  und 
Molekulartheorie,  der  kinetischen  Theorie  der  Gase,  hinauf.  Was  sodann  die  formale  Natur 
der  auf  dem  Wege  naturwissenschaftlicher  Induktion  gewonnenen  Urteile  anbelangt,  so 
wird  denselben,  der  Mehrzahl  nach,  zwar  Notwendigkeit  und  demzufolge  unbedingte  Allge- 
meinheit zuerkannt,  aber  doch  in  ganz  anderer  Weise  als  auf  dem  Gebiete  der  mathema- 
tischen Wissenschaften.  Erstens  fehlt  hier  die  klare  Einsicht,  dass  diese  Notwendigkeit  sich 
aus  den  Begriffen  ergiebt,  demzufolge  auch  das  Gegenteil  eines  induktiv  ermittelten  Satzes 
niemals  als  undenkbar  oder  ungereimt  erscheint;  zweitens  wird  diese  Notwendigkeit  nicht 
vollkommen  sicher  gewusst,  sondern  nur  als  mehr  oder  weniger  wahrscheinlich  angenommen. 


—  81  — 

Man  könnte  allerdings  meinen,  auch  bei  manchen  naturwissenschaftlichen  Sätzen  sei  die 
klare  Einsicht  in  die  Notwendigkeit  des  in  denselben  zum  Ausdruck  gelangenden  Verhält- 
nisses vorhanden:  so  etwa  bei  den  Kepler'schen  Gesetzen,  deren  Notwendigkeit  ja  sofort 
auch  das  Gravitationsgesetz  ergebe.  Demgegenüber  muss  aber  bemerkt  werden,  dass  diese 
Notwendigkeit  immer  nur  eine  bedingte,  von  der  vorausgesetzten  Gültigkeit  anderer  induktiv 
ermittelten  Sätze  abhängige  ist,  während  bei  diesen  Sätzen  selbst  wieder  die  Einsicht  in 
die  Notwendigkeit  des  Verhältnisses  fehlt.  Von  dem  Gravitationsgesetze  lässt  sich  weder 
einsehen,  dass  es  notwendig,  noch  mit  Gewissheit  behaupten,  dass  es  unbedingt  allgemein 
gelte;  die  Geltung  desselben  über  die  räumlichen  und  zeitlichen  Grenzen  unserer  Erfahrung 
hinaus  ist  nur  mehr  oder  weniger  w^ahrscheinlich  ;  sollte  es  aber  irgendwo  oder  irgendwann 
nicht  mehr  gelten,  so  gälten  dort  oder  dann  auch  die  Kepler'sche  Gesetze  nicht  mehr. 

Als  eine  letzte  Eigentümlichkeit  der  naturwissenschaftlichen  Urteile  sei  noch  hervor- 
gehoben, dass  denselben,  sofern  darin  quantitative  Verhältnisse  zum  Ausdruck  kommen, 
keine  vollkommen  genaue,  sondern  bloss  approximative  Gültigkeit  zukommt.  Während 
sâmmtliche  Formeln  der  Mathemathik  unbedingte,  von  der  relativen  Vollkommenheit  unserer 
Sinnesorgane  und  Messungmethoden  unabhängige  Exaktheit  für  sich  in  Anspruch  nehmen, 
bleiben  die  auf  physische  oder  chemische  Verhältnisse  sich  beziehenden  Formeln  fortwährend 
der  Korrektur  durch  genauere  Wahrnehmungen  und  Messungen  ausgesetzt. 

Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  dieser  Unterschied  mit  dem  vorher  berührten  aufs  Engste 
zusammenhängt;  denn  wo  die  Einsicht  in  ein  rein  begriffliches  zwischen  Subjekt  und  Prä- 
dikat bestehendes  Verhältnis  vorhanden  ist,  müssen  sich  auch  etwaige  quantitative  Bezie- 
hungen zwischen  denselben  mit  vollkommener  Sicherheit  feststellen  lassen.  Wenn  wir  die 
Gesetze  ermitteln  wollen,  die  das  induktive  Denken  beherrschen,  werden  wir  damit  anfangen 
müssen,  zwei  Gruppen  von  induktiven  Denkprozessen  zu  sondern,  deren  eine  der  weiteren 
Untersuchung  nicht  die  geringsten,  während  die  andere  derselben  um  so  grössere  Schwie- 
rigkeiten bereitet. 

Es  kann  nämlich  erstens  vorkommen,  dass  dies  Wirklichkoitsgebiet,  von  welchem  in 
einem  inductiv  bewiesenen  allgeriieinen  Urteil  ein  bestimmtes  Prädikat  ausgesagt  wird, 
sich  vollständig  mit  der  Summe  der  Wirklichkeitsgebiete,  von  denen  in  den  zu  Grunde 
liegenden  singularen  oder  besonderen  Urteilen  das  nämliche  Prädikat  ausgesagt  wurde, 
deckt.  Also:  man  hat  etwa  von  jeder,  einem  bestimmten  Fundorte  entstammenden  Münze 
für  sich  erkannt,  dass  sie  einer  bestimmten  Zeit  angehört  und  man  schliesst,  dass  alle 
jenem  Fundorte  entstammenden  Münzen  dieser  Zeit  angehören.  Oder:  man  hat  ein  neu- 
entdecktes Land  in  allen  Richtungen  durchstreift  und  nirgends  Wald  gefunden:  man  schliesst 
allgemein,  dass  sich  in  diesem  Lande  keine  Wälder  finden. 

Zur  nämlichen  Gruppe  gehört  der  Entstehungsprozess  solcher  Urteile,  in  denen  eine 
zu.sammengesetzte,  bloss  in  ihren  Teilen  der  Wahrnehmung  zugängliche  Tatsache  beschrie- 
ben wird.  So  schloss  Kepler  auf  die  elliptische  Form  der  Marsbahn,  weil  die  sämmtlichen 
von  dem  Planeten  successive  eingenommenen  Orte  von  ihm  als  Punkte  einer  nämlichen 
Ellipse  erkannt  waren. 

Endlich  gehören  hierher  alle  Fälle  induktiver  Beweisführung  auf  dem  Gebiete  der  Mathe- 
matik. Wenn  mittelst  des  sogenannten  Schlusses  von  n  auf  n  +  l  klargelegt  wird,  dass 
irgendwelche  Formel  für  jede  beliebige  Zahl  bewiesen  werden  kann  und  derselben  dem- 
nach Gültigkeit  für  alle  Zahlen  zuerkannt  wird  ;  wenn  man  einen  Satz  gesondert  für  den 
Kreis,  die  Ellipse,  die  Parabel  und  die  Hyperbel  bewiesen  hat  und  denselben  dann  als  für 

I.  A.  f.  E.  XXIII.  H 


—  82  — 

alle  Kegelschnitte  geltend  aufstellt;  oder  wenn  etwa  die  Kongruenzsätze  für  Dreiecke  von 
bestimmter  Grösse  und  Gestalt  bewiesen,  dann  aber  auf  alle  unter  den  nämlichen  Begriff 
fallenden  Dreiecke  erweitert  werden,  weil  man  sich  durch  „innere  Augenblickserfahrung" 
davon  überzeugt  hat,  dass  der  nämliche  Beweis  für  Dreiecke  von  beliebiger  Grösse  und  Ge- 
stalt geführt  werden  kann. 

Diese  Art  der  induktiven  Beweisführung  nennt  man  vollständige  Induktion.  Man  wird 
leicht  einsehen,  dass  dieselbe  sich  vollständig  denjenigen  Gesetzen  unterordnet,  die  als  die 
Grundgesetze  des  logischen  Denkens  bekannt  sind.  Wenn  wir  von  jedem  A  für  sich  erkannt 
haben,  dass  es  B  ist,  so  macht  offenbar  das  Gesetz  des  Widerspruchs  es  unmöglich,  den 
Satz:  alle  A  sind  B  zu  verneinen;  denn  diese  Verneinung  könnte  nach  dem  Gesetze  des 
ausgeschlossenen  Dritten  nur  bedeuten,  dass  wenigstens  einige  A  nicht  B  seien;  von  diesen 
A  wäre  aber,  der  Voraussetzung  gemäss,  schon  früher  erkannt,  dass  sie  B  sind,  was  jener 
Behauptung  widerspricht.  In  der  Tat  lässt  sich  der  vorliegende  Denkprozess  ohne  Schwie- 
rigkeit einem  der  Aristotelischen  Denkgesetze  und  zwar  demjenigen,  das  durch  die  Formel 
Ma%  +  7aM  =  /a;)i  ausgedrückt  wird, 

unterordnen:  Alle  untersuchten  A  sind  B, 
alle  A  sind  untei  suchte  A, 
demnach  sind  alle  A    B. 

Zur  Erklärung  des  Denkprozesses  der  vollständigen  Induktion  ist  demnach  die  Annahme 
verschwiegener  Prämissen  oder  neuer  Verbindungsgesetze  nicht  erforderlich. 

Mit  dem  Namen  unvollständige  Induktion  bezeichnet  man  diejenige  Art  des  Induktions- 
verfahrens, bei  welchem  aus  singularen  oder  besonderen  Urteilen,  die  für  bestimmte  Wirk- 
lichkeitsgebiete irgend  ein  Prädikat  in  Anspruch  nehmen,  ein  allgemeines  Urteil  abgeleitet 
wird,  das  für  ein  über  die  Summe  dieser  Gebiete  hinausgehendes  Wirklichkeitsgebiet  das 
nämliche  Prädikat  in  Anspruch  nimmt.  In  der  Wissenschaft  z.  B.  hält  man,  dass  Queck- 
silber bei  360°  C.  siedet,  dass  alle  Körper  gegenseitig  gravitieren,  dass  Chinin  Fieber  ver- 
treibt, für  allgemein  und  notwendig  wahr,  obgleich  man  bloss  einen  verschwindend  kleinen 
Teil  des  überhaupt  vorkommenden  Quecksilbers  oder  Chinins  oder  der  überhaupt  vorkom- 
menden Körper  auf  die  betreffenden  Eigenschaften  hin  hat  untersuchen  können.  Man  hat 
in  einem,  in  einigen  oder  in  vielen  Fällen  gefunden,  dass  ein  A  B  war  und  man  schliesst 
(mit  grösserer  oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit),  dass  A  notwendigerweise  B  sei  und  dass 
demnach  alle  A  B  seien. 

Es  scheint  klar,  dass  wir  es  hier  mit  einem  ganz  anders  gearteten  Übergange  als  in 
den  früher  erörterten,  als  Beispiele  der  vollständigen  Induktion  angeführten  Fällen  zu  tun 
haben,  denn  hier  steht  erstens  die  Erzeugung  eines  neuen,  inhaltlich  von  den  ursprüng- 
lichen Urteilen  verschiedenen  Urteils  ausser  Zweifel  und  kann  zweitens  die  Erzeugung 
dieses  neuen  Urteils  nicht  aus  den  logischen  Gesetzen  erklärt  werden. 

Zwar  könnte  man  meinen,  in  gewissen  einfachen  Fällen  die  Notwendigkeit  eines  phy- 
sikalischen Vorgangs  unmittelbar  wahrnehmen  oder  aus  dem  Wahrgenommenen  erschliessen 
zu  können:  so  etwa  die  Notwendigkeit  der  Bewegung  eines  gestossenen  Körpers.  Allein 
mit  Unrecht,  denn  die  Bewegung  des  stossenden  bis  zur  Berührung  mit  dem  gestossenen 
Körper  und  die  nachfolgende  Bewegnng  des  Letzteren  sind  doch  zwei  verschiedene  Vor- 
gänge; in  der  Wahrnehmung  des  einen  ist  über  den  anderen  nichts  mit  gegeben.  Die 
logische  Schlussfolgerung  aber  führt  niemals  von  einer  Tatsache  zur  anderen,  sondern  stets 
bloss  von  einer  Betrachtungsweise  einer  Tatsache  zu  einer  anderen  Betrachtungsweise  der 


-   83  — 

nämlichen  Tatsache.  Aus  den  Daten  der  sinnlichen  Wahraehmung  und  den  Gesetzen  des 
logischen  Denkens  kann  die  tatsächlich  vorliegende  Überzeugung  von  der  Notwendigkeit 
des  erwähnten  Verhältnisses  nicht  erklärt  werden. 

Es  scheint  also,  dass  weder  die  Notwendigkeit  noch  die  Allgemeinheit,  die  den  Ergeb- 
nissen des  induktiven  Denkens  zukommt,  als  ein  Produkt  rein  logischer  Verarbeitung  der 
zur  Begründung  derselben  angeführten  Wahmehmungsurteile  erklärt  werden  kann.  Wir 
müssen  demnach  annehmen,  dass  bei  dem  Induktionsverfahren  entweder  ausser  diesen 
Wahrnehmungsurteilen  noch  andere,  nicht  genannte  und  vielleicht  selbst  nicht  klar  bewusste 
Prämissen  vorausgesetzt  werden  oder  aber,  dass  unter  bestimmten  Umständen  andere  als 
die  logischen  Verbindungsgesetze  wirksam  werden.  Ob  wir  uns  für  die  eine  oder  für  die 
andere  Alternative  entscheiden  müssen,  kann  nur  eine  sorgfaltige  Untersuchung  des  vor- 
liegenden Tatsachenmaterials  lehren. 

Eine  kurze  Überlegung  lehrt,  dass  die  Inhalte  der  induktiv  ermittelten  Urteile  Verschie- 
denheiten erkennen  lassen,  die  vielleicht  für  das  Verständnis  ihrer  Entstehung  nicht  ohne 
Bedeutung  sind.  Es  sind  nämlich  dies»»  Urteile  ohne  Ausnahme  allgemeiner  Natur;  sie  haben 
demnach  entweder  die  Wirklichkeit  überhaupt,  oder  den  ganzen  Umfang  eines  bestimmten 
Teiles  dieser  Wirklichkeit  zum  Subjekte.  Ersteres  ist  der  Fall  bei  den  Urteilen:  , alles 
Bestehende  ist  vergänglich  oder  es  existieren  nur  Stoff  und  Kraft"  ;  das  andere  kann  wieder 
in  sehr  verschiedener  Weise  stattfinden.  Erstens  kann  das  Subjekt  rein  zeitlich  oder  rein 
Ortlich  bestimmt  sein,  d.  h.  die  betreffenden  Urteile  sagen  aus,  dass  die  Wirklichkeit  ent- 
weder zu  bestimmten  Zeiten  oder  an  bestimmten  Orten  bestimmten  Vorstellungen  ent- 
spreche otler  nicht  entspreche.  Wir  haben  es  dann  mit  reinen  Zeit-  oder  Ortsgesetzen  zu 
tun,  wie  etwa  folgende:  „um  jeden  12  August  giebt  es  zahlreiche  Sternschnuppen"  oder 
„innerhalb  der  Erde  nimmt  die  Temperatur  mit  der  Tiefe  zu".  In  anderen  Fällen  ist  das 
Subjekt  qualitativ  oder  durch  räumliche  Beziehungen  zu  einer  andern  qualitativ  bestimm- 
ten Wirklichkeit  bestimmt  oder  es  wird  behauptet,  dass  ein  Wirkliches,  sofern  es  bestimmte 
Eigenschaften  besitze  oder  zu  einem  anderen  Wirklichen  in  bestimmten  räumlichen  Ver- 
hältnissen stehe,  bestimmten  Vorstellungen  entspreche  oder  nicht  entspreche.  So  verhält 
sich  die  Sache  bei  den  Koexistenzyesetzeii,  wie  „alle  Wiederkäuer  besitzen  gespaltene  Klauen"  ; 
.Quarz  kommt  nur  in  Formen,  welche  dem  hexagonalen  System  angehören,  vor"  ;  ,wo  die 
Alpenflora  anfängt,  wachsen  keine  Bäume  mehr".  Es  können  sodann  mit  diesen  qualita- 
tiven oder  relativen  Bestimmungen  Zeit-  oder  Ortsbestimmungen  als  selbständige  Merkmale 
verbunden  sein  (zeitlicli  oder  raiimlich  beschränkte  Koexistetizgesetzey.  „einmal  im  Jahr  werden 
die  Bäume  grün",  Jeden  Morgen  erlöschen  die  Sterne",  „die  Tiere  in  Amerika  sind  ver- 
hältnismässig kleiner  Statur". 

Schliesslich  können  Zeitbestimmungen,  statt  selbständig  neben  den  qualitativen  oder 
relativen  Bestimmungen  aufï5utreten,  von  diesen  abhängig  gesetzt  werden  ;  wir  haben  dann 
mit  „Successionsgesetzen"  zu  tun,  wie:  „Willkührherrschafl  erzeugt  Revolutionen",  „in 
einem  gestossenen  Körper  entsteht  Wärme",  „vor  dem  Sturme  fällt  das  Barometer".  Es 
ware  leicht  diese  Einteilung  der  induktiven  Urteile  noch  weiter  fortzusetzen. 

Eine  ganz  her\'orragende  Stelle  nimmt  die  kausale  Induktion  in  dem  naturwissenschaft- 
lichen Denken  ein,  sie  ist  in  Sätzen  von  der  Form  „A  ist  die  Ursache  von  B"  enthal- 
ten. Um  die  Art  dit»ser  kausalen  Induktion  näht-r  kennen  zu  lernen,  lässt  sich  feststel- 
len, dass  sie  zu  den  Sukzessionsgesetzen  gehört,  dass  ihre  Subjekt-  und  Prädikatbegriffe 
verschieden  sind  und  dass  die   Verwirklichung  der  Prädikatvorstellung  als  das  Ergebnis 


—  84  — 

einer  Veränderung,  als  ein  neu  eintretender  Zustand  gedacht  wird.  Hierdurch  sind  die 
Merkmale  keineswegs  erschöpft  und  nicht  leicht  nachzuspüren.  Die  kausalen  Begriffe  sind 
eben,  nach  dem  Ausdrucke  Kant's  „verworrene  Begriffe";  wir  wenden  sie  im  Leben  und 
in  der  Wissenschaft  mit  Sicherheit  an,  sind  aber  nicht  im  Stande,  uns  den  Inhalt  derselben 
zu  deuthchem  Bewusstsein  zu  bringen.  Dieser  Inhalt  liegt  genau  so  wie  derjenige  der 
arithmetischen  und  geometrischen  Grundbegriffe,  teilweise  in  den  Tiefen  des  Nicht-  oder 
Halbbewussten  verborgen  und  lässt  sich,  wie  jener,  nicht  auf  direktem  sondern  bloss  aut 
indirektem  Wege  entdecken.  Das  heisst:  wir  müssen,  da  die  kausalen  Begriffe  selbst  sich 
nicht  greifen  lassen,  auf  die  Anwendungen  derselben  acht  geben  und  aus  den  Anwendungen 
derselben  auf  die  zu  Grunde  liegenden  Begriffe  zurückzuschhessen  versuchen. 

Jene  erstere  Untersuchung  unternommen,  auf  das  ganze  Gebiet  der  Erscheinungen  des 
kausalen  Denkens  ausgedehnt  und  im  Wesentlichen  zu  Ende  geführt  zu  haben,  ist  das 
bleibende  Verdienst  John  Stuart  Mill's.  Die  fünf  Methoden  des  kausalen  Denkens,  welche 
er  aus  dem  tatsächlichen  Verfahren  der  Wissenschaft  abstrahiert,  begrifflich  bestimmt  und 
auf  eine  allgemeine  Voraussetzung  des  Denkens  zurückgeführt  hat,  scheinen  in  der  Tat  alle 
Denkprozesse  zu  umfassen,  die  zur  Annahme  eines  ursächlichen  Verhältnisses  führen: 
wenigstens  ist  noch  kein  Fall  nachgewiesen  worden,  der  sich  denselben  nicht  unter- 
ordnen liesse. 

Im  wissenschaftlichen  Denken  geht  die  praktische  Anwendung  dieser  Methoden  der 
theoretischen  Begründung  derselben  vorher;  das  Vertrauen  und  die  Sicherheit,  womit  man 
sie  anwendet,  wurzeln  in  unbewussten,  aus  der  Anwendung  erst  zu  ermittehiden  Prozessen 
und  Voraussetzungen  des  Denkens.  Es  sind  demnach  empirische  Gesetze  des  kausalen 
Denkens: 

1".  Wenn  zwei  oder  mehrere  Fälle,  in  welchen  ein  neuer  Zustand  eintritt,  nur  einen 
Umstand  gemein  haben,  so  erklärt  man  diesen  Umstand  für  die  wahrscheinliche  Ursache 
oder  Mitursache  des  neu  eintretenden  Zustandes  (Methode  der  Übereinstimmung). 

Schema  :  A  B  C  D ,  W 

AEF6 W 

AHIK W 


A  wahrsch.  Urs.  oder  Mitursache  von  W. 


2".  Wenn  ein  Fall,  in  welchem  ein  neuer  Zustand  eintritt  und  ein  Fall,  in  welchem 
derselbe  nicht  eintritt,  alle  Umstände  bis  auf  einen  gemein  haben,  während  dieser  nur  in 
dem  ersteren  Falle  vorhanden  ist,  so  erklärt  man  diesen  Zustand  für  die  Ureache  oder 
Mitursache  des  neu  eintretenden  Zustandes  (Methode  des  Unterschieds). 

Schema:  A PQ W 

A P nicht  W 


Q  Urs.  oder  Mitureache  von  W 


3".  Wenn  zwei  oder  mehrere  Fälle,  in  welchen  ein  neuer  Zustand  eintritt,  einen  oder 
mehrere  Umstände  gemein  haben,  darunter  aber  nur  einen,  welcher  in  zwei  oder  mehreren 
Fällen,  in  denen  der  neue  Zustand   nicht  eintritt,  fehlt,  so  erklärt  man  diesen  Umstand 


—  85  — 

für  die  wahrscheinliche  Ursache  oder  Mitursache  des  neu  eintretenden  Zustandes  (vereinigte 
Methode  der  Übereinstimmung  und  des  Unterschieds  oder  indirekte  Methode  des  Unterschieds). 

Schema:  AB  CD W 

ABCE W 

B  F  G nicht  W 

BCH nicht  W 


A   wahrsch.  Urs.  oder  Miturs.  von  W. 


4°.  Wenn  ein  Teil  eines  neu  eintretenden  Zustandes  auf  Grund  vorhergehender  Induk- 
tionen als  die  Wirkung  bestimmter  Umstände  erkannt  vrorden  ist,  so  erklärt  man  die 
übrigbleibenden  Umstände  für  die  Ursache  oder  Mitursache  des  übrigbleibenden  Teiles  des 
neu  eintretenden  Zustandes  (Methode  des  Rückstandes). 

Schema:  A P  — W 

A PQ_w  +  W' 


Q  Urs.  oder  Miturs.  von  W'. 

5".  Wenn  ein  quantitativ  bestimmbarer  neuer  Zustand  in  grösserem  oder  geringerem 
Masse  eintritt,  je  nachdem  bestimmte  Umstände  in  grösserem  oder  geringerem  Masse  vor- 
handen sind,  so  erklärt  man  diese  Umstände  fttr  die  wahrscheinUche  Ursache  oder  Mit- 
ursache des  neu  eintretenden  Zustandes  (Methode  der  sich  begleitenden  Variationen). 

Schema:  ABC,  D W, 

ABC,D W, 

A  B  C,  D W, 


C  wahrsch.  Urs.  oder  Miturs.  von  W. 


Mill  fasst  seine  fQnf  Methoden  allgemeiner,  indem  er  dieselben  nicht  nur  für  das  kausale, 
sondern  für  das  induktive  Denken  überhaupt,  nicht  nur  für  die  Feststellung  der  Ursachen 
neu  eintretender  Zustande,  sondern  auch  für  die  Bestimmung  der  Bedingungen  bleibender 
Zustände  gelten  lässt. 

Diese  allgemeinere  Formulierung  ist  auch  in  sofern  einwurfsfrei,  als  in  der  Tat  im 
Groasen  und  Ganzen  sämmtliche  induktive  Denkprozesse  diesen  Methoden  sich  unterordnen 
lassen;  sie  hat  aber  den  Nachteil,  dass  sie  gewisse  höchst  bedeutsame,  auf  die  Wahr- 
scheinlichkeitsverhältnisse sich  beziehende  Unterschiede  zwischen  kausaler  und  nicht  kau- 
saler Induktion  nicht  zur  Geltung  gelangen  lässt. 

Das  zweite  und  vierte  der  Gesetze  Mül's  lassen  sich  mit  einander  in  Verbindung  bringen. 
Die  Methode  des  Unterschieds  gelangt  in  der  Wissenschaft  zur  Anwendung,  wenn  man 
z.  B.  zwei  gleichartige  Stücke  Kohle,  von  denen  das  eine  sich  in  einem  luftleeren,  das 
andere  in  einem  lufterfüllten  Räume  befindet,  bis  zur  nämlichen  Temperatur  erhitzt  und 
findet,  dass  jenes  nicht,  dieses  aber  wohl  verbrennt;  man  schliesst,  dass  die  Berührung 
der  Kohle  mit  der  Luft  wahrscheinlich  Mitursache  der  Verbrennung  ist.  Den  in  dieser  Weise 
gewonnenen  Urteilen  kommt,  wie  sämmtlichen  Induktionssätzen,  bloss  Wahrscheinlichkeit, 


—  86  — 

keine  vollständige  Gewissheit  zu  ;  diese  Wahrscheinlichkeit  ist  aber  bedeutender  Gradunter- 
schiede fähig.  Dieselben  lassen  sich  vollständig  auf  die  grössere  oder  geringere  Wahrschein- 
lichkeit, dass  die  Bedingungen  für  die  Anwendung  der  Methode  des  Unterschieds  auch 
wirklich  gegeben  seien,  zurückführen.  So  tritt  aber  nur  selten  die  genügende  Gewissheit 
auf,  dass  zwei  Fälle  sich  sicher  nur  durch  einen  Umstand  von  einander  unterscheiden. 
Jene  Ungewissheit  liegt  demnach  keineswegs  im  Wesen  der  Unterschiedsmethode;  nur 
wenn  und  insofern  sie  in  den  Daten  vorkommt,  findet  sie  sich  in  den  Ergebnissen  zurück; 
während  des  Denkprozesses  selbst  wird  sie  weder  erst  hervorgebracht  noch  auch  vergrössert. 

Es  verdient  schliesslich  noch  ausdrücklich  hervorgehoben  zu  werden,  dass  dieser  Schluss 
mit  gleicher  Notwendigkeit  vollzogen  wird,  wenn  ein  Paar  als  wenn  mehrere  Paare  über- 
einstimmender Urteile  von  der  bezeichneten  Form  vorliegen.  Allerdings  ist  im  beträchthchen 
Denken  die  Anzahl  der  Fälle  nicht  ohne  Bedeutung;  aber  diese  Bedeutung  besteht  aus- 
schliesslich darin,  dass  die  Wiederholung  eines  Experiments  zur  Sicherstellung  der  in  den 
Prämissen  beschriebenen  Tatsachen  beitragen  kann;  demgemäss  sie  vollkommen  überflüssig 
wird,  wenn  aus  anderen  Gründen  die  exakte  Geltung  der  Prämissen  als  feststehend  ange- 
nommen wird. 

Die  Methode  der  Eückstände  ist  als  eine  blosse  Modification  der  Unterschiedsmethode 
zu  betrachten.  Die  Fälle,  in  welchen  sie  zur  Anwendung  kommt,  sind  von  den  Anwen- 
dungen der  Unterschiedsmethode  nur  dadurch  verschieden,  dass  die  negative,  auf  das  Nicht- 
eintreten eines  Teils  eines  neuen  Zustandes  sich  beziehende  Prämisse  hier  nicht  durch 
direkte  Beobachtung,  sondern  durch  logische  Schlussfolgerung  aus  bereits  bekannten  Natur- 
gesetzen gewonnen,  demnach  auch  nicht  singularer,  sondern  allgemeiner  Natur  ist.  Die 
nämliche  Gewissheit,  die  die  Unterschiedsmethode  im  günstigsten  Falle  bieten  kann,  ist 
dementsprechend  prinzipiell  auch  mittelst  der  Rückstandsmethode  zu  erreichen;  wird  sie 
tatsächlich  nicht  erreicht,  so  liegt  auch  hier  die  Schuld  bei  den  Prämissen,  nicht  bei  dem 
Schlussprozesse  selbst. 

Allerdings  werden  bei  den  Anwendungen  der  Rückstandsmethode  viel  seltener  als  bei 
den  Anwendungen  der  Unterschiedsmethoden  die  Prämissen  einen  erheblichen  Wahrschein- 
lichkeitsgrad besitzen.  Während  bei  dieser  die  unterscheidenden  Umstände  vielfach  auf 
experimentellem  Wege  eingeführt  werden  und  so  eine  genaue  Kontrole  ermöglichen,  lassen 
sich  dieselben  bei  der  Rückstandsmethode  nur  durch  einen  Subtraktionsprozess,  welcher 
vollständige  Kenntnis  sämmtlicher  Umstände  voraussetzt,  bestimmen.  Nur  in  den  verhält- 
nismässig seltenen  Fällen,  wo  frühere  umfassende  Untersuchungen  die  Vollständigkeit  dieser 
Kenntnis  verbürgen,  führt  die  Rückstandsmethode  zu  sicheren  Resultaten.  Die  Astronomie 
in  der  Geschichte  der  Entdeckung  des  Neptun,  sowie  in  der  an  der  Verkürzung  der  Umlaufs- 
zeit des  Encke'schen  Kometen  sich  anschliessenden  Hypothese  eines  widerstandleistenden 
Aethers,  bietet  dafür  lehrreiche  Beispiele  dar. 

Bei  dem  ersten,  dritten  und  fünften  der  Gesetze  Mill's  hat  man  an  erster  Stelle  mit  der 
Methode  der  Übereinstimmung  zu  tun.  Den  Ergebnissen  dieser  Methode  wird  nur  eine  ver- 
hältnismässig geringe  Wahrscheinlichkeit  zuerkannt.  Eine  einfache  Analyse  giebt  die  Ant- 
wort, ob  diese  ausschliesslich  in  der  Ungewissheit  der  Prämissen  oder  ob  sie,  ganz  oder 
teilweise,  im  Wesen  der  Methode  selbst  begründet  sei.  Die  Ungewissheit  der  Ergebnisse 
rührt  mindestens  zum  Teil  von  der  Ungewissheit  der  Prämissen  her.  Im  Allgemeinen 
ist  es  sehr  schwierig,  sich  davon  zu  überzeugen,  dass  zwei  oder  mehrere  Fälle  wirklich 
nur  einen  Umstand  gemein  haben;   die  Wahrscheinlichkeit  wird   um  so  grösser,  je  zahl- 


—  87  — 

reicher  die  Falle,  in  welchen  man  nur  diesen  einen  geraeinsamen  Umstand  hat  auffinden 
können.  Keineswegs  aber  finden  wir  (wie  bei  der  ünterschiedsmethode),  dass  wenn  alle 
den  Prämissen  anhaftende  Ungewssheit  aufgehoben  wäre,  auch  der  Schlussfolgerung  voll- 
kommene Gewissheit  zukommen  würde. 

Der  vereinigten  Methode  der  Übereinstimmung  und  des  Unterschieds  oder  indirekten 
Unterschiedsmethode,  wie  Mill  dieselbe  formuliert  „wenn  zwei  oder  mehrere  Fälle,  in  wel- 
chen eine  Erscheinung  eintritt,  nur  einen  Umstand  gemein  haben,  während  zwei  oder 
mehrere  Falle,  in  welchen  dieselbe  nicht  eintritt,  nichts  Anderes  als  die  Abwesenheit  jenes 
Umstandes  gemein  haben,  soll  daraus  geschlossen  werden,  dass  der  betrefifende  Umstand 
die  Ursache  oder  Mitursache  der  betreffenden  Erscheinung  sei",  von  dieser  glaubt  er  die 
Beweiskraft  wie  diejenige  der  Unterschiedsmethode  gleichsetzen  zu  dürfen. 

Erstens  ist  es  aber  klar,  dass  das  so  formulieite  Gesetz  nur  ein  Spezialfall  des  ersten 
Mill'schen  Gesetzes  darstellt,  zweitens,  dass  aber  jener  zweiten,  die  grössere  Beweiskraft 
verbürgenden  Bedingung  zufolge,  diese  Methode  niemals  und  nirgends  im  wirklichen  Denken 
Anwendung  finden  kann.  Die  Zahl  der  positiven  Umstände  ist  in  jedem  gegebenen  Falle 
eine  beschränkte,  die  Zahl  der  negativen  Umstände  aber  eine  unendliche  und  es  ist  undenk- 
bar, dass  es  zwei  Falle  geben  sollte,  in  welchen  diese  beiden  Unendlichkeiten  kein  einziges 
Element  gemein  haben  sollten.  Es  gilt  eben  von  dieser  Methode,  dass  sie  leicht  zu  ver- 
stehen aber  unmöglich  zu  verwirklichen  ist. 

Man  kann  sich  leicht  davon  überzeugen,  dass  dieses  Gesetz  im  Leben  wie  in  der  Wis- 
senschaft vielfache  Anwendung  findet,  besonders  dann,  wenn  man  mit  Ursachen  zu  tun 
hat,  die  erst  nach  einiger  Zeit  oder  mit  Teilursachen,  die  nur  in  Verbindung  mit  anderen, 
verborgenen  Ursachen  ihre  Wirkung  herv'orbringen.  Auf  Tatsachenkomplexe  wie  diese:  dass 
eine  epidemische  Krankheit  unter  denjenigen  Bewohnern  eines  Viertels,  die  Wasser  aus 
einem  bestimmten  Brunnen  trinken,  heftiger  wütet  als  unter  den  anderen  Bewohnern  des 
selben  Viertels;  oder  dass  auf  einem  mit  Chilisalpeter  gedüngten  Acker  die  Pflanzen  üppiger 
Wachsen  als  auf  einem  benachbarten  mit  Naturmist  gedüngten  Acker  u.  s.  w.,  lässt  sich 
weder  die  direkte  Unterschiedsmethode  noch  die  Methode  der  Übereinstimmung  anwenden. 
Jene  nicht,  weil  sich  jede  positivr«  von  jeder  negativen  Instanz  in  mehrerer  Hinsicht  unter- 
scheidet, diese  nicht,  weil  sümmtliche  positive  Instanzen  mehrere  Umstände  gemein  haben. 
Dagegen  ist  es  äusserst  unwahrscheinlich,  dass  es  in  diesen  Fällen  ausser  dem  Trinkwasser 
oder  der  Chilisalpeter  Düngung  noch  andere  Umstände  geben  sollte,  die  in  sämmtlichen 
positiven  Instanzen  vorkommen,  in  sämmtlichen  negativen  dagegen  fehlen;  demzufolge  wird 
nach  der  indirekten  Unterschiedsmethode  geschlossen,  dass  wahrscheinUch  die  erwähnten 
Umstände  Ursachen  oder  Mitursachen  der  betreffenden  Erscheinungen  seien. 

Was  schliesslich  die  MeÜiode  der  sich  begleitenden  Variationen  betrifft,  so  lassen  sich 
die  Anwendungi-n  derselben  teils  der  direkten,  teils  der  indirekten  Unterschiedsmethoden 
unterordnen. 

Es  ist  jetzt  fi^lich,  ob  sich  die  Mill'schen  Gesetze  entweder  auf  ein  allgemeineres 
Denkgesetz,  oder  auf  die  t>ekannten  logischen  Gesetze  in  Verbindung  mit  verschwiegenen 
Prämissen  zurückführen  lassen.  Man  gelangt  dann  zu  folgendem  Ergebnis:  Die  empirischen 
Gesetze,  welche  die  Entstehung  kausaler  Urteile  aus  gegebener  Erfahrung  beherrschen, 
lassen  sich  vollständig  auf  die  logischen  Gesetze  zurückführen,  wenn  wir  annehmen,  dass 
dem  kausalen  Denken  ausser  den  Erfahrungsdaten  noch  die  beiden  folgendermassen  allge- 
mein zu  formulierenden  Voraussetzungen  zu  Grunde  liegen: 


-   88  — 

1.  Jede   neu   eintretende  Erscheinung  hat  unter  den  ihrem  Eintreten  vorhergehenden 
qualitativen  und  relativen  Bestimmungen  ihres  Subjektes  ihre  Ursache; 

2.  Wenn  die  Ursache  einer  Erscheinung  gegeben  ist,  muss  diese  Erscheinung  notwen- 
dig eintreten. 

Diese  Voraussetzungen,  wenn  sie  auch  in  der  Beweisführung  nicht  ausdrücklich  her- 
vorgehoben zu  werden  pflegen,  werden  dennoch  allgemein  als  richtig  anerkannt.  "Wir  sind 
demnach,  wie  es. scheint,  vollkommen  berechtigt  anzunehmen,  dass  unsere  kausalen  Über- 
zeugungen in  der  Tat  nach  logischen  Gesetzen  aus  jenen  Voraussetzungen  und  den  Erfah- 
rungsdaten zu  Stande  gekommen  sind,  m.  a.  W.  dass  jene  Voraussetzungen  und  Erfahrungs- 
daten die  elementaren  Urteile  abgeben,  aus  welchen  sämmtliche  Urteile  über  ursächliche 
Beziehungen  zusammengesetzt  sind. 

Es  fragt  sich  jetzt,  ob  die  selben  Voraussetzungen  auch  bei  der  Entstehung  anderer 
induktiven  Urteile  als  mitwirkende  Faktoren  auftreten.  Wir  stellen  zuerst  den  kausalen 
Urteilen  die  Koexistenzgesetze  gegenüber,  also  induktiv  ermittelte  allgemeine  Urteile,  bei 
welchen  bleibende  Eigenschaften  oder  Zustände  eines  Wirklichen  von  gleichzeitigen  Bestim- 
mungen desselben  abhängig  gesetzt  werden.  Solche  Urteile  bilden  den  Hauptbestandteil  der 
beschreibenden  Naturwissenschaften;  jede  Beschreibung  einer  Tier-  oder  Pflanzenspecies, 
eines  Minerals  oder  einer  chemischen  Substanz  giebt  davon  ein  Beispiel.  Ein  auffallender 
Unterschied  zeigt  sich  im  Verhalten  des  Denkens  diesen  beiden  Fällen  gegenüber:  Wirk- 
liche Ausnahmen  von  Kausalgesetzen  erscheinen  uns  einfach  unmöglich;  wo  solche  in  der 
Erfahrung  vorzukommen  scheinen,  schUessen  wir  sofort,  dass  unsere  Kenntnis  der  Umstände 
eine  mangelhafte  gewesen  sein  muss.  Dagegen  wenn  ein  Koexistenzgesetz  eine  Ausnahme 
erleidet,  würde  es  für  ungereimt  gelten,  analoge  Behauptungen  aufzustellen. 

Für  gewöhnlich  sind  Raben  schwarz  und  Kleeblätter  dreizählig;  das  heisst,  mit  den 
sonstigen  Merkmalen   A,  . . , .  A„  der  Raben  ist  regelmässig  die   schwarze   Farbe,  mit  der 

sonstigen  Merkmalen  B, B„  des  Klees  regelmässig  die  Dreizahl  der  Blätter  verbunden; 

wenn  aber  einmal  ein  weisser  Rabe  oder  ein  vierblättriges  Kleeblatt  vorkommt,  fallt  es 
niemandem  ein  zu  fordern,  dass  nun  auch  in  jenen  sonstigen  Merkmalen  notwendig  irgend- 
welche Abweichung  von  der  Norm  gegeben  sein  müsse. 

Nun  wechseln  wir  aber  unseren  Standpunkt  und  betrachten  den  Raben  oder  die  Klee- 
pflanze als  geworden;  und  sofort  ist  die  kausale  Betrachtungsweise  mit  ihrem  Postulate 
absoluter  Regelmässigkeit  wieder  da.  Niemand  wird  bezweifeln,  dass  in  der  Entstehungs- 
geschichte dieser  Monstra  Umstände  vorgekommen  sein  müssen,  die  von  den  gewöhnlichen 
abweichen;  und  dass,  so  oft  diese  Umstände  sich  in  gleicher  Weise  wiederholen,  sie  die 
nämliche  Abnormität  erzeugen  werden. 

Wenn  demnach  zu  den  Voraussetzungen,  welche  der  kausalen  Induktion  zu  Grunde 
liegen,  Analoga  für  Koexistenzverhältnisse  nicht  vorliegen,  so  lässt  sich  auch  von  vorn- 
herein vermuten,  dass  die  auf  diese  Voraussetzungen  sich  stützenden  Methoden  des  kau- 
salen Denkens  hier  nicht  in  gleicher  Weise  Wie  dort  Anwendung  finden  werden. 

In  der  Tat  wird  diese  Vermutung  durch  die  nähere  Untersuchung  vollkommen  bestä- 
tigt. Die  direkte  Unterschieds-  und  die  Rückstandsmethode  haben  für  die  Ermittlung  von 
Koexistenzsätzen  nicht  die  geringste  Bedeutung.  Offenbar  sind  alle  diese  Verschiedenheiten 
darauf  zurückzuführen,  dass  die  Voraussetzungen,  die  der  kausalen  Induktion  zu  Grunde 
liegen,  hier  fehlen.  Dann  erhebt  sich  die  Frage,  in  welcher  Weise  dann  die  induktive 
Verallgemeinerung    solcher  Verhältnisse  möglich  sei.   Die  Antwort  muss   einfach    lauten: 


—  89  — 

durch  bewusste  oder  unbewusste  Vermittlung  kausaler  Induktion,  da  wir  das  gegebene 
Koexistenzverhâltnis  als  das  Resultat  gegebener  oder  nicht  gegebener  Kausalverhältnisse 
betrachten. 

Bei  sâmmtlichen  Fällen  ausserkausaler  Induktion  finden  wir  weiter  die  Verhältnisse, 
die  wir  bei  der  Induktion  von  Koexistenzurteilen  fanden,  im  Wesentlichen  unverändert 
zurück.  Das  heisst  also:  es  fehlen  die  Analoga  zu  den  Voraussetzungen  des  kausalen  Den- 
kens, die  Gewissheit  der  Ergebnisse  bleibt  hinter  derjenigen  der  Prämissen  zurück  und  die 
Beweisführung  findet  durch  bewusste  oder  unbewusste  Vermittlung  kausaler  Induktionen  statt. 

Das  Vorhergehende  kurz  zusammenfassend,  finden  wir,  dass  die  ausserkausale  Induk- 
tion in  ihrem  ganzen  Umfange  der  kausalen  Induktion  nicht  nebengeordnet,  sondern  unter- 
geordnet ist,  indem  sie  sich  voll  und  ganz  auf  dieselbe  zurückführen  lässt.  Auch  der 
mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Notwendigkeitscharakter,  welcher  den  ausserkausalen  Gesetzen 
zukommt,  ist  ohne  Rest  den  zu  Grunde  liegenden,  kausalen  Verhältnissen  entlehnt.  Jeder 
ausserkausale  Induktionsprozess  ist  ein  logischer  Schluss,  welchem  ausser  den  Erfahrungs- 
daten  nur  die  Voraussetzungen  der  kausalen  Induktion  als  Prämissen  zu  Grunde  liegen. 

Wenn  wir  zum  richtigeren  Begriff  des  induktiven  Denkens  jetzt  die  dieses  beherr- 
schende, kausale  Induktion  näher  betrachten,  so  zeigt  es  sich,  dass  die  nach  den  Mill'schen 
Methoden  ermittelten  Kausalgesetze  keineswegs  immer  als  einfacher  Ausdruck  wirklicher 
Verhaltnisse  hingenommen,  sondern  vielmehr  in  den  allermeisten  Fällen  als  bloss  provi- 
sorische, selbst  der  Erklärung  bedürftige  „empirische  Gesetze"  aufgestellt  werden.  Die 
geforderte  Erklärung  muss  dann  entweder  durch  Einschaltung  vermittelnder  Zwischenglieder 
oder  durch  hypothetische  Annahme  über  die  den  Erscheinungen  zu  Grunde  liegenden  Dinge 
zustande  gebracht  werden. 

Auf  die  Frage,  welche  bewusste  oder  unbewusste  Kjiterien  darüber  entscheiden,  ob 
ein  empirisch  ermitteltes  Kausalverhältnis  als  definitives  Ergebnis  akceptiert  oder  als  ein 
zu  erklärendes  oder  unerklärbares  Problem  bei  Seite  gestellt  wird,  lautet  die  Antwort,  dass 
neben  den  fHlher  besprochenen  noch  folgende  Kausalprincipien  dem  naturwissenschaftlichen 
Denken  zu  Grunde  liegen: 

1*.  zeitliche  Berührung  zwischen  Ursache  und  Wirkung, 

2".  räumliche  Berührung  der  an  der  Verursachung  beteiligten  Wirklichkeitselomente, 

8".  Aequivalenz  von  Ursache  und  Wirkung, 

4".  logische  B«^ziehung  zwischen  Ursiiche  und  Wirkung. 

Die  Hamilton' 8che  Hypothese.  Um  diese  Erscheinungen  des  kausalen  Denkens  zu  erklären, 
sind  verschiedene  Versuche  gemacht  worden.  Die  Hypothese  des  englischen  Philosophen 
sir  W.  Hamilton  entspricht  diesen  Anforderungen  am  vollkommensten.  Seine  Worte  sind 
folgende: 

When  we  are  aware  of  something,  which  begins  to  be,  we  are  by  the  necessity  of  our 
intelligence  constrained  to  believe,  that  it  has  a  cause.  But  what  does  the  expression,  that 
it  has  a  cause,  signify? 

If  we  analyse  our  thought,  we  shall  find,  that  it  simply  means,  that  as  we  cannot 
conceive  any  new  existence  to  commence,  therefore  all  that  now  is  seen  to  arise  under  a 
new  appearance  has  previously  an  existence  under  a  prior  form.  Wo  are  utterly  unable 
to  reaUso  in  thought  the  possibility  of  the  complement  of  existence  being  either  increased 
or  diminished.  We  are  unable,  on  the  one  hand,  to  conceive  nothing  becoming  something  — 
or,  on  the  other,  something  becoming  nothing.  When  God  is  said  to  create  out  of  nothing, 
I.  A.  f.  K.  XX III.  12 


—  90  — 

we  construe  this  to  thought  by  supposing  that  He  evolves  existence  out  of  Himself;  we 
view  the  Creator  as  the  cause  of  the  universe.  „Ex  nihilo  nihil,  in  nihilum  nil  posse 
reverti",  expresses  in  its  purest  form,  the  whole  intellectual  phenomenon  of  causality". 

Im  Folgenden  wird  erstens  nachzuweisen  sein,  dass  die  Voraussetzung,  welche  nach 
der  Hamilton'schen  Hypothese  dem  kausalen  Denken  zu  Grunde  liegt,  eine  vera  causa  ist; 
zweitens  darzutun,  dass  sie  zur  Erklärung  der  Kausalprincipien,  auf  welche  sämmtliche 
Erscheinungen  des  kausalen  Denkens  zurückgeführt  sind,  vollständig  ausreicht;  drittens  zu 
zeigen,  dass  mehrere  sonst  schwer  verständliche  Eigentümlichkeiten  des  wissenschaftlichen 
und  ausserwissenschaftlichen,  auf  die  kausalen  Verhältnisse  sich  beziehenden  Sprachge- 
brauchs durch  sie  ihre  Erklärung  finden  ;  viertens  die  erkenntnistheoretische  Natur  jener 
Voraussetzung  festzustellen  und  die  Frage  zu  beantworten,  ob  eine  weitere  Erklärung  der- 
selben nötig  und  in  welcher  Richtung  sie  zu  suchen  sei. 

Die  Überzeugung  von  der  Unmöglichkeit  des  Entstehens  und  Vergehens  gehört  zu 
den  ältesten  Voraussetzungen  des  europäischen  Denkens.  Von  den  ersten  griechischen  Natur- 
philosophen berichtet  Aristoteles,  dass  sie  nichts  sorgfaltiger  vermieden  als  die  Annahme, 
etwas  sei  aus  einem  nicht  vorher  Vorhandenen  entstanden;  vielmehr  sei  es  ihre  gemein- 
same Überzeugung  gewesen,  dass  Nichts  aus  Nichts  entstehe  und  Nichts  in  Nichts  vergehe. 
Im  weiteren  Verlauf  der  griechischen  Philosophie  haben  dann  alle  Schulen  für  dasjenige, 
was  sie  als  das  wahrhaft  Seiende  betrachteten,  die  Prädicate  des  Unentstandenen  und 
Unvergänglichen  in  Anspruch  genommen;  und  von  den  Systemen  der  neueren  Philosophie 
gilt  genau  dasselbe.  Indem  sodann  die  Naturwissenschaft  für  ihr  Gebiet  Materie  imd  Kraft 
als  das  einzig  Seiende  annehmen  zu  müssen  glaubte,  acceptierte  sie  einerseits  den  altgrie- 
chischen Gedanken,  dass  die  Materie  aus  unentstandenen,  unvergänglichen  und  unveränder- 
lichen kleinsten  Teilen  zusammengesetzt  sei;  andererseits  forderte  sie  sofort  und  mit  glei- 
cher Bestimmtheit  auch  die  Erhaltung  der  Kraft. 

Dieser  Gedanke  von  der  Erhaltung  der  Kraft  wurde  schon  von  Lucrez  ausgesprochen, 
von  Gassendi  erneuert,  von  Descartes  als  Prinzip  von  der  Konstanz  der  Bewegungsquan- 
tität neu  formuliert  und  von  Leibniz  auf  die  durch  mv-  gemessene  „lebendige  Kraft"  bezogen. 
Dem  während  eines  Jahrhunderts  fortgesetzten  Streit  zwischen  Cartesianern  und  Leibnitzianem 
über  das  wahre  Kraftmass  lag  eben  die  Voraussetzung  von  der  Unzerstörbarkeit  der  Kxaft 
zu  Grunde  ;  die  eigentliche  Frage  war,  wie  man  die  Kraft  zu  messen  habe,  damit  der  For- 
derung ihrer  Unzerstörbarkeit  genügt  werde. 

Dieser  historische  Tatbestand  ist  besonders  deshalb  interessant,  weil  derselbe  die  Unab- 
hängigkeit jener  Voraussetzung  von  der  empirischen  Forschung  ad  oculos  demonstriert. 

Dass  keine  Zu-  oder  Abnahme  der  Kraft  im  Weltall  stattfinden  könne,  wird  mit  Zuver- 
sicht behauptet,  lange  bevor  man  weiss,  wie  man  diese  Kraft  zu  messen  hat;  ja  selbst 
während  man  glaubt  dieselbe  in  einer  Weise  messen  zu  müssen,  nach  welcher  die  Erfah- 
rung das  Prinzip  nicht  bestätigen  würde.  Die  Sache  veriäuft  deshalb  geradezu  umgekehrt, 
wie  man  bei  einem  empirischen  Satze  vermuten  würde.  Zuerst  wird  das  Prinzip  in  einer 
so  unbestimmten  Form  aufgestellt,  dass  es  sich  mit  den  Tatsachen  überhaupt  nicht  ver- 
gleichen lässt;  nachdem  letztere  besser  bekannt  geworden,  wird  der  Inhalt  des  ersteren 
so  weit  präzisiert,  dass  die  beiden  zusammenpassen.  Mit  anderen  Woiten:  man  hat  von 
Anfang  an  gewusst  oder  zu  wissen  geglaubt,  dass  die  Kraft  unzerstörbar  sei:  was  aber  in 
diesem  Satze  das  Wort  Kraft  eigentlich  bedeute,  hat  man  nicht  gewusst,  sondern  aus  der 
Erfahrung,  mit  Hilfe  eben  dieses  Satzes  zu  ermitteln  gesucht.  Dementsprechend  haben  denn 


—  91  - 

auch  sàmmtliche  Denker  von  Lucrez  bis  Leibniz  das  Prinzip  nicht  aus  der  Erfahrung  son- 
dern aus  den  Begriffen  zu  beweisen  gesucht.  Dass  die  von  Hamilton  zur  Erklärung  der 
Erscheinungen  des  kausalen  Denkens  verwendete  Voraussetzung  wirklich  als  solche  existiert 
und  mit  der  frühesten  Jugend  der  europaischen  Wissenschaft  existiert  hat,  scheint  hiermit 
erwiesen  zu  sein  ;  hypothetisch  ist  bloss  die  Beziehung  dieser  Voraussetzung  zu  den  Erschei- 
nungen des  kausalen  Denkens. 

Dementsprechend  werden  im  Folgenden  mit  den  Ausdrucke  „Hamilton' sches  Postulat" 
oder  ,HamHton'8ches  Prinzip"  die  tatsächliche  Voraussetzung  von  der  Unmöglichkeit  des 
Entstehens  und  Vergehens  bezeichnet;  mit  dem  Ausdrucke  „Hamilton' sehe  Hypothese" 
dagegen  die  Annahme,  dass  aus  jener  tatsâchUchen  Voraussetzung  das  ganze  kausale  Den- 
ken zu  erklären  sei. 

Die  HaniiUon'sche  Hypothese  und  die  Kausalprinzipien.  Diese  Hypothese  geht  von  der 
Tatsache  aus,  dass  wir  ein  wirkliches  Entstehen  oder  Vergehen  für  unmöglich  halten,  dass 
wir  demnach  überzeugt  sind,  alles  was  jetzt  existiert  müsse  auch  früher  existiert  haben 
und  spater  noch  existieren.  "Wir  nehmen  an,  dass  das  scheinbar  Neuentstandene  tatsächlich 
schon  früher  in  irgendwelcher  Weise  existiert  habe  oder  dass  das  scheinbar  Verschwundene 
noch  jetzt  in  irgendwelcher  Wei.^  fortexistiere.  Wenn  es  uns  nicht  gelingt,  diese  Prozesse 
zu  durchblicken,  so  giebt  es  nur  diesen  Ausweg:  was  die  Erfahrung  ausbietet,  muss  ein 
unvollständiges  oder  ein  ungetreues  Bild  der  Wirklichkeit  sein.  Aber  mit  dieser  Lösung 
des  Problems  giebt  sich  unser  Wissenstrieb  nicht  zufrieden;  wir  wollen  die  wahre,  hinter 
den  Erscheinungen  sich  versteckende  Wirklichkeit  erkennen;  wir  wollen  auch  wissen,  was 
in  dieser  geschieht,  während  jene  uns  das  Bild  eines  Entstehens  und  Vergehens  vorgaukelt. 
Durch  Versuche  trachten  wir  von  dem,  was  wir  nicht  wissen,  eine  Vorstellung  wenigstens 
zu  gewinnen  und  da  föngt  dann  die  Arbeit  der  Hypothesenbildung  an.  Aber  das  Ziel, 
worauf  diese  ganze  Gedankenbewegung  hinstrebt,  bleibt  immer  dasselbe:  möglichste  Elimina- 
tion aller  Verschiedenheit  zwischen  den  Wirklichkeiten,  welche  wir  als  der  früheren  und 
der  späteren  Wahrnehmung  zu  Grunde  liegend  denken. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  muss  die  Hamilton'sche  Hypothese  folgenderweise  definiert 
werden:  Ursache  nennen  wir  die  zu  einer  wahrgenommenen  netten  Ersdieinung  hinzupostu- 
Herten,  derselben  vorhergehenden  wirklichen  Zustände  und  Prozesse,  aus  denen  sich  die  der 
neuen  Erêchanuiig  zu  Gruiule  liegetideti  Zustände  und  Prozesse  als  ihre  gleichmässige  Fort- 
Setzung  ergeben.  Aus  dieser  Definition  und  dem  darin  enthaltenen  Postulate  lässt  sich  das 
tatsächliche  Verbalten  des  Denkens,  welches  wir  in  den  Kausalprinzipien  zusammengefasst 
haben,  erkl&ren. 

Das  erste  der  Kausalprinzipien  lautet:  Jede  neu  eintretende  Erscheinung  hat  unter  den 
ihrem  Eintreten  vorhergehenden  qualitativen  tmd  relativen  Bestimnnmgen  ihres  Subjektes  ihre 
Ursache. 

Die  Erläuterung  zu  diesem  Prinzip  ist  in  dem  Vorhergehenden  vollständig  enthalten. 
Wenn  wir  in  der  Erscheinungswelt  eine  Veränderung  wahrnehmen,  so  nehmen  wir  an, 
dass  etwas  zu  dem  Wirklichen,  das  der  sich  verändernden  Erscheinung  zu  Grunde  liegt, 
hinzugekommen  oder  von  demselben  abgeraten  ist.  Dieses  Hinzukommen  oder  Abgeraten 
k&nnen  wir  nur  als  die  Fortsetzung  schon  vorher  stattfindender  Prozesse  denken.  Den  neu 
eintretenden  Zustand  betrachten  wir  aber  als  identisch  mit  dem  alten,  vormehrt  oder  ver- 
mindert mit  den  durch  diese  Prozesse  zu-  oder  abgeführten  Elementen  ;  und  so  nennen  wir 
denn  diesen  ganzen  Komplex  von  Zuständen  und  Prozessen,  die  nachher  den  neuen  Zustand 


—  92  — 

konstituieren  werden,  bis  dahin  die  Ursache  desselben.  Dass  jede  neue  Erscheinung  ihre 
Ursache  hat,  heisst  also  nichts  anderes,  als  dass  das  derselben  zu  Grunde  liegende  Wirk- 
liche die  gleichmässige  Fortsetzung  vorexistierender  Zustände  und  Prozesse  ist. 

Die  Tatsache,  dass  nur  dann,  wenn  eine  Veränderung  vorliegt  die  ursächtlichen  BegriflFe 
angewendet  werden,  lässt  sich  aus  der  Hamilton'schen  Hypothese  folgender  Weise  ableiten: 
Wenn  uns  in  der  Erfahrung  ein  unveränderter  Zustand  oder  ein  gleichmässig  verlaufender 
Prozess  gegeben  ist,  so  erwächst  daraus  kein  Problem  und  es  liegt  keine  Veranlassung 
vor,  die  Momente  jenes  Zustandes  oder  Prozesses  vor  und  nach  einem  beliebigen  Zeitpunkte 
von  einander  zu  sondern  und  mit  verschiedenen  Namen  zu  benennen. 

Wenn  uns  dagegen  in  der  Erfahrung  eine  Veränderung  gegeben  ist,  so  muss  das  mit 
dem  Sequens  identische  Antecedens  gesucht  werden;  und  den  wahrnehmbaren  Umständen, 
die  wir  als  die  Erscheinung  desselben  auffassen,  lässt  sich  ihre  Beziehung  zum  wahrge- 
nommenen Sequens  nicht  sofort  ansehen.  Da  ist  es  denn  sehr  begreiflich,  dass  man  in  dem 
postuUerten  Komplex  von  unveränderlichen  Zuständen  und  Prozessen,  welchem  die  Erschei- 
nung vor  und  nach  der  Veränderung  entspricht,  das  Stadium,  das  der  Veränderung  vor- 
hergeht, von  dem  Stadium,  das  derselben  folgt,  unterscheidet  und  diese  beide  als  Ursache 
und  Wirkung  einander  gegenüberstellt. 

Das  ziceite  Kausalprinzip  sagt  aus,  dass  wenn  die  Ursache  einer  Erscheinung  gegeben 
ist,  diese  Erscheinung  notwendig  eintreten  wuss. 

Was  wir  unter  Wirkung  verstehen,  ist  nach  der  Hamilton'schen  Hypothese  nichts 
anderes  als  ein  bestimmtes  Nebeneinander  von  Wirklichkeitselementen,  die  durch  die  in 
der  Ursache  mitvorgestellten  gleichmässigen  Prozesse  zu  diesem  Nebeneinander  geführt 
wurden.  In  dem  Zustande  eines  gegebenen  Augenblicks,  den  wir  Ursache  nennen,  sind  alle 
Daten  enthalten,  aus  welchen  der  Zustand  des  folgenden  Augenblicks,  die  Wirkung  sich 
aufbaut.  Denn  zwischen  Ursache  und  Wirkung  liegt  nur  die  unveränderte  Foitsetzung  der 
Prozesse,  welche  schon  in  der  Ursache  mitgegeben  waren. 

Das  Prinzip  der  zeitlichen  Berührung  zwischen  Ursache  und  Wirkung  erklärt  sich  aus 
der  Hamilton'schen  Hypothese  von  selbst.  Nach  Dieser  vermögen  wir  die  kausale  Einwir- 
kung nur  als  die  Erscheinung  identisch  fortlaufender  Zustände  und  Prozesse  zu  denken; 
diesen  kommt  aber  als  solchen  notwendig  Kontinuität  zu;  und  da  Ursache  und  Wirkung 
als  verschiedene  Erscheinungen  wahrgenommen  werden,  so  muss  für  diese  Erscheinungen 
die  zu  Grunde  liegende  Kontinuität  zur  Kontiguität,  zur  zeitUchen  Berührung  werden. 

Über  das  Prinzip  von  der  räumlichen  Berührung  der  an  der  Verursachung  beteiligten 
Wirklichkeitselemente  werden  wenig  Worte  genügen.  Wenn  in  der  Tat  ein  Kausal  Verhältnis 
sich  nur  als  der  Übergang  irgend  welcher  Elemente  von  einem  Wirklichen  zum  anderen 
denken  lässt,  so  ist  hierzu  räumliche  Berührung  dieser  beiden  Wirklichen  unbedingt  erfor- 
derlich. Eine  scheinbare  Fernwirkung  wäre  nur  so  möglich,  dass  sich  Elemente  von  dem 
einen  Wirklichen  ablösten  und  den  Weg  bis  zum  anderen  Wirklichen  zurücklegten  ;  damit 
wäre  aber  die  angebliche  Fernwirkung  eben  wieder  auf  eine  Wirkung  durch  Berührung 
zurückgeführt. 

In  dem  Prinzip  der  Äquivalenz  von  Ursache  und  Wirkmtq  haben  wir  offenbar  mit 
einer  direkten  Anwendung  des  Hamilton'schen  Postulates  auf  die  Erscheinung  der  Verän- 
derung zu  tun.  Die  Veranlassung  zur  Betätigung  des  kausalen  Denkens  liegt  nämlich,  wie 
wir  gesehen  haben,  allemal  in  der  wahrgenommenen  Veränderung  eines  bestimmten  Subjekts 
und  eben  den  neu  eintretenden  Zustand  des  Subjekts  nennt  man  für  gewöhnlich  die  Wirkung 


—  ga- 
in diesem  Begriff  pflegt  man  also  bloss  eigene  Zustände  dieses  Subjekts,  nicht  aber  gleich- 
zeitige Zustände  anderer  Wirklichen  zu  denken;  dagegen  fühlt  man  sehr  genau  heraus, 
dass  in  den  zur  Erklärung  der  Veränderung  herbei  gezogenen  Begriff  der  Ursache  auch 
Beziehungen  des  Subjekts  zu  anderen  qualitativ  bestimmten  Wirklichen  aufgenommen 
werden  müssen.  Wendet  man  aber  auf  diese  Vorstellungen  das  Hamilton'sche  Postulat  an, 
so  zeigt  sich  leicht,  dass  die  Wirkung  zwar  in  der  Ursache  enthalten,  aber  nicht  der 
Ursache  gleich  zu  sein  braucht,  so  wie  auch,  dass  zwar  die  Wirkung  durch  die  Ursache, 
nicht  aber  die  Ursache  durch  die  Wirkung  notwendig  bestimmt  ist. 

Nach  diesen  Voretellungen  bezieht  sich  der  Begriff  der  Ursache  auf  einen  grösseren  Teil 
der  Wirklichkeit  als  der  Begriff  der  Wirkung.  Aus  der  Ursache,  aus  sämmtlichen  qualita- 
tiven und  relativen  Bestimmungen  des  Subjekts,  geht  die  Wirkung,  das  Eintreten  eines 
neuen  Zustandes  des  Subjekts,  mit  Notwendigkeit  hervor;  aber  neben  diesem  können  auch 
neue  Zustände  anderer  Wirklichen  aus  derselben  Ursache  hei-vorgegangen  sein.  Betrachten 
wir  alle  diese  Zustände  zusammen,  so  sind  sie  mit  der  Ursache  aëquivalent  und  ist  diese 
durch  sie  vollkommen  bestimmt;  betrachten  wir  aber  den  zu  erklärenden  neuen  Zustand 
des  Subjekts  für  sich,  so  ist  dieser  in  der  Ursache  bloss  enthalten  und  zur  Bestimmung 
der  Ursache  keineswegs  genügend. 

Das  Prinzip  der  logischen  Berieftvng  zunschen  Ursache  und  Wirkung  endlich  ist  ein 
bloeses  Korollarium  des  vorhergehenden.  Haben  wir  in  dem  wirkUchen  Geschehen  bloss 
mit  einem  Komplex  unveränderlich  fortlaufender  Prozesse  zu  tun,  so  ist  in  der  exakten 
Beschreibung  aller  wirklichen  Zustände  in  einem  beliebigen  Zeitpunkte  diejenige  aller  wirk- 
lichen Zustände  in  allen  anderen  Zeitpunkten  enthalten.  Der  Weltlauf  wird  dann  zu  einer 
„Logik  der  Tatsachen";  jede  Ursache  bietet,  wie  überhaupt  jeder  Komplex  vorhergehender 
Zustände,  die  Prämissen,  aus  denen  nach  den  Gesetzen  des  Widerspruchs  und  des  ausge- 
schlossenen Dritten  auf  die  Wirkung,  auf  den  Komplex  nachfolgender  Zustände,  geschlossen 
werden  kann. 

Die  Notwendigkeit  aber,  die  wir  der  Beziehung  zwischen  Ursache  und  Wirkung  zu- 
schreiben und  von  hier  aus  auf  die  anderen  induktiv  ermittelten  Regelmässigkeiten  über- 
tragen, findet  damit  ihre  Erklärung;  dieselbe  ordnet  sich  vollständig  der  logischen  Notwen- 
digkeit unter,  von  welcher  sie  sich  nur  durch  ihre  Anwendung  auf  ein  besonderes  Gebiet 
unterscheidet. 

Das  Vorhergehende  zusammenfassend,  finden  wir,  dass  die  Hamilton'sche  Hypothese 
vollkommen  genügt,  um  die  tatsüchlicheti  Voraussetzungen  der  Kausalprinzipien  zu  erklären. 

Nach  dem  Stand  unseres  jetzigen  Wissens  müssen  also  das  naturwissenschaftliche 
Denken  auf  das  Kausalprinzip  und  die  Hamilton'sche  Hypothese  zurückgeführt  werden. 
Dieses  Resultat  von  Prof.  Heyman's  Ausführungen  kann  für  unseren  Zweck  hinreichend 
erachtet  werden. 

Die  Grundlagen  unseres  naturwissenschaftlichen  Denkens  und  seines  Endergebnisses. 
unserer  Naturphilosophie,  sind  in  obigem  also  klargelegt.  Diese  ist  durch  Gelehrte  in  einer 
nach  Jahrtausenden  zahlenden  Periode  von  Studium  '  und  Experiment  aufgebaut  worden, 
welche  letztere  wohl  noch  Tausende  von  Jahren  weitergeführt  werden  müssen,  um  unser 
Geschlecht  mehr  und  mehr  mit  der  Wirklichkeit  in  Einklang  zu  bringen. 

Alb  Grund  unseres  natur>vissenschaftlichen  Denkens  gilt  das  kausale  Denken  oder  die 
kausale  Induktion,  die  sich  zu  den  Prinzipien  des  logischen  Denkens  zurückbringen  lassen. 


—  94  — 

wenn  man  annimmt,  dass  die  obengenannten  Prämissen  dazu  in  unserem  unbewussten 
oder  halbbewussten  Leben  mitwirken.  Diese  Prämissen  wurzeln  im  Hamilton'schen  Prinzip, 
das  vollkommen  ausreicht,  um  sie  zu  erklären.  Gehen  wir  jetzt  zur  Betrachtung  der  malaii- 
schen Zusammenlebung  über,  so  werden  wir  den  ursprünglichen  Auffassungen  dieser 
Rasse,  welche  uns  den  Schlüssel  zu  ihrer  Denkart  liefern  müssen,  nur  dort  nachspüren 
können,  wo  sie  am  wenigsten  durch  fremde  Einflüsse  verändert  worden  sind.  Demzufolge 
sind  nur  Untersuchungen  unter  den  Dajak  und  Toradja  brauchbar;  die  Denkweisen  der 
anderen  malaiischen  Völker  sind  zu  sehr  mit  eingeführten  Elementen  hinduistischen,  moham- 
medanischen und  europäischen  Ursprungs  vermischt.  Von  jenen  sind  auch  nur  die  zentralen 
Stämme  für  unseren  Zweck  brauchbar,  also  an  erster  Stelle  die  Bahau  und  Kenja  der 
Insel  Borneo.  Wie  im  Anfang  dieser  Abhandlung  hervorgehoben  wurde,  fällt  es  beim  Stu- 
dium der  Gedankenwelt  dieser  Völker  an  erster  Stelle  auf,  dass  ihnen  die  exakten-  und 
Naturwissenschaften,  jene  Stützen  einer  zivilisierten  Zusammenlebung,  fehlen.  Sie  entbehren 
aber  zur  Ausbildung  eines  solchen  Naturerkennens  bis  jetzt  unsere  ererbten  Ergebnisse  der 
obenerwähnten  langen  Periode  der  Untersuchung  und  des  Denkens  auf  dem  Gebiet  der  exakten 
Wissenschaften.  Daher  gilt  es  für  uns  nachzuweisen,  in  wie  weit  in  ihrer  eignen  Art  des 
Denkens  die  kausale  Induktion  aufgefunden  icerden  kann  oder  nicht. 

Nach  Hamilton  beruht  das  kausale  Denken  auf  der  uns  angeborenen  Denkweise  der 
Unvergänglichkeit  von  Kraft  und  Stoff;  mit  unserem  Verstand  können  wir  nur  begreifen, 
dass  etwas  Neuentstandenes  in  früheren  Verhältnissen  fussen  muss  und  etwas  Verschwin- 
dendes in  anderer  Form  fortbesteht. 

Oben  wurde  bereits  angeführt,  in  welchen  weit  zurückliegenden  Zeiten  die  damaligen 
Denker  diese  Überzeugung  ihren  Betrachtungen  über  die  Natur  des  Bestehenden  zu  Grunde 
legten,  bereits  lange  bevor  sie  im  Stande  waren,  auch  nur  oberflächlich  diese  Meinung 
experimentell  zu  beweisen.  Wir  haben  jetzt  zu  untersuchen,  inwiefern  unsere  Malaien  einer 
ähnlichen  Denkweise  huldigen. 

Die  Legenden  der  wenig  entwickelten  Völker  liefern  uns  die  besten  Zeugnisse  für  ihre 
Denkweise  und  Überzeugungswelt;  letztere  an  einzelnen  Individuen  zu  verfolgen  erheischt 
die  grössten  Vorsichtsmassregeln,  ein  besonderes  persönliches  Talent  und  günstige  Neben- 
umstände, überdies  sind  die  Ergebnisse  im  allgemeinen  viel  unzuverlässiger.  Glückhcher- 
weise  ist  bei  den  Naturvölkern  das  Bestreben,  sich  eine  Vorstellung  von  dem  Verlaut 
der  natürlichen  Ereignisse  zu  machen,  ziemlich  allgemein  und  Legenden,  die  sie  aufklären 
sollen  über  den  Ursprung  ihres  Geschlechts,  ein  Problem,  an  dessen  Lösung  auch  uns  so 
viel  liegt,  sind  bei  ihnen  allen  gefunden  und  bekannt  geworden.  An  diesen  Legenden  werden 
wir  an  erster  Stelle  untersuchen  können,  welche  Grundbegriffe  solche  Völker,  in  diesem 
Fall  die  Dajak,  mit  der  Erschaffung  eines  wichtigen  Teiles  der  bestehenden  Welt  verbinden. 
Unter  der  oft  höchst  phantastischen  Einkleidung  werden  wir  den  für  uns  springenden  Punkt, 
ob  auch  diese  primitiven  Naturvölker  der  durch  Hamilton  skizzierten  Denkweise  unter- 
worfen oder  ob  ihnen  andere  Begriffe  eigen  sind,  ausfindig  machen  können. 

Unter  den  Dajakstämmen  sind  nur  wenige  dem  Einfluss  der  hinduistischen  Zivilisa- 
tion so  weit  entzogen  geblieben,  dass  ihre  Legenden  nach  Form  und  Inhalt  das  Gepräge 
der  Ursprünglichkeit  behalten  haben.  Wie  sich  zeigen  wird,  war  dies  in  der  ersten  Hälfte 
des  vorigen  Jahrhunderts  sogar  mit  den  Ot-Danum,  die  im  Ursprungsgebiet  des  Kahajan 
wohnten,  nicht  mehr  der  Fall. 

In  den  vierziger  Jahren  wurden  diese  Stämme  von  Dr.  C.  L.  A.  M.  Schwaner  besucht. 


—  9b  — 

In  seinem  im  Jahre  1853  erschienenen  Buche  veröffentlicht  er  auf  Seite  150  des  zweiten 
Teiles  die  folgende  Skizze  ihrer  Schöpfunglegende: 

„Die  Ot-Danura  geben  ihrem  Hauptgott  den  Namen  Mahadarah.  Dieser  schuf  die  Erde 
mit  Allem,  was  sich  darauf  befindet.  Anfangs  bestand  die  Welt  nur  aus  Wasser  und  es 
gelang  nicht,  die  feste  Erde  über  die  Wasseroberfläche  zu  erheben,  bis  endlich  sieben  Naga 
als  Unterlagen  genommen  wurden,  auf  deren  Rücken  Mahadarah  Erde  vom  Himmel  her- 
unterwarf. Wie  früher  alles  Wasser  war,  so  wurden  jetzt  das  Wasser  und  die  Luft  ver- 
drängt und  die  Welt  füllte  sich  mit  einem  Cbermass  von  Erde.  Mahadara  stieg  deshalb 
von  seinem  Sitz  herunter  und  dmckte  alles  zu  festen  Massen,  Steinen  u.s.w.  zusammen. 
Er  bildete  die  Gebirge  und  Höhen,  die  Tiefen  der  Meere  und  Seeen,  die  Betten  der  Flüsse 
untl  Bache,  so  dass  das  Wasser  sich  neben  dem  trockenen  Lande  verbreiten  konnte.  Nach- 
her wurden  erst  aus  Erde  Menschen  geschaffen  und  die  übrige  Schöpfung  entwickelte  sich 
dann  in  der  oben  bereits  skizzierten  Weise". 

Wie  man  sieht,  sind  die  Namen  Mahadara  und  Naga  der  hinduistischen  Mythologie 
entlichen;  auch  der  Inhalt  dieser  Erzählung  enthält  solche  Elemente.  Auch  die  von  Ling 
Roth  gesammelten  Schöpfungsgeschichten  aus  dem  Nordwesten  und  Norden  der  Insel  Borneo 
enthalten  ebenfalls  Vieles  fremden  Ursprungs.  Ursprünglich  malaiisch  sind  nur  diejenigen 
der  Bahau  und  Kenja-Dajak,  die,  tief  im  Innern  von  Ost-Bomeo  wohnend,  fremdem  Einfluss 
am  wenigsten  unterlagen. 

In  seinem  Werk  »Pagan  Tribes  of  Borneo"  erzählt  Ch.  Hose  auf  Seite  137  des  zweiten 
Teiles  die  folgende  Schöpfungsgeschichte  der  Kajan  Dajak  in  Sërawak: 

We  give  first  in  a  condensed  form  the  substance  of  a  long  rambling  creation-myth 
current  among  all  branches  of  the  Kajan  people.  This  myth  is  sung  in  rhymed  blank  verse, 
a  fact  which  is  partly  responsible  for  the  wealth  of  names  occurring  in  it. 

In  the  beginning  there  was  a  barren  rock.  On  this  the  rain  fell  and  gave  rise  to  moss 
and  the  worms,  aided  by  the  duog-beetles,  made  soil  by  their  castings.  Then  a  sword  handle 
(haup  malat)  came  down  from  the  sun  and  became  a  large  tree.  From  the  moon  came  a 
creeper,  which  hanging  from  the  tree  became  mated  with  it  through  the  action  of  the  wind. 

From  this  union  were  bom  Ealuban  Gai  and  Kalubi  Angai,  the  first  human  beings, 
male  and  female.  These  were  incomplete,  lacking  the  legs  and  lower  half  of  their  trunks, 
so  that  their  entrails  hung  loose  and  exposed.  Leaves  falling  from  the  tree  became  the 
various  species  of  birds  and  winged  insects  and  from  the  fallen  fruits  sprang  the  four- 
footed  beasts.  Resin,  oosing  from  the  trunk  of  the  tree,  gave  rise  to  the  domestic  pig  and 
fowl,  two  species  which  are  distinguished  by  their  understanding  of  matters,  that  remain 
hidden  from  all  others,  even  fiom  human  beings.  The  first  incomplete  human  beings  pro- 
duced Pengok  Ngai  and  Katira  Murei;  the  latter  bore  a  son,  Batang  Uta  Tatai,  who  mar- 
ried Ajai  Avai  and  begot  Syau  Laho,  Oding  Lahang,  Pabalan,  Pliban  and  Tokong,  who 
became  the  progenitors  of  the  various  existing  peoples.  Oding  Lahang  is  claimed  as  their 
ancestor  by  the  Kajans  and  also  by  the  Kenyahs  and  some  of  the  Klemantan  tribes". 

Wie  man  sieht,  stellen  diese  Stämme  sich  als  Anfang  alles  Geschaffenen  etwas  rein 
Materielles  vor  und  ist  von  einem  „Nichts"  keine  Rede. 

Unter  den  verwandten  Kajan-Dajak  am  Oberen  Kapuasfluss  von  West-Borneo  habe  ich 
eine  vollständigere  Version  aufgezeichnet  (Seite  129  Tl.  I  in  Quer  durch  Borneo):  „Die 
Schöpfung  der  Erde,  Geister  und  Menschen".  »Eine  Spinne  Hess  sich  einst  vom  Himmel  an 
einem  Faden  herab.  Diese  Spinne  wob  ein  Netz,  in  welches  ein  Steinchen  von  der  Grösse 


—  96  — 

einer  sehr  kleinen  Perle  fiel.  Dieses  Steinchen  wurde  grösser  und  grösser,  erst  wie  eine 
owër  anè  (besondere  Perlenart),  dann  wie  eine  këtobong  apo  parei  (Perlenart),  dann  wie 
eine  kleine  Muschel,  wie  ein  Nagel  (hulo),  wie  eine  aus  einer  Muschelschale  geschnittene 
Scheibe  (barang  hulo),  wie  ein  Fussrücken,  wie  ein  runder  Teller  (uwit),  wie  eine  Sitz- 
matte, wie  ein  Sieb,  dann  wie  eine  grosse  Matte  u.  s.  w.,  bis  es  den  ganzen  Raum  unter 
dem  Himmel  einnahm.  Auf  diesen  Stein  fiel  eine  Flechte  (oro  napon)  vom  Himmel,  die 
auf  ihm  kleben  blieb;  dann  fiel  ein  Wurm  (Lalang)  hernieder,  aus  dessen  Exkrementen 
die  ersten  Erdteilchen  entstanden.  Auch  diese  Erde  nahm  immer  mehr  zu,  bis  sie  den 
ganzen  Stein  bedeckte.  Da  fiel  der  grosse  Baum,  kajo  aja,  auch  wohl  kajo  nangei  (beim 
Neujahrsfest  verwendet)  genannt,  vom  Himmel;  der  Baum  war  anfangs  nicht  höher  als 
ein  Messerchen  (nju)  dick  ist,  dann  wurde  er  so  gross,  als  ein  Beil  (asè)  dick  ist,  schliess- 
lich erreichte  er  die  Höhe  eines  Bananenstammes  u.  s.  w. 

Darauf  fiel  eine  Krabbe  von  Himmel  und  begann  mit  ihren  vielen  Gliedmassen  in  der 
Erde  zu  graben,  wodurch  Berge,  Täler  und  Flussbetten  entstanden,  unter  anderen  der 
Kajan,  Pengian,  Danum  Pè  (Flüsse  im  Apu  Kajan  Gebiet  beim  Batu  Tibang)  und  schliess- 
hch  alle  übrigen  Flüsse  von  Borneo.  • 

Aus  dem  Boden  wuchsen  jetzt  allerhand  Pflanzen  hervor,  zuerst  die  verschiedenen 
Bambusarten:  bulu  buring,  bulu  pusa,  bulu  tengun  und  bulu  tan;  dann  die  Bäume,  die 
das  rote  zähe  Holz  für  Schilde  liefern,  und  die  Fruchtbäume  (Alle  diese  Baumarten  wer- 
den beim  Neujahrsfest  zum  Bau  der  dangei-Hutte  verwendet).  Schliesslich  erschienen  die 
Rotanarten  :  uwè  nga,  uwè  haring,  —  bohong,  —  hawon,  —  kudjo,  —  ngëlawâto,  —  pësë- 
lilit,  —  sëlat,  —  sëputan  und  uwè  maling,  die  alle  im  Haushalt  ihre  verschiedene  Verwen- 
dung finden. 

Der  Rotan  wand  sich  an  dem  grossen  Baum,  kajo  aja,  hinauf  und  der  Wind  trieb  ihn 
derart,  dass  er  in  die  vulva  des  Baumes  gelangte,  wodurch  dieser  sehr  gross  wurde. 

Zwei  Geister,  ein  Mann,  Bëlarè  Adjè  Awè  und  eine  Frau,  Këlot  Era  Podè,  kamen 
jetzt  vom  Himmel  herab  und  Hessen  sich  auf  dem  grossen  Baum  nieder;  sie  konnten  sich 
aber  als  Geister  nicht  begatten.  Als  der  Mann  einst  einen  Schwertgriff  schnitzt«  und  die 
Frau  am  Webstuhl  sass,  fielen  der  Schwertgriff  und  das  Weberschiffchen  neben  einander 
auf  die  Erde  und  paarten  sich.  Aus  ihrer  Vereinigung  ging  ein  menschliches  Wesen,  Këlowër 
Ga-aï  (schiebend  sich  vorwärts  bewegend)  hervor,  dem  aber  Arme  und  Beine  fehlten. 

Die  Paarung  und  ihr  Resultat  erschreckten  die  beiden  Geister  jedoch  derart,  dass  sie 
eiligst  in  den  Himmel  zurückflogen. 

Das  gliederlose  Monstrum  bekam  zwei  Kinder  verschiedenen  Geschlechts:  Huwar  Anè 
und  Uti;  deren  beide  Kinder:  Klobè  Ange  und  Klobè  konnten  sich  auch  noch  kaum  bewe- 
gen; sie  hatten  aber  ebenfalls  zwei  Nachkommen:  Ngujer  Bawè  und  Lahndè,  die  beide 
nur  sitzen  (ngujer)  konnten.  Diese  jedoch  zeugten  richtige  Menschen,  einen  Mann  Parèn 
Këliter  Pulut  Luwê  und  eine  Frau  üdjung  Malen  Lëkè.  Die  Tochter  dieser  eisten  Men- 
schen, Label  Lalan,  hatte  so  lange  Arme  und  Beine,  dass  sie  den  Himmel  berühren  konnte. 
Sie  bekam  zwei  Kinder:  Amei  Awi  und  Buring  Une,  die  hauptsächlich  die  Erde  und  ihre 
Erzeugnisse  beherrschen  und  daher  als  die  wichtigsten  Götter  des  Ackerbaus  verehrt  wer- 
den. Sie  besitzen  2X8  Kinder,  nämlich  8  Männer  und  8  Frauen,  ferner  noch  vier  Kinder, 
die  als  die  wichtigsten  Mondphasen  am  Himmel  stehen:  Kërëbso  =  aufgehender  Mond, 
Këloong  pajang  =  Halbmond  ;  Kamat  =  Vollmond  und  Pënjërom  Dom  =  dunkler  Mond. 

Amei  Awi  und  Buring  Une  Hessen  ihre  Kinder,  um  darüber  zu  entscheiden,  wer  von 


—  97  — 

ihnen  Häuptling,  wer  Freier  und  wer  Sklave  sein  sollte,  einen  Berg  hinauflaufen.  Die 
Stärksten,  die  die  Spitze  zuerst  erreichten,  machten  sie  zu  Sklaven,  die  minder  Starken, 
welche  sich  halbwegs  befanden,  machten  sie  zu  Freien  und  einen  Mann  mit  einem  kranken 
Bein  und  eine  schwangere  Frau,  die  am  Fuss  des  Berges  zurückgeblieben  waren,  machten 
sie  als  die  Schwächsten  zu  Häuptlingen.  Sämmtliche  Kinder  waren  jedoch  mit  der  Ent- 
scheidung ihrer  Eltern  unzufrieden  und  gingen  daher  nach  den  verschiedensten  Orten  im 
Weltall  auseinander,  wo  sie  jetzt  als  Monde  und  ähnliche  Gebilde  ein  glückliches  Dasein 
geniessen. 

Die  Eltern  dagegen,  die  einsam  zurückblieben,  nahmen  ein  weisses  Tuch  und  eine 
Matte  und  begaben  sich  zu  dem  grossen  Baum  kajo  aja.  Amei  Awi  kratzte  von  dem  Baum 
eine  grosse  Menge  Rinde  ab  und  holte  aus  dem  Walde  ein  langes  Stück  Rotan.  Nachdem 
er  die  beiden  Enden  über  dem  Boden  befestigt  hatte,  baute  er  darauf  ein  Haus  und  streute 
mit  seiner  Gattin  die  Baumrinde  auf  den  Fussboden,  worauf  Schweine,  Hühner,  Hunde 
und  Menschen  aus  den  Rindenteilchen  entstanden.  Die  Menschen  blieben  jedoch  stumm, 
obgleich  sie  ihnen  Ohrringe,  Ruder  und  andere  Dinge  gaben.  Daher  begab  sich  Amei  Awi 
auf  den  Fischfang,  kochte  die  Fische  und  ass  einen  Teil  mit  Buring  Une.  Als  sie  darauf 
auch  den  Menschen  von  den  Fischen  zu  essen  gaben,  begannen  diese  zu  sprechen.  Von 
diesen  echten  Menschen  stammen  die  Bahau  ab,  die  krank  werden  und  sterben,  da  sie 
aas  vergänglicher  Rinde  bestehen. 

Von  den  Kajan  am  Oberen'  Mähakam  hörte  ich  folgende  Version  einer  ähnlichen 
Schöpfungsgeschichte:  Zwei  alte  Leute  im  Himmel  Apu  Lagan  waren  einst  damit  beschäf- 
tigt, sich  mit  einer  kleinen  Kupferzange,  tsöp,  die  Augenbrauen  auszuziehen.  Sowohl  die 
Frau  Bua  Langnji  als  der  Mann  Dale  Lili  Langnji  wurden  aber  bei  ihrem  hohen  Alter  von 
der  Arbeit  so  müde,  dass  sie  in  Schlaf  sanken,  wobei  ihnen  die  Zange  entglitt  und  zur 
Erde  nieilerflel.  Sie  lag  dort  auf  einem  nackten  Felsen  am  Ufer  des  Mahakam,  als  ein 
Rieaenwurm  aus  dem  Wasser  zum  Vorschein  kam,  an  dem  ungewöhnlichen  Gegenstand 
sog  und  dat)ei  seine  Exkremente  absetzte.  Dies  sah  eine  Krabbe,  die  sich  in  der  Nähe  unter 
einem  Stein  verborgen  hielt,  und  sobald  der  Wurm  fortging,  scharrte  sie  mit  ihren  Beinen 
den  Kot  auseinander,  woilurch  der  Fels  mit  Erde  bedeckt  wurde.  In  dieser  Erde  trieb  der 
tsöp  Wurzeln,  so  dass  die  Schwester  von  Bua  Langnji,  als  sie  unten  nach  der  Zange  suchte, 
bereita  ein  Bâumchen  mit  einigen  kupfernen  Blättern  fand.  Schnell  wuchs  das  Bäumchen 
in  die  Höhe;  durch  eine  Öffnung,  diö  sich  dabei  im  Stamm  bildete  und  die  der  Himmels- 
geist üwang  bemerkte,  wurde  er  von  diesem  beft-uchtet.  Als  Folge  hiervon  entwickelten 
sich  unten  am  Bâumchen  zwei  Sprossen,  ein  männlicher,  Amei  Klowon,  und  ein  weiblicher 
Inei  Klion.  Eis  waren  menschliche  Wesen,  al>er  ohne  Arme  und  Beine,  denn  einer  der 
Bewohner  des  Landes,  in  welches  die  Zange  gefallen  war,  hatte  den  Baum  verwundet, 
indem  er  mit  seinem  Schwert  unten  am  Stamm  einen  Blutegel  tötete,  den  er  von  seinem 
Bein  gestreift  hatte.  Auf  diese  Weise  waren  die  ersterschaffenen  Menschen  verstümmelt 
worden.  Sie  waren  immerhin  noch  sexueller  Gemeinschaft  fähig  und  so  gab  Inei  Klion 
3  Kindern  (Jas  Leben:  Kiit  la  Bêlâlang  Ka;  Kiit  Lui  Bëlâlang  Ubui;  und  Kiit  Long  Bëlâlang 
Uwang.  Von  diesen  Dreien  stammen  die  Bahau  ab. 

Der  kupferne  Baum,  Poon  Kawat,  \A'uchs  jedoch  weiter  und  lieferte  noch  viele  Sprossen, 
aus  denen  von  unten  nach  oben  zuerst  die  bösen,  dann  die  vielen  guten  Geister  hervor- 
gingen, danach  die  Hauptgeister  wie  Djaja  Hipui  u.s.w.,  schliesslich  am  Gipfel  Amei  Tingei, 
der  das  Dasein  der  Bahau  beherrscht. 

I.  A.  f.  K.  Bd.  X.XIII.  i3 


—  98  - 

Auch  die  von  Adriani  und  Kruyt  im  ersten  Teile  ihres  Werkes  angegebene  Schöpfungs- 
geschichte der  Baree-Toradja  berichtet  keine  Schöpfung  aus  einem  Nichts,  sondern  eine 
Änderung  eines  bestehenden  Zustandes.  Auf  Seite  245  heisst  es  dort:  „In  alter  Zeit  gab 
es,  nach  den  Bare'e-Toradja,  keine  Menschen.  Darauf  beschlossen  der  Gott  der  Oberwelt, 
i  Lai,  und  die  Göttin  der  Unterwelt,  i  Ndara,  Menschen  zu  machen.  Sie  trugen  diese  Arbeit 
an  iKombengi  auf.  Dieser  bildete  aus  Stein  (andere  sagen  aus  Holz)  zwei  Menschenge- 
stalten, einen  Mann  und  eine  Frau.  Als  er  mit  seiner  Aufgabe  fertig  war,  setzte  er  sein 
Machwerk  an  den  Weg  zwischen  der  Ober-  und  der  Unterwelt,  damit  alle  Geister,  die  dort 
vorüber  kamen,  die  zwei  Menschen  sehen  sollten.  Abends  wurde  diese  Leistung  von  i  Kom- 
bengi  besprochen  und  die  Götter  meinten,  dass  die  Waden  nicht  rund  genug  seien.  Kom- 
bengi  verfertigte  darauf  zwei  andere  Gestalten  mit  runden  Waden.  Wieder  sahen  sich  die 
Götter  diese  an  und  machten  dann  die  Bemerkung,  dass  der  Bauch  zuviel  nach  vom  aus- 
gebuchtet sei. 

Kombengi  machte  wiederum  ein  neues  Menschenpaar  und  dieses  hiessen  die  Götter  gut  : 
nur  meinte  man,  dass  die  Frau  doch  auch  etwas  Rundliches  vorn  an  den  Schamteilen 
haben  müsse;  deshalb  nahm  der  Künstler  etwas  von  der  Vorhaut  des  Mannes  ab  und 
formte  daraus  die  Labia  majora  der  Frau. 

Als  die  '  beiden  Gestalten  ganz  nach  dem  Geschmack  der  Götter  waren,  kehrte  Lai 
nach  seiner  Wohnung  im  Himmelreich  zurück,  um  „ewigen  Atem"  (inosa  marate)  für  das 
Menschenpaar  zu  holen.  Kombengi  aber  Hess  den  Wind  auf  sie  blasen  und  dadurch  erhiel- 
ten sie  den  Atem.  Deshalb  kehrt  der  Atem  zum  Winde  zurück,  wenn  der  Mensch  ge- 
storben ist". 

Unter  den  wichtigen  Erscheinungen,  die  darauf  hinweisen,  dass  auch  die  Malaien 
sich  etwas  Neuentstehendes  nur  als  eine  Änderung  eines  bestehenden  Zustandes,  nicht  als 
eine  Erschaffung  aus  einem  Nichts,  vorzustellen  vermögen,  gehört  ihre  Überzeugung  in 
bezug  auf  die  Entstehung  der  Beseelung,  des  Talents,  und  der  Dunkelheit.  Hierbei  handelt 
es  sich  also  um  Erklärungsversuche  für  Eigenschaften  ihrer  Umgebung,  die  nichts  StofiBi- 
■ches  an  sich  haben.  In  ihrer  animistischen  Glaubenswelt  denken  sie  sich  auch  ihre  Acker- 
baugewächse beseelt.  So  sprechen  die  Bahau-Dajak  von  der  Seele  (to)  des  Reises,  des  Zucker- 
rohrs, des  Maises,  des  Tabaks,  der  Kokosnuss,  der  Bananen  u.  s.  w.  Diese  Seelen  müssen 
aber  nach  ihrer  Auffassung  irgendwo  herstammen  und  in  ihren  Legenden  findet  man  die 
Form  dieses  Volksglaubens  zurück.  Untei-  den  Bahau-Dajak  kommt  diese  Legende  in  ihrer 
ursprünglichen  Form  vor;  in  einem  grossen  Teil  des  von  Fremden  stark  beeinflussten 
Archipels,  auch  auf  Java,  ist  sie  mehr  oder  weniger  verändert,  aber  immer  mit  dem  Kern, 
dass  Reis  u.  s.  w.  aus  göttlichen  Wesen,  Menschen  oder  Tieren  und  deren  Seelen  entstehe. 

Diese  Legende  lautet:  Als  die  Kajan  in  alten  Zeiten  noch  in  ihrem  Stammland  Apu 
Kajan  wohnten,  lebte  dort  ein  Ehepaar  Batang  Timong  Nangei  und  seine  Frau  Uniang 
Bulan  Batang  Ngaui  Ingan.  Das  Ehepaar  hatte  zu  seinem  Kummer  keine  Kinder  und  um 
sie  zu  erlangen,  ging  der  Mann,  auf  Anraten  der  Geister,  darauf  aus.  eine  bestimmte  Art 
Rotan  zu  suchen.  Nach  mehr  als  einem  Jahr  kehrte  der  Mann  ohne  Erfolg  und  völlig 
erschöpft  heim.  Seine  Gattin  Uniang  war  aber  inzwischen  gestorben,  weil  sie  während 
einer  Verbotszeit  des  Säens  genäht  und  hierdurch  den  Zorn  der  Geister  erregt  hatte.  Ihr 
Tod  hatte  sich  folgendermassen  zugetragen:  als  Uniang  einmal  wieder  zu  verbotener  Zeit 
bei  der  Arbeit  sass,  fiel  durch  das  Dach  eine  Nadel  vom  Himmel  gerade  auf  ihren  kleinen 
Finger,   der  zu   bluten  begann.   Die  Blutung  war  nicht  zu  stillen  und  so  musste  die  Frau 


—  99  — 

allmählich  verbluten;  aus  ihrem  hervorquellenden  Blute  entstand  aber  Reis  und  nach  ihrem 
Tode  aus  dem  Rumpf  Bananen,  aus  ihren  Haaren  Zuckerrohr,  aus  ihren  Oberarmen  kladi 
(Colocasia),  aus  ihren  übrigen  Körperteilen  andere  mit  Reis  zugleich  gebaute  Gewächse  wie 
Gurken,  süsse  Kartoffeln  u.  s.  w.  ;  aus  den  Schamteilen  ging  Tabak  hervor,  daher  geben 
die  Frauen  ihren  Liebhabern  Zigarren  zu  rauchen. 

Eine  beim  Toratija-Stamm  der  To  Kulawi  gefundene  Erzählung  beschreibt  ebenfalls 
das  Entstehen  des  Reises  aus  dem  Blute  einer  Frau;  also  aus  einem  bereits  Seele  enthal- 
tenden Teil  eines  Lebenden. 

-Das  erste  Menschenpaar  kannte  noch  keinen  Reis,  sondern  ass  nur,  was  es  in  der 
Wiltlniss  fand.  So  geschah  es,  dass  die  Frau  von  einer  Tochter  entbunden  wurde;  überall, 
wo  ihr  Blut  geflossen  war,  wuchs  Reis.  Der  Mann  entspelzte  die  Körner  und  ass  sie  roh. 
So  wurde  aller  Reis,  der  aus  dem  Blute  der  Frau  entstanden  war,  aufgegessen,  da  der  Mann 
nicht  wusste,  dass  der  Reis  gepflanzt  werden  musste.  Als  nun  der  Reis  aufgegessen  war, 
dachte  der  Mann:  aller  Reis  ist  aus  dem  Blute  meiner  Frau  entstanden,  so  werde  ich  sie 
töten.  Das  tat  er  und  sprenkelte  ihr  Blut  über  eine  grosse  Oberfläche.  Überall,  wo  Blut 
gefallen  war,  entstand  dann  wiederum  Reis". 

Besondere  Begabung  eines  Menschen  wird  von  den  Malaien  nicht  als  eine  Eigenschaft 
iseiner  Persönlichkeit  aufgefasst,  sondera  als  die  Folge  einer  Beseelung  durch  einen  Schutz- 
geist. Sogar  auf  Java  herrscht  noch  dieser  Glaube.  Seine  ursprüngliche  Form  beobachtet 
man  aber  wieder  am  besten  unter  Stämmen,  wie  die  Dajak. 

Von  diesen  wird  eine  besondere  Begabung  als  etwas  durch  Beseelung  Übertragbares 
betrachtet;  so  werden  Priester,  Tätowierer,  Schnitzkünstler  und  begabte  Schmiede  als  durch 
besondere  Geister  beseelt  angesehen.  Sie  erhalten  diese  Beseelung  durch  das  Aufrufen  eines 
guten  Geistes  aus  dem  Soelenland  Apu  Lagan  durch  Vermittlung  der  Priester.  Ein  solcher 
beseelender  Geist  ist  dann  dieser  Person  eigen  und  muss  von  dieser  mittelst  Opfer  und 
Lebensführung  in  guter  Stimmung  erhalten  werden.  Es  werden  nicht  nur  derartige  Geister 
der  Begabung  für  Personen  aufgerufen,  die  bereits  eine  besondere  Begabung  an  den  Tag 
legen,  sondera  es  spielen  erstens  die  Kosten  der  erforderlichen  priesterlichen  Feierlichkeiten 
dabei  eine  grosse  Rolle  und  zweitens  liefert  die  Veranlassung  dazu  oft  eine  eraste  Krank- 
heit. Der  Geist  hilft  nämlich  gegen  den  krankmachenden  bösen  Geist.  Wohlhabende  Personen 
mit  einer  bestimmten  Begabung  und  Neigung  werden  natürlich  ebenfalls  versuchen,  sich 
einen  solchen  Geist  erhalten  zu  lassen. 

Dieser  Geist  unterstützt  nämlich  auch  die  Körperkräfte,  um  eine  Krankheit  zu 
überstehen.  Für  Leute,  die  es  bezahlen  können,  wird  also  öfters  ein  Schnitz-,  Tätowier-, 
oder  Schmiede-Geist  bei  einer  emst<^ren  Krankheit  aufgerufen  und  nach  ihrer  Hei-stel- 
long  haben  sich  diese  Personen  dann  in  dieser  Richtung  zu  entwickeln.  Kränkliche  wohl- 
habende Personen  können  von  mehreren  Geistern  der  Begabung  verschiedener  Art  be- 
seelt werden.  Als  Beispiel  möge  das  Schnitzen  dienen:  Bei  den  Kajandajak  wird  die 
primitive  Schnitzerei  der  Laien  ohne  Beseelung  geübt,  während  ein  Kunstwerk  nur  mit 
Hilfe  eines  Geistes  aus  Apu  Lagan  entstehen  kann.  Bei  den  Mahakamkajan  muss  ein  junger 
Mann,  bevor  es  aus  Eisenholz  einen  hübschen  Griff  oder  eine  Scheide  zu  schnitzen  beginnt, 
erst  durch  eine  dajung  (Priesterin)  seinem  Geiste  ein  Huhn  zum  Opfer  darbieten  lassen 
und  will  er  seine  Kunst  an  Gegenstanden  aus  Hii-schhorn  erproben,  so  muss  er  vorher 
eine  mßlä  (Opfer)  mit  einem  Schwein  als  Spende  abgehalten  haben.  Nachher  muss  er  sich 
monatelang  verschiedener  Speisen  und  Beschäftigungen  enthalten. 


—  100  — 

Demselben  Glauben  an  eine  Beseelung  muss  auch  der  Brauch  zugeschrieben  werden, 
dass  ein  Schnitzkünstler  seine  Arbeiten  nur  dann  verkaufen  darf,  wenn  man  ihm  vor  dem 
Preise  erst  noch  einige  alte  Perlen  von  bestimmter  Beschaffenheit  (2  blaue  und  2  weisse) 
ausbezahlt  hat;  diese  müssen  wohl  als  eine  Entschädigung  des  Geistes  für  den  Verlust 
des  Gegenstandes  aufgefasst  werden. 

Um  nicht  zu  ausführlich  zu  werden,  möge  als  weiteres  Beisjjiel  daran  erinnert  wer- 
den, wie  allgemein  angegeben  wird,  dass  eine  Priesterin  ihre  Fähigkeit,  die  Seelen  der 
Abgestorbenen  beim  Totenfest  ins  Jenseits  hinüberzuführen,  dem  sie  beseelenden  guten 
Geiste  entlehnt. 

Wie  körperlich  und  das  Eine  als  Folge  des  Anderen  die  Bahau-Dajak  sich  alles  aus- 
zulegen versuchen,  zeigt  sich  auch  noch  in  ihrer  Auffassung  von  der  Finsternis»,  die  sie 
sich  nicht  durch  die  Abwesenheit  der  Sonne  verursacht  erklären.  Es  tritt  dies  hübsch 
aus  der  Legende  hervor,  mit  welcher  die  Kajanfamilie  des  Häuptlings  Akam  Igau,  durch 
dessen  Hilfe  meine  Reisen  vom  Kapuas  bis  zum  Mahakam  möglich  wurden,  ihre  hohe 
Abkunft  zu  beweisen  suchte  :  „In  alten  Zeiten  feierte  das  Haus  der  üma-Aging  am  oberen 
Kajan  einst  das  Saatfest  (tugal).  Nachdem  der  Häuptling  Lëdjo  Aging  mit  den  Priesterinnen 
auf  dem  heiligen  Reisfelde  (luma  lali)  alle  Zeremonien  ausgeführt  und  einen  pëlalé  (Opfer- 
gerüst mit  Opferspeisen)  errichtet  hatte,  bemerkte  er  beim  Nachhausekommen,  dass  er  sein 
Messer,  das  er  bei  der  Arbeit  gebraucht  hatte,  auf  dem  Opferplatze  hatte  liegen  lassen. 
Als  Lëdjo  allein  auf  das  Feld  zurückkehrte,  fand  er  dort  zu  seinem  Erstaunen  eine  Schar 
weiblicher  Geister  aus  dem  Apu  Lagan,  die  die  Aufforderungen  der  Priesterinnen  erhört 
hatten  und  sich  an  den  auf  dem  pëlalè  niedergelegten  Opferspeisen  gütlich  taten.  Bei 
Ledjos  Kommen  entflohen  die  Jungfrauen  bis  auf  eine,  die  mit  ihrem  langen,  prachtvollen 
Haar  am  Opfergerüst  hängen  blieb  und  so  dem  Häuptling  in  die  Hände  fiel.  Ledjo  nahm 
das  schöne  Mädchen  mit  der  hellen  Hautfarbe  nach  Hause  und  überredete  es,  als  seine 
Gattin  bei  ihm  zu  bleiben.  In  damaliger  Zeit  war  es  aber  im  Kajanlande  immer  hell, 
daher  schämte  sich  Jungfrau  Mang  vor  innigeren  Beziehungen  und  stieg  zu  ihrem  Himmel 
hinauf,  um  von  dort  den  Schutz  des  nächtlichen  Dunkels  in  ihre  neue  irdische  Heimat 
herniederzubringen.  Mang  brachte  die  Finsternis  in  einem  samit  (Palmblattsack)  mit,  den 
sie,  zu  Hause  angekommen,  im  Gemache  niederlegte,  worauf  sie  sich  nach  der  langen  Reise 
etwas  Erholung  und  Erfrischung  gönnte.  Ein  neugieriges  Kind,  das  wissen  wollte,  was  sich 
in  dem  Sacke  befand,  schnitt  ein  Loch  hinein,  da  entfloh  die  Finsternis  und  breitete  sich 
zum  Schrecken  des  Stammes  über  das  ganze  Land  aus.  Die  Kajan  wussten  in  ihrer  Angst 
nicht,  was  sie  beginnen  sollten  und  entwarfen  allerhand  Pläne,  um  dem  Unglück  zu  wehren, 
als  die  Hähne  zu  krähen  anfingen  und  es  wieder  Licht  wurde.  Seit  der  Zeit  kehren  Nacht 
und  Tag  regelmässig  zu  den  Menschen  zurück.  Nur  war  Mangs  Eheglück  vollkommen  und 
von  ihr  stammt  die  Familie  des  Akam  Igau  ab". 

Können  wir  also  aus  den  Überiieferungen  und  dem  täglichen  Leben  dieser  Dajak 
bestimmt  nachweisen,  dass  eine  Entstehung  aus  einem  Nichts  ihrer  Denkart  zuwider  ist, 
so  können  wir  gleichfalls  beweisen,  dass  der  Übergang  von  etwas  Bestehendem  zu  einem 
Nichts  auch  ausserhalb  ihres  Gedankenkreises  liegt.  Besonders  für  die  Erforschung  dieser 
so  leicht  von  Fremden  beeinflussten  Gedankengebiete  sind  wir  wieder  auf  die  noch  am 
ursprünglichsten  Dajak  und  Toradja  angewiesen.  Sehr  deutlich  sprach  sich  ein  Häuptling 
der  Bahau-Dajak  im  Baram-Distrikt  von  Serawak  darüber  aus,  als  W.  H.  Furness  die  Kopf- 
jägerei mit  ihm  besprach.  Dieser  erzählt  darüber  in  seinem  Buch  „The  Home-life  of  Borneo 


—  101  — 

Head-Hunters"  auf  Seite  61  :  „I  asked  him  if  he  would  not  regard  it  as  somewhat  of  an 
inconvinience  if  his  own  head  were  to  be  cut  off,  just  to  bring  blessings  to  an  enemy's 
house.  „Tuan",  he  replied,  „I  do  not  want  to  become  dead  any  more  than  I  want  to  move 
from  where  I  am;  if  my  head  were  cut  off,  my  second  self  would  go  to  Bulun  Matai  (the 
Fields  of  the  Dead),  where  beyond  a  doubt  I  should  be  happy;  the  Dayongs  tell  us,  and 
surely  they  know,  that  those,  who  have  been  brave  and  have  taken  heads  as  I  have,  will 

be  respected   in   that  other  world   and  will  have  plenty  of  riches "  „His  faith  seemed 

immovable,  but  I  could  not  resist  the  temptation  of  suggesting  a  doubt,  so  I  asked  him, 
what  if  the  Dajongs  were  wrong  and  there  were  no  Bulun  Matai,  and  that  when  he 
stoppe«!  breathing  he  really  died  and  knew  no  more.  He  answered  me  almost  with  a  scorn 
for  such  a  doubt  „Tuan,  Nothing  really  dies,  it  chatiges  from  one  thing  to  another.  The 
Dajongs  must  be  right " 

Diesen  Gedanken  findet  man  in  den  verschiedensten  Äusserungen  dieser  Dajakstämme 
wieder.  Natürlicherweise  haben  sie  sich  am  eingehendsten  mit  ihrem  eignen  Lose  nach 
dem  auch  für  sie  unheimlichen  Tode  befasst  und  zahlreich  sind  die  uns  mitgeteilten  Erzäh- 
lungen, die  sich  auf  den  Tod  des  Menschen  beziehen.  Obiges  Gespräch  liefert  dafür  bereits 
♦•in  Beispiel. 

Dr.  C.  Hose  bringt  auf  Seite  40  des  zweiten  Teiles  seines  „Pagan  Tribes  of  Borneo" 
folgende  Zusammenfassung  des  Glaubens  der  Eingeborenen:  „The  soul  of  the  dead  man  is 
supposed  to  wander  on  foot  through  the  jungle  until  he  reaches  the  crest  of  a  mountain 
ridge.  From  this  point  he  looks  down  upon  the  basin  of  a  great  river,  the  Long  Malan,  in 
which  five  districts  are  assigned  as  the  dwelling-places  of  souls,  the  destinction  of  each 
being  determined  by  the  mode  of  death.  The  ghosts  of  those,  who  die  through  old  age  or 
disease  go  to  Apo  Laggan,  the  largest  of  these  districts,  where  they  live  very  much  as 
we  do  in  this  life.  Those,  who  die  a  violent  death,  whether  in  battle  or  by  accident  go 
to  the  basin  of  a  tributaryriver,  Long  Julan,  where  is  Bawang  Deha  (lake  of  blood)  ;  there 
they  live  in  comfort  and  become  rich  though  they  do  not  work  ;  they  have  for  wives  the 
ghosts  of  women,  that  have  died  in  child-bed.  Those  that  have  been  dro^Tied  find  a  home 
beneath  the  rivers  and  are  supposed  to  l)ecome  possessed  of  all  property,  lost  in  the  water 
by  their  surviving  freinds;  this  place  (or  places)  bears  the  name  of  Ling  Yang.  The  souls 
of  still-bom  children  dwell  in  Tenyu  Lalu:  they  are  believed  to  be  very  brave,  owing  to 
their  having  experienced  no  pain  in  this  world.  Finally,  suicides  have  assigned  to  them  a 
special  district.  Tan  Tekkan,  where  they  live  miserably,  eating  only  roots,  berries  and 
other  jungle  produce". 

Ich  selbst  habe  die  Überzeugung  der  KapuasBahau  auf  Seite  105  u.  f.  meines  Werkes 
Quer  durch  Borneo  Teil  I  in  folgender  Weise  angegeben: 

„Bei  dem  Tode  des  Menschen  verlâsst  die  bruwa  den  Körper  für  immer  und  zieht 
nach  Apu  Késio.  So  viel  ich  habe  erfahren  können,  verweilt  die  Seele  auch  hier  nicht 
ewig,  sondern  begibt  sich  später  an  einen  anderen  Ort,  Langit  Mëngun,  und  wird  erst 
dort  zu  einem  wirklichen,  ewig  fortlebenden  Geiste.... 

Was  die  zweite  Seele  der  Bahau,  die  ton  luwa,  betrifft,  so  ist  sie  zeitlebens  mit  ihrem 
Körper  fest  verbunden.  Erst  wenn  der  Leib  gestorben  ist,  verlässt  auch  diese  Seele  die 
stoffliche  Holle.  Die  ton  luwa  bleibt  jedoch  auf  dem  Begräbnisplatz,  wo  sie  lange  herum- 
irrt, bis  sie  endlich  zu  einem  bösen  Geiste  wird". 

Hieraus  erhellt  deutlich,  dass  diese  Dajak  sich  nur  mit  dem  geistigen  Teil  des  Men- 


—  102  — 

sehen  befassen;  da  die  Leute  den  stofflichen  Teil  verschwinden  sehen  und  sich  unmöglich 
eine  Vorstellung  von  den  dabei  vorsichgehenden  Umsetzungsvorgängen  machen  können, 
v?undert  uns  dieses  nicht.  Auch  hier  ist  es  desto  bezeichnender,  als  gerade  dort,  wo  der 
Glaube  sich  am  freiesten  ausbilden  kann,  die  Kontinuität  der  Zustände  vor-  und  nach  dem 
Tode  sich  dokumentierte. 

Von  anderen  Dajakstämmen,  den  Toradja  (Adriani  und  Kruyt  II)  und  sehr  vielen  anderen 
Völkern  des  Archipels,  sind  ähnliche  Auffassungen  bekannt,  nur  sind  die  letzteren  sehr  oft 
durch  hinduistische  und  muhammedanische  Einflüsse  in  bezug  auf  Elemente  des  Inhalts 
und  die  Namen  verändert  worden. 

Ohne  ausführlicher  auf  die  vielseitig  ausgebildeten  Legenden  und  Anschauungen  dieses 
Gebietes  einzugehen,  ist  es  ferner  angezeigt,  zu  erforschen,  in  wie  weit  sich  verwandte 
Vorstellungen  auf  anderen  Gebieten  nachweisen  lassen.  Der  unter  den  Dajak  so  wichtige 
Ackerbau  bietet  uns  in  dieser  Hinsicht  wieder  einen  festen  Halt;  besonders  der  Reisbau, 
dessen  Zeremonien  die  ihm  zugrunde  liegenden  Glaubensformen  am  besten  wiedergeben. 

Das  Zeremoniell  in  den  Reisscheunen  läuft  im  allgemeinen  darauf  hinaus,  die  bruwa 
parei  (Reisseelen)  des  verbrauchten  Reises  bis  zur  nächsten  Saatzeit  festzuhalten,  um  sich 
eine  folgende  günstige  Ernte  zu  sichern.  Man  könnte  aber  denken,  dass  diese  Acker- 
bauer, wenn  es  sich  um  eine  gründliche,  oft  gewaltsame  Vernichtung  des  Reises  han- 
delte, diese  auch  als  Vernichtung  auffassen  würden.  Das  ist  aber  keineswegs  der  Fall 
und  ein  Teil  der  Zeremonien  während  der  Saatzeit,  z.  B.  die  Maskentänze,  stutzen  sich 
gerade  auf  den  Wunsch,  das  geistige  Prinzip  solchen  Reises  an  sich  zu  ziehen.  Es  wer- 
den bei  jedem  Stamm  Reiskörner  durch  Waldestiere  aufgefressen,  oder  es  fallen  welche 
auf  die  Wege  oder  erreichen  auf  andere  Weise  die  Reisscheune  nicht.  Um  die  bruwa 
parei  dieser  Reismengen  habhaft  zu  werden  und  an  die  ihrigen  zuzufügen,  veranstalten 
die  Bahau  die  Maskentänze  beim  Saatfest.  Auf  Seite  324  Q.  d.  B.  I  heisst  es  nämlich: 
„Ihrer  Überzeugung  gemäss,  dass  die  Geister  mächtiger  sind  als  die  Menschen,  nehmen 
die  Kajan  an,  dass,  wenn  sie  die  Gestalt  der  Geister  nachahmen  und  deren  Rollen  erfüllen, 
sie  auch  Übermenschliches  zu  leisten  vermögen.  Gleichwie  ihre  Geister  also  die  Seelen 
der  Menschen  zurückzuholen  im  Stande  sind,  glauben  diese,  auch  die  Seelen  des  Reises 
an  sich  heranlocken  zu  können.  Zu  diesem  Zwecke  handhabt  die  Hauptperson  beim 
Maskenspiel  einen  langen,  hölzernen  Haken  (krawit  bruwa),  dessen  Schaft  teilweise  zu 
langen,  feinen  Spänen  geschnitten  und  mit  diesen  verziert  ist.  Die  Darsteller  treten  in 
einem  bestimmten  Augenblick  hinter  einander  in  eine  Reihe  und  reichen  einander  hinter 
der  Hauptperson,  die  voranschreitend  den  langen  Haken  in  die  Höhe  hebt,  die  Hand. 
Hierauf  macht  der  Vordermann  und  mit  diesem  zugleich  auch  die  ganze  Reihe  eine  Bewe- 
gung, als  wolle  er  mit  dem  langen  Haken  etwas  an  sich  heranholen,  nämlich  die  Seelen 
des  Reises,  die  sich  bisweilen  zum  Kapuas  und  Barito  verirren". 

„Wie  wichtig  die  Bahau  es  finden,  dass  sich  die  Reisseelen  stets  in  ihrer  Nahe  auf- 
halten, ersieht  man  daraus,  dass  Bëlarè  (ein  Pnihinghäuptling)  die  Missernten  der  letzten 
Jahre  dem  Umstände  zuschrieb,  dass  beim  Verbrennen  seines  Hauses  durch  die  Batang- 
Lupar  auch  die  Reisseelen  vertrieben  worden  waren",  lautet  der  folgende  Satz.  Dieser  sehr 
intelligente  Mann  war  also  der  Ansicht,  dass  die  Seele  des  Reises  seine  Verbrennung  über- 
lebte. Wenn  die  Philosophie  dieser  Dajak  sich  über  diesen  Punkt  äussert,  erkennt  sie  also 
einen  Übergang  eines  Bestehenden  in  ein  Nichts  nicht  an. 

