ARCHIVES INTERNATIONALES
D'ETHNOGRAPHIE.
PAS
Prof. D. ANUTSCHIN, Moskou; Prof. F. BOAS, New-York, N. Y.; L. BOUCHAL, Vienne;
H. CHEVALIER, Paris; G. J. DOZY, Zeist; Prof. J. J. M. DE GROOT, Berlin; - -
H. H. JUYNBOLL, Leide; Prof. H. KERN, Utrecht;
Prof. F. VON LUSCHAN, Berlin; J. J. MEYER, la Haye;
Prof. A, W. NIEUWENHUIS, Leide; ERLAND Frh. VON NORDENSKIÖLD, Stockholm;
Prof. C. SNOUCK HURGRONJE, Leide; Prof. E. B. TYLOR, Oxford; - - - -
Prof. C. C. UHLENBECK, Leide.
RÉDACTEUR:
Prof. A. W. NIEUWENHUIS.
Nosce te ipsum.
VOLUME XXIII.
Avec XXII planches.
LIBRAIRIE ET IMPRIMERIE ci-devant E. J. BRILL, LEIDE.
EIINEST LEROUX, PARIS. — C. F. WINTER'SCHE VERLAGSHANDLDNG, LEIPZIG.
On sale b^ KEGAN PAUL, TRENCH, TRCBNER & Co. (Limii), LONDON.
1916.
INTERNATIONALES JlRCJÎIV
FÜR
ETHNOGRAPHIE.
HERAUSOEOEBEN
VON
Pkop. D. ANUTSCHIN, Moskau; Prof. F. BOAS, New- York, N.Y.; L BOUCHAL, Wien;
H. CHEVALIER, Paris; G. J. DOZY, in Zeist; Prof. J. J. M. DE GROOT, Berlin; - -
H. H. JÜYNBOLL, Leiden; Prof. H. KERN, Utrecht;
Prof. F. VON LUSCHAN, Berlin; J. J. MEYER, "s-Gravenhage ;
Prof. A. W. NIEUWENHUIS, Leiden; ERLAND Frh. VON NORDENSKIÖLD, Stockholm;
Prof. C. SNOÜCK HURGRONJE, Leiden; Prof. E. B. TYLOR, Oxford; - - - -
Prof. C. C. UHLENBECK, Leiden.
REDAKTION :
Prof. A. W. NIEUWENHUIS.
Nosce te ipsum.
BAND XXIII.
Mit XXII Tafeln.
BUCHHANDLUNG dsd DRUCKEREI vormals E. J. BRILL, LEIDEN.
ERNEST LEROUX, PARIS. — C. F. WINTER'SCHE VERLAGSHANDLUNG. LEIPZIG.
On »ale by KEGAN PAUL, TRENCH, TRÜBNER & Co. (LimJ), LONDON.
1916.
BUCHDKUCKEREI vobkals E. J. BEILL , LEIDEN.
SOMMAIRE. — INHALT.
Page.
H. H. JuTNBOLL, Balinesische Farbenzeichnungen rait Darstellungen aus alt-javanischen
Schriften. Mit Tafeln II— XI 8
Hugo Künike, Beiträge zur Phonetik der Karajâ-sprache (Brasilien) .... 147
A. W. NiEuwBNHüis, Die Veranlagung der malaiischen Völker des Ost-Indischen
Archipels. (Mit Tafeln XII— XXII) 17, 49
G. J. NiEüWENHüis, Ueber den Tanz im Malaiischen Archipel 183
CuBT Sachs, Die litauischen Musikinstrumente in der Kgl. Sammlung für Deutsche
Volkskunde zu Berlin. Mit Tafel I 1
G. C. Uhlenbbce, Seme blackfoot song texts 241
REVUE BIBLIOGRAPHIQUE. — BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
DozY, Dr. G. J 84, 186, 243
LIVRES ET BROCHURES. — BÜCHERTISCH.
P. 88, 188, 246.
Supplément. J. H. Holwebda: Die Niederlande in der Vorgeschichte Europa's (Ausgra-
bungen und Studien). Mit 18 Tafeln.
DIE LITAUISCHEN MUSIKINSTRUMENTE
IN DER KCL. SAMMLUNG FÜR DEUTSCHE
VOLKSKUNDE ZU BERLIN
VON
Dr. CURT SACHS (Berlin).
Mit einer Tafel.
Der Littau ist geneigt zum Heulen, Spielen, Singen,
Die Kauckel, Trüb, Geig, Pfeiff, musz bey ilim ofte klingen.
Für die Kulturgeschichte und Völkerkunde hat Litauen ein ganz besonderes Interesse.
Festgeklemmt in dem kleinen Landzipfel zwischen dem Kurischen Haff und dem Riga'schen
Meerbusen, hat es in allen Kreuz- und Querwanderungen der Völker einen geschützten
Winkel, ein natürliches Stauwerk abgegeben und viele Kulturgüter unverfiilschter bewahren
können als all die Lander, deren Lage ein dauerndes Durchfluten frischer Stämme begünstigte.
Der musikwissenschaftliche Ausschnitt aus der Menge dieser Kulturgüter, zu dem die
zufällig in der Berliner Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde vereinigten seltenen Ton-
werkzeuge den Anlass geben, wird daher denen, die an Kulturgeschichte und Ethnologie
Anteil nehmen, als ein kleiner, von fachspezialistischem Standpunkt aus gelieferter
Beitrag — wie wir hoffen — willkommen sein ; umsomehr , als heute auch in Litauen
Violine und Ziehharmonika schon fast ganz die nationalen Instrumente verdrängt haben, i)
Für die Musikwissenschaft ist die Beschäftigung mit den Resten der alten osteuropäischen
Tonkunst geradezu eine Lebensfrage; soweit sich heute schon die Dinge überblicken
lassen , hat das musikalische Mittelalter vom Osten unseres Erdteils her entscheidende
Einflüsse erfahren.
Der Kustos der Sammlung, Herr Dr. Kakl Brunner, hat mir die Untersuchung des
Materials in liebenswürdigster Weise erleichtert.
Bogenzither [Hornbostel-Sachs 311.121.21— 71] *) aus Russisch-Litauen (Eingangs-
Journal V. .36, 1908); Landesname unbekannt. Die Enden eines Weidenrutenbogens
von 91 cm Bogen- und 85 cm Sehnenlänge sind durch eine lose Darmsaite (strianà fem.)
verbunden. Als Resonator soll nach Angabe des Etiketts eine Schweinsblase mit Holz-
steg (kumelys [kumeüa] , dimin. kumelükas masc. , eigentlich „kleines Füllen") 3) dienen ;
1) Vgl. F. Tbtzneb im Globus LXXIII (1896) p. 116.
^ Die beigefügten Kennzahlen beziehen sich auf die v. HoRNBOSTEL-SACHs'ache Klassifikation der Musik-
instrumente ; vgl. Zeitschrift für Ethnologie 1914, p. 553 ff.
») Die litauischen Namen sind nach Fb. Kurschat (Wörterbuch der littauischen Sprache, Halle 1874)
gegeben; die kursivgedruckten Wörter folgen der gebräuchlichen ScHLEiCREB'schen Schreibung (vgl. dessen
Litauische Grammatik, Prag 1856); in eckigen Klammern bringen wir eine eigene, modernere Transskription.
Aus drucktechnischen Gründen musste ~ über ij fortgelassen werden.
I. A. f. E. XXIII. 1
— 2 —
diese beiden Glieder, die zwischen Stange und Saite eingeklemmt werden, fehlen hier.
Zum Streichen der Saite dient ein zweiter Weidenbogen von 103 cm Länge mit einer
Darmsaite von 80 cm als Bezug.
Das Instrument stellt die Verschmelzung zweier Typen dar [Taf. I. Fig. 1] , des Bum-
basses und des Musikbogens. Man versteht unter Musikbogen einen dem Schiessbogen gleichen
und ursprünglich mit ihm identischen Apparat , dessen Sehne zu musikalischen Zwecken in
Schwingung versetzt wird. In der Regel bedient man sich dazu eines schlagenden Stäb-
chens oder des zupfenden Fingers, in sehr seltenen Fällen eines Streichbogens. Die eine
Formante des vorliegenden litauischen Typus ist offenbar dieser Streich-Musikbogen (HS.
311.121 — 71), wie er an den verschiedensten Orten, bei den Ho oder Kolh in Vorder-
indien 1) , bei den südafrikanischen Buschleuten 2) , bei den Tuarek 3) und im mittelalter-
lichen Spanien vorkommt. Bleibt die Blase mit dem Steg. Sie ist der wesentliche
Bestandteil eines sonderbaren Bettelmusikanteninstruments, das in Deutschland Bumbass
genannt wird , in der Wissenschaft aber unter dem französischen Namen Basse de Flandre
bekannter ist. Seine typische Form ist die einer langen, schellen besetzten Stange mit
angeknüpfter Darmsaite; dazwischen wird eine Ilinder])lase eingeklemmt. Durch Anreissen
mit einem gezahnten Holzstock gerät die Saite in Schwingung und teilt die Vibrationen
der Blase mit; der Klang ähnelt dem Trommelwirbel.
Ueber die Verbreitung und die Geschichte des Bumbasses wissen wir noch sehr
wenig. Er ist seit dem 17. Jahrhundert in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich.
England , Island , Spanien und Italien nachzuweisen , und der vielgereiste Philipp Hain-
hofer aus Augsburg nennt ihn 1629 in seinem Dresdner Tagebuch eine neue inuention,
was man wohl nicht allzu ernst nehmen darf. Wie das Instrument in allen Fällen aus-
gesehen hat, lässt sich nicht feststellen. Das eine aber ist sicher: gerade Stange, Schel-
lenbesatz und Schrapstock sind nicht allgemeine Voraussetzungen. Van der Straeten
bildet im achten Bande seiner Musique aux Pays-Bas*) einen holländischen Kupfer-
stich des 17. Jahrhunderts ab, auf dem ein Narr im Freien den Bumbass spielt; statt
der geraden Stange ist hier ein einfacher Bogen Saitenträger; die zwei starken Saiten,
die seine Enden verbinden, werden mit einem zweiten, kleineren Bogen gestrichen, und
eine kleine Blase ist nahe dem einen Ende eingeklemmt. Der litauische Bumbass hat
also sein genaues Gegenstück im Holland des 17. Jahrhunderts; nur ist hier der Streich-
bogen erheblich kürzer. Van der Steaeten hat seinen Stich spanischen Landleuten vor-
gelegt; die ältesten besannen sich auf ähnliche Instrumente ihrer Kindheit. Danach
scheint also auch in Spanien die Doppelbogenform heimisch gewesen zu sein. Möglicher-
weise ist es identisch mit dem primitiven Weihnachts-Streichinstrument Babel, von
dessen Existenz mir der Direktor der Biblioteca Nacional zu Madrid, Sr. J. Rodriguez
Mari'n, liebenswürdigst Mitteilung gemacht hat, über dessen Natur ich aber Näheres
nicht in Erfahrung bringen konnte. Einen italienischen Beleg fand ich für den Anfang des
17. Jahrhunderts: eine Darstellung aus den hervorragend schön in Callots Manier radierten
Figvre con instrvmenti mvsicali e boscarecci des Gio. Battä. Bracelli
pit tore Florent in 0 in Roma, die nach dem Stil des Griffels und der Trachten
1) H. Balfoue, The Natural History of the Musical Bow, Oxford 1899, p. 66.
2) Ebenda p. 30.
3) Jean, Les Touareg. Paris 1909, p. 211.
4) Bruxelles 1888, VIII 196.
— o —
in die Jahre 1620 — 30 gehören dürften, zeigt einen Mann mit bogenförmigem Bumbass;
die Linke hält die Stange im obern Drittel und drückt sie diagonal gegen die Brust,
während die Rechte den kleineren Streichbogen führt i). Endlich kommt der Streich-
Bumbass noch heute als Weihnachtsinstrument — wie das spanische Rabel — im ost-
preussischen Oberland vor; einer der drei Knaben, die als Heilige Drei Könige umziehen,
macht sich eine rudimentäre Bogenzither aus einem etwa meterlangen, aufgebogenen
Holzbrett, drei Saiten, einem urwüchsigen Streichbogen und einem Resonanzkörper; als
solcher ist hier aber nicht eine Blase, sondern eine — Zigarrenkiste unter die Saiten
geklemmt 2).
Das gemeinsame Mutterinstrument all dieser Bogenzithern ist ohne Zweifel der oben-
erwähnte asiatische Musikbogen. Eine offene Frage bleibt nur Annahmeland und Annah-
mezeit der Tierblase, die wohl die in der Heimat übliche Resonanzkalebasse oder -kokos-
nu!<s abgelöst hat.
Brettzither [HS 314.121] aus Popel [Popjel], Gouvernement Kovno; Nr. V b 2.
Landesname kanklèa [kankîës], seltener kahklys [kahklis] und kahklai. fem. ; der des Spielers
kanklininkas |Taf. I Fig. 2]. Aus Tannenholz ist in einem Stück eine kantige Schale geschnitzt,
die in der Aufsicht die Form eines viereckigen, geradseitigen VogeUlügels, im Quer-
.schnitt die eines Sechsecks hat; der obere Rand greift am breiten Ende über. Auf die
Vorderöffnung ist eine dünne Tannenholzdecke gepasst und mit zwei Eisennägeln befes-
tigt; mit dem Zirkel hat man ihr zwei Ornamente aus einander schneidenden Kreisen
eingeritzt, und in die Schnittpunkte sind je sieben kleine, runde Schallöcher gebohrt.
Das schmale Ende des Schalenrandes ist auf drei Seiten lehnenartig überhöht; die beiden
Seitenlehnen sind durch einen Eisennagel verbunden , dem man eine Federpose als Mantel
gegeben hat. An diesen Nagel als Halter sind die fünf Messingsaiten gehängt, die am
breiten, überstehenden Ende des Instruments von vierkantigen, hinterständigen Holzwirbeln
gespannt werden. Fig. 2a. In diesem Ende ist ein Loch zum Durchziehen der Tragschnur.
Lange 47, grösste Breite 11,5 , kleinste Breite H , grösste Tiefe 4 , Halterhöhe 1,25 cm. [Fig. 2].
Das Stück , von dem im Königsberger Prussiamuseum 3) und im Tilsiter Litauischen
Museum Parallelen aufbewahrt werden, stellt den kleineren der beiden litauischen Kanklës-
Typen dar; der grössere hat fast die doppelte Länge und die dreifache Breite sowie
Darmsaiten. Beide sind Mitglieder einer Familie von Zithern in Vogelilügelform , der das
finnische Kantde, das estnische Kännel, das livländische Kanala, das lettische Kohkle
oder Kuakle, die russische Gu8li und die ceremisische Kislja angehören. Jedes der hier
vertretenen Läniier nimmt den Typus für sich in Anspruch ; wohl keines ganz mit Recht.
Alle Einzelheiten im Bau dieser Zithern weisen nach Asien hin. Die kantige Zurichtung
des Holzkörpers entspricht derjenigen der turkistanischen , westasiatischen und südslavi-
.schen Lauten vom Tanburtypus; die unteren Saitenenden um ein rundes Querstäbchen
zu rollen , ist die Art , wie z. B. auch die Hinterinder den Bezug ihrer Krokodilzithern
einhängen; die geritzten Kreisornamente der Decke mit den kleinen Schallöchern in den
1) Das — wie es scheint — einzige Exemplar besitzt die Freiherrlich von Lipperheide'sche Kostüm-
bibliothek zu Berlin.
2) „Brummbass", nach einer Photographie und frdl. Mitteilungen des Herrn Prof. Dr. Sch.nippel aus
Osterode.
») N». 786, aus Wetzkallen, Kr. Pillkallen, angeblich Mitte 18. Jahrhunderts.
Schnittpunkten sind vorderasiatisches Gut; auch die Fünfsaitigkeit scheint vorzugsweise
asiatisch zu sein ^. Vor allem ist der scharf konvergierende Verlauf der Flankenlinien
noch heute für asiatische Zithern, namentlich aber für die persische Brettzither typisch.
Die Kankles darf daher nicht ganz isoliert werden.
Zithern, oder wenigstens Saiteninstrumente ausserhalb der Lautenfamilie, sind seit
alter Zeit slavischer Besitz. Im Jahre 591 n. Chr. werden in Thrakien vor den byzan-
tinischen Kaiser Maurikios drei Slaven „von der Küste des westlichen Ozeans" mit
Saiteninstrumenten geführt; diese, sagten die Männer, seien das wichtigste slavische
Musikinstrument. 2) Der Mönch Ermenrich von Ellwangen schreibt in der ersten Hälfte
des 9. .Jahrhunderts an Abt Grimold von St. Gallen über das Psalterium der tanzenden
Slaven. Auch andere synchronistische Schriftsteller heben in ihren Berichten über die
Slaven Tonwerkzeuge hervor S) , die freilich ebenso wie diejenigen der Maurikiosgeschichte
aus den Bezeichnungen xi^üqu^ Xvqu oder allenfalls ipalnjotoi' heraus ohne Zuhilfenahme
frühmittelalterlicher Miniaturen nicht genügend bestimmt werden können. Das kirchen-
slavische Wort für diese Instrumente ist gäsk; in neuslavischen Bezeichnungen für
Saiteninstrumente, wie russ. ryciii gusli, sloven, gosli^ poln. gèél, lebt es wenig verändert
fort. Miklosich ^} leitet gäsk von einem wohl urslavischen^ gad-th = gand-tli her. Es wäre
sehr verlockend, hier Ann. kantete anzuknüpfen und die slavolettische Sippe kankles usw.
auf das Finnische zurückzuführen ; die Ersetzung des Dentals durch den Guttural — kan-
tele^ kankles oder kanklai — wäre ja ein lautgesetzlicher Vorgang. Allein, der Uebergang
von der gutturalen Media zur Tenuis darf nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden,
und das Thema gad-th kann kaum als etymologischer Ausgangspunkt benutzt werden.
Sicherer ist jedenfalls der von Fick betretene Weg, unmittelbar auf ein indogermanisches
kan, kanati „töne" zurückzugehen, das seinerseits — wie wir hinzufügen möchten —
die ähnlichen Bildungen sanskr. g^j^r kankala „Schmuck mit Glöckchen" und grusinisch
kankula „[musikalisches] Schlagbrett" hervorgebracht hat. Dagegen scheint bisher über-
sehen zu sein, dass das genannte persische Instrument cank Ju^, auf dessen morphologi-
sche Uebereinstimmung mit der litauischen Zither wir aufmerksam machen konnten,
auch etymologisch verwandt ist, da ja die Mouillierung von k zu c, von der gutturalen
zur palatalen Tenuis lautgesetzlich ist. Das einmal anerkannt, ergibt sich eine zahlreiche
Sippe von Wörtern, meist mit der Bedeutung „Harfe" oder „Zither", die über Ost-, Süd-
und Westasien sowie Osteuropa verbreitet ist. Ihre äussersten Ausläufer sind birmanisch
tsaun, chinesisch cên und k'in mit der südchinesischen Form kam und der Shangaier mn,
im Westen grusinisch cangi und conguri, kurdisch cungur und serbokroatisch cangura und
im Norden finnisch kantele.
J^Das griechische atrcdxo^dov z.B. galt als skytisch [J. Pollux, Onomasticon IV 60 (ed. Basileae 1536
p. 209)].
2) Theophylakt. Simok. Chron. VI 2, ed. Bonn, p. 243, 244. — F. Kbek, Einleitung in die slavische
Literaturgeschichte, 2. Aufl., Graz 1887, p. 375.
J' ^g'-,2-ß- ^^'1:^^^'''' <*^- ^- ^- CHVOLbsoN p. 31, und A. J. Garkavi, Skazan. musulbnianskich pisat.
p. Zbb. Letzteres Werk wird von Krek zitiert und konnte von mir nicht eingesehen werden. Chvolisox
übersetzt ^uL ianäbir mit rycjii gusli, was wohl falsch ist.
4) F. Miklosich, Etymologisches Wörterbuch der slavischen Sprachen, Wien 1886, p. 72: Lexicon
^laoosloyenico-graeco-latinum, Wien 1862-65, p.l60; Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen,
w"r?erKh,'LSlbSril?)8-^t ilétf ^"'""' * '""'■ '" "^^ ^'"'''"^'*' ^'^"'^•^°^ etymologisches
- 5 -
Langspfeifen [HS 421.111.22]. Aus Cadosij, Gouv. Kovno: Landesname pyjnnè
[pipinê]^i fem. Vier Holzpfeifen von verschiedener Länge, deren Unterende mit Harz ver-
schlossen und deren Oberrand doppelt ge.sattelt ist. Die beiden Sättel stehen einander
gegenüber: auf den höheren wird die Unterlippe des Bläsers gestützt, sodass der Atem
bequem über den als Schneide wirkenden tieferen streichen kann. Alle vier Pfeifen sind
in der Aussenwand mit kurzen breiten Einkerbungen versehen, deren Zahl die relative
Tonstufe ihrer Trägerin angibt. Eine Ritzmarke in der Wandmitte fehlt nur bei der
dreikerbigen : die hellere Farbe, der sorgfältigere Zuschnitt und die dickere Wand kenn-
zeichnen diese Pfeife als ursprünglich einer andern Serie angehörig ]Taf. I Fig. 3j. Die
tonometrische Untersuchung der Pfeifen 2) ergab :
Kerbenzahl
Schwingungs-
zahl.
Tonhöhe.
Distanz.
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Die Pipine ist geeignet, l>esonderes ethnologisches und musikwissenschaftliches Interesse
zu erregen. Zunächst ist der Zuschnitt der oberen OefTnung auffällig. Die vergleichende
Instrumentenkunde kennt Pfeifen mit zwei Sätteln vom oberen .San-Gebiet in Birma,
von der zentralen Gegend des südlichen Indonesien, also Timor und Umgebung, von
Polynesien und von Afï'ika her. Der Völkerkunde sind Uebereinstimmungen der Realien
zwischen Südosta-sien und den afrikanischen Saumländern vertraut : sie beruhen zum Teil
auf unmittelbarer ost westlicher Einfuhr, zum grösseren Teil aber auf einer sehr alten
gleichmä-ssigen Expansion, deren Herd im mittleren oder südlichen Asien anzunehmen
ist. Da in diesem Fall nur an peripherischen, weitabliegenden Punkten eine Erhaltung
stattgefunden hat, im Innern des Bezirk.s aber jede Spur verwischt zu sein scheint,
lässt sich ein Rückschluss auf das bedeutende Alter dieser Pfeifeneinrichtung machen.
Dazu kommt etwas anderes. Jedes Instrument, das nur eines einzigen Tones fähig
ist. gehört einer wesentlich früheren Entwicklungsstufe an, als mehrtönige, melodiefähige
Instrumente. Der allgemeingültige Weg zerfällt in drei oder vier Etappen. Auf der ersten
wird ein beliebiges selbständiges Klangorgan gespielt , auf der zweiten wird eine Reihe
verschieden abgestimmter, gleichartiger Klangorgane von ebensovielen , orchestermässig
zusammenwirkenden Si)ielern bedient . auf der dritten werden diese abgestimmten Klang-
organe zu einem einzigen, von einem einzigen Spieler bedienten Instrument vereinigt.
So wird aus der einfachen Schlagröhre ein Schlagröhrenorchester und aus diesem durch
1) Der Name toamzdis (masc.) — Spieler wanudziutoju (wamzdzioätoyis] — ist heute veraltet.
*) Herr Dr. E. M. v. Horvbobtbl hatte die Freundlichkeit, die Pfeifen mit seinem Reisetonometer IV
lu meMen.
^ 1 Cent = jQQ- de« temperierten Halbtons.
-. 6 -
Zusamraenziehung ein Xylophon; so werden aus dem einzelnen Gong Gongorchester —
bei den Moi in Kambodza z. B. — und aus diesen dann Gongspiele wie in Birrna, Java
usw. 1). Entsprechend stellen die litauischen Eintonpfeifen die Mittelstufe dar zwischen
der unabhängigen Signalpfeife und dem als „Panflöte" bekannten floss- oder bündel-
förmigen Pfeifenverband. Ihrerseits ist die Panflöte nicht der Endpunkt der Entwicklung;
hinter ihr steht die Reduktion der vielen Röhren zu einer einzigen, deren Länge durch
Oeffnen oder Decken seitlicher Grifflöcher augenblicklich auf diejenigen der früheren
Einzelröhren gebracht werden kann. In Asien sind Eintonpfeifenorchester heute noch im
oberen San-Gebiet (Birma) erhalten 2); sie werden ausserdem bei den Basongo im Kongo-
staat 3) , bei den Dakka in Adamaua *) bei den Bavenda in Rhodesia ^j, im südöstlichen
Deutsch-Ostafrika 6) und bei den venezolanischen Guaraunos-Indianern angetroffen.
Die Panflötenstufe ist für Litauen in der Literatur schon früher belegt worden. Als
Skaudumas ~) ist eine Flossflöte aus zwölf mit Gras , Bast oder Spahn zusammengebun-
denen Holzpfeifen bekannt^). Die vierte, durch Grifflöcher in einer Röhre charakteri-
sierte Entwicklungsstufe der Flöte ist in der Sammlung vertreten durch eine
Schnabel flöte [HS 42L212.122] aus Russ. Litauen. Der Landesname ist wohl
pypelys [p/pelis] masc. , der des Spielers pypeliutojis [pipelioätoyis]. Das Stück ist aus Holz
hergestellt, an der Mündung offen und am Oberende zugeschärft. Der Aufschnitt hat vier-
eckige Form und sitzt auf der Vorderseite ; innerhalb eigener Vertiefungen , wie sie in
Asien und auf der Balkanhalbinsel häufig sind , liegen vier vorderständige , hochrecht-
eckige Grifflöcher. Das Stück ist im ganzen 3,15 cm lang und misst im Durchmesser 2 cm;
die Schneide des Aufschnitts ist vom Oberende 3, das Zentrum des untersten Grifflochs
von der Mündung 6,5, das des obersten 13,5 cm entfernt |Taf. I Fig. 4].
Da die Flöte vier Grifflöcher hat, also auf regelmässige Weise fünf Töne hervor-
zubringen vermag, gehört sie melodisch derselben frühen Entwicklungsstufe an wie die
fünfsaitige Zither, obgleich sie als Instrument einen höheren Typus darstellt als die
zwölfpfeifige Panflöte.
Klarinette [HS 421.211.12] aus Cadosij, Gouvernement Kovno (E. J. V. 36, 1908).
Als korrekten Landesnamen darf man birbyné [birbinë] fem. — Spieler birbininkas — in
Anspruch nehmen; nach Kurschat II ii 48 heisst so „jedes Blaseinstrument, das einen
schnarrenden oder summenden Ton giebt wie den einer Fliege, Wespe, Klarinette."
Eine beiderseits off'ene, zylindrische Holzröhre mit drei vorderständigen, hochrecht-
eckigen Grifflöchern innerhalb eigener Vertiefungen nahe dem Unterende. In unmittel-
barer Nachbarschaft des Oberendes ist aus dem Holz eine aufschlagende Zunge derart
herausgelöst, dass sie an der Wurzel noch festsitzt; der ehemalige Verschlusspfropfen
1) Vgl. C. Sachs, Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens (Handbuch der Königlichen Museen)
Berlin 1915, p. 22 ff., 37 usw..
2) Exemplare im Münchener Ethnographischen Museum.
3) Hilton— Simpson , Land and Peoples of the Kasai , p. 36.
4) Sammlung des Verfassers, von der L. FROBENios'schen Expedition.
5) Sammlung der Berliner Missionsgesellschaft, gemessen von v. Hobnbostel.
6) Abb. bei Karl Weule, Wissenschaftliche Ergebnisse meiner ethnographischen Forschungsreise in
?^o m f o^ Deutsch-Ostafnkas, Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten, Ergänzungsheft 1, Berlin
lyvo, laf. 39, Fig. 1.
') Name bei Kürschat nicht zu belegen.
«) H. npuBanoBb, MycHKanbiibie HHCxpyMeHTbi pyccKaro iiapoAa bt. cbhsh ct, cooiBMCTByiomHMH HHCTpvMeiiTaMii
4pyrHxi CTpaHT,, sanHCKii Hmh. PyccK. Apx. OömecTsa VIH. II. 234.
- 7 -
des oberen Endes fehlt. Beim Blasen muss dies Ende bis Ober die Zunge hinaus in den
Mund genommen werden, sodass die Zunge durch Wechselwirkung ihrer Elastizität und
des eingeblasenen Luftstroms periodisch den Zugang zur Röhre öffnet und schliesst. Der
Klang ist sehr scharf, fast trompetenartig. Lange 15,25, Durchmesser 1,5 cm. Da die
Tonhöhe sich nach dem Grad ändert, in dem der Pfropfen in die Röhre eindringt, sind
tonometrische Aufnahmen beim Fehlen dieses wichtigen Instruraententeils zwecklos [fig. 5].
Solche idioglotte Klarinetten, d.h. Blasinstrumente, aus deren Wand durch drei
Schnitte eine elastische , auf abgeschrägte Leibungen schlagende Zunge gewonnen ist ,
sind asiatisches Gut und heute noch namentlich in Vorderindien und im Malaiischen
Archipel vertreten. Auf sie geht die heteroglotte Klarinette der europäischen Musik mit
ihrer aufgebundenen oder aufgeschraubten Zunge, dem „Blatt", zurück.
Trompete (HS 423.112.1] aus Friedrichsberg, Kr. Orteisburg — also nicht eigent-
lich Litauen , aber sachlich zugehörig — (N. V. Ja 458). Landesname triibà oder trinbà
(trübä, triübä] fem.; der Blä.ser heisst trubytojis [trubltoyis] oder triubitojis. Ein Hirten-
instrument aus Tannenholz in gerader, allmählich erweiterter Form. Die Röhre ist aus
vier Spähnen zusammengefügt, mit Rinde Oberzogen und eng mit Rohr bewickelt. Ein
Mundstück ist trotz des weiten Durchmessers nicht vorhanden. Das Instrument hat eine
Länge von 100, einen oberen Innendurchmesser von 2,1 und einen unteren Innendurch-
messer von 10 cm. (Taf. I Fig. «]. An sie schliesst sich eine zweite
Trompete [HS 423.112.2] aus der Gegend von Telsi in Russisch Litauen, von
den Zemaiten (E. J. V. 36, 1908). Die gehälftete, allmählich erweiterte Tannenholzröhre
ist S-förmig wie die Trompeten des 15. Jahrhunderts und wie unsere Posaune aus
mehreren mit Harz aneinandergeklebten Gliedern zu.sannnengesetzt und mit Rinde über-
zogen; je zwei von den drei Führungen werden durch Querstege gehalten. Das Oberende
ist zu einem einfachen Mundstück (bumoa gàlos), das Unterende zu einem wenig aus-
ladenden Schallbecher zugeschnitzt. Höhe ><'Jy, Gesamtlänge 190, Enddurchmesser 11 cm.
[Taf. I Fig. 7J.
Die litauische Truba teilt ihren Namen mit den wendischen , russischen , rutheni-
schen , serbischen , kroatischen und syrjänischen Trompeten und mit der samojedischen
Maultrommel ; Form und Herstellungsart hat sie gemein mit den Hirtenhörnern der
Schweiz (Alphorn)^), Skandinaviens (lur), Estlands {luik), Polens (ligatoka), Rumäniens
{budum) und des oberen Amurgebiets. Auch in Litauen ist sie ausschliesslich Hirten-
instrument geworden; früher fand sie auch bei Hochzeiten, Kindtaufen und Umzügen
Verwendung. „Zwey Kerdel *) blasen auf solchen ihren Posaunen gleich , welches einen
ziemlichen Schall giebet" '). „Gleich" kann wohl nur als „im Einklang" gedeutet werden.
Dieser paarweise Gebrauch kann bei allen asiatischen Tuben beobachtet werden, bei
denen der Hebräer , deren Führer Mose auf Gottes Geheiss zwei silberne Hazözeroth
anfertigen musste, in Turkistän, in Tibet, in Indien usw. Wenn hier ein baltisches
Volk mit wesentlich a.siatischer , zäh festgehaltener Kultur dies typische Trompetenpaar
im Einklang bläst, so i.st das ein neuer, schwerwiegender Beweis gegen diejenigen, die
1) Vgl. auch die von M. Praitobius im 2. Band seines Syntagma musicum (Wolffenbüttel 1618)
erw&bnte und abgebildete Holztrompete des deutschen Mittelgebirges.
>) Preusa. .Kerle, M&nner".
*) Th. LKPmtB, Der Preusche Littauer, 1690, Danzig 1744, p. 94.
- 8 -
aus den paarweisen Funden bronzezeitlicher Trompeten der Ostseeküste, der vielumstrit-
tenen Lurer, eine Zweistimmigkeit in der vorgeschichtlichen Musik der Nordgermanen
herleiten wollen i).
Alle im Vorgehenden beschriebenen Tonwerkzeuge weisen unzweideutig nach Asien.
Bogen- und Brettzither, Eintonpfeifen , Schnabelflöte, Klarinette und Holztrompeten
tragen nach Art und Ausführung den Stempel dieses Erdteils. Die genaue Zeit der
Abwanderung lässt sich naturgemäss nicht feststellen. Dass es sich aber um eine beträcht-
lich zurückliegende Epoche handelt, ist aus der Natur der Instrumente herauszulesen.
Die höchstentwickelten, Brettzither und Schnabelflöte, haben nur fünf Töne Umfang,
die andern noch weniger, und die Typen selbst sind bereits zum Teil in der Heimat
ausgestorben und nur an peripherischen Punkten , Indonesien und Afrika , erhalten.
Namenthch die Eintonpfeifen reden deutlich: ihre Familie ist so alt, dass nicht nur sie
selbst schon fast vollständig aus Asien verschwunden ist, sondern dass sogar die aus
ihr entwickelte Panflöte dort nur noch wenig Boden hat.
BALINESISCHE FARBENZEICHNUNGEN
MIT DARSTELLUNGEN AUS ALT-JAVANISCHEN
SCHRIFTEN
VON
Dr. H. H. JUYNBOLL
Direktor des Ethnographischen Reichsmuseums in Leiden.
Mit 10 Tafeln.
Im 16. Bande dieser Zeitschrift veröffentlichte Verfasser dieses unter dem Titel
„Proeven van Balineesche teekenkunst" einige Tafeln aus der grossen Samm-
lung farbiger, balinesischer Zeichnungen, die Dr. van der Tüük mit seinen Hand-
schriften und Büchern der Universitätsbibliothek in Leiden vermachte. Seit dieser Zeit
hat auch der Maler W. 0. J. Nieuwenkamp in seiner Arbeit „Bali en Lombok" ver-
schiedene dieser Zeichnungen wiedergegeben, während eine kurze Beschreibung der ganzen
Sammlung im zweiten Teil meines Supplements zum Katalog der javanischen und madu-
resischen Handschriften der Leidener Universitätsbibliothek auf Seite 474— 485 zu finden ist.
Vor einiger Zeit (im September 1913) gelangte das Ethnographische Reichsmuseum
in Leiden in den Besitz von 30 solchen Zeichnungen, durch obengenannten Herrn Nieuwen-
1) Cf. C. Sachs, Reallexikon der Musikinstrumente, Berlin 1913, p. 265 f.
- 9 -
KAJip wahrend seines Aufenthalts in Bali gesammelt. Als eine Fortsetzung unserer vorigen
Abhandlung werden wir jetzt die Zeichnungen, soweit sie auf die altjavanischen epischen
CJedichte ArjunaunwUha und RUmUyana und auf das altjavanische Prosawerk Calon Arang
Bezug haben , mit den nötigen Erklärungen bekannt machen.
Das Arjunawixoüha wurde bereits im Jahre 1850 durch R. Friederich mit einer
interlineairen Übersetzung im Balinesischen im 23 Bande der Abhandlungen der Batavia-
schen Genossenschaft für Künste und Wissenschaften veröffentlicht. Bei der Erklärung der
Bilder werden wir erst die balinesisthen Beischriften im Text und in der Übersetzung
mitteilen. Zur näheren Erläuterung wird der altjavanische Text die nötigen Angaben
verschaffen. Der Hinweis darauf wird erleichtert, weil der balinesische Zeichner bei
jedem Bild die Anfangsworte des Gesanges, in welchem das dargestellte Ereignis beschrie-
ben wird , mitteilt. In Dr. van dkr Tüuk's Sammlung (cod. 3390) enthalten die Bilder
38, 241, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 29« und 297 Darstellungen aus dem
Arjunamioäha.
Tafel II (Serie 1865/23). Überschrift: (|M<.Muâ7^u7Kic<Mt^c|KnN -n-n^^«,Mi^«oc..^.Q,
i>»M|. „Dies (sind) alle Götter mit vier Gesichtern , ferner gehen sie (nämlich die Widyü-
dhari*8 oder Apaarasen) von links nach rechts um sie herum."
Oben rechts steht: Mtin>âM|é.M^ii^-n^v> „Gedicht am{><^/cparaniär</ia". Der Zeichner
meint , dass dieses im Gesang I erzilhlt wird , der mit ambfk sang paramarthapanditn
(der Geist des vollkommenen Weisen» beginnt. Die Namen der vier Götter sind von links
nach rechts: ^J^àÊ&gfL^ WiijnUy uginim« Indra, »j,^cn^-r,K /fu^arn otier (^itoa und t^àicnyix
Brahma. Von den sieben Himmelnymphen {Widyadhar('a oder Apaarasen) tragt die
mittlere auf der Tafel keinen Namen. Die anderen heissen von links nach rechts:
umm'Si'ny TuTijunQ biru , «j.«n-ft«^»S, Widyndliari Suci, .y»«.«e«% ix)<ama, eine Verstümmelung
von Tiloltamä, H(*5"" Suprabhä, •^«ni^T>*2|< Kendaran und m<m««<i«> Gagar Mayang. Um
zu erfahren, wer die mittlere Himmelnymphe ist, stehen uns das Kawi-Balinesische
Wörterbuch von Dr. van dkr Took und Dr. Hazeu's Abhandlung ül>er Nini Towong
(Tydschrift Ind. T. L. Vk. XLIII, S. :«i— 107) zu Gebote, aber weder das Kawi-Baline-
sische Wörterbuch, in welchem (III, S. 527 s.v. âmj»«*-*) 12 Namen von Widyndhari's
genannt werden, noch der Teil von Dr. Hazeu's Abhandlung, welcher speziell über diese
Himmelnymphen handelt (S. «0—72), gibt einige Aufklärung, da selbst, wo sieben
Namen genannt werden (S. «8), diese grösstenteils von den hier mitgeteilten abweichen.
Gehen wir jetzt nach, was das altjavanische Gedicht im Gesang I Ober den Gegen-
stand dieses Bildes als nähere Erklärung gibt. Wir lesen hier, wie Niw.ätakawaca ,
der Fürst der Dämonen (daüya\ dessen Residenz ManimSntaka heisst und am Sfldfusse
des Berges Meru liegt, für (tötter und andere Geister (yahna und astira) unverwundbar
ist, und nur durch einen Menschen getötet werden kann. Von die.ser Unverwundbarkeit
macht er Missbrauch, indem er die Götter ungemein quält. Darum suchen die Götter einen
Helfer in der Not. Çakra (Indra) hört, da-ss Parlha (Arjuna), der mittlere der fünf Pändatoa' s ,
auf dem Berge Indraklla Busse tut. Man vermutet, dass er den Göttern wird helfen
können, zuerst muss er jedoch auf die Probe gestellt werden. Hierzu werden sieben
Himmelnymphen ausgewählt , die versuchen sollen , ihn durch ihre Anmut von seiner
Ascèse abzuleiten. Von diesen sieben Nymphen werden in Vers 7c vom Gesang I jedoch
I. A. f. E. XXIII. 2
- 10 -
nur zwei mit Namen genannt: M'pMl»ra^lÄ«mly^^»l«nlM»Mt«^ffl^J^^Ml»>olMJIMU)».-l_«^«•>^c»^: von diesen
waren die beiden ersten, Tilottama, mit der die Erzählung scliliesst, und Suprabhä."
Die Namen der fünf anderen Nymplien sind durcii den Balinesischen Zeichner also nicht
dem Text des Gedichtes entnommen. Von diesen sieben Nymphen wird in Vers 86 von
Clesang I gesagt: i>jŒ»i^(nn««*»««(»3«>»^^<n^«"'i"'*i'^"^'^'"^'"»*' v^^^ liefen mit der rechten
Seite ihm zugewendet ganz um sie herum, erwiesen ihnen Ehre und liefen dreimal herum".
Die Götter schämten sich, ihre Köpfe umzuwenden, und deshalb wird in Vers 8c von Gesang I
erzählt: »Ajfl,cr77«/n»,in«^inj^iK»«n«j|»<Ti-»cc)»ij-ri »niiat/ni<Bj»snii^«^j« „(rott Brahmü beKam plötz-
lich vier Antlitze und Gott Indra wollte viele Augen haben."
Im altjavanischen Text wird also von Wimu und Çiwa nicht gesprochen, sondern
nur von Brahma und Indra. Auch wird von Indra nicht gesagt, dass er vier Köpfe,
sondern dass er viele Augen erhielt. Dies ist in Uebereinstiramung mit dem Beinamen
Sahasraksa (der Tausendäugige), welchen er in der indischen und auch in der altjavani-
schen Literatur trägt i). Wie man sieht , hat der balinesische Zeichner hier sehr phanta-
siert. Auch die Tempelschelle ighanta) und die Weihrauchschale, die hier alle vier
Götter in den Händen tragen , sind eher Attribute balinesischer Priester als indischer
Götter. Die grüne Farbe von Wisnu^ die weisse von Çiioa und Indra und die gelbe von
Brahma erregen Aufmerksamkeit. Das Ueberkleid von Brahma und Wi^nu ist blau mit
roten Blumen, das von Indra weiss mit roten Punkten, während Çiwa nur eine Schulter-
bedeckung trägt.
Tafel III (Serie 1865/22). Überschrift : tJÄ«^,ol^a»^^M..JK^,?çjJ^y^ : „Dies ist das Gedicht
„akweh tkap". Zur Erklärung diehe, dass Gesang IV des Arjunawiwaha (Ausg. Fbiederich. S.
nrtKJ) mit diesen beiden Worten beginnt: <i-Mi;»g?i^Mi|^.Ti«üi«ai^,«^«sn«ji<ym»jj»i> : viele (waren
die Weisen), womit sie (die Widyädharl's) das Gelübde von Pandit's Sohn (Arjuna) zu
zerstören versuchten". Die Verleitungsszene, die hier dargestellt wird, ist jedoch bereits
im Gesang III des altjavanischen Gedichtes beschrieben worden. Oben in der Mitte
sieht man auf der Tafel Arjuna in der Haltung eines Asceten sitzen mit der Unterschrift:
<M-r,««iaE^«n«N : „Arjuna^ Busse verrichtend". Bei den Nymphen, die ihn umgeben, steht
von links nach rechts: u>%^£,^■. die widyädhart Srici, ^.^ mm^n : Ä'endran (auf Tafell:
Kendaran), »^^lJ,cn^ : Suprabhä, die ihren linken Arm durch Arjuna' s rechten Arm steckt,
-7»Mi«n«.N : TUottamä, die ihren rechten Arm durch Arjuna's linken Arm steckt , ,m<^«u.^:
Gagar Mayang und K,|^:t^^■^^ : Tunjung Biru, die auf ihrem rechten Fuss steht, während
sie mit ihrer linken Hand ihren rechten Fuss aufhebt. Es ist alsob der Zeichner, indem
er Suprabhä und Tilottamä direkt neben Arjuna abbildet, zu kennen geben will, dass nur
diese beiden Nymphen im Text mit Namen genannt sind. Dieselbe Verleitungsszene ist
auch auf dem Verschlag einer Schlafstelle (Serie 36H/lj und auf einer Gardine (Serie
964/8) in der Balinesischen Abteilung des Ethnographischen Reichsmuseums «) abgebildet.
Auch die Zeichnung 291 von Dr. van der Tuuk's Bildersammlung (cod. 3390) stellt dar ,
1) Dr. VAN debTuuk, Kawi-Balinesisches Wörterbuch, III, S. 125 s.v.: »^xn«^^ wo eine Stelle aus dem
altjavanischen Brähmändapuräna zur Erklärung dieses Beinamens herangezogen wird.
. JJ SH^%.tT'"®" „Katalog von Bali und Lombok", S. 32 und 34 und Pleyte, „Indonesian
ATZ f Im. Ji.1^,
i
- 11 -
wie Suprab/iâ und Tilottamä sich bemühen , Arjuna zu verleiten i). Man sieht also , wie
volkstümlich diese Geschichte auf Bali ist.
In dem altjavaniscben Gedicht wird erzählt, wie die Apsarasen (Nymphen) nach drei
Tagen unverrichteter Sache zurückkehren (Gesang IV, Vers 10). Dies hörend, sind die
Götter beruhigt. Gesang V beginnt wie folgt: 4>nu>ji^{«tni^>.i>^'nu«nruui}Mu<snK»i^i7n(>
mOt des Götterfürsten und aller Fürsten war beruhigt , den Bericht hörend , wie
gut Pändu's Sohn Ascèse verrichtet hat. Nach ihrer Meinung war es, als ob ihnen das
Haupt des Dâmonenfûrsten (Nitoätakatcacat bereits angeboten war." Nun sucht Indra in
der Crestalt eines alten Sehers Arjuna auf. (Gesang V, Vers 2 — 5). Dies wird dargestellt
auf: TafellV (Serie 18H5/26) links unten. Die Aufschrift: tA&Aun^â^vt^Qf^ : „dies (ist)
da« (Tedicht „tcus manggêh" bezieht sich auf die oben bezeichneten Anfangsworte von
(Tcsang V. Man sieht hier ytr/wn« .sitzen mit <ier Unterschrift: •j'n«j*nc*4sii(»N : Arjuna, Busse
verrichtend." Bei dem alten Mann mit dem Stock in der Hand steht die Beischrift : um en
cjâfua*MâuiMra|atMti»«m|x : Indra, die Gestalt eines stockalten Mannes angenommen
habend." In Vers H von (iesang VI wird erzahlt, wie der alt« Mann wieder die Gestalt
von Indra annimmt und in Vers 8, wie vr verschwindet.
Eine neu»- Epi.so<le beginnt in (resang VII. Da wird von einem Daüya (Dämon),
Mnka genannt, gesprochen, der Pürtha (Arjuna) auf dem Berge Indraktla zu beläs-
tigen sich anschickt, um ihn in seiner Ascèse zu stören (Vers 3i. Er nimmt die Gestalt
eines Ebers an (Vers 4c: m,^tmtofQnQtMnia-n-ri*ji : „er verwandelte sich in ein Schwein von
einer sehr schrecklichen Gestalt.") Um dies«'n Eber zu schiessen kommt Circa in der
Gestalt eines J&gers (Vers 6d: u,£l^»,AMiS,wu>m<nny: „Der groi^^e Nilakanfha (Çiwa) ka.m.
Dies wird dargestellt im obersten und grös-sten Teil der Tafel III. Die Oberschrift :
t^S^A^m^m&^^J^m^^MÊ^ : ^dics (i.st) das Gedicht sampumfa" weist auf die Anfangsworte
von Gesang VIII, welche lauten: •L>f«^Mf|QSt;>âWa<m-niâ<}toM|(> «p^Jt^uyuoMiui^en
«••^(t as||g*u|T>ini«nimiôrâcjui(4*-ni4>«< : -Nachdem tT { Arjuna) seinen Pfeil abgeschos.s(-n
hatte, traf dieser (den Eber» in die Leisten, aber der trott (Çiwa) .schos.s zugleich
und sie (die Pfeile) trafen zusammen, (sodas.<<) der gros.se Eber eine Wunde erhielt."
Auch auf dem Bild sieht man nur einen Pfeil in dem Rücken des Ebers sitzen ,
welcher jedoch an.scheinend durch Arjuna abgeschos,sen ist. Dieser steht rechts mit der
Beischrift : ^^6^^ : „Pilrtha" (Arjuna). Links steht (^'Uoa mit der Beischnft:.™»jT)» : „Içicara"
iÇiicà). Er zeigt mit seiner rechten Hand nach dem Eber, wahrend seine linke Hand seinen
Bogen umfa.sst. Hinter ihm her kommt Brahma gelaufen, welcher hier nur mit einem
Kopf dargestellt wird, mit der Beischrift: irn«> : „Brahma". (Janz hinten (oben links)
steht Wi^nu, welcher ebenso wie Brahma auch mit einem Bogen bewaffnet ist, mit der
Beischrift: &«% „Wi>fnu". Auch auf den Bildern 241 und 294 von Dr. van der Tuuk's
Tafel.sammlung (cod. 3.^90») wird dieser Vorgang abgebildet.
1) 8iene mein ,äuppl. op den Catal. der jav. en madur. Handschriften II, S. 48ij.
^ Siehe mein ,Suppl. Catal. Jav. en mad. Handschr. Il", S. 48.ü und Nieuwemkakp, ,Bali
und Lombok" 8. 38.
- 12 - .
Çiim und Arjuna geraten in Streit wegen der Frage, wer den Eber getötet habe.
Sie bekämpfen einander (Gesang VIII, Vers 8 bis Gesang IX, Vers 3). Endlich besiegt
Arjuna seinen Gegner (Gesang IX, Vers 4). Als er jedoch bemerkt, dass er mit Çiwa
gekämpft hat, preist Arpim den Gott mit Lobgesängen (Gesang X und XI). Zur Be-
lohnung schenkt Çiwa ihm einen Wunderpfeil, welcher Pacupati heisst (Gesang Xli,
Vers ll. Nun wird Arjuna eingeladen, in den Himmel zu kommen. Dort vernimmt er,
dass Mioätakatcaca weder durch Astira's , noch durch ?%?j'8 (Seher) , weder durch Deica's
noch durch Dänawa's, sondern nur durch einen Menschen getötet werden kann (Gesang
XIV, Vers 10). Wrhaspati rät, SuprabhU nach NiwUtakawaca zu senden. Arjuna
geht jedoch mit, um zu sorgen, dass ihr nichts geschieht (Gesang XIV, Vers 15
bis 20). In Manimantaka angekommen, sagt SuprabhU, dass sie von Indra an NiwU-
takawaca angeboten wird. Dieser nimmt sie auf seinen Schoss und liebkost sie i). Dies
sehend fliegt Arjuna auf die Pforte igopura), die er eintritt, um dadurch NiwUta-
kawaca herauszufordern. Dies wird erzählt in Vers 10 von Gesang XIX: ^«j|jiut^*^on>
„Doch Pänclu's Sohn (Arjuna) hörte es. Er erinnerte sich seiner Verabredung (nämlich
dass er über SuprabhU wachen sollte). Er flog darauf auf die Pforte zu und stellte sich
darauf. Mit einem donnernden Getöse stürtzte diese zusammen, wie er sie eintrat."
Dieses Schauspiel ist vorgestellt auf:
Tafel V (Serie 1865/21). Die Überschrift: t^Ä.Ä«7,M,,5^«^«j«^M^ : „dies (ist) das Ge-
dicht dunungan'\ hat sicher Bezug auf die Anfangsworte von Gesang XVIII: <^{l^Kl>*>n*2|^
obwohl die abgebildete Begebenheit erst in Gesang XIX erzählt wird. Links sieht man
Niwatakaioaca mit SuprabhU auf seinem Schoss. Die Beischrift lautet: <.-n9<n*a)<>^uM»u«<;n|
^^■n^ßll^Jl^a^^,s : „der Baitya iNiicUta)katoaca , welcher SuprabhU zärtlich zuspricht und
liebkost". Dieselbe Aljbildung findet man auf Tafel 289 von van der Tuuk's Tafelsamm-
lung (cod. 3390)2) zurück.
Rechts oben sieht man Arjuna auf der Türe sitzen, die er mit seinen Füssen zer-
tritt. In der rechten Hand hebt er einige Steine drohend gegen NiwUtakawaca auf.
während er in der linken Hand einen Speer mit rotem Schaft festhält, wie sie auf
Bali häufig vorkommen. Dass Arjuna wirklich gemeint ist, ergibt sich aus der Beischrift :
^lutf^iKis : „Arjuna". Das Tor (gopura) zeigt typisch balinesische jBawaspah'-Ornamente.
Siehe auch Tafel 293 von cod. 3390. Ferner wird in dem altjavanischen Gedicht erzählt,
wie NiwUtakawaca mit seinem Heer, welches in Vers 7 bis U von Gesang XXI beschrieben
wird , gegen die Götter zieht. Indra beratet mit seinem patih CitrUnggada , wie er NiwU-
takaicaca wiederstehen könne (Vers 1 bis 7 von Gesang XXII). Die Waffenrüstung von
Indra, CitrUnggada, Citrasena, Jayanta oder Jayantaka, dem ältesten Sohn von Itidra,
von Arjuna und dem Wagenlenker Mätali werden ausführlich beschrieben im Gesang XXIII
(Vers 1 bis 8). Der Streit zwischen den Göttern und Dämonen wird abgebildet auf:
Tafel VI (Serie 1865/24): Die Überschrift: t^Ä.rt.«w.«.niw«^M)»ji,jMx : „dies ist das
nahe Ende von NiwUtakawaca" hat Bezug auf das auf der Tafel dargestellte und nicht
1) Im Museum für Land- und Völkerkunde zu Rotterdam ist ein bemalter Fächer aus Badong,
worauf dieses Schauspiel dargestellt wird: Suprabha getragen von Watëkkwaca [Niwätakatmca).
2) Siehe mein Supplement op den Catalogus der jav. an madur. Handschriften II, S.484.
- 13 -
auf die Anfangsworte eines neuen Gesanges im altjavanischen Gedicht, wie bei den
vier ersten Tafeln. Von dieser Episode wird in dem Gedicht nicht gesprochen. Die
Beischriften sind von links nach rechts: «omju.ignx : ,.Kalawaktra'\ Dies ist der Name
eines der Affen in dem Rämäyanah. Kr kommt nicht in dem Arjunamwäha vor; er
streitet hier mit â^7MM^ : ^CUrasena", der ihn mit einem Kris durchbohrt. Dasselbe
tut die unter ihm stehende m^i^u« : ^CüranggadcC mit dem Dämon «nn^v : „Bufjkrta'\
welche ebensowenig im altjavanischen Text vorkommt, dessen Name jedoch „Übel-
tater", fflr einen Dämon gut gewählt ist. Die Hauptperson auf dieser Tafel ist jedoch
Nitcutakawaca mit Unterschrift: «SioâraMi> „Iwatëkwaca (!)". Er ist grün gefärbt. In der
rechten Hand trägt er eine Waffe mit zwei Klingen, während er mit dem Zeigefinger
seiner linken Hand drohend nach Arjuna weist. Dies wird beschrieben in Vers 5a, von
Gesang ÜVll: tft.u^ml((^lKtsn^i*^n*:l^^snêfn*J^^Jtl^n^aKt^ettv^x^ctrmnKnlm*^n\'. „däUU Streckt iVZlürttfl-
kawaca erfreut seine linke Hand aus, seine Keule in die HAhe erhebend". Letzteres tut
er auf der Tafel nicht. Die mit einem Kris bewaffnete Person ist laut der Beischrift
c)ii;«<in«|x : ^Ddëm'\ sein Diener. Rechts sieht man Arjuna mit der Beischrift »jT)Mr«oM
r,8ang Rajimai'.)" In seiner Brust steckt ein Pfeil, während er mit beiden Händen eine
Lanze mit kurzem Schaft festhält.
Tafel VII (Serie 18»).')/2ô). Hier wird der entscheidende Streit zwischen Nitcutakawaca
und Arjuna a>)gebildet , sowie dieser im Gesang XXVII des altjavanischen Gedichtes
I)e8chriel)en ist. Die Überschrift: «if«n>u*afMg|o»jUM^^x : „Gedicht sang In/ang Pûçu-
paçOstra" hat Bezug auf die ersten Worte dieses Gesanges. Die Hauptfigur mit seinen
sieben Kr)pfen ist Niicätakatcaca mit der Beischrift: t^um^muMcAu^uv : „der Daitya
(Nvoflta)kawaca , von Gestalt verändert". Da.ss matrimkrama laut den Balinesen hier
diese Bedeutung hat, ergibt sich aus der >>alinesischen Uebersetzung von Vers :^a von
Gesang XXVII , wo ^â^ux Obersetzt wird mit c.mu«^> während es in Vers 8& aber-
setzt wird mit ■n*»amji^ Es steht jedoch nicht, dass er sieben Köpfe bekam, wie auf
un.serer Tafel, wohl da.ss er die Waffe ^aang hijang Tripurüntakügnicara" abschoss. Hier
jedoch tragen seine Hände eine Wurfscheibe (cakra), eine Stichwaffe mit zwei Klingen
(ebenso wie auf Tafel V) und ferner Keulen und eine Fackel. Es i.st auffallend , dass die
Köpfe von Niwatakawaca drei Augen halten, wie çitoa. Unten links steht âAucmtfm»
5gi^«fl^c>M|c«»»M£« : „Dies sind seine Untergel^nen zu Pferde". Wie man sieht, sind die
Pferde im Vergleiche mit den grossen Daitya'a viel zu klein gezeichnet, wovon die vor-
dersten mit Keulen und Krissen bewaffnet siml.
An der rechten Seite steht oben: u«n«n/u*ofijQKmi}tnc««.jût>»£im«3«;tc««g|*2i7<A^
«•uui^M. : „Dies ist der Pfeil von Arjxtna, der einem flammenden Feuer gleicht, wodurch
der Daüya Niwatakawaca umkommen wird". Man sieht , wie Arjuna den Feuerpfeil
Paçupati auf seinen Bogen legt. Laut dem Gedicht <Gesang XXVII, Vers iSb) heisst der
Pfeil, mit dem Arjuna Nitcutakawaca tötet, „ÇanrabandhanaJ" Unten rechts auf der
Tafel steht <j^.»i^i^»uMc>% : „die Untertanen der Götter", Sie sind hier mit typisch
i)Sarga XVIII, 18 Aus«. Kern.
- H -
balinesischen Lanzen vorgestellt. Auch auf der Tafel 297 von cod. 33901) wird dieser
Streit abgebildet. Hiermit ist die Besprechung der Tafeln, die Schildeningen aus dem
Arjunaiciwäha darstellen, erledigt.
Tafel VIII (Serie 1865/27). Der Gegenstand dieses Bildes ist dem altjavanischen Epos
Rämäyana entlehnt, welches im Jahre 1900 von Prof. Kern veröffentlicht ist. Oben steht:
«Ä.-?,Ä^«3c.jl10^^«'î;<m.^M^ : ,,hier wird KimhJiakarna überwältigt". Der weisse Affe, der
auf seinem rechten Fuss steht, ist laut der Beischrift »/»^«.««j^n : „Hanumän", während
die Hauptfigur links ».-n^^j^crrav Kumhhakarna darstellt, welcher den Affenfürsten »^(j^-ux
„Sugrlwa" bekämpft. Im altjavanischen Rämäyana wird der Streit von Kumhhakarna
gegen die Affen beschrieben in Sarga XXII , Vers 50 : Darauf wurde Kumhhakarna über-
wältigt, durch die Atten angefallen. Ausgelassen wie sie waren, warfen sie Berge auf
ihn , schlugen ihn mit Stöcken , stiessen ihn mit Lanzen , schleuderten Steine und Blitze
nach ihm , schlugen ihn mit den Fäusten , schlugen ihn auf die Nase u. s. w. aber sie
verwundeten ihn nicht, die Steine wurden zermalmt, die Berge wurden zerschmettert,
die Stöcke zerbrachen. Sofort darauf rächte sich Kumhhakarna, indem er eine unend-
liche Anzahl Affen verschlang u. s. w.. Letzteres ist auch auf unserer Tafel abgebildet ,
wo man die Gliedmassen der Affen aus Kumbhakarna's Mund kommen sieht , während
man andere Affen an seinen Beinen emporsteigen und in sie hineinbeissen sieht.
Endlich wird in Vers 67 und den folgenden erzählt, wie Sugrtwa selbst gegen Kum-
bhakarna auftritt. Er reisst einen gewaltigen Baum aus, mit dem er Kumhfiakarna ,
jedoch ohne Erfolg l)ekämpft. Kumhhakarna ist in Begriff Sugrtwa mit seinem Speer
zu treffen, als Hanuman ihm zu Hilfe eilt (Vers 81) und Kumhhakarna mit einem Wurf-
spiess in die Mitte seines Knies trifft (Vers 82). Dieser Moment ist vom Zeichner
zum Gegenstand dieser Tafel gewählt : Sugrlwa ist nahe daran , zu unterliegen , als
Hanumän gerade im richtigen Augenblick zu Hilfe eilt. Unten rechts auf der Tafel sieht
man, wie ein Diener von Rcmana (Togok) von einem Diener von Räma an dem Hals
gepackt wird. Es ist überflüssig zu sagen, dass diese Diener im altjavanischen Text
nicht vorkommen , sondern dem Wayang entlehnt sind.
Eine derartige Abbildung, wie diese Tafel, findet man in meiner Abhandlung „Indo-
nesische en Achterindische voorstellingen uit het Eämäyana". (Bijdragen Taal- , Land- en
volkenkunde, sechste Fortsetzung, X, p. 501—565) als Tafel V mit Erklärung auf S. -541
und 565. Auch Tafel 282 von Dr. van der Tüuk's Sammlung (cod. .3390) stellt den
Kampf zwischen Sugrnca und Kumhhakarna dar.
Tafel IX (Serie 1865/29). Diese und die beiden folgenden Tafeln enthalten Dar-
stellungen aus der altjavanischen Schrift Galon Arang , wovon eine metrische und eine
Prosa Redaktion besteht, welche beide in meinem Supplement op den Catalog, der jav.
en mad. Handschr. I, S. 248 und II, S. 299—300) beschrieben sind. In beiden Redak-
tionen wird von der Heldin der Erzählung, Calon Arang , einer Witwe (rangda\, die
in Girah wohnt, erzählt, dass sie eine Hexe ist. Aus diesem Grunde will niemand
ihre schöne Tochter Ratnamanggali heiraten. Aus Zorn hierüber wendet sie sich zur
Göttin Durgä, welche sie ersucht, alle Einwohner vom Lande Daha, Ober das König
Airlangghya herrscht , zu vertilgen. Hierzu ruft sie ihre Schülerinnen zusammen . welche
1) Siehe mein Suppl. Cat. jav. en mad. Handschr. II, S. 485.
- 15 -
auf Seite 9 vom cod. 45H1 heissen: Wökcir^a, Mahi/^awadana , Lindya, Lëndë, Gaudi y
Griifang und Larung. Dieses Schauspiel ist nun auf dieser Tafel dargestellt, wo die
Hexe und die Göttin beide in schrecklicher Gestalt abgebildet sind. Rechts steht laut der
Aufschrift St-ntfaSi-n^y „die Witwe von Dirah" ^). Sie hält mit der rechten Hand eine
Flamme fest, welche aus ihrem Munde kommt. Vor ihr stehen von links nach rechts:
âxn^u. PTôArfirço (Schweinekopf), Ä»i«-»j> : „iarw"*), darunter: Ä»uâ^ ..i^nfZz"»), und:
«Sn<tn> : „Lancia" *\.
Tafel X (Serie 1 86.5/30). Diese Tafel schlies.st sich direkt der vorigen an. Im alt-
javanischen Text vom Calon Arang (cod. 45H1 , S. KJ) wird erzählt wie Durgä, die
Göttin des Todes, nachdem CcUon Arang mit ihren Schülerinnen vor ihr getanzt hat,
erlaubt, dass sie die Bewohner von Da h a durch Fiel)er sterben lässt. Auf dieser Tafel
wird es hingestellt, al.sob Colon Arang ein schriftliches Gesuch persönlich an Durgä
üljerreicht. Rechts steht Durgä mit der Überschrift: ençi-ft^jrrjx : ..Göttin Durera". Sonderbar
ist, dass ihr rechter Arm aus ihrer Nase zum Vorschein kommt, und dass ihr Körper
mit grossen Flecken bedeckt ist. alsob sie an einer Hautkrankheit leidet. Vor ihr steht
in menschlicher Gestalt Calon Arang mit der Clierschrift: ^■nf|a&■r,f^ : „die Witwe von
Dirah". Auf dem Brief, welchen sie Dtirga überreicht , steht : uwMitnm. : „Schrift auf
Elfenl)ein". Es scheint also eine Elfenbeintafel darzustellen. Hinter ihr stehen in ehr-
erbietiger Haltung ihre sechs Schülerinnen in menschlicher Gestalt, einen aëmbah machend,
von links nach rechts ,^Q^'^t»ty ..Wôkçiraa": AaAt**j,*a<nn' : „Mahisaicadana", ^m-n^t
..Larung". Darunter von links nach rechts: «»mj«,« Muyang" : ej.»«.ÄN „Lèndya", und:
cnfut^« ..Lêndè". Hierbei ist zu bemerken, dass dir beiden fehlerhaften Beischriften auf
der Tafel verbessert sind durch Vergleichung mit der Aufzühliuig ihrer Namen auf
Seite 9 des altjavanischen Textes der Oa/on Arang (Ckxl. 45H1).
Tafel XI (Serie lR«ö/28). Im altjavani.schen Text wird ferner erzahlt, wie Airlangghya
vier Weise ruft , um gegen Calon Arang Hilfe zu bieten (S. 20). Die Namen dieser
Weisen (Dharmmaja , Tanakung, Kantca und ilonaguna) sind bekannt als die der Ver-
fasser der alt javanischen Gedichte: Saramadahawt, Wrttasancatja, Arjunaunwâha und Suma-
naaäntaka '). ^ïkyi sagt, dass nur Mpu Rharada die Behexung von C^xlon Arang,
wodurch sie alle Untertanen von Airlangghya krank macht, brechen kann. Von diesem
Mjm Bharada wird im Beginn der Erzählung mitgeteilt, dass er erst zu Lmdh 2Wt«,
und -später zu Wi>}yamuka Ascèse verrichtet. Auf Verlangen seiner Tochter MedhauHitt ,
welche durch ihre Stiefmutter verwahrlost wird, las.st er sich an dem (Jrte, wo seine
erste Frau verbrannt ist, nieder (S. 7). Als seine Hilfe gegen Calon Arang verlangt
wird, befiehlt er seinem Schüler Bahula, um ihre Tochter Ratna vianggali anzuhalten
(8. 23). Dadurch hofft er den Zorn von Colon Arang aufzuhalten. Bharada ruft durch
seine Zaubermacht viele Leichen wieder zum Leben (S. 30». Er verweist die beiden
Schülerinnen von Calon Arang., Wôkçtnsa und Mahi^awadana , die ihn ersuchen, ob
1) In Cod. 4561 lautet diaaer Name Oirah, in 0)d. 8934 jedoch Jirah.
*) . a ■ Larvng.
») , , , Lèndya.
«) , , , Léndé.
h Siehe Ober diese vier Oedichte den ersten Teil meines Supplements op den Cat. der jav. en madur.
Handschriften, S. 1.37—189, S. 132, S. 118—117, und 144—147, sowie die dazu zitierte Literatur.
- 16 -
er sie aus ihrem Hexenzustand erlösen will, nach Calon Arang (S. 34). Diese verbrennt
eine Waringin mit dem Feuer, das aus ihrem Körper kommt, um Bkarada ein Pröbchen
von ihrer Zaubermacht zu geben. Darauf vrill sie auch Bharada verbrennen , doch dieser
tötet sie und macht sie darauf wieder lebend (S. 37). Nachdem Bharada sie gelehrt hat,
wie sie erlösst werden kann, stimmt Cnlon Arang zu zu sterben, worauf Bharada ihre
Leiche verbrennt (S. 38). Dies wird auf unserer Tafel vorgestellt. Unten links steht:
^■.°,^^^nA,pi-hs : „Geschichte von Calon Arang". Bei dem flammenden Feuer, worin man
den Kopf von Calon Arang sieht, steht die Aufschrift: «Tl-T,g««1â^t Die Hexe ver-
brennt". Rechts sieht man Mpu Bharada, der mit einem unnatürlich langen Zeigefinger
auf Calon Arang deutet, mit der Beischrift: ^^»^»»^(s : ,.pu Pradah", entartet aus Mpu
Bharada. Die Person unten rechts [ist laut der Beischrift: .Äß^^ ,,Sëmar". Dieser ist
auch hier wieder dem Wayang entlehnt, und kommt in der altjavanischen Erzählung
nicht vor.
Bevor wir die Beschreibung der Tafeln beenden , sei noch darauf hingewiesen , dass
Bharada in der Tat eine historische Person ist. Er wird als Dichter des Bhomakäioya
bezeichnet und auch im merkwürdigen altjavanischen Gedicht Nügarakrtügama ., dessen
Inhalt jetzt durch Prof. Kern's Übersetzung ganz bekannt geworden ist, wird er an
zwei Stellen erwähnt (XVI , 3 und LXVIII , 2) i). Sogar in der durch Prof. Keen ver-
öffentlichten Sanskrit-Inschrift von Simpang von 1289 (Tijdschr. Indische Taal-, Land- en
Volkenkunde, LH, S. 100 — 108) wird er in Vers 3 genannt. Calon Arang wird durch
Prof. Kern mit der „Frau von gewaltiger Kraft, einer Riesin ähnlich" gleichgestellt, die
im Jahre 1032 durch Er-Langga unterworfen wurde, laut der Urkunde dieses Fürsten,
veröffentlicht durch Prof. Kern in den Bijdragen Taal-, Land- en Volkenkunde, 4e volgr.
X (1885), S. 13. Vers 26. Mit Bezug auf Obenstehendes würde eine Veröffentlichung der
Calon Arang sehr zu begrüssen sein.
Was die Zeichnungen betrifft, so machen dieselben nicht den Eindruck, alt zu sein.
Nur die Zeichnung VIII scheint einigermassen älter zu sein wie die anderen. Im Allge-
meinen kömmt es mir jedoch vor, als ob die Zeichnungensammlung von Dr. van der-
TüUK (Cod. 3390) älter ist wie diese Bilder aus der Sammlung Nieüwenkamp. Beide Samm-
lungen sind bemerkenswert als Beweis, in wie hohem Grade die altjavanische Literatur
auf Bah ist bleiben fortleben. Übrigens ergibt sich dasselbe aus vielen Gegenständen im
Besitze des Ethnographischen Reichsmuseums , u. a. aus den Verschlagen von Schlaf-
stellen mit Darstellungen aus dem Rclmäyana, der Calon Arang und dem Arjunawiwäha
auf Seite 81—32 meines Kataloges von Bali und Lombok beschrieben.
1) Vergleiche die Übersetzung und Anmerkungen von Prof. Kern in den Bndragen Taal-, Lind- an
Volkenkunde, Teil 62 (1910) S. 368-360 und Teil 68 (1913), S. 410—418.
DIE VERANLAGUNG DER MALAIISCHEN VÖLKER
DES OST-INDISCHEN ARCHIPELS.
III. Das logische denken A.
Versucht man, sich ein Urteil über die Veranlagung des logischen Denkens der
malaiischen Völker zu bilden, so müssen nach dem, was in dieser Hinsicht beim Vorstel-
lungsvermögen (Supplement des XXIen Bds. dieses Archivs) und beim Erinnerungsvermögen
(Bd. XXII iS. IH.") u. ff.» schon besprochen wurde, die Existenzbedingungen dieser Stämme
ern.stlich in Betracht gezogen werden. Gerade wie dort, gilt auch hier: man hat ihre
kulturellen Erscheinungen in Verbindung mit dem Milieu zu beurteilen, um sie als Mass
der Veranlagung dos logischen Denkens verwenden zu kt'»nnen. Bei der Ausarbeitung
meiner Untersuchungen Ober die obigen Teile des menschlichen Verstandes waren die
l)ezûglichen Daten aus unserer Zusammenlebung nur in so weit in Betracht zu ziehen,
als sie schliesslich mit den unter den Malaien erlialtenen Ergebnissen verglichen wurden.
Es zeigte sich dabei, da-ss die Malaien in dieser Hinsicht eine Kiitwicklung erreicht haben,
die sich sehr gut mit der unserigen vergleichen lässt, vorausgesetzt, dass die Vorbedin-
gungen zu dieser Entwicklung gebührend berücksichtigt werden.
Bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung dessen , was man auf dem Gebiet des
logischen Denkens unter den Malaien beobachet, filllt es nicht nur auf, dass dieses sich
unter ihnen in besonderer Form zeigt, wie leicht begreiflich, sondern auch, dass dort die
höchsten Formen des logischen Denkens, die Grundlagen unserer Kulturfort.schritte, nämlich
das mathematische und naturwissenschaftliche Denken, zu fehlen scheinen. Ohne grosse Über-
treibung kann man behaupten, dass das exakte und das naturwissenschaftliche Denken
falls es unter den Malaien vorkommt , sicher ein sehr verstecktes Dasein unter ihnen
führt. Könnte man beweisen, das-s diese Denkformen im Cîrunde von denen des täglichen
Lebens abweichen und wirklich unter den Malaien fehlen, so würde dies unüberwindliche
Schwierigkeiten für unsere weitere Untersuchung ergeben, da diese die Wertschätzung des
Verstandes der Malaien bezweckt und man nicht länger berechtigt sein würde zu erwägen,
ob die Malaien in Zukunft vielleicht Träger unserer höheren Zivilisation werden könnten.
Auf anderen wissenschaftlichen und kulturellen Gebieten kann man allerdings wichtige
Unterschie«le zwischen den Malaien und den höchststehonden Völkern feststellen; allein
bereits eine oberflächliche Betrachtung lehrt, dass die Entwicklungsformen auf den Gebieten
der Sprache, der gesellschaftlichen Einrichtungen, der Religion u. s. w. denn doch nicht so
grundverschieden sind, wie das bei den exakten- und den Naturwissenschaften der Fall
zu sein scheint. In wie weit diese Betrachtungen richtig sind, wird aber erst eine genaue
Untersuchung ausweisen können.
Deshalb kommt es mir notwendig vor, an erster Stelle den Grundformen des mathe-
matischen und naturwi.ssenschaftlichen Denkens nachzuspüren und zu untersuchen ,
I. A. f. E. XXIII. 8
- 18 -
in wie fern sich diese unter den Malaien ausfindig machen lassen. Erst an zweiter Stelle
kann es für unsere Untersuchung als wichtig erachtet werden, sich in die Erscheinungen
des logischen Denkens an sich zu vertiefen.
Das riesenhafte Gebäude unserer ausgebildeten exakten und Naturwissenschaften mit
allen ihren Nebengebieten und den praktischen Anwendungen in unserer Zusammenlebung
wird uns dabei weniger beschäftigen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die für uns
unerforschlichen Anfänge dieser Wissenschaften uns viele Tausende von Jahren zu den
ersten Zeiten der Kulturvölker in Egypten, Mesopotamien und Vorder-Indien zurückführen
und dass seither die höchst stehenden Gelehrten von hunderten Menschengeschlechtern
sich an der Ausbildung derselben beteiligt haben, so wäre eine Untersuchung derselben
auch wohl ein kaum zu vollbringendes Unternehmen. Vielmehr wird es unsere Aufgabe
sein, in Erfahrung zu bringen, aus welchen Denkarten des Menschen die Anfänge dieser
Wissenschaften sich haben entwickeln können.
Die Disziplin , die sich mit dem Erforschen der Grundformen des menschlichen Denkens
beschäftigt, die Logik, wird uns dabei führen müssen. In engerem Sinn wird es die
Erkenntnistheorie sein, die uns das Material liefert, das wir für unsere Untersuchung
nötig haben. Hauptsächlich werde ich mich dabei auf das Werk des Herrn Prof. Dr.
G. Heymans in Groningen: „Die Gesetze und Elemente des wissenschaftlichen Denkens".
Aufl. II Leipzig 1906 stützen. Da ich ein eingehendes Studium der Erkenntnistheorie
bei meinen Lesern nicht voraussetzen darf, fühle ich mich verpflichtet, das Wesentliche der
dortigen Anführungen hier zu wiederholen. So werde ich auch hintereinander die Arith-
metik, die Geometrie, die Naturwissenschaften und die Mechanik zu jenem Zweck behan-
deln und an der Hand der Ergebnisse zu bestimmen versuchen, ob sich verwandte
Äusserungen unter der Malaien finden.
Die Abithmetik.
Die Beweisführungen der Arithmetik enthalten zwar in methodologischer Hinsicht
viel Interessantes, bieten aber der Erkenntnistheorie keine neuen Probleme. Ihr charak-
teristisches Gepräge verdanken sie hauptsächlich dem Umstände, dass die arithmetischen
Sätze fast alle Identitätsurteile sind und als solche zwei allgemeine Urteile, welche sich
nur durch die Verwechslung von Subjekt- und Prädikatbegriif unterscheiden, in sich
befassen. Die dadurch bedingte Umkehrbarkeit arithmetischer Sätze ermöglicht es, in
gleicher Weise auch die arithmetischen Schlüsse umzukehren. Sämmtliche arithmetischen
Schlüsse lassen sich ohne Rest aus den logischen Grundgesetzen erklären.
Um so interessanter sind die Ausgangspunkte der arithmetischen Beweisführung :
die elementaren Urteile der Arithmetik. Dieselben sind allgemeiner Natur ; sie beziehen sich,
jedes für sich , nicht auf eine einzelne Tatsache , sondern auf eine der Zahl nach unbe-
stimmte Vielheit von Tatsachen. Schon die einfachsten arithmetischen Sätze, wie etwa
3 + 1=4, a + 6 = 6 + a sind allgemeine Urteile : jener behauptet , dass jede Zusammen-
fassung van drei Objekten mit einem Objekte vier Objekte ergebe, dieser, dass die Summe
je zweier Zahlen von der Reihenfolge der Summanden unabhängig sei.
In der Arithmetik sind uns die allgemeinen Sätze, mit welchen sie anfangt, unmit-
telbar, ohne Erfahrungsbeweis, evident; sie werden nicht aus den komplizierten Verhält-
nissen abstrahiert, sondern diese werden aus jenen bewiesen. Eine zweite Eigentümlich-
- 19 -
keit der Arithmetik liegt in dem Umstände , dass ihre Sätze durchweg apodiktischer
Natur sind. Den arithmetischen Sätzen haftet die volle Gewissheit ihrer notwendigen
Geltung an.
Als eine letzte, die arithmetischen von den physikalischen Sätzen unterscheidende
Eigenschaft kommt noch die absolute Exaktheit in Betracht, welche wir jenen
ohne Bedenken zugestehen. In der Naturwissenschaft ergeben die genauesten Messungen
doch immer nur approximative Resultate. In der Arithmetik ist es ganz anders; sie
bietet absolute Genauigkeit, das heisst, Genauigkeit bis auf eine beliebige Zahl von Dezi-
malen. Die Hindemis.se, welche die Mangelhaftigkeit unserer Sinnesorgane und Instru-
mente auf jedem anderen Gebiete dem exakten Wissen entgegenstellt, scheinen für die
Arithmetik nicht zu bestehen.
Dieser spezifische Charakter der Arithmetik ware vollkommen begreiflich, wenn
sämmtliche Lehrsätze derselben analytische Urteile und somit die einfachen arithmetischen
Urteile ausschliesslich Definitionen wären. Wenn dagegen unter den letzten Gründen der
Arithmetik noch andere als definierende Urteile vorkamen, so wäre die Sache weniger
klar. Denn entweder kannten diese anderen Urteile synthetische Urteile apriori sein und
dann würde ihre Gewissheit an und für sich eine Erklärung fordern ; oder aber es könnten
synthetische Urteile aposteriori , also Erfahrungsurteile sein , dann müsste aber erklart
werden , wie aus Beobachtungen , welche nur Tatsächliches bieten und immer fehlbar
sind , die apodiktische und vollkommen exakte arithmetische Gewissheit entstehen könne.
Untersucht man jetzt die arithmetischen Elementarurteile, dann findet man in den
Lehrbüchern für gewöhnlich die Zahl als eine Menge von Einheiten, die Einheit als ein
einzelnes Ding, jede Zahl für sich als die vorhergehende -|- 1 und die Addition als die
Zusammenfügung mehrerer 2Jahlen definirt. Wir wollen untersuchen, ob diese Definitionen
zum Beweis einer einfachen Additionsformel, wie etwa 7 -+-4 — 11 ausreichen? Für
gewöhnlich wird dieser Beweis folgendermas.sen geführt:
7-1-4 — 7-4-a+l (nach der Definition von 4)
-7 + 2 + 1+1 ( . n n » 3)
-7 + 1 + 1 + 1 + 1 ( „ „ „ „2)
-8 + 1 + 1 + 1 ( „ „ „ „8)
-9 + 1 + 1 ( „ „ „ „9)
-10+1 ( „ „ „ „ 10)
-11 ( „ „ „ „ 11)
Es fragt sich, ob diesem Beweise, ausser den Definitionen, noch andere, verschwiegene
Yoraoflsetzungen zu Grunde liegen und dann findet sich in der angeführten Beweisführung
eine bedenkliche Lücke. Wenn man versucht, dieselbe auf eine Reihe von Syllogismen
zurückzuführen , so zeigt sich Folgendes : Wir haben den Satz 7 + 4 — 7 + 1 + 1 + 1 + 1
dadurch bewiesen , dass wir für 4 3 + 1 , für 3 2 + 1 und für 2 1 + 1 substituirt
haben; eigentlich mOsste demnach dieser Satz folgenderweise geschrieben werden:
7 + 4 — 7 + (((1 + 1»+ 1) + 1). Dann sind aber die Klammern vernachlässigt worden
und haben wir uns für berechtigt gehalten , die verschiedenen Einheiten der Reihe nach
mit der 7 zu verbinden, um so zuletzt die Zahl 11 herauszubekommen. Das heisst also:
- 20 -
wir haben einen Übergang zu Stande gebracht, der sich folgenderweise formulieren lässt:
7 _j_ ( ( (1 _f_ 1) -f 1) -f 1) = { ( (7 + 1) + 1) + 1) + 1 und die Möglichkeit dieses Übergangs
lässt sich keineswegs aus den aufgestellten Definitionen ableiten. — Oder ganz allgemein :
Um eine Additionsformel aus den vorliegenden Definitionen beweisen zu können, muss
entweder einmal oder wiederholt die allgemeine Voraussetzung angewandt werden:
a -j- (b -^ c) = {u -\- b) -\- c , welche als das Gesetz der Associaüvität bezeichnet zu werden pflegt.
Wenn man diese Voraussetzung zu Grunde legt, kann, wie leicht ersichtlich, jede
Formel des Einsundeins in streng logischer Weise bewiesen werden. Da das Produkt als
die Summe gleicher Summanden, die Potenz als das Produkt gleicher Faktoren definiert
zu werden pflegt, während die Substraktion, Divisions- und Wurzelformeln (soweit die-
selben nur positive ganze Zahlen betreff'en) sich ohne Mühe auf die entsprechenden Addi-
tions-, Multiplikations- und Potenzirungsformeln zurückführen lassen , reicht das Associa-
tivitätsgesetz aus, sämratliche das Gebiet der natürlichen Zahlen nicht überschreitenden
arithmetischen Formeln logisch zu beweisen. Sobald dagegen negative, gebrochene, irra-
tionale oder imaginäre Zahlen in die Rechnung hineintreten, stösst man auf neue Probleme ;
denn es ist aus den aufgestellten Definitionen keineswegs einzusehen, was Zahlen wie
— 2, V2) K2 oder V—l eigentlich bedeuten sollen.
Es muss also, vorläufig wenigstens, dabei bleiben, dass die arithmetische Gewissheit
sich aus den arithmetischen Begriffen nicht vollständig erklären lässt , sondern dass dazu
gewisse Voraussetzungen mit zu Grunde gelegt werden müssen, welche weder Definitionen,
noch auch, so weit wir jetzt sehen können, analytische Urteile sind.
Lässt man, der Übersichtlichkeit und Kürze wegen, die empirische Theorie von
J. Stuart Mill (siehe Ende dieses Abschnittes), so wie die geometrischen und chrono-
metrischen Theorien zur Erklärung der Grundgedanken der Arithmetik, bei Seite, so kann
man auf folgende Weise versuchen, die Denkprozesse, welche das Individuum und, so
weit wir sehen können, auch die Menschheit zur Aufstellung der arithmetischen Sätze
führen oder geführt haben , zu rekonstruieren. Dadurch werden wir über die Bedeutung ,
welche den arithmetischen Begriff'en im gegebenen Denken zukommt, näher unterrichtet.
Das Zählen: Der Anfang alles Rechnens ist jedenfalls das Zählen. Was ist nun'
eigentlich dieses Zählen? Fragen wir noch etwas genauer: in welcher Weise wird dem
Kinde die Kunst des Zählens und die Erkenntnis der Zahlen beigebracht? Bekanntlich
werden dem Kinde einige Gegenstände vorgelegt; von dem Unterrichtenden wird der
Reihe nach auf jeden derselben hingewiesen und werden dabei die Laute eins, zwei, drei
U.S.W, ausgesprochen. Durch die endlose Wiederholung dieses Spieles erreicht man ein
doppeltes Resultat: erstens werden diese Laute in dieser bestimmten Reihenfolge bald
von dem Kinde auswendig behalten, zweitens lernt es dieselben in der bezeichneten Weise,
in dem es vorliegende Objekte successive mit je einem dieser Laute zusammendenkt,
anzuwenden. Wird nun für einen bestimmten Fall das Ergebnis dieses Prozesses von dem
Lehrer in dem Satze : dies sind fünf Steinchen, zusammengefasst, so kann das Kind sich
dabei ofTenbar nichts anderes denken als: diese Steinchen lassen sich mit den Lauten eins
bis fünf in der bezeichneten Weise ohne Überschuss zusammenfassen, — Gesetzt nun,
dass das Kind es zeitlebens nicht weiter als bis zu dieser Anwendung der Zahlwörter
brächte, was bei wenig entwickelten Völkern und Ungebildeten, auch bei einzelnen Malaien
vorkommt, welchen Nutzen würde es dann daraus ziehen können ? Offenbar ist es an sich
wenig interessant zu wissen, dass sich bestimmte vorliegende Objekte mit den Lauten
- 21 -
eins, zwei, drei u. s. w. paarweise und ohne Überschuss im Denken 'zusammenfassen lassen.
Aber es kann Einem sehr interessant sein, zu wissen, ob sich bestimmte vorliegende
Objekte in dieser Weise zusammenfassen lassen. Gesetzt ich besitze einige Geldstücke,
brauche davon jeden Tag eines und erwarte erst mit Anfang des nächsten Monats neue
Zufuhr, so ist es mir sehr interessant zu wissen, ob ich für jeden kommenden Tag des
laufenden Monats ein Geldstück habe oder nicht. Davon kann ich mich überzeugen,
wenn ich die Tage und die Geldstücke paarweise im Denken zusammenfasse. Nun kann
ich aber, wenn ich wissen will, ob sich zwei Gruppen von Objekten in der bezeichneten
Weise ohne Überschuss paarweise zusammenfassen lassen nicht immer, wie in dem ange-
führten Fall, direkt die Probe machen. Ich wünsche etwa zu wissen, ob ich in einer
oder in der anderen Woche mehr Geld ausgegeben habe, oder ob von zwei Wäldern der
eine otler der andere mehr Bäume hat; hier kann ich auf direktem Wege unmöglich mich
davon überzeugen , ob und an welcher Seite die paarweise Zusammenfassung dieser
Objekte einen Cberschuss zurücklassen würde. Unter solchen Umständen kann nun die
auswendig gelernte Reihe der Zahlwörter treffliche Dienste leisten. Denn ich brauche
nur die Geldstücke der einen Woche oder die Bäume des einen Waldes zu zählen, d.h.
mit den Zahlwörtern von Eins an paarweise zusammenzufassen und dann die nähmliche
Operation mit den Geldstücken der anderen Woche oder den Bäumen des anderen Waldes
auszuführen, um schlie.'<slich , durch Vergleichung der in den beiden Fällen verwendeten
Zahlwörterreihen, das gesuchte Verhältnis festzustellen.
In diesen und ähnlichen Fallen erfüllt die Reihe der Zahlwörter offenbar die Rolle
eines Massstabes, mittelst dessen wir zwei Erscheinungsgruppen in bezug auf die
Möglichkeit der paarweisen Zusammenfa.ssung untersuchen. Genau so wie wir überall,
wenn wir zwei durch Raum oder Zeit getrennte Gegenstände in bezug auf irgend welche
Eigenschaft vergleichen wollen, dazu einen Massstab verwenden, den wir .successive an
die beiden Gegenstände anlegen, also für Gewichtsverhaltnisse das Kilogramm, für Längen —
Verhältnisse das Meter u. s. w. , genau so vergleichen wir zwei Gruppen von Objekten in
Bezug auf ihre Anzahl mittelst des Massstabes, den wir in der Zahlenreihe besitzen.
VjS ist übrigens klar , dass dieser Massstab , ebenso wie jene anderen , ein Produkt
willkürlicher Feststellung und als solches keineswegs der einzig mögliche ist. Im Prinzip
könnte jede der Anzahl nach unveränderlich bestimmte und nicht an einen festen Ort
gebundene (iruppe von Objekten die nämlichen Dien.ste leisten: also etwa Einschnitte in
einem Kerbstock, Kieselsteine, die Finger der Hände, Knoten in Schnüren u. s. w. Tat-
sächlich werden auch auf niedrigeren Bildungsstufen alle diese Objekte als Zählmittel
benutzt. In Bezug auf ihre praktische Anwendbarkeit stehen sie aber sämmtlich hinter
einer im Gedächtniss aufbewahrten", geordneten Reihe beliebiger Laute zurück. Erstens
hat man diese Laute, so oft man dieselben als Massstab für die Vergleichung verschie-
dener Anzahlen gebrauchen will, immer zur Hand, während Kerbstock oder Kieselsteine
einem nicht immer zu Gebote stehen. Zweitens kann man übereinkommen (wie in
unserem Zahlensystem), diese Laute derartig aus einander zu bilden, dass sich die Reihe
derselben ins Unbegrenzte fortsetzen lä&st, während andere Zählmittel doch immer nur
in begrenzter Anzahl vorliegen. Drittens aber wird es durch die Einführung der geord-
neten i^hlenreihe ausserordentlich viel leichter, bestimmte Anzahlen im Gedächtnis zu
behalten und anderen mitzuteilen, als sonst der Fall sein würde.
Dem steht allerdings der Nachteil gegenüber, dass diese Art der Mitteilung nur
- 22 -
unter Sprachgenossen möglich ist. Von diesem verhältnismässig seltenen Fall abgesehen ,
bietet aber die geordnete Zahlenreihe so entschiedene Vorteile, dass sich die allgemeine
Verbreitung dieses Zählmittels leicht erklären lässt.
Wenn wir zwei Gruppen von Objekten , welche sich paarweise ohne Überschuss im
Denken zusammenfassen lassen , gleichzählig nennen , so kommt der Begriff des Gleich-
zähligen historisch und logisch vor dem Begriff der Zahl. Aus den tatsächhchen
Schwierigkeiten, welche bei räumlich oder zeitlich getrennten Objekten der direkten
Entscheidung über die Gleichzähligkeit derselben im W^ege stehen, entsteht das Bedürfnis
eines allgemein anwendbaren Massstabes; und als einen solchen hat man (der Sprach-
geschichte zufolge nach und aus anderen Zählmitteln) die Zahlenreihe konstruiert. Auf
diese willkürlich gewählten aber fest geordneten Laute beziehen sich
nun sämmtliche Sätze der reinen Arithmetik.
Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir die Summe der reinen Zahlen 7 und 4
der reinen Zahl 11 gleichsetzen? Nichts weiter, als dass sich die bekannten Laute von
eins bis sieben und von eins bis vier mit den Lauten von eins bis elf ohne Überschuss
paarweise zusammenfassen lassen. Wenn wir dieses bei kleinen Zahlen aus dem Kopf
durchführen, so kann es bei grösseren Zahlen vorkommen, dass wir uns irgend eines
anschaulichen Hilfsmittels bedienen , z. B. Striche auf einem Papier. Dann sind offenbar
diese Striche wieder der Massstab , mittelst dessen wir uns über die Gleichzähligkeit der
beiden Zahlenreihen unterrichten. In einer oder der anderen Weise ist aber die Ge-
wissheit jeder beliebigen Additionsformel a-\-b = c in der Einsicht begründet , dass die
Zahlen 1 bis a und 1 bis b mit den Zahlen 1 bis c ohne Überschuss sich paarweise
zusammenfassen lassen.
Fragen wir nun zuerst, ob das in diesen reinen Additionsformeln enthaltene Wissen
analytischer oder synthetischer Natur sei : Diese Formeln beziehen sich nicht auf ein
Gegebenes, sondern auf eine willkührlich festgestellte und überlieferte Reihe von Wort-
lauten und sagen von denselben nur so viel aus , als sie dieser willkührlichen Feststellung
verdanken. Für denjenigen, der die Zahlwörter als Glieder dieser Reihe kennt, müssen
demnach die Additionsformeln analytische Urtheile sein.
Für grössere, mehrziffrige Zahlen pflegt man die Additionsformeln durch einen abge-
kürzten Prozess zu beweisen. Den Satz : 832 + 156 = 988 stellt man bekanntlich so auf:
man zählt 2 und 6 , 3 und 5 , 8 und 1 zusammen. Allein dieser Prozess lässt sich leicht
dem früher erörterten Schema unterordnen.
Die Zahlenreihe ist von zehn an solcherweise konstruirt, dass die spateren Zahlen
immer durch ein wiederholtes Setzen der früheren gewonnen werden und dass demnach
in der gesprochenen oder geschriebenen Zahl n die Möglichkeit zum Ausdruck kommt,
die Zahlen von 1 bis n mit den teilweise wiederholt gesetzten Zahlen von 1 bis 10 paar-
weise zusammenzufassen.
So kommt in dem Worte 832 die Tatsache zum Ausdruck , dass sich die Zahlen von
1 bis 832 mit achtmal den Zahlen von 1 bis 100, dreimal den Zahlen von 1 bis 10 und
zweimal der Zahl 1 zusammenfassen lassen; während die Zahlen von 1 bis 100 sich
wieder zehnmal der Zahlen von 1 bis 10 zusammenfassen lassen. Der erwähnte Abkür-
zungsprozess besteht nun darin, dass man für die Zahlen von 1 bis 832 eine gleiche
Anzahl von anderen Zahlen, nämlich achtmal die Zahlen von 1 bis 100, dreimal die von
1 bis 10 und zweimal die Zahl 1 substituiert; und ebenso für die Zahlen von 1 bis 156
- 23 -
einmal die Zahlen von 1 bis 100, fünfmal die Zahlen von 1 bis 10 und sechsmal die
Zahl 1. Durch Zusammenfügung dieser beiden Gruppen von neuen Zahlen bekommt man
neunmal die Zahlen von 1 bis 100, achtmal die Zahlen von 1 bis 10 und achtmal die
Zahl 1 heraus. Aus der Einrichtung unserer Zahlenreihe geht wieder hervor, dass sich
diese Zahlen mit den Zahlen von 1 bis 988 paarweise müssen zusammenfassen lassen.
Um dieses Hesultat zu erreichen, hat man also das Gesetz anwenden müssen, dass
zwei Gruppen von Zahlen (oder anderen Objekten), welche sich mit
einer dritten Gruppe jede für sich paarweise zusammenfassen lassen,
sich auch unter einander paarweise müssen zusammenfassen lassen.
Dieses Substitutionsgesetz lässt sich aber aus dem Begriff der paarweisen
Zusammenfassung analytisch begründen : denn wenn die Objekte der Gruppe A einmal
mit den Objekten der Gruppe B und sodann mit den Objekten der Gruppe C paarweise
zusammengedacht worden sind, so braucht man nur diese beiden Operationen gleichzeitig
stattfinden zu lassen oder als gleichzeitig stattfindend zu denken, um auch die Objekte
der (iruppe B mit derjenigen der Gruppe C paarweise in je einer Denkart zusammen-
gefasst zu haben.
Die Art und Weise, wie die reinen Additionsformeln gewöhnlich für grössere Zahlen
bewiesen werden, geht demnach über den Rahmen des rein analytischen Beweises nicht
hinaus.
Auch das Associativitätsgesetz ist in den jetzt begründeten Definitionen der
arithmetischen Begriffe analytisch enthalten. Denn wenn der Satz a -\- b -^ c = d nur
bedeutet, da.ss die Zahlwörter 1, o, 1, b, 1, c sich ohne Oberschuss mit
den Zahlwörtern 1 , d paarweise zusammenfassen lassen , so erhellt aus dem im
vorigen Abschnitt begründeten Gesetz, da.ss dieses Ergebnis sich nicht ändert, wenn wir
für die Zahlen 1 a und 1 , b die damit paarweise zusammenfa-ssbaren Zahlen
1 , {a-{-b) f-Mler für die Zahlen 1 , b und 1 , c die damit paarwei.se zusam-
men fassbaren Zahlen 1 (b + c) an die Stelle treten las.sen und dass demnach
a -\- b -^ c ^a {a -\- b) -\- c = a -\- (b -\- c) ist.
Es ist schliesslich klar, dass aus der rein analytischen Natur der Additionsformeln,
mit Rücksicht auf die bekannten Definitionen der übrigen arithmetischen Operationen,
die rein analytische Natur dieser übrigen Operationen, so weit dieselben sich nur auf
natürliche Zahlen beziehen . unmittelbar folgt.
Nun werden aber die nämlichen Satze mit gleicher apodiktischer Gewissheit auch
auf die Wirklichkeit angewandt : wir behaupten , dass sieben und vier Objekte zusammen
immer elf Objecte und dass elf Objekte immer sieben und vier Objekte sein müssen. Es
fragt sich nun, oh und wie .sich das unbedingte Vertrauen, mit welchem wir die Arith-
metik auf die Wirklichkeit anwenden , erklären las.se.
In welcher Weise wenden wir die arithmetischen Begriffe und Gesetze auf die Wirk-
lichkeit an? Wohl erstens dadurch, da.ss wir die wirklichen Objekte zählen. Dieses
ergiebt Urteile wie: „dies sind drei Steinchen", „Rom hatte sieben Könige", „es giebt
Tier Planeten, welche grösser als die Erde sind.
In diesen tritt regelmä.ssig als Subjekt die (îesammtheit der Exemplare eines bestimmten
Begriffs auf, wahrend das Prädikat die Zahlen angiebt, mit welchen diese Exemi)lare
sich paarweise ohne Überschuss zusammenfas.sen lassen. Es sind also Erfahrungsurteile,
die Ober das in der Erfahrung Gegebene nicht hinausgehen ; auch keineswegs Nothwendig-
- 24 -
keit oder absolute Exaktheit in Anspruch nehmen. Solche Urteile sind also synthetische
Urteile aposteriori.
Etwas anders verhält es sich mit denjenigen Urteilen, in welchen nicht bloss die
Begriffe, sondern auch die Sätze der reinen Arithmetik auf die Wirklichkeit angewendet
werden. Urteile wie: 7 Dinge und 4 Dinge sind 11 Dinge, beziehen sich ohne Zweifel
auf die Wirklichkeit, sind aber gleichzeitig apriorischer Natur.
Offenbar meint man mit diesen Urteilen nichts weiter, als dass sämmtliche Dinge,
welche sich mit 7 + 4 zählen lassen, sich auch als 11 müssen zählen lassen. Dieser
Satz ist aber rein analytischer Natur, denn er folgt logisch aus dem entsprechen-
den Satz der reinen Arithmetik 7 + 4 = 11, in Verbindung mit dem früher erwähnten
Substitutionsgesetz. Auch die Anwendung der arithmetischen Sätze auf die Wirklichkeit
geht demnach über die Grenzen des analytischen Denkens nicht hinaus. Die Gesetze der
angewandten Arithmetik können und dürfen absolut allgemeine und notwendige Geltung
in Anspruch nehmen, weil es nicht Naturgesetze, sondern Denkgesetze sind.
Wir sehen jetzt auch ein, was es bedeutet, wenn man in der Arithmetik die Ein-
heiten als vollkommen gleich betrachtet. Diese Gleichheit bezieht sich nicht auf
die gezählten Objekte in ihrer Totalität , sondern hur auf die Eigenschaft derselben ,
unter einem Begriff zu fallen, dessen Exemplare man gerade zählen
will. Nur mit dieser Eigenschaft hat die Arithmetik es zu tun; in bezug auf diese
Eigenschaft sind aber die gezählten Objekte sich wirklich gleich.
Die Erweiterung der Zahlenreihe. Die vorhergehenden Erörterungen reichen
nur zur Erklärung derjenigen Sätze der reinen oder angewandten Arithmetik aus, welche
ausschliesslich auf ganze und positive, also auf die sogenannten natürlichen Zahlen sich
beziehen. Die Einführung negativer, gebrochener, irrationaler und imaginärer Zahlen
giebt zu neuen Problemen Veranlassung. Was die reine Arithmetik anbelangt, führt
offenbar die arithmetische Grundoperation , das Zählen , niemals über die Reihe der natür-
lichen Zahlen hinaus ; und auch in der angewandten Arithmetik ist es keineswegs unmittel-
bar klar, was mit einer negativen, gebrochenen, irrationalen oder imaginären Zahl von'
Gegenständen gemeint sein sollte. Dei Satz, hier sind Dinge, bedeutet ja nach dem Vor-
hergehenden nichts weiter als : diese Dinge lassen sich mit den Zahlen 1 , n ohne
Überschuss paarweise zusammenfassen ; wird aber « = — 2, = i/^, = |/ 2 oder = K — 1
gesetzt, so ist nicht einzusehen, wie sich diese ursprüngliche Bedeutung jenes Satzes
aufrecht erhalten liesse.
Der natürliche Ausgangspunkt für die Erklärung der negativen Zahlen bleibt jeden-
falls die Betrachtung derjenigen Fälle, in denen denselben eine reelle Bedeutung beigelegt
werden kann. Was die negativen Zahlen in diesen Fällen bedeuten, hat schon Gauss
vollkommen klar dargelegt: „Positive und negative Zahlen können nur da eine Anwen-
dung finden, wo das Gezählte ein Entgegengesetztes hat, was mit ihm vereinigt gedacht
der Vernichtung gleich zu stellen ist. Genau besehen findet diese Voraussetzung nur da
statt, wo nicht Substanzen (für sich denkbare Gegenstände) sondern Relationen zwischen
je zwei Gegenständen das Gezählte sind.
Postuliert wird dabei , dass diese Gegenstände auf eine bestimmte Art in einer Reihe
geordnet sind , z. B. A , B , C , D und das die Relation des A zu B als der Relation
des B zu C gleich betrachtet werden kann. Hier gehört nun zu dem Begriff" der Ent-
- 25 -
gegensetzung nichts weiter als der Umtausch der Relation, so dass, wenn die Relation
(oder der Übergang) von A joi B als -(- 1 gilt, die Relation von B zu A durch — 1 dar-
gestellt werden muss. Insofern also eine solche Reihe auf beiden Seiten unbegrenzt ist,
repräsentiert jede reelle ganze Zahl die Relation eines beliebig als Anfang gewählten
Gliedes zu einem bestimmten Ciliede der Reihe."
Solche entgegengesetzte Übergange sind beispielsweise Bewegungen vor- und rück-
wärts, Gelderwerb und Schuldenmachen, der Übergang von einem früheren zu einem
spateren und derjenige von einem spateren zu einem früheren Zeitpunkt u. s. w..
In all diesen Fallen ist es klar, dass der Gegensatz des Positiven und Negativen
nicht die Zahl sondern das Gezählte betrifft. Wenn e eine beliebige Relation oder einen
beliebigen Übergang vorstellt, so bedeutet — 8e nicht, dass dieser Übergang — 3 mal,
sondern dass 8 mal ein anderer, diesem entgegengesetzter Übergang zu Stande gebracht
werden muss. Ausdrücke wie etwa 'M und — 5« beziehen sich demnach auf verschiedene
Einheiten ; es sind ungleichnamige Zahlen , welche sich als solche , ohne Erweiterung des
Begriffs als dessen Exemplare sie gezahlt werden, ebensowenig addiren lassen wie etwa
3 Äpfel und 5 Birnen. Nur der Umstand, dass diese verschiedenen Einheiten sich paar-
weise aufheben, ermöglicht es, für '^-\-îi( — e) einfach 2 ( — «) oder — 2« zu schreiben.
Das Minuszeichen hat hier nur die Aufgabe, den Charakter der in der Rechnung ver-
wendeten Einheiten in bezug auf andere Einheiten zu ^stimmen.
Auch wo es in dem Multiplikator eines Produkts vorkommt, behält es die nämliche
Bedeutung, woraus sich die Multiplikationsregeln für negative Zahlen von selbst ergeben.
Ähnlich verhalt es sich mit den gebrochenen Zahlen. Auch hier haben wir es
ursprünglich mit verschieilenartigen Einheiten, also mit Exemplaren verschiedener Be-
griffe zu tun, und zwar mit solchen, welche die Eigenschaft besitzen, dass Einheiten
der einen Art mit einer Einheit der anderen Art äquivalent sind. Nur das Verhältnis
zwist;hen jenen verschiedenen Feinheiten, welches in den Nennern zum Ausdruck kommt,
ermöglicht es auch hier, eine additive Verbindung zwi.scheii denselben zu Stande zu
bringen.
Für die irrationalen und imaginären Zahlen gilt das Nämliche. Auch hier i.st es im
Gronde nicht die Zahl sondern die Einheit, welche ihre Natur ändert: wenn in der
Geometrie « eine beliebige Einheitsreihe bedeutet, so sind «|/2 und b|/'-2 andere Ein-
heiten, welche sich rein arithmetisch in jener erstrren nicht ausdrücken las.sen, sondern
deren Bedeutung geometrisch durch Hinweisung auf das I^ngenverhältnis zwischen
Kathete und Hypothenusa im rechtwinkligen gleichschenkeligen Dreieck oder auf das
Richtungsverhaltnis verschiedener Axen erklärt werden muss. Wo es sich um solche
Einheiten handelt, bietet die Einführung der negativen, gebrochenen, irrationalen und
imaginären Zahlen kein Problem.
Es fragt sich nur, aus welchen Gründen der Mathematiker sich berechtigt glaubt,
das erweiterte Zahlensystem ganz allgemein, ohne zu fragen, ob Einheiten, mit welchen
er sich zur Zeit beschäftigt, andere von der Form — e, j, eJ/2 und e |/ — 1 neben sich
zulassen, .seinen Operationen zu (trunde zu legen.
Die nähere Untersuchung ergiebt, dass, wenn auch die oft dazu angeführten Einzel-
fälle an sich zur Begründung der Operationen mit anderen als natürlichen Zahlen nicht
ausreichen, diesfjlben dennoch, in Verbindung mit dem rein analytischen, aus dem Be-
I. A. f. E. XXIII. i
^ 26 -
griffe des Zählens gefolgerten Substitutionsgesetz, das Verfahren der Mathema-
tiker vollständig zu erklären und zu rechtfertigen im Stande ist.
Aus dem Substitutionsgesetz folgt analytisch, dass eine für Zahlen geltende Gleichung
auch für Anzahlen beliebiger Objekte und eine für Anzahlen beliebiger Objekte geltende
Gleichung auch für Zahlen gelten rauss. Die reinen Zahlengleichungen, mit welchen die
Rechnung anhebt, müssen demnach auch für solche Einheiten gelten, welche negative,
gebrochene , irrationale und imaginäre Einheiten neben sich zulassen. Gelten aber diese
Gleichungen für solche Einheiten, so müssen für die nämlichen Einheiten auch andere
Gleichungen gelten, welche sich durch Vermittlung der negativen, gebrochenen, irratio-
nalen oder imaginären Einheiten aus den ersteren ableiten lassen. Diese abgeleiteten,
für die betreffenden Einheiten geltenden Gleichungen müssen aber auch wieder für reine
Zahlen gelten, denn sie sagen nur aus, dass die nämlichen Objekte sich so wohl in der
von dem Gleichheitszeichen als in der nach dem Gleichheitszeichen angedeuteten Weise
zählen lassen ; m. a. W, (nach dem Substitutionsgesetz) dass auch die betreffenden Zahlen
gleich sind. Bis dahin Prof. Heymans.
Aus Obigem erhellt, dass es der Erkenntnistheorie gelungen ist, nachzuweisen, auf
welchen Wegen das menschliche Denken die ersten Schritte auf dem Gebiet der
Arithmetica zurückgelegt haben muss. Die Basis, auf welcher die arithmetische Wissen-
schaft im Lauf der Zeiten als eine Zusammenstellung von analytischen Begriffen ausge-
bildet ' worden ist, besteht, wie auf S. 21 erörtert wurde, darin, dass Zahlenreihen als
Mass von Anzahlen von Gegenständen u. s. w. gebraucht wurden. Im Grunde tun niedrig
stehende Völker dasselbe, wenn sie dazu Gegenstände beliebiger Art verwenden. Beide Handel-
weisen beruhen also auf derselben Denkweise des menschlichen Geistes. Von unseren Zahlen-
reihen kann nur gesagt werden , dass sie viel zweckmässiger als jene Gegenstände sind.
In den Zusammenlebungen der Völker des Malaiischen Archipels kommt eine solche
Messung der Anzahlen von Gegenständen mittelst Reihen von zufällig anwesenden anderen
Gegenständen vielfach vor. Unter den weniger entwickelten Stämmen ist dies selbst ziemlich
allgemein verbreitet und in ein und demselben Stamm sind dazu mehrere Methoden
gebräuchlich. Im allgemeinen zählt man gern mit Hilfe seiner Finger und Zehen bis
zwanzig. Weiter werden auch Steinchen, Stückchen Holz oder sonst etwas verwendet.
Für längeren Gebrauch besitzen die Malaien auch andere Mittel wie die Knotenschrift,
Kerbe in Holz u. s. w. Diese Gewohnheiten sind von Neu-Guinea bis Sumatra ver-
breitet worden , wie im Folgenden erläutert werden wird.
Vom Stamm der Nuforesen an der Dorehbai erwähnt der Missionar van Hasselt:
Um den Verlauf der Tage und Nächte zu messen , bedienen sie sich eines Bändchens und
machen darin so viele Knoten , als sie Tage danach berechnen wollen. Wenn sie z. B.
mit den Bergbewohnern verabredet haben, dass sie nach zehn Nächten kommen wollen,
um mit ihnen zu handeln oder Nahrungsmittel zu holen, so knüpfen beide Parteien,
die Berg- und die Strandbewohner , in ein Bändchen zehn Knoten , von denen sie täglich
einen auflösen und so wissen sie am Ende der zehn Tage, dass die verabredete Zeit
verstrichen ist.
Von den Stämmen, die die Insel des Timor-Archipels bewohnen, müssen die Roti-
nesen erwähnt werden. Wenn sie jemandem einen Bericht senden oder sich irgend wel-
chen Ereignisses erinnern wollen, so verwenden sie dazu eine Schnur mit einzelnen
- 2,1 -
Knoten, die die verschiedenen Objekte vorstellen, die sie besprechen oder deren sie sich
erinnern wollen.
Auf den Aru-Inseln nimmt man einen Blattstiel der Sagopalme, in welche man
kleine Querstabe, die Schulden vorstellen, anbringt. Greht der Eingeborene dort auf
Reisen, z.B. für 10 Tagen, so versieht er sich mit einem Stück Schnur mit 10 Knoten,
von welchen jeden Tag einer gelöst wird , bis keiner mehr übrig bleibt ; dann kehrt er
zurück. Auch auf der Insel Cerara findet sich ein ahnlicher Brauch, da sich die Häupt-
linge auf den Kei-Inseln nicht selten dieses Mittels bedienen , wenn sie jemand an einem
bestimmten Tage aufzurufen wünschen.
Über die Alfuren von Buru endlich wird mitgeteilt, dass sie, um den Betrag einer
Schuld zu behalten oder die Zahl von Kokos- und anderen Bäumen, von Mannern, Frauen
und Kindern zu wissen , Kerbstöcke von Holz oder Palmblattstielen anwenden und auch
Schnüre mit Knoten gebrauchen.
Auf der Insel Celebes werden die 2^hl der Personen in einer neuen Niederlassung
oder die Tage der Opfer durch eine Knotenschnur angegeben. Unter den Fürsten der
Makassaren und Buginesen zeigte man mittelst Knoten in einem Lontarblatt an , wie
viele Tage noch vergehen würden , bevor ein Krieg ausbrechen oder ein Fest gegeben
werden würde. Im täglichen Leben werden ähnliche KnotenschnOre von jungen Palm-
blattern angewandt.
Auf Seite 108 von Adriani und Krcyt, Mittol-Celebes , erwähnen die Autoren in
Bezug auf die Toradja folgende Bräuche: Beim Handel nehmen sie ihre Zuflucht zu
allerhand Hilfsmitteln, Stückchen Holz, einem Rotan, in welchem Knicke gemacht
werden, und ähnlichem mehr. Diese selben Hilfsmittel brauchen sie ebenfalls beim Be-
sprechen der Rechtsangelegenheiten. Wenn eine Busse besprochen wird, scheint ein
Toradja sich nur dann die Grösse derselben vorstellen zu können , wenn er jeden Büffel
durch ein Stück Baumblatt , oder Holz u. s. w. vergegenwärtigt sieht ; nur eine Folge
der Ungewohnheit , abstrakt zu denken. Ein Toradjahäuptling kam einmal von einer
Rechtssitzung und erzählte, da.ss ihm eine Busse von zwanzig Büffeln auferlegt sei.
Als wir unsere Verwunderung Ol)er die Höhe dieser Busse äusserten , fragte der Mann :
finden Sie das viel? Er öffnete dann seinen Betheisack und zählte zwanzig Stückchen
PinangnuKs aus. Dann rief er auf einmal aus: „Werde ich Das bezahlen können?"
In Band II, Seite 265: Um beim Feststellen der Zusammenkünfte oder Feste Ver-
sehen zu vermeiden, verteilt man Schnüre mit so vielen Knoten, als noch Nächte ver-
laufen mû.s.sen, bevor der verabredete Tag anbricht.
Im Westen des Archipels wird der Gebrauch dieser Knotenschrift unter einzelnen
Stämmen von Sumatra erwähnt. Von den Redjang im Ursjjrungsgebiet des Musi
erklart Marsden: „When they may have occasion to recollect at a distance of time, the
tale of any commodities they are carrying to market or the like, the country people
often a&sist their memory by tying knots on a string , which is produced , when they
want to specify the number."
Auch die Bataker von Nord-Sumatra bedienen .sich der Knotenschrift. So wird
unter ihnen bei einer Rechtsverhandlung die Summe Geldes, die die verlierende Partei
dem Schiedsrichter zu bezahlen hat, mittelst eines Knotens in einer Schnur angegeben.
Knoten werden ebenfalls augewendet, um eine Anzahl Tage, die vor einer Übereinkunft
noch vergehen müssen, nicht zu verges.sen.
- 28 -
Wenn zwei kämpfende Parteien den Krieg zu beenden wünschen, unterbreiten sie
die Schlichtung der Angelegenheit zwei neutralen Häuptlingen. Diese erhalten dann von
beiden Parteien ein Messer, eine Lanze oder einen Ring zum Zeichen, dass die Feind-
seligkeiten vorläufig aufgeschoben sind. Wenn diese Schiedsrichter den Streit nicht
schlichten können, so geben sie diese Pfände zurück und dazu eine Schnur mit vier
Knoten mit der Anweisung, die Kämpfe nicht eher wieder aufzunehmen, bevor keine
Knoten, von denen jeden Tag einer gelöst wird, mehr an der Schnur vorkommen.
Die Dajak im Nord- Westen von Borneo haben die Gewohnheit, wenn sie Stammes-
genossen und Freunde in einem Krieg zu Hilfe herbeirufen, diesen zwei Bla.srohrpfeile
von verschiedener Grösse zu schicken. In Beiden sind Kerbe eingeschnitzt. Die Zahl der
Kerbe im kleinsten Pfeil zeigt die Zahl der für den Anfall benötigten Mannschaften an,
während die Kerbe auf dem grossen sich auf die Zahl der Krieger aus jedem Dorf bezieht.
Sind die Pfeile an der einen Spitze verbrannt und an der anderen bemalt, so erklärt
dieses die Absicht, das anzufallende Dorf mit Feuer und Schwert zu verwüsten.
In LiNG Roth. The Natives of Sarawak and British North Borneo I Seite 77 finden
wir Folgendes erwähnt: When Sir Charles Brooke was first appointed to Fort Sakarang
he wished to send certain instructions to the chiefs and this is how a Dyak named
Sadon learned his. instructions : „One Dyak , who was a proved freind , came to me to
receive instructions and I fully expected , it would have taken three or four days before
he could learn all the particulars by heart , as they have no means of distinguishing
marks or letters. I commenced the lesson , with my imperfect knowledge of the Dyak
language, and was surprised how wonderfully acute his mind was and how strong his
memory. He brought a few dry leaves, which he tore into pieces; these I exchanged
for paper, which served better. He arranged each piece .separately on a table and used
his fingers in counting as well , until he reached ten , when he lifted his foot on the
table and took each toe to accord with each bit of paper answering to the name of the
village, name of chief, number of followers and amount of fine: after having finished
with his toes he returned to his fingers again and when my list was completed , I
counted forty-five bits of paper arranged on the table; he then asked me to repeat them
once more, which I did, when he went over the pieces, his fingers and toes as before.
„Now", he said, „this is our kind of letter; you white men read dififerently to us".
Late in the evening he repeated them all correctly, placing his finger on each paper and
then said , „Now, if I recollect them to-morrow morning it will be allright, so leave these
papers on the table"; after which he mixed them all in a heap. The first thing in the
morning he and I were at the table and he proceeded to arrange the papers as on the
evening before and repeated the particulars with complete accuracy: and for nearly a
month after, in going round the villages, far in the interior, he never forgot the different
amounts.
Letzterer Bericht könnte ebenso wohl als Beispiel für das gute Erinnerungsvermögen
der Dajak dienen als zum Beweise , dass die der Arithmetik zu Grunde liegende Denkart,
um Gegenstände zu gebrauchen zum Vergleich mit Reihen von anderen Gegenständen oder,
wie hier auch mit bestimmten Summen , diesen Völkern von Borneo gar nicht fremd ist.
Die bis jetzt angeführten Beispiele stammen alle aus der ältesten Schicht der malai-
ischen Archipelbevölkerung, die fremden Einflüssen relativ wenig unterworfen gewesen
ist. Diese Äusserungen des Denkens sind der, malaiischen Rasse also eigentümlich.
- 29 - •
Eine Menge Kulturerscheinungen in höheren malaiischen Zusammenlebungen könnten
als Beispiele für höhere Entwicklung dieser Denkart aufgefasst werden. Zum Teil sind diese
wohl durch fremden Einfluss eingeführt oder entwickelt worden. Jedenfalls sind sie aber
jetzt eine wesentliche Art des Denkens in diesen Kreisen und werden vielfach gepflegt. Sie
können als Zahlen m ystik zusammengefasst werden. Aus den unten anzuführenden
Beispielen, die den ganzen Archipel umfassen, zeigt sich, welch einen mächtigen Ein-
druck der Begriff Zahl auf die Phantasie der Malaien ausübt und wie sehr die heiligen
Zahlen einen essentiellen Teil ihrer Kulturformen bilden.
In seinen Werken ûlïer Atjeh, das malaiische Reich in Nord-Sumatra und den
(Jajolandern , giebt Prof. Dr. Snoück Hübgronje einige Beispiele für die wichtige Rolle,
die der Zahl Vier in der populären muhararaedanischen Mystik des Archipels zukommt.
Von den Goldmachern unter den Gajoe erzählt er: ^.Ausserdem versäumt man hierbei
ebensowenig wie bei dem ladang-B&u und bei der Jacht die nötigen Massregeln, um die
(iunst der Herren des Ortes zu gewinnen. Ihre Namen sind Sidang Tëtap, Sidang Abri-
min, Sidang Salèh, Sidang Salihin. Diese Vierzahl ist eine der vielen, die in der popu-
lären muhammedanischen Mystik dieses Archii)els solch eine wichtige Stelle einnahmen
und die Gajoe (Gebirgsstämme des Innern^ bringen sie in Verbindung mit den vier Ele-
menten inasir ai opat), woraus Alles geschaffen worden ist: tojibh, w6th, rara, kuja
oder Erde, Wasser, Feuer und Wind oder Luft. Für die geheimnisvollen Herren des
Flussrandes legt man, mit der Bitte um Erlaubnis zur Arbeit in ihrem Gebiet, am Ufer
ein Opfer in Form einer Schüssel von dem auf keinem kanduri (religiösen Fest) fehlenden,
unenthGlsten , gedörrten Reise, mit dem dazu gehörigen eingekochten Ei und weiter eine
Sirihprieme".
Etwas Verwandtes findet sich in der Vierzahl der von den Atjeh'schen Sultanen
angestellten Häuptlingen unter den Gajoe, unter den Tol)a-Batak, unter den Karo-
Batak und den Timor-Batak.
Beim Schliessen einer Heirat auf den Babar-Inseln begiebt sich der Mann u. a. Abends
nach dem Hause seiner Verlobten. Diese erwartet ihn in Gesellschaft einiger Frauen in
einem dunkeln Zimmer. Nachdem der Bräutigam die Zahlen von eins bis sieben aus-
gesprochen hat, geht er im Zimmer umher und versucht, im Dunkeln seine Braut zu
finden. Ist ihm dies geglückt, was gewöhnlich erst nach einiger Zeit gelingt, wenn das
Mädchen verschämt ist oder ihn necken will, so bringt er sie zu einer der Anwesenden.
Diese stösst dann die Köpfe der jungen Leute gegen einander, und nachdem sie zusam-
men aus einer Kokosschale gegessen hal)en. gilt die Heirat als geschlossen.
Die Olo-Ngadju-Dajak glauben, dass die Seele des ausgestreuten Reises als Bote zum
Se«'lenland ziehe, um diese zu holen. ^Zu Anfang", schreibt der l)ekannte Missonar
Hakdkla.sd, „wirft man 7 Mal drei Finger voll enthülsten Reises aus, des.sen Gana, Seelen,
zu 7 Jungfrauen werden; darauf wirft man zum achten Male Reis aus, des.sen Gana
zur Kleidung und zum Schmuck der 7 Jungfrauen wird" u. s. w..
In der Minabasa auf der Insel Celebes war folgende Beeidigung üblich : Ein walian
(Priester» legte ein geladenes Gewehr auf den Boden , mit dem Kolben nach Süden ; an
der Ostseite von diesem wurde ein Leinwandstreifen hingelegt und an der Westseite
zwei Schwerter gekreuzt in den Boden gesteckt. Der walian unterbreitet dann die Ange-
legfnheit, die beschwört werden muss, den Anwesenden und betet zu den empung oder
Geistern, dass der Meineidige durch die Waffen umkommen möge; dann macht' er mit
- 30 ^
einem Stock neun Streifen auf den Boden, die er laut nachzählt und spaziert darauf
dreimal zwischen den Waffen umher. Dasselbe tut Derjenige, der den Eid zu leisten
hat. Darauf wird die Flinte abgefeuert und das Stück Leinwand unter den Anwesenden
verteilt.
Von den Orang Benuwa auf der Halbinsel Malakka lesen wir bei Newbold: „The
souls of the bad are to be devoured by spectres, who approach the graves for that pur-
pose on the seventh day after interment, on which fires are kindled to drive the evil
spirits away."
Bei den Olo-Ngadju auf Borneo bleibt die Seele oder liau nicht immer in ihrem
Himmel oder lewu-liau. Wenn sie nämlich 7X7 Mal die Zeit , die sie auf Erden zuge-
bracht hat, in dem lewu-liau geblieben ist, stirbt sie, oder vielmehr, geht sie hier auf
Erden in den Bast, die Blüten, das Blatt oder die Frucht eines Fruchtbaumes Ober.
Die Niasser glauben, dass Dieses geschehe nach neun Mal der Lebensdauer auf Erden.
Unter den Karo-Batak wird den Toten noch vier Tage lang Essen an seinem ge-
wöhnlichen Platz im Hause und danach noch vier Tage lang auf sein Grab gestellt, mit
den Worten: Hier ist dein Reis, iss!
Unter den Toba-Batak bringt die Witwe während sieben Tagen am Morgen Essen
auf das Grab ihres verstorbenen Ehemannes.
Unter den muhammedanischen Javanern werden die sëdëkah oder Opfermahle für
einen Toten gehalten am ersten , dritten , siebenten , vierzigsten , hundertsten und tau-
sendsten Tage nach seinem Sterben.
Unter den Menangkabau-Malaien von Mittel-Sumatra geschieht Dies am dritten,
siebenten, vierzehnten, vierzigsten und hundertsten oder hundert und zehnten Tage.
Auch unter den Makassaren und Buginesen von Celebes werden Erinnerungsfeste zu
Ehren der Toten gefeiert. Dabei werden unterschieden die grossen Nächte oder wânni-
batowa und die kleinen Nächte oder wânni-baiiju. Die Ersten fallen auf den dritten,
siebenten, vierzigsten und hundertsten, die Letzteren auf den zehnten, zwanzigsten,
dreissigsten , fünfzigsten, siebzigsten, achtzigsten und neunzigsten Tag nach dem Be-.
gräbnis.
Um die Entstehung ihrer Götterwelt zu erklären , besitzen die Minahasser die Legende
von Lumimuut und Toar. Lumimuut ist eine weibliche Gottheit, die aus der Erde
hervorgekommen ist. Aus ihrer Heirat mit Toar entsprangen zweimal neun Kinder, die
man in einer Gruppe, die makaruwa-sijow , zusammenfasst. Nachher entsprang eine
andere Gruppe von dreimal sieben, die makatUu-pitu. Endlich folgte eine dritte Gruppe,
die nur einmal drei Kinder enthielt; diese waren die Schwestern Pasijowan. Von diesen
Letzteren wurde eine angestellt als Priesterin der Götter, die beiden anderen wurden die
Mütter von der Bevölkerung in der Minahasa.
In der javanischen Mythologie Manik Maja wird erzählt , dass die Erde , als sie sich
aus dem Chaos entwickelte , sieben unter einander liegende Regionen enthielt. Von diesen
wird die untere und siebente von einer Schlange getragen, die durch ihre Bewegungen
die Erdbeben verursacht.
Die bilian oder Priester und Priesterinnen der Dajak von Sanggau in West-Borneo
rufen ihre Götter auf, indem sie unter dem Hersagen von Zaubersprüchen sieben Male
Reis in die Luft werfen.
Die Dauer der Trauerzeit war anfangs, bei den Völkern des Indischen Archipels wohl
- 31 -
gänzlich unbestimmt und hing sie hauptsächlich von der Zeit ab, in welcher das Toten-
fest gefeiert wurde. Indessen ist dies bei einigen Völkern nicht mehr der Fall und findet
sich hier bereits ein bestimmter Termin für die Trauer festgesetzt. Bei den Batak z. B.
währt das mortudjung, das Trauern der Witwe viele Tage. Im Südosten von Borneo
dauert l)ei den Maänjan oder Dajak des Distriktes Duson-Timor die Trauer für einen
erwachsenen Mann 49, für ein Kind 7 Tage.
Auf Celebes sehen wir die Buginesen des Reiches Bone um" einen regierenden Fürsten
100 Tage, um ein Mitglied des fürstlichen Hauses, je nach Massgabe seines Alters, Ge-
schlechtes und Standes 50, 40, 20 oder 10 Tage trauern. Vom Volke trauert eine Witwe
für ihren Mann 40 Tage. Auch im Reiche Luwu sehen wir, wie, mindestens im Haupt-
orte, die Trauer um einen regierenden Fürsten ebenfalls 100 Tage dauert. Aus.serhalb
desselben wird durch das Volk 40, durch die Vasallen 20 Tage lang getrauert.
Von den verschiedenen Stämmen der Bewohner der Molukken erwähnen wir hier
die von Aml)on und den Ulia.ser-Inseln , bei welchen die Traner 40 und die von Kisar,
bei welchen sie nur 5 Tage währt, weiter die von Babar und der Gruppe von Leti,
Moa , und Lakor, \m welchen die Trauerzeit sich bis zum erstfolgenden Neumond erstreckt.
Das auf das Haaropfer zurückzuführende feierliche Haarschneiden der Kinder geschieht
l)ei den Makassaren und Buginesen: mit drei Mal sieben Scheeren, wenn der Junggeborene
ein Prinz und mit zwei Mal sieln-n, wenn er von niedrigerem, fürstlichen Geblüt, während
bei Kindern von noch geringerem Stande die Anzahl Scheeren sich bis auf sieben und
schliesslich bis auf eine verringert.
Aus den vorhergehenden Beispielen folgt, dass dl»; Grundlagen der Arithmetika im
geistigen Leben aurh der niedrig entwickelten Malaien sich allgemein nach\AWisen lassen.
Es würde nicht schwer sein, noch viele andere Erscheinungen arithmetischer Art auf
anderen Kulturgebieten aufzudecken. So werden die Rechte zum Suchen von Busch-
produkt^-n unter den primitiven malaiischen Stämmen oft gegen 1/10 des Ertrage.s
erworljen, das Mieten der Aecker gegen 1/4—1/2 der Ernte kommt sehr häufig vor, ebenso
das Berechnen von Zinsen in vielerlei Formen.
