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Ditlianiſcher Rovellenfchag.
*
Erſter Theil.
Staliänif cher Rovellenſchah.
Erſter Theil.
”
©
- Italiänifcher Novellenſchatz.
. ——— —
Ausgewählt und überfegt
Aunnich
Adelbert Keller.
Erfter Theil.
—e — — I —— —— —
Leipzig:
F. A. Brockhaus.
1851.
Ital ET5 U
— ———
Erh md 2:25
‘ '
Vorwort.
Der Plan dieſes Werkes ift, eine chronologiſche
Reihe von charakteriſtiſchen Proben der italiänifchen
Grzählungstunft , eine Geſchichte der italtänifchen No⸗
velliſtik in Beiſpielen zu geben.
Die hundertundfunfzig Novellen, welche hier über⸗
ſetzt find, habe ich aus etwa viertehalbhundert Erzäh⸗
lern oder anonymen Erzählungsfammlungen audge-
wählt.
Ausgefchloffen von meiner Aufgabe blieb der größte
italtänifche Erzähler Giovanni Boccaccio. Die Biblio:
thek der Claſſiker des Auslandes, deren Theil mein
- Novellenfchat zu werden beſtimmt ift, bat eine aus⸗
gezeichnete Überfegung der fümmtlichen Novellen Boe⸗
cactio's bereits gegeben. Wem es um Erkenntniß
litterar⸗ hiſtoriſcher Entwidelung zu thun ift, der möge
Die Lefung des Decameron nad) meiner Auswahl aus
den fogenannten hundert alten Novellen, vor denen
des Franco Sackhetti einreihen.
‘
_
vI Borwort.
Die Auswahl der einzelnen Stüde zu begründen,
werde ich nicht nöthig haben. Eine fchwierige Klippe
in diefem Felde bilden die oft unfaubern Stoffe der
italiänifchen Erzählungen. Wer diefen Zweig der Lit-
teratur genauer kennt, wirb feben, daß ich die an-
.flößigen Stüde möglichft habe beifeit Liegen laſſen.
Manchen bin ich vielleicht diesfalls zu ängſtlich ge-
weien, andern aber wol zu frei. Ganz umgehen
fonnte ich dergleichen nicht, da bie fitterar=biftoriiche
Charakteriftit mein Hauptaugenmerk bleiben: mußte.
. Zu Abkürzungen oder Abfchwächungen einzelner Stel⸗
fen Tonnte ich mich aus demfelben Grunde nicht ent-
ſchließen: es fehlen mir dies der hiſtoriſchen Treue
zuwiderzulaufen, auch hätte dieſes Verfahren dann
meine Verantwortlichkeit für das Stehengebliebene ver⸗
größert. Immerhin iſt der Novellenſchatz kein Buch
für Jünglinge und Mädchen, ſondern für Männer,
und es gilt davon was Boccaccio über fein Deca-
meron an Maghinardo von Savalcanti fchreibt: Sane,
quod inclitas mulieres tuas domesticas nugas meas
legere permiseris, non laudo; quin imo quaero per
fidem tuam, ne feceris. Übrigens beftebt auch bier
das fittlich Verwerflichſte nicht in einzelnen Ausdrüden
und Schilderungen derber Sinnlichkeit, fondern mehr
in den oft ganz ‚verkehrten. ſophiſtiſchen Theorien,
Borwort. vu
welche über die Moralität aufgeftellt werden und gegen
Die nicht immer Die poefifche Gerechtigkeit geübt wird.
Befriedigung gewährt. daneben die Betrachtung, wie
die finnlichen und anftößigen Dinge häufig wechfeln
mit Beifpielen fittlicher Reinheit, Feftigkeit und Größe,
bingebender Zreue und Beftändigkeit, die wie weiße
Lilien hervorragen aus üppig blühenden und betäubend
duftenden Gewächſen.
Was ich bier dem Drude übergebe ift nur ein
Theil deſſen, was urfprünglich meine Abfiht war.
Ih wollte, nachdem ich alle mir zugänglichen italia- .
nifhen Novellen von frübefter Zeit bis auf unfere
Tage Durchgearbeitet, eine möglichft umfafjende Über:
fiht geben über das ganze von mir durchwanderte
Gebiet mit Rückſicht auf die perfünlichen Verhältniffe
der Erzähler, den Inhalt der Novellen, die Abflam-
mung und die Verzweigungen der Stoffe und bie
Bibliographie der Ausgaben und Sammlungen. Wie
ich theils felbft, theils- durch äußere nicht zu befeiti-
gende Hemmniſſe veranlaßt worden bin, von dieſem
meinen Plane abzufehen und einen drudferfigen aus-
führlichen litterarifchen Apparat zu Dem Novellenbuche
zurüdzuhalten, gehört nicht hierher. Doch darf ich
die Hoffnung ausfprechen, Daß es mir fpäfer noch
gelingen werde, Stimmung und Gelegenheit zur ab-
vm Borwort.
ſchließenden Wiederaufnahme und zur Veröffentlihung
meiner Studien über die Geſchichte der italiänifchen
Novelle zu gewinnen.
Tübingen, 9. Mai 1850.
A. Keller.
Inhalt des erſten Theils.
I. Aus den Yundert alten Novellen.
1. Bon der reihen Botfchaft, welche der Priefter Jo⸗ Seite
hann an den Kaiſer Friederich abſandte.......... 1
2, Von einem griechiſchen Weiſen, der gefangen war. 3
3. Der Erzähler Azzolino's....................... 6
4. Polo Traverfaro..... .................. ...... 7
5. Guglielmo von Bergdam, der vermeſſene Provenzale. 8
6. Troſt der Witwe................. ............ 10
7. Die Liebe Karl's von Anjou................... 11
8. Vom König Meliadus und dem Ritter ohne Furcht. 14
9. Dad Herz des Buhlers........................ 15
10. Der Gang nach dem Ziegelofen................. 17
11. Triſtano und Iſotta.............. ....... ...... 19
12. Eine ſchöne Liebesgeſchichte..................... 23
13. Der Hauptmann von Nortia⸗.................. 26
11. Rovellen von Franco Sacdetti.
14. Lob und Tadel..................... ......... 49
15. Der Müller und der Abt...................... 52
16. Die drei Gebote des Vaters................... 57
17. Piero Brandani............................. 63
18. Das Vermaͤchtniß............................ 68
19. Sonnella’8 Heimkehr................... ....... 7
%. Die Caſentiner Geſandten........ .............. 71
21. Der Bauer und der Sperber........ ....... 76
II. Aus dem Beeorone des Ser Giovanni Fiorentino
22. Galgano's Entſagung .............. ... ........ 81
23. Die Kunſt zu lieben........................ .. 85
24. Die Freundin des Cardinals.................... 97
. Wie ein Hahnrei durch Schläge gefröftet wird.... 106
X Inhalt.
Geite
26. Der Kaufmann von Venedig................... 111
27. Der liftige Freier..... ....................... 135
28. Hauskreuz................................... 142
29. Pariſer Theologen in Rom................. ... 146
30. Roͤmiſche Rache.............................. 153
31. Ein Deutſcher in Italien...................... 157
32. Bon den Guelfen und Ghibellinen..............- 164
33. Männerliſt.............. .................... 167
34. Spaniſch-deutſcher Krieg..................... . 19
35. Dionigia.................................... 197
36. Die Vergiftung.............................. 205
37. Baͤrenjagd................................... 213
IV. Luigi Pulei. | .”
38. Zwei Stüdlein aus Siena........ .... ......... 218
V. Gentile Sermini.
39. Ser Pack ...................... ......... 227
VI. Riecolo Macchiavelli.
40. Belfagor.................................... 240
VII. Bernardo Ilieino.
41. Sieniſcher Edelmuth......................... . 253
© VII. Mafueeio aus Salerno. —
42. Der unſchuldige Moͤrder................... zer. 275
43. Veronica.................................... 287
44. Der Barkenführer......-sencorcrece. ......... 206
IX. Rovelle eines Ungenannten.
45. Der dicke Zifchler...... .......... ......... u... 301
I. Aus den Sundert alten Movellen.
Um 1300.
1. Bon dee reichen Botfchaft, welche der Priefter
Johann an den Katfer Friederich abfandte.
(Nov. 2.)
Der Priefter Johann, ein fehr edler Herrſcher in
Indien, fandte eine reiche und edle Botfchaft an den
edeln und mächtigen Kaiſer Frieberich, welcher wahrhaft
ein Spiegel der Welt war in Reden und Sitten und
ein großer Freund von fehöner Rede, und fich bemühete,
meife Antworten zu geben. Der Zweck und die Abſicht
bei jener Borfchaft beftand nur in zwei Dingen: er wollte
nämlich genau prüfen, ob der Kaifer wirklich weile fei in
Meden und Handlungen. Er fehidte ihm dur befagte
Sefandte drei fehr edle Steine und ſprach zu ihnen: Gebt
fie dem Kaifer und richtet ihm aus von mir, er möge
euch Tagen, was das Beſte ift in ber Welt! Bewahret
feine Worte und Entfcheid, beobachtet feinen Hof und
Pal Gebräuche und erzählt mir, was ihr findet, ohne
ehl
Sie gingen zu dem Kaiſer, zu welchem ſie von ihrem
Herrn geſchickt wurden: ſie begrüßten ihn, wie es ſich
geziemte, im Namen Seiner Majeſtät und ſchenkten ihm
aus Auftrag ihres denbezuhneen Gebieters die oben⸗
genannten Steine. Er nahm ſie und fragte ſie nicht
nach ihren Eigenſchaften: er ließ ſie aufheben und lobte
fie ſehr wegen ihrer großen Schönheit. Die Geſandten
Staliänifcher Novellenfchag. I. 1
2 I. Hundert alte Novellen.
brachten ihre ragen vor und beobachteten bie Sitten
und den Hof. Darauf, nach wenigen Tagen, begehrten
fie Urlaub. Da ertbeilte ihnen der Kaifer die Antwort
und fprah: Nichtet mir an euren Gebieter aus, das
Befte auf diefer Welt fei dad Maß.
Die Boten gingen, meldeten e8 und erzählten, was
fie gefehen und gehört hatten, wobei fie des Kaifers Hof
fehr Iobten, ald welcher durch die fehönften Sitten ge-
fhmüdt fei, ebenfo das DBetragen feiner Ritter. Der
Driefter Iohann, ald er vernahm, was feine Botfchafter
berichteten, lobte den Kaiſer und fagte, er fei fehr weile
im Worte, aber nicht in der That, alldieweil er nicht
nad) der Eigenſchaft fo theurer Steine fich erkundigt
habe. Er ſchickte die Gefandten zurück und bot ihm an,
wenn es ihm gefalle, ihn zum Seneſchalk feines Hofes
zu machen. Er ließ ihm feine Reichthümer und bie ver-
ſchiedenen Stämme feiner Unterthanen erzählen und die
Beichaffenheit. feines Landes. Nach einiger Zeit dachte
der Prieſter Johann, die Steine, welche er dem Kaifer
gefchentt, Haben ihre Kraft verloren, da fie vom Kaiſer
nicht erfannt worden feien, nahm alfo feinen werthvollſten
Steintenner und ſchickte ihn heimlich an den Hof des
Kaifers mit dem Auftrage: Strenge deinen Verſtand aufs
äußerfie an, daß du mir diefe Steine wieberbringft!
Um keinen Preis foll mir's fehlen.
‚Der Steintenner machte fi auf den Weg mit vielen
Steinen von großer Schönheit und fing an, am Hofe
feine Steine zu faffen. Die Barone und Ritter famen,
feine Arbeit zu fehen. Der Mann war fehr Hug: wenn
“er einen fah, der am Hofe angeftellt war, fo verkaufte
er nichts an ihn, fondern gab zum Geſchenk; auch fheilte
er viele Ringe aus; bis endlich fein Lob vor des Kaifers
Ohren gelangte. Diefer ſchickte nach ihm und er zeigte
ihm feine Steine. Er lobte fie, aber nicht wegen ihrer
großen Kraft. Der Fremde fragte daher, ob er denn
foftbarere Steine habe. Darauf ließ der Kaifer die drei
1. Bon der Botſchaft des Priefters Johann. 3
koſtbaren Steine kommen, welche jener zu fehen wünfchte.
Nun freute fich der Steinfenner, nahm einen in die Hand
und ſprach: Diefer Stein, gnäbiger Here, ift bie befte
Stadt werth, bie ihr befiget.
Dann nahm er den andern und ſprach: Diefer, gnä-
diger Herr, ift die befte Provinz werth, die ihr befige.
Und dann nahm er den dritten und ſprach: Gnädiger
Herr, biefer ift mehr werth ale das ganze Reich.
Damit ſchloß er die obenbefagten Steine in feine Faufl.
Die Kraft eines derfelben machte ihn unſichtbar, ſodaß
fie ihn nicht mehr bemerkten. Er ftieg die Treppen hinab,
kehrte zu. feinem Herrn zurück und überreichte ihm bie
‚Steine mit großer Freude.
2. Bon einem griechifchen Weifen, der gefangen war,
(Men. 3.)
Rn Griechenland mar ein Herr, welcher Königskrone
trug und hatte ein großes Königreih. Er mar geheißen
Philipp und hielt wegen irgend eines Vergehens einen
griechifhen Weifen im Gefängnif. Diefer befaß fo große
Wiffenfchaft, daß fein Verftand bis über die Sterne reichte.
Es begab fich eines Tages, daß dem Herrn aus Spanien
ein edles Schlachtroß gefchentt ward von großer Stärke
und fehönem Anfehen. Da verlangte der Herr nad) ſei⸗
nem Marfchalt, um die Güte des Noffes zu erfahren;
es warb ihm aber gefagt, er habe in’feinem Gefängniß
den unübertrefflihen Meifter, der in alle Dinge Einſicht
babe. Er ließ das Roß auf das Feld führen und den
Griechen aus dem Gefängniß holen und ſprach zu Ihm:
Meifter, befchaue dieſes Roß! denn es ift mir gemeldet
worden, daß du dich fehr darauf verfteheft.
1*
4 1. Hundert alte Novellen.
Der Grieche befchaute das Roß und fprah: Gnä-
deger Ders, das Pferd fieht zwar gut aus, aber ich
fage euch fo viel, daß das Pferd mit Eſelsmilch aufge⸗
zogen iſt.
Der König ſchickte nach Spanien, um zu erfahren,
wie es aufgezogen worden ſei, und ſie fanden, daß die
Stute gefterben war und das Fohlen mit Eſelsmilch
hatte aufgezogen werben müſſen. De König vermun-
derte fi) darob fehr und verorbnete, bag man ihm täg-
lich auf Koften des Hofes ein halbes Brot reihe. Eines
Tages begab es ſich, daß der König feine Edelfteine fam-
melte; er fandte nad, jenem griechifchen Gefangenen und
ſprach: Meifter, du haft große Wiffenfchaft und ich glaube,
du verftehft dich auf alle Dinge. Sage mir, wenn bu
dih auf die Steine verfichft, welchen hältft du für dem
werthyollften?
Der Grieche befchaute fie und ſprach: Gnädiger Herr,
welchen habt denn ihr am liebften?
Der König nahm einen fehr fchönen Stein aus ben
andern hervor und fagte: Meifter, diefer fcheint mir der
fhönfte und werthvollſte.
Grieche nahm ihn, ſchloß ihn in feine Fauſt,
drückte ihn feſt, hielt ihn alsdann an die Ohren und
ſagte darauf: Gnäadiger Herr, bier iſt ein Wurm.
Der König ſchickte nach Meiftern, ließ den Stein in
Stücke brechen und fie fanden darin wirklich einen Wurm.
Da lobte er den Griechen megen feines. wunderbaren
Geiſtes umd fegte feit, daß ihm des Tages ein ganzes
Brot gegeben werde auf Koften feines Hofes. Sodann
nach geraumer Zeit Fam es dem König in ben Sinn,
er fei nicht rechtmäfiger König. Er ſchickte nach dem
Griechen, nahm ihn an einen geheimen Ort und fing
an alfo mit ihm zu fprechen: Meifter, ich traue bit
große Wiffenfchaft zu und es Be ſich klärlich aaeigt in
den Dingen, um die ich bich befragt habe. Du follft
mir nun fagen, weß Sohn ich bin.
T
2. Bon einem griechifchen Weiſen, der gefangen war. 5
Der Grieche antwortete: Gnadiger Herr, welche Frage
legt ihre mir vor? Ihr wißt wol, daß ihr der Sohn
des und des Vaters feid.