Aus  diesen   angeführten   Tatsachen  ergiebt  sich,  dass  unter  den  ursprünglichen  Über- 


—  103  — 

Zeugungen  der  primitiven  Malaien  auch  die  Auffassungen  nach  dem  Muster  des  Hamilton'- 
schen  Prinzips  gehören;  in  so  weit  stehen  sie  in  Einklang  mit  den  obenerwähnten  Philo- 
sophien der  ältesten  uns  bekannten  europäischen  Denker.  Obschon  wir  also  wohl  berechtigt 
wären,  auf  eine  günstige  Veranlagung  der  Malaien  zum  kausalen  Denken  zu  schliessen, 
ist  es  doch  wichtig  nachzuspüren,  ob  nicht  nur  die  Basis  des  kausalen  Denkens,  sondern 
auch  die  auf  Ö.  89  genannten  Prinzipien  dieses  Denkens  sich,  wenn  auch  nicht  in  ihren 
Naturwissenschaften,  so  doch  in  ihren  Handelsweisen  und  Gewohnheiten,  nachweisen  lassen. 

Das  erste  Kausalprinzip:  Jede  neu  eintretende  Erscheinung  hat  den  in  ihrem  Ein- 
treten vorhergehenden  qualitativen  und  relativen  Bestimmungen  ihres  Subjektes  ihre  Ursa- 
che, findet  sich  in  der  Cberzeugungswelt  der  Malaien  in  ausdruksvoller  Weise  vergegen- 
wärtigt. Dieser  Denkweise  verdanken  sie  ihren  animistischen  Glauben,  einerseits  eine  grosse 
geistige  Stütze  in  einem  oft  unter  sehr  beschwerlichen  Umständen  geführten  Leben,  ande- 
rerseits ein  selbst  auferlegtes,  schweres  Joch,  das  sich  einer  freien  Entwicklung  ihres 
Daseins  am  meisten  widersetzt. 

Gerade  weil  auch  diesen  Malaien  die  ursprüngliche  Überzeugung  innewohnt,  dass  ein 
Ereignis  nur  dann  eintreten  könne,  wenn  vorhergehende  Umstände  dieses  veranlassen,  haben 
sie  versucht,  sich  die  Ursache  dieser  für  sie  oft  so  verhängnisvollen  Veränderungen  des 
Bratehenden  zu  erklären.  Diesem  Bestreben  hat  wohl  der  Wunsch  zu  Grunde  gelegen, 
sich  vor  den  nachteiligen  Folgen  mancher  Ereignisse  zu  schützen  und  weniger  oft  deren 
Opfer  zu  werden. 

Sie  verfügten  hierzu  nicht  wie  wir  über  eine  tiefergehende  Einsicht  in  das  natülicher 
Verhältnis  der  Dingo;  zur  Ausbildung  ihrer  Naturauffassung  standen  ihnen  tatsächlich  nur 
ihre  vermeintliche  Einsicht  in  ihre  eigene  Persönlichkeit  mit  ihren  Empfindungen  von 
Lust  und  Unlust,  meist  als  Folgen  äusserer  Veranlassungen,  zur  Verfügung.  Bemerkens- 
werterweise haben  sie  sich  dennoch  ein  einheitliches  System  der  Naturbetrachtung  heraus- 
gebildet, deren  Erscheinungen  im  gesellschaftlichen  Leben  wissenschaftlich  unter  dem  Namen 
Ânimismus  zusammengefasst  werden. 

Gleich  wie  sie  sich  selbst  aus  Stoff  und  Seele  (oft  mehreren)  zusammengesetzt  denken, 
besteht  auch  alles  um  sie  her  aus  Stoff  und  seelenartigen  Wesen,  die  wohl  im  allge- 
meinen einander  ähnlich,  nach  ihren  Eigenschaften  verschiedene  Gruppennamen  tragen.  Es 
ist  hier  nicht  der  Ort,  eine  eingehendere  Beschreibung  der  animistischen  Erscheinungen 
unter  den  Bahaudajak  zu  geben,  als  für  unseren  Zweck  gerade  nötig  ist  und  müssen  sie 
als  allgemein  bekannt  vorausgesetzt  werden. 

Es  soll  hier  nur  darauf  hingewiesen  werden,  dass  jedes  neue  oder  behauptete  Ereignis 
und  jede  Änderung  des  Bestehenden  nach  ihrer  Ansicht,  durch  einen  Geist  verursacht 
wird.  Diese  Überzeugung  beherrscht  sie  dermassen,  dass  ihr  sich  darauf  stützendes  Streben 
nach  Versöhnung  und  Abwehr  dieser  Geister  ihre  ganze  Existenz  beeinflusst. 

Eine  dieser  hieraus  hervorgegangenen  Massregeln,  das  Opfer,  werden  wir  bald  etwas 
ausführlicher  zu  behandeln  haben;  zwei  andere  hieher  gehörige  Gruppen,  die  der  pemäli- 
oder  pantang-Bestimmungen  und  des  Vorzeichenglaubens,  sind  von  anderen  Stellen  bekannt 
genug.  Die  drückenden  Fesseln,  mit  welchen  letztere  Gruppen  die  freie  Handlung  dieser 
Menschen  binden,  sind  ein  beredtes  Zeugnis  für  die  Starke  ihrer  Überzeugung,  dass  kein 
Ereignis  vorkomme,  das  nicht  die  Folge  einer  bestimmten  Ursache  sei. 

Das  zweite  Kausalprinzip  sagt  aus,  dass  wenn  die  Ursache  einer  Erscheinung  gegeben 
sei,  diese  Erscheinung  notwendig  eintreten  müsse. 


—  104  — 

Sehen  wir  uns  in  der  dajakischen  Zusammenlebung  der  zentralen  Stämme  um,  so  spüren 
wir  auf  jedem  Gebiet  das  Streben,  oft  unter  grossen  Beschwerden,  um  durch  besondere 
Massregeln  ihrerseits  Verschiedenes  entstehen  und  sich  ereignen  zu  lassen,  was  ihnen  von 
Nutzen  sein  könnte.  Diese  Handelsweise  beruht  also  auf  der  festen  Überzeugung,  dass  bei 
Hinzufügung  eines  Umstands  zu  etwas  Bestehendem,  ein  von  ihnen  erstrebtes  Ziel  erreicht 
werden  könne,  das  mit  diesem  Kausalprinzip  stimmt. 

Beredte  Beispiele  liefern  uns  beim  Ackerbau  die  mit  grossen  Schwierigkeiten  ange- 
brachten Hecken  um  die  Reisfelder,  die  gegen  Wildschweine  und  andere  Waldestiere 
schützen;  das  Aufstellen  von  Speeren  gegenüber .  niedrigen  Stellen  dieser  Hecken,  um 
hinüberspringende  Hirsche  zu  spiessen.  Hieran  schliesst  sich  das  Anlocken  der  Hirsche  durcli 
regelmässiges  Ausstreuen  von  Salz  an  bestimmten  Stellen  an,  das  Spannen  von  Netzen 
und  Schlingen  bei  Treibjagden  auf  Hirsche,  das  Anbringen  von  scharfen  Bambusspitzen  aui 
den  Tanzplätzen  der  Argusfasane,  damit  diese  scheuen  Tiere  sich  verwunden  und  sterben. 
Auch  beim  Fischen  mit  Fischgift  begegnet  uns  dasselbe,  indem  die  tuba  nur  nach 
längerer  Trockenheit  bei  niedrigem  Wasserstand  verwendet  wird;  weiter  beim  Anbringen 
von  beweglichen  Gittern  in  der  Mündung  der  Nebenflüsse  reissender  Gebirgströrae,  die 
geschlossen  werden,  wenn  die  Fische  bei  Sturzfluten  in  diesen  Seitenbächen  Zuflucht 
gesucht  haben. 

Beim  Handel  sind  es  die  oft  unter  Strapazen  und  grossem  Zeitverlust  unternom- 
menen Reisen  zu  den  Küstenmärkten,  um  sonst  unerreichbare  oder  im  Inneren  sehr  teure 
Waren  zu  erstehen,  die  von  diesem  ihrem  Gedanken  Zeugnis  ablegen.  Während  der  Boot- 
fahrt auf  Stromschnellen  bringen  sie  Bäume  als  Ausleger  an,  um  das  Gleichgewicht  der 
Boote  zu  verstärken;  wie  in  der  Skizze  auf  Seite  beschrieben  wurde,  verstehen  sie!^die 
geringere  Kraft  des  Stromes  an  der  Innenseite  der  Flussbiegungen  sehr  gut  zu  schätzen 
und  suchen  in  logischer  Weise,  selbst  unter  Gefahren,  diese  Ufer  immer  wieder  zu  ver- 
wenden. Die  bewundernswerten  Leistungen  ihrer  Gewerbe  sind  ebensoviele  Beweise,  dass 
sie  durch  Hinzufügung  von  etwas  Neuem  zu  etwas  Bestehendem  besondere  Ziele  sehr  gut 
zu  erreichen  wissen. 

Das  Prinzip  der  zeitlichen  Berührung  zwischen  Ursache  und  Wirkung  kommt  in  der 
Bahauzusammenlebung  gerade  dort  deutlich  zum  Ausdruck,  wo  diese  Menschen  offenbar 
stark  dem  Gefühl  von  Ursache  und  Wirkung  unterworfen  sind,  nämlich  bei  den  Vorzeichen. 
Für  uns  ist  dieses  Gebiet  besonders  interessant,  da  man  sich  hier  ganz  auf  geistigem 
Gebiet  befindet  und  nichts  Visuelles  oder  Tastbares  störend  wirkt.  Um  gut  zu  begreifen, 
wie  innig  der  Verband  eines  Vorzeichens  mit  dem  betreflfenden  Fall  aufgefasst  wird,  ver- 
gegenwärtige man  sich,  dass  wenn  sich  einmal  ein  ungünstiges  gezeigt  hat,  man  unmit- 
telbar ein  günstiges  zu  finden  versuchen  darf;  bei  einer  Krankheit  oder  ähnlichem  Fall 
ist  es  gestattet,  drei  oder  vier  Küchlein,  Hühner  oder  Schweine  nach  einander  zu  opfern, 
bis  man  ein  günstiges  Vorzeichen  erhält.  Solch  ein  nachträglich  erhaltenes  Vorzeichen  hat 
denselben  Wert  wie  ein  erstes  günstiges. 

Betrachtet  wir,  was  vor  sich  geht,  wenn  z.  B.  für  eine  wichtige  Reise  einer  zahlrei- 
chen Gesellschaft  die  Vorzeichen  gesucht  werden  müssen.  Mit  dieser  Arbeit  werden  dann  ein 
Priester  und  seine  Helfershelfer  beauftragt,  die  mitsammt  ihrer  Habe  bis  zu  einem  gewissen 
Abstand  von  der  Niederlassung  reisen  und  sich  im  Walde  ein  Lager  aufschlagen,  um  dort 
an  Vögeln,  Hirschen,  Schlangen,  Würmern  u.  s.  w.  die  nötigen  günstigen  Vorzeichen  zu 
sammeln  und  zu  prüfen.  Das  dauert  meistens  einige  Tage  und  wird  nur  aufgegeben,  wenn 


—  105  — 

sâmmtliche  Vorzeichen  ungünstig  ausfallen.  Sind  aber  einmal  alle  günstigen  Vorzeichen 
für  die  Reise  gesammelt  worden,  so  darf  diese  nicht  unterbrochen  werden,  z.  B.  dadurch, 
dass  einer  der  Genossen  für  eine  Nacht  zur  Niederlassung  zurückkehrt.  Im  Gegenteil,  die 
übrigen  reisefertigen  Teilnehmer  im  Dorfe  werden  benachrichtigt,  sie  brechen  auf  einmal 
auf,  sammeln  sich  im  Lager  des  Priesters  und  begeben  sich  von  hieraus  baldmöglichst  auf 
die  Reise.  Eine  Vernachlässigung  dieser  R«gel  macht  die  günstigen  Vorzeichen  wertlos 
und  es  müssen  neue  gesucht  werden. 

Auch  die  räumliche  Berührung  von  Ursache  und  Wirkung  tritt  hierbei  deutlich  zu  Tage. 

Es  darf  noch  erwähnt  werden,  dass  Vorzeichen  immer  nur  für  einen  vorliegenden  Fall 
gesucht  werden,  nie  eine  Zeitlang  voraus  oder  nachher.  Dasselbe  gilt  für  die  Ruhepausen 
nach  ungünstigen  Vorzeichen  wahrend  der  Reise.  Auch  hierbei  heisst  es  räumlich  und  zeit- 
lich unmittelbar  gehorchen. 

Will  man  sich  überzeugen,  wie  sich  die  Denkweise  der  Malaien  in  bezug  auf  das 
Prinzip  der  Äquivalenz  von  Ursache  und  Wirkung  gestaltet,  so  ist  aus  oben  angeführten 
Gründen  auch  hierfür  die  Zusammenlebung  der  am  wenigsten  von  Fremden  beeinflussten 
Malaien,  z.  B.  der  Dajakstämme  von  Mittel-Bomeo,  am  geeignetsten.  Die  hier  beobachteten 
Erscheinungen  findet  man  mehr  oder  weniger  mit  fremden  Elementen  gemischt  unter 
anderen  malaiischen  Völkern  zurück.  Diejenigen  Ei-scheinungen  sind  wohl  am  beweisend- 
sten,  die  am  allgemeinsten  vorkommen,  am  genauesten  umschrieben  sind  und  für  diese 
Stämme  die  höchsten  geistigen  und  materiellen  Interessen  vergegenwärtigen.  Die  Beson- 
derheiten der  den  Geistern  und  Göttern  dargebrachten  Opfer  besitzen  diese  Eigenschaften 
in  hohem  Masse;  für  wichtig  müssen  wir  es  ausserdem  erachten,  dass  wenn  auch  das  Opfer 
an  sich  etwas  Greifbares,  Sichtbares  und  Stoffliches  ist,  der  Erfolg  doch  nur  in  der  Vorstel- 
lung dieser  primitiven  Menschen  besteht  und  sich  meistens  nicht  auf  etwas  Wirkliches  bezieht. 

Da  wohl  keine  gesellschaftlichen  Erscheinungen  unter  diesen  Stämmen  wichtiger  und 
vielseitiger  sind  als  die  Opfer  und  diese  sich  mit  allen  Lebenslagen  ihrer  sämmtlichen  Mit- 
glieder verbinden,  so  begegnen  wir  ihnen  in  den  verschiedensten  Arten  und  Abstufungen.  Es 
wird  sich  auch  die  Möglichkeit  ergeben,  die  untersuchte  Eigenart  des  Denkens  nicht  nur 
an  den  geopferten  Gegenstanden,  sondern  auch  an  den  Darbringungsarten  der  Opfer  und  den 
mit  dem  Opfer  verbundenen  Gebräuchen  nachzuweisen. 

In  bezug  auf  die  Quantität  des  Geopferten,  haben  wir  oben  schon  gesehen,  dass  ein 
SchnitzkOnstler  zur  Erreichung  einer  hohem  Stufe  seiner  Kunst  seinem  Geiste  ein  immer 
grosseres  Opfer  darzubringen  hat.  Dieses  gilt  im  Allgemeinen.  Je  wichtiger  die  Veranlas- 
sung zum  Opfer,  also  je  grösser  das  zu  erreichende  Ziel,  desto  grösser  der  Wert  des 
Geopferten  ;  nur  opfern  reiche  Leute  öfters  mehr  als  arme  bei  derselben  Gelegenheit,  jedoch 
nicht  immer.  Dies  Alles  gilt  auch  für  die  Gegenstände,  die  neben  den  Esswaren  für  die 
Götter  zur  Schau  gestellt  werden.  Als  Beispiele  m(^e  Folgendes  dienen: 

Bei  einer  Beschwörung  während  einer  einfachen  Krankheit,  eines  bösen  Traumes  oder 
eines  Unglücksfalls  werden  Eier  oder  ein  Küchlein,  bei  reichen  Familien  auch  wohl  ein 
Huhn  oder  ein  Ferkel,  geopfert.  Genest  der  Kranke  nicht,  so  wird  die  Beschwörung  durch 
eine  angesehenere  Priesterin  und  mit  dem  Opfer  eines  Huhns  oder  Ferkels  wiederholt. 
Bei  einer  längeren  Krankheit  kommt  es  vor,  dass  ein  grosses  Schwein  geopfert  wird. 

Wenn  es  Beschwörungen  gilt,  die  Sich  auf  die  Wohlfahrt  des  ganzen  Stammes  bezie- 
hen, so  ist  ein  Opfer  eines  wertvollen  Schweines  mit  vielen  hübschen  Gegenständen  ange- 
zeigt; die  Zahl  derselben  steigt  mit  der  Wichtigkeit  des  erhofften  Erfolges,  so  dass  man 
I.  .V.  f.  E.  Bd.  XXIII.  14 


—  106  — 

z.  B.  bei  den  Ackerbaubeschwörungen  für  den  ganzen  Stamm  oder  beim  Anfang  des  Baues 
der  Häuptlingswohnung  früher  einen  oder  mehrere  Menschen  opferte. 

Als  Kwing  Irang,  ein  Kajanhäuptling  am  Oberen  Mahakam,  eines  Tages  ein  Schwein 
bei  der  Krankheit  seines  Sohnes  opferte,  waren  die  aus  der  Leber  dieses  Tieres  ent- 
nommenen Vorzeichen  nicht  sehr  günstig.  Der  Priester  deutete  diesen  Umstand  derart, 
dass  das  Schwein  dem  Ernst  des  Zustandes  gemäss  zu  klein  gewesen  sei,  und  die  Götter 
ein  fetteres  Tier  wünschten.  Mit  einem  recht  stattlichen  Schwein  wurde  dann  am  nächsten 
Tag  die  Krankheitsbeschwörung  mit  besserem  Erfolg  wiederholt. 

Die  Art  der  Darbringung  des  Opfers  steht  in  verschiedener  Weise  im  Verhältnis  zu 
dem  erstrebten  Erfolg.  Erstens  die  Zahl  der  Priester  und  der  beanspruchten  Tage.  Für  Privat- 
personen ruft  man  oft  nur  eine  Priesterin  für  einen  Tag  herbei  ;  für  sehr  angesehene  Per- 
sonen verwendet  man  bei  ähnlichen  Fällen  mehrere,  während  zwei  oder  mehrerer  Tage; 
fär  Stammesangelegenheiten  treten  die  angesehensten  Priesterinnen  und  Priester  gleich- 
zeitig während  vieler  Tage  auf,  bis  zu  den  Ackerbaufesten,  bei  denen  die  meisten  mit- 
wirken und  dazu  mehrmals  acht  Tage  gebrauchen. 

Unter  den  mit  den  Opfern  verbundenen  Gewohnheiten  verdienen  an  erster  Stelle  die 
sich  anschliessenden  Ruhe-  oder  Verbotzeiten  unsere  Aufmerksamkeit.  Nach  allen  Ereig- 
nissen, in  welche  Geister  einbezogen  sind  und  die  Opfer  erfordern,  wird  eine  Ruhezeit 
innegehalten,  während  welcher  die  betreffenden  Personen  sich  von  Vielem  zu  enthalten 
haben.  Auch  hierbei  ist  ein  der  Wichtigkeit  der  Situation  entsprechendes  Mass  regelmässig 
zu  unterscheiden.  Begegnet  man  z.  B.  auf  einem  kleinen  Ausflug  einem  schlechten  Vorzei- 
chen, so  bringt  man  ein  kleines  Opfer  und  bleibt  ruhen,  bis  man  eine  Zigarette  geraucht, 
den  geopferten  Reis  gegessen  hat  und  ähnliches.  Ist  man  etwa  auf  einer  längeren  Reise, 
so  zieht  man  in  dem  Fall  denselben  Tag  nicht  weiter  ;  auf  einer  Expedition  in  Feindesland 
oder  auf  einem  Kriegszug  wird  man  vielleicht  zurückkehren,  besonders  wenn  sich  das 
ungünstige  Vorzeichen  wiederholt. 

Zu  diesen  Nebenerscheinungen  gehört  als  Äusserstes  das  nach  dem  Tode  angesehener 
Häuptlinge  auftretende  und  für  lange  Zeit  gültige  Verbot  des  Betretens  ganzer  Fluss-  und 
Waldgebiete,  was  für  eine  dajakische  Niederlassung  oft  einen  folgenschweren  Beschluss 
bedeutet,  da  ihr  dadurch  notwendige  Produkte  entzogen  oder  manche  Reisen  unmöglich 
gemacht  werden. 

Neben  allem  diesen  muss  man  in  Betracht  ziehen,  dass  die  Gewohnheiten  ganz  genau  gere- 
gelt sind  und  diese  Leute  sich  also  von  dem  zu  folgenden  Wege  sehr  gewissenhaft  Rechen- 
schaft zu  geben  versucht  haben.  Gerade  weil  man  es  hierbei  nur  mit  Äusserungen  ihres 
Denkens  zu  tun  hat,  die  in  der  Wirklichkeit  keinen  Rückhalt  finden,  sind  sie  für  die 
Denkart  dieser  Dajakstämme  desto  beweisender. 

Hiermit  ist  also  bewiesen,  dass  nicht  nur  der  Grundgedanke  des  Hamilton'schen  Prin- 
zips sich  auch  bei  den  Dajak-  und  Toradjastämmen  nachweisen  lässt,  sondern  auch  die 
fünf  Prinzipien  des  kausalen  Denkens.  Damit  kann  man  die  Frage,  ob  die  Verstandes- 
anlage dieser  ursprünglichen  Malaien  sie  zur  Entwicklung  der  Naturwissenschaften  be- 
fähige, in  bejahendem  Sinne  als  erledigt  betrachten.  Wenn  wir  dies  für  diese  niedrig 
entwickelten,  unter  schlechten  Existenzbedingungen  lebenden,  bis  vor  kurzem  und  zum 
Teil  noch  jetzt  Köpfe  jagen  den  und  Menschen  opfernden  Stämme  haben  nachweisen 
können,   so  besitzen  wir  wohl   keinen  Grund,   dieses  Ergebnis  nicht  auch  auf  die  oft  so 


—  107   — 

viel  höher  zivilisierten  Malaien  der  anderen  Gegenden  zu  verallgemeinern.  Es  wurden 
auch  die  Dajak  und  Toradja  nur  deshalb  in  Betracht  gezogen,  weil  sie  allein  fremden  Ein- 
flüssen genügend  entrückt  geblieben  sind.  Man  findet  die  erwähnten  Daten  auch  unter 
den  anderen  Malaien  zurück,  nur  mit  zu  viel  fremden  Elementen  gemischt. 

Was  nun  das  tatsächliche  kausale  Denken  der  Dajak  betrifft,  so  zeigt  es  sich  aus 
den  oben  angeführten  Beispielen  ihres  täglichen  Lebens,  dass  die  primitiven  Malaien  nach 
kausalen  Prinzipien  handeln  und  also  kausal  denken.  Dennoch  begegnet  man  bei  ihnen 
keiner  wirklichen  Naturwissenschaft,  obschon  man  auch  nicht  behaupten  darf,  dass  ihnen 
der  innere  Drang  fehle,  alles,  was  um  sie  her  geschieht,  zu  begreifen.  Im  Gegenteil,  diesem 
gehorchend,  haben  auch  sie  sich  eine  Naturphilosophie  gebildet,  die  so  eigentümliche  ani- 
mistische  Weltbetrachtung,  die  wir  auch  von  anderen  Völkern  auf  diesem  Standpunkt  der 
Entwicklung  kennen,  die  aber  bei  den  Dajakstämmen  deren  ganze  Existenz  beherrscht. 

In  dieses  System  haben  sie  jedoch  die  ganze  Natur  aufgenommen  und  noch  keine 
Grenze  gezogen  zwischen  dem  Gebiet,  das  wir  der  Naturwissenschaft  zuweisen  und  dem, 
das  bei   höher  zivilisierten  Völkern  zur  Religion  gehört. 

Sie  besitzen  wohl  die  Einsicht  in  die  Notwendigkeit  der  Ursachen  der  täglich  neben 
einander  geschehenden  Ereignisse,  wie  wir  oben  sahen;  aber  sie  sind  noch  nicht  so  weit 
fortgeschritten,  dass  die  Erforschung  der  inneren  Ursachen  zur  Gevvinnung  mehr  allge- 
meiner Gesichtspunkte  über  das  Geschehende  sie  anzöge.  Dieser  Mangel  an  zusammenfas- 
senden Urteilen  ist  aber  auch  auf  anderen  Gtebieten  ein  Merkmal  wenig  entwickelter  Völker. 
Wir  begegnen  also  hier  denselben  Umständen  wie  bei  der  Arithmetik  und  der  Geometrie: 
diese  niedrig  entwickelten  Menschen  unterscheiden  sich  nicht  durch 
das  Fehlen  der  Verstandeseigenschaften,  mittelst  welcher  sich  die  Na- 
turwissenschaften unter  den  höher  zivilisierten  Rassen  ausgebildet 
haben,  sie  sind  im  Gegenteil  auch  bei  ihnen  nachzuweisen,  haben  sich 
aber  in  dieser  Umgebung  nicht  entwickeln  können. 


Mechanik. 

Betrachton  wir  jetzt  die  Mechanik  vom  gleichen  Standpunkt,  wie  bei  den  vorhergehen- 
den Wissenschaften,  um  zu  untersuchen,  in  wie  weit  die  ihnen  zu  Grunde  liegenden 
Eigentümlichkeiten  des  Denkens  in  der  Verstandesanlage  der  Malaien  festzustellen  sind, 
80  lehrt  uns  die  Erkenntnistheorie  folgendes:  Dieser  Wissenschaft  liegen  keine  neuen 
Denkformen  zu  Grunde,  sondern  es  sind  Erfahrungsdaten  in  Verbindung  mit  durch  das 
Hamilton'sche  Postulat  Iwgründeten  disjunktiven  Urteilen,  die  die  mechanischen  Theo- 
rien von  einst  und  jetzt  erzeugt  haben.  Da  die  bezüglichen  Erfahrungsdaten  in  der  jetzigen 
Form  erst  spät  festgestellt  werden  konnten,  ist  auch  die  Mechanik  erst  spät  entstanden, 
wie  die  Geschichte  lehrt.  Als  Beispiel  kann  folgende  Skizze  des  Trägheitsprinzips  dienen. 

Das  Träghettsprimip  war  bis  vor  wenigen  Jahrhunderten  nicht  nur  unbekannt,  sondern 
es  wurde  einer  gerade  entgegengesetzten  Behauptung  axiomatische  Gowissheit  zugeschrie- 
ben. Den  alten  Griechen  galt  es  als  selbstverständlich,  dass  mit  dem  Aufhören  der  Ursache 
auch  die  Wirkung  aufhören  muss;  und  daraus  wurde  abgeleitet,  dass  ein  geworfener  Körper 
eigentlich   in  dem  nämlichen  Momente,  in  welchem  er  die  werfende  Hand  verlässt,  zur 


—  108  — 

Kühe  kommen  müsste.  Den  Erscheinungen  gegenüber,  welche  uns  die  Erfahrung  in  Betreft 
geworfener  Körper  darbietet,  standen  demnach  die  Griechen  auf  einem  dem  unsrigen  genau 
entgegengesetzten  Standpunkt.  Wenn  ein  solcher  Körper  zuerst  eine  Strecke  weiterfliegt, 
dann  zur  Erde  fällt  und  liegen  bleibt,  so  scheint  uns  die  Abnahme  und  das  schliessliche 
Aufhören,  den  Griechen  dagegen  schien  die  anfängliche  Fortsetzung  der  Bewegung  einer 
Erklärung  zu  bedürfen.  Jenes  Problem  lösen  wir,  indem  wir  die  "Widerstände  umgebender 
Körper  in  Rechnung  bringen;  dieses  versuchten  die  Griechen  mittelst  der  Annahme  zu 
lösen,  dass  der  geworfene  Körper  den  umgebenden  Luftteilen,  diese  aber  wieder  dem  Körper 
selbst  ihre  Bewegung  mitteilten.  Und  während  wir  glauben,  dass  im  vollständig  leeren 
Raum  die  einmal  angefangene  Bewegung  niemals  aufhören  könne,  behauptet  Aristoteles 
ausdrücklich,  in  der  Leere  könne  überhaupt  keine  Bewegung  stattfinden. 

Diese  altgriechische  Auffassung  hat  dann  bis  zu  den  Zeiten  Galilei's  das  wissenschaft- 
Hche  Denken  beherrscht;  selbst  bei  Kepler  finden  wir  dieselbe  noch  vollkommen  klar  und 
deutlich  ausgesprochen. 

Diese  alte  zähe  Auffassung  ist  durch  Erfahrungsgründe  über  den  Haufen  geworfen  und 
durch  eine  entgegengesetzte  ersetzt  worden.  Man  ist  dabei  zur  Überzeugung  gekommen, 
dass  die  Bewegungserscheinungen,  so  wie  sie  erfährungsmässig  vorliegen,  sich  nach  der 
neuen  Auffassung  weit  einfacher  erklären  lassen  als  nach  der  alten.  Eine  solche  Überzeu- 
gung scheint  aber  nur  als  eine  empirisch  bestätigte  physikalische  Hypothese  aufgefasst 
werden  zu  können. 

Die  Denker  und  Forscher  der  vergangenen  Jahrhunderte  nahmen  aber  dem  neuent- 
deckten Trägheitsprinzip  gegenüber  ein  anderes  Verhalten  ein.  Schon  Galilei  spricht  mit 
vollster  Gewissheit  die  Geltung  dieses  Prinzips  für  alle  Körper  ohne  Ausnalime  aus,  obgleich 
die  empirische  Bestätigung  desselben  doch  nur  für  ein  sehr  beschränktes  Gebiet  gegeben 
war.  Wichtiger  ist  es,  dass  von  Galilei  an  bis  auf  unsere  Zeit,  viele  und  danmter  die 
besten  Mechaniker  sich  veranlasst  gefunden  haben,  für  das  Trägheitsprinzip  eine  apriorische 
Gewissheit  ausdrücklich  in  Anspruch  zu  nehmen.  Dass  aber  auch  in  unserer  empiristisch 
denkenden  Zeit,  welche  apriori  alles  Apriorische  zu  verwerfen  pflegt,  wenigstens  ein  dunk- 
les Gefühl  geblieben  ist,  dass  die  Gewissheit  des  Trägheitsprinzips  etwas  Überempirisches 
an  sich  habe,  geht  aus  ihrem  tatsächlichem  Verhalten  vollkommen  deutlich  hervor. 

Um  Dies  einzusehen,  hat  man  nur  das  Verhalten  der  Physiker  dem  Trägheits- 
prinzip und  irgend  einem  empirisch  begründeten  Naturgesetz,  etwa  dem  Gravitations- 
gesetz gegenüber,  in  Betracht  zu  ziehen.  Die  Gewissheit  des  Gravitationsgesetzes  ist, 
extensiv  und  intensiv,  keine  grössere  als  das  zu  Grunde  liegende  Material  in  Verbindung 
mit  den  Kausalprinzipien  gewährieisten  kann.  Dementsprechend  hat  denn  auch  kein  ver- 
nünftiger Mensch  je  geglaubt,  die  Notwendigkeit  des  Gravitationsgesetzes  apriori  einzu- 
sehen. Ganz  anders  stellt  sich  die  Wissenschaft  dem  Trägheitsprinzip  gegenüber.  Kein 
Physiker  wird  es  wagen,  zur  Erklärung  irgendwelcher  Erscheinungen  die  Hypothese  aufzu- 
stellen, dass  das  Trägheitsgesetz  für  dieselben  nicht  oder  nicht  volkommen  genau  gelten  sollte. 

Das  Trägheitsprinzip  ist  eben  nicht  ein  empirisches  Gesetz  und  auch  nicht  ein  aprio- 
risches Axiom,  sondern  eine  Schlussfolgerung  aus  empirischen  und  apriorischen  Daten.  Die 
späte  Anerkennung  desselben  ist  aus  der  späten  Entdeckung  jener  empirischen  Daten  zu 
erklären;  dagegen  ist  die  aussergewöhnliche  Gewissheit  sowie  die  Beziehung  desselben  auf 
absolute  Bewegung  der  Mitwirkung  apriorischer  Daten  zu  danken. 

Folgendes  ergibt  uns  die  Erklärung  dieser  Tatsachen:  Nach  der  Erfahrung  scheint  die 


—  109  — 

Zeit,  wahrend  welcher  eine  sich  selbst  übeiiassene  Bewegung  fortdauert,  eine  endliche 
Grösse  zu  sein;  nach  den  Griechen  wäre  sie  =  0,  nach  den  Modernen  =  co  zu  setzen. 
Diese  beiden,  nach  entgegengesetzten  Richtungen  von  der  Erfahrung  sich  gleich  weit  ent- 
fernenden Ansichten  haben  nun  aber  eine  Eigentümlichkeit  gemein:  nach  beiden  gibt  es 
in  dem  raumlichen  Zustande  des  sich  selbst  überlassenen  Körpers  etwas  Konstantes,  Unver- 
änderliches. Durch  diese  Eigentümlichkeit  sind  die  beiden  wissenschaftlichen  Auffassungen 
offenbar  mit  dem  Hamilton'schen  Prinzip  verwandt. 

Dieses  bietet  uns  ein  Kriterium,  nach  welchem  wir  darüber  entscheiden,  ob  wir  ein 
Gegebenes  einfach  als  wirklich  hinzunehmen,  oder  dasselbe  in  irgendwelcher  Weise  zu 
ergänzen  oder  umzudeuten  haben.  Versuchen  wir  dasselbe  auf  bereits  angefangene  Bewe- 
gungen anzuwenden,  so  scheint  es  ohne  weitere  Voraussetzungen  nicht  möglich,  in  ein- 
deutiger Weise  zu  entscheiden,  wie  diese  sich  verhalten  müssten.  Um  einen  festeren 
Standpunkt  zu  gewinnen,  müssten  wir  zuerst  wissen,  ob  eine  Ortsveränderung  oder  eine 
Veränderung  im  Bewegungszustande  der  Körper  als  Zeichen  für  eine  Veränderung  in  der 
Konstitutien  des  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Wirklichen  aufzufassen  sei;  und  eben  dieses 
wissen  wir  apriori  nicht.  Das  apriorische  Prinzip  begründet  bloss  ein  disjunktives  Urteil: 
entweder  der  Ort  oder  der  Bewegungszustand  des  sich  selbst  überlassenen  Körpers  muss  sich 
unverändert  erhalten.  Nur  so  viel  lâsst  sich  aus  dem  Hamilton'schen  Postulate  apriori  ableiten. 

Gerade  hier  aber  gehen  auch  die  Ansichten  verschiedener  Zeiten  auseinander,  indem 
die  Griechen  nur  in  jenem  ersteren,  die  Modernen  aber  nur  in  diesem  zweiten  Falle  eine 
Ursache  fordern  zu  müssen  glauben.  Die  Verschiedenheiten  dieser  Ansichten  waren  zwei- 
fellos in  einer  Verschiedenheit  des  jeweilig  gegebenen  und  vorgestellten  Erfahrungsmate- 
rials begründet;  die  ältere  Vorstellung  ist  wohl  eine  Verallgemeinerung  dessen,  was  wir 
an -schweren,  auf  räuchern  Boden  durch  Ziehen  oder  Schieben  bewegten  Körpern  wahrneh- 
men; die  neuere  ist  offenkundig  aus  Beobachtungen  und  Experimenten  abstrahiert  worden. 

Aber  diese  Erfahrungstatsachen  haben  nicht  an  und  für  sich,  sondern  nur  in  Verbin- 
dung mit  jenem  durch  das  Hamilton'sche  Postulat  begründeten  disjunktiven  Urteil  die 
mechanischen  Theorien  von  sonst  und  jetzt  erzeugt. 

Ähnliche  Betrachtungen  veranlassen  die  anderen  Grundbegriffe  der  Mechanika,  wie 
der  mechanische  Kraflbegriff,  das  Unabhängigkeitsprinzip,  das  Prinzip  der  Wechselwirkung 
und  der  Massenbegriff. 

Für  unsere  Untersuchung  ergibt  sich  dabei  als  Wichtigstes,  dass  keine  neue  Eigenart 
des  Denkens  zur  Erklärung  derselben  herangezogen  zu  werden  braucht.  Somit  bietet  uns 
die  Mechanika  keinen  Anlass,  solche  bei  den  Malaien  nachzuspüren. 

Die  Mechanik  entlehnt  zweifellos  ihr  Interesse  für  unsere  Zusammenlebung  dem  Umstand, 
dass  sie  uns  in  den  Stand  setzt,  mit  ihrer  Hilfe  praktische  Probleme  durch  theoretische 
Betrachtungen  zu  lösen;  andererseits  hat  sie  ihre  Entstehung  der  Entwicklung  der  prakti- 
schen Mechanik  selbst  zu  danken;  diese  hatte  sich  sicher  schon  lange  unter  den  Völkern 
Bahn  gebrochen,  bevor  diese  sich  um  die  Theorie  zu  kümmern  anfingen.  Die  malaiischen 
Stämme  verkehren  jetzt  noch  alle  in  dem  Stadium  der  praktischen  Verwendung  mecha- 
nischer Hilfsmittel  zur  Erleichterung  ihres  Daseins. 

Wie  bei  allen  Zivilisierungserscheinungen  im  Indischen  Archipel  ist  es  auch  bei  den 
hier  in  Frage  kommenden  nicht  immer  leicht  zu  bestimmen,  ob  sie  von  höher  entwickelten 
Völkern  Obemommen,  oder  ursprünglich  hier  entstanden  sind.  In  dieser  Hinsicht  liefern 


—  110  — 

die  in  den  entlegensten  Gegenden  wohnenden  Malaien  die  besten  Anhaltspunkte  zur  Beur- 
teilung der  echt  malaiischen  Verhältnisse.  Wohl  ist  es  auch  hier  nicht  ausgeschlossen, 
dass  in  früheren  Zeiten  jetzt  allgemein  übUche  Gewohnheiten  eingeführt  wurden;  wenn 
diese  aber  jetzt  ganz  in  diese  malaiische  Zusammenlebung  aufgenommen  und  assimiliert 
wurden,  so  ist  dies  jedenfalls  ein  Zug,  der  Beachtung  verdient.  Wie  die  Sachlage  auch 
sein  mag,  immerhin  bieten  uns  die  primitiven  Malaien  die  besten  Möglichkeiten,  um  uns 
über  ihre  Fähigkeit,  sich  praktisch  mechanischen  Hilfsmitteln  anzupassen,  ein  Urteil 
zu  bilden.  Diese  stehen  natürlich  im  Verhältnis  zur  sonstigen  Entwicklung  des  Volkes. 

Zu  den  merkwürdigsten  Leistungen  wenig  zivilisierter  Völker  gehört  die  Verwendung 
von  besonders  schweren  Steinen,  Holzstämmen  und  Ähnhchem,  die  sich  offenbar  nicht 
durch  Händearbeit  allein,  auf  welche  diese  Menschen  sonst  angewiesen  sind,  in  Bewegung 
bringen  lassen.  Auch  die  Dajak  verwenden  nur  wenige  mechanische  Hilfsmittel  zur  Aus- 
führung schwerer  Arbeiten.  Bei  besonderen  Anlässen  zeigt  es  sich  aber,  dass  sie  dennoch 
im-  Stande  sind,  sich  derartiger  Mittel  zu  bedienen. 

So  kommt  es  z.B.  vor,  dass  sie  zur  Drehung  gefällter  Baumriesen  im  Urwalde  Spillen 
gebrauchen.  Bekanntlich  verfertigen  sie  aus  diesen  Stämmen  bisweilen  bis  25  M.  lange 
Einbäume  von  entsprechender  Breite.  Welche  Waldriesen  zu  diesem  Zweck  gefallt  werden 
müssen,  kann  man  sich  denken. 

Im  allgemeinen  sind  die  Dajak  als  Holzschläger  sehr  geschickt  und  oft  im  Stande,  die 
Bäume  derartig  umzuhauen,  dass  sie  in  eine  vorher  bestimmte  Richtung  hinfallen.  Da 
aber  die  Form  der  Krone  eine  grosse  Rolle  dabei  spielt,  gelingt  es  nicht  immer,  solche 
ungeheuer  schwere  Stämme  so  zu  lagern,  dass  sie  sogleich  die  gute  Stellung  zum  Aus- 
hauen eines  Bootes  einnehmen.  Denkt  man  sich  den  Platz  mitten  im  Urwald  dazu,  so  kann 
man  sich  von  der  Schwierigkeit  der  Sachlage  eine  Vorstellung  bilden.  Die  Bahau  am  Kapuas 
sind  aber  im  Stande,  in  solchen  Fällen  die  Umkehrung  dieser  Baumstämme  mittelst  Spillen 
zu  bewirken.  Diese  werden  mit  den  örtlich  vorhandenen  Hilfsmitteln  nach  augenblicklichem 
Bedarf  gebaut.  Die  umstehenden  Bäumen  dienen  dabei  als  Böcke,  ein  anderer  Baumstamm, 
der  in  Rotanschlingen  an  ihnen  hängt,  dient  als  Welle  und  dicke  Rotanschlingen  des' 
Urwaldes  liefern  die  Kabel.  Obschon  primitiv,  vemchten  diese  Werkzeuge  Leistungen, 
die  sonst  unterbleiben  müssten.  Man  kennt  sowohl  die  Verwendung  der  wagerechten  Brat- 
spille, als  der  aufrecht  stehenden  Gangspille. 

Ähnlichen  Schwierigkeiten  begegnen  diese  Stämme  beim  Aufrichten  der  oft  sehr 
schweren  Eisenholzpfähle,  die  als  Stütze  der  Häuptlingshäuser  dienen  müssen.  Auch  wenn 
diese  3500  Kg.  schwer  sind,  wie  diejenigen  des  Hauses  von  Kwing  Irang,  das  in  meiner 
Anwesenheit  am  Oberen  Mahakam  gebaut  wurde,  so  wurden  dieselben  doch  mittelst 
Händearbeit,  oft  auf  improvisierten  Wegen  im  Urwald  transportiert;  höchstens  werden 
dazu  Rollen  verwendet.  Handelt  es  sich  aber  um  die  Aufrichtung  dieser  Säulen,  dann  rei- 
chen auch  die  Kräfte  zahlreicher  Menschen  nicht  mehr  aus  und  mechanische  Hilfsmittel 
müssen  hinzugezogen  werden.  Wie  sich  das  zuträgt,  erhellt  aus  der  hier  folgenden  Skizze 
von  der  Aufrichtung  des  Hauptpfahls  von  Kwing  Irangs  neuem  Hause  (s.  Taf.  XX,  Fig.  b)  : 

„Die  ungefähr  3500  Kilo  schwere  Eisenholzsäule  konnte  von  den  Leuten  nicht  ohne 
Hilfsmittel  aufgerichtet  werden,  weil  sie  mit  ihrer  Spitze  so  hoch  gehoben  werden  musste, 
dass  ihr  unteres  Ende  in  die  zwei  Meter  tiefe,  für  dieses  gegrabene  Grube  gleiten  konnte. 
Zu  diesem  Zwecke  gebrauchten  die  Kajan  dicke  Rotankabel,  die  am  oberen  Ende  des 
Pfahls  in  einer  Höhe   von   7   Meter  befestigt  und   über  einen  vor  der  Grube  errichteten 


-  Ill  — 

Galgen  geleitet  wurden;  sie  boten  mehr  als  50  Menschen  Gelegenheit  zum  Ziehen.  Auf 
Tafel  XX  sieht  man  in  der  Mitte  des  Vordergrundes  den  verstärkten  Galgen,  der  für  einen 
solchen  Pfahl  gebaut,  hier  aber  noch  nicht  benutzt  worden  ist.  Der  Balken  a,  über  den  die 
beiden  Kabel  laufen  sollen,  liegt  auf  den  Spitzen  von  zwei  gleichseitigen  Dreiecken,  die 
aus  geraden,  jungen,  mit  Rotan  aneinander  gebundenen  Stämmen  bestehen.  Diese  Dreiecke 
werden  zu  beiden  Seiten  des  Pfahls,  der  gehoben  werden  soll,  errichtet  und  sind  mit  ein- 
ander durch  andere  Quer-  und  Stützbalken  verbunden  und  verstärkt.  Oft  werden  diese 
Dreiecke  auch  an  den  bereits  aufgerichteten  kleineren  Eisenholzpfahlen  befestigt.  Das  Bild 
stellt  den  Augenblick  dar,  wo  eine  grosse  Anzahl  Menschen  (rechts)  den  grössten,  mit 
schöner  Bildhauerarbeit  verzierten  Pfahl  (links  im  Hintergrunde)  an  Rotankabeln  in  die 
Höhe  ziehen;  einige  Männer  stehen  und  ziehen  auch  auf  dem  Gerüst  selbst.  Die  grossen 
Pfähle  tragen  mächtige  Kriegsmützen  aus  Rotan,  welche  mit  nachgemachten  Federn  des 
Nashornvogels  geschmückt  sind.  Alt  und  jung,  Männer  und  Frauen,  ziehen  an  den  Kabeln. 
wo  nur  ein  Platz  frei  ist.  Die  beiden  seitlichen  Dreiecke  sind  so  fest  in  den  Boden  gesetzt, 
dass  sie  nicht  nur  die  vielen  Männer  tragen,  sondern  eventuell  auch  den  Pfahl,  falls  er 
seitwärts  ausweichen  sollte,  zurückhalten  können. 

Anfangs  fiel  die  Zugrichtung  zu  stark  in  die  des  liegenden  Pfahls;  daher  wurden  an 
dessen  oberem  Ende  ständig  mehr  Balken  untergeschoben,  bis  der  Pfahl  durch  eine  stärkere 
Neigung  in  eine  günstigere  Lage  gebracht  wurde.  Als  der  Pfahl  beim  Ziehen  in  die  Rinne 
glitt,  die  von  seinem  unteren  Ende  in  die  Grube  führte,  fand  er  an  der  gegenüberstehenden 
Planke  einen  Stützpunkt 

Jeder  kleine  Arbeitsfortschritt  wurde  anfangs  durch  Unterschieben  von  Holz  gesichert, 
dann  ging  es  immer  schneller  vorwärts;  der  Pfahl  erhob  sich  höher  und  höher  unter  den 
ängstlichen  Zurufen  der  zahlreichen,  zusehenden  Menge,  die  einen  Fall  oder  ein  Auswei- 
chen des  Balkens  fürchtete.  Dieser  wurde  übrigens  von  vielen  Männern  mit  hölzernen 
Gabeln  gestützt.  Es  dauerte  eine  Stunde,  bevor  der  Pfahl,  zur  grossen  Erleichterung  der 
Zuschauer,  mit  einem  Ruck  in  die  Grube  schoss". 

Neben  diesen  zwei  Arten  mechanischer  Hilfsmittel,  die  ich  dort  feststellen  konnte, 
verdient  auch  das  oben  genannte  Baumf^len  in  eine  vorher  bestimmte  Richtung  beson- 
dere B<;achtung  für  unseren  Zweck,  da  viele  mechanische  Überlegungen  nötig  sind,  bevor 
die  komplizierten  Verhältnisse  des  Baumes  selbst  und  seiner  Umgebung  in  Verbindung 
mit  der  Art,  wie  und  wo  der  Stamm  zum  Teil  durchgehauen  werden  muss,  zum  gewünsch- 
ten Resultat  führen.  Wie  allgemein  üblich  solche  Gedankenarbeit  bei  den  Dajak  sein  muss, 
zeigt  uns  folgende  Beschreibung  von  Ch.  Hose  auf  Seite  99  des  ersten  Teiles  seines  Buches 
,The  Pagan  Tribes".  Sie  bezieht  sich  auf  das  Fallen  des  Urwaldes  für  die  jährliche  Anlage 
der  Reisfelder: 

,A  hillside  sloping  down  to  the  bank  of  a  river  or  navigable  stream  is  considered 
the  choicest  area  for  cultivation,  partly  because  of  the  efi&cient  drainage,  partly  because 
the  felling  is  easier  on  the  slope  and  because  the  stream  affords  easy  access  to  the  field. 

When  an  area  has  been  chosen,  the  men  of  the  roomhold  first  cut  down  the  under- 
growth of  a  A  shaped  area,  whose  apex  points  up  the  hill  and  whoso  base  lies  on  the  river 
bank.  This  done,  they  call  in  the  help  of  other  men  of  the  house,  usually  relatives,  who 
are  engage<i  in  preparing  adjacent  areas  and  all  set  to  work  to  fell  the  large  trees.  In  the 
clearing  of  virgin  forest,  when  very  large  trees,  many  of  which  have  at  their  bases  immense 
buttresses,  have  to  be  felled,  a  platform  of  light  poles  is  built  around  each  of  these  giants 


—  112  — 

to  the  height  of  about  15  feet.  Two  or  three  men  standing  upon  this  rude  platform  on 
opposite  sides  of  the  stem  attack  it  with  their  small  springy-hafted  axes  above  the  level  of 
the  buttresses  (Taf.  XXI,  Fig. a).  One  man  cuts  a  deep  notch  on  the-side  facing-up  the  hill, 
the  other  cuts  a  similar  notch  about  a  foot  lower  down  on  the  opposite  side,  each  cutting 
almost  to  the  centre  ot  the  stem.  This  operation  is  accomplished  in  a  surprisingly  short 
time,  perhaps  thirty  minutes  in  the  case  of  a  stem  two  or  three  feet  in  diameter.  When 
all  the  tree's  within  the  A  shaped  area  have  been  cut  in  this  way,  all  the  workers  and 
any  women,  children  or  dogs,  who  may  bë  present,  are  called  out  off  the  patch  and  one 
or  two  big  trees,  carefully  selected  to  form  the  apex  of  the  phalanx,  are  then  cut  so  as  to 
fall  down  the  hill.  (They  are  skilled  woodmen  and  know  how  to  cut  a  tree  so  as  to  ensume 
its  falling  in  any  desired  manner;  the  final  strokes  cut  away  the  ends  of  the  narrow 
portion  of  the  stem  remaining  between  the  upper  and  the  lower  notches^.  In  their  fall 
these  giants  throw  down  the  trees  standing  immediately  below  them  on  the  hillside;  these 
falling  in  turn  against  their  neighbours,  bring  them  down.  And  so,  like  on  avalanche  of 
widening  sweep,  the  huge  disturbance  propagates  itself  with  a  thunderous  roar  and  in- 
creasing momentum  downwards  over  the  whole  of  the  prepared  area(  while  puny  man 
looks  on  at  the  awful  work  of  his  hand  and  brain  not  unmoved,  but  dancing  and  shouting 
in  wild  triumphant  delight". 

Ich  selbst  hatte  in  einem  morastigen  Urwald  am  Oberen  Kapuas  Grelegenheit,  den  Gang 
über  einen  nur  aus  hintereinander  liegenden  Waldbäumen  bestehenden  Steg  auszupro- 
bieren. ,Der  Weg  führte  nach  dajakischer  Weise  mehr  über  liegende  Bäume  als  über  mit 
Gras  und  Gestrüpp  bedeckten  Boden.  Bald  bildeten  die  Bäume  den  einzigen  passierbaren 
Weg;  zu  meinem  Erstaunen  lagen  sie  aber  nicht,  wie  gewöhnlich,  der  Äste  beraubt  am 
Boden,  sondern  teilweise  über  einander  und  zwar  so,  dass  der  nur  wenig  abgekappte  Gipfel 
des  einen  Baumes  auf  dem  Fussende  des  folgenden  ruhte  und  der  so  entstandene  Baum- 
pfad bis  zu  4  m  hoch  über  dem  Erdboden  lag.  Er  führte  nämlich  zu  früheren  Reisfeldern 
durch  einen  Wald,  der  so  nass  und  morastig  war,  dass  man  mit  bewundernswerter  Geschick- 
lichkeit den  einen  Baum  über  den  anderen  hatte  fallen  lassen  und,  nachdem  die  hinder- 
lichsten Aste  entfernt  waren,  einen  Pfad  geschaffen  hatte,  auf  dem  man  niemals  den  Boden 
berührte.  Es  lagen  hier  Baumriesen  von  mehreren  Metern  Durchmesser,  auf  denen  man 
mühelos  40  m  weit  gehen  konnte;  dann  trat  man  aber  auf  andere,  deren  glatte,  hell- 
graue Stämme  zwar  sehr  schön  anzusehen  waren,  in  dieser  beträchlichen  Höhe  von  einem 
beschuhten  Europäer  jedoch  nur  mit  einer  gewissen  Kaltblütigkeit  begangen  werden  konnten. 
Glücklicher  Weise  betrat  ich  hier  nicht  zum  ersten  Mal  einen  Baumpfad  im  Morastwalde, 
aber  1  Vi  Stunden  hintereinander,  wie  hier,  war  ich  noch  nicht  auf  solchem  Weg  marschiert". 
(Q.  d.  B.  I.  S.  189). 

Nach  dem  oben  Gesagten  besassen  also  die  Erbauer  dieses  Baumwegs  ein  erstaunliches 
mechanisches  Talent,  dabei  schafften  sie  ein  Werk,  das  nar  relativ  kurze  Zeit  bestehen 
und  nur  sehr  wenig  als  Fussweg  benutzt  werden  sollte.  Diese  Wege  führen  uns  zu  ver- 
wandten Bauwerken,  zu  den  Brücken. 

Die  Dajak  bauen  ihre  Brücken  meistens  nur  dort,  wo  die  Flüsse  nicht  durchwatet 
werden  können;  deshalb  sind  sie  ziemlich  selten.  Dennoch  zeigt  es  sich,  dass  diese  Leute 
recht  wohl  im  Stande  sind.  Brücken  auf  mannigfache  Weise  zusammenzustellen.  Ling  Roth 
hat  darüber  Verschiedenes  aus  Serawak  gesammelt;  er  sagt  S.  27,  Tl.  II:  There  are  many 
bridges  Hnd  they  are  generally  very  picturesque.  They  are  made,  where  the  river  is  narrow 


—  113  — 

and  whore  two  trees,  one  on  each  side,  overhang  the  stream.  Among  the  branches  of  one 
is  placed  a  long  thick  bamboo,  which  reaches  to  the  branches  of  the  tree  on  the  other 
side  ;  but  if  it  prove  too  short,  two  bamboos  are  lashed  together  with  rattans  and  creepers. 
This  is  the  footway.  Nexth,  long  thin  bamboos  are  suspended  from  the  upper  branches  of 
the  trees,  the  lower  ends  being  tied  to  the  footway  before  made  and  fixed  crossway  below 
it.  Rattans  and  creepers  are  also  brought  into  requisition,  to  strengthen  and  steady  the 
bridge;  these  are  the  suspenders.  Another  bamboo  is  tied  along  the  suspending  bamboos, 
on  each  side  the  footway,  to  serve  for  railings.  The  general  appearance  of  this  primitive 
bridge,  with  a  rapid  stream  running  under  it,  is  very  pretty,  especially  as  the  banks  of 
the  rivers  are  in  generally  beautifully  lined  with  trees  and  masses  of  rock.  By  a  sloping 
ladder  of  the  usual  description  the  bridge  is  connected  with  the  banks  on  each  side  of 
the  stream,  but  the  whole  thing  is  more  picturesque  to  the  eye  than  safe  for  the  person 
of  the  novice  in  jungle  travelling  (Grant,  p.  33). 

Mr.  Denison  speaks  of  a  bridge  amongst  the  Grogo-Dajaks  „which  was  constructed  of 
jungle  wood  and  bamboo  and  was  1.S8  feet  in  length  and  most  skilfully  put  together 
fch.    Ill    p.  28).  Mr.  Wallace  says  »some  of  these  bridges  were  several  hundred  feet  long 

and  fifty  or  sixty  high The  bridge  is  partly  suspended  and  partly  supported  by  diagonal 

struts  from  the  banks,  so  as  to  avoid  placing  posts  in  the  stream  itself,  which  would  be 
liable  to  be  carried  away  by  flood  (1.  144  and  122). 

Sir  Hugh  Low  describes  the  bridges  (p.  286)  and  Sir  Sp.  St.  John  remarks  on  their 
lightnes.'«  and  elegance  and  also  on  their  apparent  flimsiness  (I.  139)". 

Eine  andere  Art  des  Brückenbaus  der  Kënja  am  Oberen  Bulungan  findet  man  auf 
ri.  407  Tl.  II  von  meinem  Q.  d.  B.  beschrieben: 

„Der  an  dieser  Stelle  nur  40  m  breite  Fluss  wurde  zu  beiden  Seiten  von  hohen,  mit 
mächtigen  Bäumen  bekrönten  Felswanden  eingeschlossen.  Die  Bäume  waren  zur  Befestigung 
fines  schworen  Rotannetzes  benutzt  worden,  das  von  dem  einen  zum  anderen  Ufer  der- 
artig aufgehängt  war,  diisa  einige  behauene  Stamme  auf  dasselbe  gelegt  werden  konnten, 
um  als  Brücke  zn  dienen.  Seitlich  stand  das  Netz  den  Stämmen  entlang  sehr  steil  in  die 
Höhe  und  gewährte  den  Fussgängern  ein  Gefühl  der  Sicherheit,  doch  waren  die  Netzränder 
zu  weit  entfernt,  um  als  Stütze  dienen  zu  können.  Da  die  Stämme  hinter  einander  sehr 
lose  lagen,  vertrauten  wir  Europäer  uns  diesem  Brückenbau  nicht  an " 

Ihren  BedOrfhissen  gemäss  haben  also  diese  Stamme  verstanden,  sichere  und  feste 
BrOckenbauten  herzustellen;  sie  waren  dabei  auf  pflanzliches  Material  angewiesen  und 
hatten  sich  den  sehr  wechselnden  örtlichen  Verhältnissen  anzupassen.  Wie  fest  und  kom- 
pliziert die  Uferverbindungen  der  letzt  erwähnten  Hängebrücken  sein  müssen,  lässt  sich 
leicht  vermuten.  Dass  die  grosse  Schwere  dieser  Brücke,  ihr  Gleichgewicht  und  ihre  even- 
tuelle Belastung  von  den  Erbauern  bei  der  Zusammenstellung  haben  berücksichtigt  werden 
mflssen  und  dass  sie  diese  mechanisch  betrachtet  haben,  ist  also  wohl  zweifellos. 

Eine  andere  Art  Bauten  winl  in  Q.  d.  B.  II  S.  355  beschrieben:  Bald  führte  der  Weg  über 
lange  Reihen  behauener  Stämme,  die  an  gefährlichen  Stellen  wagrecht  zu  den  Bergabhängen 
hintereinander  auf  Stützbalken  angebracht  waren,  eine  Weganlage,  die  ich  bis  dahin  auf  Borneo 
noch  nicht  gesehen  hatte.  An  der  Stelle,  wo  die  Böte  in  .50  m.  Höhe  auf  diesem  Wege  um  die 
Abhänge  gezogen  werden  mussten,  wurde  der  Bau  noch  grossartiger.  Auf  einigen  Strecken  war 
in  den  Abhängen  ein  breiter  Weg  ausgegraben,  den  man  zum  besseren  Gleiten  der  Böte  mit 
dünnen  Baumstämmen  belegt  hatte  ;  wo  die  Schluchten  die  Bergwände  trennten,  waren  diese 
I.  A.  f.  E.  Bd.  XXIII.  15 


—  114  — 

durch  ebenfalls  mit  einer  Lage  von  Stämmen  bedeckte  Gemste  überbrückt  worden.  Da  dieses 
Bauwerk  2  Km  lang  war,  erregte  es  stets  wieder  Demmenis  und  meine  Bewunderung, 
obgleich  der  "Weg  für  uns  beschuhte  Europäer  sehr  unbequem  war  (Taf.  XXI  Fig.  b). 

Von  den  Brücken  ist  der  Übergang  zu  echten  Wasserbauten,  zu  den  Dämmen,  wie 
angezeigt.  In  einem  Gebirgsland  wie  Mittel-Bomeo  führen  die  Verhältnisse  nicht  zur  Ent- 
wicklung von  Deichen,  um  das  Flusswasser  einzuzwängen;  es  ist  also  bemerkenswert, 
dass  der  Fischfang  dennoch  zur  Entstehung  ähnlicher  Konstruktionen  geführt  hatte.  Aut 
ein  sehr  merkwürdiges  Bauwerk  stiess  ich  eines  Tages  am  Oberen  Mahakam  während 
einer  im  Gebiet  der  'Ma  Suling  unternommenen  Expedition.  Der  Weg  führte  über  einen 
Damm,  der  zur  Bildung  eines  Fischweihers  durch  einen  Gebirgsbach  gelegt  worden  war 
(Taf.  XXII  Fig.  b).  Wie  auch  bei  anderen  Sitten  und  Gewohnheiten  beobachtet  werden 
kann,  hatte  sich  durch  unbekannte  Ursachen  gerade  unter  diesen  'Ma  Suling  die  Fisch- 
zucht in  Weihern  entwickelt,  obschon  auch  die  benachbarten  Stamme  diese  sehr  gut 
kannten,  aber  nicht  ausübten. 

Quer  durch  das  Flüsschen  war  eine  schräge  Bretterwand  aufgerichtet,  die  unter  einem 
Winkel  von  etwa  60°  flussabwärts  neigte.  Gestützt  wurde  diese  auf  dem  Boden,  auf  halber 
Höhe  und  oben  am  Rande  durch  3  schwere,  horizontal  gestellte  und  mit  ihren  Enden  in 
die  beiden  Uferseiten  versenkte  Balken,  die  ausserdem  noch  durch  wagerecht«  Balken, 
welche  ungefähr  1  m.  flussabwärts  im  Ufer  steckten  und  als  Stütze  für  die  ersteren  dienten, 
in  der  richtigen  Lage  gehalten  wurden.  Alle  wagerechten  Balken  wurden  ausserdem  noch 
durch  dünnere,  im  Flussbett  stehende  Hölzer  gestützt.  Um  diese  Bretterwand  wasser- 
dicht zu  machen,  diente  eine  meterdicke,  so  fest  anliegende  Lehmschicht,  dass  sie  ständig 
als  Weg  über  den  Bach  diente.  Nur  bestimmte  Fischarten  bleiben  in  dem  gestauten,  still- 
stehenden Wasser,  das  durch  die  Sonne  gelegentlich  recht  wann  werden  kann,  am  Leten 
und  vermehren  sich;  die  anderen  Arten  ziehen  sich  höher  in  den  Bach  zurück.  Die  meisten 
der  grösseren  'Ma  SuUngfamilien  besitzen  einen  eigenen  Weiher,  aus  dem  sie  nach  Bedürfnis 
Fische  holen. 

Wie  auch  aus  der  Abbildung  ersichtlich,  hat  man  es  hier  mit  einem  recht  zusammen- 
gestellten Bauwerke  zu  tun,  das  seinen  Zweck  gut  erfüllt  und  bei  welchem  den  vorhandenen 
Kräften  und  Widerständen  eingehend  Rechnung  getragen  werden  musste. 

Haben  wir  bis  jetzt  die  mechanischen  Talente  dieser  primitiven  Malaien  an  grösseren 
Werken  verfolgt,  so  erlauben  uns  Jagd  und  Fischfang,  zwei  wichtige  Existenzmittel  dieser 
Stämme,  den  Nachweis,  mit  welcher  Findigkeit  sich  auch  diese  Malaien  mit  kleineren 
mechanischen  Hilfsmitteln  eine  möglichst  grosse  Ausbeute  der  Tierwelt  im  Wasser  und 
auf  dem  Lande  zu  sichern  verstehen:  Eine  zahlreiche  Menge  von  Stricken,  Fallen,  Netzen, 
Reusen  u.  s.  w.,  für  jede  Tierart  besondere,  sind  bereits  bekannt  und  beschrieben  worden. 
Die  mechanische  Einrichtung  und  Aufstellung  derselben  beruht  sowohl  auf  den  Eigenschaften 
des  verwendeten  Materials  als  auf  den  Sitten  der  Tiere  und  den  Besonderheiten  der  natür- 
lichen Umgebung.  Sie  zeigen  alle  an,  wie  fruchtbar  die  mechanischen  Talente  dieser  Stämme 
sein  können,  wenn  ihre  Interessen  sie  dazu  anregen. 

Es  handelt  sich  hier  um  Leistungen,  die  von  allen  Völkern  des  Indischen  Archipels 
bekannt  geworden  sind;  für  unseren  Zweck  wird  also  ihre  Erwähnung  genügen. 

Etwas  ähnliches  ist  auf  einem  anderen,  für  die  Dajak  äusserst  praktischen  Gebiet,  der 
Schiffahrt,  zu  bemerken.  Man  kennt  unter  den  malaiischen  Stämmen  der  Insel  Borneo  keine 
geschickteren  Gehilfen  bei  Bootfahrten  auf  unschiffbaren  Flüssen  wie  diese  dajakischen  aus 


—  115  — 

dem  Innern.  Es  gibt  auch  wohl  keinen  Reisenden,  den  diese  Ruderer  nicht  gerade  in  den 
gefährlichsten  Lagen  mit  Bewunderung  erfüllt  haben.  Was  sie  dann  zu  leisten  vermögen, 
ist  bereits  einmal  auf  S.  65  beschrieben  werden  und  es  darf  also  hier  darauf  hingewiesen 
wenlen.  Jedoch  muss  dabei  ernsthaft  in  Betracht  gezogen  werden,  welche  gefährlichen 
mechanischen  Probleme  in  solchen  Fällen  zu  Dutzenden  nach  einander  wie  spielend  gelöst 
werden  müssen.  Man  könnte  sagen,  die  Bootsleute  leisten  das  aus  Gewohnheit  und  sicher 
spielt  diese  dabei  eine  Rolle,  aber  bei  näherer  Betrachtung  liegt  die  Sache  doch  anders. 
Selbst  wenn  man  in  ihrem  eigenen  Lande  mit  diesen  Ruderern  schwierige  Reisen  unter- 
nimmt, (zeigt  es  sich  bald,  dass  sie  nur  sehr  ungern  auf  ihnen  bis  dahin  unbekannten 
Flüssen  Dienste  leisten  und  dann  auch  nicht,  nach  ihrer  sonstigen  Gewohnheit,  eine  gewisse 
Verantwortlichkeit  fQr  die  Expedition  übernehmen.  In  den  ihnen  bekannten  Stromschnellen 
und  Wasserfällen  studieren  sie  genau  den  Wasserstand  und  die  daraus  sich  ergebenden 
Umstände  für  eine  Bootfahrt.  Auch  sind  es  die  Anführer,  meistens  örtlich  gut  bekannte 
Leute,  die  die  Leitung  übernehmen  und  oft  sieht  man  sie  eine  Strecke  von  einem  hohen 
Standpunkt  aus  übersehen,  bevor  sie  ihrer  Mannschaft  die  nötigen  Anordnungen  geben. 

Welche  hohe  Anforderungen  dabei  an  ihre  Talente  gestellt  werden,  ersieht  man  daraus, 
dass  nur  diese  Stamme  ihre  Flüsse  einigermassen  mit  Sicherheit  zu  befahren  verstehen 
und  dabei  oft  genug  Habe  und  Leben  opfern  müssen.  Obgleich  ich  Jahre  lang  mit  ihnen 
fast  ohne  Verluste  oder  Unglücksfälle  über  die  gefährlichsten  Wasserläufe  gefahren  bin, 
ereilte  auch  mich  eines  Tages  das  Geschick,  als  ich  mit  den  Kajan  am  Oberen  Mahakam 
gegen  ihren  Sinn  eine  lange  Reise  in  das  ihnen  wenig  bekannte  ürsprungsgebiet  dieses 
Flusses  unternahm.  Ich  hatte  vorher  die  volle  Verantwortlichkeit  übernehmen  müssen.  Es 
gelang  uns  auch,  einen  Monat  lang  ohne  Zwischenfälle  den  dort  unbewohnten  Fluss  auf 
und  abzufahren,  bis  einmal  mein  schwer  beladenes  Boot  beim  Abfahren  einer  Stromschnelle 
von  den  Wellen  überflutet  wurde,  umschlug  und  die  Mannschaft  und  ich  fïoh  waren, 
mit  Verlust  unseres  Gepäckes  das  Leben  retten  zu  können.  Das  Wasser  war  durch  den 
Regen  der  vorhergehenden  Nacht  stärker  geschwollen  und  die  Wellen  daher  kräftiger, 
als  wir  dachten. 

Der  Bau  von  Böten  gehört  in  einem  Lande,  wie  das  der  Bahau,  in  welchem  der  Ver- 
kehr zwischen  den  verschiedenen  Siedelungen  und  der  Transport  zu  und  von  den  Feldern 
beinahe  ausnahmslos  auf  den  Flüssen  stattfindet,  zu  den  wichtigsten  Arbeiten  der  Bevöl- 
kerung. Jede  Familie  sucht,  sei  es  auch  unter  Beistand  der  paladow  (Mithelfer),  die 
erforderlichen  Fahrzeuge  selbst  zu  bauen.  Aber  nicht  jeder  Mann  ist  in  gleichem  Masse 
imstande,  einen  passenden  Baum  auszusuchen,  ihn  zu  bearbeiten,  im  Feuer  auszulegen 
U.8.W.;  jeder  Stamm  besitzt  daher  1 — 2  anerkannte  Autoritäten  auf  diesem  Gebiet,  denen, 
so  bald  es  sich  um  den  Bau  s«^hr  grosser  Böte  handelt,  die  Leitung  derselben  übertragen 
wird.  Die  Böte  sind  ausnahmslos  Einbäume;  sie  werden  aus  einem  einzigen  Stück  ver- 
fertigt, für  weiches  man  im  Walde  einen  geeigneten  Stamm  wählt. 

Die  Bahau  unterscheiden  verschiedene  für  Böte  geeignete  Baumarten,  die  je  nach 
dem  Zweck,  für  den  die  Fahrzeuge  bestimmt  sind,  ausgesucht  werden.  So  gebraucht  man 
kleine,  leichte  Böte  aus  festem  Holz,  um  nach  den  Feldern  zu  fahren,  grössere  aus  bieg- 
samem Holz  mit  dickerem  Boden  gegen  den  Anprall  auf  Steine  zum  Befahren  der  Fluss- 
oberläufe  mit  ihren  Wasserfällen  und  Stromschnellen,  sehr  lange  Böte  mit  besonders 
grossem  Laderaum  fQr  lange  Handelsreisen  an  die  Küsten,  femer  sehr  lange,  schmale 
Fahrzeuge   für  Kriegszüge  und  schliesslich   besonders  grosse,  um  sie  am  Unterlauf  der 


—  116  — 

Flüsse  zu  verkaufen.  Für  die  kleinen,  soliden  Böte  besitzen  nur  bestimmte  Baumarten 
die  erforderlichen  Dimensionen,  so  dass  man  in  ihrer  Wahl  sehr  beschränkt  ist;  die  Eisen- 
holzstämme sind  zwar  sehr  hoch,  aber  für  grosse  Fahrzeuge  zu  schwer.  In  den  kühleren 
Oberläufen  der  Flüsse  sind  Böte  aus  weichem  Holz  eher  brauchbar  als  in  den  warmen 
Unterläufen,  in  deren  Wasser  weit  mehr  Organismen  vorkommen,  die  das  Holz  auffressen; 
daher  werden  neben  den  grossen  Frachtböten  aus  weicherem  Holz  auch  viele  kleine  Eisen- 
holzböte in  den  Küstengegenden  verkauft. 

Für  den  täglichen  Gebrauch  benützen  die  Bahau  Böte  von  etwa  3 — 12  m.  Länge  und 
60—75  cm.  Breite,  für  die  Quellflüsse  10 — 14  m.  lange,  während  die  grösseren  Böte 
20 — 23  m.  lang  und  1,5—2  m.  breit  sind;  letztere  bestehen  meist  aus  Tengkawangholz. 

Ein  zum  Bau  eines  Bootes  gut  befundener  Baum  wird  in  einigem  Abstand  vom  Erd- 
boden, wo  er  weniger  breit  ausläuft,  umgehackt  und  darf,  wie  beim  Häuserbau,  nur,  wenn 
er  völlig  seitwärts  niederfällt,  verwendet  werden,  gleitet  er  dagegen  vom  Stumpf  ab  und 
bleibt  stehen,  so  ist  er  lali  und  darf  nicht  weiter  gebraucht  werden.  Sind  die  Äste 
und  der  unbrauchbare  Gipfel  abgehackt  und  befindet  sich  der  Stamm  in  geeigneter  Lage 
oder  ist  er  bei  bedeutender  Grösse  und  Schwere  mittelst  Hebeln  in  diese  gebracht  worden, 
so  hackt  man  die  rohe  Form  des  Bootes  aus  ihm  heraus.  Ein  solches  noch  unbehauenes 
Boot  ist  auf  Taf.  XXII  Fig.  a  zu  sehen.  Der  Querriss  zeigt  noch  die  Rundung  des  Baumes  und  die 
Seitenwände  sind  nicht  flach  und  gerade,  sondern  laufen  in  der  Mitte  rund  nach  oben  zu. 
An  den  beiden  Innenseiten  sind  einander  gegenüber  Holzteile  stehen  gelassen,  die  später 
bei  der  Anbringung  der  Bänke  als  Spanten  dienen  müssen.  Überdies  hat  man  den  Rumpf 
des  Bootes  absichtlich  dicker  gelassen,  um  ihn,  ohne  Risse  zu  riskieren,  durch  den  Gebirgs- 
wald  nach  Hause  schleifen  und  dort  fertigstellen  zu  können.  Für  diese  Roharbeit  gebraucht 
man  nur  Beile  und  runde  Dechsel  an  langen  Stielen,  um  mit  diesen  das  Holz  von  innen 
wegzuhacken.  Die  feinere  Bearbeitung  wird  allmählich  und  bei  der  Wohnung  vorgenommen, 
wie  Taf.  XXII  Fig.  a  es  uns  vorführt.  Um  den  Wänden  die  erforderliche  Dünne  und  Glätte 
zu  geben,  wendet  man  platte  Dechsel  an  kurzen  Stielen  an,  wie  sie  von  den  Männern  aut 
der  Abbildung  gehandhabt  werden. 

Sollen  die  Böte  nicht  sogleich  gebraucht  werden,  so  läsgt  man  sie  vom  Wasser  aus- 
laugen. Bestehen  sie  aus  Eisenholz,  das  im  Wasser  sinkt,  so  versenkt  man  sie  ins  Wasser; 
ist  das  Holz  aber  leichter  als  dieses,  so  lässt  man  die  Böte  mit  einigen  Balken  als  [Stütze 
auf  dem  Lande  stehen,  bis  der  Regen  sie  mit  Wasser  füllt.  Indem  man  das  Regenwasser 
einige  Mal  durch  eine  Öffnung  im  Boden  ausfliessen  lässt,  wird  die  Auslaugung  des  Holzes 
befördert. 

Da  ein  solches  rundes  Boot  im  Wasser  nicht  stabil  genug  ist,  wiiü  es  erst  durch 
Auslegen  im  Feuer  für  den  Gebrauch  taugUch  gemacht.  Zu  diesem  Zweck  stellt  man  das 
Boot  auf  einige,  ein  paar  Fuss  hohe  Unteriagen  und  setzt  es  dann  während  etwa  8  Stun- 
den in  seiner  ganzen  Länge  Reihen  von  gut  flammenden  Holzfeuem  aus,  wobei  man  durch 
Schlagen  mit  grünen,  beblätterten  Zweigen,  die  man  in  das  im  Boote  befindliche  Wasser 
taucht,  ein  Verbrennen  des  Holzes  an  der  Aussenwand  verhütet.  Die  Seitenwände  legen 
sich  dann  langsam  nach  aussen;  man  lässt  ihre  Ränder  anfangs  absichtlich  so  viel  höher, 
dass  sie  nach  der  Auslegung  mit  dem  Vor-  und  Hintersteven  ungefähr  in  eine  Ebene  zu 
liegen  kommen.  An  noch  nicht  genügend  ausgebogenen  Stellen  wird  das  Feuer  etwas  länger 
unterhalten,  doch  beeilt  man  sich  gleichzeitig,  die  im  voraus  fertig  gearbeiteten  Ruderbänke 
auf  die    innen  zu   beiden  Bootsseiten   stehengelassenen   Spanten  festzubinden.   Dieses  ge- 


—  117  — 

schiebt  mittelst  Rotan,  den  man  durch  die  in  die  Bretter  und  Spanten  gebohrten  Löcher 
zieht  und  dann  festknüpft.  Auf  diese  Weise  wird  bei  der  Abkühlung  eine  nachträgliche 
Einwârtskrûmmung  verhindert,  die  bei  einigen  Holzarten  leicht  vorkommt. 

Die  Bootsränder  werden,  um  ein  Eindringen  des  Wassers  zu  verhüten,  durch  Bretter 
t-rhöht.  Diese  Schanzkleidung  wird  auf  die  gleiche  Weise  wie  die  Ruderbänke  mit  Rotan 
an  die  Ränder  befestigt.  Ein  Verkleben  der  Löcher  mit  dum  pul  (Harzpulver,  Pflanzen- 
fasern und  Petroleum)  ist  mehr  bei  den  Malaien  als  bei  den  Bahau  üblich.  Für  Fahrten 
auf  stillen  Flüssen  werden  die  Ränder  nur  mit  einer  Reihe  von  Brettern  erhöht;  für  Quell- 
flüsse  dagegen  mit  ihren  Stromschnellen  und  Wasserfallen  mit  2—3  Reihen.  Mit  derartig 
verstärkten  Böten  wagen  die  Dajak  denn  auch  mit  voller  Ladung  grosse  Stromschnellen 
hinabzufahren." 

Wie  oben  bereits  erwähnt,  haben  die  Bahau-Dajak  auch  begriffen,  welchen  Nutzen  Aus- 
leger in  den  stark  bewegten  Grewässem  für  ihre  schmalen  Fahrzeuge  haben  können  ;  zwischen 
den  Felsen  ist  eine  grössere  Breite  nicht  zweckmässig  und  so  bestehen  die  Ausleger  der  Bahau- 
böte  nur  aus  zwei  Stammen,  die  an  beiden  Seiten  gegen  die  Bootwände  gebunden  sind. 

Auch  die  Industrie  dieser  Dajakstämme  zeigt,  dass  sie  mechanische  Hilfsmittel  anzu- 
wenden verstehen;  es  würde  zu  weit  führen,  diese  hier  alle  zu  erwähnen.  Am  lebhaftesten 
beweist  die  Herstellung  der  Blasrohre,  wie  gut  diese  Dajak  sich  mechanischer  Hilfsmittel 
zu  bedienen  verstehen,  wenn  es  darauf  ankommt,  etwas  besonders  schwieriges  zu  leisten. 
Ich  entnehme  die  Beschreibung  dem  Buche  von  Dr.  C.  Hose  „Pagan  Tribes"  Tl.  I,  S.  215. 

„The  blow-pipe  or  sumpitan  is  perhaps  the  finest  product  of  native  Bornean  craflman- 
ship.   It  is   made  by   Kajans,  Kenijahs  and  Punans,  and  rarely  by  Ibans  and  Klemantans. 

The  best  sumpitans  are  made  from  the  hard  straight-grained  wood  of  the  jagang-tree. 
Having  chosen  and  felled  the  tree,  often  one  of  large  size,  the  craftsman  splits  from  it 
long  pieces  about  eight  feet  in  length.  Such  a  piece  is  shaved  with  the  adze  until  it  is 
roughly  cylindrical  and  three  to  four  inches  in  diameter.  The  piece  may  be  carried  home 
to  be  worked  at  leisure,  or  the  boring  may  be  done  upon  the  spot.  A  platform  is  erected 
about  seven  feet  above  the  ground;  and  the  prepared  rod  is  fixed  vertically  with  the  upper 
end  projecting  through  the  platform,  its  lower  end  resting  on  the  ground.  Its  upper  end  is 
lashed  to  the  platform,  its  lower  end  to  a  pair  of  stout  poles  lashed  horizontally  to  trees 
and  its  middle  to  another  pair  of  poles  similarly  fixed. 

The  next  operation,  the  boring  of  the  wood,  is  accomplished  by  the  aid  of  a  straight 
rod  of  iron  about  nine  feet  long,  of  slightly  smaller  diameter  than  the  bore  desired  for 
the  pipe  and  having  one  end  chisel-shaped  and  sharpened.  One  man  standing  on  the  plat- 
form holds  the  iron  rod  vertically  above  the  end  of  the  wood  and  brings  its  sharp  chisel 
edge  down  upon  the  centre  of  the  flat  surface.  Lifting  the  rod  with  both  hands  ho  repeats 
the  blow  again  and  again,  slightly  turning  the  rod  at  each  blow.  Ho  is  aided  in  keeping 
the  rod  truly  vertical  by  two  or  three  forked  sticks  fixed  horizontally  at  different  levels 
above  the  platform  in  such  a  way  that  the  vertical  rod  slides  up  and  down  in  the  forks, 
which  serve  thus  as  guides.  The  rod  soon  bites  its  way  into  the  wood.  An  assistant, 
squatting  on  the  platform  with  a  bark-bucket  of  water  beside  him,  ladles  water  into 
the  hole  after  every  two  or  three  strokes  and  thus  causes  the  chips  to  float  out. 
This  operation  steadily  pursued  for  about  six  hours  completes  the  boring.  In  boring  the 
lower  part,  the  craftsman  aims  at  producing  a  slight  curvature  of  the  tube  by  very 
slightly   bending  the  pole  and  lashing  it  in  the  bent  position;  the  pole  on  being  released 


118  — 


Fig.  i  (Seite  122). 


—  119  — 

then  straightens  itself,  and  at  the  same  time  produces  the  desired  slight  curvature  of  the 
bore.  This  curvature  is  necessary  in  order  to  allow  for  the  bending  of  the  blow-pipe,  when 
in  use,  by  the  weight  of  the  spearhead,  which  is  lashed  on  bayonet-fashion.  If  the  desired 
degree  of  curvature  is  not  produced  in  this  way,  the  wooden  pipe,  still  in  the  rough  state 
as  regards  its  outer  surface,  is  suspended  horizontally  on  loops  and  weights  are  hung  upon 
the  muzzle  end  until,  on  sighting  through  the  bore,  only  a  half  circle  of  daylight  is  visible- 
tliis  being  the  degree  of  curvature  of  the  bore  desired.  The  wood  is  then  heated  with 
torches  and  on  cooling  retains  the  curvature  thus  impressed  on  it. 

It  only  remains  to  whittle  down  the  rough  surface  to  a  smooth  cylinder,  slightly 
tapering  towards  the  muzzle,  to  polish  the  pipe  inside  and  out,  to  lash  on  the  spear-blade 
to  the  muzzle  end  with  strips  of  rattan  and  to  attach  a  small  wooden  sight  to  the  muzzle 
end  opposite  the  spear-blade.  The  polishing  of  the  bore  is  effected  by  working  to  and  fro 
within  it  a  long  piece  of  closely  fitting  rattan  ;  that  of  the  outer  surface  by  rubbing  it 
first  with  the  skin  of  a  stingray  (which,  although  a  marine  fish,  sometimes  ascends  to  the 
upper  reaches  of  the  river)  and  afterwards  with  the  leaf  (emplas)  which  is  the  local  sub- 
stitute for  emer>'  paper". 

Welch  eine  vorzügliche  Arbeit  so  geleistet  wird,  haben  wir  oben  S.  63  gesehen. 
O.  Beccari  beschreibt  auf  S.  332  seines  Werkes  eine  ahnliche  Arbeitsweise  von  unten  nach 
oben  und  bildet  diese  auch  ab.  In  Quer  durch  Borneo  I  S.  143  habe  ich  selbst  meine  Erfah- 
rungen niedergeschrieben,  wobei  von  horizontaler  Lage  des  Eisonholzzylinders  und  des 
durch  gekreuzte  Bambus  gestützten  Meisseis  die  Rede  ist.  Aus  diesem  allen  ist  es  klar, 
dasB  diese  anspruchsvolle  Arbeit  von  den  Dajak  nach  mehreren  Methoden  ausgeführt  wird 
und  diese  also  mit  Hilfe  ihres  mechanischen  Donkons  dies  Ziel  unter  vorschiodonen  Um- 
ständen zu  erreichen  wissen. 

Ich  hatte  die  Absicht,  im  VorhergelH?nden  zu  untersuchen,  in  wie  fem  die  Praxis  des 
Lebens  dieser  primitiven  Malaien  uns  Erscheinungen  des  mechanischen  Denkens  liefert, 
dieses  Denkens,  das  unter  jetzt  höher  zivilisierten  Völkern  zur  Entstehung  der  theoreti- 
schen Mechanika  geführt  hat.  Wie  spat  erst  wichtige  Prinzipien  unserer  jetzigen  Mechanika 
festgestellt  wurden,  haben  wir  in  der  Geschichte  des  Träghoitsprinzipes  oben  gesehen.  Bei 
dieser  Untersuchung  zeigte  es  sich,  wie  vielseitig  sich  praktische  mechanische  Massregoln 
unter  den  Dajakstämmen  entwickelt  haben,  und  da  zur  Ausbildung  höherer  Formen  der 
Mechanik  daneben  keine  andere,  als  die  auch  den  Dajak  eigene  kausale  Donkart  nötig  ist, 
können  wir  schliessen,  dass  die  Verstandesanlage  dieser  noch  primitiven  Malaien 
sich  der  Ausbildung  der  Mechanik  nicht  widersetzen  würde. 

Man  würde  sich  von  den  Fähigkeiten,  die  die  Malaien  auf  dem  Gebiet  der  praktischen 
Mechanik  entwickeln  können,  eine  ganz  falsche  Vorstellung  machen,  wenn  ich  als  Beispiele 
ihrer  Leistungen  nur  die  der  niedrigst  entwickelten  Stämme,  wie  der  Dajak,  anführen 
würdo.  Zwar  haben  die  hochentwickelten  Malaien  die  Elemente  ihrer  Kultur  den  Fremden 
zu  danken,  die  seit  zwei  Tausend  Jahren  im  Archipel  verkehren,  aber  diese  Elemente 
haben  sie  zum  Teil  zu  eigenen  Formen  ausgebildet.  In  ihren  hochstehenden  Zusammen- 
lebungen können  also  auch  Beweise  für  ihre  Entwicklung  in  dieser  Hinsicht  aufgefunden 
wenlen.  Die  Zßntra  der  früheren  und  heutigen  Hindukultur  mit  ihren  oft  wunderbaren  archi- 
tektonischen und  anderen  Leistungen  eignen  sich  für  eine  solche  Untersuchung  ganz 
besonders. 


—  120 


Fig.  2. 


—   121 


Die  Ruinen  der  Hindutempel  auf  Java,  die  vom  achten  Jahrhundert  an  bis  jetzt  erhalten 
geblieben  sind,  legen  bereits  Zeugnis  davon  ab,  dass  die  damalige  Kultur,  wenn  sie  sich 


^jr  ^/r. 


•>  Cy  ^/rX/^^ 


i~B-t 


Fig.  3. 


auch   ihrem  vorderindischen  F*rototyp  anschloss,  ein  eigentümliches,  selbständiges  Gepräge 

trug.   In  den  mitteljavanischen   Reichen  vom    achten   bis  elften  Jahrhundert   trat  dieses 

weniger  scharf  als  in  den  ostjavanischen  vom  zwölften  bis  zum  sechzehnten  Jahrhundert 

I.  A.  f.  E.  Bd.  XXII.  16 


—  122  — 

hervor.  Die  in  den  Residentschaften  Pasuruan  und  Kediri  vorkommenden  Gebäude   und 
Skulpturen  dieser  Periode  besitzen  nachweisbar  einen  starken  javanischen  Zug. 

Unglücklicherweise  wissen  wir  von  dieser  Hochkultur  des  javanischen  Volkes  fast  nur 
das,  was  diese  und  einzelne  andere  Überbleibsel  uns  lehren.  Ich  werde  mich  deshalb  auf 
die  Erwähnung  dieser  damaligen  mechanischen  Leistungen  beschränken  müssen.  Diese 
können  aber  gleichzeitig  zur  Beurteilung  eines  Sprösslings,  den  wir  in  der  Jetztzeit  noch 
würdigen  können,  nämlich  der  Zivilisation  der  Balier,  dienen. 

Die  Kultur  der  Balier  nimmt  im  Indischen  Archipel  eine  ganz  besondere  Stellung  ein; 
sie  zeigt  verschiedene  Züge,  denen  man  sonst  nicht  oder  in  viel  beschränkterem  Masse 
begegnet.  Erstens  besitzen  diese  Insulaner  noch  die.  hinduistischen  Religionen,  ferner  ist 
in  ihrer  hochstehenden  Kultur  der  einheimische  Ackerbau  besonders  entwickelt  und  schliess- 
üch  bilden  die  Balier  zu  diesem  und  anderen  Zwecken  vielfach  Vereine,  die  eine  wichtige 
Rolle  in  ihrer  Zusammenlebung  spielen.  Durch  dieses  Vereinsleben  entstehen  wohlhabende 
Gesellschaften,  die  im  Stande  sind,  gemeinschaftlich  wichtige  Bauten  und  Anlagen  zu  unter- 
nehmen. Gerade  an  diesen  wird  sich  zeigen  lassen,  was  die  Balier  auf  diesem  Gebiet  zu 
leisten  vermögen. 

Auch  bei  diesen  Eingeborenen  durchdringt  der  Gottesdienst  alle  Äusserungen  des 
menschlichen  Daseins  und  weitaus  die  meisten  Vereine  betrachten  den  Bau  eines  Tempels, 
in  dem  sie  ihre  Gottheiten  um  Arbeitssegen  anflehen  können,  als  eine  ihrer  ersten  Pflichten. 
Der  Tempelbau  hat  deshalb  auf  Bali  einen  ganz  besonderen  Aufschwung  genommen  :  die 
Pforten  dieser  Tempel  legen  ein  hübsches  Zeugnis  für  die  architektonischen  Fähigkeiten 
der  Balier  ab. 

Man  kennt  zwei  Arten  Tempeltore,  das  gespaltene  und  das  pyramidalische,  das  sich 
auch  wohl  zu  einem  Giebel  mit  mehreren  Eingängen  verbreitert.  Für  den  Bau  werden 
sowohl  künstliche  als  natürliche  Steine  verwendet,  wie  es  auch  früher  auf  Java  geschah. 
Von  beiden  Torarten  werden  Beispiele  hier  angeführt,  die  dem  Werke  des  Herrn  W.  0.  J. 
Nieuwenkamp:  Bali  und  Lombok,  entlehnt  sind. 

Erstens  das  kleine  gespaltene  Tor,  Fig.  1  (s.  S.  118),  das  im  Dorf  Bubunan  als  Eingang  zu 
einem  Tempel,  einer  heiligen  Badestelle  für  die  Reisgöttin,  diente.  Auch  die  Hinterseite  dieses 
aus  sechs  Säulen  bestehenden  Gebäudes  ist  ähnlich  verziert,  nur  ohne  Löwen  und  Masken. 

Zweitens  das  Eingangstor  des  Haustempels  im  Palast  zu  Keriman  (Fig.  2  s.  S.  120), 
Süd-Bali.  Dieses  Heiligtum  (Fig.  3,  s.  S.  121),  von  einem  Graben  ganz  umgeben,  bestand 
aus  vier  künstlichen  Inseln,  die  durch  fünf  schmale  steinerne  Brücken  mit  einander  und 
mit  dem  übrigen  Palast  verbunden  waren.  Die  sehr  zieriiche  Pforte  1,  deren  Oberteil  ganz 
mit  Ornamenten  bedeckt  war,  bildete  den  Zugang  zu  der  ersten  Insel,  die,  wie  die  anderen, 
von  einer  schön  gearbeiteten  Mauer  umgeben  war. 

Auf  den  Ecken  dieser  Mauern  standen  grosse,  runde,  steinerne  Kübel  mit  Wasser, 
worin  Wasserpflanzen  trieben.  Auf  diesem  ersten  Platz  standen  nur  zwei  offene  Gebäude 
3  und  4,  während  auf  der  mittleren  Insel  ein  einziges,  aber  grösseres  gebaut  war.  Den 
wichtigsten  Teil  dieses  Haustempels  bildeten  die  zwei  hinteren  Insel.  Auf  der  linken 
standen  zwei  paruman,  12  und  13,  das  sind  Zelte,  um  Opfer  niederzulegen  und  weiter 
ein  besonders  hohes  und  schweres  meru  14,  das  in  Figur  4  abgebildet  ist.  Auf  dem  stei- 
nernen Sockel  des  Unterteiles  standen  an  beiden  Seiten  der  Tür,  die  zum  leeren  Innern 
des  meru  führte,  vier  steinerne  Statuen,  alle  von  derselben  Grösse  und  im  selben  Stil; 
diese  Statuen  waren  alle  Vorstellungen  des  Gottes  Siwa,  aber  in  acht  von  den  sehr  vielen 


—  123 


Fig.  4. 


—  124  — 

Formen,  die  man  von  ihm  auf  Bali  kennt.  Von  links  nach  rechts  stellten  sie  vor:  Iswara, 
Maheswara,  Brahma,  Mahadewa,  Rudra,  Sangkara,  Wisnu  und  Sambu.  Das  hohe  meru, 
Berg  des  Siwa,  besass  elf  Dächer  von  arèn-Fasern,  auf  hölzernen  Balken  ruhend. 

Auf  der  anderen  Insel  befanden  sich  mehrere  kleine  Gebäuden,  unter  diesen  ein  be- 
sonders hoher,  schlanker,  steinerner  tjandi  (Tempel)  23  und  zwei  Zelte  17  und  18,  wie 
auf  der  ersten  Insel. 


ta.<I.W£l.l3g<.,.W.gj^~^A.T9gf<rT|i,l1P»l- 


Fig.  5. 


bckA 


An  diesen  Bauten  ist  ersichtlich,  dass  Bauart  und  Verzierung  von  den  hinduistischen 
herstammen,  sich  aber  dennoch  jetzt  in  der  eigenartig  balischen  Richtung  entwickelt  haben. 

Die  hohe  Pforte  des  Batur-Tempels  (Fig.  5)  beweist,  zu  welchen  grossen  schönen  Ge- 
bäuden die  balischen  Baumeister  diese  Tore  ausgearbeitet  haben.  In  diesem  Tempel,  in  dem 
die  Hauptgottheiten  dieses  zweithöchsten  Vulkanes  der  Insel  verehrt  werden,  kommen 
die  meru  mit  vielen  Dächern  zahlreich  vor,  wie  aus  der  Figur  erhellt. 

Wie   diese   Baumeister  ihre  Werke  zusammenstellen,   ist  aus  Fig.  6  ersichtlich.  Die 


—  125  — 

Mauern  und  Umrisse  der  Figuren  werden  aus  behauenen,  natüriichen  und  künstlichen 
Steinblöcken  aufgebaut  und  die  Formen  nachher  durch  Bildhauer  genau  ausgearbeitet. 
Der  untere  Teil  ist  ganz  aus  Naturstein  verfertigt.  Es  handelt  sich  hier  um  die  Pforte  eines 


Haustempels  des  Dorfes  Sawan  in  Nord-Bali.  Wie  stets  steigt  manjauf  einer  hohen  Treppe  bis 
zum  Eingang  hinauf;  an  der  anderen  Seite  führt  eine  ähnliche  Treppe  zum  Tempelraum  hinab. 
Auf  dem  Holzschnitt  ist  das  Hilfgerüst  aus  Bambu  angegeben  worden  und  am  Boden 
Steine  [mit  Geräten  zum  Tragen  derselben. 


—  126  — 

Welche  höchst  eigentümlichen  architektonischen  Verzierungen  auf  diese  Weise  'ange- 
bracht werden  können,  zeigen  die  monumentalen  Elefanten  am  Eingang  eines  Tempels, 
die  in  Fig.  7,  "  abgebildet  sind.  Auch  diese  sind  aus  grossen  Steinblöcken  zusammen- 
gestellt und  nachher  mittelst  Bildhauerarbeit  umgeformt  worden.  Die  stylisiert«n,  be- 
waffneten, grotesken  Figuren  sind  Riesengestalten,  die  als  Wächter  an  den  Toren  der 
Tempel  hingestellt  werden,  um  die  bösen  Geister  zu  verscheuchen.  Die  zwei  Frauen- 
gestalten tragen  Opfergaben  in  den  Tempel. 


Fig.  7. 


Neben  den  Tempeln  erscheinen  die  Wohnungen  der  Balier  als  unansehnliche  Gebäude; 
auch  die  Paläste  der  Fürsten  zeigen  sich  mehr  durch  grosse  Anhäufung  zahlreicher  Häuser 
als  durch  die  Schönheit  dieser  Häuser  selbst  und  ihrer  Umgebung  aus.  Eine  Ausnahme 
bilden  die  fürstlichen  Lustschlösser,  die  im  allgemeinen  aus  monumental  mit  Mauern  ein- 
gefassten  Weihern,  Wasserwerken  und  Terrassen  bestehen,  auf  welchen  Tempel,  Häuser 
und  Gärten  angelegt  werden.  Aus  Narmada,  einem  solchen  Lustort  des  früheren  balischen 
Fürsten  von  Lombok,  stammt  die  Zeichnung  Fig.  8.  Sie  stellt  eine  Ecke  des  ausgegra- 
benen Weihers  und  dessen  durch  Mauern  befestigte  Ufern  vor;  eine  Reihe  von  Men- 
schen  betreibt  in   ihm   den   Fischfang   und   einige   Fische   versuchen   durch   Luftsprünge 


—  127  - 

zu  entwischen.  Im  Hintergrund  erhebt  sich  ein  Tempel  auf  künstlichen  Terrassen,  während 
links  Statuen  die  Ufermauem  des  Weihers  schmücken. 

Der  Kunstsinn  und  Geschmack  der  Balier  für  hübsche  Architektur  äussert  sich  femer 
noch  im  Bau  reich  verzierter  Badeplätze  und  Brunnen.  Bei  letzteren  spritzt  oft  das 
Wasser  das  aus  der  Bt^rgwand  hervor  und  findet  in  Röhren  geleitet,  sowohl  als  Trink- 
wasser als  zum   Baden    Verwendung.  Ein  gutes  Beispiel   ist   der   in    Fig.    9   abgebildete 


l-ig.  8. 


Badeort  Sawan  in  Nord-Bali.  Zwei  schmale  Pforten  führen  in  zwei  oben  offene  „Bade- 
zimmer"; in  jedem  von  diesen  ummauerten  Räumen  ergiessen  sich  drei  klare  Wasser- 
strOme  aus  steinemen  Röhren,  die  auf  Manneshöhe  angebracht  sind.  Das  Wasser  ist  auch 
durch  die  Mauer  geleitet  worden;  an  mehreren  Stellen,  wo  Löwen,  Schlangen  und  Vögel 
im  Sandstein  ausgebauen  sind,  plätschert  das  Wasser  aus  deren  Mäulem  in  grossen  Mengen 
hervor.  Links  führt  ein  steiler  Pfad  noch  zu  höher  gelegenen  Plätzen  und  Weihern  mit 
vielen    plätschernden    Wasserfällen    und    zu   einem    noch    höher    gelegenen    Tempel.    Bei 


—  128  — 

diesem  erheben  sich  solche  riesenhafte  Bäume  mit  sehr  breiten,  weit  ausgewachsenen 
Kronen,  dass  die  ganze  Umgebung  von  Tempel  und  Badeort  im  Schatten  hegt,  selbst 
wenn  die  Sonne  am  heftigsten  brennt. 

Neben  dem  Gottesdienst  vergegenwärtigt  der  Ackerbau  die  höchsten  Interessen  der. 
Baher;  darum  haben  sie  ihre  geistigen  Fähigkeiten  vor  allem  auch  zu  dessen  Verbes- 
serung angewendet.   Der  Reisbau  auf  bewässerten  Feldern  bietet  uns  als  wichtigsten  Bau 


FiR.  9, 


eine  gute   Einsicht  in   diese   Verhältnisse,  da  er  bei  den  Malaien  dieser   Insel   wohl   die 
höchste  Entwicklung  erreicht  hat. 

Die  vielen  Eigentümlichkeiten  des  indischen  Reisbaus  werde  ich  hier  nicht  erwähnen, 
sondern  als  bekannt  voraussetzen.  Zum  besseren  Verständnis  der  wichtigen  Besonderheiten 
auf  Bali,  diene  jedoch  ein  Wort  über  die  Bewässerungsgenossenschaflen  (subak).  Diese  werden 
ausschhesshch  mit  Rücksicht  auf  die  Irrigation  neu  anzulegender  Reisfelder  durch  die 
Interessierten  gegründet,  auch  wenn  sie  in  verschiedenen  Dörfern  wohnen.  Diese  Vereine 
besitzen  einen  eignen  Vorstand,  eigne  Gesetze  und  die  in  der  balischen  Zusammenlebung 


t. 


V' 


% 


t      k      r    V     OA     vvf tfl 


—  130  — 

noch  bestehende  hinduistische  Kasteneinteilung  des  Volkes  hört  praktisch  unter  den  Mitr 
gliedern  des  subak  auf,  da  selbst  die  Brahmanen  sich  wie  die  anderen  am  Reisbau  und 
den  daraus  hervorgehenden  Verpflichtungen  tatsächlich  beteiligen.  Die  Unabhängigkeit  dieser 
Vereine  von  den  Dörfern  ist  also  ziemlich  gross  und  gelingt  ihnen  die  Anlage,  so  ver- 
fügen sie  aus  den  Steuern  der  Mitglieder  über  ansehnUche  Mittel.  Diese  Arbeitsgemein- 
schaft der  balischen  Bevölkerung  hat  denn  auch  wohl  sehr  viel  zu  der  hohen  Entwicklung 
ihres  Reisbaus  beigetragen. 

Zur  richtigen  Beurteilung  dieser  Bewässerungsanlagen  als  Äusserung  ihres  mechani- 
schen Könnens  muss  man  sich  von  vorn  herein  vergegenwärtigen,  dass  wenn  auch  die 
Hindu-Javaner  ihre  Kultur  nach  Bali  gebracht  haben,  diese  Insel  bereits  seit  vielen  Jahrhun- 
derten fremdem  Einfluss  entzogen  ist  und  die  ihren  Verhältnissen  angepassten  Anlagen 
die  sie  ausführen  als  ihr  eigenes  geistiges  Können  aufgefasst  werden  müssen. 

Die  Bewässerungsanlagen  der  Bauer  im  Hochlande  erregen  unsere  Bewunderung  um 
so  mehr,  wenn  wir  ihre  relativ  primitiven  Hilfsmittel  in  Betracht  ziehen.  Um  welches  Gelände 
es  sich  hier  oft  handelt,  ersieht  man  aus  Fig.  10  s.  S.  129,  die  uns  rechts  emen  mit  Reis- 
feldterrassen bedecktan  Bergabhang,  links  daneben  einen  tiefeingeschnittenen  Fluss,  dem  oft 
in  seinen  höheren  Abschnitten  das  Irrigationswasser  entzogen  werden  muss,  erkennen  lässt. 
Vergegenwärtigt  man  sich,  dass  die  Unternehmer  bei  der  ursprünglichen  Anlage  nur  solche 
mit  Urwald  bedeckte  Gebirgswände  vor  sich  haben,  auf  welchen  dieser  Wald  gerodet, 
der  Boden  in  berieselbare  Terrassen  umgearbeitet  und  schUesslich  alles  mit  den  zufüh- 
renden Wasserleitungen  in  Verband  gebracht  werden  çnuss,  so  sind  diese  Werke  doch 
sicherlich  als  hochstehende  Leistungen  von  Bedeutung.  Um  eine  ausführlichere  Beschreibung 
solcher  balischer  Reisfelder  im  Gebirge  zu  umgehen,  habe  ich  Fig.  11  aufnehmen  lassen, 
die  uns  steile,  in  Reisfelder  verwandelte  Abhänge  vorführt  und  daneben  einen  Blick  auf 
das  Flachland  und  das  Meer  im  Hintergrund  gewährt.  Welch  eine  ansehnliche  Hände- 
und  Geistesarbeit  die  Anlage  und  der  Unterhalt  solcher  Felder  beanspruchen,  .  braucht 
nicht  weiter  erörtert  zu  werden.  Von  den  Schwierigkeiten,  mit  denen  die  Balier  bei  der 
Anlage  ihrer  Bewässerungskanäle  zu  kämpfen  haben,  legt  folgende  Skizze  Herrn  Nieuwen- 
karap's  beredtes  Zeugnis  ab.  Gleichzeitig  lernen  wir  die  Art  und  Besonderheiten  einer 
solchen  Anlage  kennen.  Zur  Erläuterung  diene  Fig.  12,  der  Plan  des  Werices  und  Fig.  13, 
die  Zeichnung  eines  Unterteiles. 

„Bei  Ohogan  in  der  Nachbarschaft  von  den  Pasar  (Süd-Bali)  sah  ich  eine  grosse  Anlage 
zur  Stauung  des  Flusses  tukad  Ajung.  Um  einen  Reisfelderkomplex  westlich  dieses  Flusses, 
der  von  Nord  nach  Süd  strömt,  bewässern  zu  können,  war  man  genötigt  gewesen,  das 
Flusswassei-  einige  Meter  höher  zu  stauen,  um  einen  Teil  desselben  in  einen  Tunnel  ablei- 
ten zu  können.  Als  dieser  Tunnel  gegraben  war,  musste  also  ein  Damm  oder  ein  Über- 
lassdeich im  Fluss  angelegt  werden,  dessen  Krone  etwas  höher  als  der  Tunnelboden  lag. 
Da  es  nicht  möglich  war,  dieses  in  dem  breiten,  schnell  strömenden  Fluss  selbst  auszufühm, 
grub  man  am  linken  Ufer  einen  Seitenkanal,  der  etwa  hundert  Meter  stromabwärts  wieder 
in  den  Strom  mündete;  in. diesem  zwanzig  Meter  breiten  Kanal  mauerte  man  einen  schweren 
Überiassdamm.  Der  Boden  dieses  Kanals  lag  etwas  niedriger  als  der  Tunnelboden;  die 
Krone  des  Überiassdeiches  etwas  höher.  Sowohl  das  Graben  des  Tunnels  als  des  Kanals 
gelang  leicht,  da  beide  höher  als  der  Fluss  lagen  und  das  Wasser  nicht  belästigte. 
Als  dies  vollendet  war,  wurde  der  Fluss  unterhalb  des  Kanalausflusses  mittelst  eines 
etwa  60  m.   langen  und   40  m.   breiten  Dammes  von    Steinen    und    Lehm    unterbrochen. 


—  132  — 

wodurch  das  Wasser  gestaut  und  gezwungen  wurde,  dem  Kanal  zu  folgen  und  über  den 
Überlassdeich  zu  üiessen.  Die  Oberfläche  war  nun  gerade  so  hoch  geworden,  dass  der 
gewünschte  Teil  des  Wassers  durch  den  Irrigationstunnel  abfloss.  Ein  kleiner  Tempel,  in 
dem  man  den  Göttern  opferte  und  ihren  Segen  auf  das  Werk  herabflehte,  wurde  auf  dem 
grossen  Abschlussdamm  gebaut. 

Während  einiger  Jahre  verlief  Alles  vorzüglich  und  konnte  ein  ausgebreiteter  Reis- 
felderkomplex mit  dem  nötigen  Wasser  versehen  werden.  Man  hatte  aber  versäumt,  den 
Boden  des  Kanals  unmittelbar  unterhalb  des  Überlassdammes  genügend  mit  Cement  oder 
Mauerwerk  gegen  die  Kraft  des  darüberhinfliessenden  Wassers  zu  stützen  oder  hatte 
gemeint,  dass  der  steinerne  Boden  fest  genug  sein  werde. 

Wahrscheinlich  war  auch  die  Neigung  der  Böschung  des  Dammes  zu  steil,  also  nicht 


2:£:<^'^^,.- 


'"^f^yy^.:^.  ...^^,  /.^^j^i  ' 


^ZÖ 


FiR.   VI. 


lang  genug,  was  sonst  die  Kraft  des  Wassers  genügend  gebrochen  hätte.  Der  Strom  hatte 
also  den  Boden  am  Böschungsfuss  tiefer  und  tiefer  ausgehöhlt,  was  die  Stellung  des 
"Dammes  immer  mehr  schwächte;  wohl  hatte  man  noch  versucht,  diesem  Übel  durch 
schwere  Steinvorlagen  zwischen  Kokosstämmen,  deren  Enden  in  Gruben  der  felsigen  Ufer 
lagen,  abzuhelfen  (s.  Fig.  13),  aber  fast  bei  jedem  Hochwasser  wurde  dieser  Hilfsdamra 
vernichtet.  Schliesslich  geschah,  was  man  gefürchtet  hatte;  es  entstand  unter  dem  Damm 
ein  Loch  im  Kanalbo'den,  das  grösser  und  grösser  wurde,  bis  der  ganze  Fluss  unter  statt 
über  den  Damm  floss  und  dieser  wie  eine  Brücke  zwischen  den  Felswänden  hing.  Der  Fluss 
wurde  natürlich  niedriger  und  der  Tunnel  erhielt  keine  Wasserzufuhr  mehr.  Schnell  wurde 
in  den  Fluss  beim  Anfang  des  Kanals  ein  Staudamm  aus  in  den  Boden  getriebenen  Bambu- 
stäben,  Flechtwerk  und  Steinen  gelegt;  dieser  Damm  hielt  während  vier  Monaten  Stand 
und  staute  das  Wasser  noch  soviel,  dass  der  Tunnel,  wenn  auch  nicht  wie  früher,  wieder 


134  — 


Zufuhr  bekam.   Während  eines  sehr  hohen  Wasserstandes  wurde  auch  dieser  Staudamm 
auseinander  getrieben;  der  Rest  ist  auf  Fig.  12  und  13  noch  bemerkbar. 

Auf  der  Zeichnung  von  Fig.  13  sieht  man  links  den  ganz  unterminierten,  wie  eine 
Brücke  zwischen  den  Felswänden  hängenden  Staudamm;  darüber  den  Tempel  auf  dem 
Sperrdamm  und  in  der  Mitte  den  Fluss,  der  sich  mit  donnerndem  Getöse  in  das  tiefe  Loch 
stürzt,  das  der  Strom  mehr  und  mehr  stromaufwärts  ausgehöhlt  hatte.  Rechts  befinden  sich  die 
Überbleibsel  des  Hilfsdammes  und  darüber  am  anderen  Ufer  der  trockengelegte  Tunneleingang. 
An  eine  Wiederherstellung  des  Staudammes  war  nicht  zu  denken.  Es  wurde  also 
beschlossen,  am  rechten  Ufer  einen  neuen  Tunnel  zu  graben,  der  sein  Wasser  viel  höher 
vom  Fluss  ableiten  sollte;  auf  dem  linken  Ufer  wollte  man  dann  ein  neues  Flussbett  mit 
Staudamm  graben  und  nachher  den  Fluss  aufs  Neue  abdämmen. 

Die  Grabarbeit  an  beiden  Ufern  war  bereits  ein  gutes  Stück  gefördert,  als  man  am 
rechten  Ufer  unerwartet  auf  eine  Basaltmasse  stiess,  durch  welche  die  Baher  mit  ihren 
primitiven  Werkzeugen  sich  nicht  hindurch  arbeiten  konnten.  Das  Unternehmen  musste 
also  unterbrochen  werden. 

Die  Balier  riefen  darauf  die  Hilfe  des  in  den  P  a  s  a  r  wohnenden  Assistent-Residenten 
Schwartz  ein;  dieser  besichtigte  die  Werke  und  empfahl,  mittelst  Dynamit  einen  Graben 
durch  den  Felsen  zu  treiben;  da  man  dann  mit  den  Arbeiten  würde  fortfahren  können". 

Hieraus  ersieht  man,  mit  welchen  Schwierigkeiten  die  Ackerbauer  beim  Bewässern 
ihrer  Felder  zu  kämpfen  haben.  Ausserdem  ist  es  klar,  dass  die  mechanische  Entwicklung 
dieser  Leute  vielseitig  sein  muss,  um  solche  Wasserwerke  mit  relativ  primitiven  Mitteln 
ausführen  zu  können. 

Unter  diesen  Hilfsmitteln  fällt  besonders  ein  sehr  einfaches,  aber  praktisches  Nivellie- 

rungsinstrument  auf,  das  in  Fig.  14  abgebildet 
ist.  Die  Wasserleitungen  zur  Berieselung  der  Reis- 
felder, sowohl  die  offenen  Kanäle,  die  biswei- 
len Stunden  gehens  lang  sind,  als  die  Tunnel 
durch  Gebirgsrücken,  oft  von  mehreren  Hundert 
Metern  Länge,  müssen  sanft  ansteigend  angelegt 
werden.  Die  Neigung  muss  an  allen  Stellen 
möglichst  gleich  gross  sein,  um  eine  gleichmässige 
Wasserzufuhr  zu  sichern.  Um  dies  zu  erreichen, 
bedient  sich  der  Balier  jenes  einfachen  und  bil- 
ligen Nivellierungsinstruments,  gëgandjing, 
genannt.  Es  wird  aus  Horn  verfertigt  in  der 
Form  eines  mit  der  Spitze  nach  unten  gekehrten 
Dreiecks.  Die  Seiten,  ungefähr  15  cm.  lang,  rei- 
chen etwas  an  der  Basis  vorbei  und  besitzen 
hier  Öffnungen,  durch  welche  eine  Schnur  läuft, 
die  zum  Aufhängen  des  kleinen  Instruments  dient. 
Eine  dünne  Schnur,  mit  einer  Münze  beschwert 
und  in  der  Mitte  der  Basis  befestigt,  hängt  durch 
eine  Rinne  im  Gipfel  des  Dreiecks.  Die  Schnur  A 
wird  möglichst  straff  über  zwei  Pfähle  gespannt,  die  höchstens  vier  Klafter  von  ein- 
ander stehen  dürfen,  da  die    Schnur  bei  grösserem  Abstand   zu  sehr  einbiegen  und  die 


ig.  14. 


—  135  — 

Genauigkeit  dadurch  leiden  würde.  Ist  das  Instrument  so  aufgehängt,  dass  die  Schnur  mit 
der  Münze  gerade  durch  den  Gipfel  verläuft,  so  liegt  die  Schnur  A  wagerecht;  ist  diese 
Lage  einigermassen  neigend,  so  weicht  der  Faden  mit  der  Münze  nach  rechts  oder  hnks 
ab.  Der  baiische  „Ingenieur"  weiss  aus  Erfahrung,  wie  gross  diese  Abweichung  in  bestimm- 
ten Fallen  sein  muss,  um  die  gewünschte  Neigung  herzustellen. 

Die  Bewässerungsanlagen  der  Balier  werden  öfters  aus  wenig  Wiederstand  leistenden 
Materialien  hergestellt  und  beim  Antang  eines  neuen  Ackerbaujahres  müssen  gewöhnlich 
ausgebreitete  Ausbesserungsarbeiten  vorgenommen  werden.  Sie  sind  aber  klug  genug,  um 
gelegentlich  auch  nach  dem  Muster  der  europäischen  Anlagen  im  bereits  lange  unterwor- 
fenen Westen  der  Insel  einen  Teil  ihrer  Irrigationswerke  in  Mauerwerk  und  Zement  aus- 
zuführen. Ein  solches  baiisches  Werk  stellt  Fig.   15  dar;  es  ist  eine  Anlage  zur  Vertei- 


Kig.  15. 

lung  des  Wa.-^sers  aus  einem  Hauptkanal  in  zwei  Seitenkanälo  und  die  nach  rechts  ver- 
laufende Hauptleitung.  Die  Fähigkeit  der  Balier  zur  selbständigen  praktischen  Ausfüh- 
rung solcher  Werke,  erweist  sich  hiermit  zu  Genüge;  es  erhellt  aber  ausserdem,  dass 
sie,  wenn  sie  die  europäischen  Anlagen  nachahmen,  sich  nicht  mit  den  praktischen,  nüch- 
ternen Formen  ihres  Musters  begnügen,  sondern,  infolge  ihres  inneren  Dranges  nach  Ver- 
zierung, dieses  zu  einem  Kunstwerk  umzubilden  verstehen,  ohne  der  Brauchbarkeit  auch 
nur  den  geringsten  Abbruch  zu  tun,  was  eine  hohe  künstlerische  Anlage  erheischt.  Man 
beachte  nur,  wie  geistreich  die  Wellenlinien  der  beiden  Mauern,  zwischen  welchen  der 
Strom  im  breiten  Kanal  abfliesst,  das  plätschernde  Wasser  und  die  aufschäumenden  und 
sich  Oberschlagenden  Wellen  mit  den  Wirbelströmen  an  den  Enden  nachahmen.  Sogar  aus 
der  mit  Theer  bestrichenen  Strecke  an  der  Unterseite  der  Mauern  haben  sie  noch  etwas 
Nettes  zu  bilden  versucht. 