In den 2Jeitn'chnungen der jetzigen Insel Java und amlere findet man höchst zu.sam-
mengesetzte Kombinationen der vielen Zeitrechnungen malaiisch-polynesischer , hinduisti-
Bcher und muhammedanischer Herkunft aus vergangenen Zeiten; in der Wahrsagerei
erreichen diese Zusammenstellungen ihren Höhepunkt. Das Studium dieser im Archipel
allgemein verbreiteten Wahrsagerei würde ül)erhaupt besonders stark entwickelte Systeme
von Vergleichungen von Zahlenreihen unter einander, von diesen mit Begriffen und von
Begriffen unter einander aufdecken. Als Beispiel vergleiche man die Beschreibung der
kutika vom Barito, Bd. XXII Taf. XVI S. 127.
Mit diesen Ergebnissen ist eine andere Theorie der Arithmetik , nämlich die empi-
rische Theorie John Stuart Milus schwer in Einklang zu bringen. Um diesen Gegensatz
aufzuhe>>en und ihres Urhel)ers wegen ist es aber notwendig, diese Meinung noch einer
näheren Untersuchung zu unterwerfen. Auch hier wird Prof. Heymans unser Führer sein :
Nach J. S. Mill ist die Arithmetik eine empirische Naturwissenschaft, beziehen sich
ihre Gesetze auf gegebene , wahrnehmbare , physikalüsche Tatsachen. Wenn die.se Meinung
sich den Verhältnissen angemess(,'n zeigen .sollte, würde diese Wissenschaft auf einer
Abstraktion aus beobachteten Tatsachen beruhen, was sich bereits in ihren Anfängen
- 32 -
gelten lassen würde. Damit ständen aber diese Anfänge weit über dem Horizont der
niedrigsten hier untersuchten Völker; denn es würde schwer sein, zu behaupten,
dass ihre geistige Entwicklung sie dazu befähigte, sich mit der Arithmetik als einer
Abstraktion zu befassen. Deshalb ist es wichtig nachzuspüren, ob die Grundsätze der
Arithmetik sich wirklich als eine empirische Wissenschaft gestalten.
Nach Mill ist das Merkwürdige der Zahlen nicht, dass sie sich auf nicht Gege-
benes , sondern vielmehr , dass sie sich auf alles Gegebene beziehen ; daraus sei es
eben zu erklären, dass man sich bei den Zahlen nichts Bestimmtes vorstellt und dem-
zufolge glaubt, denselben eine von allem Vorstellbaren unabhängige Existenz zuerkennen
zu müssen. Aehnliches komme aber überall vor, wo durch öftere Wiederholung die
Prozesse des Denkens mechanisch zu verlaufen angefangen haben und demnach die Vor-
stellung der Symbole, unter Unterstützung durch die Vorstellung der Gegenstände zur
Erreichung des Denkzweckes ausreicht. Sobald man sich aber darauf besinne, was denn
eigentlich diesen Prozessen ihre Beweiskraft sichere, sei man immer wieder genötigt, auf
die Dinge , welche durch die Symbole bezeichnet werden , zurückzugehen.
Wie die arithmetischen Begriffe, so beziehen sich nach Mill auch die arithmetischen
Urteile auf gegebene Tatsachen. Selbst em .so einfacher Satz wie 6 = 2+ 1 .sei keines-
wegs als eine blosse Worterklärung, als eine Definition der S aufzufassen, es komme in
demselben die physikalische Tatsache zum Ausdruck, dass solche Mengen von Gegenständen
bestehen, die, wenn verschiedenlich angeordnet, auf unsere Sinne einen verschiedenen
Eindruck machen.
Diese empiristische Theorie der Arithmetik reicht aber nicht aus, den spezifischen
Charakter der vorliegenden Tatsachen, also die Allgemeinheit, Apodiktizität und Exaktheit
des arithmetischen Wissens zu erklären.
Es ist doch klar, dass die von Mill als die eigentüchen Untersuchungsobjekte der
Arithmetik bezeichneten „physikalischen Tatsachen" bei Weitem nicht so allgemein vor-
kommen, dass sie unsere felsenfeste Überzeugung, die Arithmetik mOs.se für alles Denk-
bare gelten, auch nur als möglich erklären könnten. Im günstigsten Falle wären es doch
immer nur die materiellen Dinge, welche in der von Mill angedeuteten Weise durch
verschiedenartige Anordnung verschiedene sinnliche Eindrücke hervorzubringen vermöch-
ten: die nämlichen drei Ereignisse, oder drei Begriffe, oder drei Relationen können
doch nicht das eine Mal so, das andere Mal anders geordnet vorkommen. Dennoch neh-
men wir keinen Anstand , den Satz .3 = 2 + 1 auch für drei Glockenschläge , drei Regie-
rungsformen, oder drei Werte der Unbekannten in einer Gleichung gelten zu lassen.
Aber auch drei Fixsterne, drei Flüsse, drei Häuser haben sich niemals nach verschie-
denen Anordnungen unserer Beobachtung dargeboten ; dennoch wird Niemand es unrichtig
nennen, wenn wir dieselben auch einmal als 2+1 Fixsterne, Flüsse oder Häuser zu
bezeichnen für gut finden. Nun ist es zwar leicht, hier von induktiver Verallgemeinerung
zu sprechen; es wäre aber doch auffallend, dass die Wissenschaft, die überall sonst eine
bei bestimmten Objekten beobachtete Erscheinung nur für die bastimmte Gattung,
welcher diese Objekte angehören, zum Gesetz erhebt, hier auf einmal dieser Regel untreu
geworden wäre und Sätze, welche nur für eine engbegrenzte Gruppe von Objekten sich
verifizieren lassen, unbedenklich und zwar mit apodiktischer Gewissheit, auf alle mög-
lichen Objekte anzuwenden sich getraute. Wir müssten doch, so scheint es, etwas davon
bemerken, dass die Gewissheit der arithmetischen Gesetze eine geringere wäre für Fix-
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sterne als für Planeten, für Häuser als für Bausteine, für Flüsse als für Wassertropfen.
Ebenso bemerken wir als zweifellos, dass die Gewissheit des Gravitationsgesetzes eine
geringere ist für Atome und Molecule, wo wir dasselbe nicht haben verifizieren können,
als für Himmelskörper.
Zu ahnlichen Bemerkungen als die Allgemeinheit und Apodiktizitat der arithmetischen
Urteile giebt auch die denselben anhaftende absolute Genauigkeit Veranlassung. Die
physikalischen Tatsachen, aus denen nach Mill die arithmetischen Gesetze abstrahiert
.sein sollen, sind nicht nur nicht allgemein, sondern auch nicht exakt. Denn erstens ist
schon die Mangelhaftigkeit unserer Sinnesorgane und Instrumente Ursache, dass die
Ergebnisse der sinnlichen Wahrnehmung niemals und demnach auch hier nicht, voll-
kommene Exaktheit l)eanspruchen können. Aber auch wenn wir von diesen Beobachtungs-
fehlern absehen, sind die Naturerscheinungen keineswegs immer darauf angelegt, die
exakte Geltung der arithmetischen Gesetze in dem Sinne Mill's zu bestätigen. Der sinn-
liche Eindruck, den die Beobachtung einer Mischung von 1 L. Alcohol und 1 L. Wasser
in uns erzeugt , entspricht keineswegs dem sinnlichen Eindruck , den wir der Beobachtung
einer Mischung von 1 L. Was.ser mit noch 1 L. Wasser verdanken : die Summe von 1
und 1 wäre demnach nicht immer ^ 2. Selbst dem scheinbar identischen Satze 2 = 1
dürfte keine vollkommen exakte Geltung zugeschrieben werden; denn wenn wir ein
Objekt zweimal l)eobachten, kann sich zwi.schen den beiden Beobachtungen in demselben
etwa-s geändert haben.
Mill hat diese Schwierigkeiten dadurch zu lösen versucht, dass er den arithmetischen
Sätzen nur hypothetische, durch die Gleichheit der Einheiten (und wohl auch durch die
Abwetienheit störender Um.stande) bedingt« Geltung zuerkannte. Aber er hat nicht
erklart, warum wir, wenn spatere Beobachtung die Ergebnisse unserer Rechnung nicht
vollkommen genau bestattigt, sofort und ohne Schatten eines Zweifels Beobachtungs-
fehler oder Veränderungen in dem Objekte der Untersuchung für diese Abweichung
verantwortlich machen und an die Möglichkeit, da.ss die arithmetischen Gesetze eine
Ausnahme erleiden sollten, selbst nicht denken.
Die empirische Naturwissenschaft macht es anders. Allerdings wird auch sie, weim
einmal die Beobachtung nicht zur Theorie passt, an erster Stelle untersuchen, ob nicht
störende Umstände oder Beobachtungsfehler die Abweichung erklären können, aber
keineswegs wird sie von vornherein die Möglichkeit ausschliessen , da.ss die Theorie sell)st
der Korrektur bedürfen könnte. Selbst einer so durchsichtigen und allseitig bestätigten
Theorie, wie derjenigen der Gravitation, gegenüljer haben Forscher wie Newton, Euler,
Oacss es nicht unterla-ssen , auf diese Möglichkeit Rücksicht zu nehmen. Nur den mathe-
matischen Gesetzen gegenüber erhebt sich niemals der Schatten eines Zweifels; nur hier
werden immer wieder die Tatsachen an der Theorie und wird niemals die Theorie an
den Tatsachen gemessen. Wenn diese mathematischen Gesetze blosse Abstraktionen aus
der Wirklichkeit waren, so liesse sich die Ausnahmestellung, die dieselben den anderen
Naturgesetzen gegenüber einnehmen , wohl kaum erklären.
Es kommen noch einige andere Tatsachen des Denkens gegen Mill's Auffassung in
Betracht, die alle die empirische Theorie des arithmetischen Denkens als unhaltbar
erweisen. {Fortsetzung folgt).
L A. f. E. XXIII.
- 34 -
REVUE BIBLIOGRAPHIQUE. - BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
Pour les abréviations voir p. 24, 192 du Tome précédent,
ugrischen Forschangen,
Ajouter: ï. U. = Anzeiger der FinnUcli-
GÉNÉRALITÉS.
M. B. Verneau (A. XXV p. 366) rend compte des
actes du Congrès international d'Ethnologie et d'Eth-
nographie de Neuchâtel.
M. P. G. Mahoudeau (R. A. XXV p. 21 : Un pré-
curseur du polygénisme: Isaac La Peyrère) publie
une notice sur l'auteur d'un livre paru en 1655:
Les Pré-Adamites.
M. le docteur D. Goldschmidt (R. A. XXIV p. 393)
rappelle les théories de M. A. Lekeboullet (Esquis-
ses zoologiques de l'homme), qui repoussait l'idée
que l'homme et le singe sont de la même espèce
animale.
M. le docteur G. Papillault (R. A. XXV p. 35:
Les origines subjectives des deux grandes théories
évolutionnistes: Educationnisme et Sélectionnisme)
traite les principaux auteurs éducationnistes comme
Cabanis, Lamarck, tandis que „le sélectionnisme de-
vait prendre sa forme définitive dans l'Angleterre
du XIXe siècle, parce qu'il y trouvait réunis tous
les facteurs psycho-sociaux nécessaires, suivant un
développement parallèle à celui de l'éducationnisme
dans la France du XVIIIe siècle."
Z. E. XLVI publie des contributions anthropolo-
giques de M. Hans Virchow (p. 478: Die Nacken-
muskelfelder eines kindlichen Schimpanse. Av. fig.;
p. 504: Halb Schädel- halb Maske eines Negers. Av.
fig.; p. 527: Einfluss des Zahnmangels auf die Ge-
sichtsbildung und auf die ürsprungsfelder einiger
Gesichtsmuskeln. Av. flg.); M. von Luschan (p. 480:
Ober das Vorkommen eines Os postmalare beim
Menschen. Av. flg.; p. 483: Skelett von Teurnia.
Av. flg.).
A.A. publie des observations du Dr. Sergio Sergi
(XIII p. 358: Die mimischen Gesichtsmuskeln einer
Mikrokephalen); du Dr. Th. Mollison (XIII p. 388:
Zur Beurteilung des Gehirnreichtums der Primaten
nach dem Skelett. Av. flg.); et du Dr. M. von Feey
(p. 342: Die physiologischen und psychologischen
Grundlagen der Gevyichtsschätzung. Av. flg.),
A. XXV publie des observations du Dr. Nello
PücciONi (p. 291 : Morphologie du maxillaire inférieur);
et de M. L. Testut (XXV p. 323 , 477 : Dissection
d'un imbécille).
M. le docteur Paul Godin (A. I. XLIV p. 295)
traite des lois de croissance, „auxquelles m'ont con-
duit mes recherches sur la croissance des diverses
parties du corps."
M. Ebnsï Wähle (A.A. XIII p. 404: Urwald und
offenes Land in ihrer Bedeutung für die Kultur-
entwicklung) et M. le Dr. Franz Ahbendts (Korr.
A. G. XLV p. 73: Siedelungen und Verkehr in der
Vorzeit) donnent des études d'anthropogéographie.
Mad. Elsie Clews Parsons (Am. A. XVII p. 41:
Links between Religion and Morality in Early Cul-
ture) traite des relations entre la religion et la
moralité.
M. Charles Peabody (Am. A. XVII p. 143: Cer-
tain Further Experiments in Synaesthesia) publie
des réponses à un questionnaire sur l'étude infantile.
A. G. Wien XLV contient un discours (p. 1) du
Dr. L. VON Schboeder, consacré à la mémoire de
feu le baron von Andrian, président d'honneur de
la Société d'Anthropologie.
M. H. Hubert (A. XXV p. 845: La Commission
des monuments historiques. Les projets de loi sur
les fouilles. La nouvelle loi sur les monuments his-
toriques) publie le texte de la nouvelle loi avec de»
observations.
A. XXV contient encore des observations de M.
H. Breuil (p. 4-20: A propos des masques quater-
naires) à propos d'un article de M. Deonna, avec
une réponse de celui-ci.
M. Henry Balfoob (A. I. XLIV p. 82: Frictional
Firo-making with a Flexible Sawingthong. Av. fig.)
publie une étude d'ethnographie comparée.
M. S. Hazzledink Warben (A. I. XLIV p. 412:
The Experimental Investigation of Flint Fracture
and its Apphcation to Problems of Human Imple-
ments. Av. pi. et fig.) traite la question des éolithes
avec la conclusion qu'à tort on y a cru voir des
traces de l'ouvrage humain.
M. F. Schradeb (R. A. XXV p. 1: Les relations
géographiques à travers la préhistoire et l'histoire)
donne un cours de géographie anthropologique.
M. Arthur Keith (A.L XLIV p. 12: The Recon-
struction of Fossil Human Skulls. Av. fig.) fait des
observations sur la crâniographie; et M. le Prof. R.
Neuhauss (A. A. XIII p. 835: Die Verwertung pho-'
tographischer Reise-Aufnahmen) traite les photos
de voyage.
- 35 -
EUROPE.
M. Haks Menzel (Z. £. XLVI p. 205: Die geolo
gische Entwickelungsgeschicbte der älteren Post-
glazialzeit im nördlichen Europa und ihre Beziehung
zur Prähistorie ; p. 240 : Die paläontologischen Grund-
lagen für die Chronologie des Diluvialmenächen)
publie des données pour la chronologie du genre
humain. Il compte 9400 ans depuis la fin de la
période glaciale jusqu'aujourdhui et donne 13500 ans
pour la période du dégel.
M. W. J. KN0WLE8 (A. I. XLIV p. 88 : The Anti-
quity of Man in Ireland, being an Account of the
Older Series of Irish Flint Implements. Av. fig.)
donne une contribution à l'archéologie de l'Irlande.
M. W. H. Cook (A. I. XLIV p. 212: On the Dis-
covery of a Human Skeleton in a Brick-earth De-
posit in the Valley of the River Medway at Hailing,
Kent. At. pi.); M. âbtudb Kkith (A. I. XLIV p. 228:
Report on the Human and Animal Remains found
at Hailing, Kent); MM. C. O. Silioman et F. Q.
Pabsoks (A. I. XLIV p. 241: The Cheddar Man: A
Skeleton of late Palaeololitic Date. Av. pi. et flg.)
décrivent des découvertes récentes.
Les résultats de fouilles près d'Ipswich font le
siùet d'articles de M. Rcoihald A. Smith (A. I. XLIV
p. 876: Flint-finds in Connection with Sand); et de
M. A. Ibvimo (A. L XLIV p. 386: Some Recent Work
on Later Quaternary Oeology and Anthropology,
with its Bearing on the Question of „Pre-BouMer-
Clay Man").
M. Maubicb Piboutbt (A. XXV p. 268. Av. fig.)
décrit des fouilles d'un tumulus de l'Age du Bronze
aux environs de Salins, Jura, et y ajoute des ré-
flexions sur la région d'origine de la métallurgie du
bronze.
R. A. XXIV contient des contributions de M. A.
DS Mobtillet (p. 878; Le dolmen de l'Étang-la Ville,
Seine-et-Oise. Av. flg.»; XXV p. 63: Epée en bronie
de forme insolite. Av. flg.; p. 97: Poignard en fer
de provenance espagnole. Av. flg.).
M. Mabcelun Boule joint à son rapport général
des travaux de l'année 1913 (A. XXV p. 225) la
reproduction de dessins trouvés dans la grotte de
Oargas, Hautes Pyrénées, sur les parois delaQrotte
de la Vache.
MM. BBBtm. et Obbbmaieb (A. XXV p. 233: Tra-
vaux en Espagne. Av. fig.) décrivent les fouilles du
.Castillo", à Puente-Viesco, Santander, de nouvelles
grottes ornées de la région Cantabrique, l'exploration
mpeatre en Sierra Morena, la région de Vêlez Blanco,
la prospection entre la province d'Alméria et la
Sierra Morena, la prospection de la région entre
Valence, Alicante et Ayora.
M. W. L. H. DüCKWOBTH (A.L XLIV p. 264: Cave
Exploration at Gibraltiu-. Av. flg.) décrit des fouilles
dans la région de Gibraltar.
M. G. Sehgi (A.A. XIII p. 309: Die Etrusker und
die alten Schädel des etruskischen Gebietes. Av. flg.)
publie une étude sur la cràniologie étrusque.
A. I. XLIV contient une contribution archéologique
du Rév. H. J. Dukinfield Astlet (p. 394 : Notes on
the Hypogeum at Hal-Saflieni, Malta).
M. Alexander Coülim (Z. V. R. XXXII p. 326:
Die Wüstung) donne une contribution à l'histoire
du droit pénal au moyen âge.
Korr. A. G. XLV contient des contributions du
Dr. A. KiEKEBUscH (p. 61: Die Ausstellung der Bûcher
Funde im Märkischen Museum zu Berlin und neue
Beobachtungen in vorgeschichtlichen Wohnstätten.
Av. flg.); et du Dr. K. Classen (p. 80: Der Dienst
der Nertbus, die älteste geschichtliche Kunde aus
Holstein).
Z. E. XLVI publie un discours sur quelques fouilles
récentes, avec discussion, par M. Fritz Wieoebb
(p. 421 : Ober die prähistorische Untersuchung einiger
deutscher Diluvialfundstätten); un discours de M. A.
KiXKEBuscH, suivi de communications nouvelles de
M. H. Grosse (p. 438: Die Ausgrabungen des Märki-
schen Museum im Jahre 1913. Av. flg.); une étude
chronologique de M. Josef Baybb (p. 466 : Die Chro-
nologie der diluvialen Kulturen und Ablagerungen
in den Alpen und in Norddeutschland), des notices
archéologiques de M. R. Krieo (p. 447: Ein vorge-
schichtlicher Schmelzofen. Av. flg.); et de M. C.
ScHUCHHARDT (p. 622: Goldfund von Messingwerk
bei Eberswalde).
M. le docteur H. Wxisobbbeb (R. A. XXV p. 77.
Av. flg.) décrit des tombes néolithiques d'Alsace.
M. G. Obamt Maccubdy (Am. A. XVII p. 139:
Intorglacial Man from Ehringsdorf near Weimar. Av.
flg.) fait des observations sur une découverte de
restes humains.
M. Obbbmaikb (A. XXV p. 264. Av. flg.) décrit
des fouilles en Bavière.
M. le docteur A. Chbrvin (R. A. XXIV p. 402)
pnblie des considérations générales sur les langues
parlées en Autriche-Hongrie par les différentes nati-
onalités.
Z. O. V. contient des contributions du Dr. Irma
HiPT XX (p. 157: Das alte Lied vom Prinzen
Eugen); du Dr. Fr. Dibul (p. 160: Füllungsmarken
(Eichzeichen) auf Gelassen aus gebranntem Ton);
du Dr. Emil Fischeb (p. 165: Flechten und Weben
im Kinderspiel der balkanischen Macedowlachen.
Av. flg.); de M. Anton Daculeb (p. 168: Oberinn-
taler und GrOdener Bauernhäuser. Av. flg.); du Dr.
M. Help (p. 169: Das Faule- Weib-Singen zu Mareit
im Ridnauntal, Tirol); de M. Rudolf Moser (p. 171:
- 36 -
Das Gruakraut in Niederosterreich); de M. Kabl
Rkitkkeb (p. 175: Wildereraberglaube in Obersteier-
mark); de M. Anton Dachleb (p. 176: Weihnachten
und das Goldene Rössl).
M. le docteur L. K. Moseb (Korr. A.G. XLV p.53:
Die Abstammung der Rumänen in Istrien auf Grund
sprachlicher Studien) publie une étude sur la popu-
lation istrien ne d'après Dacia preistorica de M. N.
Densusanu.
Le dialecte des pasteurs des Alpes et du Balkan
fait le sujet d'une étude du Dr. Emil Fischer (Korr.
A.G. XLV p. 56: Die europäische Alpen oder Hirten-
sprache).
Mad. Beatbice L. Stevenson (Am. A. XVII p. 58:
The Gusle Singer and his Songs. Av. flg.) consacre
un article au chant populaire des Serbes.
M. le docteur Keum Dbontschilow (A. A. XIII
p. 337 : Die Körpergrösse der bulgarischen Hekruten
und ihre Verteilung in den einzelnen Distrikten)
fait des observations sur les dimensions du corps
dos soldats bulgares.
M. St. Mladenov (Morgenl. LXVIII p. 687: Ein
Beitrag zum türkischen Sprichwörterschatz) explique
des proverbes recueillis parmi les Bulgares, avec la
traduction bulgare.
P. U. publie une analyse des études sur des dia-
lectes finnois, de M. Airila Mabtti (Lautgeschicht-
licho Untersuchung des dialekts von Tornio) et de
M. Lorosela Jussi (Lautgeschichtliche Untersuchung
des südösterbottnischen dialekts; et une contribution
à l'ethnologie de M. A. A. Sachmatov (Beiträge zur
mordwinischen Ethnographie).
ASIE.
M. JosEP KoHLEE (Z. V. R. XXXII p. 502) rend
compte du livre de M. Aethur Ungnad (Babyloni-
sche Briefe aus der Zeit der Hammurapi-Dynastie).
M. Fbitz Schiff (A. A. XIII p. 348: Anthropolo-
gische Untersuchungen an jüdischen Kindern in
Jerusalem) publie les résultats de son enquête à
Jérusalem; et M. le Dr. S. Weissenbebg (A.A. XIII
p. 383: Armenier und Juden), en remarquant la
ressemblance entre les Juifs et les Arméniens, ac-
cepte l'hypothèse du Dr. von Luschan d'un mélange
des deux peuples.
Mitt. G. G. Wien publie une notice (LVIII p. 84:
Heidnische Kulte im Kaukasus) sur les restes du
paganisme chez des tribus du Caucase.
Tandis que M. Risley trouvait dans l'endogamie
des Hindous un gage de la pureté des castes, M.
W. Crooke (A. L XLIV p. 270: The Stability of
Caste and Tribal Groups in India) donne une quan-
tité de cas, qui ont déterminé un mélange de races
assez semblable à celui de l'Europe.
M. Sarat Chandba Roy (A. I. XLIV p. 324 : Magic
and Witchcraft on the Chota-Nagpur Plateau. A Study
in the Philosophy of Primitive Life) publie une étude
psychologique sur des tribus montagnardes de l'Inde.
Mad. Weiss (Z.G.E. 1915 p. 73: Von 0 Pien Ting
nach Ma Pien Ting durchs Lololand. Av. pi.), dans
ses notes de voyage , donne des détails sur les Lolos
entre les fleuves Yangtse et Toung.
M. H. Paementier (Bull. E. 0. XIV n«. 6) publie
une étude sur l'architecture interprétée dans les
bas-reliefs du Cambodge.
M. H. H. van Kol (I. G. XXXVI p. 1488: De
historische verhonding tusschen Japan en Nederland)
donne un exposé historique sur les relations entre
le Japon et les Pays-Bas.
M. JosEF KoHLEB (Z. V. R. XXXII p. 507: Rechts-
vergleichende Skizzen) publie une notice sur un livre
de M. Simon sur les îles Riukiu ou Liou-Kiou.
M. W. J. Pebey (A. L XLIV p. 281 : The Orien-
tation of the Dead in Indonesia) publie une étude
sur les causes déterminant la position des cadavres,
soit la face tournée vers l'orient, coutume qu'on a
attribuée au culte solaire, ou dans une autre direc-
tion, peut être vers le pays d'origine de la tribu.
M. le Dr. J. P. Kleiweo de Zwaan (I. G. XXXVII
p. 173: De Hond in het Volksgeloof der Inlanders
van den Indischen Archipel) rappeile les traditions
populaires concernant le chien chez les tribus de
l'Indonésie.
M. D. W. N. DE BoEB (T. B.B. XLVII p. 378: De
Permalimsekten van Oeloean, Toba en Habinsaran)
publie une communication sur une religion nouvelle,
fondée parmi les Bataks, curieux mélange de paga-
nisme sous l'influence d'idées catholiques.
M. L. VAN VuuBEN (I. G. XXXVI p. 1533) fait des
remarques critiques sur le livre de M. A. Gbübaüee
(Unter Kopfjägern in Central-Celebes. Leipzig).
M. P. A. Mandagei, (T. B. B. XLVII p. 194 : Ge-
schiedenis van het Bantiksche volk) raconte des tra-
ditions concernant une tribu de la Minahassa, Celebes.
AUSTRALIE et OCÉANIE.
M. le docteur Rudolf Pöch (Studien an Einge-
borenen von Neu-Südwales und an australischen
Schädeln. Av. pl. et flg.) publie une étude crânio-
métrique sur des tribus indigènes.
A. I. XLIV contient des contributions de Mad.
Daisy M. Bates (p. 65: A Few Notes on Some
South-western Australian Dialects); M. Hebbket
Basedow (p. 195: Aboriginal Rock Carvings of Great
Antiquity in South Australia. Av. pl.) : MM. Richaed
J. A. Bebby, a. W. D. Robertson et L. W. G. BIJchnkb
(p. 122: The Craniometry of the Tasmanian Aboriginal):
et M. Elsdon Best (p. 127 : Ceremonial Performances
pertaining to Birth, as Performed by the Maori of
New Zealand in Past Times).
- 37
If. le docteur Fabio Fbassbtto (A.A. XIII p. 397:
Ascie litiche di Mangaia con manico monumentale.
At. pi. et fig.) décrit une hache en pierre, provenant
des îles Cook près de la Nouvelle 2<élande.
M. RonicKK (Z.E. XLVI p. .507: Mitteilungen über
ethnographische Ergebnisse der Kaiserin Augusta-
Fluss-Ezpedition. Av. flg.) publie un rapport sur les
résultats de l'exploration de la Nouvelle Guinée.
H. B. Nkühaüss (Z. E. XLVI p. 629: Felszeich-
nungen auf der Insel ümboi. Av. flg.) décrit des
dessins rupestres, trouvés sur une Ile située entre
la Nouvelle Guinée et la Nouvelle Foméranie.
Les Nouvelles Hébrides fournissent des sujets de
communications de M. Fklix Spxibkb (Z. E. XLYI
p. -4-56: Forschungsreisen in den Neuen Hebriden
1910-1912; A.A. XIII p. 323: Die Ornamentik von
St. Cruï. Av. flg.).
Le Rév. W. G. Ivihs (A. I. XLIV p. 168: Native
Stories from Ulawa) donne la transcription avec
traduction de contes populaires recueillis sur l'Ile
Contrariété, une des Iles Salomon.
AFRIQUE.
M. le docteur Karl Wxulb (P. M. LX p. 132:
VAlkerwanderungen in Afrika. Tatsftchliches und
Methodisches) publie une étude sur les migrations
des peuples en Afrique.
M. O. W. Mdrrat (A. I. XLIV p. 397: Hasan and
the Princess) donne la transcription avec traduction
d'un conte nubien.
M. le docteur Curt Radlaukb (A. A. XIII p. 451 :
Anthropometrische Studien an Somali, Haschia. Av.
pi. et flg.) publie les résultats de ses mesuragee
parmi les Somalis.
M. L. BxoTTBB (R. A. XXV p. 27) publie l'analyse
de la résine carthaginoise C provenant d'un sarco-
phage phénicien: et (p. 411) l'analyse dune résine
carthaginoise entourant le corps momifié d'un prêtre
phénicien.
Les notes de voyage de M. Huoo Picard (Z. E.
XLVI p. 486: Reise in Algerien, Tunesien und in
der Sahara. Av. fig.) contiennent des détails ethno-
graphiques. M. Otto Caisar Abtbaubb (p. 496: An-
thropologische Arbeiten in der Kyrenaika) y joint
des photos de Beri>ère8 de la péninsule Barka.
La communication de M. Fromholz (Z. E. XLVI
p. COl: Steinzeitliche Gerate aus der algerischen
Sahara) donne lieu à une discussion sur l'âge de la
pierre en Afrique.
M. 0. B. M. Flamand (A. XXV p. 438: Deux
stations nouvelles de pierres-écrites. Av. tig.) décrit
des gravures rupestres découvertes dans le cercle de
Djelfa, Algérie.
Les Touareg font le sujet de communications de
M. Fb. db Zbitkbb (A.I. XLIV p. 851: LesToiuursg
du Sud. Av. pi.; A. XXV p. 469: Etude anthropo-
logique sur les Touareg du Sud).
M. John Aberceomby (A. I. XLIV p. 302: The
Prehistoric Pottery of the Canary Islands and its
Makers. Av. pi. et fig.) fait des observations sur la
population primitive des îles Canaries.
M. E. BOboi (A. A. XIII p. 415: Sammlung von
Ewe-Sprichwörtern) donne la transcription avec la
traduction et des notes explicatives de 926 proverbes
en cours parmi le peuple Ewe.
M. le Prof. Augustin Kbämke (A.A. XIII p. 865:
Zwei sehr kleine Pygmäenschädel von Neuguinea
und meine Messungen an Buschmännern in Süd-
Afrika. Av. flg.) publie des observations cràniométri-
ques sur les pygmées.
AMERIQUE.
M. Eduabd Stücken (A.A. XIII p. 817: Spuren
des .Himmelsmannes" in Amerika) publie une étude
d'ethnologie comparée.
Am. A. XVII contient des contributions de M.
MoBTKN P. PoRsiLD (p. 1 : The Principle of the Screw
in the Technique of the Eskimo. Av. pi. et flg.);
M. John R. Swanton (p. 17: Linguistic Position of
the Tribes of Southern Texas and Northeastern
Mexico); M. Thxodcob db Boov (p. 69: Potteiy from
certain Caves in Eastern Santo Domingo, West Indies.
Av. pi. et flg.): M. Edward Sapik (p. 98: Southern
Paiute and Nahuatl, A Study in Uto-Aztekan; p. 188:
Algonkin languages of California), réplique à une
attaque du Dr. Michrlson; Mad. Barbaba Fbeibe-
Marrkco (p. 198: A Note on Kinship Terms Com-
pounded with the Postfix 'E in the Hano Dialect of
Tewa), observations à propos d'articles de MM. Har-
BiNOTOH et Sapib sur les Tewa; M. Fred H. Sterns
(p. 121 : A Stratification of Cultures in Eastern Ne-
braska. Av. pi.).
M. £. W. Lbndbrs (Z.E. XLVI p. 404: Mythe des
,Wah-ru-hap-ah-rah" oder des heiligen Kriegskeulen-
bfmdels. Av. flg.) donne une contribution à la my-
thologie de la tribu Winnebago dans l'état de Ne-
braska, racontée par M. Joseph Lahèrb de cet état,
avec lexplication d'un talisman.
MM. Junius Henderson et John Peabody Hab-
BiNOTON (B. Am. Ethn. Bull. 56) publient une étude
ethnologique sur les Indiens Tewa.
MM. O. Enoebrand et I. Kauirez Castaûeda (R. A.
XXV p. 56) publient une étude sur les simples des-
tinés à des usages médicaux ou superstitieux vendus
au marché de Zumpango, Mexique.
M. Neil M. Judd (Am. A. XVII p. 128: The Use
of Glue Molds in Reproducing Aboriginal Monuments
at Quirigua, Guatemala. A v. pi. et flg.) décrit une
méthode de reproduction des monuments.
M. Herxamr von Ihbkino (Z. E. XLVI p. 249:
- 38 -
Das Alter des Menfechen in Südamerika) 'publié une
étude sur l'invasion de l'homme dans l'Amérique
du Sud et prouve qu'ellen'a pas été antérieure à
l'époque pliocène.
M. le docteur Th. Koch-Grünbebg (A. A. XIII p.
371: Zaubersprüche der Taulipang-Indianer) donne
une contribution sur une tribu indienne de la Guyane.
Z. E. XLVI contient encore des contributions de
M. A. JaHn (p. 267: Parauhanos und Guajiros und
die Pfahlbauten am See von Maracaibo. Av. fig.),
avec des vocabulaires; et de M. Cubt Nimüendajü
Unkel (p. 284: Die Sagen von der Erschaffung und
Vernichtung der Welt als Religion der Apapocuva-
Guarani. Av. flg.), qui a vécu plusieurs années parmi
ces Indiens comme un d'eux.
Zeist, juin 1916. G. J. Dozy.
LIVRES ET BROCHURES. — BÜCHERTISCH.
I. J. LoEWENTHAL, Die Eeligion der Oitalgonkin,
Berlin, Druck von W. & S. Loewenthal, 1913.
Dr. Loewenthal, an able pupil of Prof. Seler's,
has not only compiled from authors of the last three
centuries all extant information about Eastern Al-
gonquian beliefs and cults, arranging his materials
in proper order, but at the same time he has tried
to distinguish between genuine Algonquian and
foreign (Iroquoian, and indirectly also Mexican) ele-
ments, and to penetrate to the ethnopsychical sub-
stratum of the magical and religious phenomena.
Nevertheless, the true value of Dr. Loewenthal's
essay is chiefly in his lucid exposition of the facts
which will remain facts for ever, not in his hypo-
theses about migrations and origins of religious con-
ceptions and cults, be those hypotheses ever so
enticing. Now, for example, Freudianism has a great
influence on the minds of students of individual and
ethnic psychology, but after a while perhaps new
psychical facts will be discovered and then much of
what now seems probable will have to be modified
as exaggerated, or cast aside as erroneous.
C. C. Uhlenbeok.
II. R. B. DixoN and A. L. Keoebeb, New lin-
guistic families in California (American Anthropologist
N. S. Vol. XV, Lancaster Pa.), Published for the
American Anthropological Association, 1913.
Since a few years Prof. Krokbee and Dr. Dixon
are trying to reduce the hitherto assumed improb-
able great number of linguistic stocks in California
to [a more moderate number. They now recognize
a Penutian family, comprising Yokuts (Mariposan),
Wintun (Copehan), Costanoan, Maidu (Pujunan), and
Miwok (Moquelumnan); a Hokan family, constituted
of Karok (Quoratean), Chimariko, Shasta, Pomo
(Kulanapan), Yana, Esselen, and Yuman; an Isko-
man family, consisting of Chumash and Salinan,
and possibly related to Hokan; a Ritwan family,
comprising Yurok (Weitspekan) and Wiyot (Wishos-
kan). And then they continue: „Of the five [groups
of languages] not involved, four are mainly extra-
Californian. These are Shoshonean, Washo, Lutu--
ami, and Athabascan. The fifth is Yuki, which
remains isolated. On this basis the only purely or
principally Californian families would be five: Penu-
tian, Hokan, Ritwan, Iskoman, and Yuki; and the
total number in any way represented in the state,
nine, instead of twenty-one. That this basis is sound,
and the probability, as here outlined, a ceitainty,
the authors hope to demonstrate when their full
evidence can be presented."
With full acknowledgment of Prof. Kboeber's and
Dr. Dixon's unremitting labour, I do not suppose
that this new classification of the languages of Cali-
fornia will prove to be definitive, though it certainly
advances our insight in their mutual relations. Dr.
Sapib has shown already that Ritwan (Wiyot and
Yurok) is genetically related to the Algonquian
languages, and so it is no more to be considered
as a purely or principally Californian family. Mr.
Habrinqton announces that his study of Yuman
and Chumash leads him to believe that they are
akin to each other, and „that the relationship is
traceable even in some of the more minute features
of the structure", which would result in merging
Iskoman (Chumash and Salinan) into Hokan. And
there is little doubt that within a few decennia
still other relationships among the now assumed
Californian families themselves, and also between
Californian and extra-Californian famiUes will be
discovered. C. C. Uhlenbeok.
III. A. L. Kboebeb, Serian, Teqnistlatecan , and
Hokan (University of California Publications in Ame-
rican Archaeology and Ethnology, Vol. 11, No. 4),
University of California Press, 1915.
In his well-known work -The American race"
Brinton classified Seri and Chontal (Tequistlatecan)
as members of the Yuman stock (p. 109—113), without
being able to give sufficient proofs of his assertion.
Beinton's opinion was rejected by Hewitt in his
linguistic appendix to Mc Gee's monograph on the
Seri (Annual Report of the Bureau of Ethnology
XVII, p. 299 sqq.). Since that time Prof. Kroebkr
and Dr. Dixon have merged the Yuman group into
- 39
the great Hokan family, comprising also Karok,
Chimariko, Shasta, Porno, Yana, and Esselen. Now
Prof. Kboxbkb tries to demonstrake that Bbinton
was right in combining Sen and Chontal with Yuman,
and that they ought to be considered as belonging
to the Hokan family. He girea not only a compar-
ative table of words from Seri, Cbontal, and Yuman
(in the Mohaye dialect), enlarged by selecfefons of
parallel forms from other Hokan languages, but he
also tries to establish regular sound-correspondences.
Though the words compared in Prof. Kbobber's lists
are not very numerous, and though the established
sound-relations are a little vague as yet, still the
eTldence brought forward may be regarded as con-
clusive for original genetic unity of Seri, Chontal,
and Yuman. C. C. Uhlxnbeck.
IV. P. E. OoDDARD, 8ar»i t«tt (university of
California Publications in American Archaeology and
Ethnology, Vol. 11, N<». 8), Berkeley, Univei-sity of
California Press, 1916.
Among the Athapascan tribes the Sarsi may claim
a special interest because of their close association
with an Algonquian people, the Northern Blackfeet
of Albeila. Dr. Ooddabd'b present contribution to
the knowledge of the Sarsi is a collection of texts
with literal translations for the purpose of furnishing
material for phonetic and grammatical study. The
texts were recorded during the summer of 1806.
Dr. OooDARD intends to publish soon a grammatical
analysis of the material contained in the texts. Free
translations of most of them have been or will be
published. C. 0. Uhlknbick.
V. P. E. GoDDABD, c^oU ttxta (University of
California Publications m American Archaeology and
Ethnology, Vol. 10, N«. 7), Berkeley, university of
California Press, IQU.
Dr. OouDABD baa already given us an interesting
account of the nearly extinguished Chilula Indians
of Morthwestem California. Now he presents a pretty
cppioos collection of Chilula texts with interlinear
and free translations. The differences between the
Chilula dialect and Hupa are not very important
C. C. ÜHLIMBECK.
VI. E. Sapib, >etM on Chaata Cofta phonology and
morpliolofy (Uuiversity of Pennsylvania Anthropolo-
gical Publications, Vol. II, N«. 2), Philadelphia,
Published by the university Museum, 1914.
While Dr. Sapib was studying the Takelma language
in the summer of 1906, he was living with a full-
blood Chasta Ckwta Indian. In moments of leisure
he availed himself of this welcome opportunity to
collect some data on the Chasta (Tosta language,
an Athapascan dialect of southwestern Oregon. Dr.
Bapib's grammatical eesay, in which the phonetical
system and all parts of speech of the language aVe
considered, is illustrated by a short text. An ap-
pendix contains a few words in the Galice Creek
and Applegate Creek dialects, also belonging to the
Athapascan family. The paper is preceded by a list
of , Corrigenda and addenda to Takelma texts".
C. C. Uhlenbeck.
VII. R. A. Stewart Macalisteb, The Langnage of
the Hawar or Zott, the Homad Smithi of Palestine. London,
Bernard Quaritch.
Dans cet ouvrage, dont les parties ont successivement
paru dans le Journal de la Gypsy Lore Society,
it. Stewart Macalisteb étudie le dialecte parlé dans
une horde de Tsiganes établie tout près de Jérusalem.
Les textes que l'auteur a recueillis se composent
d'une centaine d'historiettes; ils sont accompagnés
d'une ti'aduction anglaise, suivis d'un glossaire de
1341 articles et précédés d'une introduction gram-
maticale. Le langage de ces Tsiganes représente donc
le dialecte syrien.
D'une manière générale on admet que tous les
dialectes, tant en Asie qu'en Europe, ont une même
origine (selon M. Finck il faudrait en excepter le
dialecte arménien). (Cependant au coura de l'histoire
le groupe asiatique s'est distingué nettement du groupe
européen, non seulement par rapport au lexique
mais encore par la stiucture. Et d'abord il y a dans
tous les dialectes européens un nombre considérable
de mots que les Tsiganes ont adoptés lors de leur
établissement parmi des populations occidentales; ce
sont en premier lieu des mots grecs. Si, dans le
dialecte syrien, l'absence de ces mots s'explique, il
n'en est pas ainsi de l'absence de plusieui-s termes
d'origine indienne ou, en général, asiatique, qui,
dans les dialectes européens, sont usuels, et dont
l'emploi dans le dialecte syrien ne serait pas éton-
nant. Ainsi — pour ne citer que quelques exemples —
on ne trouve pas dans les textes de Jérusalem des
formes correspondant à anguit (doigt), avgin (miel),
bar (pierre), beng (diable), buzni (chèvre), caco (vrai),
ciriklo (oiseau), cor (voleur), devel (dieu), diukel
(chien), iv (neige), lil (lettre), maco (poisson), mo2 (vin),
pair (feuille), rat (seigneur), ra/c/o (garçon), ruA (arbre),
aovnakai (or), éaslir (fer), iukar (gentil), triak (sou-
lier), vudar (porte) etc. Bien qu'il soit possible, et
même vraisemblable, que les équivalents de ces mots
se retrouvent dans beaucoup de dialectes asiatiques,
il faut pourtant reconnaître que le langage des Tsi-
ganes de Jérusalem les remplace par d'autres termes,
soit indigènes, soit étrangers.
Parmi ces derniers les termes purement arabes
sont pour la plupart marqués comme tels dans le
glossaire, tandisque pour d'autres l'origine turque
ou persane est le plus souvent passée sous silence.
- 40 -
Kapi (porte) est noté comme mot turc, mais l'auteur
n'explique pas par exemple dérmân (médicament),
rtim (moitié), kôl (bras), injlr (figue), däwai (cha-
meau), qui pourtant sont faciles à reconnaître. Nisub-
kerär (ériger) est une locution analogue de nasb
etmek en turc; dfang, coup de fusil, a une certaine
ressemblance avec tüfenk, fusil; hig, moustache,
pourrait bien être emprunté à hyïyq, qui en turc a
le même sens. On pourrait faire d'autres rappro-
chements encore; mais beaucoup de mots seront
des énigmes.
Dans ses observations grammaticales l'auteur se
contente d'un exposé purement descriptif, il s'ab-
stient d'explications comparatives ou historiques.
Parmi les traits distinctifs de plusieurs dialectes
asiatiques il y a l'absence des occlusives sourdes
aspirées, si fréquentes chez les Tsiganes européens;
elles remplacent souvent, dans les mots d'origine
indienne, des sonores aspirées, qui, en Asie, sont
devenues des sonores simples, comme dans har
(frère), 6ën (soeur), hdrdâ (plein), qui, chez les oc-
cidentaux, sont souvent phral, phen, pherdo; ou
dans gäm (soleil), dduar (laver), dont les équivalents
européens sont souvent kham, thow-. Ailleurs, kh
européen correspond à ks sanscrit: ici les dialectes
asiatiques ont k, comme dans iki (oeil), mäkilä
(mouche); les formes européennes sont jakh, makhi.
Les sifflantes qui en sanscrit sont s et f, et qui
chez les Tsiganes européens sont représentées par
s, sont dans le dialecte syrien souvent s, p.e. dans
mdnûs (homme), dos (dix), ms (vingt), siri (tête),
wars (année), warsindà (pluie), saï (cent), slldâ (froid),
etc. On remarquera la conservation de w initial dans
wars, warsindà, wis, en regard desquels l'européen
a berS, brisin, bis. De même dans hast (main), hri
(coeur) une gutturale est conservée'qui se perd'en
Europe: vast, jïlo. Ainsi à scr. lohita (rouge) corres-
pond en Syrie lûhrà, en Europe Mo: l, issu d'une
dentale, se changé en r dans le dialecte syrien; ce
changement se retrouve p.e. dans le suffixe de la
3ième personne du sing. prés, ind.: kerél: kérar.
Quelquefois t intervocalique a disparu tout à fait,
comme dans saï (cent), vat (vent), pour lesquels
l'européen a sel (scr. çata), balwdl (scr. vdta).
Non moins intéressants que les changements pho-
nétiques sont les procédés de la morphologie. La
langue des Tsiganes est en principe une langue indo-
européenne, mais dans les dialectes de l'Asie occi-
dentale la morphologie ne présente pas toujours un
aspect indo-européen pur. Voici un exemple. La
porte de la maison s'exprime par küriäk kdpiüs.
La forme kuriak (de kuri, maison) a la valeur d'un
ablatif ou d'un génitif: kuriak signifie de la mai-
son. Or, la forme dont ce génitif dépend n'est pas
kapi, la porte, mais kapius: c'est-à-dire que le mot
kapi est pourvu du suffixe pronominal de la S'«"»«
personne du sing. Cette construction ressemble par-
faitement à la construction turque. Ni en arabe, ni
en persan on ne s'exprime de cette manière, et les
Tsiganes d'Europe ignorent tout à fait l'emploi des
formes pronominales comme suffixes possessifs.
Toutefois, si la langue des Tsiganes occidentaux
(gi'ecs, slaves etc.) a en général un aspect indo-
européen, il faut pourtant reconnaître que, même
dans ces dialectes, la déclinaison présente une cer-
taine analogie avec la déclinaison dans les langues
dites agglutinantes. Dans le dialecte grec p. e. l'ab-
latif sing, raklés-tar est caractérisé par la même
désinence que l'ablatif plur. raklén-dar, comme en
turc l'abl. sing, qouchdan (de qouch, oiseau) a le
même suffixe que l'abl. plur. qouchlardan, tandisque
p. e. en grec la désinence -o? de frorfôç indique à la
fois le génitif et le singulier, et s'oppose au gén.
plur. Troàûr. Dans les dialectes des Tsiganes asia-
tiques l'indépendance des syllabes désinentielles est
marquée plus fortement: car entre celles-ci et leur
base d'autres suffixes peuvent s'intercaler. Ainsi le
datif sing, de kuri (maison, tente) est küriätä, mais
à notre tente s'exprime par kûriâmintà, où,
comme en turc, le suffixe pronominal précède la
désinence. Le mouchoir est dans ma poche
se traduit par tfili éëbimmék, où zèb, poche, est suivi
d'abord du suffixe pronominal de la U^^ pers. , ce
qui fait zèbim; le second m représente ici le suffixe
du locatif, et êk est ce qu'on appelle le suffixe pré-
dicatif.
Ceux qui étudient le dialecte syrien sauront gré
à l'auteur de son travail considérable. En 1890 le
Journal de la Gypsy Lore Society publia un
„very valuable Syriac-Gypsy vocabulary", mais qui
n'était que de deux ou trois pages. Tout autre est
l'ouvrage dont nous rendons compte. Lors de son
séjour en Palestine M. Stewart Macalistkb a trouvé
parmi les Tsiganes un jeune homme intelligent qui
a voulu lui servir d'interprète, et qui lui a fourni
des textes abondants. Ces textes, notés avec soin,
permettront peut-être aux linguistes d'établir les
causes qui ont déterminé le caractère actuel du
dialecte. a. Kldyvkb.
Vin. E. Stromer von Reichenbach. Lehrbnch dar
Palaeoioolotfie, H. WirbelUere. Leipzig/Berlin. Teubner.
1912.
Der zweite Teil des bekannten Lehrbuchs der
Palaeozoologie erschien schon 1912, nachdem der
erste bereits 1909 erschienen war. Mit Vergnügen
bin ich bereit, auf Wunsch der Redaktion des Inter-
nationalen Archivs für Ethnographie das Buch auch
vom zoologischen Standpunkt anzukündigen, nachdem
- 41 -
dies vom palaeontologiscben schon früher geschehen
ist; denn es ist offenbar nicht weniger für Zoologen
als für Palaeontologen bestimmt. Immer enger wird
das Band zwischen diesen beiden Disziplinen. Mehr
und mehr werden die palaeontologischen Funde in
zoologische Hand- und sogar Lehrbücher eingefloch-
teu. Und zwar werden nicht nur die wichtigsten
fossilen Tiere in zoologische Bücher eingereiht wie
das ja schon längst geschieht, sondern die Funde
werden vergleichend-anatomisch, phylogenetisch und
Tier-geographisch verarbeitet. Ich brauche nur z.B.
an Weber's vorzügliches Lehrbuch .Die Säugetiere"
zu erinnern. Als Stroheb von Rbichenbach den
ereten Teil seines Buches publizieite, gab es meines
Wissens kein palaeontologisches Lehrbuch, welches
nun umgekehrt so sehr mit der Vergleichenden
Anatomie, Phylogenie ujb.w. und mit der Evolutions-
lehre Rechnung gebalten hat. Stbomkr hat mehr als
Jemand vor ihm fortwährend die rezente Tierwelt
vor Äugen gehabt und die Fortschritte der modernen
Zoologie in seinem Buche verarbeitet. Nun scheint
es mir sehr erwünscht, dass in gewissen Funkten
Einheit komme; so Hndet man z.B. in den meisten
palaeontologischen Lehrbüchern noch sehr viel 6e>
wicht auf die Heterocerkio gelegt, was nicht in
Einklang mit den Befunde der Entwicklung8-0e>
schichte ist. In Stbomcb's Buch ist dies vermieden.
Ebenso tritt die Oruppe der „Totracorallia" etwas
weniger auf der Vordergrund. Leider werden anderer-
seits die „Ganoiden" noch als grosse Oruppe .aus
praktischen Gründen" beibehalten. Dies kommt mir
nicht richtig vor. In einem Lehrbuch soll man aller-
dings etwas konservativ sein und keine grossen
Neuigkeiten einführen. Aber einmal wird das Ver-
altete doch unhaltbar.
Ein beträchtlicher Teil — etwa sechsig Seiten —
sind schliesslich allgemeinen palaeontologischen Be-
trachtungen gewidmet: , Faunenfolge, Tiergeographie
und Oekologie in der geologischen Vergangenheit"
u. 8. w.. Besonders lesenswerth ist das Kapitel über
(Palaeozoologie und Entwicklungstheorie". Es ist
denn auch kein Wunder dass die Zoologen das Lehr-
buch der Palaeozoologie mit Freuden begrüssen.
O. C. J. VOSMABB.
IX. J. W. Fewkej:. I Cua Orandl. Ariiooâ. Il Anti-
f «itiM «f tb« Upp«r Vard* Klvcrand Walnut Oreek VaUejrt ,
Ariwna. (28t>> Annual Report of the Bureau of American
Ethnology» Wash. 1912.
Die Altertümer des Gila- Tales im Süden des ameri-
kanischen Staates Arizona sind , wie im historischen
Teile der ersten Abhandlung ausführlich boschrieben
wird, schon seit Jahrhunderten bekannt und auch
gelegentlich untersucht worden. In den Wintern
1906—1907 und 1907—1908 wurde aber Verfasser
I. A. f. £. XXIII.
durch den Vorstand des Smithonian-Instituts mit
der systematischen Ausgrabung derselben beauftragt
und konnte er seine Untersuchung nach Wünsch
beenden. Sie erstreckte sich über mehrere von
Mauern umgebene Flächen, in welchen sich ver-
schiedene, zum Teil noch aufrechtstehende Gebäude
wie z. B. Casa Grande befanden. Die meisten wurden
aber bei der Blosslegung als niedrige, meterdicke
Ziegelmauern entdeckt. Diese Komplexe scheinen
als Zufluchtsorte, Wohnungen der Häuptlinge und
Zeremonialhäuser der auswärts in fast ganz ver-
schwundenen Hütten lebenden Ackerbauer gedient
zu haben. Von diesen Häusern wurden Pfahlenden
in ursprünglicher Lage und verschiedene, meist
steinerne Gegenstände der Bewohner aufgefunden;
dadurch konnte man sich über ihre Lebensweise
orientieren und auch Schlüsse über ihre Verwandt-
schaft mit Nachbarvölkern ziehen.
Die zahlreichen hübschen Tafeln tragen zum Ver-
ständnis des im Text Gesagten sehr bei; nur ist es
zu bedauern, dass die Grösse der vielen abgebildeten
Gegenstände nicht angegeben worden ist.
Erwähnung verdient der Fund eines Priestergrabes
mit Totenbeigaben und Zeichnungen auf den Krypt-
wänden, der Oberbleibsel von Adlerkäflgen und be-
deutender Spuren von ausgebreiteten Irrigations-
weihern und -Gräben.
Auch in den Niederlassungen wie Casa Grande
erlauben die Arten der ausgegrabenen Topfscherben
einen besseren Schluss auf Kultur und Verwandt-
schaft der ehemaligen Bewohner als viele anderen
arcbaeologischen Funde. Eine charakteristische Ver-
zierung leistet hier ebenfalls die besten Dienste.
Im letzten Kapitel entwirft Verfasser eine Schilder-
ung der mutmasfilichen Zugrichtungen dieser acker-
bauenden und ihrer benachbailen Stämme. Sie zeigen
viel Ot>creinkunft mit denen vom jetzigen Nord-
Mexico; durch die Täler der Verde und der Tonto-
Flüsse scheinen sie auf der Suche nach bessern
Ackern noch weiter nörd- und östlich gezogen zu
sein. Die zunehmende Versalzung ihrer Felder durch
langdauernde Irrigation soll vielleicht mehr als die
Anfälle von Feinden oder zunehmende Dürre zu
diesen Wanderungen veranl.-ust haben.
Eine Liste von mehr als 800 in Caea Grande ge-
sammelten Gegenständen ist als Appendix zu dieser
Abhandlung hinzugefügt worden.
Die zweite Abhandlung besteht aus einer Auf-
zählung, Abbildung und Beschreibung der in den
benachbaiten Verde und Walnut-Creek-Tälern vor-
kommenden Oberreste von menschlichen Wohnungen
und Befestigungen. Ausgrabungen wurden hier nicht
vorgeuommen und auch nicht alle anwesenden Ruinen
vollständig genannt. Da jedoch die charakteristischen
6
- 42 -
betrachtet worden sind und ausserdem die Meinung
des Verfassers über die daran sich knüpfenden Schlüsse
in bezug auf Verwandtschaften der hiesigen Stämme
mit denen von Casa Grande, der Pueblo's Apachen
u.a. erläutert wird, so bilden beide Aufsätze wert-
volle Ergänzungen zu einander. Das Studium der
Walnut-Creekruinen ist ausserdem an sich wichtig,
da ihnen bis jetzt keine eingehendere Bearbeitung
zu Teil geworden ist.
Es handelt sich hier an erster Stelle um befestigte
Plätze und Gebäude auf den Höhen, zum Zweck
der Verteidigung der in den Flächen in der Nähe
des Stromes ansässigen ackerbauenden Bevölkerung.
Das Alter der Ruinen konnte bis jetzt noch nicht
sicher festgestellt werden; es scheint aber nicht sehr
weit zurückzureichen, da ^durchziehende Missionäre
im achtzehnten Jahrhundert die Bewohner noch
angetroffen haben müssen.
Die mehr als hundert Tafeln, zum Teil mit ver-
schiedenen Bildern und ungefähr 70 Textfiguren,
tragen zur richtigen Beurteilung der wichtigen Unter-
suchungen des Verfassers sehr wesentlich bei.
A. W. NiKUWENHUIS.
X. NORTHCOTE W. Thomas. F. B. A. I. Anthropolo-
gical Beport on the Edospeaking peoples of Nigeria. Fart I
Law and Custom, II Linguisties. London 1910.
Anthropological Beport on the Ibo-speaking peoples
of Nigeria, Fart I. Law and Cnstom. II Dictionary. Ill
Vocabularies. London 1913.
Diese Werke beziehen sich auf einen Teil der
Neger-Bevölkerung im „Central Province" an beiden
Ufern des britischen Unteren Nigers; die Edo-
sprechenden Stämme wohnen rechts vom Niger, die
Ibo-sprechenden hauptsächlich am linken Ufer und
beide nehmen also den mittleren Teil des früheren
Benin ein. Sie sind an allen Seiten von andere
Sprachen redenden Völkern umgeben. Wie die Titel
der Bücher schon verraten , War die Erforschung der
Sprachen und der Literatur dieser Stämme Haupt-
sache; Verfasser hat sich aber während seines Auf-
enthaltes in den Jahren 1909, 1910 und 1911 nicht
nur mit seinen literarischen Studien befasst, son-
dern auch ein sachliches Bild von den anderen
kulturellen Besonderheiten dieser Neger entworfen.
Für das richtige Verständnis seiner literarischen Ver-
öffentlichungen war dies zweifellos angezeigt, stellt
den Ethnographen aber in den Stand, sich die Zu-
samraenlebungen einzelner dieser merkwürdigen
Negerstämme besser zu vergegenwärtigen.
Im ersten Teil über die Edo-sprechenden Stämme
werden I Language and People, II Religion and
Magie, III Marriage and Birth, IV Inheritance,
Adoption and Property, V Law and VI Kinship in
122 Seiten behandelt. Die Beobachtungen sind offen-
bar sorgfältig mehrmals sichergestellt und bilden als
Ganzes eine vertrauenswerte Skizze der Kultur dieser
Stämme. Die nicht immer eingehenden Schilderungen
erhalten dadurch einen besonderen Wert, dass sie
in den verschiedenen Dörfern nachgespürt und die
gefundenen Abweichungen alle angegeben worden
sind. Der grosse Unterschied zwischen den vielen
Sprachen in denselben Dörfern, auf einer relativ
kleinen Oberfläche verbreitet, bildet gewiss eine
collatérale Erscheinung.
Sehr wahrscheinlich lagen der Zusammenstellung
dieses und des zweiten Werkes an erster Stelle
praktische Zwecke zu Grunde, die bei den behan-
delten Gegenständen zweifellos erreicht worden sind;
eigentümlich berührt es dabei, dass die politische
Organisation dieser Stämme nur sehr spärlich er-
wähnt wurde; jedenfalls genügt dieses nicht, um sich
eine Vorstellung von den Verhältnissen auf diesem
Gebiet zu machen, was des Interesses wegen zu
bedauern ist. Bilder sind dem Werke nicht beigefügt
worden, wohl aber eine Karte der Verbreitung der
Edo-sprechenden Völker.
Der zweite, sprachliche Teil enthält eine ansehn-
liche Zahl Texte aus dem Edo selbst und den ver-
wandten Sprachen (128 Seiten), eine Edo-Sprachlebre
(12 S.), ein vergleichendes Wörterbuch (16 S.), in
welchem die Übersetzungen von englischen Wörtern
in den Sprachen der Edogruppe aufgezeichnet sind
und schliesslich eine Übersetzung von Edowörtern
und Ausdrücken (60 S.).
Die zweite Arbeit über die Ibo-sprechenden Völker
wurde nach dem Muster der vorigen eingerichtet;
sie ist aber etwas ausführlicher und illustriert, was
dem Werte des Ganzen zu Gute kommt und den
Text an verschiedenen Stellen angenehm erläutert.
Auffalligerweise ist auch hier nur sehr wenig in
bezug auf Verwaltung, Einteilung und Grundbesitz
eines Stammes aufgenommen worden, wenn auch an
mehreren Stellen Beobachtungen auf die Eigenarten
dieser Kulturelemente hinweisen. Unter den skiz-
zierten Zuständen giebt es verschiedene, die unsere
Aufmerksamkeit sehr verdienen; schon im Anfang
auf Seite 15 des ersten Teiles, der der Ethnologie
gewidmet ist, fällt uns die Berechnung der Kinder-
sterblichkeit auf, die Verfasser auf 50% anschlägt.
Später werden die Erscheinungen der Reinkarnation,
die unter einzelnen Stämmen besondere hervortreten,
besprochen. Nach der Aussage des Verfassers fand
er unter den Ibo-sprechenden Stämmen besondere
wenig Sagen und Erzählungen vor; von ethnologi-
schem Standpunkt interessiert es uns aber sehr,
dass er an der ersten Seite unter „Tradition and
Folklore" eine Mythe erwähnt, die die Erklärung
43 -
enthält , wie die Ackerbaugewachse aus den Körpern
von menschlichen Wesen entstanden seien, eine Über-
zeugung, die auch unter den ursprünglichen, malai-
ischen Völkern herrscht.
Der zweite, fast 400 Seiten starke Band, enthält
ein ,English-Ibo" und ein ,Ibo-Engli8h" Wörterbuch,
was eine wichtige Vervollständigung im Vergleich
zu denen des ersten Werkes bedeutet.
Der dritte Teil von 200 Seiten enthält „Proverbs,
Conversation, Narratives, 1 bo-Vocabularies" und eine
Ibo-Sprachlebre. In allen diesen Kapiteln ist der
einheimische Text angegeben und darunter buch-
stäblich übersetzt worden. Nicht nur für praktisch-
politische Zwecke, sondern auch für die Sprach-
wiasenschaft und Völkerkunde ist dadurch höchst
wertvolles Material veröffentlicht worden.
A. W. NiBUWENHCIS.
XI. Fay-Coopeb Coli. Traditions of the Tingnians.
A study of Philippine Folk-lore. (Field Museum. An-
thropological Series. Vol. XIV N». 1) Chicago 1915.
Während der R. F. Cummivos Philippinen-Expe-
dition hat Verfasser in 16 Monaten 91 Oberlieferungen,
ZeremonialsprOche und Fabeln unter dem Tinguian-
Stamm von Nord-West-Luzan gesammelt. Zum Teil
an Ort und Stelle, zum Teil mit Hilfe eines Tinguian-
Malaien in Amerika hat er diese Texte übersetzen
können. Diese Obersetzungen veröffentlicht er jetzt
■US «thnologiacben Rücksichten in diesem Band von
296 OkUT-Seiten.
In einer Einleitung von 32 Seiten hat er die eth-
Dograpbiachen , durch das Studium dieser Erzählungen
erhaltenen Ergebnisse zusammongefaast. Bei Acker-
bau, Viehzucht, Heirat u. s. w. sind seit deren Ent-
stehungszeit wichtige Veränderungen vor sich ge-
gangen, woraus abzuleiten ist, daes diese Periode
weit zurückliegt und die Folklore uns auch in Indien
wichtige Schlüsse auf frühere, sonst oft ganz unbe-
kannte Zuat&nde unter einem Volke gestattet
Deshalb ist es auch besonders wertvoll, dass die
ganze Sammlung sich auf einen einzelnen Stamm
baaiebt Natürlicherweise ist auch hier in Betracht
ffKOgen worden, daae Vermischung mit l>enachbarten
Stämmen möglich war. Sollte das Material liiei^u vor-
banden sein, so erwartet Verfasser von einem ver-
gleichenden Studium mit der Folklore andererStAmme
der Philippinen noch wichtigere Ergebnisse.
Die 31 Erzählungen aus der mythischen Vorzeit
nehmen weitaus den gröesten Raum (188 S.) ein;
sie sind offenbar buchstäblich nach dem Original
übersetzt worden, besitzen meistens ein sehr ein-
beiÜiehM Gepräge und liefern wohl die wertvollsten
Besonderheiten über die Kultur dieses Stammes in
langst vergangenen Zeiten. Sehr bezeichnend sind
die Qeachicbten 88 — 11 , die durch die Prie»terinnen
während bestimmter Zeremonien gesungen werden;
es zeigt sich, dass es in der Tat weniger Beschwö-
rungsformeln als kleine bezügliche Erzählungen sind,
die die Oeister zur Hilfe heranlocken sollen. Es
handelt sich hier also um dieselben Kulturerschei-
nungen wie bei anderen ursprünglichen malaiischen
Stämmen. Deshalb besitzen diese literarischen Pro-
dukte der Tinguian-Kultur feste, überlieferte Formen
im Oegensatz zu den anderen, die durch die Erzähler
immer mehr oder weniger nach ihrem eignen Ge-
schmack und Talent geändert werden. In bezug auf
Inhalt reihen sie sich ähnlichen unter anderen Ma-
laien an.
Aus literarischen Gründen ist es zu erhoffen, dass
Verfasser in der Lage sein werde, auch die ursprüng-
lichen Texte in der Tinguian-Sprache herauszugeben.
A. W. NiEUWKNHUIS.
XII. QoBI.NEAU's Rassenwerk. Aktenitüeke and Be-
trachtangon tnr Ooichioht« und Kritik de« „Etiai lar
l'inogalité des raeoa hniaainos" von L. äCHBMANN. Fr.
Frommans Verlag. Stuttgart. M. IO,öO.
Durch die Bewunderung, welche er für die Haupt-
lehren der GoBiNXAu'schen Arbeit, Ungleichheit der
menschlichen Rassen und Stellung der Germanen
an der Spitze derselben , und für die Persönlichkeit
des Grafen Gobineau hegte, getrieben, hat Verfasser
darüber ein Buch zusammengestellt, wie es wohl
nur selten über sehr hervorragende Gelehrten ge-
schrieben wird.
Die erste Hälfte von nicht weniger als 296 Seiten
sind dem Briefwechsel Oobinkau's mit hervorragen-
den Zeitgenossen und der Kritik, welche an sein
„Essai sur l'inégalité des races humaines" geübt
worden ist, gewidmet; das ganze Material ist nach
Ländern eingeteilt und besprochen worden und giebt
ein übersichtliches Bild von der Aufregung, welche
in wissenschaftlichen und anderen Kreisen die Er-
scheinung dieses sehr bedeutenden Werkes seiner
Zeit verursachte. Wer den Mut hat, diesen ersten
Teil durchzuarbeiten, wird einen starken Eindruck
von der Bedeutung des grossen Denkers und seiner
Arbeit erhalten und daneben nochmals bestätigt sehen,
welchen Schwierigkeiten neue Begriffe selbst in einer
sich neu bildenden Wissenschaft, wie die Ethnologie
damals war, begegnen.
Im zweiten, fast ebenso umfangreichen Teil werden
die Form, der Inhalt und die äusseren Umstände
der Entstehung des Werkes besprochen und in Be-
ziehung mit den damals herrschenden wissenschaft-
lichen Begriffen in allgemeinen Zügen vom Ver-
fasser kritisch erörtert. Er zeigt sich dabei, dass
Professor Schemann bei der grossen Verehrung für
seinen wissenschaftlichen Helden und bei der Be-
wunderung für sein System dennoch die Schwächen
- 44
beider sehr gut herausfühlt. Um seine Ausführungen
nach ihrem Wert schätzen zu können, spürt der
Leser aber immer wieder das Bedürfniss, das GoBi-
NEAu'sche Werlt selbst gründlich zu kennen.
Für jeden Forscher in der Entwickelung der Völker-
kunde und der Geschichte während des vorigen
Jahrhunderts wird diese Abhandlung über Gobineau
ein wichtiges Hilfsmittel zur richtigen Würdigung
der EoUe dieser hervorragenden Persönlichkeit auf
den Gebieten der Anthropologie, der Ethnologie,
Sociologie, Geschichte nnd Verwandtes bilden kön-
nen. Nur werden ihm nicht Alle den hier ihm
zugeteilten absoluten Wert für die ethnologischen
Wissenschaften beimessen, ebenso wenig wie sie
das Zutrauen in ein ständiges Steigen der Wichtig-
keit seiner Axiomen teilen werden.
A. W. NlEUWENHÜIS.
XIII. H. F. Steensby. Contributions to the Ethnology
and Anthropogeography of the Polar-Eskimos (Reprinted
from „Meddelelser ora Grönland" vol. XXXIV)
Copenhagen.
Zu den Eskimos, welche bis vor kurzem am wenig-
sten durch höhere Kulturen beeinflusst worden sind,
gehören zweifellos die nördlichsten, die Etah- oder
Cape- York Eskimos, welche abgeschieden von den
anderen die Halbinsel zwischen Mellvill-Bay und
Kane Basin bewohnen. Wie sich aus ihrer in dieser
Abhandlung vorkommenden Geschichte ergiebt,
haben sie ihre Lebensweise durch Berührung mit
der zivilisierten Aussenwelt, welche die Einfuhr von
Holz, Eisen, Waffen u. s. w. durch Tausch zur Folge
hatte, erst in den letzten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts einigermassen verändern können, aber
dennoch bis im Anfang dieses Jahrhunderts ihre
sehr primitieve Lebensart grösstenteils beibehalten.
Im Allgemeinen besitzen sie, ihrer Eiswüste an-
gemessen, eine Kultur wie die übrigen Eskimo-
stänime, aber es fehlten ihnen früher einzelne der
wichtigsten, man könnte denken unmissbaren Be-
standteile derselben, nämlich das Eskimoboot (kayak),
und damit die Möglichkeit des Fischens und der
Jagd auf offener See, Pfeil und Bogen, das Wurf-
brett, die Rentierjagt, die Salmfischerei und selbst
das Treibholz. Wunderbar zeigt es sich hier, mit wie
wenigen Hilfsmitteln sich der Mensch in diesen
Einöden hat behaupten können. Auch tritt die
Eskiraokultur von Süd-Grönland z. B. dieser gegen-
über als hochentwickelt hervor. Jetzt hat die Ver-
breitung von Böten, Pfeil und Bogen unter ihnen
(seit + I860) und die Begegnung mit Europäern und
Amerikanern vieles umgestaltet.
Es scheint, dass die bemerkenswerte Rückständig-
keit dieser Stämme von ihrer Herkunft aus dem
Innern des amerikanischen Pestlandes und von den
physischen Verhaltnissen ihrer nördlichst gelegenen
Wohnorte abhängig gewesen ist. Natürlicherweise
ist gerade deshalb die hier gegebene ausführliche
Beschreibung ihrer Lebensweise und Hilfsmittel in
Verband mit dem Wechsel des Klimas im Lauf eines
Jahres desto interessanter.
Ausdrücklich wird hervorgehoben , dass diese Men-
schen weder an Intelligenz noch an Fertigkeit den
anderen Eskimos nachstehen und dass gerade sie
den letzten Polarforschern wie Pkaby u.a. nicht zu
ersetzende, wichtige Dienste geleistet haben.
Weil der Verfasser nicht nur seine eigenen For-
schungsergebnisse unter diesen Etaeskimos ausge-
arbeitet, sondern dabei auch die früheren Angaben
über sie vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
an verwendet hat, so besitzen wir in dieser Ab-
handlung einen wichtigen zusammenfassenden Beiti^ag
zur Ethnologie dieser besonders bemerkenswerten
Stämme. Nicht nur an sich ist Dies von grossem
wissenschaftlichen Wert; auch für die Kenntniss
von Kulturen auf niedrigster Entwickelungsstufe ist
es sehr wichtig.
Wie in so mancher Untereuchung über niedrig
stehende Völker fehlt auch hier leider ein wichtiger
Teil ihrer gesellschaftlichen Erscheinungen, — die
pathologischen Verhältnisse unter diesen Menschen.
Ihre geringe Zahl wird hier wie so oft an erster
Stelle den dürftigen Ernährungsumständen zuge-
schrieben; aber auch diese äussern sich denn doch
schliesslich in Krankheitserecheinungen, welche
ausserdem auf hygienischen Verhältnissen und Ge-
wohnheiten beruhen.
Für die Zunahme einer Bevölkerung siud sie von
hervorragender Wichtigkeit.
Eine eingehende Betrachtung dereelben würde uns
vielleicht auch eine Erklärung dafür gegeben haben ,
weshalb auch diese Stämme in den letzten Jahren
so sehr stark an Zahl abgenommen haben, worüber
wir jetzt in diesem Buche nichts erfahren.
A. W. NlEÜWENHÜIS.
XIV. J. P. Kleiwkg de Zwaan, Die Insel Nias bei
Sumatra III, Anthropologische Untersuchungen über die
Niasser. Maitinus Nyhoff. Haag 1914.
Verlevendigd door 1 kaart, 118 afbeeldingen, 8
krommen en 26 tabellen zun in dit boek de uitge-
werkte waarnemingen vervat, die Dr. Kleiwkg de
ZwAAN op zijn onderzoekingsreis naai- Nias over de
lichamelijke kenmerkeu van deze eilanders kon büeen-
brengen. Wilde men het meest kenmerkende van
dezen doorwrochten arbeid aangeven, dan zouden
daarvoor de 26 tabellen der lichaamsmaten van 1298
Personen, die ieder 44 kenmerken, dus gezamenluk
57000 in gefallen opleverden, op den voorgrond ge-
plaatst kunnen worden. Inderdaad, de sterkste indrak,
- 45 -
dien men na de lazing behoudt, is wel deze: wat
heeft de schrvJTer zieh een moeite getroost, om zijn
belangrük, maar niet altüd aantrekkelük niateriaal
door rationeele en veelzijdige bewerkingtotzün reclit
te doen komen. Hoewel zieh verheugende in daar-
Toor bijzonder gunstige omstandigheden , heeft htj
toch een mate van belangstelling en doorzettings»
vermögen bü het berekenen en uitgeven dier tal-
looze cyfere aan den dag gelegd, die niet alledaagsch
is. Hetzelfde kan gexegd worden over het gebniik,
dat van de literatuur gemaakt: deze werd daarvoor
uitvoerig nagegaan en aangewend. Door deze eigen-
schappen kan ook van dit boek over Nias getuigd
worden, dat het onder die over den Oost-Indischen
Archipel eenig in zun soort is. De waarde van het
boek wordt nog vermeerderd door de uitgebreide
kennis, die de beer db Zwaan van de Menang-
kabauers bezit, zoodat by met zaakkennis een ver-
geiyking tusschen dezen twee Maleische volken heeft
kunnen maken.
Wat den inhoud van dit boek belreft, die is ver-
deeld over achttien hoofdstukken, in ieder van welke
een afzonderiyke groep büzonderheden aangaande
liet voik als geheel en byzondere personen beliandeid
wordt: by v.: !<>. overlevêringen omirent de afstam-
ning der Niaasers; 2^. vroegere wetenschappeiyke
uitspraken daaromtrent: 8". algeroeene beschryving
der lichaamsvonnen ; 40. eigen onderzoekingen over
uiteriyke lichaamskenmerken : 5o. dactyloscopie ; 6f.
oogen en beharing; TO. afmetingen van het hoofd;
8i>. bespreking der lichaamsmaten enz..
Hoofdstuk U verdient byzondere vernielding, daar
hierin besproken worden de vervaardigingswyze en
de eigenschappen der gipaniasken , die Dr. di Zwaan
ook nu weer ten getale van 64 heeft woten te maken.
Deze zun op 11 platen aan het einde afgebeeld en
getuigen van de voortreflTeiyke wyze, waarop men
hier een en ander niet te bereiken juisten indruk
van dezen volkstam verkrygen kan.
In dasen zelfden gedachtengang en vooral by een
werk, waaraan zooveel zorgen ter wille van het
wetenschappeiyk reeultaat besteed syn, mögen de
af beeldingen naar pbotograpbieche opnamen nog wel
ter aprake worden gebracht. Er zyn er niot minder
dan 118, alle in autotypie. Deze voldoen voor een
gedeelte aan de behoefte tot illustreering van alge-
meene lichaamskenmerken, voor een ander deel zyn
tJi daarvoor geheel onvoldoende. Dit ligt gedeelteiyk
aan het te kleine formaat, vooral van verscheiden
groepen, verder aan het te grove raster, dat voor
de vervaardiging gebruikt is en ten slotte daaraan ,
dat zy alle in den tekst gedrukt zyn. Zooais in den
aanhef reeda gezegd werd, de vele plaatjes dragen
zeker tot aardige opsiering van het boek by, maar
bedenkt men, boeveel wetenschappelüke byzonder-
heden er op die manier verloren gaan, dan kan men
zulks slechts betreuren.
Een eigenaardige kyk op de omstandigheden, waar-
onder Dr. dk Zwaan moest werken, verkrügt men
door de afwezigheid van vrouwen onder de 1298
mannen, die door hem anthropologisch onderzocht
konden worden. Daarom worden de vrouwen slechts
bebandeld voor zoover van haar zichtbare kenmeiken
konden worden vermeld.
By het uitwerken zyner gegevens moet het voor
den sehryver weinig opwekkend geweest zyn, niet
meer positieve uitkomsten van wyder strekking te
kunnen vaststellen, dan hier het geval is. Zonder
twyfel is het op zichzelf reeds aantrekkeiyk en weten-
schappeiyk van gewicht, de uitkomsten zyner waar-
nemingen in goed omschreven vorm voor zieh te
zien. De ondei'zoekingen hebben echter ten dool,
een beter inzicht in de anthropologische verhoudin-
gen onder de behandelde volkstammeu zolf en in
hun Stelling tegenover andere te verkrtjgen. Dit nu
is slechts tot op zekere hoogte hier bereikt kunnen
worden: vaststaande besluiten daaromtrent kon de
beer db Zwaan zelfs slechts enkele trekken. In dat
opzicht zyn zyn uitkomsten te vergeiyken met die
der geheele physische anthropologie, wier aanvan-
keiyke, meer algemeene uitspraken by uitgebreidor
en dieper onderzoek minder en minder als goldig
bleken gehandhaafd te kunnen worden.
A. W. NlEÜWENHÜIS.
XV. N. Adbiani en A. C. Kruyt. De Baréaipra-
ktnda Toradjk'i vsn Kiddra-CalabM, III. Taal- an letter-
kandige SchaU dar Barea'tsAl an ovarxieht van hat tutl-
gabiad Calabaa — Zaid-Hklmaheira,
(Sprachliche- und Literarische Skizze der Barée-
Spracbe und Obersicht des Sprachgebietes von Celebes
bis SOd-Halmaheira). Hit einer Sprachkarte. Batavia
19U.
Als dritter und letzter Teil dieses gediegenen
Werkes über Mittel-Celebes ist Jetzt diese Abhandlung
über die Sprachen von Ost-Mittel-Celebes und den
Nachbargebieten erschienen. Sie bildet das Resultat
der jahrelangen Forschung des Herrn Dr. N. Adriani,
der sich im Jahre 1894 unmittelbar nach seiner
Promotion zum Doktor der indonesischen Sprachen
zum Zweck einer Bibelübersetzung und der dazu
nötigen Vorarl>eiten in Mittel-Celebes ansiedelte.
Unter lebhafter Teilnahme an der von Herrn Dr.
A. C. Krdyt am Possosee geleiteten Missionsarbeit
hat er sich seitdem mit Talent seiner Aufgabe
gewidmet.
Im Lauf der Jahre sind schon eine Menge lite-
rarische Veröffentlichungen aus diesem Gebiet von
seiner Hand erschienen; in das jetzt vorliegende Werk,
- 46
das eine überaus grosse Sammlung von literarischen
Produkten der Toradja und allgemeiner gehaltenen
Angaben über weiter östliche Sprachen mitsammt
der Resultate seiner bezüglichen Studien enthält, sind
jene aber nicht wieder aufgenommen worden; nur
wird an mehreren Stellen mit Angabe der Titel u.s.w.
danach verwiesen. Dennoch umfasst dieser stattliche
Band mehr ais 700 Seiten und legt also ein sprechendes
Zeugnis für die Menge des gesammelten und, wie
der Inhalt zeigt, sehr eingehend durchgearbeiteten
Materials ab.
Verfasser hat sich nicht auf sein eigenes Studium-
gebiet beschränkt, sondern auch die in der Literatur
schon bekannten oder auf seine Anfrage von vielen
Beamten und Offizieren gesammelten sprachlichen
Daten berücksichtigt. Dadurch gibt dieses "Werk
den jetzigen Stand unserer Kenntnisse von dem
indonesischen Sprachgebiet östlich von der Insel
Borneo an. Natürlicherweise ist dabei vieles aus
Mangel an gutem ßeobachtungsmaterial lückenhaft
geblieben; einem sehr geschulten Literaturen, wie
Verfasser, bot das ihm Bekannte jedoch manches,
woraus er wenigstens fundamenteile Schlüsse ziehen
konnte. Dieses wird am besten durch die beigegebene
Sprachkarte der Insel Celebes, in welcher die Ver-
breitungsgebiete von etwa 50 einheimischen Sprachen
angegeben worden sind, bewiesen. Seine Betracht-
ungen über Dr. Brandes' Sprachgrenze im Malaiischen
Archipel zeigen uns ausserdem, über wie viel grös-
seres Material er jetzt verfügte als jener im Jahre
1884.
Weitaus der umfangreichste Teil des Buches ist
der Bare'e- Sprache an sich gewidmet; die erste Hälfte
bezieht sich auf ihre sprachlichen Eigentümlichkeiten
und ihr Verhältnis zu den Nachbargebietsn ; die
zweite auf die Literatur der Bare'e-Sprache.
In einer ethnographischen Zeitschrift wie diese
ist man zu einer Besprechung der letzten Hälfte
am ehesten geneigt; die Wichtigkeit des hier Ge-
botenen zwingt uns in diesem beschränkten Raum
ausserdem, nur diese zu behandeln.
Unsere Bewunderung für das Sammeltalent des
Verfassers und seine vorzügliche Bearbeitung bei
Seite lassend, fällt es an erster Stelle auf, welch
eine ausgebreitete Literatur primitive malaiische
Stämme wie diese Toradja besitzen. Dr. Adriani
erwähnt, dass er schon ungefähr 300 Prosastücke
nebst einer Menge Poesie früher veröffentlicht oder
hier aufgenommen hat. Da die Toradja weder lesen
noch schreiben können, sind diese alle durch münd-
liche Überlieferung in der Literatur der Stämme
bestehen geblieben.
Die meiste Proza besteht aus Erzählungen ver-
schiedenster Art, wie man sie auch von anderen
Malaien, wenn auch nicht in so grosser Zahl kennt
Tieren (hier an erster Stelle dem Gespenstaffen, Tar-
sius spectrum), Geistern und Göttern, Riesen, auch
Kopfjägern kommt in diesen Geschichten die Haupt-
rolle zu. Diese Prosastücke dienen den Toradja in
bestimmter Jahreszeit zur Unterhaltung. Eigentüm-
licherweise ist diese nur während der Erntezeit
erlaubt, sonst verboten; weniger strenge Leute er-
lauben sich diesen Zeitvertreib bis zum Anfang der
nächsten Ackerbauarbeiten. Demnach dauert diese
Periode 3 oder 5 Monate.
Bei der Behandlung der vielen Prosastücke hat
Verfasser den Inhalt im Niederländischen angegeben,
den Toradjatext, der sich im Mundo eines jeden
Erzählers ändert, aber weggelassen; nebenher hat
er sich ausführlich über manche ethnographischen
und soziologischen Besonderheiten ausgesprochen.
Zum Studium der Psychologie dieser Stämme, ihrer
Überzeugungswelt und gesellschaftlichen Einricht-
ungen erhalten wir dadurch ein sehr wertvolles
Arbeitsfeld.
Dies gilt ebenfalls von der poetischen Literatur;
Verfasser hat sich aber bestrebt, die Toradjatexte
nebst Übersetzung des Inhalts zu veröffentlichen.
Wenn auch diese Texte 'im Munde verschiedener
Männer und Frauen Abweichungen, oft selbst
ziemlich grosse, aufweisen, so war es doch leichter,
hier einen Normaltext anzugeben. Die poetischen
Litaneien, die bei der Religion so viel Verwendung
finden, sind auch ziemlich fest in Form, nur sehr
wechselnd in Vollständigkeit.
Über die erforderlichen Eigenschaften eines Toradja-
gedichtes äussert sich Verfasser folgendermassen :
Der Rythmus ist die erete Anforderung, der ein
Gedicht der Toradja genügen muss. Alle poetischen
Erzeugnisse müssen sich für den rythmischen Vor-
trag eignen; die Vorstellung, dass man Poesie für
sich geniessen könne, ist den Toradja ganz fremd.
Ein Fehler im Rythmus wird daher von den takt-
festen Toradja sofort bemerkt. Poesie wird meistens
singend vorgetragen , aber Recitativ und Gesang sind
noch nicht geschieden; Melodien ohne Worte kennt
man nicht. Der Rythmus ist daher ebenso sehr die
Seele des gesungenen Vortrags als des Vortrags
ohne Gesang.
Das Versmass der Gedichte hat im allgemeinen
einen trochäischen Charakter. Das wundert uns nicht
bei einer Sprache wie das Bare'e, das zweisilbige
Stammwörter so stark bevorzugt, dass es keine
anderen einsilbigen Wörter kennt als pro- und en-
klitische, die, wenn sie ab und zu selbständig vor-
kommen, stets zu zwei Rylben ausgedehnt werden.
Da die Betonung im allgemeinen auf die vorletzte
Sylbe fällt, bildet jedes Stammwort rythmisch einen
— 47 -
TrocbAus. Dies vorleiht dem Rythmus der Bare'e-
Poesie den obenerwähnten Charakter.
Dass auch andere Masse vorkommen, wird sich
bei der Behandlung der verschiedenen Dichtarten
zur Genüge ergeben, sie bleiben jedoch stets in der
Minderheit.
Die zweite Anforderung ist die des Reims. Dieser
ist aber nicht für alle Dichtarten notwendig. In der
raego- und in der «ourafce- Poesie , im dulua- und
im (engke-^ang ist meistens kein Reim zu bemerken,
auch bei anderen Gesängen fehlt er bisweilen. Aber
die kajori- und boiingioni-Poesie bedingt den Reim
und diese Dichtarten sind die populärsten.
Eine viel weniger strenge Anforderung, als die
beiden vorhergehenden, ist der Parallelismus. Man
bedient sich hauptsächlich in der religiösen Poesie
des Parallelismus. In den wuroÄs-Gesängen ist er
entachleden Regel; auch in den tengke- und pompe-
Mofa-Gesftngen kommt er häufig vor. Er dient also
an erster Stelle, um dem Satz einen Rythmus zu
verleihen, indem die Sätze länger und schwerer
werden und ganz im Oleichgewicht bleiben. Jedoch
auch bei der leichteren Poesie tritt nicht selten
PantUelismuB auf. Hier hat er jedoch den Zweck,
dem Dichter Gelegenheit zu geben, seine Sprach-
kenntnisse zu beweisen, da der Paralleleatz aus
WechaelwOrtern der Ausdrücke aus dem ersten
Sftts bestehen muss. Diese aus dem gebräuchlichen
Vorrat zu wählen oder aus den weniger bekannten
Synoniemen der Priestereprache oder aus einer der
Nachbarsprachen der Bare'e, die ihm bekannt ist,
oder nach eigener Ei"findung Umschreibungen und
Sprachbilder zu formen, ist für einen geübten
Toraclja-Sprachkünstler eine dankbare Arbeit, denn
solche Beweise von Gabe wissen die Zuhörer sehr
zu schätzen.
Wie vielseitig diese doch so wenig entwickelten
Toradjastämme die Poesie anzuwenden lieben, zeigen
die vielen Gruppen von Verfassers Einteilung. Er
untei-scheidet unter I literarische Poesie 6 Gruppen,
unter II Tanzpoesie 1 Gruppe, unter III Kriegs-
poesie 2 Gruppen, unter IV religiöse Poesie 4 Gruppen
und unter V Kinderpoesie 2 Gruppen. Sie werden
alle in ungefähr 250 Seiten mit vielen Beispielen
behandelt. Es sind wohl wenig schriftlose Völker
in ihren literarischen Produkten so eingehend er-
forscht worden, wie diese Toradja von Herrn Dr.
Adrian'i. Hat Verfasser dadurch ein beredtes Zeugnis
für ihre geistige Lebhaftigkeit und Leistungsfähigkeit
abgelegt, so gewinnen wir zu gleicher Zeit die
erhebende Oberzeugung, dass er mit grosser Men-
schenliebe und ernstem Pflichtgefühl wfihrend diesen
langen Jahren erfüllt gewesen sein muss, um die
überaus gro«sen Schwierigkeiten, die sich der Voll-
endung eines solchen Werkes entgegen setzten,
überwinden zu können.
A. W. NlBÜWBNUÜIS.
INT. ARCH. F. ETHNOGR. Bd. XXIII.
TAF. I.
Litauische Musikinstrumente. S. 1—8.
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INT. ARCH. F. ETHNOGR. Bd. XXIII.
TAP. VIII.
Balinesische Farbenzeichnungen. S. 14. Serie 1865/27.
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DIE VERANLAGUNG DER MALAIISCHEN VÖLKER
DES OST-INDISCHEN ARCHIPELS
VON
Prof. Dr. A. W. NIEUWENHUIS (Leiden).
UI. Das Logische Denken A.
Fortsetzung.
Die Geometrie.
Wenn wir uns von den Formen des Denkens, die der Geometrie zu Grunde liegen,
an der Hand von Prof. Heyman's Ausführungen Rechenschaft geben wollen, so zeigt sich
Folgendes:
Die Geometrie verfährt, wie die Arithmetik, im Grossen und Ganzen deduktiv, indem
sie von allgemeinsten Grundsätzen (Axiomen) ausgeht, und ihre Lehrsätze als Folgerungen
aus diesen Grundsätzen darstellt. Über die Frage, wie viele und welche Grundsätze zur
Begründung der Geometrie erforderlich seien, herrscht Streit; jedenfalls werden dazu aber
Sätze gerechnet wie- diese: dass eine gerade Linie durch zwei beliebige ihrer Punkte be-
stimmt werde und dass durch einen Punkt ausserhalb einer geraden Linie nur eine derselben
parallele Linie gezogen werden könne. Wir wei"den damit anfangen müssen, uns über die
Natur dieser Grundsätze und der darauf gebauten Beweisführung vorläufig zu orientieren.
Dass die geometrischen Axiome apriorischer Natur sind, kann nicht bezweifelt werden.
Denn apriori heisst „über das Gegelx-ne hinausgehend"; die geometrischen Axiome gehen
af)er offenbar über das Gegebene hinaus. Denn erstens kommt denselben Apodikticität
zu: wir sind nicht nur Oberzeugt, dass es keine gerade Linie giebt, welche nicht durch
zwei beliebige ihrer Punkte bestimmt wird, sondern wir behaupten auch, dass es eine
solche nicht geben könne. In der Erfahrung ist uns aber immer nur Tatsächlichkeit, nicht
Notwendigkeit gegeben.
Als apodiktische Sätze haben femer die geometrischen Axiome absolute Allge-
meinheit; sie gelten gleichmässig fQr Wahrgenommenes und Nichtwahi-genommenes, und
behalten selbst für dasjenige, was infolge zeitlicher und räumlicher Entfernung, unend-
licher Grösse wler unendlicher Kleinheit nicht wahrgenommen werden kann, ihre volle
Gewissheit. Drittens aber kommt den geometrischen Axiomen vollkommene Exaktheit
zu; demzufolge auch den daraus abgeleiteten quantitativen Sätzen absolute Richtigkeit,
d. h. Richtigkeit bis zu einer willkürlichen Anzahl von Dezimalen, zugeschrieben wird.
Wir wissen z. B., dass die Winkelsumme des Dreiecks 180° ist, nicht etwa mit einem
möglichen Fehler von einigen Hunderteln oder Tausensteln einer Sekunde, sondern eben
ohne möglichen Fehler, vollkommen genau. Offenbar geht auch in dieser Hinsicht unser
I. A. f. E. XXIII. 7
— 52 —
derselben parallele (in der nämlichen Ebene liegende und dieselbe nicht scheidende)
Linie konstruieren.
Die RiEMANN-HELMHOLTz'schen Untersuchungen haben bewiesen, dass aus diesen wenigen
Elementarüberzeugungen die ganze gewaltige Masse des geometrischen Wissens sich aufbaut.
Die Frage nach dem wesentlichen Inhalte unseres elementaren räumlichen Wissens
wäre damit erledigt. Jetzt kommt die andere : wie die Tatsache dieses Wissens zu erklären
sei? Ihren Grund findet dieselbe in der Einsicht, dass dieses Wissen apriorischer Natur ist,
d. h. dass es über die gegebene Erfahrung hinausgeht.
Wie lässt es sich nun erklären, dass wir, in dem wir für die Beobachtung der Ver-
hältnisse in unserem Räume über relativ mangelhafte Mittel verfügen, dennoch für die
Lehrsätze unserer Geometrie notwendige und vollkommen exakte Wahrheit in Anspruch
nehmen? Warum fordern wir bei einer mathematischen Beweisfühning nicht jene peinliche
Sorgfalt der Messungsmethoden, jene gewissenhafte Ausschliessung störender Umstände,
ohne welche keine physikalische Beweisführung uns überzeugen kann? Warum endlich hat
die mathematische Naturwissenschaft, welche bei allen ihren Untersuchungen die Gkîltung
der Axiome bis ins Gebiet des unmessbar Grossen und des unmessbar Kleinen voraussetzt,
niemals das Bedürfnis empfunden, sich durch eingehende Messungen, so weit es möglich
war, von der Richtigkeit dieser Voraussetzungen zu überzeugen? Es sind zur Erklärung
dieser Besonderheiten mehrere Hypothesen aufgestellt worden; keine von diesen ist so gut
im Stande dieselben zu erklären wie die Hypothese Kant's:
Auf obige Fragen lässt sich vielleicht eine Antwort finden, wenn wir uns erinnern,
dass dasjenige, was wir wahrnehmen, nicht als identisch mit den ausser uns existierenden
Dingen selbst, sondern nur als eine Wirkung dieser Dinge auf unser Wahrnehmungsver-
mögen aufgefasst werden kann. Für bestimmte Gebiete ist diese Vermutung schon von
der empirischen Naturwissenschaft bestätigt worden. Dieselbe nimmt an, dass unsere
Farben- und Tonempfindungen durch mechanische Prozesse in der Aussenwelt, welche also
an sich mit Ton und Farbe wenig zu schaffen haben, veranlasst werden; dass demnach
jede gegebene Empfindung aus dem Zusammenwirken dieses mechanischen Reizes mit der
bleibenden, eben auf Ton- und Farbenempfindung eingerichteten Organisation unseres
Wahrnemungsvermögens resultiert.
Nun ist es allerdings wahr, dass wir uns des Besitzes einer solchen Erkenntnis nicht
klar und deutlich bewusst sind ; es könnte aber dennoch sein, dass dieselbe, wie so manche
andere (man denke etwa an die vielen Momente, die wir unbewusst bei der Schätzung der
Entfernung gesehener Objekte in Anschlag bringen), unter den unbewussten oder halfl)*--
wussten Grundlagen des bewussten Denkens eine Rolle spielte; dass also der Geist,
ohne sich davon mit Worten Rechenschaft ablegen zu können, in der gegebenen Erfahrung
den vom Subjekte herrührenden Allgemeincharakter von dem spezifischen, dem einwir-
kenden Objekte zuzuschreibenden Inhalte zu unterscheiden und diese Unterscheidung logisch
zu verwerten vermöchte. Dann wäre für die Existenz apriorischer, auf gegebene Erfahrung
sich beziehender Gewissheit jedenfalls eine Möglichkeit der Erklärung gefunden; denn diese
Gewissheit liesse sich dann vielleicht so begreifen, dass sie eben nur jenen vom Subjekte
herrührenden Allgeraeincharakter der Erfahrung beträfe. Damit wäre aber ihre apriorische
Natur erklärt, denn alle gegebene Erfahrung muss sich offenbar den Bedingungen fügen,
welche in der Einrichtung unseres Wahrnehmungsvermögen selbst begründet sind.
Das Vorhergehende möge dazu dienen, die von Kant aufgestellte Hypothese, dass
— 53 —
auch die raumliche Natur der Erscheinungen überhaupt zur „Form"
derselben gehöre, also rein subjektiven Ursprung sei, zu erläuteren. Zur
Begründung dieser Hj'pothese werden von Kaxt, ausser der Tatsache der apriorischen
Gewissheit der geometrischen Grundsätze, noch folgende Erwägungen angeführt. Ei-stens:
wenn unsere Erkenntnis des Raumes aus dem Inhallte der Erfahrung stammte, so müsste
sie, da der Raum als ein Ganzes sich nicht wahrnehmen lässt, aus den einzelnen Raum-
erfahrungen abstrahiert sein. Dann könnten wir aber den Raum nicht als einen einzigen,
der alle besonderen Räume in sich befasst, noch auch als eine unendliche Grösse denken,
denn der Allgemeinbegriff befasst niemals seine Exemplare als Teile in sich und der aus
verschiedenen Grössen abstrahierte Begriff kann unmöglich eine bestimmte Grösse als
Merkmal in sich schüessen. Sodann hegt aber auch jeder einzelnen Raurawahrnehmung
schon die Vorstellung des Raumes überhaupt zu Grunde; damit ich etwas räumlich bestim-
men kann, muss mir das Raumschema zu Gebote stehen. Demnach kann die Vorstellung
des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äusseren Erscheinung durch Erfahrung erborgt
sein, sondern diese äussere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allerei-st
möglich.
Zweitens ist der Raum eine notwendige Vorstellung. Man kann sich niemals eine
Vorstellung davon machen, dass kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken
kann, dass keine Gegenstäntle darin angetroffen werden. Auch diese sonst schwer zu
erklärende Tatsache Hesse sich begreifen, wenn der Raum sich zur gesammten äusseren
Erfahrung ähnlich verhielte wie die Farbe zur Gesichtswahrnehmung. Kant schliesst: „der
(iaum ist nichts anders, als nur die Form aller Ei-scheinungen äusserer Sinne d. h. die
.subjektive Bt>dingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äussere Anschauung möglich
ist. Weil die Recepti\ität des Subjekts, von Gegenständen afflcirt zu werden, noth-
wendiger Weise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht, so lässt sich verstehen,
wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin a priori
im Gemüthe gegeben sein könne und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle Gegen-
stände bestimmt werden müssen, Principien der Verhältnisse derselben vor aller Erfahrung
enthalten könne."
Die Raumlehre Kant's gehört zu den kühnsten Hypothesen aus der ganzen Geschichte
der Wis.s«'nschaft ; nicht mit Unrecht wurde dieselbe von ihrem Urheber der heliozen-
trischen Hypothese Copernicus' an die Seite gestellt. Denn genau so wie diese, erklärt
auch jene das an bestimmten Objekten Wahrgenommene dadurch, dass sie es einem ganz
verschiedenen Objekte, an welchem es nicht wahrgenommen wird, zuschreibt. Genau so
wie die copemicanische, findet dann auch die Hypothese Kant's ihren schlimmsten Feind
in dem gegebenen Sinnenschein, welchem sie sich widersetzt. Mit gleicher Entrüstung
führte man gegen Kant an: wie, dieser unendliche Raum, der alles Bestehende in sich
schlir^sst, sollte blosser Schein sein und ich, der ich mich als ein unendlich kleines Objekt
im Raum kenne, sollte die ganze Vorstellung dieses Raumes aus mir hei-vorgebracht haben ?
Diesen fast unüberwindlichen Sinnenschein gilt es nun vor Allem, durch Hinweisung
auf oDaloge Fälle und durch Betonung desjenigen, was die Kantische Hypothese zur
Erklärung gegebener Tatsachen leisten könnte, seines Gewichtes zu berauben. Jenes kann
wieder am Besten durch die Erinnerung an Farben- und Tonemplindungen geschehen, deren
rein subjektive Natur dem unwissenschaftlichen Denken genau so widersinnig erscheint,
wie die entsprechende Eigenschaft der Raumvorstellung. Was die Leistungsfähigkeit der
— 54 —
betreffenden Hypothese anbelangt, mag nur bemerkt werden, dass dieselbe einzig und
allein im Stande zu sein scheint, die seit Jahrtausenden feststehende und von keinem
denkenden Menschen bezweifelte Evidenz des mathematischen Wissens als eine sachlich
begründete nachzuweisen. Das mathematische Wissen ist, wie die Untersuchungen Riemann's
und Helmholtz' bewiesen haben, synthetischer Natur; dennoch beansprucht es, wie die
tägliche Erfahrung des Denkens lehrt, absolut allgemeine, notwendige, exakte Geltung.
Wenn es sich aber auf ein ausser uns Existierendes, also auf den Inhalt der Erfahrung,
beziehen sollte, so müsste es aus Einzelwahrnehmungen, denen niemals Notwendigkeit und
Exaktheit zukommt, entstanden sein; es müssten also aus nicht notwendigen und nicht
exakten Prämissen notwendige und vollkommen exakte Schlussfolgerungen abgeleitet worden
sein und es ist klar, dass dieses nicht nach logischen Gesetzen hätte stattfinden können.
Wenn dagegen die geometrischen Grundsätze nur auf die Rezeptivität des Subjekts, also
auf etwas rein Psychisches, sich beziehen sollten, so wäre eine vollkommen genaue Erkenntnis
derselben wenigstens denkbar, dann aber auch die Überzeugung, dass sie für alle räumliche
Erfahrung notwendig gelten müssen, erklärt.
Wir sehen nun wohl ein, dass wenn das geometrische Wissen logisch begründet sein
soll, die elementaren Urteile, welche demselben zu Grunde liegen, nicht auf objektive
sondern auf subjektive Daten sich beziehen müssen. Aus welchen subjektiven Daten aber
und wie aus diesen subjektiven Daten das geometrische Wissen entsteht, darüber sagt die
Kantische Lehre nichts. Um sie zum Range einer der Verifikation fähigen Hypothese zu
erheben, müsste derselbe demnach näher präzisiert werden.
Vor allem werden wir zu untersuchen haben, welchem Sinne wir eigentlich die Daten
verdanken, welche in letzter Instanz unserer Raumerkenntnis zu Grunde liegen. Man
könnte sich veranlasst fühlen zu meinen, dass nicht ein einziger Sinn, sondern dass alle
oder doch mehrere Sinne, jeder für sich, uns räumliche Daten zuführen. Ort und Gestalt
wahrgenommener oder vermuteter Gegenstände beurteilen wir nach Tast-, Gesichts-, Bewe-
gungs-, teilweise auch nach Gehörs- und Geruchseindrücken. Es lehrt aber schon eine
oberflächliche Erwägung, dass keineswegs allen diesen Eindrücken an sich schon räumliche
Bedeutung zukommt, sondern dass mindestens einige derselben nur durch Erfahrung und
Association mit anderen Eindrücken für die Orientierung im Räume Bedeutung gewinnen.
So ganz besonders die Gehörs- und Geruchseindrücke. In den Daten der Gehörs- und Ge-
ruchsempflndungen an und für sich ist uns nichts Räumliches gegeben; in einem Menschen,
der nur über Gehörs- und Geruchsempflndungen verfügte, könnte die Raumvorstellung
nicht entstehen.
Ähnliches scheint von den Tasteindrücken, sofern sie nicht durch Be wegungseind rücke
unterstützt werden, also von den reinen Hautempfindungen, zu gelten. Die wesentlichen
Daten, welche uns mit dem Dasein und den Eigenschaften des Raumes bekannt machen,
werden also entweder in dem Gebiete der Gesichtsempfindungen, oder in demjenigen der
Bewegungsempfindungen, oder aber in beiden zu suchen sein. Zur Beantwortung der Frage,
welche von diesen drei Möglichkeiten angenommen werden muss, erinnern wir eretens an
die wichtige, schon früher erwähnte Tatsache, dass auch Blindgeborene zum vollen Ver-
ständnis der Geometrie gelangen können.
Aus dieser Tatsache geht hervor, dass jedenfalls die Bewegungsempfindungen für sich
zur Entstehung und Ausbildung räumlichen Wissens die genügenden Daten bieten. Es
bleibt also nur noch die Frage, ob auch der Gesichtssinn für sich solche Daten biete, oder
— oo —
aber ob den Gesichtsempfindungen nur durch Association mit gleichzeitigen Bewegungs-
empfindungen das Vermögen, uns über räumliche Verhältnisse unterrichten zu können,
zukomme.
Es erscheint zunächst als selbstverständlich, dass die Frage bejaht werden müsse; die
unmittelbarste Selbstbesinnung scheint zu lehren, dass uns die Daten des Gesichtssinnes
von Hause aus, ohne irgendwelche associative Verarbeitung, in räumlicher Ordnung gegeben
seien. Diese Aussagen des unmittelbaren Bewusstseins sind in solchen Fragen aber keines-
wegs zuverlässig. Bekannte Erscheinungen wie diejenigen des blinden Flecks, das Einfach-
lieben während tatsächlich zwei verschiedene Netzhautbilder gegeben sind, mannigfache
Gesichtstäuschungen (die scheinbare Verwandlung eines geteilten Quadrates in ein Rechteck,
das Grössenverden der untergehenden Sonne, das scheinbare Konvergieren horizontaler
Linien, die durch konvergierende Linien geschnitten werden) bieten den Beweis, dass auch
in dem scheinbar reinen Gesichtseindruck schon vieles durch Association modifiziert sein
kann. Ähnliches gilt aber auch von so wesentlichen Bestandteilen unserer Raumvoretellung
wie dreifache Ausdehnung und Unbegrenztheit. Die elementaren Empfindungen, welche als
Kennzeichen von Entfernungen in der dritten Dimension aufgefasst werden, sind wie
bekannt, sehr verschiedener Art: Bewegungsempfindungen beim Konvergieren der Augen-
achsen und beim Akkomodieren, die scheinbare Grösse des gesehenen Objektes, die Ver-
schiedenheit der von beiden Augen empfangenen Eindrücke u. s. w. Die Heterogenität
dieser Daten unter einander und eines jeden derselben mit der im zweiten dimensionalen
Gesichtsfelde gesehenen Entfernung, macht es undenkbar, dass dieselben ursprünglich d. h.
also ohne associative Verbindung mit anderen Eindrücken als Zeichen für Entfernungen
aufgefasst werden sollten ; und dennoch glauben wir die Tiefendimension, ebenso unmittelbar
wif die beiden anderen, durch den Gesichtssinn zu erkennen.
Sodann ist uns das Gesichtsfeld jedesmal nur als eine begrenzte Fläche gegeben; wenn
wir bei Kopf- und Körperbewegungen den Inhalt desselben wechseln sehen, so können wir
diese Erscheinung nur dann als einen Beweis für die allseitige Ausbreitung des Raumes
auffassen, wenn wir schon wissen, was die gleichzeitigen Bewegungsempfindungen bedeuten,
nämlich eine Änderung unserer Stellung im Räume. Ohne diese Vorkenntnis würde der
wechselnde Inhalt des Gesichtsfeldes nur als eine Aufeinanderfolge von Erscheinungen in
einem begrenzten fzwei dimensionalen) Räume aufgefasst werden können.
Es stellt sich also heraus, dass wir in der Gesichtswahrnehmung Vieles und darunter
sehr Wesentliches, als unmittelbar gegeben auffassen, welches die genauere Analyse als
importierte Waare erkennen lässt; und so könnte man jedenfalls hypothetisch die Frage
aufwerfen, ob nicht die räumliche Ordnung der Gesichtseindrücke überhaupt seine solche
importierte Waare sei. Zur Begründung dieser Hypothese Hesse sich erstens anführen, dass
es jedenfalls ein Gebiet (das der Bewegungsempfindungen) giebt, woher und einen Weg
(den der Association), auf welchem der Import stattfinden könnte. Die Annahme einer
ursprünglich gegebenen räumlichen Ordnung der Gesichtseindrücke ist demnach zur
Erklärung der tatsächlichen räumlichen Auffassung derselben jedenfalls unnötig. Dass aber
diese Annahme auch unrichtig ist, wird wohl in entscheidender Weise durch die Beo-
bachtungen an operierten Blindgeborenen bewiesen.
Ein 20-jähriger Mensch mit beiderseitigem, angebomem Katarakt, der zwar Licht und
selbst ein gewisses Vermögen für Farbenempfindungen besass aber niemals Umrisse
gesehen und keine Kenntnis von der Form der Körper hatte, konnte nach gelungener
— 56 —
Operation die in einer Ebene gelegenen Formen nicht unterscheiden. Noch am dritten
Tage wusste er nicht anzugeben, welches von zwei vorgehaltenen Stücken Kartonpapiers
das runde, welches das quadratische sei. Auf die Frage, was rund, was viereckig sei,
führte er mit den beiden Händen die entsprechenden Bewegungen aus.
Nach einiger Zeit lernte er das rechteckige Stück am Winkel, also dem plötzlichen
Richtungsunterschied erkennen. Auch hatte er kein Urteil über die gegenseitige Grösse
von zwei gleichgestalteten Papierstücken ohne den Gebrauch der Hände, ebensowenig über
Entfernungen. In diesen Beobachtungen finden wir einen Grund, dass nicht nur die dritte
Dimension und die Unbegrenztheit, sondern dass der räumliche Charakter in den ursprüng-
lichen Daten des Gesichtssinnes nicht gegeben ist. Diejenigen Daten, welche uns ursprünglich
und unmittelbar mit räumlichen Verhältnissen bekannt machen, können demnach, wie es
scheint, nur dem Gebiete der Bewegungsempfindungen angehören. Allerdings lässt sich
dieser Satz nicht direkt, durch Beobachtung oder Experiment beweisen; erstens sind uns
keine Fälle bekannt, in denen Bewegungsempfindungen von Geburt an entweder nicht,
oder mit Ausschliessung sämmtlicher anderer Empfindungen gegeben wären; und zweitens
lassen sich auch in der Phantasie die Daten des Bewegungssinnes nicht scharf von den
Daten anderer Sinne absondern.
Zur Begründung des aufgestellten Satzes lässt sich aber erstens darauf hinweisen, dass
die Daten sämmtlicher anderer Sinne, wie wir gesehen haben, zur Erklärung unseres
tatsächlichen räumlichen Wissens nicht ausreichen. Zweitens auf die bekannte Tatsache,
dass Kinder und auch operierte Blindgeborene durch Bewegungen sich im Räume orientieren
und die Gesichtsempfindungen räumlich interpretieren lernen.
Drittens wäre mit Riehl daran zu erinnern, wie überaus scharf unsere Unterscheid ungs-
fahigkeit dieser Bewegungsempfindungen ist, was wir jedesmal inne werden, so oft die
Ausführung unserer Bewegungen von der Aufmerksamkeit auf dieselben allein abhängt,
z. B. wenn wir uns im Dunkeln zu orientieren haben oder wenn wir auch nur auf unsere
Ruhelage im Finstern achten.
In entscheidender Weise würde aber die Richtigkeit der aufgestellten Vermutung nur
dadurch bewiesen werden können, dass sich die Tatsachen unseres räumlichen Wissens, se
wie dieselben im gegebenen Denken vorliegen, vollständig aus derselben erklären Hessen.
Die einfachst denkbare Hypothese über die Beschaffenheit der ursprünglichen Daten
des Bewegungssinnes ist nun wohl diejenige Riehl's, nach welcher die Bewegungsempfin-
dungen uns ursprünglich als „eine Mehrfachheit qualitativ verschiedener Bestimmungsweisen"
gegeben seien, derart, dass von einer Bestiramungsweise ein stetiger Übergang zu einer
davon verschiedenen möglich ist. Riehl nennt diese mehrfach bestimmten Bewegungsemp-
findungen Richtungsgefühle und nimmt an, dass wir drei verschiedene Arten derselben
besitzen: die Gefühle des Zugs der Schwere, wenn diesem nachgegeben oder ihm entgegen
gewirkt wird, die Gefühle intendierter oder ausgeführter seitlicher Bewegungen, welche
durch die Lage unserer Gliedmassen wo nicht erzeugt, doch verstärkt werden, endlich die
Gefühle, welche der beabsichtigten oder wirklich erfolgenden Bewegung nach vor- oder
rückwärts eigentümlich sind.
Um sich vollständig über den Punkt, dass es sich hier um Gefühle, nicht etwa um
die Vorstellungen der Teile unseres Körpers oder die der Richtungen im Räume handelt,
klar zu werden, kann man die Rauravorstellung des Blindgeborenen als Hilfsbegriff ein-
führen. Die Hypothese Riehl's enthält dann einfach Folgendes: wenn wir einen Blindge-
— 57 —
borenen Bewegungen nach oben oder nach unten, nach links oder nach rechts, nach vom
oder nach hinten ausführen sehen, dem Blindgeborenen selbst nur drei qualitativ verschiedene,
jedes für sich eines Entgegengesetzten fähige Gefühle ins Bewusstsein treten. Ganz besonders
muss der Gedanke zurückgedrängt werden, alsob der Blindgeborene schon Etwas davon
wQsste, dass diese GefQhle Bewegungen in einem dreidimensionalen Räume bedeuten, denn
gerade die Entstehung des räumlichen "Wissens bei Blindgeborenen soll die RiEHL'sche
Hypothese erklären. Offenbar ist diese Hypothese die einfachst denkbare, sofern die Tatsache,
dass der Blindgeborene zwischen verschiedenen Richtungen und zwischen verschiedenen
Entfernungen unterscheiden kann, überhaupt erklärt werden soll.
Welche Vorstellung wird aber der Blindgeborene, der aufgestellten Hypothese zufolge,
mit dem Worte Raum verbinden? Soviel ist klar, dass es ihm an der Möglichkeit fehlen
muss, die Ausdehnung unmittelbar aufzufassen. Die Tastwahrnehmungen der Koexisteuzver-
hâltnisse weichen von den entsprechenden Vorstellungen des Gesichts darin ab, dass ihnen
das charakteristische Merkmal des letzteren fehlt: das simultane Aussereinandersein der
T0i]ge8tellten Elemente. Von einem Räume als einem selbständig ausser uns existierenden
Etwas, als einem in jedem Momente tatsächlich gegebenen riesigen Behälter, in welchem
sämmtliche Dinge ihren Platz haben, wird demnach der Blindgeborene einfach keine
Ahnung haben. Wohl aber wird er dazu gelangen können, ein allgemeines Schema sämmt-
licher nach Qualität und Quantität möglicher BewegungsgefQhle aufzustellen und jedem
Ding einen Ort innerhalb desselben anzuweisen. Dieses Schema, ein reines Gedankending,
wird sich der Blindgelx)rene \m dem Worte Raum denken können.
Der Raum ist für ihn nicht Anschauung sondern Begriff und dieser Begriff hat keinen
anderen Inhalt als die Vorstellung der dreifach bestimmten Bewegungsgefühle mit dem
Nebengedanken, dass diese Gefühle sich nach Willkühr, in beliebiger Zusammensetzung
and Quantität, erzeugen lassen.
Jetzt muss untereucht werden, ob diese RiEHL'sche Hypothese zur Erklärung der
gegebenen Tatsachen ausreicht. Die Tatsache, welche sie erklären soll, ist das Vorkommen
eines dem unsrigen vollständig entsprechenden geometrischen Wissens bei Blindgeborenen.
Seinem Inhalte nach haben wir dieses Wissen durch die Axiome der Dreidimensionalität,
der Kontinuität, der Homogenität oder Kongruenz, der geraden Linie (das die Unendlichkeit
des Raumes analytisch in sich enthält) und der Parallelen — seiner allgemeinen Natur
nach durch die Merkmale der absoluten Allgemeinheit, der Apodikticität und der Exaktheit
bestimmt gefunden.
Was erstens die dreifache Bestimmtheit und die Kontinuität betrifft, so ist
es unmittelbar klar, dass tliese Eigenschaften dem Schema der Bewegungsempfindungen,
welches nach der RiEHL'schen Hypothese für den Blindgeborenen unserem „Räume"
entspricht, zukommen müssen. Dem Axiome, dass von einem beliebigen Punkte aus sich
nur drei senkrecht auf einander stehende Geraden ziehen lassen, entspricht für den Blind-
geborenen der Satz, dass er nur in drei elementaren Qualitäten (Richtungen) Bewegungs-
gefühle erzeugen kann ; dem Axiome, dass jene Geraden kontinuierliche Grössen sind, der
Satz, dass die Quantität (Mass) dieser Bewegungsgefühle kontinuierlicher Zunahme fähig
ist. Beides ist dem Blindgt^borenen ex hypothesi in der unmittelbarsten Selbstwahrnehmung
gegeben.
Nicht unmittelbar gegeben, aber dennoch leicht zu erklären ist die Gewissheit, die
dem Homogeneitätö- oder Kongruenzaxiom für Blindgeborene zukommt. Wenn der
I. A. f. K. XXIII. 8
— 58 —
Raum für ihn nichts weiter ist als das Schema der überhaupt möglichen Bewegungserap-
findungen, so kann auch die Kongruenz des Raumes für ihn nichts weiter als die Kongruenz
dieses Schema's sein. Dieselbe muss ihm demnach einfach selbstverständlich erscheinen,
denn dieser Raum ist nicht ein Gegebenes, sondern die blosse Vorstellung der beliebigen
Fortsetzung eines identischen Bewegungsprozesses. Der Blindgeborene kann demnach getrost
behaupten, dass der ihn jetzt umgebende Raum vollkommen homogen ist mit demjenigen,
in welchem er gestern verweilte, denn er behauptet damit nichts Anderes als die Identität
der Bewegungsempfindung mit sich selbst.
Daher auch die Forderung, dass es unbedingt möglich sein müsse, an jedem Orte des
Raumes eine einer gegebenen kongruente Figur zu konstruieren. Raurafiguren, mathema-
tische Körper, sind für den Blindgeborenen nichts weiter als Ausschnitte aus dem Schema
der Bewegungsempfindungen ; dieselben werden ausschliesslich durch Qualität und Quantität
der entsprechenden Bewegungsempfindungen bestimmt; und die Gewissheit, dass sie sich
an jeder Stelle jenes Schema's in gleicher Bestimmung konstruieren lassen, ist einfach
darin begründet, dass es die nämlichen Bewegungserapfindungen sind, die in endloser
Wiederholung jede Stelle dieses Schema's ausfüllen.
Das Axiom der geraden Linie sagt aus, dass zwei verschiedene, von einem Punkte
aus gezogene gerade Linien, beliebig verlängert, keinen zweiten Punkt gemein haben können.
Eine gerade Linie ist für den Bewegungssinn nur eine Reihe konstant zusammengesetzter
Bewegungsgefühle; der Punkt ist für denselben nichts weiter als ein Moment aus einer
Reihe successiv erzeugter Bewegungsgefühle und wird nur durch die Quantität der zur
Erreichung desselben erforderten Bewegungsgefühle bestimmt. Das Axiom der geraden Linie
will also in der Sprache des Bewegungssinnes nur sagen, dass wenn von einem durch die
Erzeugung beliebiger Bewegungsgefühle zu erreichenden Anfangszustand aus, zweimal in
verschiedener aber jedesmal konstanter Zusammensetzung, Reihen von Bewegungsgefühlen
erzeugt werden, diese beiden Prozesse, beliebig fortgesetzt, keine Momente enthalten können,
welche durch die nämlichen Beträge an Bewegungsgefühlen der drei Arten bestimmt werden.
Diese Behauptung ist aber nicht mehr ein unbeweisbares Axiom, sondern ein streng
zu beweisender Lehrsatz. Der Anfangszustand der beiden Prozesse sei durch die Bewegungs-
gefühle 0, R, V bestimmt, die konstannten Verhältnisse, in welchen von diesem Anfangs-
zustand aus Bewegungsgefühle erzeugt wurden, seien 0,, R, und F, und Oj, Ä, und J\;
es werde demnach vorausgesetzt, dass nicht 0, : ß, : F, = Oj : ß, : F,. Dann wird offenbar
jeder im Verlauf des ersteren Prozesses zu erreichende Moment durch einen Ausdruck
von der Form (0 +p 0,, R + i) R^, V + pVj, jeder im Verlauf des zweiten Prozesses zu
erreichende Moment durch einen Ausdruck von der Form (0 + q 0^, R + q R^, V + q F,)
quantitativ bestimmt. Es gilt zu beweisen, dass niemals, welche Werte man für p und q
anzunehmen beliebe, die Gleichungen 0 + p 0, = 0 + q 0^, R + p R, = R - q R^ und
F + pF, = F-fgFj zusammen gelten können.
Dieser Beweis lässt sich aber sehr einfach führen, denn wenn für bestimmte Werte
von p und g jene drei Gleichungen zusammen gelten sollten, so liesse sich daraus sofort ableiten :
pO,=qO., pR,=qR.^ pV^=q V, oder p : g = 0, : 0, = Ä, : Ä, = F, : V^ oder
0, : Ä, : F, = Oj : Bj : Fj, was der Voraussetzung widerspricht.
Aus den Daten des Bewegungssinnes nach der Hypothese Riehl's lässt sich demnach
das Axiom von der geraden Linie in der Form, die es für den Blindgeborenen haben muss,
analytisch ableiten.
- 59 —
Das Axiom von der Unendlichkeit des Raumes ist nach den Riemann-
HELMHOLTz'schen Untersuchungen in den vorhergehenden analytisch enthalten, es kann
aber für die Einsicht in die Leistungsfähigkeit der RiEHL'schen Hypothese nützlich sein,
noch Folgendes anzuführen.
Für den Blindgeborenen ist die Unendlichkeit des Raumes nicht die gegebene Unend-
lichkeit eines vorgestellten Dinges, sondern die gedachte Unendlichkeit eines psychischen
Prozesses. Aus der blossen Tatsache der willkührlichen Erzeugung von Bewegungsempfin-
dungen ergiebt sich ihm auf rein analytischem Wege der fundamentale Gegensatz zwischen
Raum und Stoff (leerem und erfülltem Raum, freier und gehemmter Erzeugung von Be-
wegUDgsempfindungen), sowie die notwendige Teilnahme des zweiten an den Eigenschaften
dea ersteren. Der Begriff des unendlichen, an jedem Punkte entweder leeren oder stoffer-
fQllten Raumes hat für ihn keinen anderen Inhalt als den der begrifflich unendlichen Fort-
setzung, faktisch al)er in jedem Momente entweder freien oder gehemmten Erzeugung von
Bewegungsempfindungen. Demnach wird auch wohl der Blindgeborene ganz wohl den Aus-
druck: die Dinge seien ausser einander im Räume, verstehen können. Jedes Ding ist ja
für ihn nur ein bestimmter Komplex von gehemmten Bewegungsempfindungen und er
wird leicht einsehen können, dass all diese komplexen Teile des Systems der überhaupt
vorstellbaren Bewegungsempfindungen sind und dass dieselben als solche ausser einander
sich befinden.
Das Axiom von den Parallelen lautet nach der Formulierung von Helmholtz:
Durch einen ausserhalb einer geraden Linie liegenden Punkt wird nur eine einzige und
nicht zwei verschiedene jener ersten parallele Linie gelegt werden können. Parallel nennt
man aber zwei Linien, die in ein und derselben Ebene liegen und sich niemals schneiden,
80 weit sie auch verlängert werden mögen. Durch eine ziemlich umständliche Rechnung
Iftsst sich dieses Parallelenaxiora aus den Daten des Bewegungsinnes nach der Hypothese
Riehl's analytisch ableiten. Nachdem man davon überzeugt ist, kann man die Schritte,
die den Blindgeborenen zu diesem Wissen führen, folgender Weise zurechtlegen: An gege-
benen Parallelen wirtl dem Blindgeborenen nicht zuerst die Eigenschaft derselben, in einer
Ebene zu liegen und sich niemals zu schneiden, sondern vielmehr das elementare Merkmal
der Richtungsgleichheit, also der gleichen Zusammensetzung der entsprechenden Richtungs-
geftlhle auffallen.
Er wird demnach die Parallelität verschiedener Reihen von Bewegungsgefühlen durch
dieses Merkmal definieren und dann sofort einsehen, dass von einem gegebenen Anfangs-
momente aus nur eine einzige, einer gegebenen parallo Reihe von Bewegungsgefühlen
erzeugt werden kann. Sodann wird er sich leicht davon überzeugen, dass letztere Reihe
mit der gegebenen unmöglich einen Moment gemein haben kann. Schliesslich wird er in
einer oder der anderen Weise, je nachdem er sich den Begriff der Ebene zurecht legt, zur
Einsicht gelangen können, dass zwei solche gleichgerichtete Geraden immer innerhalb einer
Ebene liegen müssen und dass Geraden, welche innerhalb einer Ebene liegen aber nicht
gleichgerichtet sind, sich notwendig irgendwo schneiden müssen.
Es erübrigt noch zu untersuchen, ob auch die allgemeine Natur des geometrischen
Wissens, also seine Apodikticität, Allgemeinheit und Exaktheit aus dem Gegeben-
sein der Daten beim Blindgeborenen nach der Hypothese Riehl's sich erklären lassen.
Man wird leicht finden, dass diese Frage in der nämlichen Weise beantwortet werden
muss, wie die fHlher aufgeworfene Fiage, ob und in welcher Weise sich die apodiktische
— 60 —
Gewissheit der logisclien Gesetze erklären lasse. So wie der apodiktischen Gewissheit
des logischen Denkens die Tatsache der doppelten Reaktionsfähigkeit des Geistes (nämlich
nach den Prinzipien der Verneinung und des ausgeschlossenen Dritten), so liegt der apo-
diktischen Gewissheit des geometrischen Denkens die Tatsache der dreifachen qualitativen
Bestimmtheit und beliebigen quantitativen Verraehrbarkeit der Bewegungsgefühle zu Grunde.
Diese Tatsache ist bloss als eine solche, nicht als notwendig gegeben ; ist sie aber gegeben,
so lässt sich daraus die allgemeine, notwendige und exakte Geltung der Riemank-Helm-
HOLTz'schen Axiome für das Schema der Bewegungsgefühle auf rein logischem Wege
beweisen.
Dass schliesslich der Blindgeborene die Gewissheit der geometrischen Sätze nicht nur
für den Raum überhaupt (also für das Schema der Bewegungsgefühle) sondern auch, und
zwar mit der nämlichen apriorischen Gewissheit, für die gegebene Wirklichkeit im Räume
gelten lässt, findet seine einfache Erklärung in dem Umstände, dass die räumlichen Eigen-
schaften des Gegebenen eben an das Schema der Bewegungsgefühle gemessen werden.
Gestalt, Grösse und Ort gegebener Objekte bedeuten für den Blindgeborenen nichts weiter
als gewisse Komplexe qualitativ und quantitativ bestimmter Bewegungsgefûhle, deren
Erzeugung durch jene Objekte gehemmt wird und haben demnach an den Eigenschaften,
welche den Bewegungsgefühlen im Allgemeinen zukommen, notwendig Teil.
Die logischen, arithmetischen und geometrischen Gesetze bieten apriorische Gewissheit
nur über Erscheinungen, welche in Urteile umgesetzt, gezählt oder gemessen worden sind.
Im Grunde bezieht sich diese apriorische Gewissheit nur auf die Urteilsform, in welche
die Erscheinungen passen, auf die Zahlenreihe, mit welcher sie gleichzählig sind, und auf
die Bewegungsgefühle, welche durch sie gehemmt werden.
Damit ist aber offenbar das Rätsel, welches die Tatsache jener apriorischen Gewissheit
uns geboten hatte, prinzipiell gelöst.
Auf Grund der vorhergehenden Erörterungen scheint die Hypothese Riehl's in dem
nämlichen Sinne bewiesen, wie etwa durch die mechanische Lichttheorie die Aetherhypo-
these bewiesen und die optischen Erscheinungen erklärt worden sind.
Für die Philosophen der empiristischen Schule, als deren hervorragendster Vertreter
John Stuart Mill betrachtet werden kann, ist die Geometrie, wie die Logik und die
Arithmetik, eine empirische Naturwissenschaft. Die Begriffe, die sie aufstellt, die Verhält-
nisse, die sie untersucht, sind durch die sinnliche Wahrnehmung bekannt, aus der sinnlichen
Wahrnehmung abstrahiert; ihre Grundsätze fassen nur zusammen, was diese uns lehrt.
Die besondere Art der Gewissheit der geometrischen Sätze, ihre Notwendigkeit, Allgemein-
heit und Exaktheit wird zum Teil einfach geleugnet, zum Teil auch in der nämlichen
Weise, wie für die Logik und die Arithmetik erklärt.
Für Mill sind die wahren Gegenstände geometrischer Untersuchung nicht der aus-
dehnungslose Punkt, sondern das „minimum visibile", der kleinste noch sichtbare Teil einer
Fläche; nicht die eine dimensionale Linie, sondern der Kreidestrich oder der gespannte
Faden; nicht der vollkommene Kreis sondern etwa die Durchschnittflache eines Baumes;
und die geometrischen Definitionen sollen durch Generalisation aus der Wahrnehmung
dieser gegebenen Objekte entstanden sein. Ist Dieses aber einmal zugegeben, so folgt not-
wendig, dass den geometrischen Lehi-sätzen nur approximative Wahrheit zukommen kann.
Das Angeführte beweist schon wie sehr Mill auch hier sich bestrebt hat, weniger seine
Theorie den Tatsachen, als die Tatsachen seiner Theorie anzupassen.