Der König aber antwortete: Antworte mir nicht
ſchmeichleriſch! Sage mir ohne Scheu die Wahrheit,
und wenn du mir fie nicht fagft, fo Laffe ich dich eines
ſchlimmen Todes fterben.
Darauf antwortete denn der Grieche: Gnaͤdiger Herr,
ich fage euch, ihr ſeid der Sohn eines Bäckers.
„Und der König fagte: Ich will es von meiner Mutter
erfahren.
Er fandte zu der Mutter und zwang fie mit grau-
famen Drohungen zum Geftändnif, bis die Mutter die
Wahrheit bekannte. —— ſchloß ſich der König mit
dem Griechen in ein Gemach ein und ſagte: Lieber
Meiſter, ich babe große Proben deiner Weisheit gefchen.
3 bitte dich, daß du mir fageft, wie bu dieſe Dinge
weißt.
Da antwortete,der Grieche: Gnädiger Herr, ich will
es euch fagen. Daß das Pferd mit Eſelsmilch aufge
zogen fei, erkannte ich durch mein eigenes natürliches
Gefühl, denn ich fah, daß es die Ohren auf eine Art
gefenft hielt, welche der Natur des Pferdes nicht eigen
it. Den Wurm in dem Stein erfannte ich daran, daß
die Steine von Natur kalt find, dieſen aber fand ich
warm. Warm Fann er von Natur nicht fein, aufer
durch ein Thier, welches Leben in ſich hat.
Und wie erfannteft du, daß ich eines Bader Sohn
fei ?
Der Grieche antwortete: Gnädiger Herr, ale ich euch
über das Pferd etwas fo wunderbares fagte, beftimmtet
ihr mie zum Lohn ein halbes Brot des Tages, und dann,
als ich euch über den Stein weiſſagte, beſtimmtet ihr
mir ein ganzes Brot. Seht, da merkte ich, weſſen Sohn
ihr ſeid. Denn wenn ihr ein Koönigsſohn waͤret, fo hättet
ihr es noch für ein kleines Geſchenk erachten müffen,
6. I. Hundert alte Rovellen.
wenn ihe mir eine edle Stadt verliehen hättet; eurer Ge-
burt nach aber Fam es euch genug vor, mich mit Brot
zu belohnen, wie euer Vater that.
Da erkannte der König feinen. niedrigen Geiz, befreite
ihn aus der Gefangenfchaft und beſchenkte ihn fehr reich.
3. Der Erzähler Azzolino's.
(Nov. 30.)
Herr Azzolino*) hatte einen Erzähler, welcher ihn in
den Langen Winternächten unterhalten mußte. Eines
Abende nun hatte ber Erzähler großes Verlangen zu
ſchlafen, Azzolino aber bat ihn, ihm etwas vorzuplau-
dern. Da begann ber Erzähler eine Gefchichte von einem
Bauer, welcher feine Hundert Gulden**) im Beutel hatte.
Der ging auf einen Markt, um Schafe zu kaufen, und
befam zwei um einen Gulden. Als er mit feinen Schafen
heimfehrte, war ein Fluß, über den er gekommen mar,
unterbeffen durch einen heftigen Regen ſtark angefchwollen.
Da ftand er am Ufer und ſchaute hinüber, bis er einen
armen Fifcher erblickte mit einem ganz unglaublich klei⸗
nen Nachen, ſodaß niemand hineinging, als der Bauer
und ein einziges Schaf auf einmal. Der Bauer fing
alſo an, mit einem Schafe überzufegen und fing an zu
rudern. Der Fluß mar breit. Er rudert und kommt
hinüber.
Der Erzähler hielt inne und ſprach nichts mehr.
Nun mas machft du? fragte Herr Azzolino. Fahr
fort! "
Ezzelin da Romano, geftorben 1260.
) Bisanti. Maßmann's Eraclius, ©. 362. Nah der Erusca ift
1-Bifante = 1 Ziorino.
3. Der Erzähler Azzolino's. — A. Polo Traverſaro. 7
Der Erzähler antwortete: Gnaͤdiger Herr, laßt erſt
die Schafe hinüberkommen und dann mollen wir die
Geſchichte meiter erzählen.
Die Schafe wären aber in einem ganzen Jahre
nicht hinübergefommen. Und fo konnte er gut in Ruhe
fchlafen.
4. Solo Zraverfaro.
(Nov. 41.)
Meffer Polo Traverfaro war aus der Romagna und
war der vornehmfte Mann in ber ganzen Romagna,
und er beherrfchte fie faft ganz in gutem Frieden. Er
hatte drei fehr Iuftige Ritter, und fie meinten, in ber
ganzen Romagna fei niemand, der mit ihnen zu vieren
figen könne. Wo fie daher Hof hielten, hatten fie eine
Bank zu dreien, und mehr gingen darauf nicht bin,
erfühnte fi) auch Feiner, darauf zu figen, aus Furcht
vor ihrem Muthwillen. Und obwol Meffer Polo ihr
Herr war und fie in andern Dingen ihm gehorchten,
fo pflegte er doch an biefem luſtigen Orte ſich nicht
niederzufegen, wenn fie auch bekannten, daß er ber
beſte Mann der Romagna. fei und der am nächften An-
fpruch hätte auf den vierten Plag, mehr als irgend ein
anderer. Was thaten bie drei Ritter, als fie gemahrten,
daß Meffer Polo ihnen zu viel nachfolget Sie machten -
das Thor eines ihrer Paläfte enger, dag er nicht herein-
fonnte. Der Mann war fehr wohlbeleibt: da er nicht
bineintonnte, zog er fih aus und trat im Hemde ein.
Als fie das hörten, gingen fie zu Bette und ließen fi
zudeden, als wären fie krank. Meſſere Polo glaubte
fie bei Xifhe zu finden und fand fie im Bette. Da
fprach er ihnen zu, fragfe fie nach ihrem Gebreften, gab
8 I. Hundert alte Rovellen.
ihnen guten Rath, nahm Abſchied und ging von bannen.
Da fagten die Ritter: Das ift fein Spaß.
Sie gingen auf die Befigung bed einen, wo ein
ſchönes Schlöfichen war mit Gräben und einer Zugbrüde;
dort nahmen fie fi) vor, den Winter zuzubringen. , Eines
Tages kam Meffer Polo dahin mit ftattlicher Gefellichaft,
und als fie hineinwollten, zogen jene die Brüde auf.
Er mochte fagen fo viel er wollte, fie famen nicht hinein.
Sie kehrten zurüd. Als der Winter vorüber war, kamen
die Ritter in bie Stadt. Mefier Polo ftand. bei ihrer
Rückkehr nicht auf und fie blieben denn auch ftehen und
einer von ihnen fagte: Zum Henker, Mefier, ift das
eure Höflichkeit? Wenn Fremde in bie Stadt kommen,
erweiſt ihr ibpen Feine Ehre?
Mefler Polo antwortete: Verzeiht mir, Meſſere, ih
—* mich nicht, hat ſich ja die Brücke für mich er⸗
oben. 0
Nun erhoben die Ritter darüber großen Jubel. —
Einer von ihnen ftarb, da fägten die andern fein Drittel
von der Bank ab, auf der fie faßen; denn ba ber britte
geftorben war, fanden fie in der ganzen Romagna Feinen
Nitter, der verdient hätte, an feiner Stelle zu figen.
5. Guglielmo von Bergdam, der vermeffene Provenzale.
(Nov. 42.)
Guglielmo -von Bergbam *) mar ein edler Ritter in
der Provenze zur Zeit des Grafen Raimondo Berlinghieri.
Eines Tages begab es fich, daß die Ritter fich berühmten,
*) Lieder Guillem’5 von Berguedan, herausgegeben von X. Keller
(Mitau 1849).
5. Guglielmo von Bergdam, der vermeflene Provenzale. 9
und Guglielmo prahlte, es fei fein Edelmann in der
Provenze,. den er nicht aus dem Sattel gehoben und bei
deffen Frau er nicht gefchlafen hätte. Und das fagte er
vor den Ohren des Grafen. Da’ verfegte der Graf:
Und mid auh? Wie?
Guglielmo fagte: Euch, Herr? Ich will e8 euch fagen.
Ließ fein Streitroß kommen, gefattelt und wohlge⸗
gürtet, fchnallte die Sporen an und fegte den Fuß in
den Bügel. Dann befann er fich eine Weile, fagte zum
Strafen und fprah: Euch, Herr, begreife ich’ nicht mit
und nehme euch nicht aus.
Damit flieg er zu Pferde, gab ihm die Sporen und
ritt von dannen. Der Graf war fehr erzürnt, daß er
niht zu Hofe Fam. Eines Tages kamen Frauen zu
einem vornehmen Gaftmaht zufammen: fie ſchickten nad)
Guglielmo von Bergdam aus; die Gräfin war auch
dabei; und fie fprachen: Run fag’ uns, Guglielms,
marum haft du die provenzalifchen Frauen fo befchimpft?
Das follft du ſchwer büfen. .
Jede hatte ein Meffer unter dem Kleide. . Die Spre-
herin fuhr fort: Sieh, Guglielmo, wegen beiner Ver:
meffenheit mußt bu fterben.
Guglielmo hub an und fprach, als er fah, daß er fo
in die Falle gerathen mar: Nur um eines bitte ich euch,
ihr Frauen, fhut mir’s zu Liebe und gewährt es!
Die Frauen antworteten: Bitte, nur nicht um beine
Sreilaffung.
Da hub Guglielmo an und ſprach: Gnädige Frauen,
ih bitte mir aus, daß diejenige von euch, die am we⸗
nigften Zeufch ift, mir den erſten Streich verfege.
Da fah eine die andere an; aber feine wollte an-
greifen, und fo fam er für diesmal durch.
1**
10 1. Hundert alte Novellen. ‘
6. Troſt der Witwe,
(Nov. 56.)
Der Kaifer Friederich*) ließ eines Tages einen vorneh⸗
men Edelmann wegen irgend einer Miſſethat aufhängen,
und um die gerechte Strafe in ein helles Licht zu ſtellen,
ließ er ihn von einem vornehmen Ritter bewachen mit
Androhung ſchwerer Buße, wenn er ihn abnehmen ließe.
Als aber der Wächter etwas nachlaͤßig war, wurde ber
Gehentte weggetragen. Als jener das merkte, ging er
mit fi zu Rathe, aus Furcht, er möchte den Kopf
verlieren. Es war Nacht, und indem er fo nadfann,
fiel es ihm ‚ein ‚ in eine Abtei zu gehen, die nahe babei
lag, um zu erfahren, ob er jemand finden Tonne, ber
kürzlich geftorben wäre, damit er diefen an bie Stelle
bed entwenbeten an den Galgen hinge. In der Abtei
angelangt, fand er dafelbft eine Frau, jammernd mit
zerrauften Haaren und aufgelöften Kleidern. Sie klagte
fehr, war ganz troſtlos und meinte um ihren theuren
Gatten, der defjelbigen Tages geftorben war. Der Ritter
redete fi ie freundlich an und fragte: Edle Frau, wus ift
das für ein Treiben?
Die Frau antwortete: Ich liebte ihn fo ſehr, daß ich
nie mehr Troft empfangen will; fondern in Klagen will
ich meine Tage befchließen.
Da fagte ber Ritter zu ihr: Liebe Frau, wo ift euer
Witz? Wollt ihr hier vor Schmerz umlommen? Durch
Jammer und Thränen Eönnt ihr den Todten doch nicht
wieder ind Leben rufen.” Welche Thorheit ift es darum,
euch fo zu geberdben! Macht es vielmehr fo: nehmt mic)
zum Mann! Ich bin unverheirathet. Und rettet mir
baburch mein Xeben, denn ich bin in Gefahr und weiß
”) N Sram’ Gedichte des Mittelalters auf Friedrich I. den Staufer,
6. Troſt der Witwe. — 7. Die Liebe Karl's von Anjou. 11
nicht, wo ich mich verbergen fol. Ich Habe nämlich .
auf Befehl meined Heren einen Ritter bewacht, der ge
benft war, und bie Leute feiner Familie haben mir ihn
entwendet. Zeigt mir Rettung, wenn’s euch möglich ift,
fo will ich euer Gatte werben und euch in Ehren halten.
Sobald die Frau foldhes hörte, verliebte fie ſich in
diefen Ritter und fprach: Ich will tun, was bu mir
gebieteit; fo groß ift die Liebe, die ich zu dir trage.
Nehmen wir diefen meinen Gatten aus dem Grabe,
beingen ihn bin und hängen ihn an die Stelle bes ent-
mendeten!
- Damit hemmte fie ihre Klage, half den Gatten aus
der Gruft ziehen und half gleichfalls den Todten auf-
hängen. Der Ritter aber fagte: Liebe Frau, jener hatte
einen Zahn weniger im Munde, und ich fürchte, wenn
man wieberfäme, um ibn. zu befichtigen, fo möchte ich
.davon- Schande erleben.
Als fie das hörte, brach fie ihm einen Zahn aus dem
Munde, und wenn noch etwas anderes erfoberlich geweſen
wäre, fo hätte fie es auch gethan. Als der Ritter fah,
wie fie mit ihrem Gatten umgegangen war, fagte er:
Liebe Frau, da ihr euch fo wenig aufrichtig um ben
befümmert habt, den ihr fo fehr zu lieben fchienet, fo
würdet ihr. euch noch viel weniger um mich reblicy be=
kümmern.
Damit ließ er ſie und ging ſeinen Geſchäften nach;
ſie aber hatte die Schmach und Schande.
7. Die Liebe Karl's von Anjou.
(Nov. 60.) |
Karl der edle König von Sicilien und Ierufalem
verliebte ſich, als er noch Graf von Anjou war, in eine
ſchöne Gräfin von Teti,. welche ebenfo den Grafen von
12 I. Hundert alte Rovellen.
Univerfa*) liebte. Zu jener Zeit hatte der König von
Frankreich bei Xobesftrafe verboten zu turnieren. Der
Straf von Anjou aber wollte verfuchen, welcher von bei-
den mit ben Waffen mehr vermöge, er oder der Graf
von Univerfa, teaf denmach feine Vorkehrungen und
drang mit den inftändigften Bitten in Meſſer Alardo .
be’ Valleri, eröffnete ihm feine Liebe und daß er ſich
vorgenommen, in offenem Kampfe ſich mit dem Grafen
von Univerfa zu verfuchen, ex bat ihn alfo um bie Kiebe,
ihm eine Exrlaubnif vom Könige zu erflehen, daß er nur
ein einziged Turnier halten dürfe mit feiner Genehmigung.
Jener fragte, wie. Der Graf von Anjou .unterwied ihn
folgendermaßen. Der König ift faft zum Kopfhänger
geworden und aus großem Wohlwollen gegen euch hoffte
er euch dahin zu bringen, daß ihr geiftliche Kleider nehmt,
um euren Umgang zu behalten. Wenn er euch nun
darum erfucht, fo bittet euch ald Gnade aus, baf er euch
ein einzige® Zurnier befichen läßt. Dann wollet ihr thun
nach feinem Gefallen.
Und Meſſer Alarbo antwortete: Sage mir Doc,
Graf, foll ich die Genoffenfhaft der Ritter meiden um
eined einzigen Turniers willen ?
Der Graf antwortete: Ich verfpreche euch auf mein
Wort, ich will euch davon wieder losmachen.
Und das that er auch, wie ich euch nachher erzählen
will. Meffer Alardo ging zum König von Frankreich
und ſprach: Herr, als ih die Waffen nahm am Tage
eurer Krönung, trugen die beften Ritter von der Welt
Waffen; nunmehr will ich euch zu Xiebe die Welt ganz
verlaffen und das geiftliche Kleid nehmen. Geruhet da-
für mir nur eine Zöniglihe Gnade zu erweifen, daß ich
nämlich ein Zurnier halten darf, bei welchem bie edeln
Nitter Waffen führen, damit ich meine Waffen feierlich
nieberlege, wie ich fie genommen.
*) Bieleiht'ift Antwerpen gemeint. Statt Karl von Anjou lieft der
Drud Benevetti’s Carlo Magno.
7. Die Liebe Karl's von Anjou. 13
Der König gewährte ed. Es wurde ein Zurnier
veranftaltet. Auf der einen Seite fand der’ Graf von
Univerfa und auf der andern ber Graf von Anjou.