136  — 

Nachdem  also  unsere  Untersuchung  über  die  Verstandeseigenschaften  der  Malaien 
zu  dem  Ergebnis  geführt  hatte,  dass  ihr  Vorstellungs-  und  Erinnerungsvermögen,  unter 
Berücksichtigung  ihrer  Lebensumstände,  mit  denen  der  weissen  Rasse  vergleichbar  sind, 
haben  wir  sie  zuletzt  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  mathematischen-  und  Naturwissen- 
schaften betrachtet. 

Es  hat  sich  dabei  gezeigt,  dass  diejenigen  menschlichen  Eigenschaften,  die  die  Basis 
zur  Entwicklung  dieser  Wissenschaften  bilden,  auch  den  Malaien  zukommen.  Zum  Nachweis 
derselben  habe  ich  sogar  die  Kulturerscheinungen  unter  den  primitivsten  Malaien,  wie  Dajak 
und  Toradja,  heranziehen  müssen.  Daraus  ergab  sich  aber,  dass  Äusserungen  des  arithme- 
thischen  Denkens  so  wie  die  Fundamental-Prinzipien  der  Geometrie,  der  Naturwissenschaften 
und  der  Mechanik  sich  bei  ihnen  auf  anderen  Kulturgebieten  nachweisen  liessen  und 
ausserdem  die  praktische  Anwendung  dieser  Disziplinen  in  einfachen  Formen  nicht  fehlte. 

Diese  einfachen  Formen  sind  aber  ein  Ausfluss  der  gesellschaftlichen  Vorbedingungen, 
unter  welchen  diese  Malaien  als  Opfer  ihrer  übermächtigen  Umgebung  leben. 

Auf  Grund  aller  dieser  Ergebnisse  fühle  ich  mich  zu  der  Schlussfolgerung  berechtigt, 
dass  die  Verstandesanlage  der  Malaien  in  den  Eigenschaften,  die  bis 
jetzt  in  die  Untersuchung  einbezogen  wurden,  derjenigen  der  weissen 
Rasse  nicht  nachsteht. 

Zur  Vollendung  unserer  Untersuchung  über  die  Verstandesanlage,  gehört  noch  die 
Behandlung  des  logischen  Denkens. 


REVUE  BIBLIOGRAPHIQUE.   —   BIBLIOGRAPHISCHE  ÜBERSICHT. 


Pour  les  abréviations  voir  p.  24,  192  du  Tome  précédent.  Ajouter:  P. U.  =  Anzeiger  der  Finnisch- 
ugrischen  Forschungen. 

M.  J.  Vinson  (R.  A.  XXV  p.  99:  L'écriture,  le  livre, 
les  bibliothèques)  publie  un  cours  de  linguistique. 

Z.  E.  XLVI  publie  des  études  de  M.  Fritz  Wiegkbs 
(p.  829:  Die  Entwicklung  der  diluvialen  Kunst  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Darstellung  des 
Menschen.  Av.  flg.);  et  de  MM.  Erich  M.  vonHobm- 
BosTEL  et  CüKT  Sachs  (p.  553  :  Systematik  der  Musik- 
instrumente), essai  d'une  classification  des  instru- 
ments de  musique. 

M.  le  Dr.  Félix  Regnault  (Bull.  S.  A.  V  p.  143) 
donne  une  contribution  à  l'étude  de  la  frontalité  des 
statues  dans  l'art  primitif. 

M.  R.  Hennig  (D.  g.  B.  XXXVII  p.  45:  Zur  Ophir- 
und  Atlantis-Frage)  reprend  les  différentes  hypothèses 
sur  rOphir  et  l'Atlantide. 

EUROPE. 

M.  Wilhelm  Crahmeb  (Z.  E.  XLVI  p.  785:  Bericht 
über  ethnographische  Arbeiten  in  Lappland)  fait  un 
rapport  sur  des  travaux  ethnographiques  en  Laponie. 

M.  Marcellin  Boule  (A.  XXVI  p.  1  :  La  paléon- 
tologie humaine  en  Angleterre.  Av.  flg.),  à  propos  des 


GÉNÉRALITÉS. 

M.  J.  L.  De  Lanessan  (R.  A.  XXV  p.  179,  231: 
La  morale  du  transformisme)  donne  un  exposé  des 
théories  morales  do  Buffon,  Lamarck  et  Darwin  avec 
des  observations  sur  la  source  des  idées  morales 
résidant  dans  les  besoins  naturels  communs  aux 
animaux  et  aux  hommes,  et  sur  la  constitution  de 
la  famille  et  de  la  société. 

M.  G.  Backmann  (Ymer  1915  p.  163:  Till  känne- 
domen  om  nackhâlets  typologi  hos  miinniskan)  donne 
une  contribution  à  l'étude  de  la  typologie  de  la  nuque 
chez  l'homme. 

M.  Hans  Vibchow  (Z.  E.  XLVI  p.  673  :  Der  Nasen- 
knorpel des  Chimpanse.  Av.  flg.)  publie  des  notes 
comparatives  sur  le  nez  du  singe  et  celui  de  l'homme. 

M.  le  Dr.  Oskae  von  Hovarka  (A.  G.  Wien  XLV 
p.  125:  Leitmotive  und  Elementarmethoden  der 
allgemeinen  Heilkunde)  pose  les  principes  de  la 
médecine  populaire  que  l'auteur  développe  dans  son 
Uvre  Geist  der  Medizin. 


137 


ossements  humains  fossiles,  décrits  comme  homme 
tertiaire  de  Piltdown,  se  prononce  sur  les  silex  taillés, 
dits  ,bec  d'aigle",  et  n'est  pas  d'accord  avec  Sir  Ray 
Ijankester  sur  l'origine  humaine  de  ces  „instruments". 

M.  F.  ScHBADKB  (R.  A.  XXV  p.  212:  Tableau  poli- 
tique de  la  France  de  l'ouest  sous  la  troisième  Eé- 
publique)  fait  l'analyse  du  livre  de  M.  A.  Sieofbibd 
sur  les  rapports  de  la  géologie  et  la  politique. 

R.  A.  XXV  contient  des  contributions  de  M.  R. 
Tarkl  (p.  266:  Les  grands  silex  arqués  de  l'époque 
magdalénéenne.  Av.  flg.);  et  de  M.  Mabckl  Baudoihn 
(p.  150,  199:  Le  squelette  de  la  sépulture  par  in- 
humation, de  l'époque  néolithique,  découvert  au-dessus 
de  l'ossuaire  dans  l'allée  couverte  de  la  Flanche  a 
Puare,  à  l'île  d'Yeu,  Vendée.  Av.  flg.). 

Bull.  S.  A.  V  contient  des  contributions  du  Dr. 
Mabckl  Baudouim  (p.  98  :  L'ossuaire  à  os  décarnisés 
et  brisés  de  l'allée  couverte  de  la  Flanche  à  Fuare. 
Av.  flg.;  p.  159:  Le  Rocher  aux  Pieds  de  Nanteau- 
sur-Essonne,  Seine-et-Marne.  Av.  fig),  rocher  aux 
pieds  sculptés. 

M.  Dominique  Uknrt  (R.  A.  XXV  p.  274)  décrit 
la  représentation  d'un  .mystère"  en  Roussillon  au 
commencement  du  XIX«  siècle. 

M.  H.  ScuocHARDT  (A.  G.  Wien  XLV  p.  109: 
Baakiach-Iberisch  oder  Liguriscb?)  fait  des  remar- 
ques sur  l'origine  des  Basques,  qu'il  croit  plutôt 
Ibères  que  Ligures,  comme  le  soutient  M.  Schulten 
daoa  son  livre  sur  Numantia. 

M.  Maubicb  Piboutbt  (A.  XXVI  p.  69)  fait  quel- 
ques réflexions  sur  la  question  Ligure. 

M.  C.  BBAKDXMBUBa  (Z.  E.  XL VI  p.  640:  Reise- 
notisen  ans  Sardinien.  Av.  fig.)  publie  des  détails 
archéologiques  et  la  description  des  vêtements  in- 
digènes, résultats  de  son  voyage  en  Sardaigne. 

Z.  E.  publie  encore  des  contributions  archéologi- 
ques de  M.  Hugo  Möte>i.\dt  (p.  646:  Die  Diebeshöhle 
bei  Uftrungen,  Kr.  Sangerhausen.  Av.  flg.;  p.  662: 
Aus  thüringisch-sächsischen  Privatsammlungen  ;  vor- 
und  frühgeechichtliche  Altertümer.  Av.  flg.);  M. 
Haus  Vibcuow  (p.  869  :  Der  Unterkiefer  von  Ehrings- 
dorl  Av.  flg.);  M.  A.  Kikkkbuscu  (p.  880:  Das 
vrendische  Dorf  Clössnitz  bei  Cüstrin.  Av.  flg.);  et 
une  notice  de  M.  Eduabd  Hahn  (p.  672:  Zwei 
Erntegerate  aus  Tirol.  Av.  fig.)  sur  des  usages  par- 
tkoUera  dans  un  district  du  Tirol. 

M.  Josef  S/.ombatuy  (A.  G.  Wien  XLV  p.  141: 
Das  Versiegen  einzelner  prähistorischer  Kunstepochen 
und  die  Stellung  der  paläolitbischen  Kunst  Mittel- 
europas. Av.  flg.)  publie  une  étude  sur  l'époque 
paléolithique. 

L  A.  f.  E.  Ed.  XXIII. 


L'anthropologie  des  Bulgares  fait  le  sujet  d'obser- 
vations du  Dr.  Krum  Dbontschilow  (A.  A.  XIV  p.  1  : 
Beiträge  zur  Anthropologie  der  Bulgaren.  Av.pl.  et  flg.). 

M.  Romulus  Vuia  (Z.  E.  XLVI  p.  824  :  Flechterei 
mit  Stäbchen  bei  den  Rumänen.  Av.  fig.)  décrit  une 
industrie  domestique  en  Roumanie. 

M.  Eugène  Fittard  (R.  A.  XXV  p.  139)  publie 
une  étude  anthropométrique  des  Juifs  de  Dobrodja. 
ASIE. 

M.  S.  Baguoni  (Z.  E.  XLVI  p.  591  :  Ein  Beitrag 
zur  Kenntnis  der  natürlichen  Musik  II.  Av.  flg.) 
continue  son  étude  comparée  sur  la  musique  par 
la  description  de  divers  instruments  asiatiques. 

A.  G.  Wien  Sitzb.  (p.  31:  Südarabische  Götter- 
symbole) rendent  compte  d'un  discours  du  Dr.  Adolf 

G  ROHM  ANN. 

M.  le  Dr.  Joeann  Rakowsky  (A.  G.  Wien  XLV 
p.  137:  Ein  Beitrag  zur  Anthropologie  der  Tschere- 
missen)  traite  l'anthropologie  d'un  peuple  sibériaque. 

M.  S.  RouDKNKo  (Bull.  S.  A.  V  p.  123)  donne  les 
résultats  de  mensurations  anthropologiques  sur  les 
peuplades  du  Nord-ouest  de  la  Sibérie. 

M.  Oscar  NoRoqvisT  (Ymer  1915  p.  58:  Under 
Vegaexpeditionen  gjorda  anteckningar  om  fasta 
fornlämningar  vid  Ostsibiriens  ishafskust)  publie  des 
observations  faites  pendant  l'expédition  de  la  Véga 
sur  des  vestiges  de  l'antiquité  sur  la  côte  arctique 
de  la  Sibérie  orientale. 

M.  Otto  Messino  (Z.  E.  XLVI  p.  754:  Confuzia- 
nismus.  Av.  fig.)  publie  une  étude  sur  le  Confucianisme. 

Ind.  Aiit.  XLIV  contient  des  contributions  de  M. 
H.  L.  Shuttlewobth  (p.  19:  Note  on  the  Rock-hewn 
Vaishnava  Temple  at  Masrur  Dera  TahRil,  Kangra 
District,  Panjab.  Av.  pi.);  M.  Vincent  A.  Smith 
(p.  89:  Architecture  and  Sculpture  in  Mysore:  The 
Hoysala  Style.  Av.  pi.);  M.  T.  A.  Gopinatha  Rao 
(p.  127:  Bauddha  Vestiges  in  Kanchipura.  Av.  pi.); 
M.  V.  Rangacuabi  (p.  153:  The  History  of  the  Naik 
Kingdom  of  Madura,  contribution  à  l'étude  du  Hin- 
douisme); Sir  Geoboe  a.  Gbiebson  (p.  159:  The  Fahari 
Language),  notes  sur  les  Gourjaras  du  Panjab;  et 
de  nouvelles  contributions  folkloristiques  de  M.  R.  E. 
Ehthovkn  (Folklore  of  the  Konkan). 

M.  R.  Obband  (Bull.  E.  0.  XIV  n».  7)  consacre 
une  étude  aux  tombeaux  des  Nguyen. 

M.  le  Dr.  H.  ten  Kate  (A.  XXVI  p.  236:  Mélanges 
anthropologiques)  traite  des  Insulindiens. 

M.  Ph.  s.  van  Ronkel  (I,  G.  XXXVH  p.  478: 
Een  talisman  uit  Atjeb)  décrit  un  talisman  atchinois. 

M.  D.  W.  N.  DE  BoER  (T.  B.  B.  XLVIII  p.  184: 
De  Permalimsekten  van  Oeloean  Toba  en  Habinsaran) 

18 


138 


publie  des  communications  sur  une  nouvelle  secte 
religieuse,  curieux  mélange  de  traditions  anciennes 
et  de  christianisme,  qui  s'est  répandue  sur  le  plateau 
de  Toba,  île  de  Sumatra. 

Le  môme  périodique  contient  la  description  de 
cérémonies  de  mariage,  do  M.  W.  J.  Beck  (p.  147: 
Een  Bataksch  huweiyk);  et  des  notes  sur  les  céré- 
monies de  mariage  et  le  droit  de  succession  dans 
le  Minahasa,  Celebes  (p.  28:  Nota  betreffende  Ban- 
tiksche  aangelegenheden,  famille-  en  erfrecht). 
OCÉANIE. 

La  Nouvelle-Guinée  fournit  des  sujets  au  mission- 
naire G.  PiLHOFER  (P.  M.  LXI  p.  21,  63  :  Eine  Durch- 
querung Neuguineas  vom  Waria-  zum  Markhamfluss. 
Av.  pl.);  et  à  M.  Neuhauss  (Z.  E.  XLVI  p.  753:  Die 
Pygmäenfrage  in  Neuguinea),  remarques  critiques 
sur  une  dissertation  du  Prof.  Schlaginhaufen. 
AFRIQUE. 

MM.  L.  Bbrtholon  et  E.  Chantre  (Bull.  S.  A.  V 
p.  150.  Av.  fig.)  publient  les  résultats  de  leurs 
recherches  anthropologiques  dans  la  Berbérie  orien- 
tale (Tripolitaine,  Tunisie,  Algérie). 

M.  P.  Pallary  (A.  XXVI  p.  193)  rend  compte 
de  recherches  préhistoriques  effectuées  au  Maroc. 

M.  le  docteur  L.  Reütter  (R.  A.  XXV  p.  290: 
Les  flèches  empoisonnées)  donne  des  analyses  de 
poisons  des  flèches  du  Sénégal  et  du  pays  des 
Somalis. 

M.  Fe.  de  Zeltner  (R.  A.  XXV  p.  171  :  A  propos 
des  Touareg  du  sud.  Av.  flg.;  A.  XXVI  p.  219: 
Notes  sur  quelques  industries  du  Soudan  français) 
publie  des  observations  faites  au  cours  de  trois  séjours 
en  Afrique  occidentale  française. 

M.  A.  Poupon  (A.  XXVI  p.  87)  pubUe  une  étude 
ethnographique  des  Baya  de  la  circonscription  du 
M'Bimou,  territoire  cédé  à  l'Allemagne  en  Afrique 
équatoriale. 

M.  P.  G.  Mahoudeau  (R.  A.  XXV  p.  165:  Le 
Pongo,  d'après  le  récit  d'André  Battell)  publie  une 
notice  sur  un  marin  anglais  qui  servit  dans  les  rangs 
des  Portugais  vers  la  fin  du  XVIe  siècle,  et  dont 


les  récits,  publiés  par  Purchas,  font  mention  d'an 
grand  singe,  qui  serait  le  Gorille. 

M.  le  docteur  Kabl  Weüle  (P.  M.  LXI  p.  18, 59  : 
Zur  Kartographie  der  Naturvölker.  Av.  cartes  et 
planches)  rend  compte  d'expériments  qu'il  a  faits 
chez  des  indigènes  de  l'Afrique  orientale  quant  à 
leur  aptitude  au  dessin. 

AMÉRIQUE, 

M.  Walter  Krickebebg  (Z.  E.  XLVI  p.  678:  Einige 
Neuerwerbungen  der  nordamerikanischen  Sammlung 
des  Königl.  Museums  für  Völkerkunde.  Av.  fig.)  fait  une 
description  d'armures,  ustensiles  de  ménage,  jeux  etc. 
provenant  de  diverses  tribus  de  l'Amérique  du  Nord. 

A.  G.  Wien  Sitzb.  rendent  compte  d'un  discours 
du  Prof.  P.  Fbrd.  Hestbbmann  (p.  6:  Die  Maya- 
Kultur  Mittelamerikas,  Sprache,  Schrift,  Literatur, 
Kalender  und  Bauwerke). 

Z.  E.  XLVI  (p.  748)  publie  une  lettre  de  M.  Pbeüss 
sur  son  voyage  en  Colombie  avec  des  détails  sur  les 
Indiens  Uitoto. 

M.  Ebland  Nobdenskiöld  (Ymer  1915  p.  169:  Incal- 
lacta,  eine  befestigte  und  von  Inka  Tupac  Yupanqui 
angelegte  Stadt.  Av.  fig.)  décrit  les  ruines  d'une  cité 
des  Incas,  construite  vers  le  milieu  du  XV«  siècle. 

M.  Walter  Knoche  (Z.  E.  XLVI  p.  637:  Einige 
Bemerkungen  über  die  Mapuche.  Av.  flg.)  publie 
des  observations  sur  une  tribu  indienne  de  Chile; 
et  (p.  639  :  Der  heilige  Stein  von  Lonquimay)  donne 
une  notice  sur  un  bloc  de  pierre,  produit  d'une 
éruption  volcanique,  et  sur  l'usage  que  les  Chiléena 
en  font  comme  caisse  d'épargnes. 

Le   major  P.   H.   Fawcktt  (G.   J.   XLV  p.  219: 
Bolivian  Exploration  1912-1914.  Av.  pl.)  donne  des 
détails   sur   les    Guarayos,   habitant   les  forêts   de' 
l'intérieur,  qui  n'avaient  jamais  vu  des  blancs  et 
sont  des  cannibales. 

M.  CüRT  NxmüendajüUnkel  (Z.  E.  XLVI  p.  615: 
Vocabularies  da  Lingua  Gérai  de  Brazil)  publie  des 
vocabulaires  de  diverses  langues  brésiliennes  et 
(p.  626)  des  traditions  des  Indiens  Crengez. 

Zeist,  oct.  1916.  G.  j.  Dozy. 


LIVRES  ET  BROCHURES.  —  BÜCHERTISCH. 


I.  E.  Sapib,  Abnormal  types  of  speech  in 
lîootka  (Canada  Geological  Survey  Memoir  62), 
Ottawa,  Government  Printing  Bureau  1915. 

In  this  paper  is  treated  a  psychologically  very 
important  phenomenon  in  Nootka,  viz.  the  reference 
in  speech,  by  means  of  suffixed  elements,  modifi- 
cation of  Sibilants,  and  insertion  of  certain  consonants 


or  consonant  clusters  in  the  body  of  the  word,  to 
some  physical  characteristic  of  the  person  addressed 
or  spoken  of.  „The  physical  classes  indicated  by 
these  methods  are  children,  unusually  fat  or  heavy 
people,  unusually  short  adults,  those  sufifering  from 
some  defect  of  the  eye,  hunchbacks,  those  that  are 
lame,  left-handed  persons,  and  circumcised  males". 


—  139  — 


The  least  peculiar  of  these  references  is  that  in 
speaking  to  or  about  a  child  the  Nootka  use  to  add 
the  regular  diminutive  suffix  to  verbal  or  other 
formt),  even  though  the  meaning  of  the  word  has 
nothing  diminutive  in  it,  to  express  the  sympathetic 
or  affectionate  relation  of  the  speaker  to  the  child. 
There  are  parallels  to  this  phenomenon  even  in 
European  languages,  as,  for  example,  Dutch  alaapjes 
doen,  or  Russian  cnareHbKB,  for  slaptn,  or  cnatb  In 
my  review  of  Dr.  Frachtenbero's  sketch  of  the 
Coos  language  I  have  drawn  the  attention  of  Ame- 
ricanists to  the  ,mouillement"  of  certain  consonants 
in  Bask  used  when  speaking  to  children,  with  or 
without  endearment.  Instead  of  non  ila  sure  aita 
a  where  is  your  father?"  one  will  say  to  a  child 
n'an'  lïa  :^ure  ai^a  (Itburry,  Grammaire  basque,  p.  7), 
and  in  Vizcaya  a  father  was  heard  to  direct  the 
following  speech  to  his  refi-actory  little  boy:  Marlin 
Anbm,  ii'd'a  ago  <üa  bi£irik?  JU  egit'en  esbadaustak 
makita  batat  io  ta  heraino  eratziko  aul  ta'U'a-kume 
ori  , Martin  Anthony,  are  you  dead  or  alive  ?  If  you 
do  not  speak  to  me,  I  shall  beat  you  with  a  stick, 
and  throw  you  down,  bad  little  brat  that  you  are" 
(de  Azkue,  OramàUca  eiiskara,  p.  20).  The  learned 
Vixcayan  grammarian,  who  cites  this  example  of 
diminutive  speech,  adds  the  remark,  that  he  does 
not  believe  there  is  much  tenderness  in  these  words. 
Still  such  diminutive  speech  originates  in  a  sym- 
pathetic relation  to  the  child,  even  though  it  may 
be  used  by  an  angry  speaker. 

In  talking  to  or  about  fat  or  unusually  big  persons 
another  suffix  is  made  use  of,  It  takes  the  same 
place  in  the  word  as  the  diminutive  suffix,  i.  e.  it 
precedes  the  temporal,  modal  stnd  pronominal  sufSxes. 

When  speaking  of  abnormally  small  adults,  the 
diminutive  suffix  is  used  in  the  same  way  as  when 
qpeaking  to  or  about  children,  but  at  the  same  time 
all  aibUant  consonants,  the  sibilant  of  the  diminutive 
suffix  included,  become  palatalized.  These  diminutive 
forms  with  palatalized  sibilants  are  also  used  of  small 
birds,  „such  as  sparrows  and  wrens". 

Persons  suffering  from  some  defect  of  the  eye, 
except  the  blind,  are  spoken  of  and  spoken  to  in 
diminutive  forms,  in  which  moreover  all  sibilants  are 
converted  Into  the  corresponding  voiceless  lateral 
•tops  or  spirants.  Dr.  Sapib  adds  however  this  re- 
striction, that  these  forms  are  generally  avoided  when 
the  people  they  refer  to  are  present,  particularly 
when  adult,  „unless  with  the  express  purpose  of 
showing  contempt  or  of  teasing".  The  same  forms 
are  used  also  of  the  deer  and  mink,  a  curious  fact 


which  is  the  more  remarkable,  because  —  as  Dr. 
Sapir  states  —  also  in  mythologies  of  other  Ame- 
rican Indian  tribes  deer  are  associated  with  sore  eyes. 

Referring  to  hunchbacks  the  Nootka  use  also 
diminutive  forms,  with  the  additional  trait  that  all  si- 
bilants are  changed  into  peculiar  „thickish"  s-sounds, 
„pronounced  with  the  lower  jaw  held  in  front  of 
the  upper".  ,Here  again  these  distinctive  forms  are 
generally  avoided  when  in  the  presence  of  hump- 
backed people,  for  fear  of  giving  ofifence".  There 
are,  however,  cases  in  which  these  forms  are  used 
in  the  presence  of  the  people  they  refer  to,  even  in 
addressing  them,  without  giving  offence,  cases  where 
,the  notions  of  contempt  and  affection  commingle", 
as  they  often  do  in  the  mind  of  the  uncivilized  and 
uneducated.  Also  in  other  parts  of  the  world  peior- 
ative  forms  will  be  akin  to  diminutives. 

Lame  people  are  referred  to  by  forms  provided 
with  the  unchanged  diminutive  suffix  and  amplified 
by  a  certain,  in  itself  meaningless,  element,  consisting 
of  a  voiceless  lateral  aflfricative  -f-  s(i),  which  is 
inserted  „somewhere  before  the  diminutive  suffix, 
its  exact  position  apparently  depending  on  the  whim 
of  the  speaker". 

Analogous  are  the  forms  referring  to  left-handed 
people,  which  also  are  provided  with  the  normal 
diminutive  suffix,  but  where  the  inserted  element 
is  (S  -f-  a  strangulated-sounding  laryngeal  spirant 
with  ((-timbre.  The  place  of  this,  in  itself  meaning- 
less, element  is  after  the  first  syllable  of  the  word. 
These  left-hand  forms  are  also  used  of  bears,  who 
are  supposed  to  be  left-handed,  a  belief  which  is 
shared  by  a  distant  Siouan  tribe,  the  Winnebago, 
as  Dr.  Sai'iu  informs  us  on  Dr.  Radin's  authority. 

The  forms  used  when  speaking  of  or  to  circum- 
cised males  are  only  characterized  by  the  insertion 
of  S  -|~  ^^^  aspirated  voiceless  dental  explosive  after 
the  first  syllable  of  the  word. 

The  use  ofsimilar  devices  referring  to  some  mental 
quality  of  the  person  addressed  or  spoken  of  is 
pretty  rare.  Still  the  Nootka  use  to  insert  the  con- 
sonant cluster  tsx  after  the  first  syllable  of  the  word, 
when  speaking  of  or  referring  to  greedy  people.  The 
same  forms  are  used  to  refer  to  ravens. 

Cowards  may  be  referred  to  ,by  speaking  in  a 
thin  piping  voice  that  suggests  timidity". 

After  having  stated  the  facts  mentioned  above 
Dr.  Safib  discusses  their  psychological  connections 
with  the  speech  peculiarities  of  certain  mythical 
beings,  the  consonantal  and  vocalic  play  in  song 
texts,  certain  speech  defects  found  among  the  Nootka, 


140  — 


and  the  frequent  imitation  of  speech  peculiarities  of 
those  belonging  to  other  Nootka  tribes.  His  remaries 
are  to  the  point,  and,  to  a  certain  degree,  convincing. 
Still  I  should  like  to  suggest  that  the  use  of  special 
forms  referring  to  people  with  some  physical  or  moral 
defect  may  have  originated  in  a  kind  of  preventive 
homoeopathic  magic.  I  scarcely  believe  that  expres- 
sions as  „satire"  or  „mockery"  are  to  be  recom- 
mended in  regard  to  the  phenomena  under  consider- 
ation, for  though  a  humorous  element  in  them  is 
not  to  be  denied,  their  starting  point  will  probably 
have  lain  in  the  sphere  of  superstitious  apprehen- 
sion. That  nowadays,  now  such  fear  of  magical 
contagion  seems  to  have  disappeared,  reference  to 
physical  defects  is  usually  avoided  when  addressing 
persons  who  are  afflicted  with  them,  is  to  be  accounted 
for,  in  Dr.  Same's  way,  by  fear  of  giving  offence. 

Nearly  all  the  phenomena  described  by  Dr.  Sapir 
in  this  memoir  were  quite  unknown  to  me,  and,  I 
trust,  to  most  students  ot  general  glottology,  before 
he  made  us  acquainted  with  them.  Therefore  we 
owe  him  a  debt  of  gratitude,  even  if  we  should 
occasionally  differ  with  him  in  the  interpretation  of 
his  discoveries.  C.  G.  Uhlenbeck. 

If.  E.  Sapie,  The  Na-Dene  languages,  a  preli- 
minary report  (American  Anthropologist  N.  S. 
Vol.  XVII,  Lancaster  Pa.),  Published  for  the  American 
Anthropological  Association,  1915. 

In  this  preliminary  report  Dr.  Sapir  gives  sound 
proofs  of  a  genetic  relationship  between  Dene,  Haida 
and  Tlingit.  That  Haida  and  Tlingit  are  akin  to 
each  other,  had  already  been  assumed  by  Boas  and 
SwANTON,  and  Boas  had  also  „vaguely  hinted  at 
fundamental  resemblances  in  structure"  between 
Haida-Tlingit  and  Dene.  Dr.  Sapir  will  give  the 
complete  lexical,  phonological,  and  morphological 
evidence  of  his  thesis  in  an  extensive  paper  on  the 
„Na-Dene  languages",  to  be  pubUshed  as  a  memoir 
of  the  Anthropological  Series  of  the  Geological  Survey 
of  Canada,  but  though  in  his  preliminary  report  he 
presents  only  a  small  part  of  his  comparative  ma- 
terials, even  now  there  can  be  no  reasonable  doubt, 
that  Dene,  Haida,  and  Tlingit  are  „indeed  but  di- 
vergent representatives  of  a  common  prototype". 
The  name  „Na-Dene"  has  been  compounded  by  Dr. 
Sapih  from  Tlingit  na  „people"  (=  Haida  na  „to 
dwell,  house"),  and  the  wide-spread  word  for  „person, 
people"  in  the  group  of  dialects  which  have  been 
called,  after  this  term,  the  „Dene  languages"  (also 
called  Athabascan  or  Athapascan  languages). 

There  is  cne  point  of  some  importance  on  which  I 


do  not  agree  with  Dr.  Sapib.  Quite  opposite  to  his 
interpretation  of  the  two  classes  of  pronominal  ele- 
ments in  Na-Dene,  I  think  that,  here  as  in  many  other 
languages,  the  transitive  conjugation  is  passive  in 
its  grammatical  conception,  because  only  in  this 
way  we  may  understand  the  identity  of  the  pronoun 
representing  the  logical  object  of  transitive  verbs 
with  the  pronoun  standing  for  the  subject  of  in- 
transitive verbs.  In  this  respect  Na-Dene  reminds 
us  of  Bask,  and  Chukchee,  and  Dakota.  Cf.  also  my 
remarks  on  the  passive  character  of  the  transitive 
verb  in  American  Indian  languages  in  my  review 
of  Dr.  Frachtenbeeg's  sketch  of  Coos  (Archiv  22, 
269)  and  my  supplementary  note  to  „Some  general 
aspects  of  Blackfoot  morphology"  (Archiv  22, 270  sq.). 

C.  C.  Uhlenbeck. 

III.  L.  Spiee,  Blackfoot  relationship  terms 
(American  Anthropologist  N.  S.  Vol.  XVII,  Lancaster 
Pa.),  Published  for  the  American  Anthropological 
Association,  1915. 

Mr.  Spiee  does  not  know  that  the  Blackfeet  proper, 
the  Bloods,  and  the  Peigans  speak  practically  the 
same  language,  and  that  there  are  no  such  great 
differences  in  speech  between  them  as  his  thoroughly 
unreliable  word-forms  would  make  one  suppose.  He 
thinks  that  in  certain  cases  the  Peigans  have  a  d 
corresponding  to  a  <  of  the  Bloods,  whereas  nobody 
who  ever  heard  the  Peigans  talk  will  ignore  that 
there  are  no  such  things  as  d,  b,  g  in  their  language. 
He  assumes  also  the  existence  of  an  ?'-sound  and 
cites  such  monsters  as  „Blood:  nee-crist'"  without 
suspecting  their  impossibility.  Evidently  he  has  never 
been  out  among  one  of  the  Blackfoot-speaking  tribes, 
nor  has  he  tried  to  get  information  from  people  who 
have  been.  He  might  have  avoided  many  mistakes, 
if  he  had  read  the  paragraphs  on  the  possessive 
noun-forms  in  my  paper  „Flexion  of  substantives 
in  Blackfoot"  (Verh.  der  Kon.  Akad.  van  Weten- 
schappen,  N.  R.,  Deel  XIV,  N".  1),  where  he  would 
have  found  quite  a  few  of  the  words  he  wanted.  And 
I  am  sure  that  the  Bureau  of  American  Ethnology 
would  have  allowed  him  access  to  the  materials 
collected  by  Dr.  Michelson.  I  would  fain  believe 
that  Mr.  Spiee  had  to  tell  us  something  interesting 
about  the  Blackfoot  terms  of  relationship,  and  the 
more  I  regret  that  I  cannot  but  express  my  dis- 
appointment. Such  as  they  are,  his  notes  are  abso- 
lutely valueless.  C.  C.  Uhlenbeck. 

IV.  Abno  Poebel,  Historical  and  Grammatical 
Texts.  (University  of  Pennsylvania.  The  University 
Museum.   Publications   of  the  Babylonian  Section, 


—  141 


Vol.  V),  Philadelphia,  publ.  by  the  University  Mu- 
seum, 1914.  —  4°,  85  autographierte  Tafeln,  40 
Lichtdruck  tafeln . 

Abko  Poebsl,  Historical  Texts,  (id.,  Vol.IV, 
N».  1),  ebd.,  1914.  —  4°,  242  SS. 

Ab»o  Poebel,  Grammatical  Texts,  (id.,  Vol. 
VI,  N».  1),  ebd.   1914.  —  4°,  122  SS. 

Enthielten  die  bisherigen  BTinde  der  neuen  Folge 
dieses  grossen  Inschriftenwerkes  lediglich  Hymnen, 
Oeacbäftsurkunden,  Zauberlexte  (vgl.  meine  Bespre- 
chung in  diesen:  Archiv,  Bd.  XXI S.  124  f.,  Bd.  XXII 
S.  196  ff.):  die  in  den  vorliegenden  Bänden  ver- 
öffentlichten und  bearbeiteten  Keilschrifturkunden 
sind  von  allgemeinerem  Interesse.  Schon  im  Juni 
1913  batte  Dr.  Arno  Pokbel  durch  vorläufige  Mit- 
teilungen im  Museum  Journal  der  pennsylvanischen 
Universität  unsere  Erwartung  aufs  höchste  gespannt. 
Wir  hörten  von  sumerisclien  Texten  mit  Mitteilun- 
gen über  Schöpfung  und  Sintflut,  mit  Lasten  der 
UrkOnige  vor  und  nach  der  Flut:  eine  altbabylo- 
nische Oenesis,  Jahrhunderte  vor  Moses.  Wer  neue 
Sensation  nach  dem  Thema  «Babel  und  Bibel" 
erwartete,  wird  durch  die  nunmehr  vorUegende 
Veröffentlichung  vielleicht  enttäuscht  sein;  durch 
Reichhaltigkeit  des  Inhalts  Obertreffen  die  vorlie- 
genden Bände  aber  noch  unsere  Erwartung.  Dr. 
Pokbil's  Absicht  war,  gleichzeitig  mit  der  Veröffent- 
lichung eine  vollständige  Bearbeitung  und  ausführ- 
liche Besprechung  dieser  Urkunden  vorzulegen.  Der 
Ausbruch  des  Krieges,  der  ihn  in  seinem  deutschen 
Vaterland  überraschte  und  an  der  Rückkehr  nach 
Amerika  verhinderte,  gestattete  nur  eine  teilweise 
AusfQhrung  dieser  Absicht.  Von  den  158  Urkunden 
und  Urkundenfragmenten,  die  in  Vol.  V  in  sorg- 
fältigen Nachzeichnungen  und  zum  Teil  auch  in 
trefflichen  Lichtdrucktafeln  veröffentlicht  sind,  ge- 
hören Nr.  1  — 101  zur  Gruppe  der  historischen,  die 
übrigen  zur  Gruppe  der  grammatischen  Texte.  Was 
zunächst  die  autographischen  Nachzeichnungen  dieses 
Bandes  betrifft,  so  muss  hier  mit  Nachdruck  der- 
selbe Einwand  erhoben  werden  wie  bei  früheren 
Baiiden  am  pennsylvanischen  Inschriften werkes: 
gtrade  wegen  der  ängstlich  genauen  Sorgfalt  der 
Nachbildong  sind  die  Zeichen  meist  zu  klein  und 
zu  fein,  als  dass  vor  allem  schwächeren  Augen 
bequemes  Lesen  möglich  wäre.  Diese  pedantische 
äenaoigkeit,  die  das  Original  doch  nie  voll  ersetzt, 
andrerseita  aber  durch  die  Beifügung  von  Licht- 
drucktafeln überflüssig  gemacht  wird,  sollte  endlich 
den  Bedürfnissen  der  Praxis  weichen.  Wie  Keil- 
echrifttexte  nachgezeichnet  werden  sollen,  können 


uns  die  mustergiltigen  Veröffentlichungen  des  Brit- 
ischen und  die  des  Berliner  Museums  lehren. 

Die  Bearbeitung  der  historisclien  Texte  in  Vol.  IV 
N*.  1  erstreckt  sich  vorläufig  nur  auf  wenige,  doch 
wichtige  Texte.  Umschrieben,  übersetzt  und  aus- 
fuhrlichst erklärt  werden  von  der  Masse  der  in 
Vol.  V  in  Keilschrift  autographierten  Texte  nur  die 
Nummern  1,  2—5,  6  u.  7,  29,  34—39,  Die  Aus- 
führlichkeit der  Erklärung  überschreitet  die  Grenze 
der  Symmetrie.  Der  Aufsatz  „The  Events  of  Ean- 
nadu's  Reign"  in  Vol.  IV,  pp.  159—169  ist  ganz 
unabhängig  von  den  in  Vol.  V  veröffentlichten  In- 
schriften. Wie  lesenswert  an  sich,  gehört  er  nicht 
in  die  vorliegende  Publikation.  Für  die  baldigst 
erwünschte  Fortsetzung  des  Bandes  wäre,  soll  er 
nicht  ins  Unendliche  anschwellen,  Selbstbeschrän- 
kung empfehlenswert.  Doch  müssen  wir  Dr.  Poebel, 
der  an  keinen  der  Bände  persönlich  die  letzte  Hand 
anlegen  konnte,  dankbar  sein  für  das,  was  er  bot, 
und  der  Direktion  des  Museums,  dass  sie  es  schon 
jetzt  bot.  Inzwischen  fand  der  unermüdliche  Dr. 
PoKBEL  in  Deutschland  bereits  die  Gelegenheit,  seine 
Bearbeitung  weiterer  wichtiger  Urkunden  aus  Vol.  V 
in  der  , Orientalistischen  Literaturzeitung"  vorzu- 
legen :  das  grosse  Bruchstück  einer  altbabylonischen 
Abschrift  der  berühmten  Gesetzessammlung  des 
Hammurapi  (=Vol.  V,  nr.  93),  sowie  eine  sume- 
rische Inschrift  von  Hammurapi's  Sohn  SatnsuUuna 
(=Vol.  V,  nr.  101). 

Wir  beschränken  uns  im  Folgenden  zunächst  auf 
die  Besprechung  der  wichtigsten  in  Vol.  IV,  1  bear- 
beiteten Urkunden.  Der  Ausdruck  „Historical 
Texts"  ist  im  weitesten  Sinn  zu  verstehen:  gleich 
der  erste,  der  neue  , Creation  and  Deluge  Text", 
enthält  nicht  Geschichte,  sondern  mythologische  An- 
spielungen in  poetischer  Form.  Von  der  ungefähr 
17.8  X  14.3  cm  grossen  und  in  drei  Kolumnen  eng 
beschriebenen  Tafel  (in  Vol.  V  Plate  LXXXVI  u. 
LXXXVII  sind  Vorder-  und  Rückseite  versehentUch 
verwechselt)  ist  etwa  ein  Drittel  zurückgefunden. 
Die  Bedeutung  dieser  Inschrift  liegt  vor  allem  in 
ihrem  Alter.  Die  bisher  bekannten  semitisch-baby- 
lonischen Texte  über  Schöpfung  und  Sintflut  lagen 
in  Abschriften  aus  der  Bibliothek  AaurbanipaVa  vor, 
also  aus  dem  7.  vorchristlichen  Jahrhundert.  Nur 
ein  kleines  Fragment  aus  Nippur,  das  Hiuprecut  1910 
veröffentlichte,  war  älter.  Hier  haben  wir  endlich, 
gleichfalls  aus  Nippur,  einen  Text  in  der  alten  sume- 
rischen Sprache,  der  schon  aus  palaeographischen 
Gründen  der  Zeit  der  ersten  Dynastie,  also  um  2000, 
zuzuschreiben  ist.  Vom  selben  Ort  und  aus  derselben 


—  142  -- 


Zeit  stammt  das  noch  ausfuhrlichere  Fragment  eines 
sumerischen  Hymnus  an  die  Muttergöttin,  mit  An- 
spielungen auf  das  Paradies,  die  Sintflut  und  viel- 
leicht auf  den  Sündenfall  (?),  das  der  Oxforder 
Assyriologe  Dr.  Stephen  Langdon  in  den  Proceedings 
of  the  Society  of  Biblical  Archaeology  vom  Juni  und 
vom  November  1914  vorläufig  besprach  ').  Sind  schon 
die  Abschriften  so  alt:  für  die  Entstehung  der 
Dichtung  selbst  darf  man  vielleicht  noch  weiter 
zurückgehen.  Die  Blütezeit  der  sumerischen  Kultur 
und  Dichtung  fiel  unter  die  Dynastie  von  TJr,  um 
2400,  —  das  wäre  nach  der  traditionellen  biblischen 
Zeitrechnung  die  Zeit  der  Sintflut  selbst  1  Die  Be- 
deutung dieser  Texte  für  die  biblische  Wissenschaft 
ist  also  auf  den  ersten  Blick  deutlich. 

Der  Inhalt  dagegen  täuscht  zu  hoch  gespannte 
Erwartung.  Von  wörtlichen  Anklängen  an  die  Genesis 
kann  keine  Kede  sein.  Zudem  ist  das  Verständnis 
schwierig.  Der  Grund  liegt  nicht  allein  in  der  Schwie- 
rigkeit der  noch  so  wenig  erforschten  Sprache, 
sondern  auch  in  der  Form  dieser  Dichtung:  der 
Dichter  scheint  den  Inhalt  des  Mythus  als  bekannt 
vorauszusetzen  und  sich  mit  Anspielungen  zu  be- 
gnügen. Auffallend  ist  die  Verwandtschaft  des  Poe- 
BEL'schen  Textes  mit  der  babylonischen  Sintflut- 
erzählung der  11.  Tafel  des  Gilgamesch-Epos.  Auch 
die  Namen  des  Helden  der  Sintflut  scheinen  über- 
einzustimmen (vgl.  Vol.  IV  1,  p.  48f.).  Doch  finden 
sich  charakteristische  Unterschiede.  So  z.  B.  was 
die  Dauer  der  Flut  betrifft.  Nach  Poebel's  Text 
(Kol.  5,  Z.  3  f.)  dauert  der  Wettersturm  sieben  Tage 
und  sieben  Nächte;  nach  Langdon's  Text  erstreckt 
sich  die  Dauer  der  Flut  vom  ersten  Tage  des  ersten 
bis  zum  neunten  Tage  des  neunten  Monats;  nach 
Gilgamesch  XI  Z.  129  f.  beruhigt  sich  der  Südsturm 
am  siebenten  Tage;  nach  Genesis  7,  4.  12  (der 
älteren  Quelle)  regnet  es  vierzig  Tage  und  Nächte, 
während  nach  dem  jüngeren  biblischen  Bericht  die 
Gewässer  hundertundfünfzig  Tage  lang  steigen  (Ge- 
nesis 7,  24  ;  8,  8),  und  sich  die  Dauer  der  Flut  auf 
ein  volles  Sonnenjahr  erstreckt  (Genesis  7, 11  ;  8, 14). 

Nicht  minder  wichtig  sind  die  in  Vol.  V,  Plate 
II— IV  (sowie  XC  und  XCI)  veröffentlichten  und  in 
Vol.  IV  1  ausführlich  besprochenen  Königslisten. 
Kannte  man  vordem  Aufzählungen  babylonischer 
„ürkönige"  nur  aus  griechischen  Quellen,  hier  finden 

')  Inzwischen  voUstäudig  herausgegeben  und  bearbeitet  als 
ein  neuer  Band  des  vorliegenden  Sammelwerkes:  Sumerian 
Epic  of  Paradise,  the  Flood,  and  the  Fall  of  Man. 
By  Stephen  Lanodon.  Philadelphia:  The  University  Museum, 
1915.  (Korrekturzusatz). 


wir  zum  erstenmal  in  Keilschrift  und  sumerischer 
Sprache  Listen  mythologischer  Herrscher  mit  hohen 
Regierungszahlen,  welche  Listen  schliesslich  in  die 
bereits  bekannten  Aufzählungen  der  historischen 
Dynastien  einmünden.  Die  Zahlen  erreichen  nicht 
die  abenteuerliche  Höhe  der  Regierungszahlen  jener 
„UrkOnige"  vor  der  Flut;  sie  halten  sich  vielmehr 
für  die  vorgeschichtliche  Zeit  innerhalb  der  beschei- 
deneren Grenzen  von  1200 — 100  Jahren,  wobei  — 
auch  hierin  den  biblischen  Stammbäumen  in  Genesis 
5  und  1 1  vergleichbar  —  eine  allmähliche  Abnahme 
des  Lebensalters  unverkennbar  ist.  Unter  den  Namen 
befinden  sich  wohlbekannte  aus  der  babylonischen 
Mythologie,  wie:  „Elana,  der  Hirt,  der  gen  Himmel 
fuhr  und  alle  Länder  unterwarf",  mit  635  Jahren 
(Nr,  2,  Kol.  1,  Z.  13  fi'.),  2>MmM3i  (=  Tammuz),  der 
„Jäger",  mit  100  Jahren,  und  dessen  Nachfolger 
(doch  nicht  Sohn)  Gilgamesch,  mit  126  Jahren  (Nr. 
2,  Kol.  2,  Z.  23  ff.).  Dankenswert  ist  Dr.  Poebel's 
Zusammenstellung  des  Materials  aus  allen  bisher 
bekannten  Quellen  in  Vol.  IV  1,  pp.  85—96. 

Sind  die  bisher  besprochenen  Texte  wichtig  für 
unsere  Kenntnis  der  Mythologie,  der  grosse  Text 
Nr.  34  (Vol.  V  Plate  XX  f.,  XGIX  f  ),  den  Dr.  Poebel 
in  Vol.  IV  1  neben  einigen  verwandten  Inschriften 
an  letzter  Stelle  behandelt,  ist  von  Wichtigkeit  für 
die  Geschichte  selbst.  Es  handelt  sich  um  die  Ge- 
schichte einer  grauen  Vorzeit,  nämlich  der  ersten 
Hälfte  des  dritten  vorchristlichen  Jahrtausends.  In 
nicht  weniger  als  28  Kolumnen  enthält  diese  Tafel 
die  Abschrift  von  Weihinsclu-iften  der  Könige  iiar- 
rukin,  Lugalzaggisi,  Kimus  und  Manislusu  aus  dem 
Haupttempel  von  Nippur.  Obwohl  eintönig  io  der 
Form  enthalten  diese  Inschriften  manche  Erweite- 
rung unserer  geschichtlichen  Kenntnis.  Durch  sie 
vernehmen  wir  das  Schicksal  des  ersten  grossen 
Eroberers  des  Weltgeschichte,  des  Königs  Lugal- 
zaggisi von  Umma  und  Uruk.  Es  erging  ihm  wie 
vielen  seiner  Nachfolger:  ein  Mächtigerer,  der  König 
Sarrukin  (Sargon)  von  Akkad,  kämpfte  mit  ihm, 
nahm  ihn  gefangen  und  brachte  ihn  in  Fesseln  zum 
„Tor  des  Gottes  Enlil"  [Kd-Enlil  —  ist  das  nicht 
doch  vielleicht =Ba6e??]  (Nr.  34,  Kol.  1  u.  2,  Z.  23  fif.). 
Auch  äarrukin's  sonstigen  Feldzüge,  vor  allem  der 
gegen  Elam,  werden  mehrfach  erwähnt.  Zu  dem  von 
ihm  eroberten  Gebiet  im  Westen  (dem  „oberen  Land") 
gehören  nach  Kol.  5  und  6:  Mari  (am  Euphrat,  vgl. 
Vol.  IV  1,  p.  222  f.),  Jarmuti,  Ibla  und  als  Grenzen 
der  Zedernwald  (Libanon?)  und  das  Silbergebirge 
(Taurus?).  Das  an  zweiter  Stelle  genannte  Gebiet  ist 
in   der  Form  Jarim{m)uta  aus  den  mehr  als  ein 


143  — 


Jahrtausend  späteren  El-Âmarna-Texten  als  die  Qe- 
treidekammer  PhOniziens  und  Palästinaa  wohlbe- 
kannt. Bisher  suchte  man  es  im  ä^ptischen  Delta. 
Dass  aber  um  2750  y.  Chr.  von  Nordbabylonien  aus 
eine  Eroberung  von  Gebieten  des  ägyptischen  Deltas 
stattgefunden  hätte,  erscheint  nach  unserer  bisheri- 
gen Kenntnis  beinahe  ausgeschlossen  ').  Mit  Recht 
wohl  sucht  Dr.  Pokbkl  das  Land  JarmuU  und  dann 
auch  lUa  im  nördlichen  Syrien. 

Das  erste  Heft  von  Vol.  VI  „Grammatical 
Texts"  beschränkt  sich  noch  weniger  als  die 
«Historical  Texts"  auf  eine  Umschreibung  und 
Obersetzung  von  in  Vol.  V  veröffentlichten  Urkun- 
den. Was  hier  geboten  wird,  sind  Beitrüge  zur 
sumeriachen  Sprachwissenschaft,  vonseiten  eines 
ihrer  beeten  Kenner,  auf  Grund  einzelner  der  neuen 
Texte.  Gerade  die  Ausgrabungen  in  Nippur  haben 
uns  einsprachig  sumerische  Texte  jeder  Literatur- 
gattuDg  aus  dem  dritten  vorchristlichen  Jahrtausend 
beschert  und  die  Bedeutung  dieses  nicht-semitischen 
Volkes  und  seiner  Kultur  für  das  Euphratland  stets 
deutlicher  an  das  Licht  gebracht  Seit  Frisdbicu 
Dsur/acu  durch  seine  Grammatik  und  sein  Glossar 
—  beide  grundlegenden  Werke  tragen  die  Jahreszahl 
1914  —  die  Sumerologie  zum  liang  einer  Wissen- 
Schaft  erhob,  ist  uns  jede  Ergänzung  und  jeder 
Weiterbau  auf  dieser  Grundlage  doppelt  erwünscht. 
Doch  darf  der  Rezensent  den  Wunsch  nicht  unter- 
drücken, dass  in  der  Fortsetzung  auch  dieses  Bandes 
die  Grenze  zwischen  Kommentar  und  selbständiger 
Abhandlung  besser  eingehalten  werden  mOge. 

Möge  es  Dr.  Poibil  vergönnt  sein,  uns  diese 
Fortsetzung  bald  und  in  friedlicherer  Zeit  zu  schen- 
ken. Schon  was  er  bisher  gab,  verdient  Dank  weit 
Ober  den  Kreis  der  aasyriologischen  Fachgelehrten 
hinaus.  Franz  M.  Tu.  Böiil. 

V.  Edwako  Chieba,  Legal  and  Administrative 
Documents  from  Nipptur,  chiefly  from  the 
Dynasties  of  Isin  and  Itarsa.  (University  of  Penn- 
sylvania. The  University  Museum.  Publications  of 
the  Babylonian  SecUon,  Vol.  VllI,  N*.  1),  Philadelphia, 
pabl.by  the  University  Museum,  1914.  -  4°,  IIUSS., 
61  autograpbierte  Tafeln,  10  Lichtdrucktafeln. 

Das  Werk  von  Dr.  Chucba  ist  eine  Anfängerarbeit, 
die  Erweiterung  einer  Dissertation,  die  ihren  Platz 
in  diesem  grossen  Sammelwerk  aber  mit  Ehren  be- 

')  ^rI-  jedoch  Paul  ({«lirr  io  der  OrieoUlist.  Litcratnr- 
icitoBg,  1914,  Sp.  S4S:  „Nach  eioem  unTerüffentlichteo 
Vtfjtat,  der  demnächst  bentaigegeben  wird,  ioll  ei  ganz 
aazweifelhaft  mid,  dau  zwiiefaen  Dvnattie  VI  aud  Dynastie  IX 
wirklich  eil«  Mmitiaehc  InTaaion  Aegrptcns  »tattgefaDden  hat". 


hauptet  Die  hier  veröffentlichten  Urkunden  stammen 
aus  Nippur  und  sind  von  derselben  Art  wie  die 
Urkunden  vom  selben  Fundort,  die  Dr.  A.  Poebki. 
in  Vol.  VI  Part  2  der  alten  Veröffentlichungsreihe 
(1909)  herausgab  (vgl.  meine  Besprechung  jenes 
Bandes  in  diesem  Archiv,  Band  XXI,  S.  122).  Es 
sind  Urkunden  des  Privatrechts,  aus  der  schreib- 
seligen Zeit  der  Wende  des  dritten  vorchristlichen 
Jahrtausends:  Kaufurkunden  über  Häuser,  Felder, 
G;'u:ten,  Tempelämter,  Mietkontrakte,  Schuldscheine, 
Schenkungs-  und  Tauschurkunden  und  Testamente, 
gerichtliche  Protokolle,  sowie  auch  Quittungen  oder 
Rechnungen  in  Listenform.  Urkunden  dieser  Art  sind 
in  den  letzten  Jahren  in  grosser  Zahl  veröffentlicht 
und  bearbeitet.  Die  Eigenart  der  aus  Nippur  stam- 
menden Texte,  die  ihr  Verständnis  erschwert,  be- 
steht aber  darin,  dass  sie  rein  sumerisch  abgefasst 
sind,  also  nicht  in  der  eigentümlichen,  halb  semi- 
tischen, halb  sumerischen  Mischsprache  der  unzähli- 
gen übrigen  (meist  aus  Sippar  stammenden)  Tafeln. 
Dr.  PoEBKL  bearbeitete  im  genannten  Band  (mit 
Ausnahme  der  sieben  ersten  Nummern)  lediglich 
Texte  aus  der  Zeit  der  ersten  babylonischen  Dynastie, 
welche  wir  nach  ihrem  grössten  Herrscher  die 
ifammurapi-Dynastie  zu  nennen  pflegen.  Die  von 
Dr.  Chieba  hier  veröffentlichten  Urkunden  stammen 
dagegen  sämtlich  aus  der  Zeit  der  dieser  vorher- 
gehenden Dynastien  von  lain  und  von  Laraa.  Doch 
unterscheiden  sich  die  hier  gebotenen  Urkunden  von 
den  Urkunden  Dr.  Poebel's  äusserlich  in  keiner  Weise. 
Auch  finden  sich,  wie  Dr.  Chiera  nachwies  (p.  20  f.), 
in  beiden  Gruppen  dieselben  Namen.  Dass  die  drei 
Dynastien,  die  von  Isin,  Laraa  und  Babylon,  nicht 
einander  ablösten,  sondern  „overlap  with  each  other', 
d  h.  teilweise  mit  einander  gleichzeitig  waren,  war 
schon  früher  bekannt.  In  längerer  Erörterung  (p. 
24 — 33)  hat  es  Dr.  Chieba  jedoch  wahrscheinlich 
gemacht,  dass  man  mit  einer  noch  etwas  grösseren 
chronologischen  Verkürzung  zu  rechnen  hat,  als  man 
bisher  annahm.  Nach  der  bisherigen  Annahme  hat 
der  König  Rim-Sin  von  Larsa  die  Stadt  Isin  noch 
gemeinsam  mit  RammurapCs  Vater  oder  spätestens 
während  der  ersten  Jahre  des  Hammurapi  selbst 
erobert  (vgl.  Eduard  Meyer,  Gesch.  des  Altertums  1, 
8.  Aufl.,  §  443).  Mit  dieser  Eroberung  machte  er  der 
Dynastie  von  Isin  ein  Ende  und  begann  eine  Art 
Zeitrechnung.  Auf  Grund  des  neuen  Eigennamen- 
materials wird  wahrscheinlich,  dass  dieses  Ereignis 
erst  viel  später,  nach  Dr.  Chiera  etwa  im  23.  Jahr 
des  Hammurapi  stattgefunden  hat.  Es  handelt  sich 
also  um  eine  Verkürzung  der  Chronologie  um  rund 


—  144  — 


23  Jahre.  Allerdings  melden  die  Datenlisten,  dass 
Hammurapi  selbst  in  seinem  siebenten  Regierungs- 
jahre die  Stadt  Isin  eroberte.  Doch  steht  der  An- 
nahme Dr.  Chiera's  nichts  im  Wege,  dass  er  die 
Stadt  damals  nicht  dem  Rim-Sin  von  Larsa,  sondern 
dem  letzten  König  der  Dynastie  van  Isin  abgenom- 
men habe,  die  Eroberung  aber  nicht  halten  konnte. 
Von  den  102  in  Autographie  nachgezeichneten 
Nummern  hat  Dr.  Chieba  26  ausgewählte  Texte 
umschrieben  und  übersetzt.  Unpraktisch  ist,  dass 
bei  den  Lichtdrucktafeln  ein  Hinweis  auf  die  ent- 
sprechende Nummer  im  autographischen  Teil  des 
Werkes  fehlt.  Ein  alphabetisches  Verzeichnis  der 
Eigennamen  und  vor  allem  eine  Liste  der  Datie- 
rungen sämtlicher  bisher  veröffentlicher  Kontrakte 
aus  der  Zeit  der  Dynastien  von  Isin  und  von  Larsa 
erhöhen  den  Wert  des  Bandes. 

Groningen.  Fbanz  M.  Th.  Bohl. 

VI.  Catalogus  van  'sBijks  Ethnographisch 
Museum,  Leiden. 

Deel  VIII:  Bataklanden.  Met  aanhangsel:  Ma- 
leische Landen  ter  Sumatra's  Noordooskust. 
[Sumatra  11].   Door   H.  W.  Fischer.   Leiden 
(E.  J.  Brill)  1914.  XXXI,  179blz.  4°,  12  pL 
Deel  IX  :  Java.  Eerste  gedeelte.  Door  Dr.  H.  H. 
JuYNBOLL.   Leiden   (E.   J.   Brill)   1914.  XX, 
209  blz.  4°,  14  pl. 
Von  dieser  monumentalen  Publikation  liegen  nun- 
mehr   abgeschlossen    vor    die    folgenden    Gebiete: 
Borneo  (Deel   I   en   II),    die   Inseln   um   Sumatra 
(Deel  IV),   Bali  und  Lombok  (Deel  VII),  dann  von 
Sumatra  selbst   die   Batakländer,  Atjeh,  Gajo-  und 
Alasländer  (Deel  VI  en  VIII),  endlich  von  Java  ausser 
der  Beschreibung  der  Altertümer  (Deel  V)  ')  der 
oben  angezeigte  erste  Teil  der  eigentlichen  ethno- 
graphischen Sammlung,  dem  noch  mehrere  weitere 
folgen  sollen. 

Die  Anlage  der  beiden  neuerschienenen  Bände  ist 
der  der  früheren  analog.  Eine  kurze  Einleitung  hebt 
die  besonderen  Eigentümlichkeiten  der  behandelten 
Gebiete,  soweit  diese  in  den  Sammlungen  des  Mu- 
seums zum  Ausdruck  kommen,  hervor;  aber  auch 
auf  die  Lücken  in  der  Sammlung  wird  gewissenhaft 
hingewiesen. 

Die  vorhandene  Literatur  ist  wieder  in  unüber- 
trefflich gründlicher  Weise  verwertet  und  angegeben. 
Den  einheimischen  Namen  und  Bezeichnungen  ist 
erfreulicherweise  sehr  genau  Rechnung  getragen,  so 


')  Anzeigen  der  früher  erschienen  Bände  siehe  im  „Intern. 
Archiv  f.  Lthn.",  Baud  XX,  S.  65  u.  114,  Band  XXII,  S.  86. 


dass  das  Werk  auch  in  der  durch  das  Schlagvrort 
„Wörter  und  Sachen"  gegebenen  Richtung  ein  wert- 
voller Behelf  ist. 

Nur  möchte  sich  Ref.  dem  Gebrauch  der  fremden 
Scbriftzeichen  nicht  in  dem  Umfang  anschliessen, 
wie  es  in  den  vorliegenden  Bänden  geschieht.  Der- 
jenige, welcher  sich  mit  dem  Studium  z.  B.  der 
javanischen  oder  ßattaksprache  befasst,  muss  ja  der 
Schriftzeichen  und  Schreibweise  mächtig  sein.  Für 
den,  der  den  Sprachstudien  nicht  ex  professe  obliegt, 
genügt  die  genaue  wissenschaftliche  Transkription 
vollständig.  Der  Sprachkundige  wird  die  transskri- 
bierten  Wörter  in  den  Wörterbüchern,  von  welchen 
die  grösseren  allerdings  alle  in  den  eigentümlichen 
Lettern  abgefasst  sind,  leicht  auffinden;  dem  in  der 
Sprache  nicht  Versierten  wird  aber  auch  die  Angabe 
der  Wörter  in  den  fremden  Lettern  nichts  nützen, 
weil  er  bei  der  Verschiedenheit  der  Reihenfolge  des 
Alphabets  und  der  abweichenden  Art  der  Anein- 
anderfügung der  Schriftzeichen,  die  Wörter  trotzdem 
schwerlich  im  Wörterbuch  auffinden  wird,  wenn  man 
ihm  nicht  noch  die  Seite  desselben  zitiert. 

Gar  nichts  hat  aber  der  der  Schrift  nicht  Kun- 
dige, wenn  ihm  z.  B.  folgendes  geboten  wird  (Deel 
IX,  S.  4—5):    „Om  te  braden  dient  een  pan  (folgt 

in  Klammer  der  jav.  Name  in  jav.  Lettern)  ; ook 

de  sambël  gorèng  [eine  Speise]  wordt  in  de 
wadjan  gemaakt".  Wer  nicht  entziffern  kann,  dass 
das  in  der  Klammer  stehende  javanische  Wort 
wadjan  heisst,  für  den  bleibt  der  zweite  Satz 
unverständlich,  weil  er  nicht  weis,  dass  wadjan 
eben  „Pfanne"  ist.  Die  Kataloge  des  Reichsmuseums 
sollen,  aber  doch  wohl  nicht  nur  für  den  Spezial- 
linguisten,  sondern  für  jeden  Museumsethnographen 
zugänglich  sein  und  von  dem  kann  man  nicht  die 
Kenntnis  aller  idonesischen  Schriftarten  verlangen. 

Was  nun  die  Bataksammlungen  anbelangt,  so 
finden  sich  da  hervorragende  Erzeugnisse  der  in- 
ländischen Kunstindustrie  unter  den  Kleidungssor- 
ten, dem  Schmuck,  Hausrat  u.  s.  w.  Von  primitiven 
Gegenständen  sind  zu  erwähnen:  Blasrohre  für  die 
Jagd  und  Rindenstoffkleidung.  Schwach  vertreten 
sind  Objekte,  die  sich  auf  Gottesdienst  und  Toten- 
kult beziehen.  Dagegen  zahlreich  Amulette,  Zaul)er- 
bücher,  die  bekannten  Zauberstabe.  Interessant  sind 
mehrere  Gebrauchsgegenstände  (Kalk-,  Tabaksbüch- 
sen) met  Tagestafeln  zur  Ermittlung  günstiger  oder 
ungünstiger  Zeitpunkte  für  bestimmte  Handlungen; 
dann  Tanzmasken,  auf  Bambus  eingekratzte  Briefe 
(Droh-,  Brandbriefe),  eine  Maultrommel,  Reizsteine 
für  den  Penis,  Zahnfeil-  und  Beschneidungsgeräte- 


145 


Ausser  der  Beschreibung  der  Objekte  ist  auf  S.  13 
eine  Schilderung  der  Herstellung  von  Zigarren- 
büchsen  aus  (guttapercha  eingeschaltet,  Im  ganzen 
beschreibt  Band  VIII  etwa  8U0  Stücke. 

In  Band  IX  (Java)  sind  etwa  1  '/>  Tausend  Objekte 
beschrieben,  die  auf  Kahrungs-  und  Genussmittel, 
Schmuck  und  Kleidung,  Haus  und  Hausrat,  endlich 
Jagd  und  Fischerei  bezug  haben.  Besonders  hervor- 
zuheben sind  hier  die  Gewebe  und  Batik's,  von  denen 
zahlreihe  Muster  auf  den  Tafeln  und  im  Text  abge- 
bildet sind.  Bemerkenswert  sind  ferner  ein  Lenden- 
gürtel  von  Baumrinde,  gegen  Hüflschmerzen  getra- 
gen, eine  Feuersäge,  Blasrohre  (für  die  Vogeljagd?). 
Unter  den  Kokosnussschabern  vermissen  wir  ein 
schemelformiges  Exemplar,  dass  sich  nach  Angabe 
Foy'a  (Mitt.  d.  Anthr.  Ges.  in  Wien,  1904,  p.  116) 
im  Reichsmoseum  befinden  soll  (abgebildet  ebendas. 
p.  148,  p.  6).  Zu  der  Literatur  über  essbare  Erden 
sei  noch  hinzugefügt  die  Arbeit  von  Dr.  Lasch 
.Über  Geophagie"  in  den  Mitt.  d.  Anthr.  Ges.  in 
Wien,  1898,  p.  214  ff.  und  1900,  Sitzber.,  p.  [181]  ff. 
(vgl.  auch  ebenda  1900,  p.  180). 

Ausser  den  Objektsbeschreibungen  ist  noch  zu 
erwähnen  eine  Notiz  über  Speisenzubereitung  auf 
S.  4  f.,  besonders  über  Keiskochen. 

Im  Text  und  auf  den  gut  ausgeführten  Tafeln  sind 
66  Stücke  aus  Sumatra  und  44  aus  Java  abgebildet. 

Raiche  Literaturverzeichnisse,  Namen-  und  Sach- 
register und  Indice«  der  angeführten  einheimischen 
Benennungen  ergänzen  diese  beiden  für  die  Ethno- 
graphie Indonesiens  unschätzbaren  Bände. 

L.   BOUCHAL. 

VU.  G.  Kbciokr.  lieber  Entwicklungspsyoho- 
logie;  ihre  taohliobe  und  geschichtliche  Not- 
wendigkeit (Bd.  I  der  Arbeiten  zur  Entwicklungs- 
psychologie). Leipzig,  W.  Engelmann.  lOlö.  M.  9. — . 

In  diesem  282  Seiten  grossen  Buche  hat  Herr 
Professor  Kbobobb  den  Versuch  gemacht,  in  gedie- 
gener Form  die  Geschichte,  das  gegenwärtige  Streben 
und  die  wünschenswerte  Untersuchungsrichtung  der 
Psychologie  vorzuführen.  Sein  Hauptziel  wurde  dabei 
durch  den  Wunsch  bedingt,  die,  seiner  \nsichtnach, 
zu  isolierte  I.Age  der  Psychologie  den  anderen  ver- 
wandten Wissenschaften  gegenüber  klarzulegen  und 
zu  leigen,  wie  sehr  alle  diese  Disziplinen  sich 
dadurch  zu  einseitig  entwickelen.  Statt  dessen  sei 
es  erwünscht,  dass  sich  die  Psychologie  nicht,  wie 
in  letzter  Zeit,  nur  mit  den  einfachsten  Fragen  der 
Sinnespsychologie  des  Individuums,  sondern  eben- 
falls eingehend  mit  der  Fragestellung  anderer  Geistes- 
wiaeenschaften  wie  der  Sprachwissenschaft,  Soziologie, 
I.  A.  f.  ¥..  It<i.  XXII. 


Ethnologie  u.  s.  w.  befasse.  Sie  kOnne  sich  dadurch 
zum  Zentrum  aller  dieser  Geisteswissenschaften 
erheben  und  deren  Ergebnisse  würden  durch  ihre 
Mitarbeit  zweifellos  gehoben  werden.  Eine  solche 
Psychologie,  die  sich  eingehend  mit  den  verschie- 
densten geistigen  Äusserungen  der  Menschen  und 
der  Menschengruppen  in  früherer  und  jetziger  Zeit 
befasst  und  das  gesetzliche  Vorbedingtsein  dieser 
Erscheinungen  zu  durchgründen  versucht,  wäre  eine 
Ausbreitung  der  Wundt'sehen  Völkerpsychologie  und 
die  Entwicklungspsychologie  der  Zukunft. 

Auf  diese  Weise  hat  Verfasser  ein  beredtes  Bild 
des  erwünschten  Zusammenhangs  und  Zwecks  aller 
der  Psychologie  verwandten  Wissenschaften  skizziert 
dass  der  immer  tiefer  sich  einstellenden  Arbeitsteilung 
auf  diesen  Gebieten  eine  grosse  Gefahr  der  Einseitig- 
keit innewohnt,  wenn  ihre  Adepten  diese  zu  sehr 
aus  den  Augen  verlieren,  ist  nicht  zu  leugnen  und 
die  ausführlichen  bezüglichen  Erörterungen  in  diesem 
Buche  sind  beweisend  genug.  Wenn  also  Verfasser 
uns  mit  weitsichtigem  Blick  das  Endziel  und  den 
dahin  führenden  Weg  angibt,  so  darf  man  seine 
Betrachtungen  in  dreierlei  Hinsicht  insofern  als  etwas 
zu  enggefasst  bezeichnen,  als  er  unsere  äusserst 
mangelhaften  Kenntnisse  auf  dem  Gebiete  der  Psy- 
chologie nicht  genug  in  den  Vordergrund  stellt, 
obschon  er  sie  erwähnt  Dieser  Umstand  erklärt 
auch  wohl,  weshalb  die  Geschichte,  Soziologie  und 
Sprachwissenschaft  sich  zu  wenig  mit  der  Psycho- 
logie befassen,  sie  selbst  zum  Teil  ganz  aus  ihrem 
Studium  entfernt  halten;  die  feststehenden  psycho- 
logischen Daten  bieten  für  sie  bis  jetzt  zu  wenig 
Anhaltspunkte.  Darum  ist  es  wohl  auch  fraglich,  ob 
die  Psychologie  auf  ihrem  heutigen  Standpunkt  der 
Entwicklung  sich  nicht  richtigerweise  hauptsächlich 
mit  der  Untersuchung  der  Sinnesorgane  beschäftigt, 
ehie  Richtung,  die  Prof.  Kbausk  gern  durch  eine 
von  umfassenderem  Streben  zeugenden  ersetzt  sehen 
möchte. 

Im  letzten  Teil  dieses  Buches  erörtert  Verfasser 
seine  Meinung,  wie  sich  die  genetische  Kulturpsy- 
chologie zu  den  nächstbeteiligten  Wissenschaften, 
wie  der  Soziologie,  der  Völkerkunde,  der  Geschichte 
und  der  Völkerpsychologie  stellen  könne  und  welchen 
Nutzen  sie  für  ihre  Untersuchungen  aus  den  Ergeb- 
nissen dieser  Disziplinen  würde  ziehen  können. 

Begreiflicherweise  interessieren  uns  seine  Betrach- 
tungen über  die  Ethnologie  am  meisten.  Sie  sind 
denn  auch  in  der  Tat  beachtenswert,  weil  sie  die 
Schlüsse  enthalten,  zu  denen  ein  einigermassen 
ausserhalb  unserer  Wissenschaft   Stehender  durch 

19 


146 


sein  eingehendes  Studium  ihrer  Strömungen  in 
späterer  Zeit  geführt  wurde.  Zwar  nimmt  er  dabei 
die  techniscli  ethnologischen  Resultate  der  Kölner 
Schule  z.  B.  fast  kritiklos  hin,  stellenweise  rühmt 
er  sogar  ihre  „exakte"  Arbeitsweise,  andererseits 
aber  kritisiert  er  ihr  unfruchtbares  Streben,  die 
Methode  der  Ethnologie  zu  einer  geschichtlichen 
umgestalten  zu  wollen,  sehr  eingehend. 

Neben  dieser  Entwicklungsrichtung  wird  diejenige, 
die  P.  W.  Schmidt  an  erster  Stelle  vergegenwärtigt, 
als  die  theologische  vorgeführt.  Auch  hier  werden 
die  Ergebnisse  der  ScHMiDT'schen  Spezialforschungen 
nicht  in  Betracht  gezogen,  sonder  nur  seine  Ansichten 
über  die  Eigenart  der  Ethnologie,  auch  den  verwandten 
Wissenschaften  gegenüber,  wie  sie  „die  moderne 
Ethnologie",  Anthropos,  Band  I  enthält,  behandelt. 
Nachdem  Verfasser  die  fundamentellen  Streitigkeiten 
der  an  verschiedenen  Stellen  gegebenen  Auflassungen 
erörtert  hat,  äussert  er  sich  nicht  gerade  schätzend 
über  die  Einheitlichkeit  von  P.  W.  Schmidt's  Meinung 
und  ist  der  Ansicht,  dass  die  theologische  Entwicklung 
dieses  Gelehrten  einer  rationellen  Stellungnahme  zur 
vorliegenden  Frage  im  Wege  stehe. 

Wundt's  Völkerpsychologie  befriedigt  Verfasser  atn 
meisten.  Er  glaubt  aber,  dass  wir  jetzt  nicht  mehr 
wie  in  der  Zeit  der  Entstehung  dieses  Werkes  berech- 
tigt seien,  uns  ganz  auf  Sprachwissenschaft,  Kunst- 
forschung und  Geschichte  zu  stützen,  wie  es  dort 
geschehen  sei.  Der  wichtige  Einfluss,  den  die  Völ- 
kerkunde schon  jetzt  auf  unsere  psychologischen 
Auffassungen  geübt  hat,  wird  von  Prof.  Kbüeger 
gebührend  gewürdigt  ;  er  erwartert  von  dem  Studium 
der  wenig  kultivierten  Völker,  die  unter  so  viel  ein- 
facheren Verhältnissen  wie  wir  leben,  zukünftig  für 
seine  Entwicklungspsychologie  noch  grössere  Stütze. 
In  dieser  Hinsicht  berührt  es  einen  doch  etwas 
sonderbar,  in  dieser  ausführlichen  Abhandlung  die 
Frage  der  einheitlichen  geistigen  Veranlagung  aller 
Menschenrassen  nicht  mit  einem  Worte  erwähnt  zu 
finden.  Diese  für  solche  Untersuchungen  doch  grund- 
legende Voraussetzung  ist  bereits  häufig  untersucht, 
nie  aber  entgültig  gelöst  worden.  Feststehende 
Schlüsse  aus  den  geistigen  Erscheinungen  unter  den 
niedrig  entwickelten  Völkern  auf  die  höheren  Zu- 
samnienlebungen  ziehen  zu  wollen,  erscheint  unter 
diesen  Umständen  voreilig. 

Auch  von  einer  grundsätzlichen  Scheidung  der 
geistigen  Anlage  und  Entwicklung  ist  in  diesem 
Buche  nicht  die  Rede.  Ihre  Durchführung  würde  aber 


das   Studium    der   höchst   komplizierten   psycholo- 
gischen Erscheinungen  bedeutend  vereinfachen. 

A.   W.    NiEUWENHUIS. 

VIII.  P.  Hambeüch.  Nauru.  1"  Halbband.  (Er- 
gebn.  d.  Südsee-Expedition  1908 — 1900,  herausgeg. 
V.  Prof.  Dr.  G.  Thilenius).  Hamburg  1914. 

Die  gehobene  Koralleninsel  Nauru  in  der  westlichen 
Südsee  gehört  zu  den  ethnographisch  wichtigeren 
und  hat  durch  die  Umsetzung  ihrer  Kalksteine  in 
kostbare  Phosphatkalke,  die  jetzt  abgebaut  werden, 
auch  einen  grossen  ökonomischen  Wert  erhalten.  In 
den  Jahren  1909  und  1910  hatte  Verfasser  Gelegen- 
heit, die  Insel  einige  Male  zu  besuchen,  um  unter 
den  noch  ±  1300  zählenden  Eingeborenen  ethno- 
graphische Untersuchungen  anzustellen.  Obschon 
diese  Zeit  zweifellos  zu  kurz  für  eine  endgültige 
Erforschung  einer  solchen  Bevölkerung  ist,  so  gelang 
es  doch,  besonders  durch  das  Entgegenkommen  der 
dort  ansässigen  Europäer,  ein  sehr  wertvolles  Ma- 
terial zu  sammeln;  dieses  wurde  von  Verfasser 
nachher  ausgearbeitet  und  mittelst  Museumssamm- 
lungen vervollständigt.  Die  Resultate  werden  jetzt 
in  dem  grossartig  angelegten  Werke  „Ergebnisse  der 
Südsee-Expedition  1908 — 1910"  veröflfentlicht  und  der 
bezügliche  erste  Halbband  liegt  jetzt  vor  uns. 

Herr  Dr.  P.  Hambrüch  hat  in  den  ersten  80  Seiten 
die  Geschichte,  die  geographischen  Verhältnisse,  die 
Siedelungen  und  die  Eingeborenen  (ihre  somatischen 
Eigenschaften)  behandelt;  in  den  folgenden  375  Seiten 
I  die  Sprache  und  II  die  geistige  Kultur.  108  Abbil- 
dungen im  Text,  19  Lichtdrucktafeln  und  1  Kute 
ergänzen  die  Arbeit  in  sehr  schätzenswerter  Weise. 
Wenn  Verfasser  auch  der  Meinung  ist,  dass  ein  län- 
gerer Aufenthalt  ihm  noch  viel  Wissenswertes  ge- 
liefert hätte,  so  erhellt  doch  aus  seinem  Buche  zur 
genüge,  wie  sehr  er  die  ihm  zur  Verfügung  stehende 
Zeit  auszunützen  verstanden  hat.  Die  ausführliche 
Erforschung  einer  solchen  kleinen  Insel  (±  4  K.M. 
Durchmesser)  verschafft  uns  eine  sonst  nicht  erreich- 
bare klare  Einsicht  in  die  verschiedensten  dortigen 
Verhältnisse  und  ist  besondern  wertvoll  weil  sie  zu 
einer  Zeit  stattfand,  in  welcher  unter  den  Eingebo- 
renen noch  vieles  zu  finden  war,  was  auf  ihre  Lebens- 
weise und  ihr  Milieu  vor  der  Besitzergreifung  durch 
Deutschland  schliessen  lässt. 

Da  der  zweite  Teil  die  ganze  Abhandlung  noch 
abschliessen  muss,  werde  ich  eine  eingehendere 
Betrachtung  des  ganzen  Werkes  bis  dahin  auf- 
schieben müssen.  A.  W.  Nibuwbnhuis. 


< 
(- 


-3 


li 

Q  ° 

■?  = 

—  ft 
o  = 


X 
X 
X 

s 

ai 
o 
o 
z 

r 

Mi 


X 

u 
a: 

< 

Z 


bio 


o 


« 

O 
E 

u 
J3 


c/5 


it: 


> 

X 

II! 

< 


X 
X 

S 

o 

o 

z 

P 
u 


X 
■U 

oc 

< 

Z 


CQ 


e 
o 
> 


> 

X 


X 
X 

s 

o 

O 

7 


U 

< 

z 


o  = 
ttj 


en 

C/3 


03 


c 
o 
> 


> 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOOR.  Bd.  XXXlll. 


TAF.  XVI. 


Ooldene  Oambirdosen  von  der  Fnsel  Bali  (s.  S.  74). 


Clichés  und  Druck  von 
Joh.  Enschedé  en  Zonen,  Haarlem. 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOGR.  Bd.  XXIII. 


TAF.  XVII. 


Ooldene  Krisscheiden  (s.S. 75). 


Clichés  und  Druck  von 
Joh.  EnKlicdi  en  Zonen,  Haarlem. 


> 

X 


< 
(- 


c 

3 


n 
u 
c 
c 
o 
en 


c 

3 

E 
E 


m 


(/) 


o 


o 

CQ 


bo 


X 
X 

S 

a; 
O 
O 
z 

r 


z 
u 

< 
Z 


'^m 


Nf.-J 


E 

3 


•■o 


o 

C/) 


b« 

c 


a. 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOOR.  Bd.  XXIII. 


TAP.  XIX. 


Fig.  a.  Kwing  Inu  ,,  ,.  Links  oben  an  der  Treppe  sitzt  ein  Mann. 


Fig.  *.  Das  Gerüst  von  Kwing  Irangs  Haus,  mit  provisorisclien  Treppen  und  Hilfgerüsten.  Oben  ein  Mann  als  Orössenmassstab. 


Clichés  und  Druck  von 
Joh.  Enschedé  en  Zonen,  Haarlem. 


t 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOOR.  Bd.  XXIII. 


TAF.  XX. 


Fig.  a.  Unterbrochene  Häuserreihe  eines  unvollendeten  Stammhauses.  Bahau  am  oberen  Mahakam. 


Flg.  *.  Auh-ichtung  des  verzierten  Hauptpfahis  von  Kwing  iraiiijs  ri;iii> 


Clichés  und  Druck  von 
Joh.  Enschedé  en  Zonen,  Haarlem. 


X 


3 

Xi 
<u 
<:iû 
<u 
io 
CQ 

•c 

O 
B. 

c 

I- 
E 


'5" 


T3 

c 
o 

> 


X) 

:3 


:3 

CQ 

T3 
C 
3 


si 


X 
X 

s 

O 

o 
z 

r 

u 


r 
u 

< 


% 

'^ w^ T^^^ 7 

J 

^ 

T 

-  ; .  -v% 

*                          --ftti 

<     •  > 

i 

i 

QBCSa^ftryS^^^^^H^&NH^^^^N  mwE 

x: 
« 


XI 

O 


5 

E 


ca 


INT.  ARCH.  F.  ETHNOOR.  Bd.  XXIII. 


TAF.  XXII. 


Mg.  a.  Abarbeitung  eines  Bootes.  Kajan  am  oberen  AVahakain. 


fig.  b.  Quer  durch  den  Bach  gelegter  Deich  zur  Anlage  einer  Fischzucht,  über  Maiiakam. 


Clichés  und  Druck  von 
Joh.  Enschedé  en  Zonen,  Ha.irlem. 


I.  il 


ll{V 


/^7 


BEITRÄGE  ZUR  PHONETIK  DER  KARAjA- 
SPRACHE.  (BRASILIEN.) 


VON 


Dr.  HUGO  KUNIKE, 

am  Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  zu  Berlin. 


Bemerkungen  zur  Originalschreibung  der  hier  angewandten  Laute. 

1.  a,,  I,,  0,  und  u,  sind  Laute,  welche  entweder  lang  oder  kurz  sein  können. 

2.  ein   kleines  n  neben  einem   Buchstaben  bedeutet  seine  Nasalierung,  im  Original  durch 
Tilde  (~)  ausgedrückt. 

3.  a,,  e,,  i,,  etc.  bedeutet,  dass  ein  im  Original  unterstrichener  Laut  gemeint  ist. 

4.  eine  j  hinter  einem  Laute  l)edeutet,  dass  derselbe  mit  einem  kleinen  Kreis  darunter  zu 
denken  ist,  also  einen  Kehlkopfverschlusslaut  darstellt. 

5.  Z'  ist  im  Orignal  mit  einem  nach  unten  offenen  Bogen  versehen. 

6.  bei  x''  steht  im  Original  der  Accent  über  dem  x- 

7.  U4   bedeutet   einen  Mittellaut  zwischen  u  und  0,  bei  dem  im  Original  ein  kleiner  Kreis 
ûlxîr  dem  u  steht. 

Die  in  sprachlicher  Hinsicht,  wie  es  scheint,  isoliert  stehende  Nation  der  Karajâ  in 
Ooyaz  (Brasilien)  zerfällt  in  drei  grossere  Unterabteilungen,  die  Sambioâ,  die  Javahé  oder 
Savajé  und  einen  sudlich  wohnenden,  einfach  mit  Karajâ  bezeichneten  Stamm.  Wenn  man 
-  auch  mancherlei  Anklänge  an  andere  Sprachgruppen  Südamerika's,  z.  B.  die  sogenannte 
Gtes-Gruppe,  finden  mag,  es  ist  das  doch  nicht  ausreichend,  um  die  Sprachgruppe  des 
Karajâ  an  eine  andere  ohne  weiteres  anzugliedern,  (vgl.  Ehbenbeich,  Beiträge  zur  Völker- 
kunde Brasilions,  Beriin  ISUi,  S.  3.) 

Was  die  phonetische  Seite  des  Karajd-Idioms  anlangt,  so  wird  allgemein  von  den 
Autoren  angegeben,  dasselbe  werde  besonders  undeutlich  articuliert;  dies  ist  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  so  zu  verstehen,  dass  man  das  Karajâ  in  Vergleich  mit  anderen  deut- 
licheren, d.  h.  schärfer  articulierten  indianischen  Idiomen  im  Sinne  hat. 

Wie  EHRENREICH  (a.  a.  0.  S.  9)  und  Krause  (In  den  Wildnissen  Brasiliens,  Leipzig  1911, 
S.  344)  angeben,  wird  die  Sprache  so  gesprochen,  dass  man  kaum  die  Bewegung  der  Lip- 
pen der  Sprechenden  wahrnimmt,  die  Sprache  wird  durch  die  geringe  Mundbowegung  leise 
und  undeutlich.  Eine  Folge  hiervon  ist  femer  das  Verschlucken  von  (einer  oder  mehreren) 
Endsilben  sowie  das  Auftreten  von  ungenau  charakterisierten  Lauten,  Zwischenlauten.  Die 
I.  A.  r.  E.  Bd.  XXIII.  20 


—  148  — 

beiden  letzteren  Erscheinungen  sind  namentlich  bei  den  Vocalen  zu  beobachten.  Krause 
(a.  a.  0.)  bemerkt  noch  folgendes  :  „Der  Tonfall  ist  etwas  singend,  die  Sprechweise  ungleich- 
massig.  Bald  werden  die  Silben  rasch  hintereinander  herausgestossen,  dann  wieder  wird 
eine  Silbe  lang  ausgedehnt,  gerade  als  ob  der  Sprecher  erst  überlegte,  wie  er  sich  nun 
weiter  ausdrücken  solle".  Und  S.  74:  „Eigentümlich  ist  ihre  Sprechweise  überhaupt.  Sie 
reihen  ja  Silbe  an  Silbe  in  langer  Folge".  Ehrenreich  constatiert  die  Häufung  von  Vocalen 
und  Zungenlauten,  Krause  die  von  Nasalen. 

Manche  Laute  vermögen  die  Karaja  nicht  zu  articulieren,  so  z.  B.  das  f  (in  portugie- 
sischen Worten),  auch  die  ch-Laute,  wie  im  Deutschen  ach  (z)  und  ich  (x')  scheinen  zu 
fehlen,  aber  auch  das  s. 

Besondere  Schwierigkeiten  ergeben  die  Abweichungen,  welche  zwischen  den  einzelnen 
Autoren,  oft  aber  auch  bei  ein  und  demselben  Autor  zu  constatieren  sind.  Zunächst  ein- 
mal können  es  dialektische  Verschiedenheiten,  namentlich  solche  zwischen  den  einzelnen 
Dörfern  sein,  zweitens  kann  es  sich  um  individuelle  Entgleisungen  'j  handeln,  und  drittens 
kommen  die  Unterschiede  zwischen  Männer-  und  Frauensprache  hinzu,  (s.  u.)  Unterschiede, 
die  jedoch  auch  innerhalb  der  Männersprache  wirksam  zu  sein  scheinen.  Denn  der  Haupt- 
unterschied zwischen  beiden  Dialektformen,  das  Plus  von  K-Lauten  in  der  Frauensprache, 
findet  sich  auch  bei  einigen  Worten  der  Männersprache  aufgehoben,  und  zwar  durch  den 
Anwachs  der  gleichen  K-Laute. 

Liüeratur. 

Castelnau,  Expedition  dans  les  parties  centrales  de  l'Amérique  du  Sud.  Paris  1850, 
V,  S.  268—270.   (Citiert:  C.) 

Martius,  Beiträge  zur  Ethnographie  und  Sprachenkunde  Amerikas,  Leipzig  1867,  S. 
264 — 266.  (nach  Castelnau.) 

Ehrenreich,  Beiträge  zur  Völkerkunde  Brasiliens,  Veröffentlichungen  aus  dem  KgK 
Museum  für  Völkerkunde,  Bd.  L  Heft.  1  und  2.  Berlin  1891. 

Ehrenreich,  Die  Sprache  der  Caraya  (Goyaz),  Zeitschrift  für  Ethnologie,  Berlin  1894, 
S.  A.  32  SS.  (Citiert:  E.) 

CouDREAU,  Voyage  au  Tocantins-Araguaya,  Paris  1897.  S.  259—271.  (Citiert:  Co.) 

Krause,  Nachbildungen  von  Tanzraasken  der  Karaja-Indianer,  Jahrbuch  des  Museums 
für  Völkerkunde  zu  Leipzig,  3.  Bd.  Leipzig  1910. 

Krause,  Die   Kunst   der  Karaja-Indianer,  Baessler-Archiv,  Bd.  H,  Heft  1,  Beriin  1911. 

Krause,  In  den  Wildnissen  Brasiliens,  Leipzig  1911.  (Citiert:  Kr.) 

Ausser  diesen  Publicationen  hat  mir  Herr  Dr.  Wilhelm  Kissenberth  sein  auf  der  im 
Jahre  1908/9  unternommenen  Araguayareise  gefundenes  sprachliches  Material  auszugsweise 
zur  Verfügung  gestellt,  und  genau  vorgesprochen,  wofür  ihm  auch  an  dieser  Stelle  mein 
verbindUchster  Dank  ausgesprochen  werden  soll. 

Dem  hier  verwendeten  phonetischen  System  liegt  dasjenige  des  „Anthropos"  mit  ge- 
ringen Mortifikationen  zugrunde.  (Citiert:  Kiss.) 

Ein  von  E.  A.  Socrates  in  der  Revista  Trimensal  do  Inst.  Historiée,  Rio  1893,  Bd.  55 
veröffentlichtes  Karajâ-vocabular  wird  als  Anhang  dieser  Arbeit  beigegeben. 


-1)  Des  Sprechenden  oder  auch  des  Aufnehmenden. 


—  149  — 

DIE  PHONETIK  DER  KARAJASPRACHE. 

A.  Der  Vocalismus. 

Die  Vocale  sind  diejenigen  Laute,  welche  die  meisten  Übergänge  untereinander  zeigen, 
wie  dies  ja  auch,  besonders  bei  einem  undeutlich  gesprochenen  Idiom,  ohne  weiteres  ver- 
standlich ist.  Nichtsdestoweniger  lassen  sich,  insbesondere  infolge  der  Anwendung  diakriti- 
scher Zeichen  bei  den  deutschen  Autoren,  die  einzelnen  Lautwerte,  die  Schwankungen, 
welche  ein  und  derselbe  Vocal  aufzuweisen  hat,  vielfach  deutlich  erkennen  und  demgemäss 
darstellen. 

a.  Manche  Worte  zeigen  bei  allen  Autoren  ein  reines  a,  ä  oder  ä,  allerdings  werden 
diese  beiden  quantitativ  verschiedenen  a-Laute  bei  den  nichtdeutschen  Autoren  kaum  aus- 
einandergehalten. 

Zwei  kurze  a-Laute  fliessen  in  ihre  Länge  zusammen. 

ä  +  ä  wird  zu  SL,  wie  dies  auch  in  den  meisten  anderen  Sprachen  der  Fall  ist. 

Beispiele  hierfür:  Mund:  E.  wa-ru,  C.  wa-arou,  Co.  wa-arou,  Kr.  wä-lö,  Kiss.  wa-rÖ,, 

membrun  muliebre:  E.  wa-atü,  Kr.  wadü,  wäde,  Kiss,  wa-tü,, 

Brüllaffe:  E.  ää9a,  Kr.  äz'ö. 

Urubii:  (Geier)  E.  nOärä,  Co.  la'ara,  Kr.  lali. 

Hundsfisch:  Co.  la'até,  Kr.  lä-dae,  Kiss,  d'aié^. 

Mutter:  Co.  naandi,  E.  nadi,  C.  nadi.  Kr.  nadf. 

Mann:  C.  abou,  Co.  babou-oudounandé  E.  äänbu,  C.  abou,  Kr.  aàbÛ,  Savajé:  ämbu-; 
(in  den  beiden  letzten  Beispielen  wird  aaft  oder  aà  zu  a  (ä),  da,  wie  wir  sehen  werden, 
nasaliertes  und  nicht  nasaliertes  a  (auch  andere  Vocale)  nebeneinander  stehen.) 

à,  ein  dumpfes  offenes  o  nach  Ehkexreich,  von  Kissenberth  mit  a^  oder  o^  (auch  a,) 
bezeichnet.  Ein  Laut,  welcher  etwa  dem  nordischen  ä  oder  auch  dem  englischen  a  in  all 
entspricht.  Dieser  Laut  wird  von  anderen  Autoren  zuweilen  einfach  mit  o  wiedergegeben, 
zuweilen  finden  wir  bei  den  einen  o,  bei  den  anderen  a.  (vgl.  Ehrenreich,  die  Sprache 
der  Carayâ,  S.  A.  S.  24.)  Wo  daher  o  und  reines  a  nebeneinander  stehen,  wird  a  priori  zu 
vermuten  sein,  daas  es  sich  hier  um  einen  ä-Laut  handeln  muss,  dessen  Klangfarbe  indes- 
sen keineswegs  durchaus  fest  zu  sein  braucht. 

Die  Beispiele  sind  hierfür  sehr  zahlreich: 

Zunge:  E.  wa-darotö,  Kr.  dö.rötö  wädöjüte,  C.  wadarato,  Co.  ouadoroto,  E.  Qtorotö. 

Affe:  E.  k(a)raâbi.  Kr.  kjärtbf,  oder  mit  Metathesis:  kä!öbl-de(ru). 

Cer\'us  paludosus:  E.  brârà.  Kr.  b(ft)!öjag.  Kiss.  prd,réj. 

Grosser  Ameisenbär:  E.  wariri.  Kr.  wälilf,  Kiss.  wg,rirf. 

Yaburü:  C.  oorai,  Co.  ouaérecan.  Kr.  wäjnlf,  Kiss.  w5,ré,. 

Kleines  Krokodil:  E.  karärä,  Kr.  köjäüjä. 

Tracajä-Schildkröte  :  E.  kâtû,  Co.  cootou,  Kr.  ködil.  Kiss.  kQtä(%);  damit  Zusammen- 
hängend : 

Schildkrötenart  :  Kr.  d"  ködübönä,  9  kädöbönä,  Kiss.  hQtubunéj. 

Wachs:  E.  tobärä,  Kr.  täbölä,  (Metathesis)  Kiss.  tabQrà,  tebotére. 


—  150  — 

Urukü:  (bixa-orellana,  kleine  Früchte  zum  Rotfârben)  E.  warenö,  Co,  ouarénan,  Kr. 
wöleno,  wöläno,  Kiss,  w^rana. 

Lanze:  E.  tonâri,  Kr.  dönöli,  Kiss,  donori.      •      ^ 

Wurfbrett:   E.   kâobï,   Kr.  Karajä;  äubi,  öbird,  Savajé;  häöbi. 

Embira:  (Bast)  E.  SöSä,  Kiss.  &'âSâ. 

Mandiokareibliolz  :  E.  ârana,  Kr.  öläna,  Kiss,  korana. 

Klein  :  E.  9  rikore,  Kr.  cf  liöle,  9  llkiöle,  Kiss,  cf  ri§,re,  9  rikgire. 

Fisch:  E.  katora,  Co.  catoura,  Kr.  kädöla,  in  den  von  ihm  aufgenommenen  Texten: 
ködülä  =  peixe. 

Holzlippenflock:  E.  an&âo,  an&öö,  Kr.  Karajä;  öduhö,  käz'öe,  Savajé;  ö^du6,  Kiss. 
^(d)lo6,  ajS'oo^. 

Stock:  C.  awarou,  Kiss,  awari  =  Holz,  Baum,  E.  kauiro.  Kr.  kauäl6,  köwärÖ,  C.  caou- 
arou,  Gorou,  Kr.  köwo  =  Mörser. 

Keule:  E.  hâte,  kâte,  kohâte,  C.  cooati,  Kr.  gôbo(r)dé.  Kiss.  §.h§,téj  (Dorf  IjWanâs)  Qhgté 
(Dorf  Tamanacos)  ahote^  (Dorf  Alfredos)  9  kohote  (Dorf  Tamanacos.) 

tanzen:  E.  roSiräre,  ra&ärere,  C.  ratirere, 

weinen:  E.  roburere  C.  rabouraré,  Co.  roubouréri. 

Südliches  Kreuz:  (schwarzer  Rochen)  E.  bârâhoa,  bârahoâ,  Kr.  bôjôhùâe.  Kiss.  borQ  hou(w)é,. 

Fuss:  E.  cT  wa-wâ,  Kr.  cf  l-wa  (etc.)  9  î-woj. 

Karajâ  bei  sich  selbst:  Ina,  bei  den  Savajé:  ino.  (Kr.). 

Durch  Wegfall,  resp.  Eintritt  der  Nasalierung  (s.  u.  die  Nasallaute)  wird  zuweilen  ein 
Wechsel  zwischen  à  und  o,  a  und  5  herbeigeführt, 

Beispiele:  Giftige  Mandioka:  C.  odjou  oura,  E.  andziura,  Kr.  andjIDjä. 

3:  C.  inatau,  C.  naatan,  E.  inatan,  inatà,  Kr.  (i)näda°,  nädoj- 

8:  C.  naton,  Kr.  inäda". 

Sand:  Kr.  cf  känäla,  c?  kïnôla,  9  känäla.  Kiss.  anâ"râ,  dazu  gehörig  Sandbank:  E. 
kenära.  Kr.  kenöna,  Kiss.  k(a)nôrâ. 

Da  ferner,  wie  wir  sehen  werden,  das  o  häufig  in  u  übergeht,  so  treffen  wir  zuweilen 
statt  des  â  auch  einen  u-Laut  an. 

Ein  Männername:  E.  sokröä,  Sokroä,  Kr.  säkrüwa, 

Tragkiepe  aus  Korbgeflecht:  E.  behâra,  ubeharä,  Kr.  bëhnle,  Kiss.  be,hourâ. 

Knochenspitze  am  Fischpfeil:  Kr.  âhïdo,  ühido. 

Mandioka:  (Aipim)  E.  iira,  Co.  irou.  Kr.  I(ï)lû. 

morgen:  C.  rajouban,  E.  rudzebü, 

Krause  Texte:  lüdjebü. 

Steinerner  Lippenflock:  E.  manutere,  Kr.  mänädele,  Kiss,  manadéjre,  m(a)natére. 

Einige  hierher  gehörige  Contraktionen  mögen  im  Anschluss  hieran  aufgeführt  werden  : 

a  +  a  —  a  +  o>a. 

Unterschenkel:  C.  wa-até,  Kr.  wöäti,  E.  wati. 

Kopf:  C.  woara,  Co.  ouara  (spr.  wara)  E.  wa-ara.  Kr.  läa. 

a  +  ô  —  o  +  o>ö  (o). 

Tapir:  E.  kaonri,  C.  coonri.  Kr.  köli,  ölt 

a  +  o  —  0  +  0  (u)  —  o>ü. 

Cachoeira  (Stromschnelle,)  E.  cf  aorä,  C.  oou  rai,  E.  9  horä  häkoräre,  Kr.  hnjâe. 

a  +  0  >  ä. 


—  151  — 
Gesicht,  C.  naonsana,  Kr.  aä5,ne. 

0  +  0    }    ^ 

Ohr:  C.  wa  na  outai,  Co.  noon'ti,  Kr.  nàde,  nöoti  (Sudhorde)  wa-nuhöti  (Nordhorde.) 

Übergang  des  a  in  e  (ä),  weiter  in  i.  Hier  liegt  vermutlich  eine  ähnliche  Erscheinung 
vor,  wie  bei  dem  hellen  österreichischen  a,  welches  auch  bereits  stark  an  e  anklingt,  (oder 
bei  der  Aussprache  des  a  in  einigen  französischen  Worten.)  Dieser  Laut  entwickelt  sich 
aus  dem  reinen  a  dadurch,  dass  dasselbe  ein  geschlossenes  wird. 

Beispiäe:  Genipapo:  (zur  Schwarzbemalung  :)  E.  be^Enä,  Kr.  bädena. 

Piki:  E.  aramA,  arüma,  Kr.  lämä. 

Biene:  E.  badi,  Kr.  bcdf, 

Honig:  E.  be^âwù.  Kr.  bedö,  badürhö", 

Bienenstock  :  Kr.  badPdö,  (wo  das  u  aus  o  entstanden  zu  denken  ist  ;  s.  u.) 

KOrbisrassel  :  E.  uäru,  Kr.  ùSPjû,  Kiss.  waSö,  we^rö,  waS^ü,, 

Rundkorb:  Kr.  Karajâ:  waëlllf,  Savajé:  wälllf,  E.  wäriri,  Kiss,  weriri,  we,rejri,  warioré. 

Camp:  C.  badero,  Co.  bédéro,  Kr.  bëdElé. 

Tabakspfeife  aus  Jequitibäfrucht:  E.  aricoco,  Co.  ouricoco,  Kr.  wälikökö.  Kiss,  werikökö. 

Schulter  :  C.  wansioté,  E.  wasiotä,  Kr.  cf  ä5sl6t',  9  aeikötf  (Nordhorde)  äüsikot'  (Südhorde.) 

Schweigen:  Co.  iro  becoin,  Kr.  Jubäkö»,  damit  zusammenhängend  das  Wort  für  spre- 
chen; E.  irobe^ire,  Kr.  iQbà. 

Spindel:  E.  Karajà:  ä3oi'idäil.  Kr.  Savajé:  aPz'r)d56, 

Besondere  Schwierigkeiten  hinsichtlich  der  Erklärung  seines  Vocalismus  macht  das 
Wort  fQr  Haut,  Zeug,  und  davon  at^eleitete  Worte. 

Haut:  C.  tacou,  C.  takeu,  E.  wa-tçkç, 

Stoff  für  Gürtel:  Kiss.  ta,kâ,  tçkç, 

Hemd:  Co.  doucon,  Kr.  9  dëkë, 

Penis-Gûrtel:  E.  wa  no  teka  iri,  Kr.  noôdakân,  (wä)  notëkanâ, 

Fe<lerreif:  Kr.  n.1  takân, 

Gürtel:  E.  watakanä,  Kr.  wâ  däkänä,  Kiss,  wetakâna,  we.takanâ, 

Himmel  :  E.  biuâtëkë,  Kr.  bl(w)6déké.  biu  =  Regen,  teke  =  Haut,  Zeug. 

Hier  haben  wir  also  vermutlich  ein  Wort  vor  uns,  das  etwa  taka,  daka,  teka,  teke 
oder  deke  heisst,  daneben  wird  wohl  ein  Wort  stehen,  (welches  in  den  ersten  hier  ange- 
führten Beispielen  vorliegt,)  das  ein  Kehlkopfverschluss-e,  ein  ç  (s.  u.)  aufweist.  Dies  vermag 
die  Buntheit  des  Vocalismus  wahrscheinlich  zu  erklären. 

Bogen:   E.   Suahf-të,  C.   assouatai,   Co.  ouatsi'  até,  Kr.  wä-s(T)nhäte,  Bogen  zum  Baum- 
woUzupfen  :   wäälh(u)äta  (mit  ä  anstatt  e,  oder  ungekehrt,  s.  u.)  Kiss.  Bogen  =  wasiotë, . 
ôuahetë, 

gestern:  E.  kenau,  Co.  kenau.  Kr.  känan. 

Häufig  finden  wir  den  Wechsel  von  a  und  ë  (55)  im  absoluten  Auslaut.  (Kürzung?) 

Rücken:  E.  cf  wa-brâ,  9  i-brà, 

Tonteller:  E.  9  beSa,  Kr.  cT  bäz'a.  Kiss,  be^l,, 

Kinn  :  E.  dohuta.  Kr.  djühnte, 

Säugling:  E.  tohokua.  Kr.  döhöküae  (— é) 

nicht:  E.  köre,  kö,  koA,  Kr.  Texte:  kônë,  aber  E.  kura  in  ahartdo  ikura,  der  Mond  ist 
nicht  (da),  Neumond, 


—  152  — 

Spindelscheibe  aus  weissem  Stein:  Kr.  cf  mäule,  9  mänaküla  (mana  =  Stein,  ùlâ  = 

weiss.) 

GelWauer  Arara:  Co.  biita,  E.  betöä,  Kr.  bëz'a,  biz'ä, 

Caralcarâ:  (Raubvogel)  E.  iira,  Kr.  Savajë:  Ida,  Karajâ:  Ijae.^ 

Pirarucü:  (Fisch)  E.  bedoSeka,  C.  bedolouqué,  Kr.  b(ë)dGlëki, 

schlecht:  E.  aibina,  Kr.  iblna,  Co.  ibine. 

Infolge  des  Überganges  von  a  in  e  kommt  auch  der  weitere  in  i  vor,  da  e  und  i 
ihrerseits  ineinander  übergehen  (s.  u.) 

Sand  :  C.  kanara,  Co.  canoura,  caooura,  Kr.  känüll,  cT  9  kïnôlâ,  9  känäli,  dazu  Sand- 
bank: E.  kenara,  Kr.  këndna,  welches  das  i  zwanglos  erklärt. 

Cari:  (Fisch)  E.  runa,  Kr.  löni. 

Ferse:  E.  cf  wa-wareko,  Co.  oualocon,  Kr.  cf  Südhorde:  wä-läläk6,  Nordhorde:  wä- 
wäweliko,  9  Südhorde:  wä-läläko,  Nordhorde:  wä-wäjiko. 

Contraktion  (selten) 

a  +  e--e  +  e>äe. 

Haus:  C-  aëto,  Co.  ééto,  C.  hetö,  Kr.  hasto, 

Das  Karajâ  besitzt  also  einen  a-Laut,  der  die  Neigung  hat  in  e  überzugehen,  (geschlos- 
sen zu  werden)  vielleicht  am  Wortende  zu  e  gekürzt  wird,  und  einen  zweiten,  ofifenen  a- 
Laut,  (â)  der  in  o  übergeht  und  nur  ausnahmsweise,  wie  es  scheint,  im  absoluten  Auslaut 
zu  e  oder  ä  wird  ;  ausserdem  wie  schon  bemerkt,  ein  anscheinend  reines  a. 

e.  Nach  Krause  existieren  im  Karajâ  zwei  e-Laute,  ein  offener  und  ein  geschlossener, 
die  ausserdem  nach  Länge  und  Kürze  unterschieden  werden.  Wir  führen  dieselben  im 
Nachfolgenden  auf,  indem  wir  die  entsprechenden  Laute  der  anderen  Autoren  zum  Ver- 
gleich danebensetzen: 

L  Kr.  ë,  E.  ä,  e,  (S)  Co.  é.  Kiss,  ë  (ë),  C.  ay,  ai; 

2.  Kr.  ë,  E.  ä,  e  (ë)  Co.  é,  C.  é; 

3.  Kr.  âë  (ë)  E.  ä,  (e),  Co.  é,  C.  ai.  Kiss.  |; 

4.  Kr.  âë,  E.  ä,  e,  Co.  é,  C.  ay. 

Beispiel:  Wasser:  E.  beä,  C.  be-ai,  Co.  béé,  Kr.  baëae. 

Wie  man  hieraus  sieht,  ist  es  sehr  schwierig,  über  die  tatsächlich  vorliegende  Quan- 
tität und  Qualität  der  e-Laute  nach  den  Angaben  der  Autoren  ins  Reine  zu  kommen.  Wir 
stellen  dies  daher  ausserhalb  unserer  Betrachtung  und  wenden  uns  den  verschiedenen 
Übergängen  zu,  welche  das  e  in  Bezug  auf  andere  Vocale  aufzuweisen  hat.  Über  denjeni- 
gen zu  a  haben  wir  bereits  oben  ausführlich  gesprochen. 

e— i.  Das  geschlossene  e,  welches  man  mit  e  zu  bezeichnen  pflegt  (port,  ei)  geht  leicht 
in  i,  besonders  in  I  über. 

Beispiele:  Honig:  bëdëdo  (Krause's  Texte)  daneben  bidido. 

Kamm:  E.  Sehö,  Co.  si'o'o.  Kr.  z'lho.  Kiss.  Sëho,  tejho^. 

Ruder:  C.  narii,  Co.  naarii,  Lr.  nälihi.  Kiss,  nàrehe,  nàrehe. 

Hinterhauptsrad  aus  Federn:  E.  aheto.  Kr.  lähido.  Kiss,  rähe^tej,  raheito,  (portug. 
Schreibweise)  raheto.  Nackenfedern:  Kr.  lähedo. 

Alter  Mann:  Co.  matoucari,  E.  matokare. 

Tucunaré  :  (Fischmaske  :)  Kr.  (i)dj5lhüni,  E.  jarene.  Kiss,  jarehenë. 

Oberarmschmuck  (Federband.)  E.  deo^anä.  Kr.  deröz'ma,  mit  Metathesis. 


I 


f 


—  153  - 

Name  eines  Mannes  in  der  ßrüllaflfensage  bei  Krause:  hokûmâlï  oder  ökümäre. 
Lanze:  E,  tonâri,  Kr.  dönolf,  Kiss,  donorf,  (Dorf  Taraanacos)  donore  (Dorf  Chryostomo's.) 
Wie  heisst  Du?  E.  amoïné,  Kr.  möäeni. 
Schreien,  weinen:  Kr.  hPbjü,  IblÜ. 

Das  derivative  Suffix  ni,  wovon  noch  weiter  unten  die  Rede  sein  wird,  erscheint 
gleichfalls  als  ne. 

Tartaruga:  (Schildkröte)  C.  cootone,  Kr.  ködnnf, 

Katze:  C.  anoloé'ni,  Kr.  änz'n5-nf,  gäh-änlöe-ne. 

Caracara:  Kr.  ïlënf  neben  ijâé,  dazu 

Kleiner  Falke:  E.  irânë. 

Ochse:  C.  Ijoroleni,  boronne,  Kr.  bölö}Enf,  Kiss,  broreni. 

Thevetia:  E.  maranë,  Kr.  majänf,  Kiss,  môrani  (Suffix  ni?) 

Ohr:  Kr.  nöötf,  C.  noon'oti,  Kr.  nàdé. 

Hals:  Kr.  wälfttf,  C.  walaté. 

Nabel:  Kr.  blnö,  bCnd,  E.  wabenö,  Co.  ouabino. 

Unterschenkel:  Kr.  cf  dif,  E.  wa-tï,  Kr.  9  dsf. 

Piarara:  (Fisch)  E.  doori,  dörä,  Co.  dou'ouré.  Kr.  dole. 

EUdechse:  C.  toricoco,  E.  tonrököko. 

Zuckerrohr:  E.  raaitô,  Co.  ma'iti,  Kr.  mäl-itf. 

Batate:  E.  kotanitâ,  C.  cotarouti,  Kr.  köderOtf. 

Obergang  des  e  in  o. 

Beispiele:  Kniescheibe:  E.  wa-mena,  Kr.  mönä. 

Ferse:  E.  wa-wareko,  Co.  oualocon  (Kr.  9  wäiäläke,  wo  das  o  in  a  übergeht;  s.  o.). 

Pleiaden:  E.  äeralx)to,  Kr.  dölöbedö. 

Lippenpflock  aus  Holz:  E.  anSâo,  Kr.  ôdQho,  kaz'öe,  Kiss.  g,5'o6,. 

Schwarze  Leute  :  E.  tön  Sébë,  C.  toroijobo,  Kr.  töjl-djubü  (wo  o  in  u  übergeht  ;  s.  u.) 

Fledermaus:  E.  turehe-reko,  Kr.  doléhaî;  lök6. 

Ellbogen:  Kr.  cf  tâ(ë)bo,  9  däßkohö. 

f.  Dies  e  wird  durch  Kehlkopfverschluss  gebildet.  Es  ist  nur  von  Ehrenreich  und 
Kjs.hk.\berth  erkannt  und  demgemâss  bezeichnet  worden.  Dies  ç  geht  wahrscheinlich  in 
andere  Kehlkopfverschlusslaute,  \  und  y,  vielfach  über,  ausserdem  kann  es  in  manchen 
anderen  Lauten  bei  den  übrigen  Autoren  stecken,  ohne  dass  man  es  hier  mit  irgend  wel- 
cher Sicherheit  zu  eruieren  vermöchte. 

Beispiele:  Mandiokapresse,  Stäbchensieb,  Kr.  brSidjü,  brP(ï)-djé,  Kiss,  breij^,  breiji. 

Augenlid:  E.  I-ruabratçkç,  Kr.  laae-brrtdëkë,  mit  tçkç,  (E.)  Haut,  zusammenhängend. 
Über  das  letztere  Wort  vgl.  oben  bei  a. 

Taube:  Co.  botoé,  E.  bedäüä,  (Kr.  daaue)  Kiss.  bçtQé^,  Kr.  Savajé:  budge. 

Tabak:  Kr.  kü,tf,  E.  koti,  kotç,  kohotë,  C.  cooté,  Cou.  cooti. 

Pfeilrohr:  E.  betaurâ,  Kr.  b'dojë.  Kiss.  bçd(d)^ré,. 

Frau:  E.  hanökö,  hanokç,  Kr.  amuké,  Co.  anoucou  (coudounandé;) 

Schemel:  E.  kauriSâ,  Kr.  knjîàlî.  Kiss.  oriSç, 

ait:  E.  tçbç,  ferner  finden  sich  bei  E.  folgende  Schreibungen:  tabö,  tabu,  taby,  tjbu, 
tobä,  tube  und  tybe  und  Kiss,  tçbé,,  t§bü„  wahrscheinlich  haben  wir  hier  einen  Über- 
gaagslaut  von  ç  zu   y   vor  uns.  Ebenso  \ielleicht  im  den  Worte  für  Pfeil:  E.  wehe.  Kr. 


—  154  — 

wüöhü,  ûôhu,  ûëhu,  ûhâë,  wëhae,  Savajé:  wöhti,  C.  ou-eue,  Co.  bouourou,  Kiss,  wçhç,  wyhy. 

Schildkröte:  Kiss,  hotubunéj,  gut:  Kiss,  uitçtùjri  neben  uitytôjri. 

Contraktionen  aus  denen  e-Laute  entstehen: 

a  +  i>e.  a  +  i>ai>B  wie  im  Sanskrit. 

Tukunaré:  (Fisch)  Kr.  bainöla,  Co.  benora. 

Alte  Frau:  Co.  sainandouc,  E.  Sänandu. 

Rotblauer  Arara:  E.  daidorä,  C.  andedoura,  Co.  andédoura  (gelber  Arara)  Kr.  ändäEdölä, 
Kiss,  de^dörä. 

Gürtel:  E.  waitakani,  Kr.  wädäkäna,  Kiss,  we^takana. 

N.B.  oft  bleibt  aber  auch  das  ai  einfach  bestehen,  ebenso  das  a,  1,. 

e  +  0  bleibt  oder  wird  zu  äe,  resp.  ê  contrahiert. 

Unterann:  Kr.  deölüte,  (Nordhorde)  daëlïdaë  (Südhorde.) 

Ader:  Kr.  9  wädeköläti,  d"  wädüläti. 

e  +  e  wird  zu  5. 

Heuschrecke:  Kr.  sêêhi,  Maulwurfsgrille  oder  auch  gelber  Schmetterling:  Kr.  z'ëf. 

Tochter:  E.  cf  deS,  9  deö.  Kr.  cT  9  de. 

Tochter:  E.  âëëraii,  C.  veran,  Kr.  laêlù". 

Puva:  E.  bëëro,  Kr.  bäülo. 

Jaracara,  Sucuriu:  (Schlange)  Kr.  lS(ë)f,  lei,  (Kunst  der  Karajâ  S.  26.)  dazu 

Riesenschlange:  eräi. 

Schwund  des  e.  (selten.) 

In  den  "Worten  für  ja  und  nicht  erscheint  derselbe  selbstverständlich;  ausserdem:  x 
und  ß  Centauri  (Strauss)  E.  naukiä,  Kr.  nâuëkïe,  E.  Vogel:  nauaklriära  (=  naueki-riâré, 
kleiner  Strauss.)  Kiss,  naulye,  wohl  die  Form  der  cf -Sprache. 

i.  In  vielen  Worten  finden  wir  i  bei  allen  Autoren  in  gleicher  Weise  angegeben. 