— 61 —
Den geometrischen Axiomen gewährt Mill dagegen eine strenge, von allem Hypothe-
tischen freie Geltung.
Die elementaren Urteile, aus deren Verbindungsprodukten die gesammte Geometrie
besteht, beziehen sich auf die Dreizahl der Raumdimensionen, auf deren kontinuierliche
Veränderung, auf die Kongruenz verschiedener Raumteile, auf die Geltug des Axioms von
der geraden Linie (welche die Unendlichkeit des Raumes in sich schliesst) und auf die
Geltung des Parellelenaxioms. Diesen Urteilen wird apodiktische, allgemeine, exakte Wahr-
heit zugeschrieben. Mill erklärt diese Letzte aus Associationswirkungen.
Die unendliche Ausdehnung des Raumes einerseits, seine unendliche Teilbarkeit (Kon-
tinuität) andererseits, soll uns deshalb selbstverständlich und notwendig ei-scheinen, weil
wir niemals einen Gegegenstand gesehen haben, ohne dass sich noch etwas Anderes dahinter
befände und weil wir noch keinen Körper wahrgenommen haben, der nicht zerleg-
bar wäre.
Gesetzt nun, diese Erklärung wäre richtig, so müsste uns offenbar die unendliche
Ausdehnung und die unendliche Teilbarkeit der Materie genau so selbstverständlich und
notwendig erscheinen wie die entsprechenden Eigenschaften des Raumes; denn die von
Mill angeführten Wahmohmungstatsachen beziehen sich doch unmittelbar nur auf die
(wahrnehmbare; Materie und erst mittelbar auf den (an sich nicht wahrnehmbaren) Raum.
Die nämlichen Erfahrungen, die uns hinter jedem Räume noch andere Räume und in jedem
Raumteil noch kleinere Raumteile gezeigt halten, haben uns demnach hinter jeder Materie
noch andere Materie und in jedem 8tofileil noch kleinere Ötoffteile entdecken lassen und
trotz dieser vollständigen Gleichheit der Umstände soll sich in dem ersten Fall eine , un-
zertrennliche Association" ausgebildet haben, kraft deren wir ausser Stande sind, eine
Grenze für Ausdehnung und Teilbarkeit des Raumes auch nur als möglich zu denken,
während in dem zweiten weder die atomistische Hypothese, noch der Gedanke, dass viel-
leicht nur ein Teil des Raumes Materie enthalte, dem Denken auch nur die geringsten
Schwierigkeiten zu bereiten scheint.
Zu ähnlichen sonderbaren Schlüssen führt diese Theorie in bezug aui die Kongruenz
▼erschiedener Raumteile.
Die Evidenz der Euklidischen Axiome ist nach Mill ein Ergebnis der sogenannten
Methode der sich begleitenden Veränderungen : wir haben zwar niemals eine vollkommen
gerade, dagegen oft mehr oder weniger krumme Linien wahrgenommen und dabei jedesmal
bemerkt, dass je geringer die Krümmung um so kleiner auch der Raum wird, die zwei
solche Linien einschliessen. Daraus halten wir abgeleitet, dass zwei vollkommen gerade
Linien keinen Raum einschliessen würden. Nun wird allerdings in der empirischen Natur-
wissenschaft von dieser Methode ein ausgiebiger Gebrauch gemacht; es ist aber auffallend,
dase die8elt>e nirgends sonst als in der Geometrie auch nur den Schein eines apriorischen
Wissens hat zu Stande bringen können. Sollte nun das gänzlich verschiedene Verhalten
der Wissenschaft den geometrischen Erscheinungen gegenüber durch eine einfache Berufung
auf die Methode der sich begleitenden Veränderungen erklärt sein ?
Wie aus obigem hervorgeht, hält man von erkenntnistheoretischem Standpunkt jetzt
an der Oberzeugung fest, dass unsere geometrische Denkweise sich am besten aus Muskel-
gefühlen erklären lässt. Da letztere vom Gesichtssinn in ^ien Hintergrund gedrängt werden
und sich zum Teil deshalb auch an Blindgeborenen nur teilweise demonstrieren lassen,
— 62 —
findet diese Hypothese ihre grösste Stütze darin, dass sie uns gestattet, die so auffallenden
Eigenschaften der geometrischen Sätze vollständig zu erklären.
Bei unserer Untersuchung ruht auf uns also die Verpflichtung, nachzuweisen, dass unter
den Malaien die Äusserungen eines gut entwickelten Muskel- oder Bewegungsgefühls an-
wesend sind und uns berechtigen, auf eine gleich gute Leistungsfähigkeit wie bei den
europäischen Rassen zu schliessen. Ausserdem wäre es wichtig, wenn nachher der Nachweis
geliefert werden könnte, dass sich nicht nur die Vorbedingungen zur Entwicklung geome-
trischer Begriffe unter den Malaien finden, sondern dass diese sich in der Tat unter ihnen
entwickelt haben und in ihren Zusammenlebungen praktisch verwendet werden. Dabei ist
aber besondere Vorsicht zu betrachten, denn weitaus die meisten malaiischen Völker des
Archipels haben viele Grundbegriffe ihrer jetzigen Sitten und Gewohnheiten höher zivilisier-
ten Süd-Asiaten entlehnt. Wir sind somit, besonders bei der Wertschätzung dieser geome-
trischen Begriffe unter den Malaien, streng an die bezüglichen Erscheinungen unter den
am wenigsten von Fremden beeinflussten Stämmen gebunden. Ausserdem müssen die Art
dieser Begriffe und ihr Zusammenhang mit dem täglichen Leben in Betracht gezogen werden.
Der Nachweis eines fein entwickelten Muskelgefühls ist durch die Untersuchung ein-
facher Muskelbewegungen wohl sehr schwer zu liefern, da es uns an sehr genauen Mess-
vorrichtungen beim lebenden Menschen fehlt. Ausserdem werden unsere Muskelgefühle bei
unseren Körperbewegungen durch zusammengesetzte Muskelbewegungen ausgelöst und ver-
wendet. Bei diesen Bewegungen wird unbewusst das richtige Verhältnis der Arbeit ver-
schiedener Muskelgruppen innegehalten und durch Übung ein Minimum an Kraftgebrauch
verwendet. Zu welchen oft erstaunlichen Leistungen sich einzelne Personen in unserer
Gesellschaft auf diesem Gebiet aufschwingen können, zeigen uns z. B. unsere Musiker,
Fechtmeister, Gaukler, Akrobaten u. s. w. Obschon diese Leistungen nicht als Massstab für
die Veranlagung unseres Muskelgefühls im Allgemeinen aufgefasst werden können, so sind
diese individuellen Äusserungen doch sehr beachtenswert.
Ihrer eigenartigen Zusammenlebung gemäss, werden wir bei den malaiischen Völkern
nicht dieser selben, höheren Entwicklung des Muskelgefühls und der Muskelkraft be-
gegnen. Es gibt dort aber andere, die uns in dieser Hinsicht als Mass dienen können. Un-
ter den Dajak als Völkergruppe der Urmalaien erheischen vielerlei Beschäftigungen und
Spiele eine besondere Entfaltung der uns interessierenden Muskeleigenschaften. Es wird
also für unseren Zweck genügen, dieses Volk m diesem Punkte zu prüfen.
Von den Tänzen, die bei den Malaien im Schwange sind, kommen an erster Stelle
die auch unter den Dajak üblichen Schwerttänze für unsere Untersuchung in Betracht,
denn zur Aufführung derselben muss das feinste Ebenmass in den Muskelbewegungen zu-
sammen mit einer grossen Kraftleistung innegehalten werden. Da die Bewegungen nach
dem Takt von vielen klëdi-Melodien ausgeführt werden müssen, sind die Tänzer dabei
auch an Zeit und Rhythmus streng gebunden. In bezug auf Letzteren fallt die grosse Kompli-
ziertheit der Bewegungen schwer in's Gewicht. Im zweiten Band meines Werkes : Querdurch
Borneo habe ich auf Seite 132 Folgendes über den hier geübten Tanz angegeben: „Bei den
Bahau und Kënja werden diese Waflfentänze beinahe stets nur von einem Mann ausge-
führt, der sich mit Schild und Schwert bewaffnet und in der Regel auch noch mit Kriegs-
mantel und Mütze schmückt. Auf Tafel 12« ist ein solcher Schwerttänzer in einer der höchst
eigenartigen Bewegungen des kënja dargestellt. Dieser wird stets nach der Melodie des
klëdi ausgeführt, den hier ein daneben hockender Knabe spielt Der kënja wird meist
— 63 —
in der breiten Galerie der Häuptlingswohnung vorgenommen und besteht aus lebhaften,
oft sehr graziösen Körperbewegungen, die mit weiten Sprüngen und Ausrufungen abwech-
seln Die Gewandtheit im Tanz ist sowohl bei den einzelnen Stämmen als bei den
Individuen sehr verschieden Sämmtliche Kriegstänze haben zw^ar den Zweck, die Ge-
schicklichkeit in der Handhabung der Waifen zu beweisen, doch dienen sie gleichzeitig
anch zur Darstellung irgend eines Vorfalls aus dem Kriegs- oder Alltagslebens. So wird
dem Publikum z. B. das Sähen, Mähen, Jäten, Früchtestehlen u. s. w. durch bestimmte
Schwerttänze vorgeführt Mit dem Sinn des Tanzes verändert sich auch stets die auf
dem klédi gespielte Melodie Obgleich die Töne des klëdi sehr sanft klingen, und der
kënja mit seinen Schritten und Sprüngen auf den harten Planken recht viel Lärm verur-
sacht, folgt der Tänzer doch stets genau der vorgetragenen Melodie In Anbetracht,
dass die Ausführung des Schwerttanzes eine grosse körperliche Anstrengung erfordert,
können sich ihm nur Stamme, die starke Leibesübungen gerne haben, widmen".
Unter den Kénjastàmmen am Oberen Kajanfluss erlebte ich, wie auf Seite 387 beschrieben
wurde. Folgendes : „Al>ends lag ich bereits sehr müde in meinem Klambu, als man mich nach
oben ins Häuptlingshaus rufen Hess, wo 50 Mann, die in der Galerie in einer Reihe stan-
den, eine Art von „ngarang" oder Tanz aufführen sollten. Alle hatten ihre besten Kleider
an. Die bewährten Krieger trugen besonders schöne und gut erhaltene Kriegsmäntel aus
Pantherfellen und Tinggangfedem, auch wohl aus langhaarigen Ziegenfellen, und Kriegs-
mützen mit hübschen Federn auf dem Kopfe. Die kräftig und schön gebauten jungen Män-
ner standen mit dem Rücken zu uns gekehrt und bewegten sich nach den Tönen der
klëdi, welche von zwei Männern gespielt wurden. In langsamen Schritten zogen sie an uns
hin und wieder zurück, erst rechts fortschreitend, dann wieder links für uns Fremde
war der Anblick besonders interessant, da wir gar nicht daran gewohnt waren, so viele
Personen auf Kommando mit einer bei den Bahau gänzlich unbekannten Genauigkeit, streng
nach dem Rhythmus der Musik, sich bewegen zu sehen.
Am anderen Abend wurde das Fest wiederholt und fanden ausserdem Schwerttänze
statt, V>ei welchen wir die Grazie und die Kraft bewunderten, mit der die Kënja sich be-
wegten. Wenn ein Krieger mir allzu nahe trat, kam mir unwillkührlich der Tod des Long-
Glat-Häuptlings in den Sinn, dem ein Këqja beim Schwerttanz plötzlich den Kopf abge-
schlagen hatte; es war mir ein beruhigendes Gefühl, dass ich zwischen dem Häuptling
und dessen Frau sass".
In seinem Buch „Hea<lhunter'8, London 1901" sagt Haddon auf Seite 358 von einer
ähnlichen AufFührung: „The dance consisted of a series of indescribable crouching, jumping,
squirming movements, in which the approved positions of actual warfare were blended
with the gyratory motions of and posturing of more ordinarj' dancing The numerous
and rapid graceful movements made a fascinating picture of savagery, in which the
beauty of dextrous movement with harmony and contrast of colour were combined with
the deaply seated human passion for combat and bloodshed".
Unter den Waffen der Dajak ergiebt das Blasrohr als Jagd- und Kriegswaffe uns zwei-
fellos die besten Anhaltspunkte zur Beurteilung ihres hochentwickelten Muskelgefühls Taf. 126.
Das Blasrohr der Dajak ist ein bis 2 M. langer Stab aus sehr hartem Holz, der seiner ganzen
Länge nach sehr gleichmässig durchbohrt und zum Durchblasen von leichten, vergifteten,
aus Palmblattstiel geschnitzten Pfeilen verwendet wird. Der Schütze umfasst das Mundende
mit beiden Händen, und bringt dieses vor den Mund, nachdem der durch einen leichten
— 64 —
Konus am Hinterende genau in der Öffnung passende Pfeil hineingeschoben worden ist.
Mittelst eines am Vorderende angebrachten Richtstabs wird das Rohr auf das Ziel, einen
Vogel, Affen, auch wohl Menschen u. s. w. gerichtet und dann der Pfeil durch starkes Bla-
sen mit grosser Schnelligkeit hinausgetrieben. In bezug auf die erreichten Entfernungen
und Treffsicherheit des Schusses findet man in Ling Roth, Bd. II, Seite 187 Folgendes
angegeben: „In advancing, the surapitan (Blasrohr) is carried at the mouth and elevated
and they will discharge at least five arrows to one compared with a musket. Beyond a
distance of twenty yards they (the Kayans) do not shoot with certainty, from the lightness
of the arrow, but I have frequently seen them practice at the above-named range and they
usually struck near the centre of the crown, none of the arrows being more than an inch
or two from each other. On a calm day the utmost range may be a hundred yards". (Sir
J. Brooke, Mundy 1. 261). Capt. Mundy says: „At twenty yards distance, the barb meeting
the bare skin, would bury half the arrow in the flesh, but would not penetrate cloth at
a distance of forty yards; the extreme range may be eighty and ninety yards", (ii. 227).
On the Koti river the Kayans will strike an object at 40 yards and will kill a monkey or
bird at that distance; when the darts are poisened, they will throw them 60 yards, as in
war, or at some large ferocious animal, which they seldom eat". Mr. Horsbury gives the
wounding at 30 yards. The Ukits are said to use the tube with deadly aim. A correspon-
dent at Saratok (Dutch Borneo) writing to the S. G(ouvernment) records good aim at 30
paces with a six feet sumpitan at a target, slightly bigger than a man's head."
Auf S. 462. Bd. I findet sich: „I have seen a Murut strike fish after fish with uner-
ring certainty with arrows from a sumpitan, even at more than a foot below the surface
of the stream." (Burbidge, p. 62).
Vergegenwärtigt man sich, welche Muskelwirkungen bei diesen Leistungen zur Geltung
kommen, so sind es an erster Stelle diejenigen, die den Rumpf in der Stellung des Schüt-
zen fixieren und ihn in den Stand setzen, die Zielrichtung einzuhalten. Weiter erheischt
das Wegblasen des Pfeiles aber eine sehr grosse Anstrengung von allen Thorax- und
Bauchmuskeln, die beim heftigen Blasen eine Rolle spielen; wobei sich dann wohl ungp-
ßihr alle willkührlichen Körpermuskeln dermassen zusammenziehen müssen, dass sich das
gerichtete Blasrohr an seinem Zielende möglichst wenig bewegt. 1 mm. ei^ibt hier aut
20 m. Entfernung schon 1 cm. seitliche Abweichung, ohne die unregelmässige Abweichung
des Geschosses durch die doch immerhin dürftige mechanische Einrichtung dieser Schuss-
vorrichtung in Betracht zu ziehen. Durch Übung muss der Dajak also im Stande sein,
mittelst einer unendlichen Menge Abstufungen der Zusammenziehungen seiner Muskulatur
während der nicht geringen Dauer des Blasens sich so unbeweglich wie nur möglich zu
halten. Das Zielen mit unseren vorzüglich konstruierten Kugelgewehren ist sehr viel leichter,
da eine nur ganz geringe Bewegung des Fingers den Schuss blitzschnell losgehen lässt.
Es ist ohne weiteres klar, dass nur ein vorzüglich veranlagtes Muskelgefühl eine so
hohe Leistung der Muskeln ermöglicht. Der Gebrauch dieser Blasrohre ist unter den be-
züglichen Stämmen allgemein und war ehemals im Indischen Archipel weit verbreitet.
Durch die natürlichen Verhältnisse ihres Landes dazu veranlasst, unterscheiden sich die
Dajak auf zwei anderen Gebieten durch eine überaus grosse Geschlicklichkeit, die nur mit
Hilfe ausgezeichneter Bewegungsgefühle zu erreichen ist, nämlich als Träger und Ruderer
in den Urwäldern und Stromschnellen der tropischen Gebirge. Man liest keine Reiseerinne-
rungen aus ähnlichen Gegenden, worin nicht über diese Leistungen der Dajak bewundernd
— 65 —
geschrieben wird. Nebst ihren Characktereigenschaften hat dies zur Überzeugung geführt, dass
die vielen wissenschaftlichen Expeditionen und die ausführliche militärische Erforschung
in Niederländisch-Neu-Guinea während der letzten 10 Jahre nur mit ihrer Hilfe ausge-
führt werden konnten. Sie wurden denn auch immer wieder zu Hunderten dazu an-
geworben.
Nur dann kann eine solche Geschicklichkeit als etwas Aussergewöhnliches und als
Beweis einer günstigen Anlage der Muskelbewegung und des Muskelgefühles gelten, wenn in
der Tat Aussergewöhnliches geleistet wird. Während meiner siebenjährigen Reisen im gebirgi-
gen und waldbedeckten Innern der Insel Borneo habe ich stets meine Bewunderung für
ihre Geschicklichkeit behalten; wie aus den einzelnen unterstehenden Zeugnissen ersicht-
lich, ergeht es allen Reisenden so, wenn sie auch noch so lange im Lande umhergezogen
sind. Ein gutes Beispiel, welche Anforderungen an Geschicklichkeit, Kraft, Mut und Ein-
sicht einer dajakischen Bemannung auf den Reisen oft zugemutet werden, liefert meine
Beschreibung einer Episode einer Flussfahrt, in „Quer durch Borneo I S. 211:
„Der Kapuas drängt sich hier zwischen zwei Bergrücken hindurch in einem Bette, das
die grossen Wassermassen oft nicht fassen kann; ausserdem werden die zum Teil haus-
hohen Felsblöcke am Ufer bei Hochwasser durch die Strömung rund und glatt geschliffen.
Diese Felswüstenei erstreckt sich 600 m. längs des Flusses, der brausend und schäumend
durch das unregelmässige Bett hindurchschiesst. Bei dem niedrigen Wasserstande, den wir
jetzt glücklicher Weise hatten, legten wir die Strecke bis zu den Wasserfallen in kurzer
Zeit zurück, um sie auffahren zu können und landeten guten Mutes unterhalb eines haus-
hohen Sandsteinblockes am linken Ufer. Der Block benahm uns zwar die Aussicht auf den
„Qurung Délapan", beschützte aber unsere zwölf Böte vor den seitlich vorbeischiessenden
Wassermas.sen. Wahrend wir beschuhton Europäer nach einiger Übung beim Gehen auf
Baumstämmen oder über Flu.ssgeröll noch eine erträgliche Figur bilden, ist es auf einem
Terrain wie dem vor uns liegenden um unsere Haltung bald geschehen. Bereits das Ver-
lassen des kiellosen Bootes, das schaukelnd und ächzend zwischen den andern auf dem
bewegten Wasser lag, erforderte Überlegung und Balanzierkunst und gleich der erste Tritt
auf dem nassen, runden, glatten Felsblock am Ufer war ein Wagstück. Trotz unserer gut
beschlagenen Sohlen wurde uns das Vorwärtskommen über und zwischen diesen glatten
Steinmassen sehr schwierig, wahrend die barfüssigen Kajan, schwer belastet, den langen
Weg nach oben mit vieler Würde und Bedachtsamkeit zurücklegten. Auch die kleinsten
Päckchen mussten aus den Böten genommen und über die Felsen bis oberhalb der Was-
serfälle getragen werden, so dass es Stunden dauerte, bevor man an den Transport der
Böte denken konnte. Mit Rudern und Stangen war in diesem Wasserchaos nichts anzu-
fangen, daher holten die Kajan aus dem Walde lange Stücke Rotan von der Stärke dicker
Taue und befestigten sie vom und hinten an den beiden Bootsenden. Die gewandtesten
Männer zogen das Boot erst um den schützenden Block herum und dann längs dessen
Fuss hin die Fälle hinauf. Sind die Umstände günstig, so riskiert es ein Mann im Boote zu
bleiben, um dessen Anprall an die Felswände zu verhindern. Auf diese Weise wurde ein
Boot nach dem anderen um die verschiedenen vorspringenden Felsblöcke bugsiert, ein
mühevolles und zeitraubendes Werk. Der Zug der Gepäckträger über die Felsen bot ein
lebendiges und belustigendes Schauspiel; denn der Transport so vieler Güter der verschie-
densten Form stellte auch an die hoch entwickelte Kletterkunst der Kajan grosse Anfor-
derungen und sobald Form und Gewicht des Packens ein Tragen auf dem Rücken nicht
I. A. r. K will. 9
— 66 -
zuliessen, schwankte der Träger ununterbrochen und so manches Ausgleiten hatte einen
Fall zur Folge.
Noch lebhafter und aufregender ging es auf der Wasserseite zu ; hier entfalteten die
Dajak eine solche Kraft, Umsicht und Fertigkeit, dass auch ein an dergleichen wilde Schau-
spiele Gewohnter von Bewunderung erfüllt werden musste. Da jeder, durch die Anspan-
nung erregt, dem anderen über das Gedonner des "Wassers hin etwas zuzuschreien ver-
sucht, herrscht überall ein scheinbares Durcheinander; in Wirklichkeit weiss aber jeder
genau, was er zu tun hat. Während die erste Gruppe bereits einen neuen Felsblock er-
klimmt, steht die zweite oft bis zur Mitte im tobenden Wasser und hält das hintere Seil
straff, um das Boot nicht anstossen zu lassen; dann wird auch dieses Seil nach oben ge-
holt und so geht es langsam weiter. Ein Europäer tut unter solchen Verhältnissen am besten,
sich jeder Einmischung zu enthalten und ganz dem Rat der sorgsamen Häuptlinge zu folgen.
Bei dem günstigen Wasserstande liess man mich, als die geföhrlichsten Stellen
überstanden waren, im Boote Platz nehmen. Nachdem wir mit einigen Böten bereits
ein gut Stück vorwärts gekommen waren, stand ich einen Augenblick allein in dem
meinigen, um die Ankunft der übrigen abzuwarten. Da fing das Wasser plötzlich mit
solcher Geschwindigkeit an zu steigen, dass ich allein nicht im Stande war, den einen
Rand meines Bootes, der eben noch frei unter einem vorspringenden Felsrand geschaukelt
hatte und jetzt unter diesem eingeklemmt war, zu befreien. Das Boot neigte sich zugleich
stark, aber einige Dajak sprangen in den Fluss und ich auf den Felsblock und so glückte
es diesmal, mein Boot vor dem Umschlagen und einige meiner Sachen vor einem unwill-
kommenen Bad zu behüten.
Mit dem immer schneller ansteigenden Wasser vermehrten sich alle Schwierigkeiten
derart, dass an ein Überschreiten der Wasserfälle nicht zu denken gewesen wäre, wenn
wir nicht bereits den halben Weg zurückgelegt gehabt hätten und nicht der Rückzug
ebenso viel Hindernisse wie das Vorwärtsgehen verursacht hätte.
Unsere weitere Fahrt bestand in einem heftigen Kampfe mit den tobenden Wellen.
Bald im Boote schaukelnd, bald im dornigen Uferwalde allein einen Weg suchend, über-
liess ich die Bestimmung über meine Person und Habe gänzhch meiner Mannschaft.
Bald nach Mittag glaubte ich an einzelnen grossen Felsblöcken am Ufer zu erkennen, dass
wir die eigentlichen Fälle überwunden hatten. Obgleich ich bereits zwei Mal den Kapua.s
hinaufgefahren war, konnte ich doch in dem schnellfliessenden, unruhigen Strom nicht das
stille Wasser, das sich von hier bis zur Mündung des Bungan hinziehen musste, erkennen.
Die Felsblöcke am Ufer, die das Flussbett einengten und mich stets wieder das Boot
zu verlassen zwangen, verschwanden jetzt, aber die Schwierigkeiten verminderten sich
darum nicht. Die heftige Strömung konnte nur mit der grössten Kraftanspannung und
dadurch, dass man an der Innenseite der Buchten entlang fuhr, überwunden werden. Zu
diesem Zweck mussten wir immer wieder die hoch brausende Mitte des Flusses durch-
queren, ein Wagstück, das nur wenige Dajak zu unternehmen sich getrauten. Ihrem Bei-
spiel folgend stellten die übrigen ihr Boot in einem bestimmten Winkel gegen die Strom-
richtung, ruderten aus aller Macht und kamen so hinter einer beschirmenden Landzunge
zum Verschein, um im nächsten Augenblick von der rasenden Strömung der Flussmitte
gepackt und mit schaudererregender Schnelligkeit gegen das andere Ufer geschleudert zu
werden. In solch einem Augenblick spannte die Bemannung zuerst alle Kräfte an, um den
ersten Anprall der Bootspitze der Einbäume gegen das Ufer zu verhindern; war dies ge-
— 67 —
glückt, so sprangen alle im Fahrzeug in die Höhe, ergrififen die Stangen und suchten nun
auch den Anstoss der Bootsrânder zu brechen.
Die Bewegungen, die die langen, schmalen Fahrzeuge ausführten, waren äusserst unan-
genehm und sicher ist, dass ich dem Himmel dankte, als uns nachmittags gegen 4 Uhr
die braimen Wellen des Kapuas nicht mehr an das andere Ufer, sondern in das stille,
dunkle Wasser seines Nebenflusses, des Bungan, warfen, der sich wie ein See unter dem
Gewölbe der überhangenden Uferbäume hinzog".
Der italienische Reisende Odoardo Beccari beschreibt auf Seite 312 seiner „Wande-
rings in the great forests of Borneo" London 1904 ein ähnliches Ereignis: „We had now
reached the most dangerous part of the river, for there are here three rapids at no great
distance apart, which have to be passed. The waters were then low and the rocks nume-
rous, threatening no little danger to the boats. When the water is high, navigation is less
difficult, for iho difference of level in the rapids becomes much less and the danger of
being driven on rocks is also greatly diminished. The increasing roar caused by the falling
water warned us of the close proximity of the rapid, though we had heard it a long way
back. At the first big fall we unloaded our boat, carrying everything on the men's shoul-
ders along the shore beyond the dangerous part; but we all returned to the boat to make
our dash through the foaming waters. For me it was quite a new sensation; and indeed
I felt it quite possible I might never have the opportunity of narrating it. I had full faith
in my Kayans however and especially in the expert, who wielded the steering paddle at
the stem. Drawn up to his fullest height, he looked eagerly for the best passage. This
was no easy task, for not only has the steersman to avoid the rocks which are above
water, but those just covered by it, which are still more dangerous, capsizing the canoe
in an instant. At first the current seemed nothing out of the common, but as we approa-
ched it increased in force until there seemed almost something uncanny in its overwhel-
ming strength. About fifty or sixty yards ft-om the rapid our steersman had already made
up his mind as to the line to be followed. His great object was to keep the boat with
plenty of way on in the current; for woe betide us if we but swerved an instant; wo should
have been at once capsized and done for! As we approached the bigger part of the fall
the paddlers redoubled their efforts and our long, light, narrow boat shot like an arrow
down the swell and in an instant was righted in the bubbling waters of the pool beneath,
in a cloud of pulverized water which formed a mistlike column around us. I feel, that
It would be attempting the impossible to endeavour to translate into words the emotions
of that moment, which came and went like a flash of lightning ! It requires the
sangfroid and experience of the Kayans to shoot such rapids. The feat is partly accom-
plished by taking the fall at such a pace that the canoe reaches calm water beyond almost
before it has time to sink. It is all important, that the paddlers should not get frightened
at the amount of water shipped, but continue to paddle with all their strength until the
danger is well past.
In »Sarawak, its inhabitants and productions by Hugh Low, London 1848" finden wir
auf Seite 401: „Accordingly, having breakfasteil we pulled up against the stream for about
six miles in a heavy rain to the Rheum (Wasserfall) Ledong, a rapid formed by limestone
banks, which contracts the stream, leaving a narrow passage for the water, which rushes
through with great velocity and a boiling torrentlike appearance. It is rendered dangerous
to boats descending the river by a large rock just under water, directly opposite to the
— 68 —
passage, so that to avoid it, boats must turn suddenly to the left, while shooting the
rapid and again to the right to avoid the rocky bank. This requires considerable practice
and dexterity".
Dass nicht nur die Gebirgstämme, sondern auch die der flachen Küsten ausgezeichnete
Seefahrer sind, erhellt aus Folgendem in „Ling Roth, Natives of Sarawak and Brit. N. Bor-
neo" Bd. II S. 249: „When describing pomfret fishing reference was made to the Bintulu
harengs. Mr. Crocker thus describes them: „they are particularly adapted for going through
the surf, which prevails on the N. W. coast in the N. E. monsoon owing to the shallow
bars at the mouths of the rivers. They receive the sea broadside on and the natives
manage their craft with such dexterity that, although they often go to sea, when a ship's
boat could not live five minutes, they never swamp. They are about 40 feet long, the
bottom being a simple canoe hollowed out of a tree ; planks are raised on each side fastened
by wooden pegs : in place of knees they strengthen the boat by several thwarts connecting
each plank, a beam runs down the middle of the boat fastened to the thwarts. The ends
of the boat are square, fastened by pegs and rotans. They are strong and buyant and are
propelled by short oars fastened on rotan row-locks The Muka people pull short oars
with a plunging and a splashing stroke with more jerk than spring and the tub splashes
through the water as dry as a collier and while coming in through a heavy breaking surt
running far over their heads they watch for the roll and while in the trough pull with
all their might; but when the wave is curling to break, they suddenly slew their crafts
broadside on and so receive it with the exposed side well out of water. Directly it has
passed, away they go again as fast as possible, until another roller overtakes them, when
they repeat the same manoeuvre".
Versucht man unter den höher stehenden Malaien des Archipels die gut« Veranlagung
des ßewegungsgefühls durch die Höhe seiner Entwicklung darzulegen, so verfügt man nicht
mehr über die oben erwähnten gut koordinierten Bewegungen des ganzen Körpers; das
Blasrohr z. B. wird nur noch als Spielzeug gebraucht, die Schwerttänze nehmen Formen
an, die durch Europäer in ihren Einzelheiten schwer geschätzt werden können; Bambu-
schnitzereien werden viel seltener und weniger hübsch gearbeitet.
Es treten dagegen an ihrer Stelle die manuellen Geschicklichkeiten bei den Industrien
in den Vordergrund. In Niederländisch Indien werden die eingeborenen Arbeiter von den
europäischen Industriellen gerade dort am meisten geschätzt, wo Handfertigkeit besonders
erwünscht ist. Die Verhältnisse liegen aber für unsere Untersuchung in den einheimischen
Industrien einfacher vor, wobei man natürlicherweise die besonderen Vorbedingungen bei
der Entwicklung, wie das Fehlen einer technischen Erziehung in unserem Sinne, und wei-
ter die Umstände bei der Ausübung, wie die oft äusserst beschränkten Hilfsmittel, zu
gleicher Zeit in Rechnung zu ziehen hat.
Nachdem verschiedenes aus diesen einheimischen Gewerben in den zwei ersten Teilen dieser
Arbeit relatif ausführlich behandelt und verwendet worden ist, w^erde ich mich hier darauf
beschränken, sie nur in bezug auf die dabei hervortretende Geschickhchkeit zu er\N'ähnen.
Unter den höher zivilisierten Malaien der Insel Sumatra nehmen die Menangkabauer
die erste Stelle ein. Unter ihnen sind zahlreiche Industrien zu hoher Entwicklung gelangt.
Im Flechten und Weben liefern die Frauen Prachtstücke des menschlichen Könnens,
während die Männer zu den besten Bearbeitern der Edelmetalle im Archipel gehören.
— 69 —
Den Flechttechniken, von welchen Dr. Lehmann 75 Arten im Archipel unterscheidet,
werde ich nur ein Beispiel entnehmen, das schon im ersten Teil gedient hat, nämlich die
auf den dortigen Tafeln XX— XXIII abgebildeten Matten und Taschen. Bei deren Anferti-
gung aus dünnen Pandanusstreifen muss das Muster durch stets wechselnde Anwendung
der Flechtmetbode gebildet werden, wobei an das genaue Innehalten der erforderlichen
Kraft für die Regelmässigkeit der Arbeit ernste Ansprüche gestellt werden. Begreiflicher-
weise rückt die Kontrolle der Augen durch ständige Übung der manuellen Leistung dabei
mehr und mehr in den Hintergrund; die Ausführung wird dann halb mechanisch und mit
dem Wechseln der Bewegungen nach den Anforderungen des Mustere ist es ebenso. Die
Muskeln der Hände und der Arme werden dabei in ganz genau abgestufter und stets
wechselnder Anspannung angestrengt; man könnte von einem wahren Muskelspiel reden.
Bis zu welcher grossen Höhe die Genauigkeit dieser Muskelarbeit bei solchen vorzüglichen
Leistungen gestiegen sein muss und wie wichtig die Rolle des Muskelgefühles dabei ist,
zeigen die abgebildeten Gegenstände genügend an; jeder Fachmann wird das zugebei müs-
sen. Die auf Tafel XX — XXII abgebildeten Matten gehören zu den selteneren Prachtleistun-
gen; die Taschen auf Tafel XXIII werden dagegen allgemein von den Frauen und Mädchen
zum täglichen Gebrauch angefertigt Wie früher schon bemerkt wurde, wird diese Flechtart
auf der ganzen Insel gepflegt.
Von den wunderschönen Webereien sind für unseren Zweck weniger diejenigen dienlich,
deren Muster ganz mittelst des Webstuhls angefertigt werden, als die hübschen Gold- und
Silberbrokate der Tafel XXVII des zweiten Teiles dieser Arbeit im Jahrgang XXII, die
durch Weberei aus freier Hand dargestellt werden. Das Mittelstück des Tuches aus Palëm-
bang auf Tafel XXX ist für diesen ein gutes Beispiel. Alle dort vorkommenden tumpals
und Sterne sind durch Einführung des Einschlags aus freier Hand eingewebt worden. Die
dazu erforderlichen, immer wechselnden Zahlen der Kettenfaden werden dazu mit einem
kleinen Schwert gehoben, um den Metallfaden des Einschlags einführen zu können. Dies
erheischt von der Weberin nicht nur eine überaus grosse Leistung des Erinnerungs- und
Vorstellungsvermögens, sondern sie muss ausserdem über eine sehr ausgebildete Geschick-
Hchkeit verfügen, um die feinen, seidenen Kettenfaden über der Breite eines tumpals
oder Sterns in richtiger Zahl und Anordnung aufzuheben. Wie früher bereits hervorgehoben,
macht sie dies durch ihre Geschicklichkeit derartig, dass die Arbeit relativ nicht lange
dauert. Unter den Gewerben der Menangkabäu Männer verdient das der Gold- und Silber-
schmiede genannt zu werden. Seit Alters her sind die wimdervollen Filigransilbersachen
aus den „Padang'sche Bovenlanden" bekannt; das Klöppeln der Gold- und Silberposamente
gehört ebenfalls zu ihren Fälligkeiten, wie die Frauen die Klöppelei mit Baumwollfaden
verdientvoll betreiben.
Dieses und Ähnliches kann man auch von anderen malaiischen Völkern des Archipels
berichen; zum Schluss genüge aber eine etwas ausführlichere Behandlung der schwierig-
sten Bearbeitung der Edelmetalle unter den höher stehenden malaiischen Völkern, nämlich
des Treibens.
In Europa wird das Treiben der Edelmetalle zu den schwierigst auszuführenden Gold-
schmiedearbeiten gerechnet. Noch mehr als bei den anderen verleiht hier die manuelle
Geschicklichkeit im Hantieren der Meissel und Hammer den hohen Wert und das Persön-
liche in der Ausführung. Es gehört eine bestimmte Anlage dazu, um sich durch unsere
theoretische und technische Erziehung so weit ausbilden zu können, dass man in der Treib-
— 70 —
technik verdienstvolle Arbeit liefert. Manche Goldschmiede sind nicht im Stande, es je zu
dieser Höhe zu bringen.
Ohne weiter auf die europäische Technik des Treibens einzugehen, verdient doch
Erwähnung, dass der europäische Kunsttreiber sich für seine Arbeit von vier- bis fünfhun-
dert Meissein der verschiedensten Formen, mehrerer Treibhammer, oft von sonderbarster
Gestalt, und noch anderer Instrumente bedient. Die Meissel fertigt er sich selber für seine
Arbeit an. Es kommt jetzt nur selten vor, dass der europäische Kunsttreiber seine
Gegenstände auch ganz fertig zu stellen versteht; er überlässt letzteres meistens anderen
Fachgenossen.
Unter den höher stehenden malaiischen Völkern des Archipels wird das Treiben der
Edelmetalle besonders dort geübt, wo von Alters her die üppige Lebensführung der reichen
Fürsten und Adligen die Goldschmiedekunst stützte. So war sie früher und ist zum Teil
noch hochentwickelt auf den Inseln Java, Bali und Lombok, unter den Makassaren und
Buginesen, unter den Atjehern und Menangkabauern. Auch das Treiben wird da neben den
anderen Fächern wie Ziselieren, Filigranarbeit, Giessen und Setzen von Edelsteinen geübt.
Um sich die Verhältnisse, unter welchen hier gearbeitet wird, lebhaft vergegenwärtigen
zu können, übernehme ich die folgende Skizze eines javanischen Goldschmiedes aus einer
Abhandlung J. E. Jaspeb's: „Het een en ander over inlandsche Goud- en Zilversmeedkunst".
(Tijdschrifb voor het Binnenlandsch Bestuur):
„Er war nur ein ganz einfacher Javaner, ein echter Dorfarbeiter, der seinen Beruf von
seinem Vater gelernt hatte und ihn auch seinen Sohn wieder lehren würde. Er was der
Typus eines bescheidenen Künstlers, nur arbeitend, wenn ihm etwas aufgetragen wird;
lange darüber sinnend, bevor er zu arbeiten anfangt; mit vollem Eifer, wenn er einmal
schafft und immer arbeitend für einen kleinen, kargen Lohn, der bis auf den geringsten
Betrag heruntergefeilscht wird. Er war gutmütig, Hess sich leicht beschwatzen, nahm die
Aufträge an, die man ihm aufzwang; ich glaube aber nur deshalb, weil er nun einmal
nicht umhin konnte zu schaffen, wie sein Vater es gemacht hatte und wie sein Sohn es
später tun würde.
Wie bei so vielen javanischen Handwerkern war auch in ihm das stille aber starke
Bedürfnis fest eingewurzelt, um ruhig an einem feinen zarten Machwerk herumzubasteln,
das er durch eigene Gedanken, eigenen Geschmack und eigene Händearbeit zu einem
bescheidenen Kunstwerk herausbildet.
Er war Silberschmied mehr aus Liebhaberei, als um mit dem Verdienst seine ganze
Existenz zu fristen. Er war kein Dilettant, da er dazu viel zu lange die Silberschmiedkunst
ausgeübt hatte; auch arbeitet er zu geschickt und war in seiner Auffassung zu fest, um
nur diesen Namen zu verdienen. Ein Berufsschmied war er aber auch nicht, da er Reis-
felder besass und der Ackerbau ihm seine Haupteinnahmen lieferte. Er war also Künstler,
ein sehr bescheidener Künstler, in einer verlorenen Ecke des Dorfes wohnend, nur dann
und wann arbeitend und obschon innerlich recht stolz auf das, was er bis jetzt abgeliefert
hatte, doch eher zurückhaltend mit seinen Leistungen vor den Augen des neugierigen Be-
suchers, wie das ja stets dem mehr oder weniger misstrauischen Javaner eigen ist.
Ich besuchte ihn in seiner Werkstatt. Diese war nur ein kleines Fleckchen, ungeschlos-
sen von Fenstern und einer Tür, vor der nur eine graue Rotangardine herunterhing.
Dahinter sass er auf dem Boden vor einem niedrigen Bänkchen, seinem Arbeitstisch,
worauf eine Menge eiserner Instrumente, Stifte und blankes Metall durcheinander lag.
— 71 —
Hinter dieser dürftigen Werkstatt mit ihren fleckigen und beschmutzten Mauern wohnte
er in einem Häuschen, das etwas netter und reiner, halb hinter einer Gardine von buntem,
geblümtem Kattun verborgen war.
Auf dem aus Erde bestehenden Fussboden, ungleich und feucht, lag hier und da eine
Matte, ein Häufchen Instrumente ; in der Nähe des Fensters an der einen Seite ein impro-
visieiter Tisch aus Holz von Petroleumkisten, fleckig-fettig-schwarz geworden durch den
langen Gebrauch; an der anderen Seite ein schiefes Gestell, voll Spinnengewebe und alter
Sachen, ein trübes Bild von früherem Luxus.
Beim Ofen, einer primitiven Heizstätte, lagen in einer dunklen Ecke die russigen Zangen
verstreut am Boden zwischen Stücken von Schmelzkübeln, gebrochenen Eisenstücken und
allerhand unbegreiflichen Gegenstände herum, deren Gebrauch nur dem mit allem sich be-
schäftigenden Schmiede bekannt war.
Ich gebe diese Beschreibung des Innern dieser Werkstätte des javanischen Silber-
schmiedes, weil andere Gewerbekünstler in einer nicht viel besseren Umgebung arbeiten
und weil man darüber erstaunt, dass er, in einer solchen ärmlichen, trübseligen Umgebung
schaffend, noch Gegenstande zu bilden versteht, die man ihrer zarten Linienführung und
ihrer trefflichen Zeichnung wegen bewundem muss."
Da auch ausserhalb der Insel Java unter den Malaien ähnliche Zustande herrschen,
lernt man hierdurch die Verhältnisse kennen, in welchen die Meisterstücke des indischen
Kunstgewerbes oft entstehen; für unseren Zweck ist diese Beschreibung nützlich, da sie
die Rolle der manuellen Geschicklichkeit veranschaulicht.
In t>ezug auf diese liest man in derselben Abhandlung noch Folgendes: „Die Kunst
des Treibens wird nur noch selten (auf Java) geübt, denn es müssen dünne Silber- und
Ooldplatten geschmiedet werden, was für den einheimischen Schmied mit seinen äusserst
einfachen Instrumenten höchst beschwerlich ist; nachher hat er das Must^'r durch das
regelmässige Beklopfen von vom und hinten so auszutreiben, dass die Verzierungen an
der Vorderseite „en relief zum Vorschein kommen
Gerade wie beim Ziselieren und Gravieren die prachtvollsten Zeichnungen vom Javaner
mit nur einzelnen Arten von Meisselchen ausgearbeitet werden können, so werden auch
zum Treiben des Silbers nicht mehr als drei oder vier Treibmeissel verwendet. Ihre ver-
schiedenen Eindrücke werden derartig zusammengesetzt, dass das Ganze der Figuren den-
noch zart von Linien und korrekt in der Erhöhung ist.
Die von der Insel Madura stammenden goldenen und silbernen Gegenstände sind oft
Juwelen der Treibkunst Es scheinen auf Madura die fähigsten Künstler im Kunst-
treiben zu wohnen."
Aus Obigem erhellt, bis zu welchem hohen Grade der Entwicklung die manuelle Ge-
schicklichkeit der Malaien steigen kann, obschon die technische Erziehung, wie wir diese
in Europa z. B. kennen, fast ganz fehlt. Eine solche Geschicklichkeit besteht aber ausschliess-
lich in der Ausführung fein koordinierter Bewegungen, bei welchen ein zart entwickeltes
MuskelgefQhl die graduellen Abstufungen in der Anspannung der vielen mitarbeitenden
Muskeln regelt, wenn der Impuls zur Bewegung vom Gehirn ausgegangen ist. Dass auch
das MuskelgefQhl eine Funktion unseres Nei-vensystems ausmacht, ist bekannt.
Auch für das Treiben gilt, was bei so vielen einheimischen Gewerben zu bemerken ist,
dass weder von Modellen noch von Zeichnung Gebrauch gemacht wird ; alles geschieht aus
dem Kopf oder, wie man auf Bali sagt, „aus dem Herzen."
— 72 —
Besser wie jede weitere Betraciitung wird aber die Vorfüiirung von einzelnen Pracht-
exemplaren des malaiischen Kunsttreibens Zeugnis von der guten Anlage des Muskelge-
fühls ablegen können. Auch hierbei muss daran erinnert werden, dass man dazu in Europa
nur über diejenigen Gegenstände verfügt, die zufällig in Museen gewandert sind oder sich
in Privatbesitz befinden. Da es sich hier oft um sehr kostbare Kunstprodukte handelt,
sind sie selten, und die besten bleiben wohl in indischem Besitz.
Von der Insel Madura stammt die Krissscheide von getriebenem Silber in meinem
Privatbesitz, abgebildet auf Taf. XIII, Fig. a. Die aus Silberblech bestehende Hülle des
unteren Teiles des Krissfutterales umfasst die aus Holz verfertigte Scheide, deren oberer,
breiter Teil aus dem sehr geschätzten, hellen, mit dunklen Flecken marmorierten Kemuni-
Holz verfertigt ist. Ähnliche metallene Hüllen werden aus Gold, Silber oder aus Legierungen
dieser Metalle angewendet und zeigen entweder die glatte Farbe des Metalls, oder sind
mehr oder weniger ziseliert, getrieben oder auch wohl mit Edelsteinen besetzt.
Die hier auf der "Vorderseite befindliche Ornamentik bietet durch die Feinheit der
Blätter, Blüten und Vögel und durch die Zartheit der Linienführung, wie auch durch die,
hohen Anforderungen entsprechende Ausführung des Treibens gerade für unsere Unter-
suchung ein sehr geeignetes Beispiel. Diese, mit echt indischer Üppigkeit verzierte, läng-
liche Fläche bietet zwar auch in bezug auf Stil und Entwurf manches Beachtenswerte, das
vielleicht später behandeld werden wird, aber ihre Art des Treibens interessiert uns jetzt
am meisten.
Das Treiben ist nur von der Vorseite nach innen geschehen und derartig, dass die
feinsten Blumen und Ranken ganz scharf in hohem Relief sich in zart geschwungenen Linien
auf dem zurückgedrängten Hintergrund erheben. Aus den vielen kleinen Unterschieden
der Figuren geht hervor, dass auch diese überaus feine Verzierung, nach einheimischer Arbeits-
weise, mit einfachen Punzen, nicht mit zusammengesetzten Treibeisen ausgeführt worden ist.
Die von oben nach unten verschieden geformten und sich verkleinerenden Vögel mit
den dazwischen angebrachten Mittelfiguren zeigen diese Eigentümlichkeit der Bearbeitung
zur Genüge. Dass diese Arbeit „aus dem Kopf verfertigt werden konnte, ist für die Fähig-
keit dieses Maduresen bezeichnend genug. "Wenn man in Betracht zieht, dass das Treiben
nur durch ganz genau koordinierte Bewegungen ausgeführt werden kann und diese getrie-
bene Scheide sich in bezug auf Technik mit den besten europäischen Kunstwerken dieser
Art vergleichen lässt, so muss dieser maduresische Arbeiter mit einem sehr gut ange-
legten Muskelgefühl geboren sein.
Auf Bali, einer Insel, wo die Bearbeitung der Edelmetalle und der Edelsteine aut
einer hohen Stufe steht, begegnen wir häufig getriebener Arbeit, ausgezeichnet durch das
Treiben von der Hinterseite nach vorn des über der Fläche des Silber- oder Goldbleches
erhabenen Musters. Diese erhabenen Figuren werden dann nachher durch Treiben und
Ziselieren an der Vorderseite vervollständigt. Daneben kommt auch die einseitige Trieb-
arbeit von der Vorderfläche aus vor.
Während man beim Treiben der Maduresen eine sehr starke Kontrolle der Augen auf
das Ergebnis der Hände- und Muskelarbeit voraussetzen darf, lallt dieses Hilfsmittel beim
Treiben von hinten nach vorn viel weniger ins Gewicht. Um ein Relief mit so vielen Über-
gängen zu erhalten, wie sie z. B. viele Blattmuster zeigen, kann man dabei wohl nur an erster
Stelle mit der genau abgestuften Kraft des Schlages beim Treiben rechnen, die ebenso
genau koordinierte Muskelbewegungen voraussetzt. Es wird ausdrücklich gemeldet, dass
— 73 —
ebenso wenig, wie bei anderen ursprünglichen Industrien im Archipel, beim Treiben auf
Bali weder Modelle gemacht noch Zeichnungen verwendet werden. Alles geschieht aus
dem Kopf.
Der grosse silberne Deckel aus Klunkung, der im Ethnographischen Reichsmuseums
in Leiden unter Serie 1684 N". 90 beschrieben ist, ist von derartiger Arbeit ein hübsches
Beispiel. Das Silberblech ist vorher zu einer kuppeiförmigen Flache von 8 c.M. Höhe und
27.1 c.M. Durchmesser aufgetrieben worden, die dann mit getriebenen Blumen- und Blät-
teiTOUstem verziert worden ist.
Abgebildet auf Taf. XIV, zeigt dieser wundervoll ' getriebene Gegenstand eine beson-
dere schön entworfene Verzierung von dalima-Blüten und Blattranken. Gerade hier sind
die grösseren Flächen der Blüten und Blätter durch zarte Übergänge des Reliefs ausge-
zeichnet, was besonders in bezug auf das Kunsttreiben ins Gewicht fallt. An der
Hinterseite des Deckels sieht man in Vertiefungen dieselben Muster, die die Vorderseite
erhaben zieren, scharf abgezeichnet. Das nachfolgende Treiben der Relieffiguren an der Vor-
derflache hat dem Ganzen natürlich ein viel kunstvolleres Gepräge verliehen.
Dieses Kunstwerk macht den Eindruck, von einem gut geübten Künstler verfertigt
worden zu sein; er hat es denn auch verstanden, die Figuren einander so ähnlich zu
machen, dass sich nur bei genauer Betrachtung zeigt, dass sie in Kleinigkeiten unter
einander ziemlich verschieden sind und auch <lie Ranken ungleich verlaufen. Dies zeigt
zur Genüge an, dass auch der baiische Kunsttreiber seine Werke mittelst weniger und
einfacher Punzen ausarbeitet und diesen Nachteil seinen europäischen Kollegen gegenüber
durch eigne Fähigkeit ausgleicht.
Die getriebene silberne Vase, Fig. a u. b auf Taf. XV, die im ethnographischen Reichs-
museum in Leiden als Serie 1602 N". 64 bekannt ist, mag als zweites Beispiel dieser
Kunsttreiberei dienen. Das Silberblech ist hier zu einer zylindrischen Oberfläche gebogen
und die ganze Aussenseite mit getriebenen Figuren in Relief verziert; längs des Ober-
randes Blumen- und Blätterranken zwischen zwei aus Vierecken bestehenden parallelen
horizontalen Linien. Darunter acht Darstellungen, je von einem Rahmen umschlossen, ab-
wechselnd zwei Blumen über einander und ein Vogel, der über ein vierfüssiges Tier fliegt,
von Blattranken umgeben. Auch längs des nach innen gebogenen Unterrandes ein Blatt-
omament. Die Vase stammt aus Badung, Süd-Bali.
Im Gegensatz zu dem vorigen Kunstwerk ist die Verzierung auf dieser Vase so un-
gleichartig, wie es sich nur mit einer einheitlichen Verzierung vereinigen üess. Im oberen
Blattrand sind die an den Ranken sitzenden Blattomamente alle verschieden, wenn sie
auch streng in derselben Fonnart entworfen sind. Dasselbe kennzeichnet die Blatt- und
Tierflguren . der acht Vierecke. Die vier Vögel sind einander sehr ungleich in der Haltung
des Körpers; die darunter stehenden VierfQssler unterscheiden sich hauptsächhch durch
Kopf, Schwanz und Körperhaltung von einander. Auch die Einfassungen der Vierecke
und kleinere Besonderheiten zeigen Differenzen.
Dieses Kunstprodukt zeichnet sich also durch denselben Charakter aus, wie so viele
malaiischen Gewerbe, nämlich durch die Vielheit der Verzierungsformen, was von un-
serem Standpunkt wiederum interessant i.st, da es anzeigt, dass diese nicht mit Schablonen
auf Punzen, sondern wie gewöhnlich mit einer beschränkten Zahl sehr einfacher Treibeisen
aufgebaut worden sind.
Das Treiben ist der Hauptsache nach von innen nach aussen geschehen; an der In-
I. A. f K. H<l. xxm. 10
— 74 —
nenseite befindet sich also das ganze Muster tief ausgebuchtet mit den Spuren der Punzen,
die die Grundlinien der Figuren eintrieben. An der Aussenseite ist das Relief mit ober-
flächlichem Treiben aus- und nachgearbeitet worden. Dort findet man z. B. an der
Unterseite der Figuren die Spuren der Punzen, die dort den Boden weiter zurückgetrieben
haben, um das Erhabene stärker hervortreten zu lassen. Der Grund des Musters ist punktiert.
In bezug auf Entwurf und Ausführung soll die Abbildung für sich sprechen.
Die goldene gambir-Dose aus Klunkung, Serie 1684 N". 17 des ethn. Reichsmuseums in
Leiden, abgebildet auf Taf. XVI Fig. a, gehört zweifellos zu den wertvollsten Triebarbeiten
der Sammlungen. Die Dose sowie der Deckel sind ganz verziert mit getriebenen Blumen-
und Blattfiguren en relief, an den Wänden in drei Fächer verteilt; der Deckel wird durch
vier glatte bandartige Streifen, die von den Ecken ausgehen und durch einen Mäanderrand
um die Mitte in fünf Fächer verteilt.
Die Ornaraentierung dieser Dose steht als Triebarbeit deshalb über der oben behan-
delten, weil die Figuren auf diesen, aus einem dicken Goldblech bestehenden Flächen be-
sonders hoch derartig getrieben worden sind, dass die Seitenränder des Reliefs nicht nur
ganz gerade aus der Fläche heraustreten, sondern hie und da über die Fusslinien hinüber-
hängen. Dazu ist die Verzierung von innen aus sehr tief und in scharfen Umrissen aus der
Oberfläche hinausgetrieben und die Fusspartien der Figuren sind nachher mit Punzen
scharf von aussen nach innen zurückgedrängt worden.
Die an den Seitenflächen befindlichen Grecränder sind von aussen nach innen getrie-
ben, wie auch die Ausarbeitung der Blumen- und Blattornamente von aussen her ange-
bracht worden ist. Auch bei dieser Dose zeigt die Ungleichheit der Unterteile in der Oma-
mentierung an, dass die gewöhnliche einheimische Arbeitsweise mittelst weniger einfacher
Punzen befolgt worden ist.
Die doppelte silberne Gambirdose, Serie 1602 N". 106, abgebildet auf Taf. XIII Fig. ft,
verdient ebenfalls als getriebener Gegenstand vorgeführt zu werden. Die Dosen bestehen
aus einem runden, bauchig ausgetriebenen Mittelstück, einem aufgelöteten Boden und einem
Deckel, mittelst eines Scharniers mit dem Mittelstück verbunden. Die grösste Dose ist am
hübschesten gearbeitet. Um ihr Mittelstück ist eine Reihe von länglichen Schilden ange-
bracht, alle mit einem Blattornament en relief verziert. Oben und unten wird diese Schild-
reihe mit zwei Reihen einfacher Motive eingefasst. Sowohl Boden als Deckel sind mit
einem einzigen schön modellierten Blumen- und Blattoraament versehen. Sie bestehen
aus einer bombierten Silberblechplatte, auf welcher von innen heraus die sehr zusammen-
gesetzten Ornamente en relief getrieben wurden ; auch bei diesen sind die Blätter mit gros-
sem Geschmack gebogen worden. Um das Relief noch zu erhöhen, ist das Silberblech an
einzelnen Stellen nach innen getrieben. Von aussen sind die Ornamente von Boden, Deckel
und Schildreihe mit besonderer Gewandtheit mittelst Treiben ausgearbeitet. Die Blatt-
brnamente der Schilde besitzen einen gemeinsamen Zug, sind aber unter einander ver-
schieden. Auch diese Arbeit trägt das Gepräge, mit einfachen Punzen aus dem Kopf aus-
geführt worden zu sein.
Die goldene Gambirdose Serie 1602 N". 95, abgebildet auf Taf. XVI Fig. ft, die nach
ähnlichem Modell wie die vorige zusammengesetzt und verziert ist, zeigt ebenfalls der-
artige Blumen- und Blättermuster; nur ist die Oberfläche derselben ausführiich mittelst
scharfer Punzen gestrichelt. Das Relief ist nicht so hoch wie bei N". 106. Auch hier sind
Boden und Deckel im allgemeinen gleich verziert, nur ist die Verzierung des Bodens etwas
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höher aufgetrieben. Auch der dreiteilige Rand ist von innen nach aussen herausgetrieben
worden.
Die Blattmuster der 24 Schilde sind einander ähnlich, zeigen aber doch im Besonderen
Verschiedenheiten, sodass keine zwei einander ganz gleich sind. Auch hier ist die Schraf-
fienmg geübt, die tieferen Partien pointiert.
Die Oberfläche ist durch langen Gebrauch abgenutzt.
Um wenigstens ein paar Beispiele von Treibarbeiten anderer Völker zu geben, sind die
beiden Krisscheiden auf Tafel XVII a und b abgebildet worden. Fig. a stellt eine bugine-
sische, goldene Krisscheide aus Siak (Insel Sumatra) dar. Sie besteht aus Holz, ist aber mit
getriebenem Goldblech ganz bedeckt. Der einfach mit glatten Goldstreifen umwundene un-
tere Teil ist weggelassen worden. Der Kris ist im Ethnographischen Reichsmuseum unter
S. 1522 N». 1 bekannt.
Der dünnere Teil ist im Durchschnitt oval und wird nach oben breiter, wo er plötzlich
eine ahnsehnliche Verbreiterung erfährt. Die getriebenen Figuren bestehen aus Blattoma-
menten innerhalb glatter und leicht verzierter Ränder.
Das Relief der Ornamente ist durch Treiben von aussen nach innen angebracht wor-
den. Ausser den hübschen Konturen der Blattformen ist die feine Biegung ihrer Ober-
flächen sehr bemerkenswert Diese Rundungen sind bei der Abarbeitung mittelst äusserst
feiner, scharfer Punzen angebracht worden. Die hierdurch verursachten feinen Rillen sind
unter Vergrösserung gut zu sehen. Die Biegungen sind von sehr verschiedener Form und
ganz dem Verlauf der Verzierungslinien angepasst.
Fig. b auf Taf. XVII bildet die Darstellung der getriebenen Metallbedeckung einer
Krisscheide aus Bandjarmassin, Süd-Bomeo. S. 761, N". 80. Sie besteht aus mit Gold be-
decktem Kupfer, das aul den erhabensten Teilen durch Abnutzung blossliegt.
Die Omamentierung der von oben nach unten schmäler werdenden länglichen Fläche
besteht im breiteren Teil aus hübsch modellierten Blätter- und Blütenranken, die nach
unten zu immer einfacher werden. Die Hauptfiguren sind von innen nach aussen getrie-
ben worden; das hierdurch erhaltene Relief ist weiter durch Treiben von der Oberfläche
aus abgearbeitet worden. Dabei hat man, wie beim vorigen Gegenstand, die Flächen der
Blatter und Blüten mit besonderer Sorgfalt so gebogen, dass sie die Ornamentierung hübsch
erigänzen.
Die angeführten Daten erlauben den Schluss, dass die Veranlagung und Entwicklung
des Muskelgefühls bei den niedriger und höher stehenden Malaien gut sind, denn auch der
Europaer leistt^t auf ähnlichen Gebieten nichts höheres. Es würde aber Wunder nehmen, wenn
sich nicht auch in den malaiischen Zusammenlebungen Erscheinungen hervortun würden, die
die Entwicklung und praktische Verwendung geometrischer Auffassungen darlegten. Auf
diesem Gebiet soll man aber mit der nötigen Vorsicht urteilen, denn die höher entwickelte
malaiische Gesellschaft ist schon so lange und so bedeutend von sehr zivilisierten Völkern
beeinflusst worden, dass ihre praktische Geometrie keinen Schluss auf ihre eigenen psy-
chischen Exzesse zulässt. Man ist vielmehr darauf angewiesen, unter jenen fa.st unberühr-
ten malaiischen Stämmen nachzuforschen, die im Innern der Inseln Borneo und Celebes
seit Jahrhunderten ein von aussen wenig gestörtes Dasein fristeten. Die hier ansässigen
Dajak und Toradja sind ausserdem unter einander eng verwandt und in unserer Zeit gründ-
— 76 —
lieh erforscht worden. Ich werde von diesen an erster Stelle die Dajak in Betracht ziehen
und nur gelegentlich auf die Toradja zurückgreifen. Zur Erleichterung der Übersicht werde
ich kurz einzelne der Beobachtungen erwähnen, die Äusserungen geometrischen Denkens
erstens in einer Dimension, also Richtung und Längenmass, zweitens in zwei Dimen-
sionen, also Oberfläche, und drittens in drei Dimensionen, also Raumverhältnisse, darstellen.
Manches zeugt dafür, dass auch die Dajak einsehen, dass die gerade Linie den kür-
zesten Weg zwischen zwei Orten bildet, denn sie legen ihre Pfade, auch wenn sie durch
Täler oder über Berge führen, viel mehr in derselben Richtung an, als wir es tun würden.
Die Schwierigkeiten sind für sie allerdings geringer als für uns, im Gehen und Tragen
weniger trainierte Europäer. Die für sie höchst beschwerliche Anlage von Hecken, um
ihre Gewächse gegen die Waldestiere zu beschützen, geschieht auch immer in geraden
Linien; die über sehr gebirgiges Terrain hinziehenden, oft sehr unregelmässig aus den
Urwäldern gerodeten Felder zäumen sie vorzugsweise mit langen geraden Hecken ein. Die
Praxis im Schiessen mit dem Blasrohr zwingt die Dajak nicht nur, dabei ihr ganzes
Talent auf die Innehaltung einer bestimmten Richtung anzuwenden, sondern auch den
Einflüssen der Entfernung, des Luftstroms u. s. w. auf die Schiessrichtung Rechnung zu
tragen (S. oben Seite 63). Wie gut sie mit Längenmassen zu rechnen verstehen, werde ich
an unterstehenden Beispielen zu zeigen versuchen.
In Ling Roth, the Natives of Serawak, Band II Seite 240 finden wir: As an equiva-
lent for our inches and feet the natives use fingers — one, two, three, four; four fingers
constituting the breadth of a hand; their span consists of that between the thumb and
first finger and a long span in some cases between the thumb and the second finger, but
the latter measurement is not generally allowed, as the following storj- will show. Once,
while seated in a house talking to a chief, I was a witness of a heated dispute, which
took place between two of his followers anent the sale of a pig. A pig is sold by measu-
rement, the measurement being taken (by means of a string) of the girth of the body
just behind the forelegs; and for every span's-length of a string, a dollar has become the
fixed price. Now the buyer wanted to use the span of the second finger and thumb; the seller
of course objected as in a large pig the use of the longer span would materially decrease the
price. After a heated discussion, both parties appealed to their chief to give a decision. I was
anxious to see how the old chief would get out of the difficulty, as it was evident he did
not wish to offend either of them, and, on the whole, I think he managed very cleverly.
Both the disputants sat down in front of him, and explained the point of contention,
whereupon he said to the buyer : „now if you were pointing at a man (pointing at a man's
eye is a form of insult), and were to do it with your second finger (at the same time
pointing with his second finger) how foolish it would look, would it not?" The buyer was
obliged to admit that it would be so. „Well then !" said the chief, ,the first finger is the
one to use and we won't adopt any new fads in this house". The two men went away,
satisfied with the chief's decision and pig was sold. (Hose, J. A. L XXIII pag. 168—170)."
The Dusun measuring of cloth is rather an amusing occupation. All cloth is measured
by the fanthom or dapah, which is seldom more than 5 feet 10 inches, often less, being
the length that a Dusun can stretch, while holding the cloth between the tips of his fin-
gers across his chest. The villagers invariably hunt up their longest dapah stretcher and
he measures the first length, which is cut off — all eyes during this operation being bent
on the cloth to see that it is just slack and not stretched in the least." (Whitehead).
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Als ich ira Jahre 1897 mit dem Kajanhäuptling Kwing Irang beim neuen Hause seines
Nebenbuhlers Bëlarè anlegte, machte jener von der Abwesenheit des Hausherrn Gebrauch,
und hess seine Leute ganz genau die Masse dieser hübschen Wohnung aufnehmen. Die
Kajan wollten nähmlich ihrem Häuptling einen neuen Palast bauen, der aber, seiner
grösseren Wüi-de gemäss, länger, breiter und höher als der von Bélarè werden musste und
auch tatsächlich wurde. Meine Bootsmannschaft zog denn auch nach vollbrachter Arbeit
voll innerer Genugtuung mit mir den Fluss weiter abwärts.
Eine st>hr bedeutende Anweisung eines starken Richtungsbewusstseins und einer Kennt-
nis der Mittel zur Bestimmung derselben ergibt bei den Dajakstämmen ihre Feststellung
des Anfangs eines Ackerbaujahres nach dem Stand der Sonne oder anderer Gestirne.
Hierzu sind mehrere Methoden in letzter Zeit bekannt geworden. So findet man auf Seite
106 des ersten Bandes von Hose and Mc. Doüoall's „The Pagan Tribes of Borneo" : „The
clerck of the weather" (he has no ofBcial title, though the great importance of his function
secures him general respect) has no knowledge of the number of days in the year, and
does not count their passage. He is aware that the lunar month has twenty-eight days,
but he knows that the dry season does not recur after any number of completed months
and therefore keeps no record of lunar months. He relies almost entirely upon observation
of the slight changes of the sun's altitude. His ob.servations are made by the help of an
instrument closely resembling the ancient Greek gnomon, known as tukar do or aso
do. (Taf. XVUI Fig. a).
A straight cylindrical pole of hardwood is fixed vertically in the ground; it is carefully
adjusted with the aid of plumb Hues, and the possibility of its sinking deeper into the
earth is prevented by passing its lower end through a hole in a board laid horizontally
on the ground, its surface flush with the surface of the ground, which is carefully smoothed.
The pole is provided with a shoulder, which rests upon this board. The upper end of the
pole is geueraliy carved in the form of a human figure. The carv'ing may be very elabo-
rate or the figure may be indicated only by a few notches. The length of the pole from
the collar to its upper extremity is made equal to the span from tip to tip of outstretched
arms of its maker, plus the length of his span from tip of the thumb to that of the first
finger. This pole (aso do) stands on a cleared space before or behind the house and is
surrounded by a strong fence; the area within the fence, some three or four yards in
diameter, being made as level and smooth as possible. The clerk of the weather has a
neatly workwl flad stick, on which lengths are marked of by notches; these lengths are
measured by laying the stick along the radial side of the left arm, the butt end against
the anterior fold of the armpit. A notch is then cut at each of the following positions:
one notch about one inch from the butt end, a second opposite the middle of the upper
arm, one opposite the elbow, one opposite the bend of the wrist, one at the first interphalan-
geal joint, one at the finger-tip. The other side of the rod bears a larger number of notches,
of which the most distal marks the greatest length of the mid-day shadow, the next one
the length of the mid-day shadow three days after it has begun to shorten, the next the
length of the shadow after three more days' shortening and so on. The mid-day shadow
is, of course, the minimal length reached in the course of the day. and the marks denoting
the changes in length of the shadow are arrived at, purely empirically, by marking off
the length of the mid-day shadow every three days.
The clerc of the weather measures the shadow of the pole at mid-day, whenever the
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sun is unclouded. As the shadow grows shorter after reaching its maximal length, he
observes it with special care and announces to the village that the time of preparing the
land is near at hand. When the shadow reaches the notch made opposite the middle ot
the arm, the best time for sowing the grain is considered to have arrived; the land is
therefore cleared and made ready before this time arrives. Sowing at times, when the
shadow reaches other notches is held to involve various disadvantages, such as liability
to more than the usual number of pests-monkeys, insects, rats or sparrows. In the case
of each successful harvest, the date of the sowing is recorded by driving a peg of ironwood
into the ground at the point denoting the length of the mid-day shadow at that date. The
weather prophet has other marks and notches, whose meaning is known only to himself;
his procedures are surrounded by mistery and kept something of a secret, even trom the
chief as well as from the rest of the village, and his advice is always followed.
The method of observing the sun described above is universal among the Kenyahs,
but some of the Kay ans practice a different method. A hole is made in the roof of the
weather-prophet's chamber in the long-house, and the altitude of the mid-day sun and its
direction, north or south of the meridian are observed by measuring along a plank fixed
on the floor the distance of the patch of sunlight (falling through the hole on to the plank)
from the point vertically below the hole. The horizontal position of the plank is secured
by placing upon it smooth spherical stones and noting any inclination to roll. The sunbeam,
which enters this hole called kleput toh (= blow-pipe of the spirit).
Some of the Klemantans practice a third method to determine, when the time for
sowing is at hand, using a bamboo some feet in length, which bears a mark at a level
which is empirically determined. The bamboo is filled with water while in the vertical
position. It is then tilted till it points towards a certain star, when of course some water
escapes. After it has been restored to the vertical, the level of the surface of the remai-
ning water is noted. The coincidence of this level with the mark mentioned above indica-
tes that the time for sowing is come".
Die Kajanstämme am Oberen Mahakam gebrauchen den Untergang der Sonne an einer
bestimmten Stelle, um ihre Saatzeit festzustellen.
In meinem "Werke Quer durch Borneo, Teil I, Seite 317 findet man darüber : Der offizielle
Saattag fiel diesmal, wie auch sonst öfters, nicht mit dem wirklichen Saattag zusammen.
Den ersteren bestimmt der alte Priester Bo Jok nach dem Stand der Sonne, indem er
neben dem Hause zwei längliche Steine, einen grösseren und einen kleineren, aufrichtet
(Taf. XVIII Fig. b ) und dann den Zeitpunkt beobachtet, in dem die Sonne in der Verlängerung
der Verbindungslinie dieser beiden Steine hinter den gegenüberliegenden Hügeln untergeht.
Der Saattag ist der einzige, den Bo Jok auf astronomischem Wege bestimmt.
Vor der Niederlassung Batu Sala der Long-Glat-Dajak lag ein Fels im Oberen Maha-
kam, an dessen Oberfläche mir eine Vertiefung gezeigt wurde. Diese Vertiefung sollte
entstanden sein durch das Sitzen des Priesters, der von diesem Felsen aus den Niedergang
der Sonne, bis in eine Vertiefung im Kamm des Gebirges, am Horizont beobachtete zur
Bestimmung der Saatzeit. Alle diese Methoden sind ursprünglich genug und ihre Verschie-
denheit beweist, dass es sich hier nicht um etwas Fremdes, Übernommenes handelt.
Von ihren Auffassungen in bezug auf Fläche legen ihre industriellen Produkte an erster
Stelle Zeugnis ab ; mit diesem Begriff haben sie sich zu befassen bei der Verzierung ihrer
Web-, Schnitz-, Flechtarbeiten u. s. w., bei der Verteilung in mehrere Flächen, wenn die
— 79 —
Verzierung aus mehreren gleichen Ornamenten besteht, oder bei der Anwendung der Sym-
metrie, wovon auf Tafel I im ersten Teil dieser Arbeit solch ein hübsches Beispiel zu
sehen ist.
Auch bei der Überlegung, auf welche Weise die nötigen Wohnungen auf ein bestimm-
tes Landstück aufgestellt werden können, z. B. in der Form eines langen Hauses, oder
mehrerer, oder wie dieselben neben einander zu bauen sind, was alles vor einer Über-
siedelung festgestellt werden muss, haben sie sich eingehend mit mehreren Eigenschaf-
ten der Flächen auseinander zu setzen. Dazu müssen die Oberflächen der einzelnen
Wohnungen bestimmt und in Gedanken neben einander gefügt werden, um sich ein Bild
des Ganzen machen zu können.
Wenn ein Stamm, wie z. B. der Kajanstamm am Mahakara im Jahre 1897, bei seiner
Übersiedelung anfangs nur zum Teil die neue Niederlassung bezieht und einige Familien
noch auf ihren Feldern wohnen bleiben, so muss man jenen in den Wohnungsreihen den
nötigen Raum für ihre Wohnungen ganz genau aussparen (Taf. XX Fig. «). Diese Beispiele
genügen für den Beweis, dass diesen Dajakstämmen die mit Fläche verbundenen Begriffe
nicht fremd sein können.
Im ersten Teil dieser Arbeit ist die Bambusschnitzeroi bereits vom damaligen Stand-
punkt aus besprochen worden. Es wurde dabei hervorgehoben, wie bemerkenswert genau
die Verteilung dieser zylindrischen Oberflächen ohne Hilfe von Zeichnen oder Messen ge-
schieht, dass also die Verfertiger sich bei ihren Überlegungen eingehend mit den Eigen-
8chaft<»n di«»ser dreidimensionalen Oberflächen zu befassen haben. Auch bei anderen Arten
der Verzierung ist das nötig, z. B. bei Spiralen und anderen regelmässigen Figuren. Dort,
wo diese geometrische Formen bilden, wie bei den viereckigen Schnitzereien der Toradja
von Celebes, tritt dies sehr einleuchtend zu Tage.
Nicht weniger praktische Erfahrung bezüglich dreidimensionaler Eigenschaften erhalten
die Dajak bei ihrem Häuserbau ; dieser nimmt viel von ihrer Zeit in Beschlag, da sie immer
wieder nach mehreren Jahren aus den verschiedensten Beweggründen einen neuen Wohnort
aufsuchen. Bis zu welcher Höhe diese Stämme es in bezug auf Häuserbau gebracht haben,
zeigen die zwei auf Taf. XIX a und b stehenden Abbildungen eines während meines Aufent-
haltes bei ihnen gebauten Häuptlingshauses der Kajan-Dajak am Oberen Mahakam. Die Schief-
heit des Gerüsts ist der Verzeichnung durch den photographischen Apparat zuzuschreiben.
Aus diesen unter Geometrie behandelten Daten geht also hervor, dass zwar theoreti-
sche Geometrie unter den Malaien ui-sprünglich nicht betrieben wird, dass aber ihre Ver-
anlagung die Möglichkeit zur Entwicklung dieser Wissenschaft in der Form eines gut ent-
wickelten Muskelgefühls enthalt, dass dieses Muskelgefühl sowohl unter den weniger als
unter den höher zivilisierten Stämmen, der Umgebung angepasst, ausgezeichnete Leistun-
gen ermöglicht, dass schliesslich das Vorkommen der Anfänge einer praktischen Geometrie
unter den wenig berührten malaiischen Stämmen uns zu dem Schluss berechtigt, dass auch
in der Anlage der Malaien die Vorbedingungen zur Entwicklung dieser Wissenschaft
vorhanden seien.
-SO-
DAS NATURWISSENSCHAFTLICHE DENKEN.
Bereits eine oberflächliche Betrachtung lehrt, dass das naturwissenschaftliche Denken
sich in manchen Beziehungen von dem mathematischen Denken unterscheidet. Die elemen-
taren, unmittelbar gewissen Grundsätze der Mathematik sind ausnahmslos allgemeine, eine
unbestimmte Vielheit von Einzelfällen in sich befassende Urteile: aus diesen elementaren
Urteilen werden nach den bekannten logischen Gesetzen zusammengesetzte, auf ein beschränk-
teres Gebiet sich beziehende Urteile aufgebaut; und diesen sämmtlichen elementaren oder
zusammengesetzten Urteilen wird notwendige, vollkommen allgemeine und vollkommen
exakte Gewissheit zuerkannt. In allen diesen Beziehungen gilt aber genau das Umgekehrte
für die Naturwissenschaft.
Erstens sind die Ausgangspunkte der naturwissenschaftlichen Beweisführung Urteile,
die nicht auf die Gesammtheit der unter einen Allgemeinbegriff fallenden Gegenstände,
sondern nur auf einzelne Gegenstände oder auf einzelne Ereignisse sich beziehen. Die Natur-
wissenschaften sind empirische . Wissenschaften ; ihre Gewissheit ist in der Erfahrung begrün-
det; diese Erfahrung aber bietet niemals das Allgemeine als solches, sondern ist aus einer
Menge einzelner Beobachtungen und Experimente zusammengesetzt. Diese sind die einzigen
bewussten Gründe naturwissenschaftlicher Gewissheit ; aus denselben wird in letzter Instanz
die abstrakteste Formel wie das einfachste empirische Gesetz bewiesen. Allerdings werden
stellenweise auch allgemeine Sätze als Ausgangspunkte der naturwissenschaftlichen Argu-
mentation verwendet; dann sind aber entweder diese Sätze schon früher aus der Erfahrung
bewiesen worden, oder dieselben werden bloss versuchsweise aufgestellt und ihre nachfol-
gende Gewissheit beruht eben darauf, dass die aus denselben sich ergebenden Folgerungen
von der Erfahrung bestätigt werden. So wie so sind es doch wieder Urteile über einzelne
Tatsachen, die als letzte Elemente der naturwissenschaftlichen Gewissheit zu Grunde liegen.
Damit hängt aber eine zweite Eigentümlichkeit des naturwissenschaftlichen Denkens
eng zusammen. Während die Mathematik im Verlaufe ihrer Beweisführung zu Sätzen
gelangt, die auf ein stets beschränkteres Gebiet sich beziehen, wird umgekehrt das Gïebiet,
auf welches die naturwissenschaftlichen Urteile sich beziehen, im Laufe der Beweisführung
fortwährend erweitert. Aus der Gewissheit elementarer, auf einzelne Erscheinungen sich
beziehender Urteile entsteht ein Wissen von Gesetzen^ von , Gattungsurteilen", die also von
der unbestimmten Vielheit der einer bestimmten Gattung angehörigen Erscheinungen etwas
aussagen.
Aus diesen Gattungsurteilen werden wieder andere, auf eine noch mehr umfassende
Gruppe von Erscheinungen sich beziehende Urteile abgeleitet (also durch Induktion); und
so fort bis zu den höchsten Gesetzen und Theorien, dem Gravitationsgesetz, der Atom- und
Molekulartheorie, der kinetischen Theorie der Gase, hinauf. Was sodann die formale Natur
der auf dem Wege naturwissenschaftlicher Induktion gewonnenen Urteile anbelangt, so
wird denselben, der Mehrzahl nach, zwar Notwendigkeit und demzufolge unbedingte Allge-
meinheit zuerkannt, aber doch in ganz anderer Weise als auf dem Gebiete der mathema-
tischen Wissenschaften. Erstens fehlt hier die klare Einsicht, dass diese Notwendigkeit sich
aus den Begriffen ergiebt, demzufolge auch das Gegenteil eines induktiv ermittelten Satzes
niemals als undenkbar oder ungereimt erscheint; zweitens wird diese Notwendigkeit nicht
vollkommen sicher gewusst, sondern nur als mehr oder weniger wahrscheinlich angenommen.
— 81 —
Man könnte allerdings meinen, auch bei manchen naturwissenschaftlichen Sätzen sei die
klare Einsicht in die Notwendigkeit des in denselben zum Ausdruck gelangenden Verhält-
nisses vorhanden: so etwa bei den Kepler'schen Gesetzen, deren Notwendigkeit ja sofort
auch das Gravitationsgesetz ergebe. Demgegenüber muss aber bemerkt werden, dass diese
Notwendigkeit immer nur eine bedingte, von der vorausgesetzten Gültigkeit anderer induktiv
ermittelten Sätze abhängige ist, während bei diesen Sätzen selbst wieder die Einsicht in
die Notwendigkeit des Verhältnisses fehlt. Von dem Gravitationsgesetze lässt sich weder
einsehen, dass es notwendig, noch mit Gewissheit behaupten, dass es unbedingt allgemein
gelte; die Geltung desselben über die räumlichen und zeitlichen Grenzen unserer Erfahrung
hinaus ist nur mehr oder weniger w^ahrscheinlich ; sollte es aber irgendwo oder irgendwann
nicht mehr gelten, so gälten dort oder dann auch die Kepler'sche Gesetze nicht mehr.
Als eine letzte Eigentümlichkeit der naturwissenschaftlichen Urteile sei noch hervor-
gehoben, dass denselben, sofern darin quantitative Verhältnisse zum Ausdruck kommen,
keine vollkommen genaue, sondern bloss approximative Gültigkeit zukommt. Während
sâmmtliche Formeln der Mathemathik unbedingte, von der relativen Vollkommenheit unserer
Sinnesorgane und Messungmethoden unabhängige Exaktheit für sich in Anspruch nehmen,
bleiben die auf physische oder chemische Verhältnisse sich beziehenden Formeln fortwährend
der Korrektur durch genauere Wahrnehmungen und Messungen ausgesetzt.
Es ist leicht einzusehen, dass dieser Unterschied mit dem vorher berührten aufs Engste
zusammenhängt; denn wo die Einsicht in ein rein begriffliches zwischen Subjekt und Prä-
dikat bestehendes Verhältnis vorhanden ist, müssen sich auch etwaige quantitative Bezie-
hungen zwischen denselben mit vollkommener Sicherheit feststellen lassen. Wenn wir die
Gesetze ermitteln wollen, die das induktive Denken beherrschen, werden wir damit anfangen
müssen, zwei Gruppen von induktiven Denkprozessen zu sondern, deren eine der weiteren
Untersuchung nicht die geringsten, während die andere derselben um so grössere Schwie-
rigkeiten bereitet.
Es kann nämlich erstens vorkommen, dass dies Wirklichkoitsgebiet, von welchem in
einem inductiv bewiesenen allgeriieinen Urteil ein bestimmtes Prädikat ausgesagt wird,
sich vollständig mit der Summe der Wirklichkeitsgebiete, von denen in den zu Grunde
liegenden singularen oder besonderen Urteilen das nämliche Prädikat ausgesagt wurde,
deckt. Also: man hat etwa von jeder, einem bestimmten Fundorte entstammenden Münze
für sich erkannt, dass sie einer bestimmten Zeit angehört und man schliesst, dass alle
jenem Fundorte entstammenden Münzen dieser Zeit angehören. Oder: man hat ein neu-
entdecktes Land in allen Richtungen durchstreift und nirgends Wald gefunden: man schliesst
allgemein, dass sich in diesem Lande keine Wälder finden.
Zur nämlichen Gruppe gehört der Entstehungsprozess solcher Urteile, in denen eine
zu.sammengesetzte, bloss in ihren Teilen der Wahrnehmung zugängliche Tatsache beschrie-
ben wird. So schloss Kepler auf die elliptische Form der Marsbahn, weil die sämmtlichen
von dem Planeten successive eingenommenen Orte von ihm als Punkte einer nämlichen
Ellipse erkannt waren.
Endlich gehören hierher alle Fälle induktiver Beweisführung auf dem Gebiete der Mathe-
matik. Wenn mittelst des sogenannten Schlusses von n auf n + l klargelegt wird, dass
irgendwelche Formel für jede beliebige Zahl bewiesen werden kann und derselben dem-
nach Gültigkeit für alle Zahlen zuerkannt wird ; wenn man einen Satz gesondert für den
Kreis, die Ellipse, die Parabel und die Hyperbel bewiesen hat und denselben dann als für
I. A. f. E. XXIII. H
— 82 —
alle Kegelschnitte geltend aufstellt; oder wenn etwa die Kongruenzsätze für Dreiecke von
bestimmter Grösse und Gestalt bewiesen, dann aber auf alle unter den nämlichen Begriff
fallenden Dreiecke erweitert werden, weil man sich durch „innere Augenblickserfahrung"
davon überzeugt hat, dass der nämliche Beweis für Dreiecke von beliebiger Grösse und Ge-
stalt geführt werden kann.
Diese Art der induktiven Beweisführung nennt man vollständige Induktion. Man wird
leicht einsehen, dass dieselbe sich vollständig denjenigen Gesetzen unterordnet, die als die
Grundgesetze des logischen Denkens bekannt sind. Wenn wir von jedem A für sich erkannt
haben, dass es B ist, so macht offenbar das Gesetz des Widerspruchs es unmöglich, den
Satz: alle A sind B zu verneinen; denn diese Verneinung könnte nach dem Gesetze des
ausgeschlossenen Dritten nur bedeuten, dass wenigstens einige A nicht B seien; von diesen
A wäre aber, der Voraussetzung gemäss, schon früher erkannt, dass sie B sind, was jener
Behauptung widerspricht. In der Tat lässt sich der vorliegende Denkprozess ohne Schwie-
rigkeit einem der Aristotelischen Denkgesetze und zwar demjenigen, das durch die Formel
Ma% + 7aM = /a;)i ausgedrückt wird,
unterordnen: Alle untersuchten A sind B,
alle A sind untei suchte A,
demnach sind alle A B.
Zur Erklärung des Denkprozesses der vollständigen Induktion ist demnach die Annahme
verschwiegener Prämissen oder neuer Verbindungsgesetze nicht erforderlich.
Mit dem Namen unvollständige Induktion bezeichnet man diejenige Art des Induktions-
verfahrens, bei welchem aus singularen oder besonderen Urteilen, die für bestimmte Wirk-
lichkeitsgebiete irgend ein Prädikat in Anspruch nehmen, ein allgemeines Urteil abgeleitet
wird, das für ein über die Summe dieser Gebiete hinausgehendes Wirklichkeitsgebiet das
nämliche Prädikat in Anspruch nimmt. In der Wissenschaft z. B. hält man, dass Queck-
silber bei 360° C. siedet, dass alle Körper gegenseitig gravitieren, dass Chinin Fieber ver-
treibt, für allgemein und notwendig wahr, obgleich man bloss einen verschwindend kleinen
Teil des überhaupt vorkommenden Quecksilbers oder Chinins oder der überhaupt vorkom-
menden Körper auf die betreffenden Eigenschaften hin hat untersuchen können. Man hat
in einem, in einigen oder in vielen Fällen gefunden, dass ein A B war und man schliesst
(mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit), dass A notwendigerweise B sei und dass
demnach alle A B seien.
Es scheint klar, dass wir es hier mit einem ganz anders gearteten Übergange als in
den früher erörterten, als Beispiele der vollständigen Induktion angeführten Fällen zu tun
haben, denn hier steht erstens die Erzeugung eines neuen, inhaltlich von den ursprüng-
lichen Urteilen verschiedenen Urteils ausser Zweifel und kann zweitens die Erzeugung
dieses neuen Urteils nicht aus den logischen Gesetzen erklärt werden.
Zwar könnte man meinen, in gewissen einfachen Fällen die Notwendigkeit eines phy-
sikalischen Vorgangs unmittelbar wahrnehmen oder aus dem Wahrgenommenen erschliessen
zu können: so etwa die Notwendigkeit der Bewegung eines gestossenen Körpers. Allein
mit Unrecht, denn die Bewegung des stossenden bis zur Berührung mit dem gestossenen
Körper und die nachfolgende Bewegnng des Letzteren sind doch zwei verschiedene Vor-
gänge; in der Wahrnehmung des einen ist über den anderen nichts mit gegeben. Die
logische Schlussfolgerung aber führt niemals von einer Tatsache zur anderen, sondern stets
bloss von einer Betrachtungsweise einer Tatsache zu einer anderen Betrachtungsweise der
- 83 —
nämlichen Tatsache. Aus den Daten der sinnlichen Wahraehmung und den Gesetzen des
logischen Denkens kann die tatsächlich vorliegende Überzeugung von der Notwendigkeit
des erwähnten Verhältnisses nicht erklärt werden.
Es scheint also, dass weder die Notwendigkeit noch die Allgemeinheit, die den Ergeb-
nissen des induktiven Denkens zukommt, als ein Produkt rein logischer Verarbeitung der
zur Begründung derselben angeführten Wahmehmungsurteile erklärt werden kann. Wir
müssen demnach annehmen, dass bei dem Induktionsverfahren entweder ausser diesen
Wahrnehmungsurteilen noch andere, nicht genannte und vielleicht selbst nicht klar bewusste
Prämissen vorausgesetzt werden oder aber, dass unter bestimmten Umständen andere als
die logischen Verbindungsgesetze wirksam werden. Ob wir uns für die eine oder für die
andere Alternative entscheiden müssen, kann nur eine sorgfaltige Untersuchung des vor-
liegenden Tatsachenmaterials lehren.
Eine kurze Überlegung lehrt, dass die Inhalte der induktiv ermittelten Urteile Verschie-
denheiten erkennen lassen, die vielleicht für das Verständnis ihrer Entstehung nicht ohne
Bedeutung sind. Es sind nämlich dies»» Urteile ohne Ausnahme allgemeiner Natur; sie haben
demnach entweder die Wirklichkeit überhaupt, oder den ganzen Umfang eines bestimmten
Teiles dieser Wirklichkeit zum Subjekte. Ersteres ist der Fall bei den Urteilen: , alles
Bestehende ist vergänglich oder es existieren nur Stoff und Kraft" ; das andere kann wieder
in sehr verschiedener Weise stattfinden. Erstens kann das Subjekt rein zeitlich oder rein
Ortlich bestimmt sein, d. h. die betreffenden Urteile sagen aus, dass die Wirklichkeit ent-
weder zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten bestimmten Vorstellungen ent-
spreche otler nicht entspreche. Wir haben es dann mit reinen Zeit- oder Ortsgesetzen zu
tun, wie etwa folgende: „um jeden 12 August giebt es zahlreiche Sternschnuppen" oder
„innerhalb der Erde nimmt die Temperatur mit der Tiefe zu". In anderen Fällen ist das
Subjekt qualitativ oder durch räumliche Beziehungen zu einer andern qualitativ bestimm-
ten Wirklichkeit bestimmt oder es wird behauptet, dass ein Wirkliches, sofern es bestimmte
Eigenschaften besitze oder zu einem anderen Wirklichen in bestimmten räumlichen Ver-
hältnissen stehe, bestimmten Vorstellungen entspreche oder nicht entspreche. So verhält
sich die Sache bei den Koexistenzyesetzeii, wie „alle Wiederkäuer besitzen gespaltene Klauen" ;
.Quarz kommt nur in Formen, welche dem hexagonalen System angehören, vor" ; ,wo die
Alpenflora anfängt, wachsen keine Bäume mehr". Es können sodann mit diesen qualita-
tiven oder relativen Bestimmungen Zeit- oder Ortsbestimmungen als selbständige Merkmale
verbunden sein (zeitlicli oder raiimlich beschränkte Koexistetizgesetzey. „einmal im Jahr werden
die Bäume grün", Jeden Morgen erlöschen die Sterne", „die Tiere in Amerika sind ver-
hältnismässig kleiner Statur".
Schliesslich können Zeitbestimmungen, statt selbständig neben den qualitativen oder
relativen Bestimmungen aufï5utreten, von diesen abhängig gesetzt werden ; wir haben dann
mit „Successionsgesetzen" zu tun, wie: „Willkührherrschafl erzeugt Revolutionen", „in
einem gestossenen Körper entsteht Wärme", „vor dem Sturme fällt das Barometer". Es
ware leicht diese Einteilung der induktiven Urteile noch weiter fortzusetzen.
Eine ganz her\'orragende Stelle nimmt die kausale Induktion in dem naturwissenschaft-
lichen Denken ein, sie ist in Sätzen von der Form „A ist die Ursache von B" enthal-
ten. Um die Art dit»ser kausalen Induktion näht-r kennen zu lernen, lässt sich feststel-
len, dass sie zu den Sukzessionsgesetzen gehört, dass ihre Subjekt- und Prädikatbegriffe
verschieden sind und dass die Verwirklichung der Prädikatvorstellung als das Ergebnis
— 84 —
einer Veränderung, als ein neu eintretender Zustand gedacht wird. Hierdurch sind die
Merkmale keineswegs erschöpft und nicht leicht nachzuspüren. Die kausalen Begriffe sind
eben, nach dem Ausdrucke Kant's „verworrene Begriffe"; wir wenden sie im Leben und
in der Wissenschaft mit Sicherheit an, sind aber nicht im Stande, uns den Inhalt derselben
zu deuthchem Bewusstsein zu bringen. Dieser Inhalt liegt genau so wie derjenige der
arithmetischen und geometrischen Grundbegriffe, teilweise in den Tiefen des Nicht- oder
Halbbewussten verborgen und lässt sich, wie jener, nicht auf direktem sondern bloss aut
indirektem Wege entdecken. Das heisst: wir müssen, da die kausalen Begriffe selbst sich
nicht greifen lassen, auf die Anwendungen derselben acht geben und aus den Anwendungen
derselben auf die zu Grunde liegenden Begriffe zurückzuschhessen versuchen.
Jene erstere Untersuchung unternommen, auf das ganze Gebiet der Erscheinungen des
kausalen Denkens ausgedehnt und im Wesentlichen zu Ende geführt zu haben, ist das
bleibende Verdienst John Stuart Mill's. Die fünf Methoden des kausalen Denkens, welche
er aus dem tatsächlichen Verfahren der Wissenschaft abstrahiert, begrifflich bestimmt und
auf eine allgemeine Voraussetzung des Denkens zurückgeführt hat, scheinen in der Tat alle
Denkprozesse zu umfassen, die zur Annahme eines ursächlichen Verhältnisses führen:
wenigstens ist noch kein Fall nachgewiesen worden, der sich denselben nicht unter-
ordnen liesse.
Im wissenschaftlichen Denken geht die praktische Anwendung dieser Methoden der
theoretischen Begründung derselben vorher; das Vertrauen und die Sicherheit, womit man
sie anwendet, wurzeln in unbewussten, aus der Anwendung erst zu ermittehiden Prozessen
und Voraussetzungen des Denkens. Es sind demnach empirische Gesetze des kausalen
Denkens:
1". Wenn zwei oder mehrere Fälle, in welchen ein neuer Zustand eintritt, nur einen
Umstand gemein haben, so erklärt man diesen Umstand für die wahrscheinliche Ursache
oder Mitursache des neu eintretenden Zustandes (Methode der Übereinstimmung).
Schema : A B C D , W
AEF6 W
AHIK W
A wahrsch. Urs. oder Mitursache von W.
2". Wenn ein Fall, in welchem ein neuer Zustand eintritt und ein Fall, in welchem
derselbe nicht eintritt, alle Umstände bis auf einen gemein haben, während dieser nur in
dem ersteren Falle vorhanden ist, so erklärt man diesen Zustand für die Ureache oder
Mitursache des neu eintretenden Zustandes (Methode des Unterschieds).
Schema: A PQ W
A P nicht W
Q Urs. oder Mitureache von W
3". Wenn zwei oder mehrere Fälle, in welchen ein neuer Zustand eintritt, einen oder
mehrere Umstände gemein haben, darunter aber nur einen, welcher in zwei oder mehreren
Fällen, in denen der neue Zustand nicht eintritt, fehlt, so erklärt man diesen Umstand
— 85 —
für die wahrscheinliche Ursache oder Mitursache des neu eintretenden Zustandes (vereinigte
Methode der Übereinstimmung und des Unterschieds oder indirekte Methode des Unterschieds).
Schema: AB CD W
ABCE W
B F G nicht W
BCH nicht W
A wahrsch. Urs. oder Miturs. von W.
4°. Wenn ein Teil eines neu eintretenden Zustandes auf Grund vorhergehender Induk-
tionen als die Wirkung bestimmter Umstände erkannt vrorden ist, so erklärt man die
übrigbleibenden Umstände für die Ursache oder Mitursache des übrigbleibenden Teiles des
neu eintretenden Zustandes (Methode des Rückstandes).
Schema: A P — W
A PQ_w + W'
Q Urs. oder Miturs. von W'.
5". Wenn ein quantitativ bestimmbarer neuer Zustand in grösserem oder geringerem
Masse eintritt, je nachdem bestimmte Umstände in grösserem oder geringerem Masse vor-
handen sind, so erklärt man diese Umstände fttr die wahrscheinUche Ursache oder Mit-
ursache des neu eintretenden Zustandes (Methode der sich begleitenden Variationen).
Schema: ABC, D W,
ABC,D W,
A B C, D W,
C wahrsch. Urs. oder Miturs. von W.
Mill fasst seine fQnf Methoden allgemeiner, indem er dieselben nicht nur für das kausale,
sondern für das induktive Denken überhaupt, nicht nur für die Feststellung der Ursachen
neu eintretender Zustande, sondern auch für die Bestimmung der Bedingungen bleibender
Zustände gelten lässt.
Diese allgemeinere Formulierung ist auch in sofern einwurfsfrei, als in der Tat im
Groasen und Ganzen sämmtliche induktive Denkprozesse diesen Methoden sich unterordnen
lassen; sie hat aber den Nachteil, dass sie gewisse höchst bedeutsame, auf die Wahr-
scheinlichkeitsverhältnisse sich beziehende Unterschiede zwischen kausaler und nicht kau-
saler Induktion nicht zur Geltung gelangen lässt.
Das zweite und vierte der Gesetze Mül's lassen sich mit einander in Verbindung bringen.
Die Methode des Unterschieds gelangt in der Wissenschaft zur Anwendung, wenn man
z. B. zwei gleichartige Stücke Kohle, von denen das eine sich in einem luftleeren, das
andere in einem lufterfüllten Räume befindet, bis zur nämlichen Temperatur erhitzt und
findet, dass jenes nicht, dieses aber wohl verbrennt; man schliesst, dass die Berührung
der Kohle mit der Luft wahrscheinlich Mitursache der Verbrennung ist. Den in dieser Weise
gewonnenen Urteilen kommt, wie sämmtlichen Induktionssätzen, bloss Wahrscheinlichkeit,
— 86 —
keine vollständige Gewissheit zu ; diese Wahrscheinlichkeit ist aber bedeutender Gradunter-
schiede fähig. Dieselben lassen sich vollständig auf die grössere oder geringere Wahrschein-
lichkeit, dass die Bedingungen für die Anwendung der Methode des Unterschieds auch
wirklich gegeben seien, zurückführen. So tritt aber nur selten die genügende Gewissheit
auf, dass zwei Fälle sich sicher nur durch einen Umstand von einander unterscheiden.
Jene Ungewissheit liegt demnach keineswegs im Wesen der Unterschiedsmethode; nur
wenn und insofern sie in den Daten vorkommt, findet sie sich in den Ergebnissen zurück;
während des Denkprozesses selbst wird sie weder erst hervorgebracht noch auch vergrössert.
Es verdient schliesslich noch ausdrücklich hervorgehoben zu werden, dass dieser Schluss
mit gleicher Notwendigkeit vollzogen wird, wenn ein Paar als wenn mehrere Paare über-
einstimmender Urteile von der bezeichneten Form vorliegen. Allerdings ist im beträchthchen
Denken die Anzahl der Fälle nicht ohne Bedeutung; aber diese Bedeutung besteht aus-
schliesslich darin, dass die Wiederholung eines Experiments zur Sicherstellung der in den
Prämissen beschriebenen Tatsachen beitragen kann; demgemäss sie vollkommen überflüssig
wird, wenn aus anderen Gründen die exakte Geltung der Prämissen als feststehend ange-
nommen wird.
Die Methode der Eückstände ist als eine blosse Modification der Unterschiedsmethode
zu betrachten. Die Fälle, in welchen sie zur Anwendung kommt, sind von den Anwen-
dungen der Unterschiedsmethode nur dadurch verschieden, dass die negative, auf das Nicht-
eintreten eines Teils eines neuen Zustandes sich beziehende Prämisse hier nicht durch
direkte Beobachtung, sondern durch logische Schlussfolgerung aus bereits bekannten Natur-
gesetzen gewonnen, demnach auch nicht singularer, sondern allgemeiner Natur ist. Die
nämliche Gewissheit, die die Unterschiedsmethode im günstigsten Falle bieten kann, ist
dementsprechend prinzipiell auch mittelst der Rückstandsmethode zu erreichen; wird sie
tatsächlich nicht erreicht, so liegt auch hier die Schuld bei den Prämissen, nicht bei dem
Schlussprozesse selbst.
Allerdings werden bei den Anwendungen der Rückstandsmethode viel seltener als bei
den Anwendungen der Unterschiedsmethoden die Prämissen einen erheblichen Wahrschein-
lichkeitsgrad besitzen. Während bei dieser die unterscheidenden Umstände vielfach auf
experimentellem Wege eingeführt werden und so eine genaue Kontrole ermöglichen, lassen
sich dieselben bei der Rückstandsmethode nur durch einen Subtraktionsprozess, welcher
vollständige Kenntnis sämmtlicher Umstände voraussetzt, bestimmen. Nur in den verhält-
nismässig seltenen Fällen, wo frühere umfassende Untersuchungen die Vollständigkeit dieser
Kenntnis verbürgen, führt die Rückstandsmethode zu sicheren Resultaten. Die Astronomie
in der Geschichte der Entdeckung des Neptun, sowie in der an der Verkürzung der Umlaufs-
zeit des Encke'schen Kometen sich anschliessenden Hypothese eines widerstandleistenden
Aethers, bietet dafür lehrreiche Beispiele dar.
Bei dem ersten, dritten und fünften der Gesetze Mill's hat man an erster Stelle mit der
Methode der Übereinstimmung zu tun. Den Ergebnissen dieser Methode wird nur eine ver-
hältnismässig geringe Wahrscheinlichkeit zuerkannt. Eine einfache Analyse giebt die Ant-
wort, ob diese ausschliesslich in der Ungewissheit der Prämissen oder ob sie, ganz oder
teilweise, im Wesen der Methode selbst begründet sei. Die Ungewissheit der Ergebnisse
rührt mindestens zum Teil von der Ungewissheit der Prämissen her. Im Allgemeinen
ist es sehr schwierig, sich davon zu überzeugen, dass zwei oder mehrere Fälle wirklich
nur einen Umstand gemein haben; die Wahrscheinlichkeit wird um so grösser, je zahl-
— 87 —
reicher die Falle, in welchen man nur diesen einen geraeinsamen Umstand hat auffinden
können. Keineswegs aber finden wir (wie bei der ünterschiedsmethode), dass wenn alle
den Prämissen anhaftende Ungewssheit aufgehoben wäre, auch der Schlussfolgerung voll-
kommene Gewissheit zukommen würde.
Der vereinigten Methode der Übereinstimmung und des Unterschieds oder indirekten
Unterschiedsmethode, wie Mill dieselbe formuliert „wenn zwei oder mehrere Fälle, in wel-
chen eine Erscheinung eintritt, nur einen Umstand gemein haben, während zwei oder
mehrere Falle, in welchen dieselbe nicht eintritt, nichts Anderes als die Abwesenheit jenes
Umstandes gemein haben, soll daraus geschlossen werden, dass der betrefifende Umstand
die Ursache oder Mitursache der betreffenden Erscheinung sei", von dieser glaubt er die
Beweiskraft wie diejenige der Unterschiedsmethode gleichsetzen zu dürfen.
Erstens ist es aber klar, dass das so formulieite Gesetz nur ein Spezialfall des ersten
Mill'schen Gesetzes darstellt, zweitens, dass aber jener zweiten, die grössere Beweiskraft
verbürgenden Bedingung zufolge, diese Methode niemals und nirgends im wirklichen Denken
Anwendung finden kann. Die Zahl der positiven Umstände ist in jedem gegebenen Falle
eine beschränkte, die Zahl der negativen Umstände aber eine unendliche und es ist undenk-
bar, dass es zwei Falle geben sollte, in welchen diese beiden Unendlichkeiten kein einziges
Element gemein haben sollten. Es gilt eben von dieser Methode, dass sie leicht zu ver-
stehen aber unmöglich zu verwirklichen ist.
Man kann sich leicht davon überzeugen, dass dieses Gesetz im Leben wie in der Wis-
senschaft vielfache Anwendung findet, besonders dann, wenn man mit Ursachen zu tun
hat, die erst nach einiger Zeit oder mit Teilursachen, die nur in Verbindung mit anderen,
verborgenen Ursachen ihre Wirkung herv'orbringen. Auf Tatsachenkomplexe wie diese: dass
eine epidemische Krankheit unter denjenigen Bewohnern eines Viertels, die Wasser aus
einem bestimmten Brunnen trinken, heftiger wütet als unter den anderen Bewohnern des
selben Viertels; oder dass auf einem mit Chilisalpeter gedüngten Acker die Pflanzen üppiger
Wachsen als auf einem benachbarten mit Naturmist gedüngten Acker u. s. w., lässt sich
weder die direkte Unterschiedsmethode noch die Methode der Übereinstimmung anwenden.
Jene nicht, weil sich jede positivr« von jeder negativen Instanz in mehrerer Hinsicht unter-
scheidet, diese nicht, weil sümmtliche positive Instanzen mehrere Umstände gemein haben.
Dagegen ist es äusserst unwahrscheinlich, dass es in diesen Fällen ausser dem Trinkwasser
oder der Chilisalpeter Düngung noch andere Umstände geben sollte, die in sämmtlichen
positiven Instanzen vorkommen, in sämmtlichen negativen dagegen fehlen; demzufolge wird
nach der indirekten Unterschiedsmethode geschlossen, dass wahrscheinUch die erwähnten
Umstände Ursachen oder Mitursachen der betreffenden Erscheinungen seien.
Was schliesslich die MeÜiode der sich begleitenden Variationen betrifft, so lassen sich
die Anwendungi-n derselben teils der direkten, teils der indirekten Unterschiedsmethoden
unterordnen.
Es ist jetzt fi^lich, ob sich die Mill'schen Gesetze entweder auf ein allgemeineres
Denkgesetz, oder auf die t>ekannten logischen Gesetze in Verbindung mit verschwiegenen
Prämissen zurückführen lassen. Man gelangt dann zu folgendem Ergebnis: Die empirischen
Gesetze, welche die Entstehung kausaler Urteile aus gegebener Erfahrung beherrschen,
lassen sich vollständig auf die logischen Gesetze zurückführen, wenn wir annehmen, dass
dem kausalen Denken ausser den Erfahrungsdaten noch die beiden folgendermassen allge-
mein zu formulierenden Voraussetzungen zu Grunde liegen:
- 88 —
1. Jede neu eintretende Erscheinung hat unter den ihrem Eintreten vorhergehenden
qualitativen und relativen Bestimmungen ihres Subjektes ihre Ursache;
2. Wenn die Ursache einer Erscheinung gegeben ist, muss diese Erscheinung notwen-
dig eintreten.
Diese Voraussetzungen, wenn sie auch in der Beweisführung nicht ausdrücklich her-
vorgehoben zu werden pflegen, werden dennoch allgemein als richtig anerkannt. "Wir sind
demnach, wie es. scheint, vollkommen berechtigt anzunehmen, dass unsere kausalen Über-
zeugungen in der Tat nach logischen Gesetzen aus jenen Voraussetzungen und den Erfah-
rungsdaten zu Stande gekommen sind, m. a. W. dass jene Voraussetzungen und Erfahrungs-
daten die elementaren Urteile abgeben, aus welchen sämmtliche Urteile über ursächliche
Beziehungen zusammengesetzt sind.
Es fragt sich jetzt, ob die selben Voraussetzungen auch bei der Entstehung anderer
induktiven Urteile als mitwirkende Faktoren auftreten. Wir stellen zuerst den kausalen
Urteilen die Koexistenzgesetze gegenüber, also induktiv ermittelte allgemeine Urteile, bei
welchen bleibende Eigenschaften oder Zustände eines Wirklichen von gleichzeitigen Bestim-
mungen desselben abhängig gesetzt werden. Solche Urteile bilden den Hauptbestandteil der
beschreibenden Naturwissenschaften; jede Beschreibung einer Tier- oder Pflanzenspecies,
eines Minerals oder einer chemischen Substanz giebt davon ein Beispiel. Ein auffallender
Unterschied zeigt sich im Verhalten des Denkens diesen beiden Fällen gegenüber: Wirk-
liche Ausnahmen von Kausalgesetzen erscheinen uns einfach unmöglich; wo solche in der
Erfahrung vorzukommen scheinen, schUessen wir sofort, dass unsere Kenntnis der Umstände
eine mangelhafte gewesen sein muss. Dagegen wenn ein Koexistenzgesetz eine Ausnahme
erleidet, würde es für ungereimt gelten, analoge Behauptungen aufzustellen.
Für gewöhnlich sind Raben schwarz und Kleeblätter dreizählig; das heisst, mit den
sonstigen Merkmalen A, . . , . A„ der Raben ist regelmässig die schwarze Farbe, mit der
sonstigen Merkmalen B, B„ des Klees regelmässig die Dreizahl der Blätter verbunden;
wenn aber einmal ein weisser Rabe oder ein vierblättriges Kleeblatt vorkommt, fallt es
niemandem ein zu fordern, dass nun auch in jenen sonstigen Merkmalen notwendig irgend-
welche Abweichung von der Norm gegeben sein müsse.
Nun wechseln wir aber unseren Standpunkt und betrachten den Raben oder die Klee-
pflanze als geworden; und sofort ist die kausale Betrachtungsweise mit ihrem Postulate
absoluter Regelmässigkeit wieder da. Niemand wird bezweifeln, dass in der Entstehungs-
geschichte dieser Monstra Umstände vorgekommen sein müssen, die von den gewöhnlichen
abweichen; und dass, so oft diese Umstände sich in gleicher Weise wiederholen, sie die
nämliche Abnormität erzeugen werden.
Wenn demnach zu den Voraussetzungen, welche der kausalen Induktion zu Grunde
liegen, Analoga für Koexistenzverhältnisse nicht vorliegen, so lässt sich auch von vorn-
herein vermuten, dass die auf diese Voraussetzungen sich stützenden Methoden des kau-
salen Denkens hier nicht in gleicher Weise Wie dort Anwendung finden werden.
In der Tat wird diese Vermutung durch die nähere Untersuchung vollkommen bestä-
tigt. Die direkte Unterschieds- und die Rückstandsmethode haben für die Ermittlung von
Koexistenzsätzen nicht die geringste Bedeutung. Offenbar sind alle diese Verschiedenheiten
darauf zurückzuführen, dass die Voraussetzungen, die der kausalen Induktion zu Grunde
liegen, hier fehlen. Dann erhebt sich die Frage, in welcher Weise dann die induktive
Verallgemeinerung solcher Verhältnisse möglich sei. Die Antwort muss einfach lauten:
— 89 —
durch bewusste oder unbewusste Vermittlung kausaler Induktion, da wir das gegebene
Koexistenzverhâltnis als das Resultat gegebener oder nicht gegebener Kausalverhältnisse
betrachten.
Bei sâmmtlichen Fällen ausserkausaler Induktion finden wir weiter die Verhältnisse,
die wir bei der Induktion von Koexistenzurteilen fanden, im Wesentlichen unverändert
zurück. Das heisst also: es fehlen die Analoga zu den Voraussetzungen des kausalen Den-
kens, die Gewissheit der Ergebnisse bleibt hinter derjenigen der Prämissen zurück und die
Beweisführung findet durch bewusste oder unbewusste Vermittlung kausaler Induktionen statt.
Das Vorhergehende kurz zusammenfassend, finden wir, dass die ausserkausale Induk-
tion in ihrem ganzen Umfange der kausalen Induktion nicht nebengeordnet, sondern unter-
geordnet ist, indem sie sich voll und ganz auf dieselbe zurückführen lässt. Auch der
mehr oder weniger ausgeprägte Notwendigkeitscharakter, welcher den ausserkausalen Gesetzen
zukommt, ist ohne Rest den zu Grunde liegenden, kausalen Verhältnissen entlehnt. Jeder
ausserkausale Induktionsprozess ist ein logischer Schluss, welchem ausser den Erfahrungs-
daten nur die Voraussetzungen der kausalen Induktion als Prämissen zu Grunde liegen.
Wenn wir zum richtigeren Begriff des induktiven Denkens jetzt die dieses beherr-
schende, kausale Induktion näher betrachten, so zeigt es sich, dass die nach den Mill'schen
Methoden ermittelten Kausalgesetze keineswegs immer als einfacher Ausdruck wirklicher
Verhaltnisse hingenommen, sondern vielmehr in den allermeisten Fällen als bloss provi-
sorische, selbst der Erklärung bedürftige „empirische Gesetze" aufgestellt werden. Die
geforderte Erklärung muss dann entweder durch Einschaltung vermittelnder Zwischenglieder
oder durch hypothetische Annahme über die den Erscheinungen zu Grunde liegenden Dinge
zustande gebracht werden.
Auf die Frage, welche bewusste oder unbewusste Kjiterien darüber entscheiden, ob
ein empirisch ermitteltes Kausalverhältnis als definitives Ergebnis akceptiert oder als ein
zu erklärendes oder unerklärbares Problem bei Seite gestellt wird, lautet die Antwort, dass
neben den fHlher besprochenen noch folgende Kausalprincipien dem naturwissenschaftlichen
Denken zu Grunde liegen:
1*. zeitliche Berührung zwischen Ursache und Wirkung,
2". räumliche Berührung der an der Verursachung beteiligten Wirklichkeitselomente,
8". Aequivalenz von Ursache und Wirkung,
4". logische B«^ziehung zwischen Ursiiche und Wirkung.
Die Hamilton' 8che Hypothese. Um diese Erscheinungen des kausalen Denkens zu erklären,
sind verschiedene Versuche gemacht worden. Die Hypothese des englischen Philosophen
sir W. Hamilton entspricht diesen Anforderungen am vollkommensten. Seine Worte sind
folgende:
When we are aware of something, which begins to be, we are by the necessity of our
intelligence constrained to believe, that it has a cause. But what does the expression, that
it has a cause, signify?
If we analyse our thought, we shall find, that it simply means, that as we cannot
conceive any new existence to commence, therefore all that now is seen to arise under a
new appearance has previously an existence under a prior form. Wo are utterly unable
to reaUso in thought the possibility of the complement of existence being either increased
or diminished. We are unable, on the one hand, to conceive nothing becoming something —
or, on the other, something becoming nothing. When God is said to create out of nothing,
I. A. f. K. XX III. 12
— 90 —
we construe this to thought by supposing that He evolves existence out of Himself; we
view the Creator as the cause of the universe. „Ex nihilo nihil, in nihilum nil posse
reverti", expresses in its purest form, the whole intellectual phenomenon of causality".
Im Folgenden wird erstens nachzuweisen sein, dass die Voraussetzung, welche nach
der Hamilton'schen Hypothese dem kausalen Denken zu Grunde liegt, eine vera causa ist;
zweitens darzutun, dass sie zur Erklärung der Kausalprincipien, auf welche sämmtliche
Erscheinungen des kausalen Denkens zurückgeführt sind, vollständig ausreicht; drittens zu
zeigen, dass mehrere sonst schwer verständliche Eigentümlichkeiten des wissenschaftlichen
und ausserwissenschaftlichen, auf die kausalen Verhältnisse sich beziehenden Sprachge-
brauchs durch sie ihre Erklärung finden ; viertens die erkenntnistheoretische Natur jener
Voraussetzung festzustellen und die Frage zu beantworten, ob eine weitere Erklärung der-
selben nötig und in welcher Richtung sie zu suchen sei.
Die Überzeugung von der Unmöglichkeit des Entstehens und Vergehens gehört zu
den ältesten Voraussetzungen des europäischen Denkens. Von den ersten griechischen Natur-
philosophen berichtet Aristoteles, dass sie nichts sorgfaltiger vermieden als die Annahme,
etwas sei aus einem nicht vorher Vorhandenen entstanden; vielmehr sei es ihre gemein-
same Überzeugung gewesen, dass Nichts aus Nichts entstehe und Nichts in Nichts vergehe.
Im weiteren Verlauf der griechischen Philosophie haben dann alle Schulen für dasjenige,
was sie als das wahrhaft Seiende betrachteten, die Prädicate des Unentstandenen und
Unvergänglichen in Anspruch genommen; und von den Systemen der neueren Philosophie
gilt genau dasselbe. Indem sodann die Naturwissenschaft für ihr Gebiet Materie imd Kraft
als das einzig Seiende annehmen zu müssen glaubte, acceptierte sie einerseits den altgrie-
chischen Gedanken, dass die Materie aus unentstandenen, unvergänglichen und unveränder-
lichen kleinsten Teilen zusammengesetzt sei; andererseits forderte sie sofort und mit glei-
cher Bestimmtheit auch die Erhaltung der Kraft.
Dieser Gedanke von der Erhaltung der Kraft wurde schon von Lucrez ausgesprochen,
von Gassendi erneuert, von Descartes als Prinzip von der Konstanz der Bewegungsquan-
tität neu formuliert und von Leibniz auf die durch mv- gemessene „lebendige Kraft" bezogen.
Dem während eines Jahrhunderts fortgesetzten Streit zwischen Cartesianern und Leibnitzianem
über das wahre Kraftmass lag eben die Voraussetzung von der Unzerstörbarkeit der Kxaft
zu Grunde ; die eigentliche Frage war, wie man die Kraft zu messen habe, damit der For-
derung ihrer Unzerstörbarkeit genügt werde.
Dieser historische Tatbestand ist besonders deshalb interessant, weil derselbe die Unab-
hängigkeit jener Voraussetzung von der empirischen Forschung ad oculos demonstriert.
Dass keine Zu- oder Abnahme der Kraft im Weltall stattfinden könne, wird mit Zuver-
sicht behauptet, lange bevor man weiss, wie man diese Kraft zu messen hat; ja selbst
während man glaubt dieselbe in einer Weise messen zu müssen, nach welcher die Erfah-
rung das Prinzip nicht bestätigen würde. Die Sache veriäuft deshalb geradezu umgekehrt,
wie man bei einem empirischen Satze vermuten würde. Zuerst wird das Prinzip in einer
so unbestimmten Form aufgestellt, dass es sich mit den Tatsachen überhaupt nicht ver-
gleichen lässt; nachdem letztere besser bekannt geworden, wird der Inhalt des ersteren
so weit präzisiert, dass die beiden zusammenpassen. Mit anderen Woiten: man hat von
Anfang an gewusst oder zu wissen geglaubt, dass die Kraft unzerstörbar sei: was aber in
diesem Satze das Wort Kraft eigentlich bedeute, hat man nicht gewusst, sondern aus der
Erfahrung, mit Hilfe eben dieses Satzes zu ermitteln gesucht. Dementsprechend haben denn
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auch sàmmtliche Denker von Lucrez bis Leibniz das Prinzip nicht aus der Erfahrung son-
dern aus den Begriffen zu beweisen gesucht. Dass die von Hamilton zur Erklärung der
Erscheinungen des kausalen Denkens verwendete Voraussetzung wirklich als solche existiert
und mit der frühesten Jugend der europaischen Wissenschaft existiert hat, scheint hiermit
erwiesen zu sein ; hypothetisch ist bloss die Beziehung dieser Voraussetzung zu den Erschei-
nungen des kausalen Denkens.
Dementsprechend werden im Folgenden mit den Ausdrucke „Hamilton' sches Postulat"
oder ,HamHton'8ches Prinzip" die tatsächliche Voraussetzung von der Unmöglichkeit des
Entstehens und Vergehens bezeichnet; mit dem Ausdrucke „Hamilton' sehe Hypothese"
dagegen die Annahme, dass aus jener tatsâchUchen Voraussetzung das ganze kausale Den-
ken zu erklären sei.
Die HaniiUon'sche Hypothese und die Kausalprinzipien. Diese Hypothese geht von der
Tatsache aus, dass wir ein wirkliches Entstehen oder Vergehen für unmöglich halten, dass
wir demnach überzeugt sind, alles was jetzt existiert müsse auch früher existiert haben
und spater noch existieren. "Wir nehmen an, dass das scheinbar Neuentstandene tatsächlich
schon früher in irgendwelcher Weise existiert habe oder dass das scheinbar Verschwundene
noch jetzt in irgendwelcher Wei.^ fortexistiere. Wenn es uns nicht gelingt, diese Prozesse
zu durchblicken, so giebt es nur diesen Ausweg: was die Erfahrung ausbietet, muss ein
unvollständiges oder ein ungetreues Bild der Wirklichkeit sein. Aber mit dieser Lösung
des Problems giebt sich unser Wissenstrieb nicht zufrieden; wir wollen die wahre, hinter
den Erscheinungen sich versteckende Wirklichkeit erkennen; wir wollen auch wissen, was
in dieser geschieht, während jene uns das Bild eines Entstehens und Vergehens vorgaukelt.
Durch Versuche trachten wir von dem, was wir nicht wissen, eine Vorstellung wenigstens
zu gewinnen und da föngt dann die Arbeit der Hypothesenbildung an. Aber das Ziel,
worauf diese ganze Gedankenbewegung hinstrebt, bleibt immer dasselbe: möglichste Elimina-
tion aller Verschiedenheit zwischen den Wirklichkeiten, welche wir als der früheren und
der späteren Wahrnehmung zu Grunde liegend denken.
Von diesem Standpunkt aus muss die Hamilton'sche Hypothese folgenderweise definiert
werden: Ursache nennen wir die zu einer wahrgenommenen netten Ersdieinung hinzupostu-
Herten, derselben vorhergehenden wirklichen Zustände und Prozesse, aus denen sich die der
neuen Erêchanuiig zu Gruiule liegetideti Zustände und Prozesse als ihre gleichmässige Fort-
Setzung ergeben. Aus dieser Definition und dem darin enthaltenen Postulate lässt sich das
tatsächliche Verbalten des Denkens, welches wir in den Kausalprinzipien zusammengefasst
haben, erkl&ren.
Das erste der Kausalprinzipien lautet: Jede neu eintretende Erscheinung hat unter den
ihrem Eintreten vorhergehenden qualitativen tmd relativen Bestimnnmgen ihres Subjektes ihre
Ursache.
Die Erläuterung zu diesem Prinzip ist in dem Vorhergehenden vollständig enthalten.
Wenn wir in der Erscheinungswelt eine Veränderung wahrnehmen, so nehmen wir an,
dass etwas zu dem Wirklichen, das der sich verändernden Erscheinung zu Grunde liegt,
hinzugekommen oder von demselben abgeraten ist. Dieses Hinzukommen oder Abgeraten
k&nnen wir nur als die Fortsetzung schon vorher stattfindender Prozesse denken. Den neu
eintretenden Zustand betrachten wir aber als identisch mit dem alten, vormehrt oder ver-
mindert mit den durch diese Prozesse zu- oder abgeführten Elementen ; und so nennen wir
denn diesen ganzen Komplex von Zuständen und Prozessen, die nachher den neuen Zustand
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konstituieren werden, bis dahin die Ursache desselben. Dass jede neue Erscheinung ihre
Ursache hat, heisst also nichts anderes, als dass das derselben zu Grunde liegende Wirk-
liche die gleichmässige Fortsetzung vorexistierender Zustände und Prozesse ist.
Die Tatsache, dass nur dann, wenn eine Veränderung vorliegt die ursächtlichen BegriflFe
angewendet werden, lässt sich aus der Hamilton'schen Hypothese folgender Weise ableiten:
Wenn uns in der Erfahrung ein unveränderter Zustand oder ein gleichmässig verlaufender
Prozess gegeben ist, so erwächst daraus kein Problem und es liegt keine Veranlassung
vor, die Momente jenes Zustandes oder Prozesses vor und nach einem beliebigen Zeitpunkte
von einander zu sondern und mit verschiedenen Namen zu benennen.
Wenn uns dagegen in der Erfahrung eine Veränderung gegeben ist, so muss das mit
dem Sequens identische Antecedens gesucht werden; und den wahrnehmbaren Umständen,
die wir als die Erscheinung desselben auffassen, lässt sich ihre Beziehung zum wahrge-
nommenen Sequens nicht sofort ansehen. Da ist es denn sehr begreiflich, dass man in dem
postuUerten Komplex von unveränderlichen Zuständen und Prozessen, welchem die Erschei-
nung vor und nach der Veränderung entspricht, das Stadium, das der Veränderung vor-
hergeht, von dem Stadium, das derselben folgt, unterscheidet und diese beide als Ursache
und Wirkung einander gegenüberstellt.
Das ziceite Kausalprinzip sagt aus, dass wenn die Ursache einer Erscheinung gegeben
ist, diese Erscheinung notwendig eintreten wuss.
Was wir unter Wirkung verstehen, ist nach der Hamilton'schen Hypothese nichts
anderes als ein bestimmtes Nebeneinander von Wirklichkeitselementen, die durch die in
der Ursache mitvorgestellten gleichmässigen Prozesse zu diesem Nebeneinander geführt
wurden. In dem Zustande eines gegebenen Augenblicks, den wir Ursache nennen, sind alle
Daten enthalten, aus welchen der Zustand des folgenden Augenblicks, die Wirkung sich
aufbaut. Denn zwischen Ursache und Wirkung liegt nur die unveränderte Foitsetzung der
Prozesse, welche schon in der Ursache mitgegeben waren.
Das Prinzip der zeitlichen Berührung zwischen Ursache und Wirkung erklärt sich aus
der Hamilton'schen Hypothese von selbst. Nach Dieser vermögen wir die kausale Einwir-
kung nur als die Erscheinung identisch fortlaufender Zustände und Prozesse zu denken;
diesen kommt aber als solchen notwendig Kontinuität zu; und da Ursache und Wirkung
als verschiedene Erscheinungen wahrgenommen werden, so muss für diese Erscheinungen
die zu Grunde liegende Kontinuität zur Kontiguität, zur zeitUchen Berührung werden.
Über das Prinzip von der räumlichen Berührung der an der Verursachung beteiligten
Wirklichkeitselemente werden wenig Worte genügen. Wenn in der Tat ein Kausal Verhältnis
sich nur als der Übergang irgend welcher Elemente von einem Wirklichen zum anderen
denken lässt, so ist hierzu räumliche Berührung dieser beiden Wirklichen unbedingt erfor-
derlich. Eine scheinbare Fernwirkung wäre nur so möglich, dass sich Elemente von dem
einen Wirklichen ablösten und den Weg bis zum anderen Wirklichen zurücklegten ; damit
wäre aber die angebliche Fernwirkung eben wieder auf eine Wirkung durch Berührung
zurückgeführt.
In dem Prinzip der Äquivalenz von Ursache und Wirkmtq haben wir offenbar mit
einer direkten Anwendung des Hamilton'schen Postulates auf die Erscheinung der Verän-
derung zu tun. Die Veranlassung zur Betätigung des kausalen Denkens liegt nämlich, wie
wir gesehen haben, allemal in der wahrgenommenen Veränderung eines bestimmten Subjekts
und eben den neu eintretenden Zustand des Subjekts nennt man für gewöhnlich die Wirkung
— ga-
in diesem Begriff pflegt man also bloss eigene Zustände dieses Subjekts, nicht aber gleich-
zeitige Zustände anderer Wirklichen zu denken; dagegen fühlt man sehr genau heraus,
dass in den zur Erklärung der Veränderung herbei gezogenen Begriff der Ursache auch
Beziehungen des Subjekts zu anderen qualitativ bestimmten Wirklichen aufgenommen
werden müssen. Wendet man aber auf diese Vorstellungen das Hamilton'sche Postulat an,
so zeigt sich leicht, dass die Wirkung zwar in der Ursache enthalten, aber nicht der
Ursache gleich zu sein braucht, so wie auch, dass zwar die Wirkung durch die Ursache,
nicht aber die Ursache durch die Wirkung notwendig bestimmt ist.
Nach diesen Voretellungen bezieht sich der Begriff der Ursache auf einen grösseren Teil
der Wirklichkeit als der Begriff der Wirkung. Aus der Ursache, aus sämmtlichen qualita-
tiven und relativen Bestimmungen des Subjekts, geht die Wirkung, das Eintreten eines
neuen Zustandes des Subjekts, mit Notwendigkeit hervor; aber neben diesem können auch
neue Zustände anderer Wirklichen aus derselben Ursache hei-vorgegangen sein. Betrachten
wir alle diese Zustände zusammen, so sind sie mit der Ursache aëquivalent und ist diese
durch sie vollkommen bestimmt; betrachten wir aber den zu erklärenden neuen Zustand
des Subjekts für sich, so ist dieser in der Ursache bloss enthalten und zur Bestimmung
der Ursache keineswegs genügend.
Das Prinzip der logischen Berieftvng zunschen Ursache und Wirkung endlich ist ein
bloeses Korollarium des vorhergehenden. Haben wir in dem wirkUchen Geschehen bloss
mit einem Komplex unveränderlich fortlaufender Prozesse zu tun, so ist in der exakten
Beschreibung aller wirklichen Zustände in einem beliebigen Zeitpunkte diejenige aller wirk-
lichen Zustände in allen anderen Zeitpunkten enthalten. Der Weltlauf wird dann zu einer
„Logik der Tatsachen"; jede Ursache bietet, wie überhaupt jeder Komplex vorhergehender
Zustände, die Prämissen, aus denen nach den Gesetzen des Widerspruchs und des ausge-
schlossenen Dritten auf die Wirkung, auf den Komplex nachfolgender Zustände, geschlossen
werden kann.
Die Notwendigkeit aber, die wir der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung zu-
schreiben und von hier aus auf die anderen induktiv ermittelten Regelmässigkeiten über-
tragen, findet damit ihre Erklärung; dieselbe ordnet sich vollständig der logischen Notwen-
digkeit unter, von welcher sie sich nur durch ihre Anwendung auf ein besonderes Gebiet
unterscheidet.