Die Königin mit Sräfinnen, Damen und Fräulein von
edler Abkunft fianden unter den Rauben, auch die Gräfin
von Xeti mar dabei. An bemfelbigen Tage war die
Blüte der Ritter der Welt auf beiden Seiten unter
Waffen. Nach vielem Turnieren ließ der Graf von Anjou
und der von Univerfa den Kampfplag leeren und traten
einander entgegen auf gewaltigen Schlachtroffen, mit diden
Speeren in der Hand. Nun begab e& ſich, daß mitten
auf dem Sampfplag das Schlachtroß des Grafen von
Univerfa mit diefem über ben Haufen fiel, meshalb die
Frauen aus den Lauben herabfamen und ihn hold in
den Armen megtrugen. Auch die Gräfin von Teti war
darunter. Der’ Graf von: Anjou jammerte heftig und
ſprach: Weh mir, warum ift nicht mit mir das Pferd’
geftürzt, wie mit dem Grafen von Univerfa, daß die
Gräfin mir fo nahe gefommen wäre, wie ihm!
As das Turnier vorüber war, ging ber Graf von
Anjou zur Königin und bat fie um die Gnade, aus
Liebe für die edeln Ritter Frankreichs mit dem König
zu ſchmollen und bei der Berföhnung ihn um eine Ver⸗
günftigung anzugehen, dafür nämlich, daß es dem Könige
gefällig fein möge, daß die jungen Ritter Frankreichs
nicht einen fo edeln Genoffen vermiffen dürfen, wie den
Meſſere Araldo von Valleri. Die Königin ging dar-
auf ein. Sie fchmollte mit bem König und bei ber
Verſöhnung bat fie ihn um das, maß fie wollte. Der
König verſprach ihr das Geſchenk. Meffer Araldo wurde
fonach ſeines Verſprechens entbunden und blieb bei den
andern edeln Rittern unter Zurnier und Waffenwerk und
der Ruf geht durch die ganze Welt von feiner großen
Güte und andern wunderbaren Vorzügen.
14 1. Hundert alte Rovellen.
8. Vom König Meliaduß und dem Ritter ohne Furcht.
(Nov. 60.)
Der gute König Meliadus und ber Ritter ohne Furcht
waren einander Todfeinde im Feld. ALS eined Tages diefer
Mitter ohne Zucht nad) irrender Ritter Weife unfenntlich
umherzog, fand er feine Knechte, die ihn fehr Tiebten,
aber nicht kannten, und fprachen zu ihm: Herr Ritter,
auf Nitterwort, mer ift ein beſſerer Ritter, der gute
Ritter ohne Furcht oder der gute König Meliadus?
Und der Ritter antwortete: Ihr Knechte, fo wahr
mir Gott helfe, der König Meltadus ift der befte Ritter,
der auf einem Sattel figt.
Die Knechte aber, welche dem ‚König Meliadus übel
wollten aus Liebe für ihren Herrn und ihn haften auf
den Tod, fielen verrätherifch und unfchidlich über ihn
ber, legten ihn gewaffnet, wie er mar, quet über einen
Klepper und riefen indgemein, fie führen ihn zum Galgen.
Während fie fo ihres Wegs zogen, fanden fie ben König
Meliadus, welcher gleichfalls nach irrender Ritter Weife
zu einem "Turnier zog und fein Wappen verbedt hielt.
Der fragte die Knechte: Warum führt ihr diefen Ritter
zum Galgen? und wer ift es, den. ihr fo ſchmachvoll
entehret?
Sie antworteten: Gnädiger Herr, er hat den Tod
wohl verdient, und wenn ihr es wüßtet, wie wir, fo
würbet ihr ihn viel eher, ale wir, fo führen. Fragt ihn
felbft um feine Miffethat!
Der König Meliadus trat vor und ſprach: Ritter,
was haft du denen zu Leib gethan, die dich fo garftig
bahinführen ?
Der Ritter antwortete: Nichts weiter und keine andere
Miffethat habe ich gethan, als daß ich ber Wohrheit die
Ehre gegeben babe.
8. Bom König Meliadus. — 9. Das Herz des Buhlers. 15
Wie fo? fragte der König. Das kann nit fein.
Erzählt mir doch euer Vergehen!
Und er antwortete: Gerne, Herr! Ich zog fo meines
Weges nad ircender Ritter Weife, fand diefe Knechte
und ward von ihnen auf Ritterwert befragt, wer der
beſſere Ritter ſei, der gute König Meliadus oder der
Ritter ohne Furcht. Um bei der Wahrheit zu bleiben,
ſagte ich, der König Meliadus ſei der beſſere, und ich
ſagte das blos, um die Wahrheit zu ſagen, obgleich der
König Meliadus im Felde mein Todfeind iſt und ich ihn
tödtlich haſſe; aber ich wollte nicht lügen. Eine andere
Miſſethat habe ich nicht begangen, und um deswillen
allein beſchimpfen ſie mich.
Da begann der König Meliadus die Knechte zu
ſchlagen, befreite ihn und ließ ihn losbinden und ſchenkte
ihm ein reiches Roß mit verhüllter Decke, bat ihn auch,
ſie erſt in ſeiner Wohnung aufzudecken. So ſchieden ſie
und jeder ging ſeines Weges, der König Meliadus und
die Knechte. Der Ritter ohne Furcht kam am Abend
zu ber Wohnung, nahm die Dede vom Sattel und
fand das Wappen des Königs Meliadus, der ibn fo
ſchön befreit und beſchenkt hatte und doch war er fein
Todfeind.
9. DaB Herz des Buhlers.
(Nov. 62.)
Der Berg Arimini ift in Burgund und dort lebt
ein Herr Namens Meffer Roberto und es ift eine große
Graffhaft. Die alte Gräfin und ihre Rammerfrauen
hatten einen einfältigen Thürhüter, der war fehr groß
von Geftalt und hieß Baligante. Eine der Kammer-
16 ' I. Hundert alte Rovellen.
frauen fing an bei ihm zu fchlafen; dann offenbarte fie
ed einer andern, fodaf es weiter ging bis zur Gräfin.
Als die Gräfin hörte, daß er fehr groß gemeffen war,
fihlief fie auch bei ihm. Der Herr fpähte ed aus. Er
ließ Ihn ermorden und ließ aus dem Herzen einen Kuchen
machen und brachte ihn der Gräfin und ihren Kammer
frauen und fie aßen ihn. Nah dem Effen fam ber
Herr, um den Hof zu machen, und fragte, wie bie
Torte geweſen fei. Alle antworteten: Gut.
Da antwortete der Herr: Da ift fein Wunder, daß
Baligante euch lebend gefallen hat, wenn er euch noch
als todt gefällt.
Als die Grafin und die Kammerfrauen dies merkten,
fhämten fie fih und fahen mol, daß fie ihre Ehre für
diefe Welt verloren hatten. Darum wurden fie Nonnen
und machten ein Klofter, welches das Klofter der Nonnen
von Berg Rimino Hief. Das Haus nahm zu und ward
fehr reich. Und dies erzählt man als wahre Geſchichte.
Dort iſt die Sitte, wenn ein Edelmann vorbeikam mit
vielem Geräth, den luden ſie ein und erwieſen ihm die
größte Ehre. Und die Abtiſſin und die Schweftern kamen
ihm entgegen und die, die ihm am beften gefiel, Die wartete
ihm auf und begleitete ihn zu Zifch und zu Bett. Am
Morgen ftand fie auf, fuchte ihm Waſſer und Zwehle,
und wenn er gewaſchen war, bot ſie ihm eine leere Nadel
und einen Seidenfaden. Nun mußte er, wenn er ſich
losmachen wollte, den Faden in das Ohr ſtecken, und
wenn ihm das drei mal hintereinander mislang, nahmen
ihm die Frauen alle ſeine Habe und gaben ihm nichts
zurück; wenn er aber den Faden drei mal in die Nadel
brachte, ſo gaben ſie ihm nicht nur ſein Geräth zurück,
ſondern ſchenkten ihm auch noch ſchoͤne Kleinode.
10. Der Gang nad dem Ziegelofen. 17
10. Der Gang nad dem Ziegelofen.
(Nov. 68.)
Ein reicher Edelmann hatte einen einzigen Sohn,
und als er herangewachſen mar, fchidte er ihn in den
Dienft eines Königs, damit er dafeldft Artigkeit und
edle Sitten lerne. Weil er fih nun bei dem König
jehr beliebt machte, faßten einige Neid gegen ihn und
beftachen einen der vornehmften Ritter des königlichen
Hofes durch Geld und gute Worte, daß er auf folgende
Weiſe den Untergang des Jünglings anfliftete. Eines
Tages berief diefer befagte Ritter diefen Knaben heimlich
zu ſich und fagte ihm, mas er ihm nun mittheilen werde,
thue er wegen der großen Liebe, die er zu ihm frage;
und darauf fagte er zu ihm: Mein liebfter Sohn, unfer
Herr der König liebt dich mehr als alle feine Diener;
aber er hat fich geäußert, daß du ihm durch den Athem
deines Munbes gar fehr beſchwerlich falleſt. Sei baber
um Gottes willen Elug und wenn du ihm den Trank
reichft, halt Mund und Nafe fo mit der Hand zu und
wende dein Geficht auf die Seite, daß dein Hauch den
König nicht beläftige!
Als der Jüngling bies einige Zeit that und der König
deshalb fehr ärgerlich war, berief er ben Ritter, der jenem
diefe Anweifung gegeben hatte, und befahl ihm, wenn
er ben Grund bavon wiſſe, ihm felbigen ungefäumt zu
fagen. Diefer gehorchte dem König, Eehrte aber die Sache
ganz um, benn er fagte, jener Knabe könne den Hauch
aus dem Munde des Königs nicht mehr ertragen. Des-
halb befchieb der König auf das Anftiften jenes Barons
einen Ziegelbrenner und befahl ihm, den erften Boten,
den er an ihn abfende, in den glühenden Ofen zu werfen; -
und wenn er e& nicht thue oder diefe Sache irgend jemand
offenbare, drohte er ihm eidlich, er werde ihm den Kopf
18 1. Hundert alte Rovellen.
abbauen. Der Ziegelbrenner verſprach ihm alles willig
zu vollbringen, ftedte einen großen Ofen an und wartete
ängftlich, bi8 der komme, der diefe Strafe verdient habe.
Am folgenden Morgen wurde der unfchuldige Knabe von
dem König zu dem Ziegelbrenner geſchickt, mit dem Auf:
trag, ihm zu fagen, er folle ausführen, was der König
ihm befohlen habe. Er ritt bin und war fchon nahe
bei dem Dfen, als er zur Meffe Iäuten hörte. Er flieg
daher vom Pferd, band ed am Kreuzgang der Kirche an
und hörte andächtig die Meſſe. Darauf ging er nad
dem Dfen und fagte zu dem Ziegelbrenner, was ihm
der König befohlen hatte. Der Ziegelbrenner aber gab
ihm zur Antwort, er babe fchon alles gethban. Der
Hauptanflifter jener Bosheit nämlih war, um bie
Sache zu befchleunigen, bingegangen und hatte. den Zie-
gelbrenner gefragt, ob er die Sache ausgeführt habe.
Diefer fagte ihm, er habe den Befehl des Königs noch
nicht vollzogen, werde es aber alsbald thun. Daher
pacdte er diefen und warf ihn unverzüglich in den bren-
nenden Ofen. Der Jüngling kehrte daher zum König
zurüd und meldete, ed fei gefchehen, was er befohlen
habe. Darüber verwunderte fich der König und forfchte
forgfältig ya), um zu erfahren, wie die Sache gegangen
ſei. Und als er den wahren Hergang entdeckt, hieb er
alle die Neider, welche den unfchuldigen Jungen betrogen
batten, in Stüde und fagte dem vorbemeldten Jüngling
alles, wie es fich zugetragen hatte. Darauf machte er
ihn zum Ritter und ſchickte ihn mit vielen Reichthümern
zurüd in fein Land.
J
II. Triſtano und Iſotta. 19
11. Triſtano und Iſotta.
(Roy. 99.)
Als Triſtano von Hein Britannien zurüdgefehrt und
bei Madonna Iſotta war, erzählte er-ihr, mas ihm da-
felbft begegnet und wie er fie aus ber Knechtfchaft befreit
habe, und das ganze Abenteuer bes Schmerzenthals und
mit Membruto dem fihmwarzen, welchen er getöbte. Und
Madonna Iſotta begann darüber heftig zu weinen aus
Mitleid und wegen der Gefahren, die er dort beftanden.
Und darauf erzählte er ihr, wie fein Schwager Ghedino
gefommen fei und mie fie fich mit ganzer Liebe lieben,
und. Triſtano brachte es fo weit, daß Ghedino mit Frau
Iſotta mehrmals ſprach und meit öfter, als ihm dienlich
war, denn er verliebte ſich in fie und fie deuchte ihm
fo ſchön, daß er zu fterben mwähnte Als er nun all-
mälig Effen, Trinken und Schlafen verloren hatte und
ſolche Pein und Mühfal litt, daß er geradezu den Tod
erwartete, gedachte er einen Brief an Frau Sfötta zu
fenden, um ihr fund zu thun, wie. er aus Liebe zu ihr
dahinfterbe, und es möge ihr gefallen, ihm einen Troſt
zu fenden. Die Königin erhielt den Brief, las ihn und
fah, daß, wenn fie ihm nicht einen guten Troſt fende,
er fterben müffe. Und da fie fah, daß Zriftano ihn mit
ganzer Liebe liebte, und alle Tage klagte über fein Uebel⸗
befinden und unabläffig fagte, es fei fehr fihade um ihn,
fo gedachte deshalb die Königin, ihn zu teöften, bis er
geheilt fei, und fobald er geheilt wäre, wollte fie ihn
binmwegfchiden aus dem Königreich Kornwall und ihm
feine große Thorheit vorhalten. Sie ſchickte ihm daher
einen Brief mit Träftigem Troſte und Ghedino ging ber
Genefung entgegen. Triftano Fam auch oft zu ihm, um
ihn zu tröften, und als er eines Tages hinging, fiel
dem Zriftano der Brief in die Hand, welchen Ghedino
20 I. Hundert alte Rovellen.
an Frau Iſotta geſchickt hatte, und der, den fie ihm
zugefandt hatte, um ihn zu teöften; und als er es ge-
lefen hatte, fühlte er fich fo unglüdlih, daß er ganz
vafend wurde, und ging gerades Wegs zu Frau Iſotta,
und als er ſie ſah, fing er an, heftig zu weinen und
zu ſprechen: Ich bin ſehr betrübt , daß ihr mich mit
Ghedino vertaufcht habt; und da ihre mich gegen ihn
vertaufcht habt, will ich nicht mehr leben.
Sie wollte ſich entfchuldigen; er aber ſprach: Frau,
e8 hilft euch keine. Ausrede, denn feht bier den Brief
von eurer Hand!
Dann begann er die jämmerlichfte Klage von der
Welt zu erheben und fagte, er wolle nicht mehr leben,
und ſchied von ihr wie ein Nafender, ging in den Stall,
nahm das erſte Pferd, das er fand, flieg darauf und
jagte durch die Strafen der Stadt wie einer, der die
Befinnung verloren bat, und fo ritt er weiter, bis er
an eine Quelle kam. Dort fleigt er vom Pferde und
beginnt die größte Wehklage, die je einer von fich ge-
geben, wobei er die Stunde verfluchte, in der er geboren
worden, und wollte fich felbft ums Leben-bringen. Unter:
deffen Fam dahin ein Fräulein, welche Palamides ent-
fendet hatte, um zu erfunden, ob Triftano in Kornwall
fih befinde: Sie fah Triftano, welcher fo großen Schmerz
äußerte, fih das Geficht mit den Händen zerfchlug und
viel von feiner Liebe ſprach. Als das Fräulein dies fah,
faßte fie großes Mitleid, fodaß fie meinte und fprad:
Herr Ritter, Gott fei mit euch!
Triſtano aber hörte fie nicht, fo voll war er von
Gedanken. Sie grüßte ihn mehrmald wieber, um ihn
aus feinem Schmerz zu reifen, und faßte ihn bei der
Hand. Er erhob das Haupt und fagte: Weh mir,
‚. Sräulein, warum habt ihr mich in meinem Nachſinnen
geſtört? Kaum halte ich wid, euch übel mitzufpielen.
Wißt, wenn ihre ebenfo ein Mann wäret, wie ihr ein
Weib feib, fo hätte ich euch getöbtet!
-
11. Zeiftano ‚und Ifotta. 231
Sie entgegnete: Ach Herr Triflano, ber ihr ber befte
Ritter von der Welt feid und ber Iuftigfte und ber wei⸗
fefte, mie feid ihr fo fehr in Verzweifelung gerathen ?
Das ift kein ritterlicher Verſtand.
Da ihr ein Weib ſeid, geht von hinnen!
Das werde ich gewiß nicht thun, bis ihr getröftet feib.