Das  Übergang  des  i  in  j  oder  vielmehr  in  den  Halbvocal  i  ist  durchaus  nicht  häufig, 
es  findet  eigentlich  nur  nach  t  und  d  statt  und  dann  meist  vor  u  (i).  Vgl.  unten  die  Pala- 
tallaute dj  und  tj,  sowie  ihren  Übergang  in  ti,  di. 

Den  Übergang  des  i  in  e  (e)  haben  wir  bereits  bei  dem  letzteren  Laute  besprochen,  (s.  o.) 

Übergang  des  i  in  u. 

Beispiele:  Wundkratzer,  aus  Hundsflschkiefer  bestehend:  Kr.  Karajâ:  lädjf,  Savajé: 
lädsdjü,  Kiss:  S'atejü. 

Wohlriechendes  Harz  zum  Einreiben:  E.  andziura,  Kr.  ändlla  (der  Entstehung  nach 
nicht  ganz  klar.) 

Niesen:  E.  hatisi,  Kr.  ädiz'ii. 

Frauenbastbinde :  Kiss.  Karajâ:  ambuodâ,  hàbuoté,  Kr.  Savajé:  hâbïôdâë. 

Mädchen:  Co.  oueourou,  Kr.  uâêlïli, 

Tucano:  (Vogel)  E.  toriwa,  Co.  teroucrou.  Kr.  döllwa. 

Zauberarzt:  Spinola:  hori,  Kr.  kölü. 

Mädchenrock  aus  langen  schwarzen  Baumwollschnüren  :  Kr.  gööhf,  löhi. 

Wechsel  von  i — u,  wobei  das  u  seinerseits  in  o  übergeht,  (s.  u.) 

Stock:  C.  awarou,  Kiss,  aw^ri,  dazu  Holz,  Baum:  Kr.  köwärü,  kauälö,  E.  kauiro,  C. 
caouarou,  oorou. 

Zunge:  E.  wa-daroto,  C.  wadarato,  Co.  ouadoroto,  Kr.  dö,riz'6,  dö^röto,  wädölütö. 


—  155  — 

Nicht  ganz  deutlich: 

Hund:  E.  ikoro^a,  C.  kerota,  colosa,  aicorotha,  Co.  icoroqa,  Kr.  kiölöz'ä,  djöröz'a, 
kjojftz'ä,  kjTaz'ä,  kùlôz'à,  kùjîz'à. 

1.  Das  durch  Kehlkopfv-erschluss  gebildete  i  ist  nicht  häutig  im  Karaja,  es  kann  vielleicht 
in  einem  cxler  dem  andern  der  vorher  aufgeführten  Beispiele,  ebenso  auch  in  weiteren,  hier 
nicht  aufgeführten  Worten  stecken. 

So  vielleicht  in  den  Worten  für  Donner:  Kr.  biOmätjii,  -mäti,  E.  blO-ra-motü,  C.  aimanti,  dazu 

Gewitter:  Co.  bioumata,  aber  Kissenberth:  biu-m\jtä,  und  viele:  C.  soetoti,  Co.  son'é- 
toutouré,  Kr.  sôçdîdf,  toë-tltilï,  viel  =  tëdë. 

Sichere  Beispiele  sind  nur  Milchstrasse:  (Aschenweg  nach  Ehrenreich)  E.  bilbi,  Kr.  büllbf, 

Barrachiga-Holzer  ;  Kiss,  junlurä,  was  wahrscheinlich  Krauses  Wort  für  weiss,  lùdiùla 
entspricht  und  in  io  (E.)-ni-fi)ura  (E.)  aufzulösen  ist,  und  weisses  Holz  (Holz-Art-weiss)  bedeutet. 

Eigenname  eines  Mannes:  Kiss.  IjWanâ. 

i  +  i  wird  zu  i  (I). 

Beispiele  :  Netzdecke:  E.  rüö,  Kiss,  riiö,  Kr.  cf  n(l)6,  9  né. 

Mandioka:  fAipim)  E.  iira,  Co.  irou,  Kr.  I(i)ja. 

Caracarâ:  E.  nra.  Kr.  'Uhm)]è,  Ijàë, 

Maskenmuster:  Kr.  haUPkllfldjäz'ö >  auekridjäz'ö, 

Halbcuye:  E.  cj"  iiia,  Kr.  iàà,  E.  9  i^i  dazu  Calebassenbaum  :  Co.  icha. 

o.  Über  einige  o-Laute,  nämlich  solche,  die  sich  dem  a,  resp.  e  nähern,  ist  bereits  oben 
gesprochen  worden.  Hier  verzeichnen  wir  zunächst  den  Übergang  der  o  in  u,  auf  den  auch 
Ehrexreich  hinweist  und  welcher  sich  in  vielen  anderen  Sprachen  (nicht  nur  Amerika's) 
wieilerholt. 

Beispide:  Stirn:  C.  wa-a-ro  —  C.  oucouro,  E.  wa-oro,  Kr,  ölü,  ü\6,  wäujÖ, 

Nabel:  E.  wa-beno,  Co.  ouabino,  Kr.  binû,  bünü, 

Puls:  Kr.  knd,  köö, 

schlafen:  E.  rHrö,  rnrufi,  Kr.  InJÜ,  C.  arourou-cré  (=  ich  will  schlafen),  Co.  ronrocré. 

In  den  folgenden  Worten,  welche  offenbar  zusammengehören,  besonders  deutlich: 

Kind  :  C.  osado, 

Tochter:  C.  oladou, 

Ehefrau:  E.  udadtôa, 

Klein:  E.  ioSatft, 

Knabe:  Kr.  ndatlö,  öz'ädö, 

menino:  (Kr.  Texte:)  öläds. 

Wir  haben  also  zweifellos  eine  Form  wie  'üfadu  anzusetzen,  wobei  das  û  einen 
Zwischenlaut  zwischen  o  und  u  bedeutet,  wie  dies  in  einigen  von  Krause  aufgenommenen 
Worten  auch  der  Fall  ist,  und  das  C  dem  nordischen  ^,  einem  weichen  (englischen)  th 
entspricht. 

Mond:  E.  ahandö,  C.  aadou,  endo,  Co.  anandou.  Kr.  ahändü^. 

See:  E.  ai'iho,  C.  en-o.  Co.  an-o.  Kr.  ahü^, 

Halm:  Kr.  u^abö, 

Fisch:  E.  katora,  Co.  catoura.  Kr.  kädöja,  Texte:  krttiujä,  dazu  Fischschuppe:  E.  katura 
idzi  und  Fischgräte:  Kr.  kädü!ä-kl,  (ki  wohl  =  ti,  Knochen,) 

I.  A.  f.  E  Bd.  XXIII,  21 


—  156  — 

Cari-Fisch:  E.  runä,  Kr.  lôni, 
Spitzovaler  Korb:  Kr.  dälidun,  dälidöna, 

Aipim:  (Mandioka)  Kr.  Texte:  N"  IV.  2.  srù,  IV.  3.  iro,  sonst  I(ï)lâ, 
Vollcuye  mit  Hängeband:  Co.  oua'labocon,  (Calebasse,)  Kr.  wäläbiikü, 
Freund:  Co.  ouasakina,  Kr.  öäläktdä. 
o-u-a-i  nebeneinander; 

Zunge:  E.  wädaroto,  C.  wa-darato,  Co.  ouadoroto,  Kr.  döjröto,  wädölutö,  dö^rlz'o. 
Contraktionen,  aus  denen  o  entsteht,  und  zwar  nach  den  Angaben  Kkause's  ein  langes 
ö,  wie  dies  ja  auch  nach  den  allgemein  geltenden  Sprachregeln  zu  erwarten  ist. 

ä       0 
a  +  u  >  0  (wie  im  Sanskrit,)  genauer:  .,  +  „  >  au  (äo)  >  â  >  o. 

Beispiele:  Rotharz:  Kr.  däumäle,  dömäle,  E.  taumarä,  (Harzart,) 

Zauberarzt:  E.  kahotebädö.  Kr.  kâudùwâëdiî,  kö}u,  Spinola:  hori, 

Ringförmige  Stammestatuieruug  auf  den  "Wangen:  E.  auSaraanurë,  C.  waaoumaourai, 
Kr.  ödemärlru.  Kiss,  adamoru. 

Schemel:  E.  kaurieä,  koriSä,  Kr.  kölisu.  Kiss,  orisé', 

Pfeilrohr:  E.  betaurä,  Kr.  b'döle,  Kiss.  bed(d)§,ré. 

Wurfbrett:  Kr.  äübi,  öbiru,  E.  käobi, 

Fischnetz  zum  Pirarucüfang  :  E.  deaurirö.  Kr.  däSöjaSlö, 

Kokoskeme  zum  Essen:  C.  aalay  (â?)  Kr.  hâulënïdo,  hölenf,  köllnf  (ni-  Suffix,  Derivativ, 
eine  Art  angebend.) 

Taube:  E.  bedaüä,  Co.  botoé,  Kr.  dâïïae.  Kiss,  bçtoë^, 

Eule:  E.  kauzurukü,  C.  azoukoulé,  Kr.  kodzùlùkii. 

Jaguar:  E.  anSauä,  Kr.  änlöae. 

Echo:  Kr.  kënâusîwae,  kënôi^Iwae, 

4:  Kr.  näülio,  nödia, 

Holz:  Kr.  käuölo,  Holzpuppe:  Kr.  ko._jWa-k6jWä. 

Auch    J  .    ^  wird  zu  ö  contrahiert. 

Beispiele:  essen:  E.  cT  rösi,  C.  loosi,  Co.  rerochiqué.  Kr.  dösi,  E.  9  rokuSi,  Kr.  läküef. 

Bootsstange:  C.  oodjou.  Kr.  h(5)djö. 

Lange  Tragtasche  aus  Palmwedeln:  Kr.  löüle,  lölö, 

Rücken:  Kr.  9  wä-z'öküne,  cf  wä-z'öni,  (s.  u.) 

Wolf:  Kr.  ähouda,  C.  aosa. 

â 
(u  +  u)  wird  zu  ö. 

0   +   0 

Tabak:  E.  kohotë,  koti,  kot§,  C.  cooté,  Co.  cooti.  Kr.  köjtf. 

Jungfrau  :  E.  9  yadokoma,  cf  yadôma,  Kr.  jädoma  (wo  vielleicht  das  ô  gekürzt  worden  ist,) 
Piarara;  (Fisch)  E.  doori,  dörä,  Co.  dou'ouré,  Kr.  dole, 
Augenschirm:  E.  âodi,  Kr.  ödji,  ödi.  Kiss,  öji,  ödi,  Federreif:  Kr.  öödjf, 
Diadem  :  ödidae  ;  wiederum  mit  Kürzung,  wahrscheinlich  weil  hier  das  Wort  dreisilbig 
geworden  ist  und  der  Accent  auf  der  letzten  Silbe  liegt.) 


—  157  — 

n.  Dieser  Laut  ist  meistens  nicht  von  dem  Halbvocal  u,  welcher  zuweilen  als  w  ge- 
schrieben wird,  zu  unterscheiden,  letzterer  ist  dem  englischen  w  (in  water,  well)  sehr 
ähnlich.  Den  Übergang  des  u  in  o  einerseits  und  i  anderseits  haben  wir  bereits  oben 
besprochen. 

Übergang  des  u  in  w  (u). 

Die  Vorsilbe  wa  tritt  häufig  als  ua  auf,  (bei  Castelnatj  zuweilen  oi  geschrieben). 

Bei«pide:  Cervus  campestris:  E.  wati,  Kr.  üätf,  Kiss.  wätf,  damit  zusammenhängend 
(ni-Suffix). 

Ziege:  C.  wachini,  Kr.  üätlnf, 

Urukü:  (bixa  orellana)  E.  wareno,  uarenö,  Co.  ouarénan,  Kr.  wöleno,  wöläno,  Kiss. 
wfranà. 

Grosser  Ameisenbär:  E.  wann,  uariri,  Kr.  wälilf,  Kiss.  w§,rirf, 

Himmel  :  E.  biuätSke,  Kr.  bl(w)ëdëké,  (das  w,  welches  sich  auch  dem  h  nähert,  s.  u., 
hat  die  Neigung,  zuweilen  zu  evanuieren,  bisweilen  auch  das  u,  s.  d.  folgende  Beispiel,) 

Holz,  Baum:  C.  caourou,  oorou,  E.  cf  kauiro,  9  kauorö.  Kr.  käuölo,  köwärü,  Mörser: 
Kr.  Karajà:  köw6,  Savaje;  köö,  Holz  zum  Tatuierstempel  ;  Kr.  ka(w)ä6j,  Holzblock  zum 
Manschettenstricken:  E.  kaûarn. 

Vollcuye:  Kr.  ualö,  Kiss.  wäSö. 

Tontopf:  E.  watihui,  ùatihui.  Kr.  wätlwf,  wadjïwf, 

Pacüfisch:  E.  ariwa,  ariua,  Co.  ari'oua,  Kr.  (h)alïwâ, 

Pfeffer:  E.  ka-suärä,  Co.  cachi'ouéra.  Kr.  käsiwPra, 

Kaou:  Kr.  (h)awö,  E.  auAö,  C.  awo,  Co.  aoun'o,  Kiss.  hàwoj,  hàô, 

û  +  ù  wird  zu  0  contrahiert,  zuweilen  bleibt  es  auch  bestehen. 

Mattenwand:  Kr.  9  bùkùjé,  cT  bnjé, 

Jatobâfi-ucht  :  E.  köüoä.  Kr.  knwâ, 

Mund:  E.  cf  wa-ru,  9  mu»  C.  wa-a-rou,  Co.  ouaarou,  Kr.  wSlÖ,  Ina,  Kiss.  wa-röj, 

Sonne:  E.  tiO,  C.  tlou,  Co.  tiouou,  Kr.  tjn(h)ä,  tjoä,  (ebenso  Kissenberth.) 

Û  +  Û  >  n. 

Erde:  C.  soru,  souou,  Co.  so'o'o,  dazu  Kr.  rote  Erdfarbe:  z'az(5,  z'öa, 

Kapivara:  (Zähne)  E.  kûùa.  Kr.  9  ka(w)âe, 

Leguan:  E.  küurä,  Kr.  ka-(n)!äe,  Kiss.  kurë, 

Wind:  Co.  oouou,  Kr.  n(e)hÖ, 

l  +  o>ü. 

Cachoeira:  E.  aora,  C.  oourai,  Kr.  hnjäe. 

Zwischenlaut,  Übergang  des  w  (oder  des  Halbvocales  u)  in  h,  von  Krause  bemerkt  und 
mit  h  bezeichnet,  aber  kaum  in  seinen  Worten  vorkommend. 

Beispiele:  Kniescheibe:  Kr.  wä-köwo,  dazu  Kniegelenk:  E.  wa-koho. 

Fuss:  E.  wauwâ,  C.  wa-awa,  Co.  ouaoua.  Kr.  wähl,  wäu-wa, 

Wadenschmuck:  (Fransen)  Kr.  (k)nlauw(l,  knlâùh6, 

Brust  des  Frau:  E.  cf  ihukä,  9  wahukau,  C.  wa-wou-o,  Co.  ouaoucan.  Kr.  käha, 

Bauch:  E.  wahuä,  C.  waawai,  Co.  ouaouancame,  Kr.  wâùwé, 

Vater:  E.  wahâ,  C.  ouaa,  Co.  ouaoua,  Kr.  wähä. 

Man  zieht  deutlich,  dass  es  sich  hier  um  eine  bestimmte  Gruppe  von  Worten  handelt. 


—  158  — 

welche  ähnlich  lauten,  ohne  dass  die  ratio  der  Veränderungen,  von  h  zu  w  oder  umgekehrt, 
einzusehen  wäre. 

Besonders  zu  bemerken: 

Tabakspfeife:  E.  arikoko,  Co.  ouricoco,  Kr.  (w)ällkök6. 

n.  Das  u  mit  Kehlkopfverschluss  finden  wir  in  einigen  Fällen  deutlich  angegeben,  es 
kann  wahrscheinlich  auch  noch  in  anderen  Worten  verborgen  sein,  da  einige  Autoren  es 
nicht  besonders  registriert  haben. 

Sichere  Beispiele:  Kalt:  E.  kyhyre,  kaheri,  -kërë.  Kr.  k(ë)rë, 
Ein  Webemuster:  Kiss,  kodöry, 
,  Weisse  Frauenbastbinde  -  Kr.  hïdëàlë,  ïdëhaEje,  Kiss,  idCjhuré,  lyehyré,, 
Ohrscheibe  :  Kiss,  amaurî, 

Patipalmholz :  Kiss,  buri,  Ohrstäbchen  aus  dieser  Holzart:  byri&öj,  wo  &6,  vielleicbt 
aus  döhö  (Kr.)  contrahiert  zu  denken  ist, 

Kalebasse:  Kiss.  wa&2Ü3,  aber  auch  wäSo,  E.  uärü.  Kr.  üäßju, 

Zahn:  Kiss,  jödj,  E.  wa-idzu,  9  tüü,  C.  wa-adjou.  Kr.  cf  djüü,  wä  tjÖ,  9  djod,  tjOü, 
Vagina:  Kiss,  wa-tüj,  Kr.  Idü,  E.  i-tü, 

ich  will  pissen:  Kiss.  aritü.,kre,  pissen:  E.  ari&uiii.  Kr.  kälidikOn, 
Donner:  Kiss,  biu-muta,  E.  blüra-motü.  Kr.  biümati,  biamatjü, 
Mund:  Kiss,  wa-râ,,  E.  wa-ru,  C.  wa-arou,  Co.  wa-arou,  Kr.  wä-lü, 
Gut:  Kiss,  uitutdri,  daneben  uitçtyri,  s.o.,  Co.  aoui'toutoure,  E.  (uitë)itotori,  dazu  schön: 
E.  auiture,  C.  awitori,  Kr.  hâu(ïjtëtë, 
Delphin:  Kiss,  juyrehéne, 

Messer:  Kiss,  mau,  C.  maeu,  maou,  Co.  maou,  E.  mahau,  Kr.  mä(h)6. 
Übergang  des  y  in  §. 

Pfeil:  E.  uëhë,  C.  ou-eu,  Co.  bouourou,  Kr.  ùëhû,  aôhû,  Kiss,  wyhüj,  wçhé,  (Zusammen- 
hang vielleicht  über  i  ?)  und  alt  :  Kiss,  tcbüj  neben  t§b§,  s.  o. 

Unsicheres  Beispiel:  Frau:  E.  hanökö,  hanökc,  Co.  anoucou.  Kr.  ämüke,  haù(e)ké, 
C.  awkeu. 

Diphthonge.  Wir  zählen  dieselben  lediglich  auf: 

(aa)  (ii)  ü.e, 

a,i,  1,0,  ül 

a,Oi  i,ù,  (uu) 

aä  ju 

a,ùi  o,a, 

au  a,äü  (üä) 

äeä  öje 

eä  ö5 

(ee)  öl 

ëï  (00) 

ë5"  âo(uo) 

ëù  ôa  Bei    den    in    Klammem 

lä  Ù,  a,  gesetzten    Diphthongen   sind 

ïa  U4ä  Längen-,  Kürzen   und  Nasa- 

iß  Qä  lierungszeichen   fortgelassen. 


—  159  — 

B.  Konsonantismus. 
1.  Nasales. 

n  und  Nasalierungen  von  Vocalen. 

Das  einfache  n  findet  sich  bei  mehreren  Worten  von  allen  Autoren  gleichmässig  ange- 
geben; es  ist  oft  nicht  streng  von  dem  Nasalierungs-n  zu  trennen.  Ebensowenig  der  von 
P^HKENREiCH  mit  ft  bezeichnete  Laut.  Derselbe  wird  wahrscheinlich  als  ein  Ausdruck  für  die 
Nasalierung  anzusehen  sein.  Nasalierung  im  eigentlichen  Sinne  wird  sonst  von  den  Autoren 
mit  ~  wiedergegeben,  von  den  Franzosen  mit  n,  welches  dann  wie  das  Nasalierungs-n  des 
Französischen  nach  Vocalen  zu  sprechen  ist.  Cerebrales  n  (n)  existiert  nicht  im  Karajâ, 
siehe  u.  bei  r.  An  Nasaherungsvocalen  kommen  à  und  ô  häufiger  vor,  û  seltener,  î  (und  ä") 
ganz  vereinzelt. 

Beispiele  fur  das  Nebeneinander  von  einfachem  n  und  Nasalierungs-n  (E.  n) 

Mond:  C.  aadou,  endo,  E.  ahaftdö,  Co.  anandou.  Kr.  ähändü«, 

Thevetia:  E.  marane,  Kr.  majänf,  mSnanf,  Kiss,  môrani, 

Farinha  von  Mais:  Kr.  könrtndas  dübö, 

dgl.  von  Mandioka:  E.  kanandc,  Co.  canandé,  Kr.  kënôdé, 

Giftige  Mandioka:  Kr.  kënodàe. 

Transportsack  aus  Buritifasem:  E.  manâï,  Kr.  roàâf,  Kiss,  maäi, 

wart«:  Kr.  jöklen,  jftkje, 

Jaguar:  E,  aftSauâ,  C.  avoai,  Co.  anolé,  Kr.  änlöae,  ändöae, 

Schlange:  E.  àmonSâSa,  C.  amantala,  Co.  émanlala,  émalala,  Kr.  Karajâ:  (h)äSmadadä, 
§avaj('-:  äPmodädä, 

Rohbaumwolle:  E.  (f  aSoftarä,  9  a&oftkura,  Kr.  cf  asôtâe,  9  âsontâek'.  Damit  zusam- 
menhangend, Spindel  :  Kr.  cf  äBso,  9  asz'é.  In  einigen  der  vorigen,  wie  auch  in  dem  letzten 
Beispiele  steht  einfacher  Vocal  für  den  nasalierten  Vocal;  auch  in  den  folgenden  ist  dies 
der  Fall: 

Buritiflechtfasor  :  Kr.  (I)ädeh6  (Nordhorde)  E.  Buritipalme  atähö.  Kr.  Iädeh6,  (Südhorde): 
Co,  été'on,  Buriti:  Kiss:  tehô,  ätehä'o, 

Sand:  E.  kanara.  Kr.  känulä,  kïnôlâ,  Kiss,  anâ'râ,  dazu  Sandbank:  E.  kenarä.  Kr. 
kenönä,  Kiss.  k(a)nurä, 

Tapir:  E.  kaoftri,  C.  coonri,  Kr.  kôli,  kôlf,  ölf. 

Flöte  mit  Kürbisresonanz :  E.  adiiuranë,  Kr.  ä(n)djn!öna,  Kiss,  àjuronâ",  (dazu  singen: 
C.  adjuro) 

ein  ähnliches  Wort  bezeichnet  die  giftige  Mandioka:  E.  andz'iura,  Kr.  ändjraujä,  C. 
adjou-oura, 

Palmnuss  zur  ölbereitung:  Kr.  ähä(n)dete, 

nicht:  E.  kö,  koft,  Kr.  Texte:  könC, 

viele:  C.  soetoti,  Co.  son'etoutouré,  Kr.  sôsdidf,  (Südhorde,)  toë-tïti-lï,  (Nordhorde,) 

Herdsteine  aus  Spitzen  von  Termitenhaufen:  Kr.  ä(n)d6, 

See:  E.  aftho,  C.  en-o,  Co.  an'o,  Kr.  ähö«, 

Lippenpfiock  aus  Holz:  E.  anSaö,  Kr.  kaz'öe,  Kiss.  ^'o6„  ^d)lo6j, 

Häuptling:  E.  i.^ndenödö,  C.  chandénondo, 

Tagesmoskito:  Co.  monronra.  Kr.  majûjâ. 


-  160  — 

Ruder:  E.  nähere,  K.  nälihi,  Kiss,  nàrehe,  nàrehe, 

Timbö:  (pflanzliches  Fischgift:)  Co.  achidé,  Kr.  änz'f,  vgl.  Co.  herbes  de  la  Savanne:  ancé 
und  liane:  anchidé,  rötliche  Embira  (Bast);  E.  &ö&ä,  Kr.  do"Mé,  Kiss,  dàté^,  auch  B'sSi, 

Savajé:  Kr.  Isändjii,  isä(n)diwändu, 

Berg:  E.  hauaSo,  C.  enwaso,  Co.  an'oüanlo, 

Gesicht:  Co.  naonsana,  Kr.  aSö^ne, 

Frauenbastbinde  :  E.  inantö,  Kr.  inäudu; 

Ohr:  (und  verwandte  Worte)  Co.  noon'ti,  C.  wana-outai,  Kr.  cT  nàde,  nöötf,  wä-nühötf, 
9  nohödi,  wa-nùhôtî,  dazu  Ohrläppchen:  Kr.  nâdë,  E.  cf  wa-nohö-ta,  9  tohofttä, 

Ohrloch:  E.  tohontä-ua,  9  tohontä-uoku,  Kr.  nohôd5-wâ, 

Schulter:  C.  wansioté,  E.  wa-siotä,  Kr.  äeslot',  aüSlÖtf,  dazu  Oberarm:  C.  wa-asio,  E. 
wa-anSia,  Co.  ouachicon,  Kr.  öänslö; 

Nicht  ohne  Schwierigkeit  ist  das  Wort  für  Boot  zu  erklären:  E.  cT  auno,  9  aükö, 
aùoko,  Co.  aun'o,  Kr.  (h)äw6,  C.  awo,  Kiss,  hawo^,  hàô,  wahrscheinlich  ist  das  w  in  der- 
jenigen Form  entstanden,  in  welcher  die  Nasalierung  fortfiel. 

Fehlen  'des  Nasals  im  Auslaut. 

Urukü:  E.  wareno,  Co.  ouarénan,  Kr.  wôlëno,  w6län6,  Kiss.  w§,ranä, 

Mamao:  E.  tourikoü.  Kr.  döliwü", 

3:  Co.  naatan,  E.  inatan,  inatä,  inata.  Kr.  nädOj,  (i)näda'',  dazu  13:  E.  wa-wa-  inatafl 
héura,  Kr.  wäha  ïnâdâ",  üäu  inado^, 

Penis:  E.  wa-no,  wa  ano,  Kr.  dôô,  döö,  döo,  nöö",  9  döö", 

Häkelnadel:  E.  desi-tan  (von  de§i,  Armschmuck,  welche  gehäkelt  wird,)  Kr.  deSidünä, 
Kiss.  deSitunä, 

Mit  Vocalwechsel :  morgen:  E.  rudzebu,  C.  rajouban,  Kr.  nOdjIbé,  ladjëbii, 

Stern:  C.  E.  takina,  Co.  taïnan.  Kr.  dälna, 

Ferse:  E.  wa-warekö,  Co.  oua-locon.  Kr.  wa-wäläk6, 

Ellenbogen:  E.  wa-hotirarekö,  Co.  ouatirarecon, 

Hand:  E.  wa-Sebo,  C.  wadebo,  Co.  outcpon,  Kr.  (wä)dSw6, 

Weibliche  Brust:  E.  wa-hukä,  Co.  ouaoucan,  C.  wa-wou-o,  E.  9  wahukan,  wahukà, 
wahuka,  wahukä; 

Besonders  zu  bemerken:  Stein:  E.  mâna.  Kr.  mäna,  Co.  ma-oua; 

für  eine  starke  Artikulation  des  n  spricht  Castelnau's  man(n)a;  Kissenberth's  m(a)nâ 
beweist  dasselbe,  (das  n  vermag  ohne  die  vocalische  Stütze  für  sich  zu  bestehen.) 

Als  Nasalier ungselement  kommt  m  neben  n  und  n  (û)  vor,  ganz  besonders  ist  das  vor 
b  der  Fall,  wie  es  ja  auch  in  europäischen  und  anderen  Sprachen  vorkommt,  dass  n  vor 
b  als  m  auftritt. 

Beispiele:  Berg:  C.  amaro,  Co.  an'oüanlo, 

Frau:  Kr.  ämuke,  E.  hanökö,  Co.  anoucou-  (coudounandé). 

Imperativpraeflx  m,  (m-anaka,  m-ana-kre,  krS  =  Imper.  SuflBx,)  als  n.  Kr.  Texte:  n- 
berbon,  töten  wollen  (dazu  die  Anmerkung  Kr.'s  auf  S.  474  des  Reisewerkes.) 

Rote  Frauenbastbinde:  Kr.  ämbü(g)odae.  Kiss,  hàbuote,  àbuodéj,  ohne  Nasal  im  Savajé: 
(Kr.)  häbiödae,  Karajä-Leute  :  Kr.  Ino,  E.  inomboho, 

Mann:  E.  äähbü,  C.  abou.  Kr.  äabö,  Co.  babou'  oudounandé,  Savajé:  Kr.  ämbü  — . 

Um  Metathesis  handelt  es  sich  bei  dem  Worte  für  4,  (und  den  damit  zusammenhan- 
genden für  9  und  14)  wo  m  und  n  den  Platz  tauschen,  da  die  dritte  Silbe  mit  b  anlautet. 


—  161  — 

4  =  E.  inambio.  imanbio,  Co.  inanoubioa,  Kr.  ïnambïo, 

sterben,  schlafen:  E.  rörö,  rörun,  rörom. 

Nebeneinander  von  1  und  n.  Ob  das  1  einem  3'  entspricht,  ist  nicht  mit  Sicherheit 
auszumaclien,  ausserdem  ist  es  ein  ganz  singulärer  Fall,  wo  vielleicht  ein  Versehen  vor- 
liegen könnte. 

Urubü:  (Vogel),  F.  näarä,  Co.  la'ara.  Kr.  lälä. 

n- Vorschlag  im  Anlaut. 

Papagei:  E.  ndarä,  Co.  do'oré,  Kr.  dölae, 

Grille:  Kr.  n-blöja,  ob  hier  verbergende  Vocale  ausgefallen  sind,  steht  nicht  fest,  (vgl. 
das  Wort  für  ja,  E.  ende,  Kr.  ndé,  s.  u.  über  den  Anlaut.) 

2.  Labiallaute. 

p.  Dieser  Laut  existiert  im  eigentlichen  Karaja  nicht  •),  er  kommt  nur  in  solchen 
Worten  vor,  die  aus  europäischen  Sprachen,  besonders  aus  dem  Portugiesischen,  entlehnt 
sind.  Ferner  dient  das  p  dazu,  um  in  fremdsprachUchen  Worten,  in  denen  ein  f  vorkommt, 
dasselbe  zu  ersetzen,  denn  dieser  Laut  fehlt  in  Karaja  völlig. 

Das  p  wird  wohl  überhaupt  nur  ein  scharf  articulierter  b  darstellen. 
Beispiele:  Der  Hut  beisst  säpPÖ,  (port.  chSpeo)  der  Häuptling  kapïtâ",  beides  nach  Kr. 
Einige  brasilianische  Worte,  welche  Kr.  mitteilt,  zeigen  die  p-Aussprache  des  f: 

bras,  facào,  kar.  päcö», 

„      farinha,  „     pärfnjä, 

„      chifre,  „     §fprë, 

„     facer,  ,     päser. 

b.  Das  b  ist  ein  Laut,  welcher  etwas  an  das  französche  p  zu  erinnern  scheint.  Derselbe 
findet  sich  in  vielen  Worten  des  Karaja  von  allen  Autoren  gleichmässig  angegeben.  Nur 
ganz  ausnahmsweise  scheint  er  besonders  scharf  articuliert  zu  werden,  so  in  dem  von  Kiss. 
aufgezeichneten  Worte  für  Sumpf  hirsch  :  praire,,  für  welches  E.  brarä.  Kr.  b(öjjsläe  angibt  ; 
die  übrigen  von  Kiss,  notierten  Worte,  in  denen  b  vorkommt,  weisen  durchaus  Überein- 
stimmung mit  den  Aufnahmen  der  anderen  Reisenden  auf. 

Bei  der  undeutlichen  Aussprache  des  Karajâidioms  ist  es  nicht  zu  verwundern,  wenn 
wenn  b  und  m  zuweilen  nicht  deutlich  zu  unterecheiden  sind  (vgl.  Ehrenreich,  Beiträge 
S.  39)  Jedoch  ist  eigentlich  nur  ein  einziges  Beispiel  vorhanden,  in  welchem  die  deutUche 
Articulation  m  nebeti  der  des  b  notiert  worden  ist. 

Transportsack  aus  Buritifasern:  E.  cf  manSi,  Kr.  cf  màSf,  9  màSf,  bààf,  Kiss,  màèl 
Hier  scheint  jedoch  der  m-Laut  das  eigentlich  zugrunde  liegende  Element  zu  sein. 

Häufiger  sind  die  Beispiele,  in  denen  b  und  w  nebeneinander  hergehen. 

Kopf:  E.  wa-ara,  C.  wo-ara,  Co.  oùara.  Kr.  laä, 

Handfläche:  E.  wa-Sebö-br-,  Kr.  wä-dewö  rädf,  und  vei-wandte  Worte, 

Bauch  :  E.  wa-hua,  C.  wa-awai.  Kr.  wâùwe,  9  waiibükunü,  Co.  ouaouancame. 


i)  Die  wenigen  Beispiele,  in  denen  er  angeblich  vorkommt,  können  sehr  wohl  verliört  sein,  so  z.B. 
Ente:  E.  poAarKra,  Finch:  C.  pottoura;  für  Fisch  gibt  F..  katora  iaatä,  (=  Fisch-Hundsfisch)  Co.  catoura, 
Kr.  kSdOla,  also  mit  k-Lauten  am  Wortanfang. 


—  162  — 

Mann:  Kr.  âàbâ,  E.  äänbu,  C.  abou,  Co.  babou'oudounandé,  babou  wird  wohl  gleich 
wa-abu  sein. 

Zauberarzt:  E.  kahotebädö,  Kr.  kâudùwaêdil, 

Pfeil:  E.  wehe,  Kr.  üehu,  Kiss,  wçhç,  Co.  bouourou,  C.  ou-eu, 

6:  Kr.  dübö  z'Öhödi,  E.  wa  Sebö  âohadzi  hëura,  C.  wadewa  sori.. 

In  einem  Falle  wechselt  b  mit  r,  das  eine  Wort  aber  gehört  der  Männersprache  der 
Nordhorde  Kr.'s,  das  andere  der  Frauensprache  seiner  Südhorde  an. 

Rote  Knöchelbänder:  N.  cT  dëôbùdae,  S.  9  dëkôlùtae. 

Hier  haben  wir  es  wohl  mit  einem  singulären  und  rein  dialektischen  Unterschied  zu  tun. 

m.  Das  m  kommt  verhältnismässig  wenig  häufig  vor;  dort,  wo  es  vorkommt,  flnden 
wir  im  Allgemeinen  Übereinstimmung  in  den  Aufzeichnungen  der  Reisenden. 

Dass  m  einerseits  in  n,  anderseits  in  b  übergehen  kann,  haben  wir  bereits  oben  gesehen. 

3.   Gutturallaute. 

Eigentiich  existiert  nur  ein  einziger  Gutturallaut,  und  zwar  die  Tenuis  k.  Diese  wird 
zumeist  von  allen  Autoren  als  einfaches  k  wiedergegeben. 

In  einigen  Fällen  steht  g  für  k,  g  ist  jedoch  kein  selbständiger  Laut  und  wird  wohl 
etwas  schärfer  articuliert  zu  denken  sein,  also  sich  dem  k  nähern. 

Keule:  E.  kâte,  aber  auch  hâte,  was  wahrscheinlich  den  Übergang  in  g  erklaren  wird 
(s.  u.  über  den  Wechsel  von  h  und  k)  C.  cooati,  Kr.  gohô(r)dé.  Kiss.  kQhQte, 

Vogelspinne  (Spinne):  Co.  cantiouroucou,  Kr.  ködjürügü,  Kiss,  kojuruku.  Zuweilen  fallt 
auch  das  g  fort  (ebenso  wie  das  h,) 

Rote  Frauenbastbinde  :  Kr.  ämbü(g)ödae,  Kiss,  hàbuoté,  abußde,, 

Mädchenrock  aus  langen  schwarzen  BaumwoUschnüren  :  Kr.  gOohf,  daneben  löhf. 

ja:  Kiss,  gja,  kjama,  Kr.  kja,  klaklë,  E.  kiaki. 

Zuweilen  steht  h  für  k,  hier  ist  vielleicht  anzunehmen,  dass  die  betreffenden  Worte 
bei  Verlusst  des  k  ein  h  als  Ersatz  erhalten  haben. 

Beispiele  :  Rote  Frauenbastbinde  :  Kr.  kämbü,  cf  ämbü(g)ödae,  9  ämbluöde,  Kiss,  hàbuoté, 
àbuode.^, 

Capivara:  E.  küüä,  Kr.  hüae, 

Oaguassupalme:  E.  horëmë,  dazu  Kokoskerne:  Kr.  hôlïnf,  köllnf, 

Tracajä-Schildkröte  :  E.  kätü.  Kr.  ködii,  Co.  cootou,  Tracaja-Ei:  Kr.  hötöz'f,  T.-Schild- 
kröte:  Kiss.  hQtubuné^, 

Backen:  Kr.  cT  w(ö)ä(h)6,  9  wa(ä)k6. 

Eine  besondere  Eigentümlichkeit  des  Karajä  ist  die  von  Ehrexreich  zuerst  festgestellte 
Frauensprache  gegenüber  der  Sprache  der  Männer.  In  der  Frauensprache  existieren  viele 
Worte,  in  denen  k-Laute  vorhommen,  welche  in  der  Männersprache  fortgefallen  sind.  Hier- 
über vgl.  unten:  Männer-  und  Frauensprache. 

Aber  auch  innerhalb  der  Männersprache  finden  wir  den  AVegfall  von  k-Lauten. 

Beispiele  hierfür:  Mandiokareibholz :  E.  aranä.  Kr.  köläna,  ö.Jänä, 

Schemel:  E.  kaurisä.  Kr.  kölisu,  Kiss,  orièé^, 

Bratrost:  Kr.  kübmdo,  kobïiî,  aber  auch  öbido, 

Gottesanbeterin:  (Mantis)  Kr.  Ilöbiko,  Kiss,  hiröbiko,,  daneben  bei  Kr.  dö^blo,  1  =  d, 
wie  dies  häufiger  vorkommt. 


—  163  - 

Stock:  Kiss,  awgiri,  Holz,  Baum:  E.  kauiro,  Kr.  köwärö,  kaîiôlo, 
Bogensehne:  Kr.  änzük,  dazu  Imbauvafaser,  aus  der  Schnüre  für  Bogensehnen  gedreht 
werden:  Kr.  anz'Ü, 

Stern:  C.  E.  takina.  Co.  taïnan,  Kr.  daïna, 

Tapir:  E.  kaoftri,  C.  coonri,  Kr.  öjf,  kôlf,  (9  kôlî,)  Kiss,  ort, 

Unterarm:  E.  wa-&eko-rito,  Kr.  dëolùté, 

Huhn:  C.  aneca,  Co.  anica,  E.  nikiP,  Kr.  (h)anïé,  (h)änike, 

Der  Deinige:  E.  (k)âhon, 

Pfeilschleuder,  Wurfbrett:  E.  kâobï,  Kr.  äübf,  öbirö. 

4.  Dontallaute. 

t.  Das  t  ist  im  Karajâ  ein  Laut,  welcher  in  der  Mitte  zu  stehen  scheint  zwischen  dem 
t'igt-ntlichen  halten  (z.B.  norddeutschen)  t  und  dem  d,  es  entspricht  also  etwa  dem  franzö- 
sischen t  und  könnte  als  ein  scharf  articuliertes  d  beschrieben  werden. 

In  den  Aufhahmen  des  einzelnen  Reisenden  kommen  zunächst  eine  Anzahl  Worte  vor, 
welche  gleichmässig  mit  einem  t-Laut  geschrieben  werden. 

Häufiger  finden  sich  solche  Worte,  in  denen  die  einen  ein  t,  die  anderen  ein  d  notiert 
haben,  wo  also  offenbar  der  eben  charakterisierte  Zwischenlaut  vorliegen  wird. 

Einige  Beispide  hierfür:  Kr.  dëké,  tëkë  in  dem  Worte  für  Himmel,  'biuateke,  d.h. 
Überzug  oder  Haut  von  Wolken.  Die  Haut  heisst  nach  E.  watçkç,  C.  takeu,  Co.  tacou,  das 
Zeug  wird  danach  déke,  dëkû  genannt.  Damit  zusammenhängend:  Penisschnur:  nöodäkän, 
(Kr.)  auch  wanötekäna  genannt,  sowie  Gürtel  :  Kr.  wädäkäna,  E.  watakana,  waitakani,  Kiss. 
we,takanä,  — 

KnAchelbànder:  Kr.  dCöbudae,  Kiss,  deobuté.^, 

Lanze:  E.  tonäri.  Kr.  dönöjf.  Kiss,  donorf,  donoré, 

Buritipalme:  E.  atähö,  Kiss,  àtehào,  dazu  Buritifrucht  sowie  —  fasern:  Kr.  ädeho, 

ßuritifrucht:  Co.  étéon,  Fasern:  Kiss,  tehù, 

Zauberarzt:  E.  kahotebädfJ,  Kr.  kaudüwaüdü; 

Einen  besonders  treffenden  Beweis  für  die  scharfe  Articulation  des  t-d-Lautes  gibt  die 
zuweilen  vorkommende  Schreibung  (J  oder  tt  an  die  Hand, 

membrum  muliebre:  E.  itü,  Kiss,  watüj,  Kr.  (h)Idü,  Kunst  der  Karajä,  S.  27:  IclÖ, 

rMuschel-)Löffel:  katara  (E.),  kädäjä  (Kr.),  kattarä  (Kiss.). 

Vereinzelt  steht  t  neben  r.  Für  einen  Cylinderhut  aus  Palmblatt  gibt  E.  das  Wort  taä, 
der  Federhelm  hois.st  nach  Kr.  läa,  (wahrscheinlich  mit  dem  Worte  für  Kopf  zusammen- 
hängend,) ein  Palmblattband  zur  Strohhutfabrikation  nach  Kiss,  raâ,  1-aâ,  vielleicht  ist  hier 
aber  der  Übergang  von  d  zu  r  anzunehmen,  der  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden, 
häufiger  vorkommt. 

D<»r  Ül)ergang  von  t  in  k,  welcher  nach  E.  häufiger  vorkommen  soll,  (Suffix-ko,  das  als 
to  auftritt)  ist  nach  dem  neuen  Material  sogut  wie  gar  nicht  mit  Beispielen  zu  belegen.  Dabei 
kann  wohl  zugegeben  werden,  dass  t  und  k  in  der  undeutlichen  Aussprache  der  Leute  bei 
der  Aufnahme  zuweilen  nicht  ganz  scharf  haben  auseinander  gehalten  werden  können,  wie 
denn  auch  in  der  Tat  in  anderen  Sprachen  Südamerikas  diese  Laute  ineinander  übergehen. 

Über  den  Wechsel  von  t  und  S,  genauer  \),  siehe  die  Behandlung  des  letzteren  Lautes, 
da  offenbar  überall  hier  |)  der  eigentlich  zugrunde  liegende  Laut  ist. 

I.  A.  f.  K    IM.  XXIII.  22 


—  164  — 

d.  Zunächst  kommen  vielfach  Worte  im  Karajâ  vor,  wo  sämtliche  Autoren  eine  gleiche 
Schreibung  aufweisen,  wo  also  ein  dem  deutschen  oder  französischen  d  etwa  nahekom- 
mender Laut  gemeint  ist. 

Über  den  Übergang  von  d  in  t  haben  wir  bereits  oben  gesprochen.  Dafür,  dass  das  S 
ziemlich  scharf  articuliert  gesprochen  wird,  spricht  die  Schreibung  bed(dj§,ré,  (Pfeilrohr)  bei 
KissENBERTH,  neben  derjenigen  betaurä  bei  Ehrenreich  und  b'döle  bei  Krause. 

Das  d  geht  vielfach  mit  der  Aspirata  &  parallel,  bei  den  hier  in  Betracht  kommenden 
Fällen  jedoch  ist  das  9-,  genauer  S,  augenscheinlich  das  eigentlich  vorliegende  (wie  beim 
t  ;  s.  u.). 

Zuweilen  geht  d  in  n  über. 

Ohrstab:  Kr.  dohô,  dazu  Ohrläppchen:  E.  wa-nohö-tä, 

Penis:  Kr.  döo,  döo",  daneben  döö",  nach  E.  wa-nö,  Kr.  nüö". 

Auch  r  treffen  wir  für  ?  an,  so  in  dem  Worte  für  eine  Kopfbedeckung: 

a)  Diadem:  Kr.  oölido, 

b)  Helm,  Mütze:  C.  tourida, 

c)  Palmblattband  für  Strohhut:  Kiss,  törira. 

Kayapö:  Kr.  Kläläü,  Cunha  Mattos:  Gradaü,  C.  gradaho,  Kiss,  gradahöu, 

warm,  heiss:  Kr.  ^jüdökere,  dö^deke,  Kr.  nimmt  mit  Recht  Metathesis  an:  dokëré  = 
do^dëké  (*dojkëdë). 

Caracarâ:  Kr.  Savajé:  Ida,  Karajâ:  (h)Ilâe,  E.  ïira, 

Ohrschmuck,  Stab  mit  flacher  Federrosette:  E.  âohorua.  Kr.  dohôdûé  (hier  auch  der 
Wechsel  von  S'  und  d  im  Anlaut,) 

Gottesanbeterin:  Kr.  Ilôbïko,  döjblo. 

Schwarzer  Piranha:  E.  riri,  Kr.  düüli, 

Wadenschmuck:  Kr.  cf  wôdaidi,  9  wolâëli,  dgl.  Kr.  üdjäü,  üljäü. 

Der  in  den  zuletzt  genannten  Worten  vorkommende  Laut  d  ist  sehr  selten.  Er  wird 
von  Krause  als  ein  Mittellaut  zwischen  d  und  1  beschrieben,  und  wechselt,  wie  wir  eben 
gesehen  haben,  mit  einem  Laute,  den  Krause  1  schreibt.  Dies  1  wird  jedoch  eher  einem 
stimmhaften  S  (tS)  oder  1  (resp.  r)  entsprechen,  wofür  das  Wort  für  Oberarmschmuck  als 
Beweis  dienen  kann: 

Kr.  Karajâ:  (Jölii,  lölu,  Savajé:  döld,  Kiss,  aöjrü,  rorÖ. 

Wir  werden  hier  also  wahrscheinlich  einen  undeutlich  articulierten  Laut  vor  uns  haben, 
der  zwischen  d,  b  und  r  stehen  mag  und  etwa  einem  ^  entspricht.  Der  zuletzt  genannte 
Laut  wird  durch  ein  paar  Beispiele  deutlich: 

Ein  kahnförmiger  Korb  heisst  nach  E.  rara,  nach  Kr.  lälä  oder  dadâ,  nach  Kiss.  9'ä9'a, 

Kürbisrassel  :   Kr.  wäölu  )   -       . , 

Halbcuye:  „     wäSfi    )  •'  ' 

"  "  '  ^^-^       ]  (Karaiâ) 

Cuye  :  Kiss,  wa&ö,  wa&jü.,  ) 

&.  Die  Aspirata  der  t-Lautreihe  entspricht  dem  englischen  th,  und  zwar  haben  wir  hier 
ebenso  wie  im  Englischen  und  im  Altnordischen  zwischen  stimmhafter  und  stimmloser 
Aspirata  zu  unterscheiden.  Es  wird  daher  zweckmässig  sein,  diese  beiden  Lauten  nach  dem 
Beispiele  des  Altnordischen  mit  tS  (nord.  ë5)  und  })  (nord.  J)orn)  zu  bezeichnen. 


—  165  — 

«.  Beginnen  wir  mit  dem  stimmhaften  ^  (tS),  welches  E.  nicht  vom  stimmlosen  ^  (]>) 
unterscheidet,  Kr.  jedoch  als  z'  schreibt,  vielfach  aber  auch  als  1,  ein  Laut,  welcher  im 
Karajâ  in  "WirkUchkeit  gar  nicht  existiert.  Bei  diesem  Laute  sind  naturgemäss  Übergänge 
in  i  häufig  (s.  c). 

Beispide:  Stammestatuierung  :  E.  aùSamanùre,  C.  waoümaoürai,  Kr.  ödemärlrii,  Kiss. 
§9-amorü. 

Mattenwand:  Kr.  wäEd6,  wä5z'6, 

Jaguar:  E.  anSauä,  Kr.  änlöae,  ändöae,  C.  avoai,  Co.  anolé, 

Schlange:  Kr.  (h)aumàdàda,  E.  âmonSâôa,  C.  amantala,  Co.  emanlala, 

Embira:  E.  S^oS^ä,  Kr.  Karajä:  etc" -dé,  Savajé:  ?o'^oä,  Kiss,  datéj, 

Knabe:  Kr.  ölädü,  öz'ädü,  C.  oladou.  E.  i-oSatö,  klein,  Kr.  Texte:  Slädö  =  menino, 

Hand  :  E.  wa^ebö,  C.  wadébo,  Co.  outepon.  Kr.  wädSwo, 

Unterarm:  E.  wa9-ekorito,  Kr.  (f  daElïdâe,  dëolùté,  9  lâkôlïdâe, 

Federhaube:  E.  S^ori&ori,  Kr.  dolïdôlï.  Kiss.  S-'ûriS-'Qri, 

Holzlippenpflock:  E.  an&âo.  Kr.  odù(h)6,  käz'öe,  (Karajâ),  Savajé:  ô^dùo.  Kiss.  §<?)lo6j, 
^oö„  in  §0>loö,  haben  wir  den  Zwischenlaut  zwischen  d  und  1,  den  Kr.  mit  d  bezeichnet 
und  der  unzweifelhaft  einem  ts  entspricht  (s.  o.) 

Nacken:  Kr.  walötf,  C.  walaté,  E.  wa-Saùtë. 

Sternbild,  Skorpionsschweif:  E.  aAdaiiä,  Kr.  änlöae,  (=  Jaguar.) 

Nase:  E.  wa-däailSa-ö,  wadearo,  C.  wa-day-asan,  Kr.  wa-?äüaz'6. 

Hundsfisch:  E.  katora-idatä  =  Fisch,  womit  aber  sicher  Hundsfisch  gemeint  ist,  Kr. 
ladÀo,  Co.  la'até,  Kiss.  Satéj,  (&aSé),  davon  abgeleitet:  Kiss,  latent.  Kr.  lädSnf, 

Tonteller:  E.  be^a,  Kr.  bäz'a.  Kiss,  be^'é, 

Ente:  E.  an&ekanaka,  Co.  alecalecan,  Kr.  ëlùkrâe, 

Pirarucü:  E.  bedo&ekä,  Co.  bedelouque.  Kr.  b(ë)?o-lëké, 

Mandioka  do  Matto:  Kr.  az'6,  E.  Patipalme:  Sâ6, 

Schwester:  lacjü»,  E.  Sëërafi,  C.  veran, 

Neben  tS  steht  zuweilen  ein  s,  besonders  bei  den  französischen  Autoren  ;  (dort  auch  ç) 
im  Französischen  aber  ist  das  s  stets  stimmlos  im  Anlaut,  sodass  hier  für  uns  keine  scharfe 
Unterscheidungsmöglichkeit  zwischen  ts  und  |)  besteht.  Ein  wirkliches  s  existiert  im  Karajâ 
nicht,  ebensowenig  ein  z  (stimmhaftes  s  ')  ;  die  mit  diesen  Lauten  geschriebenen  Worte 
sind  ganz  vereinzelt  und  lassen  sich  wahrscheinlich  als  9--Laute,  die  für  s-Laute  gehalten 
wurden,  erklaren. 

Beispiele:  Maulwurfsgrille,  gelber  Schmetterling:  Kr.  z'ef,  Heuschrecke  süühf. 

Das  Zahlwort  für  1  heisst  bei  E.  SohoJzi,  bei  Kr.  söhödf  oder  z'öhöde,  Co.  soodi, 

Tracajâ-ei:  Kr.  hötO-z'f,  dazu  Hühnerei:  E.  nik5-zi,  Co.  eici.  Kr.  hänikesf,  Kiss,  neke^öi, 

Baumwolle:  E.  a^oùara,  Co.  essende,  Kr.  Susôtâe,  dazu  Spindel:  E.  ä&ondäa,  Kr.  cf 
aesô',  âsôtae,  O  ïKz'é, 

Wolf:  E.  aosa.  Kr.  ähoudd, 

Hund:  E.  ikoroSa,  C.  colosa,  aicorotha,  kerota,  Co.  icoroça,  Kr.  kïolôz'â,  SjSrôz'â, 

Töpferton,  Erde:  C.  sou-ou,  soru,  Co.  so'o'o,  Kr.  z'öii, 

Kinnbart  :  Kr.  dodëlëhf,  9  djOdëz'ërf,  ?jnëdë-sirf,  ^nhûdësilf,  E.  wa-Jehut«  Sere,  Co.  iouté 
céré,  dazu  Bart:  9  Kr.  diköz'irf,  cT  djiösirf  oder  wä-Itjö  silf,  cT  söküzerf,  E.  wa-Soku-Serë, 


1)  Welches  wir  sporadisch  in  Worten  finden,  wo  daneben  ä  steht. 


—  166  — 

Bogensehne:  Kr.  änzuk*,  dazu  Imbauvafaser :  Kr.  änz'ük, 

Alte  Frau:  £.  9-änandu,  Co.  saïnandouc, 

Kamm:  E.  ^ëho,  Kr.  slho; 

Zuweilen  nähert  sich  das  tS  dem  r  (s.  o.).  Der  Vetter  heisst  nach  E.  wa&abe&àre,  nach 
C.  wara.  Vielleicht  ist  der  Übergang  von  z'  in  9  in  solchen  Fällen,  wo  das  Savajé  den 
einen,  das  Karajâ  den  anderen  Laut  zeigt,  als  dialektische  Differenz  aufzufassen. 

Schwarzharz:  Savajé:  Kr.  z'öbädaelä,  Karajâ:  Söwödajae  (Kr.). 

Einmal  steht  h  neben  S-  (tS) 

Hals:  E.  wa-9au,  Co.  ouabato.  Kr.  cf  läho,  9  mädo. 

Ebenso  ausnahmsweise  geht  neben  dem  tS  ein  s  oder  5j  einher. 

Beispiele:  Timbö:  (Fischgift)  Kr.  änz'i,  Co.  achidé, 

Vierspitzige  Flechtflgur:  Kr.  z'ec>ä,  ôjëda, 

Oberarm  :  E.  wa-an9ia,  Co.  ouachicon,  Kr.  öänSlö. 

f).  Das  stimmlose  ])  kommt  wie  wir  oben  gesehen  haben,  neben  dem  stimmhaften  6 
vor,  es  wird  von  den  französischen  Autoren  vielfach  mit  s  wiedergegeben  (s.  o.)  ist  jedoch 
weniger  häufig;  oft  daran  zu  erkennen,  dass  es  mit  t  wechselt  (wie  iS  mit  d). 

Beispiele  :  Gelbblauer  Arara  :  E.  beiSä.  Kr.  bëz  a,  blz'a,  roter  Arara,  Co.  biita, 

Fischblase:  E.  cf  te&onä,  9  totan,  vielleicht  handelt  es  sich  hier  um  eine  dialektische 
Verschiedenheit  zwischen  Männer-  und  Frauensprache  (s.  u.). 

Eine  Tanzmaske:  E.  tatenera.  Kr.  laôenina, 

viele:  C.  soetoti,  Co.  son'é-toutouré,  Kr.  sôsdïdi,  toëtïli-lï,  (hier  ist  \>  als  zugrunde 
anzunehmen). 

Eigenname  eines  Mannes:  Kr.  änlüäe-z'i,  .Jaguar-z'i,  ti  =  Knochen,  (vgl.  Krause's 
Reisewerk  S.  328,). 

Kamm:  E.  Sehö,  Co.  si'o'o.  Kiss,  ôëho^,  te^ho.^, 

Pintado:  (Wels)  E.  arätu.  Kr.  alez'ii. 

5.  Palatal-Laute. 

Der  wichtigste  Palatallaut  ist  das  ?j  (ôz),  es  entspricht  etwa  einem  italienischen  g  vor 
i,  es  ist  also  ein  einfacher  und  kein  Doppellaut,  (von  Kiss.  mit  j  bezeichnet,)  die  Franzosen 
umschreiben  es  mit  j  oder  di.  (auch  ?j.) 

Salz  heisst  nach  Martius  im  Tupi  jucyra,  danach  im  Karajâ:  C.  joucoura,  Co.  dioura, 

Tür:  C.  ijo,  Co.  i?jo, 

morgen:  E.  ruözebü,  C.  rajouban,  Kr.  Texte  ITOjëbû, 

Übergang  des  dj  in  di,  wobei  der  Halbvocal  i  anstatt  des  einfachen  Vocals  i  anzu- 
setzen ist. 

Beispiele:  Fischotter:  E.  diurä,  Co.  î^jouré,  Kr.  Mülae, 

Augenschirm:  Diadem.  Federreifen,  (Stirnband):  E.  âoi»i,  ödzi-,  Kr.  ö?jt  ödf,  Kiss.  öt»!  öjf, 

Stäbchensieb,^  das  als  Mandiokapresse  dient:  Kr.  bûlëîdju,  brSïdjÛ,  brëdïû,  bl5(î)Sjé, 
Kiss,  breije,  breijo^, 

16:  E.  inawakure  3-ohoôzi  héura.  Kr.  wäuwö  z'öhödi, 

heute:  E.  uidi&ä,  Kr.  ùldjlle, 

Schnurrbart:  Kr.  ^  djiösiri,  Co.  oua'iôiotéri.  Kr.  9  dïkôz'lrf, 


—  167  — 

Regenbogen,  als  Zitteraal  gedeutet:  E.  koaôzi,  Kr.  küädi, 

Wald:  C.  bederaeu,  Co.  beJiou,  E.  beSziù, 

schwarz:  (in  Zusammensetzungen)  Kr.  djùbii,  d(j)ûbâ,  dübü, 

rötlicher  Piranha  (Fisch):  E.  dzueta,  Kr.  dnöta,  djnëta  (Kunst  der  Karaja-Indianer  S.  27), 
auch  kjQétâ. 

In  allen  diesen  Fällen  handelt  es  sich  um  d-Laute,  die  vor  u  oder  i  stehen,  diese 
Vocale  entwickeln  aus  sich  den  Halbvocal  i,  welcher  sich  dann  mit  dem  d  zu  einem 
Palatalen  Laut  verbindet.  Ebenso  in  dem  folgenden,  etwas  abweichenden  Fall,  wo  zwischen 
?j  und  u  ein  i  entsteht. 

Flöte  mit  Kürbisresonanz:  E.  anJzuranë  und  andziuranë. 

Übergang  des  dj  in  Js  (5  wie  deutsches  seh  gesprochen)  woneben  franz.  z  (=  weichem 
8  im  deutschen  Rose,  sagen)  steht,  was  jedoch  wahrscheinlich  eher  auf  ts  zu  deuten  sein 
dürfte.  (SU.) 

Eule:  E.  kauJzuruka,  C.  azoukoulé,  Kr.  ködzülükü, 

Mutuka,  eine  Insektenart:  Kr.  ködjulükö,  ködsnriili, 

ähnlich  Spinne:  Kiss,  kojuruku. 

Wie  es  scheint,  steht  zuweilen  auch  §  neben  3j  (dialektisch?) 

Karajä:  Tanzmasko:  dSÇvPllâ  (Kr.), 

Savajé:  dgl.  ärabo-säwaüdiä  (vgl.  Krause,  Tanzmasken-nachbildungen  S.  105,) 

Karajä:  Bogen:  Ë.  suahete.  Kiss,  öuahete, 

Savajé:  dgl.  Kr.  ?jnhäde. 

Der  Übergang  des  3j  (bi)  in  ti  oder  tj  ist  häufiger  zu  beobachten. 

Beispiele:  Gaviota:  (Vogelart)  Kr.  nûdzïasnf,  nötjiSne, 

Vogelspinne:  Co.  cantiouroucou,  Kr.  kôjjûrùgû,  Kiss,  kojuruku, 

Zahn:  E.  wa-ii>iu,  C.  wa-adjou,  Co.  ouaJiou,  Kr.  ?jnü,  wätjä.  Kiss,  jöil,,  Ç  E.  tùù. 
Kr.  djoö,  rjnü, 

Tag:  E.  tiuO,  Kr.  JzQÛ,  von  Sonne:  E.  tia,  C.  tiou,  Co.  tioùoû,  Kr.  tja(h)û, 

Oberlippe:  E.  wa-idiotä.  Kr.  wä-itjösflf, 

Daumen  :  E.  wa-^ebo-yuhü9^edö,  Co.  ouadéyouîouou,  9  E.  wa-Sebötiuhu&edo,  Kr.  dâbo?jî5. 

Zuweilen  stehen  dj,  (Kr.  >z)  dy  (Kr.  dj),  femer  c  und  t,  tj  und  ts  nebeneinander. 

Beispide:  cervus  campestris:  E.  wati,  Kr.  üätf.  Kiss,  waöi,  Nähnadel  aus  (Hirsch-) 
knocben:  Kr.  wadàïdf,  ti  =  Knochen,  und  endlich  mit  dem  Derivativsufiöx  ni:  Ziege  C. 
wachini,  Kr.  uätlnf; 

ein  ähnlich  klingendes  Wort  ist  das  für  den  Tontopf:  E.  watihui.  Kr.  wätlwf,  wädjiwi, 
w&dilwf.  Kiss.  wa5iwi, 

Nasenbär:  Kr.  tjnz'6,  t5n§6,  ajnz'6,  d5n§ö,  da§6, 
in  dem  letzten  Beispiele  finden  wir  auch  den  Uberçang  des  dj  in  d,  (s.  o.)  daneben  kommt 
auch  der  Wechsel  des  «»j  mit  r  vor,  welches  dem  d  nahe  steht  (s.  o.). 

Nasenloch:  E.  wa-Jearo,  Co.  (Lippen?)  wa-day-asan-Sjo,  Kr.  3ëlïdj6, 

(kleine  giüne  Raupe:  Kr.  ï?jalé.) 

Wechsel  von  ?}  und  &  (selten,  ö  und  r  verwandt,  s.  o.) 

Schwarze  Leute:  tori  ^ébë,  C.  toroijobo.  Kr.  tojl-?jùbÔ, 

Obei-gang  des  dj  in  k,  ebenfalls  selten,  vielleicht  eine  Besonderheit  der  Frauensprache,  (s.  u.) 

Hofring  um  den  Mond:  Kr.  djQùjâ,  (wahrscheinlich:  weisse  Sonne)  ktiälo, 

Ehemann:  £.  (f  Jzoitehä,  9  koitehä. 


—  168  - 

tj  ist  sehr  viel  seltener  als  dj,  es  geht,  wie  wir  gesehen  haben,  vielfach  in  ?j  über. 
Seiner  Entstehung  nach  ist  es  vielfach  ähnlich  wie  einige  andere  Laute  aufzufassen,  (kj,  ki  ; 
?j,  di)  wo  ein  nachfolgendes  i  (u)  aus  sich  den  Halbvocal  i  entwickelt. 

Beispiele  hierfür:  Rohrstäbchen:  Kr.  9  tlwä,  hëtjlwâ,  cT  hëdzlwâ, 

2:  E.  inati,  Co.  naati,  Kr.  (ï)nât(j)i, 

Hinterteil:  E.  wa-hatiä,  C.  wa-ati,  Co.  oùaatidième,  E.  dio  (wohl  =  heti-o),  Kr.  ihldjf, 
9  E.  i-hati,  Kr.  wä-hätju-äeble,  (Kr.  hatju  =  E.  heti-o)  dazu  das  oben  angeführte  Wort  für 
Sonne:  tjühu  (Kr.)  E.  tiü,  etc. 

Der  dem  französischen  j  entsprechende  Laut  kommt  im  Karaja  ausser  in  den  genannten 
Verbindungen  (tj,  dj)  kaum  isoliert  vor,  eigentlich  nur  in  den  Stammesnamen  Kr.  Kra^jä 
(Karaja)  und  Javahé  (Fonseca,  Ehrenreich),  Javaê  (Fonseca)  Éavajé  oder  Savajé  (Krause), 
hier  geht  das  j  in  ein  z  über,  dieses  wiederum  in  ein  S  (deutsches  seh),  sodass  die  wirklich 
vorliegenden  phonetischen  Verhältnisse  nicht  ganz  klar  werden. 

Ein  z  (resp.  s)  findet  sich  ausserdem  nur  noch  in  zwei  Worten: 

Gruss  an  Alle  bei  der  Ankunft:  E.  taSS,  tazë.  Kr.  daiäe,  Co.  Gruss  beim  Abschied: 
taï'sé,  bonjour:  taï'sé  araraïne, 

Surrscheibe:  (onomatopoetisch)  Kr.  (zl)-zadëké,  was  vielleicht  in  ziza-déké  zu  trennen 
ist,  wobei  dëkë  Baumwollfaden  bedeuten  kann  (vgl.  hadëke,  FLschnetz  aus  Baumwollstrick). 

Im  Anschluss  hieran  wäre  zu  bemerken,  dass  ein  dem  deutschen  j  entsprechender 
Laut  iin  Karaja  nicht  vorkommt,  (was  schon  Ehrenreich  hervorhebt)  die  Beispiele  sind 
allzu  vereinzelt,  als  dass  man  ein  j  ansetzen  dürfte  (dagegen  existiert  der  Halbvocal  i, 
s.  0.  passim.) 

s.  Der  einzige  im  Karaja  selbständig  existierende  Palatallaut  ist  der  Sibilant  S,  welcher 
dem  deutschen  seh  entspricht.  Derselbe  wird  von  den  französischen  Autoren  mit  ch  wieder- 
gegeben, zuweilen  mit  s.  Hier  liegt  jedoch  die  Vermutung  nahe,  dass  das  s  eine  Wiedergabe 
des  J)  sein  soll,  (s.  o.)  womit,  wie  wir  sehen  werden,  das  S  zuweilen  wechselt.  Ein  Beweis 
dafür,  dass  ein  wirkliches  s  im  Karaja  fehlt,  ist  die  Aussprache  des  brasilianischen  Wortes 
für  Salz,  sa,  welches  die  Indianer  als  sä  aussprechen  (vgl.  Krause's  Reisewerk  S.  lOL) 

s,  franz.  ch.  (s) 

Wimpern:  E.  wa-ru§a,  Co.  ouarouché,  C.  ta-tou-serai,  Kr.  (wä)lnSe, 

Nicht  ganz  deutlich  sind  alle  Lautverhältnisse  in  dem  Worte  für  den  Bogen. 

E.  Suahëtë,  Bogen  für  Zauberpfeile:  sibate,  C.  assouatai,  Co.  outsi'até,  Kr.  Karaja: 
waä(i)ühäte,  Savajé:  djühäde.  Kiss.  waSioté,  cuahete^j,  hier  hat  das  i,  wie  wir  das  schon 
öfters  gefunden  haben,  wiederum  den  Halbvocal  i  entwickelt;  die  Reihe  der  Formen  mag 
etwa  so  miteinander  zu  combinieren  sein:  'Süahete  >  »sühäte  >  •aiü(h)ajte  >  'siöte. 

Nebeneinander  von  s  und  &,  (dialektisch?) 

Nasenbär:  Kr.  tsüso,  c>jü§6,  daneben  tjüz'o, 

Oberarm:  E.  wa-an3ia,  Co.  ouachicon,  C.  wa-asio.  Kr.  öän§l6, 

Gesicht:  Co.  naonsana.  Kr.  äsö^ne, 

essen:  E.  rö§i,  Kr.  döaf,  Co.  rerochiqué  (etc.)  C.  loosi  (Sambioa,) 

Bruder:  C.  wachi,  Co.  oua'si, 

Niesen,  ein  onomatopoetisches  Wort,  unserem  „Hätschle"  entsprechend:  E.  hatiai,  Kr. 
cT  äMz'u,  9  ädlzü,  das  in  dem  letzten  Worte  stehende  z  ist  nur  sehr  vereinzelt  zu  treffen 
und  ohne  selbständige  Bedeutung  im  Karaja  (s.  o.). 


ï 


169 


6.   Liquida. 

Im  Karajâ  existiert,  wie  auch  in  vielen  anderen  Sprachen  Südamerika's  nur  eine 
Liquida,  welche  zwischen  r  und  1  in  der  Mitte  steht  und  durch  einmaligen  Zungenanschlag 
an  den  vorderen  Gaumen  erzeugt  wird.  Es  ist  zweckmässig,  diesen  Laut  mit  1  zu  bezeichnen. 
Ob  daneben  eine  reine  r-  oder  1-Aussprache  vorkommt,  ist  zweifelhaft.  Zwar  kommt  zuweilen 
einmal  ein  Wort  vor,  in  denen  ein  r  von  allen  Autoren  geschrieben  wird,  in  diesen  "Worten 
wird  vermutlich  der  J-Laut  dem  r  näher  stehen. 

Cber  das  sich  bei  Krause  vielfach  findende  1  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  urteilen, 
da  es  dort  sehr  oft  anstatt  eines  3  bei  Ehbenreich  und  &  bei  Kissenberth  steht,  welcher 
Laut,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  ja  auch  in  r  übergehen  kann. 

In  mehreren  Worten  finden  wir  r,  j  und  1  nebeneinander,  sogar  bei  demselben  Autor. 

weiss  heisst  in  Zusammensetzungen  nach  Kr.  üla,  ùrâ,  mit  Methathesis  lùâ, 

Unterarm:  E.  wa-^eko-rito.  Kr.  däEjIdäe,  auch  düölüte, 

Sand:  C.  kanara,  Co.  canoura,  cao  oura.  Kr.  kanùlâ  oder  kinolä,  Kiss.  anä°rä. 

Schwund  des  j-Lautes,  welcher  jedoch  nur  selten  eintritt. 

Hinterhauptschmuck  aus  Federn:  E.  aheto,  Kr.  lahïdé,  Kiss,  rähojte.^, 

Knfichelbànder  :  E.  wararu,  K.  wajäü, 

Tabakssamen  :  E.  kotçatu,  Kr.  kötHätl; 

Bei  dem  nächsten  hier  anzuführenden  Beispiel  ist  der  schwach  articulierte  (das  eine- 
mal gehörte,  das  andremal  nicht  gehörte)  r-Laut  vielleicht  nur  als  ein  Ausdruck  eines 
offenen  a,  also  eines  ä,  aufzufassen.  , 

Keule:  E.  hâte,  kâte,  meine  Keule:  kohâte,  Kr.  göhö(r)de.  Kiss,  ^h^te,  kQhQtl,, 
weitere  Beispiele: 

Buriti:  (vgl.  o.)  E.  atährt,  Kr.  (I)adsh6,  lädehö»,  Kiss.  àtehâ"o, 

Ton,  Erde:  C.  soru,  souou,  Kr.  z'öQ. 

Eine  eigenartige  Verstärkung  durch  1  oder  j  hat  das  r  in  zwei  Fällen  erfahren,  wo 
jedoch  dieüer  verstärkende  Laut  zuweilen  nicht  gehört  wurde. 

Tonpuppe,  welche  Karajä  darstellt:  E.  r(l)ikoko.  Kr.  j(j)ïkôk6,  aber  auch  llhökü  nimä, 
und  bei  den  Savajé  nach  Kr.  jïk6h6; 

Hufeisenförmiger  Kopfputz,  mit  Federn  verziert:  E.  r(l)urina. 

Über  den  Ct>ergang  des  r  in  d,  resp.  5  (und  t)  haben  wir  bereits  oben  gesprochen. 

Beispiele:  Erste  Sichel  des  Mondes:  E.  ahandö  roira,  Kr.  ähändujöftä;  nach  Kr.  ist 
löl  =  kommen  und  ta  eventuell  gleich  ra,  was  nach  E.  ein  Suffix  des  eingetretenen 
Zustandes  bedeutet; 

Strohhut  aus  Palmblattstreifen  oder  auch  das  Material  dazu:  E.  tää,  Kiss,  raä,  laä, 

Federhelm:  Kr.  I3ä. 

Blitz:  E.  biu^ä^okä,  Co.  biouré  lacanéri,  biouté  Béca,  Kr.  bin  öasläka, 

schlafen:  E.  rörö,  rörui*!,  rnrom.  Kr.  Jjoifdöjo. 

Übergang  des  j  in  n.  Derselbe  ist  durchaus  erklärlich,  da  das  1  durch  einmaligen 
Zungenanschlag  an  den  vorderen  Gaumen  erzeugt  wird,  das  n  durch  Zungenanschlag  an 
einer  etwas  mehr  nach  den  Alveolen  zu  gelegenen  Stelle  des  Gaumens  oder  bereits  an 
den  Zähnen  selbst  entsteht. 

Beispiele:  Antwort  auf  den  Gruss  an  einen  Einzelnen  bei  der  Ankunft:  E.  deara.  Kr.  Jeänä, 


—  170  — 

Alte  Frau:  E.  &eeran,  Co.  sainanctuc, 

Thevetia:  (Früchte)  E.  maranë,  Kr.  mäläni,  (Südhorde),  mänäni  (Nordhorde),  Kiss,  môranî, 

nichts,  nicht:  E.  köre,  kö,  kon,  kura  in  ahanöö  ikura,  der  Mond  ist  nicht,  Neumond, 
Kr.  Texte  köne;  für  Neumond  gibt  Kr.  ikönä,  hier  ist  ein  ganz  vereinzeltes  cerebrales  n, 
nach  Meinhof  mit  n  bezeichnet,  im  Wechsel  mit  1  stehend.  Das  cerebrale  ç  ist  sicher  im 
Karajâ  kein  selbständiger  Laut,  dagegen  spricht  schon  sein  ganz  singuläres  Vorkommen.  Der 
Laut  selbst  steht  seiner  Natur  nach  dem  1  sehr  nahe,  denn  es  wird  durch  einen  Anschlag 
der  Zunge  an  den  mittleren  Gaumen  erzeugt. 

Sehr  selten  sind  Übergange  des  r  in  h,  w,  resp.  b  und  k,  das  letztere  ist  sicher  eine 
dialektische  Verschiedenheit  zwischen  Männer-  und  Frauensprache. 

r— h. 

Kinn:  C.  wadjou-outai,  Co.  ouaöou  outie,  Kr.  cf  ?jùrûte,  9  Sjühate,  E.  9  Sehuta;  auch 
hier  wird  eine  Differenz  zwischen  Männer-  und  Frauensprache  vorliegen, 

1-w,  (b,) 

Zauberarzt:    E.  kahotebädo,    Kr.  käuöüwaü^ii,  kâudïjë^o, 

r— k. 

Mädchen:  Kr.  cf  üälili,  9  üäkili, 

7.  Spirans. 

Die  einzige  wirkliche  Spirans  im  Karajâ  ist  das  h,  es  wird  in  vielen  Worten  von  allen 
Autoren  gleichermassen  angegeben,  in  anderen  Worten  ist  es  zuweilen  gehört  worden, 
zuweilen  nioiit.  Dies  ist  auch  bei  Worten  ein  und  desselben  Autore  der  Fall.  Besonders  leicht 
schwindet  das  h  im  Anlaut;  (s.  über  diesen,)  es  ist  überhaupt  ein  wenig  stark  articulierter 
Laut,  was  auch  sein  Übergehen  in  w  (den  Halbvocal  u)  beweist. 

Beispiele^  in  denen  das  h  im  Inlaut  schwindet:  Backen:  Kr.  w(ö)ä{h)6, 

Ohr:  C.  wena  outai,  Co.  noon'ti.  Kr.  nööti,  wänühöti,  9  nöhödi,  wänühötf,  dazu  Ohr- 
läppchen: E.  wa-noho-tä,  9  tohontä,  Kr.  nàt<é,  mit  Contraktion; 

Buriti  :  (s.  o.)  Kr.  aôëhô" ,  Kiss,  tehô,  E.  atäho,  Co.  été'on, 

Rauchsäule  vom  Campbrand:  E.  uöö.  Kr.  wüoho, 

Wurfbrettpfeil:  E.  kâura.  Kr.  köhüla, 

Keule  :  E.  hâte,  kâte,  C.  cooati,  K.  gohô(r)<»e.  Kiss,  cf  Qhote,  ahoté,  9  kohQté^. 

Ausser  dem  h  existiert  keine  Spirans  im  Karajâ,  auch  kein  s,  wie  wir  gesehen  haben, 
aber  auch  kein  %  (oder  %'),  das  vereinzelte  Beispiel  bei  Ehreneeich,  i;eorä,  das  Wort  für 
bitter,  mag  (verständlicher  Weise)  ein  etwas  schärfer  articuliertes  h  in  sich  enthalten, 
ebenso  das  singulare  kot1î(A:),  Schildkröte,  bei  Kissenberth,  welches  schon  nach  seiner 
Schreibung  ein  zuweilen  nicht  gehörtes  %  enthielt,  und  das  bei  den  anderen  Autoren  einfach 
kotu  lautet. 

Über  den  Anlaut. 

Als  die  wichtigsten  Konsonantenverbindungen  im  Anlaut  hat  schon  Ehrenreich  kr  und 
br  festgestellt.  Dem  kr  entspricht  bei  Krause  kl  und  kl.  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  der 
Name  für  Kayapö  bei  Krause  als  kläläii  oder  Wälähü  verzeichnet  ist,  während  Cunha 
Mattos  Gradaü,  Castelnau  Gradaho  und  Kissenberth  gradahöu  schreibt,  also  gr.  für  kl. 


—  171  — 

In  einem  Falle  notiert  Ehrexreich  das  Vorkommen  eines  einfachen  k  neben  kr  im 
Anlaut,  in  der  Phrase:  beä-m-arion-k(r)e,  ich  will  oder  muss  Wasser  trinken.  Krause  gibt 
für  den  Löflfelreiher  das  Wort  (krjöläle  an,  hier  wird  also  die  Doppelconsonanz  zuweilen 
gehört,  zuweilen  fallt  sie  fort. 

Dass  kr  sehr  wohl  ein  Contraktionsprodukt  darstellen  kann,  legen  die  folgende  Fälle 
nahe,  wo  ein  u,  resp.  ein  a  geschwunden  ist.  Den  Namen  eines  Karajâ  gibt  Krause  als 
kinmäje  an,  derselbe  Name  wird  von. ihm  an  anderer  Stelle  als  körümäre  genannt,  ebenso 

bei    KlSSENBERTH. 

Das  Wort  für  Affe,  kraobi  bei  Ehrenreich,  bei  Castelnau  craobi,  Krause  k|âôbi,  gibt 
Ehresbeich  auch  als  k(a)raâbi  wieder,  was  unmittelbar  die  Contraktion  erkennen  lässt,  da 
das  im  Klammem  gesetzte  a  zuweilen  gehört  wurde,  zuweilen  nicht.  Bei  Krause  finden 
wir  Krädjä  neben  Käräja. 

Die  zweite  häufige  Konsonantenverbindung  im  Anlaut,  br  (bei  Ehrenreich)  findet  sich 
bei  Krause  als  bl  geschrieben.  Auch  die  anlautende  Doppelconsonanz  mr  in  mrikotä,  was 
nach  Ehrenreich  der  Name  eines  Fisches  ist,  wird  hierher  gehören,  da,  wie  wir  gesehen 
haben,  b  und  m  im  Karajâ  öfters  ineinander  übergehen. 

Auch  hier  làsst  sich  das  br  in  einem  Falle  als  Contraktionsprodukt  (richtige  Synkope) 
nachweisen.  Der  Hirsch  heisst  nach  Ehbenreich  brarä,  nach  Kissenberth  prajre,  Ejiause 
gibt  dafür  b(ö)löläe  an,  sodass  auch  hier  die  Contraktion  unmittelbar  wahrzunehmen  ist. 
Von  dem  Worte  für  Hirsch  ist  offenbar  dasjenige  für  den  Ochsen  abgeleitet,  bölölSni  nach 
Kbacse,  broreni  nach  Kissenberth,  das  sich  auch  bei  Castelnau  als  boronne,  boroleni  und  bei 
CoüDREAU  als  bororéné  notiert  findet.  Die  Ableitung  geschieht  mit  einem  Derivativsuffix,  ni, 

brarä,  broreni,  ebenso  wie 

ßlulä,  Perlhalsband  )  ^ 

lâlOlanf,  Perlen         )  ^^^^^' 

ladäe,  (Krause  :  Hundsfisch)  lädenf ,  (Krause  :  bEdào)  d.  h.  S'ateni  (Kissenberth). 

In  den  Worten  für  Hirsch  und  Ochse  ist  also  das  b  und  das  r  unter  Ausdrängung 
eines  o  syncopiert  worden. 

Ausser  den  von  Ehrenreich  constatierten  Doppelconsonanzen  finden  wir  bei  Krause 
noch  einige  weitere. 

1)  bd.  In  den  notierten  Fallen  ist  jedesmal  die  Syncope  unmittelbar  evident,  und  zwar 
ist  immer  ein  ë  ausgedrängt  worden.  „Sich  setzen"  heisst  bei  Ehrenreich  bedai,  bei  Krause 
b(ë)dani,  „Setz'  Dich  hierher"  heisst  nach  demselben:  b(ë)dlrôb(ë)dù''.  Das  Wort  für  den 
Pirarucü(-fisch)  führt  Ojüdreau  als  b«klolouque  an,  Ehrenreich  als  bedoSekä,  Krause  b(e)d5leke. 

Das  Pfeilrohr  heisst  bei  Ehrenreich:  betaurä,  bei  Kissenberth  b§d(d)|,réj,  bei  Krause 
b'döle  und  Castelnau  gibt  für  Holz  bederaeu,  was  offenbar  hiennit  zusammengehört. 

2)  dr  in  wadewa  drä  bei  Krause  (Anlaut?) 

3)  l(j)  in  l(j)ik6hö,  Kjjifthö,  bei  Krause  das  Wort  für  Tonpuppe,  für  das  Ehrenreich 
r(l)ikoko  hat.  Hier  kann  es  sich  aber  einfach  um  einen  Übergangslaut,  eine  Verstärkung 
oder  etwa  um  einen  aus  dem  i  entstandenen  Halbvocal  i  handeln. 

4)  mb  in  mbäü,  Bogensehne  bei  Krause,  E-  mahäga. 

5)  nd  in  ndé  =  ja  nach  Krause;  hierfür  gibt  Ehrenreich  aber  ende  an.  Hier  ist  also 
ein  Vocal  im  Anlaut  fortgefallen,  sodass  n  dessen  Nasalierung  darstellen  könnte. 

6)  kj  in  kjä  =  ja.  Krause,  der  dies  Wort  verzeichnet,  gibt  für  dasselbe  auch  klâklë, 
an,  wozu  Ehbenreich's  kiaki  und  Kissenberth's  gyâ,  kjäma  stimmt. 

I.  A.  f.  K.  Bd.  X.XIII.  23 


—  172  — 

7)  Ik,  nur  in  einem  Texte  bei  Krause,  wo  Ikéjô  steht,  was  mit  „eu  mattei,  vamo 
encostar,  comer  peixe"  übersetzt  wird; 

Endlich  finden  sich  in  Ausrufen  zur  Bezeichnung  von  Bestürzung  oder  des  Missfallens 
Doppelconsonanten,  die  wohl  mehr  als  Naturlaute  zu  deuten  sind. 

Bei  Krause  :  Ausruf  bei  Bestürzung  :  kwe, 

bei  Missfallen:  bw  (w  nähert  sich  im  übrigen  stark  dem  u;  s.o.). 

Dreifache  Konsonanz  ist  nur  in  einem  "Worte  anzutreffen,  in  dem  von  Kbause  notierten 
nblölae,  dem  Namen  der  Grille.  Da  aber  Parallelen  hierzu  völlig  fehlen,  so  lässt  sich  nichts 
weiter  damit  anfangen. 

Wegfall  von  Konsonanten  im  Anlaut. 

Bei  manchen  Worten  der  Karajäsprache  fallen  anlautende  Vocale  oder  Konsonanten 
zuweilen  fort,  zuweilen  werden  sie  gehört.  Besonders  ist  dies  beim  h  der  Fall,  ein  Hauch- 
laut, der  seiner  Natur  nach  (auch  im  Inlaut)  zu  schwächerer  Articulation  und  zum  Ver- 
schwinden neigt. 

Beispiele:  membrum  muliebre:  Kr.  (h)Idu, 

Jacü:  Kr.  (h)ädäna. 

Weisse  Frauenbastbinde  :  Kr.  idëhâële,  hïdëûle,  Kiss.  iSehyréj  ide,huré, 

Huhn:  Kr.  (h)anïé,  (h)anïke,  E.  nikë,  C.  aneca,  Co.  anica, 

Pacùfisch:  E.  ariwa,  Co.  ari'ua,  Kr.  (h)aliwâ, 

Schlange:  E.  ämonSäda,  Co.  émanlala,  C.  amantala,  Kr.  (h)äümadadä„ 

Ein  Pfeil  mit  eingekerbter  Spitze:  Kr.  hadede, 

Boot:  Kr.  häwo,  Co.  awo.  Kiss,  hawo, 

weinen,  schreien:  Kr.  hëblîî,  daneben  Iblü, 

Gottesanbeterin  :  Kr.  Ilöbiko,  Kiss,  hiröbiko.,  ^iröbikOj  ; 

Auch  das  k  wurde  in  den  folgenden  Beispielen  bisweilen  nicht  mitausgesprochen: 

Der  Deinige:  E.  (k)âhon,  Bicote:  (Fisch)  Kr.  (k)änä(n)dnja,  Stimfedem;  Kr.  (k)odsulükü- 
wadjîo,  Wadenschmuck,  Bänder:  Kr.  (k)ülauw6,  (k)ndjäu. 

Auf  das  Auftreten  des  k  in  der  Frauensprache  dort,  wo  dasselbe  in  der  Männersprache 
fehlt,  werden  wir  in  einem  besonderen  Zusammenhange  zurückkommen,  wo  nicht  nur  die 
Verhältnisse  des  Anlautes  Berücksichtigung  finden  sollen. 

Konsonantenverbindungen  im  Inlmit. 

Zunächst  finden  wir  eine  Anzahl  Nasallaute  plus  folgendem  Konsonanten,  vor  b  steht 
m;  dj,  ds,  tj  und  t§  sind  einheitliche  Laute,  sodass  man  zweifeln  könnte,  ob  beim  Zusam- 
menstoss  dieser  Laute  mit  einem  (vorhergehenden)  Nasal,  wie  z.B.  in  andziura,  Mandioka 
(bei  Ehrenreich)  wirklich  eine  Doppelkonsonanz  entsteht. 

1)  kr.  Nach  Krause  kommen  folgende  Beispiele  in  Betracht: 
Eine  Maske  heisst  jäkriri,  eine  andere  (verwandte)  jäkrin. 

Dass  wir  auch  hier  die  Kontraktion  in  Rechnung  ziehen  dürfen,  beweisen  folgende  Fälle  : 
Zahl  5:  Co.  ouroucouré,  Kr.  ïrûkfirë  tritt  auch  als  Iluk(ï)lé,  endlich  als  ïrikri  auf. 
Eine  Maske:  Kr.  hauëkili  +  idjäz'o  ergibt:  auekndjäz'ö. 

2)  br. 

Grosses  Krokodil:  E.  kabröro,  wobei  jedoch  das  Wort,  welches  Co.  gibt,  cabararo  und 
Kr.'s  käb(ö)löl6  wiederum  Kontraktion  an  die  Hand  gibt. 


—  173  — 

weinen,  schreien:  Kr.  hüblö,  Iblö, 

bl  und  d'k  in 

Augenbrauen:  Kr.  lû(b)lod'kë  (rë)  sirf. 

3)  Ij  in  l?ùljô",  dem  Zahlwort  für  6,  woneben  dêndô"  steht  und  in  einem  Eigennamen, 
sïkïljé,  beides  nach  Kr. 

4)  bj.  Der  Onkel  heisst  höläbjilu  (Kr.) 

5)  k'l.  Der  Apostroph  gibt  an,  dass  hier  ein  Vocal  ausgefallen  ist.  15:  üai  ik'ledö  (Kr.). 
(5)  kt.  Eine  Art  Hinterkopffedem  heisst  nach  E.   usiktamarü,   wobei  indessen  hinter 

dem  k  die  Silbenfuge  sein  könnte  und  k  als  (sogut  wie)  einziger  Konsonant  im  Auslaut 
stehen  kann. 

7)  Mehrere  r- Verbindungen,  (nach  Kr.) 

rh.  Honig:  E.  beSäwu,  Kr.  badCrhö", 

Eine  Maske:  Kr.  Irhäkö, 

Eine  andere  Maske  :  E.  jarene,  einen  Fisch  darstellend,  Ex.  (I)djälhSnf,  Kiss,  jarehenë. 

rk.  Ringfest:  Kr.  änärkan, 

rt.  Genipapomatrize  :  Kr.  bnltl. 

In  den  Texten  Krause's  finden  wir  rb  und  rs  im  Inlaut  :  dérbùn,  port,  mattei,  änärslhon, 
agora  eu  quero  pentear  Voce,  rb  auch  in  bSr'bdnük  (Wald),  wo  jedoch  eine  Synkope 
angedeutet  ist. 

Hierzu  auch  Ik,  nur  in  Texten  bei  Kr.  vorkommend. 

knolomälkä,  varao  na  roça,  lähädömälkä,  Wespenhonigsuchen,  ïwolkénë,  sta  magro,  nào 
tem  mol,  hrjëjkîhûn  (=  rk),  vamo  descansar. 

8.  tr.  in  îtrf,  Häuptling  (Kr.) 

9.  wj  in  Inwjf,  Kopfl'ederband  (Kr.),  wobei  jedoch  das  w  den  aus  dem  u  entwickelten 
Halbvocal  y  oder  das  j  einen  aus  dem  i  entwickelten  Halbvocal  i  darstellen  kann. 

Im  Auslaut  stehen  in  den  Regel  kurze  Vocale,  welche  den  Wortaccent  tragen;  nicht 
als  eigentlich  auslautende  Konsonanten  sind  die  n  (i"i)  und  m  aufzufassen,  welche  wohl  nur 
die  Nasalierung  des  vorhergehenden  Vocales  andeuten  sollen.  Von  den  übrigbleibenden 
Konsonanten  steht  im  Auslaut  nur  k  (und  Ik),  nur  ein  Wort  zeigt  am  Ende  ein  1,  Vogel- 
pfeil =  Kr.  malöl,  ein  anderes  ein  à,  Krebs:  Kr.  ködäSmäis,  beides  wahrscheinlich  infolge 
der  Abfallen  schwach  articulierter  Vocale. 

In  der  Frauensprache  treten,  vrie  wir  sehen  werden,  vielfach  k-Laute  zu  den  einfachen 
Vocalen  der  Mannersprache  hinzu,  aber  auch  die  Männersprache  zeigt  k-Laute  im  Auslaut. 

Beispiele:  Messer:  E.  9  naäk,  d"  mahau,  Kiss.  maüj. 

rülpsen:  Kr.  9  klähidijik,  cT  l'döe, 

Bienenwabe:  Kr.  Savajé:  dSmàlilTk, 

Wald:  Kr.  bcr'bönük, 

lügen:  Kr.  (im  Streit:)  mentira:  älöidehek, 

6686  mesmo:  soofdëhëk, 

Kürbispfeifo:  Kr.  wölawük, 

Signaltrompete  aus  Bambus:  Kr.  ùhùhdk, 

Eigenname  eines  Häuptlings:  iflk,  (Kr.) 

Kr.  Texte:  hëlëdéhùnâlk,  descaaso,  vamo  emborra.  Das  k  am  Ende  wurde  in  einem 
von  Kr.  notierten  Falle  bisweilen  elidiert:  hölidn!6(k),  Milchstrasse. 

Dass  hier  auch  Elision  von  Vocalen  vorkommt,  lehren  folgende  Beispiele  (bei  Kr.) 


—  174  — 

Zeigefinger:  9  dâêbôd'k",  cT  däeböde,  für  $  ist  wohl  'däSbödeke  vorauszusetzen, 
Rohbaumwolle:  9  asöntaek',  dazu  Faden:  c?  äez'ötäke. 

Männer-  und  Frauensprache. 

Die  Unterschiede  zwischen  Männer-  und  Frauensprache  hat  als  erster  Ehkenbeich  fes^ 
gestellt,  und  zwar  kommen  nach  seinen  wie  nach  Krause's  Aufnahmen  zunächst  einige 
Worte  in  diesen  beiden  Dialekten  vor,  welche  voneinander  völlig  abweichen.  Diese  sind 
jedoch  nur  in  geringer  Anzahl  vorhanden  und  müssen  auch  hier,  wo  es  sich  um  rein  pho- 
netische Dinge  handelt,  fortbleiben.  Die  phonetischen  Unterschiede  sind  sehr  viel  häufiger, 
was  auch  bereits  Ehrenreich  betont.  „Die  Sprache  der  Weiber  scheint  ältere,  volltönendere 
Formen  bewahrt  zu  haben".  Die  Tochter  nennt  der  Mann  deB,  die  Frau  deö.  Dies  von 
Ehrenreich  angeführte  Beispiel  besagt  (nach  den  Ausführungen  oben  über  den  Vocalismus, 
bes.  des  e)  wenig  und  ist  an  sich  für  den  von  ihm  aufgestellten  Satz  nicht  beweiskraftig, 
namentlich  wird  es  durch  die  neueren  Sprachaufnahmen  nicht  gestützt. 

Die  häufigste  lautliche  Veränderung  ist  das  Auftreten  eines  k-Lautes  in  Frauendialekt, 
wo  derselbe  im  Männerdialekt  fehlt.  Hierfür  haben  Ehrenreich  und  Krause  viele  Beispiele 
beigebracht.  Die  Frauensprache,  welche  durch  die  erhaltenen  k-Laute  volltönender  wird,  stellt 
also,  wie  Ehrenreich  mit  Recht  geschlossen  hat,  eine  ältere  Sprachform  dar  ').  Keineswegs 
etwa  eine  minderwertige,  als  welche  sie  die  Herren  der  Schöpfung  zu  charakterisieren 
pflegten,  welche  die  Frauensprache  nach  Krause  ïbinâlï,  d.  h.  herzlich  schlecht  nannten. 

Die  Bewahrung  einer  altertümlicheren  Sprachform  bei  den  Frauen  entspricht  auch  den 
Verhältnissen,  welche  man  bei  vielen  anderen  Sprachen  beobachtet  hat:  Die  Frauen  sind 
es,  welche  die  Sprache  in  ihrem  Bestand  zu  erhalten  suchen.  Einen  Beweis  für  die  grössere 
Ursprünglichkeit  der  Frauensprache  ergibt  die  Tatsache,  dass  der  Versuch,  die  Worte  der 
Männersprache  aus  denen  der  Frauensprache  abzuleiten,  überall  unschwer  gelingt,  während 
umgekehrt  die  Ableitung  von  Worten  der  Sprache  der  Frauen  aus  derjenigen  der  Männör 
mancherlei  Schwierigkeiten  begegnet. 

Dass  es  sich  hier  nicht  um  eine  fremde  Sprache  handeln  kann,  welche  die  Frauen 
sprächen,  wie  dies  etwa  auf  den  Antillen  der  Fall  ist,  wo  die  Männersprache  Karaïbisch 
und  die  Frauensprache  Aruak  war,  ist  von  Krause  auf  S.  344  seines  Reisewerkes  hervor- 
gehoben und  begründet  worden.  Zwischen  den  Sprechweise  der  Männer  und  der  Frauen 
war  auch  bei  den  Aroaquis  ein  Unterschied,  und  zwar  bei  den  gleichen  Vocabeln  -). 

Wir  wenden  uns  nunmehr  einer  eingehenderen  Betrachtung  der  beiden  in  Frage  kom- 
menden Dialekte  zu,  indem  wir  zugleich  auf  die  Veränderungen  eingehen,  welche  einige 
Worte  der  Männersprache  durch  den  Ausfall  von  einem  oder  mehreren  k-Lauten  erfahren 
haben.  Zunächst  gibt  es  eine  geringe  Anzahl  von  Worten,  in  denen  das  k  in  der  Männer-, 
wie  in  der  Frauensprache  in  gleicher  Weise  steht.  Der  Wald  heisst  z.B.  in  beiden  Dialekten 
kôdilâ  (Kr.). 

In  einem  Falle  fand  sich  auch  das  umgekehrte  Verhältnis,  dass  k  im  Männerdialekt 
stehen  kann,  wo  es  im  Frauendialekt  fehlt. 

Das  Mandiokareibholz  heisst  im  Karajä:  Kr.  cT  köläna  oder  ölänä.  Bei  dem  nahe  ver- 


1)  Beiträge,  S.  9. 

2)  Martius,  Beiträge,  Bd  I,  S.  704. 


—  175  — 

wandten  Dialekt  der  Savajé  jedoch  heisst  dasselbe  d'  wölänakia,  auch  köläna  wie  im  Karajâ, 
im  Frauendialekt  jedoch  koi^nâkïë,  sodass,  wie  es  scheint,  hier  im  Savajé  die  altertüm- 
lichen Verhältnisse  besser  bewahrt  sind. 

A)  k  im  Anlaut  beim  Frauendialekt  erhalten,  im  Männerdialekt  ohne  Spur  zerstört. 
Beispiele:  Knabe:  9  Kr.  ködädü,  köz'ädü,  cT  ödädu,  öz'Sdil,  C.  osado, 

Stirn:  O  Kr.  köjjd,  wa-kâ(ù)lu,  cf  E.  wa-oro,  C.  wa-aro,  Co.  oucouro  (9?),  Kr.  ölü,  ölo, 

Gesiebt:  Kr.  0  kasö.^ne,  cT  Ssôjnë, 

Capivarazâhne  :  9  Kr.  kn(w)àe,  Kr.  cT  haâe,  aber  auch  küüä,  (E.), 

Steinchen  im  Sande:  Kr.  9  ùnaukùlùtû,  cf  ùnaùlùtâ, 

Rote  Frauenbastbinde  :  Kr.  9  kämbü,  ämblüöde,  cf  ambn(g)ôdâe, 

Praeöx  ari  cT  (E.)  im  Frauendialekt  kari,  und  einige  wenige  andere. 

B)  1.  k  im  Inlaut  steht  im  Frauendialekt,  im  Männerdialekt  spurlos  zei-stört. 
Worte,  die  mit  jïojë,  klein,  zusammenhangen: 

Mädchen:  Kr.  cT  wallftjë,  9  wällkiöle, 

Sohn:  E.  cT  wariorE,  C.  wadiaurai,  Co.  narioré,  9  E.  warikorü, 

Ehemann:  E.  9  warikoretçbç  „mem  kleiner  Alter". 

Ehefrau:  E.  cf  wariorr&ä, 

Bruder:  Kr.  ö"  inatjlUôjë, 

Schwester:  Kr.  cT  nadMîôjë, 

Mutter:  E.  cf  wariorC^ehai, 

Klein:  Kr.  cf  (r)lïo!ë,  Kiss,  rijrë^,  9  E.  rikorë.  Kiss.  rik§iré„  Kr.  lïkjîolé, 

Fingernagel  :  9  Kr.  dCSikö,  deàïkë,  E.  de§ikâ,  d"  Kr.  (wa-)deSi6,  deSiâe,  E.  desiä,  Co. 
ouadéchioù, 

Otjerarm:  9  E.  waaftSika,  Kr.  oanSîké,  d"  E.  wa-aft&ia,  Kr.  öänSl6, 

Lippenbart:  9  Kr.  dîkôz'Irf,  cf  djiö-sirf, 

Schulter:  9  Kr.  aî?slkrtti,  gekürzt  äüJikÖt',  E.  wa-§ikotä,  cf  E.  wasiotä,  C.  wansioié,? 
wansiotf's 

Grösserer  Knabe:  E.  9  ^koSiura,  cf  ^eoSiura, 

Pfeifen:  9  ïkoz'f,  cf  jöz'f  (Kr.)  mit  halbvocalisch  gewordenem  i. 

Halskette  aus  blauweissUchen  Früchten  (nach  Kissenberth  „lacrimae  Christi"  genannt) 
cf  lälüladdke,  9  ïsrkùjadû,  dazu  Halskette  aus  Glasperlen:  Kr.  9  (ï)âïka!â,  9  (ï)slùlâ,  E.  ièiura, 

Regen:  E.  9  biku,  Kr.  cf  bid,  E.  bin,  C.  bi-ou,  Co.  biou. 

Giftige  Mandioka:  9  Kr.  ändjlkola,  cf  ändjlüjä,  E.  andz'iula,  C.  odjou-oura; 

wenn  i-u-e  zusammenstossen,  wird  das  u  leicht  zum  Halbvocal  u. 

Himmel:  9  E.  bikuatékë,  Kr.  bikùëdéké,  cT  E.  biuäteke.  Kr.  bl(w)ëdëkê, 

Kniescheibe,  richtiger  Kniegelenk:  E.  9  wa-wakub5.  Kr.  (wa)  wäkübe,  cf  E.  wä-waube, 
Kr.  (wa)waùbé, 

Spindelscheibe  aus  weis.sem  Stein:  Kr.  9  mänäknla,  cf  maùlé, 

Jaguar  :  E.  9  aA&okua,  cf  E.  aA^auä,  Kr.  änlöae,  ändöäe,  C.  avoai,  Co.  anolé.  aûâokua 
wird  über  'an&oua  zu  aAdauä,  weiter  zu  'änSöäe. 

Davon  abgeleitet:  Katze:  9  Kr.  älrtkSi-nf,  cf  gähanl5S-ne,  änz'ö5-nf,  Co.  anoloé'ni,  denn 
das  i\  kann  als  Nasallaut  einfach  fortfallen,  und  5  bei  Ehrenreich  wird  häufig  durch  1  bei 
Kjiacse  wiedergegeben,  nf  ist  Derivativsuffix,  (s.  o.) 

Wahrend  in  den  letzten  Beispielen  au  getrennt  ausgesprochen  wurden,  finden  wir  auch 
aîi  als  richtigen  Diphthong  in  dem  Worte  für  Ente,  in  der  Frauensprache  :  Kr.  hasdäkölM, 


—  176  — 

wo  die  Compositionsfuge  vor  dem  Suffix  ni  anzusetzen  ist.  Castelnau's  azoukoulé  stimmt 
damit  überein.  In  der  Männerspraclie  heisst  die  Ente  hëdâule,  (Kr.)  was  wir  uns  aus 
*tiâêdaûlo  entstanden  zu  denken  haben. 

Backen:  Kr.  9  wa(ä)ko,  cf  w(ö)ä(h)6, 

Fluss:  Kr.  ?  bäräku^,  cf  C.  E.  berô,  Kr.  bäro  (Contraktion)  Co.  bérooco,  was  wahr- 
scheinlich Frauendialekt  ist. 

Ellbogen:  Kr.  9  däköho,  cf  t5ë(ë)h6, 

Feuer:  E.  9  hekautö,  Kr.  hâêkotï,  cf  E.  heauto,  C.  eaoutou,  Co.  éoti,  Kr.  häöte, 

Zuweilen  tritt  auch  hier  Contraktion  des  âô  zu  äü  ein,  so  in  9  lâkôlïdâ,  (Kr.)  Unterarm, 
auch  dékolùtê,  cf  E.  waSekoritÖ,  Kr.  dälidae,  dëôlùte. 

Ebenso  kann  ëô  zu  ë  werden, 

Ader:  9  Kr.  wa-düköläti,  cf  wä-deläti,  zuweilen  kann  eo  auch  erhalten  bleiben. 

Der  4.  Finger  heisst  nach  E.  9  wa-Sebö  reko^ehä,  cf  wa-5ebÖ  iheööedö, 

Hoden:  9  Kr.  z'ükii,  cf  wä-z'eu, 

6  =  Kr.  lëkùlô",  lekälolä,cr  lëùljô",  dëûdo",  Co.  leiouroma,  was  vielleicht  zu  lëkâjéla  stimmt. 

Stern:  9  Kr.  däklnä,  cf  dälna,  Co.  taïnan,  E.  C.  takina.  (9?)  ■ 

Auch  in  dem  Aruak-Lehnwort  für  Mais  finden  wir  ein  k  in  der  Frauensprache,  hier 
ist  es  jedoch  sicherlich  angewachsen,  es  stellt  also  eine  Art  analogische  Ausgleichung  dar. 

cf  E.  mahi,  Kr.  mâï,  Co.  mai,  9  E.  maki; 

Handgelenkschmuck  :  Kr.  9  wöküdeSi,  Kiss,  cf  wo-udêsi,  (die  Zwischenstufe  darstellend), 
endlich  die  Kontraktion  :  Kr.  wödeöi, 

essen:  9  E.  rokusi,  Kr.  läküsi,  wird  zu  cf  Kr.  döJi,  E.  röJi,  und  zwar  über  'läüSf, 
*rousi,  was  besonders  durch  Castelnau's  loosi  bestätigt  wird. 

Mittelfinger  oder  Zeigefinger:  cf  E.  wa-&ebökü9edö,  aus  9  E.  wa-Sebö-koka5edö. 

2.  Kontraktionen  in  der  Männersprache,  hervorgerufen  durch  das  Aufeinanderstossen 
zweier  gleichartiger  oder  ähnlicher  (o— u)  Vocale.  Die  durch  das  Zusammentreffen  ungleich- 
artiger Vocale  bedingten  Kontraktionen  sind  bereits  oben  behandelt  worden. 

Stossen  zwei  gleiche  oder  ähnliche  Vocale  durch  "Wegfall  eines  k-Lautes  zusammen, 
so  resultiert  ihre  Länge.  Ein  langer  Vocal  entsteht  auch  durch  das  Zusammentreffen  eines 
langen  mit  einem  kurzen  Vocal,  (s.  o.) 

So  ergibt: 

9  Mattenwand:  Kr.  buküle,  9  bnle, 

Rücken:  9  Kr.  wä-z'öküni,  9  wä-z'öni, 

Mädchen:  9  E.  yadocoma,  wozu  Coudreau's  iradocoman  stimmt,  wird  über  •yadooma 
zu  E.  yadôma,  Kr.  yädomä,  wobei  es  zweifelhaft  bleibt,  ob  der  (ungewöhnliche)  Accent  aut 
der  Contraktionssilbe  ein  Aequivalent  für  die  Längung  bedeutet. 

Hierher  gehört  auch  wohl  das  Wort  für  Boot,  welches  9  E.  auokö  heisst,  cf  E.  mit 
Nasalierung  aunö. 

Fortfallen  von  ku  (oder  k»)  im  Inlaut,  (Männersprache)  wo  es  in  der  Frauensprache  steht. 

schnarchen:  9  dëlo(ë)kutëké,  (Kr.)  cf  dêlo(ë)tëké, 

7:  9  Kr.  dëbôkôlêkjulo",  cf  dëbôlëûlo, 

4:  9ïmakùbïko  (Kr.)  cfïnambïo,  E.  inambio  oder  mit  Metathesis:  imaùbio,  Co.  inanoubioa, 

(Gehirn:  E.  9  irakunë,  cf  iraone,) 

Wirbelsäule:  E.  9  waSaukunë,  cf  waSaunë, 

Handfläche:  E.  9  waSebökube,  cf  wa^ebö-be. 


-   177  — 

Besonderheiteti. 

Durch  Metathesis  hervorgei-ufen :  Vollcuye,  Behälter:  Kr.  9  üläkü,  cf  *ùlaù  >  ùâlû, 
ausserdem  das  Wort  für  Bauch:  E.  cT  wahua,  K.  wäüwe,  C.  waawai,  Co.  ouaouaucamé, 
was  zu  9  Kr.  wâubùkùnû  zu  stimmen  scheint. 

Auslaîit. 

k  ist  der  einzige  Konsonant,  der  im  Auslaut  gedultet  wird,  u  in  ku  ist  schwach  arti- 
culiert  wie  im  .Japanischen,  wo  fuku,  roku  wie  fuk',  rok'  gesprochen  werden  ;  k  fallt  dann 
in  der  Männersprache  des  Karaja  auch  fort. 

Ausfall  eines  ku,  Kürzung  des  ku  zu  einem  k',  endlich  Ausfall  dieses  letzteren  im 
absoluten  Auslaut. 

1)  Ausfall. 

Kniescheibe,  richtiger  Kniegelenk  :  9  Kr.  wäköwökü,  E.  ikohokù,  cT  wä-köw6,  E.  wa-kohö, 
Sein  Ohrloch:  E.  9  tohoAtä  uoku,  (f  tohofttä  ua, 
hierher  gehört  wohl  auch  Hängematte  (Kleidungsstück):  E.  9  riaku,  cf  rüo, 

2)  Kürzung. 

Milchstrasse:  9  höirdnläkO,  cf  holîdùl6(k),  also  hier  zuweilen  völliger  Ausfall  des  k-Lautes. 

Haus:  9  E.  hetöku.  Kr.  haetökä,  (f  Kr.  haute,  hâd6,  E.  heto,  C.  aeto,  Co.  ééto, 

Kehle:  E.  bedauakü,  cT  beSauö, 

Der  Grabstock  heisst  nach  Kr.  cf  mäü-le,  hiermit  ist  nach  demselben  das  Wort  für 
Messer,  cf  E-  mahau,  Kr.  ma(h)â,  C.  maeu,  maou,  Co.  maou,  Kiss,  maü,  zu  combinieren, 
welches  im  Ç-dialekt  E.  mäk  lautet,  entstanden  aus  'mäkü. 

3)  Kürzung  und  absoluter  Fortfall: 
Rohbaumwolle:  9  Kr.  äsöntäek',  cf  SSsôtâe,  Co.  essondé. 

Mittel-  und  Zeigefinger:  9  Kr.  däüböd'kä,  cf  dabftdcäd^,  9  däEböd'k",  cT  däböde,  wo 
ausserdem  eine  Syncope  eingetreten  ist. 

Ana  fall  mehrerer  k-Luute  der  Frauensprache  in  der  Sprache  der  Männer: 

9:  9  Kr.  îmakobïké,  C.  (cf)  naoubio, 

urinieren  :  Kr.  9  kalîdfkân,  cf  E.  ari^uirt,.  Kiss,  aritükre,  ich  will  u.,  wobei  zwischen 
u  und  i  Metathesis  eingetreten  ist. 

defeecieren:  9  Kr.  kälTküfkün,  E.  kari-ko-kr5,  cf  E.  ari-ku-iù  (1.  Sg.)  ari-ku-kr5, 

endlich  rülpsen:  9  Kr.  klähTdöTk,  cf  l'dö^,  welches  etwa  aus  •la''id(5è,  femer  *ledöe  ent- 
standen sein  mag. 

In  einigen  wenigen  Worten  finden  wir  in  der  Frauensprache  ein  k,  in  der  Männer- 
sprache ein  r. 

Knabe  oder  Mädchen:  9  Kr.  üäCkflf,  cj"  ùapjïlt, 

Junggeselle:  E.  9  ukereba,  cf  ireriba,  wereriba,  das  letztere  vielleicht  aus  *wa-ireriba, 

Brustwarze  des  Mannes:  9  wä-bolekötf,  (Kr.)  wa  blüürötf,  mit  Metathesis, 

Nase:  Kr.  9  dä^äkd,  E.  cf  wa-dearo. 

Ausser  diesen  vielseitigen  Veränderungen,  welche  der  Männerdialekt  durch  den  Ausfall 
und  die  Veränderug  von  k-Lauten  ei-föhrt,  sind  noch  die  folgenden  zu  registrieren,  auf 
welche  Ehbbsreich  bereits  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hat. 

1)  dz  und  &  cf  kann  in  t  9  übergehen.  Zuweilen  finden  wir  statt  des  t  ein  k.  Diese 
beiden  Laute  können  miteinander  wechseln,  (s.  o.) 


—  178  — 

Beispiele:  Zahn:  cT  E.  wa-idzu,  K.  djüü,  wä-tjd,  C.  adjou,  Co.  ouadiou,  9  E.  tùù,  Kr. 
djüö,  tjüa,  Kiss.  JÖU3, 

Ehemann:  cf  E.  dzoitehä,  9  koitehä, 
Oberiippe:  d"  Kr.  wa-ïtjôsïli,  9  diköz'lri, 
Podex:  cf  Kr.  Ihldji,  9  E.  ihati, 
gehen:  cf  Kr.  dj-öi-(i)tä;  9  iköira. 

2)  b  im  Männerdialekt  erscheint  als  h  im  Frauendialekt,  indessen  nur  in  einem  einzigen 
Beispiel  bei  Ehrenreich:  mein  Grossvater  heisst  cf  waâabë,  9  waSahS  {10  und  h?). 

3)  Im  Männerdialekt  wird  die  Aspirata  &  des  Frauendialektes  zur  einfachen  Spirans  h, 
was  ja  auch  leicht  verständlich  ist, 

I    nachfragen,  suchen:  E.  cf  anhebeSä  iahrê,  Q  aSoiibohä, 

Nacken:  E.  cf  wa-âautë,  9  ihaute. 

Die  unter  2  und  3  angeführten  Beispiele  sind  jedoch,  wie  es  scheint,  von  keiner  allge- 
meineren Bedeutung,  hier  muss,  ebenso  wie  auch  für  manches  andere,  erst  noch  weiteres 
Material  abgewartet  werden. 


Die  Vocale  des  Karaja: 


ANHANG  1. 


a 

e  â 


Die  Konsonanten: 


Velares 

Palatales 

Cerebrales 

Alveolares 

Alveolares  mit 
Rauschlaut 

Dentales 
Bilabiales 


e  u 

i   u 


Explosivae 


Fricativae 


stimmlose     stimmhafte 


13 
<D 


CS 

^  Sc 

ci 


o 


'^    CS 

SîË 

CS 


o 

2.     CO 


CO 


CS 
•si 


> 

s 

o 

03 


k 

tj 

'Ij 

0") 

y  (1) 

! 

t 

d 

n 

S 

(ZI 

1» 

s 

b 

m 

W  (U) 

Hauchlaut  h. 


—  179  — 

In  dieser  nach  Meinhof  aufgestellten  Tabelle  der  Konsonanten  finden  sich  meist  andere 
Bezeichnungen  als  die  oben  gebrauchten.  So  für  Gutturale  Velare,  für  Dentale  Alveolare 
und  Dentale,  für  Labiale  Bilabiale,  u.  s.  w.,  ausserdem  wird  der  Lautbestand  durch  die  hier 
erfolgte  Einteilung  in  Explosivae,  Fricativae,  Nasales  und  Semivocales  und  ihre  Unterabtei- 
lungen schärfer  characterisiert,  sodass  man  bei  genauerer  phonetischer  Beobachtung  und 
Beschreibung  auf  das  MEiNHOF'sche  Schema  wird  zurückgehen  müssen,  während  zur  unge- 
fähren Charakterisierung  der  Laute  die  traditionellen  Bezeichnungen  genügten. 


ANHANG  n. 
Wörterliste,  Portugiesisch  Karajâ  ')• 

Vocabulario  da  tribu  Carajâ,  habitante  do  Rio  Araguaia  na  provincia  de  Goiaz.  Eduardo 
Arthur  Sokrates.  Revista  trimensal  do  Jnstituto  historico  e  Geographico  Brazileiro.  Rio  de 
Janeiro,  Tomo  LV,  1893,  S.  87—90. 


A. 


B. 


avô 

üla  bië 

avö 

ùlâ-rê 

arco 

ûaxinaté 

anta 

conn 

arruz 

mainximüm 

abobora 

tocaerà 

annel 

ùômatêdebô 

alavanca 

mùrûré 

amanhan 

güenäü 

agua 

bêê 

assontar 

bônàn 

aqui 

caqui 

aperto  de  mào 

baùritini 

arära 

bi^ècd 

aguardente 

iùêrôdiubreré 

amigo 

ùâ-ré-bone 

anus 

eti 

arraial 

aùa-irioré 

brace 

axiô 

burro 

tonhontêcàn 

banana 

diatâ 

batata  doce 

catérûtê 

bijii 

ibôbcé 

S.  87. 


boca 

rê-hê 

barro 

sôô 

bigode 

sôcôceré 

barba 

diùtêterê 

brinco 

son-ontê 

boi 

bôrôrêne 

bezorro 

,       -irioré 

biscouto 

qùerô-tio 

bengala 

dôredêlê 

bater 

iè-taine 

bonito 

aûêtê 

bom 

de 

bebès 

rei-ôn 

barriga 

ûâe-hê 

buraco  nazal 

dêêrê-nhô 

bahü 

con6-rôdêdêcàn 

.     copo 

bùnomôna 

capitào 

iolô 

Christào 

taùri 

cobra 

emanlalâ, 

cascavel 

emanlalâ-inêrôdê 

cotia 

acùri 

cavallo 

cavarà 

i)  Die  von  Soc.  in  Klammern  gesetzten  Fragezeichen  ergeben  sich  nach  dem  jetzt  bekannten  Material 
aU  überfla*sig. 