Das Vorhergehende zusammenfassend, finden wir, dass die Hamilton'sche Hypothese
vollkommen genügt, um die tatsüchlicheti Voraussetzungen der Kausalprinzipien zu erklären.
Nach dem Stand unseres jetzigen Wissens müssen also das naturwissenschaftliche
Denken auf das Kausalprinzip und die Hamilton'sche Hypothese zurückgeführt werden.
Dieses Resultat von Prof. Heyman's Ausführungen kann für unseren Zweck hinreichend
erachtet werden.
Die Grundlagen unseres naturwissenschaftlichen Denkens und seines Endergebnisses.
unserer Naturphilosophie, sind in obigem also klargelegt. Diese ist durch Gelehrte in einer
nach Jahrtausenden zahlenden Periode von Studium ' und Experiment aufgebaut worden,
welche letztere wohl noch Tausende von Jahren weitergeführt werden müssen, um unser
Geschlecht mehr und mehr mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
Alb Grund unseres natur>vissenschaftlichen Denkens gilt das kausale Denken oder die
kausale Induktion, die sich zu den Prinzipien des logischen Denkens zurückbringen lassen.
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wenn man annimmt, dass die obengenannten Prämissen dazu in unserem unbewussten
oder halbbewussten Leben mitwirken. Diese Prämissen wurzeln im Hamilton'schen Prinzip,
das vollkommen ausreicht, um sie zu erklären. Gehen wir jetzt zur Betrachtung der malaii-
schen Zusammenlebung über, so werden wir den ursprünglichen Auffassungen dieser
Rasse, welche uns den Schlüssel zu ihrer Denkart liefern müssen, nur dort nachspüren
können, wo sie am wenigsten durch fremde Einflüsse verändert worden sind. Demzufolge
sind nur Untersuchungen unter den Dajak und Toradja brauchbar; die Denkweisen der
anderen malaiischen Völker sind zu sehr mit eingeführten Elementen hinduistischen, moham-
medanischen und europäischen Ursprungs vermischt. Von jenen sind auch nur die zentralen
Stämme für unseren Zweck brauchbar, also an erster Stelle die Bahau und Kenja der
Insel Borneo. Wie im Anfang dieser Abhandlung hervorgehoben wurde, fällt es beim Stu-
dium der Gedankenwelt dieser Völker an erster Stelle auf, dass ihnen die exakten- und
Naturwissenschaften, jene Stützen einer zivilisierten Zusammenlebung, fehlen. Sie entbehren
aber zur Ausbildung eines solchen Naturerkennens bis jetzt unsere ererbten Ergebnisse der
obenerwähnten langen Periode der Untersuchung und des Denkens auf dem Gebiet der exakten
Wissenschaften. Daher gilt es für uns nachzuweisen, in wie weit in ihrer eignen Art des
Denkens die kausale Induktion aufgefunden icerden kann oder nicht.
Nach Hamilton beruht das kausale Denken auf der uns angeborenen Denkweise der
Unvergänglichkeit von Kraft und Stoff; mit unserem Verstand können wir nur begreifen,
dass etwas Neuentstandenes in früheren Verhältnissen fussen muss und etwas Verschwin-
dendes in anderer Form fortbesteht.
Oben wurde bereits angeführt, in welchen weit zurückliegenden Zeiten die damaligen
Denker diese Überzeugung ihren Betrachtungen über die Natur des Bestehenden zu Grunde
legten, bereits lange bevor sie im Stande waren, auch nur oberflächlich diese Meinung
experimentell zu beweisen. Wir haben jetzt zu untersuchen, inwiefern unsere Malaien einer
ähnlichen Denkweise huldigen.
Die Legenden der wenig entwickelten Völker liefern uns die besten Zeugnisse für ihre
Denkweise und Überzeugungswelt; letztere an einzelnen Individuen zu verfolgen erheischt
die grössten Vorsichtsmassregeln, ein besonderes persönliches Talent und günstige Neben-
umstände, überdies sind die Ergebnisse im allgemeinen viel unzuverlässiger. Glückhcher-
weise ist bei den Naturvölkern das Bestreben, sich eine Vorstellung von dem Verlaut
der natürlichen Ereignisse zu machen, ziemlich allgemein und Legenden, die sie aufklären
sollen über den Ursprung ihres Geschlechts, ein Problem, an dessen Lösung auch uns so
viel liegt, sind bei ihnen allen gefunden und bekannt geworden. An diesen Legenden werden
wir an erster Stelle untersuchen können, welche Grundbegriffe solche Völker, in diesem
Fall die Dajak, mit der Erschaffung eines wichtigen Teiles der bestehenden Welt verbinden.
Unter der oft höchst phantastischen Einkleidung werden wir den für uns springenden Punkt,
ob auch diese primitiven Naturvölker der durch Hamilton skizzierten Denkweise unter-
worfen oder ob ihnen andere Begriffe eigen sind, ausfindig machen können.
Unter den Dajakstämmen sind nur wenige dem Einfluss der hinduistischen Zivilisa-
tion so weit entzogen geblieben, dass ihre Legenden nach Form und Inhalt das Gepräge
der Ursprünglichkeit behalten haben. Wie sich zeigen wird, war dies in der ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts sogar mit den Ot-Danum, die im Ursprungsgebiet des Kahajan
wohnten, nicht mehr der Fall.
In den vierziger Jahren wurden diese Stämme von Dr. C. L. A. M. Schwaner besucht.
— 9b —
In seinem im Jahre 1853 erschienenen Buche veröffentlicht er auf Seite 150 des zweiten
Teiles die folgende Skizze ihrer Schöpfunglegende:
„Die Ot-Danura geben ihrem Hauptgott den Namen Mahadarah. Dieser schuf die Erde
mit Allem, was sich darauf befindet. Anfangs bestand die Welt nur aus Wasser und es
gelang nicht, die feste Erde über die Wasseroberfläche zu erheben, bis endlich sieben Naga
als Unterlagen genommen wurden, auf deren Rücken Mahadarah Erde vom Himmel her-
unterwarf. Wie früher alles Wasser war, so wurden jetzt das Wasser und die Luft ver-
drängt und die Welt füllte sich mit einem Cbermass von Erde. Mahadara stieg deshalb
von seinem Sitz herunter und dmckte alles zu festen Massen, Steinen u.s.w. zusammen.
Er bildete die Gebirge und Höhen, die Tiefen der Meere und Seeen, die Betten der Flüsse
untl Bache, so dass das Wasser sich neben dem trockenen Lande verbreiten konnte. Nach-
her wurden erst aus Erde Menschen geschaffen und die übrige Schöpfung entwickelte sich
dann in der oben bereits skizzierten Weise".
Wie man sieht, sind die Namen Mahadara und Naga der hinduistischen Mythologie
entlichen; auch der Inhalt dieser Erzählung enthält solche Elemente. Auch die von Ling
Roth gesammelten Schöpfungsgeschichten aus dem Nordwesten und Norden der Insel Borneo
enthalten ebenfalls Vieles fremden Ursprungs. Ursprünglich malaiisch sind nur diejenigen
der Bahau und Kenja-Dajak, die, tief im Innern von Ost-Bomeo wohnend, fremdem Einfluss
am wenigsten unterlagen.
In seinem Werk »Pagan Tribes of Borneo" erzählt Ch. Hose auf Seite 137 des zweiten
Teiles die folgende Schöpfungsgeschichte der Kajan Dajak in Sërawak:
We give first in a condensed form the substance of a long rambling creation-myth
current among all branches of the Kajan people. This myth is sung in rhymed blank verse,
a fact which is partly responsible for the wealth of names occurring in it.
In the beginning there was a barren rock. On this the rain fell and gave rise to moss
and the worms, aided by the duog-beetles, made soil by their castings. Then a sword handle
(haup malat) came down from the sun and became a large tree. From the moon came a
creeper, which hanging from the tree became mated with it through the action of the wind.
From this union were bom Ealuban Gai and Kalubi Angai, the first human beings,
male and female. These were incomplete, lacking the legs and lower half of their trunks,
so that their entrails hung loose and exposed. Leaves falling from the tree became the
various species of birds and winged insects and from the fallen fruits sprang the four-
footed beasts. Resin, oosing from the trunk of the tree, gave rise to the domestic pig and
fowl, two species which are distinguished by their understanding of matters, that remain
hidden from all others, even fiom human beings. The first incomplete human beings pro-
duced Pengok Ngai and Katira Murei; the latter bore a son, Batang Uta Tatai, who mar-
ried Ajai Avai and begot Syau Laho, Oding Lahang, Pabalan, Pliban and Tokong, who
became the progenitors of the various existing peoples. Oding Lahang is claimed as their
ancestor by the Kajans and also by the Kenyahs and some of the Klemantan tribes".
Wie man sieht, stellen diese Stämme sich als Anfang alles Geschaffenen etwas rein
Materielles vor und ist von einem „Nichts" keine Rede.
Unter den verwandten Kajan-Dajak am Oberen Kapuasfluss von West-Borneo habe ich
eine vollständigere Version aufgezeichnet (Seite 129 Tl. I in Quer durch Borneo): „Die
Schöpfung der Erde, Geister und Menschen". »Eine Spinne Hess sich einst vom Himmel an
einem Faden herab. Diese Spinne wob ein Netz, in welches ein Steinchen von der Grösse
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einer sehr kleinen Perle fiel. Dieses Steinchen wurde grösser und grösser, erst wie eine
owër anè (besondere Perlenart), dann wie eine këtobong apo parei (Perlenart), dann wie
eine kleine Muschel, wie ein Nagel (hulo), wie eine aus einer Muschelschale geschnittene
Scheibe (barang hulo), wie ein Fussrücken, wie ein runder Teller (uwit), wie eine Sitz-
matte, wie ein Sieb, dann wie eine grosse Matte u. s. w., bis es den ganzen Raum unter
dem Himmel einnahm. Auf diesen Stein fiel eine Flechte (oro napon) vom Himmel, die
auf ihm kleben blieb; dann fiel ein Wurm (Lalang) hernieder, aus dessen Exkrementen
die ersten Erdteilchen entstanden. Auch diese Erde nahm immer mehr zu, bis sie den
ganzen Stein bedeckte. Da fiel der grosse Baum, kajo aja, auch wohl kajo nangei (beim
Neujahrsfest verwendet) genannt, vom Himmel; der Baum war anfangs nicht höher als
ein Messerchen (nju) dick ist, dann wurde er so gross, als ein Beil (asè) dick ist, schliess-
lich erreichte er die Höhe eines Bananenstammes u. s. w.
Darauf fiel eine Krabbe von Himmel und begann mit ihren vielen Gliedmassen in der
Erde zu graben, wodurch Berge, Täler und Flussbetten entstanden, unter anderen der
Kajan, Pengian, Danum Pè (Flüsse im Apu Kajan Gebiet beim Batu Tibang) und schliess-
hch alle übrigen Flüsse von Borneo. •
Aus dem Boden wuchsen jetzt allerhand Pflanzen hervor, zuerst die verschiedenen
Bambusarten: bulu buring, bulu pusa, bulu tengun und bulu tan; dann die Bäume, die
das rote zähe Holz für Schilde liefern, und die Fruchtbäume (Alle diese Baumarten wer-
den beim Neujahrsfest zum Bau der dangei-Hutte verwendet). Schliesslich erschienen die
Rotanarten : uwè nga, uwè haring, — bohong, — hawon, — kudjo, — ngëlawâto, — pësë-
lilit, — sëlat, — sëputan und uwè maling, die alle im Haushalt ihre verschiedene Verwen-
dung finden.
Der Rotan wand sich an dem grossen Baum, kajo aja, hinauf und der Wind trieb ihn
derart, dass er in die vulva des Baumes gelangte, wodurch dieser sehr gross wurde.
Zwei Geister, ein Mann, Bëlarè Adjè Awè und eine Frau, Këlot Era Podè, kamen
jetzt vom Himmel herab und Hessen sich auf dem grossen Baum nieder; sie konnten sich
aber als Geister nicht begatten. Als der Mann einst einen Schwertgriff schnitzt« und die
Frau am Webstuhl sass, fielen der Schwertgriff und das Weberschiffchen neben einander
auf die Erde und paarten sich. Aus ihrer Vereinigung ging ein menschliches Wesen, Këlowër
Ga-aï (schiebend sich vorwärts bewegend) hervor, dem aber Arme und Beine fehlten.
Die Paarung und ihr Resultat erschreckten die beiden Geister jedoch derart, dass sie
eiligst in den Himmel zurückflogen.
Das gliederlose Monstrum bekam zwei Kinder verschiedenen Geschlechts: Huwar Anè
und Uti; deren beide Kinder: Klobè Ange und Klobè konnten sich auch noch kaum bewe-
gen; sie hatten aber ebenfalls zwei Nachkommen: Ngujer Bawè und Lahndè, die beide
nur sitzen (ngujer) konnten. Diese jedoch zeugten richtige Menschen, einen Mann Parèn
Këliter Pulut Luwê und eine Frau üdjung Malen Lëkè. Die Tochter dieser eisten Men-
schen, Label Lalan, hatte so lange Arme und Beine, dass sie den Himmel berühren konnte.
Sie bekam zwei Kinder: Amei Awi und Buring Une, die hauptsächlich die Erde und ihre
Erzeugnisse beherrschen und daher als die wichtigsten Götter des Ackerbaus verehrt wer-
den. Sie besitzen 2X8 Kinder, nämlich 8 Männer und 8 Frauen, ferner noch vier Kinder,
die als die wichtigsten Mondphasen am Himmel stehen: Kërëbso = aufgehender Mond,
Këloong pajang = Halbmond ; Kamat = Vollmond und Pënjërom Dom = dunkler Mond.
Amei Awi und Buring Une Hessen ihre Kinder, um darüber zu entscheiden, wer von
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ihnen Häuptling, wer Freier und wer Sklave sein sollte, einen Berg hinauflaufen. Die
Stärksten, die die Spitze zuerst erreichten, machten sie zu Sklaven, die minder Starken,
welche sich halbwegs befanden, machten sie zu Freien und einen Mann mit einem kranken
Bein und eine schwangere Frau, die am Fuss des Berges zurückgeblieben waren, machten
sie als die Schwächsten zu Häuptlingen. Sämmtliche Kinder waren jedoch mit der Ent-
scheidung ihrer Eltern unzufrieden und gingen daher nach den verschiedensten Orten im
Weltall auseinander, wo sie jetzt als Monde und ähnliche Gebilde ein glückliches Dasein
geniessen.
Die Eltern dagegen, die einsam zurückblieben, nahmen ein weisses Tuch und eine
Matte und begaben sich zu dem grossen Baum kajo aja. Amei Awi kratzte von dem Baum
eine grosse Menge Rinde ab und holte aus dem Walde ein langes Stück Rotan. Nachdem
er die beiden Enden über dem Boden befestigt hatte, baute er darauf ein Haus und streute
mit seiner Gattin die Baumrinde auf den Fussboden, worauf Schweine, Hühner, Hunde
und Menschen aus den Rindenteilchen entstanden. Die Menschen blieben jedoch stumm,
obgleich sie ihnen Ohrringe, Ruder und andere Dinge gaben. Daher begab sich Amei Awi
auf den Fischfang, kochte die Fische und ass einen Teil mit Buring Une. Als sie darauf
auch den Menschen von den Fischen zu essen gaben, begannen diese zu sprechen. Von
diesen echten Menschen stammen die Bahau ab, die krank werden und sterben, da sie
aas vergänglicher Rinde bestehen.
Von den Kajan am Oberen' Mähakam hörte ich folgende Version einer ähnlichen
Schöpfungsgeschichte: Zwei alte Leute im Himmel Apu Lagan waren einst damit beschäf-
tigt, sich mit einer kleinen Kupferzange, tsöp, die Augenbrauen auszuziehen. Sowohl die
Frau Bua Langnji als der Mann Dale Lili Langnji wurden aber bei ihrem hohen Alter von
der Arbeit so müde, dass sie in Schlaf sanken, wobei ihnen die Zange entglitt und zur
Erde nieilerflel. Sie lag dort auf einem nackten Felsen am Ufer des Mahakam, als ein
Rieaenwurm aus dem Wasser zum Vorschein kam, an dem ungewöhnlichen Gegenstand
sog und dat)ei seine Exkremente absetzte. Dies sah eine Krabbe, die sich in der Nähe unter
einem Stein verborgen hielt, und sobald der Wurm fortging, scharrte sie mit ihren Beinen
den Kot auseinander, woilurch der Fels mit Erde bedeckt wurde. In dieser Erde trieb der
tsöp Wurzeln, so dass die Schwester von Bua Langnji, als sie unten nach der Zange suchte,
bereita ein Bâumchen mit einigen kupfernen Blättern fand. Schnell wuchs das Bäumchen
in die Höhe; durch eine Öffnung, diö sich dabei im Stamm bildete und die der Himmels-
geist üwang bemerkte, wurde er von diesem beft-uchtet. Als Folge hiervon entwickelten
sich unten am Bâumchen zwei Sprossen, ein männlicher, Amei Klowon, und ein weiblicher
Inei Klion. Eis waren menschliche Wesen, al>er ohne Arme und Beine, denn einer der
Bewohner des Landes, in welches die Zange gefallen war, hatte den Baum verwundet,
indem er mit seinem Schwert unten am Stamm einen Blutegel tötete, den er von seinem
Bein gestreift hatte. Auf diese Weise waren die ersterschaffenen Menschen verstümmelt
worden. Sie waren immerhin noch sexueller Gemeinschaft fähig und so gab Inei Klion
3 Kindern (Jas Leben: Kiit la Bêlâlang Ka; Kiit Lui Bëlâlang Ubui; und Kiit Long Bëlâlang
Uwang. Von diesen Dreien stammen die Bahau ab.
Der kupferne Baum, Poon Kawat, \A'uchs jedoch weiter und lieferte noch viele Sprossen,
aus denen von unten nach oben zuerst die bösen, dann die vielen guten Geister hervor-
gingen, danach die Hauptgeister wie Djaja Hipui u.s.w., schliesslich am Gipfel Amei Tingei,
der das Dasein der Bahau beherrscht.
I. A. f. K. Bd. X.XIII. i3
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Auch die von Adriani und Kruyt im ersten Teile ihres Werkes angegebene Schöpfungs-
geschichte der Baree-Toradja berichtet keine Schöpfung aus einem Nichts, sondern eine
Änderung eines bestehenden Zustandes. Auf Seite 245 heisst es dort: „In alter Zeit gab
es, nach den Bare'e-Toradja, keine Menschen. Darauf beschlossen der Gott der Oberwelt,
i Lai, und die Göttin der Unterwelt, i Ndara, Menschen zu machen. Sie trugen diese Arbeit
an iKombengi auf. Dieser bildete aus Stein (andere sagen aus Holz) zwei Menschenge-
stalten, einen Mann und eine Frau. Als er mit seiner Aufgabe fertig war, setzte er sein
Machwerk an den Weg zwischen der Ober- und der Unterwelt, damit alle Geister, die dort
vorüber kamen, die zwei Menschen sehen sollten. Abends wurde diese Leistung von i Kom-
bengi besprochen und die Götter meinten, dass die Waden nicht rund genug seien. Kom-
bengi verfertigte darauf zwei andere Gestalten mit runden Waden. Wieder sahen sich die
Götter diese an und machten dann die Bemerkung, dass der Bauch zuviel nach vom aus-
gebuchtet sei.
Kombengi machte wiederum ein neues Menschenpaar und dieses hiessen die Götter gut :
nur meinte man, dass die Frau doch auch etwas Rundliches vorn an den Schamteilen
haben müsse; deshalb nahm der Künstler etwas von der Vorhaut des Mannes ab und
formte daraus die Labia majora der Frau.
Als die ' beiden Gestalten ganz nach dem Geschmack der Götter waren, kehrte Lai
nach seiner Wohnung im Himmelreich zurück, um „ewigen Atem" (inosa marate) für das
Menschenpaar zu holen. Kombengi aber Hess den Wind auf sie blasen und dadurch erhiel-
ten sie den Atem. Deshalb kehrt der Atem zum Winde zurück, wenn der Mensch ge-
storben ist".
Unter den wichtigen Erscheinungen, die darauf hinweisen, dass auch die Malaien
sich etwas Neuentstehendes nur als eine Änderung eines bestehenden Zustandes, nicht als
eine Erschaffung aus einem Nichts, vorzustellen vermögen, gehört ihre Überzeugung in
bezug auf die Entstehung der Beseelung, des Talents, und der Dunkelheit. Hierbei handelt
es sich also um Erklärungsversuche für Eigenschaften ihrer Umgebung, die nichts StofiBi-
■ches an sich haben. In ihrer animistischen Glaubenswelt denken sie sich auch ihre Acker-
baugewächse beseelt. So sprechen die Bahau-Dajak von der Seele (to) des Reises, des Zucker-
rohrs, des Maises, des Tabaks, der Kokosnuss, der Bananen u. s. w. Diese Seelen müssen
aber nach ihrer Auffassung irgendwo herstammen und in ihren Legenden findet man die
Form dieses Volksglaubens zurück. Untei- den Bahau-Dajak kommt diese Legende in ihrer
ursprünglichen Form vor; in einem grossen Teil des von Fremden stark beeinflussten
Archipels, auch auf Java, ist sie mehr oder weniger verändert, aber immer mit dem Kern,
dass Reis u. s. w. aus göttlichen Wesen, Menschen oder Tieren und deren Seelen entstehe.
Diese Legende lautet: Als die Kajan in alten Zeiten noch in ihrem Stammland Apu
Kajan wohnten, lebte dort ein Ehepaar Batang Timong Nangei und seine Frau Uniang
Bulan Batang Ngaui Ingan. Das Ehepaar hatte zu seinem Kummer keine Kinder und um
sie zu erlangen, ging der Mann, auf Anraten der Geister, darauf aus. eine bestimmte Art
Rotan zu suchen. Nach mehr als einem Jahr kehrte der Mann ohne Erfolg und völlig
erschöpft heim. Seine Gattin Uniang war aber inzwischen gestorben, weil sie während
einer Verbotszeit des Säens genäht und hierdurch den Zorn der Geister erregt hatte. Ihr
Tod hatte sich folgendermassen zugetragen: als Uniang einmal wieder zu verbotener Zeit
bei der Arbeit sass, fiel durch das Dach eine Nadel vom Himmel gerade auf ihren kleinen
Finger, der zu bluten begann. Die Blutung war nicht zu stillen und so musste die Frau
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allmählich verbluten; aus ihrem hervorquellenden Blute entstand aber Reis und nach ihrem
Tode aus dem Rumpf Bananen, aus ihren Haaren Zuckerrohr, aus ihren Oberarmen kladi
(Colocasia), aus ihren übrigen Körperteilen andere mit Reis zugleich gebaute Gewächse wie
Gurken, süsse Kartoffeln u. s. w. ; aus den Schamteilen ging Tabak hervor, daher geben
die Frauen ihren Liebhabern Zigarren zu rauchen.
Eine beim Toratija-Stamm der To Kulawi gefundene Erzählung beschreibt ebenfalls
das Entstehen des Reises aus dem Blute einer Frau; also aus einem bereits Seele enthal-
tenden Teil eines Lebenden.
-Das erste Menschenpaar kannte noch keinen Reis, sondern ass nur, was es in der
Wiltlniss fand. So geschah es, dass die Frau von einer Tochter entbunden wurde; überall,
wo ihr Blut geflossen war, wuchs Reis. Der Mann entspelzte die Körner und ass sie roh.
So wurde aller Reis, der aus dem Blute der Frau entstanden war, aufgegessen, da der Mann
nicht wusste, dass der Reis gepflanzt werden musste. Als nun der Reis aufgegessen war,
dachte der Mann: aller Reis ist aus dem Blute meiner Frau entstanden, so werde ich sie
töten. Das tat er und sprenkelte ihr Blut über eine grosse Oberfläche. Überall, wo Blut
gefallen war, entstand dann wiederum Reis".
Besondere Begabung eines Menschen wird von den Malaien nicht als eine Eigenschaft
iseiner Persönlichkeit aufgefasst, sondera als die Folge einer Beseelung durch einen Schutz-
geist. Sogar auf Java herrscht noch dieser Glaube. Seine ursprüngliche Form beobachtet
man aber wieder am besten unter Stämmen, wie die Dajak.
Von diesen wird eine besondere Begabung als etwas durch Beseelung Übertragbares
betrachtet; so werden Priester, Tätowierer, Schnitzkünstler und begabte Schmiede als durch
besondere Geister beseelt angesehen. Sie erhalten diese Beseelung durch das Aufrufen eines
guten Geistes aus dem Soelenland Apu Lagan durch Vermittlung der Priester. Ein solcher
beseelender Geist ist dann dieser Person eigen und muss von dieser mittelst Opfer und
Lebensführung in guter Stimmung erhalten werden. Es werden nicht nur derartige Geister
der Begabung für Personen aufgerufen, die bereits eine besondere Begabung an den Tag
legen, sondera es spielen erstens die Kosten der erforderlichen priesterlichen Feierlichkeiten
dabei eine grosse Rolle und zweitens liefert die Veranlassung dazu oft eine eraste Krank-
heit. Der Geist hilft nämlich gegen den krankmachenden bösen Geist. Wohlhabende Personen
mit einer bestimmten Begabung und Neigung werden natürlich ebenfalls versuchen, sich
einen solchen Geist erhalten zu lassen.
Dieser Geist unterstützt nämlich auch die Körperkräfte, um eine Krankheit zu
überstehen. Für Leute, die es bezahlen können, wird also öfters ein Schnitz-, Tätowier-,
oder Schmiede-Geist bei einer emst<^ren Krankheit aufgerufen und nach ihrer Hei-stel-
long haben sich diese Personen dann in dieser Richtung zu entwickeln. Kränkliche wohl-
habende Personen können von mehreren Geistern der Begabung verschiedener Art be-
seelt werden. Als Beispiel möge das Schnitzen dienen: Bei den Kajandajak wird die
primitive Schnitzerei der Laien ohne Beseelung geübt, während ein Kunstwerk nur mit
Hilfe eines Geistes aus Apu Lagan entstehen kann. Bei den Mahakamkajan muss ein junger
Mann, bevor es aus Eisenholz einen hübschen Griff oder eine Scheide zu schnitzen beginnt,
erst durch eine dajung (Priesterin) seinem Geiste ein Huhn zum Opfer darbieten lassen
und will er seine Kunst an Gegenstanden aus Hii-schhorn erproben, so muss er vorher
eine mßlä (Opfer) mit einem Schwein als Spende abgehalten haben. Nachher muss er sich
monatelang verschiedener Speisen und Beschäftigungen enthalten.
— 100 —
Demselben Glauben an eine Beseelung muss auch der Brauch zugeschrieben werden,
dass ein Schnitzkünstler seine Arbeiten nur dann verkaufen darf, wenn man ihm vor dem
Preise erst noch einige alte Perlen von bestimmter Beschaffenheit (2 blaue und 2 weisse)
ausbezahlt hat; diese müssen wohl als eine Entschädigung des Geistes für den Verlust
des Gegenstandes aufgefasst werden.
Um nicht zu ausführlich zu werden, möge als weiteres Beisjjiel daran erinnert wer-
den, wie allgemein angegeben wird, dass eine Priesterin ihre Fähigkeit, die Seelen der
Abgestorbenen beim Totenfest ins Jenseits hinüberzuführen, dem sie beseelenden guten
Geiste entlehnt.
Wie körperlich und das Eine als Folge des Anderen die Bahau-Dajak sich alles aus-
zulegen versuchen, zeigt sich auch noch in ihrer Auffassung von der Finsternis», die sie
sich nicht durch die Abwesenheit der Sonne verursacht erklären. Es tritt dies hübsch
aus der Legende hervor, mit welcher die Kajanfamilie des Häuptlings Akam Igau, durch
dessen Hilfe meine Reisen vom Kapuas bis zum Mahakam möglich wurden, ihre hohe
Abkunft zu beweisen suchte : „In alten Zeiten feierte das Haus der üma-Aging am oberen
Kajan einst das Saatfest (tugal). Nachdem der Häuptling Lëdjo Aging mit den Priesterinnen
auf dem heiligen Reisfelde (luma lali) alle Zeremonien ausgeführt und einen pëlalé (Opfer-
gerüst mit Opferspeisen) errichtet hatte, bemerkte er beim Nachhausekommen, dass er sein
Messer, das er bei der Arbeit gebraucht hatte, auf dem Opferplatze hatte liegen lassen.
Als Lëdjo allein auf das Feld zurückkehrte, fand er dort zu seinem Erstaunen eine Schar
weiblicher Geister aus dem Apu Lagan, die die Aufforderungen der Priesterinnen erhört
hatten und sich an den auf dem pëlalè niedergelegten Opferspeisen gütlich taten. Bei
Ledjos Kommen entflohen die Jungfrauen bis auf eine, die mit ihrem langen, prachtvollen
Haar am Opfergerüst hängen blieb und so dem Häuptling in die Hände fiel. Ledjo nahm
das schöne Mädchen mit der hellen Hautfarbe nach Hause und überredete es, als seine
Gattin bei ihm zu bleiben. In damaliger Zeit war es aber im Kajanlande immer hell,
daher schämte sich Jungfrau Mang vor innigeren Beziehungen und stieg zu ihrem Himmel
hinauf, um von dort den Schutz des nächtlichen Dunkels in ihre neue irdische Heimat
herniederzubringen. Mang brachte die Finsternis in einem samit (Palmblattsack) mit, den
sie, zu Hause angekommen, im Gemache niederlegte, worauf sie sich nach der langen Reise
etwas Erholung und Erfrischung gönnte. Ein neugieriges Kind, das wissen wollte, was sich
in dem Sacke befand, schnitt ein Loch hinein, da entfloh die Finsternis und breitete sich
zum Schrecken des Stammes über das ganze Land aus. Die Kajan wussten in ihrer Angst
nicht, was sie beginnen sollten und entwarfen allerhand Pläne, um dem Unglück zu wehren,
als die Hähne zu krähen anfingen und es wieder Licht wurde. Seit der Zeit kehren Nacht
und Tag regelmässig zu den Menschen zurück. Nur war Mangs Eheglück vollkommen und
von ihr stammt die Familie des Akam Igau ab".
Können wir also aus den Überiieferungen und dem täglichen Leben dieser Dajak
bestimmt nachweisen, dass eine Entstehung aus einem Nichts ihrer Denkart zuwider ist,
so können wir gleichfalls beweisen, dass der Übergang von etwas Bestehendem zu einem
Nichts auch ausserhalb ihres Gedankenkreises liegt. Besonders für die Erforschung dieser
so leicht von Fremden beeinflussten Gedankengebiete sind wir wieder auf die noch am
ursprünglichsten Dajak und Toradja angewiesen. Sehr deutlich sprach sich ein Häuptling
der Bahau-Dajak im Baram-Distrikt von Serawak darüber aus, als W. H. Furness die Kopf-
jägerei mit ihm besprach. Dieser erzählt darüber in seinem Buch „The Home-life of Borneo
— 101 —
Head-Hunters" auf Seite 61 : „I asked him if he would not regard it as somewhat of an
inconvinience if his own head were to be cut off, just to bring blessings to an enemy's
house. „Tuan", he replied, „I do not want to become dead any more than I want to move
from where I am; if my head were cut off, my second self would go to Bulun Matai (the
Fields of the Dead), where beyond a doubt I should be happy; the Dayongs tell us, and
surely they know, that those, who have been brave and have taken heads as I have, will
be respected in that other world and will have plenty of riches " „His faith seemed
immovable, but I could not resist the temptation of suggesting a doubt, so I asked him,
what if the Dajongs were wrong and there were no Bulun Matai, and that when he
stoppe«! breathing he really died and knew no more. He answered me almost with a scorn
for such a doubt „Tuan, Nothing really dies, it chatiges from one thing to another. The
Dajongs must be right "
Diesen Gedanken findet man in den verschiedensten Äusserungen dieser Dajakstämme
wieder. Natürlicherweise haben sie sich am eingehendsten mit ihrem eignen Lose nach
dem auch für sie unheimlichen Tode befasst und zahlreich sind die uns mitgeteilten Erzäh-
lungen, die sich auf den Tod des Menschen beziehen. Obiges Gespräch liefert dafür bereits
♦•in Beispiel.
Dr. C. Hose bringt auf Seite 40 des zweiten Teiles seines „Pagan Tribes of Borneo"
folgende Zusammenfassung des Glaubens der Eingeborenen: „The soul of the dead man is
supposed to wander on foot through the jungle until he reaches the crest of a mountain
ridge. From this point he looks down upon the basin of a great river, the Long Malan, in
which five districts are assigned as the dwelling-places of souls, the destinction of each
being determined by the mode of death. The ghosts of those, who die through old age or
disease go to Apo Laggan, the largest of these districts, where they live very much as
we do in this life. Those, who die a violent death, whether in battle or by accident go
to the basin of a tributaryriver, Long Julan, where is Bawang Deha (lake of blood) ; there
they live in comfort and become rich though they do not work ; they have for wives the
ghosts of women, that have died in child-bed. Those that have been dro^Tied find a home
beneath the rivers and are supposed to l)ecome possessed of all property, lost in the water
by their surviving freinds; this place (or places) bears the name of Ling Yang. The souls
of still-bom children dwell in Tenyu Lalu: they are believed to be very brave, owing to
their having experienced no pain in this world. Finally, suicides have assigned to them a
special district. Tan Tekkan, where they live miserably, eating only roots, berries and
other jungle produce".
Ich selbst habe die Überzeugung der KapuasBahau auf Seite 105 u. f. meines Werkes
Quer durch Borneo Teil I in folgender Weise angegeben:
„Bei dem Tode des Menschen verlâsst die bruwa den Körper für immer und zieht
nach Apu Késio. So viel ich habe erfahren können, verweilt die Seele auch hier nicht
ewig, sondern begibt sich später an einen anderen Ort, Langit Mëngun, und wird erst
dort zu einem wirklichen, ewig fortlebenden Geiste....
Was die zweite Seele der Bahau, die ton luwa, betrifft, so ist sie zeitlebens mit ihrem
Körper fest verbunden. Erst wenn der Leib gestorben ist, verlässt auch diese Seele die
stoffliche Holle. Die ton luwa bleibt jedoch auf dem Begräbnisplatz, wo sie lange herum-
irrt, bis sie endlich zu einem bösen Geiste wird".
Hieraus erhellt deutlich, dass diese Dajak sich nur mit dem geistigen Teil des Men-
— 102 —
sehen befassen; da die Leute den stofflichen Teil verschwinden sehen und sich unmöglich
eine Vorstellung von den dabei vorsichgehenden Umsetzungsvorgängen machen können,
v?undert uns dieses nicht. Auch hier ist es desto bezeichnender, als gerade dort, wo der
Glaube sich am freiesten ausbilden kann, die Kontinuität der Zustände vor- und nach dem
Tode sich dokumentierte.
Von anderen Dajakstämmen, den Toradja (Adriani und Kruyt II) und sehr vielen anderen
Völkern des Archipels, sind ähnliche Auffassungen bekannt, nur sind die letzteren sehr oft
durch hinduistische und muhammedanische Einflüsse in bezug auf Elemente des Inhalts
und die Namen verändert worden.
Ohne ausführlicher auf die vielseitig ausgebildeten Legenden und Anschauungen dieses
Gebietes einzugehen, ist es ferner angezeigt, zu erforschen, in wie weit sich verwandte
Vorstellungen auf anderen Gebieten nachweisen lassen. Der unter den Dajak so wichtige
Ackerbau bietet uns in dieser Hinsicht wieder einen festen Halt; besonders der Reisbau,
dessen Zeremonien die ihm zugrunde liegenden Glaubensformen am besten wiedergeben.
Das Zeremoniell in den Reisscheunen läuft im allgemeinen darauf hinaus, die bruwa
parei (Reisseelen) des verbrauchten Reises bis zur nächsten Saatzeit festzuhalten, um sich
eine folgende günstige Ernte zu sichern. Man könnte aber denken, dass diese Acker-
bauer, wenn es sich um eine gründliche, oft gewaltsame Vernichtung des Reises han-
delte, diese auch als Vernichtung auffassen würden. Das ist aber keineswegs der Fall
und ein Teil der Zeremonien während der Saatzeit, z. B. die Maskentänze, stutzen sich
gerade auf den Wunsch, das geistige Prinzip solchen Reises an sich zu ziehen. Es wer-
den bei jedem Stamm Reiskörner durch Waldestiere aufgefressen, oder es fallen welche
auf die Wege oder erreichen auf andere Weise die Reisscheune nicht. Um die bruwa
parei dieser Reismengen habhaft zu werden und an die ihrigen zuzufügen, veranstalten
die Bahau die Maskentänze beim Saatfest. Auf Seite 324 Q. d. B. I heisst es nämlich:
„Ihrer Überzeugung gemäss, dass die Geister mächtiger sind als die Menschen, nehmen
die Kajan an, dass, wenn sie die Gestalt der Geister nachahmen und deren Rollen erfüllen,
sie auch Übermenschliches zu leisten vermögen. Gleichwie ihre Geister also die Seelen
der Menschen zurückzuholen im Stande sind, glauben diese, auch die Seelen des Reises
an sich heranlocken zu können. Zu diesem Zwecke handhabt die Hauptperson beim
Maskenspiel einen langen, hölzernen Haken (krawit bruwa), dessen Schaft teilweise zu
langen, feinen Spänen geschnitten und mit diesen verziert ist. Die Darsteller treten in
einem bestimmten Augenblick hinter einander in eine Reihe und reichen einander hinter
der Hauptperson, die voranschreitend den langen Haken in die Höhe hebt, die Hand.
Hierauf macht der Vordermann und mit diesem zugleich auch die ganze Reihe eine Bewe-
gung, als wolle er mit dem langen Haken etwas an sich heranholen, nämlich die Seelen
des Reises, die sich bisweilen zum Kapuas und Barito verirren".
„Wie wichtig die Bahau es finden, dass sich die Reisseelen stets in ihrer Nahe auf-
halten, ersieht man daraus, dass Bëlarè (ein Pnihinghäuptling) die Missernten der letzten
Jahre dem Umstände zuschrieb, dass beim Verbrennen seines Hauses durch die Batang-
Lupar auch die Reisseelen vertrieben worden waren", lautet der folgende Satz. Dieser sehr
intelligente Mann war also der Ansicht, dass die Seele des Reises seine Verbrennung über-
lebte. Wenn die Philosophie dieser Dajak sich über diesen Punkt äussert, erkennt sie also
einen Übergang eines Bestehenden in ein Nichts nicht an.
Aus diesen angeführten Tatsachen ergiebt sich, dass unter den ursprünglichen Über-
— 103 —
Zeugungen der primitiven Malaien auch die Auffassungen nach dem Muster des Hamilton'-
schen Prinzips gehören; in so weit stehen sie in Einklang mit den obenerwähnten Philo-
sophien der ältesten uns bekannten europäischen Denker. Obschon wir also wohl berechtigt
wären, auf eine günstige Veranlagung der Malaien zum kausalen Denken zu schliessen,
ist es doch wichtig nachzuspüren, ob nicht nur die Basis des kausalen Denkens, sondern
auch die auf Ö. 89 genannten Prinzipien dieses Denkens sich, wenn auch nicht in ihren
Naturwissenschaften, so doch in ihren Handelsweisen und Gewohnheiten, nachweisen lassen.
Das erste Kausalprinzip: Jede neu eintretende Erscheinung hat den in ihrem Ein-
treten vorhergehenden qualitativen und relativen Bestimmungen ihres Subjektes ihre Ursa-
che, findet sich in der Cberzeugungswelt der Malaien in ausdruksvoller Weise vergegen-
wärtigt. Dieser Denkweise verdanken sie ihren animistischen Glauben, einerseits eine grosse
geistige Stütze in einem oft unter sehr beschwerlichen Umständen geführten Leben, ande-
rerseits ein selbst auferlegtes, schweres Joch, das sich einer freien Entwicklung ihres
Daseins am meisten widersetzt.
Gerade weil auch diesen Malaien die ursprüngliche Überzeugung innewohnt, dass ein
Ereignis nur dann eintreten könne, wenn vorhergehende Umstände dieses veranlassen, haben
sie versucht, sich die Ursache dieser für sie oft so verhängnisvollen Veränderungen des
Bratehenden zu erklären. Diesem Bestreben hat wohl der Wunsch zu Grunde gelegen,
sich vor den nachteiligen Folgen mancher Ereignisse zu schützen und weniger oft deren
Opfer zu werden.
Sie verfügten hierzu nicht wie wir über eine tiefergehende Einsicht in das natülicher
Verhältnis der Dingo; zur Ausbildung ihrer Naturauffassung standen ihnen tatsächlich nur
ihre vermeintliche Einsicht in ihre eigene Persönlichkeit mit ihren Empfindungen von
Lust und Unlust, meist als Folgen äusserer Veranlassungen, zur Verfügung. Bemerkens-
werterweise haben sie sich dennoch ein einheitliches System der Naturbetrachtung heraus-
gebildet, deren Erscheinungen im gesellschaftlichen Leben wissenschaftlich unter dem Namen
Ânimismus zusammengefasst werden.
Gleich wie sie sich selbst aus Stoff und Seele (oft mehreren) zusammengesetzt denken,
besteht auch alles um sie her aus Stoff und seelenartigen Wesen, die wohl im allge-
meinen einander ähnlich, nach ihren Eigenschaften verschiedene Gruppennamen tragen. Es
ist hier nicht der Ort, eine eingehendere Beschreibung der animistischen Erscheinungen
unter den Bahaudajak zu geben, als für unseren Zweck gerade nötig ist und müssen sie
als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.
Es soll hier nur darauf hingewiesen werden, dass jedes neue oder behauptete Ereignis
und jede Änderung des Bestehenden nach ihrer Ansicht, durch einen Geist verursacht
wird. Diese Überzeugung beherrscht sie dermassen, dass ihr sich darauf stützendes Streben
nach Versöhnung und Abwehr dieser Geister ihre ganze Existenz beeinflusst.
Eine dieser hieraus hervorgegangenen Massregeln, das Opfer, werden wir bald etwas
ausführlicher zu behandeln haben; zwei andere hieher gehörige Gruppen, die der pemäli-
oder pantang-Bestimmungen und des Vorzeichenglaubens, sind von anderen Stellen bekannt
genug. Die drückenden Fesseln, mit welchen letztere Gruppen die freie Handlung dieser
Menschen binden, sind ein beredtes Zeugnis für die Starke ihrer Überzeugung, dass kein
Ereignis vorkomme, das nicht die Folge einer bestimmten Ursache sei.
Das zweite Kausalprinzip sagt aus, dass wenn die Ursache einer Erscheinung gegeben
sei, diese Erscheinung notwendig eintreten müsse.
— 104 —
Sehen wir uns in der dajakischen Zusammenlebung der zentralen Stämme um, so spüren
wir auf jedem Gebiet das Streben, oft unter grossen Beschwerden, um durch besondere
Massregeln ihrerseits Verschiedenes entstehen und sich ereignen zu lassen, was ihnen von
Nutzen sein könnte. Diese Handelsweise beruht also auf der festen Überzeugung, dass bei
Hinzufügung eines Umstands zu etwas Bestehendem, ein von ihnen erstrebtes Ziel erreicht
werden könne, das mit diesem Kausalprinzip stimmt.
Beredte Beispiele liefern uns beim Ackerbau die mit grossen Schwierigkeiten ange-
brachten Hecken um die Reisfelder, die gegen Wildschweine und andere Waldestiere
schützen; das Aufstellen von Speeren gegenüber . niedrigen Stellen dieser Hecken, um
hinüberspringende Hirsche zu spiessen. Hieran schliesst sich das Anlocken der Hirsche durcli
regelmässiges Ausstreuen von Salz an bestimmten Stellen an, das Spannen von Netzen
und Schlingen bei Treibjagden auf Hirsche, das Anbringen von scharfen Bambusspitzen aui
den Tanzplätzen der Argusfasane, damit diese scheuen Tiere sich verwunden und sterben.
Auch beim Fischen mit Fischgift begegnet uns dasselbe, indem die tuba nur nach
längerer Trockenheit bei niedrigem Wasserstand verwendet wird; weiter beim Anbringen
von beweglichen Gittern in der Mündung der Nebenflüsse reissender Gebirgströrae, die
geschlossen werden, wenn die Fische bei Sturzfluten in diesen Seitenbächen Zuflucht
gesucht haben.
Beim Handel sind es die oft unter Strapazen und grossem Zeitverlust unternom-
menen Reisen zu den Küstenmärkten, um sonst unerreichbare oder im Inneren sehr teure
Waren zu erstehen, die von diesem ihrem Gedanken Zeugnis ablegen. Während der Boot-
fahrt auf Stromschnellen bringen sie Bäume als Ausleger an, um das Gleichgewicht der
Boote zu verstärken; wie in der Skizze auf Seite beschrieben wurde, verstehen sie!^die
geringere Kraft des Stromes an der Innenseite der Flussbiegungen sehr gut zu schätzen
und suchen in logischer Weise, selbst unter Gefahren, diese Ufer immer wieder zu ver-
wenden. Die bewundernswerten Leistungen ihrer Gewerbe sind ebensoviele Beweise, dass
sie durch Hinzufügung von etwas Neuem zu etwas Bestehendem besondere Ziele sehr gut
zu erreichen wissen.
Das Prinzip der zeitlichen Berührung zwischen Ursache und Wirkung kommt in der
Bahauzusammenlebung gerade dort deutlich zum Ausdruck, wo diese Menschen offenbar
stark dem Gefühl von Ursache und Wirkung unterworfen sind, nämlich bei den Vorzeichen.
Für uns ist dieses Gebiet besonders interessant, da man sich hier ganz auf geistigem
Gebiet befindet und nichts Visuelles oder Tastbares störend wirkt. Um gut zu begreifen,
wie innig der Verband eines Vorzeichens mit dem betreflfenden Fall aufgefasst wird, ver-
gegenwärtige man sich, dass wenn sich einmal ein ungünstiges gezeigt hat, man unmit-
telbar ein günstiges zu finden versuchen darf; bei einer Krankheit oder ähnlichem Fall
ist es gestattet, drei oder vier Küchlein, Hühner oder Schweine nach einander zu opfern,
bis man ein günstiges Vorzeichen erhält. Solch ein nachträglich erhaltenes Vorzeichen hat
denselben Wert wie ein erstes günstiges.
Betrachtet wir, was vor sich geht, wenn z. B. für eine wichtige Reise einer zahlrei-
chen Gesellschaft die Vorzeichen gesucht werden müssen. Mit dieser Arbeit werden dann ein
Priester und seine Helfershelfer beauftragt, die mitsammt ihrer Habe bis zu einem gewissen
Abstand von der Niederlassung reisen und sich im Walde ein Lager aufschlagen, um dort
an Vögeln, Hirschen, Schlangen, Würmern u. s. w. die nötigen günstigen Vorzeichen zu
sammeln und zu prüfen. Das dauert meistens einige Tage und wird nur aufgegeben, wenn
— 105 —
sâmmtliche Vorzeichen ungünstig ausfallen. Sind aber einmal alle günstigen Vorzeichen
für die Reise gesammelt worden, so darf diese nicht unterbrochen werden, z. B. dadurch,
dass einer der Genossen für eine Nacht zur Niederlassung zurückkehrt. Im Gegenteil, die
übrigen reisefertigen Teilnehmer im Dorfe werden benachrichtigt, sie brechen auf einmal
auf, sammeln sich im Lager des Priesters und begeben sich von hieraus baldmöglichst auf
die Reise. Eine Vernachlässigung dieser R«gel macht die günstigen Vorzeichen wertlos
und es müssen neue gesucht werden.
Auch die räumliche Berührung von Ursache und Wirkung tritt hierbei deutlich zu Tage.
Es darf noch erwähnt werden, dass Vorzeichen immer nur für einen vorliegenden Fall
gesucht werden, nie eine Zeitlang voraus oder nachher. Dasselbe gilt für die Ruhepausen
nach ungünstigen Vorzeichen wahrend der Reise. Auch hierbei heisst es räumlich und zeit-
lich unmittelbar gehorchen.
Will man sich überzeugen, wie sich die Denkweise der Malaien in bezug auf das
Prinzip der Äquivalenz von Ursache und Wirkung gestaltet, so ist aus oben angeführten
Gründen auch hierfür die Zusammenlebung der am wenigsten von Fremden beeinflussten
Malaien, z. B. der Dajakstämme von Mittel-Bomeo, am geeignetsten. Die hier beobachteten
Erscheinungen findet man mehr oder weniger mit fremden Elementen gemischt unter
anderen malaiischen Völkern zurück. Diejenigen Ei-scheinungen sind wohl am beweisend-
sten, die am allgemeinsten vorkommen, am genauesten umschrieben sind und für diese
Stämme die höchsten geistigen und materiellen Interessen vergegenwärtigen. Die Beson-
derheiten der den Geistern und Göttern dargebrachten Opfer besitzen diese Eigenschaften
in hohem Masse; für wichtig müssen wir es ausserdem erachten, dass wenn auch das Opfer
an sich etwas Greifbares, Sichtbares und Stoffliches ist, der Erfolg doch nur in der Vorstel-
lung dieser primitiven Menschen besteht und sich meistens nicht auf etwas Wirkliches bezieht.
Da wohl keine gesellschaftlichen Erscheinungen unter diesen Stämmen wichtiger und
vielseitiger sind als die Opfer und diese sich mit allen Lebenslagen ihrer sämmtlichen Mit-
glieder verbinden, so begegnen wir ihnen in den verschiedensten Arten und Abstufungen. Es
wird sich auch die Möglichkeit ergeben, die untersuchte Eigenart des Denkens nicht nur
an den geopferten Gegenstanden, sondern auch an den Darbringungsarten der Opfer und den
mit dem Opfer verbundenen Gebräuchen nachzuweisen.
In bezug auf die Quantität des Geopferten, haben wir oben schon gesehen, dass ein
SchnitzkOnstler zur Erreichung einer hohem Stufe seiner Kunst seinem Geiste ein immer
grosseres Opfer darzubringen hat. Dieses gilt im Allgemeinen. Je wichtiger die Veranlas-
sung zum Opfer, also je grösser das zu erreichende Ziel, desto grösser der Wert des
Geopferten ; nur opfern reiche Leute öfters mehr als arme bei derselben Gelegenheit, jedoch
nicht immer. Dies Alles gilt auch für die Gegenstände, die neben den Esswaren für die
Götter zur Schau gestellt werden. Als Beispiele m(^e Folgendes dienen:
Bei einer Beschwörung während einer einfachen Krankheit, eines bösen Traumes oder
eines Unglücksfalls werden Eier oder ein Küchlein, bei reichen Familien auch wohl ein
Huhn oder ein Ferkel, geopfert. Genest der Kranke nicht, so wird die Beschwörung durch
eine angesehenere Priesterin und mit dem Opfer eines Huhns oder Ferkels wiederholt.
Bei einer längeren Krankheit kommt es vor, dass ein grosses Schwein geopfert wird.
Wenn es Beschwörungen gilt, die Sich auf die Wohlfahrt des ganzen Stammes bezie-
hen, so ist ein Opfer eines wertvollen Schweines mit vielen hübschen Gegenständen ange-
zeigt; die Zahl derselben steigt mit der Wichtigkeit des erhofften Erfolges, so dass man
I. .V. f. E. Bd. XXIII. 14
— 106 —
z. B. bei den Ackerbaubeschwörungen für den ganzen Stamm oder beim Anfang des Baues
der Häuptlingswohnung früher einen oder mehrere Menschen opferte.
Als Kwing Irang, ein Kajanhäuptling am Oberen Mahakam, eines Tages ein Schwein
bei der Krankheit seines Sohnes opferte, waren die aus der Leber dieses Tieres ent-
nommenen Vorzeichen nicht sehr günstig. Der Priester deutete diesen Umstand derart,
dass das Schwein dem Ernst des Zustandes gemäss zu klein gewesen sei, und die Götter
ein fetteres Tier wünschten. Mit einem recht stattlichen Schwein wurde dann am nächsten
Tag die Krankheitsbeschwörung mit besserem Erfolg wiederholt.
Die Art der Darbringung des Opfers steht in verschiedener Weise im Verhältnis zu
dem erstrebten Erfolg. Erstens die Zahl der Priester und der beanspruchten Tage. Für Privat-
personen ruft man oft nur eine Priesterin für einen Tag herbei ; für sehr angesehene Per-
sonen verwendet man bei ähnlichen Fällen mehrere, während zwei oder mehrerer Tage;
fär Stammesangelegenheiten treten die angesehensten Priesterinnen und Priester gleich-
zeitig während vieler Tage auf, bis zu den Ackerbaufesten, bei denen die meisten mit-
wirken und dazu mehrmals acht Tage gebrauchen.
Unter den mit den Opfern verbundenen Gewohnheiten verdienen an erster Stelle die
sich anschliessenden Ruhe- oder Verbotzeiten unsere Aufmerksamkeit. Nach allen Ereig-
nissen, in welche Geister einbezogen sind und die Opfer erfordern, wird eine Ruhezeit
innegehalten, während welcher die betreffenden Personen sich von Vielem zu enthalten
haben. Auch hierbei ist ein der Wichtigkeit der Situation entsprechendes Mass regelmässig
zu unterscheiden. Begegnet man z. B. auf einem kleinen Ausflug einem schlechten Vorzei-
chen, so bringt man ein kleines Opfer und bleibt ruhen, bis man eine Zigarette geraucht,
den geopferten Reis gegessen hat und ähnliches. Ist man etwa auf einer längeren Reise,
so zieht man in dem Fall denselben Tag nicht weiter ; auf einer Expedition in Feindesland
oder auf einem Kriegszug wird man vielleicht zurückkehren, besonders wenn sich das
ungünstige Vorzeichen wiederholt.
Zu diesen Nebenerscheinungen gehört als Äusserstes das nach dem Tode angesehener
Häuptlinge auftretende und für lange Zeit gültige Verbot des Betretens ganzer Fluss- und
Waldgebiete, was für eine dajakische Niederlassung oft einen folgenschweren Beschluss
bedeutet, da ihr dadurch notwendige Produkte entzogen oder manche Reisen unmöglich
gemacht werden.
Neben allem diesen muss man in Betracht ziehen, dass die Gewohnheiten ganz genau gere-
gelt sind und diese Leute sich also von dem zu folgenden Wege sehr gewissenhaft Rechen-
schaft zu geben versucht haben. Gerade weil man es hierbei nur mit Äusserungen ihres
Denkens zu tun hat, die in der Wirklichkeit keinen Rückhalt finden, sind sie für die
Denkart dieser Dajakstämme desto beweisender.
Hiermit ist also bewiesen, dass nicht nur der Grundgedanke des Hamilton'schen Prin-
zips sich auch bei den Dajak- und Toradjastämmen nachweisen lässt, sondern auch die
fünf Prinzipien des kausalen Denkens. Damit kann man die Frage, ob die Verstandes-
anlage dieser ursprünglichen Malaien sie zur Entwicklung der Naturwissenschaften be-
fähige, in bejahendem Sinne als erledigt betrachten. Wenn wir dies für diese niedrig
entwickelten, unter schlechten Existenzbedingungen lebenden, bis vor kurzem und zum
Teil noch jetzt Köpfe jagen den und Menschen opfernden Stämme haben nachweisen
können, so besitzen wir wohl keinen Grund, dieses Ergebnis nicht auch auf die oft so
— 107 —
viel höher zivilisierten Malaien der anderen Gegenden zu verallgemeinern. Es wurden
auch die Dajak und Toradja nur deshalb in Betracht gezogen, weil sie allein fremden Ein-
flüssen genügend entrückt geblieben sind. Man findet die erwähnten Daten auch unter
den anderen Malaien zurück, nur mit zu viel fremden Elementen gemischt.
Was nun das tatsächliche kausale Denken der Dajak betrifft, so zeigt es sich aus
den oben angeführten Beispielen ihres täglichen Lebens, dass die primitiven Malaien nach
kausalen Prinzipien handeln und also kausal denken. Dennoch begegnet man bei ihnen
keiner wirklichen Naturwissenschaft, obschon man auch nicht behaupten darf, dass ihnen
der innere Drang fehle, alles, was um sie her geschieht, zu begreifen. Im Gegenteil, diesem
gehorchend, haben auch sie sich eine Naturphilosophie gebildet, die so eigentümliche ani-
mistische Weltbetrachtung, die wir auch von anderen Völkern auf diesem Standpunkt der
Entwicklung kennen, die aber bei den Dajakstämmen deren ganze Existenz beherrscht.
In dieses System haben sie jedoch die ganze Natur aufgenommen und noch keine
Grenze gezogen zwischen dem Gebiet, das wir der Naturwissenschaft zuweisen und dem,
das bei höher zivilisierten Völkern zur Religion gehört.
Sie besitzen wohl die Einsicht in die Notwendigkeit der Ursachen der täglich neben
einander geschehenden Ereignisse, wie wir oben sahen; aber sie sind noch nicht so weit
fortgeschritten, dass die Erforschung der inneren Ursachen zur Gevvinnung mehr allge-
meiner Gesichtspunkte über das Geschehende sie anzöge. Dieser Mangel an zusammenfas-
senden Urteilen ist aber auch auf anderen Gtebieten ein Merkmal wenig entwickelter Völker.
Wir begegnen also hier denselben Umständen wie bei der Arithmetik und der Geometrie:
diese niedrig entwickelten Menschen unterscheiden sich nicht durch
das Fehlen der Verstandeseigenschaften, mittelst welcher sich die Na-
turwissenschaften unter den höher zivilisierten Rassen ausgebildet
haben, sie sind im Gegenteil auch bei ihnen nachzuweisen, haben sich
aber in dieser Umgebung nicht entwickeln können.
Mechanik.
Betrachton wir jetzt die Mechanik vom gleichen Standpunkt, wie bei den vorhergehen-
den Wissenschaften, um zu untersuchen, in wie weit die ihnen zu Grunde liegenden
Eigentümlichkeiten des Denkens in der Verstandesanlage der Malaien festzustellen sind,
80 lehrt uns die Erkenntnistheorie folgendes: Dieser Wissenschaft liegen keine neuen
Denkformen zu Grunde, sondern es sind Erfahrungsdaten in Verbindung mit durch das
Hamilton'sche Postulat Iwgründeten disjunktiven Urteilen, die die mechanischen Theo-
rien von einst und jetzt erzeugt haben. Da die bezüglichen Erfahrungsdaten in der jetzigen
Form erst spät festgestellt werden konnten, ist auch die Mechanik erst spät entstanden,
wie die Geschichte lehrt. Als Beispiel kann folgende Skizze des Trägheitsprinzips dienen.
Das Träghettsprimip war bis vor wenigen Jahrhunderten nicht nur unbekannt, sondern
es wurde einer gerade entgegengesetzten Behauptung axiomatische Gowissheit zugeschrie-
ben. Den alten Griechen galt es als selbstverständlich, dass mit dem Aufhören der Ursache
auch die Wirkung aufhören muss; und daraus wurde abgeleitet, dass ein geworfener Körper
eigentlich in dem nämlichen Momente, in welchem er die werfende Hand verlässt, zur
— 108 —
Kühe kommen müsste. Den Erscheinungen gegenüber, welche uns die Erfahrung in Betreft
geworfener Körper darbietet, standen demnach die Griechen auf einem dem unsrigen genau
entgegengesetzten Standpunkt. Wenn ein solcher Körper zuerst eine Strecke weiterfliegt,
dann zur Erde fällt und liegen bleibt, so scheint uns die Abnahme und das schliessliche
Aufhören, den Griechen dagegen schien die anfängliche Fortsetzung der Bewegung einer
Erklärung zu bedürfen. Jenes Problem lösen wir, indem wir die "Widerstände umgebender
Körper in Rechnung bringen; dieses versuchten die Griechen mittelst der Annahme zu
lösen, dass der geworfene Körper den umgebenden Luftteilen, diese aber wieder dem Körper
selbst ihre Bewegung mitteilten. Und während wir glauben, dass im vollständig leeren
Raum die einmal angefangene Bewegung niemals aufhören könne, behauptet Aristoteles
ausdrücklich, in der Leere könne überhaupt keine Bewegung stattfinden.
Diese altgriechische Auffassung hat dann bis zu den Zeiten Galilei's das wissenschaft-
Hche Denken beherrscht; selbst bei Kepler finden wir dieselbe noch vollkommen klar und
deutlich ausgesprochen.
Diese alte zähe Auffassung ist durch Erfahrungsgründe über den Haufen geworfen und
durch eine entgegengesetzte ersetzt worden. Man ist dabei zur Überzeugung gekommen,
dass die Bewegungserscheinungen, so wie sie erfährungsmässig vorliegen, sich nach der
neuen Auffassung weit einfacher erklären lassen als nach der alten. Eine solche Überzeu-
gung scheint aber nur als eine empirisch bestätigte physikalische Hypothese aufgefasst
werden zu können.
Die Denker und Forscher der vergangenen Jahrhunderte nahmen aber dem neuent-
deckten Trägheitsprinzip gegenüber ein anderes Verhalten ein. Schon Galilei spricht mit
vollster Gewissheit die Geltung dieses Prinzips für alle Körper ohne Ausnalime aus, obgleich
die empirische Bestätigung desselben doch nur für ein sehr beschränktes Gebiet gegeben
war. Wichtiger ist es, dass von Galilei an bis auf unsere Zeit, viele und danmter die
besten Mechaniker sich veranlasst gefunden haben, für das Trägheitsprinzip eine apriorische
Gewissheit ausdrücklich in Anspruch zu nehmen. Dass aber auch in unserer empiristisch
denkenden Zeit, welche apriori alles Apriorische zu verwerfen pflegt, wenigstens ein dunk-
les Gefühl geblieben ist, dass die Gewissheit des Trägheitsprinzips etwas Überempirisches
an sich habe, geht aus ihrem tatsächlichem Verhalten vollkommen deutlich hervor.
Um Dies einzusehen, hat man nur das Verhalten der Physiker dem Trägheits-
prinzip und irgend einem empirisch begründeten Naturgesetz, etwa dem Gravitations-
gesetz gegenüber, in Betracht zu ziehen. Die Gewissheit des Gravitationsgesetzes ist,
extensiv und intensiv, keine grössere als das zu Grunde liegende Material in Verbindung
mit den Kausalprinzipien gewährieisten kann. Dementsprechend hat denn auch kein ver-
nünftiger Mensch je geglaubt, die Notwendigkeit des Gravitationsgesetzes apriori einzu-
sehen. Ganz anders stellt sich die Wissenschaft dem Trägheitsprinzip gegenüber. Kein
Physiker wird es wagen, zur Erklärung irgendwelcher Erscheinungen die Hypothese aufzu-
stellen, dass das Trägheitsgesetz für dieselben nicht oder nicht volkommen genau gelten sollte.
Das Trägheitsprinzip ist eben nicht ein empirisches Gesetz und auch nicht ein aprio-
risches Axiom, sondern eine Schlussfolgerung aus empirischen und apriorischen Daten. Die
späte Anerkennung desselben ist aus der späten Entdeckung jener empirischen Daten zu
erklären; dagegen ist die aussergewöhnliche Gewissheit sowie die Beziehung desselben auf
absolute Bewegung der Mitwirkung apriorischer Daten zu danken.
Folgendes ergibt uns die Erklärung dieser Tatsachen: Nach der Erfahrung scheint die
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Zeit, wahrend welcher eine sich selbst übeiiassene Bewegung fortdauert, eine endliche
Grösse zu sein; nach den Griechen wäre sie = 0, nach den Modernen = co zu setzen.
Diese beiden, nach entgegengesetzten Richtungen von der Erfahrung sich gleich weit ent-
fernenden Ansichten haben nun aber eine Eigentümlichkeit gemein: nach beiden gibt es
in dem raumlichen Zustande des sich selbst überlassenen Körpers etwas Konstantes, Unver-
änderliches. Durch diese Eigentümlichkeit sind die beiden wissenschaftlichen Auffassungen
offenbar mit dem Hamilton'schen Prinzip verwandt.
Dieses bietet uns ein Kriterium, nach welchem wir darüber entscheiden, ob wir ein
Gegebenes einfach als wirklich hinzunehmen, oder dasselbe in irgendwelcher Weise zu
ergänzen oder umzudeuten haben. Versuchen wir dasselbe auf bereits angefangene Bewe-
gungen anzuwenden, so scheint es ohne weitere Voraussetzungen nicht möglich, in ein-
deutiger Weise zu entscheiden, wie diese sich verhalten müssten. Um einen festeren
Standpunkt zu gewinnen, müssten wir zuerst wissen, ob eine Ortsveränderung oder eine
Veränderung im Bewegungszustande der Körper als Zeichen für eine Veränderung in der
Konstitutien des ihnen zu Grunde liegenden Wirklichen aufzufassen sei; und eben dieses
wissen wir apriori nicht. Das apriorische Prinzip begründet bloss ein disjunktives Urteil:
entweder der Ort oder der Bewegungszustand des sich selbst überlassenen Körpers muss sich
unverändert erhalten. Nur so viel lâsst sich aus dem Hamilton'schen Postulate apriori ableiten.
Gerade hier aber gehen auch die Ansichten verschiedener Zeiten auseinander, indem
die Griechen nur in jenem ersteren, die Modernen aber nur in diesem zweiten Falle eine
Ursache fordern zu müssen glauben. Die Verschiedenheiten dieser Ansichten waren zwei-
fellos in einer Verschiedenheit des jeweilig gegebenen und vorgestellten Erfahrungsmate-
rials begründet; die ältere Vorstellung ist wohl eine Verallgemeinerung dessen, was wir
an -schweren, auf räuchern Boden durch Ziehen oder Schieben bewegten Körpern wahrneh-
men; die neuere ist offenkundig aus Beobachtungen und Experimenten abstrahiert worden.
Aber diese Erfahrungstatsachen haben nicht an und für sich, sondern nur in Verbin-
dung mit jenem durch das Hamilton'sche Postulat begründeten disjunktiven Urteil die
mechanischen Theorien von sonst und jetzt erzeugt.
Ähnliche Betrachtungen veranlassen die anderen Grundbegriffe der Mechanika, wie
der mechanische Kraflbegriff, das Unabhängigkeitsprinzip, das Prinzip der Wechselwirkung
und der Massenbegriff.
Für unsere Untersuchung ergibt sich dabei als Wichtigstes, dass keine neue Eigenart
des Denkens zur Erklärung derselben herangezogen zu werden braucht. Somit bietet uns
die Mechanika keinen Anlass, solche bei den Malaien nachzuspüren.
Die Mechanik entlehnt zweifellos ihr Interesse für unsere Zusammenlebung dem Umstand,
dass sie uns in den Stand setzt, mit ihrer Hilfe praktische Probleme durch theoretische
Betrachtungen zu lösen; andererseits hat sie ihre Entstehung der Entwicklung der prakti-
schen Mechanik selbst zu danken; diese hatte sich sicher schon lange unter den Völkern
Bahn gebrochen, bevor diese sich um die Theorie zu kümmern anfingen. Die malaiischen
Stämme verkehren jetzt noch alle in dem Stadium der praktischen Verwendung mecha-
nischer Hilfsmittel zur Erleichterung ihres Daseins.
Wie bei allen Zivilisierungserscheinungen im Indischen Archipel ist es auch bei den
hier in Frage kommenden nicht immer leicht zu bestimmen, ob sie von höher entwickelten
Völkern Obemommen, oder ursprünglich hier entstanden sind. In dieser Hinsicht liefern
— 110 —
die in den entlegensten Gegenden wohnenden Malaien die besten Anhaltspunkte zur Beur-
teilung der echt malaiischen Verhältnisse. Wohl ist es auch hier nicht ausgeschlossen,
dass in früheren Zeiten jetzt allgemein übUche Gewohnheiten eingeführt wurden; wenn
diese aber jetzt ganz in diese malaiische Zusammenlebung aufgenommen und assimiliert
wurden, so ist dies jedenfalls ein Zug, der Beachtung verdient. Wie die Sachlage auch
sein mag, immerhin bieten uns die primitiven Malaien die besten Möglichkeiten, um uns
über ihre Fähigkeit, sich praktisch mechanischen Hilfsmitteln anzupassen, ein Urteil
zu bilden. Diese stehen natürlich im Verhältnis zur sonstigen Entwicklung des Volkes.
Zu den merkwürdigsten Leistungen wenig zivilisierter Völker gehört die Verwendung
von besonders schweren Steinen, Holzstämmen und Ähnhchem, die sich offenbar nicht
durch Händearbeit allein, auf welche diese Menschen sonst angewiesen sind, in Bewegung
bringen lassen. Auch die Dajak verwenden nur wenige mechanische Hilfsmittel zur Aus-
führung schwerer Arbeiten. Bei besonderen Anlässen zeigt es sich aber, dass sie dennoch
im- Stande sind, sich derartiger Mittel zu bedienen.
So kommt es z.B. vor, dass sie zur Drehung gefällter Baumriesen im Urwalde Spillen
gebrauchen. Bekanntlich verfertigen sie aus diesen Stämmen bisweilen bis 25 M. lange
Einbäume von entsprechender Breite. Welche Waldriesen zu diesem Zweck gefallt werden
müssen, kann man sich denken.
Im allgemeinen sind die Dajak als Holzschläger sehr geschickt und oft im Stande, die
Bäume derartig umzuhauen, dass sie in eine vorher bestimmte Richtung hinfallen. Da
aber die Form der Krone eine grosse Rolle dabei spielt, gelingt es nicht immer, solche
ungeheuer schwere Stämme so zu lagern, dass sie sogleich die gute Stellung zum Aus-
hauen eines Bootes einnehmen. Denkt man sich den Platz mitten im Urwald dazu, so kann
man sich von der Schwierigkeit der Sachlage eine Vorstellung bilden. Die Bahau am Kapuas
sind aber im Stande, in solchen Fällen die Umkehrung dieser Baumstämme mittelst Spillen
zu bewirken. Diese werden mit den örtlich vorhandenen Hilfsmitteln nach augenblicklichem
Bedarf gebaut. Die umstehenden Bäumen dienen dabei als Böcke, ein anderer Baumstamm,
der in Rotanschlingen an ihnen hängt, dient als Welle und dicke Rotanschlingen des'
Urwaldes liefern die Kabel. Obschon primitiv, vemchten diese Werkzeuge Leistungen,
die sonst unterbleiben müssten. Man kennt sowohl die Verwendung der wagerechten Brat-
spille, als der aufrecht stehenden Gangspille.
Ähnlichen Schwierigkeiten begegnen diese Stämme beim Aufrichten der oft sehr
schweren Eisenholzpfähle, die als Stütze der Häuptlingshäuser dienen müssen. Auch wenn
diese 3500 Kg. schwer sind, wie diejenigen des Hauses von Kwing Irang, das in meiner
Anwesenheit am Oberen Mahakam gebaut wurde, so wurden dieselben doch mittelst
Händearbeit, oft auf improvisierten Wegen im Urwald transportiert; höchstens werden
dazu Rollen verwendet. Handelt es sich aber um die Aufrichtung dieser Säulen, dann rei-
chen auch die Kräfte zahlreicher Menschen nicht mehr aus und mechanische Hilfsmittel
müssen hinzugezogen werden. Wie sich das zuträgt, erhellt aus der hier folgenden Skizze
von der Aufrichtung des Hauptpfahls von Kwing Irangs neuem Hause (s. Taf. XX, Fig. b) :
„Die ungefähr 3500 Kilo schwere Eisenholzsäule konnte von den Leuten nicht ohne
Hilfsmittel aufgerichtet werden, weil sie mit ihrer Spitze so hoch gehoben werden musste,
dass ihr unteres Ende in die zwei Meter tiefe, für dieses gegrabene Grube gleiten konnte.
Zu diesem Zwecke gebrauchten die Kajan dicke Rotankabel, die am oberen Ende des
Pfahls in einer Höhe von 7 Meter befestigt und über einen vor der Grube errichteten
- Ill —
Galgen geleitet wurden; sie boten mehr als 50 Menschen Gelegenheit zum Ziehen. Auf
Tafel XX sieht man in der Mitte des Vordergrundes den verstärkten Galgen, der für einen
solchen Pfahl gebaut, hier aber noch nicht benutzt worden ist. Der Balken a, über den die
beiden Kabel laufen sollen, liegt auf den Spitzen von zwei gleichseitigen Dreiecken, die
aus geraden, jungen, mit Rotan aneinander gebundenen Stämmen bestehen. Diese Dreiecke
werden zu beiden Seiten des Pfahls, der gehoben werden soll, errichtet und sind mit ein-
ander durch andere Quer- und Stützbalken verbunden und verstärkt. Oft werden diese
Dreiecke auch an den bereits aufgerichteten kleineren Eisenholzpfahlen befestigt. Das Bild
stellt den Augenblick dar, wo eine grosse Anzahl Menschen (rechts) den grössten, mit
schöner Bildhauerarbeit verzierten Pfahl (links im Hintergrunde) an Rotankabeln in die
Höhe ziehen; einige Männer stehen und ziehen auch auf dem Gerüst selbst. Die grossen
Pfähle tragen mächtige Kriegsmützen aus Rotan, welche mit nachgemachten Federn des
Nashornvogels geschmückt sind. Alt und jung, Männer und Frauen, ziehen an den Kabeln.
wo nur ein Platz frei ist. Die beiden seitlichen Dreiecke sind so fest in den Boden gesetzt,
dass sie nicht nur die vielen Männer tragen, sondern eventuell auch den Pfahl, falls er
seitwärts ausweichen sollte, zurückhalten können.
Anfangs fiel die Zugrichtung zu stark in die des liegenden Pfahls; daher wurden an
dessen oberem Ende ständig mehr Balken untergeschoben, bis der Pfahl durch eine stärkere
Neigung in eine günstigere Lage gebracht wurde. Als der Pfahl beim Ziehen in die Rinne
glitt, die von seinem unteren Ende in die Grube führte, fand er an der gegenüberstehenden
Planke einen Stützpunkt
Jeder kleine Arbeitsfortschritt wurde anfangs durch Unterschieben von Holz gesichert,
dann ging es immer schneller vorwärts; der Pfahl erhob sich höher und höher unter den
ängstlichen Zurufen der zahlreichen, zusehenden Menge, die einen Fall oder ein Auswei-
chen des Balkens fürchtete. Dieser wurde übrigens von vielen Männern mit hölzernen
Gabeln gestützt. Es dauerte eine Stunde, bevor der Pfahl, zur grossen Erleichterung der
Zuschauer, mit einem Ruck in die Grube schoss".
Neben diesen zwei Arten mechanischer Hilfsmittel, die ich dort feststellen konnte,
verdient auch das oben genannte Baumf^len in eine vorher bestimmte Richtung beson-
dere B<;achtung für unseren Zweck, da viele mechanische Überlegungen nötig sind, bevor
die komplizierten Verhältnisse des Baumes selbst und seiner Umgebung in Verbindung
mit der Art, wie und wo der Stamm zum Teil durchgehauen werden muss, zum gewünsch-
ten Resultat führen. Wie allgemein üblich solche Gedankenarbeit bei den Dajak sein muss,
zeigt uns folgende Beschreibung von Ch. Hose auf Seite 99 des ersten Teiles seines Buches
,The Pagan Tribes". Sie bezieht sich auf das Fallen des Urwaldes für die jährliche Anlage
der Reisfelder:
,A hillside sloping down to the bank of a river or navigable stream is considered
the choicest area for cultivation, partly because of the efi&cient drainage, partly because
the felling is easier on the slope and because the stream affords easy access to the field.
When an area has been chosen, the men of the roomhold first cut down the under-
growth of a A shaped area, whose apex points up the hill and whoso base lies on the river
bank. This done, they call in the help of other men of the house, usually relatives, who
are engage<i in preparing adjacent areas and all set to work to fell the large trees. In the
clearing of virgin forest, when very large trees, many of which have at their bases immense
buttresses, have to be felled, a platform of light poles is built around each of these giants
— 112 —
to the height of about 15 feet. Two or three men standing upon this rude platform on
opposite sides of the stem attack it with their small springy-hafted axes above the level of
the buttresses (Taf. XXI, Fig. a). One man cuts a deep notch on the-side facing-up the hill,
the other cuts a similar notch about a foot lower down on the opposite side, each cutting
almost to the centre ot the stem. This operation is accomplished in a surprisingly short
time, perhaps thirty minutes in the case of a stem two or three feet in diameter. When
all the tree's within the A shaped area have been cut in this way, all the workers and
any women, children or dogs, who may bë present, are called out off the patch and one
or two big trees, carefully selected to form the apex of the phalanx, are then cut so as to
fall down the hill. (They are skilled woodmen and know how to cut a tree so as to ensume
its falling in any desired manner; the final strokes cut away the ends of the narrow
portion of the stem remaining between the upper and the lower notches^. In their fall
these giants throw down the trees standing immediately below them on the hillside; these
falling in turn against their neighbours, bring them down. And so, like on avalanche of
widening sweep, the huge disturbance propagates itself with a thunderous roar and in-
creasing momentum downwards over the whole of the prepared area( while puny man
looks on at the awful work of his hand and brain not unmoved, but dancing and shouting
in wild triumphant delight".
Ich selbst hatte in einem morastigen Urwald am Oberen Kapuas Grelegenheit, den Gang
über einen nur aus hintereinander liegenden Waldbäumen bestehenden Steg auszupro-
bieren. ,Der Weg führte nach dajakischer Weise mehr über liegende Bäume als über mit
Gras und Gestrüpp bedeckten Boden. Bald bildeten die Bäume den einzigen passierbaren
Weg; zu meinem Erstaunen lagen sie aber nicht, wie gewöhnlich, der Äste beraubt am
Boden, sondern teilweise über einander und zwar so, dass der nur wenig abgekappte Gipfel
des einen Baumes auf dem Fussende des folgenden ruhte und der so entstandene Baum-
pfad bis zu 4 m hoch über dem Erdboden lag. Er führte nämlich zu früheren Reisfeldern
durch einen Wald, der so nass und morastig war, dass man mit bewundernswerter Geschick-
lichkeit den einen Baum über den anderen hatte fallen lassen und, nachdem die hinder-
lichsten Aste entfernt waren, einen Pfad geschaffen hatte, auf dem man niemals den Boden
berührte. Es lagen hier Baumriesen von mehreren Metern Durchmesser, auf denen man
mühelos 40 m weit gehen konnte; dann trat man aber auf andere, deren glatte, hell-
graue Stämme zwar sehr schön anzusehen waren, in dieser beträchlichen Höhe von einem
beschuhten Europäer jedoch nur mit einer gewissen Kaltblütigkeit begangen werden konnten.
Glücklicher Weise betrat ich hier nicht zum ersten Mal einen Baumpfad im Morastwalde,
aber 1 Vi Stunden hintereinander, wie hier, war ich noch nicht auf solchem Weg marschiert".
(Q. d. B. I. S. 189).
Nach dem oben Gesagten besassen also die Erbauer dieses Baumwegs ein erstaunliches
mechanisches Talent, dabei schafften sie ein Werk, das nar relativ kurze Zeit bestehen
und nur sehr wenig als Fussweg benutzt werden sollte. Diese Wege führen uns zu ver-
wandten Bauwerken, zu den Brücken.
Die Dajak bauen ihre Brücken meistens nur dort, wo die Flüsse nicht durchwatet
werden können; deshalb sind sie ziemlich selten. Dennoch zeigt es sich, dass diese Leute
recht wohl im Stande sind. Brücken auf mannigfache Weise zusammenzustellen. Ling Roth
hat darüber Verschiedenes aus Serawak gesammelt; er sagt S. 27, Tl. II: There are many
bridges Hnd they are generally very picturesque. They are made, where the river is narrow
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and whore two trees, one on each side, overhang the stream. Among the branches of one
is placed a long thick bamboo, which reaches to the branches of the tree on the other
side ; but if it prove too short, two bamboos are lashed together with rattans and creepers.
This is the footway. Nexth, long thin bamboos are suspended from the upper branches of
the trees, the lower ends being tied to the footway before made and fixed crossway below
it. Rattans and creepers are also brought into requisition, to strengthen and steady the
bridge; these are the suspenders. Another bamboo is tied along the suspending bamboos,
on each side the footway, to serve for railings. The general appearance of this primitive
bridge, with a rapid stream running under it, is very pretty, especially as the banks of
the rivers are in generally beautifully lined with trees and masses of rock. By a sloping
ladder of the usual description the bridge is connected with the banks on each side of
the stream, but the whole thing is more picturesque to the eye than safe for the person
of the novice in jungle travelling (Grant, p. 33).
Mr. Denison speaks of a bridge amongst the Grogo-Dajaks „which was constructed of
jungle wood and bamboo and was 1.S8 feet in length and most skilfully put together
fch. Ill p. 28). Mr. Wallace says »some of these bridges were several hundred feet long
and fifty or sixty high The bridge is partly suspended and partly supported by diagonal
struts from the banks, so as to avoid placing posts in the stream itself, which would be
liable to be carried away by flood (1. 144 and 122).
Sir Hugh Low describes the bridges (p. 286) and Sir Sp. St. John remarks on their
lightnes.'« and elegance and also on their apparent flimsiness (I. 139)".
Eine andere Art des Brückenbaus der Kënja am Oberen Bulungan findet man auf
ri. 407 Tl. II von meinem Q. d. B. beschrieben:
„Der an dieser Stelle nur 40 m breite Fluss wurde zu beiden Seiten von hohen, mit
mächtigen Bäumen bekrönten Felswanden eingeschlossen. Die Bäume waren zur Befestigung
fines schworen Rotannetzes benutzt worden, das von dem einen zum anderen Ufer der-
artig aufgehängt war, diisa einige behauene Stamme auf dasselbe gelegt werden konnten,
um als Brücke zn dienen. Seitlich stand das Netz den Stämmen entlang sehr steil in die
Höhe und gewährte den Fussgängern ein Gefühl der Sicherheit, doch waren die Netzränder
zu weit entfernt, um als Stütze dienen zu können. Da die Stämme hinter einander sehr
lose lagen, vertrauten wir Europäer uns diesem Brückenbau nicht an "
Ihren BedOrfhissen gemäss haben also diese Stamme verstanden, sichere und feste
BrOckenbauten herzustellen; sie waren dabei auf pflanzliches Material angewiesen und
hatten sich den sehr wechselnden örtlichen Verhältnissen anzupassen. Wie fest und kom-
pliziert die Uferverbindungen der letzt erwähnten Hängebrücken sein müssen, lässt sich
leicht vermuten. Dass die grosse Schwere dieser Brücke, ihr Gleichgewicht und ihre even-
tuelle Belastung von den Erbauern bei der Zusammenstellung haben berücksichtigt werden
mflssen und dass sie diese mechanisch betrachtet haben, ist also wohl zweifellos.
Eine andere Art Bauten winl in Q. d. B. II S. 355 beschrieben: Bald führte der Weg über
lange Reihen behauener Stämme, die an gefährlichen Stellen wagrecht zu den Bergabhängen
hintereinander auf Stützbalken angebracht waren, eine Weganlage, die ich bis dahin auf Borneo
noch nicht gesehen hatte. An der Stelle, wo die Böte in .50 m. Höhe auf diesem Wege um die
Abhänge gezogen werden mussten, wurde der Bau noch grossartiger. Auf einigen Strecken war
in den Abhängen ein breiter Weg ausgegraben, den man zum besseren Gleiten der Böte mit
dünnen Baumstämmen belegt hatte ; wo die Schluchten die Bergwände trennten, waren diese
I. A. f. E. Bd. XXIII. 15
— 114 —
durch ebenfalls mit einer Lage von Stämmen bedeckte Gemste überbrückt worden. Da dieses
Bauwerk 2 Km lang war, erregte es stets wieder Demmenis und meine Bewunderung,
obgleich der "Weg für uns beschuhte Europäer sehr unbequem war (Taf. XXI Fig. b).
Von den Brücken ist der Übergang zu echten Wasserbauten, zu den Dämmen, wie
angezeigt. In einem Gebirgsland wie Mittel-Bomeo führen die Verhältnisse nicht zur Ent-
wicklung von Deichen, um das Flusswasser einzuzwängen; es ist also bemerkenswert,
dass der Fischfang dennoch zur Entstehung ähnlicher Konstruktionen geführt hatte. Aut
ein sehr merkwürdiges Bauwerk stiess ich eines Tages am Oberen Mahakam während
einer im Gebiet der 'Ma Suling unternommenen Expedition. Der Weg führte über einen
Damm, der zur Bildung eines Fischweihers durch einen Gebirgsbach gelegt worden war
(Taf. XXII Fig. b). Wie auch bei anderen Sitten und Gewohnheiten beobachtet werden
kann, hatte sich durch unbekannte Ursachen gerade unter diesen 'Ma Suling die Fisch-
zucht in Weihern entwickelt, obschon auch die benachbarten Stamme diese sehr gut
kannten, aber nicht ausübten.
Quer durch das Flüsschen war eine schräge Bretterwand aufgerichtet, die unter einem
Winkel von etwa 60° flussabwärts neigte. Gestützt wurde diese auf dem Boden, auf halber
Höhe und oben am Rande durch 3 schwere, horizontal gestellte und mit ihren Enden in
die beiden Uferseiten versenkte Balken, die ausserdem noch durch wagerecht« Balken,
welche ungefähr 1 m. flussabwärts im Ufer steckten und als Stütze für die ersteren dienten,
in der richtigen Lage gehalten wurden. Alle wagerechten Balken wurden ausserdem noch
durch dünnere, im Flussbett stehende Hölzer gestützt. Um diese Bretterwand wasser-
dicht zu machen, diente eine meterdicke, so fest anliegende Lehmschicht, dass sie ständig
als Weg über den Bach diente. Nur bestimmte Fischarten bleiben in dem gestauten, still-
stehenden Wasser, das durch die Sonne gelegentlich recht wann werden kann, am Leten
und vermehren sich; die anderen Arten ziehen sich höher in den Bach zurück. Die meisten
der grösseren 'Ma SuUngfamilien besitzen einen eigenen Weiher, aus dem sie nach Bedürfnis
Fische holen.
Wie auch aus der Abbildung ersichtlich, hat man es hier mit einem recht zusammen-
gestellten Bauwerke zu tun, das seinen Zweck gut erfüllt und bei welchem den vorhandenen
Kräften und Widerständen eingehend Rechnung getragen werden musste.
Haben wir bis jetzt die mechanischen Talente dieser primitiven Malaien an grösseren
Werken verfolgt, so erlauben uns Jagd und Fischfang, zwei wichtige Existenzmittel dieser
Stämme, den Nachweis, mit welcher Findigkeit sich auch diese Malaien mit kleineren
mechanischen Hilfsmitteln eine möglichst grosse Ausbeute der Tierwelt im Wasser und
auf dem Lande zu sichern verstehen: Eine zahlreiche Menge von Stricken, Fallen, Netzen,
Reusen u. s. w., für jede Tierart besondere, sind bereits bekannt und beschrieben worden.
Die mechanische Einrichtung und Aufstellung derselben beruht sowohl auf den Eigenschaften
des verwendeten Materials als auf den Sitten der Tiere und den Besonderheiten der natür-
lichen Umgebung. Sie zeigen alle an, wie fruchtbar die mechanischen Talente dieser Stämme
sein können, wenn ihre Interessen sie dazu anregen.
Es handelt sich hier um Leistungen, die von allen Völkern des Indischen Archipels
bekannt geworden sind; für unseren Zweck wird also ihre Erwähnung genügen.
Etwas ähnliches ist auf einem anderen, für die Dajak äusserst praktischen Gebiet, der
Schiffahrt, zu bemerken. Man kennt unter den malaiischen Stämmen der Insel Borneo keine
geschickteren Gehilfen bei Bootfahrten auf unschiffbaren Flüssen wie diese dajakischen aus
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dem Innern. Es gibt auch wohl keinen Reisenden, den diese Ruderer nicht gerade in den
gefährlichsten Lagen mit Bewunderung erfüllt haben. Was sie dann zu leisten vermögen,
ist bereits einmal auf S. 65 beschrieben werden und es darf also hier darauf hingewiesen
wenlen. Jedoch muss dabei ernsthaft in Betracht gezogen werden, welche gefährlichen
mechanischen Probleme in solchen Fällen zu Dutzenden nach einander wie spielend gelöst
werden müssen. Man könnte sagen, die Bootsleute leisten das aus Gewohnheit und sicher
spielt diese dabei eine Rolle, aber bei näherer Betrachtung liegt die Sache doch anders.
Selbst wenn man in ihrem eigenen Lande mit diesen Ruderern schwierige Reisen unter-
nimmt, (zeigt es sich bald, dass sie nur sehr ungern auf ihnen bis dahin unbekannten
Flüssen Dienste leisten und dann auch nicht, nach ihrer sonstigen Gewohnheit, eine gewisse
Verantwortlichkeit fQr die Expedition übernehmen. In den ihnen bekannten Stromschnellen
und Wasserfällen studieren sie genau den Wasserstand und die daraus sich ergebenden
Umstände für eine Bootfahrt. Auch sind es die Anführer, meistens örtlich gut bekannte
Leute, die die Leitung übernehmen und oft sieht man sie eine Strecke von einem hohen
Standpunkt aus übersehen, bevor sie ihrer Mannschaft die nötigen Anordnungen geben.
Welche hohe Anforderungen dabei an ihre Talente gestellt werden, ersieht man daraus,
dass nur diese Stamme ihre Flüsse einigermassen mit Sicherheit zu befahren verstehen
und dabei oft genug Habe und Leben opfern müssen. Obgleich ich Jahre lang mit ihnen
fast ohne Verluste oder Unglücksfälle über die gefährlichsten Wasserläufe gefahren bin,
ereilte auch mich eines Tages das Geschick, als ich mit den Kajan am Oberen Mahakam
gegen ihren Sinn eine lange Reise in das ihnen wenig bekannte ürsprungsgebiet dieses
Flusses unternahm. Ich hatte vorher die volle Verantwortlichkeit übernehmen müssen. Es
gelang uns auch, einen Monat lang ohne Zwischenfälle den dort unbewohnten Fluss auf
und abzufahren, bis einmal mein schwer beladenes Boot beim Abfahren einer Stromschnelle
von den Wellen überflutet wurde, umschlug und die Mannschaft und ich fïoh waren,
mit Verlust unseres Gepäckes das Leben retten zu können. Das Wasser war durch den
Regen der vorhergehenden Nacht stärker geschwollen und die Wellen daher kräftiger,
als wir dachten.
Der Bau von Böten gehört in einem Lande, wie das der Bahau, in welchem der Ver-
kehr zwischen den verschiedenen Siedelungen und der Transport zu und von den Feldern
beinahe ausnahmslos auf den Flüssen stattfindet, zu den wichtigsten Arbeiten der Bevöl-
kerung. Jede Familie sucht, sei es auch unter Beistand der paladow (Mithelfer), die
erforderlichen Fahrzeuge selbst zu bauen. Aber nicht jeder Mann ist in gleichem Masse
imstande, einen passenden Baum auszusuchen, ihn zu bearbeiten, im Feuer auszulegen
U.8.W.; jeder Stamm besitzt daher 1 — 2 anerkannte Autoritäten auf diesem Gebiet, denen,
so bald es sich um den Bau s«^hr grosser Böte handelt, die Leitung derselben übertragen
wird. Die Böte sind ausnahmslos Einbäume; sie werden aus einem einzigen Stück ver-
fertigt, für weiches man im Walde einen geeigneten Stamm wählt.
Die Bahau unterscheiden verschiedene für Böte geeignete Baumarten, die je nach
dem Zweck, für den die Fahrzeuge bestimmt sind, ausgesucht werden. So gebraucht man
kleine, leichte Böte aus festem Holz, um nach den Feldern zu fahren, grössere aus bieg-
samem Holz mit dickerem Boden gegen den Anprall auf Steine zum Befahren der Fluss-
oberläufe mit ihren Wasserfällen und Stromschnellen, sehr lange Böte mit besonders
grossem Laderaum fQr lange Handelsreisen an die Küsten, femer sehr lange, schmale
Fahrzeuge für Kriegszüge und schliesslich besonders grosse, um sie am Unterlauf der
— 116 —
Flüsse zu verkaufen. Für die kleinen, soliden Böte besitzen nur bestimmte Baumarten
die erforderlichen Dimensionen, so dass man in ihrer Wahl sehr beschränkt ist; die Eisen-
holzstämme sind zwar sehr hoch, aber für grosse Fahrzeuge zu schwer. In den kühleren
Oberläufen der Flüsse sind Böte aus weichem Holz eher brauchbar als in den warmen
Unterläufen, in deren Wasser weit mehr Organismen vorkommen, die das Holz auffressen;
daher werden neben den grossen Frachtböten aus weicherem Holz auch viele kleine Eisen-
holzböte in den Küstengegenden verkauft.
Für den täglichen Gebrauch benützen die Bahau Böte von etwa 3 — 12 m. Länge und
60—75 cm. Breite, für die Quellflüsse 10 — 14 m. lange, während die grösseren Böte
20 — 23 m. lang und 1,5—2 m. breit sind; letztere bestehen meist aus Tengkawangholz.
Ein zum Bau eines Bootes gut befundener Baum wird in einigem Abstand vom Erd-
boden, wo er weniger breit ausläuft, umgehackt und darf, wie beim Häuserbau, nur, wenn
er völlig seitwärts niederfällt, verwendet werden, gleitet er dagegen vom Stumpf ab und
bleibt stehen, so ist er lali und darf nicht weiter gebraucht werden. Sind die Äste
und der unbrauchbare Gipfel abgehackt und befindet sich der Stamm in geeigneter Lage
oder ist er bei bedeutender Grösse und Schwere mittelst Hebeln in diese gebracht worden,
so hackt man die rohe Form des Bootes aus ihm heraus. Ein solches noch unbehauenes
Boot ist auf Taf. XXII Fig. a zu sehen. Der Querriss zeigt noch die Rundung des Baumes und die
Seitenwände sind nicht flach und gerade, sondern laufen in der Mitte rund nach oben zu.
An den beiden Innenseiten sind einander gegenüber Holzteile stehen gelassen, die später
bei der Anbringung der Bänke als Spanten dienen müssen. Überdies hat man den Rumpf
des Bootes absichtlich dicker gelassen, um ihn, ohne Risse zu riskieren, durch den Gebirgs-
wald nach Hause schleifen und dort fertigstellen zu können. Für diese Roharbeit gebraucht
man nur Beile und runde Dechsel an langen Stielen, um mit diesen das Holz von innen
wegzuhacken. Die feinere Bearbeitung wird allmählich und bei der Wohnung vorgenommen,
wie Taf. XXII Fig. a es uns vorführt. Um den Wänden die erforderliche Dünne und Glätte
zu geben, wendet man platte Dechsel an kurzen Stielen an, wie sie von den Männern aut
der Abbildung gehandhabt werden.
Sollen die Böte nicht sogleich gebraucht werden, so läsgt man sie vom Wasser aus-
laugen. Bestehen sie aus Eisenholz, das im Wasser sinkt, so versenkt man sie ins Wasser;
ist das Holz aber leichter als dieses, so lässt man die Böte mit einigen Balken als [Stütze
auf dem Lande stehen, bis der Regen sie mit Wasser füllt. Indem man das Regenwasser
einige Mal durch eine Öffnung im Boden ausfliessen lässt, wird die Auslaugung des Holzes
befördert.
Da ein solches rundes Boot im Wasser nicht stabil genug ist, wiiü es erst durch
Auslegen im Feuer für den Gebrauch taugUch gemacht. Zu diesem Zweck stellt man das
Boot auf einige, ein paar Fuss hohe Unteriagen und setzt es dann während etwa 8 Stun-
den in seiner ganzen Länge Reihen von gut flammenden Holzfeuem aus, wobei man durch
Schlagen mit grünen, beblätterten Zweigen, die man in das im Boote befindliche Wasser
taucht, ein Verbrennen des Holzes an der Aussenwand verhütet. Die Seitenwände legen
sich dann langsam nach aussen; man lässt ihre Ränder anfangs absichtlich so viel höher,
dass sie nach der Auslegung mit dem Vor- und Hintersteven ungefähr in eine Ebene zu
liegen kommen. An noch nicht genügend ausgebogenen Stellen wird das Feuer etwas länger
unterhalten, doch beeilt man sich gleichzeitig, die im voraus fertig gearbeiteten Ruderbänke
auf die innen zu beiden Bootsseiten stehengelassenen Spanten festzubinden. Dieses ge-
— 117 —
schiebt mittelst Rotan, den man durch die in die Bretter und Spanten gebohrten Löcher
zieht und dann festknüpft. Auf diese Weise wird bei der Abkühlung eine nachträgliche
Einwârtskrûmmung verhindert, die bei einigen Holzarten leicht vorkommt.
Die Bootsränder werden, um ein Eindringen des Wassers zu verhüten, durch Bretter
t-rhöht. Diese Schanzkleidung wird auf die gleiche Weise wie die Ruderbänke mit Rotan
an die Ränder befestigt. Ein Verkleben der Löcher mit dum pul (Harzpulver, Pflanzen-
fasern und Petroleum) ist mehr bei den Malaien als bei den Bahau üblich. Für Fahrten
auf stillen Flüssen werden die Ränder nur mit einer Reihe von Brettern erhöht; für Quell-
flüsse dagegen mit ihren Stromschnellen und Wasserfallen mit 2—3 Reihen. Mit derartig
verstärkten Böten wagen die Dajak denn auch mit voller Ladung grosse Stromschnellen
hinabzufahren."
Wie oben bereits erwähnt, haben die Bahau-Dajak auch begriffen, welchen Nutzen Aus-
leger in den stark bewegten Grewässem für ihre schmalen Fahrzeuge haben können ; zwischen
den Felsen ist eine grössere Breite nicht zweckmässig und so bestehen die Ausleger der Bahau-
böte nur aus zwei Stammen, die an beiden Seiten gegen die Bootwände gebunden sind.
Auch die Industrie dieser Dajakstämme zeigt, dass sie mechanische Hilfsmittel anzu-
wenden verstehen; es würde zu weit führen, diese hier alle zu erwähnen. Am lebhaftesten
beweist die Herstellung der Blasrohre, wie gut diese Dajak sich mechanischer Hilfsmittel
zu bedienen verstehen, wenn es darauf ankommt, etwas besonders schwieriges zu leisten.
Ich entnehme die Beschreibung dem Buche von Dr. C. Hose „Pagan Tribes" Tl. I, S. 215.
„The blow-pipe or sumpitan is perhaps the finest product of native Bornean craflman-
ship. It is made by Kajans, Kenijahs and Punans, and rarely by Ibans and Klemantans.
The best sumpitans are made from the hard straight-grained wood of the jagang-tree.
Having chosen and felled the tree, often one of large size, the craftsman splits from it
long pieces about eight feet in length. Such a piece is shaved with the adze until it is
roughly cylindrical and three to four inches in diameter. The piece may be carried home
to be worked at leisure, or the boring may be done upon the spot. A platform is erected
about seven feet above the ground; and the prepared rod is fixed vertically with the upper
end projecting through the platform, its lower end resting on the ground. Its upper end is
lashed to the platform, its lower end to a pair of stout poles lashed horizontally to trees
and its middle to another pair of poles similarly fixed.
The next operation, the boring of the wood, is accomplished by the aid of a straight
rod of iron about nine feet long, of slightly smaller diameter than the bore desired for
the pipe and having one end chisel-shaped and sharpened. One man standing on the plat-
form holds the iron rod vertically above the end of the wood and brings its sharp chisel
edge down upon the centre of the flat surface. Lifting the rod with both hands ho repeats
the blow again and again, slightly turning the rod at each blow. Ho is aided in keeping
the rod truly vertical by two or three forked sticks fixed horizontally at different levels
above the platform in such a way that the vertical rod slides up and down in the forks,
which serve thus as guides. The rod soon bites its way into the wood. An assistant,
squatting on the platform with a bark-bucket of water beside him, ladles water into
the hole after every two or three strokes and thus causes the chips to float out.
This operation steadily pursued for about six hours completes the boring. In boring the
lower part, the craftsman aims at producing a slight curvature of the tube by very
slightly bending the pole and lashing it in the bent position; the pole on being released
118 —
Fig. i (Seite 122).
— 119 —
then straightens itself, and at the same time produces the desired slight curvature of the
bore. This curvature is necessary in order to allow for the bending of the blow-pipe, when
in use, by the weight of the spearhead, which is lashed on bayonet-fashion. If the desired
degree of curvature is not produced in this way, the wooden pipe, still in the rough state
as regards its outer surface, is suspended horizontally on loops and weights are hung upon
the muzzle end until, on sighting through the bore, only a half circle of daylight is visible-
tliis being the degree of curvature of the bore desired. The wood is then heated with
torches and on cooling retains the curvature thus impressed on it.
It only remains to whittle down the rough surface to a smooth cylinder, slightly
tapering towards the muzzle, to polish the pipe inside and out, to lash on the spear-blade
to the muzzle end with strips of rattan and to attach a small wooden sight to the muzzle
end opposite the spear-blade. The polishing of the bore is effected by working to and fro
within it a long piece of closely fitting rattan ; that of the outer surface by rubbing it
first with the skin of a stingray (which, although a marine fish, sometimes ascends to the
upper reaches of the river) and afterwards with the leaf (emplas) which is the local sub-
stitute for emer>' paper".
Welch eine vorzügliche Arbeit so geleistet wird, haben wir oben S. 63 gesehen.
O. Beccari beschreibt auf S. 332 seines Werkes eine ahnliche Arbeitsweise von unten nach
oben und bildet diese auch ab. In Quer durch Borneo I S. 143 habe ich selbst meine Erfah-
rungen niedergeschrieben, wobei von horizontaler Lage des Eisonholzzylinders und des
durch gekreuzte Bambus gestützten Meisseis die Rede ist. Aus diesem allen ist es klar,
dasB diese anspruchsvolle Arbeit von den Dajak nach mehreren Methoden ausgeführt wird
und diese also mit Hilfe ihres mechanischen Donkons dies Ziel unter vorschiodonen Um-
ständen zu erreichen wissen.
Ich hatte die Absicht, im VorhergelH?nden zu untersuchen, in wie fem die Praxis des
Lebens dieser primitiven Malaien uns Erscheinungen des mechanischen Denkens liefert,
dieses Denkens, das unter jetzt höher zivilisierten Völkern zur Entstehung der theoreti-
schen Mechanika geführt hat. Wie spat erst wichtige Prinzipien unserer jetzigen Mechanika
festgestellt wurden, haben wir in der Geschichte des Träghoitsprinzipes oben gesehen. Bei
dieser Untersuchung zeigte es sich, wie vielseitig sich praktische mechanische Massregoln
unter den Dajakstämmen entwickelt haben, und da zur Ausbildung höherer Formen der
Mechanik daneben keine andere, als die auch den Dajak eigene kausale Donkart nötig ist,
können wir schliessen, dass die Verstandesanlage dieser noch primitiven Malaien
sich der Ausbildung der Mechanik nicht widersetzen würde.
Man würde sich von den Fähigkeiten, die die Malaien auf dem Gebiet der praktischen
Mechanik entwickeln können, eine ganz falsche Vorstellung machen, wenn ich als Beispiele
ihrer Leistungen nur die der niedrigst entwickelten Stämme, wie der Dajak, anführen
würdo. Zwar haben die hochentwickelten Malaien die Elemente ihrer Kultur den Fremden
zu danken, die seit zwei Tausend Jahren im Archipel verkehren, aber diese Elemente
haben sie zum Teil zu eigenen Formen ausgebildet. In ihren hochstehenden Zusammen-
lebungen können also auch Beweise für ihre Entwicklung in dieser Hinsicht aufgefunden
wenlen. Die Zßntra der früheren und heutigen Hindukultur mit ihren oft wunderbaren archi-
tektonischen und anderen Leistungen eignen sich für eine solche Untersuchung ganz
besonders.
— 120
Fig. 2.
— 121
Die Ruinen der Hindutempel auf Java, die vom achten Jahrhundert an bis jetzt erhalten
geblieben sind, legen bereits Zeugnis davon ab, dass die damalige Kultur, wenn sie sich
^jr ^/r.
•> Cy ^/rX/^^
i~B-t
Fig. 3.
auch ihrem vorderindischen F*rototyp anschloss, ein eigentümliches, selbständiges Gepräge
trug. In den mitteljavanischen Reichen vom achten bis elften Jahrhundert trat dieses
weniger scharf als in den ostjavanischen vom zwölften bis zum sechzehnten Jahrhundert
I. A. f. E. Bd. XXII. 16
— 122 —
hervor. Die in den Residentschaften Pasuruan und Kediri vorkommenden Gebäude und
Skulpturen dieser Periode besitzen nachweisbar einen starken javanischen Zug.
Unglücklicherweise wissen wir von dieser Hochkultur des javanischen Volkes fast nur
das, was diese und einzelne andere Überbleibsel uns lehren. Ich werde mich deshalb auf
die Erwähnung dieser damaligen mechanischen Leistungen beschränken müssen. Diese
können aber gleichzeitig zur Beurteilung eines Sprösslings, den wir in der Jetztzeit noch
würdigen können, nämlich der Zivilisation der Balier, dienen.
Die Kultur der Balier nimmt im Indischen Archipel eine ganz besondere Stellung ein;
sie zeigt verschiedene Züge, denen man sonst nicht oder in viel beschränkterem Masse
begegnet. Erstens besitzen diese Insulaner noch die. hinduistischen Religionen, ferner ist
in ihrer hochstehenden Kultur der einheimische Ackerbau besonders entwickelt und schliess-
üch bilden die Balier zu diesem und anderen Zwecken vielfach Vereine, die eine wichtige
Rolle in ihrer Zusammenlebung spielen. Durch dieses Vereinsleben entstehen wohlhabende
Gesellschaften, die im Stande sind, gemeinschaftlich wichtige Bauten und Anlagen zu unter-
nehmen. Gerade an diesen wird sich zeigen lassen, was die Balier auf diesem Gebiet zu
leisten vermögen.
Auch bei diesen Eingeborenen durchdringt der Gottesdienst alle Äusserungen des
menschlichen Daseins und weitaus die meisten Vereine betrachten den Bau eines Tempels,
in dem sie ihre Gottheiten um Arbeitssegen anflehen können, als eine ihrer ersten Pflichten.
Der Tempelbau hat deshalb auf Bali einen ganz besonderen Aufschwung genommen : die
Pforten dieser Tempel legen ein hübsches Zeugnis für die architektonischen Fähigkeiten
der Balier ab.
Man kennt zwei Arten Tempeltore, das gespaltene und das pyramidalische, das sich
auch wohl zu einem Giebel mit mehreren Eingängen verbreitert. Für den Bau werden
sowohl künstliche als natürliche Steine verwendet, wie es auch früher auf Java geschah.
Von beiden Torarten werden Beispiele hier angeführt, die dem Werke des Herrn W. 0. J.
Nieuwenkamp: Bali und Lombok, entlehnt sind.
Erstens das kleine gespaltene Tor, Fig. 1 (s. S. 118), das im Dorf Bubunan als Eingang zu
einem Tempel, einer heiligen Badestelle für die Reisgöttin, diente. Auch die Hinterseite dieses
aus sechs Säulen bestehenden Gebäudes ist ähnlich verziert, nur ohne Löwen und Masken.
Zweitens das Eingangstor des Haustempels im Palast zu Keriman (Fig. 2 s. S. 120),
Süd-Bali. Dieses Heiligtum (Fig. 3, s. S. 121), von einem Graben ganz umgeben, bestand
aus vier künstlichen Inseln, die durch fünf schmale steinerne Brücken mit einander und
mit dem übrigen Palast verbunden waren. Die sehr zieriiche Pforte 1, deren Oberteil ganz
mit Ornamenten bedeckt war, bildete den Zugang zu der ersten Insel, die, wie die anderen,
von einer schön gearbeiteten Mauer umgeben war.
Auf den Ecken dieser Mauern standen grosse, runde, steinerne Kübel mit Wasser,
worin Wasserpflanzen trieben. Auf diesem ersten Platz standen nur zwei offene Gebäude
3 und 4, während auf der mittleren Insel ein einziges, aber grösseres gebaut war. Den
wichtigsten Teil dieses Haustempels bildeten die zwei hinteren Insel. Auf der linken
standen zwei paruman, 12 und 13, das sind Zelte, um Opfer niederzulegen und weiter
ein besonders hohes und schweres meru 14, das in Figur 4 abgebildet ist. Auf dem stei-
nernen Sockel des Unterteiles standen an beiden Seiten der Tür, die zum leeren Innern
des meru führte, vier steinerne Statuen, alle von derselben Grösse und im selben Stil;
diese Statuen waren alle Vorstellungen des Gottes Siwa, aber in acht von den sehr vielen
— 123
Fig. 4.
— 124 —
Formen, die man von ihm auf Bali kennt. Von links nach rechts stellten sie vor: Iswara,
Maheswara, Brahma, Mahadewa, Rudra, Sangkara, Wisnu und Sambu. Das hohe meru,
Berg des Siwa, besass elf Dächer von arèn-Fasern, auf hölzernen Balken ruhend.
Auf der anderen Insel befanden sich mehrere kleine Gebäuden, unter diesen ein be-
sonders hoher, schlanker, steinerner tjandi (Tempel) 23 und zwei Zelte 17 und 18, wie
auf der ersten Insel.
ta.<I.W£l.l3g<.,.W.gj^~^A.T9gf<rT|i,l1P»l-
Fig. 5.
bckA
An diesen Bauten ist ersichtlich, dass Bauart und Verzierung von den hinduistischen
herstammen, sich aber dennoch jetzt in der eigenartig balischen Richtung entwickelt haben.
Die hohe Pforte des Batur-Tempels (Fig. 5) beweist, zu welchen grossen schönen Ge-
bäuden die balischen Baumeister diese Tore ausgearbeitet haben. In diesem Tempel, in dem
die Hauptgottheiten dieses zweithöchsten Vulkanes der Insel verehrt werden, kommen
die meru mit vielen Dächern zahlreich vor, wie aus der Figur erhellt.
Wie diese Baumeister ihre Werke zusammenstellen, ist aus Fig. 6 ersichtlich. Die
— 125 —
Mauern und Umrisse der Figuren werden aus behauenen, natüriichen und künstlichen
Steinblöcken aufgebaut und die Formen nachher durch Bildhauer genau ausgearbeitet.
Der untere Teil ist ganz aus Naturstein verfertigt. Es handelt sich hier um die Pforte eines
Haustempels des Dorfes Sawan in Nord-Bali. Wie stets steigt manjauf einer hohen Treppe bis
zum Eingang hinauf; an der anderen Seite führt eine ähnliche Treppe zum Tempelraum hinab.
Auf dem Holzschnitt ist das Hilfgerüst aus Bambu angegeben worden und am Boden
Steine [mit Geräten zum Tragen derselben.
— 126 —
Welche höchst eigentümlichen architektonischen Verzierungen auf diese Weise 'ange-
bracht werden können, zeigen die monumentalen Elefanten am Eingang eines Tempels,
die in Fig. 7, " abgebildet sind. Auch diese sind aus grossen Steinblöcken zusammen-
gestellt und nachher mittelst Bildhauerarbeit umgeformt worden. Die stylisiert«n, be-
waffneten, grotesken Figuren sind Riesengestalten, die als Wächter an den Toren der
Tempel hingestellt werden, um die bösen Geister zu verscheuchen. Die zwei Frauen-
gestalten tragen Opfergaben in den Tempel.
Fig. 7.
Neben den Tempeln erscheinen die Wohnungen der Balier als unansehnliche Gebäude;
auch die Paläste der Fürsten zeigen sich mehr durch grosse Anhäufung zahlreicher Häuser
als durch die Schönheit dieser Häuser selbst und ihrer Umgebung aus. Eine Ausnahme
bilden die fürstlichen Lustschlösser, die im allgemeinen aus monumental mit Mauern ein-
gefassten Weihern, Wasserwerken und Terrassen bestehen, auf welchen Tempel, Häuser
und Gärten angelegt werden. Aus Narmada, einem solchen Lustort des früheren balischen
Fürsten von Lombok, stammt die Zeichnung Fig. 8. Sie stellt eine Ecke des ausgegra-
benen Weihers und dessen durch Mauern befestigte Ufern vor; eine Reihe von Men-
schen betreibt in ihm den Fischfang und einige Fische versuchen durch Luftsprünge
— 127 -
zu entwischen. Im Hintergrund erhebt sich ein Tempel auf künstlichen Terrassen, während
links Statuen die Ufermauem des Weihers schmücken.
Der Kunstsinn und Geschmack der Balier für hübsche Architektur äussert sich femer
noch im Bau reich verzierter Badeplätze und Brunnen. Bei letzteren spritzt oft das
Wasser das aus der Bt^rgwand hervor und findet in Röhren geleitet, sowohl als Trink-
wasser als zum Baden Verwendung. Ein gutes Beispiel ist der in Fig. 9 abgebildete
l-ig. 8.
Badeort Sawan in Nord-Bali. Zwei schmale Pforten führen in zwei oben offene „Bade-
zimmer"; in jedem von diesen ummauerten Räumen ergiessen sich drei klare Wasser-
strOme aus steinemen Röhren, die auf Manneshöhe angebracht sind. Das Wasser ist auch
durch die Mauer geleitet worden; an mehreren Stellen, wo Löwen, Schlangen und Vögel
im Sandstein ausgebauen sind, plätschert das Wasser aus deren Mäulem in grossen Mengen
hervor. Links führt ein steiler Pfad noch zu höher gelegenen Plätzen und Weihern mit
vielen plätschernden Wasserfällen und zu einem noch höher gelegenen Tempel. Bei
— 128 —
diesem erheben sich solche riesenhafte Bäume mit sehr breiten, weit ausgewachsenen
Kronen, dass die ganze Umgebung von Tempel und Badeort im Schatten hegt, selbst
wenn die Sonne am heftigsten brennt.
Neben dem Gottesdienst vergegenwärtigt der Ackerbau die höchsten Interessen der.
Baher; darum haben sie ihre geistigen Fähigkeiten vor allem auch zu dessen Verbes-
serung angewendet. Der Reisbau auf bewässerten Feldern bietet uns als wichtigsten Bau
FiR. 9,
eine gute Einsicht in diese Verhältnisse, da er bei den Malaien dieser Insel wohl die
höchste Entwicklung erreicht hat.
Die vielen Eigentümlichkeiten des indischen Reisbaus werde ich hier nicht erwähnen,
sondern als bekannt voraussetzen. Zum besseren Verständnis der wichtigen Besonderheiten
auf Bali, diene jedoch ein Wort über die Bewässerungsgenossenschaflen (subak). Diese werden
ausschhesshch mit Rücksicht auf die Irrigation neu anzulegender Reisfelder durch die
Interessierten gegründet, auch wenn sie in verschiedenen Dörfern wohnen. Diese Vereine
besitzen einen eignen Vorstand, eigne Gesetze und die in der balischen Zusammenlebung
t.
V'
%
t k r V OA vvf tfl
— 130 —
noch bestehende hinduistische Kasteneinteilung des Volkes hört praktisch unter den Mitr
gliedern des subak auf, da selbst die Brahmanen sich wie die anderen am Reisbau und
den daraus hervorgehenden Verpflichtungen tatsächlich beteiligen. Die Unabhängigkeit dieser
Vereine von den Dörfern ist also ziemlich gross und gelingt ihnen die Anlage, so ver-
fügen sie aus den Steuern der Mitglieder über ansehnUche Mittel. Diese Arbeitsgemein-
schaft der balischen Bevölkerung hat denn auch wohl sehr viel zu der hohen Entwicklung
ihres Reisbaus beigetragen.
Zur richtigen Beurteilung dieser Bewässerungsanlagen als Äusserung ihres mechani-
schen Könnens muss man sich von vorn herein vergegenwärtigen, dass wenn auch die
Hindu-Javaner ihre Kultur nach Bali gebracht haben, diese Insel bereits seit vielen Jahrhun-
derten fremdem Einfluss entzogen ist und die ihren Verhältnissen angepassten Anlagen
die sie ausführen als ihr eigenes geistiges Können aufgefasst werden müssen.
Die Bewässerungsanlagen der Bauer im Hochlande erregen unsere Bewunderung um
so mehr, wenn wir ihre relativ primitiven Hilfsmittel in Betracht ziehen. Um welches Gelände
es sich hier oft handelt, ersieht man aus Fig. 10 s. S. 129, die uns rechts emen mit Reis-
feldterrassen bedecktan Bergabhang, links daneben einen tiefeingeschnittenen Fluss, dem oft
in seinen höheren Abschnitten das Irrigationswasser entzogen werden muss, erkennen lässt.
Vergegenwärtigt man sich, dass die Unternehmer bei der ursprünglichen Anlage nur solche
mit Urwald bedeckte Gebirgswände vor sich haben, auf welchen dieser Wald gerodet,
der Boden in berieselbare Terrassen umgearbeitet und schUesslich alles mit den zufüh-
renden Wasserleitungen in Verband gebracht werden çnuss, so sind diese Werke doch
sicherlich als hochstehende Leistungen von Bedeutung. Um eine ausführlichere Beschreibung
solcher balischer Reisfelder im Gebirge zu umgehen, habe ich Fig. 11 aufnehmen lassen,
die uns steile, in Reisfelder verwandelte Abhänge vorführt und daneben einen Blick auf
das Flachland und das Meer im Hintergrund gewährt. Welch eine ansehnliche Hände-
und Geistesarbeit die Anlage und der Unterhalt solcher Felder beanspruchen, . braucht
nicht weiter erörtert zu werden. Von den Schwierigkeiten, mit denen die Balier bei der
Anlage ihrer Bewässerungskanäle zu kämpfen haben, legt folgende Skizze Herrn Nieuwen-
karap's beredtes Zeugnis ab. Gleichzeitig lernen wir die Art und Besonderheiten einer
solchen Anlage kennen. Zur Erläuterung diene Fig. 12, der Plan des Werices und Fig. 13,
die Zeichnung eines Unterteiles.
„Bei Ohogan in der Nachbarschaft von den Pasar (Süd-Bali) sah ich eine grosse Anlage
zur Stauung des Flusses tukad Ajung. Um einen Reisfelderkomplex westlich dieses Flusses,
der von Nord nach Süd strömt, bewässern zu können, war man genötigt gewesen, das
Flusswassei- einige Meter höher zu stauen, um einen Teil desselben in einen Tunnel ablei-
ten zu können. Als dieser Tunnel gegraben war, musste also ein Damm oder ein Über-
lassdeich im Fluss angelegt werden, dessen Krone etwas höher als der Tunnelboden lag.
Da es nicht möglich war, dieses in dem breiten, schnell strömenden Fluss selbst auszufühm,
grub man am linken Ufer einen Seitenkanal, der etwa hundert Meter stromabwärts wieder
in den Strom mündete; in. diesem zwanzig Meter breiten Kanal mauerte man einen schweren
Überiassdamm. Der Boden dieses Kanals lag etwas niedriger als der Tunnelboden; die
Krone des Überiassdeiches etwas höher. Sowohl das Graben des Tunnels als des Kanals
gelang leicht, da beide höher als der Fluss lagen und das Wasser nicht belästigte.
Als dies vollendet war, wurde der Fluss unterhalb des Kanalausflusses mittelst eines
etwa 60 m. langen und 40 m. breiten Dammes von Steinen und Lehm unterbrochen.
— 132 —
wodurch das Wasser gestaut und gezwungen wurde, dem Kanal zu folgen und über den
Überlassdeich zu üiessen. Die Oberfläche war nun gerade so hoch geworden, dass der
gewünschte Teil des Wassers durch den Irrigationstunnel abfloss. Ein kleiner Tempel, in
dem man den Göttern opferte und ihren Segen auf das Werk herabflehte, wurde auf dem
grossen Abschlussdamm gebaut.
Während einiger Jahre verlief Alles vorzüglich und konnte ein ausgebreiteter Reis-
felderkomplex mit dem nötigen Wasser versehen werden. Man hatte aber versäumt, den
Boden des Kanals unmittelbar unterhalb des Überlassdammes genügend mit Cement oder
Mauerwerk gegen die Kraft des darüberhinfliessenden Wassers zu stützen oder hatte
gemeint, dass der steinerne Boden fest genug sein werde.
Wahrscheinlich war auch die Neigung der Böschung des Dammes zu steil, also nicht
2:£:<^'^^,.-
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^ZÖ
FiR. VI.
lang genug, was sonst die Kraft des Wassers genügend gebrochen hätte. Der Strom hatte
also den Boden am Böschungsfuss tiefer und tiefer ausgehöhlt, was die Stellung des
"Dammes immer mehr schwächte; wohl hatte man noch versucht, diesem Übel durch
schwere Steinvorlagen zwischen Kokosstämmen, deren Enden in Gruben der felsigen Ufer
lagen, abzuhelfen (s. Fig. 13), aber fast bei jedem Hochwasser wurde dieser Hilfsdamra
vernichtet. Schliesslich geschah, was man gefürchtet hatte; es entstand unter dem Damm
ein Loch im Kanalbo'den, das grösser und grösser wurde, bis der ganze Fluss unter statt
über den Damm floss und dieser wie eine Brücke zwischen den Felswänden hing. Der Fluss
wurde natürlich niedriger und der Tunnel erhielt keine Wasserzufuhr mehr. Schnell wurde
in den Fluss beim Anfang des Kanals ein Staudamm aus in den Boden getriebenen Bambu-
stäben, Flechtwerk und Steinen gelegt; dieser Damm hielt während vier Monaten Stand
und staute das Wasser noch soviel, dass der Tunnel, wenn auch nicht wie früher, wieder
134 —
Zufuhr bekam. Während eines sehr hohen Wasserstandes wurde auch dieser Staudamm
auseinander getrieben; der Rest ist auf Fig. 12 und 13 noch bemerkbar.
Auf der Zeichnung von Fig. 13 sieht man links den ganz unterminierten, wie eine
Brücke zwischen den Felswänden hängenden Staudamm; darüber den Tempel auf dem
Sperrdamm und in der Mitte den Fluss, der sich mit donnerndem Getöse in das tiefe Loch
stürzt, das der Strom mehr und mehr stromaufwärts ausgehöhlt hatte. Rechts befinden sich die
Überbleibsel des Hilfsdammes und darüber am anderen Ufer der trockengelegte Tunneleingang.
An eine Wiederherstellung des Staudammes war nicht zu denken. Es wurde also
beschlossen, am rechten Ufer einen neuen Tunnel zu graben, der sein Wasser viel höher
vom Fluss ableiten sollte; auf dem linken Ufer wollte man dann ein neues Flussbett mit
Staudamm graben und nachher den Fluss aufs Neue abdämmen.
Die Grabarbeit an beiden Ufern war bereits ein gutes Stück gefördert, als man am
rechten Ufer unerwartet auf eine Basaltmasse stiess, durch welche die Baher mit ihren
primitiven Werkzeugen sich nicht hindurch arbeiten konnten. Das Unternehmen musste
also unterbrochen werden.
Die Balier riefen darauf die Hilfe des in den P a s a r wohnenden Assistent-Residenten
Schwartz ein; dieser besichtigte die Werke und empfahl, mittelst Dynamit einen Graben
durch den Felsen zu treiben; da man dann mit den Arbeiten würde fortfahren können".
Hieraus ersieht man, mit welchen Schwierigkeiten die Ackerbauer beim Bewässern
ihrer Felder zu kämpfen haben. Ausserdem ist es klar, dass die mechanische Entwicklung
dieser Leute vielseitig sein muss, um solche Wasserwerke mit relativ primitiven Mitteln
ausführen zu können.
Unter diesen Hilfsmitteln fällt besonders ein sehr einfaches, aber praktisches Nivellie-
rungsinstrument auf, das in Fig. 14 abgebildet
ist. Die Wasserleitungen zur Berieselung der Reis-
felder, sowohl die offenen Kanäle, die biswei-
len Stunden gehens lang sind, als die Tunnel
durch Gebirgsrücken, oft von mehreren Hundert
Metern Länge, müssen sanft ansteigend angelegt
werden. Die Neigung muss an allen Stellen
möglichst gleich gross sein, um eine gleichmässige
Wasserzufuhr zu sichern. Um dies zu erreichen,
bedient sich der Balier jenes einfachen und bil-
ligen Nivellierungsinstruments, gëgandjing,
genannt. Es wird aus Horn verfertigt in der
Form eines mit der Spitze nach unten gekehrten
Dreiecks. Die Seiten, ungefähr 15 cm. lang, rei-
chen etwas an der Basis vorbei und besitzen
hier Öffnungen, durch welche eine Schnur läuft,
die zum Aufhängen des kleinen Instruments dient.
Eine dünne Schnur, mit einer Münze beschwert
und in der Mitte der Basis befestigt, hängt durch
eine Rinne im Gipfel des Dreiecks. Die Schnur A
wird möglichst straff über zwei Pfähle gespannt, die höchstens vier Klafter von ein-
ander stehen dürfen, da die Schnur bei grösserem Abstand zu sehr einbiegen und die
ig. 14.
— 135 —
Genauigkeit dadurch leiden würde. Ist das Instrument so aufgehängt, dass die Schnur mit
der Münze gerade durch den Gipfel verläuft, so liegt die Schnur A wagerecht; ist diese
Lage einigermassen neigend, so weicht der Faden mit der Münze nach rechts oder hnks
ab. Der baiische „Ingenieur" weiss aus Erfahrung, wie gross diese Abweichung in bestimm-
ten Fallen sein muss, um die gewünschte Neigung herzustellen.
Die Bewässerungsanlagen der Balier werden öfters aus wenig Wiederstand leistenden
Materialien hergestellt und beim Antang eines neuen Ackerbaujahres müssen gewöhnlich
ausgebreitete Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden. Sie sind aber klug genug, um
gelegentlich auch nach dem Muster der europäischen Anlagen im bereits lange unterwor-
fenen Westen der Insel einen Teil ihrer Irrigationswerke in Mauerwerk und Zement aus-
zuführen. Ein solches baiisches Werk stellt Fig. 15 dar; es ist eine Anlage zur Vertei-
Kig. 15.
lung des Wa.-^sers aus einem Hauptkanal in zwei Seitenkanälo und die nach rechts ver-
laufende Hauptleitung. Die Fähigkeit der Balier zur selbständigen praktischen Ausfüh-
rung solcher Werke, erweist sich hiermit zu Genüge; es erhellt aber ausserdem, dass
sie, wenn sie die europäischen Anlagen nachahmen, sich nicht mit den praktischen, nüch-
ternen Formen ihres Musters begnügen, sondern, infolge ihres inneren Dranges nach Ver-
zierung, dieses zu einem Kunstwerk umzubilden verstehen, ohne der Brauchbarkeit auch
nur den geringsten Abbruch zu tun, was eine hohe künstlerische Anlage erheischt. Man
beachte nur, wie geistreich die Wellenlinien der beiden Mauern, zwischen welchen der
Strom im breiten Kanal abfliesst, das plätschernde Wasser und die aufschäumenden und
sich Oberschlagenden Wellen mit den Wirbelströmen an den Enden nachahmen. Sogar aus
der mit Theer bestrichenen Strecke an der Unterseite der Mauern haben sie noch etwas
Nettes zu bilden versucht.
136 —
Nachdem also unsere Untersuchung über die Verstandeseigenschaften der Malaien
zu dem Ergebnis geführt hatte, dass ihr Vorstellungs- und Erinnerungsvermögen, unter
Berücksichtigung ihrer Lebensumstände, mit denen der weissen Rasse vergleichbar sind,
haben wir sie zuletzt in ihrem Verhältnis zu den mathematischen- und Naturwissen-
schaften betrachtet.
Es hat sich dabei gezeigt, dass diejenigen menschlichen Eigenschaften, die die Basis
zur Entwicklung dieser Wissenschaften bilden, auch den Malaien zukommen. Zum Nachweis
derselben habe ich sogar die Kulturerscheinungen unter den primitivsten Malaien, wie Dajak
und Toradja, heranziehen müssen. Daraus ergab sich aber, dass Äusserungen des arithme-
thischen Denkens so wie die Fundamental-Prinzipien der Geometrie, der Naturwissenschaften
und der Mechanik sich bei ihnen auf anderen Kulturgebieten nachweisen liessen und
ausserdem die praktische Anwendung dieser Disziplinen in einfachen Formen nicht fehlte.
Diese einfachen Formen sind aber ein Ausfluss der gesellschaftlichen Vorbedingungen,
unter welchen diese Malaien als Opfer ihrer übermächtigen Umgebung leben.
Auf Grund aller dieser Ergebnisse fühle ich mich zu der Schlussfolgerung berechtigt,
dass die Verstandesanlage der Malaien in den Eigenschaften, die bis
jetzt in die Untersuchung einbezogen wurden, derjenigen der weissen
Rasse nicht nachsteht.
Zur Vollendung unserer Untersuchung über die Verstandesanlage, gehört noch die
Behandlung des logischen Denkens.
REVUE BIBLIOGRAPHIQUE. — BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
Pour les abréviations voir p. 24, 192 du Tome précédent. Ajouter: P. U. = Anzeiger der Finnisch-
ugrischen Forschungen.
M. J. Vinson (R. A. XXV p. 99: L'écriture, le livre,
les bibliothèques) publie un cours de linguistique.
Z. E. XLVI publie des études de M. Fritz Wiegkbs
(p. 829: Die Entwicklung der diluvialen Kunst mit
besonderer Berücksichtigung der Darstellung des
Menschen. Av. flg.); et de MM. Erich M. vonHobm-
BosTEL et CüKT Sachs (p. 553 : Systematik der Musik-
instrumente), essai d'une classification des instru-
ments de musique.