Fräulein, fagte barauf Triftano ‚ unb wer feid denn ihr?
Mein Hear, ich bin eine Botin bes Palamibee, wel-
cher mich in biefes Land geſchickt hat, um zu erfahren,
ob ihr in Kornwall feid.
Darauf ſprach er: Nun fo kehret um und fagt bem
Palamibes, das ift bem beften Ritter ber Welt, daß ich
meinen Namen verändert babe und daß ich nunmehr ber
unglüdlide Ritter heiße, und daß es ihm gefallen möge,
Hierherzufommen, um "meinen MHäglichen Tod zu fehen.
Ei wie, ebler Herr? antwortete weinend das Fräu-
kein, foll das die Kunde fein, bie ich von euch in das
Königreich Logres mitnehme? Gewiß, ich will fo lange
bei euch bleiben, bis ihr getröftet feid.
Und fo ließ fie nicht ab mit Bitten, aber es half fie
nichts. Triſtano ging in voller Wuth hinweg und ber-
bergte die Nacht unter einem Baume in großem Schmerz.
Er hörte nicht auf zu weinen und an bie Königin Stotta
zu denken und an das Unrecht, das fie ihm mit Ghedino
zugefügt, und darauf ſprach er: Es kann nicht fein, daf
Frau Iſotta fich vergangen Hat.
Darum fchmerzte es ihn heftig, daß ex von ihr ge-
gangen war, und er fürditete fehr, bie Königin möchte
fich übel befinden. Am Morgen darauf ging er an bie
feifcheften und anmuthigften Bäume von der Welt umb
erinnerte fich, wie er bafelbft die Königin Iſotta erlöft
hatte, als Palamides fie von binnen führte, wie anderswo
erzählt wird. Sodann begann er fein heftiges Wehllagen
von vorn und fagte, daß er hinfort Leine Waffen mehr
tragen wolle alle Zeit feines, Lebens, und fo zog ex fie
aus ohne Verzug und warf ein Stüd hierhin, das an⸗
-
23 ’ I. Hundert_alte Novellen.
dere dorthin. Und darauf fing er an zu weinen und
die Hände zu ringen und fi ind Angeficht zu fchlagen
und zu rufen: D ich Unglüdlicher, ih Elender, ich
Schmerzenreicher!
Der jungfräulihe Abgefandte ging immer hinter
ihm ber. Sie hatte großes Mitleid mit ihm und mußte
wohl aus dem Sammer Triftano’s, woher diefer Schmerz
rührte. Deshalb ſprach fie darauf zu ihm: Nun weiß
ih euren Groll und euren Schmerz und woher er kommt.
Ich werde euch bei eurem Zorn Rath fchaffen, wenn es
euch gefällt, aus dem Grunde, weil ed auf der Welt
Bein Fräulein gibt, der es mehr zu Herzen ginge als
mir. Ihr habt eure, Waffen mweggeworfen und es tft
nahe zu drei Tage, daß ihr nichts gegeffen habt. Auf
diefe Weife werdet ihr von Sinnen kommen und die
ganze NRitterfchaft befchimpfen. Und wenn die Ritter von
eurem Ende hören werden und wie elend und ſchmählich
Daffelbe gewefen, fo werben fie es fich zur großen Schande
anrechnen. Auf der andern Seite wird ed ber Königin
allzu wehe thun, wenn fie von eurem Mäglichen Tode hört.
Ich fage euch, mein Herr, ed begegnet oftmals, daß das
nicht wahr ift, was der Menſch fagt. Und ich weiß ganz
gewiß, daß Frau. Ifotta euch von ganzem Herzen liebt
und ftirbt vor Liebe, bie fie zu euch trägt. Darum ift
ed um euch fehr fchade und um fie. Noch könnt ihr
lang bei ihr fein nach Herzensluft zu eurer und zu ihrer
Sreude, Wonne und Ergegen.
Triſtano faßte alle diefe Worte auf, erkannte, daß
fie die Wahrheit fagte, und ſprach: Fräulein, ich bitte
euch, fo fehr ich kann und wenn euch etwas an mir
gelegen ift, daß ihr nad) Zintoille geht zuc Königin Iſotta
und daß ihr nicht ablaft, bis es euch gelingt, mit ihr
zu fprechen. Grüßt fie von mir und bittet fie, eine
rechtſchaffene Frau zu fein; der Wechfel, den fie mit mir
vorgenommen, babe mir den Zod gebracht und fie folle
mir nicht zürnen.
12. Eine ſchoͤne Liebesgefchichte. 23.
Und ale er diefe Worte gefprocdhen hatte, ſtieß er
einen heftigen Schrei aus und ein plögliches Stöhnen.
Zugleich verkehrte ſich ihm das Gehirn und er wurde
verrückt! Alsbald lief er von dannen in feiner Raferei
dur den Wald, fchreiend und lärmend und feine Kleider
zerreißend, und er war fo von Sinnen, daf er weder
fih, noch andere fannte. Und fo ging er drei Tage
umber, ohne zu effen ober zu trinken, von einem Wald
in den andern, vorwärts und rückwaͤrts, dahin und dorthin,
wie ihn der Zufall führte, beging allerlei Tollheiten und
richtete viel Unheil an. Und wenn er einen Brunnen
fand, fo hielt er ftile und begann erftaunlich zu meinen,
ſprach aber nichts und ermähnte niemand. Bei bdiefer
Lebensweiſe war er ganz mager und blaß geworden und
fah aus wie ein Thier, ſo war er behaart, und af nichts
als Kräuter und MWaldfrüchte, ſodaß viele Ritter, welche
ausgingen, ihn zu fuchen, ihn nicht fanden, und bie,
fo ihn fanden, ihn nicht erfannten. &o bringt die Liebe
um den Verſtand und um bie Ehre.
12. Eine ſchoͤne Liebesgeſchichte.
(Nov. 99 nad der Ausgabe von Venedig, 1571.)
Ein junger Mann von Florenz war in Kiebesluft
entbrannt zu einem artigen Sungfräulein. &ie aber liebte
nicht ihn, fondern liebte aus der Maßen einen andern
Jüngling, welcher fie zwar auch liebte, doch nicht fo
heftig wie jener, welcher offenbar alles andere über ihr
vergaß und ſich wie wahnfinnig in feiner Begier verzehrte,
zumal an Tagen, wo er fie nicht zu fehen befam. Das
that einem feiner Gefellen leid und er veranftaltete, daß
er ihn mwegführte zu einem fehr fchönen Landgut, das er
24 7-1 Hundert alte Novellen.
befaß, unb dort verweilten fie in Ruhe vierzehn Tage.
Inzwiſchen überwarf ſich dad Mädchen mit ihrer Mutter,
ſchickte ihre Magd aus und ließ fie mit dem fprechen,
welcher fie liebte, daß fie mit ihm davongehen wolle.
Diefer war fehr froh. Die Magd ſprach: Sie will, ihr
follt zu Pferd an das Haus kommen, wenn es ſchon
ganz Nadır ift. - Sie wird thun, als ginge fie in den
Keller hinunter. Dann müßt ihr an ber Hausthüre be-
reit fein, und fie fpringt euch hinten aufs Pferd. Sie
ift Teiche und kann gut reiten. -
Er antwortete: But, es ift mir recht.
As fie es fo verabredet hatten, ließ er große Vor⸗
bereitungen treffen auf einem Landhaufe, das ihm ge-
hörte. Und es waren bafelbft feine Genoffen zu Pferd
und er bieß fie am Thore warten, damit man es nicht
fliege. Dann machte er fi mit einem fchönen Roß
auf den Weg und ritt an das Haus. Sie hatte aber
noch nicht kommen fünnen, weil die Mutter fie zu fehr
bewacht. Darum ging jener meiter und zu feinen
Gefellen zurüd. Der andere aber, der fi) um fie ver-
zehrte, fand auf dem Rande feine Ruhe. Er flieg zu
Pferd und fein Gefelle konnte mit allen Bitten ihn nicht
zurückhalten, noch vermochte er ihn feine Begleitung an«
zunehmen. Als es Abend ward, gelangte er an bie
Stadtmauer; alle Thore waren fihon zu, aber er eilte
fo lange umber, bis er auf das Thor traf,. wo jene
ftandem Er ritt binein und nahm feinen . Weg nad)
dem Haufe der Liebften, nicht in ber Abficht, fie zu be:
fuchen oder auch nur ihren Anblid zu genießen, fondern
allein um die Straße wiederzufehen. Er ftellte fi
dem Haufe gegenüber auf, als der andere kaum vorüber-
geritten war; da öffnete das Mädchen bie Thür, rief ihm
mit heller Stimme und hieß ihn, das Pferd heranrüden.
Diefer war nicht läffig und that mas fie wollte, fie aber
fprang ihm geſchickt Hinten aufs Pferd und fo ritten fie
von dannen. Als fie an das Thor kamen, ließen bie
12. Eine fhöne Liebesgefchichte. 25
Gefellen des andern fie unangefochten hindurch, denn fie
erkannten fie niet, denn wäre es ber gewefen, den fie
erwarteten, fo hätte er gehalten. Die beiden ritten wol
zehn Meilen, bis fie an eine fehr fchone Wieſe kamen,
die von fehr hohen Tannen umgeben war. Sie fliegen
ab und banden das Roß feft und er Hub an fie zu küſſen.
Nun. erfannte fie ihn, merkte das Unglüud und fing an
bitterlich zu weinen. Dieſer aber verfuchte unter Thraͤnen
ſie zu tröſten und ihr ſolche Ehre zu erweiſen, daß ſie
ihre Thraͤnen trocknete und anfing ihm hold zu werden,
da ſie ſah, daß das Glück ſich für ihn entſchieden hatte,
und fie umärmte ihn. Der andere ritt unterdeß mehr-
mals hin und ber, bis er die Altern des Mädchens ge-
waltigen Lärm machen hörte und durch die Magd ver
nahm, daß die Jungfrau ſchon fort ſei. Er war beftürzt,
kehrte zu feinen Gefellen zurück und fagte es ihnen. Sie
aber antworteten: Wir fahen ihn wol fie vorüberführen,
aber wir erfannten fie nicht, und es ift fchon fo lang, daß
fie fchon weit auf diefer Straße gekommen fein können.
Sie fegten ihnen fogleih nach und titten fort, bie
fie fie in ihree Umarmung fehlafend fanden. Sie bes
trachteten fie im Scheine des Mondes, der indeffen auf
gegangen war, aber es that ihnen leid, fie zu flören,
und fie fagten: Wir wollen warten, bis fie aufmachen,
und dann thun, was uns obliegt.
Sie warteten fo lang, bis fie auch der Schlaf über-
fiel und alle hinſanken. Die andern wachten inmittels
auf und fahen, was geichehen war. Sie vermunderten
fi) und der Jüngling ſprach: Diefe Leute find fo artig
gegen uns gewefen, daß wir fie ums Himmels. willen
nicht beleidigen bürfen.
Er flieg daher zu Pferd und fie warf fih auf ein
anderes von den beften, die bafelbft fanden, und fo ritten
fie von dannen. Die Schläfer erwachten und waren fehr
erzürnt, daß fie die Verfolgung nicht fortfegen konnten.
Staliänifher Novellenſchatz. I. 2
N
26 I. Hundert alte Novellen.
13. Der Hauptmann von Noreia.
(Novelle di varj autori eon nate. Milano, 1804. ©. 29.)
- Da id mich bei der großen Sterblichkeit im Jahre
bes Herrn 1430 Geſchäfte halber in Florenz aufhielt,
und gerade im Monat Juli wie gewöhnlich die größte
Hige herrfehte, kam ich eined Tages auch einmal an die
Loggia der Buondelmonti in Geſellſchaft eines Venezia⸗
nerd Piero und mit Giovannozzo Pitti*). Wir fprachen
von ZTagesangelegenheiten und befonders von ber Peft,
als einige gute Freunde zu ung traten, worunter Xioncino
di Meſſer Guccio de’ Nobili. Diefer unterbrach unfere
Unterhaltung und fagte mit ganz heiterer Miene: Laffen
wir die Todten bei ben Todten und bie Arzte bei den
Kranken! Wir gefunde aber wollen nach Freude trachten
und Iuftig fein; fonft könnte es mit unferer Gefundheit
auch nicht mehr zu lang dauern. Ich mache mid an-
heifchig, wenn ihre mit mir fommen wollt, euch für den
Reſt des Tages Luſt und Unterhaltung zu bereiten.
Alle amtworteten ihm, er möge einen Weg nad) fei-
nem Belieben einfchlagen, wir werden ihm alle nachfolgen
und gehorchen; und fo wandte er ſich denn zwifchen
Giovannozzo Pitti und Piero dem Venezianer nad) ber
alten Brüde**) zu. Wir gingen hinüber und er geleitete
uns unter mandfaltigen anmuthigen Gefprächen nad
dem pittifhen Garten, mofelbft fogleich von Giovannozzo
Pitti unter einer Jasminlaube, in deren Mitte ein feiner
feifcher Waſſerſtrahl auffchoß, ein Tiſch beftellt wurde,
voll von Früchten, wie man fie in Diefer Zeit brauchte,
nebft zwei Küblgefäßen voll der beften weißen und rothen
Weine. As wir uns dort einige Zeit aufgehalten und
*) Später wurde diefer Ritter und wohnte im Garten Boboli.
*) Sie führt noch jegt diefen Namen.
S
13. Der Hauptmann von Norcia. 27
alle erfrifche hatten, machte Piero ber Venezianer mit
einem luftigen Anfang unfere Aufmerkfamteit rege und
begann die Gefchichte von Madonna Kifetta, die ich fonft
auch von ihm gehört und Dir erzählt habe, Gie war
aber um fo ergegliher, als er alle Bewegungen und
Geberden der Frau und des Bauerd nachmachte, mit
Lachen und Weinen abwechslungsweife und zu gleicher
Zeit, ſodaß ‚mir die Sache felbft zu fehen und zu hören
glaubten. Als er damit fertig war und wir eine gute
Weile darüber gelacht hatten, wandte ſich Kioncino noch
in vollem Lachen zu ihm und fagte: Piero, ich wünfche,
dag unfer fo lange andauernder Streit endlich zur Ent-
fcheidung komme und daß du Dich überzeugeft, daß ich
beffee erzählen kann als du. Diefe wadern Männer,
welche deine Gefchichte gehört haben, werben: fo gebuldig
fein, auch eine von mir zu hören. Geben fie das Urtheil,
daß dieſe ergeglicher ift ald die Deine, fo werde ich mich
fortan ben Meifter nennen; im entgegengefegten alle
aber werde ich die Meifterfchaft dir zugeftehen.
Piero erklärte ſich einverftanden, Lioncino ſtrich ſich
den Bart, trank einen Schluck und fing darauf alſo an:
Ihr kennt, glaube ich, alle den Bianco Alfani oder habt
ihr doch oft von ihm gehört. Er ſcheint auf den erſten
Anblick noch jung, mag aber doch über vierzig Jahre
auf dem Rücken haben; und wenn man ihm auch fogleich
anfieht, daß er liftig und boshaft ift, fo paßt doch feine
‚Lift mehr zu feinem fcheinbaren Alter als zu feinem
wirklichen, wie ihr erfahren könnt, ehe wir heute aus⸗
einandergehen. Er war von Jugend auf bis jegt faft
immer Auffeher im Schuldgefängniffe*), mo er die armen
Gefangenen auslöfte und fich dadurch ſchon viel Geld
erworben bat. Da er aber immer ein lufliger Bruder
war und bie Frauen gern fah, befonders die jungen, fo
*) Le stinche in Florenz genannt, Gefängnif für Schuldner oder
für auf Lebenszeit Verurtheilte.
. 2*
98 I. Hundert alte Rovellen.
bfieb ihm wenig von feinem Erwerb übrig, Und mas er
mit dem wenigen angefangen, das follt ihr nun hören.