I.  A.  f.  E.  Bd.  XXIII.  24 


-  180  - 


S.  88. 
cesto  para  condûzir  criança        ùêriri 

„         „  „        ùtensilios     berrirâ 

cordào  que  cingem  ao  pescoço     rêrutê 
carno  inodôdé 

cabello  raâté 

chapeo  raâ 

circumferencia  facial    olomànrindé 


cama 

erinâ 

céo 

biÛ 

cabeça 

raâ 

chapeo  de  sol 

dôredête-déù 

caçar 

andocé 

copùlar 

arâù-êne 

cortar 

mâê 

cortar  cabello 

rêra-crô 

coité 

ùaâlo 

compadre 

uacàn 

chorar 

rûinân-râ 

cavar 

aracêranân 

cozinhar 

man-éra 

calôr 

bdê-totiqùé 

chuvas 

bid  (céo) 

cheirar 

tanan-rêtê 

canôa 

an-nhc3 

cotovelho 

dâe-ohâ 

côxa 

irôti 

costas 

brotê 

calcanhar 

uarâùrecô 

cinco 

irûqùêré 

como  chama-se? 

moine  ? 

cazar 

sôuira 

comida 

birôci 

copim 

daê 

cicada 

auâ-ancàn 

café 

iùérô 

caza 

rènanàn 

D.    dinheiro 

intadinâ 

defunto 

rôbô 

dormir 

rôn-rôn 

dia 

tinarâreari 

diabo 

iêèrêrê 

decs 

qùinanxiûe 

dénie 

diù-hû 

dois 

doente 

dança 

E.  espingarda 
estrella 
espelho 
ema 
enxada 
enxergar 
espéra  a  hi 
evacuar 
eu  quëro 
escrever 
espoleta 

F.  flexa 

flexa  pequena 

feijào 

fogo 

fumo 

faca 

formiga 

feio 

foice 

fumar 

febre 

frio 

farinha 

fedêr 

furtar 

fome 

G.  genipapo 
gaUinha 
gallo 
guerreiro 
gravata 
gente  branca 

H.    homem 

hoje 

I.      irmào 
inhame 


nadi 
bénâ 
ixé 

mancaûà 

daqùinàn 

essideqûé 

cucêêné 

bûrâré 

berebedicàn 

siocré 

anricüqüe 

edeaû-anraorecrê 

re-rôtenàn 

mancaùâ-nonhonte 

ûêrrê 

ûerrê-iriôré 

comàntâ 

eotê 

cooté 

maoê 

colûbâre 

ebênâne 

maêrùbû 

catinôeuribô 

adiûràn 

guêêû 

guinandé 

irori 

rauâcênàn 

remàn, 

bednà 
aniqué 

„     -abÖ 
andiiironàn 
bêtolôbê 
itatqûêurâ 

aabû 
uidé 

naderioré 
tocaerâ-to 


181 


indio 

dé-anràn 

orelha 

nanhonté 

igreja 

aèbô 

cite 
ourinar 

inaton-rêûrô  (?) 
anrizô 

J. 

Jacare 

cabrorô           S.  89. 

Jatoba 

quènâ 

P. 

periquito 

biri 

Jaboti 

cotôbenàn 

paca 
pedra 

adiü 
mânà 

1. 

lua 

Ûâ 

pâo 

cooté 

laranja 

bderatê 

panella 

oatiioré  (?) 

lavantar 

bèxixâ 

papagaio 

doré 

longe 

iriètéè 

peixe 

quètôrâ 

lagôa 

anrô 

pario 

reo 

to 

qoênâu 

pote 
pema 

berû-êua 
rôtê 

1. 

mulher  cazada 

ulâdôcé 

pé 

dêê 

„       solteira 

idiadôma 

pescoço 

lotè 

moça 

aüqui 

pestana 

ruxé 

màe 

nadè 

patrona 

cotrana 

menino 

Uadô 

perdiz 

moerdô 

macaco 

crêobê 

porco 

ixàn-nê  [Sufi&x  ni!] 

Diào 

daebô 

porco  do  mato 

ixan 

mandiooa  brava 

andiôra 

perto 

iôtê 

p         mansa 

iré 

milbo 

ma-hi 

(P.) 

pequeno 

iriquitieté-irioré 

mangaba 

erùri 

peito 

oé-ia 

morr^'o 

rôrôra 

pûlso 

dueco-rûtaê 

machado 

üömä 

pegar 

beiman 

mingàfl 

iûêro 

pintar 

rêdê-que 

matar 

rêrêbiina 

polvora 

maucauà-dé 

membro  genital 

do  hörnern        oanôn 

• 

pato 

ahè-cancoré 

»            » 

da  mulher        daè-hê 

penna 

têê 

manga 

autôbûreni 

manhan 

rûetéa 

Q 

quatre 

imàn-biâûa 

morro 

aûàlô 

missinga 

siûra 

B. 

rêde 

riê 

möito 

sonêtè 

roupa 
rir 

taquê 
dûtiû-enân 

N. 

nariz 

dêérê 

rio 

beêrô 

noite 

rù-hu 

,  araguaia 

„     riori(==  kleiner 

negro 

adeodô 

roça 

coûri              [Fluss) 

nadegas 

éti 

nove 

rêrêra 

S. 

sol 

tiü-hü 

nào 

daari 

supercilio 
siucuri 

ruxé 

lê-hê  (?) 

0. 

olho 

rué 

sapato 

öa-ha 

— 

182 

— 

T. 

tatu 

tacape 

tezouro 

0-hân 
cootè 
ocrécinâ 

urubu 
um 

ra-râ 
so-ôdi 

S. 

90. 

T. 

vamos 

■joira 

trabalhar 

aumancândecàn 

veado 

budoé 

terra 

sônô 

vara 

bôrôrene  auquê 

tanga 

labêce 

vela 

andiOrôna 

trazer 

bêdenê 

venho 

qûê-rê 

trovào 

biu-mantchi 

va  corner 

roxime-ma-ha 

testa 

o-ràn 

viajar 

diôira 

trez 

na-tâu 

Z. 

zangado. 

raebûré-fian  tirer 

U. 

unha 

dêxiê 

UEBER  DEN  TANZ  IM  MALAIISCHEN  ARCHIPEL 

VON 

Dr.  G.  J.  NIEUWENHUIS  (Deventer— Holland). 


EINLEITUNG. 

Die  Geschichte  der  Ethnographie  zeigt  uns,  wie  das  Interesse  der  ersten  Ethnographen 
nur  in  denjenigen  Gebieten  lag,  die  in  Beziehung  standen  zu  dem  praktischen  Zwecke, 
mit  dem  sie  ihre  Reisen  anfingen,  und  wo  dieser  —  wie  bei  den  berühmten  Weltreisen  — 
nur  fast  kartographisch  war,  sich  hauptsächlich  bewegte  in  der  Sphäre  des  Bizarren,  des 
Sensationellen,  des  von  europäischen  Sitten  weit  Abweichenden.  So  haben  die  ersten  Mis- 
sionäre wertvolle  Beobachtungen  Qljer  religiöse  Vorstellungen  gemacht,  die  Kolonisten  und 
Handeltreibenden  Mitteilungen  über  primitives  Wirtschaftsleben  gegeben,  während  die  Jour- 
nale der  ersten  wissenschaftlichen  und  politisch-commerziellen  Weltreisen  von  Kannibalismus, 
imponierenden  Zeremonien  und  „törichten"  Sitten  reden. 

Dass  auch  die  primitiven  Völker  ihr  Schönheitsverlangen  in  Formen  zu  giessen  wissen, 
die  die  verwöhnten  West-Europäer  der  späteren  Zeiten  befriedigen  können,  haben  die  alten 
Ethnographen  nie  geahnt. 

Die  Ueschichto  der  Ethnologie  zeigt  eine  parallele  Erscheinung.  Religiöse  Anschauungen, 
Ehe-  und  Wirtschaftsformen  haben  nacheinander  die  Probleme  gebildet,  womit  man  sich  in 
Fachkreisen  —  oft  mit  einer  bis  zur  Manie  steigenden  Liebe  —  beschäftigte.  Erst  zuletzt" 
taucht  die  Idee  wieder  auf,  zu  untersuchen,  wie  die  Naturvölker  sich  der  Kunst  gegenüber 
verhalten. 

Es  ist  der  Verdienst  Ehnst  Grosse's,  in  seiner  Arbeit,  , Anfange  der  Kunst"  (1894) 
zum  ersten  Male  die  aesthetischen  Probleme  tiefer  wurzeln  zu  lassen  als  in  der  antiken 
Welt,  und  die  Kunstäusserungen  der  Naturvölker  für  aesthetische  Studien  angewendet  zu 
zu  haben.  Breiter,  und  tiefer  als  Gbosse  hat  Ybno  Hik\  in  seinem  Werke  „Origins  of  Art" 
die  Ursachen  des  ersten  Kunstschaflfens  erforscht  und  seine  Beispiele  den  Naturvölkern 
entnommen. 

Beide  gehen  in  ihren  Betrachtungen  über  das  ganze  Gebiet  der  Kunst,  behandeln 
sowohl  die  bildenden,  als  die  musischen  Künste. 

Dass  innerhalb  des  Kunstgebietes  das  Interesse  der  .Ethnologen  erst  hauptsächlich  die 
dekorative  Kunst,  dann  die  Musik,  und  bis  jetzt  noch  kaum  den  Tanz  (als  aesthetische 
Erscheinung)  umfasste,  ist  teilweise  auf  technische  Momente  zurückzuführen,  teilweise  auf 
mangelhafte  musikalische  Vorbildung  und  geringes  Interesse  der  Ethnologen.  Sind  ethnolo- 
gische Studien  über  dekorative  Kunst  in  den  letzten  Jahren  ziemlich  zahlreich,  über  primi- 
tive Musik  ist  viel  weniger  geschrieben  worden,  und  die  ethnologischen  Arbeiten  über  den 


—  184  — 

Tanz  beschränken  sich  —  so  viel  ich  weiss  —  nur  auf  Abschnitte  in  grösseren  Werken 
(Grosse,  Hirn,  Grove,  Wallaschek,  Stoll,  Wundt)  und  auf  einige  unbedeutende  kleinere 
Aufsätze  (Hellwald,  Vane).  Ueber  den  Tanz  der  Australier,  der  Indianer  oder  Papua 
in  bestimmten  Gebieten  sind  vorzügliche  Arbeiten  geschrieben  worden,  doch  sind  sie  alle 
rein-ethnographischer  Art.  Eine  umfassende,  eingehende,  vergleichende  Arbeit  über  den 
Tanz,  von  ethnologischem  Standpunkt  aus,  fehlt  noch  vollkommen.  Eine  solche  zu  geben 
wäre  eine  schöne  Aufgabe,  welche  aber  enorme  Vorstudien  auf  ethnologischem,  psycholo- 
gischem und  Musik-aesthetischem  Gebiete  fordert,  nebst  der  Bearbeitung  des  ethnographi- 
schen Materials,  das  merkwürdigerweise  ebenso  reich  ist,  als  das  ethnologische  arm.  Denn 
der  Tanz  hat  —  nicht  als  aesthetisches  Problem,  sondern  als  religiöse  oder  soziale  Erschei- 
nung —  oft  auch  als  Kuriosum  —  schon  früh  die  Aufmerksamkeit  der  Reisenden  auf  sich 
gezogen,  wodurch  eine  ethnographische  Literatur  entstanden  ist  von  fast  unabsehbarem 
Umfang. 

Leider  verliert  man  hier  in  der  Tiefe,  was  man  in  der  Breite  gewinnt,  und  kann  man 
nur  mit  der  grössten  Sorgfalt  die  Angaben  über  Tänze  benutzen  ohne  falsche  Folgerungen 
zu  ziehen.  Es  liegt  hier  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  vor,  mit  dem  Studium  des  Tanzes 
verknüpft,  nämlich  eine  scharfe  Kritik  der  benutzten  Quellen. 

Jeder,  der  sich  mit  Naturvölkern  beschäftigte,  weiss  von  welcher  grossen  Bedeutung 
der  Tanz  in  ihrem  Leben  ist. 

Man  kann  ohne  Uebertreibung  sagen,  dass  im  kleinen  Kreise  des  primitiven  Lebens 
der  Tanz  das  gemeinsame  Zentrum  ist,  wo  die  Sektoren  Religion,  Krieg,  Kunst  und  Erotik 
einander  treffen. 

Man  hat  gesagt,  dass  nach  Sonnenuntergang  ganz  Afrika  tanzt.  Ein  Blick  in  die 
Literatur  der  Indianer,  der  Australier  und  Südsee-Bewohner  zeigt  uns,  dass  auch  bei  diesen 
Naturvölkern  der  Tanz  eine  ebenso  grosse  Rolle  spielt.  Wer  also  einer  so  wichtigen  Erschei- 
nung, von  so  grosser  Bedeutung  und  allgemeiner  Frequenz  seine  Aufmerksamkeit  schenken 
will,  der  muss  sich  entweder  mit  einer  oberflächlichen  Uebersicht  begnügen,  wie  Wallaschek 
und  viele  anderen  dies  getan  haben,  oder  er  muss  sich  ein  bestimmtes,  geographisch  oder 
ethnisch  begrenztes  Gebiet  wählen,  sich  hier  das  Material  sammeln  und  klassifizieren.  Wie 
der  Sprachforscher  ist  der  Forscher  der  musischen  primitiven  Künste  in  wesentlichem 
Nachteil  gegenüber  den  anderen  Ethnologen.  Ueber  Sklaverei,  über  Eheformen,  kann  man  eine 
Arbeit  schreiben,  die  mehrere  Weltteile  umfassen  kann,  ohne  oberflächlich  oder  unwahr  zu 
werden.  Die  musischen  und  sprachlichen  Aeusserungen  der  Völker  sind  zu  schwankend, 
zu  individuell,  zu  schwierig  greifbar,  als  dass  man  sie  generalisierend  umfassen  könnte,  ohne 
grobe  Fehler  zu  machen. 

Vielleicht  wäre  es  möglich,  nach  vielen  gewissenhaften  Untersuchungen  der  verschie- 
denen primitiven  Völker  und  ihrer  Tänze  eine  allgemeine  Arbeit  anzufangen.  Jedenfalls 
sind  wir  jetzt  noch  lange  nicht  so  weit,  und  diejenigen,  die  das  vergassen,  sind  alle  nicht 
viel  über  Banalitäten  und  Unwahrheiten  hinaus  gekommen. 

Was  wir  vorläufig  brauchen,,  sind  ethnologisch-ethnographische  Studien,  die  den  Tanz 
in  einzelnen  Gebieten  untersuchen,  und  mehr  als  die  bisher  geschriebenen  das  aesthetische 
Element  betrachten.  In  diesem  Sinne  dann  auch  hatte  ich  mir  —  als  ich  vor  drei  Jahren 
meine  Arbeit  anfing  —  gedacht,  das  Gebiet  des  malaiischen  Archipels  zu  behandeln.  Aber 
auch  hier  war  das  Wollen  grösser  als  das  Können.  Schon  im  Anfang  meiner  Studien 
wurde  mir  klar,  dass  eine  einigermassen  gründhche  Behandlung  des  Tanzes  in  Indonesien 


—  185  — 

nicht  möglich  sei  ohne  die  benachbarten  Gebiete,  die  ethnisch  oder  kulturell  in  engem 
Zusammenhang  zum  Archipel  stehen,  mit  zu  betrachten.  Das  ergäbe  eine  Arbeit,  die 
das  ganze  Gebiet  von  Formosa  bis  Australien,  von  Polynesien  bis  Süd-Indien  umfassen 
würde.  Weiter  sah  ich,  dass  für  die  Untersuchung  der  aesthetisch-musikalischen  und 
psychologischen  Seite  des  Problems  das  Material  ungenügend  war,  und  jedenfalls  sowie  so 
nur  persönliche  Beobachtungen  Resultate  geben  könnten. 

Endlich  zeigte  sich,  dass  auch  das  ethnographische  Material  über  Indonesien  zu  gross 
war,  am  im  ganzen  verwendet  werden  zu  können. 

Ich  habe  mich  deshalb  nach  drei  Richtungen  beschränken  müssen  : 
1".  Habe  ich  die  benachbarten  Gebiete  fast  ganz  aus  meiner  Betrachtung  ausgeschaltet, 
und  nur  den  niederländischen  Teil  des  malaiischen  Archipels  behandelt.  Eine  Ausnahme 
bilden  Grenzgebiete  in  Borneo  und  Neu  Guinea,  und  die  Inseln  der  Torres-Strasse,  die 
ich  wegen  Haddons  vorzüglicher  Arbeit  mit  in  Betrachtung  gezogen  habe. 
2".  Konnte  ich  nur  einen  Teil  des  gesammten  Materials  über  Niederlàndisch-Indien  ver- 
arbeiten. 

Die  Zahl  der  Reisebeschreibungen,  die  Berichte  von  Beamten  und  Missionären,  die 
alle  wertvolle  Bemerkungen  enthalten  können,  ist  sehr  gross,  obwohl  ich  leider  noch 
eine  grössere  Zahl  von  Werken  vorfand,  die  das  langweilige  Durchlesen  nicht  mit 
einer  einzigen  Bemerkung  belohnten. 
S'.  Habe  ich  von  den  vielen  ethnologischen  Problemen,  die  mit  dem  Tanze  verknüpft  sind, 
nor  zwei  behandelt  und,  weil  es  sich  hier  um  eine  Probe  eigener  wissenschaftlichen 
Arbeit  handelt,  mehr  methodisch  als  angenehm.  Die  Aufzählung  und  Nummerierung  der 
vielen  Beispiele  würden  das  Lesen  einer  grösseren  Arbeit,  die  alle  Probleme  überblickt, 
ungeniessbar  machen. 

Die  beiden  behandelten  Probleme  „der  Anteil  der  Geschlechter  am  Tanz"  und  „Der 
Gtefechtstanz"  habe  ich  deshalb  gewählt,  weil  über  das  erste  viel  oberflächliches  und  über 
das  letzte  überhaupt  sehr  wenig  gesagt  worden  ist.  Ueber  das  Verhältnis  des  Tanzes  zu 
Erotik,  Totemismus,  Mànnerbûnde,  wofür  auch  in  Indonesien  manches  Beispiel  anzuführen 
ist,  sind  für  andere  Gebiete  wenigstens  mehrere  Arbeiten  geschrieben  worden.  In  einer 
grossen  Arbeit  sollten  alle  diese  Probleme,  wie  sie  sich  im  malaiischen  Archipel  vortun,  ein- 
gehend durchforscht  werden,  wie  auch  das  Auftreten  vom  Mimus,  das  Problem  vom  Ursprung 
des  Rhythmus  und  die  vielen  anderen  aesthetischen  Probleme,  die  im  nächsten  Abschnitt 
„Kritik  der  Quellen"  angedeutet  werden. 


KRITIK  DER  QUELLEN. 

Das  Durchlesen  der  ethnographischen  Literatur  eines  Gebietes  zum  Zwecke,  —  bes- 
ser gesagt  mit  der  Hoffnung  —,  neue  Perspektiven  in  aesthetischen  Problemen  zu  finden, 
ist  keine  dankbare  Arbeit;  denn,  dass  es  überhaupt  .solche  Probleme  gibt,  haben  die  meisten 
Reisenden  nicht  geahnt,  und  die  es  wussten,  hatten  meistens  nicht  die  Talente  und  die 
Vorbildung,  um  auf  diesem  Gebiete  wertvolle  Beobachtungen  machen  zu  können. 

Das  Tanzen  ist,  wenn  man  die  Reisebeschroibungen  aus  verschiedenen  Zeiten  verfolgt, 
nacheinander  betrachtet  worden  als  Kuriosum,  als  soziale  und  religiöse  Erscheinung,  und 


—  186  — 

erst  seit  kurzem  als  aesthetische  Tätigkeit,  deren  Analyse  Einsicht  verschaffen  kann  in 
die  Entstehungsgeschichte  der  Kunst. 

Vergleicht  man  den  Gesichtswinkel,  unter  welchem  die  verschiedenen  Reisenden  den 
Tanz  betrachten,  so  lassen  sich  die  folgenden  Kategorien  unterscheiden: 

1.  Diejenigen,  die  auf  gar  nichts  achten  und  nur  nebenbei  erwähnen,  dass  dann  und 
wann  getanzt  wurde. 

Unter  diese  Kategorie  fallen  auch  Autoren  wie  Riedel,  die  nur  sagen,  dass  an  diesen 
und  jenen  Orten  das  Tanzen  sehr  beliebt  ist,  und  dass  man  die  und  die  Tänze  kennt  (es 
folgt  dann  eine  lange  Liste  einheimischer  Namen  mit  äusserst  unvollständiger  Beschreibung). 

2.  Diejenigen,  die  vielleicht  gute  Beobachter  sein  würden,  wenn  ihre  Seele  nicht 
erfüllt  wäre  von  anderen  Dingen,  die  sie  mehr  interessieren.  In  Berichten  der  Missionäre 
liest  man  oft  Mitteilungen  von  dieser  Art.  So  erzählt  van  Mutlwyk  (P.  U.  Z.  1913)  von 
einem  Totenfest  auf  Neu-Guinea,  gibt  ganz  gute  Beobachtungen,  aber  redet  dazwischen 
von  einer  Zänkerei  zwischen  zwei  Frauen  und  einem  Manne,  die  er  zu  versöhnen  ver- 
suchte. Hier  vertreibt  der  Missionär  den  Ethnographen. 

-  Schlimmer  sind  die  Ethnographica-Jäger,  die  wie  Jacobsen  von  Insel  zu  Insel  springen 
und  den  Erfolg  ihrer  Reise  an  der  Zahl  der  mitgebrachten  Kisten  abmessen.  Wenn  keine 
Masken  oder  sonstigen  Tanzattribute  da  sind,  ist  der  Tanz  die  Zeit  des  Betrachtens  über- 
haupt nicht  wert. 

Der  Omithologe  Pkatt  war  „Two  years  among  New-Guinea  cannibals"  und  weiss  nur 
von  zwei  Tänzen  zu  erzählen,  wobei  ihn  am  meisten  die  Art  der  Federn  im  Kopfschmuck 
der  Tänzer  interessierte.  Von  einem  Frauentanz  auf  Frauen  hat  er  eine  Photographie  auf- 
genommen, die  „durch  die  wilden  Bewegungen"  etwas  unklar  ist.  Der  schlechten  Photo- 
graphie nach,  scheint  die  ganze  Natur  mitgetanzt  zu  haben. 

Dass  Reisende,  die  zu  geographisch-geologischen  oder  rein  sportlichen  Zwecken  in  kurzen 
Zeiten  grosse  Distanzen  zurücklegten,  wenig  wertvolle  ethnographische  Beobachtungen 
machen  konnten,  ist  selbstverständlich.  Ihren  Bemerkungen  kann  man  dann  auch  oft  keine 
grosse  Bedeutung  beilegen,  und  wenn  sie  dann  noch  allgemeine  Schlüsse  ziehen,  muss  man 
diese  mit  grosser  Vorsicht  aufnehmen. 

Von  Brenner  war  total  5  "Wochen  in  Central-Sumatra,  hat  sehr  -wahrscheinlich  nicht 
den  Tanz  als  ethnologische  Erscheinung  speziell  studiert,  sagt  aber  doch:  „Es  zeigt  sich 
selbst  auf  diesem  Gebiete,  dass  die  Batak  in  der  Kultur  bereits  einen  weiten  Weg  zurück- 
gelegt haben,  indem  die  Männertänze  allein,  wie  sie  ursprünglich  allen  Völkern  eigen 
waren,  bei  ihnen  nicht  mehr  bestehen;  denn  Männer  und  Frauen  nahmen  an  der  Unter- 
haltung teil,  die  allerdings,  wenn  beide  Geschlechter  zugleich  auftraten,  einen  erotischen 
Charakter  annahm". 

Woher  weiss  von  Brenner,  dass  ursprünglich  allein  Männertänze  vorkamen? 

Im  zweiten  Kapitel  werden  wir  sehen,  wie  äusserst  schwierig  es  ist,  auch  nur  für  ein 
Gebiet  eine  allgemeine  Theorie  festzustellen. 

Und  beweist  die  Tatsache,  dass  er  eines  schönen  Tages  Männer  und  Frauen  tanzen 
sah,  etwas  gegen  die  Existenz  von  Männertänzen  bei  den  Batak?  Ist  es  weiter  befremdend, 
dass  „selbst"  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  ein  Volk  seine  Kulturfortschritte  zeigen  kann? 
Was  meint  er  endlich  mit  dem  erotischen  Charakter  des  Tanzes?  Besser  keine  Beschreibung 
als  so  eine. 

Von    einer   anderen    Gegend    sagt    von    Brenner:    „die  choreographischen  Leistungen 


—  187  — 

mussten  im  ganzen  freilich  als  schwach  bezeichnet  werden  ;  dagegen  zeigen  die  Batak  bei 
den  pantomimischen  Spielen  viel  Talent".  Wie  unterscheidet  von  B.  Tänze  und  pantomi- 
mische Spiele?  Wenn  man  das  rhythmische  Element  nicht  betrachtet,  ist  es  überhaupt 
schwer,  Unterschiede  zu  machen.  Gerade  eine  bessere  Terminologie  wäre  auf  diesem  Gebiete 
der  Kunst  unbedingt  notwendig. 

Von  Roskxbero  sagt  von  Nias:  „Becken,  Trommeln  und  Tambourins  sind  die  Musik- 
instrumente, deren  man  sich  bedient.  Sie  werden  von  jedem  ohne  allen  Rhythmus  ad  libitum 
bearbeitet".  Wer  die  immer  wiederkehrende  Bewunderung  für  den  rhythmischen  Sinn  der 
Naturvölker  aus  der  Literatur  kennt,  kann  ohne  Gefahr  sagen,  dass  der  Fehler  hier  beim 
Beobachter  lag.  Es  wird  ihm  dann  sogleich  verständlich,  warum  von  Rosenberg  auf  Engano 
nur  Frauentânze  sah.  „Tänze  werden  stets  im  Freien  und  nur  durch  Frauen  ausgeführt". 
Weder  bei  einem  Gesangsreigen  von  Frauen  und  Männern,  den  er  erwähnt,  noch  bei  einem 
Waffentanz  von  Jünglingen,  nennt  er  Musik  und  Rhythmus,  so  dass  er  diese  nicht  als 
Tanze  betrachtet.  Hier  ist  mangelhafte  Beobachtung  Ursache  einer  falschen  allgemeinen 
Bemerkung. 

Dr.  Bleekbr,  der  mit  dem  General-Gouverneur  eine  Studienreise  durch  den  östlichen 

Archipel  machte,  weiss  in  zwei  Teilen  nur  zu  sagen:  „ überall  dieselben  Feste,  nur 

Verschiedenheit  von  Gesangsmelodien,  von  Kleidung,  Bewaffnung,  von  Kampfspielen  und 
Tanzen"  Hier  ist  offenbar  geringes  Interesse  Ursache  der  mangelhaften  Beschreibung. 

3.  Eine  dritte  Gruppe  von  Autoren  umfasst  diejenigen,  die  dem  Tanz  ihre  Aufmerk- 
samkeit schenkten,  aber  nur  aus  literarisch-linguistischen,  rein-ethnographischen  oder  sozio- 
logischen Gründen.  Den  Tanz  als  Problem  an  sich  betrachten  sie  nicht,  Details  in  dieser 
Richtung  übersehen  sie.  Und  es  sind  gerade  die  besten  Konner  der  Volkssitten  und  Sprachen, 
die  auf  diesem  Gebiete  uns  so  wenig  befriedigen. 

Dr.  MATTHS3  beschreibt  in  seiner  „Ethnologie  von  Süd-Celebes"  verschiedene  Feste, 
bei  Heirat,  Beschneidung  und  so  weiter,  nennt  aber  nicht  einmal  einen  Tanz,  obwohl  er 
sagt:  „Die  Tanzkunst  wird  mit  mehr  Liebe  gepflegt".  In  seiner  Monographie  über  die 
Bii>suh's  (Priester)  gibt  er  eine  minutiöse  Beschreibung  aller  Tanzattribute  und  Instrumente, 
beschreibt  aber  den  Tanz  selber  sehr  mangelhaft. 

Die  besten  Kenner  der  Ethnographie  von  Central-Celebes,  Adriani  und  Kküyt,  haben 
in  ihrem  dreibändigen  Werke:  „De  Bare-sprekende  Toradja's  van  Midden-Celebes",  vielleicht 
das  beste  gegeben,  was  jemals  auf  ethnographischem  Gebiet  über  Indonesien  erschienen  ist. 
Der  Tanz  aber  wird  nur  der  gesungenen  Lieder  wegen  behandelt,  oder  als  Unterteil  reli- 
gifieer  Ceremonien.  Oft  ist  es  nicht  einmal  klar,  ob  es  sich  um  einen  Tanz  oder  um-  eine 
Gesangsaufführung  handelt  (z.  B.  I  S.  132);  das  rhythmische  Element  wird  nicht  erwähnt, 
der  Tanz  an  sich  nicht  gewürdigt. 

Ssouck  Huroronje  macht  in  seinem  berühmten  Werke  über  die  Atjeher  und  die  Gajo's 
dieselben  Fehler  (z.  B.  Bd.  II  S.  254). 

Auch  Sarasin  spricht  von  einem  Kriegstanz  auf  Celebes,  ohne  Rhythmus  oder  Be- 
gleitung zu  erwähnen.  Auch  LCdekino  (Dajaks),  Fehr  (Nias)  und  noch  viele  andere  achten 
nicht  darauf. 

Sehr  wertvolles  Material,  auf  manchem  Gebiet  der  Kunst  überhaupt,  hat  Nieuwenhuis 

in  seinem  Werke  „Quer  durch  Borneo"  gegeben.  Die  verschiedensten  Tänze  sind  ausführlich 

beschrieben  worden,  sie  könnten  zwar  in  einer  Spezialarbeit  eingehender  behandelt  werden, 

sind  aber  glücklicherweise  nicht  eine  Aufzählung  und  Beschreibung  zahloser  Attribute,  wie 

I.  A.  f.  E.  Bd.  XXFfF.  25 


—  188  - 

'  bei  manchen  Ethnographen,  die  die  primitiven  Völker  nur  als  Handhaber  von  Ethnographica 
betrachten. 

4.  Die  vierte  Gruppe  endlich  behandelt  den  Tanz  auch  als  aesthetische  Erscheinung, 
hat  mehr  oder  weniger  Achtung  für  die  Schönheit  des  Gesamten,  versucht  einzudringen  in 
eine  Kynst,  deren  Daseinsberechtigung  erst  in  allerletzten  Zeiten  anerkannt  wird. 

Ein  aesthetisches  Urteil  über  den  Tanz,  meistens  in  ungünstigem  Sinne,  haben  viele 
Missionäre  ausgesprochen.  Die  gewaltige  Macht  erkennend,  die  die  populärste  der  primitiven 
Künste  über  das  soziale  und  religiöse  Leben  ausübte,  haben  sie  in  dem  Tanz  einen  ihrer 
mächtigsten  Feinde  erblickt,  und  dementsprechend  mit  wenig  Wohlwollen  ihn  betrachtet. 

Dazu  kommt,  dass  die  Prüderie  vieler  Missionäre  an  verschiedenen  Tänzen  Austoss 
nahm  und  sie  deshalb  als  unsittlich  verurteilte. 

K.  Martin  sagt  von  einem  Tanz  auf  Boeroe:  „von  Unsittlichkeit  ist  keine  Rede,  auch 
nicht  wenn  Mädchen  mittanzen.  Ich  erwähne  dies,  weil  die  Missionäre  den  Menari  irrtüm- 
licherweise für  ein  sittenverderbliches  Element  halten  und  ihm  mit  Macht  entgegenarbeiten  ; 
was  aber  sehr  bedauerlich  ist,  denn  den  Alfuren  wird  damit  das  Beste  genommen,  was 
sie  besitzen:  Unschuldiger  Tanz  und  froher  Gesang,  welche  beide  ihnen  vorläufig  noch 
nicht  durch  ein  unbegriffenes  Chistentum  ersetzt  werden  kann".  (M.  12  S.  323). 

PoENSEN  vergleicht  europäische  Kunst  (und  zwar  der  60iger  Jahre)  mit  javanischer: 
„der  Europäer  tanzt,  walzt;  es  ist  fast  ein  Schweben,  je  zierlicher  und  geschwinder,  je 
schöner.  Der  Javaner  findet  das  eckelhaft.  Er  sieht  lieber  eine  Frau  so  steif  wie  möglich 
trippeln,  drehen;  Arme  und  Beine,  Hals,  den  ganzen  Körper  ringen,  bis  jedes  Glied  einen 
Knick  hat.  Der  Westerling  singt  mit  rhythmischem  Gefühle,  der  Javaner  schreit  und  heult 
ohne  Ende,  ohne  Takt".  Von  den  Schattenbildern  sagt  er:  „Eckelhafte,  phantastische 
Scheusale,  bucklig  und  unnatürlich".  Wie  anders  urteilen  Borel  und  Groxemax  über  den 
Tanz,  LoEBi)K  über  die  Wajang-Figuren.  Letzterer  sagt:  „Wenn  man  die  Figuren  täglich 
sieht,  fängt  man  an  sie  zu  bewundern.  Mit  grösster  Meisterschaft  sind  die  Figuren  stilisiert, 
ornamental  verwendet.   Sie  wollen  überhaupt  kein  Abklatsch  der  Natur  sein "      ' 

Der  Missionär  Hangelbrock  beschreibt  mit  grosser  Liebe  und  Bewunderung  einen 
Kriegstanz  auf  Soemba:  „Es  ist  ein  schönes  männliches  Spiel,  leidenschaftlich  aber  nicht 
ungeordnet,  das  eine  lang  dauernde  üebung  gekostet  haben  mag,  bevor  es  in  dieser  Har- 
monie ausgeführt  werden  kann". 

Der  Marine-Offizier  Wolterbeek-MCller  ist  auch  ein  guter  Beobachter.  Seine  kurze 
Beschreibung  der  Manpurengke-Feste  in  Nord-Celebes.ist  voll  interessanter  Details. 

Ein  anderer  Marine-Offizier,  Vax  der  Sande,  der  sich  selber  nur  „Amateur"  nennt, 
und  —  da  er  nicht  die  Sprache  beherrschte,  und  immer  nur  kurz  an  einem  Orte  war  —, 
hauptsächlich  die  materielle  Kultur  erforschen  konnte,  hat  jedoch  vorzügliche  Beobachtungen 
auf  unserem  Gebiete  gemacht.  Er  achtet  auf  die  verschiedenen  Schritte,  auf  die  Richtung 
der  Bewegungen,  die  Art  des  Tanzes,  alles  Dinge,  die  die  alten  Ethnographica-Jäger  gar 
nicht  berücksichtigten. 

Vergleichen  wir  jetzt  noch  die  Urteile  zweier  Autoren  über  den  Batak-Tanz.  Der  Mis- 
sionär Meerwaldt  hat  eine  ziemUch  gute  Arbeit  geschrieben  über  Musik  und  Tanz  bei 
den  Bataks.  Der  Musik  wird  viele  Aufmerksamkeit  geschenkt,  wenn  er  auch  nicht  viel  zu 
schätzen  weiss.  Für  Melodie  und  Harmonie  hat  der  Batak  kein  Gefühl.  Sein  Genuss  ist: 
„Viele  Menschen,  viele  Bewegungen  zu  sehen,  viele  durchdringende  Laute  zu  hören". 

Von  dem   Tanz   sagt  Meerwaldt  nur:    „Bei   dieser  Musik  wird  immer  getanzt,  auch 


-  189  — 

(lies  geschieht  nach   Batak'scher  Art  ;  doch  hierüber  genug ".    Viel  ist  es  nicht  in 

einein  Aufsatz  über  Muzik  und  Tanz.  Von  denselben  Batak  sagt  De  Haan:  „Das  Tanzen 
soll  unter  den  Batak  eine  Leidenschaft  sein.  In  Ekstase,  nur  beherrscht  durch  die  Musik, 
ist  es  ein  Ausdrücken  mit  Körperbewegungen,  was  die  Töne  singen.  Das  Haupt  nach  vorn 
gebogen,  der  Blick  zur  Erde  gerichtet,  die  Arme  ausgestreckt  —  so  fängt  es  an.  Die 
Melodie  dringt  durch    und   die  Arme  schweben,  die  Hände  drehen,  die  Finger  zittern,  der 

Rumpf  waadet  sich,  wahrend  der  Körper  sich  mit  den  Tönen  hebt  und  senkt ". 

Xeben  den  vorzüglichen  Arbeiten  Haddoxs  über  die  Tänze  der  Torres-Strasse,  gibt  es  noch 
••ine  kleine  anspruchslose,  aber  musterhafte  Darstellung  der  Tänze  in  Rawas  (Sumatra)  von 
Winter,  der  eine  warme  Liebe  zur  einheimischen  Kunst  mit  einer  gewissenhaften  Beob- 
achtungsweise verbindet.  Das  Tanzen  eines  Madchens  beschreibt  er  also:  „Alle  ihre  Glieder 
bewegen  sich  beim  Tanz,  die  nackten  Fusse,  die  wie  Finger  beweglichen  Zehen,  das  Haupt, 
die  Schultern,  die  Hüfte,  Handgelenke  und  Finger,  Ober-  und  Unterkörper  alles  macht 
einzelne  Bewegungen,  die  alle  zusammenschmelzen  zu  einem  schönen,  harmonischen  Ganzen, 
«las  an  erster  Stelle  huldigt:  Einfachheit  in  der  Kunst".  Eine  Spezialarbeit  von  Joest: 
«Malaiische  Lieder  und  Tänze"  ist  zu  wenig  zuverlässig  und  zu  unbedeutend,  um  mehr 
als  Erwähnung  zu  verdienen. 

Wir  erwähnten  bereits  das  vernichtende  Urteil  über  Javanische  Kunst  von  Poensen, 
einem  der  besten  Kenner  javanischer  Sitten.  Die  meisten  anderen  Autoren,  die  über  java- 
nische Tänze  und  Spiele  schrieben  (Raffles,  Mayer,  Bonaparte,  Hazeu,  Metzger,  van  Eck), 
geben  kein  Urteil  über  die  Schönheit  der  beschriebenen  Tanze.  Nur  die  Künstler  unter 
ihnen,  Schriftsteller  wie  Henri  Borel,  Maler  wie  Huoo  Pedersen,  Nieuwenkamp,  Fräulein 
VA!f  Kerckhoff,  haben  ihre  Btnvundemng  geäussert  und  dabei  versucht,  in  das  Wesen 
einer  uns  ganz  fremden  Kunst  einzudringen.  Vom  begleitenden  Orchester,  dem  Gamelang, 
sagt  Fräulein  van  Kerckhoff:  „Für  ein  europäisch  geschultes  Ohr  hat  die  javanische  Musik 
mit  ihrer  überreichen  Figuration,  fremden  Intervallen  und  Harmonien  etwas  sehr  Unzusam- 
menhängendes und  Verwirrendes.  Bei  wiederholtem  Zuhören  und  mehr  Verständnis  fängt 
man  aber  an,  die  eigentümliche  Schönheit  zu  ahnen".  Von  einem  Tanz  in  Djogja  sagt  sie: 
„der  mimische  Tanz  gibt  in  Stollungen  und  Bewegungen  der  Körperteile  Episoden  wieder 
aus  dem  Leben  im  unterseeischen  Palast  der  Südseekönigin  und  ihrer  Nymphen.  Jede 
Bewegung  ist  vollkommen  einstudiert,  und  voller  Bedeutung  für  denjenigen,  der  die  kom- 
plizierte Sprache  des  javanischen  Hoftanzes  versteht.  Man  empfindet  es  wie  einen  Zauber, 
wenn  man  diesen  anmutigen  Fürstenkindem  zuschaut  in  ihren  vollkommen  ihythmischen 
Bewegungen".  Hcch)  von  Pedersen  weist  auf  die  enormen  Uebungen  der  fürstlichen 
Tänzerinnen,  auf  die  Zeit  und  Kosten,  die  sie  ihrer  Kleidung  widmen  (einen  ganzen  Tag 
dauert  das  Kleiden)  und  zieht  auch  eine  Parallele  zur  europäischen  Tanzkunst:  „Wenn, 
während  des  Tanzes  eine  Tänzerin  eine  Haarnadel,  eine  Blume  oder  sonstige  Schmucksache 
fallen  lässt,  sind  einige  alte  Tänzerinnen  da,  die  das  Gefallene  wieder  befestigen,  während 
sie  behutsam  den  Bewegungen  der  Tänzerin  folgen  —  ohne  die  Fortsetzung  des  Tanzes 
za  stören.  Man  denke  sich  in  unserer  Oper  eine  alte  Frau,  den  Schritten  der  Ballerina  fol- 
gend   ".  Ein  sehr  ehrliches  Geständnis  über  unser  Unvermögen,  in  eine  andere  Kunst 

einzudringen,  gibt  Frau  Prof.  Weber.  Sie  sagt  von  einem  Mädchentanz  auf  Saleyer:  „Sie 
führten  einen  jener  feierlichen  einheimischen  Tänze  auf,  welche  uns  Europäer  langweilen, 
die  Eingeborenen  jedoch  entzücken.  Meiner  Meinung  nach  spricht  es  für  die  letzteren,  dass 
die  feierlichen,  ruhigen  Bewegungen  ihnen  so  gut  gefallen". 


—  190  — 

Der  beste  Kenner  javanischer  Tänze  und  Spiele,  zugleich  einer  ihrer  grössten  Bewtrn- 
derer,  ist  der  Jogjosche  Hofarzt  Dr.  Geoneman. 

In  einer  Reihe  vorzüglicher,  teilweise  umfangreicher  Arbeiten  (J.  4,  5,  6,  7  u.  8)  hat  er 
sie  behandelt  und  dabei  immer  auf  die  hohe  Bedeutung  dieser  javanischen  Kunst  gewiesen. 

In  einer  Beschreibung  der   „javanischen  Bühnentänze"   sagt  er: „diese  Verzweiflung 

wurde  so  natürlich,  so  angreifend  wiedergegeben,  dass  ich  kaum  mehr  sah,  dass  alle  diese 
Bewegungen  immer  noch  rhythmische  Tanzbewegungen  waren,  und  ich  den  Eindruck  bekam, 
als  sähe  ich  das  Spiel  einer  unserer  besten  europäischen  Schauspielerinnen.  Freilich,  auch 
solches  Spiel  ist  Kunst  und  übertrifft  weitaus  alles,  was  ich  je  von  europäischen  Panto- 
mimen und  Balletten  genoss". 

"Wenn  auch  Dr.  Groneman  nie  die  höchsten  modernen  Tanzleistungen  sah,  nie  Strauss' 
Tanzdrama  „Joseph"  beiwohnte,  so  geben  doch  seine  begeisterten  Worte  eine  Ahnung  von 
der  Höhe  bis  zu  welcher  die  javanischen  Tanzdramen  steigen. 

Ist  also  bei  den  meisten  Reisenden  ungenügende  ethnologische  Kenntnis,  bei  den 
meisten  Ethnographen  geringes  Interesse  an  aesthetischen  Problemen  Ureache  der  mangel- 
haften Beschreibungen  vieler  Tänze,  ein  anderer  wichtiger  Faktor  der  Fehlerzahl  liegt  in 
der  Erscheinung  selber. 

"WuNDT  (Völkerpsychologie  Bd.  IH  S.  321)  hat  schon  darauf  hingewiesen,  wie  äusserst 
schwer,  ja  unmöglich  es  ist,  in  die  Entwicklung  einer  Kunst  einzudringen,  die  uns  keine 
Reste  ihrer  ersten  Aeusserungen  hinterliess.  Er  sagt:  „So  bleibt  vor  allem  eine  für  die 
Entwickelung  der  musischen  Künste  besonders  wichtige  Form,  der  Tanz  und  mit  ihm  die 
mimische  Darstellung  nur  höchst  unvollkommen  erhalten,  da  eine  Beschreibung  in  Worten 
und  selbst  eine  bildnerische  Wiedergabe  die  momentanen  Bewegungen  nicht  festzuhalten 
vermag,  überdies  aber  an  solche  Schilderungen  meist  erst  in  einer  Zeit  gedacht  wird,  in 
der  die  ursprünglichen  Formen  zum  Teil  erloschen  sind".  Den  letzten  Nachteil  hat  das 
Studium  der  Entwickelung  des  Tanzes,  und  der  musischen  Künste  überhaupt,  mit  dem' 
vieler  anderer  Erscheinungen  gemeinsam.  Gerade  bei  den  primitivsten  Völkern  sind  die 
heutigen  Ausdrucksformen  ihrer  Gedanken  und  Gefühle,  ihrer  künstlerischen,  religiösen 
oder  sozialen  Auffassungen,  meistens  zugleich  die  ersten,  die  überhaupt  noch  zu  spüren 
sind,  weil  irgendwelche  Objektivierungen  früherer  Geistestätigkeiten  nicht  nachzuweisen  sind. 
Hier  ist  die  Ethnographie  der  musischen  Künste  in  keinem  grossen  Nachteil  gegenüber  den 
übrigen  ethnographischen  Zweigen.  Wie  dort,  kann  man  auch  hier  die  grösstmöghche  Zahl 
primitiver  Stämme  untersuchen  und  aus  deren  Vergleich  eine  Entwicklungsreihe  der 
Erscheinungen  zusammenstellen,  die  aber  immer  eine  Hypothese  bleibt,  und  mit  jeder 
neugefundenen  Form  ihren  Wert  verlieren  kann. 

Und  was  die  bildnerische  Wiedergabe  der  Tanzbewegungen  anbelangt,  hier  vermag  eine 
kinematographische  Aufnahme  jedes.  Moment  der  Bewegung  festzuhalten.  Das  mühsame 
und  kostspiehge  Mitschleppen  eines  Aufnahmeapparates  wird  zu  oft  durch  andere  als 
wissenschaftliche  Motive  bedingt.  Wer  nicht  an  laut  applaudierte  Vorträge  denkt,  an  mon- 
däne Miheux,  in  denen  er  seine  Entbehrungen  und  Gefahren  zurückzuzaubem  hofft,  der  kann 
das  Durchqueren  eines  Flusses,  das  Bauen  einer  Wohnung,  die  Herstellung  von  Geweben, 
Töpfen  und  Waffen,  ebensogut  mit  Worten  wiedergeben.  Nur  die  schnell  aufeinanderfol- 
genden Bewegungen  eines  Tanzes,  in  ihrer  Mannigfaltigkeit,  die  das  Ausdrucksvermögen 
der  Sprache  weit  hinter  sich  lässt,  brauchen  notwendig,  besonders  für  nachherige  Analyse, 


—  191  — 

die  Zuhilfenahme  eines  Apparates.  Aber  damit  sind  noch  lange  nicht  alle  Schwierigkeiten 
aus  dem  Weg  geräumt.  Viele  Tänze  während  der  Nacht  oder  in  einem  dunklen  Raum 
ausgeführt,  können  gar  nicht  aufgenommen  werden  und  bleiben  eine  Beschreibung  —  mit 
ihren  vielen  Fehlem  —  erfordern.  Femer  werden  viele  Tänze  vor  Fremden  geheim  gehalten 
(Ceremonielle  und  Frauentänze),  weil  das  Volk  gerade  in  dem  Tanz  eine  seiner  intimsten 
und  intensivsten  Aeussemngen  weiss.  Im  zweiten  Kapitel  werden  wir  sehen,  wie  dieser 
Umstand  von  Einfluss  ist  auf  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  es  mehr  Männer-  oder  Frauen- 
tänze gibt? 

Ausserdem  ändem  viele  Tänze  ihren  Charakter,  wenn  sie  für  Fremde  ausgeführt 
werden.  Shamanentänze  als  Schautanze  (zum  Vergnügen  der  Reisenden),  Kriegstänze  als 
Begrûssungstânze  ausgeführt,  müssen  etwas  von  ihrem  ursprünglichen  Charakter  eingebüsst 
haben,  und  deshalb  mit  einem  gewissen  Vorbehalt  behandelt  werden. 

Die  grösste  Schwierigkeit  in  der  Erforschung  primitiver  Tänze  liegt  aber  in  dem  Um- 
stand, dass  sie  fast  immer  mit  Musik  so  eng  verbunden  sind,  dass  ihr  Studium  ohne  das- 
jenige der  sie  begleitenden  Musik  nicht  möglich  ist.  Und  welchen  Forderungen  der  Ethno- 
graphen hier  entsprochen  werden  soll,  hat  Prof.  Land  in  einer  Kritik  von  Hagen's  Arbeit: 
„Cbor  die  Musik  einiger  Naturvölker"  dargestellt. 

„Man  mQsste  die  Zeit  und  die  Fähigkeit  haben  um  sich  in  die  fremde  Musikübung 
ganz   einzuleben,    und   sie   ohne  Rücksicht  auf  das  anderswo  Erlerate,  als  selbständiges 

Gebilde  zu  begreifen" „Ein  vollständig  ausgerüsteter  Musikforscher  ausserhalb  unserer 

Kulturländer  sollte  eigentlich  nicht  bloss  musikalisch,  sondem  auch  mathematisch-physika- 
lisch, und  dazu  in  der  Technik  der  Musikinstrumente  hinreichend  erfahren  sein,  und  allerlei 
Apparate  zur  sofortigen  Ton-  und  Zeitmessung  zur  Verfügung  haben". 

Wenn  er  dann  auch  noch,  um  das  oft  mit  dem  Tanze  verbundene  Lied  zu  verstehen, 
die  Sprachen  der  Eingeborenen  beherrschen  muss,  und  linguistisch-literarische  Kenntnisse 
haben  soll,  weiter  zum  Verständnis  der  sozialen  und  regiliösen  Bedeutung  des  Tanzes 
eine  breite  ethnologische  Vorbildung  besitzen,  dazu  gewissermassen  Künstler  sein  muss, 
weil  die  aesthetischen  Probleme  eigentlich  nur  von  einem  künstlerisch  Begabten  ganz 
erfasst  werden  können,  so  wird  man  zugeben,  dass  der  ideale  Forscher  auf  diesem  Gebiete 
wohl  kaum  zu  finden  ist. 

Doch  darf  das  Wissen  um  diese  Tatsache  uns  nicht  entmutigen,  sondern  muss  viel- 
mehr eine  Anregung  sein,  mit  Genauigkeit,  mit  Emst  und  mit  Liebe  nach  vielen  Seiten 
das  Problem  zu  durchforschen.  Viele  unbegründete  Verallgemeinerungen,  viele  dumme 
Bemerkungen,  auch  von  Fachleuten,  wären  nicht  gemacht  worden,  wenn  das  Bewusstsein 
von  diesen  unendlichen  Schwierigkeiten  besser  durchgedrungen  wäre. 

Neben  schlechter  Beobachtung  findet  man  in  der  Literatur  eine  mangelhafte  Termino- 
logie vor,  die  nicht  unterscheiden  lässt,  ob  es  sich  um  Spiele,  um  Tänze,  oder  um  militä- 
rische Uebungen  handelt. 

Der  entscheidende  Moment  des  Tanzes  —  die  Anwesenheit  des  Rhythmus  — ,  wird 
nicht  überall  erwähnt,  so  dass,  wenn  der  Autor  bald  von  einem  Tanz,  bald  von  einem 
Spiel  spricht,  nicht  herauszufinden  ist,  was  er  meint  Viele  der  besten  Ethnographen 
haben  diesen  Fehler  gemacht. 

Wenn  man  „Tanzen"  nennt:  „das  rhythmische  Bewegen  mehrerer  Körperteile  verbun- 
den mit  einem  gesteigerten  Gefühl",  so  umfasst  man  auch  die  „sitzenden"  Tänze,  und 
schliesst  Handlungen,  wie  das  Dirigieren  eines  Orchesters,  das  gedankenlose  ne i-vöse- Klopfen 


—  192  — 

mit  Händen  oder  Füssen  aus.  Und  dann  sind  die  meisten  Kriegsspiele,  viele  andere  Spiele 
und  fast  alle  Gesangsreigen,  wirkliche  Tänze,  ebensogut  wie  das  javanische  Drama,  dessen 
rhythmisches  Element  ausdrücklich  betont  wird. 

Besonders  für  eine  Art  Tänze,  die  Gefechtstänze,  sind  viele  Namen  gebräuchlich.  Der 
am  häufigsten  angewendete  ist  noch  der  schlechteste,  nämlich  „Kriegstanz",  da  dieser  Tanz 
meistens  mit  Krieg  nichts  zu  tun  hat,  und  vielleicht  —  wie  wir  in  einem  anderen  Kapitel 
ersehen  werden  —  auch  ursprünglich  nicht  mit  Kriegführung  in  Beziehung  gestanden 
hat.  Der  Name  „Scheingefecht",  drückt  lebhaftere  Tätigkeit  aus  als  "Waffentanz,  erwähnt 
aber  nicht  das  rhythmische  Element. 

Am  besten  wäre  noch  das  Wort  Gefechtstanz,  das  man  bisweilen  antrifft. 

In  den  ethnologischen  Arbeiten  über  den  Tanz  findet  man  Versuche  die  Tanze  zu 
klassifizieren. 

1.  Von  Hellwald  (Globus  1891)  teilt  sie  ein  in: 
Erotische  Tänze. 

Jagd-  (oder  Tier-)  Tänze. 
Kriegs  tanze. 

Religiöse  (Kultus-)  Tänze. 
Wie  man  sieht,  eine  Einteilung  nach  verschiedenen  Prinzipien. 

2.  Ernst  Grosse  (Anfange  der  Kunst)  scheidet  die  Tänze  der  Jägervölker  in  zwei 
Gruppen,  die  mimischen  und  gymnastischen  Tänze. 

„Die  mimischen  Tänze  bestehen  in  rhythmischen  Nachahmungen  von  tierischen  und 
menschlichen  Bewegungen,  während  die  Bewegungen  bei  den  gymnastischen  Tänzen  keinen 
natürlichen  Vorbildern  folgen".  Zu  den  mimischen  Tänzen  rechnet  er  dann  die  Liebes-  und 
Kriegstänze. 

3.  Lilly  Grove  (Dancing  1895)  gibt  in  einem  Abschnitt:  „The  dance  of  savages"  fol- 
gende Tänze: 

1.  Liebestänze  (Courtship). 

2.  Jagdtänze. 

3.  Kriegstänze. 

4.  Zaubertänze. 

5.  Totentänze  (z.  B.  ein  Auferstehungstanz). 

6.  Genesungstänze. 

7.  Sonnentänze. 

8.  Schwerttänze. 

Hier  fehlt  wirklich  jede  Systematik. 

4.  Lee  J.  Vane  (The  evolution  of  Dancing  1892)  unterscheidet  bei  den  ^FoJk  dances": 

Social  dances. 
War-dances. 
Religious  dances. 
Diese  Einteilung  findet  man  auch  bei: 

5.  Haddon  (The  secular  and  ceremonial  Dances  of  Torres-Straits  1893). 

1.  Festive  dances. 

2.  War-dances. 

3.  Ceremonial-dances. 


—  193  — 

6.  Otto  Stoll  („Das  Geschlechtsleben  in  der  Völkerpsychologie"  1908)  unterscheidet 
nach  der  Zahl  der  ausübenden  Personen: 

Einzeltänze  und  Gruppentänze. 

Einzelner  Paare,  eingeschlechtlicher  Gruppen  oder  zweigeslechtlicher  Gruppen. 

Nach  den  inneren  Motiven  unterscheidet  er: 

(  Mit  Vergnügen  verknüpft 
profane  Tänze       „    Erotik  „ 

(     „    Krieg 
Mtjülische  Tänze,  auf  allen  Gebieten  des  Lebens,  die  mit  Glauben  zusammenhängen. 

7.  W..  WcNDT  (Völkerpsychologie  Bd.  Ill)  sieht  von  einer  psychologischen  Einteilung 
der  Tänze  ab,  weil  erstens  bei  den  primitiven  Menschen  alle  möglichen  Motive  zum  Tanze 
führen,  und  zweitens  die  bestehenden  Tänze  in  Charakter  und  Ausführung,  auch  durch 
europaische  Einflüsse  oft  ganz  verändert  sind.  Er  unterscheidet  nur  die  Hauptrichtungen. 
Nach  ihrer  äusseren  Erscheinungsweise  sind  alle  Tänze  entweder  Einzeltänze  oder  Gesell- 
schafUtänze  ;  mit  Rücksicht  auf  ihren  psychologischen  Charakter  lassen  sie  sich  scheiden 
in  „Ekstatische  und  mimische  Tänze".  Der  Einzeltanz  soll,  nach  Wündt,  hauptsächlich  als 
ekstatischer  Tanz  vorkommen,  während  der  letztere  bei  der  höchsten  Steigerung  der  Ekstase 
regelmàs.sig  zum  Einzeltanz  wird  und  der  mimische  Tanz  in  der  Regel  ein  gemeinsamer 
bleibt.  „Innerhalb  keiner  dieser  Klassen  sind  jedoch  scharfe  Grenzlinien  zu  ziehen". 

Auch  dieses  Schema,  obwohl  es  nicht  den  Anspruch  hat,  eine  Klassifikation  zu  sein, 
ist  ungenau  und  ungenügend.  Die  im  höchsten  Grade  ekstatischen  Tänze  in  N.-Sumatra, 
in  Bali  (hypnotischer  Mädchentanz),  in  Süd-Celebes  (ein  wilder  Shamanentanz  von  drei 
Personen)  sind  keinesfalls  Einzeltänze. 

Weiter  ist  die  Zahl  der  Tanzenden  nur  ein  Moment  der  äusseren  Erscheinungsweise, 
un<l  zeigt  die  Verteilung  nach  dem  psychologischen  Charakter  in  mimische  und  ekstatische 
Tänze  auch  nur  eine  Seite,  und  nicht  einmal  die  wichtigste  dieses  Charakters. 
Die  äussere  Ersi-heinungsweise  betrachtend,  muss  man  achten  auf: 
I.  Zahl  der  Tanzenden. 
II,  Geschlecht  der  Tanzenden. 
IIL  Art  des  Tanzes. 
IV.  Zeit  des  Tanzes. 
V.  Begleitung. 

VI,  Schmuck  und  Tanzattribute. 
VII.  Tanzbewegungen. 

Für  die  Musik-aesthetische  Betrachtung,  die  in  dieser  Arbeit  unterbleiben  muss, 
kommen  noch  eine  Reihe  Faktoren  dazu,  unter  anderen: 

1.  Tempo  und  Takt  (Gleich  oder  sich  ändenid!). 

2.  Auftreten  von  Synkopen  und  deren  Wirkung. 

3.  Analyse  der  Begleitung. 

4.  Analyse  der  Tanzbewegungen  (gehend,  drehend). 

5.  Das  Verhältnis  von  Begleitung  und  Tanzbewegungen  u.  s.  w, 

1,  Nach  der  Zahl  der  Ausführenden  muss  man  nicht  nur  unterscheiden: 
EinzeltAnze  und  Gesellschaftstänze,  sondern  eine  dritte  Gruppe  annehmen,  wie  man  beim 
Singen  spricht  von  Solo,  Duett,   Trio,  Quartett  und  Chor.  Gerade  dieses  Auftreten  von 
einigen  Personen,  die  noch  keine  Gesellschaft  bilden,  kommt  in  dem  indischen  Archipel 


—  194  - 

viel  vor  (Bali,  Celebes,  Borneo,  Java  u.  s.  w.).  Besser- wäre  darum  folgende  Einteilung: 

a.  Solo-Tänze. 

h.  Gruppen-Tänze. 

c.  Chor-Tänze. 
Die  Grenze  zwischen  h.  und  c.  ist  jedenfalls  nicht  scharf  zu  ziehen,  hängt  auch  wieder 
ab  von  der  Zahl  der  überhaupt  Anwesenden.  Wenn  von  hunderten  von  Leuten  10  Männer 
tanzen,  könnte  man  dies  einen  Gruppentanz  nennen,  während  dieselben  10  Tanzenden, 
allein  in  einem  Tempel,  einen  Chortanz  aufführen. 
IL  Im  zweiten  Kapitel,  wo  der  Anteil  der  Geschlechter  am  Tanze  behandelt  wird,  werden 
wir  die  Tänze  hiernach  verteilen  in: 

a.  Monosexual-Tänze  (Eingeschlechts-Tänze). 

b.  Bisexual-Tänze  (Zweigeschlechts-Tänze). 

III.  u.  IV.  Ort  und  Zeit  sind  keine  wichtigen  Momente  für  eine  Einteilung,  obwohl  Angaben 
hierüber  von  höchstem  Wert  sein  können  für  ethnologische  Schlüsse. 

Ob  die  Tänze  im  Tempel  (Klub-Haus  u.  s.  w.)  oder  auf  dem  Platz  davor,  am  Sti-ande 
oder  zu   Hause,  auf  Booten  oder  im  Walde  ausgeführt  werden,  während  der  Nacht 
oder  des  Tages,  beim   Sonnenuntergang  oder  bei  Vollmond,  ist  dem  Ethnologen  nicht 
gleichgültig,  wie  wir  im  dritten  Abschnitt  sehen  werden. 
V.  Nach  der  Art  der  Begleitung  lassen  sich  folgende  Tänze  unterscheiden: 

1.  Tänze  ohne  irgendwelche  Begleitung. 

2.  Tänze,  bei  denen  die  Begleitung  nur  den  Takt  angibt: 

a.  Durch  Laute  mit  Körperteilen  hervorgebracht  (Händeklatschen,  Fuasstampfen 
u.  s.  .w.). 

b.  Durch   Schallobjekte  (zugleich   Schmuck)  am  Körper  der  Tanzenden  (Ringe, 
Tanzrasseln). 

c.  Durch  Objekte,  in  den  Händen  der  Tanzenden  (Schwert  und  Schild,  Fâcher, 
Speere,  Stocke,  Tambourins,  Trommeln,  Angkloengs  (Xylophone). 

d.  Durch  geschrieene  oder  gesungene  Laute  ohne  Sinn  und  Melodie. 

e.  Durch  diese  sub  c  und  d  genannten  Laute,  aber  jetzt  von  anderen  als  den 
Tanzenden  hervorgebracht. 

3.  Tänze,  wobei  neben  dem  Takt  eine  Melodie  auftritt: 

«.  Durch  gesungene  Laute  (Tanzlied). 

b.  Durch  verschieden  gestimmte  Stöcke,  Bambus  (Angkloeng),  Trommehi. 

c.  Durch  andere  Schlaginstrumente. 

d.  Durch  Blasinstrumente. 

e.  Durch  Saiteninstrumente. 

4.  Tänze  mit  vollständigem  Orchester  (Melodie,  bisweilen  Harmonie).  Mehrere  Arten 
von  Instrumenten,  oft  mit  Singstimmen,  begleiten  hier  den  Tanz. 

Die  Begleitung  (instrumental  oder  vokal)  kann  ausgeführt  werden: 

a.  Von  den  Tanzenden  selber. 

b.  Von  anderen. 

c.  Von  beiden. 

Obwohl  die  Literatur  über  Indonesien  auf  diesem  Gebiete  eine  Menge  Tatsachen 
aufweist,  ist  eine  gründliche  Behandlung  dieses  Kapitels  erst  möglich  nach  vielen  neuen 
—  und  teilweise  persönlichen  —  Untersuchungen. 


^  195  — 

VI.  Schmuck  und  Tanzattribute. 

Die  Behandlung  der  Schmuckgegenstände  liegt  grösstenteils  auf  dem  Gebiete  der 
Ethnologie  der  dekorativen  Künste,  und  gehört  nur  zu  unserem  Thema,  insoweit  sie 
über  das  Wesen  des  Tanzes  Aufklärung  gibt.  Es  sind  also  mehr  psychologische  als 
aesthetische  Fragen,  die  hierbei  in  Betracht  kommen. 

Nicht  die  angewendeten  Formen  und  Farben  und  ihre  Entlehnung  interessieren 
uns  hier,  sondern  die  psychologischen  Folgen  ihrer  Anwendung. 

Hier  muss  untersucht  werden,  welche  Wirkung  schwingende  und  flatternde  Gegen- 
stande (Federn,  Tücher,  Perlenschnüre,  Musikinstrumente)  auf  Tänzer  und  Zuschauer 
ausüben,  in  welcher  Beziehung  sie  stehen  zum  Taktgefühl,  zur  Hypnose. 

Weiter  muss  man  untersuchen,  wie  glänzende  und  lärmverursachende  Schmuck- 
objekte auf  Tanzende  und  PubUkum  einwirken,  und  die  Beziehungen  von  Schmuck. 
-und  Begleitung,  Schmuck  und  Hypnose,  Schmuck  und  Körperbewegungen  verfolgen. 

Die  Tanzattribute,  die  gewissermason  zum  Schmuck  gehören,  fordern  eine  genaue 
Untersuchung,  weil  sie  mit  vielen  ethnologischen  Problemen  verknüpft  sind,  und  dies 
gilt  nicht  nur  von  den  Masken,  sondern  auch  von  den  anderen  Objekten  in  den 
Händen,  auf  dem  Kopf,  im  Munde  getragen  oder  am  Körper  hängend.  Besonders  hier 
ist  eine  grosse  Menge  „survivals"  zu  finden,  wie  in  einem  anderen  Abschnitt  gezeigt 
werden  wird. 

Versucht  man  die  Tanze  nach  dem  Schmuck  und  den  Attributen  einzuteilen, 
oder  wenigstens  zu  benennen,  so  sieht  man,  dass  die  Schwierigkeiten  grösser  sind 
als  der  praktische  Zweck,  und  kann  man  nach  Belieben  neue  Namen  anwenden.  In 
der  Literatur  Indonesiens  begegnen  uns  u.  A.  :  Fächertänze,  Maskentänze,  Schwerttänze, 
Schalltânze,  Tellertänze,  Trommeltanze,  Leuchtertänze,  Taschentüchertänze,  Speertänze, 
Puppen  tanze. 
VII.  Nach  dem  Prinzip  der  gemachten  Bewegungen  sind  bis  jetzt  die  wenigsten  Tänze  be- 
nannt und  eingeteilt  worden.  Nur  wo,  wie  bei  Schautänzen  ohne  Tanzattribute  —  die 
Aufmerksamkeit  mehr  wie  sonst  auf  die  Bewegungen  fiel,  haben  diese  als  wichtiger 
Faktor  bei  der  Benennung  mitgewirkt.  Die  Namen  von  zwei  der  am  meisten  genannten 
Tänze,  des  Matuiri  (im  Osten  des  Archipels)  und  des  Tatidak  (auf  Java),  sind  eigent- 
lich nur  Ausdrücke  für  bestimmte  Bewegungskomplexe. 

Andere  Tänze,  deren  Namen  Bewegungsformen  entlehnt  sind,  und  denen  man  in 
der  Literatur  begegnet,  sind:  Rundgang,  Reigentanz,  Rundtanz,  sitzender  Tanz.  Wer 
die  Tänze  studieren  will,  muss  besonders  auf  diesem  Gebiet  neue  Beobachtungen 
machen,  weil  diese  bis  jetzt  noch  fast  ganz  fehlen.  Nicht  nur  kunstpsychologisch  auch 
ethnologi.sch  ist  die  Forschung  der  Bewegungen  von  grossem  Interesse. 

Einige  Beispiele: 

Sachse  sagt,  dass  auf  Ceram  die  Tanzenden  sich  bisweilen  sternförmig  gruppieren. 
Vielleicht  wäre  hier  ein  Zusammenhang  möglich  mit  dem  Kakihan-Geheimbund,  dessen 
Geheimzeichen  ein  Stern  ist.  Prof.  Weiirli  sah  bei  den  Cachin  die  Tanzenden  sich  in 
einer  Figur  bewegen,  die  oft  unter  den  Dekorationsmotiven  der  Häuser  vorkommt. 
Auch  hier  muss  eine  Korrelation  bestehen  zwischen  beiden  Erscheinungen.  Die  auf 
Neu-Guinea  erwähnten  Tänze  in  einer  schlangenfôrmigen  Linie  könnten  mit  einer 
alten  Mythe,  vielleicht  mit  Totemismus  in  Zusammenhang  stehen. 

Nur  wenn  man  die  Bewegungen,  die  Körperhaltungen  genau  untersucht,  kann 
I.  A.  f.  E.  Bd.  XXIII.  26 


—    196    -r- 

man    oft   Tiertänze    unterscheiden,   deren  Erscheinung  von  ethnologischer  Bedeutung  ist. 

Williamson  gibt  eine-  sorgfältige  Analyse  der  Bewegungen  zweier  Tänze  bei  den  Maifulu 
und  den  Mekeo-Stämmen  in  Süd-Neu-Guinea.  Die  letzten  bewegen  sich  langsam,  heben  die 
Fusse  sehr  wenig  vom  Boden,  bewegen  den  Kopf  langsam  auf  und  nieder,  halten  den 
Oberkörper  quer  zur  Richtung  der  Fortbewegung,  gehen  nur  den  Seiten  des  Tanzplatzes 
entlang,  und  tragen  den  schönsten  Federnschmuck  auf  dem  Kopfe.  Jene  machen  schnelle 
Bewegungen,  springen  oft  auf,  drehen  den  Kopf  nach  allen  Richtungen,  durchqueren  bis- 
weilen den  Tanzplatz,  schauen  in  der  Richtung  der  Fortbewegung,  und  tragen  den  Federn- 
schmuck  auf  dem  Rücken. 

Der  Missionar  Clausen  hat  hierin  die  Bewegungen  der  Taube  und  des  roten  Paradies- 
vogels wieder  erkannt. 

„The  dancing  movements  of  the  goura  pigeons  are  a  gentle  low  shufle,  and  are 
accompanied  by  a  slow  bowing  and  nodding  of  the  head.  The  progressive  movement  is 
exceedingly  slow  and  is  always  a  continuous  one  in  the  same  direction,  and  is  usually  a 
sideway  movement".  Weiter  hörte  Williamson,  dass  ein  .anderer  Mekeo-Stamm  (dessen 
Tänze  er  aber  nicht  sah)  die  Taube  zum  Totemtier  hat,  so  da.ss  der  Gedanke  nahe  liegt, 
dass  der  gesehene  Tanz  ein  Totemtanz  ist. 

Der  Wichtigkeit  der  Sache  wegen  erwähne  ich  an  dieser  Stelle  dieses  Beispiel,  das 
sonst  ins  Kapitel  „Tanz  und  Rehgion"  gehört.  Besser  als  irgend  anders  sieht  man  hier, 
wie  wichtig  es  ist,  auf  die  kleinsten  Details  der  Ausführung  zu  achten.  Einige  Male  wird 
in  den  Beschreibungen  der  Tänze  erwähnt,  dass  die  Tänzerin  die  Hand  oder  ein  Tuch  vor 
den  Mund  hält.  Auch  diese  kleine  Besonderheit  hat  ihre  Bedeutung,  wie  wir  nachher  sehen 
werden. 

Bei  einer  Beschreibung  der  Tanzbewegungen  muss  man  achten  auf: 

1.  Die  einzelnen  Bewegungen  und  ihr  Aufeinanderfolgen. 

2.  Die  Bewegungen  der  ganzen  Tanzfigur  (Richtung,  Zusammenkommen,  Auseinander- 
gehen). 

3.  Das  Tempo  und  den  Takt  der  Bewegungen. 

4.  Den  Anteil  der  verschiedenen  Körperteile  an  der  Bewegung. 

5.  Den  Zusammenhang  der  gehenden,  der  hüpfenden  und  der  drehenden  Bewegungen 
mit  dem  seelischen  Zustande  der  Tanzenden. 

Hat  eine  Einteilung  nach  der  äusseren  Erscheinung  mit  grossen  Beschwerden  zu  kämpfen; 
noch  schwieriger  ist  eine  Einteilung  der  Tänze  nach  ihrem  psychologischeti  Charakter.  Wenn 
man  auch  den  Beschwerden,  die  Wundt  nennt,  zustimmen  muss,  so  kann  man  doch  eine 
bessere  Einteilung  geben,  als  die  seinige  in  ekstatische  und  mimische  Tänze. 

Erstens  sind  die  beiden  Arten  in  keinerlei  Weise  vergleichbar  und  können  deshalb  nie 
eine  einigerraassen  geschlossene  Einteilung  geben.  Es  gibt  im  Malaiischen  Archipel  verschie- 
dene Tänze,  die  weder  mimisch  noch  ekstatisch  sind  (z.  B.  viele  Gefechtstänze,  die  oft  ein 
wirkliches  Gefecht  gegen  Geister  sind  ;  weiter  verschiedene  Freudentänze,  Gesangsreigen). 

Zweitens  sind  verschiedene,  teilweise  sogar  wichtige  psychologische  Momente  gar  nicht 
berücksichtigt  worden.  So  tritt  in  dieser  Einteilung  das  erotische  und  das  religiöse  Element 
nicht  zum  Vorschein,  die  doch  mehr  kennzeichnend  für  einen  Tanz  sind  als  die  Ekstase 
oder  die  Imitation. 

Endlich  gibt  es  verschiedene  Tänze  die  ekstatisch  und   mimisch  sind.  Nieuwenkamp 


—  197  — 

erwähnt  auf  Bali  einen  Tanz  eines  Balians,  der  in  Ekstase  verschiedene  Personen  tanzend 
darstellt.  Auch  Mädchentänze  auf  Bali  sind  mimisch-ekstatisch. 

Verschiedene  Gefechtstänze  sind  zugleich  mimisch  und  ekstatisch,  wenn  sie  nicht  mehr 
wiritliche  Gefechte  gegen  die  Geister  sind,  sondern  gymnastische  Spiele  mit  imitierten 
Waffen,  Vorstellungen  eines  Gefechts,  die  aber  die  Mitspielenden  bis  zur  Ekstase  aufzu- 
regen vermögen. 

CapL  FoRBisT  (Voyage  aux  Moluques  1780)  beschreibt  einen  Gefechtstanz  auf  Mindano 
folgender  Weise: 

„Représentez- vous   un   champion  armé   de   pied   en  cap Il  parait  tout  de  suite 

découvrir  un  adversaire,  s'avance  vers  lui,  recule,  saute  d'un  côté,  puis  d'un  autre,  quel- 
quefois il  jette  par  terre  sa  lance  et  tire  son  sabre.  Lorsqu'il  se  trouve  assez  fatigué,  et 
qu'il  tombe  dans  une  espèce  de  frénésie,  les  spectateurs  applaudissent.  Les  amis  ce  préci- 
pitent vers  lui  et  semblent  avoir  beaucoup  de  peine  à  l'engager  de  finir  le  combat"  (p.  269). 

Hier  hat  man  es  ohne  Zweifel  mit  einem  mimisch-ekstatischen  Tanze  zu  tun. 

Einen  derartigen  Tanz  beschreibt  auch  H.  Keppel  (B.  10  L  199). 

Die  Hindu's  auf  Bali  führen  bei  einem  Kremationsfest  Gefechtstänze  aus,  die  auf  dieser 
Stufe  der  religiösen  Entwicklung  jedenfalls  mimisch  sind.  Aus  einer  Mitteilung  von  Yan 
DER  Jaot  (Kl.  S.  6  8.  33),  der  von  „unnatürlicher  Erregung"  spricht,  geht  hervor,  dass 
diese  Tänze  zugleich  ekstatisch  sind.  Diese  wenigen  Beispiele  Hessen  sich  nach  Belieben 
vermehren,  haben  aber  jedenfalls  gezeigt,  dass  Wcndt's  Einteilung  ungenau  ist. 

Eine  bessere  zu  geben,  die  alle  Kategorien  in  einem  Schema  umfasst,  ist  —  vorläufig 
wenigstens  —  nicht  möglich.  Die  verschiedenen  Motive  gehen  zu  sehr  ineinander  über, 
sind  auch  oft  zu  wenig  deutlich  merkbar.  Es  ist  sogar  nicht  einmal  möglich,  immer  fest- 
zustellen, ob  ein  Tanz  miraisch  ist  oder  nicht. 

Viele  Tiertänze  sind  —  nach  der  Auffassung  des  Ausführenden  wenigstens  —  nicht 
mimisch,  da  diese  keine  Tiere  vorstellen,  sondern  es  wirklich  sind.  Der  Geist  der  Ahnen  ist 
in  sie  gefahren  und  lässt  sie  jetzt  in  seiner  Gestalt  tanzen,  lieber  die  Schwierigkeit,  zu 
entscheiden,  ob  Gefechtstänze  mimisch  sind  oder  nicht,  sprachen  wir  bereits. 

Auch  in  Bezug  auf  das  erotische  Element  sind  nicht  immer  die  richtigen  Motive  in 
der  AusfQhrung  von  Tänzen  zu  entdecken.  Viele  Tänze  sind  erotisch,  sogar  obscön  genannt 
worden,  die  einfach  Ereignisse  aus  dem  Alltagsleben  mimisch  darstellten,  und  hinter  vielen 
Tänzen  hat  man  das  sexuale  Element,  das  wirklich  vorlag,  nicht  vermutet. 

Sogar  die  p]inteilung  in  profane  und  religiöse  Tänze  (die  letzten  im  weitesten  Sinne) 
ist  nicht  immer  zutreffend.  UnendUch  viele  Tänze  im  malaiischen  Archipel  bilden  Ueber- 
gangsformen,  andere  sind  das  eine  Mal  profan,  das  andere  Mal  religiös.  Eine  Einteilung 
endlich  nach  den  vielen  anderen  Motiven,  nach  Ereignissen  im  sozialen,  im  wirtschaftlichen 
Leben,  wäre  kaum  durchzuführen,  weil  nach  allen  möglichen  Motiven,  bei  jeder  Gelegenheit 
getanzt  wird  (Siehe  Kap.  III).  Nach  dem  Prinzip  der  äusseren  Erscheinung  und  dem  der 
inneren  Motive  kann  man  nach  Analogie  der  literarischen  Produkte  unterscheiden: 

a.  lyrische  Tänze. 

b.  epische  Tänze. 

c.  dramatische  Tänze. 

rt.  Lyrische  Tänze,  (wie  die  beiden  anderen  Arten  wieder  einzuteilen  in:  Solo-,  Gruppen- 
und  Chortanze)  sind  Tänze,  die  die  direkte  Aeusserung  sind  eines  Gefühls  oder  Affektes, 
«ei  es  Freude,  Trauer,  Furcht,  Ehrfurcht,  Liebe  oder  Zorn. 


—  198  — 

Sic  können  profan  oder  religiös,  erotisch  oder  nicht,  bisweilen  sogar  mimisch  sein, 
sind  aber  immer  gekennzeichnet  durch  das  auf  den  Vordergrund-treten  eines  Gefühls, 
das  für  andere  Tanzmotive  keinen  Raum  lässt.  Da  alle  Tänze  mit  einem  gehobenen 
Gefühlsleben  verbunden  sind,  ist  es  jedenfalls  schwierig,  immer  die  lyrischen  Tänze  von 
den  anderen  zu  unterscheiden. 
h.  Epische  Tänze  haben  den  Zweck,  irgend  ein  Erlebnis,  ein  Ereignis  darzustellen.  Das 
Begleiten  der  Seelen  nach  dem  Seelenland  (Borneo,  Sumatra),  ihre  Rückkehr,  die  Vor- 
stellung einer  gelungenen  Kopfjagd,  sind  alle  epische  Tänze,  von  einer  Person  oder  von 
mehreren  ausgeführt. 
c.  Dramatisch  werden  diese  Tänze,  wenn  jeder  der  Ausführenden  seine  eigene  Rolle  hat, 
wenigstens  nicht  alle  denselben  Akt  wiedergeben. 

Viele  Gesangsreigen,   viele  zeremonielle  Tänze  sind   episch;  die  sog.  Pantomimen 

sind  meistens  dramatische   Tänze.    Diese  erreichen    —  und  hiermit  alle  Tänze  —  ihren 

Höhepunkt   in    dem  javanischen    Tanzdrama,    dessen    Entwickelung   in    einem  anderen 

Abschnitt  angedeutet  werden  soll. 

Wir   haben   jetzt   die    Fehler  in  der  ethnographischen  Literatur  angedeutet,  auf  die 

ungenügende  Terminologie  hingewiesen,  und  endhch  im  Anschluss  daran  die  verschiedenen 

Einteilungen  in  den  Arbeiten  über  den  Tanz  besprochen,  wobei  wir  Gelegenheit  fanden,  auf 

einige  Punkte  hinzuweisen,  die  der  Forscher  auf  seiner  Reise  betrachten  muss,  soll  seine 

Arbeit  einigermassen  Früchte  tragen.  Beim  Durchlesen  der  Literatur,  die  —  wenn  auch 

nicht   das   Gesamte,    so   doch  einen   grossen   Teil  dessen   umfasst,   was  über  indonesische 

Tänze  geschrieben  worden  ist,  —  ist  uns  immer  mehr  klar  geworden,  wie  notwendig  auf 

diesem   Gebiete  der  Ethnologie   neue  Untersuchungen  sind.  Unsere  ursprüngliche  Absicht, 

eine  einigermassen  vollständige  Monographie  über   den  Tanz  im  malaiischen  Ai'chipel  zu 

geben,    haben   wir   deshalb    aufschieben   müssen,  bis  auf  eine  Zeit,  wo  eigene  und  andere 

Untersuchungen  an  Ort  und  Stelle  mehr  Licht  gebracht  haben  werden. 

Wenn  wir  die  ethnographische  Literatur  von  unserem  Standpunkt  aus  betrachtet  und 
kritisiert  haben,  ist  dies  geschehen  im  vollen  Bewusstsein,  dass  hier  die  Reisenden  keine 
Schuld  trifft.  Sie  haben  den  Archipel  durchquert,  Gefahr  und  Einsamkeit  getrotzt,  mit 
anderen,  meistens  höheren  Absichten,  als  eine  ethnologisch-aesthetische  Arbeit  zu  Uefem. 
Dass  sie  dabei  wenig  Wertvolles  auf  unserm  Gebiet  brachten  ist  desto  mehr  begreiflich, 
wenn  man  bedenkt,  dass  der  Tanz  der  Naturvölker  keine  Parallele  aulweist  im  Leben  unserer 
europäischen  Gesellschaft. 

In  voller  Anerkennung  des  vielen  Guten,  das  mit  so  unendlichen  Schwierigkeiten 
durch  Reisende,  Missionare  und  Regierungsbeamte  zusammengebracht  worden  ist,  haben 
wir  nur  ihre  Berichte  einer  Kritik  unterworfen,  um  zu  zeigen,  wie  äusserst  schwierig  es 
ist,  erstens  :  auf  gewissen  Gebieten  der  Ethnologie  Beobachtungen  zu  machen  und  zweitens  : 
um  aus  diesem  unvollständigen  Material  allgemeine  Folgerungen  abzuleiten.  Der  Haupt- 
zweck des  folgenden  Kapitels  ist  denn  auch  kein  anderer,  als  dies  zu  beweisen  und  zu 
betonen,  wie  oberflächlich  viele  Ethnologen  ihre  Hypothesen  aufbauten. 

Der  Anteil  der  Geschlechter  am  Tanze. 

Wem  Lilly  Grove  in  ihrem  Buch  „Dancing"  klagt-,  dass  es  so  wenig  Arbeiten  über 
den  Tanz  gibt,    und   dann   sagt:    „those  who  know  do  not  write  and  those  who  write  do 


—  199  — 

not  know",  trifft  dieses  Urteil  —  wenigstens  im  zweiten  Satz  —  auch   für  die  wenigen 
ethnologischen  Arbeiten  zu,  die  bis  jetzt  Ober  den  Tanz  erschienen  sind. 

Kein  Naturwissenschafter  würde  daran  denken,  das  gesamte  Gebiet  der  Zoologie,  der 
Botanik,  der  Anthropologie  selbständig  zu  durchforschen,  und  dann  allgemeine  Theorien 
aufzustellen,  nach  den  wenigen  Experimenten,  die  er  auszuführen  im  Stande  war.  Bei 
der  Ethnologie  ging  das  leichter:  die  ethnographische  Literatur  der  ganzen  primitiven  Welt 
wurde  überblickt,  ein  paar  Beispiele  von  jedem  Volk  genügten,  um  allgemeine  Theorien 
aufzustellen.  Hypothesen  zu  bauen  von  oft  grosser  Tragweite. 

Prof.  Steinmetz  hat  zum  ersten  Male  (in  seiner  Arbeit  über  Endokannibalismus)  gezeigt, 
dass  der  Ethnologe  hier  sein  ethnographisches  Material  zu  behandeln  hat  wie  der  Natur- 
wissenschafter seine  Experimente,  dass  er  seine  Bohrungen  machen  soll  in  möglichst  grosser 
Zahl,  dass  er  keine  Hypothesen  vorausetzen  darf,  und  nur  auf  induktivem  Wege  seine 
Folgerungen  ziehen  muss.  Mit  ethnographischen  Tatsachen  kann  man  fast  jede  beliebige 
Theorie  belegen,  besonders  auf  einem  Gebiet,  wo  —  wie  auf  dem  der  primitiven  Kunst  — 
so  viele  falsche  Beobachtungen  gemacht  und  so  viele  gute  nicht  gemacht  worden  sind. 

Wenn  von  Hellwald  beweisen  will,  dass  alle  Tänze  ursprünglich  erotisch  waren,  kann 
er  leicht  Iwi  allen  Völkern  Beispiele  dafür  zusammen  suchen,  während  Lilly  Gkove,  die 
das  religiöse  Moment  als  Kern  des  Tanzes  betrachtet,  diese  Meinung  ebenso  gut  mit 
ethnographischen  Tatsachen  zu  verteidigen  weiss. 

Nirgends  aber  sind  die  Meinungen  so  verschieden,  die  Beweise  so  mangelhaft,  und 
nicht  desto  weniger  die  Folgerungen  so  weittragend,  wie  t)ei  der  Frage:  „Wie  beteiligen 
sich  die  beiden  Geschlechter  am  Tanz?" 

R,  Wallaschek  sagt: 

„Bemerkenswert  ist  der  Anteil  der  Greschlechter  an  der  Beteiligung  bei  Tanzunterhal- 
tungen. Nach  den  Erfahrungen  zu  schliessen,  die  man  dabei  in  Kulturländern  machen  kann, 
ist  es  durchaus  nichts  Auffallendes,  dass  auch  bei  den  Naturvölkern  die  Frauen  quantitativ 
und  qualitativ  ara  .stärksten  am  Tanze  beteiligt  sind,  was  um  so  mehr  hervorzuheben  ist, 
als  der  Tanz  der  Naturvölker  eine  weitaus  grössere  körperliche  Anstrengung  ist  als  bei  uns". 

„Es  gibt  auch  einige  wenige  Stämme,  bei  denen  nur  die  Männer  tanzen  oder  wenigstens 
Ijestimrate  Tänze  l)esitzen,  an  denen  nur  sie  teilnehmen  dürfen.  Charakteristisch  ist  es 
aber,  dass  man  manchmal  in  solchen  Fällen  den  Tanz  ohne  die  Frauen  sich  gar  nicht 
vorstellen  kann,  so  dass  deren  Rolle  von  einem  Manne  gespielt  werden  muss"  („Anfange 
der  Tonkunst").  Weil  die  ursprüngliche  Musik  hauptsächlich  Chortanzmusik  ist,  und  daran 
die  Frauen  am  meisten  beteiligt  sind,  hat  hiermit  Wallaschek  „bewiesen",  dass  die  Musik 
der  Urzeit  den  Frauen  mehr  verdankt  als  den  Männern,  und  so  die  Behauptung  Wagnebs 
widerlegt,  dass  die  Teilnahme  der  Frauen  an  der  Musik  ein  Resultat  der  Kultur  sei.  Wenn 
dann  J.  Do.vovan  in  einer  kleinen  Schrift  „Music  and  Action"  diese  Auffassung  bekämpft 
und  sagt:  „die  Frauen  haben  nicht  das  Bedürfnis  nach  Bewegungen  wie  die  Männer", 
stellt  Wallaschek  dem  entgegen  :  „Gerade  nach  dieser  körperlichen  Tätigkeit  hat  die  Frau 
ein  stärkeres  Bedürfnis,  weil  ihr,  die  weder  kämpft  noch  jagt,  ein  grösseres  „surplus  of 
vigour"  übrig  bleibt". 

Wallaschek's  falsche  Interpretation  der  Travestie-Tänze,  nur  um  seiner  Theorie  mehr 
Kraft  beizulegen,  wird  uns  nachher  beschäftigen.  Was  weiter  die  Streitfrage  Donovan- 
Wallaschek  anbelangt,  so  weiss  jeder,  der  sich  nur  oberflächlich  mit  Ethnographie  beschäf- 
tigte, dass  die  primitive  Frau,  wenn  sie  sich  auch  nicht  mit  Kampf  und  Jagd  befasste, 


—  200  — 

doch  wirklich  noch  genug  zu  tun  hat,  um  nicht  von  zu  grossem  „surplus  of  vigour"  gequält 
zu  werden.  Man  braucht  nur  auf  den  Bildern  die  armen  Geschöpfe  anzuschauen,  gebückt 
unter  schweren  Lasten,  arbeitend  im  Feld  und  Hause,  um  zu  verstehen,  dass  keine 
sprudelnde  Vitalität  sie  zu  tanzen  zwinge. 

Der  Gedanke  liegt  nahe,  dass  es  vielleicht  eine  Beziehung  gibt  zwischen  dem  Anteil, 
den  Frauen  am  Tanze  nehmen,  und  der  Stelle,  die  sie  in  der  wirtschaftlichen  Produktion 
einnehmen. 

Eine  objektive  Prüfung  möglichst  vieler  Beispiele  möge  das  für  ein  Gebiet  der  Erde 
untersuchen,  und  zugleich  auf  andere  Erscheinungen  mehr  Licht  werfen. 

Abweichend  von  Prof.  Steinmetz'  Methode  habe  ich  nicht  die  einzelnen  Stämme  als 
Einzelfälle  genommen,  sondern  die  in  der  Literatur  genannten  Tänze  selbst. 

Nicht  nur  die  Frage,  welches  der  beiden  Geschlechter  am  meisten  tanzt,  sondern 
auch  andere  Fragen  gibt  es  hier  zu  lösen. 

•L  Hirn  hat  schon  in  seinem  Werke  „Origins  of  art"  geklagt:  „In  the  descriptions  of 

dances  and  pantomimes the  most  important  point  is  omitted,  wether  the  performance 

in  question  was  executed  in  presence  of  the  other  sex  or  not". 

Wir  müssen  also  folgende  Fragen  beantworten: 
L  Tanzen  die  Männer  allein? 

2.  Tanzen  nur  die  Frauen? 

3.  Gibt  es  eigene  Männer-  und  eigene  Frauentänze? 

4.  Ist  bei  den  monosexualen  Tänzen  das  andere  Geschlecht  anwesend?  Was  macht  es 
und  wo  befindet  es  sich? 

5.  Wird  ein  Unterschied  gemacht  zwischen  Verheirateten  und  Unverheirateten? 

6.  Tragen  die  Geschlechter  verschiedenen  Schmuck? 

7.  Wird  die  Begleitung  vom  anderen  Geschlecht  ausgeführt? 

8.  Gibt  es  Travestie-Tänze  oder  Travestie-Rollen? 

9.  Was  kann  das  Motiv  dieser  Travestie-Rollen  seinP  '■ 
10.  Wie  ist  die  Stellung  der  Frau  bei  den  betreffenden  Stämmen? 

Betrachten  wir  jetzt  das  Material  aus  den  verschiedenen  Teilen  des  malaiischen  Archipels. 

Sumatra. 

Jacobs  (S.  9)  erwähnt  in  Atjeh:  einen  Kampftanz  (alangan)  von  Knaben  und  Männern 
mit  Stöcken  und  Bambu-Säbeln.  Weiter  einen  Tanz  der  mesadati  und  meptäet:  kleine 
Knaben,  die  schön  gekleidet  singend  tanzen.  Die  Frage,  inwieweit  diese  Knaben  als  Lus^ 
knaben  zu  betrachten  sind,  wird  in  einem  anderen  Abschnitt  behandelt. 

Snoeck  Hurgeonje  (S.  9)  erwähnt  die  ratebs,  religiöse  Uebungen  mit  Gesang: 

1.  den  rateb  Saman:  Tanz  nur  von  Männern. 

2.  den  rateb  sadati:  eine  Art  Parodie  von  Knaben  getanzt. 

3.  den  rateb  pulet  ohne  Knaben  —  ein  Wechselgesang  mit  rhythmischen  Bewegungen 
mit  Tüchern  und  Ringen  (pulet). 

4.  den   rapa'i  —  einen   Gesangtanz    von   Männern,  die  am   Ende  in  Aufregung  sich 
verwunden. 

5.  den  menari  —  Gesangtanz  einer  Frau,  oft  auch  durch  Knaben  —  die  dann  meistens 
Lustknaben  sind. 


201  — 

Bei  den  Gajo'8  finden  wir  (S.  25)  den  didong  „eine  Kombination  von  Musik,  Körper- 
bewegungen, Tanz  und  Gesang,  der  bei  Hochzeits-  und  Beschneidungsfesten  nie  fehlen  darf. 
Ein  bezahlter  Vorgänger  icnmt)  leitet  alles  und  führt  selber  Solo-Tänze  aus.  Nur  Männer 
tanzen  (betari).  Die  jungen  Mädchen  machen  in  einem  anderen  Teile  des  Haukes  ihre 
eigene  Musik  ohne  Gesang.  In  der  Dörötgegend  muss  nach  anderen  Hochzeitszeremonien 
der  Bräutigam  von  Mittemacht  bis  zum  Morgen  tanzen.  Weiter  kennt  man  in  den  Gajo- 
làndem  zwei  Tauzspiele  aus  Atjeh  :  das  Sadatispid  und  den  rateb  Saman,  beide  Karikaturen 
der  „rateb"  genannten  religiösen  Uebung. 

Batak. 

Warneck  (S.  22)  nennt  Opfer-  und  Trauerieste,  wobei  Männer  und  Frauen  tanzen. 
Beim  Opfer  an  die  Hauptlingsgeister  tanzen  erst  die  Frauen,  dann  die  Männer,  dann 
die  Häuptlinge.  BtMm  Büffelopfer  an  die  Dorfsgeister  tanzen  erst  die  datu,  dann  die 
Frauen,  dann  alle  Männer,  darauf  die  Verwandten  des  Festleiters.  Endlich  tanzen  die 
Häuptlinge. 

Beim  sigalegale  (Trauerfest)  macht  man  ein  hölzernes  Bild  mit  Kleidern  und  Schmuck 
des  Verstorbenen,  das  man  an  Fäden  tanzen  lässt,  ähnlich  wie  der  Verstorbene  zu  tanzen 
pflegte.  Seine  Frau,  seine  Brüder  und  Eltern  tanzen  gleichzeitig  mit  und  weinen  dabei. 

Nach  Raffles  (S.  26)  ist  die  einzige  religiöse  Zeremonie,  an  der  das  ganze  Dorf  teil- 
nimmt, diejenige,  welche  am  Abend  vor  Kriegsausbruch  stattfindet.  „Nach  Gongschlägen 
und  Tänzen"  ruft  der  datu  den  Zorn  der  Geister  über  die  Feinde  an.  Ob  nur  der  datu 
tanzt  oder  das  ganze  Volk,  wird  nicht  gemeldet. 

JcxoiiUHN  (S.  10)  erwähnt  den  Merkordja,  einen  theatralischen  Tanz  mit  Musik,  den 
sowohl  radja's  als  Gemeine  tanzen,  doch  stets  nur  einer  auf  einmal.  Nie  tanzen  Frauen; 
daher  fehlen  auch  öffentliche  Tänzerinnen. 

Meerwaldt  (D.  14  u.  15)  sagt,  dass  beim  hordja,  (Totenfest)  erst  der  Festgeber,  dann 
seine  Frau  einen  Tanz  aufführe.  Die  Töchter  oder  Abkömmlinge  in  der  weiblichen  Linie 
der  Verstorbenen  tragen  den  Schrein,  worin  die  Grebeine  gelegt  werden. 

Beim  mor;/(jndang  (Opferfest  nach  Krankheit,  bösen  Traumen  u.  s.  w.)  tanzen  erst  die 
Frauen,  nachher  die  Männer. 

Zusanmienfassend  könnte  man  sagen,  dass  bei  den  Bataks  die  Frauen  nie  auftreten 
in  Vergnügongstänzen,  aber  in  religiösen  Festtanzen  ebensogut  wie  die  Männer  tanzen, 
wobei  die  Hangfolge  violleicht  mit  dem  Matriarchat  in  Beziehung  steht;  in  wenigen  Fällen 
tanzen  sie  sogar  mit  Männern. 

Dies  stimmt  nicht  mit  von  Brenner's  Mitteilung  (S.  1):  „Die  meisten  festlichen  Schmau- 
sereien werden  mit  einem  Tanz  beschlossen.  Es  zeigt  sich  selbst  auf  diesem  Gebiete,  dass 
die  Bataks  in  der  Kultur  bereits  einen  weiten  Weg  zurückgelegt  haben,  indem  die  Männer- 
tänze allein,  wie  sie  ursprünglich  allen  Völkern  eigen  waren,  bei  ihnen  nicht  mehr  bestehen  ; 
denn  Männer  und  Frauen  nahmen  an  der  Unterhaltung  teil,  die  allerdings,  wenn  beide 
Geschlechter  zugleich  auftraten,  einen  erotischen  Charakter  annahm". 

Teilweise  stimmt  dieser  Bericht  mit  einer  nicht  ganz  deutlichen  Bemerkung  bei  Meer- 
waldt: Gibt  Einer  ein  Opferfest,  dann  gibt  es  grosses  Interesse.  Jeder  rennt  dahin;  man 
drangt  sich  gegen  einander:  Lieder  werden  gesungen,  zweideutige  Bewegungen  gemacht, 
überall  sieht  man  Springen  und  Tanzen. 

Jedenfalls   geht   v.   Brenner  zu  weit,  wenn  er  behauptet,  die  Bataks  kennten  keine 


—  202  — 

Männertänze  mehr.  Auch  die  Tatsache,  dass  er  nur  5  ganze  Wochen  auf  Sumatra  war, 
weckt  kein  allzu  grosses  Vertrauen. 

Den  Mediimitanz,  den  auch  Andere  erwähnen,  sah  von  Brenner  ausgeführt  von  einer 
Frau  mittleren  Alters.  „Die  Tänzerin,  von  Musik,  Tanz  und  Wein  berauscht,  befand  sich 
in  Verzückungen  und  hatte  Visionen,  die  sie  Zukunft  und  Vergangenheit  schauen  Hessen. 
Das  Fest  hatte  nämlich  den  Zweck,  die  Krieger  zu  versammeln,  die  am  nächsten  Morgen 
zu  Felde  ziehen  mussten.  Da  war  dann  das  weise  iifwo-Weib,  das  kluge  Medium,  am 
Platze,  um  Tröstliches  über  die  Zukunft  und  Günstiges  über  den  Ausgang  der  Schlacht 
zu  sagen". 

Weiter  sagt  von  Brenner:  „In  Negori  sah  ich  einmal  Frauen  allem  einen  Tanz  vor 
dem  Hause  des  Häuptlings  aufführen,  den  sie  selbst  mit  Gesang  begleiteten.  Dieser  war,  im 
Gegensatz  zum  vorerwähnten,  ruhig  und  schien  nur  Zufriedenheit  und  heitere  Laune  zum 
Ausdrucke  bringen  zu  wollen". 

Zentral   Sumatra. 

Van  Hasselt  (S.  8)  vergleicht  die  Tänze  im  südlichen  Padanger  Oberland  und  in 
Djarabi  und  Rawas.  Hier  tanzen  die  jungen  Burschen  und  Mädchen  schöne  Tänze,  dort 
führen  die  Männer  allein  ungraziöse  Kampftänze  auf.  Im  Koto  VII  Distrikt  (Padang) 
führen  bei  Hochzeiten  die  Männer  zu  Hause  einen  Tanz  auf,  wobei  einige  Männer  als 
Frauen  verkleidet  sind. 

Die  Menangkabauschen  Maleier  haben  drei  Waffentänze,  den  mamantjaq,  den  bagaßieng 
und  den  basile.  Auch  in  den  nicht  weit  von  einander  entfernten  Distrikten  Rawas  und 
Lebong  besteht  ein  grosser  Unterschied  in  den  Tänzen.  In  Rawas  tanzen  Burschen  und 
Mädchen  nie  zusammen,  wohl  aber  in  Lebong;  auch  die  Tänze  selbst  sind  verschieden. 

Die  Mädchen-  und  Frauentänze  sind  sehr  schön.  Van  Hasselt  nennt  einige  der  be- 
liebtesten Frauentänze  in  Rawas  (res.  Palembang).  Von  den  Männern  sagt  er,  dass  sie  in 
beiden  Gegenden  steif  tanzen  und  dabei  Lieder  singen. 

Winter  (S.  23)  behandelt  eingehend  die  Tänze  in  Raicas  (res.  Palembang),  die  fast  alle 
von  jungen  Mädchen,  aber  keinen  Bemfstänzerinnen  ausgeführt  werden: 

1.  tari  ketjimbung:   dramatischer  Tanz,   ausgeführt  von  der  radja  gadis  (=  Königin 
der  Tänzerinnen,  gewählt  aus  den  schönsten  vornehmen  Mädchen). 

2.  tari  gundjing:  mimischer  Tanz,  von  einem  Mädchen  getanzt. 

3.  tari  kain:  ein  Schleiertanz  von  4  Mädchen. 

4.  tari  Upas:  Fächertanz  von  einem  Mädchen. 

5.  tari  palita  :  Leuchtertanz  von  einem  Mädchen. 

6.  tari  bedil:  Imitation  eines  Waffentanzes  von  einem  Mädchen. 

7.  mamantjaq:  halb  tanzen,  halb  fechten,  von  Männern  ausgeführt. 

8.  tari  sekin:  Messertanz  von  einem  Mädchen. 

9.  tari  sabung:  Imitation  eines  Hahnenkampfes:  drei  Mädchen. 
10.  tari  piring:  Tellertanz  von  einem  Mädchen. 

Winter  lobt  sehr  die  Schönheit  aller  Tänze,  und  sagt,  dass  sie,  wie  alle  malaiischen 
Tänze,  immer  keusch  und  anständig  seien. 

Von  den  Kubus  sagt  Hagen  (S.  1)  :  Es  gibt  einen  Tanz.  Er  ist  shamanistisch-animistischer 
Natur  und  wird  nur  zum  Zwecke  der  Genesung  von  Kranken  aufgeführt  und  zwar  durch 
die  Malitns  (Shamanen). 


< 


I 


—  203  — 

Van  Donoen  (S.  3)  beschreibt  ausführlich  diese  Zeremonie  (bermalim)  und  sagt,  dass 
Frauen  nie  malims  seien. 

Haoen  sah  einen  »Jo/im-Tanz,  der  zu  seiner  Ehre  aufgeführt  wurde,  und  bei  dem  die 
Männer  tanzend  folgten.  Die  Frauen  hockten  lachend  und  kichernd  in  einer  Ecke  beisammen. 

MozKowsKT  (S.  16)  beschreibt  einen  Schamanen-Tanz  bei  den  Sakai  (0.  Sumatra)  und 
sagt  dabei  :  Es  scheint,  dass  in  früheren  Zeiten  das  Amt  der  Geisterbeschwörung  besonders 
bei  Krankheiten  von  der  gesamten  Jünglingschaft  ausgeübt  wurde. 

Carthaus  (S.  2)  erwähnt  in  Trussan  (W.  Sumatra)  das  Säbelfechten  {memmitjak),  wobei 
in  einem  pantomimischen  Tanze  die  Lehrlinge  dem  Instruktor  huldigen.  Weiter  einen 
Schleiertanz,  von  Knaben  oder  Jünglingen  getanzt,  „in  dem  Kenner  indischer  Verhältnisse 
eine  tanzende  Liebeswerbung  am  Hochzeitstage  mit  vorgehaltenem  Schamtuch  wieder 
erkennen  wollen".  Maass  (S.  24)  sagt  von  den  Kwantan  und  Kampar  Ländern,  dass  die 
Tanze  nur  von  Männern  und  JüngUngen  aufgeführt  werden. 

Endlich  einen  Selbstpeiniger-Tam  ausgeführt  von  einem  Manne,  unter  Begleitung  der 
rabana's  (Tamlwurinen),  von  40  Männern  gespielt. 

Zwei  alte  Reisebeschreibungen  sprechen  von  Frauentänzen  an  den  Höfen  der  malaiischen 
Fürsten. 

VooBL  (S.  21)  sah  bei  einem  Festmal  in  Padang  vier  „Dirnen"  singen  und  tanzen  „und 
allerhand  Posituren  machen  unter  Begleitung  ihrer  Trabanten".  Er  schliesst  seine  Beschrei- 
bung mit  der  Bemerkung:  „solche  Dirnen  sind  der  Unzucht  heftig  ergeben, " 

A.  DB  Bbauueu  (Historische  Beschrijving  der  Reisen  in  Jacobs  S.  9)  beschreibt  einen 
Waffentanz  van  zwei  reich  gekleideten  Tänzerinnen  am  Hofe  des  Sultans  von  Atchin, 
anno  1620. 

Engano... 

Von  R08ENBBBO  (S.  10)  schreibt  von  Engano:  „Tänze  werden  stets  im  Freien  und  nur 
durch  Frauen  aoegefQhrt,  wobei  man  sich  an  der  Hand  fasst  und  nach  dem  Takte  einer 
sehr  primitiven  Flöte  im  Kreise  herumbewegt".  Weiter  spricht  er  von  Gesängen,  „worin 
immer  das  eine  o«ler  das  andere  Ereignis  gefeiert  wird,  gleichzeitig  ausgeführt  von  Männern 
und  Frauen  in  zwei  Reihen,  bald  langsamer,  bald  schneller  sich  hin  und  her  bewegend". 
Dieser  letztere  Umstand  und  die  Tatsache,  dass  man  sich  bei  den  Schultern  fasst,  weisen 
auf  einen  Tanzreigen,  auch  wenn  das  rhythmische  Element  nicht  erwähnt  wird. 

Auch  von  den  Spiegelgefechten  „von  JüngUngen  mit  hölzernen  Lanzen  ausgeführt", 
wird  nicht  gemeldet,  ob  sie  mit  oder  ohne  Rhythmus  und  Begleitung  stattfinden. 

Nias. 

Von  Rosenberg  beschreibt  einen  Waffentanz  von  vielen  Männern,  in  Scheingefechten 
von  je  zwei  zu  zweien. 

„Der  Tanz  der  Frauen  wird  höchstens  durch  vier  Frauen  ausgefüht,  welche  dann  in 
einer  von  der  gewöhnlichen  Tracht  abweichenden,  sehr  reichen  Kleidung  erscheinen.  Er 
besteht  in  einem  langsamen  Hin-  und  Herschreiten,  wobei  abwechselnd  die  Ferse  gehoben, 
seitwärts  gedreht  und  zugleich  der  Takt  mit  Aufschlagen  der  Fusssohle  markiert  wird. 

Gleichzeitig  werden  der  Kopf,  der  Oberleib  und  die  Arme  auf  gar  nicht  ungraziöse, 
doch  oft  lascive  Weise  bewegt,  alles  unter  musikalischer  Begleitung  von  Becken". 

NiBcwBNHUis  und  Rosenberg  (S.  11)  neimen  noch  einen  Tanz  ausgeführt  von  100—400 
I.    \    I.  K.  Bd.  XXIII.  27 


—  204  — 

Männern,  Burschen  und  Kindern,  die  einander  bei  der  Hand  fassend  die  Bewegung  einer 
Schlange  darstellen.  Der  Tanz  geht  immer  schneller  und  endet  in  ein  prestissimo,  wonach 
die  Tänzer  atemlos  hinfallen. 

Fehr  (S.  4)  erwähnt  auch  Tänze  von  Frauen  und  Mädchen,  die  zwar  zusammentanzen, 
doch  so,  dass  jede  ihre  Kunst  allein  zeigt.  Der  Tanz  besteht  in  einem  sehr  künstlichen 
Drehen  und  Ringen  der  Hände  und  Fusse,  wobei  aber  der  bald  nach  dieser,  bald  nach 
jener  Seite  hingezogene  und  gebogene  Körper  sich  nicht  viel  von  der  Stelle  bewegt,  „Aut 
den  Festen  werden  von  Männern  und  von  Frauen  die  verschiedenartigsten  Tänze  aufgeführt, 
aber  ganz  unerhört  und  unerlaubt  wäre  es,  wenn  beide  Geschlechter  mit  einander  tanzen 
wollten". 

Borneo. 

Spenser  St.  John  (B.  9)  beschreibt  einen  Kriegstanz  von  zwei  Dajaks  in  W.  Serawak, 
auch  einen  Schwerttanz,  ausgeführt  durch  einen  Häuptling,  unter  Boiwohnung  von  jungen 
Mädchen. 

Als  James  Brooke  und  St.  John  ein  Dorf  der  Land-Dajaks  besuchten,  führten  der  alte 
Häuptling,  die  ältesten  Männer  und  die  Priesterinnen  ihnen  zu  Ehren  einen  heiligen  Tanz  auf. 

Die  Priesterinnen  treten  auch  in  ekstatischen  Tänzen  bei  Erntefesten  und  Initial- 
Zeremonien  der  Mädchen  auf. 

Auch  kommen  Tänze  vor  bei  den  Kopf-Festen  (head  feast):  vier  Tage  und  Nächte  wird 
musiziert  und  getanzt,  nur  von  unverheirateten  Männern. 

Van  Lynden  (B.  11)  sagt,  dass  bei  den  Dajaks  im  Kapoeas-Gebiet  Kriegstänze  begleitet 
werden  von  einem  „keledien",  (Dudelsack)  Frauentänze  von  der  „ketjapi"  (guitarre)!  Hier 
also  Männer-  und  Frauentänze  mit  verschiedenen  Instrumenten. 

Tromp  (B.  15)  beschreibt  ein  Dajak-Fest  bei  der  Heimkehr  des  KopQägers.  Hier  tanzten 
schön  gekleidete  Frauen  und  die  Wiederkehrenden  zusammen. 

Hugh  Low  (B.  12)  sagt:  „In  conversation  I  have  learned  from  the  chief  that  they  con- 
sider dancing  as  an  indecorous  and  unbecoming  amusement.  At  their  feasts  dancing  girls 
are  never  introduced".  Vielen  Wert  braucht  man  dieser  Aeusserung  nicht  beizulegen,  wenn 
man  sieht,  wie  H.  Low  den  Zweck  der  Junggesellenhäuser  sehr  naiv  erklärt:  „so  strict 
are  these  people  (Hill  Dajak  in  Serawak)  in  encourging  virtue  amongst  their  children,  that 
the  young  and  unmarried  men  are  not  permitted  to  sleep  in  the  house  of  the  parents,  but 
occupy  a  large  house". 

H.  Keppel  (B.  10)  beschreibt  einen  Tanz,  in  Serawak,  welchen  einige  alte  Häuptlinge 
zu  Ehren  eines  neu  gewählten  Häuptlings  ausführten.  Femer  einen  Festtanz,  wobei  Männer 
und  Frauen  zusammen  tanzten. 

Edw.  Gomes  (B.  5)  beschreibt  einen  Schwerttanz  von  zwei  Sea  Dajaks  und  einen  mimi- 
schen Tanz,  worin  ein  Mann  „acts  in  pantomime  what  is  done  on  the  warpath". 

Er  sagt:  „Generally  only  men  dance,  and  the  arrival  of  a  boat  bearing  the  ghastly 
trophy  of  a  human  head  is  the  only  occasion  when  the  women  dance". 

Nach  einer  nicht  sehr  deutlichen  Mitteilung  von  Hose  und  Mc.  Dougall  (B.  7)  nehmen 
an  den  Erntetänzen  der  Kajan  Männer  und  Frauen  teil.  Ein  Frauentanz  findet  u.  a.  statt 
zu  dem  Zweck,  einer  andern  Frau  die  Entbindung  zu  erleichtem.  Wenn  die  KopQäger 
heimkehren,  findet  ein  grosses  Fest  statt,  wobei  die  Frauen  mit  den  Köpfen  einen  Tanz 
ausführen.  „Waving  the  heads  to  and  fro,  and  chanting  in  imitation  of  the  men's  war  song". 


-  205  — 

Einige  Mädchen  lernen  einen  Solo  Tanz  auaführen,  der  aus  langsamen,  zierlichen  Be- 
wegungen der  Arme  und  Hände  besteht.  Die  älteren  Knaben  lernen  einen  Tanz,  in  welchem 
die  Heimkehr  vom  Kriegspfad  dramatisch  vorgestellt  wird.  In  keinem  dieser  Tänze  wird 
getanzt. 

Ein  fünfter  Tanz  (bei  den  grossen  Erntefesten)  ist  eine  dramatische  Vorstellung  durch 
drei  Personen  (!)  von  dem  Tode  eines  der  Ihrigen  und  von  seiner  Auferetehung  zum  Leben 
durch  das  Lebenswasser.  „This  dance  is  sometimes  given  with  so  much  dramatic  affect  as 
to  move  the  onlookers  to  tears". 

Der  Kriegstanz  wird  nur  von  zwei  oder  drei  Kriegern  ausgeführt. 

HosB  nennt  weiter  einen  Affentanz,  in  welchem  ein  Mann  einen  Macacus  imitiert. 
Auch  bei  den  Kenja's  kommt  ein  solcher  Tiertanz,  der  „hornbilldance"  vor,  dem  aber,  wie 
dem  Affentanz  der  Kayan,  keine  Bedeutimg  beigelegt  werden  darf:  „It  seems  to  be  done 
purely  in  a  spirit  of  fun". 

Endlich  erwähnt  Hose  noch  Zeremonien  mit  ekstatischem  Tanz  zur  Genesung  von 
Kranken:  eine  ausgeführt  von  männlichen,  eine  von  weiblichen  Schamanen. 

UujiANN  (B.  16),  das  Tiwahfest  der  Dajaks  beschreibend,  spricht  von  einem  wilden  Tanz 
der  Männer  um  die  zu  opfernden  Tiere  und  Sklaven,  und  von  einem  Frauenfest,  wo  die 
Männer  wenigstens  bei  Tag  nicht  anwesend  sind.  Beide  Feste  sind  wahre  Bacchanalien. 

Bkeitensteix  (B.  2)  in  seiner  Beschreibung  des  Tiwafestes,  erzählt  von  einem  Frauen- 
tanz, wo  drei  basir  (Priester)  und  zwei  maskierte  Clowns  (?)  mittanzen,  jedoch  in  konzen- 
trischem Kreise  um  den  Reigen  der  Frauen.  Die  „clowns"  imitieren  die  Basirs  und  führen 
Coitusbewegungen  aus. 

Chalvers  (in  Ling  Roth.  B.  14)  erwähnt  ein  Dajakfest  in  Simpok  (Serawak),  wo  zuerst 
der  Häuptling  (orang  kaya),  dann  Männer,  endUch  Frauen  und  Mädchen  zusammen  tanzen. 

NiEUWENHüis  (B.  17)  gibt  für  Zentral-Borneo  weitaus  das  beste  und  wertvollste  Material. 

Die  Kenja  verleihen  ihren  Namen  dem  Schicerttanz  (Kenja),  der  fast  stets  nur  von  einem 
Mann  ausgeführt  wird,  stets  nach  der  Melodie  der  kledie. 

Auch  die  Priester  tanzen  den  Kenja  —  unter  Begleitung  von  gongs,  zur  Vertreibung 
bOser  Geister. 

Ein  HauptvergnOgon  der  ei-wachsonen  Jugend  bildet  der  „ngarang",  ein  schlichter  Tanz 
von  Männern  und  Frauen,  der  nach  dem  Mass  verschiedener  von  den  Tanzenden  selbst  in 
Rezitationsform  gesungener  Lieder  ausgeführt  wird.  „Ein  Spiel,  das  von  Frauen  besonders 
in  ihrer  freien  Zeit  vorgenommen  wird,  besteht  darin,  das  eine  Frau  zwischen  zwei  Reis- 
stampfern tanzt  in  einem  Rhythmus,  der  immer  schneller  wird". 

Bei  den  Bahau  erwähnt  Nieüwenhcis  einen  ngarang  (Gesangtanz)  von  hundert  Männern, 
wobei  Männer  und  Frauen  zuschauten.  Priesterinnen,  durch  Laien  gefolgt,  führen  beim 
Neujahrsfest  einen  Rundtanz  (nangeian)  aus. 