M. le Dr. Félix Regnault (Bull. S. A. V p. 143)
donne une contribution à l'étude de la frontalité des
statues dans l'art primitif.
M. R. Hennig (D. g. B. XXXVII p. 45: Zur Ophir-
und Atlantis-Frage) reprend les différentes hypothèses
sur rOphir et l'Atlantide.
EUROPE.
M. Wilhelm Crahmeb (Z. E. XLVI p. 785: Bericht
über ethnographische Arbeiten in Lappland) fait un
rapport sur des travaux ethnographiques en Laponie.
M. Marcellin Boule (A. XXVI p. 1 : La paléon-
tologie humaine en Angleterre. Av. flg.), à propos des
GÉNÉRALITÉS.
M. J. L. De Lanessan (R. A. XXV p. 179, 231:
La morale du transformisme) donne un exposé des
théories morales do Buffon, Lamarck et Darwin avec
des observations sur la source des idées morales
résidant dans les besoins naturels communs aux
animaux et aux hommes, et sur la constitution de
la famille et de la société.
M. G. Backmann (Ymer 1915 p. 163: Till känne-
domen om nackhâlets typologi hos miinniskan) donne
une contribution à l'étude de la typologie de la nuque
chez l'homme.
M. Hans Vibchow (Z. E. XLVI p. 673 : Der Nasen-
knorpel des Chimpanse. Av. flg.) publie des notes
comparatives sur le nez du singe et celui de l'homme.
M. le Dr. Oskae von Hovarka (A. G. Wien XLV
p. 125: Leitmotive und Elementarmethoden der
allgemeinen Heilkunde) pose les principes de la
médecine populaire que l'auteur développe dans son
Uvre Geist der Medizin.
137
ossements humains fossiles, décrits comme homme
tertiaire de Piltdown, se prononce sur les silex taillés,
dits ,bec d'aigle", et n'est pas d'accord avec Sir Ray
Ijankester sur l'origine humaine de ces „instruments".
M. F. ScHBADKB (R. A. XXV p. 212: Tableau poli-
tique de la France de l'ouest sous la troisième Eé-
publique) fait l'analyse du livre de M. A. Sieofbibd
sur les rapports de la géologie et la politique.
R. A. XXV contient des contributions de M. R.
Tarkl (p. 266: Les grands silex arqués de l'époque
magdalénéenne. Av. flg.); et de M. Mabckl Baudoihn
(p. 150, 199: Le squelette de la sépulture par in-
humation, de l'époque néolithique, découvert au-dessus
de l'ossuaire dans l'allée couverte de la Flanche a
Puare, à l'île d'Yeu, Vendée. Av. flg.).
Bull. S. A. V contient des contributions du Dr.
Mabckl Baudouim (p. 98 : L'ossuaire à os décarnisés
et brisés de l'allée couverte de la Flanche à Fuare.
Av. flg.; p. 159: Le Rocher aux Pieds de Nanteau-
sur-Essonne, Seine-et-Marne. Av. fig), rocher aux
pieds sculptés.
M. Dominique Uknrt (R. A. XXV p. 274) décrit
la représentation d'un .mystère" en Roussillon au
commencement du XIX« siècle.
M. H. ScuocHARDT (A. G. Wien XLV p. 109:
Baakiach-Iberisch oder Liguriscb?) fait des remar-
ques sur l'origine des Basques, qu'il croit plutôt
Ibères que Ligures, comme le soutient M. Schulten
daoa son livre sur Numantia.
M. Maubicb Piboutbt (A. XXVI p. 69) fait quel-
ques réflexions sur la question Ligure.
M. C. BBAKDXMBUBa (Z. E. XL VI p. 640: Reise-
notisen ans Sardinien. Av. fig.) publie des détails
archéologiques et la description des vêtements in-
digènes, résultats de son voyage en Sardaigne.
Z. E. publie encore des contributions archéologi-
ques de M. Hugo Möte>i.\dt (p. 646: Die Diebeshöhle
bei Uftrungen, Kr. Sangerhausen. Av. flg.; p. 662:
Aus thüringisch-sächsischen Privatsammlungen ; vor-
und frühgeechichtliche Altertümer. Av. flg.); M.
Haus Vibcuow (p. 869 : Der Unterkiefer von Ehrings-
dorl Av. flg.); M. A. Kikkkbuscu (p. 880: Das
vrendische Dorf Clössnitz bei Cüstrin. Av. flg.); et
une notice de M. Eduabd Hahn (p. 672: Zwei
Erntegerate aus Tirol. Av. fig.) sur des usages par-
tkoUera dans un district du Tirol.
M. Josef S/.ombatuy (A. G. Wien XLV p. 141:
Das Versiegen einzelner prähistorischer Kunstepochen
und die Stellung der paläolitbischen Kunst Mittel-
europas. Av. flg.) publie une étude sur l'époque
paléolithique.
L A. f. E. Ed. XXIII.
L'anthropologie des Bulgares fait le sujet d'obser-
vations du Dr. Krum Dbontschilow (A. A. XIV p. 1 :
Beiträge zur Anthropologie der Bulgaren. Av.pl. et flg.).
M. Romulus Vuia (Z. E. XLVI p. 824 : Flechterei
mit Stäbchen bei den Rumänen. Av. fig.) décrit une
industrie domestique en Roumanie.
M. Eugène Fittard (R. A. XXV p. 139) publie
une étude anthropométrique des Juifs de Dobrodja.
ASIE.
M. S. Baguoni (Z. E. XLVI p. 591 : Ein Beitrag
zur Kenntnis der natürlichen Musik II. Av. flg.)
continue son étude comparée sur la musique par
la description de divers instruments asiatiques.
A. G. Wien Sitzb. (p. 31: Südarabische Götter-
symbole) rendent compte d'un discours du Dr. Adolf
G ROHM ANN.
M. le Dr. Joeann Rakowsky (A. G. Wien XLV
p. 137: Ein Beitrag zur Anthropologie der Tschere-
missen) traite l'anthropologie d'un peuple sibériaque.
M. S. RouDKNKo (Bull. S. A. V p. 123) donne les
résultats de mensurations anthropologiques sur les
peuplades du Nord-ouest de la Sibérie.
M. Oscar NoRoqvisT (Ymer 1915 p. 58: Under
Vegaexpeditionen gjorda anteckningar om fasta
fornlämningar vid Ostsibiriens ishafskust) publie des
observations faites pendant l'expédition de la Véga
sur des vestiges de l'antiquité sur la côte arctique
de la Sibérie orientale.
M. Otto Messino (Z. E. XLVI p. 754: Confuzia-
nismus. Av. fig.) publie une étude sur le Confucianisme.
Ind. Aiit. XLIV contient des contributions de M.
H. L. Shuttlewobth (p. 19: Note on the Rock-hewn
Vaishnava Temple at Masrur Dera TahRil, Kangra
District, Panjab. Av. pi.); M. Vincent A. Smith
(p. 89: Architecture and Sculpture in Mysore: The
Hoysala Style. Av. pi.); M. T. A. Gopinatha Rao
(p. 127: Bauddha Vestiges in Kanchipura. Av. pi.);
M. V. Rangacuabi (p. 153: The History of the Naik
Kingdom of Madura, contribution à l'étude du Hin-
douisme); Sir Geoboe a. Gbiebson (p. 159: The Fahari
Language), notes sur les Gourjaras du Panjab; et
de nouvelles contributions folkloristiques de M. R. E.
Ehthovkn (Folklore of the Konkan).
M. R. Obband (Bull. E. 0. XIV n». 7) consacre
une étude aux tombeaux des Nguyen.
M. le Dr. H. ten Kate (A. XXVI p. 236: Mélanges
anthropologiques) traite des Insulindiens.
M. Ph. s. van Ronkel (I, G. XXXVH p. 478:
Een talisman uit Atjeb) décrit un talisman atchinois.
M. D. W. N. DE BoER (T. B. B. XLVIII p. 184:
De Permalimsekten van Oeloean Toba en Habinsaran)
18
138
publie des communications sur une nouvelle secte
religieuse, curieux mélange de traditions anciennes
et de christianisme, qui s'est répandue sur le plateau
de Toba, île de Sumatra.
Le môme périodique contient la description de
cérémonies de mariage, do M. W. J. Beck (p. 147:
Een Bataksch huweiyk); et des notes sur les céré-
monies de mariage et le droit de succession dans
le Minahasa, Celebes (p. 28: Nota betreffende Ban-
tiksche aangelegenheden, famille- en erfrecht).
OCÉANIE.
La Nouvelle-Guinée fournit des sujets au mission-
naire G. PiLHOFER (P. M. LXI p. 21, 63 : Eine Durch-
querung Neuguineas vom Waria- zum Markhamfluss.
Av. pl.); et à M. Neuhauss (Z. E. XLVI p. 753: Die
Pygmäenfrage in Neuguinea), remarques critiques
sur une dissertation du Prof. Schlaginhaufen.
AFRIQUE.
MM. L. Bbrtholon et E. Chantre (Bull. S. A. V
p. 150. Av. fig.) publient les résultats de leurs
recherches anthropologiques dans la Berbérie orien-
tale (Tripolitaine, Tunisie, Algérie).
M. P. Pallary (A. XXVI p. 193) rend compte
de recherches préhistoriques effectuées au Maroc.
M. le docteur L. Reütter (R. A. XXV p. 290:
Les flèches empoisonnées) donne des analyses de
poisons des flèches du Sénégal et du pays des
Somalis.
M. Fe. de Zeltner (R. A. XXV p. 171 : A propos
des Touareg du sud. Av. flg.; A. XXVI p. 219:
Notes sur quelques industries du Soudan français)
publie des observations faites au cours de trois séjours
en Afrique occidentale française.
M. A. Poupon (A. XXVI p. 87) pubUe une étude
ethnographique des Baya de la circonscription du
M'Bimou, territoire cédé à l'Allemagne en Afrique
équatoriale.
M. P. G. Mahoudeau (R. A. XXV p. 165: Le
Pongo, d'après le récit d'André Battell) publie une
notice sur un marin anglais qui servit dans les rangs
des Portugais vers la fin du XVIe siècle, et dont
les récits, publiés par Purchas, font mention d'an
grand singe, qui serait le Gorille.
M. le docteur Kabl Weüle (P. M. LXI p. 18, 59 :
Zur Kartographie der Naturvölker. Av. cartes et
planches) rend compte d'expériments qu'il a faits
chez des indigènes de l'Afrique orientale quant à
leur aptitude au dessin.
AMÉRIQUE,
M. Walter Krickebebg (Z. E. XLVI p. 678: Einige
Neuerwerbungen der nordamerikanischen Sammlung
des Königl. Museums für Völkerkunde. Av. fig.) fait une
description d'armures, ustensiles de ménage, jeux etc.
provenant de diverses tribus de l'Amérique du Nord.
A. G. Wien Sitzb. rendent compte d'un discours
du Prof. P. Fbrd. Hestbbmann (p. 6: Die Maya-
Kultur Mittelamerikas, Sprache, Schrift, Literatur,
Kalender und Bauwerke).
Z. E. XLVI (p. 748) publie une lettre de M. Pbeüss
sur son voyage en Colombie avec des détails sur les
Indiens Uitoto.
M. Ebland Nobdenskiöld (Ymer 1915 p. 169: Incal-
lacta, eine befestigte und von Inka Tupac Yupanqui
angelegte Stadt. Av. fig.) décrit les ruines d'une cité
des Incas, construite vers le milieu du XV« siècle.
M. Walter Knoche (Z. E. XLVI p. 637: Einige
Bemerkungen über die Mapuche. Av. flg.) publie
des observations sur une tribu indienne de Chile;
et (p. 639 : Der heilige Stein von Lonquimay) donne
une notice sur un bloc de pierre, produit d'une
éruption volcanique, et sur l'usage que les Chiléena
en font comme caisse d'épargnes.
Le major P. H. Fawcktt (G. J. XLV p. 219:
Bolivian Exploration 1912-1914. Av. pl.) donne des
détails sur les Guarayos, habitant les forêts de'
l'intérieur, qui n'avaient jamais vu des blancs et
sont des cannibales.
M. CüRT NxmüendajüUnkel (Z. E. XLVI p. 615:
Vocabularies da Lingua Gérai de Brazil) publie des
vocabulaires de diverses langues brésiliennes et
(p. 626) des traditions des Indiens Crengez.
Zeist, oct. 1916. G. j. Dozy.
LIVRES ET BROCHURES. — BÜCHERTISCH.
I. E. Sapib, Abnormal types of speech in
lîootka (Canada Geological Survey Memoir 62),
Ottawa, Government Printing Bureau 1915.
In this paper is treated a psychologically very
important phenomenon in Nootka, viz. the reference
in speech, by means of suffixed elements, modifi-
cation of Sibilants, and insertion of certain consonants
or consonant clusters in the body of the word, to
some physical characteristic of the person addressed
or spoken of. „The physical classes indicated by
these methods are children, unusually fat or heavy
people, unusually short adults, those sufifering from
some defect of the eye, hunchbacks, those that are
lame, left-handed persons, and circumcised males".
— 139 —
The least peculiar of these references is that in
speaking to or about a child the Nootka use to add
the regular diminutive suffix to verbal or other
formt), even though the meaning of the word has
nothing diminutive in it, to express the sympathetic
or affectionate relation of the speaker to the child.
There are parallels to this phenomenon even in
European languages, as, for example, Dutch alaapjes
doen, or Russian cnareHbKB, for slaptn, or cnatb In
my review of Dr. Frachtenbero's sketch of the
Coos language I have drawn the attention of Ame-
ricanists to the ,mouillement" of certain consonants
in Bask used when speaking to children, with or
without endearment. Instead of non ila sure aita
a where is your father?" one will say to a child
n'an' lïa :^ure ai^a (Itburry, Grammaire basque, p. 7),
and in Vizcaya a father was heard to direct the
following speech to his refi-actory little boy: Marlin
Anbm, ii'd'a ago <üa bi£irik? JU egit'en esbadaustak
makita batat io ta heraino eratziko aul ta'U'a-kume
ori , Martin Anthony, are you dead or alive ? If you
do not speak to me, I shall beat you with a stick,
and throw you down, bad little brat that you are"
(de Azkue, OramàUca eiiskara, p. 20). The learned
Vixcayan grammarian, who cites this example of
diminutive speech, adds the remark, that he does
not believe there is much tenderness in these words.
Still such diminutive speech originates in a sym-
pathetic relation to the child, even though it may
be used by an angry speaker.
In talking to or about fat or unusually big persons
another suffix is made use of, It takes the same
place in the word as the diminutive suffix, i. e. it
precedes the temporal, modal stnd pronominal sufSxes.
When speaking of abnormally small adults, the
diminutive suffix is used in the same way as when
qpeaking to or about children, but at the same time
all aibUant consonants, the sibilant of the diminutive
suffix included, become palatalized. These diminutive
forms with palatalized sibilants are also used of small
birds, „such as sparrows and wrens".
Persons suffering from some defect of the eye,
except the blind, are spoken of and spoken to in
diminutive forms, in which moreover all sibilants are
converted Into the corresponding voiceless lateral
•tops or spirants. Dr. Sapib adds however this re-
striction, that these forms are generally avoided when
the people they refer to are present, particularly
when adult, „unless with the express purpose of
showing contempt or of teasing". The same forms
are used also of the deer and mink, a curious fact
which is the more remarkable, because — as Dr.
Sapir states — also in mythologies of other Ame-
rican Indian tribes deer are associated with sore eyes.
Referring to hunchbacks the Nootka use also
diminutive forms, with the additional trait that all si-
bilants are changed into peculiar „thickish" s-sounds,
„pronounced with the lower jaw held in front of
the upper". ,Here again these distinctive forms are
generally avoided when in the presence of hump-
backed people, for fear of giving ofifence". There
are, however, cases in which these forms are used
in the presence of the people they refer to, even in
addressing them, without giving offence, cases where
,the notions of contempt and affection commingle",
as they often do in the mind of the uncivilized and
uneducated. Also in other parts of the world peior-
ative forms will be akin to diminutives.
Lame people are referred to by forms provided
with the unchanged diminutive suffix and amplified
by a certain, in itself meaningless, element, consisting
of a voiceless lateral aflfricative -f- s(i), which is
inserted „somewhere before the diminutive suffix,
its exact position apparently depending on the whim
of the speaker".
Analogous are the forms referring to left-handed
people, which also are provided with the normal
diminutive suffix, but where the inserted element
is (S -f- a strangulated-sounding laryngeal spirant
with ((-timbre. The place of this, in itself meaning-
less, element is after the first syllable of the word.
These left-hand forms are also used of bears, who
are supposed to be left-handed, a belief which is
shared by a distant Siouan tribe, the Winnebago,
as Dr. Sai'iu informs us on Dr. Radin's authority.
The forms used when speaking of or to circum-
cised males are only characterized by the insertion
of S -|~ ^^^ aspirated voiceless dental explosive after
the first syllable of the word.
The use ofsimilar devices referring to some mental
quality of the person addressed or spoken of is
pretty rare. Still the Nootka use to insert the con-
sonant cluster tsx after the first syllable of the word,
when speaking of or referring to greedy people. The
same forms are used to refer to ravens.
Cowards may be referred to ,by speaking in a
thin piping voice that suggests timidity".
After having stated the facts mentioned above
Dr. Safib discusses their psychological connections
with the speech peculiarities of certain mythical
beings, the consonantal and vocalic play in song
texts, certain speech defects found among the Nootka,
140 —
and the frequent imitation of speech peculiarities of
those belonging to other Nootka tribes. His remaries
are to the point, and, to a certain degree, convincing.
Still I should like to suggest that the use of special
forms referring to people with some physical or moral
defect may have originated in a kind of preventive
homoeopathic magic. I scarcely believe that expres-
sions as „satire" or „mockery" are to be recom-
mended in regard to the phenomena under consider-
ation, for though a humorous element in them is
not to be denied, their starting point will probably
have lain in the sphere of superstitious apprehen-
sion. That nowadays, now such fear of magical
contagion seems to have disappeared, reference to
physical defects is usually avoided when addressing
persons who are afflicted with them, is to be accounted
for, in Dr. Same's way, by fear of giving offence.
Nearly all the phenomena described by Dr. Sapir
in this memoir were quite unknown to me, and, I
trust, to most students ot general glottology, before
he made us acquainted with them. Therefore we
owe him a debt of gratitude, even if we should
occasionally differ with him in the interpretation of
his discoveries. C. G. Uhlenbeck.
If. E. Sapie, The Na-Dene languages, a preli-
minary report (American Anthropologist N. S.
Vol. XVII, Lancaster Pa.), Published for the American
Anthropological Association, 1915.
In this preliminary report Dr. Sapir gives sound
proofs of a genetic relationship between Dene, Haida
and Tlingit. That Haida and Tlingit are akin to
each other, had already been assumed by Boas and
SwANTON, and Boas had also „vaguely hinted at
fundamental resemblances in structure" between
Haida-Tlingit and Dene. Dr. Sapir will give the
complete lexical, phonological, and morphological
evidence of his thesis in an extensive paper on the
„Na-Dene languages", to be pubUshed as a memoir
of the Anthropological Series of the Geological Survey
of Canada, but though in his preliminary report he
presents only a small part of his comparative ma-
terials, even now there can be no reasonable doubt,
that Dene, Haida, and Tlingit are „indeed but di-
vergent representatives of a common prototype".
The name „Na-Dene" has been compounded by Dr.
Sapih from Tlingit na „people" (= Haida na „to
dwell, house"), and the wide-spread word for „person,
people" in the group of dialects which have been
called, after this term, the „Dene languages" (also
called Athabascan or Athapascan languages).
There is cne point of some importance on which I
do not agree with Dr. Sapib. Quite opposite to his
interpretation of the two classes of pronominal ele-
ments in Na-Dene, I think that, here as in many other
languages, the transitive conjugation is passive in
its grammatical conception, because only in this
way we may understand the identity of the pronoun
representing the logical object of transitive verbs
with the pronoun standing for the subject of in-
transitive verbs. In this respect Na-Dene reminds
us of Bask, and Chukchee, and Dakota. Cf. also my
remarks on the passive character of the transitive
verb in American Indian languages in my review
of Dr. Frachtenbeeg's sketch of Coos (Archiv 22,
269) and my supplementary note to „Some general
aspects of Blackfoot morphology" (Archiv 22, 270 sq.).
C. C. Uhlenbeck.
III. L. Spiee, Blackfoot relationship terms
(American Anthropologist N. S. Vol. XVII, Lancaster
Pa.), Published for the American Anthropological
Association, 1915.
Mr. Spiee does not know that the Blackfeet proper,
the Bloods, and the Peigans speak practically the
same language, and that there are no such great
differences in speech between them as his thoroughly
unreliable word-forms would make one suppose. He
thinks that in certain cases the Peigans have a d
corresponding to a < of the Bloods, whereas nobody
who ever heard the Peigans talk will ignore that
there are no such things as d, b, g in their language.
He assumes also the existence of an ?'-sound and
cites such monsters as „Blood: nee-crist'" without
suspecting their impossibility. Evidently he has never
been out among one of the Blackfoot-speaking tribes,
nor has he tried to get information from people who
have been. He might have avoided many mistakes,
if he had read the paragraphs on the possessive
noun-forms in my paper „Flexion of substantives
in Blackfoot" (Verh. der Kon. Akad. van Weten-
schappen, N. R., Deel XIV, N". 1), where he would
have found quite a few of the words he wanted. And
I am sure that the Bureau of American Ethnology
would have allowed him access to the materials
collected by Dr. Michelson. I would fain believe
that Mr. Spiee had to tell us something interesting
about the Blackfoot terms of relationship, and the
more I regret that I cannot but express my dis-
appointment. Such as they are, his notes are abso-
lutely valueless. C. C. Uhlenbeck.
IV. Abno Poebel, Historical and Grammatical
Texts. (University of Pennsylvania. The University
Museum. Publications of the Babylonian Section,
— 141
Vol. V), Philadelphia, publ. by the University Mu-
seum, 1914. — 4°, 85 autographierte Tafeln, 40
Lichtdruck tafeln .
Abko Poebsl, Historical Texts, (id., Vol.IV,
N». 1), ebd., 1914. — 4°, 242 SS.
Ab»o Poebel, Grammatical Texts, (id., Vol.
VI, N». 1), ebd. 1914. — 4°, 122 SS.
Enthielten die bisherigen BTinde der neuen Folge
dieses grossen Inschriftenwerkes lediglich Hymnen,
Oeacbäftsurkunden, Zauberlexte (vgl. meine Bespre-
chung in diesen: Archiv, Bd. XXI S. 124 f., Bd. XXII
S. 196 ff.): die in den vorliegenden Bänden ver-
öffentlichten und bearbeiteten Keilschrifturkunden
sind von allgemeinerem Interesse. Schon im Juni
1913 batte Dr. Arno Pokbel durch vorläufige Mit-
teilungen im Museum Journal der pennsylvanischen
Universität unsere Erwartung aufs höchste gespannt.
Wir hörten von sumerisclien Texten mit Mitteilun-
gen über Schöpfung und Sintflut, mit Lasten der
UrkOnige vor und nach der Flut: eine altbabylo-
nische Oenesis, Jahrhunderte vor Moses. Wer neue
Sensation nach dem Thema «Babel und Bibel"
erwartete, wird durch die nunmehr vorUegende
Veröffentlichung vielleicht enttäuscht sein; durch
Reichhaltigkeit des Inhalts Obertreffen die vorlie-
genden Bände aber noch unsere Erwartung. Dr.
Pokbil's Absicht war, gleichzeitig mit der Veröffent-
lichung eine vollständige Bearbeitung und ausführ-
liche Besprechung dieser Urkunden vorzulegen. Der
Ausbruch des Krieges, der ihn in seinem deutschen
Vaterland überraschte und an der Rückkehr nach
Amerika verhinderte, gestattete nur eine teilweise
AusfQhrung dieser Absicht. Von den 158 Urkunden
und Urkundenfragmenten, die in Vol. V in sorg-
fältigen Nachzeichnungen und zum Teil auch in
trefflichen Lichtdrucktafeln veröffentlicht sind, ge-
hören Nr. 1 — 101 zur Gruppe der historischen, die
übrigen zur Gruppe der grammatischen Texte. Was
zunächst die autographischen Nachzeichnungen dieses
Bandes betrifft, so muss hier mit Nachdruck der-
selbe Einwand erhoben werden wie bei früheren
Baiiden am pennsylvanischen Inschriften werkes:
gtrade wegen der ängstlich genauen Sorgfalt der
Nachbildong sind die Zeichen meist zu klein und
zu fein, als dass vor allem schwächeren Augen
bequemes Lesen möglich wäre. Diese pedantische
äenaoigkeit, die das Original doch nie voll ersetzt,
andrerseita aber durch die Beifügung von Licht-
drucktafeln überflüssig gemacht wird, sollte endlich
den Bedürfnissen der Praxis weichen. Wie Keil-
echrifttexte nachgezeichnet werden sollen, können
uns die mustergiltigen Veröffentlichungen des Brit-
ischen und die des Berliner Museums lehren.
Die Bearbeitung der historisclien Texte in Vol. IV
N*. 1 erstreckt sich vorläufig nur auf wenige, doch
wichtige Texte. Umschrieben, übersetzt und aus-
fuhrlichst erklärt werden von der Masse der in
Vol. V in Keilschrift autographierten Texte nur die
Nummern 1, 2—5, 6 u. 7, 29, 34—39, Die Aus-
führlichkeit der Erklärung überschreitet die Grenze
der Symmetrie. Der Aufsatz „The Events of Ean-
nadu's Reign" in Vol. IV, pp. 159—169 ist ganz
unabhängig von den in Vol. V veröffentlichten In-
schriften. Wie lesenswert an sich, gehört er nicht
in die vorliegende Publikation. Für die baldigst
erwünschte Fortsetzung des Bandes wäre, soll er
nicht ins Unendliche anschwellen, Selbstbeschrän-
kung empfehlenswert. Doch müssen wir Dr. Poebel,
der an keinen der Bände persönlich die letzte Hand
anlegen konnte, dankbar sein für das, was er bot,
und der Direktion des Museums, dass sie es schon
jetzt bot. Inzwischen fand der unermüdliche Dr.
PoKBEL in Deutschland bereits die Gelegenheit, seine
Bearbeitung weiterer wichtiger Urkunden aus Vol. V
in der , Orientalistischen Literaturzeitung" vorzu-
legen : das grosse Bruchstück einer altbabylonischen
Abschrift der berühmten Gesetzessammlung des
Hammurapi (=Vol. V, nr. 93), sowie eine sume-
rische Inschrift von Hammurapi's Sohn SatnsuUuna
(=Vol. V, nr. 101).
Wir beschränken uns im Folgenden zunächst auf
die Besprechung der wichtigsten in Vol. IV, 1 bear-
beiteten Urkunden. Der Ausdruck „Historical
Texts" ist im weitesten Sinn zu verstehen: gleich
der erste, der neue , Creation and Deluge Text",
enthält nicht Geschichte, sondern mythologische An-
spielungen in poetischer Form. Von der ungefähr
17.8 X 14.3 cm grossen und in drei Kolumnen eng
beschriebenen Tafel (in Vol. V Plate LXXXVI u.
LXXXVII sind Vorder- und Rückseite versehentUch
verwechselt) ist etwa ein Drittel zurückgefunden.
Die Bedeutung dieser Inschrift liegt vor allem in
ihrem Alter. Die bisher bekannten semitisch-baby-
lonischen Texte über Schöpfung und Sintflut lagen
in Abschriften aus der Bibliothek AaurbanipaVa vor,
also aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert. Nur
ein kleines Fragment aus Nippur, das Hiuprecut 1910
veröffentlichte, war älter. Hier haben wir endlich,
gleichfalls aus Nippur, einen Text in der alten sume-
rischen Sprache, der schon aus palaeographischen
Gründen der Zeit der ersten Dynastie, also um 2000,
zuzuschreiben ist. Vom selben Ort und aus derselben
— 142 --
Zeit stammt das noch ausfuhrlichere Fragment eines
sumerischen Hymnus an die Muttergöttin, mit An-
spielungen auf das Paradies, die Sintflut und viel-
leicht auf den Sündenfall (?), das der Oxforder
Assyriologe Dr. Stephen Langdon in den Proceedings
of the Society of Biblical Archaeology vom Juni und
vom November 1914 vorläufig besprach '). Sind schon
die Abschriften so alt: für die Entstehung der
Dichtung selbst darf man vielleicht noch weiter
zurückgehen. Die Blütezeit der sumerischen Kultur
und Dichtung fiel unter die Dynastie von TJr, um
2400, — das wäre nach der traditionellen biblischen
Zeitrechnung die Zeit der Sintflut selbst 1 Die Be-
deutung dieser Texte für die biblische Wissenschaft
ist also auf den ersten Blick deutlich.
Der Inhalt dagegen täuscht zu hoch gespannte
Erwartung. Von wörtlichen Anklängen an die Genesis
kann keine Kede sein. Zudem ist das Verständnis
schwierig. Der Grund liegt nicht allein in der Schwie-
rigkeit der noch so wenig erforschten Sprache,
sondern auch in der Form dieser Dichtung: der
Dichter scheint den Inhalt des Mythus als bekannt
vorauszusetzen und sich mit Anspielungen zu be-
gnügen. Auffallend ist die Verwandtschaft des Poe-
BEL'schen Textes mit der babylonischen Sintflut-
erzählung der 11. Tafel des Gilgamesch-Epos. Auch
die Namen des Helden der Sintflut scheinen über-
einzustimmen (vgl. Vol. IV 1, p. 48f.). Doch finden
sich charakteristische Unterschiede. So z. B. was
die Dauer der Flut betrifft. Nach Poebel's Text
(Kol. 5, Z. 3 f.) dauert der Wettersturm sieben Tage
und sieben Nächte; nach Langdon's Text erstreckt
sich die Dauer der Flut vom ersten Tage des ersten
bis zum neunten Tage des neunten Monats; nach
Gilgamesch XI Z. 129 f. beruhigt sich der Südsturm
am siebenten Tage; nach Genesis 7, 4. 12 (der
älteren Quelle) regnet es vierzig Tage und Nächte,
während nach dem jüngeren biblischen Bericht die
Gewässer hundertundfünfzig Tage lang steigen (Ge-
nesis 7, 24 ; 8, 8), und sich die Dauer der Flut auf
ein volles Sonnenjahr erstreckt (Genesis 7, 11 ; 8, 14).
Nicht minder wichtig sind die in Vol. V, Plate
II— IV (sowie XC und XCI) veröffentlichten und in
Vol. IV 1 ausführlich besprochenen Königslisten.
Kannte man vordem Aufzählungen babylonischer
„ürkönige" nur aus griechischen Quellen, hier finden
') Inzwischen voUstäudig herausgegeben und bearbeitet als
ein neuer Band des vorliegenden Sammelwerkes: Sumerian
Epic of Paradise, the Flood, and the Fall of Man.
By Stephen Lanodon. Philadelphia: The University Museum,
1915. (Korrekturzusatz).
wir zum erstenmal in Keilschrift und sumerischer
Sprache Listen mythologischer Herrscher mit hohen
Regierungszahlen, welche Listen schliesslich in die
bereits bekannten Aufzählungen der historischen
Dynastien einmünden. Die Zahlen erreichen nicht
die abenteuerliche Höhe der Regierungszahlen jener
„UrkOnige" vor der Flut; sie halten sich vielmehr
für die vorgeschichtliche Zeit innerhalb der beschei-
deneren Grenzen von 1200 — 100 Jahren, wobei —
auch hierin den biblischen Stammbäumen in Genesis
5 und 1 1 vergleichbar — eine allmähliche Abnahme
des Lebensalters unverkennbar ist. Unter den Namen
befinden sich wohlbekannte aus der babylonischen
Mythologie, wie: „Elana, der Hirt, der gen Himmel
fuhr und alle Länder unterwarf", mit 635 Jahren
(Nr, 2, Kol. 1, Z. 13 fi'.), 2>MmM3i (= Tammuz), der
„Jäger", mit 100 Jahren, und dessen Nachfolger
(doch nicht Sohn) Gilgamesch, mit 126 Jahren (Nr.
2, Kol. 2, Z. 23 ff.). Dankenswert ist Dr. Poebel's
Zusammenstellung des Materials aus allen bisher
bekannten Quellen in Vol. IV 1, pp. 85—96.
Sind die bisher besprochenen Texte wichtig für
unsere Kenntnis der Mythologie, der grosse Text
Nr. 34 (Vol. V Plate XX f., XGIX f ), den Dr. Poebel
in Vol. IV 1 neben einigen verwandten Inschriften
an letzter Stelle behandelt, ist von Wichtigkeit für
die Geschichte selbst. Es handelt sich um die Ge-
schichte einer grauen Vorzeit, nämlich der ersten
Hälfte des dritten vorchristlichen Jahrtausends. In
nicht weniger als 28 Kolumnen enthält diese Tafel
die Abschrift von Weihinsclu-iften der Könige iiar-
rukin, Lugalzaggisi, Kimus und Manislusu aus dem
Haupttempel von Nippur. Obwohl eintönig io der
Form enthalten diese Inschriften manche Erweite-
rung unserer geschichtlichen Kenntnis. Durch sie
vernehmen wir das Schicksal des ersten grossen
Eroberers des Weltgeschichte, des Königs Lugal-
zaggisi von Umma und Uruk. Es erging ihm wie
vielen seiner Nachfolger: ein Mächtigerer, der König
Sarrukin (Sargon) von Akkad, kämpfte mit ihm,
nahm ihn gefangen und brachte ihn in Fesseln zum
„Tor des Gottes Enlil" [Kd-Enlil — ist das nicht
doch vielleicht =Ba6e??] (Nr. 34, Kol. 1 u. 2, Z. 23 fif.).
Auch äarrukin's sonstigen Feldzüge, vor allem der
gegen Elam, werden mehrfach erwähnt. Zu dem von
ihm eroberten Gebiet im Westen (dem „oberen Land")
gehören nach Kol. 5 und 6: Mari (am Euphrat, vgl.
Vol. IV 1, p. 222 f.), Jarmuti, Ibla und als Grenzen
der Zedernwald (Libanon?) und das Silbergebirge
(Taurus?). Das an zweiter Stelle genannte Gebiet ist
in der Form Jarim{m)uta aus den mehr als ein
143 —
Jahrtausend späteren El-Âmarna-Texten als die Qe-
treidekammer PhOniziens und Palästinaa wohlbe-
kannt. Bisher suchte man es im ä^ptischen Delta.
Dass aber um 2750 y. Chr. von Nordbabylonien aus
eine Eroberung von Gebieten des ägyptischen Deltas
stattgefunden hätte, erscheint nach unserer bisheri-
gen Kenntnis beinahe ausgeschlossen '). Mit Recht
wohl sucht Dr. Pokbkl das Land JarmuU und dann
auch lUa im nördlichen Syrien.
Das erste Heft von Vol. VI „Grammatical
Texts" beschränkt sich noch weniger als die
«Historical Texts" auf eine Umschreibung und
Obersetzung von in Vol. V veröffentlichten Urkun-
den. Was hier geboten wird, sind Beitrüge zur
sumeriachen Sprachwissenschaft, vonseiten eines
ihrer beeten Kenner, auf Grund einzelner der neuen
Texte. Gerade die Ausgrabungen in Nippur haben
uns einsprachig sumerische Texte jeder Literatur-
gattuDg aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend
beschert und die Bedeutung dieses nicht-semitischen
Volkes und seiner Kultur für das Euphratland stets
deutlicher an das Licht gebracht Seit Frisdbicu
Dsur/acu durch seine Grammatik und sein Glossar
— beide grundlegenden Werke tragen die Jahreszahl
1914 — die Sumerologie zum liang einer Wissen-
Schaft erhob, ist uns jede Ergänzung und jeder
Weiterbau auf dieser Grundlage doppelt erwünscht.
Doch darf der Rezensent den Wunsch nicht unter-
drücken, dass in der Fortsetzung auch dieses Bandes
die Grenze zwischen Kommentar und selbständiger
Abhandlung besser eingehalten werden mOge.
Möge es Dr. Poibil vergönnt sein, uns diese
Fortsetzung bald und in friedlicherer Zeit zu schen-
ken. Schon was er bisher gab, verdient Dank weit
Ober den Kreis der aasyriologischen Fachgelehrten
hinaus. Franz M. Tu. Böiil.
V. Edwako Chieba, Legal and Administrative
Documents from Nipptur, chiefly from the
Dynasties of Isin and Itarsa. (University of Penn-
sylvania. The University Museum. Publications of
the Babylonian SecUon, Vol. VllI, N*. 1), Philadelphia,
pabl.by the University Museum, 1914. - 4°, IIUSS.,
61 autograpbierte Tafeln, 10 Lichtdrucktafeln.
Das Werk von Dr. Chucba ist eine Anfängerarbeit,
die Erweiterung einer Dissertation, die ihren Platz
in diesem grossen Sammelwerk aber mit Ehren be-
') ^rI- jedoch Paul ({«lirr io der OrieoUlist. Litcratnr-
icitoBg, 1914, Sp. S4S: „Nach eioem unTerüffentlichteo
Vtfjtat, der demnächst bentaigegeben wird, ioll ei ganz
aazweifelhaft mid, dau zwiiefaen Dvnattie VI aud Dynastie IX
wirklich eil« Mmitiaehc InTaaion Aegrptcns »tattgefaDden hat".
hauptet Die hier veröffentlichten Urkunden stammen
aus Nippur und sind von derselben Art wie die
Urkunden vom selben Fundort, die Dr. A. Poebki.
in Vol. VI Part 2 der alten Veröffentlichungsreihe
(1909) herausgab (vgl. meine Besprechung jenes
Bandes in diesem Archiv, Band XXI, S. 122). Es
sind Urkunden des Privatrechts, aus der schreib-
seligen Zeit der Wende des dritten vorchristlichen
Jahrtausends: Kaufurkunden über Häuser, Felder,
G;'u:ten, Tempelämter, Mietkontrakte, Schuldscheine,
Schenkungs- und Tauschurkunden und Testamente,
gerichtliche Protokolle, sowie auch Quittungen oder
Rechnungen in Listenform. Urkunden dieser Art sind
in den letzten Jahren in grosser Zahl veröffentlicht
und bearbeitet. Die Eigenart der aus Nippur stam-
menden Texte, die ihr Verständnis erschwert, be-
steht aber darin, dass sie rein sumerisch abgefasst
sind, also nicht in der eigentümlichen, halb semi-
tischen, halb sumerischen Mischsprache der unzähli-
gen übrigen (meist aus Sippar stammenden) Tafeln.
Dr. PoEBKL bearbeitete im genannten Band (mit
Ausnahme der sieben ersten Nummern) lediglich
Texte aus der Zeit der ersten babylonischen Dynastie,
welche wir nach ihrem grössten Herrscher die
ifammurapi-Dynastie zu nennen pflegen. Die von
Dr. Chieba hier veröffentlichten Urkunden stammen
dagegen sämtlich aus der Zeit der dieser vorher-
gehenden Dynastien von lain und von Laraa. Doch
unterscheiden sich die hier gebotenen Urkunden von
den Urkunden Dr. Poebel's äusserlich in keiner Weise.
Auch finden sich, wie Dr. Chiera nachwies (p. 20 f.),
in beiden Gruppen dieselben Namen. Dass die drei
Dynastien, die von Isin, Laraa und Babylon, nicht
einander ablösten, sondern „overlap with each other',
d h. teilweise mit einander gleichzeitig waren, war
schon früher bekannt. In längerer Erörterung (p.
24 — 33) hat es Dr. Chieba jedoch wahrscheinlich
gemacht, dass man mit einer noch etwas grösseren
chronologischen Verkürzung zu rechnen hat, als man
bisher annahm. Nach der bisherigen Annahme hat
der König Rim-Sin von Larsa die Stadt Isin noch
gemeinsam mit RammurapCs Vater oder spätestens
während der ersten Jahre des Hammurapi selbst
erobert (vgl. Eduard Meyer, Gesch. des Altertums 1,
8. Aufl., § 443). Mit dieser Eroberung machte er der
Dynastie von Isin ein Ende und begann eine Art
Zeitrechnung. Auf Grund des neuen Eigennamen-
materials wird wahrscheinlich, dass dieses Ereignis
erst viel später, nach Dr. Chiera etwa im 23. Jahr
des Hammurapi stattgefunden hat. Es handelt sich
also um eine Verkürzung der Chronologie um rund
— 144 —
23 Jahre. Allerdings melden die Datenlisten, dass
Hammurapi selbst in seinem siebenten Regierungs-
jahre die Stadt Isin eroberte. Doch steht der An-
nahme Dr. Chiera's nichts im Wege, dass er die
Stadt damals nicht dem Rim-Sin von Larsa, sondern
dem letzten König der Dynastie van Isin abgenom-
men habe, die Eroberung aber nicht halten konnte.
Von den 102 in Autographie nachgezeichneten
Nummern hat Dr. Chieba 26 ausgewählte Texte
umschrieben und übersetzt. Unpraktisch ist, dass
bei den Lichtdrucktafeln ein Hinweis auf die ent-
sprechende Nummer im autographischen Teil des
Werkes fehlt. Ein alphabetisches Verzeichnis der
Eigennamen und vor allem eine Liste der Datie-
rungen sämtlicher bisher veröffentlicher Kontrakte
aus der Zeit der Dynastien von Isin und von Larsa
erhöhen den Wert des Bandes.
Groningen. Fbanz M. Th. Bohl.
VI. Catalogus van 'sBijks Ethnographisch
Museum, Leiden.
Deel VIII: Bataklanden. Met aanhangsel: Ma-
leische Landen ter Sumatra's Noordooskust.
[Sumatra 11]. Door H. W. Fischer. Leiden
(E. J. Brill) 1914. XXXI, 179blz. 4°, 12 pL
Deel IX : Java. Eerste gedeelte. Door Dr. H. H.
JuYNBOLL. Leiden (E. J. Brill) 1914. XX,
209 blz. 4°, 14 pl.
Von dieser monumentalen Publikation liegen nun-
mehr abgeschlossen vor die folgenden Gebiete:
Borneo (Deel I en II), die Inseln um Sumatra
(Deel IV), Bali und Lombok (Deel VII), dann von
Sumatra selbst die Batakländer, Atjeh, Gajo- und
Alasländer (Deel VI en VIII), endlich von Java ausser
der Beschreibung der Altertümer (Deel V) ') der
oben angezeigte erste Teil der eigentlichen ethno-
graphischen Sammlung, dem noch mehrere weitere
folgen sollen.
Die Anlage der beiden neuerschienenen Bände ist
der der früheren analog. Eine kurze Einleitung hebt
die besonderen Eigentümlichkeiten der behandelten
Gebiete, soweit diese in den Sammlungen des Mu-
seums zum Ausdruck kommen, hervor; aber auch
auf die Lücken in der Sammlung wird gewissenhaft
hingewiesen.
Die vorhandene Literatur ist wieder in unüber-
trefflich gründlicher Weise verwertet und angegeben.
Den einheimischen Namen und Bezeichnungen ist
erfreulicherweise sehr genau Rechnung getragen, so
') Anzeigen der früher erschienen Bände siehe im „Intern.
Archiv f. Lthn.", Baud XX, S. 65 u. 114, Band XXII, S. 86.
dass das Werk auch in der durch das Schlagvrort
„Wörter und Sachen" gegebenen Richtung ein wert-
voller Behelf ist.
Nur möchte sich Ref. dem Gebrauch der fremden
Scbriftzeichen nicht in dem Umfang anschliessen,
wie es in den vorliegenden Bänden geschieht. Der-
jenige, welcher sich mit dem Studium z. B. der
javanischen oder ßattaksprache befasst, muss ja der
Schriftzeichen und Schreibweise mächtig sein. Für
den, der den Sprachstudien nicht ex professe obliegt,
genügt die genaue wissenschaftliche Transkription
vollständig. Der Sprachkundige wird die transskri-
bierten Wörter in den Wörterbüchern, von welchen
die grösseren allerdings alle in den eigentümlichen
Lettern abgefasst sind, leicht auffinden; dem in der
Sprache nicht Versierten wird aber auch die Angabe
der Wörter in den fremden Lettern nichts nützen,
weil er bei der Verschiedenheit der Reihenfolge des
Alphabets und der abweichenden Art der Anein-
anderfügung der Schriftzeichen, die Wörter trotzdem
schwerlich im Wörterbuch auffinden wird, wenn man
ihm nicht noch die Seite desselben zitiert.
Gar nichts hat aber der der Schrift nicht Kun-
dige, wenn ihm z. B. folgendes geboten wird (Deel
IX, S. 4—5): „Om te braden dient een pan (folgt
in Klammer der jav. Name in jav. Lettern) ; ook
de sambël gorèng [eine Speise] wordt in de
wadjan gemaakt". Wer nicht entziffern kann, dass
das in der Klammer stehende javanische Wort
wadjan heisst, für den bleibt der zweite Satz
unverständlich, weil er nicht weis, dass wadjan
eben „Pfanne" ist. Die Kataloge des Reichsmuseums
sollen, aber doch wohl nicht nur für den Spezial-
linguisten, sondern für jeden Museumsethnographen
zugänglich sein und von dem kann man nicht die
Kenntnis aller idonesischen Schriftarten verlangen.
Was nun die Bataksammlungen anbelangt, so
finden sich da hervorragende Erzeugnisse der in-
ländischen Kunstindustrie unter den Kleidungssor-
ten, dem Schmuck, Hausrat u. s. w. Von primitiven
Gegenständen sind zu erwähnen: Blasrohre für die
Jagd und Rindenstoffkleidung. Schwach vertreten
sind Objekte, die sich auf Gottesdienst und Toten-
kult beziehen. Dagegen zahlreich Amulette, Zaul)er-
bücher, die bekannten Zauberstabe. Interessant sind
mehrere Gebrauchsgegenstände (Kalk-, Tabaksbüch-
sen) met Tagestafeln zur Ermittlung günstiger oder
ungünstiger Zeitpunkte für bestimmte Handlungen;
dann Tanzmasken, auf Bambus eingekratzte Briefe
(Droh-, Brandbriefe), eine Maultrommel, Reizsteine
für den Penis, Zahnfeil- und Beschneidungsgeräte-
145
Ausser der Beschreibung der Objekte ist auf S. 13
eine Schilderung der Herstellung von Zigarren-
büchsen aus (guttapercha eingeschaltet, Im ganzen
beschreibt Band VIII etwa 8U0 Stücke.
In Band IX (Java) sind etwa 1 '/> Tausend Objekte
beschrieben, die auf Kahrungs- und Genussmittel,
Schmuck und Kleidung, Haus und Hausrat, endlich
Jagd und Fischerei bezug haben. Besonders hervor-
zuheben sind hier die Gewebe und Batik's, von denen
zahlreihe Muster auf den Tafeln und im Text abge-
bildet sind. Bemerkenswert sind ferner ein Lenden-
gürtel von Baumrinde, gegen Hüflschmerzen getra-
gen, eine Feuersäge, Blasrohre (für die Vogeljagd?).
Unter den Kokosnussschabern vermissen wir ein
schemelformiges Exemplar, dass sich nach Angabe
Foy'a (Mitt. d. Anthr. Ges. in Wien, 1904, p. 116)
im Reichsmoseum befinden soll (abgebildet ebendas.
p. 148, p. 6). Zu der Literatur über essbare Erden
sei noch hinzugefügt die Arbeit von Dr. Lasch
.Über Geophagie" in den Mitt. d. Anthr. Ges. in
Wien, 1898, p. 214 ff. und 1900, Sitzber., p. [181] ff.
(vgl. auch ebenda 1900, p. 180).
Ausser den Objektsbeschreibungen ist noch zu
erwähnen eine Notiz über Speisenzubereitung auf
S. 4 f., besonders über Keiskochen.
Im Text und auf den gut ausgeführten Tafeln sind
66 Stücke aus Sumatra und 44 aus Java abgebildet.
Raiche Literaturverzeichnisse, Namen- und Sach-
register und Indice« der angeführten einheimischen
Benennungen ergänzen diese beiden für die Ethno-
graphie Indonesiens unschätzbaren Bände.
L. BOUCHAL.
VU. G. Kbciokr. lieber Entwicklungspsyoho-
logie; ihre taohliobe und geschichtliche Not-
wendigkeit (Bd. I der Arbeiten zur Entwicklungs-
psychologie). Leipzig, W. Engelmann. lOlö. M. 9. — .
In diesem 282 Seiten grossen Buche hat Herr
Professor Kbobobb den Versuch gemacht, in gedie-
gener Form die Geschichte, das gegenwärtige Streben
und die wünschenswerte Untersuchungsrichtung der
Psychologie vorzuführen. Sein Hauptziel wurde dabei
durch den Wunsch bedingt, die, seiner \nsichtnach,
zu isolierte I.Age der Psychologie den anderen ver-
wandten Wissenschaften gegenüber klarzulegen und
zu leigen, wie sehr alle diese Disziplinen sich
dadurch zu einseitig entwickelen. Statt dessen sei
es erwünscht, dass sich die Psychologie nicht, wie
in letzter Zeit, nur mit den einfachsten Fragen der
Sinnespsychologie des Individuums, sondern eben-
falls eingehend mit der Fragestellung anderer Geistes-
wiaeenschaften wie der Sprachwissenschaft, Soziologie,
I. A. f. ¥.. It<i. XXII.
Ethnologie u. s. w. befasse. Sie kOnne sich dadurch
zum Zentrum aller dieser Geisteswissenschaften
erheben und deren Ergebnisse würden durch ihre
Mitarbeit zweifellos gehoben werden. Eine solche
Psychologie, die sich eingehend mit den verschie-
densten geistigen Äusserungen der Menschen und
der Menschengruppen in früherer und jetziger Zeit
befasst und das gesetzliche Vorbedingtsein dieser
Erscheinungen zu durchgründen versucht, wäre eine
Ausbreitung der Wundt'sehen Völkerpsychologie und
die Entwicklungspsychologie der Zukunft.
Auf diese Weise hat Verfasser ein beredtes Bild
des erwünschten Zusammenhangs und Zwecks aller
der Psychologie verwandten Wissenschaften skizziert
dass der immer tiefer sich einstellenden Arbeitsteilung
auf diesen Gebieten eine grosse Gefahr der Einseitig-
keit innewohnt, wenn ihre Adepten diese zu sehr
aus den Augen verlieren, ist nicht zu leugnen und
die ausführlichen bezüglichen Erörterungen in diesem
Buche sind beweisend genug. Wenn also Verfasser
uns mit weitsichtigem Blick das Endziel und den
dahin führenden Weg angibt, so darf man seine
Betrachtungen in dreierlei Hinsicht insofern als etwas
zu enggefasst bezeichnen, als er unsere äusserst
mangelhaften Kenntnisse auf dem Gebiete der Psy-
chologie nicht genug in den Vordergrund stellt,
obschon er sie erwähnt Dieser Umstand erklärt
auch wohl, weshalb die Geschichte, Soziologie und
Sprachwissenschaft sich zu wenig mit der Psycho-
logie befassen, sie selbst zum Teil ganz aus ihrem
Studium entfernt halten; die feststehenden psycho-
logischen Daten bieten für sie bis jetzt zu wenig
Anhaltspunkte. Darum ist es wohl auch fraglich, ob
die Psychologie auf ihrem heutigen Standpunkt der
Entwicklung sich nicht richtigerweise hauptsächlich
mit der Untersuchung der Sinnesorgane beschäftigt,
ehie Richtung, die Prof. Kbausk gern durch eine
von umfassenderem Streben zeugenden ersetzt sehen
möchte.
Im letzten Teil dieses Buches erörtert Verfasser
seine Meinung, wie sich die genetische Kulturpsy-
chologie zu den nächstbeteiligten Wissenschaften,
wie der Soziologie, der Völkerkunde, der Geschichte
und der Völkerpsychologie stellen könne und welchen
Nutzen sie für ihre Untersuchungen aus den Ergeb-
nissen dieser Disziplinen würde ziehen können.
Begreiflicherweise interessieren uns seine Betrach-
tungen über die Ethnologie am meisten. Sie sind
denn auch in der Tat beachtenswert, weil sie die
Schlüsse enthalten, zu denen ein einigermassen
ausserhalb unserer Wissenschaft Stehender durch
19
146
sein eingehendes Studium ihrer Strömungen in
späterer Zeit geführt wurde. Zwar nimmt er dabei
die techniscli ethnologischen Resultate der Kölner
Schule z. B. fast kritiklos hin, stellenweise rühmt
er sogar ihre „exakte" Arbeitsweise, andererseits
aber kritisiert er ihr unfruchtbares Streben, die
Methode der Ethnologie zu einer geschichtlichen
umgestalten zu wollen, sehr eingehend.
Neben dieser Entwicklungsrichtung wird diejenige,
die P. W. Schmidt an erster Stelle vergegenwärtigt,
als die theologische vorgeführt. Auch hier werden
die Ergebnisse der ScHMiDT'schen Spezialforschungen
nicht in Betracht gezogen, sonder nur seine Ansichten
über die Eigenart der Ethnologie, auch den verwandten
Wissenschaften gegenüber, wie sie „die moderne
Ethnologie", Anthropos, Band I enthält, behandelt.
Nachdem Verfasser die fundamentellen Streitigkeiten
der an verschiedenen Stellen gegebenen Auflassungen
erörtert hat, äussert er sich nicht gerade schätzend
über die Einheitlichkeit von P. W. Schmidt's Meinung
und ist der Ansicht, dass die theologische Entwicklung
dieses Gelehrten einer rationellen Stellungnahme zur
vorliegenden Frage im Wege stehe.
Wundt's Völkerpsychologie befriedigt Verfasser atn
meisten. Er glaubt aber, dass wir jetzt nicht mehr
wie in der Zeit der Entstehung dieses Werkes berech-
tigt seien, uns ganz auf Sprachwissenschaft, Kunst-
forschung und Geschichte zu stützen, wie es dort
geschehen sei. Der wichtige Einfluss, den die Völ-
kerkunde schon jetzt auf unsere psychologischen
Auffassungen geübt hat, wird von Prof. Kbüeger
gebührend gewürdigt ; er erwartert von dem Studium
der wenig kultivierten Völker, die unter so viel ein-
facheren Verhältnissen wie wir leben, zukünftig für
seine Entwicklungspsychologie noch grössere Stütze.
In dieser Hinsicht berührt es einen doch etwas
sonderbar, in dieser ausführlichen Abhandlung die
Frage der einheitlichen geistigen Veranlagung aller
Menschenrassen nicht mit einem Worte erwähnt zu
finden. Diese für solche Untersuchungen doch grund-
legende Voraussetzung ist bereits häufig untersucht,
nie aber entgültig gelöst worden. Feststehende
Schlüsse aus den geistigen Erscheinungen unter den
niedrig entwickelten Völkern auf die höheren Zu-
samnienlebungen ziehen zu wollen, erscheint unter
diesen Umständen voreilig.
Auch von einer grundsätzlichen Scheidung der
geistigen Anlage und Entwicklung ist in diesem
Buche nicht die Rede. Ihre Durchführung würde aber
das Studium der höchst komplizierten psycholo-
gischen Erscheinungen bedeutend vereinfachen.
A. W. NiEUWENHUIS.
VIII. P. Hambeüch. Nauru. 1" Halbband. (Er-
gebn. d. Südsee-Expedition 1908 — 1900, herausgeg.
V. Prof. Dr. G. Thilenius). Hamburg 1914.
Die gehobene Koralleninsel Nauru in der westlichen
Südsee gehört zu den ethnographisch wichtigeren
und hat durch die Umsetzung ihrer Kalksteine in
kostbare Phosphatkalke, die jetzt abgebaut werden,
auch einen grossen ökonomischen Wert erhalten. In
den Jahren 1909 und 1910 hatte Verfasser Gelegen-
heit, die Insel einige Male zu besuchen, um unter
den noch ± 1300 zählenden Eingeborenen ethno-
graphische Untersuchungen anzustellen. Obschon
diese Zeit zweifellos zu kurz für eine endgültige
Erforschung einer solchen Bevölkerung ist, so gelang
es doch, besonders durch das Entgegenkommen der
dort ansässigen Europäer, ein sehr wertvolles Ma-
terial zu sammeln; dieses wurde von Verfasser
nachher ausgearbeitet und mittelst Museumssamm-
lungen vervollständigt. Die Resultate werden jetzt
in dem grossartig angelegten Werke „Ergebnisse der
Südsee-Expedition 1908 — 1910" veröflfentlicht und der
bezügliche erste Halbband liegt jetzt vor uns.
Herr Dr. P. Hambrüch hat in den ersten 80 Seiten
die Geschichte, die geographischen Verhältnisse, die
Siedelungen und die Eingeborenen (ihre somatischen
Eigenschaften) behandelt; in den folgenden 375 Seiten
I die Sprache und II die geistige Kultur. 108 Abbil-
dungen im Text, 19 Lichtdrucktafeln und 1 Kute
ergänzen die Arbeit in sehr schätzenswerter Weise.
Wenn Verfasser auch der Meinung ist, dass ein län-
gerer Aufenthalt ihm noch viel Wissenswertes ge-
liefert hätte, so erhellt doch aus seinem Buche zur
genüge, wie sehr er die ihm zur Verfügung stehende
Zeit auszunützen verstanden hat. Die ausführliche
Erforschung einer solchen kleinen Insel (± 4 K.M.
Durchmesser) verschafft uns eine sonst nicht erreich-
bare klare Einsicht in die verschiedensten dortigen
Verhältnisse und ist besondern wertvoll weil sie zu
einer Zeit stattfand, in welcher unter den Eingebo-
renen noch vieles zu finden war, was auf ihre Lebens-
weise und ihr Milieu vor der Besitzergreifung durch
Deutschland schliessen lässt.
Da der zweite Teil die ganze Abhandlung noch
abschliessen muss, werde ich eine eingehendere
Betrachtung des ganzen Werkes bis dahin auf-
schieben müssen. A. W. Nibuwbnhuis.
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INT. ARCH. F. ETHNOOR. Bd. XXXlll.
TAF. XVI.
Ooldene Oambirdosen von der Fnsel Bali (s. S. 74).
Clichés und Druck von
Joh. Enschedé en Zonen, Haarlem.
INT. ARCH. F. ETHNOGR. Bd. XXIII.
TAF. XVII.
Ooldene Krisscheiden (s.S. 75).
Clichés und Druck von
Joh. EnKlicdi en Zonen, Haarlem.
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INT. ARCH. F. ETHNOOR. Bd. XXIII.
TAP. XIX.
Fig. a. Kwing Inu ,, ,. Links oben an der Treppe sitzt ein Mann.
Fig. *. Das Gerüst von Kwing Irangs Haus, mit provisorisclien Treppen und Hilfgerüsten. Oben ein Mann als Orössenmassstab.
Clichés und Druck von
Joh. Enschedé en Zonen, Haarlem.
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INT. ARCH. F. ETHNOOR. Bd. XXIII.
TAF. XX.
Fig. a. Unterbrochene Häuserreihe eines unvollendeten Stammhauses. Bahau am oberen Mahakam.
Flg. *. Auh-ichtung des verzierten Hauptpfahis von Kwing iraiiijs ri;iii>
Clichés und Druck von
Joh. Enschedé en Zonen, Haarlem.
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INT. ARCH. F. ETHNOOR. Bd. XXIII.
TAF. XXII.
Mg. a. Abarbeitung eines Bootes. Kajan am oberen AVahakain.
fig. b. Quer durch den Bach gelegter Deich zur Anlage einer Fischzucht, über Maiiakam.
Clichés und Druck von
Joh. Enschedé en Zonen, Ha.irlem.
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BEITRÄGE ZUR PHONETIK DER KARAjA-
SPRACHE. (BRASILIEN.)
VON
Dr. HUGO KUNIKE,
am Kgl. Museum für Völkerkunde zu Berlin.
Bemerkungen zur Originalschreibung der hier angewandten Laute.
1. a,, I,, 0, und u, sind Laute, welche entweder lang oder kurz sein können.
2. ein kleines n neben einem Buchstaben bedeutet seine Nasalierung, im Original durch
Tilde (~) ausgedrückt.
3. a,, e,, i,, etc. bedeutet, dass ein im Original unterstrichener Laut gemeint ist.
4. eine j hinter einem Laute l)edeutet, dass derselbe mit einem kleinen Kreis darunter zu
denken ist, also einen Kehlkopfverschlusslaut darstellt.
5. Z' ist im Orignal mit einem nach unten offenen Bogen versehen.
6. bei x'' steht im Original der Accent über dem x-
7. U4 bedeutet einen Mittellaut zwischen u und 0, bei dem im Original ein kleiner Kreis
ûlxîr dem u steht.
Die in sprachlicher Hinsicht, wie es scheint, isoliert stehende Nation der Karajâ in
Ooyaz (Brasilien) zerfällt in drei grossere Unterabteilungen, die Sambioâ, die Javahé oder
Savajé und einen sudlich wohnenden, einfach mit Karajâ bezeichneten Stamm. Wenn man
- auch mancherlei Anklänge an andere Sprachgruppen Südamerika's, z. B. die sogenannte
Gtes-Gruppe, finden mag, es ist das doch nicht ausreichend, um die Sprachgruppe des
Karajâ an eine andere ohne weiteres anzugliedern, (vgl. Ehbenbeich, Beiträge zur Völker-
kunde Brasilions, Beriin ISUi, S. 3.)
Was die phonetische Seite des Karajd-Idioms anlangt, so wird allgemein von den
Autoren angegeben, dasselbe werde besonders undeutlich articuliert; dies ist aller Wahr-
scheinlichkeit nach so zu verstehen, dass man das Karajâ in Vergleich mit anderen deut-
licheren, d. h. schärfer articulierten indianischen Idiomen im Sinne hat.
Wie EHRENREICH (a. a. 0. S. 9) und Krause (In den Wildnissen Brasiliens, Leipzig 1911,
S. 344) angeben, wird die Sprache so gesprochen, dass man kaum die Bewegung der Lip-
pen der Sprechenden wahrnimmt, die Sprache wird durch die geringe Mundbowegung leise
und undeutlich. Eine Folge hiervon ist femer das Verschlucken von (einer oder mehreren)
Endsilben sowie das Auftreten von ungenau charakterisierten Lauten, Zwischenlauten. Die
I. A. r. E. Bd. XXIII. 20
— 148 —
beiden letzteren Erscheinungen sind namentlich bei den Vocalen zu beobachten. Krause
(a. a. 0.) bemerkt noch folgendes : „Der Tonfall ist etwas singend, die Sprechweise ungleich-
massig. Bald werden die Silben rasch hintereinander herausgestossen, dann wieder wird
eine Silbe lang ausgedehnt, gerade als ob der Sprecher erst überlegte, wie er sich nun
weiter ausdrücken solle". Und S. 74: „Eigentümlich ist ihre Sprechweise überhaupt. Sie
reihen ja Silbe an Silbe in langer Folge". Ehrenreich constatiert die Häufung von Vocalen
und Zungenlauten, Krause die von Nasalen.
Manche Laute vermögen die Karaja nicht zu articulieren, so z. B. das f (in portugie-
sischen Worten), auch die ch-Laute, wie im Deutschen ach (z) und ich (x') scheinen zu
fehlen, aber auch das s.
Besondere Schwierigkeiten ergeben die Abweichungen, welche zwischen den einzelnen
Autoren, oft aber auch bei ein und demselben Autor zu constatieren sind. Zunächst ein-
mal können es dialektische Verschiedenheiten, namentlich solche zwischen den einzelnen
Dörfern sein, zweitens kann es sich um individuelle Entgleisungen 'j handeln, und drittens
kommen die Unterschiede zwischen Männer- und Frauensprache hinzu, (s. u.) Unterschiede,
die jedoch auch innerhalb der Männersprache wirksam zu sein scheinen. Denn der Haupt-
unterschied zwischen beiden Dialektformen, das Plus von K-Lauten in der Frauensprache,
findet sich auch bei einigen Worten der Männersprache aufgehoben, und zwar durch den
Anwachs der gleichen K-Laute.
Liüeratur.
Castelnau, Expedition dans les parties centrales de l'Amérique du Sud. Paris 1850,
V, S. 268—270. (Citiert: C.)
Martius, Beiträge zur Ethnographie und Sprachenkunde Amerikas, Leipzig 1867, S.
264 — 266. (nach Castelnau.)
Ehrenreich, Beiträge zur Völkerkunde Brasiliens, Veröffentlichungen aus dem KgK
Museum für Völkerkunde, Bd. L Heft. 1 und 2. Berlin 1891.
Ehrenreich, Die Sprache der Caraya (Goyaz), Zeitschrift für Ethnologie, Berlin 1894,
S. A. 32 SS. (Citiert: E.)
CouDREAU, Voyage au Tocantins-Araguaya, Paris 1897. S. 259—271. (Citiert: Co.)
Krause, Nachbildungen von Tanzraasken der Karaja-Indianer, Jahrbuch des Museums
für Völkerkunde zu Leipzig, 3. Bd. Leipzig 1910.
Krause, Die Kunst der Karaja-Indianer, Baessler-Archiv, Bd. H, Heft 1, Beriin 1911.
Krause, In den Wildnissen Brasiliens, Leipzig 1911. (Citiert: Kr.)
Ausser diesen Publicationen hat mir Herr Dr. Wilhelm Kissenberth sein auf der im
Jahre 1908/9 unternommenen Araguayareise gefundenes sprachliches Material auszugsweise
zur Verfügung gestellt, und genau vorgesprochen, wofür ihm auch an dieser Stelle mein
verbindUchster Dank ausgesprochen werden soll.
Dem hier verwendeten phonetischen System liegt dasjenige des „Anthropos" mit ge-
ringen Mortifikationen zugrunde. (Citiert: Kiss.)
Ein von E. A. Socrates in der Revista Trimensal do Inst. Historiée, Rio 1893, Bd. 55
veröffentlichtes Karajâ-vocabular wird als Anhang dieser Arbeit beigegeben.
-1) Des Sprechenden oder auch des Aufnehmenden.
— 149 —
DIE PHONETIK DER KARAJASPRACHE.
A. Der Vocalismus.
Die Vocale sind diejenigen Laute, welche die meisten Übergänge untereinander zeigen,
wie dies ja auch, besonders bei einem undeutlich gesprochenen Idiom, ohne weiteres ver-
standlich ist. Nichtsdestoweniger lassen sich, insbesondere infolge der Anwendung diakriti-
scher Zeichen bei den deutschen Autoren, die einzelnen Lautwerte, die Schwankungen,
welche ein und derselbe Vocal aufzuweisen hat, vielfach deutlich erkennen und demgemäss
darstellen.
a. Manche Worte zeigen bei allen Autoren ein reines a, ä oder ä, allerdings werden
diese beiden quantitativ verschiedenen a-Laute bei den nichtdeutschen Autoren kaum aus-
einandergehalten.
Zwei kurze a-Laute fliessen in ihre Länge zusammen.
ä + ä wird zu SL, wie dies auch in den meisten anderen Sprachen der Fall ist.
Beispiele hierfür: Mund: E. wa-ru, C. wa-arou, Co. wa-arou, Kr. wä-lö, Kiss. wa-rÖ,,
membrun muliebre: E. wa-atü, Kr. wadü, wäde, Kiss, wa-tü,,
Brüllaffe: E. ää9a, Kr. äz'ö.
Urubii: (Geier) E. nOärä, Co. la'ara, Kr. lali.
Hundsfisch: Co. la'até, Kr. lä-dae, Kiss, d'aié^.
Mutter: Co. naandi, E. nadi, C. nadi. Kr. nadf.
Mann: C. abou, Co. babou-oudounandé E. äänbu, C. abou, Kr. aàbÛ, Savajé: ämbu-;
(in den beiden letzten Beispielen wird aaft oder aà zu a (ä), da, wie wir sehen werden,
nasaliertes und nicht nasaliertes a (auch andere Vocale) nebeneinander stehen.)
à, ein dumpfes offenes o nach Ehkexreich, von Kissenberth mit a^ oder o^ (auch a,)
bezeichnet. Ein Laut, welcher etwa dem nordischen ä oder auch dem englischen a in all
entspricht. Dieser Laut wird von anderen Autoren zuweilen einfach mit o wiedergegeben,
zuweilen finden wir bei den einen o, bei den anderen a. (vgl. Ehrenreich, die Sprache
der Carayâ, S. A. S. 24.) Wo daher o und reines a nebeneinander stehen, wird a priori zu
vermuten sein, daas es sich hier um einen ä-Laut handeln muss, dessen Klangfarbe indes-
sen keineswegs durchaus fest zu sein braucht.
Die Beispiele sind hierfür sehr zahlreich:
Zunge: E. wa-darotö, Kr. dö.rötö wädöjüte, C. wadarato, Co. ouadoroto, E. Qtorotö.
Affe: E. k(a)raâbi. Kr. kjärtbf, oder mit Metathesis: kä!öbl-de(ru).
Cer\'us paludosus: E. brârà. Kr. b(ft)!öjag. Kiss. prd,réj.
Grosser Ameisenbär: E. wariri. Kr. wälilf, Kiss. wg,rirf.
Yaburü: C. oorai, Co. ouaérecan. Kr. wäjnlf, Kiss. w5,ré,.
Kleines Krokodil: E. karärä, Kr. köjäüjä.
Tracajä-Schildkröte : E. kâtû, Co. cootou, Kr. ködil. Kiss. kQtä(%); damit Zusammen-
hängend :
Schildkrötenart : Kr. d" ködübönä, 9 kädöbönä, Kiss. hQtubunéj.
Wachs: E. tobärä, Kr. täbölä, (Metathesis) Kiss. tabQrà, tebotére.
— 150 —
Urukü: (bixa-orellana, kleine Früchte zum Rotfârben) E. warenö, Co, ouarénan, Kr.
wöleno, wöläno, Kiss, w^rana.
Lanze: E. tonâri, Kr. dönöli, Kiss, donori. • ^
Wurfbrett: E. kâobï, Kr. Karajä; äubi, öbird, Savajé; häöbi.
Embira: (Bast) E. SöSä, Kiss. &'âSâ.
Mandiokareibliolz : E. ârana, Kr. öläna, Kiss, korana.
Klein : E. 9 rikore, Kr. cf liöle, 9 llkiöle, Kiss, cf ri§,re, 9 rikgire.
Fisch: E. katora, Co. catoura, Kr. kädöla, in den von ihm aufgenommenen Texten:
ködülä = peixe.
Holzlippenflock: E. an&âo, an&öö, Kr. Karajä; öduhö, käz'öe, Savajé; ö^du6, Kiss.
^(d)lo6, ajS'oo^.
Stock: C. awarou, Kiss, awari = Holz, Baum, E. kauiro. Kr. kauäl6, köwärÖ, C. caou-
arou, Gorou, Kr. köwo = Mörser.
Keule: E. hâte, kâte, kohâte, C. cooati, Kr. gôbo(r)dé. Kiss. §.h§,téj (Dorf IjWanâs) Qhgté
(Dorf Tamanacos) ahote^ (Dorf Alfredos) 9 kohote (Dorf Tamanacos.)
tanzen: E. roSiräre, ra&ärere, C. ratirere,
weinen: E. roburere C. rabouraré, Co. roubouréri.
Südliches Kreuz: (schwarzer Rochen) E. bârâhoa, bârahoâ, Kr. bôjôhùâe. Kiss. borQ hou(w)é,.
Fuss: E. cT wa-wâ, Kr. cf l-wa (etc.) 9 î-woj.
Karajâ bei sich selbst: Ina, bei den Savajé: ino. (Kr.).
Durch Wegfall, resp. Eintritt der Nasalierung (s. u. die Nasallaute) wird zuweilen ein
Wechsel zwischen à und o, a und 5 herbeigeführt,
Beispiele: Giftige Mandioka: C. odjou oura, E. andziura, Kr. andjIDjä.
3: C. inatau, C. naatan, E. inatan, inatà, Kr. (i)näda°, nädoj-
8: C. naton, Kr. inäda".
Sand: Kr. cf känäla, c? kïnôla, 9 känäla. Kiss. anâ"râ, dazu gehörig Sandbank: E.
kenära. Kr. kenöna, Kiss. k(a)nôrâ.
Da ferner, wie wir sehen werden, das o häufig in u übergeht, so treffen wir zuweilen
statt des â auch einen u-Laut an.
Ein Männername: E. sokröä, Sokroä, Kr. säkrüwa,
Tragkiepe aus Korbgeflecht: E. behâra, ubeharä, Kr. bëhnle, Kiss. be,hourâ.
Knochenspitze am Fischpfeil: Kr. âhïdo, ühido.
Mandioka: (Aipim) E. iira, Co. irou. Kr. I(ï)lû.
morgen: C. rajouban, E. rudzebü,
Krause Texte: lüdjebü.
Steinerner Lippenflock: E. manutere, Kr. mänädele, Kiss, manadéjre, m(a)natére.
Einige hierher gehörige Contraktionen mögen im Anschluss hieran aufgeführt werden :
a + a — a + o>a.
Unterschenkel: C. wa-até, Kr. wöäti, E. wati.
Kopf: C. woara, Co. ouara (spr. wara) E. wa-ara. Kr. läa.
a + ô — o + o>ö (o).
Tapir: E. kaonri, C. coonri. Kr. köli, ölt
a + o — 0 + 0 (u) — o>ü.
Cachoeira (Stromschnelle,) E. cf aorä, C. oou rai, E. 9 horä häkoräre, Kr. hnjâe.
a + 0 > ä.
— 151 —
Gesicht, C. naonsana, Kr. aä5,ne.
0 + 0 } ^
Ohr: C. wa na outai, Co. noon'ti, Kr. nàde, nöoti (Sudhorde) wa-nuhöti (Nordhorde.)
Übergang des a in e (ä), weiter in i. Hier liegt vermutlich eine ähnliche Erscheinung
vor, wie bei dem hellen österreichischen a, welches auch bereits stark an e anklingt, (oder
bei der Aussprache des a in einigen französischen Worten.) Dieser Laut entwickelt sich
aus dem reinen a dadurch, dass dasselbe ein geschlossenes wird.
Beispiäe: Genipapo: (zur Schwarzbemalung :) E. be^Enä, Kr. bädena.
Piki: E. aramA, arüma, Kr. lämä.
Biene: E. badi, Kr. bcdf,
Honig: E. be^âwù. Kr. bedö, badürhö",
Bienenstock : Kr. badPdö, (wo das u aus o entstanden zu denken ist ; s. u.)
KOrbisrassel : E. uäru, Kr. ùSPjû, Kiss. waSö, we^rö, waS^ü,,
Rundkorb: Kr. Karajâ: waëlllf, Savajé: wälllf, E. wäriri, Kiss, weriri, we,rejri, warioré.
Camp: C. badero, Co. bédéro, Kr. bëdElé.
Tabakspfeife aus Jequitibäfrucht: E. aricoco, Co. ouricoco, Kr. wälikökö. Kiss, werikökö.
Schulter : C. wansioté, E. wasiotä, Kr. cf ä5sl6t', 9 aeikötf (Nordhorde) äüsikot' (Südhorde.)
Schweigen: Co. iro becoin, Kr. Jubäkö», damit zusammenhängend das Wort für spre-
chen; E. irobe^ire, Kr. iQbà.
Spindel: E. Karajà: ä3oi'idäil. Kr. Savajé: aPz'r)d56,
Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Erklärung seines Vocalismus macht das
Wort fQr Haut, Zeug, und davon at^eleitete Worte.
Haut: C. tacou, C. takeu, E. wa-tçkç,
Stoff für Gürtel: Kiss. ta,kâ, tçkç,
Hemd: Co. doucon, Kr. 9 dëkë,
Penis-Gûrtel: E. wa no teka iri, Kr. noôdakân, (wä) notëkanâ,
Fe<lerreif: Kr. n.1 takân,
Gürtel: E. watakanä, Kr. wâ däkänä, Kiss, wetakâna, we.takanâ,
Himmel : E. biuâtëkë, Kr. bl(w)6déké. biu = Regen, teke = Haut, Zeug.
Hier haben wir also vermutlich ein Wort vor uns, das etwa taka, daka, teka, teke
oder deke heisst, daneben wird wohl ein Wort stehen, (welches in den ersten hier ange-
führten Beispielen vorliegt,) das ein Kehlkopfverschluss-e, ein ç (s. u.) aufweist. Dies vermag
die Buntheit des Vocalismus wahrscheinlich zu erklären.
Bogen: E. Suahf-të, C. assouatai, Co. ouatsi' até, Kr. wä-s(T)nhäte, Bogen zum Baum-
woUzupfen : wäälh(u)äta (mit ä anstatt e, oder ungekehrt, s. u.) Kiss. Bogen = wasiotë, .
ôuahetë,
gestern: E. kenau, Co. kenau. Kr. känan.
Häufig finden wir den Wechsel von a und ë (55) im absoluten Auslaut. (Kürzung?)
Rücken: E. cf wa-brâ, 9 i-brà,
Tonteller: E. 9 beSa, Kr. cT bäz'a. Kiss, be^l,,
Kinn : E. dohuta. Kr. djühnte,
Säugling: E. tohokua. Kr. döhöküae (— é)
nicht: E. köre, kö, koA, Kr. Texte: kônë, aber E. kura in ahartdo ikura, der Mond ist
nicht (da), Neumond,
— 152 —
Spindelscheibe aus weissem Stein: Kr. cf mäule, 9 mänaküla (mana = Stein, ùlâ =
weiss.)
GelWauer Arara: Co. biita, E. betöä, Kr. bëz'a, biz'ä,
Caralcarâ: (Raubvogel) E. iira, Kr. Savajë: Ida, Karajâ: Ijae.^
Pirarucü: (Fisch) E. bedoSeka, C. bedolouqué, Kr. b(ë)dGlëki,
schlecht: E. aibina, Kr. iblna, Co. ibine.
Infolge des Überganges von a in e kommt auch der weitere in i vor, da e und i
ihrerseits ineinander übergehen (s. u.)
Sand : C. kanara, Co. canoura, caooura, Kr. känüll, cT 9 kïnôlâ, 9 känäli, dazu Sand-
bank: E. kenara, Kr. këndna, welches das i zwanglos erklärt.
Cari: (Fisch) E. runa, Kr. löni.
Ferse: E. cf wa-wareko, Co. oualocon, Kr. cf Südhorde: wä-läläk6, Nordhorde: wä-
wäweliko, 9 Südhorde: wä-läläko, Nordhorde: wä-wäjiko.
Contraktion (selten)
a + e--e + e>äe.
Haus: C- aëto, Co. ééto, C. hetö, Kr. hasto,
Das Karajâ besitzt also einen a-Laut, der die Neigung hat in e überzugehen, (geschlos-
sen zu werden) vielleicht am Wortende zu e gekürzt wird, und einen zweiten, ofifenen a-
Laut, (â) der in o übergeht und nur ausnahmsweise, wie es scheint, im absoluten Auslaut
zu e oder ä wird ; ausserdem wie schon bemerkt, ein anscheinend reines a.
e. Nach Krause existieren im Karajâ zwei e-Laute, ein offener und ein geschlossener,
die ausserdem nach Länge und Kürze unterschieden werden. Wir führen dieselben im
Nachfolgenden auf, indem wir die entsprechenden Laute der anderen Autoren zum Ver-
gleich danebensetzen:
L Kr. ë, E. ä, e, (S) Co. é. Kiss, ë (ë), C. ay, ai;
2. Kr. ë, E. ä, e (ë) Co. é, C. é;
3. Kr. âë (ë) E. ä, (e), Co. é, C. ai. Kiss. |;
4. Kr. âë, E. ä, e, Co. é, C. ay.
Beispiel: Wasser: E. beä, C. be-ai, Co. béé, Kr. baëae.
Wie man hieraus sieht, ist es sehr schwierig, über die tatsächlich vorliegende Quan-
tität und Qualität der e-Laute nach den Angaben der Autoren ins Reine zu kommen. Wir
stellen dies daher ausserhalb unserer Betrachtung und wenden uns den verschiedenen
Übergängen zu, welche das e in Bezug auf andere Vocale aufzuweisen hat. Über denjeni-
gen zu a haben wir bereits oben ausführlich gesprochen.
e— i. Das geschlossene e, welches man mit e zu bezeichnen pflegt (port, ei) geht leicht
in i, besonders in I über.
Beispiele: Honig: bëdëdo (Krause's Texte) daneben bidido.
Kamm: E. Sehö, Co. si'o'o. Kr. z'lho. Kiss. Sëho, tejho^.
Ruder: C. narii, Co. naarii, Lr. nälihi. Kiss, nàrehe, nàrehe.
Hinterhauptsrad aus Federn: E. aheto. Kr. lähido. Kiss, rähe^tej, raheito, (portug.
Schreibweise) raheto. Nackenfedern: Kr. lähedo.
Alter Mann: Co. matoucari, E. matokare.
Tucunaré : (Fischmaske :) Kr. (i)dj5lhüni, E. jarene. Kiss, jarehenë.
Oberarmschmuck (Federband.) E. deo^anä. Kr. deröz'ma, mit Metathesis.
I
f
— 153 -
Name eines Mannes in der ßrüllaflfensage bei Krause: hokûmâlï oder ökümäre.
Lanze: E, tonâri, Kr. dönolf, Kiss, donorf, (Dorf Taraanacos) donore (Dorf Chryostomo's.)
Wie heisst Du? E. amoïné, Kr. möäeni.
Schreien, weinen: Kr. hPbjü, IblÜ.
Das derivative Suffix ni, wovon noch weiter unten die Rede sein wird, erscheint
gleichfalls als ne.
Tartaruga: (Schildkröte) C. cootone, Kr. ködnnf,
Katze: C. anoloé'ni, Kr. änz'n5-nf, gäh-änlöe-ne.
Caracara: Kr. ïlënf neben ijâé, dazu
Kleiner Falke: E. irânë.
Ochse: C. Ijoroleni, boronne, Kr. bölö}Enf, Kiss, broreni.
Thevetia: E. maranë, Kr. majänf, Kiss, môrani (Suffix ni?)
Ohr: Kr. nöötf, C. noon'oti, Kr. nàdé.
Hals: Kr. wälfttf, C. walaté.
Nabel: Kr. blnö, bCnd, E. wabenö, Co. ouabino.
Unterschenkel: Kr. cf dif, E. wa-tï, Kr. 9 dsf.
Piarara: (Fisch) E. doori, dörä, Co. dou'ouré. Kr. dole.
EUdechse: C. toricoco, E. tonrököko.
Zuckerrohr: E. raaitô, Co. ma'iti, Kr. mäl-itf.
Batate: E. kotanitâ, C. cotarouti, Kr. köderOtf.
Obergang des e in o.
Beispiele: Kniescheibe: E. wa-mena, Kr. mönä.
Ferse: E. wa-wareko, Co. oualocon (Kr. 9 wäiäläke, wo das o in a übergeht; s. o.).
Pleiaden: E. äeralx)to, Kr. dölöbedö.
Lippenpflock aus Holz: E. anSâo, Kr. ôdQho, kaz'öe, Kiss. g,5'o6,.
Schwarze Leute : E. tön Sébë, C. toroijobo, Kr. töjl-djubü (wo o in u übergeht ; s. u.)
Fledermaus: E. turehe-reko, Kr. doléhaî; lök6.
Ellbogen: Kr. cf tâ(ë)bo, 9 däßkohö.
f. Dies e wird durch Kehlkopfverschluss gebildet. Es ist nur von Ehrenreich und
Kjs.hk.\berth erkannt und demgemâss bezeichnet worden. Dies ç geht wahrscheinlich in
andere Kehlkopfverschlusslaute, \ und y, vielfach über, ausserdem kann es in manchen
anderen Lauten bei den übrigen Autoren stecken, ohne dass man es hier mit irgend wel-
cher Sicherheit zu eruieren vermöchte.
Beispiele: Mandiokapresse, Stäbchensieb, Kr. brSidjü, brP(ï)-djé, Kiss, breij^, breiji.
Augenlid: E. I-ruabratçkç, Kr. laae-brrtdëkë, mit tçkç, (E.) Haut, zusammenhängend.
Über das letztere Wort vgl. oben bei a.
Taube: Co. botoé, E. bedäüä, (Kr. daaue) Kiss. bçtQé^, Kr. Savajé: budge.
Tabak: Kr. kü,tf, E. koti, kotç, kohotë, C. cooté, Cou. cooti.
Pfeilrohr: E. betaurâ, Kr. b'dojë. Kiss. bçd(d)^ré,.
Frau: E. hanökö, hanokç, Kr. amuké, Co. anoucou (coudounandé;)
Schemel: E. kauriSâ, Kr. knjîàlî. Kiss. oriSç,
ait: E. tçbç, ferner finden sich bei E. folgende Schreibungen: tabö, tabu, taby, tjbu,
tobä, tube und tybe und Kiss, tçbé,, t§bü„ wahrscheinlich haben wir hier einen Über-
gaagslaut von ç zu y vor uns. Ebenso \ielleicht im den Worte für Pfeil: E. wehe. Kr.
— 154 —
wüöhü, ûôhu, ûëhu, ûhâë, wëhae, Savajé: wöhti, C. ou-eue, Co. bouourou, Kiss, wçhç, wyhy.
Schildkröte: Kiss, hotubunéj, gut: Kiss, uitçtùjri neben uitytôjri.
Contraktionen aus denen e-Laute entstehen:
a + i>e. a + i>ai>B wie im Sanskrit.
Tukunaré: (Fisch) Kr. bainöla, Co. benora.
Alte Frau: Co. sainandouc, E. Sänandu.
Rotblauer Arara: E. daidorä, C. andedoura, Co. andédoura (gelber Arara) Kr. ändäEdölä,
Kiss, de^dörä.
Gürtel: E. waitakani, Kr. wädäkäna, Kiss, we^takana.
N.B. oft bleibt aber auch das ai einfach bestehen, ebenso das a, 1,.
e + 0 bleibt oder wird zu äe, resp. ê contrahiert.
Unterann: Kr. deölüte, (Nordhorde) daëlïdaë (Südhorde.)
Ader: Kr. 9 wädeköläti, d" wädüläti.
e + e wird zu 5.
Heuschrecke: Kr. sêêhi, Maulwurfsgrille oder auch gelber Schmetterling: Kr. z'ëf.
Tochter: E. cf deS, 9 deö. Kr. cT 9 de.
Tochter: E. âëëraii, C. veran, Kr. laêlù".
Puva: E. bëëro, Kr. bäülo.
Jaracara, Sucuriu: (Schlange) Kr. lS(ë)f, lei, (Kunst der Karajâ S. 26.) dazu
Riesenschlange: eräi.
Schwund des e. (selten.)
In den "Worten für ja und nicht erscheint derselbe selbstverständlich; ausserdem: x
und ß Centauri (Strauss) E. naukiä, Kr. nâuëkïe, E. Vogel: nauaklriära (= naueki-riâré,
kleiner Strauss.) Kiss, naulye, wohl die Form der cf -Sprache.
i. In vielen Worten finden wir i bei allen Autoren in gleicher Weise angegeben.
Das Übergang des i in j oder vielmehr in den Halbvocal i ist durchaus nicht häufig,
es findet eigentlich nur nach t und d statt und dann meist vor u (i). Vgl. unten die Pala-
tallaute dj und tj, sowie ihren Übergang in ti, di.
Den Übergang des i in e (e) haben wir bereits bei dem letzteren Laute besprochen, (s. o.)
Übergang des i in u.
Beispiele: Wundkratzer, aus Hundsflschkiefer bestehend: Kr. Karajâ: lädjf, Savajé:
lädsdjü, Kiss: S'atejü.
Wohlriechendes Harz zum Einreiben: E. andziura, Kr. ändlla (der Entstehung nach
nicht ganz klar.)
Niesen: E. hatisi, Kr. ädiz'ii.
Frauenbastbinde : Kiss. Karajâ: ambuodâ, hàbuoté, Kr. Savajé: hâbïôdâë.
Mädchen: Co. oueourou, Kr. uâêlïli,
Tucano: (Vogel) E. toriwa, Co. teroucrou. Kr. döllwa.
Zauberarzt: Spinola: hori, Kr. kölü.
Mädchenrock aus langen schwarzen Baumwollschnüren : Kr. gööhf, löhi.
Wechsel von i — u, wobei das u seinerseits in o übergeht, (s. u.)
Stock: C. awarou, Kiss, aw^ri, dazu Holz, Baum: Kr. köwärü, kauälö, E. kauiro, C.
caouarou, oorou.
Zunge: E. wa-daroto, C. wadarato, Co. ouadoroto, Kr. dö,riz'6, dö^röto, wädölütö.
— 155 —
Nicht ganz deutlich:
Hund: E. ikoro^a, C. kerota, colosa, aicorotha, Co. icoroqa, Kr. kiölöz'ä, djöröz'a,
kjojftz'ä, kjTaz'ä, kùlôz'à, kùjîz'à.
1. Das durch Kehlkopfv-erschluss gebildete i ist nicht häutig im Karaja, es kann vielleicht
in einem cxler dem andern der vorher aufgeführten Beispiele, ebenso auch in weiteren, hier
nicht aufgeführten Worten stecken.
So vielleicht in den Worten für Donner: Kr. biOmätjii, -mäti, E. blO-ra-motü, C. aimanti, dazu
Gewitter: Co. bioumata, aber Kissenberth: biu-m\jtä, und viele: C. soetoti, Co. son'é-
toutouré, Kr. sôçdîdf, toë-tltilï, viel = tëdë.
Sichere Beispiele sind nur Milchstrasse: (Aschenweg nach Ehrenreich) E. bilbi, Kr. büllbf,
Barrachiga-Holzer ; Kiss, junlurä, was wahrscheinlich Krauses Wort für weiss, lùdiùla
entspricht und in io (E.)-ni-fi)ura (E.) aufzulösen ist, und weisses Holz (Holz-Art-weiss) bedeutet.
Eigenname eines Mannes: Kiss. IjWanâ.
i + i wird zu i (I).
Beispiele : Netzdecke: E. rüö, Kiss, riiö, Kr. cf n(l)6, 9 né.
Mandioka: fAipim) E. iira, Co. irou, Kr. I(i)ja.
Caracarâ: E. nra. Kr. 'Uhm)]è, Ijàë,
Maskenmuster: Kr. haUPkllfldjäz'ö > auekridjäz'ö,
Halbcuye: E. cj" iiia, Kr. iàà, E. 9 i^i dazu Calebassenbaum : Co. icha.
o. Über einige o-Laute, nämlich solche, die sich dem a, resp. e nähern, ist bereits oben
gesprochen worden. Hier verzeichnen wir zunächst den Übergang der o in u, auf den auch
Ehrexreich hinweist und welcher sich in vielen anderen Sprachen (nicht nur Amerika's)
wieilerholt.
Beispide: Stirn: C. wa-a-ro — C. oucouro, E. wa-oro, Kr, ölü, ü\6, wäujÖ,
Nabel: E. wa-beno, Co. ouabino, Kr. binû, bünü,
Puls: Kr. knd, köö,
schlafen: E. rHrö, rnrufi, Kr. InJÜ, C. arourou-cré (= ich will schlafen), Co. ronrocré.
In den folgenden Worten, welche offenbar zusammengehören, besonders deutlich:
Kind : C. osado,
Tochter: C. oladou,
Ehefrau: E. udadtôa,
Klein: E. ioSatft,
Knabe: Kr. ndatlö, öz'ädö,
menino: (Kr. Texte:) öläds.
Wir haben also zweifellos eine Form wie 'üfadu anzusetzen, wobei das û einen
Zwischenlaut zwischen o und u bedeutet, wie dies in einigen von Krause aufgenommenen
Worten auch der Fall ist, und das C dem nordischen ^, einem weichen (englischen) th
entspricht.
Mond: E. ahandö, C. aadou, endo, Co. anandou. Kr. ahändü^.
See: E. ai'iho, C. en-o. Co. an-o. Kr. ahü^,
Halm: Kr. u^abö,
Fisch: E. katora, Co. catoura. Kr. kädöja, Texte: krttiujä, dazu Fischschuppe: E. katura
idzi und Fischgräte: Kr. kädü!ä-kl, (ki wohl = ti, Knochen,)
I. A. f. E Bd. XXIII, 21
— 156 —
Cari-Fisch: E. runä, Kr. lôni,
Spitzovaler Korb: Kr. dälidun, dälidöna,
Aipim: (Mandioka) Kr. Texte: N" IV. 2. srù, IV. 3. iro, sonst I(ï)lâ,
Vollcuye mit Hängeband: Co. oua'labocon, (Calebasse,) Kr. wäläbiikü,
Freund: Co. ouasakina, Kr. öäläktdä.
o-u-a-i nebeneinander;
Zunge: E. wädaroto, C. wa-darato, Co. ouadoroto, Kr. döjröto, wädölutö, dö^rlz'o.
Contraktionen, aus denen o entsteht, und zwar nach den Angaben Kkause's ein langes
ö, wie dies ja auch nach den allgemein geltenden Sprachregeln zu erwarten ist.
ä 0
a + u > 0 (wie im Sanskrit,) genauer: ., + „ > au (äo) > â > o.
Beispiele: Rotharz: Kr. däumäle, dömäle, E. taumarä, (Harzart,)
Zauberarzt: E. kahotebädö. Kr. kâudùwâëdiî, kö}u, Spinola: hori,
Ringförmige Stammestatuieruug auf den "Wangen: E. auSaraanurë, C. waaoumaourai,
Kr. ödemärlru. Kiss, adamoru.
Schemel: E. kaurieä, koriSä, Kr. kölisu. Kiss, orisé',
Pfeilrohr: E. betaurä, Kr. b'döle, Kiss. bed(d)§,ré.
Wurfbrett: Kr. äübi, öbiru, E. käobi,
Fischnetz zum Pirarucüfang : E. deaurirö. Kr. däSöjaSlö,
Kokoskeme zum Essen: C. aalay (â?) Kr. hâulënïdo, hölenf, köllnf (ni- Suffix, Derivativ,
eine Art angebend.)
Taube: E. bedaüä, Co. botoé, Kr. dâïïae. Kiss, bçtoë^,
Eule: E. kauzurukü, C. azoukoulé, Kr. kodzùlùkii.
Jaguar: E. anSauä, Kr. änlöae.
Echo: Kr. kënâusîwae, kënôi^Iwae,
4: Kr. näülio, nödia,
Holz: Kr. käuölo, Holzpuppe: Kr. ko._jWa-k6jWä.
Auch J . ^ wird zu ö contrahiert.
Beispiele: essen: E. cT rösi, C. loosi, Co. rerochiqué. Kr. dösi, E. 9 rokuSi, Kr. läküef.
Bootsstange: C. oodjou. Kr. h(5)djö.
Lange Tragtasche aus Palmwedeln: Kr. löüle, lölö,
Rücken: Kr. 9 wä-z'öküne, cf wä-z'öni, (s. u.)
Wolf: Kr. ähouda, C. aosa.
â
(u + u) wird zu ö.
0 + 0
Tabak: E. kohotë, koti, kot§, C. cooté, Co. cooti. Kr. köjtf.
Jungfrau : E. 9 yadokoma, cf yadôma, Kr. jädoma (wo vielleicht das ô gekürzt worden ist,)
Piarara; (Fisch) E. doori, dörä, Co. dou'ouré, Kr. dole,
Augenschirm: E. âodi, Kr. ödji, ödi. Kiss, öji, ödi, Federreif: Kr. öödjf,
Diadem : ödidae ; wiederum mit Kürzung, wahrscheinlich weil hier das Wort dreisilbig
geworden ist und der Accent auf der letzten Silbe liegt.)
— 157 —
n. Dieser Laut ist meistens nicht von dem Halbvocal u, welcher zuweilen als w ge-
schrieben wird, zu unterscheiden, letzterer ist dem englischen w (in water, well) sehr
ähnlich. Den Übergang des u in o einerseits und i anderseits haben wir bereits oben
besprochen.
Übergang des u in w (u).
Die Vorsilbe wa tritt häufig als ua auf, (bei Castelnatj zuweilen oi geschrieben).
Bei«pide: Cervus campestris: E. wati, Kr. üätf, Kiss. wätf, damit zusammenhängend
(ni-Suffix).
Ziege: C. wachini, Kr. üätlnf,
Urukü: (bixa orellana) E. wareno, uarenö, Co. ouarénan, Kr. wöleno, wöläno, Kiss.
wfranà.
Grosser Ameisenbär: E. wann, uariri, Kr. wälilf, Kiss. w§,rirf,
Himmel : E. biuätSke, Kr. bl(w)ëdëké, (das w, welches sich auch dem h nähert, s. u.,
hat die Neigung, zuweilen zu evanuieren, bisweilen auch das u, s. d. folgende Beispiel,)
Holz, Baum: C. caourou, oorou, E. cf kauiro, 9 kauorö. Kr. käuölo, köwärü, Mörser:
Kr. Karajà: köw6, Savaje; köö, Holz zum Tatuierstempel ; Kr. ka(w)ä6j, Holzblock zum
Manschettenstricken: E. kaûarn.
Vollcuye: Kr. ualö, Kiss. wäSö.
Tontopf: E. watihui, ùatihui. Kr. wätlwf, wadjïwf,
Pacüfisch: E. ariwa, ariua, Co. ari'oua, Kr. (h)alïwâ,
Pfeffer: E. ka-suärä, Co. cachi'ouéra. Kr. käsiwPra,
Kaou: Kr. (h)awö, E. auAö, C. awo, Co. aoun'o, Kiss. hàwoj, hàô,
û + ù wird zu 0 contrahiert, zuweilen bleibt es auch bestehen.
Mattenwand: Kr. 9 bùkùjé, cT bnjé,
Jatobâfi-ucht : E. köüoä. Kr. knwâ,
Mund: E. cf wa-ru, 9 mu» C. wa-a-rou, Co. ouaarou, Kr. wSlÖ, Ina, Kiss. wa-röj,
Sonne: E. tiO, C. tlou, Co. tiouou, Kr. tjn(h)ä, tjoä, (ebenso Kissenberth.)
Û + Û > n.
Erde: C. soru, souou, Co. so'o'o, dazu Kr. rote Erdfarbe: z'az(5, z'öa,
Kapivara: (Zähne) E. kûùa. Kr. 9 ka(w)âe,
Leguan: E. küurä, Kr. ka-(n)!äe, Kiss. kurë,
Wind: Co. oouou, Kr. n(e)hÖ,
l + o>ü.
Cachoeira: E. aora, C. oourai, Kr. hnjäe.
Zwischenlaut, Übergang des w (oder des Halbvocales u) in h, von Krause bemerkt und
mit h bezeichnet, aber kaum in seinen Worten vorkommend.
Beispiele: Kniescheibe: Kr. wä-köwo, dazu Kniegelenk: E. wa-koho.
Fuss: E. wauwâ, C. wa-awa, Co. ouaoua. Kr. wähl, wäu-wa,
Wadenschmuck: (Fransen) Kr. (k)nlauw(l, knlâùh6,
Brust des Frau: E. cf ihukä, 9 wahukau, C. wa-wou-o, Co. ouaoucan. Kr. käha,
Bauch: E. wahuä, C. waawai, Co. ouaouancame, Kr. wâùwé,
Vater: E. wahâ, C. ouaa, Co. ouaoua, Kr. wähä.
Man zieht deutlich, dass es sich hier um eine bestimmte Gruppe von Worten handelt.
— 158 —
welche ähnlich lauten, ohne dass die ratio der Veränderungen, von h zu w oder umgekehrt,
einzusehen wäre.
Besonders zu bemerken:
Tabakspfeife: E. arikoko, Co. ouricoco, Kr. (w)ällkök6.
n. Das u mit Kehlkopfverschluss finden wir in einigen Fällen deutlich angegeben, es
kann wahrscheinlich auch noch in anderen Worten verborgen sein, da einige Autoren es
nicht besonders registriert haben.
Sichere Beispiele: Kalt: E. kyhyre, kaheri, -kërë. Kr. k(ë)rë,
Ein Webemuster: Kiss, kodöry,
, Weisse Frauenbastbinde - Kr. hïdëàlë, ïdëhaEje, Kiss, idCjhuré, lyehyré,,
Ohrscheibe : Kiss, amaurî,
Patipalmholz : Kiss, buri, Ohrstäbchen aus dieser Holzart: byri&öj, wo &6, vielleicbt
aus döhö (Kr.) contrahiert zu denken ist,
Kalebasse: Kiss. wa&2Ü3, aber auch wäSo, E. uärü. Kr. üäßju,
Zahn: Kiss, jödj, E. wa-idzu, 9 tüü, C. wa-adjou. Kr. cf djüü, wä tjÖ, 9 djod, tjOü,
Vagina: Kiss, wa-tüj, Kr. Idü, E. i-tü,
ich will pissen: Kiss. aritü.,kre, pissen: E. ari&uiii. Kr. kälidikOn,
Donner: Kiss, biu-muta, E. blüra-motü. Kr. biümati, biamatjü,
Mund: Kiss, wa-râ,, E. wa-ru, C. wa-arou, Co. wa-arou, Kr. wä-lü,
Gut: Kiss, uitutdri, daneben uitçtyri, s.o., Co. aoui'toutoure, E. (uitë)itotori, dazu schön:
E. auiture, C. awitori, Kr. hâu(ïjtëtë,
Delphin: Kiss, juyrehéne,
Messer: Kiss, mau, C. maeu, maou, Co. maou, E. mahau, Kr. mä(h)6.
Übergang des y in §.
Pfeil: E. uëhë, C. ou-eu, Co. bouourou, Kr. ùëhû, aôhû, Kiss, wyhüj, wçhé, (Zusammen-
hang vielleicht über i ?) und alt : Kiss, tcbüj neben t§b§, s. o.
Unsicheres Beispiel: Frau: E. hanökö, hanökc, Co. anoucou. Kr. ämüke, haù(e)ké,
C. awkeu.
Diphthonge. Wir zählen dieselben lediglich auf:
(aa) (ii) ü.e,
a,i, 1,0, ül
a,Oi i,ù, (uu)
aä ju
a,ùi o,a,
au a,äü (üä)
äeä öje
eä ö5
(ee) öl
ëï (00)
ë5" âo(uo)
ëù ôa Bei den in Klammem
lä Ù, a, gesetzten Diphthongen sind
ïa U4ä Längen-, Kürzen und Nasa-
iß Qä lierungszeichen fortgelassen.
— 159 —
B. Konsonantismus.
1. Nasales.
n und Nasalierungen von Vocalen.
Das einfache n findet sich bei mehreren Worten von allen Autoren gleichmässig ange-
geben; es ist oft nicht streng von dem Nasalierungs-n zu trennen. Ebensowenig der von
P^HKENREiCH mit ft bezeichnete Laut. Derselbe wird wahrscheinlich als ein Ausdruck für die
Nasalierung anzusehen sein. Nasalierung im eigentlichen Sinne wird sonst von den Autoren
mit ~ wiedergegeben, von den Franzosen mit n, welches dann wie das Nasalierungs-n des
Französischen nach Vocalen zu sprechen ist. Cerebrales n (n) existiert nicht im Karajâ,
siehe u. bei r. An Nasaherungsvocalen kommen à und ô häufiger vor, û seltener, î (und ä")
ganz vereinzelt.
Beispiele fur das Nebeneinander von einfachem n und Nasalierungs-n (E. n)
Mond: C. aadou, endo, E. ahaftdö, Co. anandou. Kr. ähändü«,
Thevetia: E. marane, Kr. majänf, mSnanf, Kiss, môrani,
Farinha von Mais: Kr. könrtndas dübö,
dgl. von Mandioka: E. kanandc, Co. canandé, Kr. kënôdé,
Giftige Mandioka: Kr. kënodàe.
Transportsack aus Buritifasem: E. manâï, Kr. roàâf, Kiss, maäi,
wart«: Kr. jöklen, jftkje,
Jaguar: E, aftSauâ, C. avoai, Co. anolé, Kr. änlöae, ändöae,
Schlange: E. àmonSâSa, C. amantala, Co. émanlala, émalala, Kr. Karajâ: (h)äSmadadä,
§avaj('-: äPmodädä,
Rohbaumwolle: E. (f aSoftarä, 9 a&oftkura, Kr. cf asôtâe, 9 âsontâek'. Damit zusam-
menhangend, Spindel : Kr. cf äBso, 9 asz'é. In einigen der vorigen, wie auch in dem letzten
Beispiele steht einfacher Vocal für den nasalierten Vocal; auch in den folgenden ist dies
der Fall:
Buritiflechtfasor : Kr. (I)ädeh6 (Nordhorde) E. Buritipalme atähö. Kr. Iädeh6, (Südhorde):
Co, été'on, Buriti: Kiss: tehô, ätehä'o,
Sand: E. kanara. Kr. känulä, kïnôlâ, Kiss, anâ'râ, dazu Sandbank: E. kenarä. Kr.
kenönä, Kiss. k(a)nurä,
Tapir: E. kaoftri, C. coonri, Kr. kôli, kôlf, ölf.
Flöte mit Kürbisresonanz : E. adiiuranë, Kr. ä(n)djn!öna, Kiss, àjuronâ", (dazu singen:
C. adjuro)
ein ähnliches Wort bezeichnet die giftige Mandioka: E. andz'iura, Kr. ändjraujä, C.
adjou-oura,
Palmnuss zur ölbereitung: Kr. ähä(n)dete,
nicht: E. kö, koft, Kr. Texte: könC,
viele: C. soetoti, Co. son'etoutouré, Kr. sôsdidf, (Südhorde,) toë-tïti-lï, (Nordhorde,)
Herdsteine aus Spitzen von Termitenhaufen: Kr. ä(n)d6,
See: E. aftho, C. en-o, Co. an'o, Kr. ähö«,
Lippenpfiock aus Holz: E. anSaö, Kr. kaz'öe, Kiss. ^'o6„ ^d)lo6j,
Häuptling: E. i.^ndenödö, C. chandénondo,
Tagesmoskito: Co. monronra. Kr. majûjâ.
- 160 —
Ruder: E. nähere, K. nälihi, Kiss, nàrehe, nàrehe,
Timbö: (pflanzliches Fischgift:) Co. achidé, Kr. änz'f, vgl. Co. herbes de la Savanne: ancé
und liane: anchidé, rötliche Embira (Bast); E. &ö&ä, Kr. do"Mé, Kiss, dàté^, auch B'sSi,
Savajé: Kr. Isändjii, isä(n)diwändu,
Berg: E. hauaSo, C. enwaso, Co. an'oüanlo,
Gesicht: Co. naonsana, Kr. aSö^ne,
Frauenbastbinde : E. inantö, Kr. inäudu;
Ohr: (und verwandte Worte) Co. noon'ti, C. wana-outai, Kr. cT nàde, nöötf, wä-nühötf,
9 nohödi, wa-nùhôtî, dazu Ohrläppchen: Kr. nâdë, E. cf wa-nohö-ta, 9 tohofttä,
Ohrloch: E. tohontä-ua, 9 tohontä-uoku, Kr. nohôd5-wâ,
Schulter: C. wansioté, E. wa-siotä, Kr. äeslot', aüSlÖtf, dazu Oberarm: C. wa-asio, E.
wa-anSia, Co. ouachicon, Kr. öänslö;
Nicht ohne Schwierigkeit ist das Wort für Boot zu erklären: E. cT auno, 9 aükö,
aùoko, Co. aun'o, Kr. (h)äw6, C. awo, Kiss, hawo^, hàô, wahrscheinlich ist das w in der-
jenigen Form entstanden, in welcher die Nasalierung fortfiel.
Fehlen 'des Nasals im Auslaut.
Urukü: E. wareno, Co. ouarénan, Kr. wôlëno, w6län6, Kiss. w§,ranä,
Mamao: E. tourikoü. Kr. döliwü",
3: Co. naatan, E. inatan, inatä, inata. Kr. nädOj, (i)näda'', dazu 13: E. wa-wa- inatafl
héura, Kr. wäha ïnâdâ", üäu inado^,
Penis: E. wa-no, wa ano, Kr. dôô, döö, döo, nöö", 9 döö",
Häkelnadel: E. desi-tan (von de§i, Armschmuck, welche gehäkelt wird,) Kr. deSidünä,
Kiss. deSitunä,
Mit Vocalwechsel : morgen: E. rudzebu, C. rajouban, Kr. nOdjIbé, ladjëbii,
Stern: C. E. takina, Co. taïnan. Kr. dälna,
Ferse: E. wa-warekö, Co. oua-locon. Kr. wa-wäläk6,
Ellenbogen: E. wa-hotirarekö, Co. ouatirarecon,
Hand: E. wa-Sebo, C. wadebo, Co. outcpon, Kr. (wä)dSw6,
Weibliche Brust: E. wa-hukä, Co. ouaoucan, C. wa-wou-o, E. 9 wahukan, wahukà,
wahuka, wahukä;
Besonders zu bemerken: Stein: E. mâna. Kr. mäna, Co. ma-oua;
für eine starke Artikulation des n spricht Castelnau's man(n)a; Kissenberth's m(a)nâ
beweist dasselbe, (das n vermag ohne die vocalische Stütze für sich zu bestehen.)
Als Nasalier ungselement kommt m neben n und n (û) vor, ganz besonders ist das vor
b der Fall, wie es ja auch in europäischen und anderen Sprachen vorkommt, dass n vor
b als m auftritt.
Beispiele: Berg: C. amaro, Co. an'oüanlo,
Frau: Kr. ämuke, E. hanökö, Co. anoucou- (coudounandé).
Imperativpraeflx m, (m-anaka, m-ana-kre, krS = Imper. SuflBx,) als n. Kr. Texte: n-
berbon, töten wollen (dazu die Anmerkung Kr.'s auf S. 474 des Reisewerkes.)
Rote Frauenbastbinde: Kr. ämbü(g)odae. Kiss, hàbuote, àbuodéj, ohne Nasal im Savajé:
(Kr.) häbiödae, Karajä-Leute : Kr. Ino, E. inomboho,
Mann: E. äähbü, C. abou. Kr. äabö, Co. babou' oudounandé, Savajé: Kr. ämbü — .
Um Metathesis handelt es sich bei dem Worte für 4, (und den damit zusammenhan-
genden für 9 und 14) wo m und n den Platz tauschen, da die dritte Silbe mit b anlautet.
— 161 —
4 = E. inambio. imanbio, Co. inanoubioa, Kr. ïnambïo,
sterben, schlafen: E. rörö, rörun, rörom.
Nebeneinander von 1 und n. Ob das 1 einem 3' entspricht, ist nicht mit Sicherheit
auszumaclien, ausserdem ist es ein ganz singulärer Fall, wo vielleicht ein Versehen vor-
liegen könnte.
Urubü: (Vogel), F. näarä, Co. la'ara. Kr. lälä.
n- Vorschlag im Anlaut.
Papagei: E. ndarä, Co. do'oré, Kr. dölae,
Grille: Kr. n-blöja, ob hier verbergende Vocale ausgefallen sind, steht nicht fest, (vgl.
das Wort für ja, E. ende, Kr. ndé, s. u. über den Anlaut.)
2. Labiallaute.
p. Dieser Laut existiert im eigentlichen Karaja nicht •), er kommt nur in solchen
Worten vor, die aus europäischen Sprachen, besonders aus dem Portugiesischen, entlehnt
sind. Ferner dient das p dazu, um in fremdsprachUchen Worten, in denen ein f vorkommt,
dasselbe zu ersetzen, denn dieser Laut fehlt in Karaja völlig.
Das p wird wohl überhaupt nur ein scharf articulierter b darstellen.
Beispiele: Der Hut beisst säpPÖ, (port. chSpeo) der Häuptling kapïtâ", beides nach Kr.
Einige brasilianische Worte, welche Kr. mitteilt, zeigen die p-Aussprache des f:
bras, facào, kar. päcö»,
„ farinha, „ pärfnjä,
„ chifre, „ §fprë,
„ facer, , päser.
b. Das b ist ein Laut, welcher etwas an das französche p zu erinnern scheint. Derselbe
findet sich in vielen Worten des Karaja von allen Autoren gleichmässig angegeben. Nur
ganz ausnahmsweise scheint er besonders scharf articuliert zu werden, so in dem von Kiss.
aufgezeichneten Worte für Sumpf hirsch : praire,, für welches E. brarä. Kr. b(öjjsläe angibt ;
die übrigen von Kiss, notierten Worte, in denen b vorkommt, weisen durchaus Überein-
stimmung mit den Aufnahmen der anderen Reisenden auf.
Bei der undeutlichen Aussprache des Karajâidioms ist es nicht zu verwundern, wenn
wenn b und m zuweilen nicht deutlich zu unterecheiden sind (vgl. Ehrenreich, Beiträge
S. 39) Jedoch ist eigentlich nur ein einziges Beispiel vorhanden, in welchem die deutUche
Articulation m nebeti der des b notiert worden ist.
Transportsack aus Buritifasern: E. cf manSi, Kr. cf màSf, 9 màSf, bààf, Kiss, màèl
Hier scheint jedoch der m-Laut das eigentlich zugrunde liegende Element zu sein.
Häufiger sind die Beispiele, in denen b und w nebeneinander hergehen.
Kopf: E. wa-ara, C. wo-ara, Co. oùara. Kr. laä,
Handfläche: E. wa-Sebö-br-, Kr. wä-dewö rädf, und vei-wandte Worte,
Bauch : E. wa-hua, C. wa-awai. Kr. wâùwe, 9 waiibükunü, Co. ouaouancame.
i) Die wenigen Beispiele, in denen er angeblich vorkommt, können sehr wohl verliört sein, so z.B.
Ente: E. poAarKra, Finch: C. pottoura; für Fisch gibt F.. katora iaatä, (= Fisch-Hundsfisch) Co. catoura,
Kr. kSdOla, also mit k-Lauten am Wortanfang.
— 162 —
Mann: Kr. âàbâ, E. äänbu, C. abou, Co. babou'oudounandé, babou wird wohl gleich
wa-abu sein.
Zauberarzt: E. kahotebädö, Kr. kâudùwaêdil,
Pfeil: E. wehe, Kr. üehu, Kiss, wçhç, Co. bouourou, C. ou-eu,
6: Kr. dübö z'Öhödi, E. wa Sebö âohadzi hëura, C. wadewa sori..
In einem Falle wechselt b mit r, das eine Wort aber gehört der Männersprache der
Nordhorde Kr.'s, das andere der Frauensprache seiner Südhorde an.
Rote Knöchelbänder: N. cT dëôbùdae, S. 9 dëkôlùtae.
Hier haben wir es wohl mit einem singulären und rein dialektischen Unterschied zu tun.
m. Das m kommt verhältnismässig wenig häufig vor; dort, wo es vorkommt, flnden
wir im Allgemeinen Übereinstimmung in den Aufzeichnungen der Reisenden.
Dass m einerseits in n, anderseits in b übergehen kann, haben wir bereits oben gesehen.
3. Gutturallaute.
Eigentiich existiert nur ein einziger Gutturallaut, und zwar die Tenuis k. Diese wird
zumeist von allen Autoren als einfaches k wiedergegeben.
In einigen Fällen steht g für k, g ist jedoch kein selbständiger Laut und wird wohl
etwas schärfer articuliert zu denken sein, also sich dem k nähern.
Keule: E. kâte, aber auch hâte, was wahrscheinlich den Übergang in g erklaren wird
(s. u. über den Wechsel von h und k) C. cooati, Kr. gohô(r)dé. Kiss. kQhQte,
Vogelspinne (Spinne): Co. cantiouroucou, Kr. ködjürügü, Kiss, kojuruku. Zuweilen fallt
auch das g fort (ebenso wie das h,)
Rote Frauenbastbinde : Kr. ämbü(g)ödae, Kiss, hàbuoté, abußde,,
Mädchenrock aus langen schwarzen BaumwoUschnüren : Kr. gOohf, daneben löhf.
ja: Kiss, gja, kjama, Kr. kja, klaklë, E. kiaki.
Zuweilen steht h für k, hier ist vielleicht anzunehmen, dass die betreffenden Worte
bei Verlusst des k ein h als Ersatz erhalten haben.
Beispiele : Rote Frauenbastbinde : Kr. kämbü, cf ämbü(g)ödae, 9 ämbluöde, Kiss, hàbuoté,
àbuode.^,
Capivara: E. küüä, Kr. hüae,
Oaguassupalme: E. horëmë, dazu Kokoskerne: Kr. hôlïnf, köllnf,
Tracajä-Schildkröte : E. kätü. Kr. ködii, Co. cootou, Tracaja-Ei: Kr. hötöz'f, T.-Schild-
kröte: Kiss. hQtubuné^,
Backen: Kr. cT w(ö)ä(h)6, 9 wa(ä)k6.
Eine besondere Eigentümlichkeit des Karajä ist die von Ehrexreich zuerst festgestellte
Frauensprache gegenüber der Sprache der Männer. In der Frauensprache existieren viele
Worte, in denen k-Laute vorhommen, welche in der Männersprache fortgefallen sind. Hier-
über vgl. unten: Männer- und Frauensprache.
Aber auch innerhalb der Männersprache finden wir den AVegfall von k-Lauten.
Beispiele hierfür: Mandiokareibholz : E. aranä. Kr. köläna, ö.Jänä,
Schemel: E. kaurisä. Kr. kölisu, Kiss, orièé^,
Bratrost: Kr. kübmdo, kobïiî, aber auch öbido,
Gottesanbeterin: (Mantis) Kr. Ilöbiko, Kiss, hiröbiko,, daneben bei Kr. dö^blo, 1 = d,
wie dies häufiger vorkommt.
— 163 -
Stock: Kiss, awgiri, Holz, Baum: E. kauiro, Kr. köwärö, kaîiôlo,
Bogensehne: Kr. änzük, dazu Imbauvafaser, aus der Schnüre für Bogensehnen gedreht
werden: Kr. anz'Ü,
Stern: C. E. takina. Co. taïnan, Kr. daïna,
Tapir: E. kaoftri, C. coonri, Kr. öjf, kôlf, (9 kôlî,) Kiss, ort,
Unterarm: E. wa-&eko-rito, Kr. dëolùté,
Huhn: C. aneca, Co. anica, E. nikiP, Kr. (h)anïé, (h)änike,
Der Deinige: E. (k)âhon,
Pfeilschleuder, Wurfbrett: E. kâobï, Kr. äübf, öbirö.
4. Dontallaute.
t. Das t ist im Karajâ ein Laut, welcher in der Mitte zu stehen scheint zwischen dem
t'igt-ntlichen halten (z.B. norddeutschen) t und dem d, es entspricht also etwa dem franzö-
sischen t und könnte als ein scharf articuliertes d beschrieben werden.
In den Aufhahmen des einzelnen Reisenden kommen zunächst eine Anzahl Worte vor,
welche gleichmässig mit einem t-Laut geschrieben werden.
Häufiger finden sich solche Worte, in denen die einen ein t, die anderen ein d notiert
haben, wo also offenbar der eben charakterisierte Zwischenlaut vorliegen wird.
Einige Beispide hierfür: Kr. dëké, tëkë in dem Worte für Himmel, 'biuateke, d.h.
Überzug oder Haut von Wolken. Die Haut heisst nach E. watçkç, C. takeu, Co. tacou, das
Zeug wird danach déke, dëkû genannt. Damit zusammenhängend: Penisschnur: nöodäkän,
(Kr.) auch wanötekäna genannt, sowie Gürtel : Kr. wädäkäna, E. watakana, waitakani, Kiss.
we,takanä, —
KnAchelbànder: Kr. dCöbudae, Kiss, deobuté.^,
Lanze: E. tonäri. Kr. dönöjf. Kiss, donorf, donoré,
Buritipalme: E. atähö, Kiss, àtehào, dazu Buritifrucht sowie — fasern: Kr. ädeho,
ßuritifrucht: Co. étéon, Fasern: Kiss, tehù,
Zauberarzt: E. kahotebädfJ, Kr. kaudüwaüdü;
Einen besonders treffenden Beweis für die scharfe Articulation des t-d-Lautes gibt die
zuweilen vorkommende Schreibung (J oder tt an die Hand,
membrum muliebre: E. itü, Kiss, watüj, Kr. (h)Idü, Kunst der Karajä, S. 27: IclÖ,
rMuschel-)Löffel: katara (E.), kädäjä (Kr.), kattarä (Kiss.).
Vereinzelt steht t neben r. Für einen Cylinderhut aus Palmblatt gibt E. das Wort taä,
der Federhelm hois.st nach Kr. läa, (wahrscheinlich mit dem Worte für Kopf zusammen-
hängend,) ein Palmblattband zur Strohhutfabrikation nach Kiss, raâ, 1-aâ, vielleicht ist hier
aber der Übergang von d zu r anzunehmen, der wie wir weiter unten sehen werden,
häufiger vorkommt.
D<»r Ül)ergang von t in k, welcher nach E. häufiger vorkommen soll, (Suffix-ko, das als
to auftritt) ist nach dem neuen Material sogut wie gar nicht mit Beispielen zu belegen. Dabei
kann wohl zugegeben werden, dass t und k in der undeutlichen Aussprache der Leute bei
der Aufnahme zuweilen nicht ganz scharf haben auseinander gehalten werden können, wie
denn auch in der Tat in anderen Sprachen Südamerikas diese Laute ineinander übergehen.
Über den Wechsel von t und S, genauer \), siehe die Behandlung des letzteren Lautes,
da offenbar überall hier |) der eigentlich zugrunde liegende Laut ist.
I. A. f. K IM. XXIII. 22
— 164 —
d. Zunächst kommen vielfach Worte im Karajâ vor, wo sämtliche Autoren eine gleiche
Schreibung aufweisen, wo also ein dem deutschen oder französischen d etwa nahekom-
mender Laut gemeint ist.
Über den Übergang von d in t haben wir bereits oben gesprochen. Dafür, dass das S
ziemlich scharf articuliert gesprochen wird, spricht die Schreibung bed(dj§,ré, (Pfeilrohr) bei
KissENBERTH, neben derjenigen betaurä bei Ehrenreich und b'döle bei Krause.
Das d geht vielfach mit der Aspirata & parallel, bei den hier in Betracht kommenden
Fällen jedoch ist das 9-, genauer S, augenscheinlich das eigentlich vorliegende (wie beim
t ; s. u.).
Zuweilen geht d in n über.
Ohrstab: Kr. dohô, dazu Ohrläppchen: E. wa-nohö-tä,
Penis: Kr. döo, döo", daneben döö", nach E. wa-nö, Kr. nüö".
Auch r treffen wir für ? an, so in dem Worte für eine Kopfbedeckung:
a) Diadem: Kr. oölido,
b) Helm, Mütze: C. tourida,
c) Palmblattband für Strohhut: Kiss, törira.
Kayapö: Kr. Kläläü, Cunha Mattos: Gradaü, C. gradaho, Kiss, gradahöu,
warm, heiss: Kr. ^jüdökere, dö^deke, Kr. nimmt mit Recht Metathesis an: dokëré =
do^dëké (*dojkëdë).
Caracarâ: Kr. Savajé: Ida, Karajâ: (h)Ilâe, E. ïira,
Ohrschmuck, Stab mit flacher Federrosette: E. âohorua. Kr. dohôdûé (hier auch der
Wechsel von S' und d im Anlaut,)
Gottesanbeterin: Kr. Ilôbïko, döjblo.
Schwarzer Piranha: E. riri, Kr. düüli,
Wadenschmuck: Kr. cf wôdaidi, 9 wolâëli, dgl. Kr. üdjäü, üljäü.
Der in den zuletzt genannten Worten vorkommende Laut d ist sehr selten. Er wird
von Krause als ein Mittellaut zwischen d und 1 beschrieben, und wechselt, wie wir eben
gesehen haben, mit einem Laute, den Krause 1 schreibt. Dies 1 wird jedoch eher einem
stimmhaften S (tS) oder 1 (resp. r) entsprechen, wofür das Wort für Oberarmschmuck als
Beweis dienen kann:
Kr. Karajâ: (Jölii, lölu, Savajé: döld, Kiss, aöjrü, rorÖ.
Wir werden hier also wahrscheinlich einen undeutlich articulierten Laut vor uns haben,
der zwischen d, b und r stehen mag und etwa einem ^ entspricht. Der zuletzt genannte
Laut wird durch ein paar Beispiele deutlich:
Ein kahnförmiger Korb heisst nach E. rara, nach Kr. lälä oder dadâ, nach Kiss. 9'ä9'a,
Kürbisrassel : Kr. wäölu ) - . ,
Halbcuye: „ wäSfi ) •' '
" " ' ^^-^ ] (Karaiâ)
Cuye : Kiss, wa&ö, wa&jü., )
&. Die Aspirata der t-Lautreihe entspricht dem englischen th, und zwar haben wir hier
ebenso wie im Englischen und im Altnordischen zwischen stimmhafter und stimmloser
Aspirata zu unterscheiden. Es wird daher zweckmässig sein, diese beiden Lauten nach dem
Beispiele des Altnordischen mit tS (nord. ë5) und }) (nord. J)orn) zu bezeichnen.
— 165 —
«. Beginnen wir mit dem stimmhaften ^ (tS), welches E. nicht vom stimmlosen ^ (]>)
unterscheidet, Kr. jedoch als z' schreibt, vielfach aber auch als 1, ein Laut, welcher im
Karajâ in "WirkUchkeit gar nicht existiert. Bei diesem Laute sind naturgemäss Übergänge
in i häufig (s. c).
Beispide: Stammestatuierung : E. aùSamanùre, C. waoümaoürai, Kr. ödemärlrii, Kiss.
§9-amorü.
Mattenwand: Kr. wäEd6, wä5z'6,
Jaguar: E. anSauä, Kr. änlöae, ändöae, C. avoai, Co. anolé,
Schlange: Kr. (h)aumàdàda, E. âmonSâôa, C. amantala, Co. emanlala,
Embira: E. S^oS^ä, Kr. Karajä: etc" -dé, Savajé: ?o'^oä, Kiss, datéj,
Knabe: Kr. ölädü, öz'ädü, C. oladou. E. i-oSatö, klein, Kr. Texte: Slädö = menino,
Hand : E. wa^ebö, C. wadébo, Co. outepon. Kr. wädSwo,
Unterarm: E. wa9-ekorito, Kr. (f daElïdâe, dëolùté, 9 lâkôlïdâe,
Federhaube: E. S^ori&ori, Kr. dolïdôlï. Kiss. S-'ûriS-'Qri,
Holzlippenpflock: E. an&âo. Kr. odù(h)6, käz'öe, (Karajâ), Savajé: ô^dùo. Kiss. §<?)lo6j,
^oö„ in §0>loö, haben wir den Zwischenlaut zwischen d und 1, den Kr. mit d bezeichnet
und der unzweifelhaft einem ts entspricht (s. o.)
Nacken: Kr. walötf, C. walaté, E. wa-Saùtë.
Sternbild, Skorpionsschweif: E. aAdaiiä, Kr. änlöae, (= Jaguar.)
Nase: E. wa-däailSa-ö, wadearo, C. wa-day-asan, Kr. wa-?äüaz'6.
Hundsfisch: E. katora-idatä = Fisch, womit aber sicher Hundsfisch gemeint ist, Kr.
ladÀo, Co. la'até, Kiss. Satéj, (&aSé), davon abgeleitet: Kiss, latent. Kr. lädSnf,
Tonteller: E. be^a, Kr. bäz'a. Kiss, be^'é,
Ente: E. an&ekanaka, Co. alecalecan, Kr. ëlùkrâe,
Pirarucü: E. bedo&ekä, Co. bedelouque. Kr. b(ë)?o-lëké,
Mandioka do Matto: Kr. az'6, E. Patipalme: Sâ6,
Schwester: lacjü», E. Sëërafi, C. veran,
Neben tS steht zuweilen ein s, besonders bei den französischen Autoren ; (dort auch ç)
im Französischen aber ist das s stets stimmlos im Anlaut, sodass hier für uns keine scharfe
Unterscheidungsmöglichkeit zwischen ts und |) besteht. Ein wirkliches s existiert im Karajâ
nicht, ebensowenig ein z (stimmhaftes s ') ; die mit diesen Lauten geschriebenen Worte
sind ganz vereinzelt und lassen sich wahrscheinlich als 9--Laute, die für s-Laute gehalten
wurden, erklaren.
Beispiele: Maulwurfsgrille, gelber Schmetterling: Kr. z'ef, Heuschrecke süühf.
Das Zahlwort für 1 heisst bei E. SohoJzi, bei Kr. söhödf oder z'öhöde, Co. soodi,
Tracajâ-ei: Kr. hötO-z'f, dazu Hühnerei: E. nik5-zi, Co. eici. Kr. hänikesf, Kiss, neke^öi,
Baumwolle: E. a^oùara, Co. essende, Kr. Susôtâe, dazu Spindel: E. ä&ondäa, Kr. cf
aesô', âsôtae, O ïKz'é,
Wolf: E. aosa. Kr. ähoudd,
Hund: E. ikoroSa, C. colosa, aicorotha, kerota, Co. icoroça, Kr. kïolôz'â, SjSrôz'â,
Töpferton, Erde: C. sou-ou, soru, Co. so'o'o, Kr. z'öii,
Kinnbart : Kr. dodëlëhf, 9 djOdëz'ërf, ?jnëdë-sirf, ^nhûdësilf, E. wa-Jehut« Sere, Co. iouté
céré, dazu Bart: 9 Kr. diköz'irf, cT djiösirf oder wä-Itjö silf, cT söküzerf, E. wa-Soku-Serë,
1) Welches wir sporadisch in Worten finden, wo daneben ä steht.