Voriges Jahr pflegte er oft auf ben Neumarkt zu kom⸗
men, und hatte dort des Abends nach dem Effen immer
einen Kreis von jungen Leuten um ſich, die ihm nad).
liefen wie die Vögel der Eule, um feine Auffchneidereien
und Gefchichten zu hören, an welchen fie großes Ge-
fallen fanden. Als wir nun eines Abends auch einmal
auf unferm Bäantchen*) faßen, Herr Antonio der Hofnarr,
Herr Niccold Tinucci**) und ich, war jener Bianco nahe
bei uns mit feiner Zuhörerfchaft, wie gewöhnlid. Wir
hörten ihre Gefpräche mit an und fanden allmälig Ver-
gnügen an feiner Einfalt und an dem, mas jene Jungen
zu ihm fagten. Wir hatten ihm fo eine Weile zugehört,
ale Herr Niccod zu uns fagte: Ich will euch einen
- Spaß mahen. Voriges Jahr war hier ein gewiſſer Gio-
vanni di Santi von Norcia***) Erecutor, mit dem diefer
Strohkopf früher einmal, ich weiß nicht in welcher An⸗
gelegenheit, in Norcia war und deswegen fo vertraut mit
ihm wurde, daß ich, der ich genau mit jenem befannt
bin und ihn in Gefchäften einiger Freunde oft befuchte,
ihn faft immer, wenn ich hinkam, bei ihm antraf, und -
Giovanni hatte feine größte Luft an ihm und .ließ ihn
den Wahnfinnigen fpielen, wie ihr diefen Abend es ihn
habt ausführen fehen. inftmals hatte ihn Giovanni mit
irgend einem unbedeutenden Befchäft beauftragt, denn er
verwandte ihn zu dergleichen Beinen Dingen, und fagte:
Geh, mein Bianco, und komm gleich wieder mit der
Antwort, und fei verfichert, ich will, dich noch einmal
für alle die Mühe entfchädigen, bie ich dir mache, und
zwar mit etwas, anderm ald mit, Zetteln oder fonftigen.
Lumpereien.
) Bei der Loggia de’ Buondelmonti.
”) Ein Improvifator.
) Giovanni di Santi de’ Gollattani di Norcia.
13. Der Hauptmann von Roreia. 29
Wenn ihr mich auch entfchädigt, antwortete er, ich
kenne vielleicht die Norciner nicht recht.
Kenne wen du will! fagte Giovanni. Ich habe,
da ich fo zu Haufe bin, überlegt, nicht zu ruhen, bis
ich dich zum Hauptmann von Norcia gemacht habe.
Hört einmal, das wäre etwas. Und dazu wollte ich
den Amtsftab nicht fchlechter führen als ihr ben eurigen.
Gut, das wollen wir bald fehen.
Nur vorwärts! fagte Bianco und ging fehr heiter
weg, wohin man ihn gewieſen hatte,
Ald er weg war, brach ber Erecutor in ein Gelächter
aus und fagte zu mir: Was dünkt euch, Herr? Der
Menſch glaubt ficher, er werde unfer Hauptmann, und
ich weiß nicht, ob man ihn nur als Anführer der Häfcher
haben wollte. Aber wißt ihr mas? Wenn id) ihn in
dieſer Hoffnung beſtärke, ſo macht das mir Spaß und er
beſorgt mir doch meine kleinen Geſchäftchen punktlicher.
Was ſagt aber ihr dazu, daß ſich dieſem verrückten
Menſchen die Sache ſo feſt in den Kopf geſetzt hatte,
daß ich ihn ſpäter nie dort traf, ohne daß er auf das
Kapitel kam und darüber genoſſen und geneckt wurde
von allen Leuten im Haufe bis auf die Häͤſcher hinab,
ohne daß er es je merkte. Sa, zulegt ald Giovanni weg⸗
ging und ich ihn bis an das Bad von Ripoli begleitete,
kam er auch daher und erinnerte ihn beim Abfchieb fehr
eindringlich daran. Der Freund fagte zu ihm: Sei gutes
Muths! Ich werde dir mein Verfprechen halten.
Und fo zählte er darauf fo gewiß wie auf ben Tod
nad den orten, die er mir, ald wir zufammen zu»
rücte hrten unterwegs mittheilte.
Als ich Herrn Niccold angehoͤrt hatte, fing ich an
zu lachen und ſagte: Mit dieſem Menſchen ließe ſich ein
herrlicher Spaß anrichten, wenn ed wahr iſt, was ihr
da gejagt habt. Wenn wir ihm einen Brief ſchicken,
als käme er von diefem Giovanni di Santi, und worin
er ihn in dee Sache beftärkt, fo fteigern wir ihn noch
30 1. Hundert alte Novellen.
mehr in feiner Narrheit und kriegen hier des Abends
taufend neue Dinge von ihm zu hören.
Ganz gewiß, fagte Herr Niccold.
Hand ans Merk! rief Here Antonio. Der Brief
ift meine Sache, benn die noreifhe Mundart habe ich
wol beffer weg als fonft einer von euch. Ihr über-
nehmt dann die Sorge der Zufendung, Herr! Morgen
früh follt ihr ihn fertig haben.
Er hielt Wort,, denn am andern Morgen brachte er
einen Brief, den jedermann für von einem Norciner
verfaßt erkannt Hätte. Darin ftand benn wirklich, ein
Bermandter von ihm fei durchs Loos zum Wahlmann
des Hauptmanns beftellte worden und er hoffe gewiß,
feine Wahl durchzufegen; er folle aber noch nicht Davon
fprehen. Herr Niccolo ließ ihn von einem befreundeten
Notar abfchreiben und überfandte ihn durch einen ver-
trauten Eilboten, der eben vom Land fam und ganz
mit Staub überdedt war, ſodaß man ihm mol anfah,
daß er von weiter ber fam. Er ging in die Straße
bel’ Drto hinter San Piero dem Größern, wo jener
wohnte, fragte nach dem Haufe und es wurde ihm ge
zeigt. Er fand den Bianco an der Thür, machte ihm
feine Reverenz und gab ihm ben Brief. Als er ihn
gelefen hatte, nahm er ganz beglüdt den Boten bei ber
Hand und führte ihn, er mochte wollen oder nicht, zum
Abendeffen. Als Bianco ihn nah Giovanni fragte,
antwortete er ihm, wie er von dem Herrn unterwiefen
war. Nachdem fie gegeffen hatten, fagte der Bote, er
wolle bes andern Morgend bei guter Zeit aufbrechen,
und er könne ihm eine Antwort mitgeben, wenn er wolle.
Bianco antwortete, gab fie dem Boten und diefer brachte
fie dem Herrn Niccold, welcher uns befuchte und fie uns
vorlad, und wir entnahmen Daraus, ‚daß jener der feften
Hoffnung lebe. Ueberbies, als wir beffelbigen Tages nad)
dem Schuldgefängniffe gingen, fanden wir, baß er bald
zu diefem Gefangenen, bald zu jenem, oder auch zu den
13. Der Hauptmann von Norcia. 31
dabeiftehenden bei jeder Gelegenheit fagte: Ich komme
doch noch einmal hinweg aus Ddiefem Spigbubenneft.
Wahrlich es wird nicht ein Monat umgeben, fo wird
man fehen, ob ich etwas oder nichts gelte.
Außerdem machte er noch taufend andere Thorbeiten,
die uns in unfern Gedanken beftärkten, weshalb wir denn
die Sache weiter ausfpinnen zu innen glaubten. Wir
fchrieben von neuem einen Brief gleihfalls im Namen
des beſagten Giovanni und überſchickten ihn durch den⸗
ſelben Boten einige Tage ſpäter. Bianco wurde darin
benachrichtigt, daß er gewählt ſei und daß er ihm in
einigen Tagen die Wahlurfunde zufenden werde. Er
folle aber die Sache volllommen in ber Stille halten,
bis die Urkunde erfolge. Auf dieſen Brief erhielten wir
alsbald Antwort, und in einer Weife, dag wir und vor
nahmen, die Moftification auf bie Spitze zu treiben.
Darum verfertigte nach einigen Zagen Herr Niccolo eine
Wahlurkunde nach feinem Geſchmack. Diefe wurde fo-
fort mit einem großen Stegel, das wir von Ciave borgten,
gefiegelt und dann in Begleitung eines Briefs, gleichfalls
im Ramen bes befagten Giovanni, ihm durch den näm-
Iihen Zaufboten, überfandt mit der Weifung, er folle fi
am vierundsmwanzigften Juli in Pergola, drei Meilen von
Norcia, einfinden und nur für Fahnen und ‚NRüftung
und einiges Zafelmeißzeug forgen; auf alles übrige wolle
er felbft bedacht fein; vor Allem aber folle er nicht ver-
geffen einen paffenden Ritter mitzubringen. Als der
Bote zu ihm kam, zeigte er fich ganz heiter. Der Bote
zog feinen Hut ab, überreichte den Brief und ſprach:
Wohl bekomme ed euch, gnädiger Herr!
‚Bianco las den Brief und war über den Anblid
der Wahlurkunde fo entzückt, daß er fi nicht zu faffen -
wußte. Er nahm den Boten mit nach Haufe und ſchenkte
‚Ihm vierzig. Grofchen, wobei er ihm noch mehr zu geben
verfprach, fobald er in NRorcia ware. Sodann fchrieb er
ihm die Antwort und fonnte es kaum erwarten, bis er
30 I. Hundert alte Movellen.
mehr in feiner Narrheit und kriegen bier des Abends
taufend neue Dinge von ihm zu hören.
Ganz gewiß, fagte Herr Niccold.
Hand ans Werk! rief Here Antonio. Der Brief
ift meine Sache, denn die noreifhe Mundart habe ich
wol beffer weg als fonft einer von euch. Ihr über-
nehmt dann die Sorge ber Iufendung, Herr! Morgen
früh follt ihr ihn fertig haben.
Er hielt Wort, denn am andern Morgen brachte er
einen Brief, den jedermann für von einem Norciner
verfaßt erkannt hätte. Darin ftand denn wirklich, ein
Berwandter von ihn fei durchs Loos zum Wahlmann
des Hayptmanns beftellt worden und er hoffe gemiß,
feine Wahl durchzufegen; er folle aber noch nicht davon
fpreden. Herr Niccolo ließ ihn von einem befreundeten
Notar abfchreiben und überfandte ihn durch einen ver⸗
trauten Eilboten, der eben vom Land Fam und ganz
mit Staub überdedt war, ſodaß man ihm wol anfah,
daß er von meiter her kam. Er ging in die Straße
del’ Drto hinter San Piero dem Größern, wo jener
wohnte,. fragte nad, dem Haufe und ed wurde ihm ge
zeigt. Er fand den Bianco an der Thür, machte ihm
feine Reverenz und gab ihm ben Brief. Als er ihn
gelefen hatte, nahm er ganz beglüdt den Boten bei der
Hand und führte ihn, er mochte wollen oder nicht, zum
Abendeffen. Als Bianco ihn nah Giovanni fragte,
antwortete er ihm, wie er von dem Herrn unterwiefen
war. Nachdem fie gegeffen hatten, fagte ber Bote, er
wolle des andern Morgens bei guter Zeit aufbrechen,
und er könne ihm eine Antwort mitgeben, wenn er wolle.
Bianco antwortete, gab fie dem Boten und diefer brachte
fie dem Herrn Niccold, welcher uns befuchte und fie uns
vorlas, und wir entnahmen daraus, ‚daß jener ber feſten
Hoffnung lebe. Weberbies, als wir deffelbigen Tages nach
dem Schuldgefängniffe gingen, fanden wir, daß er bald
zu diefem Gefangenen, bald zu jenem, oder auch zu den
13. Der Hauptmann von Rercia. 31
dabeiftchenden bei jeder Gelegenheit fagte: Ich komme
doch noch einmal hinweg aus diefem Spigbubenneft.
Wahrlich es wird nicht ein Monat umgeben, fo wird
man fehen, ob ich etwas oder nichts gelte.
Außerdem machte er noch taufend anbere Thorheiten,
die uns in unfern Gedanken beftärkten, weshalb wir denn
die Sache weiter ausfpinnen zu innen glaubten. Wir
fchrieben von neuem einen Brief gleichfalls im Namen
. des befagten Giovanni und überſchickten ihn durch den-
felben Boten einige Tage fpater. Bianco wurde darin
benachrichtigt, daß er gewählt fei und daß er ihm im
einigen Tagen die Wahlurfunde zufenden werde. Gr
folle aber die Sache vollkommen in ber Stille halten,
bis die Urkunde erfolge. Auf diefen Brief erhielten wir
alsbald Antwort, und in einer Weife, daß wir uns vor-
nahmen, die Myſtification auf die Spige zu treiben.
Darum verfertigte nach einigen Zagen Herr Nictold eine
Wahlurkunde nad feinem Geſchmack. Diefe wurbe fo-
fort mit einem großen Siegel, das wir von Ciave borgten,
gefiegelt und dann in Begleitung eines Briefs, gleichfalls
im Ramen des befagten Giovanni, ihm durch den näm-
Iihen Laufboten überfandt mit der Weifung, er folle ſich
am vierundzwanzigften Juli in Pergola, drei Meilen von
Norcia, einfinden und nur für Fahnen und Rüſtung
und einiges Tafelweißzeug forgen; auf alles übrige wolle
er felbft bedacht fein; vor Allem aber folle er nicht ver-
geſſen einen paffenden Ritter mitzubringen. Als der
Bote zu ihm kam, zeigte er fi) ganz heiter. Der Bote
zog feinen Hut ab, überreichte den Brief und fpradh:
Wohl befomme ed euch, gnädiger Herr!
‚Bianco las den Brief und war über den Anblid
ber Wahlurfunde fo entzückt, daß er ſich nicht zu faflen -
wußte. Er nahm den Boten mit nad, Haufe und fchenkte
ihm vierzig. Groſchen, wobei er ihm noch mehr zu geben
verfprach, fobald er in Norcia ware. Sodann fchrieb er
ibm die Antwort und konnte es kaum erwarten, bis er
32 1. Hundert alte Novellen.
auf den Neumarkt kam. Sobald er zu Abend gegeffen
hatte, ging er. bahin, machte fi zu einer Geſellſchaft,
welche in unſerer Naͤhe war, und unterbrach ihre Unter⸗
haltung mit den Worten: Run, glaubt ihr jetzt, daß man
ben Bianco kennt, oder meint ihr, er gelte nichts?
Man drehte fih nach ihm um und fragte ihn: Wie?
Was gibt es Neues, Bianco? Mas bedeuten biefe
Reben?
Er antwortete, feine Wahlurkunde in der Hand hal⸗
tend: Wenn dieſer Brief nicht lügt, fo werde ich bald
ſehen, ob ich nicht einen Herrfcherftab fo gut führen werde
ale ihr da.
Endlich fagte er ihnen, wie er zum Hauptmann von
Norcia erwählt fei, und begann großzufprechen, fie aber
ihn zu ärgern, daß ed ein wahres Feſt war. Nachdem.
er eine Weile bei ihnen geblieben, fahen wir ihn auf
uns zukommen, und er fagte, zu Herrn Niccold ge«
wendet: Unfer Giovanni ift doch ein Ehrenmann, benn
er hat, was er mir in eurem Beiſein verſprochen, voll.
Rinne und ohne allzu lang warten zu laffen mir erwirft.
Er hielt das Papier in der Hand und fagte: Da
haben wir die -Sefchichte.
Welche Geſchichte? fragte Herr Niecolo.
Nun, fagte Bianco, die Wahl zur Hauptmannfchaft
von Norcia.
Auf Ehre?
Auf meine Ehre. Und wenn ihr mir nicht glaubt,
ſo leſt ſelbſt.
Herr Niccold las und ſagte dann: Es iſt ſo. Er
hat Recht. Jetzt ſorge nur für eines, Bianco, daß du
dem auch Ehre machſt, der dir ſolche Ehre erweiſt.
Und dabei ermunterten ihn alle, nur recht anftändig
binzufommen. Sodann nad, vielen andern Gefprächen
trennten wir und; er ging nach Haufe, mir aber machten
unferer Freude Luft, benn wir hatten uns kaum enthalten
fönnen zu lachen. Am folgenden Morgen nun ging
⸗ 13. Der Hauptmann von Norcia. | 33
unfer Bianco mit feiner Urkunde in der Hand (denn
obne diefelbe, meinte er, würde man ihm nicht glauben)
in ganz Florenz umher und rief fein neues Amt aus,
auf das er nicht hätte gehen follen. So ging es mehre
Tage fort, und ob er gleich die Urkunde Hatte, fo
war doch die Zahl derer, die ihm nicht glaubten, größer,
als die der andern. Als man aber ſah, daß er die
Bahnen machen ließ und Pferde kaufte, gab es doch viele,
welche anfingen, ibm Glauben zu fchenten, fo fehr fie
fi) auch über die Sache munderten. Nun begab es fich,
als er das baare Geld, das er hatte, ausgegeben und er
noch mehr brauchte, daß er in Verlegenheit zu kommen
fhien. Da fiel ihm aber ein, daß Herr Martino, ‚da-
mals Notar der Neformationen, ihn fehon mehrmals mit
dem Gefuch angegangen hatte, ihm ein Stüd Landes zu
verkaufen, melches er hinter der Kirche des heiligen Marcus
befaß und womit der Notar eine ihm zugehörige Kapelle
in der genannten Kirche befchenten wollte. Bianco hatte
bisher nie eingewilligt, nun aber dachte er, dieſes Mittel
fönne ihm die nöthige Hilfe verfchaffen. Er fuchte daher
fogleih den befagten Herrn Martino auf und fagte zu
ihm alfo: Ihr Habt von mir mein Stud Land bei Sanct-
Marcus Eaufen wollen. Ich mochte mir nicht die Mühe
geben, den Kauf abzufchliefen, da wir gerade unfere böfe
Zeit hatten, und deswegen habe ich bis jegt meine Zu⸗
flimmung nicht gegeben. Nun aber kommt mir etwas
dazwiſchen.