Für  die  Kujan  ist  das  Neujahrsfest  (dangei)  eines  der  grössten  Ereignisse  des  Jahres. 
Dann  werden  die  jungen  Priesterinnen  in  die  Geheimnisse  der  Wissenschaft  eingeweiht, 
während  die  altere  Priesterin  tanzt  und  männliche  Priester  Kriegstänze  aufführen,  —  wahr- 
scheinlich, um  böse  Geister  abzuwehren.  Bei  der  Opferung  der  Schweine,  dem  Glanz- 
punkte des  Neujahrsfestes,  tanzen  sämtliche  Friesterinnen  um  das  Opfergerüst.  Wieder  führen 
zu  beiden  Seiten  mit  Schwertern  bewaffnete  Priester  Kriegstänze  auf. 

Nachher  tanzen  junge  Männer  und  Frauen  in  den  schönsten  Kleidern,  und  singen  den 
Refrain   eines  geistlichen  Liedes,  das  die  Priesterin  angefangen  hat.   Dieser  Tanz  ist  ein 


—  206  -^ 

Rundgang  mit  Gesang  um  das  Opfergerüst.  Beim  Saatfest  finden  Maskentânze  statt  von 
Männern  und  Frauen.  Hiebei  tragen  die  Männer  hölzerne  Gesichtsmasken,  die  Frauen 
Masken  aus  Tragkörben  mit  weissem  Kattun  bekleidet  (hudo  adjat).  Alle  stellen  sie  böse 

Geister  dar. 

Die  Männer  führen  schweigend  ruhige  Tanzschritte  aus,  ahmen  auch  Kriegstänze  nach, 
und  schliessen  mit  der  pantomimischen  Darstellung  einer  Wildschweinjagd. 

„Dem  Auftreten  der  jungen  Mädchen  mit  ihren  Korbmasken  ging  eine  obszöne  Vor- 
stellung eines  Mannes  voraus".  Weiter  sah  Nieuwenhuis:  Travestie-Tänze,  von  Modellen 
ausgeführt,  und  mimische  Tänze,  worin  eine  Gruppe  schmutzig  gekleideter  Mämwr  die 
benachbarten  Punans  spottend  nachahmte. 

Celebes. 

Von  den  Buginesen  in  Süd-Celebes  sagt  Matthes  (C.  7),  dass  sie  die  Tanzkunst  mehr 
pflegen  als  die  Musik. 

Er  nennt: 

den  madjaga  an  den  Höfen  der  Fürsten  durch  Prinzen  und  Prinzessinen  getanzt;  die 
Tänze  der  padjoge,  Tanzmädchen,  mit  welchen  man  für  Geld  tanzen  darf;  Kriegstänze  von 
Männern  aufgeführt  u.  a. 

den  lenggo  (ein  Mann); 
„    panja  (zwei  Männern); 

„     sereh  Molukii,  einen  molukschen  Kriegstanz  (zwölf  Männern); 
„     gambo-Tanz  —  einen  Kriegstanz  von  Madura; 
„     sereh  Bandang  —  einen  banda'schen  Tanz  von  zwei  Männern. 

Alle  diese  Tänze  —  sagt  Matthes  —  geben  keinen  hohen  Gedanken  von  der  Ge- 
schwindigkeit dieser  Naturkinder. 

In  seinen  sehr  ausführlichen  Beschreibungen  der  Zeremonien  bei  einer  fürstlichen 
Hochzeit,  einer  Beschneidung  und  einer  Geburt  werden  jedoch  keine  Tänze  erwähnt.  In 
seiner  Abhandlung  über  die  bissu  (C.  6)  beschreibt  Matthes  die  verschiedenen  Zeremonien, 
worin  männliche  und  weibliche  Schamanen  auftreten:  „Die  bissu  spielen  gewöhnlich  keine 
andere  Rolle  als  auf  Festen  zu  tanzen  und  zu  singen,  und  als  Arzt  aufzutreten.  Hier  wird 
der  Schamane  also  zum  Beruftänzer.  Die  männhchen  bissu's  sind  als  Frauen  gekleidet  und 
haben  auch  ganz  weibliche  Manieren.  Harhebomée  (C.  )  beschreibt  ein  Fest  zur  Beschwörung 
der  Cholera  (Süd-Celebes).  Hier  führen  drei  Personen  einen  Tanz  auf,  der  immer  wilder 
wird  und  plötzlich  abbricht.  Einer  der  Tänzer  ist  ein  Mann,  die  anderen  zwei  sind  Frauen, 
die  aber  so  gekleidet  sind,  dass  sie  nicht  als  Frauen  su  erkennen  sind.  Sie  sind  bewaffnet 
mit  Dolchen,  tragen  wie  die  Männer  sonko's  und  tanzen  zum  Schluss  einen  Kriegstanz. 
Wahrscheinlich  handelt  es  sich  hier  auch  um  bissu's  und  vielleicht  sind  die  nicht  zu 
erkennenden  „Frauen"  doch  noch  Männer. 

Die  besten  Kenner  der  Toradja,  Kkuyt  und  Adriani  (C.  4),  erwähnen  die  folgenden 
Tänze  :  den  moraego,  einen  Reigen,  ausgeführt  von  Burschen  und  Mädchen,  wobei  Liebesheder 
gesungen  werden.  Das  Spiel,  das  keine  religiöse  Bedeutung  hat,  oder  gehabt  hat,  wird  nur 
getrieben,  um  die  unverheirateten  jungen  Leute  in  nähere  Bekanntschaft  zu  bringen.  Es 
ist  denn  auch  an  keine  bestimmte  Zeit  gebunden. 

Den  motaro  :  einen  Kriegstanz  von  Priesterinnen  und  anderen  Frauen.  Da  bei  den  Toradja 


-    207  — 

eigentlich  alle  Frauen  Priesterinnen  sein  müssen,  und  dies  in  der  Praxis  nicht  zutrifft, 
hat  man  eine  Zeremonie,  die  die  Frauen  zu  Priesterin  macht.  Hierbei  wird  der  motaro 
ausgeführt,  der  nur  eine  elegante,  feinere  Form  des  Kriegstanzes  darstellt  und  dazu  dienen 
soll,  die  bösen  Geister  abzuwehren. 

Nach  einer  KopQagd  wird  ein  Kriegsgesang  gesungen  (ento),  in  welchem  der  ganze  Zug 
beschrieben  wird.  Erst  singen  die  Männer,  dann  abwechselnd  die  Frauen  auch.  Man  fasst 
sich  bei  den  Schultern  und  nachher  tanzt  jeder  einzeln.  Die  Beschreibung  ist  für  unseren 
Zweck  nicht  sehr  klar. 

Beim  montjojo-Fest  führen  die  Frauen  wieder  einen  Kriegstanz  auf,  der  einen  Angriff 
des  Feindes  darstellen  soll,  abgewiesen  durch  die  Frauen. 

Das  Priesteramt  wird  bei  den  Toradja  fast  nie  von  Männern  ausgeübt,  meistens  von 
Frauen  oder  von  als  Frauen  verkleideten  Männern  (bajasa). 

Beim  grossen  Totenfest  (tengke)  werden  die  Knochen  der  Verstorbenen  gesammelt. 
eingepackt,  mit  Masken  verziert  und,  von  Frauen  getragen,  zu  einem  Tanz  auf  den  Kata- 
falk gelegt  Priosterinnen  mit  Schwert  und  Schild  machen  sieben  Rundgänge  um  den 
Katafalk  (Kriegstanz?).  Die  Litaneien  werden  gesungen  von  Priesterinnen  und  Laien, 
wahrend  Männer  und  Frauen  einen  Reigentanz  ausführen  um  den  Katafalk.  Es  ist  einem 
Manne  gestattet,  das  Mädchen  aufzufordern,  mit  dem  er  den  Reigen  ausführen  möchte,  und 
strenge  Busse  föllt  auf  denjenigen,  der  zwischen  das  tanzende  Paar  hindurch  sich  bewegt. 
So  lange  sie  einander  festhalten  sind  sie  Mann  und  Weib. 

Von  Nord-Celebes  (die  Minahassa)  erwähnt  Schwarz  (C.  10)  den  maengket,  einen  Reigen 
mit  Oesang,  der  ausgeführt  wird  während  des  Erntefestes. 

Priesterinnen  und  andere  Frauen  tanzen  mit,  auch  Männer  in  einem  Halbkreis  hinter 
den  Frauen.  Schwarz  sieht  in  dieser  Zeremonie  den  Rest  eines  alten  Sonnenkultes. 

WiEBSMA  (C.  11)  wohnte  der  Bestattung  eines  christlichen  Häuptlings  bei  in  der  Mina- 
hassa, wolxn  8  bunt  gekleidete  Männer,  mit  hölzernen  Degen  bewaffnet,  beim  Takt  der 
Musik  allerlei  Sprünge  machten.  Hier  handelte  es  sich  ohne  Zweifel  um  einen  Kriegstanz 
zur  Abwehr  böst^r  Geistor. 

Riedel  (C.  8)  schreibt  von  den  Toumbuluh-Stämmen  in  der  Minahassa:  „bei  Begräbnissen 
werden  drei  bis  vier  walians  (Priester)  als  mawasals  (Führer  des  Toten  im  Schattenreich) 
eingeladen.  Diese  sind  in  Kriegskleidung,  mit  Schwert  und  Schild  bewaffnet.  Einige  Tage 
nach  der  Bestattung  führen  diese  mawasals  einen  Kriegstanz  auf  dem  Grundstück  des 
Verstorbenen  auf,  um  der  Seele,  falls  sie  sich  nicht  entfernt  hat,  Furcht  einzuflössen, 
damit  sie  nicht  zurückkomme".  Viel  später,  l>ei  einem  zweiten  Totenfest,  tanzen  Frauen 
und  Mädchen  um  ein  Opfergerüst  während  Zweige  von  Bäumen,  von  dem  Verstorbenen 
gepflanzt,  in  den  Boden  gesteckt  werden,  um  den  Toten  günstig  zu  stimmen. 

WoLTERBEEK — MÜLLER  (C.  12)  beschreibt  einen  Gesangsreigen,  bei  Familienereignissen 
ausgeführt,  bei  dem  alle  sich  rhythmisch  im  Kreis  bewegen,  in  speziollen  wiegenden 
Schritten.  Die  Sprache  der  gesungenen  Lieder  und  Details  in  der  Ausführung  weisen  auf 
die  alte  Herkunft  dieses  purengke. 

Frau  "Weber — vas  Bosse  (M.  18)  wohnte  auf  Saleier  dem  Feste  der  Salzemte  bei,  und 
sah  12  Mädchen,  Häuptlingstöchter,  einen  feierlichen  Tanz  aufführen. 

Van  Hoêvel,  ein  Beschwörungsfest  auf  Moeton  beschreibend,  sagt:  ,am  letzten  Tage 
findet  ein  Büffelopfer  statt.  Dann  treten  die  Priesterinnen  ab,  und  die  gewöhnlichen  Tanz- 
mädchen (padjoge)  führen   ihre  Tänze  auf  Diese  padjoge,  deren  jeder  Fürst  vier  unterhält 


208  — 


und  die  zugleich  Hetaeren  sind,  stehen  in  hohem  Ansehen  und  bilden  wahrscheinUch  eioen 
Ueberrest  der  religiösen  Prostitution,  wie  bei  den  balians  auf  Borneo". 

Den  Kern  des  eigentlichen  Festes  (zu  Ehren  der  Genesung  einer  Prinzessin)  bildet  eio 
Tanz  von  sieben  Priesterinnen,  die  erst  durch  Musik  und  Weihrauch  in  Ekstase  geraten 
und  dann  einen  Kriegstanz  zur  Abwehr  der  bösen  Geister  auflführen. 


Molukken. 
Ceram. 

JoEST  (M.  8)  sah  auf  Ceram:  den  jakaleli,  einen  Kriegstanz,  ausgeführt  von  zwei  be- 
waffneten Männern.  Von  einem  der  beliebtesten  Tänze,  dem  mahn,  schreibt  Joest:  , Dicht 
beim  Feuer  hocken  die  Frauen,  mit  betäubendem  Getöse  Gong  und  Tifa  schlagend,  während 
die  geputzten,  reich  mit  Perlen  und  duftenden  Blumen  geschmückten  Mädchen  auf  den 
Beginn  des  Tanzes  warten.  Da  treten  die  Jünglinge  und  Männer  vor,  ohne  Wafifen  aber  in 
vollem  Kriegsschmucke,  sie  fassen  einander  Arm  in  Arm  und  bilden  einen  Kreis,  ohne  den 

Ring  zu  schliessen da  huschen  die  Mädchen  in  den  Kreis  ;  mit  geschlossenen  Augen 

halten  sie  sich  am  Gürtel  des  Auserwählten  fest,  der  sie  um  Hüfte  und  Hals  umschlingt; 
länger  und  länger  wird  die  Kette,  feuriger  Tanz  und  Gesang,  bis  die  Tänzer  ermatten  und 
im  Dunkel  des  nächtlichen  Urwaldes  verschwinden". 

lieber  einen  Mädchentanz  auf  Ceram  schreibt  Joest  :  „Eigentümlich  ist  ein  Tanz,  den 
junge  Mädchen,  wenn  sie  ganz  unter  sich  sind,  bisweilen  vollführen.  Er  erinnert  an  den 
indischen  yiautsch.  Mit  ausgebreiteten  Armen  und  geschlossenen  Augen  stellen  sie  sich  im 
Halbkreis  auf  und  bewegen  sich  dann  mit  verbogenen  und  taktmässig  zuckenden  Hand- 

und  Ellbogengelenken  langsam  seitwärts "  In  einer  anderen  Arbeit  (M.  9)  sagt  Joest  : 

das  menari,  eine  Verbindung  von  Gesang  und  einheimischen  Tanz,  besteht  aus  einer  Folge 
von  Bewegungen,  die  stets  gleichmässig  und  dem  Takt  der  Musik  entsprechend  vollführt 
werden  müssen.  Ein  Paar  tanzt,  die  Anwesenden  hocken  ringsum  auf  dem  Boden  und  be- 
gleiten mit  Gesang  und  Händeklatschen". 

Sachse  (M.  15)  schreibt  von  Ceram:  Der  allgemeine  Tanz  der  Alfuren  ist  der  kahmca. 
Jünglinge  und  Mädchen  bilden  hierbei  einen  grossen  Kreis  ;  oft  einen  Kreis  für  jedes  Ge- 
schlecht. Der  kahuiva  ist  eigentlich  ein  Kriegstanz,  ausgeführt  nach  einer  KopQagd,  wobei 
Lieder  in  alter  Sprache  gesungen  werden.  Bei  der  West- Alfuren  sind  alte  Frauen  die  Tifa  — 
Spielerinnen  und  Vorsängerinnen. 

Die  Alfuren  von  Lisabota  (Wahai)  stellen  sich  auch  sternförmig  auf,  in  jeden  Strahl 
vier  Männer.  Dieser  Tanz  heisst  lumaulai. 

Von  den  anderen  beschriebenen  Tänzen  meldet  Sachse  nicht,  wer  die  Ausführenden 
sind,  so  dass  sie  hier  ausser  Betrachtung  bleiben  können. 

K.  Martin  (M.  12)  beschreibt  einen  Alfuren-Tanz  auf  Ceram,  den  karori.  Dies  ist  ein 
Gesangsreigen,  von  Männern  und  unverheirateten  Frauen  ausgeführt,  wobei  aber  keine  getrennte 
Reihe  gebildet  wird;  Die  verheirateten  Fraiien  und  Männer  sind  Trommelschläger  und  bilden 
einen  Kreis  um  die  Singenden  und  Tanzenden.  Der  menari  parisi  ist  ein  Tanz,  an  welchem 
nur  junge  Männer  teilnehmen.  Sie  bilden  zwei  Reihen,  schlagen  mit  Stock  und  Schild  den 
Takt,  urd  führen  Tanzbewegungen  aus,  während  die  Vortänzer  sich  in  der  Gasse  zwischen 
den  Reihen  bewegen. 


—  209  — 

Buru. 

Martin  sah  eine  Begrûssungs-Zeremonie  der  Alfuren,  wobei  einer  der  Männer  sich 
durch  die  Reihen  der  zur  Stelle  bleibenden  Tanzenden  hinbewegte.  Alle  Würdenträger 
tanzten  mit:  keine  Frau  nahm  an  diesem  menari  teil.  Offenbar  ist  hier  der  auf  Ceram  als 
menari  parisi  erwähnte  Tanz  gemeint. 

Aus  Süd-Buru  nennt  Martin  einen  Tanz  mit  Begleitung  des  Tatabuans  (eine  Art 
gamelang).  .Die  Frauen  stehen  zu  zweien  auf  einer  kleinen  Matte,  während  die  Männer 
sie  allseitig  umwerben". 

WiLKEN  (M.  19)  erwähnt  weder  bei  Heiraten,  noch  bei  Bestattungsfesten  Tänze.  Wohl 
aber  einen  Beschwörungstanz,  ausgeführt  von  einem  „Geisterseher".  Solch  eine  Beschwörung 
(emkehâl)  findet  bei  Krankheiten  statt.  Der  kgo  ist  ein  Tanz,  nur  von  Männern  ausgeführt, 
wobei  die  alten  Legenden  oder  historischen  Ereignisse  besungen  werden.  Einer  der  Tänzer 
ist  Vorsänger,  die  andern  antworten  im  Chor.  Trommeln  (tuba)  bilden  die  Begleitung.  Die 
Tatsache,  dass  der  kgo  früher  meistens  bei  Beschneidungsfesten  ausgeführt  wurde,  lässt 
an  seinen  religiösen  Ursprung  denken.  Bei  dem  menari  —  einem  fremden  Tanze  —  tanzen 
Montier  und  Fratten,  unter  Begleitung  von  tuba's,  gongs  und  tatabuans  (die  beiden  letzt- 
genannten Instrumente  sind  ebenfalls  fremden  Ursprungs).  Die  Frauen  bleiben,  den  Körper 
rhythmisch  bewegend,  an  Ort  und  Stelle,  die  Männer  bewegen  sich  zwischen  den  Frauen 
hindurch.  Offenbar  ist  hier  der  von  Martin  beschriebene  Tanz  gemeint. 

Ambon. 

J0E8T  (M.  9)  beschreibt  den  menari,  eine  Verbindung  von  Gesang  und  einheimischem 
Tanz.  Ein  Paar  tanzt,  die  Anwesenden  hocken  ringsum  auf  dem  Boden  und  begleiten  mit 
Qesang  und  Händeklatschen. 

Riedel  CM.  17)  erwähnt  für  Amlx)n: 
den  mora  tekalo  —  von  Männern  und  Frauen; 
,     mara  tabuani  —  nur  von  Frauen; 
„     mara  parisa  —  von  Männern; 
,    mara  mamüiawai  —  von  Männern. 
Von  Höevell  (M.  6)  sagt,  dass  die  Mohammedaner  auf  Ambon  noch  den  menari  kennen. 
Die  Frauen  und  Mädchen  tanzen  in  zwei  Reihen,  an  derselben  Stelle  bleibend,  während  ein 
oder  zwei  Männer,  Tanzschritte  ausführend,  sich  hindurch  bewegen.  Die  Anwesenden  singen, 
nicht  die  Tanzenden. 

Saparua. 

Van  Schmidt  sagt  von  den  Zauberern  :  Man  kennt  sie  an  ihren  Tänzen  im  Mondschein. 
Vielleicht  meint  er  hier  Beschwörungstänze.  Beim  Bau  einer  neuen  bailee  (Gemeindehaus) 
finden  tjakaleüe  (Kriegstänze)  statt.  „Früher  spielten  dabei  die  Priester  eine  vornehme 
Rolle".  Auch  wird  der  tjakaleüe  getanzt  beim  feierlichen  Empfang  des  neuen  Regenten. 

Martin  (M.  12)  erwähnt  einen  mimischen  Tanz,  wobei  der  Fischfang  nachgeahmt  wird, 
sagt  aber  nicht,  ob  Männer  oder  Frauen  tanzen. 

Halmaheira. 
Van   Baarpa  (M.  1)   beschreibt  das  „Knochenfest",  gehalten,  wenn  die  Knochen  eines 
Häuptlings  ausgegraben  und  wieder  bestattet  werden.  Hierbei  finden  Spiele  und  Tänze  statt 


—  210  — 

von  Jünglingen  und  Mädchen,  u.a.  ein  Spiel  mit  Wechselgesang,  wobei  beide  Parteien 
an  einem  Seil  ziehen;  das  Spiel  wird  während  der  Nacht  gespielt  und  gibt  zu  viel 
„Unsittlichkeit  Veranlassung".  Nach  verschiedenen  anderen  Zeremonien,  die  tagelang  dauern, 
führen  Jünglinge  und  Mädchen  einen  nächtlichen  Tanz  aus;  die  folgende  Nacht  tanzen  die 
verheirateten  Frauen;  auch  während  der  dritten  Nacht  tanzen  die  verheirateten  Frauen, 
nachdem  sie  die  mitgebrachten  Schüsseln  mit  Speisen  abgegeben  haben.  Endlich  führen  die 
Männer  einen  Kriegstanz  auf. 

Das  to/cM-Spiel,  auch  mit  Wechselgesang,  wird  von  Jünglingen  und  Mädchen  ausgeführt. 
Sie  bilden  zwei  Reihen,  halten  sich  bei  den  Händen,  und  lassen  so  ein  Kind  über  die 
ausgestreckten  Hände  laufen,  während  die  ganze  Figur  sich  achtmal  um  das  Haus  des 
Festgebers  bewegt.  Dieses  Spiel  erinnert  an  das  makko-Spiel,  das  Sachse  auf  S.  Ceram 
erwähnt,  ohne  aber  den  Gesang  zu  nennen,  (nur  die  tifa  Begleitung).  Er  fügt  nur  hinzu: 
das  Kind  stellt  ein  kusu  (Beuteltier)  vor.  Auch  das  Seilziehen  (heia  rotan),  das  von  zwei 
Parteien  während  der  Nacht  gespielt  wird,  und  wobei  Lieder  gesungen  werden,  kommt 
auf  Ceram  vor. 

Campen  sagt  (M.  4): 

Stirbt  einer,  so  wird  die  Leiche  auf  eine  Bahre  im  Gemeindehaus  gelegt.  Die 
Witwe  muss  dann  singend  um  das  Haus  tanzen,  der  Witwer  einen  Kriegstanz  (tjakalelle) 
ausführen. 

Van  Dyken  berichtet  (M.  20): 

Die  Frauen  spielen  bei  den  Festen  die  erste  Rolle.  Bei  Tanz,  Gesang  und  allen  Belusti- 
gungen nehmen  sie  den  grössten  Anteil. 

Beim  Einweihungsfest  eines  Tempels  wird  ein  Kriegstanz  ausgeführt. 

Bleeker  erwähnt  (M.  2)  beim  Sultan  von  Tidore  Frauentänze,  die  er  als  nicht  anmutig 
und  schleppend  beschreibt,  und  die  dann  auch  „so  stark  eingeschränkt  wurden  als  die 
Etikette  (es  war  bei  einem  Fest  zu  Ehren  des  General-Gouverneurs)  es  erlaubte". 

Auf  seiner  Reise  mit  dem  General-Gouverneur  durch  die  Molukken  sah  er  viel  Tänze, 
beschreibt  aber  weiter  keinen  einzigen. 

Frau  Weber— VAN  Bosse  (M.  18)  sah  bei  einem  Besuch  am  Hofe  des  Sultans  von 
Ternate  einen  Mädchentanz  mit  Fächern  und  farbigen  Tüchern. 

Auch  sah  sie  einen  Tanz  von  einem  Mann  und  12  Knaben,  mit  einem  Kopfschmuck 
von  Paradiesvcjgeln  und  mit  hölzernen  Degen  in  der  Hand.  „Die  Lebhaftigkeit,  mit  welcher 
der  Tanz  ausgeführt  wurde,  das  Angeben  des  Taktes  durch  Stampfen  mit  dem  Fuss  aut 
den  Boden,  und  das  damit  abwechselnde  elegante  Tanzen  auf  den  Fussspitzen,  alles  dies 
war  nicht  einheimisch  orientalisch".  Frau  Weber  denkt,  dass  dieser  „danca  danca"  einen 
alt-portugiesischen  Tanz  darstelle,  und  sagt,  dass  die  Eingeborenen  den  vornehmeren  loge- 
loge  (lego?)  vorziehen. 

Sula  Inseln. 

Jansen  (M.  11)  beschreibt  ein  Beschneidungsfest  auf  Taliabu.  Nach  der  Beschneidung 
werden  die  Knaben,  die  sich  halten,  als  wären  sie  tot,  fortgetragen,  während  die  Männer 
wild  tanzen  und  schreiend  um  sie  springen,  und  die  Frauen  mit  tifa  und  gongs  begleiten. 
Auf  Taliabu  wird  nur  von  Männern  getanzt,  unter  Musikbegleitung  der  Frauen.  Die  Frauen 
können  nicht  tanzen. 


-    211  — 

Letti. 

Barchewitz  (M.  3)  erzählt,  wie  er  1715  dem  Bau  eines  „Luly-Hauses"  beiwohnte, 
wobei  jeder  Baum  aus  dem  Walde  mit  Kriegstänzen  geholt  wurde.  „Etliche  Männer  gingen 
vorher  mit  ihrer  indianischen  Musique,  nämlich  Paucken  und  gongons,  sungen,  sprungen 
und  Zachelillten,  d.i.  fochten  vorher.  Sobald  sie  in  der  Negorey  angelangt  waren,  sprangen 
die  Jungfrauen  welche  sich  aufs  schönste  geputzt,  ihnen  entgegen.  Wenn  sie  nun  mitten 
in  die  Negorey  bei  dem  daselbst  stehenden  Altare  kamen,  so  gingen  sie  3  Mal  um  den 
Altar  mit  dem  Baum  herum,  tanzeten  und  sungen  dazu.  Wenn  sie  einmal  herum  waren 
stunden  sie  ein  wenig  stille,  da  kam  ein  Vorfechter  mit  seinem  Assagay  und  stach  einmal 
nach  dem  Baum,  dann  gingen  sie  wieder  herum,  tanzenten  und  zachelellten  oder  fochten 
mit  ihren  Assagayen  vor  dem  Baume  her". 

„Sollte  ich  zu  einer  recht  solennen  Fresserey  kommen,  so  schickte  jedesmal  der 
Orang  cay  20  bis  30  Männer,  welche  mich  öffentlich  einholen  und  in  ihre  Negorey  bringen 

mussten.  Diese  Abgeschickten  zogen  mit  vollem  Gewehr  auf und  convoyirten  mich. 

Wenn  wir  vor  die  Negorey  kamen,  schlugen  sie  die  Pauken  und  gongons  fechtend  entgegen, 
hieben  und  stachen  auf  einander  nicht  anders,  als  ob  sie  Feinde  wären,  da  doch  alles  zur 
Lust  und  Staat  geschähe,  —  und  brachten  mich  mit  Singen  und  Springen  in  die  Negorey". 

Riedel  (M.  17)  sagt  von  den  Bewohnern  Letti's:  Sie  sind  grosse  Liebhaber  von  Gesang, 
Spiel  und  Reigentanz,  und  tun  nichts,  ohne  dabei  zu  singen.  Bei  den  poreke-Festen,  zu 
Eîhre  des  Upolero's,  des  männlichen  Prinzips,  abgehalten,  werden  Tag  und  Nacht  spezielle 
Tänze  (lioi)  ausgeführt,  u.a.  ein  Bohnentanz  (?)  von  Frauen  allein,  ein  Reigentanz  nur  von 
Männern,  ein  Bananentanz  (das  symbol  des  lingams),  ein  Bocktanz,  ein  Speertanz  (offenbar 
meint  Riedel  hier  nur  Männertänze).  Diese  lioi  dürfen  bei  andern  Gelegenheiten  nicht 
getanzt  werden..  Verschiedene  dieser  Tänze  sind  obscön,  und  früher  durfte  man  bei 
diesen  Satumalien  öffentlich  den  Coitus  ausüben.  Es  herrschte  während  des  Festes  freier 
Geschlechtsverkehr. 

Von  Kissar  meldet  Riedel:  „Es  gibt  viele  Lieder  und  Tänze;  einige  Tänze  sind  nur 
fttr  Männer,  andere  nur  f\lr  Frauen.  Nur  der  Tanz  beim  poreke-Fest  ist  für  Männer  und 
Frauen  zusammen,  darf  aber  sonst  nie  aufgeführt  werden". 

Der  Kriegstanz  auf  Letti  (roasewar)  wird  nur  während  des  Krieges  aufgeführt. 

Jacobsen  (M.  1)  fand  auf  Kissar  zwei  grosse,  aus  Leinwand  geraachte,  mit  Heu  ausge- 
stopfte Puppen,  Opulero  und  Opunun,  die  Sonne  und  die  Erde  vorstellend.  Opulero  vereinigt 
sich  gegen  Ende  des  Ostmussons  durch  den  Nunabaum  mit  der  Erde  (opunun),  um  ihr 
Fruchtbarkeit  zu  verleihen,  und  die  Puppen,  an  den  Baum  gehängt,  verkörpern  diese 
Gottheiten.  Bei  diesem  Purkafeste  unter  dem  Nunabaum  wird  Nacht  und  Tag  getanzt  durch 
Männer  und  Frauen,   teils  gesondert,  teils  zusammen.  Das  Fest  trägt  einen  priapischen 

Charakter Geschlechtliche   Ausschweifungen   sollen   fVüher   auf  dem   Tanzplatz   die 

Feier  begleitet  haben". 

Wetter. 
Jacobsen  erwähnt  einen  Schamanentanz  zur  Heilung  eines  Knaben  (von  einem  Medi- 
zinmann). 

Riedel  nennt  einige  Tänze,  ohne  zu  melden,  wer  sie  ausführt:  Nach  einem  siegreichen 
Feldzug  wird  ein  Kriegstanz  aufgeführt.  Beim  Friedensschi uss  wird  getanzt,  und  auch  beim 
Bau  einer  neuen  Wohnung. 

I.  A.  f.  E.  Bd.  XXIII.  28 


-   212  — 

Solor. 
Müller  (M.  11)  sah  hier  nur  Männer  tanzen.  Er  sah  eine  Art  Gesangsreigen  und  ein 
Spiegelgefecht,  mit  Bambusstöcken  unter  Musikbegleitung.  Beide  ware  wild  und  ungestüm. 

Timor  Laut. 
Jacobsen   erwähnt  einen  Reigentanz  von  15  Jünglingen,  wobei  gesungen  wurde.  Auch 
einen  Tanz  von  zwei  Jünglingen,  die  sich  selbst  mit  Trommeln  begleiteten. 

Luang-Sermata  Inseln. 

Riedel  sagt,  dass  bei  Mondschein  Männer  und  Frauen  am  Strande  singen  und  tanzen 
unter  Begleitung  von  Trommeln. 

Babar  Archipel. 

Hier  sind  Männer  und  Frauen  grosse  Liebhaber  von  Gesang  und  Tanz.  Jedes  Dorf  hat 
seine  eigenen  Tänze.  Männer  und  Frauen  führen  einen  Reigentanz  auf. 

Tenimber  Inseln. 

Auch  hier  singt  und  tanzt  man  sehr  gerne.  Riedel  nennt  einen  Kopfjägertanz  von 
Männern  und  Frauen.  Die  jungen  Männer  beschäftigen  sich  gern  mit  einem  Waffentanz, 
dem  resasanasan. 

Die  unverheirateten  Frauen  unterhalten  sich  oft  im  Mondschein  mit  einem  Reigentanz 
mit  Gesang.  Im  Kreis  tanzen  auch  zwei  junge  Männer  mit.  Das  Gesungene  hat  meistens 
einen  zweideutigen  Sinn. 

Key  Inseln. 

Geurtjens  (M.  5)  erzählt,  dass  die  Frauen,  wenn  die  Männer  abgereist  sind,  einen 
ganzen  Tag  tanzen.  Verschiedene  Details  geben  Anlass,  hier  an  sympathetische  Magie  zu 
denken.  „Cette  danse  n'est  pas  accompagnée  du  tambour  mais  du  chant  des  danseuses 
elles  mêmes.  Elle  est  bien  plus  variée  et  plus  mouvementée  que  les  dances  de  femme 
ordinaires".  Also  kommen  auch  sonst  Frauentänze  vor. 

Merton  (M.  13)  sah  einen  Fächertanz  von  Mädchen  (in  zwei  Reihen)  und  einem  Mann 
ausgeführt,  den  Reisenden  zu  Ehren. 

Die  Männer  führten  einen  Parangtanz  (parang  =  kurzes  Handmesser)  auf. 

Riedel  (M.  17)  sagt,  dass  die  Key  Bewohner  grossen  Wert  legen  auf  Gesang  und  Tanz 
(bebeen).  Es  gibt  hier  mehr  als  40  Tänze  ;  der  Tanz  des  einen  Dorfes  darf  in  einem  anderen 
nicht  aufgeführt  werden. 

Tänze  allein  von  Männern  sind  u.  a.  : 

der  Affentanz, 

der  Reigentanz, 

der  Flintentanz. 

Männer  und  Frauen  führen  aus: 

den  bebeen  besar,  wobei  alle  in  einem  Kreise  stehend  mit  Tüchern  schwingen,  um 
den  Seefahrenden  günstigen  Wind  zu  besorgen; 

den  Schmetterlingtanz,  mit  Fächern,  wobei  die  Bewegungen  eines  Schmetterlings  nach- 
geahmt werden. 


I 


—  213  — 

den  Vogeltanz,  mit  Gesang,  wobei  ein  Vogel  nachgeahmt  wird,  der  Fische  fangt; 
den  Dolchtanz,  wobei  alle  mit  Dolchen  stechen  und  singen. 

Nor  Frauen  tanzen  den  bebee)i  sosoi,  wenn  die  Boote  abfahren.  Bei  den  anderen  Tänzen 
wird  nicht  gemeldet,  wer  mittauzt. 

Arn  Inseln. 

Mekton  sah  bei  Mondenschein,  begleitet  von  Gesang  und  Troramelmusik  einen  Mann 
tanzen.  „Soviel  ich  erführ,  soll  er  einen  Dämon  repräsentieren.  Er  begann  seinen  Tanz  mit 
Tüchern.  Je  länger  er  tanzte,  umso  aufgeregter  wurde  er;  seine  Augen  rollten".  Vielleicht 
handelt  es  sich  hier  um  einen  Schamanentanz. 

Neil-Guinea. 

VuEOEN  (N.  G.  16)  sagt,  dass  auf  Merauke  (S.  W.  Neu  G.)  Männer  mit  weiblicher 
Schambekloidung  einen  Geistertanz  ausführten,  der  das  Symbol  der  Fruchtbarkeit  dar- 
stellen sollte.  (!) 

Bei  den  Initiationszeremonien  kommt  ein  Kranich-tanz  vor  von  einem  Mann,  der  die 
Novize  w^rägt.  Die  Frage,  ob  dieser  Tanz  zum  Totemismus  in  Beziehung  steht,  wird  uns 
nachher  beschäftigen. 

Im  Mac  Cluorgolf  sah  Van  Müylwyk  (N.  G.  8)  ein  Totenfest.  In  einem  der  Boote  war 
eine  Plattform,  worauf  die  Frauen  tanzten  und  sangen,  während  die  Männer,  die  nicht 
ruderten,  auf  Trommeln  und  Gongs  schlugen.  Nachdem  man  das  Ufer  betreten  hatte,  gingen 
alle  tanzend  zum  Grabe.  Bei  den  Papua  der  Humboldtbai  (N.  G.  4)  tanzen  Männer  und 
Frauen  vor  die  Karrowarri,  wenn  ein  Häuptling  stirbt. 

Va.s  der  Sande  (N.  G.  12)  erwähnt  in  Tobadi: 

den  utia,  einen  Tanz  mit  „funeral  song"  im  Tempel,  nur  von  Männern  ausgeführt; 

den  djau,  eine  Reihe  Männer  und  eine  Reihe  Frauen,  die  erstem  in  schnellerem  Tempo 
sich  bewegend  als  die  letzteren  ; 

den  unann/ng),  ein  Kreis  von  Männern  und  Frauen; 

den  chria,  ein  Kreis  von  Männern  und  herum  ein  Kreis  von  Weibera; 

den  iba  jondUje,  von  Männern,  Knaben  und  Mädchen. 

Sehr  klar  ist  die  Uebersicht  nicht. 

RosENBERO  sah  bei  der  Dorebai  einen  Tanz,  wobei  die  bewafiftieten  Männer,  dann 
Kinder  und  endlich  die  Frauen  paarweise  eine  lange  Reihe  bildeten  und  dann  einen  Kreis. 
Zwei  Vortänzer  führten  in  der  Mitte  des  Kreises  WaflFentänze  aus.  Weitere  Details  weisen 
auf  eine  religiöse  Zeremonie. 

Rawuno  (N.  G.  9)  sagt,  dass  im  unteren  Mimika-Gebiet  nur  die  Frauen  tanzen,  während 
die  Männer  singen  und  begleiten.  Frauen  aber  dürfen  niemals  mitsingen.  Der  Tanz  selbst 
ist  langweilig  und  einförmig,  „as  little  shuffling  of  the  feet  as  is  compatible  with  the 
maximum  ondulatory  movements  of  the  thighs  and  buttocks". 

Rawlino  und  auch  Wollaston  (N.  G.  10)  erwähnen  Tänze  in  einem  „dancing  hall" 
wobei  die  Tanzenden  eine  grosse  ausgeschnittene  Darstellung  eines  Auges  berühren  müssen. 
Hier  sollen  Männer  und  Frauen  mittanzen.  Beide  Berichte  über  die  Tänze  der  Mimica 
Papua  scheinen  mir  wenig  zuverlässig,  sind  •  jedenfalls  ganz  unklar  und  mangelhaft..  Viel 
besser  ist,  was  Williamson  (N.  G.  17)  über  die  Tänze  der  Mafulu  sagt:  Männer  und  Frauen 
tanzen  hier  nie  zusammen. 


—  214  — 

Haddon  (N.  g.  1  +  2)  sagt  von  den  Torres-Strasse  Tänzen:  „a  caracteristic  of  the  dances 
ist  that  they  are  practically  confined  to  men". 

Bei  einer  Bestattungs-Zeremonie  tanzen  drei  Männer  ;  zwei  tragen  Pfeil  und  Bogen,  der 
dritte  ist  als  Frau  gelileidet  und  trägt  zwei  Besen. 

Bei  den  Festtänzen  treten  bisweilen  die  Frauen  nach  den  Männern  auf,  nie  aber 
zusammen  mit  diesen.  Die  Kriegstänze  werden  nur  von  Männern  aufgeführt,  während  die 
Frauen  zuschauen  dürfen. 

Die  religiösen  Tänze  (ceremonial  dances)  werden  auch  nur  von  Männern  getanzt,  und 
bei  den  meisten  dürfen  Frauen  und  Knaben  nicht  anwesend  sein. 

Die  Kleineyi  Simda-Inseln. 
Bali  und  Lombok. 

NiEUWENKAMP  (Kl.  S.  9)  beschreibt  einen  Schamanentanz,  worin  der  Zauberpriester 
(balian)  nacheinander  verschiedene  Rollen  spielt,  je  nachdem  der  Geist  eines  Gottes,  einer 
Göttin  oder  einer  andern  legendarischen  Person  in  ihn  gefahren  ist.  Ist  er  von  einer  Gtöttin 
beseelt,  dann  kleidet  er  sich  als  Frau,  spricht  und  benimmt  sich  ganz  als  eine  Frau  und 
fällt  niemals  aus  seiner  Rolle.  Die  Umstehenden  begleiten  mit  Gamelang  und  Gesang.  Ein 
anderer  hypnotischer  Tanz  wurde  von  zwei  kleinen  Mädchen  dargestellt,  die  begleitet  durch 
den  monotonen  Gesang  der  jungen  Männer  (ohne  Gamelang)  verschiedene  mimische  und 
symbolische  Tänze  aufführten:  Nach  der  Vorstellung,  die  4  Stunden  dauerte,  wurden  sie 
von  den  jungen  Männern  für  Geld  geküsst. 

Bei  einem  Kremationsfest  führten  12  als  Soldaten  gekleidete  Männer  einen  Kriegstanz 
auf.  Zwei  Männer  mit  klewangs  führten  schöne,  aber  unkeusche  Tänze  auf. 

Van  de  Jagt  (Kl.  S.  5)  schreibt,  dass  jeder,  der  bei  der  Kremation  dem  verstorbenen 
Fürsten  Ehre  erweisen  will,  seine  Tänzer,  Tänzerinnen  oder  Vorfechter  schickt,  die 
mit  Gamelanbegleitung  ihre  krampfhaften  unnatürlichen  schreckenerregenden  Bewegungen 
ausführen". 

Sumba. 

RoES  (Kl.  S.  12)  nennt  bei  den  Spielen  auf  Soemba  u.  a.  : 

den  niengu,  einen  Waffentanz  von  zwei  Mädchen  oder  Frauen; 

den  kalaiwes,  einen  Waffentanz  von  Mädchen  und  Männern; 

den  rendja  pai,  von  zwei  Männern  mit  Gesangbegleitung  ; 

den  pai,  bei  dem  30  Frauen  einen  Kreis  bildeten,  während  ein  Mann  Lieder  sang  von 
didaktischem  Inhalt. 

WiELENGA  (Kl.  S.  10)  beschreibt  einen  Festtanz  in  West-Sumba  und  macht  die  Be- 
merkung: „Frauen  waren  nicht  anwesend.  Im  Osten  sind  diese  überall  dabei.  Hier  im 
Westen  ist  die  Stellung  der  Frau  nicht  so  hoch.  Diese  steht  in  Beziehung  zur  Lebensart, 
(nomadisch  oder  Ackerbau  treibend).  Auch  das  Halten  von  Sklaven  hat  Einüuss".  Die 
Tänze  selber  sind  im  0.  lebhafter  und  haben  einen  anderen  Rhythmus  als  im  W.  Hier  sei 
nur  ein  Waffentanz  von  4  Männern  mit  Speer  und  Schild  interressant. 

Hangelbroek  (Kl.  S.  3)  nennt: 

den  rendja  lamba,  einen  Tanz,  wobei  ein  Mann  mit  Trommel  und  Messer  wilde  Bewe- 
gungen macht. 


-   215  — 

den  rendja  pai:  ein  junger  Mann  singt  bei  einer  Guitarre.  Frauen  und  Mädchen  antworten 
im  Chorgesang  und  führen  einen  Reigen  aus;  am  Schluss  tanzen  auch  die  Männer  mit; 

den  niengu,  einen  Tanz  von  Mädchen; 

den  kalaiwes,  denselben  Tanz,  wenn  auch  Männer  mit  Schild  und  Messer  (kabela) 
mittanzen. 

Sava. 

Hier  erwähnt  Dosselaar  (H.  S.  1)  den  pedoa,  einen  Gesangsreigen  von  Männern, 
Frauen,  Burschen  und  Mädchen  ausgeführt  bei  jedem  Vollmond. 

Rotti. 

Hetheriko  (Kl.  S.  4),  die  Feste  beschreibend  bei  der  Heirat  einer  Fürstentochter  auf 

Roti,  sagt  nur  : man  schlägt  auf  gongs  und  tamburins,  wahrend  von  Zeit  zu  Zeit  einige 

Gruppen  von  Männern  und  Frauen  sich  unterhalten  mit  tjakalelle  und  lendo  (einen  leichten 
Tanz).  Die  eigentliche  Heiratszeremonien  waren  ohne  Tanz. 

Lekkebkebker  (Kl.  S.  7)  beschreibt  den  keblai  (Reigentanz)  auf  Roti  :  ,Der  Reigentanz 
ist  för  die  Völker  des  östlichen  und  südöstlichen  Archipels  das  am  meisten  vorkommende 
Volksvergnügen. 

Der  Tanz  findet  statt  nach  Sonnenuntergang.  Die  Frauen  bilden  einen  geschlossenen 
Kreis,  führen,  streng  rhythmisch,  langsame  Bewegungen  aus,  während  die  Oberkörper  leicht 
wiegen.  Ein  Mann  in  der  Mitte  des  Kreises  trägt  pantuns  (Lieder)  vor,  und  die  Frauen 
singen  den  RefVain.  Die  anderen  Männer  sind  Zuschauer". 

Graafland  (Kl.  S.  2)  nennt: 

den  tjakaidk  der  Männer; 

den  lendo,  einen  Gesangstanz  der  Frauen; 

den  keblai,  einen  Reigentanz,  woran  beide  Geschlechter  teilnehmen.  Einige  Abende  vor 
dem  Opferfest  kommen  Männer  und  Frauen  zusammen,  um  unter  viel  Lärm  diesen  keblai 
zu  tanzen. 

Flores. 
Webeb  (Kl.  S.  11)  beschreibt  ein  Beschneidungsfest.  „Inzwischen  tanzen  die  Beschnit- 
tenen, angetan  mit  einem  Gürtel,  von  dem  rasselnde  Metallstücke  herabhangen,  und  verziert 
mit  gleichartigen  Arm-  und  Beinringen,  im  Kampong  herum.  Der  Gürtel  ist  ein  Gürtel  der 
VorN'äter,  der  nur  l)oi  dieser  Gelegenheit  gebraucht  wird.  Das  Ganze  stellt  einen  von  den 
Vätern  ererbten  Ritus  dar,  mit  religiösem  Hintergründe. 

Timor. 

MCiXEB  (Kl.  S.  8)  schreibt: 

Nicht  nur  am  Anfang  und  Ende  des  Krieges,  auch  während  dieses  wird  durch  die 
kriegführenden  Parteien  geopfert  und  gefeiert.  Hierbei  führen  Männer  und  Fraueii  in  einem 
Kreis  einen  Gesangsreigen  (fnmu  papat)  auf.  Immer  sind  alle  Männer  neben  einander  und 
auch  die  Frauen. 

Sumbawa. 
ZöLLiNOEB  meint,  dass  auf  Sumbawa  keine  Tänze  vorkommen. 

LioTVOET  (KI.  S.  13)  aber  erwähnt  einen  Kriegstanz,  den  kakaratß,  der  bei  Festen 
aufgeführt  wird. 


—  216  — 


Java. 


Hier  muss  man  unterscheiden  :  Hof-  und  Volkstänze.  Untersuchen  wir  erst  die  letzteren. 
Van  Waey  (J.  31)  wohnte  einem  Opferfeste  bei  auf  dem  Vulkan  Bromoh  (Tengger  Gebirge), 
wobei  ein  alter  Mann  mit  seinen  Kindern  und  Enkeln  (männlichen  und  weiblichen,)  tanzend 
ein  Opfer  brachte.  Er  war  krank  gewesen  und  hatte  das  Gelübde  getan,  das  er  beim  ersten 
Bromoh-Fest  ein  Opfer  bringen  wolle. 

Bei  den  ßadoej's  —  dem  anderen  isolirten  Gebirgsstamra  Javas  —  kommen  nach 
Jacobs  (J.  13)  keine  Tänze  vor,  in  Uebereinstimmung  mit  dem  9ten  Gebot  der  Buddhistischen 
Bettelmönche:  „Ihr  sollt  euch  enthalten  von  Tänzen  und  Musik".  In  den  anderen  Teilen 
Java's  sind  die  Tänze  den  Beschreibungen  nach  ziemlich  dieselben,  obwohl  F.  v.  d.  M.  (J.  21) 
schreibt:  „Fast  für  jede  Gegend  bestehen  in  der  Musik  und  im  Tanze  Unterschiede,  deren 
Kenntnis  sehr  nützlich  ist  für  die  Beamten,  die  bei  den  offiziellen  „Tandak"  Partien  oft 
mittanzen.  Bei  diesen  Tandak  (Tanz)  Partien  (najoeban)  wird  getanzt  nach  den  verschie- 
denen Melodien  des  gamelans  oder  des  ankloengs.  Jede  gamelan-Melodie  {lagu)  hat  ihre 
Gesangsweise  (sindiran),  die  durch  das  Tanzmädchen  gesungen  wird  während  des  Tanzes." 

Groneman  (J.  6)  sagt  von  diesen  öffentlichen  Tänzerinnen  (taledeks  oder  ronggengs), 
dass  sie  fast  immer  Dirnen,  aber  ziemlich  geachtet  sind. 

R.  V.  Eck  (J.  3)  sagt:  bisweilen  tanzen  auch  Männer  (Zuschauer)  mit.  Weiter  erwähnt 
er  den  beksati,  einen  "Waffentanz,  von  Knaben  aufgeführt,  und  einen  religiösen  Tanz,  den 
eine  mohammedanische  Sekte  beim  Mulud-Fest  aufführt. 

Auch  die  Tanzpartien  haben,  wie  wir  nachher  sehen  werden,  einen  religiösen  Unter- 
grund,  wie  die   ronggengs  (Tanzdirnen)  ihr  Auftreten  ursprünglich  dem  Kultus  verdanken. 

Hazeu  (J.  10)  hat  eine  interessante  Arbeit  über  ein  Kinderspiel  geschrieben,  auch  von 
•Raffles  erwähnt  (J.  27),  worin  ein  ekstatischer  Tanz  vorkommt,  der  ebenfalls  einen  Rest 
alter  Zeremonien  darstellt. 

Raffles  (J.  27)  sagt,  dass  bei  Tanzpartien  die  Adligen  oft  mit  den  ronggengs  mit- 
tanzen.  „To  danco  gracefully  is  an  accomplishment  expected  in  every  Javanese  of  rank". 

Weiter  erwähnt  er  noch  Männertänze: 

den  gambuk,  mit  Schild, 

den  niutra,  mit  Pfeil  und  Bogen,  beide  mit  nacktem  Oberkörper  getanzt,  was  den 
religiösen  Ursprung  andeuten  kann. 

Kreemer  (J.  16)  sagt,  dass  bei  Beschneidung,  Heirat  und  bei  grosser  Trockenheit  eine 
Art  Waffentanz  (ucljung)  aufgeführt  wird,  wobei  die  Fechtenden  tandakkend  auflreten. 
Die  Zuschauer  müssen  dafür  sorgen,  dass  das  „Spiel"  kein  Ernst  wird.  Hier  ist  also  wieder 
der  Waffentanz  halb  Spiel,  halb  Zeremonie. 

In  West  Java  (Serrière  J.  28)  werden  die  feierlichen  Aufzüge  bei  Hochzeiten,  Be- 
schneidungen, Zähnefeilen  u.  s.  w.  immer  eröffnet  durch  Vortänzer,  die  mit  anklung  in 
der  Hand  singend  tandakken. 

Eine  Bemerkung  bei  Serrière  zeigt  auch  hier  Beziehungen  zu  einen  Kriegstanz,  der 
religiösen  Ursprungs  ist.  „Die  Vortänzer  nehmen  bald  die  Stellung  eines  wütend  darauflos- 
schlagenden  Angreifenden  an,  bald  eines  gegen  einen  Angriff  sich  wehrenden.  Es  sind 
beim  Rhythmus  der  Musik  handelnde  Vortänzer  oder  Vorfechter,  die  nebenbei  das  anklung- 
Orchester  dirigieren. 


—  217   - 

In  Ost  Java  wohnte  ich  einem  religiösen  Aufstand  bei,  wo  die .  Rebellen,  in  weissen 
Kleidern,  tandakkend  und  dikirrend  („Allah"  rufend),  sich  unseren  Truppen  näherten. 

Van  Hoevell  (J.  11)  sah  in  Tjandjur  (W.  Java)  das  ^kedebus-Sçiel",  einen  religiösen 
Selbstpeinigungstanz,  wobei  2  Reihen  Männer  auf  Tambourins  schlugen  und  sangen, 
wahrend  die  Jünglinge  nach  einander  tanzten  und  sich  mit  kleinen  Dolchen  in  den  Körper 
stachen. 

PorasEN  (J.  26)  nennt  in  seiner  Arbeit  über  das  javanische  Schattenspiel  (wajang)  einige 
Tänze,  die  zur  wajang  in  Beziehung  stehen  u.  a.: 

den  tameng  gleleng,  früher  eine  Art  topeng  (-Maskendrama),  jetzt  ein  Tanz  mit  Gesang 
von  4  Jünglingen, 

den  topeng  bakakan,  einen  Tanz  mit  Gesang  von  2  rundreisenden  Künstlern,  oft  einem 
Clown  und  einer  Tänzerin, 

den  lengger,  einen  travestie-Tanz  von  4  Männern, 

den  kemblag,  den  schon  erwähnten  religiösen  Tanz  der  santri. 

Neben  diesen  Volkstanzen  gibt  es  Tänze,  Spiele  und  Tanzdramen,  die  nur  an  den 
fürstlichen  Höfen  in  Djokjakarta  und  Surakarta  aufgeführt  werden.  Besonders  die  in  Djokja 
sind  durch  die  Arbeiten  Gkoxeman's  gut  bekannt. 

Aus  dorn  Schattenspiel  (wajang)  entwickelte  sich  der  wajang  orang,  wo  Menschen  statt 
Puppen  auftreten.  Da  das  ganze  Stück  unter  Musikbegleitung  und  immer  rhythmisch  ge- 
spielt wird,  kann  man  es  ein  Tanzdrama  nennen,  in  der  Art  von  Strauss'  , Joseph".  Hier 
—  auf  dem  Gipfel  der  Tanzkunst  —  wird  eine  Schönheit  erreicht,  die  wir  Europäer  erst 
seit  Dcncan's  Auflret*'n  anfangen  zu  ahnen. 

Ob  der"  Ursprung  des  wajang  orangs,  und  des  wajangs  überhaupt,  alt  javanisch  oder 
binduistisch  ist,  eine  noch  nicht  aufgelöste  Streitfrage,  kann  uns  hier  gleichgültig  sein. 
Nur  der  Anteil  der  Geschlechter  beschäftigt  uns  vorläufig.  Hierüber  sagt  Gboneman  (J.  5): 
In  Djokjokarta  werden  die  Frauenrollen  durch  junge  Männer  und  Knaben  gespielt.  Bei  den 
nicht-klassischen  wajang-orang,  ausserhalb  der  „Vorstenlanden"  an  anderen  Höfen  oder  aul 
Bahnen  gespielt,  treten  auch  Frauen  auf,  und  zwar  meist  die  Tanzdimen  (taledeks,  ronggengs). 
Die  auftretenden  Künstler  in  Djokjakarta  sind  alle  Verwandte  des  Sultans.  Frauen,  und 
zwar  Prinzessinnen,  tj-eten  in  Djokja  auf  in  besonderen  Tanzen,  die  wiederum  Stoff  be- 
handeln aus  alten  Legenden.  Diese  Tänzerinnen  heissen  bedaja  oder  serimpi  nach  der 
Zahl,  in  der  sie  auftreten  und  den  Legendenzyklen,  die  sie  darstellen. 

Die  bedaja  tanzen  zu  9  die  Legenden  des  Rata-Kidoel  Zyclus. 

Die  serimpi,  4  an  Zahl,  tanzen  die  Rengga-Wati  Legenden.  Oft  treten  Knaben  als 
bedaja  auf;  diese  sind  dann  oft  zugleich  Lustknaben. 

Besondere  Männertänze  an  den  fürstlichen  Höfen  sind: 

der  l)eksan.  ein  Kriegstanz  mit  Stoff  aus  einer  wajang-Legende,  von  Prinzen  und 
Adeligen  ausgeführt, 

der  Trunä  Djäja,  ein  Kriegstanz  aus  Madura  hergekommen,  bei  fürstlichen  Hochzeiten 
getanzt, 

der  langitulrya,  ein  Tanz  von  Männern  und  Knaben,  der  sitzend  oder  hockend  nur  mit 
Armen  und  Oberkörper  ausgeführt  wird.  Alle  diese  Tänze  sind  so  heilig,  dass  es  den  tan- 
zenden Prinzen  und  Prinzessinnen  nicht  erlaubt  ist,  während  der  Aufführung  zu  essen,  zu 
trinken  oder  zu  rauchen. 

Alle  Tänze  und  Dramen  werden  vom  Gamelanorchester  begleitet,  je  nach  der  Art  und 


—  218  — 

dem  Stoif  des  Stückes  anders  zusammengestellt.  Ein  Erzähler  (dalang),  der  zugleich  Orches- 
terleiter ist,  trägt  die  Legenden  vor. 

Fassen  wir  jetzt  das  Material  über  den  Archipel  zusammen,  so  können  wir,  in  Bezug 
auf  den  Anteil  der  Geschlechter  heim  Tanzen,  folgende  Fälle  unterscheiden  : 

a.  Männer  tanzen  allein,  Frauen  sind  nicht  anwesend. 

b.  Männer  tanzen  allein,  Frauen  sind  Zuschauer. 

c.  Männer  tanzen  allein,  Frauen  bilden  das  Orchester  oder  singen. 

d.  Männer  und  Frauen  tanzen  abwechselnd  ihre  eigenen  Tänze. 

e.  Männer  und  Frauen  tanzen  zusammen,   aber  die  Individuen  jedes  Geschlechtes  stehen 
bei  einander. 

f.  Männer  und  Frauen  tanzen  durcheinander  oder  paarweise  mit  einander.  • 

g.  Frauen  tanzen  zusammen,  während  1  oder  2  Männer  mitwirken. 

h.  Frauen  tanzen  allein,  Männer  sind  Zuschauer,  oder  bilden  das  Orchester. 
Hierzu  ist  zu  bemerken: 

1.  Solo-,  Gruppen-  und  Chortänze  fallen  unter  dieselbe  Rubrik. 

2.  In  dieser  Betrachtungsweise  wird  der  Vergleich  der  einzelnen  Fälle  getrennt  von 
allgemeinen  Bemerkungen  über  das  Vorkommen  gewisser  Tänze,  über  das  Auftreten 
der  beiden  Geschlechter  innerhalb  eines  Stammes,  eines  Gebietes. 

3.  Wenn  die  Autoren  nicht  das  Gegenteil  melden,  wird  angenommen,  dass  das  andere 
Geschlecht  anwesend  ist. 

4.  Fall  h  und  c  sind  in  den  Beschreibungen  nicht  immer  getrennt.  Für  die  Beantwortung 
der  Hauptfrage  kann  man  sie  zusammennehmen. 

In  Sumatra  (mit  Engano  und  Nias)  kommen  die  unter  a — h  genannten  Falle  in  fol- 
genden Zahlen  vor: 

5  23  X,  /î  13  X,  d  1  X,  e  3  X,  /■  1  X.  Zusammentanzen  der  beiden  Geschlechter  if) 
kommt  nur  einmal  vor,  beim  sigalegale  (Trauerfest)  der  Battaks,  wo  die  Witwe,  die  Brüder 
und  Eltern  des  Verstorbenen  mit  dessen  Bilde  tanzen. 

Das  nebeneinander  Auftreten  der  Geschlechter  (d,  e)  kommt  4  X  vor,  und  zwar  3  X 
bei  den  Battaks,  während  rehgiöser  Zeremonien  (Opfertanz,  Totenfest,  Tanz  nach  Krankheit) 
und  1  X  auf  Engano  bei  einem  Gesangsreigen,  mit  dem  man  irgend  ein  Ereignis  feiert.  In 
allen  andern  Fällen  sind  die  Männer-  und  Frauentänze  geschieden.  Die  grosse  Zahl  der 
Frauentänze  weist  auf  eine  Lücke  in  dieser  Methode,  die  den  ausführlichen  Arbeiten  (Winteb 
nennt  in  Rawas  allein  9  Frauentänze),  über  kleine  Gebiete  mehr  Falle  entnimmt  als  den 
weniger  eingehenden  über  grössere  Gebiete,  wo  vielleicht  ebensoviel  und  verschieden  ge- 
tanzt wird.  Was  die  allgemeinen  Bemerkungen  anbelangt,  so  finden  wir,  dass  bei  den  Gajo's 
nur  Männer  tanzen,  in  dem  Padanger  Oberland  nur  Männer,  in  Rawas  nie  Männer  und 
Frauen  zusammen,  in  den  Kampar-Distrikten  nur  Männer  und  Jünglinge,  in  Nias  nie 
Männer  und  Frauen  zusammen. 

Die  Bemerkungen  Junghuhn's  „Bei  den  Bataks  tanzen  nie  Frauen",  und  von  Brenner's  : 
„Bei  den  Bataks  tanzen  nie  Männer  allein"  widersprechen  einander  und  werden  beide  durch 
die  Tatsachen  widerlegt,  v.  Rosenberg's  Bemerkung  endlich  :  „Auf  Nias  tanzen  nur  Frauen", 
wird  durch  ein  von  ihm  selbst  gegebenes  Beispiel  illusorisch  gemacht. 

Alles  zusammenfassend  kann  man  also  sagen,  dass  auf  Sumatra  : 

1.  nie  Männer  und  Frauen  zusammen  tanzen, 


—  219  — 

2.  die  beiden  Greschlechter  bisweilen  in  Zeremonien  nebeneinander  auftreten  (Engano, 
Battak), 

3.  weitaus  die  meisten  Tänze  durch  Männer  aufgeführt  werden, 

4.  die  Frauentänze  entweder  künstlerische  Vergnügungstänze  sind,  von  Dilettanten 
(rawas)  oder  von  Berufstanzerinnen  (an  den  malaiischen  Höfen),  oder  weibliche 
Schamanentänze  (Battak), 

5.  die  Màunertâaze  zu  den  verschiedensten  Arten  gehören. 

Borneo. 

Hier  finden  wir,  die  einzelnen  Fälle  vergleichend: 

b  17  X,  A  10  X,  c  4  X,  /■  4  X,  fif  1  X.  Nicht  immer  deutlich  ist  angegeben,  ob  beim 
Zusamraentanzen  die  Geschlechter  getrennt  sind  oder  nicht,  so  dass  die  Rubriken  c,  f  und 
g  besser  in  eine  Gruppe  „Zusaramentanzen  der  Geschlechter"  gebracht  werden  können. 
Von  Serawak  wird  bemerkt:  Nie  wird  paarweise  getanzt  Von  den  Sea-Dajaks  dort  sagt 
GoMBS:  meistens  tanzen  allein  die  Männer,  nur  nach  einer  Kopfjagd  tanzen  die  Frauen. 
Low  sagt,  dass  Tanzmädchen  niemals  bei  den  Festen  auftreten. 

Nehmen  wir  erst  die  10  gemischten  Tänze,  dann  fallt  es  auf,  dass  fast  alle  einen 
religiösen  Untergrund  haben,  oder  sogar  direkte  Zeremonien  sind.  Das  eine  Mal  ist  er  ein 
»heiliger  Tanz"  zur  Begrüssung  der  Fremden,  andere  Male  sind  es  Tänze  nach  einer 
Kopfjagd,  bei  der  Ernte,  beim  Opfern.  Weiter  ein  Gresangsreigen  und  ein  Tanz,  in  Welchem 
das  Auftreten  von  basirs  (Priestern)  und  von  2  Männern,  die  obscöne  Bewegungen  machen, 
auch  an  religiösen  —  vielleicht  phallischen  Ursprung  denken  lässt.  Jedenfalls  ist  bei  vielen 
dieser  Tänze  Vergnügen  und  Zeremonie  kaum  zu  trennen. 

Von  den  10  Frauentänzen  werden  4  von  Priesterinnen  getanzt,  „einer  ist  ein  Spiel 
beim  Reisstampfen,  einer  ein  Mittel  zur  Geburtshilfe,  einer  ein  Tanz  zur  Begrüssung  der 
heimkehrenden  Kopfjäger,  einer  ein  Maskentanz  beim  Erntefest;  nur  ein  Travestie-tanz  und 
ein  hübscher  Tanz  von  jungen  Mädchen"  erinnern  an  Tanzmädchen.  Die  Männertänze 
haben  wieder  verschiedene  Motive. 

Zusammenfa-ssend  finden  wir,  dass  auf  Borneo: 

1.  die  meisten  Tänze  durch  Männer  aufgeführt  werden, 

2.  die  beiden  Geschlechter  nur  in  Tänzen  mit  religiösem  Zweck  oder  wenigstens  Spuren 
davon,  zusammen  auftreten, 

3.  Die  Frauentänze  fast  nie  zur  Belustigung  der  Männer  dienen  und  meistens  einen. 
religiföen  Ursprung  zeigen. 

Celebes. 

Auf  Celebes  kommt  68x,  ä7x,  e7x  und  f  1  x  vor. 

AuflTallend  ist  hier  das  öftere  Auftreten  der  Frauen  und  die  grosse  Zahl  der  Tänze, 
wo  Männer  und  Frauen  zusammen  auftreten.  Von  diesen  letztern  haben  die  meisten  eine 
religiose  Bedeutung.  Einer  ist  ein  Hoflanz,  und  die  Ausführenden  sind  Prinzen  und  Prin- 
zesBionen,  so  dass  der  Gedanke  an  alte  Herkunft  nahe  liegt;  ein  anderer  ist  ein  Tanz,  wo 
die  Männer  mit  bezahlten  Tanzraädchen  (padjoge)  tanzen.  Nach  Van  Hoëvell  hat  man  es 
hier  mit  einem  Rest  der  religiösen  Prostitution  zu  tun,  so  dass  nur  der  letzte  Fall  des 
Zusammentanzens,  ein  Gesangsreigen  bei  den  Toradja,  von  welchen  Adkiani  und  Kruyt 
aosdrücklich  behaupten,  dass  ihm  keineriei  religiöse  Bedeutung  beiliegt,  ein  Beispiel  bietet 
I.  .\.  f.  E.  Bd.  .\XI1I.  29 


—  220  — 

eines  weltlichen  Zweigeschlechter-Tanzes.  Die  Frauentänze  endlich  werden  entweder  von 
Priesterinnen  (u.  a.  Schamanen)  oder  von  Tanzdimen  angeführt,  nur  in  einem  Fall  von 
Häuptlingstöchtern.  Nehmen  also  Celebes  die  Frauen  einen  grösseren  Anteil  am  Tanz,  so 
kommt  dies  nur  daher,  dass  bei  verschiedenen  Stämmen  die  Frauen  eine  grössere  Rolle 
spielen  bei  der  Ausübung  der  religiösen  Zeremonien. 

Molukken. 

Hier  finden  wir  29  X  6,  11  X  h,  10  X  e,  4  X  /",  1  X  g,  d.  h.  viele  Männertanze,  weniger 
Frauentänze  und  sehr  viele  (30%)  Zweigeschlechter-Tänze.  Die  generalisierenden  Bemer- 
kungen deuten,  wenn  sie  richtig  sind,  auf  grosse  Unterschiede  auf  den  verschiedenen  Inseln. 
So  sagt  Riedel,  dass  in  Kissar  Männer  und  Frauen  nur  beim  poreka-Fest  zusammen  tanzen, 
sonst  ihre  eigenen  Tänze  haben. 

Jansen  behauptet,  dass  auf  Taliabu  (Sula-Inseln)  die  Frauen  nie  tanzten,  während  Van 
Dyken  für  Halmaheira  die  Bemerkung  macht,  dass  Frauen  bei  allen  Tanzfesten  die  erste 
Rolle  spielten. 

Die  Männertänze  sind  hauptsächlich  Waffentänze,  einige  sind  Schamanentânze,  andere 
mimische  Festtänze,  vielleicht  mit  religiösem  Untergrund. 

Die  Frauentänze  sind  Lusttänze  an  den  Höfen  oder  haben  religiösen  (magischen)  Zweck. 

Die  Zweigeschlechtertänze  sind  meistens  Gesangsreigen,  deren  religiöser  Ursprung  oft 
nachgewiesen  werden  kann.  Sie  sind  meistens  in  verschiedenem  Grade  erotisch  geßlrbt. 

Neu  Guinea  —  Torres  Strasse. 

Hier  kommt  b  i  X  vor,  /<  1  x,  e  7  X,  a  1  X,  rf  1  X.  Rawling  sagt,  dass  am  Mimica 
Fluss  nur  die  Frauen  tanzen. 

Williamson  erwähnt,  dass  bei  den  Maifulu  Männer  und  Frauen  nie  zusammentanzen. 
HA.DD0N,  dass  auf  den  Inseln  der  Torres  Strasse  nur  die  Männer  tanzen.  Die  Beispiele 
zeigen  eine  Grosse  Zahl  von  Zweigeschlechter-Tänzen,  während  die  Frauen  fast  nie  allein 
auftreten. 

Die  Kleinen  Sunda-Liseln. 

Hier  finden  wir  8  X  b,  i  X  h,  b  X  e,  2  X  g  und  1  X  f-  Wie  im  ganzen  östlichen 
Teil  des  Archipels,  nehmen  auch  hier  die  Zweigeschlechter-Tänze  einen  grossen  Platz  ein 
(49°/J.  üeberwiegend  sind  jedoch  die  Männertänze.  Die  Frauentänze  sind  auf  Bali  Schau- 
tänze, auf  den  weniger  zivilisierten  Inseln  Gesangsreigen  und  auch  Waflfentänze.  Im  ganzen 
Osten  und  S.O.  des  Archipels  ist  —  nach  Lekkerkerker's  Bemerkung  —  der  Gesangsreigen 
am  beliebtesten. 

Java. 

Hier  haben  wir  16  x  ö,  3  X  /*,  2  X  e.  Die  Frauentänze  sind  Hoftänze  oder  Schau- 
tänze von  bezahlten  Tauzmädchen.  Wo  Männer  und  Frauen  zusammen  tanzen,  ist  es  auch 
mit  diesen  Tanzmädchen  oder  bei  den  Tanzdramen  der  fürstlichen  Höfe. 

Ueberblicken  wir  zum  Schlüsse  das  gesamte  Material,  so  können  wir  das  Resultat 
unserer  Untersuchungen  in  nachfolgender  Tabelle  zusammenstellen: 


t 


—  221 


i     a 

b 

C 

d 

e 

f 

9 

h 

Sumatra 

i 

23 

17 
8 

29 
4 
8 

16 



i 
i 

3 

4 
7 
18 
7 
5 
2 

1 
4 

1 

i 

i3 
-10 

7 
H 

? 

4 

3 

Borneo  

Celebes 

Molukken 

Neu  Guinea 

Kleine  Sunda  Inseln    .  . 
Java 

iX 

mx 

2X1  46X 

nx 

iX 

48X 

Auf  214  Tänze  kommen  also  105  Männertänze  vor,  d.  i.  50°l^.  Frmientänze  kommen 
nur  in  48  Fallen,  d.  i.  22  °l^  vor,  während  die  Ztceigeslechtertänze  27  °l^  ausmachen. 

Im  allgemeinen  kann  man  also  sagen,  dass  über  das  gesammte  Indonesien  die  Männer 
weitaus  am  meisten  tanzen. 

Drücken  wir  die  Zahlen  der  Männertänze,  Frauentänze  und  Zweigeschlechtertänze 
(«»  /"»  9)  in  Prozenten  aller  Fälle  aus,  so  kommen  wir  für  die  verschiedenen  Teile  des 
Archipels  zu  folgender  Tabelle: 


Manner  T. 

Frauen  T. 

Zwei 
Geschl.  T. 

/o 

7. 

7o 

Sumatra 

59 
48 

31 

28 

9 
23 

Borneo    

Celebe« 

35 

ao 

35 

Molukken 

46 

17 

36 

Neu  Guinea 

38 

? 

53 

Kleine  üunda  Inseln  .  . 

44 

22 

33 

Java 

76 

14 

9 

Olx?rflachlich  diese  Zahlen  betrachtend,  könnte  man  aus  ihnen  den  Schluss  ziehen, 
dass  die  primitivsten  Stämme  (Neu  Guinea)  meist  Zweigeschlechter-Tänze  kennen,  während 
die  Halbkulturvölker,  wie  die  Javaner,  hauptsächlich  Männertänze  haben,  so  dass  der  Ent- 
wicklungsweg des  Tanzes  vom  Zweigeschlechtertanz  zum  Männertanz  führen  würde.  Das 
Material  über  Neu  Guinea  aber  ist  zu  gering  und  nicht  immer  zuverlässig  genug,  im  Ver- 
gleich zu  den  Quellen  der  anderen  Gebiete,  um  Vergleichungen  aufstellen  zu  können.  Wenn 
ELa^ddon  in  seiner  ausführlichen  Arbeit  über  den  Tanz  behauptet,  dass  in  der  Torres  Strasse 
fast  nie  Frauen  tanzen,  und  Wiluamsos,  der  ebenfalls  eingehend  das  Thema  behandelt, 
sagt,  dass  am  Mimicafluss  nie  die  beiden  Geschlechter  zusammen  aflreten,  so  widersprechen 
diese  beiden  Aussagen  ganz  dem  oben  genannten  Schluss. 

Unter  Berücksichtigung  des  im  Kapitel  „Kritik  der  Quellen"  Gesagten,  kann  man  doch 
aus  unseren  Zahlen  einige  Schlüsse  ziehen.  Im  ganzen  Archipel  sind  die  Männertänze  weitaus 
am  häutigsten.  Ihre  hohe  2^hl  verliert  aber  an  Wert,,  wenn  man  bedenkt,  dass  viele  Eth- 
nographen, deren  Berichte  wir  verarbeiteten,  Durchreisende  waren,  zu  deren  Empfang  die 
Eingeborenen  eher  Männer  oder  bezahlte  Tanzmädchen  als  ihre  eigenen  Frauen  und  Töchter 
tanzen  Hessen. 


—  222  — 

Die  Streitfrage  Wagner- Wallaschek  über  den  Anteil,  den  die  Frauen  an  der  primi- 
tiven Musik  gehabt  haben,  ist  selbstverständlich  —  was  unser  Gebiet  anbelangt  —  hiermit 
noch  nicht  gelöst.  Wenn  man  auch  bewiesen  hat,  dass  der  Ursprung  der  Musik  in  dem 
Tanze  liegt,  und  vermuten  kann,  dass  der  Entwicklungsgang  unserer  Musik  eine  Parallele 
findet  in  denjenigen  der  jetzt  lebenden  Naturvölker,  so  müssen  wir  noch  untersuchen, 
inwieweit  die  hier  behandelten  Völker  primitiv  sind,  und  wie  sich  bei  diesen  die  Geschlechter 
dem  Tanze  gegenüber  verhalten.  Leider  ist  gerade  für  die  primitivsten  Völker  das  Material 
am  geringsten,  so  dass  für  endgültige  Resultate  neue  Untersuchungen  notwendig  sind.  Wir 
möchten  den  Fehler  vermeiden,  den  Karl  Schröter  in  seiner  Arbeit  „Anlange  der  Kunst 
im  Tierreich  und  bei  Zwergvölkern"  gemacht  hat.  Den  Beschreibungen  folgend,  welche  die 
holländischen  Regierungsbeamten  Van  Dongen  und  Valette  von  den  Kubus  gaben,  analysiert 
er  einen  religiösen  Tanz,  bespricht  in  20  Seiten  ausführiich  Gesangstext  und  Tanzbewe- 
gungen, und  zieht  daraus  seine  Schlüsse  für  primitive  Kunst. 

Er  vergisst  aber,  dass  die  ganze  Zeremonie  mit  primitiven  Auffassungen  nichts  zu  tun 
hat,  und  wahrscheinlich  über  die  Gajo-Länder  (s.  Snouck  Hürgronje,  S.  19—25)  und  Atjeh 
von  Arabien  heraus  importiert  ist.  Von  anderen  primitiven  Völkern,  die  Toradja,  geben  die 
besten  Kenner  (Kruyt  und  Adbiani)  gerade  auf  unserem  Gebiete  sehr  wenig  Material,  da 
sie  den  Tanz  hauptsächlich  wegen  des  Textes  der  gesungenen  Lieder  behandeln. 

Im  Osten  des  Archipels  würde  zweifelsohne  eine  reiche  Ernte  an  Tatsachen  zu  sam- 
meln sein,  wenn  nur  langsam  und  systematisch  gearbeitet  würde.  Was  jetzt  gefunden 
ist,  ist  zu  mangelhaft,  als  dass  wir  daraus  allgemeine  Schlüsse  ziehen  könnten.  Vorläufig 
muss  also  eine  entscheidende  Antwort  auf  die  Frage  unterbleiben,  wenn  man  auch  Ver- 
mutungen aussprechen  darf. 

In  dem  kultiviertesten  Gebiete  treffen  wir  am  wenigsten  Zweigeschlechtertânze,  die 
anderseits  bei  primitiven  Stämmen  am  meisten  vorkommen. 

Wenn  auch  nicht  bewiesen  ist,  dass  bei  den  primitivsten  Völkern  beide  Geschlechter 
zusammentanzen,  so  kann  man  doch  das  allgemeine  Vorkommen  der  Zweigeschlechtertänze 
auf  ziemlich  niederer  Stufe  annehmen,  und  auch  die  nachherige  Differenzierung  in  Männer- 
und  Frauentänze. 

Vermutlich  haben  die  primitiven  Männer  und  Frauen  ihre  eigenen  Tänze  gehabt,  kunst- 
lose Entladungen  ihrer  seelischen  Spannung,  Freudentänze  und  Trauertänze,  ausgeführt 
nach  und  während  der  Arbeit,  in  Anwesenheit  und  sogar  unter  Mitwirkung  des  anderen 
Geschlechts,  und  ohne  diese.  Die  Entwicklung  der  Religion  hat  dann  kunstvollere  Tänze 
gebracht,  und  damit  den  absichtlichen  Zweigeschlechtertanz  (Gesangsreigen),  die  weitere 
Entwicklung  aber  hat  die  Geschlechter  wieder  getrennt,  sei  es  ziemlich  früh  (Mannerbünde 
und  Männertänze)  sei  es  viel  später  (Mohammedanismus  und  Männertänze).  Jedenfalls  hat 
VON  Hellwald  Unrecht,  wenn  er  behauptet,  dass  erst  die  Männer  allein  auftreten,  dann 
die  Frauen  bescheiden  mitwirken,  darauf  auch  ihre  eigenen  Tänze  haben,  und  erst  endlich 
die  beiden  Geschlechter  zusammentanzen.  Das  in  Indonesien  gesammelte  Material  wenigstens 
liesse  eher  auf  eine  umgekehrte  Folge  schliessen. 

Eine  letzte  Frage  bleibt  noch  zu  beantworten.  Gibt  es  eine  Beziehung  zwischen  dem 
Anteil  der  Geschlechter  am  Tanze  und  dem  Anteil  am  wirtschaftlichen,  religiösen  und 
sozialen  Leben? 

In  Verbindung  mit  der  „surplus  of  vigour"  Theorie  könnte  man  da  die  meisten  Man- 


—  223  — 

nertânze  erwarten,  wo  die  Frauen  die  grösste  Arbeit  leisten,  und  es  Hessen  sich  leicht 
Beispiele  auffinden,  um  diese  Theorie  zu  beweisen.  Aber  die  Frauen  von  Zentral-Sumatra, 
SQd-Celebes  und  Borneo  zeigen  uns,  dass  man  die  meiste  und  schwerste  Arbeit  verrichten 
und  doch  noch  Lust  und  Zeit  finden  kann  zum  Tanzen.  Näher  läge  der  Gedanke,  dass  die 
Stellung,  welche  die  Frau  im  sozialen  und  im  religiösen  Leben  des  Stammes  einnimmt, 
ihren  Anteil  am  Tanze  bestimmte. 

Einige  Beispiele  mögen  dies  erläutern. 

Auf  Savu  (Kl.  S.)  verrichten  die  Männer  gar  keine  Arbeit;  in  früheren  Zeiten  immer 
im  Krieg,  haben  sie  jetzt  nichts  zu  tun,  und  laufen  den  ganzen  Tag  müssig  umher. 

Die  Frauen  dagegen  besorgen  alle  Arbeit.  Jedoch  ist  ihre  Stellung  absolut  unabhängig: 
sie  treiben  selbständig  Handel  und  ziehen  oft  mit  in  den  Krieg  (Treffer  M.  N.  Z.  G.  1875). 
Beim  pedoa,  einem  Gesangsreigen,  bei  jedem  Vollmond  ausgeführt,  tanzen  sowohl  Männer 
als  Frauen,  sowohl  Knaben  als  Mädchen  mit.  Der  pedoa  hat  vielleicht  einen  religiösen 
Hintergrund,  da  während  dessen  Ausführung  weder  gegessen  noch  getrunken  werden  darf 
(Kl.  S.  1). 

Auf  Sumba  besteht  nach  Wielinoa  ein  Gegensatz  zwischen  dem  östlichen  und  dem 
westlichen  Teil.  Hier  sind  Rhythmus  und  Bewegung  des  Tanzes  monotoner,  weniger  kräftig 
als  dort.  Auch  sind  im  Westen  keine  Frauen  anwesend,  während  diese  in  OstSumba überall 
voran  sind.  „Hier  im  Westen",  sagt  Wielinga  „ist  die  Stellung  der  Frau  nicht  so  hoch. 
Dies  steht  im  Zusammenhang  mit  der  Lebensart,  nomadisch  oder  Ackerbau  treibend.  Auch 
das  Sklavenhalten  hat  Einfluss  auf  die  Stellung  der  Frau". 

Bei  den  Tugeri  (N.  G.)  werden  die  Frauen  ganz  als  Sklaven  behandelt.  Sie  verrichten 
alle  Arbeit,  können  verkauft,  ja  sogar  vermietet  werden.  Kapt.  Bik  sah  in  einem  Tanz, 
dem  er  beiwohnte,  hier  nur  Männer  tanzen  (N.  G.  13:  1904). 

NiEüWEXHüis  zeigt  uns,  wie  bei  verschiedenen  Dajakstämmen  die  Stellung  der  Frau, 
obwohl  sie  meistens  mehr  arbeitet,  als  der  Mann,  eine  hohe  ist,  so  dass  wir  uns  nicht  zu 
wundem  brauchen,  wenn  sie  in  verschiedenen  Tänzen  neben  dem  Manne  auftritt.  Auch 
J.  Brooke  weist  auf  die  hohe  Stellung  der  Frau  in  Serawak  hin.  Wo  die  Frau,  wie  bei 
den  Toradja,  die  meisten  religiösen  Zeremonien  leitet,  oder  wie  bei  den  Bugi  und  Dajak 
als  Schamanin  oder  als  Priesterin  auftreten  kann,  ist  ihr  Anteil  am  Tanze  selbstverständlich 
ein  grösserer  als  bei  Völkern  (rp.  Atjeher,  Gajo,  Javaner),  bei  denen  die  Religion  die  Frau 
in  den  Hintergrund  stellt.  Hier  tritt  sie  dann  auch  nur  auf  als  Lusttänzerin  zum  Ver- 
gnügen der  Männer.  Dass  sie  jedoch  auch  in  dieser  Funktion  Reste  ihrer  früheren  rituellen 
Bedeutung  zeigt,  werden  wir  im  nächsten  Kapitel  sehen. 

Unsere  Untersuchungen  haben  keine  weittragenden  Ergebnisse  geliefert,  keine  bedeut- 
samen Theorien  aufzustellen  vermocht. 

Nur  eines  kann  man  sagen:  Wo  die  nüchterne,  induktive  Verwendung  des  grössten 
Teils  der  Gesaratliteratur  eines  bestimmten  Gebietes  so  unsichere  Resultate  gibt,  ist  jedes 
allgemeine  Urteil,  ohne  Beweise  und  ohne  genügenden  Tatsachen  ausgesprochen,  völlig 
zwecklos. 

Der  Gefechtstanz. 

Im  ersten  Kapitel  wurde  schon  darauf  hingewiesen,  wie  in  der  Literatur  derselbe  Tanz 
mit  den  verschieilensten  Namen  angedeutet  wird.  Da  sahen  wir,  dass  dasselbe  rhythmische 


—  224  — 

Waffenspiel,  bald  Schein-  oder  Säbelgefecht,  bald  Kriegs-  oder  Waffentanz  genannt  wurde. 
Wir  schlugen  da  den  Namen  Gefechtstanz  vor,  der  das  rhythmische  Element  andeutet,  und 
zugleich  eine  gewisse  Intensität  hervorhebt,  die  durch  den  Namen  „Waffentanz"  nicht  ge- 
nügend zur  Geltung  kommt. 

In  diesem  Kapitel  wird  sich  zeigen,  dass  alle  anderen  Namen  entweder  ungenügend 
den  Charakter  dieses  Tanzes  ausdrücken,  oder  —  wie  das  bei  den  Namen  „Kriegstanz"  der 
Fall  ist  —,  eine  Beziehung  andeuten,  die  nicht  immer  besteht,  oder  bestanden  hat.  Aber 
auch  umgekehrt  muss  derselbe  Name  so  viele  verschiedene  Schattierungen  ausdrücken, 
dass  man  das  Bedürfnis  der  Reisenden  nach  anderen  Worten  begreift. 

Wenn  irgend  ein  Tanz,  dann  ist  es  gerade  der  Gefechtstanz,  der  bei  allen  möglichen 
Gelegenheiten,  in  allen  möglichen  Formen,  von  allen  möglichen  Menschen  ausgeführt-  wird, 
so  dass  eine  nähere  Andeutung  wirklich  kein  Pleonasmus  ist. 

Seine  Behandlung  ist  deshalb  interessant,  weil  er  mit  verschiedenen  ethnologischen 
Problemen  verknüpft  ist.  Wir  werden  uns  als  nächste  Aufgabe  stellen,  zu  untersuchen, 
wo  der  Gefechtstanz  im  malaiischen  Archipel  auftritt,  in  welcher  Gestalt,  aus  welchen 
Gründen,  in  welcher  Beziehung  zu  anderen  religiösen  und  sozialen  Erscheinungen,  und  dann 
hieraus  den  vermutlichen  Werdegang  seiner  Entwicklung  andeuten. 

I.  Reine  Gefechtstänze,  Schwerttänze,  Waffentänze,  musicals  drills,  Kampfspiel,  oder  wie 
sie  sonst  in  der  Literatur  heissen  mögen  —  ausgeführt  nur  aus  militärischen  und  gymnas- 
tischen Gründen,  oder  rein  nur  zum  Vergnügen  der  Spielenden  und  der  Zuschauer  — 
kommen  im  indischen  Archipel  viel  vor.  In  vielen  Berichten  aber  wird  nicht  gemeldet  zu 
welchem  Zwecke  der  Tanz  stattfindet,   so  dass  oft  die  Möglichkeit  übrig  bleibt,  dass  der 

Gefechtstanz  hier  eine  zeremonielle  Bedeutung  hat.  Wenn  nur  gemeldet  wird  :  „die 

kennen  einen  Kriegstanz",  oder:  „Hier  sahen  wir  einen  Waffentanz  ausführen",  kann  man 
unmöglich  feststellen,  ob  das  militärisch  gymnastische  oder  das  religiöse  Element  überwiegt. 
Denn  wie  wir  nachher  sehen  werden,  haben  die  meisten  „Kriegstänze"  mit  Krieg  und  mit 
militärischen  Vorgängen  überhaupt  nichts  zu  tun. 

Sumatra. 

Fehe  sagt,  dass  auf  Nias  bei  einem  Feste  die  jungen  Burschen  im  Fechten  mit  Lanze, 
Schild  und  Messer  sich  üben.  „Sie  stossen  mit  ihren  langen  Messern  in  der  Luft  herum,  indem 
sie  dazu  mit  lauter  Stimme  hian,  hian  rufen  und  schreien".  Warum  gerade  bei  dieser 
Gelegenheit  die  Burschen  „sich  üben",  was  doch  ebenso  gut  an  anderen  Tagen  geschehen 
könnte,  meldet  Fehr  nicht.  Hier  ist  jedenfalls  das  Waffenspiel  mehr  als  blosse  Uebung  (1). 

Von  Rosenberg  erwähnt  einen  derartigen  Tanz,  der  von  einem  eintönigem  Gesang  be- 
gleitet wurde,  welcher  jedesmal  in  einem  schrillen  Schrei  endete,  und  wozu  mit  der  platten 
Fläche  des  Fusses  der  Takt  geschlagen  wurde.  Hier  kämpften  die  Mittanzenden  paarweise  (2). 

Von  Engano  berichtet  V.  R.  :  „Die  Spiegelgefechte  werden  von  Jünglingen  mit  hölzernen 
Lanzen  ausgeführt"  (3). 

Bei  den  Menangkabau  Malayen  treffen  wir  3  Arten  Gefechtstänze  an  (v.  Hasselt)  :  eine  mit 
Dolchen  (mamantjaq),  eine  mit  Schwertern  (bagajueng)  und  eine  ohne  Waffen  (basile)  (4—6). 

Maass  sah  in  Langki  (Batang  Hari)  einen  Dolchtanz  (tari  sewar),  der  offenbar  nur  zur 
Belustigung  diente:  „Zuerst  tritt  eine  Person  auf,  später  zwei  Personen,  die  nach  den 
Klängen  der  Musik  tanzen  und  dabei  mit  einander  fechten  ;  je  schneller  dies  ausgeführt 
wird,  desto  grösser  ist  der  Effekt"  (7). 


4 


—  225  — 

Von  den  Kuantan-  und  Kampar-Ländera  sagt  er:  „War  Krieg  ausgebrochen,  so  wurde 

ein   Kriegstanz  mit  allen  Wafifen ausgeführt.  Bei  dem  letzten  Kriege  jedoch 

konnten  sie  sich  durch  Kriegstänze  nicht  mehr  begeistern,  da  sie  zu  früh  von  ihren  Gegnern 
überrascht  wurden,  aber  sie  führten  alle  Instrumente  mit"  (8). 

Bortieo. 

Spenser  St.  John  sah  in  Serawak  einen  Schwerttanz,  bei  welchem  einer  der  beiden  Dajak 
als  Malaie  gekleidet  war.  In  ihrem  Tanz  stellten  sie  eine  KopQagd  dar,  die  mit  dem  Siege 
des  Dajak  endete,  der,  als  er  den  Kopf  des  gefallenen  Gegners  abhauen  wollte,  entdeckte, 

dass  er  seinen  Freund  erschlagen  hatte „on  looking  attentively,  he  found  he  had 

killed  a  friend,   and  showed  signs  of  much  grief.  With  a  measured  tread,  he  again  drew 

near  the   l)ody  and   pretended   to  restore   the  head "  Hier  hat  man  es  offenbar  mit 

einem  dramatischen  Gefechtstanz  zu  tun  (9). 

Bei  den  Baram-Kayan  sah  er  einen  Häuptling  einen  „Schwerttanz"  aufführen,  der  den 
Charakter  des  Volkes  ausdrückte,  „quick  and  vigourous  motions,  showing  to  advantage  the 
development  of  his  muscles"  (10). 

Einen  ähnlichen  dramatischen  Tanz  wie  Sp.  St.  John  sah  von  Basel  an  der  Westküste 
Borneo's.  Die  Tänzer  stellten  zwei  Raubvögel  vor,  die  sich  um  einen  abgehauenen  Kopf 
stritten  (hier  eine  Kokosnuss,  in  früheren  Zeiten  ein  wirklicher  Kopf)  (11). 

Wir  erwähnten  schon  den  —  von  H.  Keppel  —  beobachteten  wilden  Gefechtstanz  eines 
Illanus,  der  damit  endete,  dass  der  Tänzer  in  Ohnmacht  fiel. 

Ei)W.  GoMES,  der  mit  grosser  Liebe  und  Kenntnis  das  Leben  der  Sea-Dayaks  beschreibt, 
erklärt  den  Unterschied  zwischen  Schwerttanz  und  Kriegstanz,  den  beiden  Dajaktänzen. 
Der  erste  ist  ein  aesthetisch-gymnastischer  also  ein  lyrischer,  der  zweite  ein  epischer  Tanz. 

„The  main  idea  of  this  sword  dance  seems  to  be  the  posturing  of  indifferent  attitudes, 
and  not  so  much  the  skill  displaged  in  fencing.  Those  are  the  best  dancers  who,  according 
to  Dyak  ideas  are  the  most  graceful  in  their  movements.  I  have  often  watched  a  Dyak 
sword  dance,  where  neither  has  touchetl  the  other  with  his  sword." Die  ganze  Vor- 
stellung beim  Licht  der  Fackeln  und  dem  Klang  der  Trommeln  und  der  gongs  (enkrumang) 
nennt  er  „a  weird  and  striking  scene". 

Der  Kriegstanz  (ajat)  wird  von  einem  Manne  ausgeführt.  „He  acts  in  pantomime,  what 
is  done  when  on  the  warpath.  Sometimes  the  dance  ends  tvith  the  defeat  and  the  death 
of  the  dancer". 

Das  Tempo  der  Musik  ist  bei  dem  Schwerttanz  langsamer  als  bei  dem  Kriegstanz. 

HosK  und  Mc  Docoall  erwähnen  einen  epischen  Waffentanz,  in  welchem  die  Heimkehr 
von  der  Kopfjagd  dargestellt  wird.  „This  is  a  musical  march  rather  than  a  dance.  A  party 
of  young  men  in  full  wardress  form  up  in  single  line;  the  leader  plays  the  battlemarch 
on  the  keluri.  The  line  advances  slowly  up  the  gallery,  each  man  turning  half  about  at 

every   third  step the   turning  symbolises  the  alert  guarding  of  the  heads  which  are 

supposed  to  be  carried  by  the  victorious  warriors".  Weil  hier  alle  denselben  Akt  darstellen, 
hat  man  es  mit  einem  epischen  Waffentanz  zu  tun.  H.  and  Mc.  D.  sagen,  dass  der 
Kriegstanz  von  ein  oder  zwei  Männern  ausgeführt  wird.  Die  Alteren  unterrichten  hierin 
die  Jungem  und  achten  immer  darauf,  diese  nie  zu  treffen,  aus  Furcht  vor  Magie.  Viel- 
leicht könnte  dies  auch  der  Grund  sein,   weshalb   man   in   dem   von   Gomes   erwähnten 


—  226  — 


Schwerttanz  einander  nie  berührt.  Dann  wäre  dieser  Tanz  ja  mehr  kriegerisch  als  Gomes  denkt. 
Bei  den  Kenja  wird  —  nach  Nieuwenhuis  —  der  Schwerttanz  (kenja)  beinahe  stets 
nur  von  einem  Manne  ausgeführt,  immer  nach  der  Melodie  der  kledi.  „Auch  dienen  die 
Schwerttänze  zur  Darstellung  irgend  eines  Vorfalles  aus  dem  Kriegs-  oder  Alltagsleben 
(Sähen,  Mähen,  Jagen  u.  s.  w.).  Mit  dem  Sinn  des  Tanzes  verändert  sich  auch  stets  die  aut 
dem  kledi  gespielte  Melodie".  Hier  ist  dieser  Waffentanz  also  lyrisch  oder  episch. 

Celebes. 

Matthes  nennt  für  Süd-Celebes  drei  fremde  Kriegstänze,  zwei  aus  den  Molukken, 
einen  von  Madura  herkommend  (17—19).  In  der  Minahassa  führt  man  bei  dem  kabesaran 
einen  Gefechtstanz  aus,  wobei  nach  einem  imaginären  oder  nachgeahmten  Tiere  gestossen 
wird.  Verschiedene  Besonderheiten  deuten  hier  auf  einen  sehr  alten  Tanz  (20). 

Sarasin  erzählt  von  einem  Kriegstanz  der  Toradja,  der  ziemlich  wild  war.  Der  Beschrei- 
bung nach,  scheint  dieser  Tanz  nur  lyrischer  Art  zu  sein,  nur  Kampflust  auszudrücken  (21). 

Adeiani  und  Kbuyt  erzählen,  wie  nach  einer  Kopfjagd  ein  Kriegsgesang  {ento)  gesungen 
wird,  worin  die  ganze  Jagd  beschrieben  wird.  Die  Beschreibung  ist  zu  ungenau,  um  aus- 
zufinden,  ob  es  sich  um  einen  Gesangsreigen  oder  einen  anderen  Tanz  handelt.  Das  dra- 
matische Element  scheint  jedenfalls  mehr  durch  "Wörter  als  durch  Bewegungen  ausgedrückt 
zu  werden,  und  ein  Waffentanz  scheint  es  nicht  zu  sein  (22). 

Molukken. 

Auf  den  Luang-Sermata  Inseln  finden  nach  Riedel  selten  mehr  Kriegstänze  statt,  aul 
Letti  nur  noch  während  des  Krieges  (23). 

Auf  Tenimber  soll  das  Lieblingsspiel  der  jungen  Männer  eine  Art  Kriegstanz  sein  mit 
Schwert  und  Schild  (resasanasan)  (24),  und  ein  Kriegssplel  {rovlcUia  mawaian)  (25),  den 
Unterschied  deutet  er  nicht  an.  Auf  Wetter  führt  man  nach  einer  gelungenen  Kopfjagd  einen 
Kriegstanz  mit  Gesang  auf  (26).  In  Ceram  führen  junge  Männer  einen  Waffentanz,  den 
menari  parisi  auf,  wobei  die  Vortänzer  sich  zwischen  den  beiden  Reihen  der  anderen  Tänzer 
bewegen  (27). 

Ludeking  sah  in  Elpa-poetih  (Ceram)  einen  alfurischen  Kopfjägertanz,  worin  die  Kopf- 
jagd dramatisch  dargestellt  wurde  (28).  Joest  beschreibt  den  jakalele  (Waffentanz)  auf  Ceram. 
In  den  Kämpfen  gegen  die  Holländer  sollen  die  Eingeborenen,  diesen  jakalele  tanzend,  dem 
Feind  entgegengezogen  sein  (29). 

Sachse  sagt,  dass  der  kahmca,  jetzt  ein  Zweigeschlechtertanz,  ursprünglich  ein  Kriegs- 
tanz war,  nach  einer  Kopfjagd.  Jetzt  werden  in  einer  veralteten  Sprache  die  alten  Jagdzüge 
besungen.  Hier  tritt  das  commemorative  Element  (Hirn)  auf.  Alte  Frauen  sind  meistens 
Vorsängerinnen  (30). 

Kleine  Sunda  Inseln. 

Roos  erwähnt  für  Sumba  einige  Waffenspiele.  Hangelbroek  gibt  eine  bessere  Beschrei- 
bung derselben  (siehe  Kap.  III)  (31—84).  Auf  Surabawa  nennt  Ligtvoet  das  bakaratji- 
Spiel,  ein  Gefecht  mit  Stöcken  (Tanz?)  (35).     • 


—  227  — 
Java, 

R.  V.  Eck  nennt  für  Java  nachfolgende  Spiele,  wobei  er  nicht  immer  das  rhythmische 
oder  musikalische  Element  erwähnt,  so  dass  wir  von  ihm  nicht  wissen,  inwieweit  es  sich 
um  Tänze  handelt: 

den  beksan,  ein  Scheingefecht  von  Knaben  (36). 

den  mentja,  Fechten  mit  Musik  und  Tanz  (37). 

den  senetian,  ein  Reitergefecht  (88). 

den  rejog,  eine  Parodie  des  senetian,  ein  clown  auf  einem  geflochtenem  Pferde  reitend 
(Mimus?)  (39). 

den  gdutan,  ein  Ringspiel  (40). 

den  ndjungnn,  ein  Kampfspiel  mit  Stöcken.  Unzweifelhafte  Gefechtstänze  sind  die  von 
Gboncman  genannten  Tanze  in  Jogja  (41). 

den  beksan,  einen  dramatischen  Kriegstanz,  nach  einer  Legende  des  wajang  (42). 

den  Truna  Djaja,  einen  Kriegstanz  von  Madura,  bei  fürstlichen  Hochzeiten  getanzt  (43). 

Wir  haben  hiermit  fast  alle  Gefechts-  und  "Waffentänze  aus  den  im  Literatur- Ver- 
zeichnis genannten  Werken  aufgezahlt,  bei  denen  das  religiöse  oder  halb-religiöse  Moment 
nicht  erwähnt  wird.  Untersuchen  wir  jetzt  die  Tänze,  bei  denen  dies  wohl  der  Fall  ist. 

Man  kann  sie  in  zwei  Gruppen  verteilen. 

IIa  Tänze,  von  Priestern  oder  Schamanen  ausgeführt  mit  offenbar  religiösem  Zweck. 

116  Tanze,  von  Laien  ausgeführt. 

1.  wob<'i  der  religiöse  Zweck  in  den  betreffenden  Berichten  angedeutet  wird. 

2.  wobei  er  aus  Details  in  der  Beschreibung  vermutet  werden  darf. 

na.  Bei  den  Sakai  (0.  Sumatra)  werden  bei  einer  Krankheit  die  bösen  Geister  durch 
zwei  Schamanen  (kemanten)  vertrieben,  die,  bewaffnet  mit  Schwert,  Bogen  und  Pfeil,  einen 
ekstatischen  Waffentänz  aufführen.  „Es  scheint,  dass  in  früheren  Zeiten  das  Amt  der 
Geisterbeschwörung  bei  Krankheiten  von  der  gesammten  Jünglingsschaft  eines  Dorfes  aus- 
geführt wurde"  (Mozkowsky)  (44). 

Bei  den  (Kenja)  Borneo  tanzen  auch  die  Priester  den  Schwerttanz  zur  Vertreibung 
böser  Geister,  und  zwar  unter  Begleitung  der  Gongs,  nicht  der  kledi,  wie  beim  profanen 
Schwerttanz  (46).  Bei  den  Kenja  ist  die  Guitarre  (sape)  das  begleitende  Instrument  der 
Männer-  und  Frauentänze,  die  kledi  das  Instrument  der  von  den  Männern  ausgeführten 
Waffentânze.  Die  Kajan  begleiten  den  Geistertanz  (Maskentanz)  beim  Saatfest  mit  Gongs. 
Hier  scheint  also  der  Gong  das  ältere,  mehr  zeremonielle  Instrument  zu  sein,  was  sein 
Auftreten  beim  Priestertanz  der  Kenja  erklärte. 

Der  Glanzpunkt  des  Neujahrfestes  bei  den  Kajan  bildet  die  Opferung  der  Schweine. 
Sämtliche  Priesterinnen  tanzen  hierbei  um  das  Opfergerüst  und  deuten  den  Geistern  droben 
das  Darbringen  der  Opfer  an,  während  zu  beiden  Seiten  zwei  mit  Schwertern  bewaffnete 
Priester  zur  Abwehr  böser  Geister  Kriegstänze  aufführen  (Nieüwenhüis).  Die  Priesterinnen 
tragen  den  Kriegsmantel  aus  Pantherfell  und  die  Kriegsmütze.  „Sie  zeigen  viel  Individua- 
lität beim  Tanze  und  nach  der  Art  seiner  Aufführung  Hess  sich  die  Höhe  der  priesterlichen 
Entwicklung  bemessen."  Zwei  Tatsachen  sind  hier  bemerkenswert:  der  Kriegsschmuck  der 
Priesterinnen,  und  die  Schätzung  des  Tanzes  für  religiöse  Zwecke  (46). 

Bei  der  ofiBziellen  Schlussfoier  des  Festes  führten  Priester  und  Priesterinnen  einen 
I.  A.  f.  E.  Bd.  XXIII.  30 


—  228  — 

Gefechtstanz  auf.  „Mit  Kriegsmantel  und  Kriegsmütze  geschmückt,  umkreiste  Usun  (die 
älteste  Priesterin)  etliche  Male  tanzend  den  Fuss  des  dangei  (Opfergerüst)  und  führte  mit 
ihrem  alten  Schwerte  Bewegungen  aus,  als  wollte  sie  deu  ganzen  dangei  gen  Himmel 
heben.  Die  übrigen  Priesterinnen,  von  denen  die  ältesten  wie  die  männlichen  mit  Speeren 
bewaffnet   waren,    wehrten    die    bösen   Geister  ab,   die   ihre   Handlungen   stören  könnten" 

(NiEÜWENHUIS)    (47). 

Die  Priesterinnen  auf  Süd-Celebes,  die  bissu,  führen,  mit  hölzernen  Schwertern  und 
Schilden  bewaffnet,  Gefechtstänze  aus  um  ein  kleines  Häuschen,  worin  ein  anderer  bissu 
die  guten  Geister  lockt  (Matthes).  Vielleicht  dienen  hier  die  Gefechtstänze  zur  Abwehr 
der  bösen  Geister.  Auch  führen  die  bissu  bei  einem  Opferfest  Waffentänze  aus  um  das 
Opfertier  (48). 

Wir  erwähnten  schon  einen  Gefechtstanz,  den  die  bissu  auf  Muten  aufführten  um 
die  bösen  Geister  zu  bekämpfen  bei  einem  Beschwörungsfest.  Die  bissu  wurden  erst  durch 
Weihrauch  und  Musik  in  Ekstase  gebracht,  vielen  dann  in  Ohnmacht  nieder,  standen 
wieder  auf  wie  erwacht,  und  schmückten  sich  dann  mit  einem  goldenen  Gürtel,  einem 
Dolch  und  dem  eigenartigen  Kopfschmuck  von  zwei  Hörnchen,  der  an  den  der  Vorfechter 
in  Central  Celebes  erinnert,.  Hier  findet  sich  also  wieder  ein  vielfacher  Zusammenhang  von 
Kriegstanz  und  religiöser  Zeremonie  (49). 

Bei  dem  m omparüangka-F est  führen  die  Frauen,  die  hierbei  zu  Priesterinnen  geweiht 
werden,  einen  Tanz  (motaro)  auf,  der  in  eleganteren  Formen  die  Bewegungen  eines  Schein- 
gefechtes darstellt.  Priesterinnen  mit  Speeren  tanzen  vor,  und  die  Frauen  sind  mit  Schwer- 
tern, Dracaenablättern  und  Schilden  bewaffnet.  Das  ganze  ist  ein  Kampf  mit  den  Geistern 
und  bildet  zugleich  den  schönsten  der  Toradja-Tänze  (Adriani  u.  Kbüyt)  (50).  Beim  Toten- 
fest führen  Priester  mit  Schwert  und  Schild  sieben  Rundgänge  um  den  Katafalk  aus. 

Obwohl  nicht  erwähnt,  wird  der  Zweck  auch  hier  sein  :  Abwehr  der  bösen  Geister  (51). 

II  ö.  Zahlreicher  noch  wie  die  Gefechtstänze  der  Priester  sind  diejenigen  der  Laien, 
die  mit  Geisterbeschwörung  im  Zusammenhang  stehen,  oder  von  denen  man  dieses 
vermutet. 

Die  Batak  opfern  beim  Totenfest  einen  Büffel,  und  während  dieser  getötet  wird,  fuhren 
die  Vorfechter  einen  Tanz  aus  (V.  Rosenberg)  (52). 

In  Atjeh  zieht  bei  verschiedenen  festlichen  Gelegenheiten  die  gesamte  männUche  Be- 
völkerung eines  Dorfes  derjenigen  eines  benachbarten  Dorfes  entgegen.  Alle  sind  bewafl&iet 
mit  Zuckerrohrstöcken,  woran  Blätter  oder  Fähnchen  flattern  und  bei  der  Begegenung  wird 
unter  lautem  Geschrei  getanzt.  Ein  paar  Fechter  treten  nach  vorn  und  führen  ein  Schein- 
gefecht aus  (Sn.  H.)  (53). 

Jacobs,  denselben  Tanz  (alangan)  beschreibend,  sagt,  dass  die  Männer  und  die  Knaben 
mit  Bambussäbeln  oder  Stöcken  wild  darauflos  hauen,  ohne  aber  einen  zu  treffen.  Es  ist 
ein  toller  Tanz,  der  durch  die  Abwesenheit  der  mohammedanischen  Priester,  durch  das 
Opferaiahl  und  den  gelben  Opferreis  seine  heidnische  Herkunft  verrät. 

Die  Kajan  (Borneo)  ahmen  bei  ihren  Maskentänzen,  die  alle  religiöser  Herkunft  sind, 
auch  Kriegstänze  nach.  Die  Maskierten  stellen  alle  böse  Geister  dar.  Bei  den  Erntefesten 
werden  Solo-  und  Chortänze  ausgeführt.  Die  Solotänze  sind  meistens  komische  Nachahmungen 
von  Tierbewegungen.  Die  Chortänze  scheinen  alle,  der  Beschreibung  nach,  Gefechtstänze  zu 
sein  (54). 


—  229  — 

Der  lupa  gleicht  dem  Tanz  bei  der  Heimkehr  vom  Krieg.  Der  kajo  wird  ausgeführt 
von  Frauen  in  Kriegsrüstung,  die  einen  Angriff  bei  einer  KopQagd  darstellen.  Einige  Tage 
nach  der  Heimkehr  der  Kopfjäger  werden  die  Köpfe  mit  vielem  Zeremoniell  ins  Haus  ge- 
tragen. Hier  fahren  die  Frauen  einen  wilden  Tanz  auf  mit  den  Köpfen  und  singen  dabei 
den  Kriegsgesang  der  Männer  (55). 

Beim  Totenfest  der  Toradja  (Celebes)  wrd  von  einigen  Männern  bei  den  Gräbern  ein 
Scheingefecht  ausgeführt,  um  die  Geister  abzuwehren,  die  die  Toten  bedrohen  (56). 

Alle  Männer  und  Frauen,  die  helfen  beim  Herausgraben  der  Gebeine,  sind  mit  Dracaena- 
blftttem  bewaffnet,  die  Schild  und  Schwert  vorstellen  sollen  (Krüyt)  (57). 

Der  Missionar  Wier.sma  empörte  sich  über  8  bunt  gekleidete  Männer,  die  bei  dem 
Begräbnis  eines  christlichen  Häuptlings  in  der  Minahassa  mit  hölzernen  Degen  nach  dem 
Takt  der  Musik  allerlei  Sprünge  machten.  Hier  handelt  es  sich  vermutlich  um  ein  survival 
eines  alten  Geisterbeschwörungstanzes  (58). 

Riedel  sagt,  dass  der  Kriegstanz,  den  die  masawals  nach  einer  Bestattung  aufführen 
(siehe  Kap.  II  Celebes)  dient,  „um  der  Seele,  falls  sie  sich  noch  nicht  entfernt  hat,  Furcht 
einzuflöaeen,  damit  sie  nicht  zurückkomme"  (59). 

Wir  erwähnten  schon  den  motaro  der  Toradja,  wobei  neben  den  Priesterinnen  auch 
die  anderen  Frauen  bewaffnet  auftreten  (60). 

In  Süd-Celebes  sah  Harrebomée  bei  einem  Feste  zur  Beschwörung  der  Cholera  einen 
Gefechtstanz  um  den  Opferplatz  ausführen.  Die  Beschwörung  lässt  an  bissu  denken  (siehe 
Kap.  I)  (61). 

Der  Kriegstanz,  den  die  Männer  auf  Halmaheira  beim  Knochenfest  aufführen,  könnte 
ebenso  gut  ein  lyrischer  Freudentanz  als  ein  Tanz  zur  Bekämpfung  der  Geister  sein:  Van 
Baarda's  Bemerkung  „man  tut  als  ob  man  ein  ganzes  Heer  von  Feinden  bekämpfen  muss", 
spricht  etwas  für  die  zweite  Auffassung,  wie  auch  die  Angabe  anderer  Einzelheiten  (das 
Tanzen  geschieht  um  einen  aufgerichteten  Pfal;  man  tanzt  nacheinander  und  gibt  seinem 
Nachfolger  Schild  und  Schwert).  Sehr  klar  ist  die  Beschreibung  nicht  (02). 

In  Saparua  wird  der  neue  Regent  mit  tjakaiele  (Kriegstanz)  empfangen  (63).  Wenn 
ein  neues  baileo  (Mannerhaus)  gebaut  wird,  kommt,  bevor  das  Dach  gelegt  wird,  das  ganze 
Dorf  zusammen  und  wenlen  Kriegstanze  aufgeführt.  „In  früheren  Zeiten"  sagt  V.  Schmid, 
dem  wir  diesen  Bericht  verdanken,  „spielten  die  Priester  dabei  eine  grosse  Rolle".  Die 
selben  beiden  Motive  für  Gefechtstänze  finden  wir  in  einer  Reisebeschreibung  von  Barche- 
wrrz  (1730),  die  wir  schon  im  ersten  Kapitel  erwähnten  (siehe  Letti).  Wenn  auch  B.  dachte, 
dass  dies  alles  ,Zur  Lust  und  Staat"  geschehe,  so  ist  eine  beabsichtigte  Geisterbeschwörung 
gar  nicht  ausgeschlossen  (64).  Der  tjakaiele,  den  ein  Witwer  auf  Halmaheira  um  das  Haus 
tanzen  muss,  in  dem  die  Leiche  seiner  Frau  liegt,  steht  auch  sehr  wahrscheinlich  mit  Geister- 
beschwörung in  Beziehung  (65).  Bei  der  Einweihung  eines  „Tempels"  wird  von  20  jungen 
Leuten,  die  zu  „Helden"  gemacht  werden  (Mitglieder  eines  Geheimbundes?),  ein  „Kriegstanz" 
aafgefObrt  (Ben  ütr.  Z.  1001  s.  162)  (66).  Ein  tjakaiele  auf  Ceram,  beim  Empfang  des 
Residenten  getanzt,  erinnerte  Martin  durch  Kleidung  und  Schmuck  daran,  dass  er  sich  an 
einer  der  Ursprungsstätten  dieses  Tanzes  befand  (67). 

Eine  der  „funeral  ceremonies"  die  Haddon  für  die  Torres-Strasse  beschreibt,  bestand 
aus  einem  Tanz  von  3  Männern,  von  welchen  zwei  mit  Pfeil  und  Bogen  bewaffnet  waren, 
und  der  dritte  als  Frau  verkleidet  —  mit  zwei  Besen.  Alle  trugen  Blättermasken,  damit  die 
in  einer  gewissen  Distanz  zuschauenden  Frauen  die  Tanzenden  nicht  erkennen  konnten.  Alle 


—  230  — 

diese  Umstände  geben  Anlass  zu  der  Vermutung,  dass  es  sich  hier  um  einen  "Waffentanz 
gegen  Geister  handelt  (68).  Martin  sagt,  dass  auf  Saparua  der  tjakalde  der  eigentliche 
Nationaltanz  ist.  Er  wird  aufgeführt,  wenn  ein  höherer  europäischer  Beamte  ein  Dorf  zum 
ersten  Male  besucht.  „Der  Vortänzer  sucht  den  Ankömmling  hierbei  mit  den  Waffen  den 
Eintritt  zu  wehren  und  es  gilt  als  besondere  Ehre,  bei  solchen  Gelegenheiten  lang  aufge- 
halten zu  werden"  (69). 

„Auf  den  Sula-Inseln  dürfen  die  Knaben  nach  der  Beschneidung  den  Boden  nicht  be- 
rühren. Sie  werden  getragen,  während  die  Männer  wild  tanzend  und  schreiend  um  sie  her- 
umspringen. Auch  beim  Hinbegleiten  der  Knaben  führen  die  Männer  einen  Kriegstanz  aut 
(Jansen)  (70). 

Während  der  Verbrennung  eines  toten  Fürsten  auf  Bali  führten  12  als  Soldaten  ver- 
kleidete Männer  einen  Gefechtstanz  auf.  Zwei  Männer  tanzten  schöne,  aber  obscöne  Tänze. 
NiEUWENKAMP  hörte,  dass  dieser  Brauch  aus  der  Zeit  datiere,  als  die  Fürsten  ihre  Leibgarde 
schickten,  um  den  Glanz  der  Zeremonie  zu  erhöhen.  Der  phallische  Charakter  jedoch  weist 
auf  weit  frühere  Zeiten  zurück,  als  weder  Kremation  noch  Hinduismus  auf  Bah  bekannt  waren. 

Van  der  Jagt,  der  40  Jahre  vor  Nieuwenkamp  einer  Verbrennung  beiwohnte,  sagt,  dass 
jeder,  der  dem  verstorbenen  Fürsten  Ehre  erweisen  wolle,  seine  Tänzer,  Tänzerinnen  oder 
Vorfechter  schickt,  die  unter  Gamelangbegleitung  ihre  „krampfhaften,  herausfordernden  Be- 
wegungen ausführen". 

Diese  krampfhaften  Bewegungen  zwingen  einen  an  eine  unnatürliche  Aufregung  zu 
denken.  Das  könnte  darauf  hinweisen,  dass  auch  jetzt  noch  das  geisterbeschwörende  Element 
nicht  verschwunden  zu  sein  braucht  (71). 

Auf  Savu  wird  1  Mal  im  Jahr,  kurz  vor  dem  Anfang  der  Regenzeit,  ein  Scheingefecht 
aufgeführt,  wobei  die  Teilnehmer  mit  Steinen  werfen  und  mit  Schilden  abwehren  (72). 

In  West-Java  gehen  bei  den  festlichen  Prozessionen  (bei  Heirat,  Beschneidung,  Zähne- 
feilen)  immer  angkhmg-S)pie\er  voran.  Der  angklung  besteht  aus  15  Bambusrahmen  mit 
Röhren  und  schüttelnden  Stücken.  Jeder  Spieler  trägt  einen  Rahmen,  die  vordersten  Spieler 
tragen  die  kleinsten,  und  zwar  in  jeder  Hand  einen.  Sie  sind  Vortänzer,  Vorfechter  und 
Kapellmeister  zugleich.  , Diese  Vortänzer  nehmen  abwechsehid  die  Stellung  eines  wütend 
drauf  losschlagenden  Angreifenden  an  und  die  eines  gegen  den  Angriff  sich  Wehrenden, 
während  sie  die  Arme  bewegen,  als  ob  sie  Hiebe  abwehren  und  austeilen"  (J.  27)  (73). 