— 166 —
Bogensehne: Kr. änzuk*, dazu Imbauvafaser : Kr. änz'ük,
Alte Frau: £. 9-änandu, Co. saïnandouc,
Kamm: E. ^ëho, Kr. slho;
Zuweilen nähert sich das tS dem r (s. o.). Der Vetter heisst nach E. wa&abe&àre, nach
C. wara. Vielleicht ist der Übergang von z' in 9 in solchen Fällen, wo das Savajé den
einen, das Karajâ den anderen Laut zeigt, als dialektische Differenz aufzufassen.
Schwarzharz: Savajé: Kr. z'öbädaelä, Karajâ: Söwödajae (Kr.).
Einmal steht h neben S- (tS)
Hals: E. wa-9au, Co. ouabato. Kr. cf läho, 9 mädo.
Ebenso ausnahmsweise geht neben dem tS ein s oder 5j einher.
Beispiele: Timbö: (Fischgift) Kr. änz'i, Co. achidé,
Vierspitzige Flechtflgur: Kr. z'ec>ä, ôjëda,
Oberarm : E. wa-an9ia, Co. ouachicon, Kr. öänSlö.
f). Das stimmlose ]) kommt wie wir oben gesehen haben, neben dem stimmhaften 6
vor, es wird von den französischen Autoren vielfach mit s wiedergegeben (s. o.) ist jedoch
weniger häufig; oft daran zu erkennen, dass es mit t wechselt (wie iS mit d).
Beispiele : Gelbblauer Arara : E. beiSä. Kr. bëz a, blz'a, roter Arara, Co. biita,
Fischblase: E. cf te&onä, 9 totan, vielleicht handelt es sich hier um eine dialektische
Verschiedenheit zwischen Männer- und Frauensprache (s. u.).
Eine Tanzmaske: E. tatenera. Kr. laôenina,
viele: C. soetoti, Co. son'é-toutouré, Kr. sôsdïdi, toëtïli-lï, (hier ist \> als zugrunde
anzunehmen).
Eigenname eines Mannes: Kr. änlüäe-z'i, .Jaguar-z'i, ti = Knochen, (vgl. Krause's
Reisewerk S. 328,).
Kamm: E. Sehö, Co. si'o'o. Kiss, ôëho^, te^ho.^,
Pintado: (Wels) E. arätu. Kr. alez'ii.
5. Palatal-Laute.
Der wichtigste Palatallaut ist das ?j (ôz), es entspricht etwa einem italienischen g vor
i, es ist also ein einfacher und kein Doppellaut, (von Kiss. mit j bezeichnet,) die Franzosen
umschreiben es mit j oder di. (auch ?j.)
Salz heisst nach Martius im Tupi jucyra, danach im Karajâ: C. joucoura, Co. dioura,
Tür: C. ijo, Co. i?jo,
morgen: E. ruözebü, C. rajouban, Kr. Texte ITOjëbû,
Übergang des dj in di, wobei der Halbvocal i anstatt des einfachen Vocals i anzu-
setzen ist.
Beispiele: Fischotter: E. diurä, Co. î^jouré, Kr. Mülae,
Augenschirm: Diadem. Federreifen, (Stirnband): E. âoi»i, ödzi-, Kr. ö?jt ödf, Kiss. öt»! öjf,
Stäbchensieb,^ das als Mandiokapresse dient: Kr. bûlëîdju, brSïdjÛ, brëdïû, bl5(î)Sjé,
Kiss, breije, breijo^,
16: E. inawakure 3-ohoôzi héura. Kr. wäuwö z'öhödi,
heute: E. uidi&ä, Kr. ùldjlle,
Schnurrbart: Kr. ^ djiösiri, Co. oua'iôiotéri. Kr. 9 dïkôz'lrf,
— 167 —
Regenbogen, als Zitteraal gedeutet: E. koaôzi, Kr. küädi,
Wald: C. bederaeu, Co. beJiou, E. beSziù,
schwarz: (in Zusammensetzungen) Kr. djùbii, d(j)ûbâ, dübü,
rötlicher Piranha (Fisch): E. dzueta, Kr. dnöta, djnëta (Kunst der Karaja-Indianer S. 27),
auch kjQétâ.
In allen diesen Fällen handelt es sich um d-Laute, die vor u oder i stehen, diese
Vocale entwickeln aus sich den Halbvocal i, welcher sich dann mit dem d zu einem
Palatalen Laut verbindet. Ebenso in dem folgenden, etwas abweichenden Fall, wo zwischen
?j und u ein i entsteht.
Flöte mit Kürbisresonanz: E. anJzuranë und andziuranë.
Übergang des dj in Js (5 wie deutsches seh gesprochen) woneben franz. z (= weichem
8 im deutschen Rose, sagen) steht, was jedoch wahrscheinlich eher auf ts zu deuten sein
dürfte. (SU.)
Eule: E. kauJzuruka, C. azoukoulé, Kr. ködzülükü,
Mutuka, eine Insektenart: Kr. ködjulükö, ködsnriili,
ähnlich Spinne: Kiss, kojuruku.
Wie es scheint, steht zuweilen auch § neben 3j (dialektisch?)
Karajä: Tanzmasko: dSÇvPllâ (Kr.),
Savajé: dgl. ärabo-säwaüdiä (vgl. Krause, Tanzmasken-nachbildungen S. 105,)
Karajä: Bogen: Ë. suahete. Kiss, öuahete,
Savajé: dgl. Kr. ?jnhäde.
Der Übergang des 3j (bi) in ti oder tj ist häufiger zu beobachten.
Beispiele: Gaviota: (Vogelart) Kr. nûdzïasnf, nötjiSne,
Vogelspinne: Co. cantiouroucou, Kr. kôjjûrùgû, Kiss, kojuruku,
Zahn: E. wa-ii>iu, C. wa-adjou, Co. ouaJiou, Kr. ?jnü, wätjä. Kiss, jöil,, Ç E. tùù.
Kr. djoö, rjnü,
Tag: E. tiuO, Kr. JzQÛ, von Sonne: E. tia, C. tiou, Co. tioùoû, Kr. tja(h)û,
Oberlippe: E. wa-idiotä. Kr. wä-itjösflf,
Daumen : E. wa-^ebo-yuhü9^edö, Co. ouadéyouîouou, 9 E. wa-Sebötiuhu&edo, Kr. dâbo?jî5.
Zuweilen stehen dj, (Kr. >z) dy (Kr. dj), femer c und t, tj und ts nebeneinander.
Beispide: cervus campestris: E. wati, Kr. üätf. Kiss, waöi, Nähnadel aus (Hirsch-)
knocben: Kr. wadàïdf, ti = Knochen, und endlich mit dem Derivativsufiöx ni: Ziege C.
wachini, Kr. uätlnf;
ein ähnlich klingendes Wort ist das für den Tontopf: E. watihui. Kr. wätlwf, wädjiwi,
w&dilwf. Kiss. wa5iwi,
Nasenbär: Kr. tjnz'6, t5n§6, ajnz'6, d5n§ö, da§6,
in dem letzten Beispiele finden wir auch den Uberçang des dj in d, (s. o.) daneben kommt
auch der Wechsel des «»j mit r vor, welches dem d nahe steht (s. o.).
Nasenloch: E. wa-Jearo, Co. (Lippen?) wa-day-asan-Sjo, Kr. 3ëlïdj6,
(kleine giüne Raupe: Kr. ï?jalé.)
Wechsel von ?} und & (selten, ö und r verwandt, s. o.)
Schwarze Leute: tori ^ébë, C. toroijobo. Kr. tojl-?jùbÔ,
Obei-gang des dj in k, ebenfalls selten, vielleicht eine Besonderheit der Frauensprache, (s. u.)
Hofring um den Mond: Kr. djQùjâ, (wahrscheinlich: weisse Sonne) ktiälo,
Ehemann: £. (f Jzoitehä, 9 koitehä.
— 168 -
tj ist sehr viel seltener als dj, es geht, wie wir gesehen haben, vielfach in ?j über.
Seiner Entstehung nach ist es vielfach ähnlich wie einige andere Laute aufzufassen, (kj, ki ;
?j, di) wo ein nachfolgendes i (u) aus sich den Halbvocal i entwickelt.
Beispiele hierfür: Rohrstäbchen: Kr. 9 tlwä, hëtjlwâ, cT hëdzlwâ,
2: E. inati, Co. naati, Kr. (ï)nât(j)i,
Hinterteil: E. wa-hatiä, C. wa-ati, Co. oùaatidième, E. dio (wohl = heti-o), Kr. ihldjf,
9 E. i-hati, Kr. wä-hätju-äeble, (Kr. hatju = E. heti-o) dazu das oben angeführte Wort für
Sonne: tjühu (Kr.) E. tiü, etc.
Der dem französischen j entsprechende Laut kommt im Karaja ausser in den genannten
Verbindungen (tj, dj) kaum isoliert vor, eigentlich nur in den Stammesnamen Kr. Kra^jä
(Karaja) und Javahé (Fonseca, Ehrenreich), Javaê (Fonseca) Éavajé oder Savajé (Krause),
hier geht das j in ein z über, dieses wiederum in ein S (deutsches seh), sodass die wirklich
vorliegenden phonetischen Verhältnisse nicht ganz klar werden.
Ein z (resp. s) findet sich ausserdem nur noch in zwei Worten:
Gruss an Alle bei der Ankunft: E. taSS, tazë. Kr. daiäe, Co. Gruss beim Abschied:
taï'sé, bonjour: taï'sé araraïne,
Surrscheibe: (onomatopoetisch) Kr. (zl)-zadëké, was vielleicht in ziza-déké zu trennen
ist, wobei dëkë Baumwollfaden bedeuten kann (vgl. hadëke, FLschnetz aus Baumwollstrick).
Im Anschluss hieran wäre zu bemerken, dass ein dem deutschen j entsprechender
Laut iin Karaja nicht vorkommt, (was schon Ehrenreich hervorhebt) die Beispiele sind
allzu vereinzelt, als dass man ein j ansetzen dürfte (dagegen existiert der Halbvocal i,
s. 0. passim.)
s. Der einzige im Karaja selbständig existierende Palatallaut ist der Sibilant S, welcher
dem deutschen seh entspricht. Derselbe wird von den französischen Autoren mit ch wieder-
gegeben, zuweilen mit s. Hier liegt jedoch die Vermutung nahe, dass das s eine Wiedergabe
des J) sein soll, (s. o.) womit, wie wir sehen werden, das S zuweilen wechselt. Ein Beweis
dafür, dass ein wirkliches s im Karaja fehlt, ist die Aussprache des brasilianischen Wortes
für Salz, sa, welches die Indianer als sä aussprechen (vgl. Krause's Reisewerk S. lOL)
s, franz. ch. (s)
Wimpern: E. wa-ru§a, Co. ouarouché, C. ta-tou-serai, Kr. (wä)lnSe,
Nicht ganz deutlich sind alle Lautverhältnisse in dem Worte für den Bogen.
E. Suahëtë, Bogen für Zauberpfeile: sibate, C. assouatai, Co. outsi'até, Kr. Karaja:
waä(i)ühäte, Savajé: djühäde. Kiss. waSioté, cuahete^j, hier hat das i, wie wir das schon
öfters gefunden haben, wiederum den Halbvocal i entwickelt; die Reihe der Formen mag
etwa so miteinander zu combinieren sein: 'Süahete > »sühäte > •aiü(h)ajte > 'siöte.
Nebeneinander von s und &, (dialektisch?)
Nasenbär: Kr. tsüso, c>jü§6, daneben tjüz'o,
Oberarm: E. wa-an3ia, Co. ouachicon, C. wa-asio. Kr. öän§l6,
Gesicht: Co. naonsana. Kr. äsö^ne,
essen: E. rö§i, Kr. döaf, Co. rerochiqué (etc.) C. loosi (Sambioa,)
Bruder: C. wachi, Co. oua'si,
Niesen, ein onomatopoetisches Wort, unserem „Hätschle" entsprechend: E. hatiai, Kr.
cT äMz'u, 9 ädlzü, das in dem letzten Worte stehende z ist nur sehr vereinzelt zu treffen
und ohne selbständige Bedeutung im Karaja (s. o.).
ï
169
6. Liquida.
Im Karajâ existiert, wie auch in vielen anderen Sprachen Südamerika's nur eine
Liquida, welche zwischen r und 1 in der Mitte steht und durch einmaligen Zungenanschlag
an den vorderen Gaumen erzeugt wird. Es ist zweckmässig, diesen Laut mit 1 zu bezeichnen.
Ob daneben eine reine r- oder 1-Aussprache vorkommt, ist zweifelhaft. Zwar kommt zuweilen
einmal ein Wort vor, in denen ein r von allen Autoren geschrieben wird, in diesen "Worten
wird vermutlich der J-Laut dem r näher stehen.
Cber das sich bei Krause vielfach findende 1 lässt sich nicht mit Sicherheit urteilen,
da es dort sehr oft anstatt eines 3 bei Ehbenreich und & bei Kissenberth steht, welcher
Laut, wie wir oben gesehen haben, ja auch in r übergehen kann.
In mehreren Worten finden wir r, j und 1 nebeneinander, sogar bei demselben Autor.
weiss heisst in Zusammensetzungen nach Kr. üla, ùrâ, mit Methathesis lùâ,
Unterarm: E. wa-^eko-rito. Kr. däEjIdäe, auch düölüte,
Sand: C. kanara, Co. canoura, cao oura. Kr. kanùlâ oder kinolä, Kiss. anä°rä.
Schwund des j-Lautes, welcher jedoch nur selten eintritt.
Hinterhauptschmuck aus Federn: E. aheto, Kr. lahïdé, Kiss, rähojte.^,
Knfichelbànder : E. wararu, K. wajäü,
Tabakssamen : E. kotçatu, Kr. kötHätl;
Bei dem nächsten hier anzuführenden Beispiel ist der schwach articulierte (das eine-
mal gehörte, das andremal nicht gehörte) r-Laut vielleicht nur als ein Ausdruck eines
offenen a, also eines ä, aufzufassen. ,
Keule: E. hâte, kâte, meine Keule: kohâte, Kr. göhö(r)de. Kiss, ^h^te, kQhQtl,,
weitere Beispiele:
Buriti: (vgl. o.) E. atährt, Kr. (I)adsh6, lädehö», Kiss. àtehâ"o,
Ton, Erde: C. soru, souou, Kr. z'öQ.
Eine eigenartige Verstärkung durch 1 oder j hat das r in zwei Fällen erfahren, wo
jedoch dieüer verstärkende Laut zuweilen nicht gehört wurde.
Tonpuppe, welche Karajä darstellt: E. r(l)ikoko. Kr. j(j)ïkôk6, aber auch llhökü nimä,
und bei den Savajé nach Kr. jïk6h6;
Hufeisenförmiger Kopfputz, mit Federn verziert: E. r(l)urina.
Über den Ct>ergang des r in d, resp. 5 (und t) haben wir bereits oben gesprochen.
Beispiele: Erste Sichel des Mondes: E. ahandö roira, Kr. ähändujöftä; nach Kr. ist
löl = kommen und ta eventuell gleich ra, was nach E. ein Suffix des eingetretenen
Zustandes bedeutet;
Strohhut aus Palmblattstreifen oder auch das Material dazu: E. tää, Kiss, raä, laä,
Federhelm: Kr. I3ä.
Blitz: E. biu^ä^okä, Co. biouré lacanéri, biouté Béca, Kr. bin öasläka,
schlafen: E. rörö, rörui*!, rnrom. Kr. Jjoifdöjo.
Übergang des j in n. Derselbe ist durchaus erklärlich, da das 1 durch einmaligen
Zungenanschlag an den vorderen Gaumen erzeugt wird, das n durch Zungenanschlag an
einer etwas mehr nach den Alveolen zu gelegenen Stelle des Gaumens oder bereits an
den Zähnen selbst entsteht.
Beispiele: Antwort auf den Gruss an einen Einzelnen bei der Ankunft: E. deara. Kr. Jeänä,
— 170 —
Alte Frau: E. &eeran, Co. sainanctuc,
Thevetia: (Früchte) E. maranë, Kr. mäläni, (Südhorde), mänäni (Nordhorde), Kiss, môranî,
nichts, nicht: E. köre, kö, kon, kura in ahanöö ikura, der Mond ist nicht, Neumond,
Kr. Texte köne; für Neumond gibt Kr. ikönä, hier ist ein ganz vereinzeltes cerebrales n,
nach Meinhof mit n bezeichnet, im Wechsel mit 1 stehend. Das cerebrale ç ist sicher im
Karajâ kein selbständiger Laut, dagegen spricht schon sein ganz singuläres Vorkommen. Der
Laut selbst steht seiner Natur nach dem 1 sehr nahe, denn es wird durch einen Anschlag
der Zunge an den mittleren Gaumen erzeugt.
Sehr selten sind Übergange des r in h, w, resp. b und k, das letztere ist sicher eine
dialektische Verschiedenheit zwischen Männer- und Frauensprache.
r— h.
Kinn: C. wadjou-outai, Co. ouaöou outie, Kr. cf ?jùrûte, 9 Sjühate, E. 9 Sehuta; auch
hier wird eine Differenz zwischen Männer- und Frauensprache vorliegen,
1-w, (b,)
Zauberarzt: E. kahotebädo, Kr. käuöüwaü^ii, kâudïjë^o,
r— k.
Mädchen: Kr. cf üälili, 9 üäkili,
7. Spirans.
Die einzige wirkliche Spirans im Karajâ ist das h, es wird in vielen Worten von allen
Autoren gleichermassen angegeben, in anderen Worten ist es zuweilen gehört worden,
zuweilen nioiit. Dies ist auch bei Worten ein und desselben Autore der Fall. Besonders leicht
schwindet das h im Anlaut; (s. über diesen,) es ist überhaupt ein wenig stark articulierter
Laut, was auch sein Übergehen in w (den Halbvocal u) beweist.
Beispiele^ in denen das h im Inlaut schwindet: Backen: Kr. w(ö)ä{h)6,
Ohr: C. wena outai, Co. noon'ti. Kr. nööti, wänühöti, 9 nöhödi, wänühötf, dazu Ohr-
läppchen: E. wa-noho-tä, 9 tohontä, Kr. nàt<é, mit Contraktion;
Buriti : (s. o.) Kr. aôëhô" , Kiss, tehô, E. atäho, Co. été'on,
Rauchsäule vom Campbrand: E. uöö. Kr. wüoho,
Wurfbrettpfeil: E. kâura. Kr. köhüla,
Keule : E. hâte, kâte, C. cooati, K. gohô(r)<»e. Kiss, cf Qhote, ahoté, 9 kohQté^.
Ausser dem h existiert keine Spirans im Karajâ, auch kein s, wie wir gesehen haben,
aber auch kein % (oder %'), das vereinzelte Beispiel bei Ehreneeich, i;eorä, das Wort für
bitter, mag (verständlicher Weise) ein etwas schärfer articuliertes h in sich enthalten,
ebenso das singulare kot1î(A:), Schildkröte, bei Kissenberth, welches schon nach seiner
Schreibung ein zuweilen nicht gehörtes % enthielt, und das bei den anderen Autoren einfach
kotu lautet.
Über den Anlaut.
Als die wichtigsten Konsonantenverbindungen im Anlaut hat schon Ehrenreich kr und
br festgestellt. Dem kr entspricht bei Krause kl und kl. Ferner ist zu bemerken, dass der
Name für Kayapö bei Krause als kläläii oder Wälähü verzeichnet ist, während Cunha
Mattos Gradaü, Castelnau Gradaho und Kissenberth gradahöu schreibt, also gr. für kl.
— 171 —
In einem Falle notiert Ehrexreich das Vorkommen eines einfachen k neben kr im
Anlaut, in der Phrase: beä-m-arion-k(r)e, ich will oder muss Wasser trinken. Krause gibt
für den Löflfelreiher das Wort (krjöläle an, hier wird also die Doppelconsonanz zuweilen
gehört, zuweilen fallt sie fort.
Dass kr sehr wohl ein Contraktionsprodukt darstellen kann, legen die folgende Fälle
nahe, wo ein u, resp. ein a geschwunden ist. Den Namen eines Karajâ gibt Krause als
kinmäje an, derselbe Name wird von. ihm an anderer Stelle als körümäre genannt, ebenso
bei KlSSENBERTH.
Das Wort für Affe, kraobi bei Ehrenreich, bei Castelnau craobi, Krause k|âôbi, gibt
Ehresbeich auch als k(a)raâbi wieder, was unmittelbar die Contraktion erkennen lässt, da
das im Klammem gesetzte a zuweilen gehört wurde, zuweilen nicht. Bei Krause finden
wir Krädjä neben Käräja.
Die zweite häufige Konsonantenverbindung im Anlaut, br (bei Ehrenreich) findet sich
bei Krause als bl geschrieben. Auch die anlautende Doppelconsonanz mr in mrikotä, was
nach Ehrenreich der Name eines Fisches ist, wird hierher gehören, da, wie wir gesehen
haben, b und m im Karajâ öfters ineinander übergehen.
Auch hier làsst sich das br in einem Falle als Contraktionsprodukt (richtige Synkope)
nachweisen. Der Hirsch heisst nach Ehbenreich brarä, nach Kissenberth prajre, Ejiause
gibt dafür b(ö)löläe an, sodass auch hier die Contraktion unmittelbar wahrzunehmen ist.
Von dem Worte für Hirsch ist offenbar dasjenige für den Ochsen abgeleitet, bölölSni nach
Kbacse, broreni nach Kissenberth, das sich auch bei Castelnau als boronne, boroleni und bei
CoüDREAU als bororéné notiert findet. Die Ableitung geschieht mit einem Derivativsuffix, ni,
brarä, broreni, ebenso wie
ßlulä, Perlhalsband ) ^
lâlOlanf, Perlen ) ^^^^^'
ladäe, (Krause : Hundsfisch) lädenf , (Krause : bEdào) d. h. S'ateni (Kissenberth).
In den Worten für Hirsch und Ochse ist also das b und das r unter Ausdrängung
eines o syncopiert worden.
Ausser den von Ehrenreich constatierten Doppelconsonanzen finden wir bei Krause
noch einige weitere.
1) bd. In den notierten Fallen ist jedesmal die Syncope unmittelbar evident, und zwar
ist immer ein ë ausgedrängt worden. „Sich setzen" heisst bei Ehrenreich bedai, bei Krause
b(ë)dani, „Setz' Dich hierher" heisst nach demselben: b(ë)dlrôb(ë)dù''. Das Wort für den
Pirarucü(-fisch) führt Ojüdreau als b«klolouque an, Ehrenreich als bedoSekä, Krause b(e)d5leke.
Das Pfeilrohr heisst bei Ehrenreich: betaurä, bei Kissenberth b§d(d)|,réj, bei Krause
b'döle und Castelnau gibt für Holz bederaeu, was offenbar hiennit zusammengehört.
2) dr in wadewa drä bei Krause (Anlaut?)
3) l(j) in l(j)ik6hö, Kjjifthö, bei Krause das Wort für Tonpuppe, für das Ehrenreich
r(l)ikoko hat. Hier kann es sich aber einfach um einen Übergangslaut, eine Verstärkung
oder etwa um einen aus dem i entstandenen Halbvocal i handeln.
4) mb in mbäü, Bogensehne bei Krause, E- mahäga.
5) nd in ndé = ja nach Krause; hierfür gibt Ehrenreich aber ende an. Hier ist also
ein Vocal im Anlaut fortgefallen, sodass n dessen Nasalierung darstellen könnte.
6) kj in kjä = ja. Krause, der dies Wort verzeichnet, gibt für dasselbe auch klâklë,
an, wozu Ehbenreich's kiaki und Kissenberth's gyâ, kjäma stimmt.
I. A. f. K. Bd. X.XIII. 23
— 172 —
7) Ik, nur in einem Texte bei Krause, wo Ikéjô steht, was mit „eu mattei, vamo
encostar, comer peixe" übersetzt wird;
Endlich finden sich in Ausrufen zur Bezeichnung von Bestürzung oder des Missfallens
Doppelconsonanten, die wohl mehr als Naturlaute zu deuten sind.
Bei Krause : Ausruf bei Bestürzung : kwe,
bei Missfallen: bw (w nähert sich im übrigen stark dem u; s.o.).
Dreifache Konsonanz ist nur in einem "Worte anzutreffen, in dem von Kbause notierten
nblölae, dem Namen der Grille. Da aber Parallelen hierzu völlig fehlen, so lässt sich nichts
weiter damit anfangen.
Wegfall von Konsonanten im Anlaut.
Bei manchen Worten der Karajäsprache fallen anlautende Vocale oder Konsonanten
zuweilen fort, zuweilen werden sie gehört. Besonders ist dies beim h der Fall, ein Hauch-
laut, der seiner Natur nach (auch im Inlaut) zu schwächerer Articulation und zum Ver-
schwinden neigt.
Beispiele: membrum muliebre: Kr. (h)Idu,
Jacü: Kr. (h)ädäna.
Weisse Frauenbastbinde : Kr. idëhâële, hïdëûle, Kiss. iSehyréj ide,huré,
Huhn: Kr. (h)anïé, (h)anïke, E. nikë, C. aneca, Co. anica,
Pacùfisch: E. ariwa, Co. ari'ua, Kr. (h)aliwâ,
Schlange: E. ämonSäda, Co. émanlala, C. amantala, Kr. (h)äümadadä„
Ein Pfeil mit eingekerbter Spitze: Kr. hadede,
Boot: Kr. häwo, Co. awo. Kiss, hawo,
weinen, schreien: Kr. hëblîî, daneben Iblü,
Gottesanbeterin : Kr. Ilöbiko, Kiss, hiröbiko., ^iröbikOj ;
Auch das k wurde in den folgenden Beispielen bisweilen nicht mitausgesprochen:
Der Deinige: E. (k)âhon, Bicote: (Fisch) Kr. (k)änä(n)dnja, Stimfedem; Kr. (k)odsulükü-
wadjîo, Wadenschmuck, Bänder: Kr. (k)ülauw6, (k)ndjäu.
Auf das Auftreten des k in der Frauensprache dort, wo dasselbe in der Männersprache
fehlt, werden wir in einem besonderen Zusammenhange zurückkommen, wo nicht nur die
Verhältnisse des Anlautes Berücksichtigung finden sollen.
Konsonantenverbindungen im Inlmit.
Zunächst finden wir eine Anzahl Nasallaute plus folgendem Konsonanten, vor b steht
m; dj, ds, tj und t§ sind einheitliche Laute, sodass man zweifeln könnte, ob beim Zusam-
menstoss dieser Laute mit einem (vorhergehenden) Nasal, wie z.B. in andziura, Mandioka
(bei Ehrenreich) wirklich eine Doppelkonsonanz entsteht.
1) kr. Nach Krause kommen folgende Beispiele in Betracht:
Eine Maske heisst jäkriri, eine andere (verwandte) jäkrin.
Dass wir auch hier die Kontraktion in Rechnung ziehen dürfen, beweisen folgende Fälle :
Zahl 5: Co. ouroucouré, Kr. ïrûkfirë tritt auch als Iluk(ï)lé, endlich als ïrikri auf.
Eine Maske: Kr. hauëkili + idjäz'o ergibt: auekndjäz'ö.
2) br.
Grosses Krokodil: E. kabröro, wobei jedoch das Wort, welches Co. gibt, cabararo und
Kr.'s käb(ö)löl6 wiederum Kontraktion an die Hand gibt.
— 173 —
weinen, schreien: Kr. hüblö, Iblö,
bl und d'k in
Augenbrauen: Kr. lû(b)lod'kë (rë) sirf.
3) Ij in l?ùljô", dem Zahlwort für 6, woneben dêndô" steht und in einem Eigennamen,
sïkïljé, beides nach Kr.
4) bj. Der Onkel heisst höläbjilu (Kr.)
5) k'l. Der Apostroph gibt an, dass hier ein Vocal ausgefallen ist. 15: üai ik'ledö (Kr.).
(5) kt. Eine Art Hinterkopffedem heisst nach E. usiktamarü, wobei indessen hinter
dem k die Silbenfuge sein könnte und k als (sogut wie) einziger Konsonant im Auslaut
stehen kann.
7) Mehrere r- Verbindungen, (nach Kr.)
rh. Honig: E. beSäwu, Kr. badCrhö",
Eine Maske: Kr. Irhäkö,
Eine andere Maske : E. jarene, einen Fisch darstellend, Ex. (I)djälhSnf, Kiss, jarehenë.
rk. Ringfest: Kr. änärkan,
rt. Genipapomatrize : Kr. bnltl.
In den Texten Krause's finden wir rb und rs im Inlaut : dérbùn, port, mattei, änärslhon,
agora eu quero pentear Voce, rb auch in bSr'bdnük (Wald), wo jedoch eine Synkope
angedeutet ist.
Hierzu auch Ik, nur in Texten bei Kr. vorkommend.
knolomälkä, varao na roça, lähädömälkä, Wespenhonigsuchen, ïwolkénë, sta magro, nào
tem mol, hrjëjkîhûn (= rk), vamo descansar.
8. tr. in îtrf, Häuptling (Kr.)
9. wj in Inwjf, Kopfl'ederband (Kr.), wobei jedoch das w den aus dem u entwickelten
Halbvocal y oder das j einen aus dem i entwickelten Halbvocal i darstellen kann.
Im Auslaut stehen in den Regel kurze Vocale, welche den Wortaccent tragen; nicht
als eigentlich auslautende Konsonanten sind die n (i"i) und m aufzufassen, welche wohl nur
die Nasalierung des vorhergehenden Vocales andeuten sollen. Von den übrigbleibenden
Konsonanten steht im Auslaut nur k (und Ik), nur ein Wort zeigt am Ende ein 1, Vogel-
pfeil = Kr. malöl, ein anderes ein à, Krebs: Kr. ködäSmäis, beides wahrscheinlich infolge
der Abfallen schwach articulierter Vocale.
In der Frauensprache treten, vrie wir sehen werden, vielfach k-Laute zu den einfachen
Vocalen der Mannersprache hinzu, aber auch die Männersprache zeigt k-Laute im Auslaut.
Beispiele: Messer: E. 9 naäk, d" mahau, Kiss. maüj.
rülpsen: Kr. 9 klähidijik, cT l'döe,
Bienenwabe: Kr. Savajé: dSmàlilTk,
Wald: Kr. bcr'bönük,
lügen: Kr. (im Streit:) mentira: älöidehek,
6686 mesmo: soofdëhëk,
Kürbispfeifo: Kr. wölawük,
Signaltrompete aus Bambus: Kr. ùhùhdk,
Eigenname eines Häuptlings: iflk, (Kr.)
Kr. Texte: hëlëdéhùnâlk, descaaso, vamo emborra. Das k am Ende wurde in einem
von Kr. notierten Falle bisweilen elidiert: hölidn!6(k), Milchstrasse.
Dass hier auch Elision von Vocalen vorkommt, lehren folgende Beispiele (bei Kr.)
— 174 —
Zeigefinger: 9 dâêbôd'k", cT däeböde, für $ ist wohl 'däSbödeke vorauszusetzen,
Rohbaumwolle: 9 asöntaek', dazu Faden: c? äez'ötäke.
Männer- und Frauensprache.
Die Unterschiede zwischen Männer- und Frauensprache hat als erster Ehkenbeich fes^
gestellt, und zwar kommen nach seinen wie nach Krause's Aufnahmen zunächst einige
Worte in diesen beiden Dialekten vor, welche voneinander völlig abweichen. Diese sind
jedoch nur in geringer Anzahl vorhanden und müssen auch hier, wo es sich um rein pho-
netische Dinge handelt, fortbleiben. Die phonetischen Unterschiede sind sehr viel häufiger,
was auch bereits Ehrenreich betont. „Die Sprache der Weiber scheint ältere, volltönendere
Formen bewahrt zu haben". Die Tochter nennt der Mann deB, die Frau deö. Dies von
Ehrenreich angeführte Beispiel besagt (nach den Ausführungen oben über den Vocalismus,
bes. des e) wenig und ist an sich für den von ihm aufgestellten Satz nicht beweiskraftig,
namentlich wird es durch die neueren Sprachaufnahmen nicht gestützt.
Die häufigste lautliche Veränderung ist das Auftreten eines k-Lautes in Frauendialekt,
wo derselbe im Männerdialekt fehlt. Hierfür haben Ehrenreich und Krause viele Beispiele
beigebracht. Die Frauensprache, welche durch die erhaltenen k-Laute volltönender wird, stellt
also, wie Ehrenreich mit Recht geschlossen hat, eine ältere Sprachform dar '). Keineswegs
etwa eine minderwertige, als welche sie die Herren der Schöpfung zu charakterisieren
pflegten, welche die Frauensprache nach Krause ïbinâlï, d. h. herzlich schlecht nannten.
Die Bewahrung einer altertümlicheren Sprachform bei den Frauen entspricht auch den
Verhältnissen, welche man bei vielen anderen Sprachen beobachtet hat: Die Frauen sind
es, welche die Sprache in ihrem Bestand zu erhalten suchen. Einen Beweis für die grössere
Ursprünglichkeit der Frauensprache ergibt die Tatsache, dass der Versuch, die Worte der
Männersprache aus denen der Frauensprache abzuleiten, überall unschwer gelingt, während
umgekehrt die Ableitung von Worten der Sprache der Frauen aus derjenigen der Männör
mancherlei Schwierigkeiten begegnet.
Dass es sich hier nicht um eine fremde Sprache handeln kann, welche die Frauen
sprächen, wie dies etwa auf den Antillen der Fall ist, wo die Männersprache Karaïbisch
und die Frauensprache Aruak war, ist von Krause auf S. 344 seines Reisewerkes hervor-
gehoben und begründet worden. Zwischen den Sprechweise der Männer und der Frauen
war auch bei den Aroaquis ein Unterschied, und zwar bei den gleichen Vocabeln -).
Wir wenden uns nunmehr einer eingehenderen Betrachtung der beiden in Frage kom-
menden Dialekte zu, indem wir zugleich auf die Veränderungen eingehen, welche einige
Worte der Männersprache durch den Ausfall von einem oder mehreren k-Lauten erfahren
haben. Zunächst gibt es eine geringe Anzahl von Worten, in denen das k in der Männer-,
wie in der Frauensprache in gleicher Weise steht. Der Wald heisst z.B. in beiden Dialekten
kôdilâ (Kr.).
In einem Falle fand sich auch das umgekehrte Verhältnis, dass k im Männerdialekt
stehen kann, wo es im Frauendialekt fehlt.
Das Mandiokareibholz heisst im Karajä: Kr. cT köläna oder ölänä. Bei dem nahe ver-
1) Beiträge, S. 9.
2) Martius, Beiträge, Bd I, S. 704.
— 175 —
wandten Dialekt der Savajé jedoch heisst dasselbe d' wölänakia, auch köläna wie im Karajâ,
im Frauendialekt jedoch koi^nâkïë, sodass, wie es scheint, hier im Savajé die altertüm-
lichen Verhältnisse besser bewahrt sind.
A) k im Anlaut beim Frauendialekt erhalten, im Männerdialekt ohne Spur zerstört.
Beispiele: Knabe: 9 Kr. ködädü, köz'ädü, cT ödädu, öz'Sdil, C. osado,
Stirn: O Kr. köjjd, wa-kâ(ù)lu, cf E. wa-oro, C. wa-aro, Co. oucouro (9?), Kr. ölü, ölo,
Gesiebt: Kr. 0 kasö.^ne, cT Ssôjnë,
Capivarazâhne : 9 Kr. kn(w)àe, Kr. cT haâe, aber auch küüä, (E.),
Steinchen im Sande: Kr. 9 ùnaukùlùtû, cf ùnaùlùtâ,
Rote Frauenbastbinde : Kr. 9 kämbü, ämblüöde, cf ambn(g)ôdâe,
Praeöx ari cT (E.) im Frauendialekt kari, und einige wenige andere.
B) 1. k im Inlaut steht im Frauendialekt, im Männerdialekt spurlos zei-stört.
Worte, die mit jïojë, klein, zusammenhangen:
Mädchen: Kr. cT wallftjë, 9 wällkiöle,
Sohn: E. cT wariorE, C. wadiaurai, Co. narioré, 9 E. warikorü,
Ehemann: E. 9 warikoretçbç „mem kleiner Alter".
Ehefrau: E. cf wariorr&ä,
Bruder: Kr. ö" inatjlUôjë,
Schwester: Kr. cT nadMîôjë,
Mutter: E. cf wariorC^ehai,
Klein: Kr. cf (r)lïo!ë, Kiss, rijrë^, 9 E. rikorë. Kiss. rik§iré„ Kr. lïkjîolé,
Fingernagel : 9 Kr. dCSikö, deàïkë, E. de§ikâ, d" Kr. (wa-)deSi6, deSiâe, E. desiä, Co.
ouadéchioù,
Otjerarm: 9 E. waaftSika, Kr. oanSîké, d" E. wa-aft&ia, Kr. öänSl6,
Lippenbart: 9 Kr. dîkôz'Irf, cf djiö-sirf,
Schulter: 9 Kr. aî?slkrtti, gekürzt äüJikÖt', E. wa-§ikotä, cf E. wasiotä, C. wansioié,?
wansiotf's
Grösserer Knabe: E. 9 ^koSiura, cf ^eoSiura,
Pfeifen: 9 ïkoz'f, cf jöz'f (Kr.) mit halbvocalisch gewordenem i.
Halskette aus blauweissUchen Früchten (nach Kissenberth „lacrimae Christi" genannt)
cf lälüladdke, 9 ïsrkùjadû, dazu Halskette aus Glasperlen: Kr. 9 (ï)âïka!â, 9 (ï)slùlâ, E. ièiura,
Regen: E. 9 biku, Kr. cf bid, E. bin, C. bi-ou, Co. biou.
Giftige Mandioka: 9 Kr. ändjlkola, cf ändjlüjä, E. andz'iula, C. odjou-oura;
wenn i-u-e zusammenstossen, wird das u leicht zum Halbvocal u.
Himmel: 9 E. bikuatékë, Kr. bikùëdéké, cT E. biuäteke. Kr. bl(w)ëdëkê,
Kniescheibe, richtiger Kniegelenk: E. 9 wa-wakub5. Kr. (wa) wäkübe, cf E. wä-waube,
Kr. (wa)waùbé,
Spindelscheibe aus weis.sem Stein: Kr. 9 mänäknla, cf maùlé,
Jaguar : E. 9 aA&okua, cf E. aA^auä, Kr. änlöae, ändöäe, C. avoai, Co. anolé. aûâokua
wird über 'an&oua zu aAdauä, weiter zu 'änSöäe.
Davon abgeleitet: Katze: 9 Kr. älrtkSi-nf, cf gähanl5S-ne, änz'ö5-nf, Co. anoloé'ni, denn
das i\ kann als Nasallaut einfach fortfallen, und 5 bei Ehrenreich wird häufig durch 1 bei
Kjiacse wiedergegeben, nf ist Derivativsuffix, (s. o.)
Wahrend in den letzten Beispielen au getrennt ausgesprochen wurden, finden wir auch
aîi als richtigen Diphthong in dem Worte für Ente, in der Frauensprache : Kr. hasdäkölM,
— 176 —
wo die Compositionsfuge vor dem Suffix ni anzusetzen ist. Castelnau's azoukoulé stimmt
damit überein. In der Männerspraclie heisst die Ente hëdâule, (Kr.) was wir uns aus
*tiâêdaûlo entstanden zu denken haben.
Backen: Kr. 9 wa(ä)ko, cf w(ö)ä(h)6,
Fluss: Kr. ? bäräku^, cf C. E. berô, Kr. bäro (Contraktion) Co. bérooco, was wahr-
scheinlich Frauendialekt ist.
Ellbogen: Kr. 9 däköho, cf t5ë(ë)h6,
Feuer: E. 9 hekautö, Kr. hâêkotï, cf E. heauto, C. eaoutou, Co. éoti, Kr. häöte,
Zuweilen tritt auch hier Contraktion des âô zu äü ein, so in 9 lâkôlïdâ, (Kr.) Unterarm,
auch dékolùtê, cf E. waSekoritÖ, Kr. dälidae, dëôlùte.
Ebenso kann ëô zu ë werden,
Ader: 9 Kr. wa-düköläti, cf wä-deläti, zuweilen kann eo auch erhalten bleiben.
Der 4. Finger heisst nach E. 9 wa-Sebö reko^ehä, cf wa-5ebÖ iheööedö,
Hoden: 9 Kr. z'ükii, cf wä-z'eu,
6 = Kr. lëkùlô", lekälolä,cr lëùljô", dëûdo", Co. leiouroma, was vielleicht zu lëkâjéla stimmt.
Stern: 9 Kr. däklnä, cf dälna, Co. taïnan, E. C. takina. (9?) ■
Auch in dem Aruak-Lehnwort für Mais finden wir ein k in der Frauensprache, hier
ist es jedoch sicherlich angewachsen, es stellt also eine Art analogische Ausgleichung dar.
cf E. mahi, Kr. mâï, Co. mai, 9 E. maki;
Handgelenkschmuck : Kr. 9 wöküdeSi, Kiss, cf wo-udêsi, (die Zwischenstufe darstellend),
endlich die Kontraktion : Kr. wödeöi,
essen: 9 E. rokusi, Kr. läküsi, wird zu cf Kr. döJi, E. röJi, und zwar über 'läüSf,
*rousi, was besonders durch Castelnau's loosi bestätigt wird.
Mittelfinger oder Zeigefinger: cf E. wa-&ebökü9edö, aus 9 E. wa-Sebö-koka5edö.
2. Kontraktionen in der Männersprache, hervorgerufen durch das Aufeinanderstossen
zweier gleichartiger oder ähnlicher (o— u) Vocale. Die durch das Zusammentreffen ungleich-
artiger Vocale bedingten Kontraktionen sind bereits oben behandelt worden.
Stossen zwei gleiche oder ähnliche Vocale durch "Wegfall eines k-Lautes zusammen,
so resultiert ihre Länge. Ein langer Vocal entsteht auch durch das Zusammentreffen eines
langen mit einem kurzen Vocal, (s. o.)
So ergibt:
9 Mattenwand: Kr. buküle, 9 bnle,
Rücken: 9 Kr. wä-z'öküni, 9 wä-z'öni,
Mädchen: 9 E. yadocoma, wozu Coudreau's iradocoman stimmt, wird über •yadooma
zu E. yadôma, Kr. yädomä, wobei es zweifelhaft bleibt, ob der (ungewöhnliche) Accent aut
der Contraktionssilbe ein Aequivalent für die Längung bedeutet.
Hierher gehört auch wohl das Wort für Boot, welches 9 E. auokö heisst, cf E. mit
Nasalierung aunö.
Fortfallen von ku (oder k») im Inlaut, (Männersprache) wo es in der Frauensprache steht.
schnarchen: 9 dëlo(ë)kutëké, (Kr.) cf dêlo(ë)tëké,
7: 9 Kr. dëbôkôlêkjulo", cf dëbôlëûlo,
4: 9ïmakùbïko (Kr.) cfïnambïo, E. inambio oder mit Metathesis: imaùbio, Co. inanoubioa,
(Gehirn: E. 9 irakunë, cf iraone,)
Wirbelsäule: E. 9 waSaukunë, cf waSaunë,
Handfläche: E. 9 waSebökube, cf wa^ebö-be.
- 177 —
Besonderheiteti.
Durch Metathesis hervorgei-ufen : Vollcuye, Behälter: Kr. 9 üläkü, cf *ùlaù > ùâlû,
ausserdem das Wort für Bauch: E. cT wahua, K. wäüwe, C. waawai, Co. ouaouaucamé,
was zu 9 Kr. wâubùkùnû zu stimmen scheint.
Auslaîit.
k ist der einzige Konsonant, der im Auslaut gedultet wird, u in ku ist schwach arti-
culiert wie im .Japanischen, wo fuku, roku wie fuk', rok' gesprochen werden ; k fallt dann
in der Männersprache des Karaja auch fort.
Ausfall eines ku, Kürzung des ku zu einem k', endlich Ausfall dieses letzteren im
absoluten Auslaut.
1) Ausfall.
Kniescheibe, richtiger Kniegelenk : 9 Kr. wäköwökü, E. ikohokù, cT wä-köw6, E. wa-kohö,
Sein Ohrloch: E. 9 tohoAtä uoku, (f tohofttä ua,
hierher gehört wohl auch Hängematte (Kleidungsstück): E. 9 riaku, cf rüo,
2) Kürzung.
Milchstrasse: 9 höirdnläkO, cf holîdùl6(k), also hier zuweilen völliger Ausfall des k-Lautes.
Haus: 9 E. hetöku. Kr. haetökä, (f Kr. haute, hâd6, E. heto, C. aeto, Co. ééto,
Kehle: E. bedauakü, cT beSauö,
Der Grabstock heisst nach Kr. cf mäü-le, hiermit ist nach demselben das Wort für
Messer, cf E- mahau, Kr. ma(h)â, C. maeu, maou, Co. maou, Kiss, maü, zu combinieren,
welches im Ç-dialekt E. mäk lautet, entstanden aus 'mäkü.
3) Kürzung und absoluter Fortfall:
Rohbaumwolle: 9 Kr. äsöntäek', cf SSsôtâe, Co. essondé.
Mittel- und Zeigefinger: 9 Kr. däüböd'kä, cf dabftdcäd^, 9 däEböd'k", cT däböde, wo
ausserdem eine Syncope eingetreten ist.
Ana fall mehrerer k-Luute der Frauensprache in der Sprache der Männer:
9: 9 Kr. îmakobïké, C. (cf) naoubio,
urinieren : Kr. 9 kalîdfkân, cf E. ari^uirt,. Kiss, aritükre, ich will u., wobei zwischen
u und i Metathesis eingetreten ist.
defeecieren: 9 Kr. kälTküfkün, E. kari-ko-kr5, cf E. ari-ku-iù (1. Sg.) ari-ku-kr5,
endlich rülpsen: 9 Kr. klähTdöTk, cf l'dö^, welches etwa aus •la''id(5è, femer *ledöe ent-
standen sein mag.
In einigen wenigen Worten finden wir in der Frauensprache ein k, in der Männer-
sprache ein r.
Knabe oder Mädchen: 9 Kr. üäCkflf, cj" ùapjïlt,
Junggeselle: E. 9 ukereba, cf ireriba, wereriba, das letztere vielleicht aus *wa-ireriba,
Brustwarze des Mannes: 9 wä-bolekötf, (Kr.) wa blüürötf, mit Metathesis,
Nase: Kr. 9 dä^äkd, E. cf wa-dearo.
Ausser diesen vielseitigen Veränderungen, welche der Männerdialekt durch den Ausfall
und die Veränderug von k-Lauten ei-föhrt, sind noch die folgenden zu registrieren, auf
welche Ehbbsreich bereits die Aufmerksamkeit gelenkt hat.
1) dz und & cf kann in t 9 übergehen. Zuweilen finden wir statt des t ein k. Diese
beiden Laute können miteinander wechseln, (s. o.)
— 178 —
Beispiele: Zahn: cT E. wa-idzu, K. djüü, wä-tjd, C. adjou, Co. ouadiou, 9 E. tùù, Kr.
djüö, tjüa, Kiss. JÖU3,
Ehemann: cf E. dzoitehä, 9 koitehä,
Oberiippe: d" Kr. wa-ïtjôsïli, 9 diköz'lri,
Podex: cf Kr. Ihldji, 9 E. ihati,
gehen: cf Kr. dj-öi-(i)tä; 9 iköira.
2) b im Männerdialekt erscheint als h im Frauendialekt, indessen nur in einem einzigen
Beispiel bei Ehrenreich: mein Grossvater heisst cf waâabë, 9 waSahS {10 und h?).
3) Im Männerdialekt wird die Aspirata & des Frauendialektes zur einfachen Spirans h,
was ja auch leicht verständlich ist,
I nachfragen, suchen: E. cf anhebeSä iahrê, Q aSoiibohä,
Nacken: E. cf wa-âautë, 9 ihaute.
Die unter 2 und 3 angeführten Beispiele sind jedoch, wie es scheint, von keiner allge-
meineren Bedeutung, hier muss, ebenso wie auch für manches andere, erst noch weiteres
Material abgewartet werden.
Die Vocale des Karaja:
ANHANG 1.
a
e â
Die Konsonanten:
Velares
Palatales
Cerebrales
Alveolares
Alveolares mit
Rauschlaut
Dentales
Bilabiales
e u
i u
Explosivae
Fricativae
stimmlose stimmhafte
13
<D
CS
^ Sc
ci
o
'^ CS
SîË
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2. CO
CO
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d
n
S
(ZI
1»
s
b
m
W (U)
Hauchlaut h.
— 179 —
In dieser nach Meinhof aufgestellten Tabelle der Konsonanten finden sich meist andere
Bezeichnungen als die oben gebrauchten. So für Gutturale Velare, für Dentale Alveolare
und Dentale, für Labiale Bilabiale, u. s. w., ausserdem wird der Lautbestand durch die hier
erfolgte Einteilung in Explosivae, Fricativae, Nasales und Semivocales und ihre Unterabtei-
lungen schärfer characterisiert, sodass man bei genauerer phonetischer Beobachtung und
Beschreibung auf das MEiNHOF'sche Schema wird zurückgehen müssen, während zur unge-
fähren Charakterisierung der Laute die traditionellen Bezeichnungen genügten.
ANHANG n.
Wörterliste, Portugiesisch Karajâ ')•
Vocabulario da tribu Carajâ, habitante do Rio Araguaia na provincia de Goiaz. Eduardo
Arthur Sokrates. Revista trimensal do Jnstituto historico e Geographico Brazileiro. Rio de
Janeiro, Tomo LV, 1893, S. 87—90.
A.
B.
avô
üla bië
avö
ùlâ-rê
arco
ûaxinaté
anta
conn
arruz
mainximüm
abobora
tocaerà
annel
ùômatêdebô
alavanca
mùrûré
amanhan
güenäü
agua
bêê
assontar
bônàn
aqui
caqui
aperto de mào
baùritini
arära
bi^ècd
aguardente
iùêrôdiubreré
amigo
ùâ-ré-bone
anus
eti
arraial
aùa-irioré
brace
axiô
burro
tonhontêcàn
banana
diatâ
batata doce
catérûtê
bijii
ibôbcé
S. 87.
boca
rê-hê
barro
sôô
bigode
sôcôceré
barba
diùtêterê
brinco
son-ontê
boi
bôrôrêne
bezorro
, -irioré
biscouto
qùerô-tio
bengala
dôredêlê
bater
iè-taine
bonito
aûêtê
bom
de
bebès
rei-ôn
barriga
ûâe-hê
buraco nazal
dêêrê-nhô
bahü
con6-rôdêdêcàn
. copo
bùnomôna
capitào
iolô
Christào
taùri
cobra
emanlalâ,
cascavel
emanlalâ-inêrôdê
cotia
acùri
cavallo
cavarà
i) Die von Soc. in Klammern gesetzten Fragezeichen ergeben sich nach dem jetzt bekannten Material
aU überfla*sig.
I. A. f. E. Bd. XXIII. 24
- 180 -
S. 88.
cesto para condûzir criança ùêriri
„ „ „ ùtensilios berrirâ
cordào que cingem ao pescoço rêrutê
carno inodôdé
cabello raâté
chapeo raâ
circumferencia facial olomànrindé
cama
erinâ
céo
biÛ
cabeça
raâ
chapeo de sol
dôredête-déù
caçar
andocé
copùlar
arâù-êne
cortar
mâê
cortar cabello
rêra-crô
coité
ùaâlo
compadre
uacàn
chorar
rûinân-râ
cavar
aracêranân
cozinhar
man-éra
calôr
bdê-totiqùé
chuvas
bid (céo)
cheirar
tanan-rêtê
canôa
an-nhc3
cotovelho
dâe-ohâ
côxa
irôti
costas
brotê
calcanhar
uarâùrecô
cinco
irûqùêré
como chama-se?
moine ?
cazar
sôuira
comida
birôci
copim
daê
cicada
auâ-ancàn
café
iùérô
caza
rènanàn
D. dinheiro
intadinâ
defunto
rôbô
dormir
rôn-rôn
dia
tinarâreari
diabo
iêèrêrê
decs
qùinanxiûe
dénie
diù-hû
dois
doente
dança
E. espingarda
estrella
espelho
ema
enxada
enxergar
espéra a hi
evacuar
eu quëro
escrever
espoleta
F. flexa
flexa pequena
feijào
fogo
fumo
faca
formiga
feio
foice
fumar
febre
frio
farinha
fedêr
furtar
fome
G. genipapo
gaUinha
gallo
guerreiro
gravata
gente branca
H. homem
hoje
I. irmào
inhame
nadi
bénâ
ixé
mancaûà
daqùinàn
essideqûé
cucêêné
bûrâré
berebedicàn
siocré
anricüqüe
edeaû-anraorecrê
re-rôtenàn
mancaùâ-nonhonte
ûêrrê
ûerrê-iriôré
comàntâ
eotê
cooté
maoê
colûbâre
ebênâne
maêrùbû
catinôeuribô
adiûràn
guêêû
guinandé
irori
rauâcênàn
remàn,
bednà
aniqué
„ -abÖ
andiiironàn
bêtolôbê
itatqûêurâ
aabû
uidé
naderioré
tocaerâ-to
181
indio
dé-anràn
orelha
nanhonté
igreja
aèbô
cite
ourinar
inaton-rêûrô (?)
anrizô
J.
Jacare
cabrorô S. 89.
Jatoba
quènâ
P.
periquito
biri
Jaboti
cotôbenàn
paca
pedra
adiü
mânà
1.
lua
Ûâ
pâo
cooté
laranja
bderatê
panella
oatiioré (?)
lavantar
bèxixâ
papagaio
doré
longe
iriètéè
peixe
quètôrâ
lagôa
anrô
pario
reo
to
qoênâu
pote
pema
berû-êua
rôtê
1.
mulher cazada
ulâdôcé
pé
dêê
„ solteira
idiadôma
pescoço
lotè
moça
aüqui
pestana
ruxé
màe
nadè
patrona
cotrana
menino
Uadô
perdiz
moerdô
macaco
crêobê
porco
ixàn-nê [Sufi&x ni!]
Diào
daebô
porco do mato
ixan
mandiooa brava
andiôra
perto
iôtê
p mansa
iré
milbo
ma-hi
(P.)
pequeno
iriquitieté-irioré
mangaba
erùri
peito
oé-ia
morr^'o
rôrôra
pûlso
dueco-rûtaê
machado
üömä
pegar
beiman
mingàfl
iûêro
pintar
rêdê-que
matar
rêrêbiina
polvora
maucauà-dé
membro genital
do hörnern oanôn
•
pato
ahè-cancoré
» »
da mulher daè-hê
penna
têê
manga
autôbûreni
manhan
rûetéa
Q
quatre
imàn-biâûa
morro
aûàlô
missinga
siûra
B.
rêde
riê
möito
sonêtè
roupa
rir
taquê
dûtiû-enân
N.
nariz
dêérê
rio
beêrô
noite
rù-hu
, araguaia
„ riori(== kleiner
negro
adeodô
roça
coûri [Fluss)
nadegas
éti
nove
rêrêra
S.
sol
tiü-hü
nào
daari
supercilio
siucuri
ruxé
lê-hê (?)
0.
olho
rué
sapato
öa-ha
—
182
—
T.
tatu
tacape
tezouro
0-hân
cootè
ocrécinâ
urubu
um
ra-râ
so-ôdi
S.
90.
T.
vamos
■joira
trabalhar
aumancândecàn
veado
budoé
terra
sônô
vara
bôrôrene auquê
tanga
labêce
vela
andiOrôna
trazer
bêdenê
venho
qûê-rê
trovào
biu-mantchi
va corner
roxime-ma-ha
testa
o-ràn
viajar
diôira
trez
na-tâu
Z.
zangado.
raebûré-fian tirer
U.
unha
dêxiê
UEBER DEN TANZ IM MALAIISCHEN ARCHIPEL
VON
Dr. G. J. NIEUWENHUIS (Deventer— Holland).
EINLEITUNG.
Die Geschichte der Ethnographie zeigt uns, wie das Interesse der ersten Ethnographen
nur in denjenigen Gebieten lag, die in Beziehung standen zu dem praktischen Zwecke,
mit dem sie ihre Reisen anfingen, und wo dieser — wie bei den berühmten Weltreisen —
nur fast kartographisch war, sich hauptsächlich bewegte in der Sphäre des Bizarren, des
Sensationellen, des von europäischen Sitten weit Abweichenden. So haben die ersten Mis-
sionäre wertvolle Beobachtungen Qljer religiöse Vorstellungen gemacht, die Kolonisten und
Handeltreibenden Mitteilungen über primitives Wirtschaftsleben gegeben, während die Jour-
nale der ersten wissenschaftlichen und politisch-commerziellen Weltreisen von Kannibalismus,
imponierenden Zeremonien und „törichten" Sitten reden.
Dass auch die primitiven Völker ihr Schönheitsverlangen in Formen zu giessen wissen,
die die verwöhnten West-Europäer der späteren Zeiten befriedigen können, haben die alten
Ethnographen nie geahnt.
Die Ueschichto der Ethnologie zeigt eine parallele Erscheinung. Religiöse Anschauungen,
Ehe- und Wirtschaftsformen haben nacheinander die Probleme gebildet, womit man sich in
Fachkreisen — oft mit einer bis zur Manie steigenden Liebe — beschäftigte. Erst zuletzt"
taucht die Idee wieder auf, zu untersuchen, wie die Naturvölker sich der Kunst gegenüber
verhalten.
Es ist der Verdienst Ehnst Grosse's, in seiner Arbeit, , Anfange der Kunst" (1894)
zum ersten Male die aesthetischen Probleme tiefer wurzeln zu lassen als in der antiken
Welt, und die Kunstäusserungen der Naturvölker für aesthetische Studien angewendet zu
zu haben. Breiter, und tiefer als Gbosse hat Ybno Hik\ in seinem Werke „Origins of Art"
die Ursachen des ersten Kunstschaflfens erforscht und seine Beispiele den Naturvölkern
entnommen.
Beide gehen in ihren Betrachtungen über das ganze Gebiet der Kunst, behandeln
sowohl die bildenden, als die musischen Künste.
Dass innerhalb des Kunstgebietes das Interesse der .Ethnologen erst hauptsächlich die
dekorative Kunst, dann die Musik, und bis jetzt noch kaum den Tanz (als aesthetische
Erscheinung) umfasste, ist teilweise auf technische Momente zurückzuführen, teilweise auf
mangelhafte musikalische Vorbildung und geringes Interesse der Ethnologen. Sind ethnolo-
gische Studien über dekorative Kunst in den letzten Jahren ziemlich zahlreich, über primi-
tive Musik ist viel weniger geschrieben worden, und die ethnologischen Arbeiten über den
— 184 —
Tanz beschränken sich — so viel ich weiss — nur auf Abschnitte in grösseren Werken
(Grosse, Hirn, Grove, Wallaschek, Stoll, Wundt) und auf einige unbedeutende kleinere
Aufsätze (Hellwald, Vane). Ueber den Tanz der Australier, der Indianer oder Papua
in bestimmten Gebieten sind vorzügliche Arbeiten geschrieben worden, doch sind sie alle
rein-ethnographischer Art. Eine umfassende, eingehende, vergleichende Arbeit über den
Tanz, von ethnologischem Standpunkt aus, fehlt noch vollkommen. Eine solche zu geben
wäre eine schöne Aufgabe, welche aber enorme Vorstudien auf ethnologischem, psycholo-
gischem und Musik-aesthetischem Gebiete fordert, nebst der Bearbeitung des ethnographi-
schen Materials, das merkwürdigerweise ebenso reich ist, als das ethnologische arm. Denn
der Tanz hat — nicht als aesthetisches Problem, sondern als religiöse oder soziale Erschei-
nung — oft auch als Kuriosum — schon früh die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich
gezogen, wodurch eine ethnographische Literatur entstanden ist von fast unabsehbarem
Umfang.
Leider verliert man hier in der Tiefe, was man in der Breite gewinnt, und kann man
nur mit der grössten Sorgfalt die Angaben über Tänze benutzen ohne falsche Folgerungen
zu ziehen. Es liegt hier eine der wichtigsten Aufgaben vor, mit dem Studium des Tanzes
verknüpft, nämlich eine scharfe Kritik der benutzten Quellen.
Jeder, der sich mit Naturvölkern beschäftigte, weiss von welcher grossen Bedeutung
der Tanz in ihrem Leben ist.
Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass im kleinen Kreise des primitiven Lebens
der Tanz das gemeinsame Zentrum ist, wo die Sektoren Religion, Krieg, Kunst und Erotik
einander treffen.
Man hat gesagt, dass nach Sonnenuntergang ganz Afrika tanzt. Ein Blick in die
Literatur der Indianer, der Australier und Südsee-Bewohner zeigt uns, dass auch bei diesen
Naturvölkern der Tanz eine ebenso grosse Rolle spielt. Wer also einer so wichtigen Erschei-
nung, von so grosser Bedeutung und allgemeiner Frequenz seine Aufmerksamkeit schenken
will, der muss sich entweder mit einer oberflächlichen Uebersicht begnügen, wie Wallaschek
und viele anderen dies getan haben, oder er muss sich ein bestimmtes, geographisch oder
ethnisch begrenztes Gebiet wählen, sich hier das Material sammeln und klassifizieren. Wie
der Sprachforscher ist der Forscher der musischen primitiven Künste in wesentlichem
Nachteil gegenüber den anderen Ethnologen. Ueber Sklaverei, über Eheformen, kann man eine
Arbeit schreiben, die mehrere Weltteile umfassen kann, ohne oberflächlich oder unwahr zu
werden. Die musischen und sprachlichen Aeusserungen der Völker sind zu schwankend,
zu individuell, zu schwierig greifbar, als dass man sie generalisierend umfassen könnte, ohne
grobe Fehler zu machen.
Vielleicht wäre es möglich, nach vielen gewissenhaften Untersuchungen der verschie-
denen primitiven Völker und ihrer Tänze eine allgemeine Arbeit anzufangen. Jedenfalls
sind wir jetzt noch lange nicht so weit, und diejenigen, die das vergassen, sind alle nicht
viel über Banalitäten und Unwahrheiten hinaus gekommen.
Was wir vorläufig brauchen,, sind ethnologisch-ethnographische Studien, die den Tanz
in einzelnen Gebieten untersuchen, und mehr als die bisher geschriebenen das aesthetische
Element betrachten. In diesem Sinne dann auch hatte ich mir — als ich vor drei Jahren
meine Arbeit anfing — gedacht, das Gebiet des malaiischen Archipels zu behandeln. Aber
auch hier war das Wollen grösser als das Können. Schon im Anfang meiner Studien
wurde mir klar, dass eine einigermassen gründhche Behandlung des Tanzes in Indonesien
— 185 —
nicht möglich sei ohne die benachbarten Gebiete, die ethnisch oder kulturell in engem
Zusammenhang zum Archipel stehen, mit zu betrachten. Das ergäbe eine Arbeit, die
das ganze Gebiet von Formosa bis Australien, von Polynesien bis Süd-Indien umfassen
würde. Weiter sah ich, dass für die Untersuchung der aesthetisch-musikalischen und
psychologischen Seite des Problems das Material ungenügend war, und jedenfalls sowie so
nur persönliche Beobachtungen Resultate geben könnten.
Endlich zeigte sich, dass auch das ethnographische Material über Indonesien zu gross
war, am im ganzen verwendet werden zu können.
Ich habe mich deshalb nach drei Richtungen beschränken müssen :
1". Habe ich die benachbarten Gebiete fast ganz aus meiner Betrachtung ausgeschaltet,
und nur den niederländischen Teil des malaiischen Archipels behandelt. Eine Ausnahme
bilden Grenzgebiete in Borneo und Neu Guinea, und die Inseln der Torres-Strasse, die
ich wegen Haddons vorzüglicher Arbeit mit in Betrachtung gezogen habe.
2". Konnte ich nur einen Teil des gesammten Materials über Niederlàndisch-Indien ver-
arbeiten.
Die Zahl der Reisebeschreibungen, die Berichte von Beamten und Missionären, die
alle wertvolle Bemerkungen enthalten können, ist sehr gross, obwohl ich leider noch
eine grössere Zahl von Werken vorfand, die das langweilige Durchlesen nicht mit
einer einzigen Bemerkung belohnten.
S'. Habe ich von den vielen ethnologischen Problemen, die mit dem Tanze verknüpft sind,
nor zwei behandelt und, weil es sich hier um eine Probe eigener wissenschaftlichen
Arbeit handelt, mehr methodisch als angenehm. Die Aufzählung und Nummerierung der
vielen Beispiele würden das Lesen einer grösseren Arbeit, die alle Probleme überblickt,
ungeniessbar machen.
Die beiden behandelten Probleme „der Anteil der Geschlechter am Tanz" und „Der
Gtefechtstanz" habe ich deshalb gewählt, weil über das erste viel oberflächliches und über
das letzte überhaupt sehr wenig gesagt worden ist. Ueber das Verhältnis des Tanzes zu
Erotik, Totemismus, Mànnerbûnde, wofür auch in Indonesien manches Beispiel anzuführen
ist, sind für andere Gebiete wenigstens mehrere Arbeiten geschrieben worden. In einer
grossen Arbeit sollten alle diese Probleme, wie sie sich im malaiischen Archipel vortun, ein-
gehend durchforscht werden, wie auch das Auftreten vom Mimus, das Problem vom Ursprung
des Rhythmus und die vielen anderen aesthetischen Probleme, die im nächsten Abschnitt
„Kritik der Quellen" angedeutet werden.
KRITIK DER QUELLEN.
Das Durchlesen der ethnographischen Literatur eines Gebietes zum Zwecke, — bes-
ser gesagt mit der Hoffnung —, neue Perspektiven in aesthetischen Problemen zu finden,
ist keine dankbare Arbeit; denn, dass es überhaupt .solche Probleme gibt, haben die meisten
Reisenden nicht geahnt, und die es wussten, hatten meistens nicht die Talente und die
Vorbildung, um auf diesem Gebiete wertvolle Beobachtungen machen zu können.
Das Tanzen ist, wenn man die Reisebeschroibungen aus verschiedenen Zeiten verfolgt,
nacheinander betrachtet worden als Kuriosum, als soziale und religiöse Erscheinung, und
— 186 —
erst seit kurzem als aesthetische Tätigkeit, deren Analyse Einsicht verschaffen kann in
die Entstehungsgeschichte der Kunst.
Vergleicht man den Gesichtswinkel, unter welchem die verschiedenen Reisenden den
Tanz betrachten, so lassen sich die folgenden Kategorien unterscheiden:
1. Diejenigen, die auf gar nichts achten und nur nebenbei erwähnen, dass dann und
wann getanzt wurde.
Unter diese Kategorie fallen auch Autoren wie Riedel, die nur sagen, dass an diesen
und jenen Orten das Tanzen sehr beliebt ist, und dass man die und die Tänze kennt (es
folgt dann eine lange Liste einheimischer Namen mit äusserst unvollständiger Beschreibung).
2. Diejenigen, die vielleicht gute Beobachter sein würden, wenn ihre Seele nicht
erfüllt wäre von anderen Dingen, die sie mehr interessieren. In Berichten der Missionäre
liest man oft Mitteilungen von dieser Art. So erzählt van Mutlwyk (P. U. Z. 1913) von
einem Totenfest auf Neu-Guinea, gibt ganz gute Beobachtungen, aber redet dazwischen
von einer Zänkerei zwischen zwei Frauen und einem Manne, die er zu versöhnen ver-
suchte. Hier vertreibt der Missionär den Ethnographen.
- Schlimmer sind die Ethnographica-Jäger, die wie Jacobsen von Insel zu Insel springen
und den Erfolg ihrer Reise an der Zahl der mitgebrachten Kisten abmessen. Wenn keine
Masken oder sonstigen Tanzattribute da sind, ist der Tanz die Zeit des Betrachtens über-
haupt nicht wert.
Der Omithologe Pkatt war „Two years among New-Guinea cannibals" und weiss nur
von zwei Tänzen zu erzählen, wobei ihn am meisten die Art der Federn im Kopfschmuck
der Tänzer interessierte. Von einem Frauentanz auf Frauen hat er eine Photographie auf-
genommen, die „durch die wilden Bewegungen" etwas unklar ist. Der schlechten Photo-
graphie nach, scheint die ganze Natur mitgetanzt zu haben.
Dass Reisende, die zu geographisch-geologischen oder rein sportlichen Zwecken in kurzen
Zeiten grosse Distanzen zurücklegten, wenig wertvolle ethnographische Beobachtungen
machen konnten, ist selbstverständlich. Ihren Bemerkungen kann man dann auch oft keine
grosse Bedeutung beilegen, und wenn sie dann noch allgemeine Schlüsse ziehen, muss man
diese mit grosser Vorsicht aufnehmen.
Von Brenner war total 5 "Wochen in Central-Sumatra, hat sehr -wahrscheinlich nicht
den Tanz als ethnologische Erscheinung speziell studiert, sagt aber doch: „Es zeigt sich
selbst auf diesem Gebiete, dass die Batak in der Kultur bereits einen weiten Weg zurück-
gelegt haben, indem die Männertänze allein, wie sie ursprünglich allen Völkern eigen
waren, bei ihnen nicht mehr bestehen; denn Männer und Frauen nahmen an der Unter-
haltung teil, die allerdings, wenn beide Geschlechter zugleich auftraten, einen erotischen
Charakter annahm".
Woher weiss von Brenner, dass ursprünglich allein Männertänze vorkamen?
Im zweiten Kapitel werden wir sehen, wie äusserst schwierig es ist, auch nur für ein
Gebiet eine allgemeine Theorie festzustellen.
Und beweist die Tatsache, dass er eines schönen Tages Männer und Frauen tanzen
sah, etwas gegen die Existenz von Männertänzen bei den Batak? Ist es weiter befremdend,
dass „selbst" auf dem Gebiete der Kunst ein Volk seine Kulturfortschritte zeigen kann?
Was meint er endlich mit dem erotischen Charakter des Tanzes? Besser keine Beschreibung
als so eine.
Von einer anderen Gegend sagt von Brenner: „die choreographischen Leistungen
— 187 —
mussten im ganzen freilich als schwach bezeichnet werden ; dagegen zeigen die Batak bei
den pantomimischen Spielen viel Talent". Wie unterscheidet von B. Tänze und pantomi-
mische Spiele? Wenn man das rhythmische Element nicht betrachtet, ist es überhaupt
schwer, Unterschiede zu machen. Gerade eine bessere Terminologie wäre auf diesem Gebiete
der Kunst unbedingt notwendig.
Von Roskxbero sagt von Nias: „Becken, Trommeln und Tambourins sind die Musik-
instrumente, deren man sich bedient. Sie werden von jedem ohne allen Rhythmus ad libitum
bearbeitet". Wer die immer wiederkehrende Bewunderung für den rhythmischen Sinn der
Naturvölker aus der Literatur kennt, kann ohne Gefahr sagen, dass der Fehler hier beim
Beobachter lag. Es wird ihm dann sogleich verständlich, warum von Rosenberg auf Engano
nur Frauentânze sah. „Tänze werden stets im Freien und nur durch Frauen ausgeführt".
Weder bei einem Gesangsreigen von Frauen und Männern, den er erwähnt, noch bei einem
Waffentanz von Jünglingen, nennt er Musik und Rhythmus, so dass er diese nicht als
Tanze betrachtet. Hier ist mangelhafte Beobachtung Ursache einer falschen allgemeinen
Bemerkung.
Dr. Bleekbr, der mit dem General-Gouverneur eine Studienreise durch den östlichen
Archipel machte, weiss in zwei Teilen nur zu sagen: „ überall dieselben Feste, nur
Verschiedenheit von Gesangsmelodien, von Kleidung, Bewaffnung, von Kampfspielen und
Tanzen" Hier ist offenbar geringes Interesse Ursache der mangelhaften Beschreibung.
3. Eine dritte Gruppe von Autoren umfasst diejenigen, die dem Tanz ihre Aufmerk-
samkeit schenkten, aber nur aus literarisch-linguistischen, rein-ethnographischen oder sozio-
logischen Gründen. Den Tanz als Problem an sich betrachten sie nicht, Details in dieser
Richtung übersehen sie. Und es sind gerade die besten Konner der Volkssitten und Sprachen,
die auf diesem Gebiete uns so wenig befriedigen.
Dr. MATTHS3 beschreibt in seiner „Ethnologie von Süd-Celebes" verschiedene Feste,
bei Heirat, Beschneidung und so weiter, nennt aber nicht einmal einen Tanz, obwohl er
sagt: „Die Tanzkunst wird mit mehr Liebe gepflegt". In seiner Monographie über die
Bii>suh's (Priester) gibt er eine minutiöse Beschreibung aller Tanzattribute und Instrumente,
beschreibt aber den Tanz selber sehr mangelhaft.
Die besten Kenner der Ethnographie von Central-Celebes, Adriani und Kküyt, haben
in ihrem dreibändigen Werke: „De Bare-sprekende Toradja's van Midden-Celebes", vielleicht
das beste gegeben, was jemals auf ethnographischem Gebiet über Indonesien erschienen ist.
Der Tanz aber wird nur der gesungenen Lieder wegen behandelt, oder als Unterteil reli-
gifieer Ceremonien. Oft ist es nicht einmal klar, ob es sich um einen Tanz oder um- eine
Gesangsaufführung handelt (z. B. I S. 132); das rhythmische Element wird nicht erwähnt,
der Tanz an sich nicht gewürdigt.
Ssouck Huroronje macht in seinem berühmten Werke über die Atjeher und die Gajo's
dieselben Fehler (z. B. Bd. II S. 254).
Auch Sarasin spricht von einem Kriegstanz auf Celebes, ohne Rhythmus oder Be-
gleitung zu erwähnen. Auch LCdekino (Dajaks), Fehr (Nias) und noch viele andere achten
nicht darauf.
Sehr wertvolles Material, auf manchem Gebiet der Kunst überhaupt, hat Nieuwenhuis
in seinem Werke „Quer durch Borneo" gegeben. Die verschiedensten Tänze sind ausführlich
beschrieben worden, sie könnten zwar in einer Spezialarbeit eingehender behandelt werden,
sind aber glücklicherweise nicht eine Aufzählung und Beschreibung zahloser Attribute, wie
I. A. f. E. Bd. XXFfF. 25
— 188 -
' bei manchen Ethnographen, die die primitiven Völker nur als Handhaber von Ethnographica
betrachten.
4. Die vierte Gruppe endlich behandelt den Tanz auch als aesthetische Erscheinung,
hat mehr oder weniger Achtung für die Schönheit des Gesamten, versucht einzudringen in
eine Kynst, deren Daseinsberechtigung erst in allerletzten Zeiten anerkannt wird.
Ein aesthetisches Urteil über den Tanz, meistens in ungünstigem Sinne, haben viele
Missionäre ausgesprochen. Die gewaltige Macht erkennend, die die populärste der primitiven
Künste über das soziale und religiöse Leben ausübte, haben sie in dem Tanz einen ihrer
mächtigsten Feinde erblickt, und dementsprechend mit wenig Wohlwollen ihn betrachtet.
Dazu kommt, dass die Prüderie vieler Missionäre an verschiedenen Tänzen Austoss
nahm und sie deshalb als unsittlich verurteilte.
K. Martin sagt von einem Tanz auf Boeroe: „von Unsittlichkeit ist keine Rede, auch
nicht wenn Mädchen mittanzen. Ich erwähne dies, weil die Missionäre den Menari irrtüm-
licherweise für ein sittenverderbliches Element halten und ihm mit Macht entgegenarbeiten ;
was aber sehr bedauerlich ist, denn den Alfuren wird damit das Beste genommen, was
sie besitzen: Unschuldiger Tanz und froher Gesang, welche beide ihnen vorläufig noch
nicht durch ein unbegriffenes Chistentum ersetzt werden kann". (M. 12 S. 323).
PoENSEN vergleicht europäische Kunst (und zwar der 60iger Jahre) mit javanischer:
„der Europäer tanzt, walzt; es ist fast ein Schweben, je zierlicher und geschwinder, je
schöner. Der Javaner findet das eckelhaft. Er sieht lieber eine Frau so steif wie möglich
trippeln, drehen; Arme und Beine, Hals, den ganzen Körper ringen, bis jedes Glied einen
Knick hat. Der Westerling singt mit rhythmischem Gefühle, der Javaner schreit und heult
ohne Ende, ohne Takt". Von den Schattenbildern sagt er: „Eckelhafte, phantastische
Scheusale, bucklig und unnatürlich". Wie anders urteilen Borel und Groxemax über den
Tanz, LoEBi)K über die Wajang-Figuren. Letzterer sagt: „Wenn man die Figuren täglich
sieht, fängt man an sie zu bewundern. Mit grösster Meisterschaft sind die Figuren stilisiert,
ornamental verwendet. Sie wollen überhaupt kein Abklatsch der Natur sein " '
Der Missionär Hangelbrock beschreibt mit grosser Liebe und Bewunderung einen
Kriegstanz auf Soemba: „Es ist ein schönes männliches Spiel, leidenschaftlich aber nicht
ungeordnet, das eine lang dauernde üebung gekostet haben mag, bevor es in dieser Har-
monie ausgeführt werden kann".
Der Marine-Offizier Wolterbeek-MCller ist auch ein guter Beobachter. Seine kurze
Beschreibung der Manpurengke-Feste in Nord-Celebes.ist voll interessanter Details.
Ein anderer Marine-Offizier, Vax der Sande, der sich selber nur „Amateur" nennt,
und — da er nicht die Sprache beherrschte, und immer nur kurz an einem Orte war —,
hauptsächlich die materielle Kultur erforschen konnte, hat jedoch vorzügliche Beobachtungen
auf unserem Gebiete gemacht. Er achtet auf die verschiedenen Schritte, auf die Richtung
der Bewegungen, die Art des Tanzes, alles Dinge, die die alten Ethnographica-Jäger gar
nicht berücksichtigten.
Vergleichen wir jetzt noch die Urteile zweier Autoren über den Batak-Tanz. Der Mis-
sionär Meerwaldt hat eine ziemUch gute Arbeit geschrieben über Musik und Tanz bei
den Bataks. Der Musik wird viele Aufmerksamkeit geschenkt, wenn er auch nicht viel zu
schätzen weiss. Für Melodie und Harmonie hat der Batak kein Gefühl. Sein Genuss ist:
„Viele Menschen, viele Bewegungen zu sehen, viele durchdringende Laute zu hören".
Von dem Tanz sagt Meerwaldt nur: „Bei dieser Musik wird immer getanzt, auch
- 189 —
(lies geschieht nach Batak'scher Art ; doch hierüber genug ". Viel ist es nicht in
einein Aufsatz über Muzik und Tanz. Von denselben Batak sagt De Haan: „Das Tanzen
soll unter den Batak eine Leidenschaft sein. In Ekstase, nur beherrscht durch die Musik,
ist es ein Ausdrücken mit Körperbewegungen, was die Töne singen. Das Haupt nach vorn
gebogen, der Blick zur Erde gerichtet, die Arme ausgestreckt — so fängt es an. Die
Melodie dringt durch und die Arme schweben, die Hände drehen, die Finger zittern, der
Rumpf waadet sich, wahrend der Körper sich mit den Tönen hebt und senkt ".
Xeben den vorzüglichen Arbeiten Haddoxs über die Tänze der Torres-Strasse, gibt es noch
••ine kleine anspruchslose, aber musterhafte Darstellung der Tänze in Rawas (Sumatra) von
Winter, der eine warme Liebe zur einheimischen Kunst mit einer gewissenhaften Beob-
achtungsweise verbindet. Das Tanzen eines Madchens beschreibt er also: „Alle ihre Glieder
bewegen sich beim Tanz, die nackten Fusse, die wie Finger beweglichen Zehen, das Haupt,
die Schultern, die Hüfte, Handgelenke und Finger, Ober- und Unterkörper alles macht
einzelne Bewegungen, die alle zusammenschmelzen zu einem schönen, harmonischen Ganzen,
«las an erster Stelle huldigt: Einfachheit in der Kunst". Eine Spezialarbeit von Joest:
«Malaiische Lieder und Tänze" ist zu wenig zuverlässig und zu unbedeutend, um mehr
als Erwähnung zu verdienen.
Wir erwähnten bereits das vernichtende Urteil über Javanische Kunst von Poensen,
einem der besten Kenner javanischer Sitten. Die meisten anderen Autoren, die über java-
nische Tänze und Spiele schrieben (Raffles, Mayer, Bonaparte, Hazeu, Metzger, van Eck),
geben kein Urteil über die Schönheit der beschriebenen Tanze. Nur die Künstler unter
ihnen, Schriftsteller wie Henri Borel, Maler wie Huoo Pedersen, Nieuwenkamp, Fräulein
VA!f Kerckhoff, haben ihre Btnvundemng geäussert und dabei versucht, in das Wesen
einer uns ganz fremden Kunst einzudringen. Vom begleitenden Orchester, dem Gamelang,
sagt Fräulein van Kerckhoff: „Für ein europäisch geschultes Ohr hat die javanische Musik
mit ihrer überreichen Figuration, fremden Intervallen und Harmonien etwas sehr Unzusam-
menhängendes und Verwirrendes. Bei wiederholtem Zuhören und mehr Verständnis fängt
man aber an, die eigentümliche Schönheit zu ahnen". Von einem Tanz in Djogja sagt sie:
„der mimische Tanz gibt in Stollungen und Bewegungen der Körperteile Episoden wieder
aus dem Leben im unterseeischen Palast der Südseekönigin und ihrer Nymphen. Jede
Bewegung ist vollkommen einstudiert, und voller Bedeutung für denjenigen, der die kom-
plizierte Sprache des javanischen Hoftanzes versteht. Man empfindet es wie einen Zauber,
wenn man diesen anmutigen Fürstenkindem zuschaut in ihren vollkommen ihythmischen
Bewegungen". Hcch) von Pedersen weist auf die enormen Uebungen der fürstlichen
Tänzerinnen, auf die Zeit und Kosten, die sie ihrer Kleidung widmen (einen ganzen Tag
dauert das Kleiden) und zieht auch eine Parallele zur europäischen Tanzkunst: „Wenn,
während des Tanzes eine Tänzerin eine Haarnadel, eine Blume oder sonstige Schmucksache
fallen lässt, sind einige alte Tänzerinnen da, die das Gefallene wieder befestigen, während
sie behutsam den Bewegungen der Tänzerin folgen — ohne die Fortsetzung des Tanzes
za stören. Man denke sich in unserer Oper eine alte Frau, den Schritten der Ballerina fol-
gend ". Ein sehr ehrliches Geständnis über unser Unvermögen, in eine andere Kunst
einzudringen, gibt Frau Prof. Weber. Sie sagt von einem Mädchentanz auf Saleyer: „Sie
führten einen jener feierlichen einheimischen Tänze auf, welche uns Europäer langweilen,
die Eingeborenen jedoch entzücken. Meiner Meinung nach spricht es für die letzteren, dass
die feierlichen, ruhigen Bewegungen ihnen so gut gefallen".
— 190 —
Der beste Kenner javanischer Tänze und Spiele, zugleich einer ihrer grössten Bewtrn-
derer, ist der Jogjosche Hofarzt Dr. Geoneman.
In einer Reihe vorzüglicher, teilweise umfangreicher Arbeiten (J. 4, 5, 6, 7 u. 8) hat er
sie behandelt und dabei immer auf die hohe Bedeutung dieser javanischen Kunst gewiesen.
In einer Beschreibung der „javanischen Bühnentänze" sagt er: „diese Verzweiflung
wurde so natürlich, so angreifend wiedergegeben, dass ich kaum mehr sah, dass alle diese
Bewegungen immer noch rhythmische Tanzbewegungen waren, und ich den Eindruck bekam,
als sähe ich das Spiel einer unserer besten europäischen Schauspielerinnen. Freilich, auch
solches Spiel ist Kunst und übertrifft weitaus alles, was ich je von europäischen Panto-
mimen und Balletten genoss".
"Wenn auch Dr. Groneman nie die höchsten modernen Tanzleistungen sah, nie Strauss'
Tanzdrama „Joseph" beiwohnte, so geben doch seine begeisterten Worte eine Ahnung von
der Höhe bis zu welcher die javanischen Tanzdramen steigen.
Ist also bei den meisten Reisenden ungenügende ethnologische Kenntnis, bei den
meisten Ethnographen geringes Interesse an aesthetischen Problemen Ureache der mangel-
haften Beschreibungen vieler Tänze, ein anderer wichtiger Faktor der Fehlerzahl liegt in
der Erscheinung selber.
"WuNDT (Völkerpsychologie Bd. IH S. 321) hat schon darauf hingewiesen, wie äusserst
schwer, ja unmöglich es ist, in die Entwicklung einer Kunst einzudringen, die uns keine
Reste ihrer ersten Aeusserungen hinterliess. Er sagt: „So bleibt vor allem eine für die
Entwickelung der musischen Künste besonders wichtige Form, der Tanz und mit ihm die
mimische Darstellung nur höchst unvollkommen erhalten, da eine Beschreibung in Worten
und selbst eine bildnerische Wiedergabe die momentanen Bewegungen nicht festzuhalten
vermag, überdies aber an solche Schilderungen meist erst in einer Zeit gedacht wird, in
der die ursprünglichen Formen zum Teil erloschen sind". Den letzten Nachteil hat das
Studium der Entwickelung des Tanzes, und der musischen Künste überhaupt, mit dem'
vieler anderer Erscheinungen gemeinsam. Gerade bei den primitivsten Völkern sind die
heutigen Ausdrucksformen ihrer Gedanken und Gefühle, ihrer künstlerischen, religiösen
oder sozialen Auffassungen, meistens zugleich die ersten, die überhaupt noch zu spüren
sind, weil irgendwelche Objektivierungen früherer Geistestätigkeiten nicht nachzuweisen sind.
Hier ist die Ethnographie der musischen Künste in keinem grossen Nachteil gegenüber den
übrigen ethnographischen Zweigen. Wie dort, kann man auch hier die grösstmöghche Zahl
primitiver Stämme untersuchen und aus deren Vergleich eine Entwicklungsreihe der
Erscheinungen zusammenstellen, die aber immer eine Hypothese bleibt, und mit jeder
neugefundenen Form ihren Wert verlieren kann.
Und was die bildnerische Wiedergabe der Tanzbewegungen anbelangt, hier vermag eine
kinematographische Aufnahme jedes. Moment der Bewegung festzuhalten. Das mühsame
und kostspiehge Mitschleppen eines Aufnahmeapparates wird zu oft durch andere als
wissenschaftliche Motive bedingt. Wer nicht an laut applaudierte Vorträge denkt, an mon-
däne Miheux, in denen er seine Entbehrungen und Gefahren zurückzuzaubem hofft, der kann
das Durchqueren eines Flusses, das Bauen einer Wohnung, die Herstellung von Geweben,
Töpfen und Waffen, ebensogut mit Worten wiedergeben. Nur die schnell aufeinanderfol-
genden Bewegungen eines Tanzes, in ihrer Mannigfaltigkeit, die das Ausdrucksvermögen
der Sprache weit hinter sich lässt, brauchen notwendig, besonders für nachherige Analyse,
— 191 —
die Zuhilfenahme eines Apparates. Aber damit sind noch lange nicht alle Schwierigkeiten
aus dem Weg geräumt. Viele Tänze während der Nacht oder in einem dunklen Raum
ausgeführt, können gar nicht aufgenommen werden und bleiben eine Beschreibung — mit
ihren vielen Fehlem — erfordern. Femer werden viele Tänze vor Fremden geheim gehalten
(Ceremonielle und Frauentänze), weil das Volk gerade in dem Tanz eine seiner intimsten
und intensivsten Aeussemngen weiss. Im zweiten Kapitel werden wir sehen, wie dieser
Umstand von Einfluss ist auf die Beantwortung der Frage, ob es mehr Männer- oder Frauen-
tänze gibt?
Ausserdem ändem viele Tänze ihren Charakter, wenn sie für Fremde ausgeführt
werden. Shamanentänze als Schautanze (zum Vergnügen der Reisenden), Kriegstänze als
Begrûssungstânze ausgeführt, müssen etwas von ihrem ursprünglichen Charakter eingebüsst
haben, und deshalb mit einem gewissen Vorbehalt behandelt werden.
Die grösste Schwierigkeit in der Erforschung primitiver Tänze liegt aber in dem Um-
stand, dass sie fast immer mit Musik so eng verbunden sind, dass ihr Studium ohne das-
jenige der sie begleitenden Musik nicht möglich ist. Und welchen Forderungen der Ethno-
graphen hier entsprochen werden soll, hat Prof. Land in einer Kritik von Hagen's Arbeit:
„Cbor die Musik einiger Naturvölker" dargestellt.
„Man mQsste die Zeit und die Fähigkeit haben um sich in die fremde Musikübung
ganz einzuleben, und sie ohne Rücksicht auf das anderswo Erlerate, als selbständiges
Gebilde zu begreifen" „Ein vollständig ausgerüsteter Musikforscher ausserhalb unserer
Kulturländer sollte eigentlich nicht bloss musikalisch, sondem auch mathematisch-physika-
lisch, und dazu in der Technik der Musikinstrumente hinreichend erfahren sein, und allerlei
Apparate zur sofortigen Ton- und Zeitmessung zur Verfügung haben".
Wenn er dann auch noch, um das oft mit dem Tanze verbundene Lied zu verstehen,
die Sprachen der Eingeborenen beherrschen muss, und linguistisch-literarische Kenntnisse
haben soll, weiter zum Verständnis der sozialen und regiliösen Bedeutung des Tanzes
eine breite ethnologische Vorbildung besitzen, dazu gewissermassen Künstler sein muss,
weil die aesthetischen Probleme eigentlich nur von einem künstlerisch Begabten ganz
erfasst werden können, so wird man zugeben, dass der ideale Forscher auf diesem Gebiete
wohl kaum zu finden ist.
Doch darf das Wissen um diese Tatsache uns nicht entmutigen, sondern muss viel-
mehr eine Anregung sein, mit Genauigkeit, mit Emst und mit Liebe nach vielen Seiten
das Problem zu durchforschen. Viele unbegründete Verallgemeinerungen, viele dumme
Bemerkungen, auch von Fachleuten, wären nicht gemacht worden, wenn das Bewusstsein
von diesen unendlichen Schwierigkeiten besser durchgedrungen wäre.
Neben schlechter Beobachtung findet man in der Literatur eine mangelhafte Termino-
logie vor, die nicht unterscheiden lässt, ob es sich um Spiele, um Tänze, oder um militä-
rische Uebungen handelt.
Der entscheidende Moment des Tanzes — die Anwesenheit des Rhythmus — , wird
nicht überall erwähnt, so dass, wenn der Autor bald von einem Tanz, bald von einem
Spiel spricht, nicht herauszufinden ist, was er meint Viele der besten Ethnographen
haben diesen Fehler gemacht.
Wenn man „Tanzen" nennt: „das rhythmische Bewegen mehrerer Körperteile verbun-
den mit einem gesteigerten Gefühl", so umfasst man auch die „sitzenden" Tänze, und
schliesst Handlungen, wie das Dirigieren eines Orchesters, das gedankenlose ne i-vöse- Klopfen
— 192 —
mit Händen oder Füssen aus. Und dann sind die meisten Kriegsspiele, viele andere Spiele
und fast alle Gesangsreigen, wirkliche Tänze, ebensogut wie das javanische Drama, dessen
rhythmisches Element ausdrücklich betont wird.
Besonders für eine Art Tänze, die Gefechtstänze, sind viele Namen gebräuchlich. Der
am häufigsten angewendete ist noch der schlechteste, nämlich „Kriegstanz", da dieser Tanz
meistens mit Krieg nichts zu tun hat, und vielleicht — wie wir in einem anderen Kapitel
ersehen werden — auch ursprünglich nicht mit Kriegführung in Beziehung gestanden
hat. Der Name „Scheingefecht", drückt lebhaftere Tätigkeit aus als "Waffentanz, erwähnt
aber nicht das rhythmische Element.
Am besten wäre noch das Wort Gefechtstanz, das man bisweilen antrifft.
In den ethnologischen Arbeiten über den Tanz findet man Versuche die Tanze zu
klassifizieren.
1. Von Hellwald (Globus 1891) teilt sie ein in:
Erotische Tänze.
Jagd- (oder Tier-) Tänze.
Kriegs tanze.
Religiöse (Kultus-) Tänze.
Wie man sieht, eine Einteilung nach verschiedenen Prinzipien.
2. Ernst Grosse (Anfange der Kunst) scheidet die Tänze der Jägervölker in zwei
Gruppen, die mimischen und gymnastischen Tänze.
„Die mimischen Tänze bestehen in rhythmischen Nachahmungen von tierischen und
menschlichen Bewegungen, während die Bewegungen bei den gymnastischen Tänzen keinen
natürlichen Vorbildern folgen". Zu den mimischen Tänzen rechnet er dann die Liebes- und
Kriegstänze.
3. Lilly Grove (Dancing 1895) gibt in einem Abschnitt: „The dance of savages" fol-
gende Tänze:
1. Liebestänze (Courtship).
2. Jagdtänze.
3. Kriegstänze.
4. Zaubertänze.
5. Totentänze (z. B. ein Auferstehungstanz).
6. Genesungstänze.
7. Sonnentänze.
8. Schwerttänze.
Hier fehlt wirklich jede Systematik.
4. Lee J. Vane (The evolution of Dancing 1892) unterscheidet bei den ^FoJk dances":
Social dances.
War-dances.
Religious dances.
Diese Einteilung findet man auch bei:
5. Haddon (The secular and ceremonial Dances of Torres-Straits 1893).
1. Festive dances.
2. War-dances.
3. Ceremonial-dances.
— 193 —
6. Otto Stoll („Das Geschlechtsleben in der Völkerpsychologie" 1908) unterscheidet
nach der Zahl der ausübenden Personen:
Einzeltänze und Gruppentänze.
Einzelner Paare, eingeschlechtlicher Gruppen oder zweigeslechtlicher Gruppen.
Nach den inneren Motiven unterscheidet er:
( Mit Vergnügen verknüpft
profane Tänze „ Erotik „
( „ Krieg
Mtjülische Tänze, auf allen Gebieten des Lebens, die mit Glauben zusammenhängen.
7. W.. WcNDT (Völkerpsychologie Bd. Ill) sieht von einer psychologischen Einteilung
der Tänze ab, weil erstens bei den primitiven Menschen alle möglichen Motive zum Tanze
führen, und zweitens die bestehenden Tänze in Charakter und Ausführung, auch durch
europaische Einflüsse oft ganz verändert sind. Er unterscheidet nur die Hauptrichtungen.
Nach ihrer äusseren Erscheinungsweise sind alle Tänze entweder Einzeltänze oder Gesell-
schafUtänze ; mit Rücksicht auf ihren psychologischen Charakter lassen sie sich scheiden
in „Ekstatische und mimische Tänze". Der Einzeltanz soll, nach Wündt, hauptsächlich als
ekstatischer Tanz vorkommen, während der letztere bei der höchsten Steigerung der Ekstase
regelmàs.sig zum Einzeltanz wird und der mimische Tanz in der Regel ein gemeinsamer
bleibt. „Innerhalb keiner dieser Klassen sind jedoch scharfe Grenzlinien zu ziehen".
Auch dieses Schema, obwohl es nicht den Anspruch hat, eine Klassifikation zu sein,
ist ungenau und ungenügend. Die im höchsten Grade ekstatischen Tänze in N.-Sumatra,
in Bali (hypnotischer Mädchentanz), in Süd-Celebes (ein wilder Shamanentanz von drei
Personen) sind keinesfalls Einzeltänze.
Weiter ist die Zahl der Tanzenden nur ein Moment der äusseren Erscheinungsweise,
un<l zeigt die Verteilung nach dem psychologischen Charakter in mimische und ekstatische
Tänze auch nur eine Seite, und nicht einmal die wichtigste dieses Charakters.
Die äussere Ersi-heinungsweise betrachtend, muss man achten auf:
I. Zahl der Tanzenden.
II, Geschlecht der Tanzenden.
IIL Art des Tanzes.
IV. Zeit des Tanzes.
V. Begleitung.
VI, Schmuck und Tanzattribute.
VII. Tanzbewegungen.
Für die Musik-aesthetische Betrachtung, die in dieser Arbeit unterbleiben muss,
kommen noch eine Reihe Faktoren dazu, unter anderen:
1. Tempo und Takt (Gleich oder sich ändenid!).
2. Auftreten von Synkopen und deren Wirkung.
3. Analyse der Begleitung.
4. Analyse der Tanzbewegungen (gehend, drehend).
5. Das Verhältnis von Begleitung und Tanzbewegungen u. s. w,
1, Nach der Zahl der Ausführenden muss man nicht nur unterscheiden:
EinzeltAnze und Gesellschaftstänze, sondern eine dritte Gruppe annehmen, wie man beim
Singen spricht von Solo, Duett, Trio, Quartett und Chor. Gerade dieses Auftreten von
einigen Personen, die noch keine Gesellschaft bilden, kommt in dem indischen Archipel
— 194 -
viel vor (Bali, Celebes, Borneo, Java u. s. w.). Besser- wäre darum folgende Einteilung:
a. Solo-Tänze.
h. Gruppen-Tänze.
c. Chor-Tänze.
Die Grenze zwischen h. und c. ist jedenfalls nicht scharf zu ziehen, hängt auch wieder
ab von der Zahl der überhaupt Anwesenden. Wenn von hunderten von Leuten 10 Männer
tanzen, könnte man dies einen Gruppentanz nennen, während dieselben 10 Tanzenden,
allein in einem Tempel, einen Chortanz aufführen.
IL Im zweiten Kapitel, wo der Anteil der Geschlechter am Tanze behandelt wird, werden
wir die Tänze hiernach verteilen in:
a. Monosexual-Tänze (Eingeschlechts-Tänze).
b. Bisexual-Tänze (Zweigeschlechts-Tänze).
III. u. IV. Ort und Zeit sind keine wichtigen Momente für eine Einteilung, obwohl Angaben
hierüber von höchstem Wert sein können für ethnologische Schlüsse.
Ob die Tänze im Tempel (Klub-Haus u. s. w.) oder auf dem Platz davor, am Sti-ande
oder zu Hause, auf Booten oder im Walde ausgeführt werden, während der Nacht
oder des Tages, beim Sonnenuntergang oder bei Vollmond, ist dem Ethnologen nicht
gleichgültig, wie wir im dritten Abschnitt sehen werden.
V. Nach der Art der Begleitung lassen sich folgende Tänze unterscheiden:
1. Tänze ohne irgendwelche Begleitung.
2. Tänze, bei denen die Begleitung nur den Takt angibt:
a. Durch Laute mit Körperteilen hervorgebracht (Händeklatschen, Fuasstampfen
u. s. .w.).
b. Durch Schallobjekte (zugleich Schmuck) am Körper der Tanzenden (Ringe,
Tanzrasseln).
c. Durch Objekte, in den Händen der Tanzenden (Schwert und Schild, Fâcher,
Speere, Stocke, Tambourins, Trommeln, Angkloengs (Xylophone).
d. Durch geschrieene oder gesungene Laute ohne Sinn und Melodie.
e. Durch diese sub c und d genannten Laute, aber jetzt von anderen als den
Tanzenden hervorgebracht.
3. Tänze, wobei neben dem Takt eine Melodie auftritt:
«. Durch gesungene Laute (Tanzlied).
b. Durch verschieden gestimmte Stöcke, Bambus (Angkloeng), Trommehi.
c. Durch andere Schlaginstrumente.
d. Durch Blasinstrumente.
e. Durch Saiteninstrumente.
4. Tänze mit vollständigem Orchester (Melodie, bisweilen Harmonie). Mehrere Arten
von Instrumenten, oft mit Singstimmen, begleiten hier den Tanz.
Die Begleitung (instrumental oder vokal) kann ausgeführt werden:
a. Von den Tanzenden selber.
b. Von anderen.
c. Von beiden.
Obwohl die Literatur über Indonesien auf diesem Gebiete eine Menge Tatsachen
aufweist, ist eine gründliche Behandlung dieses Kapitels erst möglich nach vielen neuen
— und teilweise persönlichen — Untersuchungen.
^ 195 —
VI. Schmuck und Tanzattribute.
Die Behandlung der Schmuckgegenstände liegt grösstenteils auf dem Gebiete der
Ethnologie der dekorativen Künste, und gehört nur zu unserem Thema, insoweit sie
über das Wesen des Tanzes Aufklärung gibt. Es sind also mehr psychologische als
aesthetische Fragen, die hierbei in Betracht kommen.
Nicht die angewendeten Formen und Farben und ihre Entlehnung interessieren
uns hier, sondern die psychologischen Folgen ihrer Anwendung.
Hier muss untersucht werden, welche Wirkung schwingende und flatternde Gegen-
stande (Federn, Tücher, Perlenschnüre, Musikinstrumente) auf Tänzer und Zuschauer
ausüben, in welcher Beziehung sie stehen zum Taktgefühl, zur Hypnose.
Weiter muss man untersuchen, wie glänzende und lärmverursachende Schmuck-
objekte auf Tanzende und PubUkum einwirken, und die Beziehungen von Schmuck.
-und Begleitung, Schmuck und Hypnose, Schmuck und Körperbewegungen verfolgen.
Die Tanzattribute, die gewissermason zum Schmuck gehören, fordern eine genaue
Untersuchung, weil sie mit vielen ethnologischen Problemen verknüpft sind, und dies
gilt nicht nur von den Masken, sondern auch von den anderen Objekten in den
Händen, auf dem Kopf, im Munde getragen oder am Körper hängend. Besonders hier
ist eine grosse Menge „survivals" zu finden, wie in einem anderen Abschnitt gezeigt
werden wird.
Versucht man die Tanze nach dem Schmuck und den Attributen einzuteilen,
oder wenigstens zu benennen, so sieht man, dass die Schwierigkeiten grösser sind
als der praktische Zweck, und kann man nach Belieben neue Namen anwenden. In
der Literatur Indonesiens begegnen uns u. A. : Fächertänze, Maskentänze, Schwerttänze,
Schalltânze, Tellertänze, Trommeltanze, Leuchtertänze, Taschentüchertänze, Speertänze,
Puppen tanze.
VII. Nach dem Prinzip der gemachten Bewegungen sind bis jetzt die wenigsten Tänze be-
nannt und eingeteilt worden. Nur wo, wie bei Schautänzen ohne Tanzattribute — die
Aufmerksamkeit mehr wie sonst auf die Bewegungen fiel, haben diese als wichtiger
Faktor bei der Benennung mitgewirkt. Die Namen von zwei der am meisten genannten
Tänze, des Matuiri (im Osten des Archipels) und des Tatidak (auf Java), sind eigent-
lich nur Ausdrücke für bestimmte Bewegungskomplexe.
Andere Tänze, deren Namen Bewegungsformen entlehnt sind, und denen man in
der Literatur begegnet, sind: Rundgang, Reigentanz, Rundtanz, sitzender Tanz. Wer
die Tänze studieren will, muss besonders auf diesem Gebiet neue Beobachtungen
machen, weil diese bis jetzt noch fast ganz fehlen. Nicht nur kunstpsychologisch auch
ethnologi.sch ist die Forschung der Bewegungen von grossem Interesse.
Einige Beispiele:
Sachse sagt, dass auf Ceram die Tanzenden sich bisweilen sternförmig gruppieren.
Vielleicht wäre hier ein Zusammenhang möglich mit dem Kakihan-Geheimbund, dessen
Geheimzeichen ein Stern ist. Prof. Weiirli sah bei den Cachin die Tanzenden sich in
einer Figur bewegen, die oft unter den Dekorationsmotiven der Häuser vorkommt.
Auch hier muss eine Korrelation bestehen zwischen beiden Erscheinungen. Die auf
Neu-Guinea erwähnten Tänze in einer schlangenfôrmigen Linie könnten mit einer
alten Mythe, vielleicht mit Totemismus in Zusammenhang stehen.
Nur wenn man die Bewegungen, die Körperhaltungen genau untersucht, kann
I. A. f. E. Bd. XXIII. 26
— 196 -r-
man oft Tiertänze unterscheiden, deren Erscheinung von ethnologischer Bedeutung ist.
Williamson gibt eine- sorgfältige Analyse der Bewegungen zweier Tänze bei den Maifulu
und den Mekeo-Stämmen in Süd-Neu-Guinea. Die letzten bewegen sich langsam, heben die
Fusse sehr wenig vom Boden, bewegen den Kopf langsam auf und nieder, halten den
Oberkörper quer zur Richtung der Fortbewegung, gehen nur den Seiten des Tanzplatzes
entlang, und tragen den schönsten Federnschmuck auf dem Kopfe. Jene machen schnelle
Bewegungen, springen oft auf, drehen den Kopf nach allen Richtungen, durchqueren bis-
weilen den Tanzplatz, schauen in der Richtung der Fortbewegung, und tragen den Federn-
schmuck auf dem Rücken.
Der Missionar Clausen hat hierin die Bewegungen der Taube und des roten Paradies-
vogels wieder erkannt.
„The dancing movements of the goura pigeons are a gentle low shufle, and are
accompanied by a slow bowing and nodding of the head. The progressive movement is
exceedingly slow and is always a continuous one in the same direction, and is usually a
sideway movement". Weiter hörte Williamson, dass ein .anderer Mekeo-Stamm (dessen
Tänze er aber nicht sah) die Taube zum Totemtier hat, so da.ss der Gedanke nahe liegt,
dass der gesehene Tanz ein Totemtanz ist.
Der Wichtigkeit der Sache wegen erwähne ich an dieser Stelle dieses Beispiel, das
sonst ins Kapitel „Tanz und Rehgion" gehört. Besser als irgend anders sieht man hier,
wie wichtig es ist, auf die kleinsten Details der Ausführung zu achten. Einige Male wird
in den Beschreibungen der Tänze erwähnt, dass die Tänzerin die Hand oder ein Tuch vor
den Mund hält. Auch diese kleine Besonderheit hat ihre Bedeutung, wie wir nachher sehen
werden.
Bei einer Beschreibung der Tanzbewegungen muss man achten auf:
1. Die einzelnen Bewegungen und ihr Aufeinanderfolgen.
2. Die Bewegungen der ganzen Tanzfigur (Richtung, Zusammenkommen, Auseinander-
gehen).
3. Das Tempo und den Takt der Bewegungen.
4. Den Anteil der verschiedenen Körperteile an der Bewegung.
5. Den Zusammenhang der gehenden, der hüpfenden und der drehenden Bewegungen
mit dem seelischen Zustande der Tanzenden.
Hat eine Einteilung nach der äusseren Erscheinung mit grossen Beschwerden zu kämpfen;
noch schwieriger ist eine Einteilung der Tänze nach ihrem psychologischeti Charakter. Wenn
man auch den Beschwerden, die Wundt nennt, zustimmen muss, so kann man doch eine
bessere Einteilung geben, als die seinige in ekstatische und mimische Tänze.
Erstens sind die beiden Arten in keinerlei Weise vergleichbar und können deshalb nie
eine einigerraassen geschlossene Einteilung geben. Es gibt im Malaiischen Archipel verschie-
dene Tänze, die weder mimisch noch ekstatisch sind (z. B. viele Gefechtstänze, die oft ein
wirkliches Gefecht gegen Geister sind ; weiter verschiedene Freudentänze, Gesangsreigen).
Zweitens sind verschiedene, teilweise sogar wichtige psychologische Momente gar nicht
berücksichtigt worden. So tritt in dieser Einteilung das erotische und das religiöse Element
nicht zum Vorschein, die doch mehr kennzeichnend für einen Tanz sind als die Ekstase
oder die Imitation.
Endlich gibt es verschiedene Tänze die ekstatisch und mimisch sind. Nieuwenkamp
— 197 —
erwähnt auf Bali einen Tanz eines Balians, der in Ekstase verschiedene Personen tanzend
darstellt. Auch Mädchentänze auf Bali sind mimisch-ekstatisch.
Verschiedene Gefechtstänze sind zugleich mimisch und ekstatisch, wenn sie nicht mehr
wiritliche Gefechte gegen die Geister sind, sondern gymnastische Spiele mit imitierten
Waffen, Vorstellungen eines Gefechts, die aber die Mitspielenden bis zur Ekstase aufzu-
regen vermögen.
CapL FoRBisT (Voyage aux Moluques 1780) beschreibt einen Gefechtstanz auf Mindano
folgender Weise:
„Représentez- vous un champion armé de pied en cap Il parait tout de suite
découvrir un adversaire, s'avance vers lui, recule, saute d'un côté, puis d'un autre, quel-
quefois il jette par terre sa lance et tire son sabre. Lorsqu'il se trouve assez fatigué, et
qu'il tombe dans une espèce de frénésie, les spectateurs applaudissent. Les amis ce préci-
pitent vers lui et semblent avoir beaucoup de peine à l'engager de finir le combat" (p. 269).
Hier hat man es ohne Zweifel mit einem mimisch-ekstatischen Tanze zu tun.
Einen derartigen Tanz beschreibt auch H. Keppel (B. 10 L 199).
Die Hindu's auf Bali führen bei einem Kremationsfest Gefechtstänze aus, die auf dieser
Stufe der religiösen Entwicklung jedenfalls mimisch sind. Aus einer Mitteilung von Yan
DER Jaot (Kl. S. 6 8. 33), der von „unnatürlicher Erregung" spricht, geht hervor, dass
diese Tänze zugleich ekstatisch sind. Diese wenigen Beispiele Hessen sich nach Belieben
vermehren, haben aber jedenfalls gezeigt, dass Wcndt's Einteilung ungenau ist.
Eine bessere zu geben, die alle Kategorien in einem Schema umfasst, ist — vorläufig
wenigstens — nicht möglich. Die verschiedenen Motive gehen zu sehr ineinander über,
sind auch oft zu wenig deutlich merkbar. Es ist sogar nicht einmal möglich, immer fest-
zustellen, ob ein Tanz miraisch ist oder nicht.
Viele Tiertänze sind — nach der Auffassung des Ausführenden wenigstens — nicht
mimisch, da diese keine Tiere vorstellen, sondern es wirklich sind. Der Geist der Ahnen ist
in sie gefahren und lässt sie jetzt in seiner Gestalt tanzen, lieber die Schwierigkeit, zu
entscheiden, ob Gefechtstänze mimisch sind oder nicht, sprachen wir bereits.
Auch in Bezug auf das erotische Element sind nicht immer die richtigen Motive in
der AusfQhrung von Tänzen zu entdecken. Viele Tänze sind erotisch, sogar obscön genannt
worden, die einfach Ereignisse aus dem Alltagsleben mimisch darstellten, und hinter vielen
Tänzen hat man das sexuale Element, das wirklich vorlag, nicht vermutet.
Sogar die p]inteilung in profane und religiöse Tänze (die letzten im weitesten Sinne)
ist nicht immer zutreffend. UnendUch viele Tänze im malaiischen Archipel bilden Ueber-
gangsformen, andere sind das eine Mal profan, das andere Mal religiös. Eine Einteilung
endlich nach den vielen anderen Motiven, nach Ereignissen im sozialen, im wirtschaftlichen
Leben, wäre kaum durchzuführen, weil nach allen möglichen Motiven, bei jeder Gelegenheit
getanzt wird (Siehe Kap. III). Nach dem Prinzip der äusseren Erscheinung und dem der
inneren Motive kann man nach Analogie der literarischen Produkte unterscheiden:
a. lyrische Tänze.
b. epische Tänze.
c. dramatische Tänze.
rt. Lyrische Tänze, (wie die beiden anderen Arten wieder einzuteilen in: Solo-, Gruppen-
und Chortanze) sind Tänze, die die direkte Aeusserung sind eines Gefühls oder Affektes,
«ei es Freude, Trauer, Furcht, Ehrfurcht, Liebe oder Zorn.
— 198 —
Sic können profan oder religiös, erotisch oder nicht, bisweilen sogar mimisch sein,
sind aber immer gekennzeichnet durch das auf den Vordergrund-treten eines Gefühls,
das für andere Tanzmotive keinen Raum lässt. Da alle Tänze mit einem gehobenen
Gefühlsleben verbunden sind, ist es jedenfalls schwierig, immer die lyrischen Tänze von
den anderen zu unterscheiden.
h. Epische Tänze haben den Zweck, irgend ein Erlebnis, ein Ereignis darzustellen. Das
Begleiten der Seelen nach dem Seelenland (Borneo, Sumatra), ihre Rückkehr, die Vor-
stellung einer gelungenen Kopfjagd, sind alle epische Tänze, von einer Person oder von
mehreren ausgeführt.
c. Dramatisch werden diese Tänze, wenn jeder der Ausführenden seine eigene Rolle hat,
wenigstens nicht alle denselben Akt wiedergeben.
Viele Gesangsreigen, viele zeremonielle Tänze sind episch; die sog. Pantomimen
sind meistens dramatische Tänze. Diese erreichen — und hiermit alle Tänze — ihren
Höhepunkt in dem javanischen Tanzdrama, dessen Entwickelung in einem anderen
Abschnitt angedeutet werden soll.
Wir haben jetzt die Fehler in der ethnographischen Literatur angedeutet, auf die
ungenügende Terminologie hingewiesen, und endhch im Anschluss daran die verschiedenen
Einteilungen in den Arbeiten über den Tanz besprochen, wobei wir Gelegenheit fanden, auf
einige Punkte hinzuweisen, die der Forscher auf seiner Reise betrachten muss, soll seine
Arbeit einigermassen Früchte tragen. Beim Durchlesen der Literatur, die — wenn auch
nicht das Gesamte, so doch einen grossen Teil dessen umfasst, was über indonesische
Tänze geschrieben worden ist, — ist uns immer mehr klar geworden, wie notwendig auf
diesem Gebiete der Ethnologie neue Untersuchungen sind. Unsere ursprüngliche Absicht,
eine einigermassen vollständige Monographie über den Tanz im malaiischen Ai'chipel zu
geben, haben wir deshalb aufschieben müssen, bis auf eine Zeit, wo eigene und andere
Untersuchungen an Ort und Stelle mehr Licht gebracht haben werden.
Wenn wir die ethnographische Literatur von unserem Standpunkt aus betrachtet und
kritisiert haben, ist dies geschehen im vollen Bewusstsein, dass hier die Reisenden keine
Schuld trifft. Sie haben den Archipel durchquert, Gefahr und Einsamkeit getrotzt, mit
anderen, meistens höheren Absichten, als eine ethnologisch-aesthetische Arbeit zu Uefem.
Dass sie dabei wenig Wertvolles auf unserm Gebiet brachten ist desto mehr begreiflich,
wenn man bedenkt, dass der Tanz der Naturvölker keine Parallele aulweist im Leben unserer
europäischen Gesellschaft.
In voller Anerkennung des vielen Guten, das mit so unendlichen Schwierigkeiten
durch Reisende, Missionare und Regierungsbeamte zusammengebracht worden ist, haben
wir nur ihre Berichte einer Kritik unterworfen, um zu zeigen, wie äusserst schwierig es
ist, erstens : auf gewissen Gebieten der Ethnologie Beobachtungen zu machen und zweitens :
um aus diesem unvollständigen Material allgemeine Folgerungen abzuleiten. Der Haupt-
zweck des folgenden Kapitels ist denn auch kein anderer, als dies zu beweisen und zu
betonen, wie oberflächlich viele Ethnologen ihre Hypothesen aufbauten.
Der Anteil der Geschlechter am Tanze.
Wem Lilly Grove in ihrem Buch „Dancing" klagt-, dass es so wenig Arbeiten über
den Tanz gibt, und dann sagt: „those who know do not write and those who write do
— 199 —
not know", trifft dieses Urteil — wenigstens im zweiten Satz — auch für die wenigen
ethnologischen Arbeiten zu, die bis jetzt Ober den Tanz erschienen sind.
Kein Naturwissenschafter würde daran denken, das gesamte Gebiet der Zoologie, der
Botanik, der Anthropologie selbständig zu durchforschen, und dann allgemeine Theorien
aufzustellen, nach den wenigen Experimenten, die er auszuführen im Stande war. Bei
der Ethnologie ging das leichter: die ethnographische Literatur der ganzen primitiven Welt
wurde überblickt, ein paar Beispiele von jedem Volk genügten, um allgemeine Theorien
aufzustellen. Hypothesen zu bauen von oft grosser Tragweite.
Prof. Steinmetz hat zum ersten Male (in seiner Arbeit über Endokannibalismus) gezeigt,
dass der Ethnologe hier sein ethnographisches Material zu behandeln hat wie der Natur-
wissenschafter seine Experimente, dass er seine Bohrungen machen soll in möglichst grosser
Zahl, dass er keine Hypothesen vorausetzen darf, und nur auf induktivem Wege seine
Folgerungen ziehen muss. Mit ethnographischen Tatsachen kann man fast jede beliebige
Theorie belegen, besonders auf einem Gebiet, wo — wie auf dem der primitiven Kunst —
so viele falsche Beobachtungen gemacht und so viele gute nicht gemacht worden sind.
Wenn von Hellwald beweisen will, dass alle Tänze ursprünglich erotisch waren, kann
er leicht Iwi allen Völkern Beispiele dafür zusammen suchen, während Lilly Gkove, die
das religiöse Moment als Kern des Tanzes betrachtet, diese Meinung ebenso gut mit
ethnographischen Tatsachen zu verteidigen weiss.
Nirgends aber sind die Meinungen so verschieden, die Beweise so mangelhaft, und
nicht desto weniger die Folgerungen so weittragend, wie t)ei der Frage: „Wie beteiligen
sich die beiden Geschlechter am Tanz?"
R, Wallaschek sagt:
„Bemerkenswert ist der Anteil der Greschlechter an der Beteiligung bei Tanzunterhal-
tungen. Nach den Erfahrungen zu schliessen, die man dabei in Kulturländern machen kann,
ist es durchaus nichts Auffallendes, dass auch bei den Naturvölkern die Frauen quantitativ
und qualitativ ara .stärksten am Tanze beteiligt sind, was um so mehr hervorzuheben ist,
als der Tanz der Naturvölker eine weitaus grössere körperliche Anstrengung ist als bei uns".
„Es gibt auch einige wenige Stämme, bei denen nur die Männer tanzen oder wenigstens
Ijestimrate Tänze l)esitzen, an denen nur sie teilnehmen dürfen. Charakteristisch ist es
aber, dass man manchmal in solchen Fällen den Tanz ohne die Frauen sich gar nicht
vorstellen kann, so dass deren Rolle von einem Manne gespielt werden muss" („Anfange
der Tonkunst"). Weil die ursprüngliche Musik hauptsächlich Chortanzmusik ist, und daran
die Frauen am meisten beteiligt sind, hat hiermit Wallaschek „bewiesen", dass die Musik
der Urzeit den Frauen mehr verdankt als den Männern, und so die Behauptung Wagnebs
widerlegt, dass die Teilnahme der Frauen an der Musik ein Resultat der Kultur sei. Wenn
dann J. Do.vovan in einer kleinen Schrift „Music and Action" diese Auffassung bekämpft
und sagt: „die Frauen haben nicht das Bedürfnis nach Bewegungen wie die Männer",
stellt Wallaschek dem entgegen : „Gerade nach dieser körperlichen Tätigkeit hat die Frau
ein stärkeres Bedürfnis, weil ihr, die weder kämpft noch jagt, ein grösseres „surplus of
vigour" übrig bleibt".
Wallaschek's falsche Interpretation der Travestie-Tänze, nur um seiner Theorie mehr
Kraft beizulegen, wird uns nachher beschäftigen. Was weiter die Streitfrage Donovan-
Wallaschek anbelangt, so weiss jeder, der sich nur oberflächlich mit Ethnographie beschäf-
tigte, dass die primitive Frau, wenn sie sich auch nicht mit Kampf und Jagd befasste,
— 200 —
doch wirklich noch genug zu tun hat, um nicht von zu grossem „surplus of vigour" gequält
zu werden. Man braucht nur auf den Bildern die armen Geschöpfe anzuschauen, gebückt
unter schweren Lasten, arbeitend im Feld und Hause, um zu verstehen, dass keine
sprudelnde Vitalität sie zu tanzen zwinge.
Der Gedanke liegt nahe, dass es vielleicht eine Beziehung gibt zwischen dem Anteil,
den Frauen am Tanze nehmen, und der Stelle, die sie in der wirtschaftlichen Produktion
einnehmen.
Eine objektive Prüfung möglichst vieler Beispiele möge das für ein Gebiet der Erde
untersuchen, und zugleich auf andere Erscheinungen mehr Licht werfen.
Abweichend von Prof. Steinmetz' Methode habe ich nicht die einzelnen Stämme als
Einzelfälle genommen, sondern die in der Literatur genannten Tänze selbst.
Nicht nur die Frage, welches der beiden Geschlechter am meisten tanzt, sondern
auch andere Fragen gibt es hier zu lösen.
•L Hirn hat schon in seinem Werke „Origins of art" geklagt: „In the descriptions of
dances and pantomimes the most important point is omitted, wether the performance
in question was executed in presence of the other sex or not".
Wir müssen also folgende Fragen beantworten:
L Tanzen die Männer allein?
2. Tanzen nur die Frauen?
3. Gibt es eigene Männer- und eigene Frauentänze?
4. Ist bei den monosexualen Tänzen das andere Geschlecht anwesend? Was macht es
und wo befindet es sich?
5. Wird ein Unterschied gemacht zwischen Verheirateten und Unverheirateten?
6. Tragen die Geschlechter verschiedenen Schmuck?
7. Wird die Begleitung vom anderen Geschlecht ausgeführt?
8. Gibt es Travestie-Tänze oder Travestie-Rollen?
9. Was kann das Motiv dieser Travestie-Rollen seinP '■
10. Wie ist die Stellung der Frau bei den betreffenden Stämmen?
Betrachten wir jetzt das Material aus den verschiedenen Teilen des malaiischen Archipels.
Sumatra.
Jacobs (S. 9) erwähnt in Atjeh: einen Kampftanz (alangan) von Knaben und Männern
mit Stöcken und Bambu-Säbeln. Weiter einen Tanz der mesadati und meptäet: kleine
Knaben, die schön gekleidet singend tanzen. Die Frage, inwieweit diese Knaben als Lus^
knaben zu betrachten sind, wird in einem anderen Abschnitt behandelt.
Snoeck Hurgeonje (S. 9) erwähnt die ratebs, religiöse Uebungen mit Gesang:
1. den rateb Saman: Tanz nur von Männern.
2. den rateb sadati: eine Art Parodie von Knaben getanzt.
3. den rateb pulet ohne Knaben — ein Wechselgesang mit rhythmischen Bewegungen
mit Tüchern und Ringen (pulet).
4. den rapa'i — einen Gesangtanz von Männern, die am Ende in Aufregung sich
verwunden.
5. den menari — Gesangtanz einer Frau, oft auch durch Knaben — die dann meistens
Lustknaben sind.
201 —
Bei den Gajo'8 finden wir (S. 25) den didong „eine Kombination von Musik, Körper-
bewegungen, Tanz und Gesang, der bei Hochzeits- und Beschneidungsfesten nie fehlen darf.
Ein bezahlter Vorgänger icnmt) leitet alles und führt selber Solo-Tänze aus. Nur Männer
tanzen (betari). Die jungen Mädchen machen in einem anderen Teile des Haukes ihre
eigene Musik ohne Gesang. In der Dörötgegend muss nach anderen Hochzeitszeremonien
der Bräutigam von Mittemacht bis zum Morgen tanzen. Weiter kennt man in den Gajo-
làndem zwei Tauzspiele aus Atjeh : das Sadatispid und den rateb Saman, beide Karikaturen
der „rateb" genannten religiösen Uebung.
Batak.
Warneck (S. 22) nennt Opfer- und Trauerieste, wobei Männer und Frauen tanzen.
Beim Opfer an die Hauptlingsgeister tanzen erst die Frauen, dann die Männer, dann
die Häuptlinge. BtMm Büffelopfer an die Dorfsgeister tanzen erst die datu, dann die
Frauen, dann alle Männer, darauf die Verwandten des Festleiters. Endlich tanzen die
Häuptlinge.
Beim sigalegale (Trauerfest) macht man ein hölzernes Bild mit Kleidern und Schmuck
des Verstorbenen, das man an Fäden tanzen lässt, ähnlich wie der Verstorbene zu tanzen
pflegte. Seine Frau, seine Brüder und Eltern tanzen gleichzeitig mit und weinen dabei.
Nach Raffles (S. 26) ist die einzige religiöse Zeremonie, an der das ganze Dorf teil-
nimmt, diejenige, welche am Abend vor Kriegsausbruch stattfindet. „Nach Gongschlägen
und Tänzen" ruft der datu den Zorn der Geister über die Feinde an. Ob nur der datu
tanzt oder das ganze Volk, wird nicht gemeldet.
JcxoiiUHN (S. 10) erwähnt den Merkordja, einen theatralischen Tanz mit Musik, den
sowohl radja's als Gemeine tanzen, doch stets nur einer auf einmal. Nie tanzen Frauen;
daher fehlen auch öffentliche Tänzerinnen.
Meerwaldt (D. 14 u. 15) sagt, dass beim hordja, (Totenfest) erst der Festgeber, dann
seine Frau einen Tanz aufführe. Die Töchter oder Abkömmlinge in der weiblichen Linie
der Verstorbenen tragen den Schrein, worin die Grebeine gelegt werden.
Beim mor;/(jndang (Opferfest nach Krankheit, bösen Traumen u. s. w.) tanzen erst die
Frauen, nachher die Männer.
Zusanmienfassend könnte man sagen, dass bei den Bataks die Frauen nie auftreten
in Vergnügongstänzen, aber in religiösen Festtanzen ebensogut wie die Männer tanzen,
wobei die Hangfolge violleicht mit dem Matriarchat in Beziehung steht; in wenigen Fällen
tanzen sie sogar mit Männern.
Dies stimmt nicht mit von Brenner's Mitteilung (S. 1): „Die meisten festlichen Schmau-
sereien werden mit einem Tanz beschlossen. Es zeigt sich selbst auf diesem Gebiete, dass
die Bataks in der Kultur bereits einen weiten Weg zurückgelegt haben, indem die Männer-
tänze allein, wie sie ursprünglich allen Völkern eigen waren, bei ihnen nicht mehr bestehen ;
denn Männer und Frauen nahmen an der Unterhaltung teil, die allerdings, wenn beide
Geschlechter zugleich auftraten, einen erotischen Charakter annahm".
Teilweise stimmt dieser Bericht mit einer nicht ganz deutlichen Bemerkung bei Meer-
waldt: Gibt Einer ein Opferfest, dann gibt es grosses Interesse. Jeder rennt dahin; man
drangt sich gegen einander: Lieder werden gesungen, zweideutige Bewegungen gemacht,
überall sieht man Springen und Tanzen.
Jedenfalls geht v. Brenner zu weit, wenn er behauptet, die Bataks kennten keine
— 202 —
Männertänze mehr. Auch die Tatsache, dass er nur 5 ganze Wochen auf Sumatra war,
weckt kein allzu grosses Vertrauen.
Den Mediimitanz, den auch Andere erwähnen, sah von Brenner ausgeführt von einer
Frau mittleren Alters. „Die Tänzerin, von Musik, Tanz und Wein berauscht, befand sich
in Verzückungen und hatte Visionen, die sie Zukunft und Vergangenheit schauen Hessen.
Das Fest hatte nämlich den Zweck, die Krieger zu versammeln, die am nächsten Morgen
zu Felde ziehen mussten. Da war dann das weise iifwo-Weib, das kluge Medium, am
Platze, um Tröstliches über die Zukunft und Günstiges über den Ausgang der Schlacht
zu sagen".
Weiter sagt von Brenner: „In Negori sah ich einmal Frauen allem einen Tanz vor
dem Hause des Häuptlings aufführen, den sie selbst mit Gesang begleiteten. Dieser war, im
Gegensatz zum vorerwähnten, ruhig und schien nur Zufriedenheit und heitere Laune zum
Ausdrucke bringen zu wollen".
Zentral Sumatra.
Van Hasselt (S. 8) vergleicht die Tänze im südlichen Padanger Oberland und in
Djarabi und Rawas. Hier tanzen die jungen Burschen und Mädchen schöne Tänze, dort
führen die Männer allein ungraziöse Kampftänze auf. Im Koto VII Distrikt (Padang)
führen bei Hochzeiten die Männer zu Hause einen Tanz auf, wobei einige Männer als
Frauen verkleidet sind.
Die Menangkabauschen Maleier haben drei Waffentänze, den mamantjaq, den bagaßieng
und den basile. Auch in den nicht weit von einander entfernten Distrikten Rawas und
Lebong besteht ein grosser Unterschied in den Tänzen. In Rawas tanzen Burschen und
Mädchen nie zusammen, wohl aber in Lebong; auch die Tänze selbst sind verschieden.
Die Mädchen- und Frauentänze sind sehr schön. Van Hasselt nennt einige der be-
liebtesten Frauentänze in Rawas (res. Palembang). Von den Männern sagt er, dass sie in
beiden Gegenden steif tanzen und dabei Lieder singen.
Winter (S. 23) behandelt eingehend die Tänze in Raicas (res. Palembang), die fast alle
von jungen Mädchen, aber keinen Bemfstänzerinnen ausgeführt werden:
1. tari ketjimbung: dramatischer Tanz, ausgeführt von der radja gadis (= Königin
der Tänzerinnen, gewählt aus den schönsten vornehmen Mädchen).