Dabei erzählte er ihm alles und ſagte: Wollt ihr,
ſo ſetzt ihr ſelber den Preis feſt! Denn ich will nun
lieber, ſo ungern ich daran gehe, mein Eigenthum ver⸗
kaufen und dem Ehre machen, der mich ſo zu Ehren
bringt. Wenn ich wieder zurückkomme, ſo habe ich
ohnedem Geld im Ueberfluß und ich kaufe mir von meinen
Zinſen Güter, die mehr werth ſind als dieſes Stück.
Als Herr Martino ſolches hörte, wünſchte er ihm
Glück und ſagte: Man ſieht dir wol an, Bianco, daß
2*84
34 | I. Hundert alte Rovellen.
du aus dem Haufe der Alfani fiammft und daß dein
Sinn dem deiner Vorältern gleiht. Du thuft fehr wohl
daran, dich ehrenhaft auszuflatten, um dort anftändig
aufzutreten. Und damit dir nichts fehle, bin ich zufrieden,
deinen Willen zu erfüllen, und made du nur felbft den
Anſchlag!
Kurz ſie wurden ohne große Schwierigkeit, da Herr
Martino ein geſcheiter und rechtfchaffener Mann war,
auf einen ganz billigen Kaufpreis Handels einig. Es
ward noch an bemfelben Tag eine Anmeifung aufgefegt
auf die Bank des Eſau Martellini, mo er ihm das Geld
auszahlen ließ, und fobald Bianco diefes hatte, brachte
er alles, was ihm noch fehlte, in Ordnung. Als nun
die Zeit zum Aufzug herannahte, nahm er einen Richter,
einen Ritter und einen Notar, die er nach Angabe der
Wahlacte mitzubringen hatte, ingleichem Diener und Ebel
Inaben. Einige Tage vor der Abreife ging er durd) ganz
Florenz mit feiner Dienerfchaft hinter fi her, nahm Ab-
fhied von allen feinen Freunden und Bekannten und ver-
fprad) allen, er wolle fich fo brav halten, daß dieſes Amt
nicht das legte fein werde. Als nun der Tag der Ab-
reife endlich gelommen war, ſchritten die Häfcher zu Fuß
vorauf, dann kam er felbft mit feiner übrigen Diener-
fhaft, im Ganzen acht Berittene, und fo fchlug er den
Weg gegen Arezzo ein. Dort. angelangt befuchte er den
Hauptmann und den Schultheifen. Das gleiche that er
zu Gaftiglione, zu Tortona und zu Perugia bei den Flo-
rentinern, die fich dafelbft befanden. Als biefe ihn fo
ftattlih aufziehen fahen und hörten, wo er binwolle,
mwunberten fie fich fehr, zumal, ba fie ihn kannten.
Doch wurde ihm von allen aus Rückſicht auf feine
Vaterſtadt viel Ehre erwiefen. Er ſchied von Perugia
. und ritt nach Pergola, mo er gerade am vierundzwan⸗
zigften, wie man ihm gefchrieben hatte, ankam und vom
Wirthe freudig und gefällig aufgenommen wurde, wie
ed fo Wirthsfitte iſt. Bianco flieg ab und brachte feine
13. Der Hauptmann von Norcia. 35
Geraͤthſchaften in Ordnung, und da ihn der Wirth fo
gut ausgeftatter fah, fagte er zu ihm: Edler Herr,
wenn ed erlaubt ift, zu fragen, wohin geht ihr ale
Regent?
Wie? Wohin ich gehe? entgegnete Bianco. Ic, bin
der Hauptmann von Norcia.
Der Wirth war ganz betroffen, befann fi ch ein wenig
und ſagte dann: Habt ihr mich zum Narren? Der Haupt-
mann bat fein Amt angetreten vor noch nicht vierzehn
Tagen; es ift ein waderer Römer.
Geh mir, guter Freund! Geh! fagte Bianco. Du
willft wol fagen der Schultheiß, denn der Hauptmann
bin ich; und wenn bu doch darüber im Zweifel biſt, ſo
lies hier!
Damit zog er die Wahlurkunde aus dem Bufen und
gab fie ihm in die Hand. Der Wirth, welcher etwas
lefen Eonnte, verftand den Inhalt, kam faft auf den
Gedanken, er babe geirrt, zuckte die Achfeln und fagte:
Gewiß ich bin diefen Abend nicht vecht bei Sinnen.
Er brach das Geſpräch ab, fo gut er konnte, und
ordnete das Nachteffen an. Bianco aber wandte fi) an
feine Beamte und fagte: Unfer Wirth ift fein großer
Gedaͤchtnißkünſtler, da er den Schultheiß und den Haupt⸗
mann untereinander mengt.
Sobald fie aber angefangen hatten zu fpeifen, und
der Wirth dachte, es fei nun alles im Gang, überließ
er die Bedienung der Gäfte einem Neffen und feinen
Dienern, beftieg eine Stute und ritt wirklich nach Norcia.
Dort fuchte er einen Gevatter auf und fagte: Gevatter,
diefen‘ Abend ift mir ber feltfamfte Fall von der Welt
begegnet.
Und er erzählte ihm alles. Sein Gevatter aber hub
an zu lachen und fagte zu ihm: Ich weiß nicht, wer
von und ſchwanger ift, aber das: weiß ich, daß du ein
dummes Vieh biſt. Weißt du nicht, daß der Haupt
mann am achten dies eingezogen ift? Der Schultheit
36 J. Hundert alte Novellen.
aber bat vor noch nicht drei Monaten fein Amt ange
treten. Entweder führt di bein Gaft am Narrenfeil
ober ift er felbft ein Narr.
Wie Teufeld aber, fagte der Wirth, er hat mir ja
die Wahlurkunde gezeigt!
Unter folhem SHinundwiderreden Fam er auf ben
Marktplag, mo das Gefpräc fortgefegt wurde. Sie ger
fellten fich zu noch einigen andern Städtern, von welchen
bie einen darüber Poſſen riffen, die andern fich vermun-
derten. Indeß foderten ihn einige auf, den Stabtvor-
ftehern die Sache anzuzeigen, und fo ging er, von ein
paar andern begleitet, dahin. Als diefe den Vorfall
vernommen hatten und fich nicht vorftellen fonnten, was
das bedeute, befchloffen fie, ihren Geheimfchreiber zu ihm
zu ſchicken, um zu hören, mas an ber Sache fei. Der
Schreiber machte ſich mit dem Wirthe auf den Weg,
fprach mit ihm verfchiedened über dieſe Angelegenheit und
fo gelangten fie endlih an bie Herberge, als es fchon
ziemlich fpät war. Bei ihrer Ankunft ließ der Wirth
zwei Fadeln anzünden und meldete dem Bianco, daß
der Rathsſchreiber von Norcia gekommen fei, ihn zu be
fuchen. Bianco hatte nichts vom Weggehen bes Wirths
gehört und glaubte ficher, jener fomme, um ihm als dem
Hauptmann aufzuwarten. Er ging ihm daher entgegen,
fie zogen voreinander die Hüte und nahmen fich bei der
Hand. Da wandte ſich Bianco zu dem Wirthe und
fagte lachend: Nun, was fagft du, Wirth Iegt ſiehſt
du, wie genau du bir gemerkt haft, wie lange es ift,
- feit der Hauptmann feinen Einzug gehalten.
Der Wirth antwortete: Ihr habt: Recht; aber ihr
werdet bald in noch größern Zweifel gerathen als ich.
Als der Nathefchreiber dies hörte, wäre er gern in’
Lachen ausgebrochen. Er war aber befonnen genug, an
fih zu halten, wandte ſich zu ihm und begann alfo gu
fprehen: Edler Herr, meine Gebieter haben von eurer
Ankunft gehört, und wie ihr erklärt, ihr wollet ale
13. Der Hauptmann von Norcia. 37
Hauptmann von Nortia euren Einzug halten. Darob
find fie über die Maßen verwundert, fintemal und all-
dieweilen am achten laufenden Monats der Hauptmann
von Norcia fein Amt angetreten hat. Sie ſchicken mich
derohalb zu euch, um zu erfahren, was dies bedeute und
welche Urfache euch zu folchen Außerungen bewegt.
Ald Bianco diefe Worte hörte, war er wie vom
Donner gerührt und fchien eher todt als lebendig. Er
fonnte kaum die Lippen bewegen und fagen: Habt ihr
mehr ald einen Hauptmann?
Nein, bei Gott, antwortete der Rathefchreiber. Darauf
befann er fich eine Weile, und da es ihm fohien, man
babe ihn zum beften, und er der Meinung war, es
könne dies von feiner andern Seite, ald von Norcia
ausgehen, verwandelte fich fein Schmerz in Zorn, mit
hochrothem Geſicht zog er feine" Wahlurfunde aus dem
Bufen und ſprach mit giftigem Tone: Wahrlich, wahrlich,
wenn dies mir nicht Tügt, fo werde ich Hauptmann von
Norcia werden; und wenn mir Unbild widerfährt, fo
gehöre ich einem Lande an, das mich nicht hilflos laffen
wird. |
Er gerieth vollends ganz in Wuth und rief: Meint
ihr etwa, ihr habt es mit einem rohen Bergvolk zu thun?
Ihr werdet ſehen, daß die Bürger von Florenz aus einem
andern Stoff gemacht find als die Bergvolker. Wir
haben dem Herzog von Mailand den Eigenfinn vertrieben
und ganz andern Leuten, bie um ein gutes Stück ge-
waltiger ausfehen als die Norciner. Glaubt nur nicht,
wenn ihr mid habt hierher kommen laffen, und ihr
nachher das Amt einem andern gegeben habt, ich werde
das fo hinnehmen! Oder wenn ich nicht zur Zeit ge
fommen wäre, was zum Zeufel hätten fie gemacht!
Außerdem fprach er noch taufend andere Tchorheiten,
weiche zu erzählen viel zu weitläufig wäre. Am Ende
fagte er zum Rathöfchreiber, welcher die Urkunde zu fehen
begehrte: Geht, geht! Morgen früh komme ich zu euren
38 I. Hundert alte Rovellen.
Herren und dann will ich's ihnen zeigen und wir wollen
ſehen, was fie dagegen vorzubringen Luft haben.
Als der Rathöfchreiber ihn fo fprechen hörte, hielt
er den Mann für eine ganz neue Art von Wahnfinnigen
und nahm, ohne fi) mit ihm auf viele Weiterungen
einzulaffen, von ibm Abfchied. Der Wirth begleitete
ihn und fo kehrte er nad) der Stadt zurüd und berich-
tete dem Rath, wie die Sache abgelaufen fei. Sie wun⸗
derten fich, wußten ſich aber gar nicht vorzuftellen, was
das fein folle, und fprachen: Der nächſte Morgen wird
ed lehren und uns Auffchluß verfchaffen über die Ab-
ſichten diefes Menfchen. |
Bianco blieb mit feinen Beamten zurüd, fie prüften
bin und ber die Wahlurkunde und die Worte, die fie
gehört hatten, wußten fi aber die Sache nicht anders
zu erklären, als daß die Norciner vom Papſt oder von
irgend einem andern Fürften gezwungen worden feien,
nachdem fie ihm die Wahlurfunde bereits überfandt hatten,
die Wahl auf einen andern zu lenken. Am Ende, ale
es fchon ſehr fpat war, gingen alle fchlafen. Bianco
aber Eonnte Die ganze Nacht über kein Auge zuthun,
vielmehr dachte er unaufbhörli über die Sache nad,
und Fonnte kaum erwarten, bis es Tag wurde, um zu
erfahren, ob er Hauptmann fei oder nicht, und ber Tag
war nicht fo bald erfchienen, als er ſchon aufſtand, mit
feinem Gefolge zu Pferde ſaß und in die Stadt ritt.
Die Neuigkeit hatte ſich ſchon allenthalben verbreitet und
alles Tief auf den Straßen umher, um den neuen Haupt-
mann zu fehen, welcher aus Beihämung nicht wußte,
wohin die Augen wenden, und mit gefenttem Haupt
einherzog, ale wäre ihm fein Weib ind Feuer gefallen.
Am Haufe der Stabtvorfteher angelangt, flieg er ab,
trat hinein und ließ ihnen melden, er fei angefommen.
Sie traten fogleih im Rathsſaal zufammen, liefen ihn
hereinrufen und luden ihn ein, ſich neben ihnen nieder-
zulaffen. So blieb er eine Weile, dann erhob er ſich
13. Der Hauptmann von Norcia. 39
und fing gemäß ber unterwegs mit feinem Richter ge
pflogenen Verabredung alfo zu fprechen an: Ihr Herren,
ed find etwa drei Monate, daß Giovanni di Santo,
welcher voriges Jahr unfer Erecutor war, mir fchrieb,
er wolle mid zu eurem Hauptmann ermwählen laflen,
bald darauf wieder, er habe meine Wahl bereits durch⸗
gefegt, und endlich fchickte ex mir die Wahlurkunde, welche
‚ich bier habe. Vom Wunſche befeelt, eurem Rathe ge-
fällig zu fein und Ehre zu gewinnen, wie ftetd meine
Borfahren folhe zu befigen gepflogen, entfchloß ich mich
herzufommen und euch zu dienen; ich habe mic, deshalb
auf die meinem Amte der mir überſchickten Wahlurkunde
zufolge zutommende Weiſe ausgeftattet, und bin hierher
gereift mit dem Gefolge, das ihr bier feht, und nicht ohne
große Unkoften, denn ich habe über zweihundert Gold»
gulden dafür ausgegeben. Geftern Abend nun hörte ich
zuerft vom Wirthe und dann von eurem Schreiber, daß
ihr fchon vor vierzehn Tagen da8 Amt einem andern
gegeben habt, Morüber ich verwundert und betrübt bin,.
fo jehr unter ſolchen Umftänden zu erwarten ift, denn
das ift doch mol nicht die Treue, bie einer Gemeinde
wie die eurige anfteht, noch hat folches die Liebe ver-
dient, welche beftändig zwifchen den Florentinern und
euh flattgefunden. Auch follt ihr nicht glauben,
euren Hohn über einen der geringflen ausgefchüttet zu
haben, denn das Haus der Alfani gehört, ohne ben
andern zu nahe zu treten, zu den größten und älteften
unjerer Stadt, darum werdet ihr euch folcher an mir
verübten Unbild fammt ber Schande und dem Schaden
nicht berühmen. Wollte ihr jedoch Vorkehrung treffen,
dag meiner Ehre Fein Eintrag gefchähe und ich meine
Ausgaben nicht verlöre, fo wollte ich in Abficht auf das
bereit8 Gefchehene mic, beruhigen. Laßt ed euch darum
genehm fein, auf eure und auf meine Ehre Bebacht zu
haben!
Nachdem er died gefprochen, behändigte er dem Vor⸗
-
40 I. Hundert alte Novellen.
figer die Wahlurfunde und fagte: Dies ift es, was mid)
fo zu fprechen veranlaßt.
Der Vorſtand, als er fah, daß Bianco ausgeredet
hatte,. fagte zu ihm:. Edler Herr, feid fo gefällig, eine
Meile draußen zu warten! Wir wollen uns bier unter
uns berathen und euch alddann antworten. .
Bianco zog fich in einen Vorſaal bes Rathszimmers
zurück und fagte dort zu feinem Richter: Ich münfchte
nur, ihr hättet mich gehört; denn ich verfichere euch, ich
habe es ihnen auf eine Art gefagt, daß ich unmöglich
glauben kann, fie werden nicht fo oder anders auf ihre
Ehre und damit zugleih auf die meinige bedacht fein.
Ich habe recht wohl bemerkt, daß fie ihr Unrecht einfehen,
und es "war feiner unter ihnen, der vor Scham magte,
mir ins Geficht zu blicken.