Bei  langandauernder  Trockenheit  wird  in  Ost-Java  unter  Gamelanbegleitung  ein  Waffen- 
tanz aufgeführt.  Man  ficht  mit  Rotan-Stöcken,  und  ist  sich  bewusst,  dass  alles  nur  Spiel 
ist  (74).  Diese  Waffentänze  finden  auch  bei  Hochzeiten  und  Beschneidungsfesten  statt  (75—76). 
Alles  deutet  hier  auf  einen  religiösen  Ursprung.  Die  Regenvertreiber  tanzen  nicht,  sondern 
bringen  Opfer,  sprechen  Zauberformeln  aus,  und  hauen  mit  Dolchen  in  die  Luft,  um  ein 
drohendes  Gewitter  abzuwehren  (77). 

Bei  einem  Tigergefecht  (rampokj,  das  ich  einmal  in  Java  sah,  wurde  das  Seil,  womit 
die  Käfige  der  Tiger  umwickelt  waren,  unter  Ausführung  eines  Gefechtstanze,  durchge- 
hauen (78).  Hier  —  wie  in  Malakka  —  wo  die  Häuptlinge  um  einen  getötenen  Tiger  einen 
Kriegstanz  ausführen  (Keat.  37),  deutet  die  RoUe,  die  der  Tiger  in  der  animistiscben  Auf- 
fassung spielt,  auf  einen  Beschwörungstanz  hin  (79). 

Ueberblicken  wir  alle  gegebenen  Beispiele  (79),  so  sehen  wir,  dass  die  erste  und  die 
zweite   Gruppe  fast  gleich  viele  Tänze  enthalten  (resp.  43  und  36).  Bleibt  in  dieser  immer 


—  231  — 

die  Möglichkeit  bestehen,  dass  wir  in  einigen  Fällen  einen  religiösen  Untergrund  da  erblickten, 
wo  dieser  nur  zum  Schein  anwesend  war,  in  jener  ist  das  religiöse  Element  jedenfalls  viel 
stärker  als  erwähnt  wird.  Von  sehr  vielen  Tänzen  wird  nur  gesagt,  dass  sie  „Kriegstänze" 
oder  Scheingefechte  seien,  ohne  dass  der  Zweck  oder  die  Herkunft  des  Tanzes  angedeutet 
wird  (N».  3,  4.  5,  6,  17,  19,  23,  24,  25,  35,  36,  37.  38,  40,  41).  Hier  können  genauere 
Berichte  das  Gruppenverhältniss  also  ganz  ändern. 

Von  vielen  anderen  Tänzen,  deren  Ausführung  besser  beschrieben  wird,  kann  man 
mit  ziemlich  grosser  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  sie  zu  religiösen  Zeremonien  in 
Beziehung  gestanden  haben. 

Dies  gilt  erstens  von  den  Waffentänzen,  die  mit  Kopf  Jägerei  im  Zusammenhang  stehen 
(N".  9,  11,  14,  16,  20  und  28  aus  Gruppe  I)  und  zweitens  für  die  Waffentänze,  die  von 
Gesang  begleitet  werden  (N*.  1,  22,  26,  30  und  33).  Da  sie  nur  eine  weitere  Entwicklungs- 
stufe der  direkten  Geisterbeschwörungstänze  bUden,  werden  sie  bei  dieser  Gruppe  behandelt 
werden. 

Lassen  wir  als  zweifelhafte  Fälle  diejenigen  Gefechtstänze  ausser  Betracht,  die  in  der 
Literatur  ungenügend  angedeutet  worden  sind  (N".  3,  4,  5,  u.  s.  w.),  und  ziehen  wir  von 
der  Gruppe  der  scheinbar-militärischen  oder  gymnastischen  Gefechtstänze  die  beiden  oben 
genannten  Kategorien  (Waffentänze  mit  Gesang  und  KopQägoreitänze)  ab,  dann  bleiben 
von  den  33  Fallen  nur  17  übrig,  bei  denen  man  das  religiöse  Element  nicht  nachweisen 
kann.  Betrachten  wir  jetzt  die  zweite  Gruppe,  die  wir  in  zwei  Untergruppen  eingeteilt  haben  : 

a.  Gefechtstanze  von  Priestern, 

b.  Gefechtstänze  von,  Laien. 

Wie  die  Beispiele  (44,  45,  46,  47,  48,  49,  50,  51  und  59)  zeigen,  sind  die  Beschwörungs- 
tänze mit  Waffen  meist  Priestertänze.  Die  eigentlichen  Schamanentänze  werden,  auch  wenn 
sie  dazu  dienen,  die  bösen  Geister  abzuwehren,  meist  ohne  Waffen  ausgeführt.  Nur  ein 
Bericht  erwähnt  einen  Beschwörungstanz,  wobei  die  Schamanen  einen  ekstatischen  Waffen- 
tanz aufführen  (44).  Die  anderen  betreffen  alle  Tänze  von  Priestern,  meist  aber  von  Prieste- 
rinnen, und  zwar  auf  Borneo  und  Celebes.  Dass  gerade  Frauen  so  viel  in  diesen  Beschwö- 
rungstänzen  auftreten,  wie  auch  in  anderen  religiösen  Zeremonien,  könnte  eine  Erklärung 
finden  in  der  geistervertreibenden  Kraft,  die  viele  indonesischen  Völker  der  Frau  zuschreiben. 
Hiermit  steht  wieder  das  Auftreten  von  Männern  in  Travestie-Tänzen  in  Zusammenhang, 
sei  es  in  einfacher  weiblicher  Schambekleidung  (wie  in  N.  Guinea)  oder  in  vollständigem 
Frauenanzug  wie  auf  Borneo.  Dass  allerdings  bei  den  Travestie-Tänzen  auch  weniger  harmlose 
Auffassungen  mitspielen,  (sedatti,  bassir,  bissu,  beksa,  gundrung)  steht  wieder  in  Zusam- 
menhang mit  der  Rolle,  die  Berufstanzer  überall  im  Archipel  spielen,  und  in  der  das 
Tanzen  den  Ueborgang  und  das  gemeinsame  Element  von  Priesterinnen  und  Hetaeren  bildet. 
Kbuyt  hat  in  seiner  Arbeit  „Het  Animisme"  davor  gewarnt,  Schamanen  und  Priester 
mit  einander  zu  verwechseln.  Es  gibt  Völker,  wie  die  Toradja,  die  keine  Schamanen  kennen, 
andere  wie  die  Toba  Battak  und  die  Papua  von  Windessi,  wo  Schamanen  und  Priester  ver- 
schiedene Personen  sind  (resp.  sibasse  und  datu;  inderri  und  konoor).  Bei  den  Dajak,  den 
Batak,  den  Minahassa-Alfuren  ist  er  (oder  sie)  mehr  Priester  als  Schamane,  und  bei  noch 
anderen  Völkern  (Galelaresen  und  Parigier)  ist  das  Priestertum  im  Schamanismus  aufgelöst. 
(Allg.  W.  27). 

Die  abwehrenden  Gefechtetänze  nun  werden  beinah  alle  von  Priestern  getanzt,  tcährend  die 
Schamanen  fast  immer  tanzen,  um  die  Geister  zu  locken.  Deshalb  sind  ihre  Tänze  meistens 


—  232    - 

ekstatisch,  denn  nur  in  der  Ekstase  kann  der  Schamane  sich  als  „beseelt"  gebärden.  Be- 
greiflich wird  es  so  auch,  dass  ihre  Leistungen,  unter  höherer  Spannung  vollbracht,  und  zu 
mehrgestaltigem  Auftreten  Anlass  gebend  (sie  tanzen  die  Rollen  der  verschiedenen  Geister, 
die  in  sie  treten),  eher  zum  Künstlertura  führte  als  bei  den  Priestern,  die  nur  Opfer-  und 
Waffentänze  ausführten  oder  Litaneien  sangen.  So  ist  bei  der  Differenzierung  der  ersten 
einheitlichen  Kunst  der  Schamane  den  Weg  der  dramatischen,  der  Priester  den  der  epischen 
Kunst  gegangen.  So  ist  auf  Java  der  Schamane  Berufstänzer  (oder  Tänzerin)  und  Schauspieler 
geworden  (Wilken,  Alg.  W.  31)  und  der  Priester  Erzähler  der  wajan-Geschichten  (Hazeü  J.  9). 
Endlich  ist  auch  auf  diesem  Weg  zu  erklären,  dass  gerade  die  schönsten  Tänze  des  Archipels, 
der  menari,  der  motaro  und  der  tandak  ursprünglich  Schamanentänze  icaren,  weniger  heilig 
und  deshalb  eher  zum  Vergnügen  geeignet  wie  die  Priestertänze.  Wo  diese  und  (was  fast 
dasselbe  bedeutet)  die  Gefechtstänze  degenerieren,  verraten  sie  immer  noch  ihre  höhere 
Herkunft  durch  den  mehr  zeremoniellen  Zweck,  zu  dem  sie  gebraucht  werden. 

Die  Gefechtstänze,  von  Laien  ausgeführt,  die  uns  jetzt  beschäftigen  müssen,  sind 
dann  auch  meistens  als  degenerierte  oder  wenigstens  abgeschwächte  Priestertänze  aufzu- 
fassen. Geschieht  die  Geisterbeschwörung  kollektiv  und  intensiv  —  wie  bei  Toten-  und 
anderen  Opferfesten  —  so  ist  der  Priester  da,  um  sie  auszuführen,  oft  unter  Beihilfe 
von  Laien. 

Warneck  sagt,  dass  beim  Büffelopfer  der  Battak  erst  der  Priester  (datu),  dann  Frauen 
und  Männer  tanzen.  Er  erwähnt  nicht,  ob  sie  einen  Waffentanz  ausführen,  sagt  aber  wohl, 
dass  der  Büffel  gespiesst  wird.  Nach  Van  Rosenberg  führen  während  des  Opfers  die  Vor- 
fechter einen  Tanz  aus.  Beide  Berichte  kombinierend,  kann  man  annehmen,  dass  man  es 
hier  mit  einem  Gefechtstanz  zu  tun  habe,  wo  jedenfalls  Priester  mittanzen. 

Perelaer  berichtet,  wie  die  Menschen-  und  Büffelopfer  beim  tiwah  (Toten)-Fest  der 
Dajak  unter  Tanz  und  Gesang  der  Priester  und  Männer  gemartert  wurden.  Wenn  man 
dann  bei  Ullmann  liest,  wie  leidenschaftlich  dies  Martern  geschieht,  kann  man  sich  es  nicht 
ohne  Waffen  denken,  und  findet  man  auch  hier,  wie  abscheulich  der  ganze  Vorgang  auch 
sein  mag,  einen  religiösen  Waffentanz  vor.  Endlich  sahen  wir,  dass  auch  auf  Celebes 
Priestertänze  um  das  Opfertier  stattfinden,  und  dass  beim  Totenfest  der  Toradja,  Priester 
und  Laien  einen  Wafientanz  ausführen.  Auf  drei  der  Grossen  Sunda  Inseln  treffen  tcir  also 
denselben  Zusammenhang  von  Totenfest,  Opfer-  und  religiösem  Gefechtstanz  an.  Auf  der  vierten 
Insel  dieser  Gruppe  (Java)  haben  schon  früh  höhere  Religionsformen  das  erste  Glied  dieser 
Kette  ganz,  und  das  zweite  zum  Teil  vernichtet.  Vielleicht  wäre  eine  Spur  der  beiden 
letzten  Glieder  noch  zu  entdecken  in  den  vielen  Kämpfen,  die  der  Javaner  bei  allen  möglichen 
Gelegenheiten  arrangiert.  Serrière  nennt  von  diesen  :  Kämpfe  von  puju  (kleine  Vögel), 
Hähnen,  Grillen,  Schweinen  und  Hunden,  Affen  und  Hunden,  Ziege  und  Schwein,  Tiger 
und  Büffel,  Tiger  und  Menschen  (rampok),  Papierdrachen.  Es  wäre  interessant  zu  unter- 
suchen, in  wie  fern  das  sportive  Element  hier  das  religiöse  verdrungen  hat. 

Nicht  nur  bei  Totenfesten,  auch  bei  anderen  Ereignissen  im  Leben  der  indonesischen 
Völker  ist  der  Waffentanz  offenbar  mit  religiösen  Zwecken  verbunden.  Weil  aber  in  der 
animistischen  Auffassung  der  Geisterfurcht  am  stärksten  wirkt  wo  sie  mit  Sterben  in 
Beziehung  steht,  und  deshalb  die  Totenfeste  die  intensivsten  religiösen  Zeremonien  bilden, 
sind  hier,  mehr  als  irgendwo  anders,  die  Priester  beteiligt.  Jedoch  finden  wir  auch  Laien- 
tänze aliein  bei  Totenfesten,  aber  nur  dort,  wo  entweder  die  Männer  den  Frauen  gegenüber 
priesteriiche  Würde  beim  Tanzen  bekleide    (wie  in  der  Torres-Strasse),  oder  wo  andere  Reli- 


—  233  — 

gionsformen  die  Priester  vertrieben  und  nur  die  Waffentänze  als  Zeremoniell  gelassen 
haben  (wie  auf  Bali  und  in  der  christlichen  Minahassa).  Nur  eine  Mitteilung  ist  hiermit 
scheinbar  in  Widerspruch  :  die  eines  Gefechtstanzes  beim  „Knochenfest"  auf  Halmaheira, 
wo  keine  Priester  erwähnt  werden.  Die  Beschreibung  aber  ist  nicht  sehr  deutlich  und 
erinnert  ausserdem  an  rein  weltliche  Vergnügungen.  Bei  einem  anderen  Waffentanz  auf 
Halmaheira,  mit  Totenfurcht  in  Zusammenhang  stehend,  fehlt  das  kollektive  Element,  so 
dass  hier  der  Laie  allein  seinen  Tanz  ausführt  (65).  Alle  anderen  Waffentänze  zur  Vertrei- 
bung der  bösen  Geister  von  Laien  ausgeführt  sind  nicht  mit  Totenfeiern  verbunden.  Wir 
finden  unter  ihnen  Tänze: 

a.  nach  der  Beschneidung  (70,  75); 

b.  bei  einer  Cholerabeschwörung,  wo  aber  auch  an  bissu  gedacht  werden  könnte; 

c.  zur  Abwendung  von  Regen  oder  Trockenheit  (72,  74,  77); 

d.  beim  Bau  eines  «Tempels"  (66,  64); 

e.  beim  Töten  eines  Tigers  (78,  79); 

f.  bei  Hochzeits-  und  Beschneidungsaufzügen  (78); 

g.  bei  der  Begegnung  der  Bevölkerung  eines  benachbarten  Dorfes  (52); 
h.  nach  einer  Kopfjagd  (55,  56); 

j.    beim  Empfang  vornehmer  Gäste  (63,  64,  67,  69). 

Die  letzte  Gruppe,  die  Begrùssungs-Gefechtstànze,  sind,  jedenfalls  wie  sie  jezt  auftreten, 
nicht  mehr  rein  religiöser  Art.  Das  militärisch-zeremonielle  Element  wird  wohl  meistens 
das  stärkere  sein,  und  nur  dem  Ursprung  nach  sind  sie  geisterbeschwörend.  Das  Begegnen 
von  Fremden  und  vornehmen  Landsleuten  ist  nach  animistischer  Auffassung  immer  eine 
heikle  Sache  (siehe  Fkazer:  Alg.  W.  10)  und  in  den  Gefechtstänzen,  die  hier  vermeldet  sind 
Ix-'im  Empfang  von  hohen  Gasten  und  bei  der  Begegnung  von  Bewohnern  anderer  Dörfer, 
haben  wir  dann  auch  nur  eine  der  vielen,  oft  handgreiflichen  Begrüssungszeremonien  zu 
sehen,  die  auf  der  ganzen  Erde  vorkommen. 

Sehr  oft.  l>egegnen  uns  Tänze,  nach  einer  Kopfjagd  ausgeführt.  Das  eine  Mal  lesen  wir, 
dass  unter  lautem  Geschrei  wild  mit  den  Köpfen  herumgesprungen  wird,  das  andere  Mal, 
dass  Männer  und  Frauen,  noch  öfters  die  Frauen  allein,  einen  Tanz  ausfuhren  mit  und 
ohne  Waffen. 

Wie  bei  den  Totenfesten,  ist  auch  hier  die  Geisterfurcht  sehr  stark,  und  hat  zu  ver- 
schiedenen Zeremonien  Anlass  gegeben.  Die  erste  wird  wohl  ein  wildes  Geschrei  sein,  mit  dem 
die  Frauen  die  Geister  der  gefallenen  Feinde  zu  vertreiben  suchen.  Dann  kommt  der  Tanz 
mit  den  Köpfen,  mit  otler  ohne  Waffen.  Hier  ist  das  ganze  Vorgehen  noch  rein  lyrisch. 
Eine  weitere  Entwicklung  zeigen  die  epischen  oder  dramatischen  Tänze,  worin  Frauen  die 
Vorgänge  der  Kopfjagd  darstellen,  wie  ich  glaube,  auch  mit  exorzistischen  Absichten.  Eine 
letzte  Phase  bilden  dann  die  Gesangsreigen,  wie  der  kahmca  und  der  ewto,  worin  bereits 
das  commemorative  Element  hervortritt.  Es  sind  epische  Liedertänze  (oder  Tanzlieder),  worin 
die  Taten  der  siegreichen  Helden  verewigt  werden.  Die  Vorstellung  einer  KopQagd  durch 
die  Manner  selber,  oft  von  hoher  dramatischer  Schönheit,  hat  dann  mit  Geisterbeschwörung 
nichts  mehr  zu  tun,  ist  nur  ein  Vergnügungstanz  mit  historisch-commemorativer  Neben- 
bedeutung. 

Wir  sahen  bereite,  dass  15  Berichte  zu  ungenau  waren,  um  zu  entscheiden,  welche 
die  Art  der  erwähnten  Tänze  war;  auch,  dass  zwei  Gruppen,  total  11  Tänze  enthaltend,  bei 
df-n  militärischen  Tänzen  behandelt  wurden,  aber  mit  mehr  oder  weniger  Wahrscheinlichkeit 


—  234  — 

zu  den  Tänzen  mit  religiösem  Ursprung  zu  zählen  sind.  Tun  wir  dies,  und  lassen  wir  die 
15  Zweifelfälle  ausser  Betracht,  so  finden  wir  47  Tänze,  die  mit  Geisterbeschwörung,  mit 
religiösen  Auffassungen  also,  in  Beziehung  stehen,  und  nur  17  für  welche  man  das  nicht 

beweisen  kann. 

In  einer  Tabelle  alle  zusammenfassend,  erhalten  wir: 
I.  Scheinbar  oder  wirklich  militärische  Waffentänze: 

a.  ungenügend  angedeutet  (Zweifelfälle) lo 

b.  mit  Kopfjagd  in  Beziehung  stehend ^'u 

c.  Waffentänze  mit  Gesang 5  j 

d.  andere  Gefechtstänze 17 

IL  Religiöse  Gefechtstänze  : 

a.  von  Priestern  onder  Shamanen  ausgeführt ^  '   36 

b.  von  Laien  ausgeführt 27   | 

"79       47 

Wenn  wir  nur  denjenigen  Berichten  folgen,  die  mehr  als  den  Namen  nennen,  können 
wir  also  sagen:  Im  Malaiischen  Archipel  stehen  iceitaus  die  meisten  Gefechtstänze  (75°!^  zur 
Geisterbeschicörung  in  direkter  oder  indirekter  Beziehung. 

Der  Zusammenhang  von  Geisterbeschwörung  und  Kriegswesen  ist  in  unseren  Beispielen 
genügend  hervorgetreten  durch  Angabe  gewisser  Einzelheiten  über  Kleidung,  Schmuck,  Tanz- 
attribute, Tanzbewegungen,  begleitende  Musik  und  Gesänge  (vgl.  Bsp.  46,  49,  50,  55).  Es 
wäre  aber  voreilig,  hieraus  die  Folgerung  zu  ziehen:  der  Kriegstanz  habe  sich  am  dem 
Geisterbeschwörungstanze  entwickelt.  Auch  das  Umgekehrte  wäre  möglich.  Wenn  man  von 
zwei  Vorgängen  nur  den  Zusammenhang  bewiesen  hat,  kann  noch  jeder  von  beiden  der 
Aeltere  sein,  Wallaschek,  der  in  seiner  Beweisführung  überhaupt  nicht  sehr  stark  ist, 
sagt:  „Den  Kriegern  verdanken  wir  die  ersten  Taktschläge,  ihnen  die  ersten  fixierten 
Melodien,  ihnen  den  ersten  Chorgesang  und  das  erste  Orchester".  Durch  die  organisierende 
Macht  der  —  stark  rhythmisch  ausgeprägten  —  primitiven  Musik,  sieht  W,  in  ihr  eine 
der  wichtigsten  Existenzbedingungen  des  Stammes.  In  absolutem  Sinne  nennt  W.  also  den 
Kriegstanz  die  älteste  Tanzform,  die  nur  eine  Kriegsübung,  eine  Vorbereitung  zu  gemein- 
samer Aktion  sei. 

Wir  haben  damit  das  Gebiet  eines  der  schwierigsten  Probleme  betreten,  nämlich  das 
des  Ursprungs  der  Tänze  im  allgemeinen,  ein  Gebiet  das  vrir  vorläufig  beiseite  lassen  müssen. 

Hirn  und  Buchner  haben  beide  andere  Theorien  über  den  Ursprung  des  Tanzes  auf- 
gestellt, aber  die  Prioritätsfrage  der  Kriegs-  und  Beschwörungstänze  nicht  erörtert.  F.  de 
MÉNEL,  der  in  seinem  Werke  „Histoire  de  la  dance"  keine  rezente  Naturvölker  behandelt, 
sagt:  „La  veritable  origine  de  ces  dances  guerrières  pourrait  être  cherchée  dans  les  sacrifices 
humaines  en  usage  chez  les  premiers  peuples".  „Comme  les  dances  profanes,  les  dances 
guerrières  ont  une  origine  sacrée".  Wenn  er  dann  noch  behauptet  „la  stratégie  sortit  de 
la  pyrrhique  et  autres  dances  guerrières",  hat  er  damit  angedeutet,  dass  die  Kriegskunst 
nur  eine  weitere  Entwicklung  der  religiösen  Zeremonien  sei,  eine  Auffassung  ganz  der- 
jenigen Wallaschek's  entgegen  gesetzt.  Nur  hat  de  Ménel's  Urteil  für  uns  geringen  Wert, 
weil  er  gerade  die  ersten  Entwicklungsstufen  nicht  betrachtet  hat.  Mehr  Wert,  obwohl 
keine  Beweiskraft,  legen  wir  Prof.  Nieuwenhuis'  Vermutung  bei:  „Da  beim  Schwerttanz 
(kenja)  nicht  nur  Kriegsszenen,   sondern   die  verschiedensten   Vorfalle   aus  dem  täglichen 


—  235  — 

L«ben  dargestellt  werden,  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  sich  dieser  Tanz  aus  den 
obigen  religiösen  Zeremonien  entwickelt  hat". 

WiLKEN  hat  die  Behauptung  ausgesprochen,  dass  alle  Tänze  in  Indonesien  religiöser 
Herkunft  seien.  Krüyt  bezweifelt  dies  und  sieht  jedenfalls  in  dem  Beschwörungstanz  nur 
eine  zierliche  Nachahmung  eines  Scheingefechtes.  Nach  Krüyt  ist  also  der  militärische  Tanz 
der  ältere. 

Obwohl  WcNDT  den  Ursprung  aller  mimischen  Tänze,  wozu  er  auch  die  Gefechtstänze 
rechnet,  auf  religiöse  Zeremonien  zurückführen  will,  weicht  er  bei  der  Behandlung  der 
Kriegstänze  der  Frage  der  Priorität  aus.  Er  sagt,  dass  Kriegstänze  rhythmisch  geordnete 
Nachbildungen  der  beim  Kampf  ausgeführten  Bewegungen  seien.  Weil  sie  nicht  zu  regel- 
mässig wiederkehrenden  Zeiten  ausgeführt  werden,  und  deshalb  keinen  Anlass  zur  Ver- 
bindung mit  anderen  mythologischen  Vorstellungen  geben,  sind  sie  einfacheren  Charakters 
als  die  Vogetationstänzo  und  wandlen  sich  deshalb  früher  in  ergötzliche  Spiele  um.  Eine 
Abzweigung  lüsst  sich  nach  W.  nachweisen:  das  Kampfspiel  zu  Ehren  gefallener  Helden, 
das  wieder  auf  die  Totenfeiern,  und  damit  auf  die  Geistorvertreibung  zurückzuführen  ist. 
Mach  WcNDT  giebt  es  also  von  Anfang  an  Kriegstänze  und  Geisterbeschwörungstänze  neben 
einander. 

Ich  möchte  dies  bezweifeln  und  die  Vermutung  aussprechen,  dass  Gefechtstänze  im 
nudaiischen  Arcftipel  Hrsprünglidi  Beschtcöningstänze,  also  religiöser  Art  waren,  wie  es  Prof. 
NiEüWENHUis  bereits  für  die  kenja  der  Dajak  vermutete.  Nachfolgende  Erwägungen  mögen 
dies  beweisen: 

1.  Von  den  heutigen  GJefechtstänzen  im  Indischen  Archipel  tragen  nach  unseren  Bei- 
spielen Ib^lg  noch  die  Merkmale  religiösen  Ursprungs.  Schon  deshalb  ist  es,  zumal  auch 
religiöse  Merkmale  sehr  langsam  vorschwinden,  wahrscheinUch,  dass  sie  älter  sind  als  die 
Tänze  der  Minorität. 

2.  Geister-  und  Totenfurcht  treten  schon  sehr  früh  auf,  früher  als  ein  dermassen 
organisiertes  Heerwesen,  das  durch  Tänze  die  Disziplin  und  den  Mut  zu  steigern  sucht. 
Nur  ein  sehr  starker  Affekt  kann  der  erste  gewesen  sein,  der  sich  auf  rhythmischen  Wege 
entladen  hat  und  gerade  die  Geisterfurcht  ist  einer  der  stärksten  Affekte  der  primitiven  Seele 
(vergl.  Steinmetz:  Entw.  der  Strafe  I). 

Kampflust  bildet  ohne  Zweifel  eine  gleich  starke  Stosskraft,  aber  kann  sich  leichter 
in  Taten  austoben,  braucht  nicht  wie  Geisterfürcht  eine  andere  Entladung.  Hier  tanzt  — 
dort  kämpft  man.  Der  erste  „Gefechtstanz"  ist  vielleicht  einer  ohne  Waffen  gewesen,  wo 
die  Teilnehmer  einfach  rhythmisch  fortschnoUend  und  schreiend  die  Geister  zu  vertreiben 
suchten.  Beispiele  dafür  finden  wir  noch  in  einem  Totentanz  in  Rhoon  (N,  G.)  und  bei  den 
Toradja,  hier  mit  höheren  Formen  kombiniert.  Tromp.  (16)  beschreibt  ein  Fest  bei  der 
Rückkehr  der  KopQäger  auf  Borneo.  Bevor  die  Boote  landeten,  stiessen  die  Frauen  laute, 
nach  kurzen  Pausen  wiederholte  Schalle  aus  zur  Vertreibung  der  bösen  Geister.  Wo  die 
Furcht  vor  den  Geistern,  das  Verlangen  sie  zu  vertreiben,  gross  war,  kam  das  rhythmische 
Element  von  selber.  Alle  sehr  intensiven  körperlichen  (auch  physiologische)  Bewegungen  ge- 
schehen rhythmisch  (Coitus,  Schluchzen,  Lachen,  Husten,  Springen  u.  s.  w.).  So  entstanden, 
neben  den  ersten  Freudetänzen,  die  ersten  Furchttänze,  zugleich  Vertreibungstänze,  die  zu 
wirklichen  Gefechtstänzen  sich  entwickelten,  sobald  die  erste  abwehrende  oder  angreifende 
Armbewegung  mit  oder  ohne  Waffe  sie  begleitete.  Als  man  sah,  dass  der  Rhythmus  der 
einzelnen  Aeusserung,  kollektiv  angewendet,  sich  verstärkte,  und  so  auch  das  gesammte 
I.  A.  f.  E.  Bd.  .\XIII.  31 


—  236  — 

Auftreten  anfing  rhythmisch  zu  werden,  entdeckte  man  die  verbindende,  die  organisierende 
Macht  des  Tanzes  und  —  war  der  Kriegstanz  geboren.  Alle  anderen  Motive  die  sein  Auf- 
treten verursacht  haben,  sind  sekundärer  Art. 

3.  Wo  von  anderen  Tänzen  bewiesen  worden  ist,  dass  sie  ursprünglich  religiöser  Art 
waren  und  auch  die  Entwicklung  anderer  Erscheinungen  den  Weg  der  Profanierung  gegangen 
ist,  liegt  eine  Wahrscheinlichkeit  vor,  dass  auch  die  Kriegstänze  in  dieser  Weise  entstan- 
den sind. 

Eine  Eigentümlichkeit  der  Kriegstänze,  die  nur  eine  Andeutung,  keinen  Beweis  für 
ihren  religiösen  Ursprung  bildet,  muss  noch  erwähnt  werden.  Mehr  wie  bei  anderen  Tänzen 
sind  Schmuck  und  Attribute  hier  veraltet  oder  halb-symbolisch.  Zwar  treffen  wir  auch  bei 
den  Vegetationstänzen  diese  mit  Ehrfurcht  angeschauten,  alten  Objekte  an,  aber  auch  hier 
ist  der  Zusammenhang  mit  Religion  klar.  Prof.  Nieuwenhuis  hat  bewiesen,  dass  Pfeil  und 
Bogen  bei  den  malaiischen  Völkern  zum  ursprünglichen  Kulturschatz  gehören  und,  wo  sie 
jetzt  verschwunden  sind,  noch  als  Zeremonie  Objekte  in  der  Ornamentik  oder  im  Kinder- 
spiel weiter  leben.  Auch  die  Beschreibung  unserer  Tänze  gibt  Beispiele  hierfür  (Sumatra, 
Celebes,  Borneo).  Die  alten  fujakleider  in  C.-Celebes,  der  Schildschmuck  von  Menschen- 
haar bei  den  christlichen  Minahassa-Alfuren,  der  Kopfschmuck  der  bissu  in  Süd-Celebes 
sind  einige  der  vielen  Beispiele,  die  später  eingehender  behandelt  werden. 

Auch  andere  Erscheinungen  gehören  hierzu.  Die  beim  Kriegstanz  gesungenen  Lieder 
sind  oft  in  einer  veralteten  Sprache,  wie  dies  bei  anderen  ursprünglich-religiösen  Gesängen 
der  Fall  ist. 

Dass  endlich  auf  Ceram  ein  Kriegstanz  fast  nackt  ausgeführt  wird  und  bei  den  Hof- 
tänzen auf  Java  die  Mitspielenden  den  Oberkörper  entblösst  haben,  weist  auch  auf  eine 
alte  Herkunft  dieser  Tänze  hin.  Wie  bei  anderen  Kultus-Tänzen  sind  auch  bei  den  Gefechts- 
tänzen, auch  wenn  sie  das  religiös  exorzistische  Stadium  schon  lange  hinter  sich  haben, 
die  Attribute  oft  halbsymbolischer  Natur.  Stumpfe  Speere,  hölzerne  Lanzen,  Stöcke, 
Bambus-  und  Zuckerrohre,  Dracaena-  und  Palmblätter  sind  die  Waffen,  womit  man  die 
Geister  vertreibt  und  —  auf  weiterer  Stufe  —  auch  einander  spielend  bekämpft.  Waren 
die  Beschwörungstänze  aus  den  Kriegstänzen  hervorgegangen,  so  würden  die  meisten  von 
ihnen,  die,  wie  alle  zeremoniellen  Vorgänge  conservativer  Natur  sind,  die  alte  Bewaf- 
nung  behalten  haben.  Immerhin  Hesse  es  sich  denken,  dass  nachher  für  die  Beschwörung 
eine  mehr  geisterhafte  Ausrüstung  gewählt  würde,  doch  das  Gegenteil  ist  wahrscheinlicher. 

Wenn  wir  jetzt,  am  Ende  unserer  Betrachtungen,  versuchen  wollen,  einen  vermutlichen 
Entwicklungsgang  des  Kriegstanzes  in  Indonesien  zu  skizzieren,  sind  wir  uns  davon  bewusst, 
dass  dieser  nur  hypothetischen  Wert  hat.  Wie  schon  Kruyt,'  der  vorzügliche  Kenner  der 
indonesischen  animistischen  Auffassungen,  erklärte,  folgt  die  Logik  der  Naturvölker  oft 
ganz  anderen  Wegen  als  die  unsrige,  und  „bleibt  es  möglich,  dass  wir  Zusammenhang 
suchen  zwischen  Ereignissen,  von  denen  jedes  für  sich  einen  ganz  verschiedenen  Existenz- 
grund haben".  Unter  diesem  Vorbehalt  denken  wir  uns,  wie  wir  schon  teilweise  andeuteten, 
den  Entwicklungsgang  der  Gefechtstänze  folgenderweise: 

1.  Wildes  Geschrei  und  Gelauf  zur  Vertreibung  der  bösen  Geister. 

2.  Auftreten  des  rhythmischen  Elementes,  erst  bei  einzelnen,  dann  bei  allen. 

3.  Durch  das  kollektive  rhythmische  Auftreten  wird  die  Macht  des  Taktes  geahnt. 

4.  Differenzierung  der  Gefechtstänze  in  exorzistische  und  militärische. 


—  237  — 

5.  Gegenseitige  Beeinflussung  dieser  beiden  Gruppen. 

6.  Allmähliche  Umwandlung  vieler  exorzistischer  Tänze  in  Begrüssungstänze,  wo  das 
geisterbeschwörende  Element  immer  mehr  verschwindet,  und  im  Kampfspiele,  wo 
das  comraemorative-historische  Element  auftritt. 

Nicht  alle  Gefechtstânze  aber  haben  diese  Entwicklungsstadien  durchgemacht,  viele 
sind  auf  einer  gewissen  Stufe  von  anderen  Völkern  übergenommen.  So  haben  die  Tänze 
der  kriegerischen  Maduresen  und  gewisser  Alfuren  grosse  Verbreitung  gefunden. 

In  einem  anderen  Abschnitt:  „die  Verbreitung  der  Tänze",  wird  dies  näher  behandelt 
werden.  Auch  ist  das  ursprüngliche  Motiv  nicht  das  immer  alleinherrschende  geblieben, 
und  sind  schon  früh  andere  Motive  dazu  gekommen:  militärische  Zwecke  wie  Einübung, 
Begeisterung  beim  Angriff,  Beseitigung  der  Furcht  für  den  Feind;  sexuelle  Zwecke:  den 
Frauen  die  männliche  Kraft  und  Schönheit  zeigen.  Hirn  und  andere  haben  sie  in  ihre 
Arbeiten  über  den  Ursprung  des  Tanzes  genügend  erklärt,  so  dass  ich  sie  nicht  zu  wieder- 
holen brauche.  Meine  Aufgabe  war  nur,  mit  Tatsachen  zu  beweisen,  dass  nicht,  nach 
Wallascukk's  Ausdruck,  die  musische  Kunst  den  Kriegern  ihre  Entstehung  verdankt,  son- 
dern die  Krieger  ihre  höhere  Ausbildung,  ihr  geordnetes  Auftreten  der  Religion  ver- 
schuldet sind. 


LITERATURVERZEICHNIS. 


I-  Ethnographie  des  Malayiscben  Arcbipels. 

A.  SUMATR.\. 

1.  J.   VON    Brenneh,    liesiich    bei   den   Kannibalen 
Sumatra'»,  1894. 

2.  E.  Cartiiau.s  Sumatra  (1891). 

3.  C.  J.  VAN  DoNOEN,  De  Koeboc's  in  de  i-esidentie 
Palembang  (Bgdr.  T.  L.  en  V.  1910,  S.  176). 

4.  A.   Kkhr,   Der   Niasser  im   Leben   und    Sterben 
(Rhein.  .Mission  19()1,  S.  42). 

5.  C.  üE  Haas,  Verslag  van  een  rais  in  de  Battak- 
iRnden  (Vh.  Bat.  Gen.  1875). 

0.   B.    Uaokn,   Beitrage   zur   Kenntnis  der  Battak- 
religion (Td«.  Ind.  T.  L.  en  V.  1863,  S.  498). 

7.  B.  Haokn,  Die  Orang  Kubu  auf  Sumatra  (1900). 

8.  A.  L  VAN  HAK8KLT,  Vulksbeifchrijving  van  Midden- 
Sumatra  (1882)  (Suroatra-Exp.  Bd.  II). 

9.  Jnur.H  Jacobs,  llet  Tamilie-  en  Kampoogleven  op 
Uroot-Atjeh  (1894). 

10.  Junohuhn,  Die  Battaklander  auf  Sumatra  (1847). 

11.  J.  T.  NiEUWENHi'is  en  f.  II.  von  Rosenukhg,  Nias. 

12.  W.  Marsdkn,  The  history  of  Sumatra  (1783). 

13.  Alfred  Maass,  Durch  Zentral-Sumatra  (1910). 

14.  J.  H.  Mkerwaldt,  lets  over  muziek  en  zang  op 
het  terrein  der  zending  (R.  Z.  1904). 


15.  J.  H.  Meerwai.dt,  lets  over  muziek  en  dans  bij 
de  Bataks  (R.  Z.  1909  und  1910). 

1(i.  J.  H.  Meerwalut,  Gebruiken  der  Bataks  in  het 
maatschappelijk  leven  (M.  N.  Z.  G.  1907). 

17.  M.  MozKOWSKV,  Auf  neuen  Wege  durch  Suma- 
tra (1909). 

1.3.  Sir  Rafkler,  Verslag  van  een  reis  in  het  land 
der  Bataks  (Bijdr.  T.  L.  en   V.  18.56). 

19.  C.  H.  VON  RosENUERG,  Der  malajische  Archipel. 

20.  C.  SxoucK  HuRGRONJE,  De  Atjehers,  1894. 

21.  C.  SNorCK  HuRGRONJE,  Het  Gajo-Land  en  zijne 
be  woners  (1905). 

22.  J.  B.  Thomas,  Drei  Jahre  in  Sud-Nias,  1892. 

23.  JoH.  W.  Vogel,  Ost-Indianische  Reisebeschrei- 
bung, 1715. 

24.  JoH.  Wauneck,  Die  Religion  der  Batak,  1909. 

25.  Winter,  Dansen  in  Rawas,  J.  G.  1901,  II. 

B.  BORNEO. 

1.  H.  Senn  van  Basel,  Een  Dajaksch  dorp  op  Bor- 
neo's Westkust,  T.  N.-I.  1874,  I. 

2.  Dr.  H.  Hueitenstein,  21  Jahre  in  Indien,  1, 1899. 

3.  James  Brooke,  Narrative  of  event»  in  Borneo  and 
Celebes  (by  capt.  Mundy). 

4.  W.  H.  Furness,  The  home  life  of  Borneo  head- 
hunters,  1902. 


—  238 


5.  Edw.  h.  Gomes,  17  yeai-s  among  the  Sea-Dayaks 
of  Borneo,  19H. 

6.  C.  H.,  Een  bezoek  aan  Sota-ono  in  de  Bataklanden 
(de  Banier  1870;. 

7.  Ch.  Hose  and  K.  Mc.  Dougall,  The  pagan  tribes 
of  Borneo,  I  un4  II,  1912. 

8.  Ch.  Hosk  and  K.  Mc.  Dongall,  Men  and  animals 
in  Serawak  (I.  Anthrop.  Inst.  1901). 

9.  Spenseh  St.  John,  Life  in  the  forests  of  the  far 
East,  1863. 

10.  Capt.  H.  Keppel,  The  exjiedition  to  Borneo  ot 
H.  M.  S.  Dido,  1846. 

11.  Baron  van  Lynden,  Het  Kapoeasgebied  (N.  T. 
N.-I.  1852). 

12.  Hugh  Low,  Serawak,  1840. 

13.  A.  W.  NiEUWENHuis,  Quer  durch  Borneo,  I  und 
II,  1904. 

14.  U.  F.  H.  Perel.\.er,  Ethn.  Beschrijving  der  Dajaks, 
1870. 

15.  H.  Ling  Roth,  The  natives  of  Serawak,  1895. 

16.  S.  W.  Tromp,  Een  Dajaksch  feest,  Bijdr.  T.  L. 
en  V.  1890. 

17.  Kapt.  Ullmann,  Het  tiwah  der  Dajaks,  Tds.  Ind. 
T.  L.  en  V.  1869. 

18.  C.  A.  L.  M.  SCHWANER,  Borneo  I  und  II,  1853. 

C.  CELEBES. 

1.  C.  J.  Harrebomee,  Ein  Ornamentenfest  von  Gan- 
tarang.  Med.  Ned.  Zend.  Gen.  1875,  S.  314. 

2.  G.  W.  W.  C.  Baron  van  Hoevell,  Een  bezwe- 
ringsfëest  te  Moeton,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1892,  S.  69. 

3.  P.  ten  Kate,  Het  Ende-feest  (bij  de  To  Nopoe) 
Med.  Ned.  Zend.  Gen.  1913,  S.  35. 

4.  N.  Adriani  en  Alb.  C.  Kruyt,  De  Baree  spre- 
kende  Toradja's  vau  Midden-Celebes,  vol.  I  und  II, 
1912,  vol.  III,  1914. 

5.  N.  Graafland,  De  Minahassa,  I  und  II,  1898. 

6.  B.  F.  Matthes,  Over  de  bissu's  of  heidensche 
priesters  der  Boegineezen,  Vh.  kkl.  Ak.  v.  W.  1872,  S.  1. 

7.  B.  F.  Matthes,  Bijdrage  tot  de  ethnologie  van 
Zuid-Celebes  (1875). 

8.  J.  G.  F.  Riedel,  Alte  Gebräuche  bei  Heirathen 
a.  s.  w.  in  der  Minahassa,  Int.  Arch.  I.  Ethn.  1895,  S.  89. 

9.  F.  en  P.  Sarasin,  Reisen  in  Celebes,  I  und  II. 

10.  J.  A.  Schwarz,  Ethnografica  uit  de  Minahassa, 
Int.  Arch.  f.  Ethn.  1908,  S.  44. 

11.  J.  A.  Wiersma,  De  hoekoem  besar  von  Tonsa- 
rang.  Med.  Ned.  Zend.  Gen.  1865. 

12.  J.  Wolterbeek  Müller,  De  Mampurengke-feesten 
in  de  Minahassa,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  190,5,  S.  222. 

13.  A.  GouuswAARD,  Siwah-dienst  in  Zuid-Celebes, 
Med.  Ned.  Zend.  Gen.  1865,  S.  75. 

D.  MOLUKKEN. 

1.  Br.  van  Baarda,  Halmaheira,  Ber.  v.  d.  Utr. 
Zend.  1882. 


2.  P.  Bleekkr,  Reis  door  de  Minahassa  en  den  Moluk- 
schen  Archipel,  1850. 

3.  E.  Chr.  Barchewitz,  Ost-Indianische  Reisebe- 
schreibung. 

4.  C.  F.  H.  Campen,  De  Alfoeren  van  Halmaheira, 
T.  N.-I.  1863,  I. 

5.  Capt.  Forrest,  Voyage  aux  Moluques  (1780). 

6'  Père  H.  Geurtjens,  Le  cérémoniel  de»  voyages 
aux  Iles  Key,  Anthropos  1910. 

7.  C.  W.  Baron  van  Hoevell,  Arobon  en  de  Oelias- 
sers,  1875. 

8.  A.  Jacobsen,  Reise  in  die  Inselwelt  des  Banda- 
meeres  (1896). 

9.  W.  JoEST,  Welt-Fahrten  (1895),  Bd.  IL 

10.  W.  Joest,  Malaiische  Lieder  und  Tänze  aus  Am- 
bon, Int.  Arch.  f.  Ethn.  1892. 

11.  A.  H.  Jansen,  Een  besnijdenisfeest  op  Taliaboe 
(Soela-Eil.),  Ber.  v.  d.  Utr.  Zend.  1914. 

12.  E.  W.  A.  LuDEKiNG,  Schets  van  de  residentie 
Amboina,  Bijdr.  T.  L.  en  V.  v.  Ned.  Ind.  1868. 

13.  K.  Martin,  Reisen  in  den  Molukken,  1894. 

14.  Hugo  Marton,  Forschungsreise  in  den  Südöst- 
lichen Molukken  (1910). 

15.  S.  Müller,  Reisen  in  den  Archipel,  II. 

16.  F.  J.  P.  Sachse,  Het  eiland  Seran  en  zijn  be- 
woners  (1907). 

17.  Van  Schmidt,  Saparoea,  Tds.  N.  Ind.  1843. 

18.  J.  G.  P.  Riedel,  De  sluik-  en  kroesharige  rassen 
tusschen  Celebes  en  Papua,  1886. 

19.  A.  Weber— VAN  Bosse,  Ein  Jahr  a/B,  L  M.  S. 
Siboga  (1905). 

20.  G.  A.  Wii.KEN,  Bijdrage  tot  de  kennis  der  Al- 
foeren van  het  ciland  Boeroe,  Vh.  Bat.  Gen.  1675,  S.  1. 

21.  Br.  van  Dyken,  Almaheira,  Ber.  Utr.  Zend. 
1871,  S.  63. 

E.  NEU-GUINEA. 

1.  A.  C.  H  addon,  Dances  and  dance  paraphernalia- 
Reports  of  the  Cambridge  Anthrop.  expedition  to  Torres, 
straits,  IV,  V  und  III. 

2.  A.  C.  Haddon,  The  secular  and  ceremonial  dances 
of  Torres-straits,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1893. 

3.  J.  L.  van  Hasselt,-  Gedenkboek  van  25jarig  zen- 
dingsleven  op  Nieuw-Guinea,  1888. 

4.  F.  J.  F.  VAN  Hasselt,  Uit  het  volksleven  van 
de  bewoners  van  de  Humboldtbaai,  Bijdr.  T.  L.  V.  1910. 

5.  J.  VAX  MuvLWiJK,  Een  doodenfeest  te  Tanah  Merah, 
Ber.  Utr.  Zend.  1913. 

6.  E.  Neuhauss,  Deutsch.  Neu-Guinea,  Bd.  I,  II  u. 
HI,  1911. 

7.  J.  H.  P.  Murray,  Papua  or  British  New  Guinea, 
1912. 

8.  A.  E.  Pratt,  Two  years  among  New  Guinea  Can- 
nibals, 1906. 

9.  Capt.  C.  B.R.\WUNG,  The  Land  of  the  New  Guinea 
Pygmees,  1913. 


—  239  — 


10.  C.  H.  TOS   Rosenberg,  Der  malajische  Archipel. 

11.  J.  L.  D.  VAN  DKR  RoEST,  Uit  het  leven  der  be- 
volking  van  Windessi,  Tds.  v.  Ind.  T.  L.  en  V.  1898. 

12.  G.  J.  VAS  DER  Sande,  Nova  Guinea,  vol.  III,  1907. 

13.  J.  1).  E.  ScHMELTZ,  Beitrage  zur  Ethn.  v.  Neu- 
Ouinea,  lut.  Arch.   f.  Ethn.  1904  u.  1905. 

14.  Jon.  F.  Snelleman,  Danstoestel  van  Merauke, 
Eigen  Baard  1909,  N.  1. 

15.  Jos.  ViEUEN,  Oorsprongs-  en  afstammingslegen- 
den  van  den  Marindinees,  T.  A.  G.  1912,  S.  137. 

16.  ROB.  W.  WiLU  AMSON,  The  Mafulu  Mountain 
people  of  Br.  N.  Guinea  (1912). 

17.  A.  F.  R.  WoLi.ASTos,  Pygmees  and  Papuans,  1912. 

18.  O.St'Hi.A(ilsilAi- KEN.  Eine  ethnographische  Samm- 
lung von  Kaiserin  Augusta-Fluss  in  Neu-Guinea,  Abh. 
Mas.  Dresden,  13,  N«.  2. 

19.  P.  Franz  Yormass,  Tänze  und  Festlichkeiten 
der  Monumbo  Papua  (D.  N.  G.),  Anthropos  1911. 

20.  Otto  Recke,  Der  Kaiscrin-Augusta  Fluss  1913 
(Ergebnisse  der  Südsee-expedition). 

F.  DIE  KLEINEN  SUNDA-INSELN. 
(Bali  —  Timor). 

I.  W.  M.  Donselaar,  Aanteekeningen  over  bet  eiland 
S«voe,  Med.  Ned.  Zend.  Gen.  1872. 

%  N.  Graafland,  Aanteekiogen  op van  Roti, 

Med.  Ned.  Zend.  Gen.  1880. 
3.  H.  Hanoei.broek,  Soemba  1910. 
4.0.HEYMKRis«i,.\ant...Saparoeaetc.T.N.I.1843,II. 

5.  Br.  van  der  Jaot,  Bali,  Bcr.  Utr.  Z.  V.  18C6. 

6.  H.  TEN  Kate,  Beitrage  lur  Ethnographie  der 
Timorgnippe,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1891. 

7.  C.  Lekk  ERKERKER,  Mededeelingen  over  het  Keblai 
der  Rottineezen,  Bijdr.  T.  L.  en  V.  1910. 

8.  S.  Müller,  Reisen  in  den  Archipel  II  (siehe 
Molukken). 

9.  W.  O.  J.  NiECWENKASii',  Bali  cn  l^mbok. 

10.  I).  H.  WiEUNOA,  Reizen  op  Soemba. 

II.  Max  Weber,  Ethnogr.  Notizien  über  Flores  und 
Celebes,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1890,  suppl. 

12.  S.  Rons,  Bydrage  tot  de  kennis  van  Soemba, 
Vh.  Bat.  Gen.  1672. 

13.  A.  LioTVOET.  Soembavira,  T.  N.  I.  1876,  S.  587. 

C.  JAVA. 

1.  RoLASD  Bonaparte,  Les  danseusse  javanaises 
(Le  Nature  1889). 

2.  H.  A.  VON  Dewali.,  Het  schermen  der  inlanders 
te  Batavia,  T.  B.  B.  1897. 

3.  R.  VAN  Eck,  Schetsen  uit  het  volksleven  (I.  O. 
1880  II,  1881  1. 

4.  J.  Oronemann,  Een  avond  bij  den  rijksbestuurder 
vao  Jogjakarta,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1890. 

5.  J.  Gros  EN  ANN,  De  wajang  orang,  1899. 


6.  J.    Grosemann,  Jajaansche  tooneeldansen,  Tds. 
L  A.  G.  1881. 

7.  J.  Gronemann,  In  den  kedaton  te  Jogjakarta,  1888. 

8.  J.   Gronemann,   De  gamelan  te  Jogjakarta,  Vh. 
K.  A.  W.  1890. 

9.  G.  A.  J.  Hazeu,  Bijdrage  tot  de  kennis  van  het 
Javaansch  toneel  (diss.)  1897. 

10.  G.  A.  J.  Hazeu,  Nini  towoug,  T.  B.  Gen.  1,  43. 

11.  W.  R.  VAN  HoEVELL,  Reis  over  Java  en  Madoera, 
1849. 

12.  W.  R.  VAN  Hoevell,  Bijdrage  tot  de  kennis  der 
Badoeinen,  T.  N.  I.  1045,  lY. 

13.  Ji'L.  Jacobs  en  J.  J.  Meyer,  De  Badoej's,  1891. 

14.  fi.   H.   Ji'YNUOLi.,   Das  javanische  Maskenspiel, 
Int.  Arch.  f.  Ethn.  1901. 

15.  Emilie  van  Keiiikiioff,  Java,  1912. 

16.  J.  Kreemkr,  Regen  maken,  M.  N.  Z.  G.  1886. 

17.  J.  Kreemer,  Regen  afweerders,  M.  N.Z.G.  1890. 

18.  J.  A.  Loeder  Jr.,  Javanische  Schattenbilder  (die 
Werkkunst  1908). 

19.  E.  Metzger,  Der  topeng  auf  Java,  Globus  1887. 

20.  F.  V.  I).  M.,  lets  over  muziek  en  het  tandakken 
bij  de  Javanen,  T.  B.  B.  1888. 

21.  L.  Tii.  Mayer,  De  sedeka's  en  slanietans  in  de 
dessa  (1909). 

22.  L.  Th.  Mayer,  Een  blik  in  het  Javaanscbe  volks- 
leven,  I  und  II,  1897. 

23.  H.    VAN    Pedersen,    Door   den   Oost-Indischen 
Archi|>el,  1912. 

24.  C.  PoENsEN,  Een  en  ander  over  den  godsdien- 
stigen  toestand  van  den  Javaan,  M.  N.  Z.  G.  1865. 

25.  C.  PoENSEN,  De  wajang,  M.  N.  Z.  G.  1872. 

26.  Sir  Th.  Rakkles,  The  history  of  Java  (1830)  I. 

27.  V.  DE  Serii::re,  Javasche  volksspelen  en  verma- 
ken,  T.  N.  1.  1873  I  u.  II,  1874  II. 

28.  L.  Serrurier,  De  wajang  poerwa,  1896. 

29.  H.  W.  VAN  Waay,  Het  offerfeest  aan  de  Bromoh, 
T.  N.  1.  1875,  I. 

n.  Andere  Werke. 
A.  ALLGEMEINER  ART. 

1.  J.  DoNAVAN,  Music  and  Action,  1899. 

2.  Huoo  Brandenberg,  Der  moderne  Tanz,  1913. 

3.  M.  Emanuel,  Ija  danse  grecque  antique,  1895. 

4.  Lilly  Grove,  Dancing  1895. 

5.  Yrjo  Hirn,  The  origin  of  arts,  1900. 

6.  E.  Grosse,  Anfänge  der  Kunst. 

7.  J.  G.  Frazer,  The  belief  in  immortality  and  the 
worship  of  the  dead,  I,  1913. 

8.  J.  G.  Frazer,  The  magic  art,  I,  II  (Golden  liough). 

9.  J.  G.  Frazer,  Balder  the  Beautiful,  1,  II  (Golden 
Bough)  1913. 

10.  J.  G.  Frazer,  Taboo  and  the  perils  of  the  soul 
(Golden  Bough)  1911. 

11.  J.  G.  Frazer,  The  scape  goat  (Golden  Bough). 


—  240  — 


12.  J.  G.  Frazkr,  Toteniism  and  Exogamy  I,  II,  III, 
IV,  -1910. 

13.  W.  JoEST,  Allerlei  Spielzeug,  Int.  Arch.  f.  Ethn. 
1893. 

14.  J.  P.  N.  Land,  Kritik  auf  K.  Hagens  Disserta- 
tion über  primitive  Musili,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1892. 

15.  F.   Karsch.   Haack,  Das  gleichgeschlechtliche 
Leben  der  Naturvölker,  1911. 

16.  J'r.  V.  Hellwald,  Der  Tanz  im  Lichte  der  Völker- 
kunde, ölobus,  1891. 

17.  F.  DK  MÉNEL,   Histoire  de   la  danse   à  travers 
les  ages. 

18.  R.  ScHURTz,  Altersklassen    und   Männerbünde, 
1902. 

19.  K.  ScHROETER,  Anfänge  der  Kunst  im  Tierreich 
und  bei  den  Zwergvölkern,  1914. 

20.  Otto  Stoll,  Das  Geschlechtsleben  in  der  Völker- 
psychologie, 1906. 

21.  Otto  Stoll,  Suggestion  und  Hypnotismus. 

22.  R.  Wallachek,  Primitive  Music,  1893. 

23.  Lee  J.   Vane,  The  evolution   of  dancing.  Pop. 
science  monthly,  1892. 

24.  W.   WuNDT,  Völkerpsychologie  III.  Die  Kunst, 
1908. 

25.  The  Encyclopaedia,  Brittanica,  Art  »Dancing" 
(1910). 

26.  Encycl.  v.  Nederl.  Indie,  Art.  Dans. 


B.  ETHNOLOGISCHE  ARBEITEN  ÜBER  DEN 
MALAJISCHEN  ARCHIPEL. 

27.  A.  C.  Kruyt,  Het  animisme  in  den  Indischen 
Archipel,  1906. 

28.  C.  M.  Pleyte,  Die  Schlange  im  Völkerglauben 
der  Indonesier  Globus,  1894. 

29.  C.  M.  Plevte,  Indonesische  Masken,  Globus  1802. 

30.  A.  W.  NiEUWENHUis,  Der  Brauch  von  Pfeil  und 
Bogen  auf  den  grossen  Sunda-Inseln,  Int.  Arch.  f. 
Ethn.  1910. 

31.  G.  A.  Wilken,  Het  sjamanisme  bij  de  volken 
van  den  Indischen  Archipel,  (Verspreide  Geschriflen 
III,  S.  325). 

32.  G.  A.  Wilken,  Plechtigheden  en  gebruiken  bij 
verlovingen  en  huwëlijken,  Verspr.  Geschr.  I. 

C.  ARBEITEN  ÜBER  ANDERE  GEBIETE. 

33.  Kürt  Breysio,  Die  Völker  ewiger  Urzeit  I  (Die 
Kolumbianer:  Tanz  und  Lied  I,  S.  310). 

34.  R.  ScMiDT,  Liebe  und  Ehe  in  Indien,  1904. 

35.  A.  Grünwedel,  Sinbalesische  Masken,  Int.  Arch, 
f.  Ethn.  1893. 

36.  R.  Martin,  Die  Inlandstämme  des  malajischen 
Halbinsel,  1905. 

37.  W.  W.  Skeat,  Malay  Magie,  1903. 

38.  H.  J.  Wehrli,  Beiträge  zur  Ethnologie  derChing- 
paw  von  Ober-Burma,  Int.  Arch.  f.  Ethn.  1904(Suppl.). 

39.  F.  Boas,  The  social  organisation  and  the  secret 
societies  of  the  Kwakiutl  Indians.  1897. 


ABKÜRZUNGEN. 


Int.  Arch.  f.  Ethn.,  Internationales  Archiv  für  Ethnographie. 

Bijdr.  T.  L.  en  V.,  Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederl.-Indie. 

Tds.  v.  Ind.  T.  L.  en  V.  oder  T.  B.  G.,  Tijdschrift  van  de  Indische  Taal-  Land-  en  Volkenkunde.  Uitgegeven 

door  het  Batavia'sch  Gcnootschap  van  K.  en  W. 
T.  A.  G.,  Tijdschrift  van  het  Nederl.  Aardrijkskundig  Genootschap. 

Med.  Ned.  Zend.  Gen.  (M.  N.  Z.  G.),  Mededeellngen  vanwege  het  Nederlandsche  Zendeling-Genootschap. 
Vh.  kl.  Ak.  V.  W.,  Verhandelingen  der  Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen  (afd.  Lett). 
T.  N.  I.,  Tijdschrift  voor  Nederl.  Indie. 

Ber.  Utr.  Zend.  Ver.,  Berichten  der  Utrechtsche  Zendingsverceniging. 
I.  G.,  De  Indische  Gids. 

T.  B.  B.,  Tijdschrift  van  het  Binnenlandsch  Bestuur. 
T.  L  A.  G.,  Tijdschrift  van  het  Ind.  Aardr.  Gen. 
Nat.  T.  N.  I.,  Natuurkundig  Tijdschrift  voor  Nederl.-Indië. 
S.  Z.,  De  Rijnsche  Zending. 


SOME  BLACKFOOT  SONG  TEXTS 


BY 


C.  C.  UHLENBECK. 


On  my  return  from  Blackfoot  reservation  in  1911  I  stayed  a  few  days  at  the  hospi- 
table house  of  Dr.  G.  B.  Grinsell,  the  distinguished  author  on  the  culture  and  folklore  ot 
the  Plains  tribes.  Then  he  had  the  kindness  to  give  me  the  following  short  song  texts, 
recorded  by  him  phonographically  in  1897,  with  the  permission  to  transcribe  them,  to 
translate  them  in  my  own  way,  and  to  publish  them.  I  accepted  his  gift  with  gratitude, 
the  more  because  the  number  of  such  song  texts  recorded  by  myself  was  rather  small 
(see  Original  Blackfoot  texts,  p.  66 — 68  and  A  new  series  of  Blackfoot  texts,  p.  210). 

1-  Smoking  song  of  Beaver  medicine,  sung  when  the  pipe  is  unwrapped. 
Nipaupit,  ninai,  kaxkötsis(i)  I  Sit  up,  man,  that  you  may  smoke  ! 


2.  Another  smoking  song. 
Nipuäut,  kaxkötais(i)  ! 

3.  First  song  of  Beaver  medicine. 

Nepiisi,  saksiniki,  ixtäpiniki,  (ni)tâik«- 
möt,  nitzstài. 

4.  Crow  Water  song. 

MatApi(u)  '  maukapépuyi(u)?    A'nnoajk 
ônokâmità8in(a)  aipü^sapu.  A'uke,  nitötoaii. 

5.  Peigan  Water  song. 
Spö^tm  nitsikimmok.  Matàpiuamàukap- 

èpuyi(u)?  Nitâtos. 


Get  up,  that  you  may  smoke! 

In  summer,  when  I  go  out,  if  I  see  then 
[anything  dangerous],  I  am  saved,  I  dive. 

Why  are  the  people  talking  around? 
Now  there  are  many  horses  coming  this 
way.  Here  they  are,  I  took  them. 

[The  one  who  is]  on  high  had  pity  on 
me.  Why  are  the  people  talking  around? 
I  have  supernatural  power. 

6.  War  song  (the  mother  of  a  certain  young  girl  supposed  to  be  speaking). 
No;»;kâkùs(i),  annö;*;k  (nijtâkitsitôm.  Ni-  Though  I  was  going  to  have  him  for 

kimomaxk8tsiimmau(?).  son-in  law,  now  I  shall  marry  [him]  [myself]- 

I  all  at  once  admire  him(?). 


7.  Crazy  Dog  Society  song. 
Makâpi(u)  napiusin(i). 


It  is  bad  to  be  old. 


242  - 


8.  War  songC?). 

Hâpi  (?),  pinotâmôkit,  (ni)tâka%kyapauyi 


mini. 


. . . ,  do  not  feel  uneasy  about  me,  I 
shall  be  eating  berries  on  my  way  home. 


9.  Camp  song. 

Imitâunistsî  ixpîpim.  He  came  in  with  the  dog  travois. 

10.  Song  of  unknown  character  (perhaps  referring  to  a  buffalo -stone). 
O'^kotok  âuani(u):  Matökit.  The  stone  says:  Take  me. 

11.  Song  of  unknown  character. 

Nitünnots.  I  am  hungry. 

12.  Song  they  used  to  sing  when  they  came  in  sight  of  the  enemy's  camp  and  prepared 
to  make  the  charge. 

O'kosiks  â;i;kitunotoaii.  His  [that  means:  their]  children,  let  us 

take  them  now. 

13.  Song  said  to  have  been  sung  by  a  party  of  Blood  Indians  who  returned  from  war 
and  found  the  people  in  their  own  camp  still  asleep. 


Pinâpi-Kâina,  sakyâiokat,  akotauop. 

14.  Love  song. 

Imakumaipitâke  nanistunnotatau. 


15.  Joke  song. 

Apikaii  sômituyokakèkinni. 

16.  Kit-fox  trapping  song. 
Sinopau  nâ;t;ksikyakatau  I 

17.  Eagle  song  of  the  Beaver  medicine. 
Ninâi,  nipitai  ;  m'nai,  ninitauatös. 


Eastern  Bloods,  you  are  still  asleep,  we 
shall  arrive. 


As  I  hunger  for  even  a  very  old  wo- 
man [,  the  more  I  hunger  for  the  love  of 
the  young  ones]. 

A  skunk  with  a  bare(?)  backbone. 
May  I  trap  a  kit-fox! 


Man,  I  am  an  eagle  ;  man,  I  alone  have 
supernatural  power. 


18.  Triumph  song  (the  defeated  enemy  supposed  to  be  speaking). 


Kaiop?  Otau,  paiü^sapau,  nitasainiop. 

19.  Brave  Society  dance  song. 
Kaina(u)  otatsâpsin(i)  ixtàkuinîu. 

20.  Dove  Society  song. 
Kaköaki,  motùiikàkimàk  ! 


What  is  the  matter  with  us  ?  We  arrive, 
we  come  here,  we  are  all  crying. 

The  Bloods  will  die   [i.  e.  get  killed] 
because  of  their  own  foolishness. 

Doves,  all  of  you,  try  hard  ! 


-    243 


REVUE  BIBLIOGRAPHIQUE.  -  BIBLIOGRAPHISCHE  ÜBERSICHT. 


Pour  les  abréviations  voir  p.  124,  192  du  Tome 
Psychologie. 

GÉNÉRALITÉS. 

M.  J.  L.  DK  Lanessan  (R.  a.  XXV  p.  343,  401) 
continue  son  étude  sur  la  morale  du  transformisme, 
en  traitant  de  la  morale  des  besoins  naturels  et  la 
morale  des  passions. 

M.  Abbl  Hovblacqoe  (R.  A.  XXV  p.  379:  Lan- 
gue«, races,  nationalités)  fait  une  démonstration  sur 
l'inanité  de  la  théorie  des  langues  et  des  races. 

M.  OiOBOKS  HravÉ  (,R  A.  XXV  p.  339)  fait  des 
oWervations  au  sujet  du  principe  des  nationalités. 

M.  le  Prof.  C.  H.  Stbatz  (A.  A.  XIV  p.  81  :  Be- 
trachtungen über  das  Wachstum  des  Menschen  F. 
At.  fig.)  fait  des  remarques  critiques  sur  le  livre 
du  Dr.  Weissenberg. 

Bull.  S.  A.  V  publie  des  contributions  du  Dr.  Siffbb 
(p.  10:  L'usure  des  dents  chez  les  préhistoriques. 
l.  Usure  chez  l'enfanti  ;  de  M.  L.  Manodvrier  (p.  179: 
Sur  le  rôle  de  Tacromégalie  en  morphologie  crâ- 
nienne); du  Dr.  A.  DE  Brandt  (p.  236:  Explication 
embryologique  de  l'origine  des  droitiers  et  des  gau- 
chers); du  Dr.  Adolphe  Blocu  (p.  217:  Sur  la  cor- 
rélation de  croissance  entre  les'phanères),  sur  les 
organes  toujours  visibles  comme  les  poils,  les  ongles, 
le«  plumes  et  les  cornes. 

M.  le  Dr.  Ftux  Rbohault  (Bull.  S.A.)  publie 
une  notice  sur  des  ex-voto  en  cire  modelés  par  les 
fidèle«;  des  remarque«  sur  des  statuettes  de  femmes 
(p.  829:  Le«  repréeentations  de  l'obésité),  en  obser- 
vant qu'un  grand  nombre  de  peuples  ont  regardé 
l'obésité  chez  la  femme  comme  un  idéal  esthétii]ue. 
U  y  i^joute  (p.  233  :  La  spondylolisthesis  de  la  Vénus 
hottentote.  Av.  fig.)  une  note  sur  le  squelette  d'une 
femme  hottentote,  citée  comme  exemple  de  la  sté- 
atopygie;  et  des  observations  (p.  249)  sur  les  infir- 
mité« des  animaux  sauvages  devant  les  théories 
darwiniennes. 

H.  Karl  vom  Si-iess  (Korr.  A.  U.  XLVI  p.  2: 
PeraOnliche  und  unpersönliche  Kunst.  Av.  tig.)  publie 
une  étude  d'ethnographie  comparée. 

Korr.  A.  O.  publie  encore  des  contributions  de 
M.  Hcoo  MoTEFiNDT  (p.  36  :  Über  Alter  und  Herkunft 
der  Kultur  des  Speltes)  sur  un  si^et  de  botanie 
préhistorique;  de  M.  Max  Stein  (p.  30:  Ein  mine- 
ralogisches Erkennungszeichen  prähistorischer  Feuer- 
■tainartefokte)  ;  et  de  M.  Ernst  Lektz  (p.  86  :  Metho- 
dlwb«  Siedelungsforschung). 

I.  A.  f.  E.  Bd.  XXIII. 


précédent.  Ajouter:  BoL  F8.  =  Journal  of  Religious 

M.  Hans  Virchow  (Z.  E.  XL VII  p.  65.  Av.  flg.) 
fait  la  démonstration  du  crâne  et  du  masque  d'un 
jeune  chimpansé  ;  et  publie  (Z.  E.  XL VII  p.  95)  une 
notice  de  cràniométrie. 

EUROPE. 

M.  WiEGERS  (Z.  E.  XL VII  p.  68:  Das  geologische 
Alter  des  Homo  Mousteriensis)  publie  des  notes  de 
paléontologie. 

M.  I.  Flgdström  (Ymer  1916  p.  218:  Till  frâgan 
om  rasskillnader  inom  Sverges  Befolkning)  traite  la 
question  de  la  différence  des  races  dans  la  population 
de  la  Suède. 

A.I.  publie  un  discours  présidentiel  de  M.  Arthur 
Keith  (XLV  p.  12:  The  Bronze  Age  Invaders  of 
Britain);  et  une  communication  archéologique  de 
MM.  Habold  Peake  et  E.  A.  Hooton  (p.  92  :  Saxon 
Graveyard  at  East  Shefford,  Berks.  Av.  pi.). 

M.  Ü.  M.  Fraser  (Scott.  XXXII  p.  561  :  The  Roman 
Camp  near  Aberdeen.  Av.  pi.  et  fig.)  décrit  des  fouil- 
les dans  le  camp  romain  de  Glenmailen  près  de 
Ythan  Wells. 

M.  PitBRE  G.  Mahoüdiaü  (R.  A.  XXV  p.  423  : 
Les  Celtes  en  Anthropologie)  donne  raison  à  Henri 
Martin  contre  Broca  en  prouvant  que  le  nom  de 
Celtes  donné  par  César  aux  habitans  de  la  Gaule  ne 
s'applique  qu'à  une  minorité  qui  avait  envahie  et 
subjuguée  le  pays,  race  blonde,  dolichocéphale  et  de 
grande  taille,  tandis  que  la  majorité,  soit  qu'on  les 
nomme  Ibères  ou  Ligures,  était  brachycéphale , 
brune  et  de  petite  taille. 

M.  De  Saint-Périeb  (Bull.  S.A.  V  p.  31)  décrit 
des  lésions  osseuses  d'un  squelette  d'enfant,  trouvé 
dans  un  milieu  gallo-romain.  L'intérêt  considérable 
de  ce  squelette  est  selon  l'auteur  dans  le  fait  que 
les  lésions  doivent  être  attribués  à  la  syphilis  héré- 
ditaire. 

Bull.  S.  A.  contient  encore  des  contributions  ar- 
chéologiques du  Dr.  Louis  Dubreuil-Chambardei, 
(p.  71:  Les  trouvailles  de  l'âge  du  bronze  en 
Touraine.  Av.  flg.;  p.  253:  Le  menhir  de  Luzillé, 
Indre-et-Loire);  du  Dr.  Marcel  Baudouin  (p.  38: 
Les  actions  humaines  sur  les  ossements  de  la  ciste 
des  Cous,  à  Bazogesen-Pareds,  Vendée;  p.  181:  Les 
pieds  humains  sculptés  de  la  Pierre  le  Mulot  à 
Bleurville,  Vosges.  Av.  flg;  p.  205:  Remarques  sur 
un   crâne,   d'origine  inconnue,   offert  à  la  S.  A.  P. 

32 


244  — 


par  M.  le  Dr.  Le  Pileur,  crâne  trouvé  vers  1852 
dans  une  localité  près  de  Bourges  que  l'on  consi- 
dérait comme  un  cimetière  gallo-romain.  M.  Baudouin 
en  dit:  D'après  ce  que  nous  venons  de  dire  il  ne 
peut  être  que  néolithique  et  de  l'époque  des  Ossu- 
aires de  la  Pierre  polie.  Il  est  bien  évident  que,  dès 
qu'on  a  cessé  de  décarniser  les  cadavres  et  a  utilisé 
l'inhumation,  on  n'a  plus  eu  recours  aux  pratiques 
très  curieuses  que  nous  venons  de  retracer  sur 
ce  chef. 

R  A.  publie  des  communications  archéologiques 
de  M.  Paul  de  Moetillet  (XXV  p.  327:  Cachette 
de  haches  en  bronze  de  Plaisir,  Seine-et-Oise.  Av. 
fig.);  et  de  M.  J.  Bossavy  (p.  334:  Les  haches  en 
bronze  de  Plaisir),  avec  une  description  de  fouilles 
en  Seine-et-Oise. 

M.  l'abbé  Bbeuil  (A.  XXVI  p.  329:  Nouvelles 
roches  peintes  de  la  région  d'Alpéra,  Albacète.  Av. 
fig.)  continue  ses  études  sur  les  peintures  rupestres 
d'Espagne.  En  collaboration  avec  M.  Miles  Buekitt 
(A.  XXVI  p.  313:  Les  Abris  peints  du  Monte  Arabi 
près  Yecla,  Murcie.  Av.  flg.)  et  don  Federico  de 
Motos  (p.  332:  Les  roches  à  figures  naturalistes  de 
région  de  Velez-Blanco,  Almeria.  Av.  pi.  et  flg.)  il 
en  décrit  de  nouvelles. 

M.  A.  AoBELio  Da  Costa  Ferreiea  (Bull.  S.  A. 
V  p.  197.  Av.  fig.)  publie  une  contribution  anthro- 
pologique à  l'étude  de  quelques  cimetières  anciens 
de  Portugal. 

Z.  E.  XL VII  contient  des  contributions  archéologi- 
ques de  M.  R.  MiELKE  (p.  75  :  Die  angeblich  germanische 
Kundbauten  an  der  Markussäule  in  Rom.  Av.  fig-); 
de  M.  Hugo  Mötefindt  (p.  35:  Ein  schnurkeramischer 
Grabfund  von  Klein-Mühlingen,  Anhalt.  Av.  flg.;  p. 
40:  Altes  und  Neues  über  die  Kugelamphoren  in 
den  Thüringisch-sächsischen  Ländern.  Av.  fig.);  et 
de  M.  H.  Busse  (p.  60:  Über  Ausgrabungen  bei 
Radlov?  am  Scharmützelsee  im  Kreise  Beeskow- 
Sterkow  und  ein  Siebgerät  von  dort.  Av.  fig.). 

Ajoutons  y  la  communication  de  M.  L.  Knoop 
(Korr.  A.  G.  XLVI  p.  34  :  Rechter  Calcaneus  eines 
Paläolithikers  aus  dem  Diluvium  von  Gr.  Winnigstedt 
im  Kreise  Wolfenbüttel.  Av.  fig.). 

Les  observations  du  Dr.  E.  Scheffelt  (A.  A.  XtV 
p.  98  :  Rassenanatomische  Untersuchungen  an  euro- 
päischen Haaren)  se  bornent  à  des  populations  alle- 
mandes. 

G.  XXX  publie  une  communication  de  M.  Loins 
Leger  (p.  161)  sur  les  Slaves  d'Autriche-Hongrie. 

M.  F.  V.  Kucera  (Mitt.  G.  G.  VV'ien  LVIII  p.  461  : 
Dalmatinische  Morlaken)  publie  une  notice  sur  une 


dénomination  donnée  originairement  à  la  population 
d'origine  romaine  sur  la  côte  dalmatique  et  qui  a 
depuis  été  transférée  aux  Bosniaques  chrétiens. 

M.  Georges  Hervé  (R.  A.  XXV  p.  298  :  Un  an- 
thropologiste  français  chez  les  Serbo-Croates,  au 
lendemain  de  1870.  Av.  portraits)  publie  un  discours 
sur  l'oeuvre  de  Abel  Hovelacque,  avec  des  extraits  de 
ses  lettres  pendant  son  séjour  en  Hongrie  et  Serbie. 

M.  Emile  Haumant  (Ann.  G.  XXIII  p.  407:  Le 
pays  dinarique  et  les  types  serbes)  donne  l'analyse 
d'un  livre  publié  par  M.  Jovan  Cvijic  sous  le  pseu- 
donyme de  Dinaricus  (Yedinstvo  Yougoslovena)  sur 
l'unité  des  Yougo-Slaves. 

Les  origines  des  Bulgares  font  le  sujet  d'une 
étude  du  Dr.  J.  B.  Lobitz  (Korr.  A.  G.  XLVI  p.  21: 
Über  die  Herkunft  des  südbulgarischen  Dolicho- 
cephalus). 

Le  Roumanie  fournit  des  sujets  au  Dr.  F.  W. 
Paul  Lehmann  (P.  M.  LIX  p.  256  :  Verbreitung  und 
Entwicklung  der  rumänischen  Nation);  au  Dr.  N. 
JoRQA  (p.  260:  Die  Entwicklung  des  rumänischen 
Staatswesens)  et  à  M.  Emu.  db  Mabtonne  (G.  XXX 
p.  241:  La  Roumanie  et  son  rôle  dans  l'Europe 
orientale). 

M.  Eugène  Pittabd  (R.  A.  XXV  p.  447)  fait  une 
comparaison  de  quelques  caractères  somatologiques 
chez  les  Turcs  et  les  Grecs  avec  la  conclusion  assez 
surprenante  que  parmi  ceux  qui  habitent  la  partie 
méridionale  de  la  péninsule  Balkanique  les  plus  rap- 
prochés, morphologiquement,  sont  les  Turcs  et  les 
Grecs. 

M.  le  Dr.  Emil  Fischkb  (Korr.  A.  G.  XLFV  p.  31  : 
Dionysos-Sabazios)  publie  une  étude  de  préhistorique 
grecque.  Il  donne  ses  arguments  pour  prouver  l'iden- 
tité de  Bacchus  et  de  Zeus  et  l'origine  de  son  culte 
en  Thrace. 

P.  M.  contient  des  articles  d'un  intérêt  actuel,  du 
Dr.  R.  Kaindl  (LXI  p.  298:  Die  ethnographische 
Zusammenstellung  der  Bevölkerung  der  Bukowina)  ; 
du  Dr.  H.  Rosen  (p.  329:  Die  ethnographischen 
Verhältnisse  in  den  baltischen  Provinzen  und  in 
Lithauen)  ;  du  Dr.  Richard  von  Pfaundler  (p.  333  : 
Österreichisch-italienische  Gren; fragen);  et  du  Prof. 
Dr.  Anastas  Ischiekoff  (p.  339:  Ethnographische 
Karte  des  Bulgareutums  auf  der  Balkanhalbinsel  im 
Jahre  1912). 

ASIE. 

Morgenl.  publie  des  études  de  Mad.  Wanda  von 
Bartels  (LXIX  p.  52:  Die  Reihenfolge  der  Buch- 
staben im  Alphabet)  ;  de  M.  P.  Schwarz  (p.  59  :  Die 


i 


—  245  — 


Anordnung  des  arabischen  Alphabets);  de  M.  Erich 
Ebblino  (p.  89:  Assyrische  Beschwörungen),  trans- 
cription et  traduction;  de  M.  Ed.  König  (p.  283: 
Der  Mondgott  bei  den  Hebräern),  remarques  critiques 
Bur  une  bjpotbèse  de  M.  D.  Nielsen,  qui  identifie 
Jabve  avec  la  Lune. 

Q.  XXX  donne  un  extrait  d'un  livre  qui  est  pré- 
paré par  le  R.  P.  de  Jekphanion  (p.  1  :  La  région 
d'Urgub)  sur  les  églises  souterraines  de  Cappadoce. 

M.  le  Prof.  Dr.  F.  Fbkch  (Z.G.  E.  1915  p.  576: 
Die  armenischen  Burgen.  Av.  pi.)  décrit  des  fortifi- 
cations arméniennes  qui  déjà  du  temps  des  croisades 
faisaient  l'admiration  des  croisés. 

M.  le  Dr.  A.  Dibb  (P.M.  LXI  p.  309:  Die  Bevöl- 
kerung des  Sakataler  Kreises)  publie  des  notes  sur 
un  district  de  la  Transcaucasle. 

M.  K.  A.  C.  Cbeswbll  (L  Ant.  XLIV  p.  133: 
The  History  and  Evolution  of  the  Dome  in  Persia. 
At.  pi.)  publie  une  étude  d'architecture. 

G.  J.  XLVI  (p.  269  :  Sir  Aurel  Stein's  Expedition 
in  Central  Asia)  donne  une  nouvelle  communication 
du  voyageur  avec  des  notes  sur  d'importantes  dé- 
couvertes archéologiques. 

M.  JosKPU  Castauné  (Bull.  S.A.  V  p.  7:  Monu- 
ments cyclopôens  dans  le  Ferghana.  Av.  fig.)  décrit 
quelques  résultats  de  recherches  archéologiques. 

R.  A.  (XXV  p.  373)  rend  compte  d'un  article, 
publié  par  le  Dr.  Jivamzi  Jaksukdi  Modi  dans  le 
Journal  de  la  Société  d'Anthropologie  de  Bombay 
sous  le  titre:  Processions  du  diable  au  Thibet,  fruit 
d'observations  qu'il  a  pu  faire  sur  les  Tibétains  pen- 
dant les  quelques  mois  qu'il  passa  en  1913  à  Dar- 
Jeeling. 

M.  G.  Vabiot  et  Mad.  Chatelu»  (Bull.  S.A.  V 
p.  239.  Av.  flg.)  publient  des  observations  sur  le  pied 
des  jeunes  Chinoises. 

Trans.  J.  S.  publient  des  contributions  de  M.  W.  L. 
HiLDBOBuu  (XII  p.  22:  Japanese  Popular  Magic 
Connected  with  Agriculture  and  Trade.  Av.  pi.);  de 
M.  YoNÉ  Nooucui  (p.  86:  Japanese  Poetry;  p.  146: 
The  Last  Master  of  the  Uklyoye  Art.  Av.  pi.)  ;  de 
M.  KncHi  Tamasaki  (p.  112:  Japanese  Drama); 
de  M.  Kkmoo  Mobi  (p.  180:  Government  Finance 
and  Social  Life  in  Japan);  du  Dr.  A.  A.  Bbbueb 
(p.  168  :  The  Influence  of  China  on  Lacquer  In  Japan. 
Av.  pi.);  de  M.  Jambs  Tboup  (p.  178:  Illustrations 
of  Buddhism  from  Japanese  Pictures.  Av.  pi.);  de 
M.  W.  Blamb  (XIII  p.  1:  Tslngtao.  Av.  pi.);  de 
M.  W.  GoWLAHD  (p.  19:  MeUls  and  Metal  Working 
in  Old  Japan.  Av.  pi.  et  fig  )  ;  de  Miss  Lilian  Hall 
(p.    101:    The    Avocations   of  Japanese    Women); 


de  M.  Kato  Naoshi  (p.  116:  Eastern  Ideas  and  the 
Japanese  Spirit.  Av.  fig.). 

M.  M.  Boule  (A.  XXVI  p.  397.  Av.  fig.)  publie 
un  article  sur  les  singes  fossiles  de  l'Inde,  d'après 
M.  Pilgrim. 

M.  L.  ScHEEMAN  (A.  A.  XIV  p.  203:  Wohnhaus- 
typen in  Blrma  und  Assam.  Av.  pi.  et  fig.)  publie 
des  types  d'architecture  rurale  de  l'Inde. 

Henbi  Maspebo  (Bull.  E.  0.  XIV  n».  9.  Av.  pi.) 
publie  un  rapport  sommaire  sur  une  mission  arché- 
ologique au  Tchö-kiang. 

M.  H.  Pabmentieb  (Bull.  E.  0.  XIV  n».  9  p.  57) 
donne  l'analyse  d'un  livre  de  M.  Georges  Groslier 
(Danseuses  Cambodgiennes  anciennes  et  modernes. 
Paris.  Illustré). 

M.  G.  CoEDÈs  (Bull.  E.  0.  XIV  n».  9  p.  8)  donne 
l'analyse  du  livre  de  M.  Georges  Maspebo  (Le  ro- 
yaume de  Champa). 

M.  le  Dr.  J.  P.  Kleiweg  de  Zwaan  (I.  G.  XXXVII 
p.  1305:  Beschouwingen  omirent  den  zelfmoord  bu 
de  Inlanders  van  den  Indischen  Archipel)  fait  des 
observations  sur  le  suicide,  ses  causes  et  ses  suites 
chez  les  indigènes  de  l'Indonésie. 

M.  K.  A.  James  (T.  B.  B.  XLIX  p.  185:  De  nagari 
Kota  Gedang)  publie  des  notes  sur  la  population 
d'un  district  malais  de  Sumatra  (Padangsche  Boven- 
landen)  qui  se  distingue  par  un  développement  in- 
tellectuel remarquable. 

M.  D.  W.  N.  DK  Boeb  (T.  B.  B.  XLIX  p.  1: 
Haradjaon-bescbouwingen)  publie  des  notes  sur  les 
Bataks. 

M.  J.  W.  Mbijkb  RANNEiT  (T.  B.  B.  XLIX  p.  59  : 
Volksverplaatsing  op  Java)  considère  la  question  de 
l'émigration  des  Javanais. 

I.  G.  XXXVII  (p.  1589)  donne  la  description  du 
cérémoniel  observé  au  mariage  du  sounan,  prince 
indigène  de  Solo. 

M.  le  Dr.  Fbanz  Schwkbz  (A.  A.  XIV  p.  89  ;  Zwei 
Schädel  von  Buggisen)  fait  des  observations  sur  des 
crânes  d'indigènes  de  Celebes. 

M.  Fay  Coppeb  Cole  (Field  Museum  XII  n".  2; 
The  Wild  Tribes  of  the  Davao  District)  publie  les 
résultats  d'un  voyage  d'études  de  sept  mois  dans  le 
sud  de  l'ile  de  Mindanao. 

AUSTRALIE  et  OCÉANIE. 

M.  Baldwin  Spenceb  (Native  Tribes  of  the  Northern 
Territory  of  Australia)  décrit  les  tribus  indigènes  de 
l'Australie  du  Nord. 

La  Nouvelle  Guinée  fournit  des  sujets  à  M.  Otto 
ScHLAGiNHAUFEN   (Z.  E.  XL VII  p.  53:  Die  Stellung 


—  246  — 


der  Photographie  in  der  anthropologischen  Methodik 
und  die  Pygmäenfrage  in  Neuguinea);  et  à  MM. 
E.  W.  P.  Chiknery  et  W.  N.  Beaveu  (A.  I.  XLV 
p.  69:  Notes  on  the  Initiation  Ceremonies  of  the 
Koko,  Papua). 

A.  A.  contient  des  contributions  du  Dr.  Ludwig 
Bauer  (XIV  p.  145;  Beiträge  zur  Kraniologie  der 
Baining,  Neu-Pommern.  Av.  pl.  et  fig.)  ;  et  de  M.  E. 
Heider  (p.  119:  Samoanische  Rätsel),  transcription 
avec  traduction  et  notes  explicatives  d'énigmes  com- 
muniquées par  des  indigènes. 

MM.  C.  E.  Fox  et  F.  H.  Drew  (A.  I.  XLV  p.  131: 
Beliefs  and  Taies  of  San  Cristovàl)  donnent  une 
contribution  du  folklore  des  îles  Solomon. 

AFRIQUE. 

M.  Fb.  db  Zeltneb  (Bull.  S.  A.  V  p.  37.  Av.  flg.) 
donne  des  notes  sur  deux  ornements  en  étain  portés 
par  les  Gallas;  et,  dans  un  compte  rendu  (Bull.  S.A. 
V  p.  215)  de  deux  livres,  l'un  de  M.  Günter  ïess- 
MANN  (Les  Pangwé)  et  l'autre  de  M.  P.  Stuhlmann 
(Ein  kulturgeschichtlicher  Ausflug  in  den  Aures),  il 
fait  des  observations  sur  les  Pahouins,  un  des  peuples 
les  moins  connus  de  l'Afrique  équatoriale  et  sur  les 
diverses  populations  qui  se  sont  succédées  dans  le 
nord  de  l'Afrique. 

Le  major  A.  J.  N.  Tbemeaene  (A.  I.  XLV  p.  23  : 
Bori  Beliefs  and  Ceremonies.  Av.  pl.)  pubHe  des  notes 
sur  la  vie  religieuse  et  la  vie  domestique  des  peuples 
Hausa  du  nord  et  de  l'ouest  de  l'Afrique. 

R.  A.  XXV  (p.  417;  Un  crime  passionnel  au  Da- 
homey) publie  le  procès  verbal  d'une  affaire  très 
intéressante  au  point  de  vue  ethnographique. 

M.  H.  Neuville  (A.  XXVI  p.  363.  Av.  pl.)  fait 
des  observations  sur  deux  crânes  de  gorilles  de  la 
Likouala-Mossaka. 

M.  Guthbert  Christy  (G.  J.  XL VI  p.  200:  The 
Ituri   River,  Forest  and  Pygmies.  Av.   pl.)   fait  la 


relation  d'une  excursion  dans  l'Afrique  Centrale  avec 
des  détails  sur  des  tribus  naines. 

G.  J.  (XL VI  p.  253  :  A  West  African  Fetish,  Av. 
pl.)  donne  la  description,  avec  image,  d'une  poupée 
en  bois,  dans  laquelle  les  indigènes  enfoncent  des 
clous  pour  renforcer  une  prière  ou  bien  pour  se 
venger  d'un  ennemi. 

Le  major  E.  R.  Collins  (A.  L  XLV  p.  79  :  Stone 
Implements  from  South  African  Gravels.  Av.  fig.) 
décrit  des  instruments  en  pierre  taillée  de  l'Afrique 
du  Sud. 

M.  R.  Vebneau  (A.  XXVI  p.  447)  fait  l'analyse 
d'un  livre  de  MM.  Alfred  et  Guillaume  Gkandidikb 
(Ethnographie  de  Madagascar.  Tome  deuxième:  Les 
habitants  de  Madagascar,  leur  aspect  physique,  leurs 
caractères  intellectuels  et  moraux.  La  vie  sociale  à 
Madagascar:  la  famille  malgache.  Paris). 

MM.  A.  et  G.  Gkandidier  (A.  XXVI  p.  337  :  Céré- 
monies malgaches.  Av.  pl.)  publient  une  étude  sur 
la  circoncision  et  sur  la  fête  dite  Fandroana  à  Ma- 
dagascar. 

AMÉRIQUE. 

M.  A.  N.  GiLBERTsoN  (Rol.  Ps.  Oct.  1913  et  janv. 
1914:  Some  Ethnical  Phases  of  Eskimo  Culture. 
Extrait  par  M.  F.  de  Zeltneb  dans  A.  XXVI  p.  462) 
donne  quelques  aspects  de  la  culture  sociale  des 
Esquimaux. 

M.  le  Dr.  Walteb  Lehmann  (Z.  E.  XL VII  p.  1  : 
Über  die  Stellung  und  Verwandtschaft  der  Subtiaba- 
Sprache  der  Pazifischen  Küste  Nicaraguas  und  über 
die  Sprache  von  Tapachula  in  Südchiapas)  publie 
une  étude  de  linguistique. 

M.  le  Dr.  Felix  Regnault  (Bull.  S.  A.  V  p.  180) 
décrit  une  terre  cuite  précolombienne  représentant 
la  manière  dont  était  obtenu  la  déformation  du  crâne. 


Zeist,  février  1916. 


G.  J.  DozY. 


LIVRES  ET  BROCHURES. 


BÜCHERTISCH. 


I.  M.  MuEKO,  Bericht  über  eine  Bereisung 
von  Nordwestbosnien  und  der  angrenzenden 
Gebiete  von  Kroatien  und  Dalmatien  behufs 
Erforschung  der  Volksepik  der  bosnischen 
Mohammedaner.  (Sitzungsberichte  der  Kais.  Ak. 
der  "Wiss,  in  Wien.  Philos.-Hist.  Klasse.  173.  Bd., 
3.  Abh.)  Wien  1913. 

Ders.  Bericht  über  phonographische  Auf- 
nahmen epischer,  meist  mohammedanischer 
Volkslieder    im    nordwestlichen    Bosnien   im 


Sommer  1912  (XXX.  Mitteilung  .der  Phonogramm- 
Archivs-Kommission  der  Kais.  Ak.  d.  Wiss.  in  Wien, 
im  Anzeiger  der  ph.-h.  Klasse,  50  (1913),  VIII,  S. 
58  —  75  und  separat). 

Ders.  Bericht  über  eine  Reise  zum  Studium 
der  Volksepik  in  Bosnien  und  Herzegowina 
im  Jahre  1913  (Sitzungsber.  usw.  17ö.  Bd.,  2.  Abh.) 
Wien  1915. 

Ders.  Bericht  über  phonographische  Auf- 
nahmen   epischer    Volkslieder    im    mittleren 


247 


Bosnien  und  in  der  Herzegowina  im  Sommer 
1918  (XXXVri.  Mitteilung  der  Plion.-Arcb.-Komm. 
Sitzungsberichte  usw.  179  Bd.,  1.  Abb.)  Wien  1915. 

In  diesen  vier  Berichten  teilt  des  grazer  Professor 
für  Slavistik,  Dr.  M.  Mukko,  die  wichtigsten  Ergeb- 
nisse von  zwei  Reisen  nach  dem  serbokroatischen 
Gebiete  mit;  eine  dritte  Reise  musste  leider  wegen 
des  Krieges  unterbleiben. 

Zuerst  besuchte  M.  Agram,  wo  in  den  Räumen 
der  Matica  brvatska  ein  reiches  episches  Material 
Torhanden  ist,  wovon  bloss  ein  Teil  publiciert  wurde. 
Allein  die  80.000  Verse  vom  Sänger  Salko  Vojni- 
kovté  würden  zweitausend  Druckseiten  füllen  1  Dann 
hielt  sich  M.  ausser  in  Bosnien  und  der  Herzego- 
wina einige  Zeit  im  Südwesten  von  Kroatien,  wo 
der  epische  Gesang  im  Aussterben  begriffen  zu 
sein  scheint,  und  im  Norden  von  Dalmatien,  wo  er 
sich  Yiel  besser  behauptet  hat,  auf.  Während  hier 
die  Sänger  grösstenteils  blinde  Bettler  u.  dgl.  sind, 
gilt  das  nicht  für  Bosnien  und  die  Herzegowina. 
Auch  hier  geht  der  epische  Gesang  zurück.  Offen- 
bar ist  ,die  Sängerkunst  einer  der  feudalen  Über- 
reste des  Mittelalters":  es  wurde  bei  den  Begs  ge- 
sungen und  mancher  Beg  hatte  seinen  eigenen 
Sänger.  Noch  immer  lebt  die  Erinnerung  an  Husein 
Bag  Kulenovié  Staroselac  fort,  der  nicht  bloss  die 
sanger  zu  sich  einlud,  sondern  auch  selber  Siinger 
war.  Auch  über  andere  Begs,  die  selber  singen, 
wurde  M.  unterrichtet. 

MtrsKO  unterscheidet  zwei  Typen  von  epischen 
Liedern,  den  Krajinatypus  und  den  herzegowinischen. 
Den  ersten  findet  men  in  der  Krajina,  in  Nordwest- 
bosnien; er  hat  sich  aber  auch  im  übrigen  Bosnien 
und  in  der  Herzegowina  stark  verbreitet;  diese 
Lieder  behandeln  hauptsächlich  die  Kämpfe  der 
Helden  an  der  alten  türkischen  Nordgrenze;  die 
herzegowinischen  Lieder  besingen  ausserdem  „an- 
dere Ereignisse  der  bosnischen  Geschichte  und 
namentlich  die  Kämpfe  mit  den  Montenegrinern 
und  südlichen  Dalmatinern".  Die  Krajinasänger  be- 
gleiten sich  mit  der  Tambura,  die  zwei  Metallsaiten 
hat,  die  herzegowinischen  mit  den  einsaitigen  G  usle. 
In  dem  Abschnitt  über  Kroatien  bespricht  M.  die 
Verwendung  und  die  Verbreitung  der  zweisaitigen 
Gusle. 

Wiefern  der  Krtginatypus  sich  nach  dem  Osten 
ausdehnt,  konnte  M.  wegen  der  Cholera,  die  im 
Jahre  1913  in  der  östlichen  Posavina  und  in  Ost- 
bosnien herrschte,  nicht  untersuchen.  Er  bereiste 
damals  die  westliche  Posavina,  das  Bosnatal  mit 
Umgebung  und  die  Herzegowina. 


Die  meisten  epischen  Sänger  lernten  ihre  Lieder 
durch  mündliche  Überlieferung.  Oft  genügt  es,  wenn 
man  in  seiner  Jugend  ein  Lied  bloss  einmal  gehört 
hat.  Es  ist  auffällig,  dass  in  der  Gegend,  wo  das 
Epos  am  meisten  blüht,  in  der  Herzegowina,  das- 
selbe literarischer  Herkunft  ist,  jedenfalls  bei  den 
christlichen  Sängern.  Man  schöpfte  aus  Sammlungen 
wie  diejenige  von  Kaèic  und  diejenige  von  Sobajiö. 
Oft  sind  Franciskaner  als  Vorleser  aufgetreten. 

Die  Mohammedaner  singen  im  Allgemeinen  längere 
Lieder  als  die  Christen,  am  längsten  sind  die  mo- 
hammedanischen Lieder  der  Krajina;  oft  verteilt  der 
Sänger  ein  Lied  über  mehrere  Nächte. 

In  der  Krajina  ist  der  Vortrag  dumpf  und  mo- 
noton; im  Süden  ist  das  weniger  der  Fall.  Hier 
sind  ausserdem  die  Lieder  leichter  verständlich. 

Über  die  grosse  Anzahl  der  von  einem  Sänger 
gesungenen  Lieder  wundern  wir  uns  weniger,  wenn 
wir  daran  denken,  dass  kein  Sänger  jede  einzelne 
Zeile  auswendig  lernt;  jeder  Vortrag  ist  so  zu 
sagen  eine  neue  Schöpfung.  Eine  Vorschrift  der 
Phonogramm-Archivs-Kommission  lautet,  dass  kein 
Text  oder  Lied  phonographisch  aufgenommen  wer- 
den darf,  wenn  es  nicht  zuerst  nach  dem  Vortrag 
aufgeschrieben  wurde.  Nun  zeigten  sich  sogar  in 
den  kurzen  Abschnitten,  die  M.  aufoahm,  bedeu- 
tende Abweichungen  zwischen  den  beiden  Texten, 
und  oft  kam  noch  eine  dritte  Redaktion  hinzu  beim 
vorherigen  Üben  des  Sängers  in  den  Trichter.  Auch 
in  anderen  Punkten  erwies  sich  die  grosse  Wich- 
tigkeit des  Phonographen.  Vgl.  Anzeiger  1913,  S. 
61  :  „Auf  den  Platten  gibt  es  untrügliche  Beweise, 
dass  die  Sänger  Vokale  und  ganze  Silben  am  Vers- 
ende unterdrücken,  anderseits  aber  auch  Silben  in 
Wörtern  einschieben,  dass  der  Vers  überhaupt  öfters 
weniger  oder  mehr  als  10  Silben  zählt,  dass  nament- 
lich beim  Gesang  ein  Auftakt  sehr  häufig  ist  und 
schon  deshalb  die  Cäsur  nicht  immer  nach  der 
vierten  Silbe  fällt,  dass  die  Betonung  von  der  in 
der  Rede  üblichen  häufig  abweicht  und  dass  Dia- 
lektmischungen nichts  Aussergewöhnliches  sind, 
denn  derselbe  Sänger  bietet  sie  sogar  in  geringen 
Bruchstücken  eines  Liedes  oder  sein  Diktat  weicht 
in  dieser  Hinsicht  vom  Gesänge  ab". 

Aus  den  Reiseberichten  Murkos,  wo  in  wenige 
Druckbogen  ein  überaus  reicher  Inhalt  zusammen- 
gefasst  wurde,  habe  ich  nur  einige  Punkte  hervor- 
gehoben. Ich  hoffe,  dass  diese  kurze  Anzeige  ge- 
nügen wird,  jeden  Leser  davon  zu  überzeugen, 
dass  derjenige,  der  sich  mit  Volksepik  beschäftigt, 
es   nicht   unterlassen   darf,   diese   Berichte  durch- 


248  — 


zustudieren:  die  serbokroatische  Vollcsepik  bietet 
schöne  Parallelen  zu  derjenigen  anderer  Nationen, 
aber  nicht  überall  sind  die  Bedingungen  für  das 
Studium  so  günstig.  Trotz  vieler  gemeinschaftlichen 
Züge  gibt  es  auch  bedeutende  Unterschiede  zwischen 
der  Volksepik  in  verschiedenen  Ländern.  So  spüren 
wir  in  Russland  wenig  vom  engen  Zusammenhang 
zwischen  dem  epischem  Gesang  und  feudalen  Zu- 
ständen: die  nordrussischen  Gegenden,  wo  das  Epos 
noch  fortlebt,  haben  solche  Zustände  nicht  gekannt 
und  ob  im  vorpetrinischen  Moskauer  Russland  die 
adligen  Herren  Mäzenaten  der  Volksepik  gewesen 
sind,  darf  angesichts  des  Fehlens  von  Nachrichten 
und  des  feindlichen  Verhaltens  der  Theokratie  allem 
weltlichen  Vergnügen  gegenüber  bezweifelt  werden. 
In  einer  noch  früheren  Periode,  im  Mittelalter 
könnten  allerdings  ähnhche  Verhältnisse  existiert 
haben  wie  im  Bosnien  des  19.  Jhs. 

Weil  überall  der  epische  Gesang  zurückgeht,  wider- 
hole ich  gerne  den  Wunsch  von  Mubko,  „dass  wir 
möglichst  bald  über  den  gegenwärtigen  Stand  der 
Volksepik  in  anderen  südslawischen  Gebieten,  spe- 
ziell aber  im  alten  und  neuen  Montenegro  und 
Serbien,  aufgeklärt  werden  mögen".  Auch  wäre  es 
schön,  wenn  einheimische  Polkloristen  soviel  wie 
möglich  epische  Lieder  sammelten.  Andere  als  ein- 
heimische können  es  kaum  machen,  weil  der  Text 
für  sie  oft  kaum  verständlich  ist  und  viele  Sänger 
80  rasch  singen,  dass  sogar  ein  geübter  Stenograph 
nicht  mitkommt.  Für  den  vollständigen  Text  ganzer 
Lieder  kann  man  den  Phonographen  nicht  verwenden, 
weil  zu  viele  Platten  nötig  sein  würden  und  weil 
die  Sänger  ihren  Gesang  unmöglich  jede  paar  Mi- 
nuten für  das  Einstellen  neuer  Platten  unterbrechen 
können. 

Leiden.  N.  van  Wijk. 

II.  Hugo  Radau,  Sumerian  Hymns  and  Prayers 
to  God  Dumu-zi  or  Babylonian  Lenten  Songs. 
(The  Babylonian  Expedition  of  the  University  of 
Pennsylvania,  Series  A:  Cuneiform  Texts,  ed.  by 
H.  V.  Hilprecht,  Vol.  XXX,  Part  1),  München 
(Kommissionsverlag  von  Rudolf  Merkel  in  Erlangen) 
1913.  -  gr.  4%  XII  u.  66  SS.,  20  autographierte 
Tafeln,  9  Lichtdrucktafeln. 

Die  von  1896  bis  1911  erschienenen  dreizehn 
Bände  und  Halbbände  des  grossen  Inschriftenwerkes 
der  Babylonian  Expedition  nach  der  nordbabylonischen 
Stadt  Nippur  habe  ich  im  Band  XXI  dieses  Archivs 
(1912,  S.  119-124)  besprochen.  Nach  dem  Rück- 
tritt des  bisherigen  Leiters  dieses  Unternehmens, 
Prof.   Dr.   H.   V,   Hilpbecht,   begann  die  Direktion 


des  Universitätsmuseums  in  Philadelphia  die  Her- 
ausgabe einer  neuen  Veröffentlichungsreihe:  ein 
Beweis,  dass  eine  Portsetzung  des  gross  angelegten 
Werkes  in  der  alten  Form  dort  nicht  geplant  wurde. 
Inzwischen  hat  Herr  Prof.  Huj>bec'ht  nach  seiner 
Rückkehr  in  die  deutsche  Heimat  diese  Fortsetzung 
selbständig  in  Angriff  genommen  und  alte  und  neue 
Mitarbeiter  dafür  gewonnen.  Die  Tatsache,  dass  die 
reichen  Ergebnisse  der  Nippurgrabungen  von  nun 
an  durch  zwei  Ausgaben  zugänglich  gemacht  werden 
sollen,  kann  man  im  Interesse  der  raschen  Ver- 
öffentlichung des  reichen  Materials  mit  Dank  be- 
grüssen,  wiesehr  man  den  Streit  bedauern  mag, 
der  die  Spaltung  veranlasste. 

Dr.  Radau,  der  Verfasser  der  Early  Babylonian 
History  (New-York,  1900),  hatte  im  vorliegenden 
Sammelwerk  bereits  Briefe  aus  der  Kassitenzeit 
(Vol.  XVir  1)  und  Hymnen  an  Ninib  (Vol.  XXIX 
1)  bearbeitet.  Die  hier  zu  besprechenden  Hymnen 
sind  den  letztgenannten  nach  Form  und  Inhalt  aufs 
nächste  verwandt.  Es  sind  Bruchstücke  sumerischer 
Klagelieder  aus  altbabylonischer  Zeit  zu  Ehren  des 
Gottes  Tammuz  oder  (gemäss  der  sumerischen 
Namensform)  Dumu-zi. 

Die  autographische  Veröffentlichung  der  20  Frag- 
mente verdient  trotz  ihrer  Sorgfalt  und  Zuverlässig- 
keit keineswegs  unbeschränktes  Lob.  Die  Deutlich- 
keit ist  dem  Schein  der  Genauigkeit  zum  Opfer 
gebracht.  Absolute  Genauigkeit  bleibt  bei  Nach- 
zeichnung mit  der  freien  Hand  ein  unerreichbares 
Ideal.  Statt  diesem  Ideal  nachzujagen  sollte  der 
Zeichner  durch  klare  Wiedergabe  der  von  ihm  ge- 
lesenen Zeichen  das  Studium  der  Texte  erleichtern. 
Zur  Nachprüfung  zweifelhafter  Stellen  sind  die  Licht- 
drucktafeln da.  Texte  dieser  Art  setzen  dem  sprach- 
lichen und  sachlichen  Verständnis  noch  solche 
Schwierigkeit  entgegen,  dass  man  wenigstens  für 
die  äussere  Form  der  Veröffentlichung  Erleichterung 
wünschen  darf.  Sind  doch  all'  diese  Hymnen  in 
sumerischer  Sprache  abgefasst  (ohne  Beifügung  einer 
akkadischen  Übersetzung,  wie  dies  später  gebräuch- 
lich wurde),  und  beschränkt  sich  doch  ihr  Inhalt 
(wie  bei  Kultliedern  gar  nicht  anders  zu  erwarten) 
nur  zu  häufig  auf  Andeutungen,  die  den  Zuhörern 
verständlich  waren,  uns  aber  rätselhaft  sind. 

Und  doch  sind  gerade  Bruchstücke  wie  die  hier 
veröffentlichten  religionsgeschichtlich  von  ausserge- 
wöhnlicher  Bedeutung.  Alles,  was  unsere  Kenntnis 
vom  Gott  Tammuz  vermehren  kann,  ist  von  In- 
teresse :  nicht  nur,  weil  wir  durch  solche  Hymnen 
uralte  Zeugnisse  erhalten  von  dem  in  ganz  Vorder- 


249 


asien  verbreiteten  Glauben  an  den  sterbenden  und 
auferstehenden  Gottessohn,  sondern  auch  geradezu 
zur  Aufklarung  brennender  Fragen  auf  dem  Gebiet 
der  Vorgeschichte  des  Christenturas. 

Die  Frage  hat  die  Wissenschaft  nicht  losgelassen. 
Nachdem  G.  J.  Frazeb  in  The  Golden  Bough  die 
auf  Adonia,  Atüa,  Osiris  bezüglichen  Fragen  ebenso 
anregend  wie  gewagt  behandelt  hatte  (2.  Aufl.  1907), 
untersuchte  Graf  Baudissin  das  gesamte  vorder- 
asiatische Material  in  seinem  Adonia  und  Eamun 
(1909)  mit  trockener,  gründlicher  Gelehrtheit.  Um 
das  babylonische  Material  erwarb  sich  H.  Zimmern 
das  grOsste  Verdienst,  dessen  Monographie  über 
Tamüz  in  den  Abhandlungen  der  sächsischen  Gesell- 
schalt der  Wissenschaften  (Bd.  XXVII,  1909)  das 
bis  dahin  Erreichte  kurz  zusammenfasste.  Zimmern 
aber  war,  neben  Rauau  '),  auch  der  erste,  der  uns 
Bruchstücke  sumerischer  KulUieder  aus  aUbabyloni- 
scher  Zeit  zugänglich  machte,  worunter  viele  auf  den 
Tammuzkult  bezügliche  (Vorderasiatische  Schrift- 
denkmäler, Heft  II  und  X,  Berlin  19 12f.).  Eine  letzte 
Besprechung  des  Materials,  nicht  ohne  gewagte 
Hypothesen,  bot  St.  Lanodon  in  seinem  Buch  über 
Tamnuu  and  Ishtar  (1914). 

Wünschenswert  wäre,  sich  in  einer  Textausgabe 
zunächst  and  vor  allem  auf  die  Förderung  des  sprach- 
lichen Verständnisses  zu  beschränken.  Dr.  Uadau 
bat  dies  richtig  gefühlt,  als  er  eine  ausführliche 
Untersuchung  über  die  Zeit  des  sumerischen  Tam- 
muzfestes  für  die  den  Researches  and  Treatises  vor- 
behaltene  Series  D  des  vorliegenden  Werkes  ver- 
sparte.  Doch  ist  seine  Einleitung  unseres  Bandes 
auch  ohnedies  ausführlich  genug  und  wagt  sich  weit 
hinaus  In  das  Gebiet  religionsgeschichilicher  Erörte- 
rungen und  Hypothesen. 

Auf  den  54  Seiten  seiner  Translations,  Notes  and 
Annotations  (S.  8  —  62)  kommt  der  Bearbeiter,  wenn 
man  streng  zusieht,  über  eine  Besprechung  der 
beiden  ersten  Kolumnen  seines  ersten  Textes  eigent- 
lich nicht  hinaus.  Doch  erhalten  wir  hier  soviele 
wertvolle  Exkurse  und  Einzelbemerkungen,  sowie 
auch  gelegentlich  eingeflochtene  Übersetzungen  an- 
derer Texte,  dass  wir  für  das  hier  reich,  wenngleich 
unübersichtlich,  aufgestapelte  Material  dankbar  sein 
müssen. 

Von  allgemeinerem  Interesse  ist  die  Introduction 


')  Sowie  D.  W,  Mthkuah  im  eriten  Band  der  oeuen  Ver- 
ôireDtltehDDgtreib«  de>  Mnicumi  in  Philadelphia  {Baiiflonian 
Uywut  emä  Praytrt,  1911).  —  Mthrman  Nr.  10  (PI.  18f.)  = 
Radau  Nr.  5  (PI.  9)! 


(S.  1—7),  sowie  die  Preface  (S.  VII— IX),  da  uns 
hier  Dr.  Radau's  Meinung  über  den  TammMzglauben 
im  Rahmen  der  alten  sumerischen  Weltanschauung 
in  kurzen,  klaren  Sätzen  dargelegt  wird.  Freilich 
entbehrt  hier  manche  Behauptung  des  Beweises. 
Indem  Dr.  Kadau  den  sumerischen  Namen  des 
Gottes  Tammuz  einfach  als  Appellativum  aufifasst 
(I>MmM-zj=  „wahrer  Sohn"),  gewinnt  er  die  Mög- 
lichkeit, seine  Rolle  verschiedenen  Göttern  nach- 
einander zuzuteilen.  Der  älteste  Dumu-si  sei  der 
Gott  Enlil  von  Nippur  gewesen.  Den  Namen  Eri'lil 
erklärt  Dr.  Radau  als  „god  of  the  powers  of  nature'', 
,god  of  the  fertility  of  the  ground".  Doch  sowohl 
die  Gleichsetzung  des  Enlil  mit  Dumu-si  =  Tammua, 
wie  auch  diese  Namenserklärung  sind  unbeweisbar; 
der  Name  Er.-lil  bedeutet  wohl  einfach  ,Herr  des 
Luftreichs",  wenn  nicht  :  „des  Sturmes".  Als  Mutter 
Enlil'a  nun  gilt  die  Göttin  Nin-Aitna  (besser  Gasan- 
Anna  zu  lesen),  die  Dr.  Radau,  trotz  ihres  Namens, 
der  B Herrin  des  Himmels"  bedeutet,  auf  Grund  und 
eines  gelegentlichen  Epitheton  ornans  einfach  mit 
der  Erde  identifiziert.  Damit  ist  seine  Beweiskette 
geschlossen.  Der  »wahre  Sohn"  des  „Himmels"  und 
der  ,Erde"  ist  der  Gott  der  Naturkräfte",  vor  allem 
der  Fruchtbarkeit  des  Bodens.  Verbunden  mit  seiner 
Mutter  erzeugt  er  das  junge  Leben  der  Vegetation, 
das  alljährlich  im  Winter,  von  der  Muttergöttin  be- 
weint, stirbt,  aber  im  Frühjahr  aufersteht. 

Auf  diese  Weise  gewinnt  Dr.  Radau  als  Grund- 
lage für  den  sumerischen  Gedankenkreis  vom  ster- 
benden Jahrgott  den  Vegetationsmythus.  Der  Grund- 
gedanke mag  richtig  sein  —  obwohl  gerade  für  die 
Weltanschauung  der  Sumerer  die  astrale  Seite  der 
Natur  mehr  in  Betracht  kam  als  die  vegetative,  — 
aber  er  wird  erreicht  auf  einem  Weg  voll  unbe- 
weisbarer Gleichsetzungen  und  Abstraktionen. 

Noch  schwieriger  ist  es,  Beziehungen  zu  christ- 
lichen Gedankenkreisen  aufzuweisen.  Dass  der 
Glaube  an  den  zur  Osterzeit  auferstehenden  Gottes- 
sohn dem  jungen  Christentum,  wo  es  diesen  Glauben 
vorfand,  den  Weg  bereiten  half,  wer  wollte  es  be- 
zweifeln? Jede  weiter  gebende  Behauptung  aber 
erscheint  uns  nach  unserer  bisherigen  Kenntnis  der 
Quellen  als  unwissenschaftlich.  Zwar  vertritt  Dr. 
Radau  keineswegs  den  Standpunkt,  der  durch  A. 
Drews'  Christusmythe  weiteren  Kreisen  bekannt 
wurde.  Ausdrücklich  betont  er  seine  Überzeugung 
von  der  Geschichtlichkeit  selbst  der  Auferstehung 
Christi  (S.  VIII).  Aber  Tammuz  und  Christus  stehen 
für  ihn  geradezu  im  Verhältnis  der  Weissagung  zur 
Erfüllung.  Mit  Nachdruck  erklärt  er  den  sumerischen 


250  — 


Mythus  für  „the  prototype  of  our  Christian  Lenten 
season  and  of  the  death  and  resurrection  of  Christ" 
(S.  1).  Die  Göttin  Istar  oder  Nin-anna  setzt  er 
gleich  mit  dorn  Pneuma  oder  mit  der  Kirche.  Doch 
bei  der  ersteren  Behauptung  versagt  der  Beweis 
infolge  Mangels  an  Material;  die  zweite  sollte  schon 
der  gute  Geschmack  verbieten. 

Franz  M.  Th.  Bohl. 

ni.  Stephen  Langdon,  Historical  and  Religious 
Texts  from  the  Temple  Library  of  Nippur. 
(The  Babylonian  Expedition  of  the  university  of 
Pennsylvania,  Series  A  :  Cuneiform  Texts,  ed.  by  H. 
V.  Hilprecht,  Vol.  XXXI),  München  (Kommissions- 
verlag von  Rudolf  Merkel  in  Erlangen)  1914.  —  gr. 
4°,  XI  u.  80  SS.,  51  autographierte  Tafeln,  3  Licht- 
drucktafeln. 