2. tari gundjing: mimischer Tanz, von einem Mädchen getanzt.
3. tari kain: ein Schleiertanz von 4 Mädchen.
4. tari Upas: Fächertanz von einem Mädchen.
5. tari palita : Leuchtertanz von einem Mädchen.
6. tari bedil: Imitation eines Waffentanzes von einem Mädchen.
7. mamantjaq: halb tanzen, halb fechten, von Männern ausgeführt.
8. tari sekin: Messertanz von einem Mädchen.
9. tari sabung: Imitation eines Hahnenkampfes: drei Mädchen.
10. tari piring: Tellertanz von einem Mädchen.
Winter lobt sehr die Schönheit aller Tänze, und sagt, dass sie, wie alle malaiischen
Tänze, immer keusch und anständig seien.
Von den Kubus sagt Hagen (S. 1) : Es gibt einen Tanz. Er ist shamanistisch-animistischer
Natur und wird nur zum Zwecke der Genesung von Kranken aufgeführt und zwar durch
die Malitns (Shamanen).
<
I
— 203 —
Van Donoen (S. 3) beschreibt ausführlich diese Zeremonie (bermalim) und sagt, dass
Frauen nie malims seien.
Haoen sah einen »Jo/im-Tanz, der zu seiner Ehre aufgeführt wurde, und bei dem die
Männer tanzend folgten. Die Frauen hockten lachend und kichernd in einer Ecke beisammen.
MozKowsKT (S. 16) beschreibt einen Schamanen-Tanz bei den Sakai (0. Sumatra) und
sagt dabei : Es scheint, dass in früheren Zeiten das Amt der Geisterbeschwörung besonders
bei Krankheiten von der gesamten Jünglingschaft ausgeübt wurde.
Carthaus (S. 2) erwähnt in Trussan (W. Sumatra) das Säbelfechten {memmitjak), wobei
in einem pantomimischen Tanze die Lehrlinge dem Instruktor huldigen. Weiter einen
Schleiertanz, von Knaben oder Jünglingen getanzt, „in dem Kenner indischer Verhältnisse
eine tanzende Liebeswerbung am Hochzeitstage mit vorgehaltenem Schamtuch wieder
erkennen wollen". Maass (S. 24) sagt von den Kwantan und Kampar Ländern, dass die
Tanze nur von Männern und JüngUngen aufgeführt werden.
Endlich einen Selbstpeiniger-Tam ausgeführt von einem Manne, unter Begleitung der
rabana's (Tamlwurinen), von 40 Männern gespielt.
Zwei alte Reisebeschreibungen sprechen von Frauentänzen an den Höfen der malaiischen
Fürsten.
VooBL (S. 21) sah bei einem Festmal in Padang vier „Dirnen" singen und tanzen „und
allerhand Posituren machen unter Begleitung ihrer Trabanten". Er schliesst seine Beschrei-
bung mit der Bemerkung: „solche Dirnen sind der Unzucht heftig ergeben, "
A. DB Bbauueu (Historische Beschrijving der Reisen in Jacobs S. 9) beschreibt einen
Waffentanz van zwei reich gekleideten Tänzerinnen am Hofe des Sultans von Atchin,
anno 1620.
Engano...
Von R08ENBBBO (S. 10) schreibt von Engano: „Tänze werden stets im Freien und nur
durch Frauen aoegefQhrt, wobei man sich an der Hand fasst und nach dem Takte einer
sehr primitiven Flöte im Kreise herumbewegt". Weiter spricht er von Gesängen, „worin
immer das eine o«ler das andere Ereignis gefeiert wird, gleichzeitig ausgeführt von Männern
und Frauen in zwei Reihen, bald langsamer, bald schneller sich hin und her bewegend".
Dieser letztere Umstand und die Tatsache, dass man sich bei den Schultern fasst, weisen
auf einen Tanzreigen, auch wenn das rhythmische Element nicht erwähnt wird.
Auch von den Spiegelgefechten „von JüngUngen mit hölzernen Lanzen ausgeführt",
wird nicht gemeldet, ob sie mit oder ohne Rhythmus und Begleitung stattfinden.
Nias.
Von Rosenberg beschreibt einen Waffentanz von vielen Männern, in Scheingefechten
von je zwei zu zweien.
„Der Tanz der Frauen wird höchstens durch vier Frauen ausgefüht, welche dann in
einer von der gewöhnlichen Tracht abweichenden, sehr reichen Kleidung erscheinen. Er
besteht in einem langsamen Hin- und Herschreiten, wobei abwechselnd die Ferse gehoben,
seitwärts gedreht und zugleich der Takt mit Aufschlagen der Fusssohle markiert wird.
Gleichzeitig werden der Kopf, der Oberleib und die Arme auf gar nicht ungraziöse,
doch oft lascive Weise bewegt, alles unter musikalischer Begleitung von Becken".
NiBcwBNHUis und Rosenberg (S. 11) neimen noch einen Tanz ausgeführt von 100—400
I. \ I. K. Bd. XXIII. 27
— 204 —
Männern, Burschen und Kindern, die einander bei der Hand fassend die Bewegung einer
Schlange darstellen. Der Tanz geht immer schneller und endet in ein prestissimo, wonach
die Tänzer atemlos hinfallen.
Fehr (S. 4) erwähnt auch Tänze von Frauen und Mädchen, die zwar zusammentanzen,
doch so, dass jede ihre Kunst allein zeigt. Der Tanz besteht in einem sehr künstlichen
Drehen und Ringen der Hände und Fusse, wobei aber der bald nach dieser, bald nach
jener Seite hingezogene und gebogene Körper sich nicht viel von der Stelle bewegt, „Aut
den Festen werden von Männern und von Frauen die verschiedenartigsten Tänze aufgeführt,
aber ganz unerhört und unerlaubt wäre es, wenn beide Geschlechter mit einander tanzen
wollten".
Borneo.
Spenser St. John (B. 9) beschreibt einen Kriegstanz von zwei Dajaks in W. Serawak,
auch einen Schwerttanz, ausgeführt durch einen Häuptling, unter Boiwohnung von jungen
Mädchen.
Als James Brooke und St. John ein Dorf der Land-Dajaks besuchten, führten der alte
Häuptling, die ältesten Männer und die Priesterinnen ihnen zu Ehren einen heiligen Tanz auf.
Die Priesterinnen treten auch in ekstatischen Tänzen bei Erntefesten und Initial-
Zeremonien der Mädchen auf.
Auch kommen Tänze vor bei den Kopf-Festen (head feast): vier Tage und Nächte wird
musiziert und getanzt, nur von unverheirateten Männern.
Van Lynden (B. 11) sagt, dass bei den Dajaks im Kapoeas-Gebiet Kriegstänze begleitet
werden von einem „keledien", (Dudelsack) Frauentänze von der „ketjapi" (guitarre)! Hier
also Männer- und Frauentänze mit verschiedenen Instrumenten.
Tromp (B. 15) beschreibt ein Dajak-Fest bei der Heimkehr des KopQägers. Hier tanzten
schön gekleidete Frauen und die Wiederkehrenden zusammen.
Hugh Low (B. 12) sagt: „In conversation I have learned from the chief that they con-
sider dancing as an indecorous and unbecoming amusement. At their feasts dancing girls
are never introduced". Vielen Wert braucht man dieser Aeusserung nicht beizulegen, wenn
man sieht, wie H. Low den Zweck der Junggesellenhäuser sehr naiv erklärt: „so strict
are these people (Hill Dajak in Serawak) in encourging virtue amongst their children, that
the young and unmarried men are not permitted to sleep in the house of the parents, but
occupy a large house".
H. Keppel (B. 10) beschreibt einen Tanz, in Serawak, welchen einige alte Häuptlinge
zu Ehren eines neu gewählten Häuptlings ausführten. Femer einen Festtanz, wobei Männer
und Frauen zusammen tanzten.
Edw. Gomes (B. 5) beschreibt einen Schwerttanz von zwei Sea Dajaks und einen mimi-
schen Tanz, worin ein Mann „acts in pantomime what is done on the warpath".
Er sagt: „Generally only men dance, and the arrival of a boat bearing the ghastly
trophy of a human head is the only occasion when the women dance".
Nach einer nicht sehr deutlichen Mitteilung von Hose und Mc. Dougall (B. 7) nehmen
an den Erntetänzen der Kajan Männer und Frauen teil. Ein Frauentanz findet u. a. statt
zu dem Zweck, einer andern Frau die Entbindung zu erleichtem. Wenn die KopQäger
heimkehren, findet ein grosses Fest statt, wobei die Frauen mit den Köpfen einen Tanz
ausführen. „Waving the heads to and fro, and chanting in imitation of the men's war song".
- 205 —
Einige Mädchen lernen einen Solo Tanz auaführen, der aus langsamen, zierlichen Be-
wegungen der Arme und Hände besteht. Die älteren Knaben lernen einen Tanz, in welchem
die Heimkehr vom Kriegspfad dramatisch vorgestellt wird. In keinem dieser Tänze wird
getanzt.
Ein fünfter Tanz (bei den grossen Erntefesten) ist eine dramatische Vorstellung durch
drei Personen (!) von dem Tode eines der Ihrigen und von seiner Auferetehung zum Leben
durch das Lebenswasser. „This dance is sometimes given with so much dramatic affect as
to move the onlookers to tears".
Der Kriegstanz wird nur von zwei oder drei Kriegern ausgeführt.
HosB nennt weiter einen Affentanz, in welchem ein Mann einen Macacus imitiert.
Auch bei den Kenja's kommt ein solcher Tiertanz, der „hornbilldance" vor, dem aber, wie
dem Affentanz der Kayan, keine Bedeutimg beigelegt werden darf: „It seems to be done
purely in a spirit of fun".
Endlich erwähnt Hose noch Zeremonien mit ekstatischem Tanz zur Genesung von
Kranken: eine ausgeführt von männlichen, eine von weiblichen Schamanen.
UujiANN (B. 16), das Tiwahfest der Dajaks beschreibend, spricht von einem wilden Tanz
der Männer um die zu opfernden Tiere und Sklaven, und von einem Frauenfest, wo die
Männer wenigstens bei Tag nicht anwesend sind. Beide Feste sind wahre Bacchanalien.
Bkeitensteix (B. 2) in seiner Beschreibung des Tiwafestes, erzählt von einem Frauen-
tanz, wo drei basir (Priester) und zwei maskierte Clowns (?) mittanzen, jedoch in konzen-
trischem Kreise um den Reigen der Frauen. Die „clowns" imitieren die Basirs und führen
Coitusbewegungen aus.
Chalvers (in Ling Roth. B. 14) erwähnt ein Dajakfest in Simpok (Serawak), wo zuerst
der Häuptling (orang kaya), dann Männer, endUch Frauen und Mädchen zusammen tanzen.
NiEUWENHüis (B. 17) gibt für Zentral-Borneo weitaus das beste und wertvollste Material.
Die Kenja verleihen ihren Namen dem Schicerttanz (Kenja), der fast stets nur von einem
Mann ausgeführt wird, stets nach der Melodie der kledie.
Auch die Priester tanzen den Kenja — unter Begleitung von gongs, zur Vertreibung
bOser Geister.
Ein HauptvergnOgon der ei-wachsonen Jugend bildet der „ngarang", ein schlichter Tanz
von Männern und Frauen, der nach dem Mass verschiedener von den Tanzenden selbst in
Rezitationsform gesungener Lieder ausgeführt wird. „Ein Spiel, das von Frauen besonders
in ihrer freien Zeit vorgenommen wird, besteht darin, das eine Frau zwischen zwei Reis-
stampfern tanzt in einem Rhythmus, der immer schneller wird".
Bei den Bahau erwähnt Nieüwenhcis einen ngarang (Gesangtanz) von hundert Männern,
wobei Männer und Frauen zuschauten. Priesterinnen, durch Laien gefolgt, führen beim
Neujahrsfest einen Rundtanz (nangeian) aus.
Für die Kujan ist das Neujahrsfest (dangei) eines der grössten Ereignisse des Jahres.
Dann werden die jungen Priesterinnen in die Geheimnisse der Wissenschaft eingeweiht,
während die altere Priesterin tanzt und männliche Priester Kriegstänze aufführen, — wahr-
scheinlich, um böse Geister abzuwehren. Bei der Opferung der Schweine, dem Glanz-
punkte des Neujahrsfestes, tanzen sämtliche Friesterinnen um das Opfergerüst. Wieder führen
zu beiden Seiten mit Schwertern bewaffnete Priester Kriegstänze auf.
Nachher tanzen junge Männer und Frauen in den schönsten Kleidern, und singen den
Refrain eines geistlichen Liedes, das die Priesterin angefangen hat. Dieser Tanz ist ein
— 206 -^
Rundgang mit Gesang um das Opfergerüst. Beim Saatfest finden Maskentânze statt von
Männern und Frauen. Hiebei tragen die Männer hölzerne Gesichtsmasken, die Frauen
Masken aus Tragkörben mit weissem Kattun bekleidet (hudo adjat). Alle stellen sie böse
Geister dar.
Die Männer führen schweigend ruhige Tanzschritte aus, ahmen auch Kriegstänze nach,
und schliessen mit der pantomimischen Darstellung einer Wildschweinjagd.
„Dem Auftreten der jungen Mädchen mit ihren Korbmasken ging eine obszöne Vor-
stellung eines Mannes voraus". Weiter sah Nieuwenhuis: Travestie-Tänze, von Modellen
ausgeführt, und mimische Tänze, worin eine Gruppe schmutzig gekleideter Mämwr die
benachbarten Punans spottend nachahmte.
Celebes.
Von den Buginesen in Süd-Celebes sagt Matthes (C. 7), dass sie die Tanzkunst mehr
pflegen als die Musik.
Er nennt:
den madjaga an den Höfen der Fürsten durch Prinzen und Prinzessinen getanzt; die
Tänze der padjoge, Tanzmädchen, mit welchen man für Geld tanzen darf; Kriegstänze von
Männern aufgeführt u. a.
den lenggo (ein Mann);
„ panja (zwei Männern);
„ sereh Molukii, einen molukschen Kriegstanz (zwölf Männern);
„ gambo-Tanz — einen Kriegstanz von Madura;
„ sereh Bandang — einen banda'schen Tanz von zwei Männern.
Alle diese Tänze — sagt Matthes — geben keinen hohen Gedanken von der Ge-
schwindigkeit dieser Naturkinder.
In seinen sehr ausführlichen Beschreibungen der Zeremonien bei einer fürstlichen
Hochzeit, einer Beschneidung und einer Geburt werden jedoch keine Tänze erwähnt. In
seiner Abhandlung über die bissu (C. 6) beschreibt Matthes die verschiedenen Zeremonien,
worin männliche und weibliche Schamanen auftreten: „Die bissu spielen gewöhnlich keine
andere Rolle als auf Festen zu tanzen und zu singen, und als Arzt aufzutreten. Hier wird
der Schamane also zum Beruftänzer. Die männhchen bissu's sind als Frauen gekleidet und
haben auch ganz weibliche Manieren. Harhebomée (C. ) beschreibt ein Fest zur Beschwörung
der Cholera (Süd-Celebes). Hier führen drei Personen einen Tanz auf, der immer wilder
wird und plötzlich abbricht. Einer der Tänzer ist ein Mann, die anderen zwei sind Frauen,
die aber so gekleidet sind, dass sie nicht als Frauen su erkennen sind. Sie sind bewaffnet
mit Dolchen, tragen wie die Männer sonko's und tanzen zum Schluss einen Kriegstanz.
Wahrscheinlich handelt es sich hier auch um bissu's und vielleicht sind die nicht zu
erkennenden „Frauen" doch noch Männer.
Die besten Kenner der Toradja, Kkuyt und Adriani (C. 4), erwähnen die folgenden
Tänze : den moraego, einen Reigen, ausgeführt von Burschen und Mädchen, wobei Liebesheder
gesungen werden. Das Spiel, das keine religiöse Bedeutung hat, oder gehabt hat, wird nur
getrieben, um die unverheirateten jungen Leute in nähere Bekanntschaft zu bringen. Es
ist denn auch an keine bestimmte Zeit gebunden.
Den motaro : einen Kriegstanz von Priesterinnen und anderen Frauen. Da bei den Toradja
- 207 —
eigentlich alle Frauen Priesterinnen sein müssen, und dies in der Praxis nicht zutrifft,
hat man eine Zeremonie, die die Frauen zu Priesterin macht. Hierbei wird der motaro
ausgeführt, der nur eine elegante, feinere Form des Kriegstanzes darstellt und dazu dienen
soll, die bösen Geister abzuwehren.
Nach einer KopQagd wird ein Kriegsgesang gesungen (ento), in welchem der ganze Zug
beschrieben wird. Erst singen die Männer, dann abwechselnd die Frauen auch. Man fasst
sich bei den Schultern und nachher tanzt jeder einzeln. Die Beschreibung ist für unseren
Zweck nicht sehr klar.
Beim montjojo-Fest führen die Frauen wieder einen Kriegstanz auf, der einen Angriff
des Feindes darstellen soll, abgewiesen durch die Frauen.
Das Priesteramt wird bei den Toradja fast nie von Männern ausgeübt, meistens von
Frauen oder von als Frauen verkleideten Männern (bajasa).
Beim grossen Totenfest (tengke) werden die Knochen der Verstorbenen gesammelt.
eingepackt, mit Masken verziert und, von Frauen getragen, zu einem Tanz auf den Kata-
falk gelegt Priosterinnen mit Schwert und Schild machen sieben Rundgänge um den
Katafalk (Kriegstanz?). Die Litaneien werden gesungen von Priesterinnen und Laien,
wahrend Männer und Frauen einen Reigentanz ausführen um den Katafalk. Es ist einem
Manne gestattet, das Mädchen aufzufordern, mit dem er den Reigen ausführen möchte, und
strenge Busse föllt auf denjenigen, der zwischen das tanzende Paar hindurch sich bewegt.
So lange sie einander festhalten sind sie Mann und Weib.
Von Nord-Celebes (die Minahassa) erwähnt Schwarz (C. 10) den maengket, einen Reigen
mit Oesang, der ausgeführt wird während des Erntefestes.
Priesterinnen und andere Frauen tanzen mit, auch Männer in einem Halbkreis hinter
den Frauen. Schwarz sieht in dieser Zeremonie den Rest eines alten Sonnenkultes.
WiEBSMA (C. 11) wohnte der Bestattung eines christlichen Häuptlings bei in der Mina-
hassa, wolxn 8 bunt gekleidete Männer, mit hölzernen Degen bewaffnet, beim Takt der
Musik allerlei Sprünge machten. Hier handelte es sich ohne Zweifel um einen Kriegstanz
zur Abwehr böst^r Geistor.
Riedel (C. 8) schreibt von den Toumbuluh-Stämmen in der Minahassa: „bei Begräbnissen
werden drei bis vier walians (Priester) als mawasals (Führer des Toten im Schattenreich)
eingeladen. Diese sind in Kriegskleidung, mit Schwert und Schild bewaffnet. Einige Tage
nach der Bestattung führen diese mawasals einen Kriegstanz auf dem Grundstück des
Verstorbenen auf, um der Seele, falls sie sich nicht entfernt hat, Furcht einzuflössen,
damit sie nicht zurückkomme". Viel später, l>ei einem zweiten Totenfest, tanzen Frauen
und Mädchen um ein Opfergerüst während Zweige von Bäumen, von dem Verstorbenen
gepflanzt, in den Boden gesteckt werden, um den Toten günstig zu stimmen.
WoLTERBEEK — MÜLLER (C. 12) beschreibt einen Gesangsreigen, bei Familienereignissen
ausgeführt, bei dem alle sich rhythmisch im Kreis bewegen, in speziollen wiegenden
Schritten. Die Sprache der gesungenen Lieder und Details in der Ausführung weisen auf
die alte Herkunft dieses purengke.
Frau "Weber — vas Bosse (M. 18) wohnte auf Saleier dem Feste der Salzemte bei, und
sah 12 Mädchen, Häuptlingstöchter, einen feierlichen Tanz aufführen.
Van Hoêvel, ein Beschwörungsfest auf Moeton beschreibend, sagt: ,am letzten Tage
findet ein Büffelopfer statt. Dann treten die Priesterinnen ab, und die gewöhnlichen Tanz-
mädchen (padjoge) führen ihre Tänze auf Diese padjoge, deren jeder Fürst vier unterhält
208 —
und die zugleich Hetaeren sind, stehen in hohem Ansehen und bilden wahrscheinUch eioen
Ueberrest der religiösen Prostitution, wie bei den balians auf Borneo".
Den Kern des eigentlichen Festes (zu Ehren der Genesung einer Prinzessin) bildet eio
Tanz von sieben Priesterinnen, die erst durch Musik und Weihrauch in Ekstase geraten
und dann einen Kriegstanz zur Abwehr der bösen Geister auflführen.
Molukken.
Ceram.
JoEST (M. 8) sah auf Ceram: den jakaleli, einen Kriegstanz, ausgeführt von zwei be-
waffneten Männern. Von einem der beliebtesten Tänze, dem mahn, schreibt Joest: , Dicht
beim Feuer hocken die Frauen, mit betäubendem Getöse Gong und Tifa schlagend, während
die geputzten, reich mit Perlen und duftenden Blumen geschmückten Mädchen auf den
Beginn des Tanzes warten. Da treten die Jünglinge und Männer vor, ohne Wafifen aber in
vollem Kriegsschmucke, sie fassen einander Arm in Arm und bilden einen Kreis, ohne den
Ring zu schliessen da huschen die Mädchen in den Kreis ; mit geschlossenen Augen
halten sie sich am Gürtel des Auserwählten fest, der sie um Hüfte und Hals umschlingt;
länger und länger wird die Kette, feuriger Tanz und Gesang, bis die Tänzer ermatten und
im Dunkel des nächtlichen Urwaldes verschwinden".
lieber einen Mädchentanz auf Ceram schreibt Joest : „Eigentümlich ist ein Tanz, den
junge Mädchen, wenn sie ganz unter sich sind, bisweilen vollführen. Er erinnert an den
indischen yiautsch. Mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen stellen sie sich im
Halbkreis auf und bewegen sich dann mit verbogenen und taktmässig zuckenden Hand-
und Ellbogengelenken langsam seitwärts " In einer anderen Arbeit (M. 9) sagt Joest :
das menari, eine Verbindung von Gesang und einheimischen Tanz, besteht aus einer Folge
von Bewegungen, die stets gleichmässig und dem Takt der Musik entsprechend vollführt
werden müssen. Ein Paar tanzt, die Anwesenden hocken ringsum auf dem Boden und be-
gleiten mit Gesang und Händeklatschen".
Sachse (M. 15) schreibt von Ceram: Der allgemeine Tanz der Alfuren ist der kahmca.
Jünglinge und Mädchen bilden hierbei einen grossen Kreis ; oft einen Kreis für jedes Ge-
schlecht. Der kahuiva ist eigentlich ein Kriegstanz, ausgeführt nach einer KopQagd, wobei
Lieder in alter Sprache gesungen werden. Bei der West- Alfuren sind alte Frauen die Tifa —
Spielerinnen und Vorsängerinnen.
Die Alfuren von Lisabota (Wahai) stellen sich auch sternförmig auf, in jeden Strahl
vier Männer. Dieser Tanz heisst lumaulai.
Von den anderen beschriebenen Tänzen meldet Sachse nicht, wer die Ausführenden
sind, so dass sie hier ausser Betrachtung bleiben können.
K. Martin (M. 12) beschreibt einen Alfuren-Tanz auf Ceram, den karori. Dies ist ein
Gesangsreigen, von Männern und unverheirateten Frauen ausgeführt, wobei aber keine getrennte
Reihe gebildet wird; Die verheirateten Fraiien und Männer sind Trommelschläger und bilden
einen Kreis um die Singenden und Tanzenden. Der menari parisi ist ein Tanz, an welchem
nur junge Männer teilnehmen. Sie bilden zwei Reihen, schlagen mit Stock und Schild den
Takt, urd führen Tanzbewegungen aus, während die Vortänzer sich in der Gasse zwischen
den Reihen bewegen.
— 209 —
Buru.
Martin sah eine Begrûssungs-Zeremonie der Alfuren, wobei einer der Männer sich
durch die Reihen der zur Stelle bleibenden Tanzenden hinbewegte. Alle Würdenträger
tanzten mit: keine Frau nahm an diesem menari teil. Offenbar ist hier der auf Ceram als
menari parisi erwähnte Tanz gemeint.
Aus Süd-Buru nennt Martin einen Tanz mit Begleitung des Tatabuans (eine Art
gamelang). .Die Frauen stehen zu zweien auf einer kleinen Matte, während die Männer
sie allseitig umwerben".
WiLKEN (M. 19) erwähnt weder bei Heiraten, noch bei Bestattungsfesten Tänze. Wohl
aber einen Beschwörungstanz, ausgeführt von einem „Geisterseher". Solch eine Beschwörung
(emkehâl) findet bei Krankheiten statt. Der kgo ist ein Tanz, nur von Männern ausgeführt,
wobei die alten Legenden oder historischen Ereignisse besungen werden. Einer der Tänzer
ist Vorsänger, die andern antworten im Chor. Trommeln (tuba) bilden die Begleitung. Die
Tatsache, dass der kgo früher meistens bei Beschneidungsfesten ausgeführt wurde, lässt
an seinen religiösen Ursprung denken. Bei dem menari — einem fremden Tanze — tanzen
Montier und Fratten, unter Begleitung von tuba's, gongs und tatabuans (die beiden letzt-
genannten Instrumente sind ebenfalls fremden Ursprungs). Die Frauen bleiben, den Körper
rhythmisch bewegend, an Ort und Stelle, die Männer bewegen sich zwischen den Frauen
hindurch. Offenbar ist hier der von Martin beschriebene Tanz gemeint.
Ambon.
J0E8T (M. 9) beschreibt den menari, eine Verbindung von Gesang und einheimischem
Tanz. Ein Paar tanzt, die Anwesenden hocken ringsum auf dem Boden und begleiten mit
Qesang und Händeklatschen.
Riedel CM. 17) erwähnt für Amlx)n:
den mora tekalo — von Männern und Frauen;
, mara tabuani — nur von Frauen;
„ mara parisa — von Männern;
, mara mamüiawai — von Männern.
Von Höevell (M. 6) sagt, dass die Mohammedaner auf Ambon noch den menari kennen.
Die Frauen und Mädchen tanzen in zwei Reihen, an derselben Stelle bleibend, während ein
oder zwei Männer, Tanzschritte ausführend, sich hindurch bewegen. Die Anwesenden singen,
nicht die Tanzenden.
Saparua.
Van Schmidt sagt von den Zauberern : Man kennt sie an ihren Tänzen im Mondschein.
Vielleicht meint er hier Beschwörungstänze. Beim Bau einer neuen bailee (Gemeindehaus)
finden tjakaleüe (Kriegstänze) statt. „Früher spielten dabei die Priester eine vornehme
Rolle". Auch wird der tjakaleüe getanzt beim feierlichen Empfang des neuen Regenten.
Martin (M. 12) erwähnt einen mimischen Tanz, wobei der Fischfang nachgeahmt wird,
sagt aber nicht, ob Männer oder Frauen tanzen.
Halmaheira.
Van Baarpa (M. 1) beschreibt das „Knochenfest", gehalten, wenn die Knochen eines
Häuptlings ausgegraben und wieder bestattet werden. Hierbei finden Spiele und Tänze statt
— 210 —
von Jünglingen und Mädchen, u.a. ein Spiel mit Wechselgesang, wobei beide Parteien
an einem Seil ziehen; das Spiel wird während der Nacht gespielt und gibt zu viel
„Unsittlichkeit Veranlassung". Nach verschiedenen anderen Zeremonien, die tagelang dauern,
führen Jünglinge und Mädchen einen nächtlichen Tanz aus; die folgende Nacht tanzen die
verheirateten Frauen; auch während der dritten Nacht tanzen die verheirateten Frauen,
nachdem sie die mitgebrachten Schüsseln mit Speisen abgegeben haben. Endlich führen die
Männer einen Kriegstanz auf.
Das to/cM-Spiel, auch mit Wechselgesang, wird von Jünglingen und Mädchen ausgeführt.
Sie bilden zwei Reihen, halten sich bei den Händen, und lassen so ein Kind über die
ausgestreckten Hände laufen, während die ganze Figur sich achtmal um das Haus des
Festgebers bewegt. Dieses Spiel erinnert an das makko-Spiel, das Sachse auf S. Ceram
erwähnt, ohne aber den Gesang zu nennen, (nur die tifa Begleitung). Er fügt nur hinzu:
das Kind stellt ein kusu (Beuteltier) vor. Auch das Seilziehen (heia rotan), das von zwei
Parteien während der Nacht gespielt wird, und wobei Lieder gesungen werden, kommt
auf Ceram vor.
Campen sagt (M. 4):
Stirbt einer, so wird die Leiche auf eine Bahre im Gemeindehaus gelegt. Die
Witwe muss dann singend um das Haus tanzen, der Witwer einen Kriegstanz (tjakalelle)
ausführen.
Van Dyken berichtet (M. 20):
Die Frauen spielen bei den Festen die erste Rolle. Bei Tanz, Gesang und allen Belusti-
gungen nehmen sie den grössten Anteil.
Beim Einweihungsfest eines Tempels wird ein Kriegstanz ausgeführt.
Bleeker erwähnt (M. 2) beim Sultan von Tidore Frauentänze, die er als nicht anmutig
und schleppend beschreibt, und die dann auch „so stark eingeschränkt wurden als die
Etikette (es war bei einem Fest zu Ehren des General-Gouverneurs) es erlaubte".
Auf seiner Reise mit dem General-Gouverneur durch die Molukken sah er viel Tänze,
beschreibt aber weiter keinen einzigen.
Frau Weber— VAN Bosse (M. 18) sah bei einem Besuch am Hofe des Sultans von
Ternate einen Mädchentanz mit Fächern und farbigen Tüchern.
Auch sah sie einen Tanz von einem Mann und 12 Knaben, mit einem Kopfschmuck
von Paradiesvcjgeln und mit hölzernen Degen in der Hand. „Die Lebhaftigkeit, mit welcher
der Tanz ausgeführt wurde, das Angeben des Taktes durch Stampfen mit dem Fuss aut
den Boden, und das damit abwechselnde elegante Tanzen auf den Fussspitzen, alles dies
war nicht einheimisch orientalisch". Frau Weber denkt, dass dieser „danca danca" einen
alt-portugiesischen Tanz darstelle, und sagt, dass die Eingeborenen den vornehmeren loge-
loge (lego?) vorziehen.
Sula Inseln.
Jansen (M. 11) beschreibt ein Beschneidungsfest auf Taliabu. Nach der Beschneidung
werden die Knaben, die sich halten, als wären sie tot, fortgetragen, während die Männer
wild tanzen und schreiend um sie springen, und die Frauen mit tifa und gongs begleiten.
Auf Taliabu wird nur von Männern getanzt, unter Musikbegleitung der Frauen. Die Frauen
können nicht tanzen.
- 211 —
Letti.
Barchewitz (M. 3) erzählt, wie er 1715 dem Bau eines „Luly-Hauses" beiwohnte,
wobei jeder Baum aus dem Walde mit Kriegstänzen geholt wurde. „Etliche Männer gingen
vorher mit ihrer indianischen Musique, nämlich Paucken und gongons, sungen, sprungen
und Zachelillten, d.i. fochten vorher. Sobald sie in der Negorey angelangt waren, sprangen
die Jungfrauen welche sich aufs schönste geputzt, ihnen entgegen. Wenn sie nun mitten
in die Negorey bei dem daselbst stehenden Altare kamen, so gingen sie 3 Mal um den
Altar mit dem Baum herum, tanzeten und sungen dazu. Wenn sie einmal herum waren
stunden sie ein wenig stille, da kam ein Vorfechter mit seinem Assagay und stach einmal
nach dem Baum, dann gingen sie wieder herum, tanzenten und zachelellten oder fochten
mit ihren Assagayen vor dem Baume her".
„Sollte ich zu einer recht solennen Fresserey kommen, so schickte jedesmal der
Orang cay 20 bis 30 Männer, welche mich öffentlich einholen und in ihre Negorey bringen
mussten. Diese Abgeschickten zogen mit vollem Gewehr auf und convoyirten mich.
Wenn wir vor die Negorey kamen, schlugen sie die Pauken und gongons fechtend entgegen,
hieben und stachen auf einander nicht anders, als ob sie Feinde wären, da doch alles zur
Lust und Staat geschähe, — und brachten mich mit Singen und Springen in die Negorey".
Riedel (M. 17) sagt von den Bewohnern Letti's: Sie sind grosse Liebhaber von Gesang,
Spiel und Reigentanz, und tun nichts, ohne dabei zu singen. Bei den poreke-Festen, zu
Eîhre des Upolero's, des männlichen Prinzips, abgehalten, werden Tag und Nacht spezielle
Tänze (lioi) ausgeführt, u.a. ein Bohnentanz (?) von Frauen allein, ein Reigentanz nur von
Männern, ein Bananentanz (das symbol des lingams), ein Bocktanz, ein Speertanz (offenbar
meint Riedel hier nur Männertänze). Diese lioi dürfen bei andern Gelegenheiten nicht
getanzt werden.. Verschiedene dieser Tänze sind obscön, und früher durfte man bei
diesen Satumalien öffentlich den Coitus ausüben. Es herrschte während des Festes freier
Geschlechtsverkehr.
Von Kissar meldet Riedel: „Es gibt viele Lieder und Tänze; einige Tänze sind nur
fttr Männer, andere nur f\lr Frauen. Nur der Tanz beim poreke-Fest ist für Männer und
Frauen zusammen, darf aber sonst nie aufgeführt werden".
Der Kriegstanz auf Letti (roasewar) wird nur während des Krieges aufgeführt.
Jacobsen (M. 1) fand auf Kissar zwei grosse, aus Leinwand geraachte, mit Heu ausge-
stopfte Puppen, Opulero und Opunun, die Sonne und die Erde vorstellend. Opulero vereinigt
sich gegen Ende des Ostmussons durch den Nunabaum mit der Erde (opunun), um ihr
Fruchtbarkeit zu verleihen, und die Puppen, an den Baum gehängt, verkörpern diese
Gottheiten. Bei diesem Purkafeste unter dem Nunabaum wird Nacht und Tag getanzt durch
Männer und Frauen, teils gesondert, teils zusammen. Das Fest trägt einen priapischen
Charakter Geschlechtliche Ausschweifungen sollen fVüher auf dem Tanzplatz die
Feier begleitet haben".
Wetter.
Jacobsen erwähnt einen Schamanentanz zur Heilung eines Knaben (von einem Medi-
zinmann).
Riedel nennt einige Tänze, ohne zu melden, wer sie ausführt: Nach einem siegreichen
Feldzug wird ein Kriegstanz aufgeführt. Beim Friedensschi uss wird getanzt, und auch beim
Bau einer neuen Wohnung.
I. A. f. E. Bd. XXIII. 28
- 212 —
Solor.
Müller (M. 11) sah hier nur Männer tanzen. Er sah eine Art Gesangsreigen und ein
Spiegelgefecht, mit Bambusstöcken unter Musikbegleitung. Beide ware wild und ungestüm.
Timor Laut.
Jacobsen erwähnt einen Reigentanz von 15 Jünglingen, wobei gesungen wurde. Auch
einen Tanz von zwei Jünglingen, die sich selbst mit Trommeln begleiteten.
Luang-Sermata Inseln.
Riedel sagt, dass bei Mondschein Männer und Frauen am Strande singen und tanzen
unter Begleitung von Trommeln.
Babar Archipel.
Hier sind Männer und Frauen grosse Liebhaber von Gesang und Tanz. Jedes Dorf hat
seine eigenen Tänze. Männer und Frauen führen einen Reigentanz auf.
Tenimber Inseln.
Auch hier singt und tanzt man sehr gerne. Riedel nennt einen Kopfjägertanz von
Männern und Frauen. Die jungen Männer beschäftigen sich gern mit einem Waffentanz,
dem resasanasan.
Die unverheirateten Frauen unterhalten sich oft im Mondschein mit einem Reigentanz
mit Gesang. Im Kreis tanzen auch zwei junge Männer mit. Das Gesungene hat meistens
einen zweideutigen Sinn.
Key Inseln.
Geurtjens (M. 5) erzählt, dass die Frauen, wenn die Männer abgereist sind, einen
ganzen Tag tanzen. Verschiedene Details geben Anlass, hier an sympathetische Magie zu
denken. „Cette danse n'est pas accompagnée du tambour mais du chant des danseuses
elles mêmes. Elle est bien plus variée et plus mouvementée que les dances de femme
ordinaires". Also kommen auch sonst Frauentänze vor.
Merton (M. 13) sah einen Fächertanz von Mädchen (in zwei Reihen) und einem Mann
ausgeführt, den Reisenden zu Ehren.
Die Männer führten einen Parangtanz (parang = kurzes Handmesser) auf.
Riedel (M. 17) sagt, dass die Key Bewohner grossen Wert legen auf Gesang und Tanz
(bebeen). Es gibt hier mehr als 40 Tänze ; der Tanz des einen Dorfes darf in einem anderen
nicht aufgeführt werden.
Tänze allein von Männern sind u. a. :
der Affentanz,
der Reigentanz,
der Flintentanz.
Männer und Frauen führen aus:
den bebeen besar, wobei alle in einem Kreise stehend mit Tüchern schwingen, um
den Seefahrenden günstigen Wind zu besorgen;
den Schmetterlingtanz, mit Fächern, wobei die Bewegungen eines Schmetterlings nach-
geahmt werden.
I
— 213 —
den Vogeltanz, mit Gesang, wobei ein Vogel nachgeahmt wird, der Fische fangt;
den Dolchtanz, wobei alle mit Dolchen stechen und singen.
Nor Frauen tanzen den bebee)i sosoi, wenn die Boote abfahren. Bei den anderen Tänzen
wird nicht gemeldet, wer mittauzt.
Arn Inseln.
Mekton sah bei Mondenschein, begleitet von Gesang und Troramelmusik einen Mann
tanzen. „Soviel ich erführ, soll er einen Dämon repräsentieren. Er begann seinen Tanz mit
Tüchern. Je länger er tanzte, umso aufgeregter wurde er; seine Augen rollten". Vielleicht
handelt es sich hier um einen Schamanentanz.
Neil-Guinea.
VuEOEN (N. G. 16) sagt, dass auf Merauke (S. W. Neu G.) Männer mit weiblicher
Schambekloidung einen Geistertanz ausführten, der das Symbol der Fruchtbarkeit dar-
stellen sollte. (!)
Bei den Initiationszeremonien kommt ein Kranich-tanz vor von einem Mann, der die
Novize w^rägt. Die Frage, ob dieser Tanz zum Totemismus in Beziehung steht, wird uns
nachher beschäftigen.
Im Mac Cluorgolf sah Van Müylwyk (N. G. 8) ein Totenfest. In einem der Boote war
eine Plattform, worauf die Frauen tanzten und sangen, während die Männer, die nicht
ruderten, auf Trommeln und Gongs schlugen. Nachdem man das Ufer betreten hatte, gingen
alle tanzend zum Grabe. Bei den Papua der Humboldtbai (N. G. 4) tanzen Männer und
Frauen vor die Karrowarri, wenn ein Häuptling stirbt.
Va.s der Sande (N. G. 12) erwähnt in Tobadi:
den utia, einen Tanz mit „funeral song" im Tempel, nur von Männern ausgeführt;
den djau, eine Reihe Männer und eine Reihe Frauen, die erstem in schnellerem Tempo
sich bewegend als die letzteren ;
den unann/ng), ein Kreis von Männern und Frauen;
den chria, ein Kreis von Männern und herum ein Kreis von Weibera;
den iba jondUje, von Männern, Knaben und Mädchen.
Sehr klar ist die Uebersicht nicht.
RosENBERO sah bei der Dorebai einen Tanz, wobei die bewafiftieten Männer, dann
Kinder und endlich die Frauen paarweise eine lange Reihe bildeten und dann einen Kreis.
Zwei Vortänzer führten in der Mitte des Kreises WaflFentänze aus. Weitere Details weisen
auf eine religiöse Zeremonie.
Rawuno (N. G. 9) sagt, dass im unteren Mimika-Gebiet nur die Frauen tanzen, während
die Männer singen und begleiten. Frauen aber dürfen niemals mitsingen. Der Tanz selbst
ist langweilig und einförmig, „as little shuffling of the feet as is compatible with the
maximum ondulatory movements of the thighs and buttocks".
Rawlino und auch Wollaston (N. G. 10) erwähnen Tänze in einem „dancing hall"
wobei die Tanzenden eine grosse ausgeschnittene Darstellung eines Auges berühren müssen.
Hier sollen Männer und Frauen mittanzen. Beide Berichte über die Tänze der Mimica
Papua scheinen mir wenig zuverlässig, sind • jedenfalls ganz unklar und mangelhaft.. Viel
besser ist, was Williamson (N. G. 17) über die Tänze der Mafulu sagt: Männer und Frauen
tanzen hier nie zusammen.
— 214 —
Haddon (N. g. 1 + 2) sagt von den Torres-Strasse Tänzen: „a caracteristic of the dances
ist that they are practically confined to men".
Bei einer Bestattungs-Zeremonie tanzen drei Männer ; zwei tragen Pfeil und Bogen, der
dritte ist als Frau gelileidet und trägt zwei Besen.
Bei den Festtänzen treten bisweilen die Frauen nach den Männern auf, nie aber
zusammen mit diesen. Die Kriegstänze werden nur von Männern aufgeführt, während die
Frauen zuschauen dürfen.
Die religiösen Tänze (ceremonial dances) werden auch nur von Männern getanzt, und
bei den meisten dürfen Frauen und Knaben nicht anwesend sein.
Die Kleineyi Simda-Inseln.
Bali und Lombok.
NiEUWENKAMP (Kl. S. 9) beschreibt einen Schamanentanz, worin der Zauberpriester
(balian) nacheinander verschiedene Rollen spielt, je nachdem der Geist eines Gottes, einer
Göttin oder einer andern legendarischen Person in ihn gefahren ist. Ist er von einer Gtöttin
beseelt, dann kleidet er sich als Frau, spricht und benimmt sich ganz als eine Frau und
fällt niemals aus seiner Rolle. Die Umstehenden begleiten mit Gamelang und Gesang. Ein
anderer hypnotischer Tanz wurde von zwei kleinen Mädchen dargestellt, die begleitet durch
den monotonen Gesang der jungen Männer (ohne Gamelang) verschiedene mimische und
symbolische Tänze aufführten: Nach der Vorstellung, die 4 Stunden dauerte, wurden sie
von den jungen Männern für Geld geküsst.
Bei einem Kremationsfest führten 12 als Soldaten gekleidete Männer einen Kriegstanz
auf. Zwei Männer mit klewangs führten schöne, aber unkeusche Tänze auf.
Van de Jagt (Kl. S. 5) schreibt, dass jeder, der bei der Kremation dem verstorbenen
Fürsten Ehre erweisen will, seine Tänzer, Tänzerinnen oder Vorfechter schickt, die
mit Gamelanbegleitung ihre krampfhaften unnatürlichen schreckenerregenden Bewegungen
ausführen".
Sumba.
RoES (Kl. S. 12) nennt bei den Spielen auf Soemba u. a. :
den niengu, einen Waffentanz von zwei Mädchen oder Frauen;
den kalaiwes, einen Waffentanz von Mädchen und Männern;
den rendja pai, von zwei Männern mit Gesangbegleitung ;
den pai, bei dem 30 Frauen einen Kreis bildeten, während ein Mann Lieder sang von
didaktischem Inhalt.
WiELENGA (Kl. S. 10) beschreibt einen Festtanz in West-Sumba und macht die Be-
merkung: „Frauen waren nicht anwesend. Im Osten sind diese überall dabei. Hier im
Westen ist die Stellung der Frau nicht so hoch. Diese steht in Beziehung zur Lebensart,
(nomadisch oder Ackerbau treibend). Auch das Halten von Sklaven hat Einüuss". Die
Tänze selber sind im 0. lebhafter und haben einen anderen Rhythmus als im W. Hier sei
nur ein Waffentanz von 4 Männern mit Speer und Schild interressant.
Hangelbroek (Kl. S. 3) nennt:
den rendja lamba, einen Tanz, wobei ein Mann mit Trommel und Messer wilde Bewe-
gungen macht.
- 215 —
den rendja pai: ein junger Mann singt bei einer Guitarre. Frauen und Mädchen antworten
im Chorgesang und führen einen Reigen aus; am Schluss tanzen auch die Männer mit;
den niengu, einen Tanz von Mädchen;
den kalaiwes, denselben Tanz, wenn auch Männer mit Schild und Messer (kabela)
mittanzen.
Sava.
Hier erwähnt Dosselaar (H. S. 1) den pedoa, einen Gesangsreigen von Männern,
Frauen, Burschen und Mädchen ausgeführt bei jedem Vollmond.
Rotti.
Hetheriko (Kl. S. 4), die Feste beschreibend bei der Heirat einer Fürstentochter auf
Roti, sagt nur : man schlägt auf gongs und tamburins, wahrend von Zeit zu Zeit einige
Gruppen von Männern und Frauen sich unterhalten mit tjakalelle und lendo (einen leichten
Tanz). Die eigentliche Heiratszeremonien waren ohne Tanz.
Lekkebkebker (Kl. S. 7) beschreibt den keblai (Reigentanz) auf Roti : ,Der Reigentanz
ist för die Völker des östlichen und südöstlichen Archipels das am meisten vorkommende
Volksvergnügen.
Der Tanz findet statt nach Sonnenuntergang. Die Frauen bilden einen geschlossenen
Kreis, führen, streng rhythmisch, langsame Bewegungen aus, während die Oberkörper leicht
wiegen. Ein Mann in der Mitte des Kreises trägt pantuns (Lieder) vor, und die Frauen
singen den RefVain. Die anderen Männer sind Zuschauer".
Graafland (Kl. S. 2) nennt:
den tjakaidk der Männer;
den lendo, einen Gesangstanz der Frauen;
den keblai, einen Reigentanz, woran beide Geschlechter teilnehmen. Einige Abende vor
dem Opferfest kommen Männer und Frauen zusammen, um unter viel Lärm diesen keblai
zu tanzen.
Flores.
Webeb (Kl. S. 11) beschreibt ein Beschneidungsfest. „Inzwischen tanzen die Beschnit-
tenen, angetan mit einem Gürtel, von dem rasselnde Metallstücke herabhangen, und verziert
mit gleichartigen Arm- und Beinringen, im Kampong herum. Der Gürtel ist ein Gürtel der
VorN'äter, der nur l)oi dieser Gelegenheit gebraucht wird. Das Ganze stellt einen von den
Vätern ererbten Ritus dar, mit religiösem Hintergründe.
Timor.
MCiXEB (Kl. S. 8) schreibt:
Nicht nur am Anfang und Ende des Krieges, auch während dieses wird durch die
kriegführenden Parteien geopfert und gefeiert. Hierbei führen Männer und Fraueii in einem
Kreis einen Gesangsreigen (fnmu papat) auf. Immer sind alle Männer neben einander und
auch die Frauen.
Sumbawa.
ZöLLiNOEB meint, dass auf Sumbawa keine Tänze vorkommen.
LioTVOET (KI. S. 13) aber erwähnt einen Kriegstanz, den kakaratß, der bei Festen
aufgeführt wird.
— 216 —
Java.
Hier muss man unterscheiden : Hof- und Volkstänze. Untersuchen wir erst die letzteren.
Van Waey (J. 31) wohnte einem Opferfeste bei auf dem Vulkan Bromoh (Tengger Gebirge),
wobei ein alter Mann mit seinen Kindern und Enkeln (männlichen und weiblichen,) tanzend
ein Opfer brachte. Er war krank gewesen und hatte das Gelübde getan, das er beim ersten
Bromoh-Fest ein Opfer bringen wolle.
Bei den ßadoej's — dem anderen isolirten Gebirgsstamra Javas — kommen nach
Jacobs (J. 13) keine Tänze vor, in Uebereinstimmung mit dem 9ten Gebot der Buddhistischen
Bettelmönche: „Ihr sollt euch enthalten von Tänzen und Musik". In den anderen Teilen
Java's sind die Tänze den Beschreibungen nach ziemlich dieselben, obwohl F. v. d. M. (J. 21)
schreibt: „Fast für jede Gegend bestehen in der Musik und im Tanze Unterschiede, deren
Kenntnis sehr nützlich ist für die Beamten, die bei den offiziellen „Tandak" Partien oft
mittanzen. Bei diesen Tandak (Tanz) Partien (najoeban) wird getanzt nach den verschie-
denen Melodien des gamelans oder des ankloengs. Jede gamelan-Melodie {lagu) hat ihre
Gesangsweise (sindiran), die durch das Tanzmädchen gesungen wird während des Tanzes."
Groneman (J. 6) sagt von diesen öffentlichen Tänzerinnen (taledeks oder ronggengs),
dass sie fast immer Dirnen, aber ziemlich geachtet sind.
R. V. Eck (J. 3) sagt: bisweilen tanzen auch Männer (Zuschauer) mit. Weiter erwähnt
er den beksati, einen "Waffentanz, von Knaben aufgeführt, und einen religiösen Tanz, den
eine mohammedanische Sekte beim Mulud-Fest aufführt.
Auch die Tanzpartien haben, wie wir nachher sehen werden, einen religiösen Unter-
grund, wie die ronggengs (Tanzdirnen) ihr Auftreten ursprünglich dem Kultus verdanken.
Hazeu (J. 10) hat eine interessante Arbeit über ein Kinderspiel geschrieben, auch von
•Raffles erwähnt (J. 27), worin ein ekstatischer Tanz vorkommt, der ebenfalls einen Rest
alter Zeremonien darstellt.
Raffles (J. 27) sagt, dass bei Tanzpartien die Adligen oft mit den ronggengs mit-
tanzen. „To danco gracefully is an accomplishment expected in every Javanese of rank".
Weiter erwähnt er noch Männertänze:
den gambuk, mit Schild,
den niutra, mit Pfeil und Bogen, beide mit nacktem Oberkörper getanzt, was den
religiösen Ursprung andeuten kann.
Kreemer (J. 16) sagt, dass bei Beschneidung, Heirat und bei grosser Trockenheit eine
Art Waffentanz (ucljung) aufgeführt wird, wobei die Fechtenden tandakkend auflreten.
Die Zuschauer müssen dafür sorgen, dass das „Spiel" kein Ernst wird. Hier ist also wieder
der Waffentanz halb Spiel, halb Zeremonie.
In West Java (Serrière J. 28) werden die feierlichen Aufzüge bei Hochzeiten, Be-
schneidungen, Zähnefeilen u. s. w. immer eröffnet durch Vortänzer, die mit anklung in
der Hand singend tandakken.
Eine Bemerkung bei Serrière zeigt auch hier Beziehungen zu einen Kriegstanz, der
religiösen Ursprungs ist. „Die Vortänzer nehmen bald die Stellung eines wütend darauflos-
schlagenden Angreifenden an, bald eines gegen einen Angriff sich wehrenden. Es sind
beim Rhythmus der Musik handelnde Vortänzer oder Vorfechter, die nebenbei das anklung-
Orchester dirigieren.
— 217 -
In Ost Java wohnte ich einem religiösen Aufstand bei, wo die . Rebellen, in weissen
Kleidern, tandakkend und dikirrend („Allah" rufend), sich unseren Truppen näherten.
Van Hoevell (J. 11) sah in Tjandjur (W. Java) das ^kedebus-Sçiel", einen religiösen
Selbstpeinigungstanz, wobei 2 Reihen Männer auf Tambourins schlugen und sangen,
wahrend die Jünglinge nach einander tanzten und sich mit kleinen Dolchen in den Körper
stachen.
PorasEN (J. 26) nennt in seiner Arbeit über das javanische Schattenspiel (wajang) einige
Tänze, die zur wajang in Beziehung stehen u. a.:
den tameng gleleng, früher eine Art topeng (-Maskendrama), jetzt ein Tanz mit Gesang
von 4 Jünglingen,
den topeng bakakan, einen Tanz mit Gesang von 2 rundreisenden Künstlern, oft einem
Clown und einer Tänzerin,
den lengger, einen travestie-Tanz von 4 Männern,
den kemblag, den schon erwähnten religiösen Tanz der santri.
Neben diesen Volkstanzen gibt es Tänze, Spiele und Tanzdramen, die nur an den
fürstlichen Höfen in Djokjakarta und Surakarta aufgeführt werden. Besonders die in Djokja
sind durch die Arbeiten Gkoxeman's gut bekannt.
Aus dorn Schattenspiel (wajang) entwickelte sich der wajang orang, wo Menschen statt
Puppen auftreten. Da das ganze Stück unter Musikbegleitung und immer rhythmisch ge-
spielt wird, kann man es ein Tanzdrama nennen, in der Art von Strauss' , Joseph". Hier
— auf dem Gipfel der Tanzkunst — wird eine Schönheit erreicht, die wir Europäer erst
seit Dcncan's Auflret*'n anfangen zu ahnen.
Ob der" Ursprung des wajang orangs, und des wajangs überhaupt, alt javanisch oder
binduistisch ist, eine noch nicht aufgelöste Streitfrage, kann uns hier gleichgültig sein.
Nur der Anteil der Geschlechter beschäftigt uns vorläufig. Hierüber sagt Gboneman (J. 5):
In Djokjokarta werden die Frauenrollen durch junge Männer und Knaben gespielt. Bei den
nicht-klassischen wajang-orang, ausserhalb der „Vorstenlanden" an anderen Höfen oder aul
Bahnen gespielt, treten auch Frauen auf, und zwar meist die Tanzdimen (taledeks, ronggengs).
Die auftretenden Künstler in Djokjakarta sind alle Verwandte des Sultans. Frauen, und
zwar Prinzessinnen, tj-eten in Djokja auf in besonderen Tanzen, die wiederum Stoff be-
handeln aus alten Legenden. Diese Tänzerinnen heissen bedaja oder serimpi nach der
Zahl, in der sie auftreten und den Legendenzyklen, die sie darstellen.
Die bedaja tanzen zu 9 die Legenden des Rata-Kidoel Zyclus.
Die serimpi, 4 an Zahl, tanzen die Rengga-Wati Legenden. Oft treten Knaben als
bedaja auf; diese sind dann oft zugleich Lustknaben.
Besondere Männertänze an den fürstlichen Höfen sind:
der l)eksan. ein Kriegstanz mit Stoff aus einer wajang-Legende, von Prinzen und
Adeligen ausgeführt,
der Trunä Djäja, ein Kriegstanz aus Madura hergekommen, bei fürstlichen Hochzeiten
getanzt,
der langitulrya, ein Tanz von Männern und Knaben, der sitzend oder hockend nur mit
Armen und Oberkörper ausgeführt wird. Alle diese Tänze sind so heilig, dass es den tan-
zenden Prinzen und Prinzessinnen nicht erlaubt ist, während der Aufführung zu essen, zu
trinken oder zu rauchen.
Alle Tänze und Dramen werden vom Gamelanorchester begleitet, je nach der Art und
— 218 —
dem Stoif des Stückes anders zusammengestellt. Ein Erzähler (dalang), der zugleich Orches-
terleiter ist, trägt die Legenden vor.
Fassen wir jetzt das Material über den Archipel zusammen, so können wir, in Bezug
auf den Anteil der Geschlechter heim Tanzen, folgende Fälle unterscheiden :
a. Männer tanzen allein, Frauen sind nicht anwesend.
b. Männer tanzen allein, Frauen sind Zuschauer.
c. Männer tanzen allein, Frauen bilden das Orchester oder singen.
d. Männer und Frauen tanzen abwechselnd ihre eigenen Tänze.
e. Männer und Frauen tanzen zusammen, aber die Individuen jedes Geschlechtes stehen
bei einander.
f. Männer und Frauen tanzen durcheinander oder paarweise mit einander. •
g. Frauen tanzen zusammen, während 1 oder 2 Männer mitwirken.
h. Frauen tanzen allein, Männer sind Zuschauer, oder bilden das Orchester.
Hierzu ist zu bemerken:
1. Solo-, Gruppen- und Chortänze fallen unter dieselbe Rubrik.
2. In dieser Betrachtungsweise wird der Vergleich der einzelnen Fälle getrennt von
allgemeinen Bemerkungen über das Vorkommen gewisser Tänze, über das Auftreten
der beiden Geschlechter innerhalb eines Stammes, eines Gebietes.
3. Wenn die Autoren nicht das Gegenteil melden, wird angenommen, dass das andere
Geschlecht anwesend ist.
4. Fall h und c sind in den Beschreibungen nicht immer getrennt. Für die Beantwortung
der Hauptfrage kann man sie zusammennehmen.
In Sumatra (mit Engano und Nias) kommen die unter a — h genannten Falle in fol-
genden Zahlen vor:
5 23 X, /î 13 X, d 1 X, e 3 X, /■ 1 X. Zusammentanzen der beiden Geschlechter if)
kommt nur einmal vor, beim sigalegale (Trauerfest) der Battaks, wo die Witwe, die Brüder
und Eltern des Verstorbenen mit dessen Bilde tanzen.
Das nebeneinander Auftreten der Geschlechter (d, e) kommt 4 X vor, und zwar 3 X
bei den Battaks, während rehgiöser Zeremonien (Opfertanz, Totenfest, Tanz nach Krankheit)
und 1 X auf Engano bei einem Gesangsreigen, mit dem man irgend ein Ereignis feiert. In
allen andern Fällen sind die Männer- und Frauentänze geschieden. Die grosse Zahl der
Frauentänze weist auf eine Lücke in dieser Methode, die den ausführlichen Arbeiten (Winteb
nennt in Rawas allein 9 Frauentänze), über kleine Gebiete mehr Falle entnimmt als den
weniger eingehenden über grössere Gebiete, wo vielleicht ebensoviel und verschieden ge-
tanzt wird. Was die allgemeinen Bemerkungen anbelangt, so finden wir, dass bei den Gajo's
nur Männer tanzen, in dem Padanger Oberland nur Männer, in Rawas nie Männer und
Frauen zusammen, in den Kampar-Distrikten nur Männer und Jünglinge, in Nias nie
Männer und Frauen zusammen.
Die Bemerkungen Junghuhn's „Bei den Bataks tanzen nie Frauen", und von Brenner's :
„Bei den Bataks tanzen nie Männer allein" widersprechen einander und werden beide durch
die Tatsachen widerlegt, v. Rosenberg's Bemerkung endlich : „Auf Nias tanzen nur Frauen",
wird durch ein von ihm selbst gegebenes Beispiel illusorisch gemacht.
Alles zusammenfassend kann man also sagen, dass auf Sumatra :
1. nie Männer und Frauen zusammen tanzen,
— 219 —
2. die beiden Greschlechter bisweilen in Zeremonien nebeneinander auftreten (Engano,
Battak),
3. weitaus die meisten Tänze durch Männer aufgeführt werden,
4. die Frauentänze entweder künstlerische Vergnügungstänze sind, von Dilettanten
(rawas) oder von Berufstanzerinnen (an den malaiischen Höfen), oder weibliche
Schamanentänze (Battak),
5. die Màunertâaze zu den verschiedensten Arten gehören.
Borneo.
Hier finden wir, die einzelnen Fälle vergleichend:
b 17 X, A 10 X, c 4 X, /■ 4 X, fif 1 X. Nicht immer deutlich ist angegeben, ob beim
Zusamraentanzen die Geschlechter getrennt sind oder nicht, so dass die Rubriken c, f und
g besser in eine Gruppe „Zusaramentanzen der Geschlechter" gebracht werden können.
Von Serawak wird bemerkt: Nie wird paarweise getanzt Von den Sea-Dajaks dort sagt
GoMBS: meistens tanzen allein die Männer, nur nach einer Kopfjagd tanzen die Frauen.
Low sagt, dass Tanzmädchen niemals bei den Festen auftreten.
Nehmen wir erst die 10 gemischten Tänze, dann fallt es auf, dass fast alle einen
religiösen Untergrund haben, oder sogar direkte Zeremonien sind. Das eine Mal ist er ein
»heiliger Tanz" zur Begrüssung der Fremden, andere Male sind es Tänze nach einer
Kopfjagd, bei der Ernte, beim Opfern. Weiter ein Gresangsreigen und ein Tanz, in Welchem
das Auftreten von basirs (Priestern) und von 2 Männern, die obscöne Bewegungen machen,
auch an religiösen — vielleicht phallischen Ursprung denken lässt. Jedenfalls ist bei vielen
dieser Tänze Vergnügen und Zeremonie kaum zu trennen.
Von den 10 Frauentänzen werden 4 von Priesterinnen getanzt, „einer ist ein Spiel
beim Reisstampfen, einer ein Mittel zur Geburtshilfe, einer ein Tanz zur Begrüssung der
heimkehrenden Kopfjäger, einer ein Maskentanz beim Erntefest; nur ein Travestie-tanz und
ein hübscher Tanz von jungen Mädchen" erinnern an Tanzmädchen. Die Männertänze
haben wieder verschiedene Motive.
Zusammenfa-ssend finden wir, dass auf Borneo:
1. die meisten Tänze durch Männer aufgeführt werden,
2. die beiden Geschlechter nur in Tänzen mit religiösem Zweck oder wenigstens Spuren
davon, zusammen auftreten,
3. Die Frauentänze fast nie zur Belustigung der Männer dienen und meistens einen.
religiföen Ursprung zeigen.
Celebes.
Auf Celebes kommt 68x, ä7x, e7x und f 1 x vor.
AuflTallend ist hier das öftere Auftreten der Frauen und die grosse Zahl der Tänze,
wo Männer und Frauen zusammen auftreten. Von diesen letztern haben die meisten eine
religiose Bedeutung. Einer ist ein Hoflanz, und die Ausführenden sind Prinzen und Prin-
zesBionen, so dass der Gedanke an alte Herkunft nahe liegt; ein anderer ist ein Tanz, wo
die Männer mit bezahlten Tanzraädchen (padjoge) tanzen. Nach Van Hoëvell hat man es
hier mit einem Rest der religiösen Prostitution zu tun, so dass nur der letzte Fall des
Zusammentanzens, ein Gesangsreigen bei den Toradja, von welchen Adkiani und Kruyt
aosdrücklich behaupten, dass ihm keineriei religiöse Bedeutung beiliegt, ein Beispiel bietet
I. .\. f. E. Bd. .\XI1I. 29
— 220 —
eines weltlichen Zweigeschlechter-Tanzes. Die Frauentänze endlich werden entweder von
Priesterinnen (u. a. Schamanen) oder von Tanzdimen angeführt, nur in einem Fall von
Häuptlingstöchtern. Nehmen also Celebes die Frauen einen grösseren Anteil am Tanz, so
kommt dies nur daher, dass bei verschiedenen Stämmen die Frauen eine grössere Rolle
spielen bei der Ausübung der religiösen Zeremonien.
Molukken.
Hier finden wir 29 X 6, 11 X h, 10 X e, 4 X /", 1 X g, d. h. viele Männertanze, weniger
Frauentänze und sehr viele (30%) Zweigeschlechter-Tänze. Die generalisierenden Bemer-
kungen deuten, wenn sie richtig sind, auf grosse Unterschiede auf den verschiedenen Inseln.
So sagt Riedel, dass in Kissar Männer und Frauen nur beim poreka-Fest zusammen tanzen,
sonst ihre eigenen Tänze haben.
Jansen behauptet, dass auf Taliabu (Sula-Inseln) die Frauen nie tanzten, während Van
Dyken für Halmaheira die Bemerkung macht, dass Frauen bei allen Tanzfesten die erste
Rolle spielten.
Die Männertänze sind hauptsächlich Waffentänze, einige sind Schamanentânze, andere
mimische Festtänze, vielleicht mit religiösem Untergrund.
Die Frauentänze sind Lusttänze an den Höfen oder haben religiösen (magischen) Zweck.
Die Zweigeschlechtertänze sind meistens Gesangsreigen, deren religiöser Ursprung oft
nachgewiesen werden kann. Sie sind meistens in verschiedenem Grade erotisch geßlrbt.
Neu Guinea — Torres Strasse.
Hier kommt b i X vor, /< 1 x, e 7 X, a 1 X, rf 1 X. Rawling sagt, dass am Mimica
Fluss nur die Frauen tanzen.
Williamson erwähnt, dass bei den Maifulu Männer und Frauen nie zusammentanzen.
HA.DD0N, dass auf den Inseln der Torres Strasse nur die Männer tanzen. Die Beispiele
zeigen eine Grosse Zahl von Zweigeschlechter-Tänzen, während die Frauen fast nie allein
auftreten.
Die Kleinen Sunda-Liseln.
Hier finden wir 8 X b, i X h, b X e, 2 X g und 1 X f- Wie im ganzen östlichen
Teil des Archipels, nehmen auch hier die Zweigeschlechter-Tänze einen grossen Platz ein
(49°/J. üeberwiegend sind jedoch die Männertänze. Die Frauentänze sind auf Bali Schau-
tänze, auf den weniger zivilisierten Inseln Gesangsreigen und auch Waflfentänze. Im ganzen
Osten und S.O. des Archipels ist — nach Lekkerkerker's Bemerkung — der Gesangsreigen
am beliebtesten.
Java.
Hier haben wir 16 x ö, 3 X /*, 2 X e. Die Frauentänze sind Hoftänze oder Schau-
tänze von bezahlten Tauzmädchen. Wo Männer und Frauen zusammen tanzen, ist es auch
mit diesen Tanzmädchen oder bei den Tanzdramen der fürstlichen Höfe.
Ueberblicken wir zum Schlüsse das gesamte Material, so können wir das Resultat
unserer Untersuchungen in nachfolgender Tabelle zusammenstellen:
t
— 221
i a
b
C
d
e
f
9
h
Sumatra
i
23
17
8
29
4
8
16
i
i
3
4
7
18
7
5
2
1
4
1
i
i3
-10
7
H
?
4
3
Borneo
Celebes
Molukken
Neu Guinea
Kleine Sunda Inseln . .
Java
iX
mx
2X1 46X
nx
iX
48X
Auf 214 Tänze kommen also 105 Männertänze vor, d. i. 50°l^. Frmientänze kommen
nur in 48 Fallen, d. i. 22 °l^ vor, während die Ztceigeslechtertänze 27 °l^ ausmachen.
Im allgemeinen kann man also sagen, dass über das gesammte Indonesien die Männer
weitaus am meisten tanzen.
Drücken wir die Zahlen der Männertänze, Frauentänze und Zweigeschlechtertänze
(«» /"» 9) in Prozenten aller Fälle aus, so kommen wir für die verschiedenen Teile des
Archipels zu folgender Tabelle:
Manner T.
Frauen T.
Zwei
Geschl. T.
/o
7.
7o
Sumatra
59
48
31
28
9
23
Borneo
Celebe«
35
ao
35
Molukken
46
17
36
Neu Guinea
38
?
53
Kleine üunda Inseln . .
44
22
33
Java
76
14
9
Olx?rflachlich diese Zahlen betrachtend, könnte man aus ihnen den Schluss ziehen,
dass die primitivsten Stämme (Neu Guinea) meist Zweigeschlechter-Tänze kennen, während
die Halbkulturvölker, wie die Javaner, hauptsächlich Männertänze haben, so dass der Ent-
wicklungsweg des Tanzes vom Zweigeschlechtertanz zum Männertanz führen würde. Das
Material über Neu Guinea aber ist zu gering und nicht immer zuverlässig genug, im Ver-
gleich zu den Quellen der anderen Gebiete, um Vergleichungen aufstellen zu können. Wenn
ELa^ddon in seiner ausführlichen Arbeit über den Tanz behauptet, dass in der Torres Strasse
fast nie Frauen tanzen, und Wiluamsos, der ebenfalls eingehend das Thema behandelt,
sagt, dass am Mimicafluss nie die beiden Geschlechter zusammen aflreten, so widersprechen
diese beiden Aussagen ganz dem oben genannten Schluss.
Unter Berücksichtigung des im Kapitel „Kritik der Quellen" Gesagten, kann man doch
aus unseren Zahlen einige Schlüsse ziehen. Im ganzen Archipel sind die Männertänze weitaus
am häutigsten. Ihre hohe 2^hl verliert aber an Wert,, wenn man bedenkt, dass viele Eth-
nographen, deren Berichte wir verarbeiteten, Durchreisende waren, zu deren Empfang die
Eingeborenen eher Männer oder bezahlte Tanzmädchen als ihre eigenen Frauen und Töchter
tanzen Hessen.
— 222 —
Die Streitfrage Wagner- Wallaschek über den Anteil, den die Frauen an der primi-
tiven Musik gehabt haben, ist selbstverständlich — was unser Gebiet anbelangt — hiermit
noch nicht gelöst. Wenn man auch bewiesen hat, dass der Ursprung der Musik in dem
Tanze liegt, und vermuten kann, dass der Entwicklungsgang unserer Musik eine Parallele
findet in denjenigen der jetzt lebenden Naturvölker, so müssen wir noch untersuchen,
inwieweit die hier behandelten Völker primitiv sind, und wie sich bei diesen die Geschlechter
dem Tanze gegenüber verhalten. Leider ist gerade für die primitivsten Völker das Material
am geringsten, so dass für endgültige Resultate neue Untersuchungen notwendig sind. Wir
möchten den Fehler vermeiden, den Karl Schröter in seiner Arbeit „Anlange der Kunst
im Tierreich und bei Zwergvölkern" gemacht hat. Den Beschreibungen folgend, welche die
holländischen Regierungsbeamten Van Dongen und Valette von den Kubus gaben, analysiert
er einen religiösen Tanz, bespricht in 20 Seiten ausführiich Gesangstext und Tanzbewe-
gungen, und zieht daraus seine Schlüsse für primitive Kunst.
Er vergisst aber, dass die ganze Zeremonie mit primitiven Auffassungen nichts zu tun
hat, und wahrscheinlich über die Gajo-Länder (s. Snouck Hürgronje, S. 19—25) und Atjeh
von Arabien heraus importiert ist. Von anderen primitiven Völkern, die Toradja, geben die
besten Kenner (Kruyt und Adbiani) gerade auf unserem Gebiete sehr wenig Material, da
sie den Tanz hauptsächlich wegen des Textes der gesungenen Lieder behandeln.
Im Osten des Archipels würde zweifelsohne eine reiche Ernte an Tatsachen zu sam-
meln sein, wenn nur langsam und systematisch gearbeitet würde. Was jetzt gefunden
ist, ist zu mangelhaft, als dass wir daraus allgemeine Schlüsse ziehen könnten. Vorläufig
muss also eine entscheidende Antwort auf die Frage unterbleiben, wenn man auch Ver-
mutungen aussprechen darf.
In dem kultiviertesten Gebiete treffen wir am wenigsten Zweigeschlechtertânze, die
anderseits bei primitiven Stämmen am meisten vorkommen.
Wenn auch nicht bewiesen ist, dass bei den primitivsten Völkern beide Geschlechter
zusammentanzen, so kann man doch das allgemeine Vorkommen der Zweigeschlechtertänze
auf ziemlich niederer Stufe annehmen, und auch die nachherige Differenzierung in Männer-
und Frauentänze.
Vermutlich haben die primitiven Männer und Frauen ihre eigenen Tänze gehabt, kunst-
lose Entladungen ihrer seelischen Spannung, Freudentänze und Trauertänze, ausgeführt
nach und während der Arbeit, in Anwesenheit und sogar unter Mitwirkung des anderen
Geschlechts, und ohne diese. Die Entwicklung der Religion hat dann kunstvollere Tänze
gebracht, und damit den absichtlichen Zweigeschlechtertanz (Gesangsreigen), die weitere
Entwicklung aber hat die Geschlechter wieder getrennt, sei es ziemlich früh (Mannerbünde
und Männertänze) sei es viel später (Mohammedanismus und Männertänze). Jedenfalls hat
VON Hellwald Unrecht, wenn er behauptet, dass erst die Männer allein auftreten, dann
die Frauen bescheiden mitwirken, darauf auch ihre eigenen Tänze haben, und erst endlich
die beiden Geschlechter zusammentanzen. Das in Indonesien gesammelte Material wenigstens
liesse eher auf eine umgekehrte Folge schliessen.
Eine letzte Frage bleibt noch zu beantworten. Gibt es eine Beziehung zwischen dem
Anteil der Geschlechter am Tanze und dem Anteil am wirtschaftlichen, religiösen und
sozialen Leben?
In Verbindung mit der „surplus of vigour" Theorie könnte man da die meisten Man-
— 223 —
nertânze erwarten, wo die Frauen die grösste Arbeit leisten, und es Hessen sich leicht
Beispiele auffinden, um diese Theorie zu beweisen. Aber die Frauen von Zentral-Sumatra,
SQd-Celebes und Borneo zeigen uns, dass man die meiste und schwerste Arbeit verrichten
und doch noch Lust und Zeit finden kann zum Tanzen. Näher läge der Gedanke, dass die
Stellung, welche die Frau im sozialen und im religiösen Leben des Stammes einnimmt,
ihren Anteil am Tanze bestimmte.
Einige Beispiele mögen dies erläutern.
Auf Savu (Kl. S.) verrichten die Männer gar keine Arbeit; in früheren Zeiten immer
im Krieg, haben sie jetzt nichts zu tun, und laufen den ganzen Tag müssig umher.
Die Frauen dagegen besorgen alle Arbeit. Jedoch ist ihre Stellung absolut unabhängig:
sie treiben selbständig Handel und ziehen oft mit in den Krieg (Treffer M. N. Z. G. 1875).
Beim pedoa, einem Gesangsreigen, bei jedem Vollmond ausgeführt, tanzen sowohl Männer
als Frauen, sowohl Knaben als Mädchen mit. Der pedoa hat vielleicht einen religiösen
Hintergrund, da während dessen Ausführung weder gegessen noch getrunken werden darf
(Kl. S. 1).
Auf Sumba besteht nach Wielinoa ein Gegensatz zwischen dem östlichen und dem
westlichen Teil. Hier sind Rhythmus und Bewegung des Tanzes monotoner, weniger kräftig
als dort. Auch sind im Westen keine Frauen anwesend, während diese in OstSumba überall
voran sind. „Hier im Westen", sagt Wielinga „ist die Stellung der Frau nicht so hoch.
Dies steht im Zusammenhang mit der Lebensart, nomadisch oder Ackerbau treibend. Auch
das Sklavenhalten hat Einfluss auf die Stellung der Frau".
Bei den Tugeri (N. G.) werden die Frauen ganz als Sklaven behandelt. Sie verrichten
alle Arbeit, können verkauft, ja sogar vermietet werden. Kapt. Bik sah in einem Tanz,
dem er beiwohnte, hier nur Männer tanzen (N. G. 13: 1904).
NiEüWEXHüis zeigt uns, wie bei verschiedenen Dajakstämmen die Stellung der Frau,
obwohl sie meistens mehr arbeitet, als der Mann, eine hohe ist, so dass wir uns nicht zu
wundem brauchen, wenn sie in verschiedenen Tänzen neben dem Manne auftritt. Auch
J. Brooke weist auf die hohe Stellung der Frau in Serawak hin. Wo die Frau, wie bei
den Toradja, die meisten religiösen Zeremonien leitet, oder wie bei den Bugi und Dajak
als Schamanin oder als Priesterin auftreten kann, ist ihr Anteil am Tanze selbstverständlich
ein grösserer als bei Völkern (rp. Atjeher, Gajo, Javaner), bei denen die Religion die Frau
in den Hintergrund stellt. Hier tritt sie dann auch nur auf als Lusttänzerin zum Ver-
gnügen der Männer. Dass sie jedoch auch in dieser Funktion Reste ihrer früheren rituellen
Bedeutung zeigt, werden wir im nächsten Kapitel sehen.
Unsere Untersuchungen haben keine weittragenden Ergebnisse geliefert, keine bedeut-
samen Theorien aufzustellen vermocht.
Nur eines kann man sagen: Wo die nüchterne, induktive Verwendung des grössten
Teils der Gesaratliteratur eines bestimmten Gebietes so unsichere Resultate gibt, ist jedes
allgemeine Urteil, ohne Beweise und ohne genügenden Tatsachen ausgesprochen, völlig
zwecklos.
Der Gefechtstanz.
Im ersten Kapitel wurde schon darauf hingewiesen, wie in der Literatur derselbe Tanz
mit den verschieilensten Namen angedeutet wird. Da sahen wir, dass dasselbe rhythmische
— 224 —
Waffenspiel, bald Schein- oder Säbelgefecht, bald Kriegs- oder Waffentanz genannt wurde.
Wir schlugen da den Namen Gefechtstanz vor, der das rhythmische Element andeutet, und
zugleich eine gewisse Intensität hervorhebt, die durch den Namen „Waffentanz" nicht ge-
nügend zur Geltung kommt.
In diesem Kapitel wird sich zeigen, dass alle anderen Namen entweder ungenügend
den Charakter dieses Tanzes ausdrücken, oder — wie das bei den Namen „Kriegstanz" der
Fall ist —, eine Beziehung andeuten, die nicht immer besteht, oder bestanden hat. Aber
auch umgekehrt muss derselbe Name so viele verschiedene Schattierungen ausdrücken,
dass man das Bedürfnis der Reisenden nach anderen Worten begreift.
Wenn irgend ein Tanz, dann ist es gerade der Gefechtstanz, der bei allen möglichen
Gelegenheiten, in allen möglichen Formen, von allen möglichen Menschen ausgeführt- wird,
so dass eine nähere Andeutung wirklich kein Pleonasmus ist.
Seine Behandlung ist deshalb interessant, weil er mit verschiedenen ethnologischen
Problemen verknüpft ist. Wir werden uns als nächste Aufgabe stellen, zu untersuchen,
wo der Gefechtstanz im malaiischen Archipel auftritt, in welcher Gestalt, aus welchen
Gründen, in welcher Beziehung zu anderen religiösen und sozialen Erscheinungen, und dann
hieraus den vermutlichen Werdegang seiner Entwicklung andeuten.
I. Reine Gefechtstänze, Schwerttänze, Waffentänze, musicals drills, Kampfspiel, oder wie
sie sonst in der Literatur heissen mögen — ausgeführt nur aus militärischen und gymnas-
tischen Gründen, oder rein nur zum Vergnügen der Spielenden und der Zuschauer —
kommen im indischen Archipel viel vor. In vielen Berichten aber wird nicht gemeldet zu
welchem Zwecke der Tanz stattfindet, so dass oft die Möglichkeit übrig bleibt, dass der
Gefechtstanz hier eine zeremonielle Bedeutung hat. Wenn nur gemeldet wird : „die
kennen einen Kriegstanz", oder: „Hier sahen wir einen Waffentanz ausführen", kann man
unmöglich feststellen, ob das militärisch gymnastische oder das religiöse Element überwiegt.
Denn wie wir nachher sehen werden, haben die meisten „Kriegstänze" mit Krieg und mit
militärischen Vorgängen überhaupt nichts zu tun.
Sumatra.
Fehe sagt, dass auf Nias bei einem Feste die jungen Burschen im Fechten mit Lanze,
Schild und Messer sich üben. „Sie stossen mit ihren langen Messern in der Luft herum, indem
sie dazu mit lauter Stimme hian, hian rufen und schreien". Warum gerade bei dieser
Gelegenheit die Burschen „sich üben", was doch ebenso gut an anderen Tagen geschehen
könnte, meldet Fehr nicht. Hier ist jedenfalls das Waffenspiel mehr als blosse Uebung (1).
Von Rosenberg erwähnt einen derartigen Tanz, der von einem eintönigem Gesang be-
gleitet wurde, welcher jedesmal in einem schrillen Schrei endete, und wozu mit der platten
Fläche des Fusses der Takt geschlagen wurde. Hier kämpften die Mittanzenden paarweise (2).
Von Engano berichtet V. R. : „Die Spiegelgefechte werden von Jünglingen mit hölzernen
Lanzen ausgeführt" (3).
Bei den Menangkabau Malayen treffen wir 3 Arten Gefechtstänze an (v. Hasselt) : eine mit
Dolchen (mamantjaq), eine mit Schwertern (bagajueng) und eine ohne Waffen (basile) (4—6).
Maass sah in Langki (Batang Hari) einen Dolchtanz (tari sewar), der offenbar nur zur
Belustigung diente: „Zuerst tritt eine Person auf, später zwei Personen, die nach den
Klängen der Musik tanzen und dabei mit einander fechten ; je schneller dies ausgeführt
wird, desto grösser ist der Effekt" (7).
4
— 225 —
Von den Kuantan- und Kampar-Ländera sagt er: „War Krieg ausgebrochen, so wurde
ein Kriegstanz mit allen Wafifen ausgeführt. Bei dem letzten Kriege jedoch
konnten sie sich durch Kriegstänze nicht mehr begeistern, da sie zu früh von ihren Gegnern
überrascht wurden, aber sie führten alle Instrumente mit" (8).
Bortieo.
Spenser St. John sah in Serawak einen Schwerttanz, bei welchem einer der beiden Dajak
als Malaie gekleidet war. In ihrem Tanz stellten sie eine KopQagd dar, die mit dem Siege
des Dajak endete, der, als er den Kopf des gefallenen Gegners abhauen wollte, entdeckte,
dass er seinen Freund erschlagen hatte „on looking attentively, he found he had
killed a friend, and showed signs of much grief. With a measured tread, he again drew
near the l)ody and pretended to restore the head " Hier hat man es offenbar mit
einem dramatischen Gefechtstanz zu tun (9).
Bei den Baram-Kayan sah er einen Häuptling einen „Schwerttanz" aufführen, der den
Charakter des Volkes ausdrückte, „quick and vigourous motions, showing to advantage the
development of his muscles" (10).
Einen ähnlichen dramatischen Tanz wie Sp. St. John sah von Basel an der Westküste
Borneo's. Die Tänzer stellten zwei Raubvögel vor, die sich um einen abgehauenen Kopf
stritten (hier eine Kokosnuss, in früheren Zeiten ein wirklicher Kopf) (11).
Wir erwähnten schon den — von H. Keppel — beobachteten wilden Gefechtstanz eines
Illanus, der damit endete, dass der Tänzer in Ohnmacht fiel.
Ei)W. GoMES, der mit grosser Liebe und Kenntnis das Leben der Sea-Dayaks beschreibt,
erklärt den Unterschied zwischen Schwerttanz und Kriegstanz, den beiden Dajaktänzen.
Der erste ist ein aesthetisch-gymnastischer also ein lyrischer, der zweite ein epischer Tanz.
„The main idea of this sword dance seems to be the posturing of indifferent attitudes,
and not so much the skill displaged in fencing. Those are the best dancers who, according
to Dyak ideas are the most graceful in their movements. I have often watched a Dyak
sword dance, where neither has touchetl the other with his sword." Die ganze Vor-
stellung beim Licht der Fackeln und dem Klang der Trommeln und der gongs (enkrumang)
nennt er „a weird and striking scene".
Der Kriegstanz (ajat) wird von einem Manne ausgeführt. „He acts in pantomime, what
is done when on the warpath. Sometimes the dance ends tvith the defeat and the death
of the dancer".
Das Tempo der Musik ist bei dem Schwerttanz langsamer als bei dem Kriegstanz.
HosK und Mc Docoall erwähnen einen epischen Waffentanz, in welchem die Heimkehr
von der Kopfjagd dargestellt wird. „This is a musical march rather than a dance. A party
of young men in full wardress form up in single line; the leader plays the battlemarch
on the keluri. The line advances slowly up the gallery, each man turning half about at
every third step the turning symbolises the alert guarding of the heads which are
supposed to be carried by the victorious warriors". Weil hier alle denselben Akt darstellen,
hat man es mit einem epischen Waffentanz zu tun. H. and Mc. D. sagen, dass der
Kriegstanz von ein oder zwei Männern ausgeführt wird. Die Alteren unterrichten hierin
die Jungem und achten immer darauf, diese nie zu treffen, aus Furcht vor Magie. Viel-
leicht könnte dies auch der Grund sein, weshalb man in dem von Gomes erwähnten
— 226 —
Schwerttanz einander nie berührt. Dann wäre dieser Tanz ja mehr kriegerisch als Gomes denkt.
Bei den Kenja wird — nach Nieuwenhuis — der Schwerttanz (kenja) beinahe stets
nur von einem Manne ausgeführt, immer nach der Melodie der kledi. „Auch dienen die
Schwerttänze zur Darstellung irgend eines Vorfalles aus dem Kriegs- oder Alltagsleben
(Sähen, Mähen, Jagen u. s. w.). Mit dem Sinn des Tanzes verändert sich auch stets die aut
dem kledi gespielte Melodie". Hier ist dieser Waffentanz also lyrisch oder episch.
Celebes.
Matthes nennt für Süd-Celebes drei fremde Kriegstänze, zwei aus den Molukken,
einen von Madura herkommend (17—19). In der Minahassa führt man bei dem kabesaran
einen Gefechtstanz aus, wobei nach einem imaginären oder nachgeahmten Tiere gestossen
wird. Verschiedene Besonderheiten deuten hier auf einen sehr alten Tanz (20).
Sarasin erzählt von einem Kriegstanz der Toradja, der ziemlich wild war. Der Beschrei-
bung nach, scheint dieser Tanz nur lyrischer Art zu sein, nur Kampflust auszudrücken (21).
Adeiani und Kbuyt erzählen, wie nach einer Kopfjagd ein Kriegsgesang {ento) gesungen
wird, worin die ganze Jagd beschrieben wird. Die Beschreibung ist zu ungenau, um aus-
zufinden, ob es sich um einen Gesangsreigen oder einen anderen Tanz handelt. Das dra-
matische Element scheint jedenfalls mehr durch "Wörter als durch Bewegungen ausgedrückt
zu werden, und ein Waffentanz scheint es nicht zu sein (22).
Molukken.
Auf den Luang-Sermata Inseln finden nach Riedel selten mehr Kriegstänze statt, aul
Letti nur noch während des Krieges (23).
Auf Tenimber soll das Lieblingsspiel der jungen Männer eine Art Kriegstanz sein mit
Schwert und Schild (resasanasan) (24), und ein Kriegssplel {rovlcUia mawaian) (25), den
Unterschied deutet er nicht an. Auf Wetter führt man nach einer gelungenen Kopfjagd einen
Kriegstanz mit Gesang auf (26). In Ceram führen junge Männer einen Waffentanz, den
menari parisi auf, wobei die Vortänzer sich zwischen den beiden Reihen der anderen Tänzer
bewegen (27).
Ludeking sah in Elpa-poetih (Ceram) einen alfurischen Kopfjägertanz, worin die Kopf-
jagd dramatisch dargestellt wurde (28). Joest beschreibt den jakalele (Waffentanz) auf Ceram.
In den Kämpfen gegen die Holländer sollen die Eingeborenen, diesen jakalele tanzend, dem
Feind entgegengezogen sein (29).
Sachse sagt, dass der kahmca, jetzt ein Zweigeschlechtertanz, ursprünglich ein Kriegs-
tanz war, nach einer Kopfjagd. Jetzt werden in einer veralteten Sprache die alten Jagdzüge
besungen. Hier tritt das commemorative Element (Hirn) auf. Alte Frauen sind meistens
Vorsängerinnen (30).
Kleine Sunda Inseln.
Roos erwähnt für Sumba einige Waffenspiele. Hangelbroek gibt eine bessere Beschrei-
bung derselben (siehe Kap. III) (31—84). Auf Surabawa nennt Ligtvoet das bakaratji-
Spiel, ein Gefecht mit Stöcken (Tanz?) (35). •
— 227 —
Java,
R. V. Eck nennt für Java nachfolgende Spiele, wobei er nicht immer das rhythmische
oder musikalische Element erwähnt, so dass wir von ihm nicht wissen, inwieweit es sich
um Tänze handelt:
den beksan, ein Scheingefecht von Knaben (36).
den mentja, Fechten mit Musik und Tanz (37).
den senetian, ein Reitergefecht (88).
den rejog, eine Parodie des senetian, ein clown auf einem geflochtenem Pferde reitend
(Mimus?) (39).
den gdutan, ein Ringspiel (40).
den ndjungnn, ein Kampfspiel mit Stöcken. Unzweifelhafte Gefechtstänze sind die von
Gboncman genannten Tanze in Jogja (41).
den beksan, einen dramatischen Kriegstanz, nach einer Legende des wajang (42).
den Truna Djaja, einen Kriegstanz von Madura, bei fürstlichen Hochzeiten getanzt (43).
Wir haben hiermit fast alle Gefechts- und "Waffentänze aus den im Literatur- Ver-
zeichnis genannten Werken aufgezahlt, bei denen das religiöse oder halb-religiöse Moment
nicht erwähnt wird. Untersuchen wir jetzt die Tänze, bei denen dies wohl der Fall ist.
Man kann sie in zwei Gruppen verteilen.
IIa Tänze, von Priestern oder Schamanen ausgeführt mit offenbar religiösem Zweck.
116 Tanze, von Laien ausgeführt.
1. wob<'i der religiöse Zweck in den betreffenden Berichten angedeutet wird.
2. wobei er aus Details in der Beschreibung vermutet werden darf.
na. Bei den Sakai (0. Sumatra) werden bei einer Krankheit die bösen Geister durch
zwei Schamanen (kemanten) vertrieben, die, bewaffnet mit Schwert, Bogen und Pfeil, einen
ekstatischen Waffentänz aufführen. „Es scheint, dass in früheren Zeiten das Amt der
Geisterbeschwörung bei Krankheiten von der gesammten Jünglingsschaft eines Dorfes aus-
geführt wurde" (Mozkowsky) (44).
Bei den (Kenja) Borneo tanzen auch die Priester den Schwerttanz zur Vertreibung
böser Geister, und zwar unter Begleitung der Gongs, nicht der kledi, wie beim profanen
Schwerttanz (46). Bei den Kenja ist die Guitarre (sape) das begleitende Instrument der
Männer- und Frauentänze, die kledi das Instrument der von den Männern ausgeführten
Waffentânze. Die Kajan begleiten den Geistertanz (Maskentanz) beim Saatfest mit Gongs.
Hier scheint also der Gong das ältere, mehr zeremonielle Instrument zu sein, was sein
Auftreten beim Priestertanz der Kenja erklärte.
Der Glanzpunkt des Neujahrfestes bei den Kajan bildet die Opferung der Schweine.
Sämtliche Priesterinnen tanzen hierbei um das Opfergerüst und deuten den Geistern droben
das Darbringen der Opfer an, während zu beiden Seiten zwei mit Schwertern bewaffnete
Priester zur Abwehr böser Geister Kriegstänze aufführen (Nieüwenhüis). Die Priesterinnen
tragen den Kriegsmantel aus Pantherfell und die Kriegsmütze. „Sie zeigen viel Individua-
lität beim Tanze und nach der Art seiner Aufführung Hess sich die Höhe der priesterlichen
Entwicklung bemessen." Zwei Tatsachen sind hier bemerkenswert: der Kriegsschmuck der
Priesterinnen, und die Schätzung des Tanzes für religiöse Zwecke (46).
Bei der ofiBziellen Schlussfoier des Festes führten Priester und Priesterinnen einen
I. A. f. E. Bd. XXIII. 30
— 228 —
Gefechtstanz auf. „Mit Kriegsmantel und Kriegsmütze geschmückt, umkreiste Usun (die
älteste Priesterin) etliche Male tanzend den Fuss des dangei (Opfergerüst) und führte mit
ihrem alten Schwerte Bewegungen aus, als wollte sie deu ganzen dangei gen Himmel
heben. Die übrigen Priesterinnen, von denen die ältesten wie die männlichen mit Speeren
bewaffnet waren, wehrten die bösen Geister ab, die ihre Handlungen stören könnten"
(NiEÜWENHUIS) (47).
Die Priesterinnen auf Süd-Celebes, die bissu, führen, mit hölzernen Schwertern und
Schilden bewaffnet, Gefechtstänze aus um ein kleines Häuschen, worin ein anderer bissu
die guten Geister lockt (Matthes). Vielleicht dienen hier die Gefechtstänze zur Abwehr
der bösen Geister. Auch führen die bissu bei einem Opferfest Waffentänze aus um das
Opfertier (48).
Wir erwähnten schon einen Gefechtstanz, den die bissu auf Muten aufführten um
die bösen Geister zu bekämpfen bei einem Beschwörungsfest. Die bissu wurden erst durch
Weihrauch und Musik in Ekstase gebracht, vielen dann in Ohnmacht nieder, standen
wieder auf wie erwacht, und schmückten sich dann mit einem goldenen Gürtel, einem
Dolch und dem eigenartigen Kopfschmuck von zwei Hörnchen, der an den der Vorfechter
in Central Celebes erinnert,. Hier findet sich also wieder ein vielfacher Zusammenhang von
Kriegstanz und religiöser Zeremonie (49).
Bei dem m omparüangka-F est führen die Frauen, die hierbei zu Priesterinnen geweiht
werden, einen Tanz (motaro) auf, der in eleganteren Formen die Bewegungen eines Schein-
gefechtes darstellt. Priesterinnen mit Speeren tanzen vor, und die Frauen sind mit Schwer-
tern, Dracaenablättern und Schilden bewaffnet. Das ganze ist ein Kampf mit den Geistern
und bildet zugleich den schönsten der Toradja-Tänze (Adriani u. Kbüyt) (50). Beim Toten-
fest führen Priester mit Schwert und Schild sieben Rundgänge um den Katafalk aus.
Obwohl nicht erwähnt, wird der Zweck auch hier sein : Abwehr der bösen Geister (51).
II ö. Zahlreicher noch wie die Gefechtstänze der Priester sind diejenigen der Laien,
die mit Geisterbeschwörung im Zusammenhang stehen, oder von denen man dieses
vermutet.
Die Batak opfern beim Totenfest einen Büffel, und während dieser getötet wird, fuhren
die Vorfechter einen Tanz aus (V. Rosenberg) (52).
In Atjeh zieht bei verschiedenen festlichen Gelegenheiten die gesamte männUche Be-
völkerung eines Dorfes derjenigen eines benachbarten Dorfes entgegen. Alle sind bewafl&iet
mit Zuckerrohrstöcken, woran Blätter oder Fähnchen flattern und bei der Begegenung wird
unter lautem Geschrei getanzt. Ein paar Fechter treten nach vorn und führen ein Schein-
gefecht aus (Sn. H.) (53).
Jacobs, denselben Tanz (alangan) beschreibend, sagt, dass die Männer und die Knaben
mit Bambussäbeln oder Stöcken wild darauflos hauen, ohne aber einen zu treffen. Es ist
ein toller Tanz, der durch die Abwesenheit der mohammedanischen Priester, durch das
Opferaiahl und den gelben Opferreis seine heidnische Herkunft verrät.
Die Kajan (Borneo) ahmen bei ihren Maskentänzen, die alle religiöser Herkunft sind,
auch Kriegstänze nach. Die Maskierten stellen alle böse Geister dar. Bei den Erntefesten
werden Solo- und Chortänze ausgeführt. Die Solotänze sind meistens komische Nachahmungen
von Tierbewegungen. Die Chortänze scheinen alle, der Beschreibung nach, Gefechtstänze zu
sein (54).
— 229 —
Der lupa gleicht dem Tanz bei der Heimkehr vom Krieg. Der kajo wird ausgeführt
von Frauen in Kriegsrüstung, die einen Angriff bei einer KopQagd darstellen. Einige Tage
nach der Heimkehr der Kopfjäger werden die Köpfe mit vielem Zeremoniell ins Haus ge-
tragen. Hier fahren die Frauen einen wilden Tanz auf mit den Köpfen und singen dabei
den Kriegsgesang der Männer (55).
Beim Totenfest der Toradja (Celebes) wrd von einigen Männern bei den Gräbern ein
Scheingefecht ausgeführt, um die Geister abzuwehren, die die Toten bedrohen (56).
Alle Männer und Frauen, die helfen beim Herausgraben der Gebeine, sind mit Dracaena-
blftttem bewaffnet, die Schild und Schwert vorstellen sollen (Krüyt) (57).
Der Missionar Wier.sma empörte sich über 8 bunt gekleidete Männer, die bei dem
Begräbnis eines christlichen Häuptlings in der Minahassa mit hölzernen Degen nach dem
Takt der Musik allerlei Sprünge machten. Hier handelt es sich vermutlich um ein survival
eines alten Geisterbeschwörungstanzes (58).
Riedel sagt, dass der Kriegstanz, den die masawals nach einer Bestattung aufführen
(siehe Kap. II Celebes) dient, „um der Seele, falls sie sich noch nicht entfernt hat, Furcht
einzuflöaeen, damit sie nicht zurückkomme" (59).
Wir erwähnten schon den motaro der Toradja, wobei neben den Priesterinnen auch
die anderen Frauen bewaffnet auftreten (60).
In Süd-Celebes sah Harrebomée bei einem Feste zur Beschwörung der Cholera einen
Gefechtstanz um den Opferplatz ausführen. Die Beschwörung lässt an bissu denken (siehe
Kap. I) (61).
Der Kriegstanz, den die Männer auf Halmaheira beim Knochenfest aufführen, könnte
ebenso gut ein lyrischer Freudentanz als ein Tanz zur Bekämpfung der Geister sein: Van
Baarda's Bemerkung „man tut als ob man ein ganzes Heer von Feinden bekämpfen muss",
spricht etwas für die zweite Auffassung, wie auch die Angabe anderer Einzelheiten (das
Tanzen geschieht um einen aufgerichteten Pfal; man tanzt nacheinander und gibt seinem
Nachfolger Schild und Schwert). Sehr klar ist die Beschreibung nicht (02).
In Saparua wird der neue Regent mit tjakaiele (Kriegstanz) empfangen (63). Wenn
ein neues baileo (Mannerhaus) gebaut wird, kommt, bevor das Dach gelegt wird, das ganze
Dorf zusammen und wenlen Kriegstanze aufgeführt. „In früheren Zeiten" sagt V. Schmid,
dem wir diesen Bericht verdanken, „spielten die Priester dabei eine grosse Rolle". Die
selben beiden Motive für Gefechtstänze finden wir in einer Reisebeschreibung von Barche-
wrrz (1730), die wir schon im ersten Kapitel erwähnten (siehe Letti). Wenn auch B. dachte,
dass dies alles ,Zur Lust und Staat" geschehe, so ist eine beabsichtigte Geisterbeschwörung
gar nicht ausgeschlossen (64). Der tjakaiele, den ein Witwer auf Halmaheira um das Haus
tanzen muss, in dem die Leiche seiner Frau liegt, steht auch sehr wahrscheinlich mit Geister-
beschwörung in Beziehung (65). Bei der Einweihung eines „Tempels" wird von 20 jungen
Leuten, die zu „Helden" gemacht werden (Mitglieder eines Geheimbundes?), ein „Kriegstanz"
aafgefObrt (Ben ütr. Z. 1001 s. 162) (66). Ein tjakaiele auf Ceram, beim Empfang des
Residenten getanzt, erinnerte Martin durch Kleidung und Schmuck daran, dass er sich an
einer der Ursprungsstätten dieses Tanzes befand (67).
Eine der „funeral ceremonies" die Haddon für die Torres-Strasse beschreibt, bestand
aus einem Tanz von 3 Männern, von welchen zwei mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren,
und der dritte als Frau verkleidet — mit zwei Besen. Alle trugen Blättermasken, damit die
in einer gewissen Distanz zuschauenden Frauen die Tanzenden nicht erkennen konnten. Alle
— 230 —
diese Umstände geben Anlass zu der Vermutung, dass es sich hier um einen "Waffentanz
gegen Geister handelt (68). Martin sagt, dass auf Saparua der tjakalde der eigentliche
Nationaltanz ist. Er wird aufgeführt, wenn ein höherer europäischer Beamte ein Dorf zum
ersten Male besucht. „Der Vortänzer sucht den Ankömmling hierbei mit den Waffen den
Eintritt zu wehren und es gilt als besondere Ehre, bei solchen Gelegenheiten lang aufge-
halten zu werden" (69).
„Auf den Sula-Inseln dürfen die Knaben nach der Beschneidung den Boden nicht be-
rühren. Sie werden getragen, während die Männer wild tanzend und schreiend um sie her-
umspringen. Auch beim Hinbegleiten der Knaben führen die Männer einen Kriegstanz aut
(Jansen) (70).
Während der Verbrennung eines toten Fürsten auf Bali führten 12 als Soldaten ver-
kleidete Männer einen Gefechtstanz auf. Zwei Männer tanzten schöne, aber obscöne Tänze.
NiEUWENKAMP hörte, dass dieser Brauch aus der Zeit datiere, als die Fürsten ihre Leibgarde
schickten, um den Glanz der Zeremonie zu erhöhen. Der phallische Charakter jedoch weist
auf weit frühere Zeiten zurück, als weder Kremation noch Hinduismus auf Bah bekannt waren.
Van der Jagt, der 40 Jahre vor Nieuwenkamp einer Verbrennung beiwohnte, sagt, dass
jeder, der dem verstorbenen Fürsten Ehre erweisen wolle, seine Tänzer, Tänzerinnen oder
Vorfechter schickt, die unter Gamelangbegleitung ihre „krampfhaften, herausfordernden Be-
wegungen ausführen".
Diese krampfhaften Bewegungen zwingen einen an eine unnatürliche Aufregung zu
denken. Das könnte darauf hinweisen, dass auch jetzt noch das geisterbeschwörende Element
nicht verschwunden zu sein braucht (71).
Auf Savu wird 1 Mal im Jahr, kurz vor dem Anfang der Regenzeit, ein Scheingefecht
aufgeführt, wobei die Teilnehmer mit Steinen werfen und mit Schilden abwehren (72).
In West-Java gehen bei den festlichen Prozessionen (bei Heirat, Beschneidung, Zähne-
feilen) immer angkhmg-S)pie\er voran. Der angklung besteht aus 15 Bambusrahmen mit
Röhren und schüttelnden Stücken. Jeder Spieler trägt einen Rahmen, die vordersten Spieler
tragen die kleinsten, und zwar in jeder Hand einen. Sie sind Vortänzer, Vorfechter und
Kapellmeister zugleich. , Diese Vortänzer nehmen abwechsehid die Stellung eines wütend
drauf losschlagenden Angreifenden an und die eines gegen den Angriff sich Wehrenden,
während sie die Arme bewegen, als ob sie Hiebe abwehren und austeilen" (J. 27) (73).
Bei langandauernder Trockenheit wird in Ost-Java unter Gamelanbegleitung ein Waffen-
tanz aufgeführt. Man ficht mit Rotan-Stöcken, und ist sich bewusst, dass alles nur Spiel
ist (74). Diese Waffentänze finden auch bei Hochzeiten und Beschneidungsfesten statt (75—76).
Alles deutet hier auf einen religiösen Ursprung. Die Regenvertreiber tanzen nicht, sondern
bringen Opfer, sprechen Zauberformeln aus, und hauen mit Dolchen in die Luft, um ein
drohendes Gewitter abzuwehren (77).
Bei einem Tigergefecht (rampokj, das ich einmal in Java sah, wurde das Seil, womit
die Käfige der Tiger umwickelt waren, unter Ausführung eines Gefechtstanze, durchge-
hauen (78). Hier — wie in Malakka — wo die Häuptlinge um einen getötenen Tiger einen
Kriegstanz ausführen (Keat. 37), deutet die RoUe, die der Tiger in der animistiscben Auf-
fassung spielt, auf einen Beschwörungstanz hin (79).
Ueberblicken wir alle gegebenen Beispiele (79), so sehen wir, dass die erste und die
zweite Gruppe fast gleich viele Tänze enthalten (resp. 43 und 36). Bleibt in dieser immer
— 231 —
die Möglichkeit bestehen, dass wir in einigen Fällen einen religiösen Untergrund da erblickten,
wo dieser nur zum Schein anwesend war, in jener ist das religiöse Element jedenfalls viel
stärker als erwähnt wird. Von sehr vielen Tänzen wird nur gesagt, dass sie „Kriegstänze"
oder Scheingefechte seien, ohne dass der Zweck oder die Herkunft des Tanzes angedeutet
wird (N». 3, 4. 5, 6, 17, 19, 23, 24, 25, 35, 36, 37. 38, 40, 41). Hier können genauere
Berichte das Gruppenverhältniss also ganz ändern.
Von vielen anderen Tänzen, deren Ausführung besser beschrieben wird, kann man
mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie zu religiösen Zeremonien in
Beziehung gestanden haben.
Dies gilt erstens von den Waffentänzen, die mit Kopf Jägerei im Zusammenhang stehen
(N". 9, 11, 14, 16, 20 und 28 aus Gruppe I) und zweitens für die Waffentänze, die von
Gesang begleitet werden (N*. 1, 22, 26, 30 und 33). Da sie nur eine weitere Entwicklungs-
stufe der direkten Geisterbeschwörungstänze bUden, werden sie bei dieser Gruppe behandelt
werden.
Lassen wir als zweifelhafte Fälle diejenigen Gefechtstänze ausser Betracht, die in der
Literatur ungenügend angedeutet worden sind (N". 3, 4, 5, u. s. w.), und ziehen wir von
der Gruppe der scheinbar-militärischen oder gymnastischen Gefechtstänze die beiden oben
genannten Kategorien (Waffentänze mit Gesang und KopQägoreitänze) ab, dann bleiben
von den 33 Fallen nur 17 übrig, bei denen man das religiöse Element nicht nachweisen
kann. Betrachten wir jetzt die zweite Gruppe, die wir in zwei Untergruppen eingeteilt haben :
a. Gefechtstanze von Priestern,
b. Gefechtstänze von, Laien.
Wie die Beispiele (44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51 und 59) zeigen, sind die Beschwörungs-
tänze mit Waffen meist Priestertänze. Die eigentlichen Schamanentänze werden, auch wenn
sie dazu dienen, die bösen Geister abzuwehren, meist ohne Waffen ausgeführt. Nur ein
Bericht erwähnt einen Beschwörungstanz, wobei die Schamanen einen ekstatischen Waffen-
tanz aufführen (44). Die anderen betreffen alle Tänze von Priestern, meist aber von Prieste-
rinnen, und zwar auf Borneo und Celebes. Dass gerade Frauen so viel in diesen Beschwö-
rungstänzen auftreten, wie auch in anderen religiösen Zeremonien, könnte eine Erklärung
finden in der geistervertreibenden Kraft, die viele indonesischen Völker der Frau zuschreiben.
Hiermit steht wieder das Auftreten von Männern in Travestie-Tänzen in Zusammenhang,
sei es in einfacher weiblicher Schambekleidung (wie in N. Guinea) oder in vollständigem
Frauenanzug wie auf Borneo. Dass allerdings bei den Travestie-Tänzen auch weniger harmlose
Auffassungen mitspielen, (sedatti, bassir, bissu, beksa, gundrung) steht wieder in Zusam-
menhang mit der Rolle, die Berufstanzer überall im Archipel spielen, und in der das
Tanzen den Ueborgang und das gemeinsame Element von Priesterinnen und Hetaeren bildet.
Kbuyt hat in seiner Arbeit „Het Animisme" davor gewarnt, Schamanen und Priester
mit einander zu verwechseln. Es gibt Völker, wie die Toradja, die keine Schamanen kennen,
andere wie die Toba Battak und die Papua von Windessi, wo Schamanen und Priester ver-
schiedene Personen sind (resp. sibasse und datu; inderri und konoor). Bei den Dajak, den
Batak, den Minahassa-Alfuren ist er (oder sie) mehr Priester als Schamane, und bei noch
anderen Völkern (Galelaresen und Parigier) ist das Priestertum im Schamanismus aufgelöst.
(Allg. W. 27).
Die abwehrenden Gefechtetänze nun werden beinah alle von Priestern getanzt, tcährend die
Schamanen fast immer tanzen, um die Geister zu locken. Deshalb sind ihre Tänze meistens
— 232 -
ekstatisch, denn nur in der Ekstase kann der Schamane sich als „beseelt" gebärden. Be-
greiflich wird es so auch, dass ihre Leistungen, unter höherer Spannung vollbracht, und zu
mehrgestaltigem Auftreten Anlass gebend (sie tanzen die Rollen der verschiedenen Geister,
die in sie treten), eher zum Künstlertura führte als bei den Priestern, die nur Opfer- und
Waffentänze ausführten oder Litaneien sangen. So ist bei der Differenzierung der ersten
einheitlichen Kunst der Schamane den Weg der dramatischen, der Priester den der epischen
Kunst gegangen. So ist auf Java der Schamane Berufstänzer (oder Tänzerin) und Schauspieler
geworden (Wilken, Alg. W. 31) und der Priester Erzähler der wajan-Geschichten (Hazeü J. 9).
Endlich ist auch auf diesem Weg zu erklären, dass gerade die schönsten Tänze des Archipels,
der menari, der motaro und der tandak ursprünglich Schamanentänze icaren, weniger heilig
und deshalb eher zum Vergnügen geeignet wie die Priestertänze. Wo diese und (was fast
dasselbe bedeutet) die Gefechtstänze degenerieren, verraten sie immer noch ihre höhere
Herkunft durch den mehr zeremoniellen Zweck, zu dem sie gebraucht werden.
Die Gefechtstänze, von Laien ausgeführt, die uns jetzt beschäftigen müssen, sind
dann auch meistens als degenerierte oder wenigstens abgeschwächte Priestertänze aufzu-
fassen. Geschieht die Geisterbeschwörung kollektiv und intensiv — wie bei Toten- und
anderen Opferfesten — so ist der Priester da, um sie auszuführen, oft unter Beihilfe
von Laien.
Warneck sagt, dass beim Büffelopfer der Battak erst der Priester (datu), dann Frauen
und Männer tanzen. Er erwähnt nicht, ob sie einen Waffentanz ausführen, sagt aber wohl,
dass der Büffel gespiesst wird. Nach Van Rosenberg führen während des Opfers die Vor-
fechter einen Tanz aus. Beide Berichte kombinierend, kann man annehmen, dass man es
hier mit einem Gefechtstanz zu tun habe, wo jedenfalls Priester mittanzen.
Perelaer berichtet, wie die Menschen- und Büffelopfer beim tiwah (Toten)-Fest der
Dajak unter Tanz und Gesang der Priester und Männer gemartert wurden. Wenn man
dann bei Ullmann liest, wie leidenschaftlich dies Martern geschieht, kann man sich es nicht
ohne Waffen denken, und findet man auch hier, wie abscheulich der ganze Vorgang auch
sein mag, einen religiösen Waffentanz vor. Endlich sahen wir, dass auch auf Celebes
Priestertänze um das Opfertier stattfinden, und dass beim Totenfest der Toradja, Priester
und Laien einen Wafientanz ausführen. Auf drei der Grossen Sunda Inseln treffen tcir also
denselben Zusammenhang von Totenfest, Opfer- und religiösem Gefechtstanz an. Auf der vierten
Insel dieser Gruppe (Java) haben schon früh höhere Religionsformen das erste Glied dieser
Kette ganz, und das zweite zum Teil vernichtet. Vielleicht wäre eine Spur der beiden
letzten Glieder noch zu entdecken in den vielen Kämpfen, die der Javaner bei allen möglichen
Gelegenheiten arrangiert. Serrière nennt von diesen : Kämpfe von puju (kleine Vögel),
Hähnen, Grillen, Schweinen und Hunden, Affen und Hunden, Ziege und Schwein, Tiger
und Büffel, Tiger und Menschen (rampok), Papierdrachen. Es wäre interessant zu unter-
suchen, in wie fern das sportive Element hier das religiöse verdrungen hat.
Nicht nur bei Totenfesten, auch bei anderen Ereignissen im Leben der indonesischen
Völker ist der Waffentanz offenbar mit religiösen Zwecken verbunden. Weil aber in der
animistischen Auffassung der Geisterfurcht am stärksten wirkt wo sie mit Sterben in
Beziehung steht, und deshalb die Totenfeste die intensivsten religiösen Zeremonien bilden,
sind hier, mehr als irgendwo anders, die Priester beteiligt. Jedoch finden wir auch Laien-
tänze aliein bei Totenfesten, aber nur dort, wo entweder die Männer den Frauen gegenüber
priesteriiche Würde beim Tanzen bekleide (wie in der Torres-Strasse), oder wo andere Reli-
— 233 —
gionsformen die Priester vertrieben und nur die Waffentänze als Zeremoniell gelassen
haben (wie auf Bali und in der christlichen Minahassa). Nur eine Mitteilung ist hiermit
scheinbar in Widerspruch : die eines Gefechtstanzes beim „Knochenfest" auf Halmaheira,
wo keine Priester erwähnt werden. Die Beschreibung aber ist nicht sehr deutlich und
erinnert ausserdem an rein weltliche Vergnügungen. Bei einem anderen Waffentanz auf
Halmaheira, mit Totenfurcht in Zusammenhang stehend, fehlt das kollektive Element, so
dass hier der Laie allein seinen Tanz ausführt (65). Alle anderen Waffentänze zur Vertrei-
bung der bösen Geister von Laien ausgeführt sind nicht mit Totenfeiern verbunden. Wir
finden unter ihnen Tänze:
a. nach der Beschneidung (70, 75);
b. bei einer Cholerabeschwörung, wo aber auch an bissu gedacht werden könnte;
c. zur Abwendung von Regen oder Trockenheit (72, 74, 77);
d. beim Bau eines «Tempels" (66, 64);
e. beim Töten eines Tigers (78, 79);
f. bei Hochzeits- und Beschneidungsaufzügen (78);
g. bei der Begegnung der Bevölkerung eines benachbarten Dorfes (52);
h. nach einer Kopfjagd (55, 56);
j. beim Empfang vornehmer Gäste (63, 64, 67, 69).
Die letzte Gruppe, die Begrùssungs-Gefechtstànze, sind, jedenfalls wie sie jezt auftreten,
nicht mehr rein religiöser Art. Das militärisch-zeremonielle Element wird wohl meistens
das stärkere sein, und nur dem Ursprung nach sind sie geisterbeschwörend. Das Begegnen
von Fremden und vornehmen Landsleuten ist nach animistischer Auffassung immer eine
heikle Sache (siehe Fkazer: Alg. W. 10) und in den Gefechtstänzen, die hier vermeldet sind
Ix-'im Empfang von hohen Gasten und bei der Begegnung von Bewohnern anderer Dörfer,
haben wir dann auch nur eine der vielen, oft handgreiflichen Begrüssungszeremonien zu
sehen, die auf der ganzen Erde vorkommen.
Sehr oft. l>egegnen uns Tänze, nach einer Kopfjagd ausgeführt. Das eine Mal lesen wir,
dass unter lautem Geschrei wild mit den Köpfen herumgesprungen wird, das andere Mal,
dass Männer und Frauen, noch öfters die Frauen allein, einen Tanz ausfuhren mit und
ohne Waffen.
Wie bei den Totenfesten, ist auch hier die Geisterfurcht sehr stark, und hat zu ver-
schiedenen Zeremonien Anlass gegeben. Die erste wird wohl ein wildes Geschrei sein, mit dem
die Frauen die Geister der gefallenen Feinde zu vertreiben suchen. Dann kommt der Tanz
mit den Köpfen, mit otler ohne Waffen. Hier ist das ganze Vorgehen noch rein lyrisch.
Eine weitere Entwicklung zeigen die epischen oder dramatischen Tänze, worin Frauen die
Vorgänge der Kopfjagd darstellen, wie ich glaube, auch mit exorzistischen Absichten. Eine
letzte Phase bilden dann die Gesangsreigen, wie der kahmca und der ewto, worin bereits
das commemorative Element hervortritt. Es sind epische Liedertänze (oder Tanzlieder), worin
die Taten der siegreichen Helden verewigt werden. Die Vorstellung einer KopQagd durch
die Manner selber, oft von hoher dramatischer Schönheit, hat dann mit Geisterbeschwörung
nichts mehr zu tun, ist nur ein Vergnügungstanz mit historisch-commemorativer Neben-
bedeutung.
Wir sahen bereite, dass 15 Berichte zu ungenau waren, um zu entscheiden, welche
die Art der erwähnten Tänze war; auch, dass zwei Gruppen, total 11 Tänze enthaltend, bei
df-n militärischen Tänzen behandelt wurden, aber mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit
— 234 —
zu den Tänzen mit religiösem Ursprung zu zählen sind. Tun wir dies, und lassen wir die
15 Zweifelfälle ausser Betracht, so finden wir 47 Tänze, die mit Geisterbeschwörung, mit
religiösen Auffassungen also, in Beziehung stehen, und nur 17 für welche man das nicht
beweisen kann.
In einer Tabelle alle zusammenfassend, erhalten wir:
I. Scheinbar oder wirklich militärische Waffentänze:
a. ungenügend angedeutet (Zweifelfälle) lo
b. mit Kopfjagd in Beziehung stehend ^'u
c. Waffentänze mit Gesang 5 j
d. andere Gefechtstänze 17
IL Religiöse Gefechtstänze :
a. von Priestern onder Shamanen ausgeführt ^ ' 36
b. von Laien ausgeführt 27 |
"79 47
Wenn wir nur denjenigen Berichten folgen, die mehr als den Namen nennen, können
wir also sagen: Im Malaiischen Archipel stehen iceitaus die meisten Gefechtstänze (75°!^ zur
Geisterbeschicörung in direkter oder indirekter Beziehung.
Der Zusammenhang von Geisterbeschwörung und Kriegswesen ist in unseren Beispielen
genügend hervorgetreten durch Angabe gewisser Einzelheiten über Kleidung, Schmuck, Tanz-
attribute, Tanzbewegungen, begleitende Musik und Gesänge (vgl. Bsp. 46, 49, 50, 55). Es
wäre aber voreilig, hieraus die Folgerung zu ziehen: der Kriegstanz habe sich am dem
Geisterbeschwörungstanze entwickelt. Auch das Umgekehrte wäre möglich. Wenn man von
zwei Vorgängen nur den Zusammenhang bewiesen hat, kann noch jeder von beiden der
Aeltere sein, Wallaschek, der in seiner Beweisführung überhaupt nicht sehr stark ist,
sagt: „Den Kriegern verdanken wir die ersten Taktschläge, ihnen die ersten fixierten
Melodien, ihnen den ersten Chorgesang und das erste Orchester". Durch die organisierende
Macht der — stark rhythmisch ausgeprägten — primitiven Musik, sieht W, in ihr eine
der wichtigsten Existenzbedingungen des Stammes. In absolutem Sinne nennt W. also den
Kriegstanz die älteste Tanzform, die nur eine Kriegsübung, eine Vorbereitung zu gemein-
samer Aktion sei.
Wir haben damit das Gebiet eines der schwierigsten Probleme betreten, nämlich das
des Ursprungs der Tänze im allgemeinen, ein Gebiet das vrir vorläufig beiseite lassen müssen.
Hirn und Buchner haben beide andere Theorien über den Ursprung des Tanzes auf-
gestellt, aber die Prioritätsfrage der Kriegs- und Beschwörungstänze nicht erörtert. F. de
MÉNEL, der in seinem Werke „Histoire de la dance" keine rezente Naturvölker behandelt,
sagt: „La veritable origine de ces dances guerrières pourrait être cherchée dans les sacrifices
humaines en usage chez les premiers peuples". „Comme les dances profanes, les dances
guerrières ont une origine sacrée". Wenn er dann noch behauptet „la stratégie sortit de
la pyrrhique et autres dances guerrières", hat er damit angedeutet, dass die Kriegskunst
nur eine weitere Entwicklung der religiösen Zeremonien sei, eine Auffassung ganz der-
jenigen Wallaschek's entgegen gesetzt. Nur hat de Ménel's Urteil für uns geringen Wert,
weil er gerade die ersten Entwicklungsstufen nicht betrachtet hat. Mehr Wert, obwohl
keine Beweiskraft, legen wir Prof. Nieuwenhuis' Vermutung bei: „Da beim Schwerttanz
(kenja) nicht nur Kriegsszenen, sondern die verschiedensten Vorfalle aus dem täglichen
— 235 —
L«ben dargestellt werden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich dieser Tanz aus den
obigen religiösen Zeremonien entwickelt hat".
WiLKEN hat die Behauptung ausgesprochen, dass alle Tänze in Indonesien religiöser
Herkunft seien. Krüyt bezweifelt dies und sieht jedenfalls in dem Beschwörungstanz nur
eine zierliche Nachahmung eines Scheingefechtes. Nach Krüyt ist also der militärische Tanz
der ältere.
Obwohl WcNDT den Ursprung aller mimischen Tänze, wozu er auch die Gefechtstänze
rechnet, auf religiöse Zeremonien zurückführen will, weicht er bei der Behandlung der
Kriegstänze der Frage der Priorität aus. Er sagt, dass Kriegstänze rhythmisch geordnete
Nachbildungen der beim Kampf ausgeführten Bewegungen seien. Weil sie nicht zu regel-
mässig wiederkehrenden Zeiten ausgeführt werden, und deshalb keinen Anlass zur Ver-
bindung mit anderen mythologischen Vorstellungen geben, sind sie einfacheren Charakters
als die Vogetationstänzo und wandlen sich deshalb früher in ergötzliche Spiele um. Eine
Abzweigung lüsst sich nach W. nachweisen: das Kampfspiel zu Ehren gefallener Helden,
das wieder auf die Totenfeiern, und damit auf die Geistorvertreibung zurückzuführen ist.
Mach WcNDT giebt es also von Anfang an Kriegstänze und Geisterbeschwörungstänze neben
einander.
Ich möchte dies bezweifeln und die Vermutung aussprechen, dass Gefechtstänze im
nudaiischen Arcftipel Hrsprünglidi Beschtcöningstänze, also religiöser Art waren, wie es Prof.
NiEüWENHUis bereits für die kenja der Dajak vermutete. Nachfolgende Erwägungen mögen
dies beweisen:
1. Von den heutigen GJefechtstänzen im Indischen Archipel tragen nach unseren Bei-
spielen Ib^lg noch die Merkmale religiösen Ursprungs. Schon deshalb ist es, zumal auch
religiöse Merkmale sehr langsam vorschwinden, wahrscheinUch, dass sie älter sind als die
Tänze der Minorität.
2. Geister- und Totenfurcht treten schon sehr früh auf, früher als ein dermassen
organisiertes Heerwesen, das durch Tänze die Disziplin und den Mut zu steigern sucht.
Nur ein sehr starker Affekt kann der erste gewesen sein, der sich auf rhythmischen Wege
entladen hat und gerade die Geisterfurcht ist einer der stärksten Affekte der primitiven Seele
(vergl. Steinmetz: Entw. der Strafe I).
Kampflust bildet ohne Zweifel eine gleich starke Stosskraft, aber kann sich leichter
in Taten austoben, braucht nicht wie Geisterfürcht eine andere Entladung. Hier tanzt —
dort kämpft man. Der erste „Gefechtstanz" ist vielleicht einer ohne Waffen gewesen, wo
die Teilnehmer einfach rhythmisch fortschnoUend und schreiend die Geister zu vertreiben
suchten. Beispiele dafür finden wir noch in einem Totentanz in Rhoon (N, G.) und bei den
Toradja, hier mit höheren Formen kombiniert. Tromp. (16) beschreibt ein Fest bei der
Rückkehr der KopQäger auf Borneo. Bevor die Boote landeten, stiessen die Frauen laute,
nach kurzen Pausen wiederholte Schalle aus zur Vertreibung der bösen Geister. Wo die
Furcht vor den Geistern, das Verlangen sie zu vertreiben, gross war, kam das rhythmische
Element von selber. Alle sehr intensiven körperlichen (auch physiologische) Bewegungen ge-
schehen rhythmisch (Coitus, Schluchzen, Lachen, Husten, Springen u. s. w.). So entstanden,
neben den ersten Freudetänzen, die ersten Furchttänze, zugleich Vertreibungstänze, die zu
wirklichen Gefechtstänzen sich entwickelten, sobald die erste abwehrende oder angreifende
Armbewegung mit oder ohne Waffe sie begleitete. Als man sah, dass der Rhythmus der
einzelnen Aeusserung, kollektiv angewendet, sich verstärkte, und so auch das gesammte
I. A. f. E. Bd. .\XIII. 31
— 236 —
Auftreten anfing rhythmisch zu werden, entdeckte man die verbindende, die organisierende
Macht des Tanzes und — war der Kriegstanz geboren. Alle anderen Motive die sein Auf-
treten verursacht haben, sind sekundärer Art.
3. Wo von anderen Tänzen bewiesen worden ist, dass sie ursprünglich religiöser Art
waren und auch die Entwicklung anderer Erscheinungen den Weg der Profanierung gegangen
ist, liegt eine Wahrscheinlichkeit vor, dass auch die Kriegstänze in dieser Weise entstan-
den sind.
Eine Eigentümlichkeit der Kriegstänze, die nur eine Andeutung, keinen Beweis für
ihren religiösen Ursprung bildet, muss noch erwähnt werden. Mehr wie bei anderen Tänzen
sind Schmuck und Attribute hier veraltet oder halb-symbolisch. Zwar treffen wir auch bei
den Vegetationstänzen diese mit Ehrfurcht angeschauten, alten Objekte an, aber auch hier
ist der Zusammenhang mit Religion klar. Prof. Nieuwenhuis hat bewiesen, dass Pfeil und
Bogen bei den malaiischen Völkern zum ursprünglichen Kulturschatz gehören und, wo sie
jetzt verschwunden sind, noch als Zeremonie Objekte in der Ornamentik oder im Kinder-
spiel weiter leben. Auch die Beschreibung unserer Tänze gibt Beispiele hierfür (Sumatra,
Celebes, Borneo). Die alten fujakleider in C.-Celebes, der Schildschmuck von Menschen-
haar bei den christlichen Minahassa-Alfuren, der Kopfschmuck der bissu in Süd-Celebes
sind einige der vielen Beispiele, die später eingehender behandelt werden.
Auch andere Erscheinungen gehören hierzu. Die beim Kriegstanz gesungenen Lieder
sind oft in einer veralteten Sprache, wie dies bei anderen ursprünglich-religiösen Gesängen
der Fall ist.
Dass endlich auf Ceram ein Kriegstanz fast nackt ausgeführt wird und bei den Hof-
tänzen auf Java die Mitspielenden den Oberkörper entblösst haben, weist auch auf eine
alte Herkunft dieser Tänze hin. Wie bei anderen Kultus-Tänzen sind auch bei den Gefechts-
tänzen, auch wenn sie das religiös exorzistische Stadium schon lange hinter sich haben,
die Attribute oft halbsymbolischer Natur. Stumpfe Speere, hölzerne Lanzen, Stöcke,
Bambus- und Zuckerrohre, Dracaena- und Palmblätter sind die Waffen, womit man die
Geister vertreibt und — auf weiterer Stufe — auch einander spielend bekämpft. Waren
die Beschwörungstänze aus den Kriegstänzen hervorgegangen, so würden die meisten von
ihnen, die, wie alle zeremoniellen Vorgänge conservativer Natur sind, die alte Bewaf-
nung behalten haben. Immerhin Hesse es sich denken, dass nachher für die Beschwörung
eine mehr geisterhafte Ausrüstung gewählt würde, doch das Gegenteil ist wahrscheinlicher.
Wenn wir jetzt, am Ende unserer Betrachtungen, versuchen wollen, einen vermutlichen
Entwicklungsgang des Kriegstanzes in Indonesien zu skizzieren, sind wir uns davon bewusst,
dass dieser nur hypothetischen Wert hat. Wie schon Kruyt,' der vorzügliche Kenner der
indonesischen animistischen Auffassungen, erklärte, folgt die Logik der Naturvölker oft
ganz anderen Wegen als die unsrige, und „bleibt es möglich, dass wir Zusammenhang
suchen zwischen Ereignissen, von denen jedes für sich einen ganz verschiedenen Existenz-
grund haben". Unter diesem Vorbehalt denken wir uns, wie wir schon teilweise andeuteten,
den Entwicklungsgang der Gefechtstänze folgenderweise:
1. Wildes Geschrei und Gelauf zur Vertreibung der bösen Geister.
2. Auftreten des rhythmischen Elementes, erst bei einzelnen, dann bei allen.
3. Durch das kollektive rhythmische Auftreten wird die Macht des Taktes geahnt.
4. Differenzierung der Gefechtstänze in exorzistische und militärische.
— 237 —
5. Gegenseitige Beeinflussung dieser beiden Gruppen.
6. Allmähliche Umwandlung vieler exorzistischer Tänze in Begrüssungstänze, wo das
geisterbeschwörende Element immer mehr verschwindet, und im Kampfspiele, wo
das comraemorative-historische Element auftritt.
Nicht alle Gefechtstânze aber haben diese Entwicklungsstadien durchgemacht, viele
sind auf einer gewissen Stufe von anderen Völkern übergenommen. So haben die Tänze
der kriegerischen Maduresen und gewisser Alfuren grosse Verbreitung gefunden.
In einem anderen Abschnitt: „die Verbreitung der Tänze", wird dies näher behandelt
werden. Auch ist das ursprüngliche Motiv nicht das immer alleinherrschende geblieben,
und sind schon früh andere Motive dazu gekommen: militärische Zwecke wie Einübung,
Begeisterung beim Angriff, Beseitigung der Furcht für den Feind; sexuelle Zwecke: den
Frauen die männliche Kraft und Schönheit zeigen. Hirn und andere haben sie in ihre
Arbeiten über den Ursprung des Tanzes genügend erklärt, so dass ich sie nicht zu wieder-
holen brauche. Meine Aufgabe war nur, mit Tatsachen zu beweisen, dass nicht, nach
Wallascukk's Ausdruck, die musische Kunst den Kriegern ihre Entstehung verdankt, son-
dern die Krieger ihre höhere Ausbildung, ihr geordnetes Auftreten der Religion ver-
schuldet sind.