Die Vorfteher gingen zu Rathe und ließen die Wahl» -
urkunde vorlefen, bemerften aber, daß fie nicht von ber
Hand ihres Rathsſchreibers und durchaus gegen die bei
der Wahl ihres Hauptmanns herfömmlihe Form ange-
fertigt war, infofern einmal mehr Befoldung und mehr
Dienerfchaft und ein Richter in Anfprudy genommen
wurde, ben der Hauptmann nicht mitzubringen hatte;
auch war die Urkunde nicht mit ihrem Siegel gefiegelt,
und fo ergab fich denn alsbald, dag man mit dem Manne
blos einen Scherz gefpielt habe. Nachdem fie daher eine
Meile darüber gelacht hatten, ließen fie ihn wieder herein-
rufen, und fobald er fich niedergefegt hatte, begann einer
von ihnen im Auftrage der andern alfo: Edler Herr,
der Rath fühlt fich durch das von euch gehörte Anbringen
und durch die Einficht diefer von euch vorgelegten Ur⸗
funde zur Verwunderung und zum Bedauern mit euch
bewogen. Wir wundern uns, denn wir können und nicht
vorfiellen, wie man euch einen folchen gemwaltigen Spuf
gefpielt hat und daß ihr in fo langer Zeit nicht darauf
gefommen feid, denn weder feid ihr jemals zu dieſem
Amte erwählt worden, noch, ift diefe Wahlurktunde bier
13. Der Hauptmann von Norcia. 4
ausgefertigt, noch mit unferm Siegel verfehen, noch ift
fie auch nur in der Form ber Urkunden gehalten, wie
fie bei Ermählung zu einem folchen Amte gewöhnlich find.
Wir haben Bedauern mit euch, dba wir aus den von
euch gehörten Worten und aus eurem Anbli euch für
einen wadern Mann halten zu müffen glauben; eben
darum bedauern wir auch die Kränkung eurer Ehre und
den großen Schaden, in ben ihr, wie wir fehen, euch
durch die Sache verfegt habt. Wir wünſchten in ber
Lage zu fen, euch in diefer doppelten Binficht genügen
zu können, fowohl in Betracht eurer ‚Perfon ale aus
Rückſicht auf eure Vaterftadt, für die wir wie für jeden
ihrer ‚Bürger befondere Wohlgeneigtheit hegen. ber
alle Ämter, welche wir zu vergeben haben, find gegen:
wärtig befegt, auch nicht eine Stelle ift dermalen frei. Wir
ſehen daher Feine Möglichkeit, euch in irgend einer Weiſe
unterſtützen zu können. Das einzige, was wir für euch
haben, iſt daß wir unſern Schmerz über dieſen Vorfall
mit dem eurigen vereinen. Schließlich aber müſſen wir
euch auffodern, um eurer eigenen Ehre willen zurück⸗
zukehren, fo ſchnell ihr könnt; denn je länger ihr bier
euch aufhaltet,. befto mehr müßte eure Schande wachen.
Hiermit fchloß er. Bianco aber, als er diefe feinen
Ermartungen fo fehr entgegengefegte Antwort gehört hatte,
war vom Schmerz ganz überwältigt und Zonnte einige
Zeit Feine Sylbe vorbringen. Endlich aber fagte er mit
Zhränen in den Augen: Ihr Herren, das alles kann mir
niemand anders angethan haben, als der Verräther Gio-
vanni di Santo, der mir auf folhe Art die Dienfte
gelohnt hat, die ich ihm in Florenz erwiefen. Ich habe
bier feine eigenhändigen Briefe. Habt menigftens_ bie
Güte, nad ihm zu fenden und mir von ihm Entfchä-
digung für meine Verluſte zu verſchaffen, denn für die
Schmach, die er mir angethan, will ich ſchon ſelbſt
Genugthuung erhalten, wenn Gott mir und meinen
Brüdern das Leben ſchenkt, geh es wie es wolle!
4 I. Hundert alte Rovellen.
Wenn ed wahr ift, daß er die Schuld trägt, ant-
worteten die Rathöherren, fo werden wir ihn veranlaffen,
dir deinen Schaden zu erfegen, und überdies wollen wir
ihn für fein Vergehen fo beftrafen, daß dir wenig Rache
mehr übrig bleiben wird.
Wirklich ſchickten fie nach ihm, und er fam gleich
darauf, denn er fand bei den andern Leuten auf dem
Plage, um zu fehen, mer benn der neue Hauptmann fei.
Als er aber beim Eintreten in den Rathöfaal den Bianco
ſah, war er fehr verwundert. Einer der Herren erzählte
ihm mit firengen Worten im Namen ber andern die
Deranlaffung, aus ber man nad ihm geſchickt, und
fragte ihn, welch ein Grund oder Anmaßung ihn be=
wege, den wadern Mann in Schande und Schmach zu
bringen, und noch dazu die Obrigkeit mit ind Spiel
au mifhen. Als Giovanni diefes hörte, verwunderte er
fi noch mehr und fagte: Gnädige Herren, allerdings,
als ich Erecutor von Florenz war, erwies mir der bier
anweſende Bianco viele Dienfte, fodaß ich ihm verfprach,
ihm nach meinem DBermögen zu diefem Amte zu verhelfen,
und in der That halte ich mich, ihm fo fehr verpflichtet,
und feine Verdienſte find der Urt, daß ich, wenn das
8008 die Wahl auf einen gelenkt hätte, von dem ich hätte
glauben dürfen, er werde mir gefällig fein, fo hätte ich
es auch gern gethan. Aber von dem meitern Berlauf
habe ich nie das Mindefte gehört, und wenn ihr. findet,
daß ich je etwas davon gehört habe, fo laßt mir den
Kopf abſchlagen!
Als Bianco dies hörte, zog er die Briefe aus dem
Bufen und fagte: Da feht, ihr Herren, mit welder
Stirn der Mann leugnet! Laßt ihn diefe Briefe lefen
und erforfcht, ob fie von feiner Hand find!
Die Rathsherren liefen die Briefe Iefen, Giovanni
aber erklärte, fie feien nicht von feiner Hand. Darum
wurde er nad, vielem Hinundherreden zwifchen ihm, dem
Rathe und Bianco entlaffen. Die Rathsherren wollten
13. Der Hauptmann von Norcia. 45
Bianco einigermaßen bezeugen, baf es ihnen leid um
ihn thue, und verorbneten, daß ber Wirth von der Ge-
meinde zufriedengeftellt werde und ihm nichts abnehme.
So machte füh denn Bianco in einer Stimmung, bie
fih jeder von euch leicht vorftellen kann, nach der Her-
berge auf den Weg; Giovanni begleitete ihn, und in
der ganzen Stabt wies man ihn mit Fingern und eines
zeigte ihn dem andern wie ein Wunderthier. Giovanni
war mit ihm fehr betrübt uber den Vorfall und fügte
bei, daß in Betracht deffen, was gefchehen fei, er nun
feine Möglichkeit vorausfehe, ihm erhalten zu tönnen,
was er ihm. verfprocdhen babe. Im Wirthshaus ange
langt beſchloß Bianco, da ed noch früh am Tage war,
fogleich abzureifen; er nahm von Giovanni Abſchied und
fhlug den Rückweg gegen Perugia ein. Er ritt gamı
allein voraus; der Michter aber, welcher aus dem Gebiet
von Perugia war, der Ritter und der Notar fingen an
miteinander zu fprechen und fagten: Der bat uns mit-
genommen und uns um unfere Pläge gebracht. Wenn
er der Narr im Spiele geweſen ift, follen mir auch
darunter leiden ?
Sie verabrebeten unter fich, mas fie zu thun haben,
und ließen, obne viel Worte mit ihm zu machen, fobald
fie in Perugia waren, auf feine Pferde, fein Zelleifen
und feine fümmtliche Habfeligkeit Befchlag legen. Als
Bianco dies fah, überhäufte er fie mit Bitten, aber
umfonft. Endlich aber, ale er fah, daß es fchlecht aus⸗
fehe und daß er ihnen nachgeben müffe, verkaufte er bort
drei Roſſe, welche ihm gehörten, und die Rüftung, ja
feine Kleider vom Leibe, obgleich er nur die Hälfte oder
no weniger von dem, was fie ihn gefoftet hatten,
daraus löfte; denn da er genöthigt war, die Sachen
loszufchlagen, wurde er übers Dhr gehauen und er gab
fie dem nächſten beften bin. So blieb ihm von allem,
was er mitgebracht hatte, nur .noch bie Fahne mit fei«
nem Wappen übrig; er nahm jie von der Lanze, widelte
44 L Hundert alte Rovellen. \
fie in ein ärmliches zerlumptes Tuch und machte ſich mit
diefer Laft auf dem Rüden zu Fuß nad Arezzo auf den
Weg und ging fofort von Arezzo in das Cafentinifche nad
Drtignano, wo er einige Verwandte hatte. Er fchämte
fih nah Florenz zurückzukehren und blieb deshalb dort
viele Wochen im Schmerz über fein Misgefhid und ohne
zu wiſſen noch ſich vorftellen zu können, wer ihm das
angethan habe. Da ihn jedoch der Wunfch, diefen auf:
zufinden, unaufhörlich ftachelte, befchloß er endlich, nad)
Florenz heimzugehen, und er that ed auch. Wie er zu
Haufe anlangte, wunderten fich feine Brüder, bie ihn fo
zu Zuß und unfceinbar ausgerüftet fahen, und fragten
ihn, was das bedeute. Er erzählte ihnen alles ausführlich
und fchloß mit den Worten: Meine Brüder, ihr müßt
mir beiftehen, mich zu rächen.
Sie waren ebenfo gefinnt wie er und ſchwuren alle
dem den Tod, ber ihnen dieſen Schimpf angethan.
Bianco hielt fi) einige Tage zu Haufe ober doch in
der Nähe, bis er magte, ſich in der Stadt zu zeigen.
Als er ſich jedoch bald gezwungen fah, auszugehen,
ſchritt er ganz verbugt und mit geſenkten Augen durch
bie Straßen. Und wenn ihn feine Freunde ober Be-
kannte aufzogen und fragten, ob er fein Amt fo bald
fhon abgewälzt babe, antwortete er mit ſchamglühendem
Geſicht, er habe es aus guten Gründen nicht angetreten,
fei vielmehr im Gafentinifchen gewefen bei feinen Ver⸗
wandten. Dann that er, ald habe er viel zu thun, und
brach die Unterrebung fo fchnell als möglih ab. Durch
die Leute aber, bie von Norcia und von Perugia famen,
hörte man allmälig, welchen Ausgang die Sache ge
nommen hatte, fodaß in kurzem die ganze Stadt ba-
von voll war und ihn jedermann zum Erbarmen qualte,
wie ihr alle fehen und hören könnt. Mer e8 ihm aber
am ärgften machte, dad maren ein paar Handwerksleute,
denen er fihuldig war, und welche gehofft hatten, von
feinem Dienfteintommen bezahlt zu werden. Nun aber
13. Der Hauptmann von Norcia. 45
fingen fie an, ihn: zu drangen, und verlangten nun
durhaus ihre Befriedigung. In ber Verlegenheit, mas
zu beginnen fei, da er fein Stud Land an Herrn Mar:
tino verkauft hatte, veräußerte er an ihn auch zmei Beine
Häufer, die er in der. Strafe San Gallo befaß und
welche ihm berfelbe Herr Martino eigentlih nur aus
Gefaͤlligkeit und Mitleid für ihn abnahm, wobei ex ihn
ermahnte, nachdem ihm Bianco bie ganze Angelegenheit
mitgetheilt hatte, nicht mehr davon zu fprechen, noch
weitere Nachforfchungen anzuftellen, ba er, jemehr er bie
Sache berübre, um fo mehr fich lächerlich made; er
fuchte ihn auch in der Anficht zu beftärken, die Täufchung
könne von nirgend anders herfommen, als von bem Schuld» "
gefängniß, und das war denn auch die allgemeinfte An»
fiht von der Sache. Sobald er nun das Geld erhalten
hatte, befolgte ‘er den Rath des Herrn Martino und
befriedigte, ohne weiter nachzuforfchen, feine Schuldner,
und da er nicht fürder Hoffnung haben konnte, irgendwo
als Regent unterzutommen, hängte er bie ihm übrig-
gebliebene Fahne in San Marco über dem Grabe feines
Daterd auf, der wenige Jahre zuvor geftorben war.
Dann fehrte er in das Gefängnif zu feinem frühern
Berufe zurüd, War er fchon früher gegen die Gefan-
genen ſtreng geweſen, fo wurde er nun, da er fi) von
ihnen gekraͤnkt glaubte und nicht näher mußte von wen,
vollends unerbittlih, umd machte ſichs zur Aufgabe, um
den rechten nicht zu verfehlen, allen miteinander fo viel
Unluft ale möglich zu bereiten. Die Gefangenen rath-
fchlagten daher oftmals miteinander und mußten nicht,
wie der Sache abzuhelfen fei, bis Lodovico da Marradi,
ein, wie ihre wißt, fehr verfchlagener Mann, endlich zu
ihnen fagte: Da wir ihn auf keine Weiſe milder gegen
und machen fünnen, und ba er doch.darauf bleibt, wir
feien die, die ihn nach Norcia geſchickt Haben, ohne fich,
durch irgend eine bisher gefchehene oder noch zu gefche-
bende Entfehuldigung von biefer Anficht abbringen zu
46 I. Hundert alte Rovellen.
laffen, da er im Gegentheil es täglich fich fefter in den
Kopf fegt und ed uns büßen läßt, und da uns einmal
unfer Unftern an diefen böfen Ort geführt hat, wo mir
feiner ſchlimmen Laune ausgefegt find, ohne uns Dagegen
mehren zu können, fo wollen wir wenigftend eines thun,
um in ſolcher Erniedrigung einigermaßen bie Süßigkeit
der Rache zu ſchmecken, die nach meiner Anficht fonft
alle Süßigkeiten von der Welt übertriff. Wir wollen
den Mann beim MWeinzoll anzeigen, weil er, da er als
Hauptmann nach Norcia ging, bie Taxe nicht bezahlt hat.
Das wird zur Folge haben, daß die Zollbeamten, um
einen Spaß mit ihm zu haben, nad ihm fenden und
ihn aufziehen, worüber er fich halb zu Tod ärgert, und
dann haben wir ihn doch, fo lang er dort ift, nicht auf
dem Hals. Und: wenn er auch darauf kommt, daß wir
ed geweſen find, fchlimmer, als er ed uns jegt mad, -
kann er ed und doch nicht machen; und am Ende wer
guten Krieg führt, kriegt guten Frieden.
Alle waren damit einverfianden, Lodovico fegte eine
Klage auf und fie ſchickten diefelbe durch einen Freund
- auf das Zollamt. Sobald die Beamten die Sache er-
fuhren, fchidten fie mit großem Gelächter nah ihm aus.
Sobald er kam, nahm einer im Namen aller das Wort
und fagte: Bianco, man hat uns zur Anzeige gebracht,
daß bu ald Hauptmann von Norcia von bier wegge-
gangen feift, ohne die Zare zu bezahlen. Du mußt fie
alfo bezahlen und bift zur Strafe den beppelten Betrag
zu erlegen fchuldig.
Als er dies hörte, fing er an heftig zu weinen und
ſprach: Liebe Herren, habt Erbarmen mit mir!
Dann erzählte er ihnen den ganzen Hergang. Die
Beamten ftellten fi), als glauben fie ihm nicht, und
zerrten ihn eine gute Weile herum; endlich gaben fie ihm
die Weifung, er folle ein anbermal wiederfommen. So
gelang dem Lobovico fein Plan vortrefflih, denn fo oft
die Beamten unter fi, über die Gefchäfte uneins waren
13. Der Hauptmann von Rorci.. 47
und ſahen, daß ſie nicht gleich ſich verſtaͤndigen konnten,
ſagte einer ober der andere: Da wir hierüber nicht
einig werden, wollen wir nach Bianco fenden und zu⸗
fehen, ob wir über feine Angelegenheit uns nicht einigen
können. Sie liefen ihn fommen, behielten ihn eine Weile
bei fih, machten fi) Spaß mit ihm, fo lange fie Xufl
hatten, und liefen dann bie Sache unentfchieden. So
dauerte es lange Zeit, daß man ihn immer bei ber erfien
Steuererbebung holen ließ, und auch fpäter manchmal,
wenn ed ihnen einfiel, fodaß ihm die Sache fein geringes
Gerhäft und Leidwefen machte, und überbies koſtete es
ihn einige Gulden, denn er brachte bem einen ber Beam-
ten Granaten, bem andern Kugeln, oder Spindeln, ober
Spiegel, wie er glaubte, daß es ihnen angenehm fei.