Der  Oxforder  Assyriologe,  einer  der  Bahnbrecher 
und  vielleicht  der  fruchtbarste  Schriftsteller  auf  dem 
Gebiet  der  sumerischen  Sprach-  und  Literaturwis- 
senschaft, schenkte  uns  im  vorliegenden  Band  die 
Frucht  seiner  Arbeit  an  Keilschrifttafeln  aus  Nippur 
während  seines  Aufenthalts  in  Konstantinopel  im 
Frühjahr  1912.  Nach  türkischem  Gesetz  sollen  Al- 
tertümer, die  auf  türkischem  Boden  gefunden  wurden, 
an  das  Kaiserlich  Ottomanische  Museum  abgeliefert 
werden.  Diese  Bestimmung  traf  auch  einen  grossen 
Teil  der  Tontafeln,  die  durch  die  amerikanische 
Expedition  in  Nippur  ausgegraben  waren.  Zum  Glück 
ist  das  Konstantinopler  Altertumsmuseum  nach 
abendländischem  Muster  eingerichtet.  Schon  seit 
mehreren  Jahren  waltet  dort  zudem  ein  deutscher 
Kustos,  Dr.  E.  Ungee,  seines  Amtes.  Dr.  Langdon 
erhielt  von  Prof.  Hilprecht  die  Ermächtigung,  die 
Tafeln  aus  Nippur,  soweit  sie  bereits  ausgepackt 
und  zum  Teil  ausgestellt  waren,  zu  untersuchen. 
Von  den  damals  kopierten  ±  200  Tafeln  und  Tafel- 
bruchstücken veröffentlichte  er  im  vorliegenden  Band 
54  Nummern.  Hinzugefügt  (als  Nr.  7  u.  15)  sind 
zwei  Inschrifttafeln,  die  in  Oxford  aufbewahrt  wer- 
den, aber  gleichfalls  aus  Nippur  stammen,  und 
sodann  einige  mit  dem  grossen  medizinischen  Text 
Nr.  56  nahe  verwandte  Bruchstücke  aus  dem  Bri- 
tischen Museum  (Nr.  57 — 60).  Die  Autographien 
dieser  60  Texte  (auf  51  Tafeln)  sind  mit  gleich- 
massiger,  leserlicher  Hand  geschrieben.  Die  Trans- 
literations, Translations  and  Annotations  geben  in 
der  Tat,  was  diese  Überschrift  verspricht  :  Umschrift 
und  Übersetzung  der  Texte,  mit  nur  kurzen  An- 
merkungen am  Fuss  der  Seiten.  Diese  dankenswerte 
Arbeit  (S.  1 — 75),  bei  der  nur  die  Fragezeichen 
noch  weniger  hätten  gespart  werden  sollen,  erstreckt 


sich  auf  etwa  die  Hälfte  der  im  Folgenden  auto- 
graphierten  Texte.  Nicht  bearbeitet  sind  Nr.  24-55 
(Tafel  23-46):  meist  Kultlieder  mythologischen 
Inhalts,  zum  Teil  von  geringem  Umfang.  Zu  dieser 
ebenso  kühnen  wie  schwierigen  Übersetzungsarbeit 
war  —  wenigstens  in  England  —  niemand  befugter 
als  der  Verfasser  der  ersten  wissenschaftUchen 
Sumerian  Grammar  (1911),  der  Übersetzer  der 
Sumerian  and  Babylonian  Psalms  (1909)  und  Bear- 
beiter der  Babylonian  Liturgies  (1913). 

Verschiedenartige  Texte  sind  in  diesem  Band 
zusammengetragen.  In  akkadischer  (d.  h.  semitisch- 
babylonischer) Sprache  sind  nur  wenige  abgefasat: 
vor  allem  die  grosse  Inschrift  Nr.  22  auf  Tafel  20 
und  21  (Lichtdrucktafeln  II  und  III),  ein  Abschnitt 
aus  der  berühmten  Gesetzessammlung  des  Harn- 
murapi.  Sie  enthält  (nach  der  gebrächlichen  Zäh- 
lung) die  §§  145—179  (ohne  §  147),  doch  mit  nur 
wenigen  neuen  Lesarten,  die  Dr.  Langdon  auf  S. 
49f.  bespricht.  Hier  hält  er  die  Inschrift  für  „probably 
anterior  to  the  standard  edition  of  the  Code  first 
published  by  Scheil  from  the  well  known  stele  of  the 
Louvre".  Doch  das  ist  unwahrscheinlich  :  der  Schrift- 
charakter weist  m.E.  auf  spätere  Zeit.  Ein  anderes 
grosses  Bruchstück  dieses  Gesetzes,  gleichfalls  aus 
Nippur,  doch  wohl  sicher  älter  als  das  hier  be- 
sprochene, kam  nach  Philadelphia  und  wurde  von 
Dr.  PoEBEL  in  Band  V  der  neuen  Veröffentlichungs- 
reihe publiziert  {Historical  and  Grammatical  Texts, 
1914,  Nr.  93)  und  in  der  Orientalist.  Literaturzeitung. 
Juni — Sept.  1915  besprochen. 

Eine  Gruppe  für  sich  bilden  Nr.  56—60:  medi- 
zinische Texte  aus  den  Museen  von  Konstantinopel 
und  London,  Beschwörungen  und  Heilmittel  bei 
Vergiftung  (=simmatu).  Die  Sprache  auch  dieser 
Texte  ist  akkadisch. 

Alle  übrigen  Nummern  zeigen  sumerischen  Sprach- 
charakter und  gehören  wohl  beinahe  ausschliesslich 
zur  Grappe  der  Religious  Texts  (im  weitesten  Sinn 
des  Wortes).  "Wenn  Dr.  Lanqdon  im  Titel  des  Bandes 
Historical  Texts  an  erster  Stelle  nennt,  so  ist  das 
nur  insofern  berechtigt,  als  sich  ihnen  auch  einiges 
geschichtliche  Material  entnehmen  lässt.  Viel  ist 
das  freilich  nicht.  Der  Text  Nr.  1  scheint  auf 
kriegerische  Vorgänge  am  Ende  der  Regierung  des 
Nardm-Sin  und  vielleicht  auf  dessen  Sturz  anzu- 
spielen; Nr.  2  (sowie  auch  Nr.  33?)  ist  ein  Klage- 
lied auf  die  Zerstörung  babylonischer  Städte  durch 
die  Gutäer,  welche  (nach  Ed.  Meyer  um  2550  v.  Gh.) 
der  zweiten  Dynastie  von  Uruk  ein  Ende  machten; 
das  Klagelied  Nr.  3   bringt  eine  willkommene  Be- 


—  251  — 


stätigung  der  bereits  bekannten  Tatsache,  dass  die 
Elamiten  (um  2350  v.  Ch.)  das  ganze  Land  Sumer 
und  die  Hauptstadt  Ur  verwüsteten  und  den  letzten 
König  von  Ur,  Ibi-Sin,  in  die  Gefangenschaft 
schleppten;  Nr.  21  (Tafel  19)  beklagt  das  Geschick 
der  Stadt  Nippur,  ohne  dass  klar  würde,  auf  welche 
Katastrophe  angespielt  wird. 

Literaturgeschichtlich  interessant  ist  Nr.  7:  einer 
der  wenigen  erhaltenen  sumerischen  Briefe,  wohl 
aus  der  Zeit  der  Dynastie  von  Ur,  ein  Brief,  der 
freilich  mehr  den  Charakter  einer  Hymne  an  den 
vergotteten  König  aufweist.  Nr.  16  ist  ein  Klagelied 
wegen  persünlichen  Leides,  das  in  mancher  Hinsicht 
an  das  oft  übersetzte  Lied  IV  Ratcl.  60*  erinnert; 
Dr.  Lamüdon  nennt  den  hier  Redenden  etwas  ge- 
sucht „a  Sumerian  Job"  (S.  41). 

Auch  in  diesem  Band  finden  sich  Kultlieder  an 
Tammus,  so  Nr.  12,  43,  46.  Besonders  wichtig  ist 
Kr.  12  (Tafel  12  und  13,  Lichtdrucktafel  1),  da 
hier  (R«.,  Z.  20—26,  vgl.  a  37)  der  astrale 
Charakter  der  Göttin  Innini  (=  Nin-anna)  und 
damit  des  ganzen  Mythus  deutUch  ans  Licht  tritt. 
Das  ist,  wie  bereits  oben  erwähnt,  bei  der  so  ganz 
auf  die  Astrologie  eingestellten  sumerischen  Geistes- 
ricbtung  durchaus  zu  erwarten;  es  braucht  deshalb 
freilich  noch  nicht  das  ülteste  oder  gar  das  ur- 
sprüngliche zu  sein. 

Bsftcbtenswert  sind  schliesslich  Erwähnungen  des 
{dtngir)  gä-gibÜ-ga-mä  in  zwei  Hymnen,  die  Dr. 
Lanuoon  noch  nicht  übersetzt  hat:  Nr.  43,  Z.  11 
und  Nr.  66,  Z.  1.  Denn  das  ist  kein  anderer  als 
Oilgamesch,  der  volkstümUche  Held  der  Baby- 
lonier.  Fra.nz  M.  Tu.  Höhl. 

IV.  GsoBox  Â.  Babto.n,  Sumerian  Bosiaess  and 
Administrative  Documenta  flrom  the  Earliest 
Times  to  the  Dynasty  of  Agade.  (University  of 
Pennsylvania.  The  University  Museum.  Publications 
of  the  Babylonian  Section,  Vol.  IX  Nr.  1),  Phila- 
delphia, publ.  by  the  University  Museum,  1916.  — 
4»,  33  8S.,  64  autographierte  Tafeln,  10  Lichtdruck- 
tafeln. 

Das  dritte  vorctu-istliche  Jahrtausend  war  für 
Babylonien  ein  schreiblustiges  Zeitalter.  Alle  Klei- 
nigkeiten auf  dem  Gebiet  des  Rechts  und  der  Ver- 
waltung wurden  schon  damals  peinlich  genau  auf- 
geschrieben und  sorgfältig  bewahrt.  Juristische 
Urkunden  aus  dieser  Frühzeit  finden  sich  in  vielen 
Museen;  auch  das  pennsylvanische  Inschriftenwerk 
widmete  ihnen  schon  manchen  Band.  Aus  der  Zeit 
der  sogen,  ersten  babylonischen  Dynastie,  deren 
■giOester    König    der   um   20ÜO   v.    Ch.   regierende 

L  A.  f.  E.  Bd.  XXII. 


Hammurapi  war,  stammen  die  Urkunden,  die  H. 
Ranke  und  A.  Poebel  im  VI.  Band  der  Serie  A 
veröffentlichten.  Aus  der  im  Ganzen  etwas  älteren 
Periode  der  Dynastien  von  Isin  und  Larsa  sind  die 
Urkunden  E.  Chieba's  im  VIII.  Band  der  neuen 
Veröffentlichungsreihe,  der  dem  hier  zu  besprechen- 
den unmittelbar  vorherging.  Aus  der  wiederum  et- 
was älteren  Zeit  der  Dynastie  von  C7r  (2469  — 2353 
nach  Ed.  Meyeb)  waren  die  von  D.  W.  Myhbman 
(in  Ser.  A,  Vol.  HI  1)  bearbeiteten  sumerischen 
Verwaltungsurkunden.  Der  vorliegende  Band  nun 
führt  hinauf  bis  in  die  ältesten  Zeiten:  von  den 
Anfängen  unserer  geschichtlichen  Kenntnis  bis  (ein- 
schliesslich) zur  Zeit  der  Dynastie  von  Agade  oder 
Akkad.  Damit  erwirbt  er  sich  das  Interesse  aller, 
auf  die  das  Aelteste  Anziehungskraft  ausübt,  da  sie 
das  Ursprüngliche  dahinter  zu  finden  hoffen. 

Nach  kurzer  Einleitung  und  Übersetzung  eines 
halben  Dutzend  ausgewählter  Texte,  sowie  einem 
Verzeichnis  der  Eigennamen,  bietet  Dr.  Barton  im 
vorliegenden  Band  die  trefflichen  Autographien  von 
132  Urkunden.  Alle  sind  von  geringem  Umfang, 
viele  umfassen  nur  wenige  Zeilen.  Ein  Bild  ihres 
Aeusseren  bieten  die  guten  Lichtdrucke  von  elf 
Nummern.  Mit  Ausnahme  der  beiden  ersten  sind 
es  dicke,  konkave  Tontafeln,  beiderseitig  beschrieben. 
Inhalt  und  Form  dieser  Urkunden  —  Kaufakten, 
Mietverträge,  Quittungen  u.  dgl.  —  wären  eintönig 
zu  nennen,  gewährten  sie  nicht  schon  durch  ihr 
blosses  Vorhandensein  einen  Blick  auf  die  Höhe  der 
Kultur  dieser  grauen  Vorzeit. 

Die  Sprache  ist  ausschliesslich  sumerisch.  Das 
ist  beachtenswert,  da  die  Dynastie  von  Akkad,  wie 
schon  der  Name  zeigt,  akkadischer,  d.  h.  semitisch- 
babylonischer  Herkunft  war.  Die  historischen  In- 
schriften ihrer  grüssten  Könige,  Sargon  und  Nardm- 
Sin,  sind  akkadisch.  Trotzdem  blieb  Sumerisch  die 
Sprache  des  Handels  und  Verkehrs,  wie  auch  des 
Kultus.  Erst  seit  der  Dynastie  Hammurapi's  eroberte 
sich  das  Semitische  auch  auf  diesen  Gebieten  einen 
Platz. 

Aus  der  Zeit  der  Dynastie  von  Akkad  (etwa 
2775 — 2620  v.  Ch.,  nach  Ed.  Meybr)  stammen,  wie 
der  Schriflcharakter  beweist,  weitaus  die  meisten 
dieser  Urkunden.  Durch  ausdrückliche  Datierung 
wird  freilich  nur  eine  in  diese  Zeit  gesetzt:  näm- 
lich Nr.  25  in  die  Zeit  Nardm-Sin's. 

Zwei  der  Urkunden  nun  (Nr.  1  und  2)  sind  be- 
stimmt noch  viel  älter.  Sie  unterscheiden  sich  von 
den  anderen  schon  durch  das  Material:  Stein,  nicht 
Ton.  Die  Art  des  Steines  hätte  deutlich  angegeben 

33 


252  — 


werden  sollen:  Nr.  1  ist  wohl  Diorit,  Nr.  2  jeden- 
falls Kalk.  Sie  unterscheiden  sich  ferner  durch  die 
altertümlichen,  noch  wenig  schematischen  Schrift- 
züge und  durch  deren  Anordnung  in  Fächer,  die 
nicht  von  links  nach  rechts,  sondern  von  oben  nach 
unten  zu  lesen  sind. 

Von  diesen  können  wir  Nr.  2  einigermassen  da- 
tieren. Der  hier  mehrfach  genannte  König  von 
Lagos,  Enchegal,  muss  älter  sein  als  Ür-Ninä, 
der  die  Reihe  der  uns  bekannten  Herrscher  von 
Lagctë  einleitet.  Da  letzterer  um  3000  anzusetzen 
ist,  mag  Dr.  Barton  mit  seiner  Ansetzung  des 
ersteren  um  3200  v.  Ch.  Recht  haben.  Beachtens- 
wert ist  der  Gebrauch  von  Bronze,  in  verschiedenen 
Gewichten,  (neben  Getreide)  als  Tauschmittel.  Der 
Gebrauch  von  Silber  und  Gold  zu  diesem  Zweck 
war  scheinbar  noch  unbekannt. 

Schliesslich  Nr.  1.  Das  ist  eine  der  ältesten 
Schrifturkunden,  die  wir  überhaupt  besitzen.  Dr. 
Barton's  Ansetzung  dieses  Textes  um  4000  v.  Ch. 
ist  freilich  ebenso  vorläufig  und  unsicher,  wie  sein 
Versuch  einer  Entzifferung  und  Übersetzung.  Nach 
letzterer  enthält  dieser  Text  eine  Beschwörung  gegen 
eine  Heuschrecken-  und  Raupenplage. 

Die  Inschrift  ist  nicht  einzig  in  ihrer  Art.  In 
seinem  dem  Assyriologen  beinahe  unentbehrlich  ge- 
wordenen Werk  über  die  babylonische  Schrift  '), 
worin  sie  zum  erstenmal  veröffentlicht  ist,  zählt  Dr. 
Barton  nicht  weniger  als  elf  Steintafeln  und  Bruch- 
stücke von  solchen  auf,  die  aus  „vorgeschichtlicher" 
Zeit  stammen  und  noch  beinahe  Bilderschrift  auf- 
weisen. Dazu  gehören  auch  die  berühmten  „Blau 
Monuments"  des  Britischen  Museums  ^),  deren  anfangs 
bezweifelte  Echtheit  durch  die  seitdem  gefundenen 
ähnlichen  Denkmäler  bewiesen  ist. 

Mit  Recht  erklärt  Dr.  Babton  die  Schriftzeichen 
dieser  Inschriften  für  „pictographs".  In  der  Tat  kann 
man  hier  noch  von  echter  Bilderschrift  reden, 
wenn  man  sie  vergleicht  mit  den  späteren  schema- 
tischen Kombinationen  von  Strichen  und  Haken, 
aus  denen  noch  später  die  eigentliche  „Keilschrift" 
entstand.  Und  doch  sind  auch  diese  Zeichnungen 
deutlich  selber  bereits  das  Resultat  längerer  Ent- 
wicklung und  Vereinfachung.  Eine  Hieroglyphen- 
schrift wie  im  ältesten  Ägypten,  wobei  lediglich  die 
Umrisse   der   anzudeutenden   Gegenstände    nachge- 


')  G.  A.  Baeton,  TAe  Origin  and  Development  of  Babylo- 
nian Writing  (in  den  Beiträgen  zur  Assyriologie,  Band  IX, 
Leipzig  1913),  Teil  I,  S.  VIII,  XIV  f. 

')  Beste  Abbildung  bei  L.  W.  King,  A  History  of  Sumer 
and  Alciad  (London  1910),  S.  62. 


zeichnet  wurden,  ist  das,  was  hier  vorliegt,  schon 
längst  nicht  mehr.  Die  Stufe  reiner  Bilderschrift 
finden  wir  wohl  auf  den  ägyptischen  Schminktafeln, 
die  keinesfalls  älter  sind  als  diese  ältesten  babylo- 
nischen Denkmäler;  auf  letzteren  finden  wir  sie 
aber  bereits  nicht  mehr.  Auch  dies  ist  ein  Beweis- 
grund für  Babels  Priorität  vor  Aegypten  auf  dem 
Gebiet  geistiger  Kultur.  Vor  diesen  ältesten  baby- 
lonischen Schriftdenkmälern  muss  bereits  eine  .Jahr- 
hunderte lange  Entwicklung  der  Schreibkunst  ge- 
legen haben,  deren  Stufen  noch  der  Entdeckung 
harren. 

Groningen.  Fbakz  M.  Th.  Bohl. 

V.  Alberta  J.  Portengen,  De  Oudgermaansche 
dichtertaal  in  haar  ethnologisch  verband,  Leiden, 
N.  V.  BoekdrukkerU  v./h,  L.  van  Nifterik  Hz.,  1915. 
(Dissertation). 

In  Old-Germanic  poetry  the  usual  names  of 
certain  beings,  things,  or  actions  are  often  replaced 
by  indicating  or  periphrasing  words  or  expressions, 
which,  in  their  turn,  are  liable  to  be  replaced  In 
the  same  way  by  still  other  denominations  and  so 
on,  so  that,  to  understand  the  meaning  of  a  certain 
expression,  one  has  often  to  trace  back  the  moaning 
of  each  of  its  constituents  through  different  inter- 
mediate stages  of  nominal  or  verbal  substitution. 
Especially  the  literary  products  of  the  Norvegian 
colonists  of  Iceland  abound  in  poetical  "tours  de 
force"  of  this  kind  -  the  height  of  mannerism  and 
artificiality  is  reached  by  the  Skalds'  poetry  - 
and  consequently  the  Old-Germanic  name-variants 
in  general  are  commonly  referred  to  by  their  Old- 
Icelandic  names:  "kenningar"  and  "heiti",  "heiti" 
indicating  the  non- compound  denominations  only 
and  "kenning"  including  all  the  rest,  viz.  nominal 
compounds  and  periphrasing  or  indicating  expressions 
of  any  kind. 

Although  the  origin  of  this  curious  phenomenon 
has  often  been  made  the  object  of  learned  discussion, 
the  explanations  proposed  until  now  are  partly 
obviously  wrong,  considered  in  the  light  of  modem 
ethnology,  partly  not  objectionable,  indeed,  on 
general  linguistic  or  ethnological  grounds,  but 
inadequately  supported  by  facts  and,  consequently, 
useful,  for  the  time  being,  as  a  working-hypothesis 
only. 

That  the  problem  under  discussion  is  chiefly  an 
ethnological  one,  its  literary  side  evidently  concerning 
the  secondary  development  only,  not  the  origin  of 
the  phenomenon,  may  now  be  considered  as  a 
uUy    established    fact.  Bastian  already  argued,  that 


—  253  — 


this  poetic  language  represented  a  special  dialect 
once  used  and  understood  by  a  certain  class  of 
people  (princes  and  nobles)  only;  and  Friedrich 
Kaufmann,  looking  in  the  same  direction,  tried  to 
demonstrate  its  ritual  origin.  More  tangible  results 
were  obtained  by  Axel  Olrik,  who  called  attention 
to  the  striking  conformity  of  the  Old- Icelandic 
poetic  language  with  the  special  fishermena'  dialect 
of  the  Shetland  Islands,  the  use  of  which,  in  his 
opinion,  finds  its  origin  in  "superstition",  and  drew 
the  conclusion,  that  the  former  was  derived  from 
the  latter.  Although  of  great  value  as  opening  a 
new  way  of  research,  Olrik's  demonstration  too  was 
by  no  means  conclusive.  Firstly,  the  correctness  of 
bis  view  as  to  the  psychological  background  of  the 
fishermens'  dialect,  had  not  been  proven  either  by 
him  or  by  anybody  else,  and  secondly,  the  question 
might  be  raised,  whether  the  material  on  which 
he  founded  his  identification  of  the  two  dialects 
really  warranted  this  conclusion.  Be  that  as  it  may, 
bis  argument  must  needs  be  the  starting-point 
of  any  further  investigation:  if  the  comparative 
method  did  not  quite  fail,  even  when  applied  within 
the  range  of  two  Germanic  languages,  one  may 
reaaonably  expect  that  its  application  on  a  larger 
scale  would  yield  considerably  more.  Obviously  it 
ia  this  consideration  which  encouraged  the  author 
of  this  book  to  try  her  hand  at  a  subject  both 
extremely  difficult  by  its  many-sidedness  and, 
seemingly,  rather  unpromising  than  otherwise,  con- 
sidering the  almost  absolute  lack  of  preparatory 
studies  worth  speaking  of. 

Besides  some  critical  remarks  on  the  older 
literature  bearing  on  the  subject,  the  first  chapter 
contains  a  very  clear  description  of  the  poetic 
peculiarity  under  discussion.  Without  striving  at 
completeness,  the  author  divides  the  ideas  and 
things  most  liable  to  poetic  name-substitution  into 
7  groups,  viz.  1.  Man  and  society;  2.  Human  body; 
3.  Military  affairs;  4.  Animal  kingdom;  5.  Nautical 
aifiürs;  6.  Remaining  natural  objects;  7.  Super- 
natural beings;  each  of  these  groups  being  repre- 
sented by  a  series  of  typical  examples  taken  from 
Old- Icelandic  and  Anglo-Saxon  literary  sources.  In 
tbe  present  writer's  opinion  this  chapter  of  not 
quite  81  pages  may  be  considered  as  an  excellent 
introduction  into  the  problem,  useful  to  non-specialists 
as  well  as  to  the  general  reader. 

In  ber  second  chapter  the  author  reminds  us 
that  poetic  name-substitution  is  by  no  means 
limited   to   the   Uermanic  group  of  languages,  but 


occurs  also  in  other  branches  of  the  In  do-Germanic 
stock,  e.  g.  in  Sanskrit.  This  she  demonstrates  by 
means  of  a  sufficient  number  of  examples  taken 
from  Amarasimha's  dictionary  of  synonyms,  arranged 
in  the  above-mentioned  groups.  In  this  way  we  are 
enabled  to  compare  at  a  glance  the  Indian  way  of 
proceeding  in  this  matter  with  the  Germanic 
method  and  to  notice  the  striking  resemblance 
between  the  two.  Still,  though  interesting,  this 
circumstance  in  itself  does  not  lead  us  any  nearer 
to  a  solution,  since  in  Sanskrit  as  well  as  in  Ger- 
manic further  data  are  wanting. 

Perceiving  that  ic  is,  for  the  moment,  impossible 
to  make  further  progress  by  means  of  Indo-Germanic 
data  only,  the  author  has  not  shrunk  from  leaving 
this  well-known  ground  for  less  familiar  regions, 
and  to  carry  on  her  investigations  among  the  so- 
called  Indonesian  languages  (third  chapter).  A  daring 
undertaking  perhaps,  but  which  doubtless  has  been 
justified  by  its  result:  the  discovery  of  some  striking 
parallels  whose  origins  are  easily  traceable  and 
which,  therefore,  are  suggestive  of  similar  interpre- 
tations as  regards  the  Indo-Germanic  phenomena. 
In  Sangir  (to  the  North  of  Celebes)  the  poetic 
substitutes,  as  illustrated  by  means  of  the  same 
seven  groups  of  examples,  appear  to  be  derived 
from  the  so-called  Sasahara,  a  dialect  used  by  the 
natives  of  the  Sangir  Archipelago  when  at  sea  and 
when  talking  to  or  about  their  superiors,  conse- 
quently combining  the  functions  of  a  sea-language 
(cf.  the  fishermens'  language  of  the  Shetlands)  with 
those  of  a  "high"  language  like  the  Javanese  Krämä. 
About  the  psychological  background  of  this  special 
dialect  we  are  equally  well  informed.  The  divergent 
terms  and  expressions  are  used  as  substitutes  for 
such  words  as,  for  reasons  of  a  magico-religious 
character,  it  is  forbidden  to  pronounce  under  the 
circumstances  of  the  moment,  in  other  words:  all 
terms  that  are  tabu.  A  second  parallel  is  furnished 
by  a  similar  custom  prevailing  among  the  Baree- 
speaking  Toradja  of  Central-Celebes.  Here  the  sub- 
stitute-terms are  taken  partly  from  a  special  dialect, 
whose  only  function  consists  in  substituting  terms 
for  tabu  words,  partly  from  the  priests'  language, 
whicli,  though  cognate  to  the  other  both  in  origin 
and  in  form,  is  not  to  be  confounded  with  it,  since, 
to  the  native  conception,  each  of  them  is  decidedly 
distinct  from  the  other.  The  difference  between  the 
two  is  formulated  in  the  following  words  by  Adriani 
and  Kruyt  on  whose  observations  the  author's 
statements  are  baaed:   "The  difference  consists  in 


254 


"the  substitute  language  forming  a  part  of  tlie  com- 
"mon  language,  whereas  the  priests'  language  is  a 
"special  one,  spoken  by  the  priests  while  holding 
"communion  with  the  gods.  Every  one  is  bound  to 
"be  acquainted  with  the  former  at  least  to  a 
"certain  extent;  the  latter  need  not  be  known  by 
"any  but  the  priests".  Also  the  Dajaks  of  Borneo, 
finally,  in  their  poetry  often  use  words  belonging 
to  the  priests'  language  or  substitute-terms  serving 
as  such  in  the  common  language  too. 

Having  thus  demonstrated  the  striking  parallelism 
between  the  Indo-Germanic  and  the  Indonesian 
phenomena,  the  author,  in  the  next  chapter,  passes 
on  to  discuss  the  subject  from  a  general  ethno- 
logical point  view.  The  ethnological  curiosities  in 
the  domain  of  linguistics  treated  above  represent 
but  a  few  of  the  innumerable  „special  languages", 
specimens  of  which  are  to  be  found  in  every  lan- 
guage-community however  small  it  may  be.  From 
a  linguistic  point  of  view  all  these  special  languages 
present  pretty  much  the  same  character,  all  of  them 
consisting  in  a  number  of  (principally  lexical)  diver- 
gencies, obtained  by  one,  some,  or  all  of  the  fol- 
lowing means:  paraphrase  (indicating  words  or  ex- 
pressions included),  derivation  from  foreign  lang- 
uages, use  of  archaisms,  and  word-mutilations. 
Ethnologically,  on  the  other  hand,  they  may,  ac- 
cording to  the  author,  be  divided  into  two  essen- 
tially different  groups,  viz.  a  magico-religious  category 
and  a  profane  one,  the  latter  being  composed  of  two 
sub-groups  :  technical  languages  and  secret  languages. 
Although  the  author  is  fully  aware  of  the  fact  that 
it  will  often  be  difficult,  sometimes  even  impossible, 
to  draw  a  sharp  line  of  demarcation  between  these 
different  groups,  she  still  fancies  her  division  to  be 
in  general  maintainable.  In  the  present  writer's 
opinion  a  classification  whose  lines  of  demarcation 
are  dimmed  by  so  many  cases  of  transition  as  the 
one  proposed  in  this  instance,  is  useless  if  not 
quite  untenable.  Besides,  the  study  of  special  lan- 
guages demonstrates  very  clearly,  that  the  great 
majority  of  those  that  nowadays  might  be  called 
"profane"  either  were  originally  not  merely  profane 
(resp.  essentially  magico-religious)  or  are  even  now 
mixed  up  with  psychologically  cognate  special  dialects 
of  the  magico-religious  kind.  If  the  author  had 
refrained  from  this  premature  attempt  at  classifica- 
tion, the  discussion  of  certain  special  languages  that 
follows  would  have  been  none  the  worse  for  it. 
That  the  modern  Dutch  sailors'  language  is  chiefly 
technical  and  that  it,  consequently,  does  not  present 


quite  the  same  aspect  as  the  Sasahara-dialect,  which, 
as  we  saw,  is  chiefly  or  exclusively  magico-religious, 
cannot  be  denied,  but  does  this  fact  justify  the 
author's  statement  that  van  Gennep  was  quite  wrong 
in  denying  the  existence  of  an  essential  difference 
between  the  two  ?  The  fact  that  in  the  modern  type 
substitute-terms  for  non-technical  words  are  very 
scarce,  merely  suggests  the  possibility  that  the 
tabu-prescriptions,  which  here  at  some  period  co- 
operated with  agents  of  a  more  profane  kind,  were 
rather  dififerent  from  those  that  governed  the  develop- 
ment of  the  Sasahara-dialect;  but  it  proves  neither 
that  the  modern  type  is  purely  technical  now, 
nor  that  it  has  always  been  chiefly  technical. 
Still  less  defensible  seems  the  author's  opinion  that 
the  modern  soldiers'  language  and  the  students' 
language  belong  to  the  group  of  "secret"  languages. 
As  regards  their  modern  character  both  are  much  more 
complicated  than  the  author  seems  to  suspect  In 
connection  with  the  students'  language  the  author 
introduces  the  subject  of  the  peculiar  formalities 
preceding  the  admission  of  fireshmen  into  a  Dutch 
students'  corps.  The  ceremonies  or  rather  the  wanton 
and  insipid  and  often  cruel  vexations  the  aspirants 
have  to  endure,  cannot  but  remind  us  of  the  initia- 
tion-rites of  savages  ;  and,  as  the  author  demonstrates, 
this  resemblance,  obvious  even  at  the  first  glance, 
becomes  even  more  striking,  when  we  compare  both 
sets  of  actions  more  in  detail.  The  author,  prudently, 
only  hints  at  a  possible  historical  relation  between 
the  two  —  and  thus  much  she  was  certainly  justified 
in  doing.  The  rest  of  this  chapter  is  mainly  devoted 
to  name-tabus.  As  the  author  here  chiefly  refers  to 
well-known  facts,  we  need  not  dwell  on  her  des- 
criptions, which,  for  the  rest,  are  correct  and  lucid. 
We  must,  however,  not  neglect  to  mention  her 
critical  observations  on  the  subject  of  womens' 
languages,  especially  on  the  much-discussed  womens' 
dialect  of  the  Island  Caribs,  in  which  she  is  evidently 
particularly  interested.  She  rightly  observes  that 
Lucien  Adam  has  by  no  means  succeeded  in  proving 
his  theory  that  this  womens'  dialect  should  be  of 
Arowakan  origin,  the  linguistic  data  being  altogether 
too  scanty  to  be  of  any  use  for  this  purpose,  and 
that,  setting  aside  the  linguistic  side  of  the  problem, 
the  custom  of  abduction  of  women  can  hardly  be 
held  responsible  for  the  development  of  a  special 
womens'  dialect,  because  womens'  dialects  occur  in 
many  places  of  the  earth  where  abduction  of  women, 
as  far  as  we  know,  never  was  a  regular  custom. 
Against  considering  it  as  a  technical  language  tells 


« 


—  255  — 


the  fact  that,  besides  some  technical  terms,  it 
contains  a  majority  of  names  for  non-technical  things 
and  ideas.  As  the  most  acceptable  solution  the 
author  considers  Crawley's  theory,  which,  of  course, 
pleads  sexual  tabus.  It  should  be  observed,  however, 
that  at  least  the  two  last  mentioned  possibilities  do 
not  exclude  one  another.  "Why  should  womens' 
language  be  any  more  homogeneous  than  any  other 
special  language?  And  the  theory  of  Sapper  and 
Lasch,  who  attach  great  importance  to  the  difference 
in  social  position  between  man  and  woman,  brings 
forward  a  third  cooperating  factor,  which,  though  its 
sphere  of  action  with  regard  to  those  of  the  other 
agents  cannot  be  sharply  defined,  should  none  the  less 
be  talcen  into  account.  Here  again  the  objections  to 
the  author's  premised  classification  are  evident.  Finally, 
the  possibility  that,  in  some  cases,  abduction  of  women 
may  have  left  its  vestiges  in  the  womens'  dialect, 
should  not  be  rejected.  Although  Lucien  Adam  has  not 
succeeded  in  proving  anything,  still  it  is  not  uncon- 
ceivable that  future  researches,  (which  in  the  first 
place  will  have  to  face  the  problem  of  the  exact 
relation  between  Carib  and  Arowak  resp.  "Taino"), 
may  find  at  least  some  truth  in  his  hypothesis. 

In  the  next  chapter  the  author  hopefully  attacks 
the  formidable  problem  of  the  psychological  origin 
of  "tabu-languages"  (which  term  she  uses  in  the 
sense  of  special  dialects  used  in  compliance  with 
tabu-prescriptions).  Of  course,  as  she  rightly  begins 
with  stating,  language-tabus  are  not  to  be  separated 
from  other  tabu-regulations  and,  further,  the  tabu- 
custom  as  a  whole  is  only  one  of  the  numerous 
manifestations  of  the  primitive  mind.  So  the  author 
begins  her  argumentation  with  a  critical  discussion 
of  the  leading  modern  theories  respecting  the  pri- 
mitive view  of  life  or  perhaps  we  should  rather 
say  the  "savage's"  mental  altitude  toward  his  ego 
and  his  visible  and  invisible  surroundings.  Striking 
results  or  even  new  points  of  view  this  discussion 
does  not  yield,  but  the  author  is  aware  of  the  dif- 
ficulties and  does  not  try  to  evade  them.  She  comes 
to  the  conclusion  that  both  animistic  and  dynamistic 
ideas  have  contributed  to  the  origin  of  language- 
and  other  tabus,  and  finally  discusses  some  special 
eases  of  word-tabu.  Though  it  is  not  to  be  denied 
that  this  chapter  is  much  like  an  ethnological  pot- 
pourri, still  the  author  seems  to  have  succeeded  in 
lucidly  exposing  thechief  difficulties  without  allowing 
herself  to  be  carried  away  by  any  favourite  theory. 
Of  the  special  cases  of  word-tabu  treated  the  fol- 
lowing may  be  mentioned. 


Proper  name.  Probably  the  author  is  right  in 
assuming  that  the  custom  of  naming  the  parents 
after  their  children  is  based  on  tabu.  And  her  sug- 
gestion that,  to  the  primitive  mind,  this  process 
does  not  expose  the  child  to  danger  because  the 
child  is  not  really  concerned  in  the  transaction  does 
not  seem  inacceptable.  Another  factor  may  be  the 
circumstance  that  among  many  tribes  the  child 
changes  name  at  least  once  before  being  grown-up. 

Names  of  relatives.  As  regards  the  tabu- 
prescriptions  regulating  the  intercourse  between 
relations  by  marriage  the  author  is  of  opinion  that  the 
interpretation  of  Crawley,  who  does  not  separate 
these  tabus  from  the  purely  sexual  ones,  is  not 
quite  satisfactory,  because  Crawley  exclusively  dis- 
cusses the  tabu  between  son-in-law  and  mother-in- 
law  and  does  not  pay  any  attention  to  the  relation 
between  brother-in-law  and  sister-in-law  and  be- 
tween daughter-in-law  and  father-in-law.  Now  I 
must  confess  that  I  do  not  quite  understand  this 
objection.  If  Crawley  particularly  emphasizes  the 
mother-in-law-tabu,  it  is  evidently  because  this 
tabu  is  by  far  the  most  common  one  ;  and  although 
there  is  a  différence  between  a  mother-in-law  and 
a  sister-in-law,  it  seems  quite  evident  that  Crawley's 
interpretation  of  the  mother-in-law-tabu,  mutatis 
mutandis,  also  holds  good  for  the  sister-in-law- 
tabu  wherever  this  presents  itself.  The  author 
suspects  that  these  tabus  have  some  connection 
witli  the  existence  of  marriage-groups:  a  person 
whom  one  marries  belongs  to  a  different  group  and 
consequently  one's  marriage  brings  one  in  contact 
with  persons  (the  wife's  relatives)  who  are,  in  a 
certain  sense,  foreigners  —  and  foreigners  are  tabu. 
Now  the  similarity  of  prohibition-orders  in  both 
cases  (intercourse  with  relatives  by  marriage  and 
intercourse  with  foreigners  and  such  like)  to  which 
the  author  refers  does  not  prove  much,  since 
all  prohibition-orders  regarding  intercourse  cannot 
possibly  be  but  much  alike.  Moreover,  if  her  sug- 
gestion were  true,  how  are  we  to  account  for  the 
undeniable  fact  that  these  tabus  almost  exclusively 
regard  the  intercourse  between  persons  of  opposite 
sexes?  The  cases  in  which  there  seems  to  exist 
a  certain  kind  of  tabu  between  e.  g.  a  father-in-law 
and  son-in-law  are  so  sporadic,  and,  where  their 
existence  can  be  demonstrated,  these  tabus  in 
general  are  so  vague  in  character  and  the  part 
they  play  in  social  life  is  so  utterly  insignificant, 
that  we  may  safely  leave  them  out  of  account  — 
as,  indeed,  is  generally  done.  Further  the  statement 


256  — 


that  a  person's  wife's  relations  are  to  be  compared 
with  tabued  foreigners  because  tiiey  belong  to  another 
marriage-group  than  the  husband's,  is  a  conclusion 
not  warranted  by  the  actual  facts.  Among  the 
Menomini  Indians,  who  strictly  observe  the  mother- 
in-law  tabu,  a  man  may  safely  enter  into  sexual 
relations  with  his  nieces  or  his  sistersin-law  or 
his  aunts  on  either  side,  but  it  will  not  enter  his 
head  to  marry  a  first  cousin,  as  his  relationship 
with  these  is  considered  to  be  at  least  as  near  as 
that  with  his  actual  blood-sisters.  It  would  be  easy 
to  cite  a  great  n^any  more  data  proving  that  the 
tabus  existing  between  a  man  and  some  ot  his 
wife's  relatives  (in  particular  his  mother-in-law)  have 
nothing  whatever  to  do  with  those  relatives'  belonging 
to  another  marriage-group  and  that,  moreover,  those 
persons  are  by  no  means  considered  as  foreigners. 

Finally,  some  more  notice  might  have  been  taken 
of  Reinach's  theory,  which  is  evidently  hinted  at 
for  completeness'  sake  only.  If  our  present  know- 
ledge of  the  savage  way  of  looking  at  things  has 
any  real  value,  we  may  safely  state  that  there  is 
nothing  in  his  theory  that  either  seems  improbable 
from  a  general  point  of  view  or  is  contradicted  by 
any  fact.  And  this  theory,  however  different  from 
Crawley's  interpretation,  still  may  perhaps  at  some 
time  be  proved  to  corroborate  it  as  to  its  under- 
lying principle. 

About  the  tabu-languages  of  hunters  and 
fishermen  the  author  observes  that,  besides  the 
common  explanation  (the  game  or  the  fish  are  to 
be  coaxed,  appeased  or  deceived)  another  seems 
possible.  Perhaps  speaking  is  simply  one  of  the 
prohibited  actions,  like  washing  or,  to  a  certain 
extent,  eating  and  drinking,  in  which  case  speaking 
a  language  different  from  the  common  one  would 
be  considered  the  same  thing  as  not  speaking  at 
all.  Doubtless  this  view  of  the  matter  too  deserves 
to  be  carefully  tested;  but  it  should  be  borne  in 
mind  that,  even  if  its  correctness  were  to  be  proved 
for  some  cases,  the  other  interpretation,  which  has 
often  been  proved  quite  conclusively,  could  not 
possibly  be  superseded  by  it. 

In  her  last  chapter  the  author  formulates  her 
conclusions.  Evidently  Olrik  was  right  in  connecting 
the  poetic  language  of  the  Norvegian  population  of 
Iceland  with  the  flshermens'  languages  of  other 
North-Germanic  peoples  ');   and,  judging  from   the 


parallels  furnished  by  certain  Indonesian  languages,  it 
cannot  be  doubted  that  the  peculiarities  by  which  these 
special  languages  distinguish  themselves  from  the 
common  tongue  are  largely  due  to  tabu-prescriptions. 

In  the  last  few  pages  of  her  book  the  author 
discusses  the  possible  motives  that  may  have  led 
to  the  being  tabu  of  certain  persons  and  things. 
As  might  have  been  expected,  this  discussion  is 
rather  unfruitful,  but  as  it  dues  not  do  any  harm 
either,  the  reader  may  as  well  take  it  into  the 
bargain  as  grumble  over  it. 

In  writing  this  rather  extensive  review  the  pre- 
sent writer's  purpose  was  to  draw  the  attention  of 
ethnologists  to  this  solid  little  work,  which,  owing 
to  its  being  written  in  Dutch,  would  otherwise  per- 
haps not  meet  the  interest  it  fully  deserves.  True, 
the  positive  results  obtained  are  not  quite  propor- 
tional to  the  amount  of  work  the  research  has 
required;  but  a  patient  and  methodical  and  at  the 
same  time  daring  investigation  like  this,  bearing  on 
a  subject  whose  many-sidedness  in  itself  is  enough 
to  discourage  a  more  experienced  scholar,  has  a 
very  real  value,  even  if  the  immediate  results  are 
not  quite  striking. 

Any  future  investigator  who  wants  to  take  up 
the  problem  again,  will  find  Miss  Portengen's  book 
to  be  a  most  substantial  support  in  his  labours. 

J.   P.   B.  DE  JOSSELIN   DE   JONG. 

VI.  E,  Sapir,  Noun  reduplication  in  Comox,  a 
Salish  language  of  Vancouver  Island  (Canada  Geo- 
logical Survey  Memoir  63),  Ottawa,  Government 
Printing  Bureau  1915. 

Besides  some  introductory  remarks  on  Comox 
phonetics  this  paper  contains  a  careful  survey  of 
the  various  types  of  noun  reduplication  and  their 
grammatical  functions  in  this  language,  some  "mis- 
cellaneous linguistic  material",  and  some  comparative 
notes  on  Salish  noun  reduplication  in  general. 

In  those  Comox  nouns  that  always  appear  in 
completely  or  partly  reduplicated  from,  many  of 
which  are  (partly  onomatopoetic)  animal  names, 
reduplication  has  no  grammatical  significance,  but 
in  most  cases  it  characterizes  plural,  diminutive,  or 
diminutive-plural  forms  of  nouns.  Each  of  these 
categories  shows  a  considerable  variety  of  types. 
In  plural  reduplication  mostly  both  first  and  second 
consonants  of  the  stem  are  repeated,  the  stem 
vowel  between  these  consonants  being  sometimes 


')  It  may  be  observed  that  this  conclusion  is  not  based  ou 
any  new  Germanic  data;  so  the  author  has  evidently  changed 


her  opinion,  expressed  in  the  first  chapter,  that  the  materials 
on  which  Olrik  founded  his  identification  were  rather  scanty. 


—  257 


replaced  by  some  other  vowel.  In  diminutive 
reduplication,  on  the  contrary,  the  reduplicating 
syllable  repeats  only  the  first  consonant  of  the 
stem  and  the  vowel  of  the  reduplicating  syllable 
too  is  formed  "according  to  different  rules  from 
that  of  the  reduplication  syllable  of  plural  forms". 
Diminutive  forms  of  animal  names  may  also  be 
made  by  means  of  a  suffix.  Diminutive  plurals 
evidently  "are  morphologically,  and  psychologically, 
diminutivized  plurals,  not  pluralized  diminutives"  as 
"the  first  reduplicating  syllable  is  almost  invariably 
of  diminutive  type,  the  second  of  plural  type." 
Some  nouns,  mostly  animal  names,  form  no  plural. 
Some  of  these  are  reduplicated  to  begin  with,  but 
others  are  not.  Among  the  latter  category  two 
nouns  are  mentioned  that  are  no  animal-names,  viz. 
"salmon-egg"  and  "head".  Suppletive  plurals  too 
occur,  e.  g.  of  the  word  for  "woman"  and  its  déri- 
vâtes "girl"  and  "married  man",  whilst  the  word 
for  "leg"  changes  the  stem  but  keeps  the  same 
suffix. 

Besides  the  main  types  mentioned  here,  a  number 
of  other  types  and  subtypes,  many  of  which  are 
wholly  or  partly  due  to  phoneiic  processes,  are 
enumerated  and  analyzed. 

After  a  brief  comparative  survey  of  types  of 
plural  formation  in  other  Salish  languages  the  author 
comea  to  the  conclusion  "that  there  are  a  number 
of  wide-spread  Salish  methods  of  forming  the  plural, 
which  may,  however,  at  last  analysis  turn  out  to 
be  capable  of  reduction  to  Type  1"  [first  and  second 
consonants  and  stem  vowel  between  them  repeated] 
"(of  which  Type  11"  (first  and  second  consonants 
repeated,  stem  vowel  replaced]  "may  be  a  reduced 
form)." 

The  "miscellaneous  linguistic  material"  consists 
of  numerals,  numerals  with  classifying  suffixes, 
body-part  suffixes,  and  possessive  and  subjective 
pronouns.  J.  P.  B.  dk  Josseun  de  Jono. 

VII.  Edward  Sapir,  Southern  Paiute  and  Nahuatl, 
a  study  in  Ulo-Aztekan.  Part  II  (Anjerican  Anthro- 
pologist (N.  S.),  Vol.  XVU,  No«.  1,  2)  1915. 

Besides  a  supplementary  note  on  Uto-Aztekan  o 
(from  Dolores'  Papago  material  it  is  evident  that 
the  author  rightly  suspected  Nahuatl  o  to  represent 
two  different  Uto-Aztekan  o-sounds,  viz.  a  close  and 
an  open  one),  this  second  part  of  his  paper  contains 
a  comparative  treatment  of  the  consonants  in  Nahuatl 
and  Shoshonean.  After  a  description  of  the  con- 
Bonantic  systems  of  Nahuatl  and  Southern  Paiute 
the  author  tries  "to  define  the  phonetic  conditions, 


from  a  Uto-Aztekan  point  of  view,  under  which 
consonants  became  spirantized,  geminated,  nasalized 
in  Southern  Paiute  (or  Shoshonean  generally)".  The 
spirantized  consonants  evidently  "arose  regularly 
whenever  a  non-initial  consonant  came  to  stand 
immediately  after  a  vowel"  (Nr.  1,  p.  104).  Neither 
are  the  nasalized  stops  to  be  attributed  to  original 
Uto-Aztekan.  Evidently  three  causes  may  be  con- 
sidered to  be  responsible  for  their  presence  in 
Shoshonean:  1.  the  consonant  of  the  suffix  is  nasa- 
lized by  the  nasal  of  the  stem;  2.  syncope  of  a 
vowel  following  a  nasal;  3.  in  the  reduplicated 
forms  of  stems  with  a  nasal  as  their  second  con- 
sonant, this  nasal  too  is  reduplicated.  As  to  the 
geminated  stops,  which  exist  in  several  Shoshonean 
dialects  (e.  g.  in  Northern  Paiute,  Uncompahgre, 
Southern  Ute,  and  most  probably,  as  the  author 
demonstrates,  also  in  Tubatulabal  and  Luiseflo- 
Cahuilla)  and  which  obviously  "form  a  fundamental 
class  of  sounds  in  Shoshonean  phonology"  (Nr.  1, 
p.  108),  we  have  to  face  a  far  more  difficult  pro- 
blem, as  we  do  not  find  these  sounds  reflected 
either  in  Nahuatl  or  in  Sonoran.  So,  for  the  present, 
we  have  to  acknowledge  two  possibilities  :  they  have 
either  developed  or  been  retained  in  Shoshonean  only. 

Although  many  more  unexplained  and,  for  the 
present,  perhaps  unexplainable  phenomena  present 
themselves  when  one  investigates  the  consonantic 
correspondences  between  Nahuatl,  Sonoran  and 
Shoshonean,  such  an  investigation,  as  the  author 
demonstrates,  yields  sufficient  data  to  enable  even 
the  most  prudent  linguist  to  trace  back  the  develop- 
ment of  most  of  the  consonants  of  these  three 
languages  to  their  Uto-Aztekan  origin. 

If  they  are  treated  in  the  same  scientific  manner, 
the  morphological  correspondences  will  doubtless 
corroborate  the  important  results  already  obtained, 
and  very  possibly  throw  light  on  some  difficulties 
which  phonological  evidence  alone  has  not  been  able 
to  remove.  J.  P.  B.  db  Josselin  de  Jong. 

VIII.  Robert  H.  Lowik,  Societies  of  the  Arikara 
Indiana  (Anthropological  Papers  of  the  American 
Museum  of  Natural  History.  Vol.  XI,  Part  VIII) 
New- York  1916. 

In  1910,  while  studying  the  societies  of  the 
Mandan  and  Hidatsa,  the  author  was  able  to  obtain 
some  valuable  information  about  the  corresponding 
societies  of  the  Arikara.  On  many  points  his  data 
diverge  from  the  older  statements,  in  part  even 
flatly  contradict  them.  While,  according  to  Clark  and 
Brackenridge,  the  Arikara  societies  were  graded  on 


—  258 


the  basis  of  age,  the  author's  informant,  in  accor- 
dance with  Curtis'  data,  stated  them  not  to  be 
graded  at  all.  As  a  solution  the  author  suggests  the 
possibility  that,  among  the  Arikara  as  well  as  among 
the  Pawnee,  the  societies  were  coordinate  units,  and 
that  the  features  of  an  age-series  recorded  by  Clark 
and  Brackenridge  were  in  a  late  period  borrowed 
from  the  Mandan  and  Hidatsa  (by  a  portion  of  the 
tribe)  without  affecting  the  older  conception.  As 
compared  with  those  of  the  Mandan  and  Hidatsa, 
the  Arikara  societies  are  obviously  little  systematized. 
They  cannot  be  definitely  classified,  and  it  is  equally 
impossible  to  make  a  general  statement  as  to  the 
method  of  admission.  Most  of  the  men's  societies 
are  military  in  character.  In  general  they  have  no 
definite  functions,  though  some  of  them  seem  to  be 
in  some  way  connected  with  camp-guarding  and 
the  regulation  of  the  buffalo-hunt.  One  of  them  is 
characterized  by  shamanistic  performances,  but  none 
of  them  are  of  the  really  religious  type.  A  pretty 
common  feature  seems  to  be  a  rather  vague  in- 
fluence for  good  on  social  life  in  general.  One  of 
the  two  women's  societies  however  shows  definitely 
religious  features  and  is  at  the  same  time  the 
only  society  in  which  membership  was  inherited 
(through  the  mother).  Generally  admission  was 
bought.  In  some  cases  the  candidate  had  to  surrender 
his  wife  to  the  "father"  whose  place  he  was  going 
to  take.  According  to  the  author  this  feature  was 
probably  borrowed  from  the  Hidatsa.  Sometimes 
refusing  to  become  a  member  when  invited  was 
impossible.  J.  P.  B.  de  Josselin  de  Jong. 

IX.  Alanson  Sktonee,  Societies  of  the  Iowa,  Kansa, 
and  Ponca  Indians  (Anthropological  Papers  of  the 
American  Museum  of  Natural  History.  Vol.  XI,  Part 
IX)  New  York  1915. 

A  carefiil  description  of  the  political,  ceremonial, 
and  social  organization  of  the  tribes  mentioned.  The 
author  has  treated  them  separately  and  his  account 
of  the  Iowa  is  by  far  the  most  extensive.  Still  his 
less  elaborate  communications  about  the  Kansa  and 
Ponca  Indians  too  are  of  considerable  value.  He  has 
confined  himself  to  carefully  recording  and  grouping 
the  facts,  without  trying  his  wit  at  historical  inter- 
pretations. Consequently  his  statements  hardly  give 
rise  to  any  discussion,  which,  for  the  rest,  by  no 
means  lessens  their  scientific  value. 

In  the  sections  on  political  organization  are  treated 
civil  and  military  government  including  customs  and 
ceremonies  relating  to  warfare  and  hunting.  In  the 
ceremonial  organization  dominating  elements  are,  of 


course,  societies  and  dances,  which  two  are  so  in- 
timately related  to  one  another  that  in  many  cases 
a  separation  is  impossible.  Those  of  the  Iowa  are 
divided  into  4  groups,  of  which  only  one,  the  war- 
dances,  are  unorganized.  The  ghost-dance  is  grouped 
among  "religious  dances  and  societies  of  modern 
origin".  The  two  other  groups  respectively  consist 
of  the  social  dances,  performed  by  non-religious 
societies,  and  the  animal-  and  mystery-dances,  which 
are  religious  ceremonies  performed  by  bundle-societies 
in  connection  with  the  sacred  bundles.  One  of  this 
group  though,  the  medicine-dance,  is  not  connected 
with  any  bundle.  There  is  evidence  of  its  being 
borrowed  from  the  Algonkin.  The  green  corn-dance, 
referred  to  by  J.  0.  Dorsey,  is  now  obsolete.  Although 
many  of  the  Iowa  dances  described  are  indeed  very 
different  in  character,  yet  it  strikes  me  that  the 
distinction  of  social  and  animal-  (resp.  mystery-)dance8 
is  a  little  artificial.  I  do  not  quite  see,  for  instance, 
why  the  calumet-dance  is  grouped  among  the  former 
category,  while  the  "boneshooting"-dance  is  con- 
sidered to  belong  to  the  "religious  societies".  The 
Kansa  and  Ponca  dances  have  not  been  classified; 
as  to  the  latter  the  author  cites  J.  0.  Dorsey's 
classification  without,  however,  expressing  an  opinion 
about  it. 

As  regards  the  gentile  organization  of  the  Iowa 
and  Kansa,  the  information  obtained  by  the  author 
in  general  does  not  materially  diverge  from  tliat 
gained  by  other  ethnologists,  though,  of  course,  the 
various  accounts  are  not  identical  as  to  details. 
Among  both  tribes  the  gentes  are  exogamic  and 
patrilineal.  The  author  obtained  complete  lists  of 
the  most  important  living  and  extinct  gentes  and 
(Iowa)  subgentes,  and  also  a  number  of  gentile 
personal  names.  Lists  of  Iowa  and  Kansa  terms  of 
relationship  were  compiled  from  information  obtained 
by  himself  and  that  obtained  by  Morgan.  On  the 
Kansa  „moieties",  phratries,  and  subgentes  mentioned 
by  J.  0.  Dorsey  no  data  were  obtained.  It  seems 
that  Dorsey  mistook  the  personal  gentile  names  for 
the  names  of  subgentes.  From  the  author's  list  of 
Kansa  gentes  it  is  evident  that  Radm's  statement 
that  the  animal  appellations  of  the  Dhegiha  gentes 
"have,  to  a  large  extent,  been  forgotten"  (.Social 
organization  of  the  Winnebago  Indians,  Canada 
Geological  Survey  Museum  Bulletin  10.  p.  6)  needs 
revision. 

As  to  Iowa  and  Kansa  social  life  interesting  notes 
are  given  regarding  marriage,  mourning  and  burial 
customs,  etc.  J.  P.  B.  de  Josselin  dk  Jong. 


—  259 


X.  Robert  H.  Lowik,  Dances  and  societies  of  the 
Plains  Shoshone  (Anthropological  Papers  of  the 
American  Museum  of  Natural  History.  Vol.  XI,  Part 
X)  New  York  1915. 

In  the  summer  of  1912  the  author  collected  some 
notes  among  the  Comanche  near  Lawton,  Oklahoma, 
the  Soutem  Ute  at  Navaho  Springs  and  Ignacio, 
Colorado,  and  the  Shoshone  at  Wind  River,  Wyoming. 
In  1914  he  visited  the  Ute  of  Whiterocks,  Uintah 
Reservation,  Utah.  Especially  as  regards  the  Comanche, 
"who  proved  poor  and  in  part  very  unwilling,' in- 
formants" the  information  gathered  is  rather  un- 
satisfying. It  seems  highly  desirable  indeed  that  a 
thorough  study  of  this  tribe,  including  their  language, 
should  be  taken  in  hand  immediately.  As  to  the 
Ute  and  Wind  River  Shoshone  the  author  has  much 
more  confidence  regarding  the  correctness  of  the 
data  presented.  About  the  Comanche  dances  little 
more  can  be  stated  than  that  they  seem  to  have 
been  associated  with  their  (local)  divisions  and  that 
they  mainly  or  exclusively  were  connected  with  an 
intended  retaliation.  Information  regarding  special 
functions  and  other  details  is  fragmentary  and  un- 
certain. Among  the  societies  of  the  Wind  River 
Shoebone  there  are  two,  the  Yellow  Noses  and  the 
Log«,  which,  when  the  tribe  was  on  the  march  or 
hontlng,  officiated  respectively  as  van-  and  rear-guard. 
It  seems  that  any  one  who  wished  to,  might  become 
a  member.  The  Yellow  Noses  used  "inverted  speech", 
and  'enjoyed  a  higher  social  position  an  account  of 
their  bravery",  but  of  a  gradation  as  to  age  or 
otherwise  there  is  not  any  vestige.  The  dances  and 
songs  of  the  two  societies  are  identical.  Among  the 
other  dances  of  this  tribe  several  are  evidently  war- 
dances,  but  there  are  also  some  that  doubtless  have 
another  meaning.  In  most  cases  the  author  expresses 
no  opinion  as  to  their  significance  —  and  the  data, 
indeed,  would  hardly  warrant  any  eflort  at  inter- 
pretation —  but  about  one,  particularly  interesting, 
dance,  which  seems  to  have  been  borrowed  from 
the  Bannock,  he  states  that  it  was  "merely  a  pas- 
time" (p.  819).  Considering  the  author's  well-known 
soepUeism  as  to  the  reliability  of  native  tradition 
and  native  interpretation  in  general,  it  strikes  me, 
that  in  this  particular  instance  he  might  have  been 
just  a  little  bit  more  sceptical.  Even  if  his  informants 
were  quite  sure  as  to  the  point  under  discussion  — 
and,  of  course,  I  do  not  doubt  they  were  —  it 
would  have  been  perfectly  justified  not  to  accept 
their  decision  as  final. 

A    solitary    figure,   corresponding   to   the   Crazy 

I.  A.  f.  E.  Bd.  XXXIII. 


Dogs  of  some  other  Plains  tribes,  is  the  Foolish 
One.  After  once  performing  the  foolhardy  exploit 
that  was  expected  from  him,  he  was  allowed  to 
resign  and  would  henceforward  be  a  war  chief. 

Among  the  Ute  there  is  at  least  one  society 
reminding  us  of  the  common  Plains  societies,  viz. 
the  Dog-company.  They  were  to  safeguard  the 
village  against  surprise,  and  when  the  camp  moved, 
they  acted  as  a  rear-guard.  The  most  important 
ceremony  is  the  Bear  Dance.  Together  with  the 
information  gathered  by  V.  Z.  Reed  in  1893,  the 
author's  data  present  a  pretty  satisfactory  account 
of  the  whole  performance.  While  the  author  was 
unable  to  detect  any  purpose  beyond  the  desire  to 
conciliate  the  bear,  Reed  mentions  several  more 
motives,  which,  however,  all  directly  relate  to  the 
well-being  both  of  the  bear  himself  and  of  man 
as  regards  his  contact  with  bears.  The  performance 
itself  as  well  as  the  "mise-en-scène"  is  uf  the  imita- 
tive type. 

There  were  squaw-dances,  but  in  these,  as  in  all 
other  dances,  men  and  women  both  joined.  Further 
they  had  war-dances  and  a  few  others  about  whose 
meaning  no  data  were  obtained. 

J.   P.   B.   DB   JOSSELIN   DE   JONG. 

XI.  F,  Q.  Speck,  Family  hunting  territories  and 
social  life  of  various  Algonkian  bamls  of  the  Ottawa 
valley  (Canada  Geological  Survey  Memoir  70),  Ottawa, 
Government  Printing  Bureau  1915. 

F.  Q.  Speck,  Myitis  and  Folk-lore  of  the  Timis- 
kaming  Algonquin  and  Timagaini  Ojibica  (Canada 
Geological  Survey  Memoir  71),  Ottawa,  Government 
Printing  Bureau  1915. 

The  Timiskaming  band,  located  at  the  head  of 
Lake  Timiskaming  (on  the  boundary  between  Ontario 
and  Quebec)  and  the  Timagami  band  of  Ojibwe,  a 
band  of  95  souls,  who,  during  the  summer  of  1913 
were  staying  on  Bear  island  in  Lake  Timagami,  were 
visited  by  the  author  himself;  information  about  a 
few  other  Algonkin  and  Ojibwe  bands  of  the  same 
region  was  partly  obtained  at  second  hand.  The 
author  feels  sure  that  the  Timiskaming  band  should 
be  classified  as  a  branch  of  the  Algonkin  group,  but 
at  the  same  time  he  considers  them  to  have  become 
greatly  influenced  by  contact  with  their  western 
neighbours,  the  Timagami  and  Matachewan  bands, 
who  are  true  Ojibwe. 

The  social  grouping  as  described  in  the  first  paper 
is  essentially  the  same  among  the  different  bands 
treated.  The  8oci:il  unit  is  the  family  with  its  family 
hunting  territory  „in  which  all  the  male  members 

34 


260  — 


share  the  right  of  hunting  and  fishing."  Trespassing 
was  severely  punished  and  often  caused  feuds  between 
families.  The  system  was  kept  up  by  means  of 
various  wise  regulations.  A  very  interesting  feature 
is  the  custom  of  keeping  account  of  the  game  and 
regulating  the  killing  accordingly.  The  children 
inherited  their  hunting  rights  in  the  paternal  territory. 

The  clan-organization  seems  gradually  to  lose  in 
importance  as  we  proceed  northward  from  the  great 
lakes  region.  Considering  its  weakness  among  the 
Algonkin  bands,  the  author  thinks  its  existence  here 
may  be  attributed  to  Ojibwe  influence.  Both  among 
the  Algonkin  and  the  Ojibwe,  the  clans  are  totemic 
exogamous  groups  with  paternal  descent.  According 
to  the  author  the  totem  is  simply  regarded  as  an 
emblem.  As  to  the  Timiskaming  people  he  defines 
the  totem-idea  as  „the  idea  of  relationship  between 
individuals  who  have  inherited,  through  their  fathers, 
a  certain  secondary  nationality  in  the  tribe,  the  em- 
blem of  which  is  the  particular  animal  or  totem" 
(p.  8).  Regarding  •  the  Timagami  he  states  that  the 
totem  „is  regarded  as  an  emblem  which  designates 
the  group,  and  of  which  the  members  are  proud  in 
the  same  way,  according  to  the  Indians,  as  the 
Americans  are  proud  of  the  eagle  or  the  British  of 
the  hon"  (p.  18).  As  the  author  has  not  been  able 
to  support  these  curious  statements  with  even  the 
semblance  of  an  argument,  I  shall  not  discuss  them. 
I  only  wish  to  state  in  my  turn  that,  considering 
the  absolute  lack  of  data  warranting  any  conclusion, 
his  assertions  seem  rather  premature  and,  in  fact, 
rather  naif  too. 

Besides  the  information  about  hunting  territories 
this  paper  contains  some  notes  (all  regarding  the 
Timagami)  about  naming,  chieftainship,  marriage, 
burial,  hunter's  tabus,  and  dances,  and  a  list  of 
kinship  terms.  Of  course  any  information  is  welcome, 
but  scanty  notes  like  these  should  be  given  for 
what  they  are:  I  mean  the  author  should  have 
confined  himself  to  simply  communicating  them.  If 
he  adds  to  his  description  of  the  Bear  Dance  this 
interpretative  commentary:  „The  idea  of  this  dance 
seems  to  be  to  honour  the  bear  by  imitating  him," 
we  are  almost  inclined  to  wonder  whether  he  is 
joking  or  in  earnest.  The  second  paper  contains  a 
number  of  mythical  and  miscellaneous  tales  and 
some  loose  folk-lore-notes.  As  the  author  intends  to 
pursue  his  investigation  in  this  area,  the  present 
collection  is  to  be  considered  as  a  preliminary  report, 
It  is  interesting  to  note  that  in  the  Timiskaming 
tales   the   trickster  is   Wiskédjak   („meat  bird"; 


Canada  Jay),  while  at  Timagami  he  is  called  Nene- 
bue  or  Wiské  and  at  Mattagami  Wémicuzehwa 
or  Nenebuc.  The  author  finds  Wiskédjak  and  its 
variants  „to  be  more  or  less  characteristic  of  the 
Algonquin  bands."  Doubtless  he  is  right  in  considering 
Cingibis  (Horned  Grebe;  at  Red  Lake,  Minnesota, 
the  name  is  translated  by  , Hell-diver"  cf.  Baessler- 
Archiv  Beiheft  V)  as  ,a  secondary  hero  personage". 
It  is  a  pity  that  only  a  few  lines  (a  short,  rather 
insignificant  sketch  of  Wiskedjak's  general  personality) 
have  been  recorded  in  Indian.  Especially  to  expres- 
sions relating  to  magical  capacities  like  "he  was  a 
manitu"  (p.  47),  "he  was  mite"  (p.  68),  „a  big 
raanitu  (magic)  seal"  (p.  68),  "his  mi  tew  feeUng" 
(p.  74),  "so  full  of  mité  that..."  (p.  75),  «he  was 
full  of  mite  win"  (p.  70)  thehr  full  Indian  aequi- 
valents  should  have  been  added.  As  to  his  trans- 
lations of  and  commentaries  upon  such  terms  the 
author  has  been  rather  inconsistent:  "manitu"  has 
been  translated  by  "magic"  (p.  68)  and  by  "spirit" 
(p.  76);  "mitéw"  he  translates  as  "conjurer"  and 
on  the  accompanying  footnote  gives  "one  of  the 
ranks  of  shamans"  (p.  74),  while  on  the  same  page 
"mitékwe"  is  rendered  by  "medicine-woman".  How- 
ever, it  may  be  expected  that  in  some  future  publi- 
cation due  attention  will  be  given  to  these  delicate 
subjects. 

The  word  for  "rainbow",  which  is  the  same  in 
Timiskaming  and  in  Timagami,  has  been  translated 
in  two  ways:  "forms  from  the  water"  (Timiskaming 
p.  23)  and  "mist  from  the  water"  (Timagami  p.  79) 
while  to  the  latter  translation  a  point  of  interrogation 
is  added.  J.  P.  B.  de  Jossklin  dk  Jong. 

XII.  Paul  Radin,  The  social  organization  of  the 
Winnebago  Indians,  an  interpretation  (Canada  Geo- 
logical Survey  Museum  Bulletin  No.  10),  Ottawa, 
Government  Printing  Bureau  1915. 

The  author  considers  that  the  twofold  division 
of  the  tribe,  on  which  the  social  organization  of  the 
majority  of  the  Siouan  tribes  seems  to  be  based, 
is  common  in  origin  and  historically  primary  for 
the  Winnebago,  Dhegiha  and  Tciwere,  because  these 
three  tribes  show  many  cultural  and  sociological 
similarities.  However,  as  an  analysis  of  the  present 
names  and  functions  of  the  two  divisions  makes  it 
very  probable  that  they  originally  belonged  to  certain 
important  subdivisions  (clans)  and  were  secondarily 
identified  with  those  of  the  larger  groups,  it  cannot 
be  proven  that  the  type  of  social  organization  is 
historically  identical  even  among  these  three  tribes. 

At  present  the  Winnebago  have  animal  appella- 


—  261 


lions  for  their  clans  (with  tiie  associations  of  descent 
from  or  connexion  v?ith  an  animal  ancestor),  but 
some  animal  appellations  have  been  replaced  by 
designations  indicating  the  functions  of  the  clan: 
Warrior,  Chief,  Soldier  instead  of  Hawk,  Thunder, 
Bear.  Moreover  there  is  some  evidence  that  might 
be  interpreted  as  pointing  to  an  organization  of 
village-groups  with  geographical  names  preceding 
the  later  clan-organization  with  animal  names.  The 
names  of  the  two  divisions:  „Those  who  are  above" 
and  „Those  who  are  on  earth"  refer  to  the  clan- 
animals,  the  tirst  appellation  covering  the  birds  and 
the  second  the  land-  and  water-animals.  The  only 
function  of  the  two  divisions  seems  to  have  been 
the  regulation  of  marriage,  for  the  function  of 
reciprocal  burial  seems  doubtful.  Further  the  divisions 
play  a  part  in  the  organization  of  the  village  (but 
about  the  exact  arrangement  the  informants  of  the 
one  division  disagree  with  those  of  the  other),  in 
the  arrangement  of  fireplaces  when  on  the  war- 
path, as  the  basis  of  organization  at  the  „chief" 
feast  (given  by  the  bird-clans)  and  lastly  as  the 
basis  of  organization  oftbe  ceremonial  lacrosse-game. 
The  „above '-division  has  4  clans:  Tbunderbird 
(=  Chief),  Warrior  (=  Hawk),  Kagle,  Pigeon;  the 
,on-<arth"-divi8ion  8  :  Bear  (=  Soldier),  Wolf,  Buf- 
falo, Water-spirit,  Deer,  Elk,  Snake,  Fish.  About  the 
order  in  which  the  clans  originated  the  different 
clan-legends  disagree,  each  clan  being,  according  to 
its  own  legend,  one  of  the  first.  The  majority  trace 
their  origin  to  Green  bay  but  the  Warrior-  and  Buf- 
falo-clans in  some  of  the  versions  of  their  clan- 
myths  claim  other  places  as  their  original  home. 
Within  the  half  circle  occupied  by  the  division  to 
which  they  belonged,  the  members  of  each  clan 
were  grouped  together,  but  according  to  all  inform- 
ant« a  Tillage  never  merely  included  members  of 
the  same  clan.  The  author  thinks  clan-segregation 
should  not  be  taken  too  literally,  as,  in  his  opinion, 
clan-exogamy  would  prevent  that. 

There  are  9  classes  of  individual  names,  respectively 
referring  to:  1.  colour,  2.  physiological  characterist- 
ics, 3.  social  functions,  4.  animal-  and  plant-forms, 
5.  animal  characteristics,  6.  natural  phenomena, 
7.  quality,  8.  episodes  of  a  legendary  origin,  9. 
personal  achievement.  The  m^ority  of  names  are 
nowadays  interpreted  as  belonging  to  type  8,  but 
in  the  author's  opinion  we  have  often  to  do  with 
reinterpretations.  Besides  a  clan-name,  a  large 
number  of  which  belong  to  type  5,  every  individual 
has  a  birth-name,  by  which  be  is  generally  known. 


and  a  nickname.  Especially  the  clan-names,  the 
author  thinks,  were  often  reinterpreted. 

The  bond  between  members  of  the  same  clan  is 
based  on  their  common  attitude  towards  the  clan- 
animal,  which  attitude  differs  from  that  towards  the 
guardian  spirit  („an  immaterial  being  in  control  of 
an  animal  species")  only  in  that  „more  emphasis 
is  laid  upon  identification  with  ihe  animal  itself,  as 
contrasted  with  the  "spirit'."  The  clan-group  descends 
not  from  the  „spirit''-animal,  but  from  the  animal, 
which,  nevertheless,  is  guardian  spirit  at  the  same 
time.  However,  according  to  the  author,  descent 
flrom  animals  means  descent  firom  animals  of  the 
heroic  age,  after  they  had  been  transformed  into 
human  beings,  not  descent  from  the  animals  of 
to-day.  The  latter,  on  the  contrary,  descend  from 
the  not-transformed  animal  beings.  Not  common 
descent,  but  blood-relationship  is  given  as  the  reason 
for  clan-exogamy,  but  as  this  notion  of  blood- 
relationship  does  not  extend  beyond  the  direct 
knowledge  of  some  living  individual,  the  author 
oonsiders  the  tie  of  blood-relationship  as  „purely 
fictitious  and  secondary." 

Many  of  the  clans  have  political-social  functions. 
In  some  cases  it  seems  probable  that  such  a  function 
was  first  associated  with  a  certain  individual  and 
that  this  association  was  afterwards  extended  to  a 
certain  clan  (e.  g.  the  function  of  public  criership). 

Between  certain  clans  (generally  belonging  to  the 
same  division)  there  exists  a  special  bond  known 
aa  ,friendship"-relation.  It  strongly  reminds  us  of 
the  well-known  relation  of  individual  partnership,  and, 
according  to  the  author,  the  bond  of  blood  between 
an  uncle  and  bis  nephews  is  psychologically  the  same. 
Between  clan  partnership  and  individual  partnership, 
he  thinks,  „no  genetic  relationship  need  be  postu- 
lated." Another  kind  of  relation  between  certain 
clans  is  the  „servant" -relation,  which  expresses 
itself  in  certain  deferential  acts  and  the  performance 
of  certain  services  that  are  not  reciprocal. 

The  specific  clan-possessions  may  be  „material" 
(as  the  author  calls  it)  (like  war  bundles)  or  „im- 
material" (like  fire,  water).  The  author  supposes 
the  former  kind  to  have  been  originally  personal 
possessions  of  one  family  and  the  latter  kind  to 
have  been  primarily  connected  with  the  clan-animals. 
Moreover  each  clan  has  its  own  marks  of  identifica- 
tion, such  as  symbols  (e.  g.  the  war-club  of  the 
Thunderbird-clan) ,  property-marks  (effigy  of  the 
clan-animal),  facial  decorations,  and  special  songs, 
of  which  each  clan  possesses  four. 


—  262 


Of  ceremonial  functions  of  clans  there  is  but  one 
instance:  when  a  village  was  visited  by  sickness, 
the  Bear-clan  had  to  perform  a  certain  ceremony, 
chiefly  consisting  of  shamanistic  practices,  in  order 
to  expel  the  evil.  The  author  does  not  hesitate  to 
state  that  we  have  here  a  secondary  association  of 
a  ceremonial  function  (and  moreover  a  function  that 
generally  belongs  to  an  individual  shaman)  with 
a  social  unit.  There  is  but  one  ceremony  in  which 
the  clan-unit  is  the  basis  of  organization,  viz-  the 
clan-feast  ;  in  the  typical  religious  societies  no  clan- 
influence  is  perceptible.  The  clan-feasts  themselves 
are  supposed  by  the  author  to  be  „really  religious 
societies  in  which  the  influence  of  the  clan  has 
restricted  the  number  of  "the  principal  participants. 

This  paper  is  another  illustration  of  the  tendency, 
rather  common  just  now  among  the  younger  gen- 
eration of  ethnologists  in  America,  to  seek  the 
true  scientific  attitude  towards  ethnological  phenom- 
ena in  an  unlimited  scepticism  regarding  their  out- 
ward appearance.  I  admit  that  in  ethnological 
research  a  certain  amount  of  scepticism  as  to  native 
interpretations  and  „flrst-glance"  impressions  is  a 
prime  requisite,  but  still  I  am  not  sure  that  this 
attitude,  if  carried  to  extremity,  will  not  ultimately 
come  to  denying  the  existence  of  any  problems 
instead  of  contributing  anything  towards  their  solut- 
ion. Scepticism  too  may  become  dogmatical  and  in 
hat  case,  considering  its  merely  negative  character, 
it  is  likely  to  make  more  mischief  than  any  other 
dogma.  It  should  always  be  borne  in  mind  that  in 
ethnology  nothing  can  be  proven  with  mathematical 
certainty,  and  that  looking  for  such  proofs  is  not  only 
wasting  energy,  but,  in  the  long  run,  is  sure  to 
deaden  the  sense  of  psychological  probability. 

J.    P.    B.    DE   JOSSELIN   DE    JONG. 

XIII.  V.  Cathbein  S.  J.  Die  Einheit  des  sMUchen 
Bewusstseins  der  Menschheit.  Eine  ethnographische 
Untersuchung.  3  Bd.  1914  Freiburg  i/Br.  Herdersche 
Verlagshandlung.  M.  36.  —  . 

Den  Nachweis  zu  erbringen,  dass  das  sittliche 
Bewusstsein  der  Menschheit  allgemein  und  einheit- 
lich ist,'  eine  Grundvoraussetzung  der  Moralphiloso- 
phie, ist  der  Hauptzweck  dieses  Werkes.  Verfasser 
wurde  zu  dieser  sehr  umfangreichen  Arbeit  geführt, 
als  er  einsah,  dass  sein  „Überblick  über  die  sitt- 
lichen Anschauungen  der  wichtigsten  Kulturen  der 
Naturvölker"  die  er  den  ersten  Auflagen  seiner 
„Moralphilosophie"  beigab,  nicht  mehr  genügte. 

Mit  genauar  Angabe  der  Quellen  hat  er  unter 
den  verschiedensten   wenig    entwickelten   Völkern 


von  früheren  Zeiten  und  der  Gegenwärt  die  mora- 
lischen Verhältnisse  in  Verbindung  mit  den  reli- 
giösen studiert  und  die  wesentlichen  Elemente  der- 
selben in  dieses  dreibändige  Werk  aufgenommen. 

Wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  welch  ein  riesen- 
haftes und  zum  Teil  schwer  zugängliches  Mat«rial 
hier  zu  bewältigen  war,  leuchtet  es  ein,  dass  dieser 
erste  gründliche  Versuch  von  ähnlichem  Umfang  und 
ähnlicher  Arbeitsweise  auf  diesem  Gebiet  von  seinem 
Verfasser  als  unvollständig  bezeichnet  wird.  Zu 
gleicher  Zeit  giebt  er  aber  seine  Überzeugung  zu 
kennen,  dass  sein  mit  grosser  Sorgfalt  behandeltes 
Werk  nicht  leicht  sehr  wesentlich  zu  übertreffen 
sei.  Eventuelle  Bemerkungen  und  Ergänzungen  wird 
er  gern  ernstlich  berücksichtigen,  um  sie  später 
aufnehmen  zu  können. 

Ohne  weiteres  ist  er  klar,  dass  bei  der  Be- 
sprechung dieser  wichtigen  Arbeit  über  das  sittliche 
Bewusstsein  aller  Völker  der  Erde  die  Bedeutung 
des  Ausdrucks  „sittliches  Bewusstsein"  klar  gelegt 
sein  muss  und  Verfasser  hat  sich  denn  auch  be- 
strebt, uns  in  der  Einleitung  über  seine  Auffassung 
aufzuklären.  Er  wünscht  die  Frage  „Gibt  es  einen 
Grundstock  von  sittlichen  Begriffen  und  Grundsätzen, 
die  von  allen  Völkern  zu  allen  Zeiten  anerkannt 
waren",  zu  beantworten  und  dazu  auf  historischem 
Wege  und  durch  Erforschung  der  Zeugnisse  unserer 
jetzigen  Völkerkunde  die  nötigen  Daten  zu  finden. 
Nachdem  er  eine  Skizze  über  den  bezüghchen  Streit 
zwischen  Theismus  und  Evoluiionismus  der  letzten 
Zeiten  entworfen  hat,  verbreitet  er  sich  über  die 
Tragweite  der  Streitfrage.  Natürlicherweise  stellt  er 
sich  zu  dieser  auf  theistischen  Standpunkt;  klärt 
uns  aber  in  einzelnen  unparteiischen  Zügen  über  die 
jetzigen  vorherrschenden  Überzeugungen  auf  diesem 
Gebiete  auf. 

Von  grundlegender  Bedeutung  für  die  Tragweite 
dieser  sich  auf  unsere  ganze  Auffassung  von  der 
Einheitlichkeit  der  Menschheit  beziehenden  Arbeit 
scheint  mir  die  , Nähere  Bestimmung  der  Streit- 
frage". In  dieser  wird  angegeben,  dass  es  sich  hier 
um  allgemeine  Grundsätze  handelt,  nicht  um  die 
konkreten  Anwendungen  und  Schlüsse,  die  je  nach 
Ort  und  Zelt  sehr  verschieden  sein  können. 

So  heisst  es  auf  Seite  12  des  ersten  Bandes  : 
„Jeder  normale,  zum  vollen  Vernunftgebrauch  ge- 
langte Mensch  bildet  sich  den  Begriff  von  Gut  und 
Bös,  von  Recht  und  Unrecht,  und  den  allgemeinen 
Grundsatz,  dass  man  das  Gute  tun,  und  das  Böse 
verabscheuen  und  meiden  solle.  Ebenso  erkennt  er, 
dass  er  vernünftig  handeln,  dass  er  keinem  andern 


f. 


—  263  — 


zufügen  solle,  was  er  selbst  nicht  dulden  mag,  dass 
er  kein  Unrecht  tun  solle  u.  dgl."  Um  dieses  zu 
beweisen  folgt  Verfasser  nicht  den  Weg  philoso- 
phischer Betrachlungen,  sondern  er  tritt  dieser  Frage 
näher,  indem  er  an  der  Hand  der  Berichte  über  die 
verschiedensten,  niedrig  stehenden  Völker  ihre  sitt- 
lichen und  religiösen  Begriffe  und  Grundsätze  stu- 
diert. Zu  diesem  Zweck  verwendet  er  ein  nach  Mög- 
lichkeit vollständiges  Tatsachenmaterial  über  die 
charakteristischsten  Völker. 

So  behandelt  er  der  Reihe  nach  die  einzelnen 
Völker  der  alten  und  der  neuen  Zeit  und  stellt  ihre 
sittlichen  und  religiösen  Anschauungen  im  Zusam- 
menhang dar.  Nach  einer  kritischen  Erörterung  über 
die  vielen  literarischen  Quellen,  die  herangezogen 
werden  mussten,  werden  also  im  ersten  Teil  (±  700 
Seiten)  die  Kulturvölker[und  die  Naturvölker  Europas, 
Asiens  und  Afrikas  (nördliche  Hälfte),  im  zweiten 
Teil  (±;650  Seiten)  die  Naturvölker  Afrikas  (Süd- 
bälfte)  und  Nord-Amerikas  und  im  dritten  Teil 
(±:  600  Seiten)  diejenigen  Süd- Amerikas,  Australiens 
und  Ozeaniens  behandelt.  Von  allen  diesen  Völkern 
werden  die  eigenartigsten  religiösen  und  sittlichen 
Gebräuche  ziemlich  ausführlich  skizziert.  Der  Leser 
bekommt  dadurch  ein  objektives  Bild  und  kann  sich 
die  Gültigkeit  eines  sittUchen  Verhaltens  eines  sol- 
chen Volkes  selbst  zurechtlegen. 

Zweifellos  ist  es  Pater  V.  Katlireiu  gelungen  zu 
beweisen,  daaa  bei  allen  diesen  Völkern  ein  sitt- 
liches Veriialten  vorkommt,  wenn  man  seiner  oben 
erwähnten  Auffassung  Rechnung  trägt.  Ausserdem 
haben  die  Ethnographen  Ursache,  ihm  für  diese 
Arbeit  zu  danken,  da  diese  sie  in  den  Stand 
stellt,  von  den  verschiedensten  Gegenden  der  Erde 
besügliches  Material  zu  finden  und  die  genau  an- 
gegebenen Quellen  eine  Erweiterung  des  Dargebo- 
tenen sehr  erleichtern.  Es  würde  den  Spezialisten 
wohl  nicht  schwer  sein,  hie  and  da  auf  Verbesserung 
bedürftige  Stellen  hinzuweisen;  da  der  Charakter 
des  Ganzen  aber  dadurch  nicht  beeititrächtigt  wird, 
werde  ich  er  hier  unterlassen.  Die  letzten  fünfzehn 
Seiten  des  dritten  Teiles  sind  dem  Schlussergebnis 
gewidmet.  Hier  werden  nach  einander  kurz  die 
Schlüsse  besprochen,  zu  welchen  diese  Forschungen 
unter  den  mannigfaltigst  gearteten  Völkern  geführt 
haben.  Während  wir  uns  bis  jetzt  an  dem  objektiven 
Standpunkt  unseres  Autors,  auch  seinen  niedrigst 
stehenden  Mitmenschen  gegenüber,  erfreut  haben, 
tritt  uns  hier  sein  einseitiger  Standpunkt  ent- 
gegen. 

Man  stimmt  ihm  gern  zu,  dass  es  ihm  gelang, 


eine  natürliche  Moral  unter  allen  Stämmen  nach- 
zuweisen ;  diese  „natürliche  Moral"  aber  „die  Moral 
des  Dekalogs"  zu  nennen,  ist  doch  wohl  nur  in 
diesem  Sinne  möglich,  dass  diese  sich  aus  jener  als 
höhere  Moral  entwickelt  haben  kann.  Auch  muss 
man  zugeben,  dass  bei  allen  Völkern  Rechtsgefühl, 
Wahrhaftigkeit,  Treue,  Freigebigkeit,  Gastfreund- 
schaft, Höflichkeit  und  Dankbarkeit,  wenn  auch  oft 
nur  sehr  eng  in  bezug  auf  die  nächsten  Verwandten 
entwickelt,  vorgefunden  werden.  Weiter  sind  Gefühl 
der  Zusammengehörigkeit  und  Tapferkeit  auf  Grund 
sozialer  Verhältnisse  allgemein  verbreitet;  auch  die 
Familie  mit  ihrem  Eigentum  und  die  Ehe  spielen 
in  der  primitiven  Gesellschaft  eine  grosse  Rolle  und 
können  als  Basis  dieser  Zusammenlebungen  ange- 
sehen werden.  Wie  man  sieht,  ist  es  eine  stattliche 
Zahl  von  sittlichen  Eigenschaften,  die  man  als  Er- 
gebnis dieser  Arbeit  auch  den  niedrigst  stehenden 
Menschen  nicht  absprechen  kann.  Wir  sollten  es 
schätzen,  dass  wir  jetzt  im  Stande  sind,  diesen  ge- 
rechten Standpunkt  mit  Überzeugung  einzunehmen. 

Bis  dahin  hat  Verfasser  sich  bemüht,  bestimmte 
Eigenschaften  unter  den  Völkern  der  Erde  nachzu- 
weisen und,  wie  wir  sahen,  mit  gutem  Erfolg. 

Den  letzten  zehn  Seiten  liegt  aber  der  Wunsch 
zu  Grunde,  auf  dem  Gebiet  der  Religion  nachzu- 
weisen, woher  die  vorgefundenen  sittlichen  Erschei- 
nungen herrühren,  was  die  Ursache  dieser  allerdings 
sehr  bemerkenswerten  Charakterzüge,  auch  bei  den 
niedrigst  entwickelten  Stämmen,  sein  müsse.  Auf 
Grund  des  rein  theistischen  Standpunkts  des  Ver- 
fassers werden  hier  die  gefundenen  religiösen  und 
sittlichen  Äusserungen  der  Völker  als  Beweise  für 
die  Richtigkeit  dieses  Standpunkts  vorgeführt. 

Bei  dieser  ethnographischen  Besprechung  möchte 
ich  nicht  weiter  auf  diese  religiöse  Seite  der  Frage 
eingehen;  zum  Schluss  weise  ich  nur  auf  eine 
methodische  Schwäche  dieses  Teiles  der  Arbeit  hin. 
Aus  einem  Sammelwerk,  wie  das  vorhegende,  kann 
wissenschaftlich  keine  Stütze  für  eine  tiefgehende 
Untersuchung  über  die  Herkunft  der  festgestellten 
Erscheinungen  entnommen  werden.  Wie  Verfasser 
richtigerweise  selbst  angiebt,  erlaubt  uns  das  sehr 
heterogene  und  zum  Teil  nur  oberflächlich  beschrie- 
bene Material  nur  ganz  im  allgemeinen  sittliche 
Gefühle  unter  der  ganzen  Menschheit  festzustellen. 
Wollte  man  Näheres  über  diese  Gefühle  wissen,  so 
bedürfte  es  dazu  eines  eingehenden  Studiums  einer 
genau  begrenzten,  einheitlichen  und  gut  studierten 
Menschengruppe  mit  Hinzuziehung  ihrer  Geschichte, 
ihrer  Lebensverhältnisse  und  ihrer  Persönlichkeit. 


—  264 


Nur  ein  solches  gut  übersichtliches  Material  würde 
es  dem  Forscher  vielleicht  ermöglichen,  auf  Grund 
von  Untersuchungsergebnissen  zu  einer  Lösung 
solch  schwieriger  Probleme,  wie  der  Ursprung 
der  Religion  und  des  Sittlichen  im  Menschen,  zu 
gelangen. 

Von  ethnogrcaphischem  Standpunkt  kann  man  P. 
V.  Kathreins  Arbeit  nur  als  sehr  wertvoll  bezeichnen. 

A.    W.    NiEUWENHUIS. 

XIV.  J.  Scheunen,  Nederlandsche  Volkskunde. 
1"  Deel.  Zutphen  1915.  Auf  kulturgeschichtlichem 
Gebiet  werden  die  Völker  nicht  durch  ihre  staat- 
lichen Grenzen  geschieden.  In  einem  Buche,  wie 
dieses,  das  sich  mit  der  niederländschen  Volks- 
kunde befasst,  bezieht  sich  das  „Nederlandsche" 
denn  auch  auf  das  ganze  Gebiet,  wo  die  niederlän- 
dische Sprache  Volkssprache  ist.  Es  streckt  sich 
also  weit  über  unsere  südlichen  Grenze,  über  flä- 
misch Belgien  aus.  Selbst  ist  der  südliche  und  öst- 
liche Teil  der  Niederlande  und  auch  der  flämische 
Teil  Belgiens  eingehender  berücksichtigt  als  der 
nördliche,  westliche  und  mittlere  Teil  unseres  Va- 
terlandes. 

An  erster  Stelle  wurde  dies  wohl  dadurch  ver- 
ursacht, dass  gerade  in  diesen  Gegenden  durch  die 
seit  Jahrhunderten  umgestaltend  wirkende  Kultur 
die  Organisation  der  Zusammenlebung  und  die  alten 
Sitten,  um  welche  es  sich  hier  handelt,  am  meisten 
verändert  worden  sind. 

Das  Ziel,  das  Verfasser  sich  gestellt  hat,  eine 
zusammenfassende  Volkskunde  des  niederländischen 
Volkes  zu  schreiben,  muss  als  der  erste  Schritt 
betrachtet  werden.  Zwar  bestehen  zahlreiche  Werke, 
die  sich  mit  Unterteilen  dieser  Wissenschaft  befas- 
sen, aber  ein  Buch.,  das  das  ganze  Gebiet  ein- 
schliesst,  ist  bis  jetzt  noch  nicht  erschienen.  Aus 
diesem  Umstände  geht  schon  hervor,  dass  das  vor- 
handene Material  sich  in  allen  Zweiggebieten  wohl 
nicht  als  ausreichend  erweisen  würde;  es  ist  darum 
erklärlich,  dass  Verfasser  bestrebt  gewesen  ist,  diese 
Lücken  durch  Fragebogen  zu  ergänzen.  Dem  Inhalt 
dieses  ersten  Teiles  nach,  ist  ihm  das  für  eine  all- 
gemein gehaltene  Darstellung  gut  gelungen;  wo  es 
für  bestimmte  Gegenden  nicht  genügen  sollte, 
werden  die  Ausführungen  in  diesem  Werke  viel- 
leicht dazu  anregen,  die  örtlichen  Gebräuche  auf- 
zuzeichnen und  herauszugeben. 

Dem  Vorworte  nach  hat  Verfasser  die  Bearbei- 
tung des  Stoffes  an  erster  Stelle  aus  Pietät  gegen 
alte  Sitten  und  in  der  Absicht,  sie  vor  völligem 
Verschwinden  zu  retten,  unternommen.  Dass  sich 


dabei  eine  gewisse  Scheu  vor  dem  umwälzenden 
Einfluss  der  modernen  Kultur  entwickeln  kann,  ist 
nur  zu  natürlich.  Ganz  gerecht  kann  man  aber  die 
bezüglichen  Betrachtungen  im  Vorwort  wohl  nicht 
nennen;  vielleicht  hat  aber  Verfasser  diesen  Auf- 
fassungen die  Kraft  entnommen,  seine  mühselige 
Arbeit  so  glücklich  zu  vollenden;  ich  unterlasse 
daher  weitere  Bemerkungen. 

Jedenfalls  beabsichtigte  er  auch,  unter  den  höher 
entwickelten  Ständen  das  Interesse  für  die  kultu- 
relle Basis,  aus  welcher  auch  ihre  Kultur  hervor- 
gegangen ist,  zu  steigern.  Verfasser  rühmt  gerade 
das  Märchenhafte,  das  diesen  Sitten  und  Gewohn- 
heiten aus  früheren  Kulturzuständen  anhaftet;  das 
wird  zweifellos  auf  gebildete  Kreise  eine  grosse  An- 
ziehung ausüben.  Zusammenfassende  Werke  mit 
ihrer  übersichtlichen  Behandlung  massenhafter  Ein- 
zelheiten eignen  sich  für  die  Hebung  des  Inte- 
resses unter  Laien  besser  als  die  sich  in  Besonder- 
heiten zu  sehr  vertiefenden  Spezialwerke.  Im  ersten 
Kapitel  werden  die  alten  Siedelungsverhältnisse  und 
die  Bestandteile  der  niederländischen  Bevölkerung, 
im  zweiten  die  Volksreligion,  im  dritten  das  Fami- 
lienleben und  der  Ackerbau  behandelt.  Wenn  man 
nach  Umfang  und  Inhalt  urteilen  darf,  so  hat  Ver- 
fasser sich  zu  der  Volksreligion,  die  150  Seite  ein- 
nimmt, besonders  angezogen  gefühlt.  Andererseits  ist 
der  Durchdringungsprozess  von  ursprünglicher  Volks- 
religion und  Christentum  für  den  richtigen  Begriff  der 
jetzt  in  breiten  Schichten  unseres  Volkes  vorherr- 
schenden Verhältnisse  so  überaus  wichtig,  dass  es  wohl 
schwer  gewesen  wäre,  sich  hier  kürzer  zu  fassen. 
Glücklicherweise  sind  die  bezüglichen  Erscheinungen 
mit  bemerkenswerter  Objektivität  unter  „Volksreli- 
gion" und  „Volksfeste"  behandelt  worden.  Die  Letztern 
umfassen  diejenigen  der  katholischen  Gegenden,  in 
denen  sie  am  vollständigsten  erhalten  geblieben  sind. 

Mit  einigen  anderen  Bemerkungen  werde  ich 
warten,  bis  auch  der  zweite  Teil  erschienen  ist. 

A.    W.   NlEtnVENHÜIS. 

XV.  F.  D.  E.  VAN  OssENBRüGGEN,  Het  primitUve 
denken,  sooals  dit  zieh  uit  voornamelijk  in  pokken- 
gebruiken  op  Java  en  eiders.  B^drage  tot  de  prae- 
animistische  théorie.  Den  Haag  1915.  (Bydr.  t.  d. 
T.  L.  en  V.  v.  Nederlandsch  Indië.  Deel  71). 

In  dieser  350  Seiten  grossen  Abhandlung  finden 
wir  ein  zum  Teil  neues,  zum  Teil  schon  früher 
vom  Verfasser  bearbeitetes  Material  über  Pocken- 
gebräuche der  Insel  Java  und  anderer  Gegenden; 
sie  werden  als  ein  Beitrag  zur  prae-animistischen 
Theorie  veröffentlicht. 


265 


Bekannt  durch  verschiedene  juridisch-ethnologi- 
sche Studien,  nicht  zum  wenigsten  durch  eine  vor- 
zügliche Herausgabe  von  Prot  Dr.  G.  A.  Wilken's 
gesammelten  Werken,  hat  Verfasser  sich  jetzt  be- 
fleissigt,  noch  nicht  bekannte  ethnographische  Pocken- 
beobacbtungen  von  Prof.  Dr.  C.  Snoück  Hubhbonje 
und  von  seinen  eigenen  einheimischen  Gehilfen 
herrührende,  unserer  Wissenschaft  zu  übermitteln. 
Mit  grossem  Eifer  hat  er  sich  selbst  in's  ganze 
Thema  eingearbeitet  und  auch  die  neue  Literatur 
sehr  ausführlich  zu  Rate  gezogen. 

Diese  Teile  bilden  ebenso  viele  Bereicherungen 
unserer  Kenntnisse  über  die  in  mancher  Hin- 
sicht noch  viel  zu  oberflächlich  untersuchte  Insel 
Java.  Da  auch  sehr  viele  Beobachtungen  von  Pocken- 
gebräuchen aus  anderen  L<indern  aufgenommen  wor- 
den sind,  bildet  dieser  Artikel  zweifellos  ein  auf 
diesem  Gebiet  nicht  zu  vernachlässigendes  Nach- 
schlagewerk. 

Die  Arbeit  ist  ausserdem  zu  Gunsten  des  Prae- 
Animismus  geschrieben  worden  und  ausführliche 
Erörterungen  sind  diesem  gewidmet.  Beim  Lesen 
bekommt  man  aber  den  Eindruck,  dass  Verfasser 
zu  sehr  von  der  Gültigheit  der  nachfolgenden  Sätze 
überzeugt  ist: 

1°.  Prae-animistische  Auffassungen  seien  auch 
noch  in  hochentwickelten  Zusammenlebungen  wie 
den  der  IWroer,  Griechen,  Europäer,  Inder  und  Ja- 
Taner  zu  studieren; 

2°.  Pocken  hätten  unter  allen  Völkern  und  in 
allen  Zeiten  geherrscht; 

3°.  Man  fordere  die  Wissenschaft,  wenn  man  die 
jetzige  I^deutung  der  Kulturerscheinungen,  auch 
der  niedrig  stehenden  Völker,  magisch  umdeutet. 

A.    W.    NlEUWENHUIS. 

XVI.  K  Fbanke,  Die  geistige  Entwicklung  der  Ne- 
gerkinder, ein  Beitrag  zur  Frage  nach  dm  Hem- 
mungen der  Kulturenlicicklung.  (Beiträge  zur  Kultur- 
und  Universalgeschichte.  Heft  2b).  Voigtländer, 
Leipzig  1915.  M.  10.— 

In  dieser  Abhandlung  hat  Verfasser  versucht,  das 
interessante  Problem,  ob  die  Negerrasse  durch  ihre 
Veranlagung  oder  durch  den  Einfluss  ihres  Milieus 
auf  niedrigem  Kulturstandpunkt  stehen  geblieben 
ist,  näher  zu  treten.  Er  hat  dazu  den  geistigen  Ent- 
wicklungsgang der  Negerkinder  als  Ausgangspunkt 
gewählt,  wobei  aber  der  Ausdruck  Kind  bis  zu  dem 
des  Jünglings  erweitert  werden  muss.  Ausserdem 
bezieht  sich  der  Inhalt  des  Buches  hauptsächlich  auf 
die  Neger  Afrika's,  unter  welchen  die  BantuvOlker 
am  eingehendsten  berücksichtigt  worden  sind. 


In  seiner  Doktordissertation  über  diesen  Gegen- 
stand hat  Herr  Dr.  Fkanke  sich  auf  die  Literatur 
gestützt;  in  diesem  Heft  ist  dazu  eine  ausführliche 
Studie  über  Kinderzeichnungen  und  Kinderplastik 
als  objectives  Untersuchungsmaterial  über  die  geis- 
tige Veranlagung  und  Entwicklung  der  Negerkinder 
hinzugefügt  worden.  Die  bezüglichen  Zeichnungen 
stammen  von  Missionsschulen  her  und  befinden  sich 
jetzt  im  kulturhistorischen  Museum  in  Leipzig. 

In  seiner  Aufl'assung  des  Tatsachenmaterials  und 
seiner  Behandlung  der  Probleme  schliesst  Verfasser 
sich  dem  Standpunkt  der  Leipziger  Schule,  beson- 
ders dem  des  Herrn  Dr.  J.  Kbetzschmar  an.  Die 
Untersuchung  war  weiter  auf  den  Gebrauch  der 
Literatur  angewiesen,  die  aber  für  diesen  Zweck 
an  Vollständigkeit  und  Einheitlichkeit  sehr  viel  zu 
wünschen  übrig  lässt. 

Verfasser  hat  sich  überzeugen  können,  dass  seine 
Forschung  nur  vorläufige  Resultate  ergeben  könne, 
seine  Untersuchungsmethode  jedoch  von  Wert  blei- 
ben würde.  Er  stellte  auf  diese  Weise  fest,  dass 
der  während  der  Pubertät  eintretende  Stillstand  der 
sonst  vorteilhaften  Entwicklung  der  Negerkinder- 
psyche der  Aufklärung  am  meisten  bedürftig  sei. 
Dieser  Stillstand  kann  durch  Anlage  und  durch  den 
Einfluss  des  gesellschaftlichen  Milieus  der  Afrika- 
neger verursacht  werden.  In  dieser  Hinsicht  ist  es 
wichtig,  dass  sich  bei  Individuen,  die  unter  dem 
Einfluss  europäischer  Kultur,  z.  B.  der  Missionsschu- 
len stehen,  sich  entwickelteres  Bewusstsein  ausbildet. 

Ein  Paralelle  zu  dem  frühen  Stillstand  der  geis- 
tigen Entwicklung  findet  sich  in  der  körperlichen 
nicht.  Auch  eine  frühe  Verwachsung  der  Schädel- 
näte  konnte  nicht  fesstgestellt  und  deshalb  als  Ur- 
sache nicht  angenommen  werden.  Es  zeigt  sich  bei 
der  Betrachtung  der  geistigen  Entwicklung  offen- 
sichtlich, dass  äussere  Einflüsse,  hauptsächlich  der 
Erziehung  und  der  kulturellen  Umgebung,  stark 
auf  die  Negerkinder  wirken.  Die  starke  Betonung 
der  Tradition  und  die  des  Geschlechtslebens  schei- 
nen es  vor  allem  zu  sein,  die  die  subjective  geis- 
tige Entwicklung  hemmen  und  den  Geist  des  Negers 
fremden  Einflüssen  verhältnismässig  unzugänglich 
und  nur  wenig  erfindungsreich  machen.  Erziehung 
zum  Nachdenken  durch  geeignete  Arbeit  und  Ab- 
lenkung der  Gedanken  vom  Geschlechtsleben  vor 
der  vollständigen  Reife,  durch  Einwirkung  der  Er- 
ziehung mehrere  Jahre  über  die  Pubertät  hinaus, 
erscheinen  notwendigste  Forderungen,  um  beim 
Neger  höhere  geistige  Kultur  zu  entwickeln. 

A.   W.   NiEüWBNHUIS. 


—  266  — 


XVII.  L.  Pfeiffer.  Die  sleinzcitliche  Muscheltechnik 
und  ihre  Beziehungen  zur  Gegenwart.  Jena.  G.  Fischer. 
1914.  M.  15.-. 

Im  Jahre  1912  hat  Verfasser  eine  ausführliche 
Bearbeitung  der  steinzeithchen  Technik  und  ihre 
Büziehungen  zur  Gegenwart  herausgegeben,  die  der- 
zeit in  diesem  Archiv  besprochen  worden  ist.  Das 
jetzt  vorliegende  Buch,  das  334  Seiten  zählt  und 
332  Abbildungen  im  Text  enthält,  bildet  eine  Er- 
gänzung derselben  und  befasst  sich  hauptsächlich 
mit  der  Muscheltechnik  der  Steinzeit  und  der  Gegen- 
wart. Die  Bearbeitungsweise  selbst  des  Muschel- 
materials kann  natürlicherweise  hi  einer  kleineren 
Seitenzahl  beschrieben  werden,  als  es  hier  in  den 
ersten  36  Seiten  in  gediegener  Form  in  bezug  auf 
Tridacna  geschehen  ist.  Für  die  Auseinandersetzung 
sind  an  erster  Stelle  die  jetzt  noch  geübten  oder 
in  Überlieferung  bekannten  Herstellungsmethoden 
der  Muschelgegenstände  verwertet;  von  diesen  ist 
auf  die  vorgeschichtlichen  ein  Rückschluss  gebildet 
worden. 

Der  folgende  Teil  des  Textes  enthält  in  15  Ka- 
piteln eine  ausführliche  Beschreibung  der  bekannten, 
zur  Verzierung  und  zum  sonstigen  Gebrauch  ver- 
wendeten Muschelarten,  alle  nach  Geschlechtern, 
Familien  und  Gruppen  geordnet;  eine  Menge  Bei- 
spiele für  Bearbeitungsweisen  der  verschiedenen 
Muscheln  vervollständigt  die  Abhandlung. 

Da  die  verschiedensten  Gegenden  und  Völker 
dabei  berücksichtigt  worden  sind,  umfasst  dieser 
Abschnitt  eine  äusserst  wertvolle  und  übersichtlich 
behandelte  Reihe  von  Muschelornamenten.  Dieser 
Teil  des  Textes  wird  gelegentlich  einen  zuverläs- 
sigen Leitfaden  zur  Bestimmung  der  Muscheln  einer 
Verzierung  aus  irgend  einer  Gegend  abgeben  können. 
Da  das  Material  der  Spondylusgruppe  z.B.,  oder  das 
Flussmuschel-Material,  Cypraea  (Kauri),  Nassa-Mate- 
rial  oder  das  anderer  Kleinschnecken,  um  nur 
die  wichtigsten  zu  nennen,  eingehend  besprochen 
und  abgebildet  wurden,  wird  man  ihn  selten  ver- 
geblich zu  Rate  ziehen. 

Nebenher  hat  Herr  Dr.  Pfeiffer  es  sich  offenbar 
zur  Aufgabe  gestellt,  in  dieses  Buch  alles  zu  ver- 
einen, was  er  bei  seinen  auf  breiter  Basis  ausge- 
führten Untersuchungen  an  Funden  unter  verwandten 
Industrien  und  Verzierungen  gesammelt  hat. 

Dieses  ist  schon  hie  und  da  im  obigen  Teil  des 
Textes  geschehen  ;  doch  ist  es  im  ersten  und  zweiten 
Anhang,  welche  die  zweite  Hälfte  des  Buches  ein- 
nehmen, noch  mehr  der  Fall. 

Im  ersten  Anhang  werden  die  Verwendungen  von 


Schildpatt,  Bernstein,  Gagat,  Früchten  u.  dgl.  m., 
im  zweiten  das  Zahn-Material  in  Verbindung  mit 
Muschelmaterial,  die  Geräte  und  Werkzeuge  aus 
Muschel-Material,  Waffen-,  Lippen-  und  Ohren- 
schmuck U.S.W,  behandelt.  Das  letzte  Kapitel  be- 
antwortet die  Frage:  „Welche  Tauschwerte  hat  es 
im  vorgeschichtlichen  Europa  gegeben?"  Ein  Lite- 
ratur- und  ein  Stichwörterverzeichnis  erleichtern  den 
Gebrauch  dieses  vielumfassenden  Werkes.  Wenn 
wir  uns  Rechenschaft  über  seine  charakteristischen 
Züge  geben,  so  erhellt  wohl  an  erster  Stelle,  dass 
die  Ethnologie  und  die  Archaeologie,  die  es  auch 
zu  vereinen  strebt,  mit  einem  sehr  wertvollen 
Sammelwerk,  dem  eingehende  Untersucliungen  zu 
Grunde  liegen,  bereichert  worden  sind.  Ein  sehr 
beträchliches,  zum  Teil  neues  Material  ist  hier  als 
Ganzes  reich  illustriert  mit  sehr  zahlreichen,  gut 
ausgeführten  und  deshalb  den  Text  schön  ergän- 
zenden Abbildungen  veröffentlicht  worden. 

Der  Inhalt  entspricht  dem  Titel  in  soweit  nicht 
ganz,  als  er  sich  viel  mehr  auf  die  geschicht- 
lichen Völker  und  Zustände  als  auf  die  vorgeschicht- 
lichen bezieht.  Die  rezente  Steinzeit  Ozeaniens,  die 
so  viel  Beobachtungen  und  Aufklärung  darbot,  hat 
dazu  viel  beigetragen. 

A.    W.    NlEJWENHÜIS. 

XVIII.  E.  M.  H.  Simon.  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Rinkiu-Inseln.  (Beiträge  zur  Kultur-  und  Universal- 
geschichte). Heft  28.  R.  Voigtländer.  Leipzig.  1914. 
M.  10.—. 

Zur  Untersuchung  der  wirtschaftlichen  Verbält- 
nisse dieser  südlichen  japanischen  Inseln  hat  Ver- 
asser  auf  diesen  eine  kurze  Reise  gemacht.  Deren 
interessanten  Besonderheiten  und  Bewohner  haben 
ihn  dazu  geführt,  sie  nach  seiner  Rückkehr  weiter 
zu  studieren  und  die  Ergebnisse  in  der  Form  dieser 
Beschreibung  zu  veröffentlichen.  Er  bemühte  sich 
dabei,  die  verschiedensten  Quellen,  auch  einige 
bisher  wenig  oder  gar  nicht  benutzte  japanische 
und  chinesische  zu  gebrauchen.  Von  dem  180  Seiten 
grossen  Buche  nimmt  die  geographische  und  Städte- 
beschreibung 73  Seiten  ein.  Sie  bezieht  sich  auf 
die  drei  Inselgruppen,  die  diese  Kette  zwischen  Japan 
und  Formosa  bilden. 

Die  nördlichen  Inseln  werden  in  den  „ethnogra- 
phischen Beiträgen"  am  meisten  in  Betracht  gezogen 
und  zeichnen  sich  dadurch  aus,  dass  hauptsächlich 
die  an  japanischen  und  chinesischen  Einflüssen  zu- 
zuschreibenden Kulturformen  und  Legenden  erwähnt 
werden.  Diese  spielen  nach  dem  Jahrhunderte  lan- 
gen Verkehr   mit  den  grossen  Xachbarreichen  und 


267 


ihrer  Abhängigkeit  von  diesen  eine  auf  den  Vorder- 
grund tretende  Rolle.  Fasat  man  die  Absicht,  „Bei- 
träge" zu  liefern,  ins  Auge,  so  ist  jene  Handelweise 
auch  sehr  gut  zu  verteidigen.  Bei  der  Behandlung 
der  Tätowierung  und  des  Webens  ergeht  Verfasser 
sich  aber  in  ziemlich  ausführlichen  Betrachtungen 
über  Herkunft,  Bedeutung  u.s.w.  derselben.  Hier 
würde  es  doch  wohl  angezeigt  gewesen  sein,  mög- 
liche malaiische  Einflüsse  wenigstens  zu  erwähnen, 
denn  die  Insel  Formosa  liegt  ganz  in  der  Nähe 
und  die  Fumes'  entlehnten  Tätwiermuster  und  das 
ikat-Webemuster  scheinen  in  der  Tat  auf  südlicher 
lebende  Völker  hinzuweisen.  Die  bezüglichen  Aus- 
führungen hätten  dann  wohl  e!ne  festere  Grund- 
lage gehabt.  Wie  dem  auch  sei,  die  Literatur  über 
die  Riukiu-Inseln  ist  von  Herrn  Simon  mit  einem 
hübschen  Beitrag  bereichert  worden.  Auch  die  88 
Abbildungen  und  Plänen  im  Text  und  die  vier 
farbigen  Karten  und  eine  farbige  Webmuster-Tafel 
tragen  dazu  bei.  A.  W.  Nieuwenuuis. 

XIX.  W.  Tbalbitzeb,  The  Ammasaalik  Eskimo. 
(Meddelelser  on  Grönland.  Vol.  XXXIX).  Part  1. 
Copenhagen  1914. 

Die  Eskimo  von  der  Ostseite  Grönlands  haben  in 
den  letzten  Jahrzehnten  das  Interesse  der  Ethno- 
graphen in  hohem  Masse  erregt,  am  meisten  wohl 
dadurch,  dass  sie  bis  vor  kurzem  fast  ohne  Be- 
rührung mit  der  Aussenwelt  gelebt  hatten  und 
somit  ein  geeignetes  Material  zum  Studium  einer 
ursprünglichen  Eskimokultur  bilden. 

Die  wichtigsten  VerötTentlichungen  über  diese 
Stämme  waren  aber  in  dänischer  Sprache  erschie- 
nen und  hatten  dadurch  nicht  die  allgemeine  Ver- 
wendung gefunden,  die  sie  ihres  Interesses  wegen 
verdienten.  Jetzt  ist  es  Herrn  W.  Tiialbitzkb,  der 
in  den  Jahren  1906-1900  selbst  eine  Reise  nach 
den  Küsten  Ost-Grönlands  unternahm,  gelungen,  das 
Wesentliche  unserer  Kenntnisse  über  diese  Völker 
in  englischer  Sprache  herauszugeben.  Bereits  diese 
Umstände  machen  die  Erscheinung  dieses  750  Sei- 
ten grossen  Buches  als  erster  Teil  eines  zweibän- 


digen Werkes  zu  einer  sehr  verdienstvollen  Leistung 
auf  ethnographischem  Gebiet. 

Herr  W.  Thalmtzeb  hat  nicht  seine  eigenen  Er- 
fahrungen zum  Hauptinhalt  dieses  Bandes  gemacht, 
sondern  diejenigen  von  G.  Holm's  Expedition  in 
den  Jahren  1883-85  und  von  G.  Amdrup's  in  den 
Jahren  1898-1900.  Zwar  hatte  er  seine  Reise  zum 
Zweck  der  Erforschung  der  geographischen  und  geo- 
logischen Verhältnisse  Ost-Grönlands  unternommen, 
aber  während  seiner  Überwinterung  in  jenen  Gegen- 
den hat  er  die  Ammassalik  Eskimo  gründUch  kennen 
gelernt. 

Ausserdem  ist  ihm  nach  seiner  Rückkehr  die 
ethnographische  Bearbeitung  von  Amdrut's  Samm- 
lungen aufgetragen  worden  ;  diese  bildea  eine  wich- 
tige Ergänzung  zu  den  schon  in  den  Jaliren  1883  - 
1885  von  Holm  erworbenen.  Holm's  ethnographische 
Beschreibung  der  von  ihm  entdeckten  Ammassalik 
Eskimo  (147  S.)  bildet  den  Anfang  des  Buches,  die 
ethnographische  Bearbeitung  der  genannten  d<mi- 
scben  Sammlungen  von  Ost-Grönland  mit  Heran- 
ziehung von  Daten  aus  anderen  Gebieten  der  Es- 
kimokultur nehmen  die  zweite  Hälfte  des  Buches 
ein,  die  anthropologischen  und  einige  linguistischen 
Aufsiitze  stehen  vorher. 

In  einem  zusammenfassenden  Schlusskapitel  ver- 
breitet Verfasser  sich  über  die  Wanderungen  der 
Eskimo,  von  welchen  die  ost-grönländischen  die 
östlichsten  Niederlassungen  einnehmen.  Die  Lite- 
ratur über  die  Eskimo  wird  hier  wie  im  ethnogra- 
phisch beschreibenden  Teil  ausführlich  berücksichtigt 
und  am  Ende  zusammengestellt.  Ungefähr  400  Ab- 
bildungen, teils  neu  teils  aus  den  älteren  Veröffent- 
lichungen, illustrieren  den  Text  in  erwünschter  Weise. 

Beim  Studium  des  Inhalts  zeigt  es  sich,  dass  das 
Ganze  von  einem  wissenschaftlich  gut  geschalten 
Forscher  bearbeitet  worden  ist.  Da  der  zweite  Teil 
des  Werkes  noch  nicht  zur  Besprechung  vorliegt, 
werden  wir  mit  einer  eingehenderen  Betrachtung 
der  Ergebnisse  auf  dessen  Erscheinen  warten. 

A.  W.  Nieuwenuuis. 


BINDING  SECT.  S£P  ^  0  ^963 


GN 
1 

16 
V.23 


International  ar 
ethnography, 
nales  Archiv 
graphie.   Arc 
nationales  d' 


i 


PLEASE  DO  NOT  REMC 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  I 


Pl^t  *■ 


.'^  '^li 


'Hw^ 


o*    -  -  ■=> 


SiS 


Pli' 


m