LITERATURVERZEICHNIS.
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SOME BLACKFOOT SONG TEXTS
BY
C. C. UHLENBECK.
On my return from Blackfoot reservation in 1911 I stayed a few days at the hospi-
table house of Dr. G. B. Grinsell, the distinguished author on the culture and folklore ot
the Plains tribes. Then he had the kindness to give me the following short song texts,
recorded by him phonographically in 1897, with the permission to transcribe them, to
translate them in my own way, and to publish them. I accepted his gift with gratitude,
the more because the number of such song texts recorded by myself was rather small
(see Original Blackfoot texts, p. 66 — 68 and A new series of Blackfoot texts, p. 210).
1- Smoking song of Beaver medicine, sung when the pipe is unwrapped.
Nipaupit, ninai, kaxkötsis(i) I Sit up, man, that you may smoke !
2. Another smoking song.
Nipuäut, kaxkötais(i) !
3. First song of Beaver medicine.
Nepiisi, saksiniki, ixtäpiniki, (ni)tâik«-
möt, nitzstài.
4. Crow Water song.
MatApi(u) ' maukapépuyi(u)? A'nnoajk
ônokâmità8in(a) aipü^sapu. A'uke, nitötoaii.
5. Peigan Water song.
Spö^tm nitsikimmok. Matàpiuamàukap-
èpuyi(u)? Nitâtos.
Get up, that you may smoke!
In summer, when I go out, if I see then
[anything dangerous], I am saved, I dive.
Why are the people talking around?
Now there are many horses coming this
way. Here they are, I took them.
[The one who is] on high had pity on
me. Why are the people talking around?
I have supernatural power.
6. War song (the mother of a certain young girl supposed to be speaking).
No;»;kâkùs(i), annö;*;k (nijtâkitsitôm. Ni- Though I was going to have him for
kimomaxk8tsiimmau(?). son-in law, now I shall marry [him] [myself]-
I all at once admire him(?).
7. Crazy Dog Society song.
Makâpi(u) napiusin(i).
It is bad to be old.
242 -
8. War songC?).
Hâpi (?), pinotâmôkit, (ni)tâka%kyapauyi
mini.
. . . , do not feel uneasy about me, I
shall be eating berries on my way home.
9. Camp song.
Imitâunistsî ixpîpim. He came in with the dog travois.
10. Song of unknown character (perhaps referring to a buffalo -stone).
O'^kotok âuani(u): Matökit. The stone says: Take me.
11. Song of unknown character.
Nitünnots. I am hungry.
12. Song they used to sing when they came in sight of the enemy's camp and prepared
to make the charge.
O'kosiks â;i;kitunotoaii. His [that means: their] children, let us
take them now.
13. Song said to have been sung by a party of Blood Indians who returned from war
and found the people in their own camp still asleep.
Pinâpi-Kâina, sakyâiokat, akotauop.
14. Love song.
Imakumaipitâke nanistunnotatau.
15. Joke song.
Apikaii sômituyokakèkinni.
16. Kit-fox trapping song.
Sinopau nâ;t;ksikyakatau I
17. Eagle song of the Beaver medicine.
Ninâi, nipitai ; m'nai, ninitauatös.
Eastern Bloods, you are still asleep, we
shall arrive.
As I hunger for even a very old wo-
man [, the more I hunger for the love of
the young ones].
A skunk with a bare(?) backbone.
May I trap a kit-fox!
Man, I am an eagle ; man, I alone have
supernatural power.
18. Triumph song (the defeated enemy supposed to be speaking).
Kaiop? Otau, paiü^sapau, nitasainiop.
19. Brave Society dance song.
Kaina(u) otatsâpsin(i) ixtàkuinîu.
20. Dove Society song.
Kaköaki, motùiikàkimàk !
What is the matter with us ? We arrive,
we come here, we are all crying.
The Bloods will die [i. e. get killed]
because of their own foolishness.
Doves, all of you, try hard !
- 243
REVUE BIBLIOGRAPHIQUE. - BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
Pour les abréviations voir p. 124, 192 du Tome
Psychologie.
GÉNÉRALITÉS.
M. J. L. DK Lanessan (R. a. XXV p. 343, 401)
continue son étude sur la morale du transformisme,
en traitant de la morale des besoins naturels et la
morale des passions.
M. Abbl Hovblacqoe (R. A. XXV p. 379: Lan-
gue«, races, nationalités) fait une démonstration sur
l'inanité de la théorie des langues et des races.
M. OiOBOKS HravÉ (,R A. XXV p. 339) fait des
oWervations au sujet du principe des nationalités.
M. le Prof. C. H. Stbatz (A. A. XIV p. 81 : Be-
trachtungen über das Wachstum des Menschen F.
At. fig.) fait des remarques critiques sur le livre
du Dr. Weissenberg.
Bull. S. A. V publie des contributions du Dr. Siffbb
(p. 10: L'usure des dents chez les préhistoriques.
l. Usure chez l'enfanti ; de M. L. Manodvrier (p. 179:
Sur le rôle de Tacromégalie en morphologie crâ-
nienne); du Dr. A. DE Brandt (p. 236: Explication
embryologique de l'origine des droitiers et des gau-
chers); du Dr. Adolphe Blocu (p. 217: Sur la cor-
rélation de croissance entre les'phanères), sur les
organes toujours visibles comme les poils, les ongles,
le« plumes et les cornes.
M. le Dr. Ftux Rbohault (Bull. S.A.) publie
une notice sur des ex-voto en cire modelés par les
fidèle«; des remarque« sur des statuettes de femmes
(p. 829: Le« repréeentations de l'obésité), en obser-
vant qu'un grand nombre de peuples ont regardé
l'obésité chez la femme comme un idéal esthétii]ue.
U y i^joute (p. 233 : La spondylolisthesis de la Vénus
hottentote. Av. fig.) une note sur le squelette d'une
femme hottentote, citée comme exemple de la sté-
atopygie; et des observations (p. 249) sur les infir-
mité« des animaux sauvages devant les théories
darwiniennes.
H. Karl vom Si-iess (Korr. A. U. XLVI p. 2:
PeraOnliche und unpersönliche Kunst. Av. tig.) publie
une étude d'ethnographie comparée.
Korr. A. O. publie encore des contributions de
M. Hcoo MoTEFiNDT (p. 36 : Über Alter und Herkunft
der Kultur des Speltes) sur un si^et de botanie
préhistorique; de M. Max Stein (p. 30: Ein mine-
ralogisches Erkennungszeichen prähistorischer Feuer-
■tainartefokte) ; et de M. Ernst Lektz (p. 86 : Metho-
dlwb« Siedelungsforschung).
I. A. f. E. Bd. XXIII.
précédent. Ajouter: BoL F8. = Journal of Religious
M. Hans Virchow (Z. E. XL VII p. 65. Av. flg.)
fait la démonstration du crâne et du masque d'un
jeune chimpansé ; et publie (Z. E. XL VII p. 95) une
notice de cràniométrie.
EUROPE.
M. WiEGERS (Z. E. XL VII p. 68: Das geologische
Alter des Homo Mousteriensis) publie des notes de
paléontologie.
M. I. Flgdström (Ymer 1916 p. 218: Till frâgan
om rasskillnader inom Sverges Befolkning) traite la
question de la différence des races dans la population
de la Suède.
A.I. publie un discours présidentiel de M. Arthur
Keith (XLV p. 12: The Bronze Age Invaders of
Britain); et une communication archéologique de
MM. Habold Peake et E. A. Hooton (p. 92 : Saxon
Graveyard at East Shefford, Berks. Av. pi.).
M. Ü. M. Fraser (Scott. XXXII p. 561 : The Roman
Camp near Aberdeen. Av. pi. et fig.) décrit des fouil-
les dans le camp romain de Glenmailen près de
Ythan Wells.
M. PitBRE G. Mahoüdiaü (R. A. XXV p. 423 :
Les Celtes en Anthropologie) donne raison à Henri
Martin contre Broca en prouvant que le nom de
Celtes donné par César aux habitans de la Gaule ne
s'applique qu'à une minorité qui avait envahie et
subjuguée le pays, race blonde, dolichocéphale et de
grande taille, tandis que la majorité, soit qu'on les
nomme Ibères ou Ligures, était brachycéphale ,
brune et de petite taille.
M. De Saint-Périeb (Bull. S.A. V p. 31) décrit
des lésions osseuses d'un squelette d'enfant, trouvé
dans un milieu gallo-romain. L'intérêt considérable
de ce squelette est selon l'auteur dans le fait que
les lésions doivent être attribués à la syphilis héré-
ditaire.
Bull. S. A. contient encore des contributions ar-
chéologiques du Dr. Louis Dubreuil-Chambardei,
(p. 71: Les trouvailles de l'âge du bronze en
Touraine. Av. flg.; p. 253: Le menhir de Luzillé,
Indre-et-Loire); du Dr. Marcel Baudouin (p. 38:
Les actions humaines sur les ossements de la ciste
des Cous, à Bazogesen-Pareds, Vendée; p. 181: Les
pieds humains sculptés de la Pierre le Mulot à
Bleurville, Vosges. Av. flg; p. 205: Remarques sur
un crâne, d'origine inconnue, offert à la S. A. P.
32
244 —
par M. le Dr. Le Pileur, crâne trouvé vers 1852
dans une localité près de Bourges que l'on consi-
dérait comme un cimetière gallo-romain. M. Baudouin
en dit: D'après ce que nous venons de dire il ne
peut être que néolithique et de l'époque des Ossu-
aires de la Pierre polie. Il est bien évident que, dès
qu'on a cessé de décarniser les cadavres et a utilisé
l'inhumation, on n'a plus eu recours aux pratiques
très curieuses que nous venons de retracer sur
ce chef.
R A. publie des communications archéologiques
de M. Paul de Moetillet (XXV p. 327: Cachette
de haches en bronze de Plaisir, Seine-et-Oise. Av.
fig.); et de M. J. Bossavy (p. 334: Les haches en
bronze de Plaisir), avec une description de fouilles
en Seine-et-Oise.
M. l'abbé Bbeuil (A. XXVI p. 329: Nouvelles
roches peintes de la région d'Alpéra, Albacète. Av.
fig.) continue ses études sur les peintures rupestres
d'Espagne. En collaboration avec M. Miles Buekitt
(A. XXVI p. 313: Les Abris peints du Monte Arabi
près Yecla, Murcie. Av. flg.) et don Federico de
Motos (p. 332: Les roches à figures naturalistes de
région de Velez-Blanco, Almeria. Av. pi. et flg.) il
en décrit de nouvelles.
M. A. AoBELio Da Costa Ferreiea (Bull. S. A.
V p. 197. Av. fig.) publie une contribution anthro-
pologique à l'étude de quelques cimetières anciens
de Portugal.
Z. E. XL VII contient des contributions archéologi-
ques de M. R. MiELKE (p. 75 : Die angeblich germanische
Kundbauten an der Markussäule in Rom. Av. fig-);
de M. Hugo Mötefindt (p. 35: Ein schnurkeramischer
Grabfund von Klein-Mühlingen, Anhalt. Av. flg.; p.
40: Altes und Neues über die Kugelamphoren in
den Thüringisch-sächsischen Ländern. Av. fig.); et
de M. H. Busse (p. 60: Über Ausgrabungen bei
Radlov? am Scharmützelsee im Kreise Beeskow-
Sterkow und ein Siebgerät von dort. Av. fig.).
Ajoutons y la communication de M. L. Knoop
(Korr. A. G. XLVI p. 34 : Rechter Calcaneus eines
Paläolithikers aus dem Diluvium von Gr. Winnigstedt
im Kreise Wolfenbüttel. Av. fig.).
Les observations du Dr. E. Scheffelt (A. A. XtV
p. 98 : Rassenanatomische Untersuchungen an euro-
päischen Haaren) se bornent à des populations alle-
mandes.
G. XXX publie une communication de M. Loins
Leger (p. 161) sur les Slaves d'Autriche-Hongrie.
M. F. V. Kucera (Mitt. G. G. VV'ien LVIII p. 461 :
Dalmatinische Morlaken) publie une notice sur une
dénomination donnée originairement à la population
d'origine romaine sur la côte dalmatique et qui a
depuis été transférée aux Bosniaques chrétiens.
M. Georges Hervé (R. A. XXV p. 298 : Un an-
thropologiste français chez les Serbo-Croates, au
lendemain de 1870. Av. portraits) publie un discours
sur l'oeuvre de Abel Hovelacque, avec des extraits de
ses lettres pendant son séjour en Hongrie et Serbie.
M. Emile Haumant (Ann. G. XXIII p. 407: Le
pays dinarique et les types serbes) donne l'analyse
d'un livre publié par M. Jovan Cvijic sous le pseu-
donyme de Dinaricus (Yedinstvo Yougoslovena) sur
l'unité des Yougo-Slaves.
Les origines des Bulgares font le sujet d'une
étude du Dr. J. B. Lobitz (Korr. A. G. XLVI p. 21:
Über die Herkunft des südbulgarischen Dolicho-
cephalus).
Le Roumanie fournit des sujets au Dr. F. W.
Paul Lehmann (P. M. LIX p. 256 : Verbreitung und
Entwicklung der rumänischen Nation); au Dr. N.
JoRQA (p. 260: Die Entwicklung des rumänischen
Staatswesens) et à M. Emu. db Mabtonne (G. XXX
p. 241: La Roumanie et son rôle dans l'Europe
orientale).
M. Eugène Pittabd (R. A. XXV p. 447) fait une
comparaison de quelques caractères somatologiques
chez les Turcs et les Grecs avec la conclusion assez
surprenante que parmi ceux qui habitent la partie
méridionale de la péninsule Balkanique les plus rap-
prochés, morphologiquement, sont les Turcs et les
Grecs.
M. le Dr. Emil Fischkb (Korr. A. G. XLFV p. 31 :
Dionysos-Sabazios) publie une étude de préhistorique
grecque. Il donne ses arguments pour prouver l'iden-
tité de Bacchus et de Zeus et l'origine de son culte
en Thrace.
P. M. contient des articles d'un intérêt actuel, du
Dr. R. Kaindl (LXI p. 298: Die ethnographische
Zusammenstellung der Bevölkerung der Bukowina) ;
du Dr. H. Rosen (p. 329: Die ethnographischen
Verhältnisse in den baltischen Provinzen und in
Lithauen) ; du Dr. Richard von Pfaundler (p. 333 :
Österreichisch-italienische Gren; fragen); et du Prof.
Dr. Anastas Ischiekoff (p. 339: Ethnographische
Karte des Bulgareutums auf der Balkanhalbinsel im
Jahre 1912).
ASIE.
Morgenl. publie des études de Mad. Wanda von
Bartels (LXIX p. 52: Die Reihenfolge der Buch-
staben im Alphabet) ; de M. P. Schwarz (p. 59 : Die
i
— 245 —
Anordnung des arabischen Alphabets); de M. Erich
Ebblino (p. 89: Assyrische Beschwörungen), trans-
cription et traduction; de M. Ed. König (p. 283:
Der Mondgott bei den Hebräern), remarques critiques
Bur une bjpotbèse de M. D. Nielsen, qui identifie
Jabve avec la Lune.
Q. XXX donne un extrait d'un livre qui est pré-
paré par le R. P. de Jekphanion (p. 1 : La région
d'Urgub) sur les églises souterraines de Cappadoce.
M. le Prof. Dr. F. Fbkch (Z.G. E. 1915 p. 576:
Die armenischen Burgen. Av. pi.) décrit des fortifi-
cations arméniennes qui déjà du temps des croisades
faisaient l'admiration des croisés.
M. le Dr. A. Dibb (P.M. LXI p. 309: Die Bevöl-
kerung des Sakataler Kreises) publie des notes sur
un district de la Transcaucasle.
M. K. A. C. Cbeswbll (L Ant. XLIV p. 133:
The History and Evolution of the Dome in Persia.
At. pi.) publie une étude d'architecture.
G. J. XLVI (p. 269 : Sir Aurel Stein's Expedition
in Central Asia) donne une nouvelle communication
du voyageur avec des notes sur d'importantes dé-
couvertes archéologiques.
M. JosKPU Castauné (Bull. S.A. V p. 7: Monu-
ments cyclopôens dans le Ferghana. Av. fig.) décrit
quelques résultats de recherches archéologiques.
R. A. (XXV p. 373) rend compte d'un article,
publié par le Dr. Jivamzi Jaksukdi Modi dans le
Journal de la Société d'Anthropologie de Bombay
sous le titre: Processions du diable au Thibet, fruit
d'observations qu'il a pu faire sur les Tibétains pen-
dant les quelques mois qu'il passa en 1913 à Dar-
Jeeling.
M. G. Vabiot et Mad. Chatelu» (Bull. S.A. V
p. 239. Av. flg.) publient des observations sur le pied
des jeunes Chinoises.
Trans. J. S. publient des contributions de M. W. L.
HiLDBOBuu (XII p. 22: Japanese Popular Magic
Connected with Agriculture and Trade. Av. pi.); de
M. YoNÉ Nooucui (p. 86: Japanese Poetry; p. 146:
The Last Master of the Uklyoye Art. Av. pi.) ; de
M. KncHi Tamasaki (p. 112: Japanese Drama);
de M. Kkmoo Mobi (p. 180: Government Finance
and Social Life in Japan); du Dr. A. A. Bbbueb
(p. 168 : The Influence of China on Lacquer In Japan.
Av. pi.); de M. Jambs Tboup (p. 178: Illustrations
of Buddhism from Japanese Pictures. Av. pi.); de
M. W. Blamb (XIII p. 1: Tslngtao. Av. pi.); de
M. W. GoWLAHD (p. 19: MeUls and Metal Working
in Old Japan. Av. pi. et fig ) ; de Miss Lilian Hall
(p. 101: The Avocations of Japanese Women);
de M. Kato Naoshi (p. 116: Eastern Ideas and the
Japanese Spirit. Av. fig.).
M. M. Boule (A. XXVI p. 397. Av. fig.) publie
un article sur les singes fossiles de l'Inde, d'après
M. Pilgrim.
M. L. ScHEEMAN (A. A. XIV p. 203: Wohnhaus-
typen in Blrma und Assam. Av. pi. et fig.) publie
des types d'architecture rurale de l'Inde.
Henbi Maspebo (Bull. E. 0. XIV n». 9. Av. pi.)
publie un rapport sommaire sur une mission arché-
ologique au Tchö-kiang.
M. H. Pabmentieb (Bull. E. 0. XIV n». 9 p. 57)
donne l'analyse d'un livre de M. Georges Groslier
(Danseuses Cambodgiennes anciennes et modernes.
Paris. Illustré).
M. G. CoEDÈs (Bull. E. 0. XIV n». 9 p. 8) donne
l'analyse du livre de M. Georges Maspebo (Le ro-
yaume de Champa).
M. le Dr. J. P. Kleiweg de Zwaan (I. G. XXXVII
p. 1305: Beschouwingen omirent den zelfmoord bu
de Inlanders van den Indischen Archipel) fait des
observations sur le suicide, ses causes et ses suites
chez les indigènes de l'Indonésie.
M. K. A. James (T. B. B. XLIX p. 185: De nagari
Kota Gedang) publie des notes sur la population
d'un district malais de Sumatra (Padangsche Boven-
landen) qui se distingue par un développement in-
tellectuel remarquable.
M. D. W. N. DK Boeb (T. B. B. XLIX p. 1:
Haradjaon-bescbouwingen) publie des notes sur les
Bataks.
M. J. W. Mbijkb RANNEiT (T. B. B. XLIX p. 59 :
Volksverplaatsing op Java) considère la question de
l'émigration des Javanais.
I. G. XXXVII (p. 1589) donne la description du
cérémoniel observé au mariage du sounan, prince
indigène de Solo.
M. le Dr. Fbanz Schwkbz (A. A. XIV p. 89 ; Zwei
Schädel von Buggisen) fait des observations sur des
crânes d'indigènes de Celebes.
M. Fay Coppeb Cole (Field Museum XII n". 2;
The Wild Tribes of the Davao District) publie les
résultats d'un voyage d'études de sept mois dans le
sud de l'ile de Mindanao.
AUSTRALIE et OCÉANIE.
M. Baldwin Spenceb (Native Tribes of the Northern
Territory of Australia) décrit les tribus indigènes de
l'Australie du Nord.
La Nouvelle Guinée fournit des sujets à M. Otto
ScHLAGiNHAUFEN (Z. E. XL VII p. 53: Die Stellung
— 246 —
der Photographie in der anthropologischen Methodik
und die Pygmäenfrage in Neuguinea); et à MM.
E. W. P. Chiknery et W. N. Beaveu (A. I. XLV
p. 69: Notes on the Initiation Ceremonies of the
Koko, Papua).
A. A. contient des contributions du Dr. Ludwig
Bauer (XIV p. 145; Beiträge zur Kraniologie der
Baining, Neu-Pommern. Av. pl. et fig.) ; et de M. E.
Heider (p. 119: Samoanische Rätsel), transcription
avec traduction et notes explicatives d'énigmes com-
muniquées par des indigènes.
MM. C. E. Fox et F. H. Drew (A. I. XLV p. 131:
Beliefs and Taies of San Cristovàl) donnent une
contribution du folklore des îles Solomon.
AFRIQUE.
M. Fb. db Zeltneb (Bull. S. A. V p. 37. Av. flg.)
donne des notes sur deux ornements en étain portés
par les Gallas; et, dans un compte rendu (Bull. S.A.
V p. 215) de deux livres, l'un de M. Günter ïess-
MANN (Les Pangwé) et l'autre de M. P. Stuhlmann
(Ein kulturgeschichtlicher Ausflug in den Aures), il
fait des observations sur les Pahouins, un des peuples
les moins connus de l'Afrique équatoriale et sur les
diverses populations qui se sont succédées dans le
nord de l'Afrique.
Le major A. J. N. Tbemeaene (A. I. XLV p. 23 :
Bori Beliefs and Ceremonies. Av. pl.) pubHe des notes
sur la vie religieuse et la vie domestique des peuples
Hausa du nord et de l'ouest de l'Afrique.
R. A. XXV (p. 417; Un crime passionnel au Da-
homey) publie le procès verbal d'une affaire très
intéressante au point de vue ethnographique.
M. H. Neuville (A. XXVI p. 363. Av. pl.) fait
des observations sur deux crânes de gorilles de la
Likouala-Mossaka.
M. Guthbert Christy (G. J. XL VI p. 200: The
Ituri River, Forest and Pygmies. Av. pl.) fait la
relation d'une excursion dans l'Afrique Centrale avec
des détails sur des tribus naines.
G. J. (XL VI p. 253 : A West African Fetish, Av.
pl.) donne la description, avec image, d'une poupée
en bois, dans laquelle les indigènes enfoncent des
clous pour renforcer une prière ou bien pour se
venger d'un ennemi.
Le major E. R. Collins (A. L XLV p. 79 : Stone
Implements from South African Gravels. Av. fig.)
décrit des instruments en pierre taillée de l'Afrique
du Sud.
M. R. Vebneau (A. XXVI p. 447) fait l'analyse
d'un livre de MM. Alfred et Guillaume Gkandidikb
(Ethnographie de Madagascar. Tome deuxième: Les
habitants de Madagascar, leur aspect physique, leurs
caractères intellectuels et moraux. La vie sociale à
Madagascar: la famille malgache. Paris).
MM. A. et G. Gkandidier (A. XXVI p. 337 : Céré-
monies malgaches. Av. pl.) publient une étude sur
la circoncision et sur la fête dite Fandroana à Ma-
dagascar.
AMÉRIQUE.
M. A. N. GiLBERTsoN (Rol. Ps. Oct. 1913 et janv.
1914: Some Ethnical Phases of Eskimo Culture.
Extrait par M. F. de Zeltneb dans A. XXVI p. 462)
donne quelques aspects de la culture sociale des
Esquimaux.
M. le Dr. Walteb Lehmann (Z. E. XL VII p. 1 :
Über die Stellung und Verwandtschaft der Subtiaba-
Sprache der Pazifischen Küste Nicaraguas und über
die Sprache von Tapachula in Südchiapas) publie
une étude de linguistique.
M. le Dr. Felix Regnault (Bull. S. A. V p. 180)
décrit une terre cuite précolombienne représentant
la manière dont était obtenu la déformation du crâne.
Zeist, février 1916.
G. J. DozY.
LIVRES ET BROCHURES.
BÜCHERTISCH.
I. M. MuEKO, Bericht über eine Bereisung
von Nordwestbosnien und der angrenzenden
Gebiete von Kroatien und Dalmatien behufs
Erforschung der Volksepik der bosnischen
Mohammedaner. (Sitzungsberichte der Kais. Ak.
der "Wiss, in Wien. Philos.-Hist. Klasse. 173. Bd.,
3. Abh.) Wien 1913.
Ders. Bericht über phonographische Auf-
nahmen epischer, meist mohammedanischer
Volkslieder im nordwestlichen Bosnien im
Sommer 1912 (XXX. Mitteilung .der Phonogramm-
Archivs-Kommission der Kais. Ak. d. Wiss. in Wien,
im Anzeiger der ph.-h. Klasse, 50 (1913), VIII, S.
58 — 75 und separat).
Ders. Bericht über eine Reise zum Studium
der Volksepik in Bosnien und Herzegowina
im Jahre 1913 (Sitzungsber. usw. 17ö. Bd., 2. Abh.)
Wien 1915.
Ders. Bericht über phonographische Auf-
nahmen epischer Volkslieder im mittleren
247
Bosnien und in der Herzegowina im Sommer
1918 (XXXVri. Mitteilung der Plion.-Arcb.-Komm.
Sitzungsberichte usw. 179 Bd., 1. Abb.) Wien 1915.
In diesen vier Berichten teilt des grazer Professor
für Slavistik, Dr. M. Mukko, die wichtigsten Ergeb-
nisse von zwei Reisen nach dem serbokroatischen
Gebiete mit; eine dritte Reise musste leider wegen
des Krieges unterbleiben.
Zuerst besuchte M. Agram, wo in den Räumen
der Matica brvatska ein reiches episches Material
Torhanden ist, wovon bloss ein Teil publiciert wurde.
Allein die 80.000 Verse vom Sänger Salko Vojni-
kovté würden zweitausend Druckseiten füllen 1 Dann
hielt sich M. ausser in Bosnien und der Herzego-
wina einige Zeit im Südwesten von Kroatien, wo
der epische Gesang im Aussterben begriffen zu
sein scheint, und im Norden von Dalmatien, wo er
sich Yiel besser behauptet hat, auf. Während hier
die Sänger grösstenteils blinde Bettler u. dgl. sind,
gilt das nicht für Bosnien und die Herzegowina.
Auch hier geht der epische Gesang zurück. Offen-
bar ist ,die Sängerkunst einer der feudalen Über-
reste des Mittelalters": es wurde bei den Begs ge-
sungen und mancher Beg hatte seinen eigenen
Sänger. Noch immer lebt die Erinnerung an Husein
Bag Kulenovié Staroselac fort, der nicht bloss die
sanger zu sich einlud, sondern auch selber Siinger
war. Auch über andere Begs, die selber singen,
wurde M. unterrichtet.
MtrsKO unterscheidet zwei Typen von epischen
Liedern, den Krajinatypus und den herzegowinischen.
Den ersten findet men in der Krajina, in Nordwest-
bosnien; er hat sich aber auch im übrigen Bosnien
und in der Herzegowina stark verbreitet; diese
Lieder behandeln hauptsächlich die Kämpfe der
Helden an der alten türkischen Nordgrenze; die
herzegowinischen Lieder besingen ausserdem „an-
dere Ereignisse der bosnischen Geschichte und
namentlich die Kämpfe mit den Montenegrinern
und südlichen Dalmatinern". Die Krajinasänger be-
gleiten sich mit der Tambura, die zwei Metallsaiten
hat, die herzegowinischen mit den einsaitigen G usle.
In dem Abschnitt über Kroatien bespricht M. die
Verwendung und die Verbreitung der zweisaitigen
Gusle.
Wiefern der Krtginatypus sich nach dem Osten
ausdehnt, konnte M. wegen der Cholera, die im
Jahre 1913 in der östlichen Posavina und in Ost-
bosnien herrschte, nicht untersuchen. Er bereiste
damals die westliche Posavina, das Bosnatal mit
Umgebung und die Herzegowina.
Die meisten epischen Sänger lernten ihre Lieder
durch mündliche Überlieferung. Oft genügt es, wenn
man in seiner Jugend ein Lied bloss einmal gehört
hat. Es ist auffällig, dass in der Gegend, wo das
Epos am meisten blüht, in der Herzegowina, das-
selbe literarischer Herkunft ist, jedenfalls bei den
christlichen Sängern. Man schöpfte aus Sammlungen
wie diejenige von Kaèic und diejenige von Sobajiö.
Oft sind Franciskaner als Vorleser aufgetreten.
Die Mohammedaner singen im Allgemeinen längere
Lieder als die Christen, am längsten sind die mo-
hammedanischen Lieder der Krajina; oft verteilt der
Sänger ein Lied über mehrere Nächte.
In der Krajina ist der Vortrag dumpf und mo-
noton; im Süden ist das weniger der Fall. Hier
sind ausserdem die Lieder leichter verständlich.
Über die grosse Anzahl der von einem Sänger
gesungenen Lieder wundern wir uns weniger, wenn
wir daran denken, dass kein Sänger jede einzelne
Zeile auswendig lernt; jeder Vortrag ist so zu
sagen eine neue Schöpfung. Eine Vorschrift der
Phonogramm-Archivs-Kommission lautet, dass kein
Text oder Lied phonographisch aufgenommen wer-
den darf, wenn es nicht zuerst nach dem Vortrag
aufgeschrieben wurde. Nun zeigten sich sogar in
den kurzen Abschnitten, die M. aufoahm, bedeu-
tende Abweichungen zwischen den beiden Texten,
und oft kam noch eine dritte Redaktion hinzu beim
vorherigen Üben des Sängers in den Trichter. Auch
in anderen Punkten erwies sich die grosse Wich-
tigkeit des Phonographen. Vgl. Anzeiger 1913, S.
61 : „Auf den Platten gibt es untrügliche Beweise,
dass die Sänger Vokale und ganze Silben am Vers-
ende unterdrücken, anderseits aber auch Silben in
Wörtern einschieben, dass der Vers überhaupt öfters
weniger oder mehr als 10 Silben zählt, dass nament-
lich beim Gesang ein Auftakt sehr häufig ist und
schon deshalb die Cäsur nicht immer nach der
vierten Silbe fällt, dass die Betonung von der in
der Rede üblichen häufig abweicht und dass Dia-
lektmischungen nichts Aussergewöhnliches sind,
denn derselbe Sänger bietet sie sogar in geringen
Bruchstücken eines Liedes oder sein Diktat weicht
in dieser Hinsicht vom Gesänge ab".
Aus den Reiseberichten Murkos, wo in wenige
Druckbogen ein überaus reicher Inhalt zusammen-
gefasst wurde, habe ich nur einige Punkte hervor-
gehoben. Ich hoffe, dass diese kurze Anzeige ge-
nügen wird, jeden Leser davon zu überzeugen,
dass derjenige, der sich mit Volksepik beschäftigt,
es nicht unterlassen darf, diese Berichte durch-
248 —
zustudieren: die serbokroatische Vollcsepik bietet
schöne Parallelen zu derjenigen anderer Nationen,
aber nicht überall sind die Bedingungen für das
Studium so günstig. Trotz vieler gemeinschaftlichen
Züge gibt es auch bedeutende Unterschiede zwischen
der Volksepik in verschiedenen Ländern. So spüren
wir in Russland wenig vom engen Zusammenhang
zwischen dem epischem Gesang und feudalen Zu-
ständen: die nordrussischen Gegenden, wo das Epos
noch fortlebt, haben solche Zustände nicht gekannt
und ob im vorpetrinischen Moskauer Russland die
adligen Herren Mäzenaten der Volksepik gewesen
sind, darf angesichts des Fehlens von Nachrichten
und des feindlichen Verhaltens der Theokratie allem
weltlichen Vergnügen gegenüber bezweifelt werden.
In einer noch früheren Periode, im Mittelalter
könnten allerdings ähnhche Verhältnisse existiert
haben wie im Bosnien des 19. Jhs.
Weil überall der epische Gesang zurückgeht, wider-
hole ich gerne den Wunsch von Mubko, „dass wir
möglichst bald über den gegenwärtigen Stand der
Volksepik in anderen südslawischen Gebieten, spe-
ziell aber im alten und neuen Montenegro und
Serbien, aufgeklärt werden mögen". Auch wäre es
schön, wenn einheimische Polkloristen soviel wie
möglich epische Lieder sammelten. Andere als ein-
heimische können es kaum machen, weil der Text
für sie oft kaum verständlich ist und viele Sänger
80 rasch singen, dass sogar ein geübter Stenograph
nicht mitkommt. Für den vollständigen Text ganzer
Lieder kann man den Phonographen nicht verwenden,
weil zu viele Platten nötig sein würden und weil
die Sänger ihren Gesang unmöglich jede paar Mi-
nuten für das Einstellen neuer Platten unterbrechen
können.
Leiden. N. van Wijk.
II. Hugo Radau, Sumerian Hymns and Prayers
to God Dumu-zi or Babylonian Lenten Songs.
(The Babylonian Expedition of the University of
Pennsylvania, Series A: Cuneiform Texts, ed. by
H. V. Hilprecht, Vol. XXX, Part 1), München
(Kommissionsverlag von Rudolf Merkel in Erlangen)
1913. - gr. 4% XII u. 66 SS., 20 autographierte
Tafeln, 9 Lichtdrucktafeln.
Die von 1896 bis 1911 erschienenen dreizehn
Bände und Halbbände des grossen Inschriftenwerkes
der Babylonian Expedition nach der nordbabylonischen
Stadt Nippur habe ich im Band XXI dieses Archivs
(1912, S. 119-124) besprochen. Nach dem Rück-
tritt des bisherigen Leiters dieses Unternehmens,
Prof. Dr. H. V, Hilpbecht, begann die Direktion
des Universitätsmuseums in Philadelphia die Her-
ausgabe einer neuen Veröffentlichungsreihe: ein
Beweis, dass eine Portsetzung des gross angelegten
Werkes in der alten Form dort nicht geplant wurde.
Inzwischen hat Herr Prof. Huj>bec'ht nach seiner
Rückkehr in die deutsche Heimat diese Fortsetzung
selbständig in Angriff genommen und alte und neue
Mitarbeiter dafür gewonnen. Die Tatsache, dass die
reichen Ergebnisse der Nippurgrabungen von nun
an durch zwei Ausgaben zugänglich gemacht werden
sollen, kann man im Interesse der raschen Ver-
öffentlichung des reichen Materials mit Dank be-
grüssen, wiesehr man den Streit bedauern mag,
der die Spaltung veranlasste.
Dr. Radau, der Verfasser der Early Babylonian
History (New-York, 1900), hatte im vorliegenden
Sammelwerk bereits Briefe aus der Kassitenzeit
(Vol. XVir 1) und Hymnen an Ninib (Vol. XXIX
1) bearbeitet. Die hier zu besprechenden Hymnen
sind den letztgenannten nach Form und Inhalt aufs
nächste verwandt. Es sind Bruchstücke sumerischer
Klagelieder aus altbabylonischer Zeit zu Ehren des
Gottes Tammuz oder (gemäss der sumerischen
Namensform) Dumu-zi.
Die autographische Veröffentlichung der 20 Frag-
mente verdient trotz ihrer Sorgfalt und Zuverlässig-
keit keineswegs unbeschränktes Lob. Die Deutlich-
keit ist dem Schein der Genauigkeit zum Opfer
gebracht. Absolute Genauigkeit bleibt bei Nach-
zeichnung mit der freien Hand ein unerreichbares
Ideal. Statt diesem Ideal nachzujagen sollte der
Zeichner durch klare Wiedergabe der von ihm ge-
lesenen Zeichen das Studium der Texte erleichtern.
Zur Nachprüfung zweifelhafter Stellen sind die Licht-
drucktafeln da. Texte dieser Art setzen dem sprach-
lichen und sachlichen Verständnis noch solche
Schwierigkeit entgegen, dass man wenigstens für
die äussere Form der Veröffentlichung Erleichterung
wünschen darf. Sind doch all' diese Hymnen in
sumerischer Sprache abgefasst (ohne Beifügung einer
akkadischen Übersetzung, wie dies später gebräuch-
lich wurde), und beschränkt sich doch ihr Inhalt
(wie bei Kultliedern gar nicht anders zu erwarten)
nur zu häufig auf Andeutungen, die den Zuhörern
verständlich waren, uns aber rätselhaft sind.
Und doch sind gerade Bruchstücke wie die hier
veröffentlichten religionsgeschichtlich von ausserge-
wöhnlicher Bedeutung. Alles, was unsere Kenntnis
vom Gott Tammuz vermehren kann, ist von In-
teresse : nicht nur, weil wir durch solche Hymnen
uralte Zeugnisse erhalten von dem in ganz Vorder-
249
asien verbreiteten Glauben an den sterbenden und
auferstehenden Gottessohn, sondern auch geradezu
zur Aufklarung brennender Fragen auf dem Gebiet
der Vorgeschichte des Christenturas.
Die Frage hat die Wissenschaft nicht losgelassen.
Nachdem G. J. Frazeb in The Golden Bough die
auf Adonia, Atüa, Osiris bezüglichen Fragen ebenso
anregend wie gewagt behandelt hatte (2. Aufl. 1907),
untersuchte Graf Baudissin das gesamte vorder-
asiatische Material in seinem Adonia und Eamun
(1909) mit trockener, gründlicher Gelehrtheit. Um
das babylonische Material erwarb sich H. Zimmern
das grOsste Verdienst, dessen Monographie über
Tamüz in den Abhandlungen der sächsischen Gesell-
schalt der Wissenschaften (Bd. XXVII, 1909) das
bis dahin Erreichte kurz zusammenfasste. Zimmern
aber war, neben Rauau '), auch der erste, der uns
Bruchstücke sumerischer KulUieder aus aUbabyloni-
scher Zeit zugänglich machte, worunter viele auf den
Tammuzkult bezügliche (Vorderasiatische Schrift-
denkmäler, Heft II und X, Berlin 19 12f.). Eine letzte
Besprechung des Materials, nicht ohne gewagte
Hypothesen, bot St. Lanodon in seinem Buch über
Tamnuu and Ishtar (1914).
Wünschenswert wäre, sich in einer Textausgabe
zunächst and vor allem auf die Förderung des sprach-
lichen Verständnisses zu beschränken. Dr. Uadau
bat dies richtig gefühlt, als er eine ausführliche
Untersuchung über die Zeit des sumerischen Tam-
muzfestes für die den Researches and Treatises vor-
behaltene Series D des vorliegenden Werkes ver-
sparte. Doch ist seine Einleitung unseres Bandes
auch ohnedies ausführlich genug und wagt sich weit
hinaus In das Gebiet religionsgeschichilicher Erörte-
rungen und Hypothesen.
Auf den 54 Seiten seiner Translations, Notes and
Annotations (S. 8 — 62) kommt der Bearbeiter, wenn
man streng zusieht, über eine Besprechung der
beiden ersten Kolumnen seines ersten Textes eigent-
lich nicht hinaus. Doch erhalten wir hier soviele
wertvolle Exkurse und Einzelbemerkungen, sowie
auch gelegentlich eingeflochtene Übersetzungen an-
derer Texte, dass wir für das hier reich, wenngleich
unübersichtlich, aufgestapelte Material dankbar sein
müssen.
Von allgemeinerem Interesse ist die Introduction
') Sowie D. W, Mthkuah im eriten Band der oeuen Ver-
ôireDtltehDDgtreib« de> Mnicumi in Philadelphia {Baiiflonian
Uywut emä Praytrt, 1911). — Mthrman Nr. 10 (PI. 18f.) =
Radau Nr. 5 (PI. 9)!
(S. 1—7), sowie die Preface (S. VII— IX), da uns
hier Dr. Radau's Meinung über den TammMzglauben
im Rahmen der alten sumerischen Weltanschauung
in kurzen, klaren Sätzen dargelegt wird. Freilich
entbehrt hier manche Behauptung des Beweises.
Indem Dr. Kadau den sumerischen Namen des
Gottes Tammuz einfach als Appellativum aufifasst
(I>MmM-zj= „wahrer Sohn"), gewinnt er die Mög-
lichkeit, seine Rolle verschiedenen Göttern nach-
einander zuzuteilen. Der älteste Dumu-si sei der
Gott Enlil von Nippur gewesen. Den Namen Eri'lil
erklärt Dr. Radau als „god of the powers of nature'',
,god of the fertility of the ground". Doch sowohl
die Gleichsetzung des Enlil mit Dumu-si = Tammua,
wie auch diese Namenserklärung sind unbeweisbar;
der Name Er.-lil bedeutet wohl einfach ,Herr des
Luftreichs", wenn nicht : „des Sturmes". Als Mutter
Enlil'a nun gilt die Göttin Nin-Aitna (besser Gasan-
Anna zu lesen), die Dr. Radau, trotz ihres Namens,
der B Herrin des Himmels" bedeutet, auf Grund und
eines gelegentlichen Epitheton ornans einfach mit
der Erde identifiziert. Damit ist seine Beweiskette
geschlossen. Der »wahre Sohn" des „Himmels" und
der ,Erde" ist der Gott der Naturkräfte", vor allem
der Fruchtbarkeit des Bodens. Verbunden mit seiner
Mutter erzeugt er das junge Leben der Vegetation,
das alljährlich im Winter, von der Muttergöttin be-
weint, stirbt, aber im Frühjahr aufersteht.
Auf diese Weise gewinnt Dr. Radau als Grund-
lage für den sumerischen Gedankenkreis vom ster-
benden Jahrgott den Vegetationsmythus. Der Grund-
gedanke mag richtig sein — obwohl gerade für die
Weltanschauung der Sumerer die astrale Seite der
Natur mehr in Betracht kam als die vegetative, —
aber er wird erreicht auf einem Weg voll unbe-
weisbarer Gleichsetzungen und Abstraktionen.
Noch schwieriger ist es, Beziehungen zu christ-
lichen Gedankenkreisen aufzuweisen. Dass der
Glaube an den zur Osterzeit auferstehenden Gottes-
sohn dem jungen Christentum, wo es diesen Glauben
vorfand, den Weg bereiten half, wer wollte es be-
zweifeln? Jede weiter gebende Behauptung aber
erscheint uns nach unserer bisherigen Kenntnis der
Quellen als unwissenschaftlich. Zwar vertritt Dr.
Radau keineswegs den Standpunkt, der durch A.
Drews' Christusmythe weiteren Kreisen bekannt
wurde. Ausdrücklich betont er seine Überzeugung
von der Geschichtlichkeit selbst der Auferstehung
Christi (S. VIII). Aber Tammuz und Christus stehen
für ihn geradezu im Verhältnis der Weissagung zur
Erfüllung. Mit Nachdruck erklärt er den sumerischen
250 —
Mythus für „the prototype of our Christian Lenten
season and of the death and resurrection of Christ"
(S. 1). Die Göttin Istar oder Nin-anna setzt er
gleich mit dorn Pneuma oder mit der Kirche. Doch
bei der ersteren Behauptung versagt der Beweis
infolge Mangels an Material; die zweite sollte schon
der gute Geschmack verbieten.
Franz M. Th. Bohl.
ni. Stephen Langdon, Historical and Religious
Texts from the Temple Library of Nippur.
(The Babylonian Expedition of the university of
Pennsylvania, Series A : Cuneiform Texts, ed. by H.
V. Hilprecht, Vol. XXXI), München (Kommissions-
verlag von Rudolf Merkel in Erlangen) 1914. — gr.
4°, XI u. 80 SS., 51 autographierte Tafeln, 3 Licht-
drucktafeln.
Der Oxforder Assyriologe, einer der Bahnbrecher
und vielleicht der fruchtbarste Schriftsteller auf dem
Gebiet der sumerischen Sprach- und Literaturwis-
senschaft, schenkte uns im vorliegenden Band die
Frucht seiner Arbeit an Keilschrifttafeln aus Nippur
während seines Aufenthalts in Konstantinopel im
Frühjahr 1912. Nach türkischem Gesetz sollen Al-
tertümer, die auf türkischem Boden gefunden wurden,
an das Kaiserlich Ottomanische Museum abgeliefert
werden. Diese Bestimmung traf auch einen grossen
Teil der Tontafeln, die durch die amerikanische
Expedition in Nippur ausgegraben waren. Zum Glück
ist das Konstantinopler Altertumsmuseum nach
abendländischem Muster eingerichtet. Schon seit
mehreren Jahren waltet dort zudem ein deutscher
Kustos, Dr. E. Ungee, seines Amtes. Dr. Langdon
erhielt von Prof. Hilprecht die Ermächtigung, die
Tafeln aus Nippur, soweit sie bereits ausgepackt
und zum Teil ausgestellt waren, zu untersuchen.
Von den damals kopierten ± 200 Tafeln und Tafel-
bruchstücken veröffentlichte er im vorliegenden Band
54 Nummern. Hinzugefügt (als Nr. 7 u. 15) sind
zwei Inschrifttafeln, die in Oxford aufbewahrt wer-
den, aber gleichfalls aus Nippur stammen, und
sodann einige mit dem grossen medizinischen Text
Nr. 56 nahe verwandte Bruchstücke aus dem Bri-
tischen Museum (Nr. 57 — 60). Die Autographien
dieser 60 Texte (auf 51 Tafeln) sind mit gleich-
massiger, leserlicher Hand geschrieben. Die Trans-
literations, Translations and Annotations geben in
der Tat, was diese Überschrift verspricht : Umschrift
und Übersetzung der Texte, mit nur kurzen An-
merkungen am Fuss der Seiten. Diese dankenswerte
Arbeit (S. 1 — 75), bei der nur die Fragezeichen
noch weniger hätten gespart werden sollen, erstreckt
sich auf etwa die Hälfte der im Folgenden auto-
graphierten Texte. Nicht bearbeitet sind Nr. 24-55
(Tafel 23-46): meist Kultlieder mythologischen
Inhalts, zum Teil von geringem Umfang. Zu dieser
ebenso kühnen wie schwierigen Übersetzungsarbeit
war — wenigstens in England — niemand befugter
als der Verfasser der ersten wissenschaftUchen
Sumerian Grammar (1911), der Übersetzer der
Sumerian and Babylonian Psalms (1909) und Bear-
beiter der Babylonian Liturgies (1913).
Verschiedenartige Texte sind in diesem Band
zusammengetragen. In akkadischer (d. h. semitisch-
babylonischer) Sprache sind nur wenige abgefasat:
vor allem die grosse Inschrift Nr. 22 auf Tafel 20
und 21 (Lichtdrucktafeln II und III), ein Abschnitt
aus der berühmten Gesetzessammlung des Harn-
murapi. Sie enthält (nach der gebrächlichen Zäh-
lung) die §§ 145—179 (ohne § 147), doch mit nur
wenigen neuen Lesarten, die Dr. Langdon auf S.
49f. bespricht. Hier hält er die Inschrift für „probably
anterior to the standard edition of the Code first
published by Scheil from the well known stele of the
Louvre". Doch das ist unwahrscheinlich : der Schrift-
charakter weist m.E. auf spätere Zeit. Ein anderes
grosses Bruchstück dieses Gesetzes, gleichfalls aus
Nippur, doch wohl sicher älter als das hier be-
sprochene, kam nach Philadelphia und wurde von
Dr. PoEBEL in Band V der neuen Veröffentlichungs-
reihe publiziert {Historical and Grammatical Texts,
1914, Nr. 93) und in der Orientalist. Literaturzeitung.
Juni — Sept. 1915 besprochen.
Eine Gruppe für sich bilden Nr. 56—60: medi-
zinische Texte aus den Museen von Konstantinopel
und London, Beschwörungen und Heilmittel bei
Vergiftung (=simmatu). Die Sprache auch dieser
Texte ist akkadisch.
Alle übrigen Nummern zeigen sumerischen Sprach-
charakter und gehören wohl beinahe ausschliesslich
zur Grappe der Religious Texts (im weitesten Sinn
des Wortes). "Wenn Dr. Lanqdon im Titel des Bandes
Historical Texts an erster Stelle nennt, so ist das
nur insofern berechtigt, als sich ihnen auch einiges
geschichtliche Material entnehmen lässt. Viel ist
das freilich nicht. Der Text Nr. 1 scheint auf
kriegerische Vorgänge am Ende der Regierung des
Nardm-Sin und vielleicht auf dessen Sturz anzu-
spielen; Nr. 2 (sowie auch Nr. 33?) ist ein Klage-
lied auf die Zerstörung babylonischer Städte durch
die Gutäer, welche (nach Ed. Meyer um 2550 v. Gh.)
der zweiten Dynastie von Uruk ein Ende machten;
das Klagelied Nr. 3 bringt eine willkommene Be-
— 251 —
stätigung der bereits bekannten Tatsache, dass die
Elamiten (um 2350 v. Ch.) das ganze Land Sumer
und die Hauptstadt Ur verwüsteten und den letzten
König von Ur, Ibi-Sin, in die Gefangenschaft
schleppten; Nr. 21 (Tafel 19) beklagt das Geschick
der Stadt Nippur, ohne dass klar würde, auf welche
Katastrophe angespielt wird.
Literaturgeschichtlich interessant ist Nr. 7: einer
der wenigen erhaltenen sumerischen Briefe, wohl
aus der Zeit der Dynastie von Ur, ein Brief, der
freilich mehr den Charakter einer Hymne an den
vergotteten König aufweist. Nr. 16 ist ein Klagelied
wegen persünlichen Leides, das in mancher Hinsicht
an das oft übersetzte Lied IV Ratcl. 60* erinnert;
Dr. Lamüdon nennt den hier Redenden etwas ge-
sucht „a Sumerian Job" (S. 41).
Auch in diesem Band finden sich Kultlieder an
Tammus, so Nr. 12, 43, 46. Besonders wichtig ist
Kr. 12 (Tafel 12 und 13, Lichtdrucktafel 1), da
hier (R«., Z. 20—26, vgl. a 37) der astrale
Charakter der Göttin Innini (= Nin-anna) und
damit des ganzen Mythus deutUch ans Licht tritt.
Das ist, wie bereits oben erwähnt, bei der so ganz
auf die Astrologie eingestellten sumerischen Geistes-
ricbtung durchaus zu erwarten; es braucht deshalb
freilich noch nicht das ülteste oder gar das ur-
sprüngliche zu sein.
Bsftcbtenswert sind schliesslich Erwähnungen des
{dtngir) gä-gibÜ-ga-mä in zwei Hymnen, die Dr.
Lanuoon noch nicht übersetzt hat: Nr. 43, Z. 11
und Nr. 66, Z. 1. Denn das ist kein anderer als
Oilgamesch, der volkstümUche Held der Baby-
lonier. Fra.nz M. Tu. Höhl.
IV. GsoBox Â. Babto.n, Sumerian Bosiaess and
Administrative Documenta flrom the Earliest
Times to the Dynasty of Agade. (University of
Pennsylvania. The University Museum. Publications
of the Babylonian Section, Vol. IX Nr. 1), Phila-
delphia, publ. by the University Museum, 1916. —
4», 33 8S., 64 autographierte Tafeln, 10 Lichtdruck-
tafeln.
Das dritte vorctu-istliche Jahrtausend war für
Babylonien ein schreiblustiges Zeitalter. Alle Klei-
nigkeiten auf dem Gebiet des Rechts und der Ver-
waltung wurden schon damals peinlich genau auf-
geschrieben und sorgfältig bewahrt. Juristische
Urkunden aus dieser Frühzeit finden sich in vielen
Museen; auch das pennsylvanische Inschriftenwerk
widmete ihnen schon manchen Band. Aus der Zeit
der sogen, ersten babylonischen Dynastie, deren
■giOester König der um 20ÜO v. Ch. regierende
L A. f. E. Bd. XXII.
Hammurapi war, stammen die Urkunden, die H.
Ranke und A. Poebel im VI. Band der Serie A
veröffentlichten. Aus der im Ganzen etwas älteren
Periode der Dynastien von Isin und Larsa sind die
Urkunden E. Chieba's im VIII. Band der neuen
Veröffentlichungsreihe, der dem hier zu besprechen-
den unmittelbar vorherging. Aus der wiederum et-
was älteren Zeit der Dynastie von C7r (2469 — 2353
nach Ed. Meyeb) waren die von D. W. Myhbman
(in Ser. A, Vol. HI 1) bearbeiteten sumerischen
Verwaltungsurkunden. Der vorliegende Band nun
führt hinauf bis in die ältesten Zeiten: von den
Anfängen unserer geschichtlichen Kenntnis bis (ein-
schliesslich) zur Zeit der Dynastie von Agade oder
Akkad. Damit erwirbt er sich das Interesse aller,
auf die das Aelteste Anziehungskraft ausübt, da sie
das Ursprüngliche dahinter zu finden hoffen.
Nach kurzer Einleitung und Übersetzung eines
halben Dutzend ausgewählter Texte, sowie einem
Verzeichnis der Eigennamen, bietet Dr. Barton im
vorliegenden Band die trefflichen Autographien von
132 Urkunden. Alle sind von geringem Umfang,
viele umfassen nur wenige Zeilen. Ein Bild ihres
Aeusseren bieten die guten Lichtdrucke von elf
Nummern. Mit Ausnahme der beiden ersten sind
es dicke, konkave Tontafeln, beiderseitig beschrieben.
Inhalt und Form dieser Urkunden — Kaufakten,
Mietverträge, Quittungen u. dgl. — wären eintönig
zu nennen, gewährten sie nicht schon durch ihr
blosses Vorhandensein einen Blick auf die Höhe der
Kultur dieser grauen Vorzeit.
Die Sprache ist ausschliesslich sumerisch. Das
ist beachtenswert, da die Dynastie von Akkad, wie
schon der Name zeigt, akkadischer, d. h. semitisch-
babylonischer Herkunft war. Die historischen In-
schriften ihrer grüssten Könige, Sargon und Nardm-
Sin, sind akkadisch. Trotzdem blieb Sumerisch die
Sprache des Handels und Verkehrs, wie auch des
Kultus. Erst seit der Dynastie Hammurapi's eroberte
sich das Semitische auch auf diesen Gebieten einen
Platz.
Aus der Zeit der Dynastie von Akkad (etwa
2775 — 2620 v. Ch., nach Ed. Meybr) stammen, wie
der Schriflcharakter beweist, weitaus die meisten
dieser Urkunden. Durch ausdrückliche Datierung
wird freilich nur eine in diese Zeit gesetzt: näm-
lich Nr. 25 in die Zeit Nardm-Sin's.
Zwei der Urkunden nun (Nr. 1 und 2) sind be-
stimmt noch viel älter. Sie unterscheiden sich von
den anderen schon durch das Material: Stein, nicht
Ton. Die Art des Steines hätte deutlich angegeben
33
252 —
werden sollen: Nr. 1 ist wohl Diorit, Nr. 2 jeden-
falls Kalk. Sie unterscheiden sich ferner durch die
altertümlichen, noch wenig schematischen Schrift-
züge und durch deren Anordnung in Fächer, die
nicht von links nach rechts, sondern von oben nach
unten zu lesen sind.
Von diesen können wir Nr. 2 einigermassen da-
tieren. Der hier mehrfach genannte König von
Lagos, Enchegal, muss älter sein als Ür-Ninä,
der die Reihe der uns bekannten Herrscher von
Lagctë einleitet. Da letzterer um 3000 anzusetzen
ist, mag Dr. Barton mit seiner Ansetzung des
ersteren um 3200 v. Ch. Recht haben. Beachtens-
wert ist der Gebrauch von Bronze, in verschiedenen
Gewichten, (neben Getreide) als Tauschmittel. Der
Gebrauch von Silber und Gold zu diesem Zweck
war scheinbar noch unbekannt.
Schliesslich Nr. 1. Das ist eine der ältesten
Schrifturkunden, die wir überhaupt besitzen. Dr.
Barton's Ansetzung dieses Textes um 4000 v. Ch.
ist freilich ebenso vorläufig und unsicher, wie sein
Versuch einer Entzifferung und Übersetzung. Nach
letzterer enthält dieser Text eine Beschwörung gegen
eine Heuschrecken- und Raupenplage.
Die Inschrift ist nicht einzig in ihrer Art. In
seinem dem Assyriologen beinahe unentbehrlich ge-
wordenen Werk über die babylonische Schrift '),
worin sie zum erstenmal veröffentlicht ist, zählt Dr.
Barton nicht weniger als elf Steintafeln und Bruch-
stücke von solchen auf, die aus „vorgeschichtlicher"
Zeit stammen und noch beinahe Bilderschrift auf-
weisen. Dazu gehören auch die berühmten „Blau
Monuments" des Britischen Museums ^), deren anfangs
bezweifelte Echtheit durch die seitdem gefundenen
ähnlichen Denkmäler bewiesen ist.
Mit Recht erklärt Dr. Babton die Schriftzeichen
dieser Inschriften für „pictographs". In der Tat kann
man hier noch von echter Bilderschrift reden,
wenn man sie vergleicht mit den späteren schema-
tischen Kombinationen von Strichen und Haken,
aus denen noch später die eigentliche „Keilschrift"
entstand. Und doch sind auch diese Zeichnungen
deutlich selber bereits das Resultat längerer Ent-
wicklung und Vereinfachung. Eine Hieroglyphen-
schrift wie im ältesten Ägypten, wobei lediglich die
Umrisse der anzudeutenden Gegenstände nachge-
') G. A. Baeton, TAe Origin and Development of Babylo-
nian Writing (in den Beiträgen zur Assyriologie, Band IX,
Leipzig 1913), Teil I, S. VIII, XIV f.
') Beste Abbildung bei L. W. King, A History of Sumer
and Alciad (London 1910), S. 62.
zeichnet wurden, ist das, was hier vorliegt, schon
längst nicht mehr. Die Stufe reiner Bilderschrift
finden wir wohl auf den ägyptischen Schminktafeln,
die keinesfalls älter sind als diese ältesten babylo-
nischen Denkmäler; auf letzteren finden wir sie
aber bereits nicht mehr. Auch dies ist ein Beweis-
grund für Babels Priorität vor Aegypten auf dem
Gebiet geistiger Kultur. Vor diesen ältesten baby-
lonischen Schriftdenkmälern muss bereits eine .Jahr-
hunderte lange Entwicklung der Schreibkunst ge-
legen haben, deren Stufen noch der Entdeckung
harren.
Groningen. Fbakz M. Th. Bohl.
V. Alberta J. Portengen, De Oudgermaansche
dichtertaal in haar ethnologisch verband, Leiden,
N. V. BoekdrukkerU v./h, L. van Nifterik Hz., 1915.
(Dissertation).
In Old-Germanic poetry the usual names of
certain beings, things, or actions are often replaced
by indicating or periphrasing words or expressions,
which, in their turn, are liable to be replaced In
the same way by still other denominations and so
on, so that, to understand the meaning of a certain
expression, one has often to trace back the moaning
of each of its constituents through different inter-
mediate stages of nominal or verbal substitution.
Especially the literary products of the Norvegian
colonists of Iceland abound in poetical "tours de
force" of this kind - the height of mannerism and
artificiality is reached by the Skalds' poetry -
and consequently the Old-Germanic name-variants
in general are commonly referred to by their Old-
Icelandic names: "kenningar" and "heiti", "heiti"
indicating the non- compound denominations only
and "kenning" including all the rest, viz. nominal
compounds and periphrasing or indicating expressions
of any kind.
Although the origin of this curious phenomenon
has often been made the object of learned discussion,
the explanations proposed until now are partly
obviously wrong, considered in the light of modem
ethnology, partly not objectionable, indeed, on
general linguistic or ethnological grounds, but
inadequately supported by facts and, consequently,
useful, for the time being, as a working-hypothesis
only.
That the problem under discussion is chiefly an
ethnological one, its literary side evidently concerning
the secondary development only, not the origin of
the phenomenon, may now be considered as a
uUy established fact. Bastian already argued, that
— 253 —
this poetic language represented a special dialect
once used and understood by a certain class of
people (princes and nobles) only; and Friedrich
Kaufmann, looking in the same direction, tried to
demonstrate its ritual origin. More tangible results
were obtained by Axel Olrik, who called attention
to the striking conformity of the Old- Icelandic
poetic language with the special fishermena' dialect
of the Shetland Islands, the use of which, in his
opinion, finds its origin in "superstition", and drew
the conclusion, that the former was derived from
the latter. Although of great value as opening a
new way of research, Olrik's demonstration too was
by no means conclusive. Firstly, the correctness of
bis view as to the psychological background of the
fishermens' dialect, had not been proven either by
him or by anybody else, and secondly, the question
might be raised, whether the material on which
he founded his identification of the two dialects
really warranted this conclusion. Be that as it may,
bis argument must needs be the starting-point
of any further investigation: if the comparative
method did not quite fail, even when applied within
the range of two Germanic languages, one may
reaaonably expect that its application on a larger
scale would yield considerably more. Obviously it
ia this consideration which encouraged the author
of this book to try her hand at a subject both
extremely difficult by its many-sidedness and,
seemingly, rather unpromising than otherwise, con-
sidering the almost absolute lack of preparatory
studies worth speaking of.
Besides some critical remarks on the older
literature bearing on the subject, the first chapter
contains a very clear description of the poetic
peculiarity under discussion. Without striving at
completeness, the author divides the ideas and
things most liable to poetic name-substitution into
7 groups, viz. 1. Man and society; 2. Human body;
3. Military affairs; 4. Animal kingdom; 5. Nautical
aifiürs; 6. Remaining natural objects; 7. Super-
natural beings; each of these groups being repre-
sented by a series of typical examples taken from
Old- Icelandic and Anglo-Saxon literary sources. In
tbe present writer's opinion this chapter of not
quite 81 pages may be considered as an excellent
introduction into the problem, useful to non-specialists
as well as to the general reader.
In ber second chapter the author reminds us
that poetic name-substitution is by no means
limited to the Uermanic group of languages, but
occurs also in other branches of the In do-Germanic
stock, e. g. in Sanskrit. This she demonstrates by
means of a sufficient number of examples taken
from Amarasimha's dictionary of synonyms, arranged
in the above-mentioned groups. In this way we are
enabled to compare at a glance the Indian way of
proceeding in this matter with the Germanic
method and to notice the striking resemblance
between the two. Still, though interesting, this
circumstance in itself does not lead us any nearer
to a solution, since in Sanskrit as well as in Ger-
manic further data are wanting.
Perceiving that ic is, for the moment, impossible
to make further progress by means of Indo-Germanic
data only, the author has not shrunk from leaving
this well-known ground for less familiar regions,
and to carry on her investigations among the so-
called Indonesian languages (third chapter). A daring
undertaking perhaps, but which doubtless has been
justified by its result: the discovery of some striking
parallels whose origins are easily traceable and
which, therefore, are suggestive of similar interpre-
tations as regards the Indo-Germanic phenomena.
In Sangir (to the North of Celebes) the poetic
substitutes, as illustrated by means of the same
seven groups of examples, appear to be derived
from the so-called Sasahara, a dialect used by the
natives of the Sangir Archipelago when at sea and
when talking to or about their superiors, conse-
quently combining the functions of a sea-language
(cf. the fishermens' language of the Shetlands) with
those of a "high" language like the Javanese Krämä.
About the psychological background of this special
dialect we are equally well informed. The divergent
terms and expressions are used as substitutes for
such words as, for reasons of a magico-religious
character, it is forbidden to pronounce under the
circumstances of the moment, in other words: all
terms that are tabu. A second parallel is furnished
by a similar custom prevailing among the Baree-
speaking Toradja of Central-Celebes. Here the sub-
stitute-terms are taken partly from a special dialect,
whose only function consists in substituting terms
for tabu words, partly from the priests' language,
whicli, though cognate to the other both in origin
and in form, is not to be confounded with it, since,
to the native conception, each of them is decidedly
distinct from the other. The difference between the
two is formulated in the following words by Adriani
and Kruyt on whose observations the author's
statements are baaed: "The difference consists in
254
"the substitute language forming a part of tlie com-
"mon language, whereas the priests' language is a
"special one, spoken by the priests while holding
"communion with the gods. Every one is bound to
"be acquainted with the former at least to a
"certain extent; the latter need not be known by
"any but the priests". Also the Dajaks of Borneo,
finally, in their poetry often use words belonging
to the priests' language or substitute-terms serving
as such in the common language too.
Having thus demonstrated the striking parallelism
between the Indo-Germanic and the Indonesian
phenomena, the author, in the next chapter, passes
on to discuss the subject from a general ethno-
logical point view. The ethnological curiosities in
the domain of linguistics treated above represent
but a few of the innumerable „special languages",
specimens of which are to be found in every lan-
guage-community however small it may be. From
a linguistic point of view all these special languages
present pretty much the same character, all of them
consisting in a number of (principally lexical) diver-
gencies, obtained by one, some, or all of the fol-
lowing means: paraphrase (indicating words or ex-
pressions included), derivation from foreign lang-
uages, use of archaisms, and word-mutilations.
Ethnologically, on the other hand, they may, ac-
cording to the author, be divided into two essen-
tially different groups, viz. a magico-religious category
and a profane one, the latter being composed of two
sub-groups : technical languages and secret languages.
Although the author is fully aware of the fact that
it will often be difficult, sometimes even impossible,
to draw a sharp line of demarcation between these
different groups, she still fancies her division to be
in general maintainable. In the present writer's
opinion a classification whose lines of demarcation
are dimmed by so many cases of transition as the
one proposed in this instance, is useless if not
quite untenable. Besides, the study of special lan-
guages demonstrates very clearly, that the great
majority of those that nowadays might be called
"profane" either were originally not merely profane
(resp. essentially magico-religious) or are even now
mixed up with psychologically cognate special dialects
of the magico-religious kind. If the author had
refrained from this premature attempt at classifica-
tion, the discussion of certain special languages that
follows would have been none the worse for it.
That the modern Dutch sailors' language is chiefly
technical and that it, consequently, does not present
quite the same aspect as the Sasahara-dialect, which,
as we saw, is chiefly or exclusively magico-religious,
cannot be denied, but does this fact justify the
author's statement that van Gennep was quite wrong
in denying the existence of an essential difference
between the two ? The fact that in the modern type
substitute-terms for non-technical words are very
scarce, merely suggests the possibility that the
tabu-prescriptions, which here at some period co-
operated with agents of a more profane kind, were
rather dififerent from those that governed the develop-
ment of the Sasahara-dialect; but it proves neither
that the modern type is purely technical now,
nor that it has always been chiefly technical.
Still less defensible seems the author's opinion that
the modern soldiers' language and the students'
language belong to the group of "secret" languages.
As regards their modern character both are much more
complicated than the author seems to suspect In
connection with the students' language the author
introduces the subject of the peculiar formalities
preceding the admission of fireshmen into a Dutch
students' corps. The ceremonies or rather the wanton
and insipid and often cruel vexations the aspirants
have to endure, cannot but remind us of the initia-
tion-rites of savages ; and, as the author demonstrates,
this resemblance, obvious even at the first glance,
becomes even more striking, when we compare both
sets of actions more in detail. The author, prudently,
only hints at a possible historical relation between
the two — and thus much she was certainly justified
in doing. The rest of this chapter is mainly devoted
to name-tabus. As the author here chiefly refers to
well-known facts, we need not dwell on her des-
criptions, which, for the rest, are correct and lucid.
We must, however, not neglect to mention her
critical observations on the subject of womens'
languages, especially on the much-discussed womens'
dialect of the Island Caribs, in which she is evidently
particularly interested. She rightly observes that
Lucien Adam has by no means succeeded in proving
his theory that this womens' dialect should be of
Arowakan origin, the linguistic data being altogether
too scanty to be of any use for this purpose, and
that, setting aside the linguistic side of the problem,
the custom of abduction of women can hardly be
held responsible for the development of a special
womens' dialect, because womens' dialects occur in
many places of the earth where abduction of women,
as far as we know, never was a regular custom.
Against considering it as a technical language tells
«
— 255 —
the fact that, besides some technical terms, it
contains a majority of names for non-technical things
and ideas. As the most acceptable solution the
author considers Crawley's theory, which, of course,
pleads sexual tabus. It should be observed, however,
that at least the two last mentioned possibilities do
not exclude one another. "Why should womens'
language be any more homogeneous than any other
special language? And the theory of Sapper and
Lasch, who attach great importance to the difference
in social position between man and woman, brings
forward a third cooperating factor, which, though its
sphere of action with regard to those of the other
agents cannot be sharply defined, should none the less
be talcen into account. Here again the objections to
the author's premised classification are evident. Finally,
the possibility that, in some cases, abduction of women
may have left its vestiges in the womens' dialect,
should not be rejected. Although Lucien Adam has not
succeeded in proving anything, still it is not uncon-
ceivable that future researches, (which in the first
place will have to face the problem of the exact
relation between Carib and Arowak resp. "Taino"),
may find at least some truth in his hypothesis.
In the next chapter the author hopefully attacks
the formidable problem of the psychological origin
of "tabu-languages" (which term she uses in the
sense of special dialects used in compliance with
tabu-prescriptions). Of course, as she rightly begins
with stating, language-tabus are not to be separated
from other tabu-regulations and, further, the tabu-
custom as a whole is only one of the numerous
manifestations of the primitive mind. So the author
begins her argumentation with a critical discussion
of the leading modern theories respecting the pri-
mitive view of life or perhaps we should rather
say the "savage's" mental altitude toward his ego
and his visible and invisible surroundings. Striking
results or even new points of view this discussion
does not yield, but the author is aware of the dif-
ficulties and does not try to evade them. She comes
to the conclusion that both animistic and dynamistic
ideas have contributed to the origin of language-
and other tabus, and finally discusses some special
eases of word-tabu. Though it is not to be denied
that this chapter is much like an ethnological pot-
pourri, still the author seems to have succeeded in
lucidly exposing thechief difficulties without allowing
herself to be carried away by any favourite theory.
Of the special cases of word-tabu treated the fol-
lowing may be mentioned.
Proper name. Probably the author is right in
assuming that the custom of naming the parents
after their children is based on tabu. And her sug-
gestion that, to the primitive mind, this process
does not expose the child to danger because the
child is not really concerned in the transaction does
not seem inacceptable. Another factor may be the
circumstance that among many tribes the child
changes name at least once before being grown-up.
Names of relatives. As regards the tabu-
prescriptions regulating the intercourse between
relations by marriage the author is of opinion that the
interpretation of Crawley, who does not separate
these tabus from the purely sexual ones, is not
quite satisfactory, because Crawley exclusively dis-
cusses the tabu between son-in-law and mother-in-
law and does not pay any attention to the relation
between brother-in-law and sister-in-law and be-
tween daughter-in-law and father-in-law. Now I
must confess that I do not quite understand this
objection. If Crawley particularly emphasizes the
mother-in-law-tabu, it is evidently because this
tabu is by far the most common one ; and although
there is a différence between a mother-in-law and
a sister-in-law, it seems quite evident that Crawley's
interpretation of the mother-in-law-tabu, mutatis
mutandis, also holds good for the sister-in-law-
tabu wherever this presents itself. The author
suspects that these tabus have some connection
witli the existence of marriage-groups: a person
whom one marries belongs to a different group and
consequently one's marriage brings one in contact
with persons (the wife's relatives) who are, in a
certain sense, foreigners — and foreigners are tabu.
Now the similarity of prohibition-orders in both
cases (intercourse with relatives by marriage and
intercourse with foreigners and such like) to which
the author refers does not prove much, since
all prohibition-orders regarding intercourse cannot
possibly be but much alike. Moreover, if her sug-
gestion were true, how are we to account for the
undeniable fact that these tabus almost exclusively
regard the intercourse between persons of opposite
sexes? The cases in which there seems to exist
a certain kind of tabu between e. g. a father-in-law
and son-in-law are so sporadic, and, where their
existence can be demonstrated, these tabus in
general are so vague in character and the part
they play in social life is so utterly insignificant,
that we may safely leave them out of account —
as, indeed, is generally done. Further the statement
256 —
that a person's wife's relations are to be compared
with tabued foreigners because tiiey belong to another
marriage-group than the husband's, is a conclusion
not warranted by the actual facts. Among the
Menomini Indians, who strictly observe the mother-
in-law tabu, a man may safely enter into sexual
relations with his nieces or his sistersin-law or
his aunts on either side, but it will not enter his
head to marry a first cousin, as his relationship
with these is considered to be at least as near as
that with his actual blood-sisters. It would be easy
to cite a great n^any more data proving that the
tabus existing between a man and some ot his
wife's relatives (in particular his mother-in-law) have
nothing whatever to do with those relatives' belonging
to another marriage-group and that, moreover, those
persons are by no means considered as foreigners.
Finally, some more notice might have been taken
of Reinach's theory, which is evidently hinted at
for completeness' sake only. If our present know-
ledge of the savage way of looking at things has
any real value, we may safely state that there is
nothing in his theory that either seems improbable
from a general point of view or is contradicted by
any fact. And this theory, however different from
Crawley's interpretation, still may perhaps at some
time be proved to corroborate it as to its under-
lying principle.
About the tabu-languages of hunters and
fishermen the author observes that, besides the
common explanation (the game or the fish are to
be coaxed, appeased or deceived) another seems
possible. Perhaps speaking is simply one of the
prohibited actions, like washing or, to a certain
extent, eating and drinking, in which case speaking
a language different from the common one would
be considered the same thing as not speaking at
all. Doubtless this view of the matter too deserves
to be carefully tested; but it should be borne in
mind that, even if its correctness were to be proved
for some cases, the other interpretation, which has
often been proved quite conclusively, could not
possibly be superseded by it.
In her last chapter the author formulates her
conclusions. Evidently Olrik was right in connecting
the poetic language of the Norvegian population of
Iceland with the flshermens' languages of other
North-Germanic peoples '); and, judging from the
parallels furnished by certain Indonesian languages, it
cannot be doubted that the peculiarities by which these
special languages distinguish themselves from the
common tongue are largely due to tabu-prescriptions.
In the last few pages of her book the author
discusses the possible motives that may have led
to the being tabu of certain persons and things.
As might have been expected, this discussion is
rather unfruitful, but as it dues not do any harm
either, the reader may as well take it into the
bargain as grumble over it.
In writing this rather extensive review the pre-
sent writer's purpose was to draw the attention of
ethnologists to this solid little work, which, owing
to its being written in Dutch, would otherwise per-
haps not meet the interest it fully deserves. True,
the positive results obtained are not quite propor-
tional to the amount of work the research has
required; but a patient and methodical and at the
same time daring investigation like this, bearing on
a subject whose many-sidedness in itself is enough
to discourage a more experienced scholar, has a
very real value, even if the immediate results are
not quite striking.
Any future investigator who wants to take up
the problem again, will find Miss Portengen's book
to be a most substantial support in his labours.
J. P. B. DE JOSSELIN DE JONG.
VI. E, Sapir, Noun reduplication in Comox, a
Salish language of Vancouver Island (Canada Geo-
logical Survey Memoir 63), Ottawa, Government
Printing Bureau 1915.
Besides some introductory remarks on Comox
phonetics this paper contains a careful survey of
the various types of noun reduplication and their
grammatical functions in this language, some "mis-
cellaneous linguistic material", and some comparative
notes on Salish noun reduplication in general.
In those Comox nouns that always appear in
completely or partly reduplicated from, many of
which are (partly onomatopoetic) animal names,
reduplication has no grammatical significance, but
in most cases it characterizes plural, diminutive, or
diminutive-plural forms of nouns. Each of these
categories shows a considerable variety of types.
In plural reduplication mostly both first and second
consonants of the stem are repeated, the stem
vowel between these consonants being sometimes
') It may be observed that this conclusion is not based ou
any new Germanic data; so the author has evidently changed
her opinion, expressed in the first chapter, that the materials
on which Olrik founded his identification were rather scanty.
— 257
replaced by some other vowel. In diminutive
reduplication, on the contrary, the reduplicating
syllable repeats only the first consonant of the
stem and the vowel of the reduplicating syllable
too is formed "according to different rules from
that of the reduplication syllable of plural forms".
Diminutive forms of animal names may also be
made by means of a suffix. Diminutive plurals
evidently "are morphologically, and psychologically,
diminutivized plurals, not pluralized diminutives" as
"the first reduplicating syllable is almost invariably
of diminutive type, the second of plural type."
Some nouns, mostly animal names, form no plural.
Some of these are reduplicated to begin with, but
others are not. Among the latter category two
nouns are mentioned that are no animal-names, viz.
"salmon-egg" and "head". Suppletive plurals too
occur, e. g. of the word for "woman" and its déri-
vâtes "girl" and "married man", whilst the word
for "leg" changes the stem but keeps the same
suffix.
Besides the main types mentioned here, a number
of other types and subtypes, many of which are
wholly or partly due to phoneiic processes, are
enumerated and analyzed.
After a brief comparative survey of types of
plural formation in other Salish languages the author
comea to the conclusion "that there are a number
of wide-spread Salish methods of forming the plural,
which may, however, at last analysis turn out to
be capable of reduction to Type 1" [first and second
consonants and stem vowel between them repeated]
"(of which Type 11" (first and second consonants
repeated, stem vowel replaced] "may be a reduced
form)."
The "miscellaneous linguistic material" consists
of numerals, numerals with classifying suffixes,
body-part suffixes, and possessive and subjective
pronouns. J. P. B. dk Josseun de Jono.
VII. Edward Sapir, Southern Paiute and Nahuatl,
a study in Ulo-Aztekan. Part II (Anjerican Anthro-
pologist (N. S.), Vol. XVU, No«. 1, 2) 1915.
Besides a supplementary note on Uto-Aztekan o
(from Dolores' Papago material it is evident that
the author rightly suspected Nahuatl o to represent
two different Uto-Aztekan o-sounds, viz. a close and
an open one), this second part of his paper contains
a comparative treatment of the consonants in Nahuatl
and Shoshonean. After a description of the con-
Bonantic systems of Nahuatl and Southern Paiute
the author tries "to define the phonetic conditions,
from a Uto-Aztekan point of view, under which
consonants became spirantized, geminated, nasalized
in Southern Paiute (or Shoshonean generally)". The
spirantized consonants evidently "arose regularly
whenever a non-initial consonant came to stand
immediately after a vowel" (Nr. 1, p. 104). Neither
are the nasalized stops to be attributed to original
Uto-Aztekan. Evidently three causes may be con-
sidered to be responsible for their presence in
Shoshonean: 1. the consonant of the suffix is nasa-
lized by the nasal of the stem; 2. syncope of a
vowel following a nasal; 3. in the reduplicated
forms of stems with a nasal as their second con-
sonant, this nasal too is reduplicated. As to the
geminated stops, which exist in several Shoshonean
dialects (e. g. in Northern Paiute, Uncompahgre,
Southern Ute, and most probably, as the author
demonstrates, also in Tubatulabal and Luiseflo-
Cahuilla) and which obviously "form a fundamental
class of sounds in Shoshonean phonology" (Nr. 1,
p. 108), we have to face a far more difficult pro-
blem, as we do not find these sounds reflected
either in Nahuatl or in Sonoran. So, for the present,
we have to acknowledge two possibilities : they have
either developed or been retained in Shoshonean only.
Although many more unexplained and, for the
present, perhaps unexplainable phenomena present
themselves when one investigates the consonantic
correspondences between Nahuatl, Sonoran and
Shoshonean, such an investigation, as the author
demonstrates, yields sufficient data to enable even
the most prudent linguist to trace back the develop-
ment of most of the consonants of these three
languages to their Uto-Aztekan origin.
If they are treated in the same scientific manner,
the morphological correspondences will doubtless
corroborate the important results already obtained,
and very possibly throw light on some difficulties
which phonological evidence alone has not been able
to remove. J. P. B. db Josselin de Jong.
VIII. Robert H. Lowik, Societies of the Arikara
Indiana (Anthropological Papers of the American
Museum of Natural History. Vol. XI, Part VIII)
New- York 1916.
In 1910, while studying the societies of the
Mandan and Hidatsa, the author was able to obtain
some valuable information about the corresponding
societies of the Arikara. On many points his data
diverge from the older statements, in part even
flatly contradict them. While, according to Clark and
Brackenridge, the Arikara societies were graded on
— 258
the basis of age, the author's informant, in accor-
dance with Curtis' data, stated them not to be
graded at all. As a solution the author suggests the
possibility that, among the Arikara as well as among
the Pawnee, the societies were coordinate units, and
that the features of an age-series recorded by Clark
and Brackenridge were in a late period borrowed
from the Mandan and Hidatsa (by a portion of the
tribe) without affecting the older conception. As
compared with those of the Mandan and Hidatsa,
the Arikara societies are obviously little systematized.
They cannot be definitely classified, and it is equally
impossible to make a general statement as to the
method of admission. Most of the men's societies
are military in character. In general they have no
definite functions, though some of them seem to be
in some way connected with camp-guarding and
the regulation of the buffalo-hunt. One of them is
characterized by shamanistic performances, but none
of them are of the really religious type. A pretty
common feature seems to be a rather vague in-
fluence for good on social life in general. One of
the two women's societies however shows definitely
religious features and is at the same time the
only society in which membership was inherited
(through the mother). Generally admission was
bought. In some cases the candidate had to surrender
his wife to the "father" whose place he was going
to take. According to the author this feature was
probably borrowed from the Hidatsa. Sometimes
refusing to become a member when invited was
impossible. J. P. B. de Josselin de Jong.
IX. Alanson Sktonee, Societies of the Iowa, Kansa,
and Ponca Indians (Anthropological Papers of the
American Museum of Natural History. Vol. XI, Part
IX) New York 1915.
A carefiil description of the political, ceremonial,
and social organization of the tribes mentioned. The
author has treated them separately and his account
of the Iowa is by far the most extensive. Still his
less elaborate communications about the Kansa and
Ponca Indians too are of considerable value. He has
confined himself to carefully recording and grouping
the facts, without trying his wit at historical inter-
pretations. Consequently his statements hardly give
rise to any discussion, which, for the rest, by no
means lessens their scientific value.
In the sections on political organization are treated
civil and military government including customs and
ceremonies relating to warfare and hunting. In the
ceremonial organization dominating elements are, of
course, societies and dances, which two are so in-
timately related to one another that in many cases
a separation is impossible. Those of the Iowa are
divided into 4 groups, of which only one, the war-
dances, are unorganized. The ghost-dance is grouped
among "religious dances and societies of modern
origin". The two other groups respectively consist
of the social dances, performed by non-religious
societies, and the animal- and mystery-dances, which
are religious ceremonies performed by bundle-societies
in connection with the sacred bundles. One of this
group though, the medicine-dance, is not connected
with any bundle. There is evidence of its being
borrowed from the Algonkin. The green corn-dance,
referred to by J. 0. Dorsey, is now obsolete. Although
many of the Iowa dances described are indeed very
different in character, yet it strikes me that the
distinction of social and animal- (resp. mystery-)dance8
is a little artificial. I do not quite see, for instance,
why the calumet-dance is grouped among the former
category, while the "boneshooting"-dance is con-
sidered to belong to the "religious societies". The
Kansa and Ponca dances have not been classified;
as to the latter the author cites J. 0. Dorsey's
classification without, however, expressing an opinion
about it.
As regards the gentile organization of the Iowa
and Kansa, the information obtained by the author
in general does not materially diverge from tliat
gained by other ethnologists, though, of course, the
various accounts are not identical as to details.
Among both tribes the gentes are exogamic and
patrilineal. The author obtained complete lists of
the most important living and extinct gentes and
(Iowa) subgentes, and also a number of gentile
personal names. Lists of Iowa and Kansa terms of
relationship were compiled from information obtained
by himself and that obtained by Morgan. On the
Kansa „moieties", phratries, and subgentes mentioned
by J. 0. Dorsey no data were obtained. It seems
that Dorsey mistook the personal gentile names for
the names of subgentes. From the author's list of
Kansa gentes it is evident that Radm's statement
that the animal appellations of the Dhegiha gentes
"have, to a large extent, been forgotten" (.Social
organization of the Winnebago Indians, Canada
Geological Survey Museum Bulletin 10. p. 6) needs
revision.
As to Iowa and Kansa social life interesting notes
are given regarding marriage, mourning and burial
customs, etc. J. P. B. de Josselin dk Jong.
— 259
X. Robert H. Lowik, Dances and societies of the
Plains Shoshone (Anthropological Papers of the
American Museum of Natural History. Vol. XI, Part
X) New York 1915.
In the summer of 1912 the author collected some
notes among the Comanche near Lawton, Oklahoma,
the Soutem Ute at Navaho Springs and Ignacio,
Colorado, and the Shoshone at Wind River, Wyoming.
In 1914 he visited the Ute of Whiterocks, Uintah
Reservation, Utah. Especially as regards the Comanche,
"who proved poor and in part very unwilling,' in-
formants" the information gathered is rather un-
satisfying. It seems highly desirable indeed that a
thorough study of this tribe, including their language,
should be taken in hand immediately. As to the
Ute and Wind River Shoshone the author has much
more confidence regarding the correctness of the
data presented. About the Comanche dances little
more can be stated than that they seem to have
been associated with their (local) divisions and that
they mainly or exclusively were connected with an
intended retaliation. Information regarding special
functions and other details is fragmentary and un-
certain. Among the societies of the Wind River
Shoebone there are two, the Yellow Noses and the
Log«, which, when the tribe was on the march or
hontlng, officiated respectively as van- and rear-guard.
It seems that any one who wished to, might become
a member. The Yellow Noses used "inverted speech",
and 'enjoyed a higher social position an account of
their bravery", but of a gradation as to age or
otherwise there is not any vestige. The dances and
songs of the two societies are identical. Among the
other dances of this tribe several are evidently war-
dances, but there are also some that doubtless have
another meaning. In most cases the author expresses
no opinion as to their significance — and the data,
indeed, would hardly warrant any eflort at inter-
pretation — but about one, particularly interesting,
dance, which seems to have been borrowed from
the Bannock, he states that it was "merely a pas-
time" (p. 819). Considering the author's well-known
soepUeism as to the reliability of native tradition
and native interpretation in general, it strikes me,
that in this particular instance he might have been
just a little bit more sceptical. Even if his informants
were quite sure as to the point under discussion —
and, of course, I do not doubt they were — it
would have been perfectly justified not to accept
their decision as final.
A solitary figure, corresponding to the Crazy
I. A. f. E. Bd. XXXIII.
Dogs of some other Plains tribes, is the Foolish
One. After once performing the foolhardy exploit
that was expected from him, he was allowed to
resign and would henceforward be a war chief.
Among the Ute there is at least one society
reminding us of the common Plains societies, viz.
the Dog-company. They were to safeguard the
village against surprise, and when the camp moved,
they acted as a rear-guard. The most important
ceremony is the Bear Dance. Together with the
information gathered by V. Z. Reed in 1893, the
author's data present a pretty satisfactory account
of the whole performance. While the author was
unable to detect any purpose beyond the desire to
conciliate the bear, Reed mentions several more
motives, which, however, all directly relate to the
well-being both of the bear himself and of man
as regards his contact with bears. The performance
itself as well as the "mise-en-scène" is uf the imita-
tive type.
There were squaw-dances, but in these, as in all
other dances, men and women both joined. Further
they had war-dances and a few others about whose
meaning no data were obtained.
J. P. B. DB JOSSELIN DE JONG.
XI. F, Q. Speck, Family hunting territories and
social life of various Algonkian bamls of the Ottawa
valley (Canada Geological Survey Memoir 70), Ottawa,
Government Printing Bureau 1915.
F. Q. Speck, Myitis and Folk-lore of the Timis-
kaming Algonquin and Timagaini Ojibica (Canada
Geological Survey Memoir 71), Ottawa, Government
Printing Bureau 1915.
The Timiskaming band, located at the head of
Lake Timiskaming (on the boundary between Ontario
and Quebec) and the Timagami band of Ojibwe, a
band of 95 souls, who, during the summer of 1913
were staying on Bear island in Lake Timagami, were
visited by the author himself; information about a
few other Algonkin and Ojibwe bands of the same
region was partly obtained at second hand. The
author feels sure that the Timiskaming band should
be classified as a branch of the Algonkin group, but
at the same time he considers them to have become
greatly influenced by contact with their western
neighbours, the Timagami and Matachewan bands,
who are true Ojibwe.
The social grouping as described in the first paper
is essentially the same among the different bands
treated. The 8oci:il unit is the family with its family
hunting territory „in which all the male members
34
260 —
share the right of hunting and fishing." Trespassing
was severely punished and often caused feuds between
families. The system was kept up by means of
various wise regulations. A very interesting feature
is the custom of keeping account of the game and
regulating the killing accordingly. The children
inherited their hunting rights in the paternal territory.
The clan-organization seems gradually to lose in
importance as we proceed northward from the great
lakes region. Considering its weakness among the
Algonkin bands, the author thinks its existence here
may be attributed to Ojibwe influence. Both among
the Algonkin and the Ojibwe, the clans are totemic
exogamous groups with paternal descent. According
to the author the totem is simply regarded as an
emblem. As to the Timiskaming people he defines
the totem-idea as „the idea of relationship between
individuals who have inherited, through their fathers,
a certain secondary nationality in the tribe, the em-
blem of which is the particular animal or totem"
(p. 8). Regarding • the Timagami he states that the
totem „is regarded as an emblem which designates
the group, and of which the members are proud in
the same way, according to the Indians, as the
Americans are proud of the eagle or the British of
the hon" (p. 18). As the author has not been able
to support these curious statements with even the
semblance of an argument, I shall not discuss them.
I only wish to state in my turn that, considering
the absolute lack of data warranting any conclusion,
his assertions seem rather premature and, in fact,
rather naif too.
Besides the information about hunting territories
this paper contains some notes (all regarding the
Timagami) about naming, chieftainship, marriage,
burial, hunter's tabus, and dances, and a list of
kinship terms. Of course any information is welcome,
but scanty notes like these should be given for
what they are: I mean the author should have
confined himself to simply communicating them. If
he adds to his description of the Bear Dance this
interpretative commentary: „The idea of this dance
seems to be to honour the bear by imitating him,"
we are almost inclined to wonder whether he is
joking or in earnest. The second paper contains a
number of mythical and miscellaneous tales and
some loose folk-lore-notes. As the author intends to
pursue his investigation in this area, the present
collection is to be considered as a preliminary report,
It is interesting to note that in the Timiskaming
tales the trickster is Wiskédjak („meat bird";
Canada Jay), while at Timagami he is called Nene-
bue or Wiské and at Mattagami Wémicuzehwa
or Nenebuc. The author finds Wiskédjak and its
variants „to be more or less characteristic of the
Algonquin bands." Doubtless he is right in considering
Cingibis (Horned Grebe; at Red Lake, Minnesota,
the name is translated by , Hell-diver" cf. Baessler-
Archiv Beiheft V) as ,a secondary hero personage".
It is a pity that only a few lines (a short, rather
insignificant sketch of Wiskedjak's general personality)
have been recorded in Indian. Especially to expres-
sions relating to magical capacities like "he was a
manitu" (p. 47), "he was mite" (p. 68), „a big
raanitu (magic) seal" (p. 68), "his mi tew feeUng"
(p. 74), "so full of mité that..." (p. 75), «he was
full of mite win" (p. 70) thehr full Indian aequi-
valents should have been added. As to his trans-
lations of and commentaries upon such terms the
author has been rather inconsistent: "manitu" has
been translated by "magic" (p. 68) and by "spirit"
(p. 76); "mitéw" he translates as "conjurer" and
on the accompanying footnote gives "one of the
ranks of shamans" (p. 74), while on the same page
"mitékwe" is rendered by "medicine-woman". How-
ever, it may be expected that in some future publi-
cation due attention will be given to these delicate
subjects.
The word for "rainbow", which is the same in
Timiskaming and in Timagami, has been translated
in two ways: "forms from the water" (Timiskaming
p. 23) and "mist from the water" (Timagami p. 79)
while to the latter translation a point of interrogation
is added. J. P. B. de Jossklin dk Jong.
XII. Paul Radin, The social organization of the
Winnebago Indians, an interpretation (Canada Geo-
logical Survey Museum Bulletin No. 10), Ottawa,
Government Printing Bureau 1915.
The author considers that the twofold division
of the tribe, on which the social organization of the
majority of the Siouan tribes seems to be based,
is common in origin and historically primary for
the Winnebago, Dhegiha and Tciwere, because these
three tribes show many cultural and sociological
similarities. However, as an analysis of the present
names and functions of the two divisions makes it
very probable that they originally belonged to certain
important subdivisions (clans) and were secondarily
identified with those of the larger groups, it cannot
be proven that the type of social organization is
historically identical even among these three tribes.
At present the Winnebago have animal appella-
— 261
lions for their clans (with tiie associations of descent
from or connexion v?ith an animal ancestor), but
some animal appellations have been replaced by
designations indicating the functions of the clan:
Warrior, Chief, Soldier instead of Hawk, Thunder,
Bear. Moreover there is some evidence that might
be interpreted as pointing to an organization of
village-groups with geographical names preceding
the later clan-organization with animal names. The
names of the two divisions: „Those who are above"
and „Those who are on earth" refer to the clan-
animals, the tirst appellation covering the birds and
the second the land- and water-animals. The only
function of the two divisions seems to have been
the regulation of marriage, for the function of
reciprocal burial seems doubtful. Further the divisions
play a part in the organization of the village (but
about the exact arrangement the informants of the
one division disagree with those of the other), in
the arrangement of fireplaces when on the war-
path, as the basis of organization at the „chief"
feast (given by the bird-clans) and lastly as the
basis of organization oftbe ceremonial lacrosse-game.
The „above '-division has 4 clans: Tbunderbird
(= Chief), Warrior (= Hawk), Kagle, Pigeon; the
,on-<arth"-divi8ion 8 : Bear (= Soldier), Wolf, Buf-
falo, Water-spirit, Deer, Elk, Snake, Fish. About the
order in which the clans originated the different
clan-legends disagree, each clan being, according to
its own legend, one of the first. The majority trace
their origin to Green bay but the Warrior- and Buf-
falo-clans in some of the versions of their clan-
myths claim other places as their original home.
Within the half circle occupied by the division to
which they belonged, the members of each clan
were grouped together, but according to all inform-
ant« a Tillage never merely included members of
the same clan. The author thinks clan-segregation
should not be taken too literally, as, in his opinion,
clan-exogamy would prevent that.
There are 9 classes of individual names, respectively
referring to: 1. colour, 2. physiological characterist-
ics, 3. social functions, 4. animal- and plant-forms,
5. animal characteristics, 6. natural phenomena,
7. quality, 8. episodes of a legendary origin, 9.
personal achievement. The m^ority of names are
nowadays interpreted as belonging to type 8, but
in the author's opinion we have often to do with
reinterpretations. Besides a clan-name, a large
number of which belong to type 5, every individual
has a birth-name, by which be is generally known.
and a nickname. Especially the clan-names, the
author thinks, were often reinterpreted.
The bond between members of the same clan is
based on their common attitude towards the clan-
animal, which attitude differs from that towards the
guardian spirit („an immaterial being in control of
an animal species") only in that „more emphasis
is laid upon identification with ihe animal itself, as
contrasted with the "spirit'." The clan-group descends
not from the „spirit''-animal, but from the animal,
which, nevertheless, is guardian spirit at the same
time. However, according to the author, descent
flrom animals means descent firom animals of the
heroic age, after they had been transformed into
human beings, not descent from the animals of
to-day. The latter, on the contrary, descend from
the not-transformed animal beings. Not common
descent, but blood-relationship is given as the reason
for clan-exogamy, but as this notion of blood-
relationship does not extend beyond the direct
knowledge of some living individual, the author
oonsiders the tie of blood-relationship as „purely
fictitious and secondary."
Many of the clans have political-social functions.
In some cases it seems probable that such a function
was first associated with a certain individual and
that this association was afterwards extended to a
certain clan (e. g. the function of public criership).
Between certain clans (generally belonging to the
same division) there exists a special bond known
aa ,friendship"-relation. It strongly reminds us of
the well-known relation of individual partnership, and,
according to the author, the bond of blood between
an uncle and bis nephews is psychologically the same.
Between clan partnership and individual partnership,
he thinks, „no genetic relationship need be postu-
lated." Another kind of relation between certain
clans is the „servant" -relation, which expresses
itself in certain deferential acts and the performance
of certain services that are not reciprocal.
The specific clan-possessions may be „material"
(as the author calls it) (like war bundles) or „im-
material" (like fire, water). The author supposes
the former kind to have been originally personal
possessions of one family and the latter kind to
have been primarily connected with the clan-animals.
Moreover each clan has its own marks of identifica-
tion, such as symbols (e. g. the war-club of the
Thunderbird-clan) , property-marks (effigy of the
clan-animal), facial decorations, and special songs,
of which each clan possesses four.
— 262
Of ceremonial functions of clans there is but one
instance: when a village was visited by sickness,
the Bear-clan had to perform a certain ceremony,
chiefly consisting of shamanistic practices, in order
to expel the evil. The author does not hesitate to
state that we have here a secondary association of
a ceremonial function (and moreover a function that
generally belongs to an individual shaman) with
a social unit. There is but one ceremony in which
the clan-unit is the basis of organization, viz- the
clan-feast ; in the typical religious societies no clan-
influence is perceptible. The clan-feasts themselves
are supposed by the author to be „really religious
societies in which the influence of the clan has
restricted the number of "the principal participants.
This paper is another illustration of the tendency,
rather common just now among the younger gen-
eration of ethnologists in America, to seek the
true scientific attitude towards ethnological phenom-
ena in an unlimited scepticism regarding their out-
ward appearance. I admit that in ethnological
research a certain amount of scepticism as to native
interpretations and „flrst-glance" impressions is a
prime requisite, but still I am not sure that this
attitude, if carried to extremity, will not ultimately
come to denying the existence of any problems
instead of contributing anything towards their solut-
ion. Scepticism too may become dogmatical and in
hat case, considering its merely negative character,
it is likely to make more mischief than any other
dogma. It should always be borne in mind that in
ethnology nothing can be proven with mathematical
certainty, and that looking for such proofs is not only
wasting energy, but, in the long run, is sure to
deaden the sense of psychological probability.
J. P. B. DE JOSSELIN DE JONG.
XIII. V. Cathbein S. J. Die Einheit des sMUchen
Bewusstseins der Menschheit. Eine ethnographische
Untersuchung. 3 Bd. 1914 Freiburg i/Br. Herdersche
Verlagshandlung. M. 36. — .
Den Nachweis zu erbringen, dass das sittliche
Bewusstsein der Menschheit allgemein und einheit-
lich ist,' eine Grundvoraussetzung der Moralphiloso-
phie, ist der Hauptzweck dieses Werkes. Verfasser
wurde zu dieser sehr umfangreichen Arbeit geführt,
als er einsah, dass sein „Überblick über die sitt-
lichen Anschauungen der wichtigsten Kulturen der
Naturvölker" die er den ersten Auflagen seiner
„Moralphilosophie" beigab, nicht mehr genügte.
Mit genauar Angabe der Quellen hat er unter
den verschiedensten wenig entwickelten Völkern
von früheren Zeiten und der Gegenwärt die mora-
lischen Verhältnisse in Verbindung mit den reli-
giösen studiert und die wesentlichen Elemente der-
selben in dieses dreibändige Werk aufgenommen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, welch ein riesen-
haftes und zum Teil schwer zugängliches Mat«rial
hier zu bewältigen war, leuchtet es ein, dass dieser
erste gründliche Versuch von ähnlichem Umfang und
ähnlicher Arbeitsweise auf diesem Gebiet von seinem
Verfasser als unvollständig bezeichnet wird. Zu
gleicher Zeit giebt er aber seine Überzeugung zu
kennen, dass sein mit grosser Sorgfalt behandeltes
Werk nicht leicht sehr wesentlich zu übertreffen
sei. Eventuelle Bemerkungen und Ergänzungen wird
er gern ernstlich berücksichtigen, um sie später
aufnehmen zu können.
Ohne weiteres ist er klar, dass bei der Be-
sprechung dieser wichtigen Arbeit über das sittliche
Bewusstsein aller Völker der Erde die Bedeutung
des Ausdrucks „sittliches Bewusstsein" klar gelegt
sein muss und Verfasser hat sich denn auch be-
strebt, uns in der Einleitung über seine Auffassung
aufzuklären. Er wünscht die Frage „Gibt es einen
Grundstock von sittlichen Begriffen und Grundsätzen,
die von allen Völkern zu allen Zeiten anerkannt
waren", zu beantworten und dazu auf historischem
Wege und durch Erforschung der Zeugnisse unserer
jetzigen Völkerkunde die nötigen Daten zu finden.
Nachdem er eine Skizze über den bezüghchen Streit
zwischen Theismus und Evoluiionismus der letzten
Zeiten entworfen hat, verbreitet er sich über die
Tragweite der Streitfrage. Natürlicherweise stellt er
sich zu dieser auf theistischen Standpunkt; klärt
uns aber in einzelnen unparteiischen Zügen über die
jetzigen vorherrschenden Überzeugungen auf diesem
Gebiete auf.
Von grundlegender Bedeutung für die Tragweite
dieser sich auf unsere ganze Auffassung von der
Einheitlichkeit der Menschheit beziehenden Arbeit
scheint mir die , Nähere Bestimmung der Streit-
frage". In dieser wird angegeben, dass es sich hier
um allgemeine Grundsätze handelt, nicht um die
konkreten Anwendungen und Schlüsse, die je nach
Ort und Zelt sehr verschieden sein können.
So heisst es auf Seite 12 des ersten Bandes :
„Jeder normale, zum vollen Vernunftgebrauch ge-
langte Mensch bildet sich den Begriff von Gut und
Bös, von Recht und Unrecht, und den allgemeinen
Grundsatz, dass man das Gute tun, und das Böse
verabscheuen und meiden solle. Ebenso erkennt er,
dass er vernünftig handeln, dass er keinem andern
f.
— 263 —
zufügen solle, was er selbst nicht dulden mag, dass
er kein Unrecht tun solle u. dgl." Um dieses zu
beweisen folgt Verfasser nicht den Weg philoso-
phischer Betrachlungen, sondern er tritt dieser Frage
näher, indem er an der Hand der Berichte über die
verschiedensten, niedrig stehenden Völker ihre sitt-
lichen und religiösen Begriffe und Grundsätze stu-
diert. Zu diesem Zweck verwendet er ein nach Mög-
lichkeit vollständiges Tatsachenmaterial über die
charakteristischsten Völker.
So behandelt er der Reihe nach die einzelnen
Völker der alten und der neuen Zeit und stellt ihre
sittlichen und religiösen Anschauungen im Zusam-
menhang dar. Nach einer kritischen Erörterung über
die vielen literarischen Quellen, die herangezogen
werden mussten, werden also im ersten Teil (± 700
Seiten) die Kulturvölker[und die Naturvölker Europas,
Asiens und Afrikas (nördliche Hälfte), im zweiten
Teil (±;650 Seiten) die Naturvölker Afrikas (Süd-
bälfte) und Nord-Amerikas und im dritten Teil
(±: 600 Seiten) diejenigen Süd- Amerikas, Australiens
und Ozeaniens behandelt. Von allen diesen Völkern
werden die eigenartigsten religiösen und sittlichen
Gebräuche ziemlich ausführlich skizziert. Der Leser
bekommt dadurch ein objektives Bild und kann sich
die Gültigkeit eines sittUchen Verhaltens eines sol-
chen Volkes selbst zurechtlegen.
Zweifellos ist es Pater V. Katlireiu gelungen zu
beweisen, daaa bei allen diesen Völkern ein sitt-
liches Veriialten vorkommt, wenn man seiner oben
erwähnten Auffassung Rechnung trägt. Ausserdem
haben die Ethnographen Ursache, ihm für diese
Arbeit zu danken, da diese sie in den Stand
stellt, von den verschiedensten Gegenden der Erde
besügliches Material zu finden und die genau an-
gegebenen Quellen eine Erweiterung des Dargebo-
tenen sehr erleichtern. Es würde den Spezialisten
wohl nicht schwer sein, hie and da auf Verbesserung
bedürftige Stellen hinzuweisen; da der Charakter
des Ganzen aber dadurch nicht beeititrächtigt wird,
werde ich er hier unterlassen. Die letzten fünfzehn
Seiten des dritten Teiles sind dem Schlussergebnis
gewidmet. Hier werden nach einander kurz die
Schlüsse besprochen, zu welchen diese Forschungen
unter den mannigfaltigst gearteten Völkern geführt
haben. Während wir uns bis jetzt an dem objektiven
Standpunkt unseres Autors, auch seinen niedrigst
stehenden Mitmenschen gegenüber, erfreut haben,
tritt uns hier sein einseitiger Standpunkt ent-
gegen.
Man stimmt ihm gern zu, dass es ihm gelang,
eine natürliche Moral unter allen Stämmen nach-
zuweisen ; diese „natürliche Moral" aber „die Moral
des Dekalogs" zu nennen, ist doch wohl nur in
diesem Sinne möglich, dass diese sich aus jener als
höhere Moral entwickelt haben kann. Auch muss
man zugeben, dass bei allen Völkern Rechtsgefühl,
Wahrhaftigkeit, Treue, Freigebigkeit, Gastfreund-
schaft, Höflichkeit und Dankbarkeit, wenn auch oft
nur sehr eng in bezug auf die nächsten Verwandten
entwickelt, vorgefunden werden. Weiter sind Gefühl
der Zusammengehörigkeit und Tapferkeit auf Grund
sozialer Verhältnisse allgemein verbreitet; auch die
Familie mit ihrem Eigentum und die Ehe spielen
in der primitiven Gesellschaft eine grosse Rolle und
können als Basis dieser Zusammenlebungen ange-
sehen werden. Wie man sieht, ist es eine stattliche
Zahl von sittlichen Eigenschaften, die man als Er-
gebnis dieser Arbeit auch den niedrigst stehenden
Menschen nicht absprechen kann. Wir sollten es
schätzen, dass wir jetzt im Stande sind, diesen ge-
rechten Standpunkt mit Überzeugung einzunehmen.
Bis dahin hat Verfasser sich bemüht, bestimmte
Eigenschaften unter den Völkern der Erde nachzu-
weisen und, wie wir sahen, mit gutem Erfolg.
Den letzten zehn Seiten liegt aber der Wunsch
zu Grunde, auf dem Gebiet der Religion nachzu-
weisen, woher die vorgefundenen sittlichen Erschei-
nungen herrühren, was die Ursache dieser allerdings
sehr bemerkenswerten Charakterzüge, auch bei den
niedrigst entwickelten Stämmen, sein müsse. Auf
Grund des rein theistischen Standpunkts des Ver-
fassers werden hier die gefundenen religiösen und
sittlichen Äusserungen der Völker als Beweise für
die Richtigkeit dieses Standpunkts vorgeführt.
Bei dieser ethnographischen Besprechung möchte
ich nicht weiter auf diese religiöse Seite der Frage
eingehen; zum Schluss weise ich nur auf eine
methodische Schwäche dieses Teiles der Arbeit hin.
Aus einem Sammelwerk, wie das vorhegende, kann
wissenschaftlich keine Stütze für eine tiefgehende
Untersuchung über die Herkunft der festgestellten
Erscheinungen entnommen werden. Wie Verfasser
richtigerweise selbst angiebt, erlaubt uns das sehr
heterogene und zum Teil nur oberflächlich beschrie-
bene Material nur ganz im allgemeinen sittliche
Gefühle unter der ganzen Menschheit festzustellen.
Wollte man Näheres über diese Gefühle wissen, so
bedürfte es dazu eines eingehenden Studiums einer
genau begrenzten, einheitlichen und gut studierten
Menschengruppe mit Hinzuziehung ihrer Geschichte,
ihrer Lebensverhältnisse und ihrer Persönlichkeit.
— 264
Nur ein solches gut übersichtliches Material würde
es dem Forscher vielleicht ermöglichen, auf Grund
von Untersuchungsergebnissen zu einer Lösung
solch schwieriger Probleme, wie der Ursprung
der Religion und des Sittlichen im Menschen, zu
gelangen.
Von ethnogrcaphischem Standpunkt kann man P.
V. Kathreins Arbeit nur als sehr wertvoll bezeichnen.
A. W. NiEUWENHUIS.
XIV. J. Scheunen, Nederlandsche Volkskunde.
1" Deel. Zutphen 1915. Auf kulturgeschichtlichem
Gebiet werden die Völker nicht durch ihre staat-
lichen Grenzen geschieden. In einem Buche, wie
dieses, das sich mit der niederländschen Volks-
kunde befasst, bezieht sich das „Nederlandsche"
denn auch auf das ganze Gebiet, wo die niederlän-
dische Sprache Volkssprache ist. Es streckt sich
also weit über unsere südlichen Grenze, über flä-
misch Belgien aus. Selbst ist der südliche und öst-
liche Teil der Niederlande und auch der flämische
Teil Belgiens eingehender berücksichtigt als der
nördliche, westliche und mittlere Teil unseres Va-
terlandes.
An erster Stelle wurde dies wohl dadurch ver-
ursacht, dass gerade in diesen Gegenden durch die
seit Jahrhunderten umgestaltend wirkende Kultur
die Organisation der Zusammenlebung und die alten
Sitten, um welche es sich hier handelt, am meisten
verändert worden sind.
Das Ziel, das Verfasser sich gestellt hat, eine
zusammenfassende Volkskunde des niederländischen
Volkes zu schreiben, muss als der erste Schritt
betrachtet werden. Zwar bestehen zahlreiche Werke,
die sich mit Unterteilen dieser Wissenschaft befas-
sen, aber ein Buch., das das ganze Gebiet ein-
schliesst, ist bis jetzt noch nicht erschienen. Aus
diesem Umstände geht schon hervor, dass das vor-
handene Material sich in allen Zweiggebieten wohl
nicht als ausreichend erweisen würde; es ist darum
erklärlich, dass Verfasser bestrebt gewesen ist, diese
Lücken durch Fragebogen zu ergänzen. Dem Inhalt
dieses ersten Teiles nach, ist ihm das für eine all-
gemein gehaltene Darstellung gut gelungen; wo es
für bestimmte Gegenden nicht genügen sollte,
werden die Ausführungen in diesem Werke viel-
leicht dazu anregen, die örtlichen Gebräuche auf-
zuzeichnen und herauszugeben.
Dem Vorworte nach hat Verfasser die Bearbei-
tung des Stoffes an erster Stelle aus Pietät gegen
alte Sitten und in der Absicht, sie vor völligem
Verschwinden zu retten, unternommen. Dass sich
dabei eine gewisse Scheu vor dem umwälzenden
Einfluss der modernen Kultur entwickeln kann, ist
nur zu natürlich. Ganz gerecht kann man aber die
bezüglichen Betrachtungen im Vorwort wohl nicht
nennen; vielleicht hat aber Verfasser diesen Auf-
fassungen die Kraft entnommen, seine mühselige
Arbeit so glücklich zu vollenden; ich unterlasse
daher weitere Bemerkungen.
Jedenfalls beabsichtigte er auch, unter den höher
entwickelten Ständen das Interesse für die kultu-
relle Basis, aus welcher auch ihre Kultur hervor-
gegangen ist, zu steigern. Verfasser rühmt gerade
das Märchenhafte, das diesen Sitten und Gewohn-
heiten aus früheren Kulturzuständen anhaftet; das
wird zweifellos auf gebildete Kreise eine grosse An-
ziehung ausüben. Zusammenfassende Werke mit
ihrer übersichtlichen Behandlung massenhafter Ein-
zelheiten eignen sich für die Hebung des Inte-
resses unter Laien besser als die sich in Besonder-
heiten zu sehr vertiefenden Spezialwerke. Im ersten
Kapitel werden die alten Siedelungsverhältnisse und
die Bestandteile der niederländischen Bevölkerung,
im zweiten die Volksreligion, im dritten das Fami-
lienleben und der Ackerbau behandelt. Wenn man
nach Umfang und Inhalt urteilen darf, so hat Ver-
fasser sich zu der Volksreligion, die 150 Seite ein-
nimmt, besonders angezogen gefühlt. Andererseits ist
der Durchdringungsprozess von ursprünglicher Volks-
religion und Christentum für den richtigen Begriff der
jetzt in breiten Schichten unseres Volkes vorherr-
schenden Verhältnisse so überaus wichtig, dass es wohl
schwer gewesen wäre, sich hier kürzer zu fassen.
Glücklicherweise sind die bezüglichen Erscheinungen
mit bemerkenswerter Objektivität unter „Volksreli-
gion" und „Volksfeste" behandelt worden. Die Letztern
umfassen diejenigen der katholischen Gegenden, in
denen sie am vollständigsten erhalten geblieben sind.
Mit einigen anderen Bemerkungen werde ich
warten, bis auch der zweite Teil erschienen ist.
A. W. NlEtnVENHÜIS.
XV. F. D. E. VAN OssENBRüGGEN, Het primitUve
denken, sooals dit zieh uit voornamelijk in pokken-
gebruiken op Java en eiders. B^drage tot de prae-
animistische théorie. Den Haag 1915. (Bydr. t. d.
T. L. en V. v. Nederlandsch Indië. Deel 71).
In dieser 350 Seiten grossen Abhandlung finden
wir ein zum Teil neues, zum Teil schon früher
vom Verfasser bearbeitetes Material über Pocken-
gebräuche der Insel Java und anderer Gegenden;
sie werden als ein Beitrag zur prae-animistischen
Theorie veröffentlicht.
265
Bekannt durch verschiedene juridisch-ethnologi-
sche Studien, nicht zum wenigsten durch eine vor-
zügliche Herausgabe von Prot Dr. G. A. Wilken's
gesammelten Werken, hat Verfasser sich jetzt be-
fleissigt, noch nicht bekannte ethnographische Pocken-
beobacbtungen von Prof. Dr. C. Snoück Hubhbonje
und von seinen eigenen einheimischen Gehilfen
herrührende, unserer Wissenschaft zu übermitteln.
Mit grossem Eifer hat er sich selbst in's ganze
Thema eingearbeitet und auch die neue Literatur
sehr ausführlich zu Rate gezogen.
Diese Teile bilden ebenso viele Bereicherungen
unserer Kenntnisse über die in mancher Hin-
sicht noch viel zu oberflächlich untersuchte Insel
Java. Da auch sehr viele Beobachtungen von Pocken-
gebräuchen aus anderen L<indern aufgenommen wor-
den sind, bildet dieser Artikel zweifellos ein auf
diesem Gebiet nicht zu vernachlässigendes Nach-
schlagewerk.
Die Arbeit ist ausserdem zu Gunsten des Prae-
Animismus geschrieben worden und ausführliche
Erörterungen sind diesem gewidmet. Beim Lesen
bekommt man aber den Eindruck, dass Verfasser
zu sehr von der Gültigheit der nachfolgenden Sätze
überzeugt ist:
1°. Prae-animistische Auffassungen seien auch
noch in hochentwickelten Zusammenlebungen wie
den der IWroer, Griechen, Europäer, Inder und Ja-
Taner zu studieren;
2°. Pocken hätten unter allen Völkern und in
allen Zeiten geherrscht;
3°. Man fordere die Wissenschaft, wenn man die
jetzige I^deutung der Kulturerscheinungen, auch
der niedrig stehenden Völker, magisch umdeutet.
A. W. NlEUWENHUIS.
XVI. K Fbanke, Die geistige Entwicklung der Ne-
gerkinder, ein Beitrag zur Frage nach dm Hem-
mungen der Kulturenlicicklung. (Beiträge zur Kultur-
und Universalgeschichte. Heft 2b). Voigtländer,
Leipzig 1915. M. 10.—
In dieser Abhandlung hat Verfasser versucht, das
interessante Problem, ob die Negerrasse durch ihre
Veranlagung oder durch den Einfluss ihres Milieus
auf niedrigem Kulturstandpunkt stehen geblieben
ist, näher zu treten. Er hat dazu den geistigen Ent-
wicklungsgang der Negerkinder als Ausgangspunkt
gewählt, wobei aber der Ausdruck Kind bis zu dem
des Jünglings erweitert werden muss. Ausserdem
bezieht sich der Inhalt des Buches hauptsächlich auf
die Neger Afrika's, unter welchen die BantuvOlker
am eingehendsten berücksichtigt worden sind.
In seiner Doktordissertation über diesen Gegen-
stand hat Herr Dr. Fkanke sich auf die Literatur
gestützt; in diesem Heft ist dazu eine ausführliche
Studie über Kinderzeichnungen und Kinderplastik
als objectives Untersuchungsmaterial über die geis-
tige Veranlagung und Entwicklung der Negerkinder
hinzugefügt worden. Die bezüglichen Zeichnungen
stammen von Missionsschulen her und befinden sich
jetzt im kulturhistorischen Museum in Leipzig.
In seiner Aufl'assung des Tatsachenmaterials und
seiner Behandlung der Probleme schliesst Verfasser
sich dem Standpunkt der Leipziger Schule, beson-
ders dem des Herrn Dr. J. Kbetzschmar an. Die
Untersuchung war weiter auf den Gebrauch der
Literatur angewiesen, die aber für diesen Zweck
an Vollständigkeit und Einheitlichkeit sehr viel zu
wünschen übrig lässt.
Verfasser hat sich überzeugen können, dass seine
Forschung nur vorläufige Resultate ergeben könne,
seine Untersuchungsmethode jedoch von Wert blei-
ben würde. Er stellte auf diese Weise fest, dass
der während der Pubertät eintretende Stillstand der
sonst vorteilhaften Entwicklung der Negerkinder-
psyche der Aufklärung am meisten bedürftig sei.
Dieser Stillstand kann durch Anlage und durch den
Einfluss des gesellschaftlichen Milieus der Afrika-
neger verursacht werden. In dieser Hinsicht ist es
wichtig, dass sich bei Individuen, die unter dem
Einfluss europäischer Kultur, z. B. der Missionsschu-
len stehen, sich entwickelteres Bewusstsein ausbildet.
Ein Paralelle zu dem frühen Stillstand der geis-
tigen Entwicklung findet sich in der körperlichen
nicht. Auch eine frühe Verwachsung der Schädel-
näte konnte nicht fesstgestellt und deshalb als Ur-
sache nicht angenommen werden. Es zeigt sich bei
der Betrachtung der geistigen Entwicklung offen-
sichtlich, dass äussere Einflüsse, hauptsächlich der
Erziehung und der kulturellen Umgebung, stark
auf die Negerkinder wirken. Die starke Betonung
der Tradition und die des Geschlechtslebens schei-
nen es vor allem zu sein, die die subjective geis-
tige Entwicklung hemmen und den Geist des Negers
fremden Einflüssen verhältnismässig unzugänglich
und nur wenig erfindungsreich machen. Erziehung
zum Nachdenken durch geeignete Arbeit und Ab-
lenkung der Gedanken vom Geschlechtsleben vor
der vollständigen Reife, durch Einwirkung der Er-
ziehung mehrere Jahre über die Pubertät hinaus,
erscheinen notwendigste Forderungen, um beim
Neger höhere geistige Kultur zu entwickeln.
A. W. NiEüWBNHUIS.
— 266 —
XVII. L. Pfeiffer. Die sleinzcitliche Muscheltechnik
und ihre Beziehungen zur Gegenwart. Jena. G. Fischer.
1914. M. 15.-.
Im Jahre 1912 hat Verfasser eine ausführliche
Bearbeitung der steinzeithchen Technik und ihre
Büziehungen zur Gegenwart herausgegeben, die der-
zeit in diesem Archiv besprochen worden ist. Das
jetzt vorliegende Buch, das 334 Seiten zählt und
332 Abbildungen im Text enthält, bildet eine Er-
gänzung derselben und befasst sich hauptsächlich
mit der Muscheltechnik der Steinzeit und der Gegen-
wart. Die Bearbeitungsweise selbst des Muschel-
materials kann natürlicherweise hi einer kleineren
Seitenzahl beschrieben werden, als es hier in den
ersten 36 Seiten in gediegener Form in bezug auf
Tridacna geschehen ist. Für die Auseinandersetzung
sind an erster Stelle die jetzt noch geübten oder
in Überlieferung bekannten Herstellungsmethoden
der Muschelgegenstände verwertet; von diesen ist
auf die vorgeschichtlichen ein Rückschluss gebildet
worden.
Der folgende Teil des Textes enthält in 15 Ka-
piteln eine ausführliche Beschreibung der bekannten,
zur Verzierung und zum sonstigen Gebrauch ver-
wendeten Muschelarten, alle nach Geschlechtern,
Familien und Gruppen geordnet; eine Menge Bei-
spiele für Bearbeitungsweisen der verschiedenen
Muscheln vervollständigt die Abhandlung.
Da die verschiedensten Gegenden und Völker
dabei berücksichtigt worden sind, umfasst dieser
Abschnitt eine äusserst wertvolle und übersichtlich
behandelte Reihe von Muschelornamenten. Dieser
Teil des Textes wird gelegentlich einen zuverläs-
sigen Leitfaden zur Bestimmung der Muscheln einer
Verzierung aus irgend einer Gegend abgeben können.
Da das Material der Spondylusgruppe z.B., oder das
Flussmuschel-Material, Cypraea (Kauri), Nassa-Mate-
rial oder das anderer Kleinschnecken, um nur
die wichtigsten zu nennen, eingehend besprochen
und abgebildet wurden, wird man ihn selten ver-
geblich zu Rate ziehen.
Nebenher hat Herr Dr. Pfeiffer es sich offenbar
zur Aufgabe gestellt, in dieses Buch alles zu ver-
einen, was er bei seinen auf breiter Basis ausge-
führten Untersuchungen an Funden unter verwandten
Industrien und Verzierungen gesammelt hat.
Dieses ist schon hie und da im obigen Teil des
Textes geschehen ; doch ist es im ersten und zweiten
Anhang, welche die zweite Hälfte des Buches ein-
nehmen, noch mehr der Fall.
Im ersten Anhang werden die Verwendungen von
Schildpatt, Bernstein, Gagat, Früchten u. dgl. m.,
im zweiten das Zahn-Material in Verbindung mit
Muschelmaterial, die Geräte und Werkzeuge aus
Muschel-Material, Waffen-, Lippen- und Ohren-
schmuck U.S.W, behandelt. Das letzte Kapitel be-
antwortet die Frage: „Welche Tauschwerte hat es
im vorgeschichtlichen Europa gegeben?" Ein Lite-
ratur- und ein Stichwörterverzeichnis erleichtern den
Gebrauch dieses vielumfassenden Werkes. Wenn
wir uns Rechenschaft über seine charakteristischen
Züge geben, so erhellt wohl an erster Stelle, dass
die Ethnologie und die Archaeologie, die es auch
zu vereinen strebt, mit einem sehr wertvollen
Sammelwerk, dem eingehende Untersucliungen zu
Grunde liegen, bereichert worden sind. Ein sehr
beträchliches, zum Teil neues Material ist hier als
Ganzes reich illustriert mit sehr zahlreichen, gut
ausgeführten und deshalb den Text schön ergän-
zenden Abbildungen veröffentlicht worden.
Der Inhalt entspricht dem Titel in soweit nicht
ganz, als er sich viel mehr auf die geschicht-
lichen Völker und Zustände als auf die vorgeschicht-
lichen bezieht. Die rezente Steinzeit Ozeaniens, die
so viel Beobachtungen und Aufklärung darbot, hat
dazu viel beigetragen.
A. W. NlEJWENHÜIS.
XVIII. E. M. H. Simon. Beiträge zur Kenntnis der
Rinkiu-Inseln. (Beiträge zur Kultur- und Universal-
geschichte). Heft 28. R. Voigtländer. Leipzig. 1914.
M. 10.—.
Zur Untersuchung der wirtschaftlichen Verbält-
nisse dieser südlichen japanischen Inseln hat Ver-
asser auf diesen eine kurze Reise gemacht. Deren
interessanten Besonderheiten und Bewohner haben
ihn dazu geführt, sie nach seiner Rückkehr weiter
zu studieren und die Ergebnisse in der Form dieser
Beschreibung zu veröffentlichen. Er bemühte sich
dabei, die verschiedensten Quellen, auch einige
bisher wenig oder gar nicht benutzte japanische
und chinesische zu gebrauchen. Von dem 180 Seiten
grossen Buche nimmt die geographische und Städte-
beschreibung 73 Seiten ein. Sie bezieht sich auf
die drei Inselgruppen, die diese Kette zwischen Japan
und Formosa bilden.
Die nördlichen Inseln werden in den „ethnogra-
phischen Beiträgen" am meisten in Betracht gezogen
und zeichnen sich dadurch aus, dass hauptsächlich
die an japanischen und chinesischen Einflüssen zu-
zuschreibenden Kulturformen und Legenden erwähnt
werden. Diese spielen nach dem Jahrhunderte lan-
gen Verkehr mit den grossen Xachbarreichen und
267
ihrer Abhängigkeit von diesen eine auf den Vorder-
grund tretende Rolle. Fasat man die Absicht, „Bei-
träge" zu liefern, ins Auge, so ist jene Handelweise
auch sehr gut zu verteidigen. Bei der Behandlung
der Tätowierung und des Webens ergeht Verfasser
sich aber in ziemlich ausführlichen Betrachtungen
über Herkunft, Bedeutung u.s.w. derselben. Hier
würde es doch wohl angezeigt gewesen sein, mög-
liche malaiische Einflüsse wenigstens zu erwähnen,
denn die Insel Formosa liegt ganz in der Nähe
und die Fumes' entlehnten Tätwiermuster und das
ikat-Webemuster scheinen in der Tat auf südlicher
lebende Völker hinzuweisen. Die bezüglichen Aus-
führungen hätten dann wohl e!ne festere Grund-
lage gehabt. Wie dem auch sei, die Literatur über
die Riukiu-Inseln ist von Herrn Simon mit einem
hübschen Beitrag bereichert worden. Auch die 88
Abbildungen und Plänen im Text und die vier
farbigen Karten und eine farbige Webmuster-Tafel
tragen dazu bei. A. W. Nieuwenuuis.
XIX. W. Tbalbitzeb, The Ammasaalik Eskimo.
(Meddelelser on Grönland. Vol. XXXIX). Part 1.
Copenhagen 1914.
Die Eskimo von der Ostseite Grönlands haben in
den letzten Jahrzehnten das Interesse der Ethno-
graphen in hohem Masse erregt, am meisten wohl
dadurch, dass sie bis vor kurzem fast ohne Be-
rührung mit der Aussenwelt gelebt hatten und
somit ein geeignetes Material zum Studium einer
ursprünglichen Eskimokultur bilden.
Die wichtigsten VerötTentlichungen über diese
Stämme waren aber in dänischer Sprache erschie-
nen und hatten dadurch nicht die allgemeine Ver-
wendung gefunden, die sie ihres Interesses wegen
verdienten. Jetzt ist es Herrn W. Tiialbitzkb, der
in den Jahren 1906-1900 selbst eine Reise nach
den Küsten Ost-Grönlands unternahm, gelungen, das
Wesentliche unserer Kenntnisse über diese Völker
in englischer Sprache herauszugeben. Bereits diese
Umstände machen die Erscheinung dieses 750 Sei-
ten grossen Buches als erster Teil eines zweibän-
digen Werkes zu einer sehr verdienstvollen Leistung
auf ethnographischem Gebiet.
Herr W. Thalmtzeb hat nicht seine eigenen Er-
fahrungen zum Hauptinhalt dieses Bandes gemacht,
sondern diejenigen von G. Holm's Expedition in
den Jahren 1883-85 und von G. Amdrup's in den
Jahren 1898-1900. Zwar hatte er seine Reise zum
Zweck der Erforschung der geographischen und geo-
logischen Verhältnisse Ost-Grönlands unternommen,
aber während seiner Überwinterung in jenen Gegen-
den hat er die Ammassalik Eskimo gründUch kennen
gelernt.
Ausserdem ist ihm nach seiner Rückkehr die
ethnographische Bearbeitung von Amdrut's Samm-
lungen aufgetragen worden ; diese bildea eine wich-
tige Ergänzung zu den schon in den Jaliren 1883 -
1885 von Holm erworbenen. Holm's ethnographische
Beschreibung der von ihm entdeckten Ammassalik
Eskimo (147 S.) bildet den Anfang des Buches, die
ethnographische Bearbeitung der genannten d<mi-
scben Sammlungen von Ost-Grönland mit Heran-
ziehung von Daten aus anderen Gebieten der Es-
kimokultur nehmen die zweite Hälfte des Buches
ein, die anthropologischen und einige linguistischen
Aufsiitze stehen vorher.
In einem zusammenfassenden Schlusskapitel ver-
breitet Verfasser sich über die Wanderungen der
Eskimo, von welchen die ost-grönländischen die
östlichsten Niederlassungen einnehmen. Die Lite-
ratur über die Eskimo wird hier wie im ethnogra-
phisch beschreibenden Teil ausführlich berücksichtigt
und am Ende zusammengestellt. Ungefähr 400 Ab-
bildungen, teils neu teils aus den älteren Veröffent-
lichungen, illustrieren den Text in erwünschter Weise.
Beim Studium des Inhalts zeigt es sich, dass das
Ganze von einem wissenschaftlich gut geschalten
Forscher bearbeitet worden ist. Da der zweite Teil
des Werkes noch nicht zur Besprechung vorliegt,
werden wir mit einer eingehenderen Betrachtung
der Ergebnisse auf dessen Erscheinen warten.
A. W. Nieuwenuuis.
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