Die. Sefangenen, welche mit einem Zollboten verabredet
batten, daß fie Tag für Tag erführen, wie die Sachen
ſtehen, konnten nicht fatt werben, Lodovico für den von
ihm ertheilten Math zu danken, da er ihnen fo viel Ber-
gnügen und Troft verfchaffte, daß fie Daneben alles an-
dere geduldig erfrugen. Ich ſchweige davon, wie wir
von dem Notar, den er mitnahm, alles pünktlich erfahren,
und von dem Bergnügen, das uns bie Gefchichte oftmals
bereitete, fowie von manchem Schabernad, den ihm die
Gefangenen fonft noch anthaten, weshalb er immer mit
ihnen im Streit lebte und fomit arm, bettelhaft, wun-
derlich und launifch wurde.
Als Lioncino diefe feine Erzählung beenbigt hatte,
wandte er fih lachend zu Piero bem Veneziauer und
fagte: Nun wohlan, was willft du anfangen, Piero?
Willſt du nachgeben oder wie fonft auf deinem Kopf
beharren? Gefällt dir meine Geſchichte nicht beffer als
die deinige? Urtheile felbft, ohne die andern zu behelligen!
Nein nein, fagte Piero, darum handelt es fich nicht;
denn fo ſchön und unterhaltend auch deine Rovelfe ge-
weſen ift, jo behauptet doch die meinige vor ihr weit
den Vorzug, weil ich die Neben der in meiner Gefchichte
48 I. Hundert alte Kovellen.
auftretenden Perfonen anders gehalten und wiedergegeben
babe ald du die der beinigen. Sodann enthält meine -
Novelle lauter Dinge, die auf einen Punkt abzielen, von
dem man nie ohne Lachen fpricht und ber durchaus aller
Hörer Ohren ergegt; nicht alfo bei der deinigen. Indeß
haben wir uns dem Urtheil diefer wadern und verftän-
digen Männer unterworfen und ich will demfelben auf
feine Weiſe ausweichen.
Lioncino wandte ſich darauf zu und und fagte: Ich
wundere mich nicht über Piero, baß er hierin nicht mit
mir einverftanden ift, denn ed wäre Died ganz gegen
feine Gewohnheit; aber in Betracht eurer Klugheit fürchte
ich nicht, daß mir Unrecht gefchehen Lönnte. Und um
euch nicht durch Weitfchweifigkeit zu beläftigen, will if)
nicht die vielen unterhaltenden Partien meiner Novelle
hervorheben, fondern fpreche nur die Anficht Zus, daß,
ba ihr den Bianco kennt, und doch gewiß gehört habt,
daß das wirklich fich begeben, was ich euch erzählt habe,
daß euch dies weit mehr Spaß machen mußte als etwas
in feiner Geſchichte. Habt daher die Güte und urtheilt
nach eurem Gewiſſen!
Es waren unter uns verfchiebene Anfichten; die einen
verficherten, bie Novelle Piero’s fei fchöner, die andern,
die Lioncino’s, und ba wir uns zu feiner beflimmten
Entfcheidung vereinigen konnten, verfpradhen wir Gio-
vannozzo, es folle dies nicht das legte mal fein, daß
wir uns bier zufammenfinden, und es wurde befchloffen,
das nächſte mal, wenn wir wiederkommen, follen noch
zwei Gefchichten erzählt und dann erft unfer Urtheil ge-
fprochen werden. Die Krankheit nahm aber zu, Lioncino
unterlag ihr auch, und wir wurben fo davon erfchredk,
dag die Gefelfchaft nach allen Seiten zerſtob. So blieb
das Urtheil ungefprochen und ich berufe mich daher auf
das deinige und das bes geneigten Leſers.
II. Rovellen von Franco Sackhetti.
1335.
14. Lob und Tadel *)
(Nov. 3.)
Der alte König Eduard von England war ein Fürft
von großem Ruhm und vieler Tapferkeit und dabei fo
verftändig, als man aus folgender Gefrhichte zum Theil
erkennen fann. Es lebte nämlich zu feinen Zeiten im
Enzathal in der Graffchaft Florenz ein Siebmacher mit
Namen Parcittadino. Diefem kam es in den Sinn, die
Siebmacherei an den Nagel zu hängen und Hofmann
zu werden, in welchem Gewerbe er auch bald hübfche
Erfahrung gewann. Während er fich fo in den höfifchen
Künften verfuchte, entftand in ihm ein lebhafter Wunfc,
den befagten König Eduard zu befuchen, und dies nicht
ohne Grund, fondern weil er gar viel Rühmens von
feiner Großmuth und Milde, infonderheit gegen feines
Gleichen, vernommen hatte. In folchen Gedanken machte
er fich eines Tages auf den Weg und ruhte nicht eher,
bis er England und die Stadt Xondon erreichte, mo der
König ſich aufhiel. Er betrat den ‚Löniglichen Palaft,
wo der befagte König wohnte, fchritt durch Thüren und
Thore und gelangte in den Saal, mo der König meiften-
theild Hof zu halten pflegte, und fand ihn mit feinem
Haushofmeifter ind Schachfpiel vertieft. _ Parcittabino
näherte fi) dem König, kniete nieder und grüßte ihn
ehrfurchtevoll; der König nahm aber noch nicht mehr
Rückſicht auf ihn, als bei feinem erften Eintreten, ja er
) Simrod’5 Quclen ded Ghaffpeare, IV, 245.
Staliänifcher Novellenſchatz. I. | 3
50 II. Franco Sackhetti.
fhien ihn nicht zu bemerken, und Parcittadino verblieb
eine geraume Zeit in diefer Stellung. Da er aber fah,
der König achte nicht auf ihn, erhob er ſich wieder und
begann zu fprechen: Geſegnet fei ber Tag und die Stunde,
die mich dahin geführt haben, wohin mid) immer ver-
langte, nämlih zu dem Anblick des ebelften, weileften
und tapferften Königs der gefammten Chriftenheit; denn
nun darf ich mich vor Allen meines Gleichen brüften,
da mir die Ehre zu Theil geworden ift, die Blume aller
Könige zu ſchauen. O welcher Gnade hat das Glüd
mich gewürdigt! Wenn ich des heutigen Tages zum
Sterben käme, fo würde ich mit freudigem Herzen ben
legten Schritt thun, fintemal ich jene durchlauchtige Krone
von Angeſicht fchaue, die, wie ber Magnet das Eifen,
mit ihrer Xrefflichkeit jedermann an fich zieht und mit
dem Wunfche erfüllt, ihrer Glorie anfichtig zu werben.
Kaum hatte Parcittadino feine Rede fo meit ausge
führt, als der König fih vom Spiel erhob, den Par-
cittadino ergriff, ihn zur Erde riß und ihm mit Fauft-
f&hlägen. und Fußtritten fo begegnete, daß er ihn garftig
zurichtete.. Als der König das gethan hatte, kehrte er
gleich zu feinem Schachfpiel zurüd. Ganz beftürzt erhob
ſich Parcittadino von der Erde; kaum mußte er nod,
mo er fich befand, und faft bedäuchte ihn nun, er habe
fo manden Schritt vergebens gethan und aud das Lob
an den König verfchwende. So fand er ganz unglüd:
lich da und wußte nicht, was er beginnen ſollte. Endlich
faßte er fi) ein Herz und wollte den Berfuch machen,
ob es ihm vielleicht beffer ausfchlage, wenn er dem König
ganz entgegengefepte Dinge fage, da ihm das Xob fo
übel aufgenommen worden war. Er hub alfo an und
ſprach: Verwünſcht fei der Tag und bie Stunde, die
mid, an diefen Ort geführt haben! Ich glaubte, ich fei
gelommen, einen edeln König zu fohauen, wie der Ruf
ihn pries, und bin gekommen, einen undankbaren und
unerkenntlichen König zu fehen. Ich glaubte, ich fei ge-
14. Lob und Tadel. 51
fonımen, einen tugendbaften König zu ſehen, und ich bin
gekommen, einen bofen König zu ſehen. Ich glaubte,
ih fei gekommen, einen weifen und verfländigen König
zu ſchauen, und bin zu einem bo6haften und verberbenen
gefommen.. Ich glaubte, ich fei gefommen, eine heilige
und gerechte Krone zu fehen, und bin zu einem gekem⸗
men, der Gutes mit Boͤſem vergilt, benn das beweifl
der Augenfchein, da er mich Armfeligen, der ihn ehrte
und lobpreifte, fo zugerichtet hat, daß ich nicht weiß, ob
ich je wieder ein Sieb werde machen können, wenn ich einft
zu meinem alten Handwerk follte zurüdtehren müffen.
Bei diefen Worten erhob fich der König zum zweiten
mal und noch heftiger als zuver, trat an Die Thüre
und rief einen feiner Hofdiener. Als Parcittabing dies
ſah, kann man ſich denken, welcher Schred ihn ergriff;
er, fchien eine zitternde Leiche und zweifelte nicht, der
König werde ihn: umbringen laffen; denn als er fab,
daß der König jenen Hofdiener berbeirief, bildete er fi
ein, er rufe einem Schergen, der ihn ans Kreuz ſchia⸗
gen folle. Als aber der non dem König gerufege Baron
kam, ſprach ber König zu ihm: Beh hin und gib die
fem Mann das und das meiner Staatskleider und ber
zahle ihn Damit für die Wahrheit, die er mir gefagt hat,
denn für feine Lügen babe ich ihn fehon felber ausbezahlt.
Der Baron ging eilends unb brachte Parcittadino
eined ber ſchoͤnſten Loniglichen Kleider mit fo großen
Knöpfen voll Perlen und Ebdelfteinen, daß es, die em-
pfangenen Fußtritte und Fauftfchläge ungerechnet, wol
dreihundert Gulden oder mehr merth war. Parcittadino
argmöhnte anfangs, das Kleid möchte eine Schlange oder
ein Bafilist fein und ihn beißen, und griff nur vor-
fichtig zu. Bald aber faßte er Muth, zog ed an und
ftellte fich darin dem Könige vor.
Gnädigſter König, ſagte er ‚ wenn ihr mid) für meine
Lügen immer fo bezahlen wollt, werde ic, felten die Wahr-
heit fprechen.
3*
52 II. Franco Sackhetti.
Er lernte den König aus dem, was er gehört hatte,
fennen, und der König hatte mehr Freude, an ihm. Rad)
dem er. geblieben war, fo lang ihm gefiel} nahm er Ur⸗
laub und verabfchiebete fi) vom König. Er reifte nad
der Lombardei zurüd, wo er die Höfe aller Herren be-
fuchte und diefe Gefchichte erzählte, welche ihm hier mehr als
noch ein mal dreihundert Gulden einbrachte, womit er nad)
Toscana zurückkehrte und in Linari feine armen in faurer
Arbeit ganz verfommenen Verwandten vom Siebmacher-
gewerbe in feinem Staatökleide befuchte. Diefe machten
große Augen, Parcittadino aber fprach zu ihnen:
Am Boden Feicht” ich unter Schläg’ und Tritten,
Eh’ ih im England dieſes Kleid erftritten.
Er that Vielen von ihnen Gutes; dann nahm er Ab:
ſchied und ging feinem Glüde nah. Das war dod) eine
fo ſchöne Gefchichte, wie fie nur je einem Könige begeg-
nen kannte. Und wie Viele find, die, wenn fie gelobt.
worden wären wie dieſer König, nicht bie Baden auf-
gebläht hätten vor Stolz? Er aber, obmol er mußte,
dag er jene Lobſprüche verdiente, wollte zeigen, daß es
nicht wahr fei, übte aber am Ende, ſolche Klugheit. Wiele
Unwiffende, wenn Schmeichler fie ind Geficht loben, wer⸗
den es glauben; er aber, der ein tüchtiger Mann mar,
wollte das Gegentheil beweifen.
15. Der Miller und der Abt. *)
(Nov. 4.)
Meſſer Bernabd, Herr von Mailand, dem ein Müller
mit artigen Reden hinausgab, ſchenkte demſelben ein ſehr
großes Lehen. Dieſer Herr war zu feiner Zeit gefürch—
teter ald irgend ein anderer Fürft; und obgleich er grau-
*) Bei Simrock a. a. D., IV, 249.
15. Der Müller und der Abt. 53
fam mar, fo befaß er doch dabei einen guten Theil Ge⸗
rechtigfeit. Unter vielen andern Abenteuern begegnete es
ihm auch eines Tages, daß er einen reichen Abt, welcher
die Nachläffigkeit begangen hatte, zwei bem genannten
Herrn gehörige Doggen nicht recht zu halten, ſodaß
diefe räudig geworben waren, zu einer Geldbuße von vier
Gulden *) verurtheilte. Darüber fing der Abt an uni Gnade
zu flehen. Der genannte Herr aber, als er hörte, daß
ee um Gnade flehe, fagte zu ihm: Wenn du mich über
vier Dinge ins Klare fegeft, fo will ich dir ganz und gar-
vergeben. Es find folgende: du follft mir fagen, wie
weit es ift von hier bis zum Himmel; wie viel Waffer
im Meer ift; was in der Hölle gefchieht und wie viel
meine Perfon werth ift.
Als der Abt dies hörte, fing er an zu feufzen, und
ed fchien ihm, als fei er nun fchlimmer baran als zuvor.
Um indeß Zeit zu gewinnen und den Zorn des Heren ſich
abkühlen zu laffen, fagte er, er möge ihm gnädigſt eine
Friſt verftatten, um fo hohe Dinge zu beantworten. Der
Herr gab ihm den ganzen folgenden Tag Bedentzeit, und
begierig, den Ausgang ber Gefchichte zu hören, verlich er
ihm ſicheres Geleit zur Rückkehr. Gedankenvoll und fehr
tieffinnig kehrte der Abt zu feiner Abtei zurück und keichte wie
ein Pferd, wenn es fcheu wird. Dafelbft angelangt, begeg-
nete er einem feiner Müller. ALS der ihn fo niedergefchlagen
fah, fragte er: Was ift euch, Herr, daß ihr fo keicht?
Der. Abt antwortete: Ich habe wol Urſache, denn der
Fürft hat ſtark im Sinn, mic, dem Teufel in den Rachen
zu jagen, wenn ich ihn nicht über vier Dinge ins Klare fege,
die felbft Salomo und Ariſtoteles zu hoch geiwefen wären.
Der Müller fagt: Und was find das für Dinge?
Der Abt fagte ed ihm. Darauf fagte ber Müller
nad) einigem Nachfinnen zum Abte: Wenn es euch recht
ift, fo will ich euch wol aus diefer Verlegenheit helfen.
*) Simrod: 4000 Speciedthalern.
54 II. Franco Sacchetti.
Wollte Gott, ſprach der Abt.
Gott und alle Heiligen, fprach ber Müller, werden
es, denke ich, ſchon wollen.
Da begann der Abt, der nicht wußte, wie ihm ge⸗
ſchah, und ſprach: Wenn du das ausrichteſt, ſo nimm
dir von mir, was du willſt; denn nichts in der Welt
kannſt dus von mir fordern, das ich Die nicht gäbe, wenn
e6 irgend möglich iſt.
Der Müller verfegte: Dies will ich eurem Belieben
- überlaffen.
Wie willft dus es aber anfangen? fragte der Abt. -
Da antwortete der Müller: Ich will mir euren Rod
und Mantel anziehen, mir den Bart ſchreren und morgen
früh bei guter Zeit vor ihn treten und fagen, ich fei
der Abe. Alsdann will ich ihm die vier Dinge auf ſolche
Art auseinanderfegen, daß ich benfe, er foll zufrieden fein.
Der Abt Eonnte die Zeit nicht erwarten, bis er den
Müller an feine Stelle gefchoben. Und fo geſchah es.
Der Müller verwandelte fih in einen Abt und machte
ſich am Morgen bei guter Zeit auf den Weg. Als er
an dem Thore anlangte, wo der Herr innen wohnte,
Mopfte er an und fagte, der und der Abt wolle dem
Heren auf gewiffe Dinge antworten, bie er ihm aufge-
geben. Der Herr, begierig zu hören, mas ber Abt fagen
könne, und verwundert, daß er fo bald wieder da: war,
ließ ihn zu fich rufen. Der Müller trat vor ihn, ftellte
fih ein wenig in den Schatten, machte feine Verbeugung,
hielt die Hand öfters vor das Geficht, um nicht erkannt
zu werben, und al& der Herr ihn nun fragte, ob er ihm
über die vier Dinge Befcheid fagen könne, bie er ihm
aufgegeben, antwortete er: Ja, Herr! Ihr fragtet mich,
wie weit es von bier bis zum Himmel iſt. Nachdem
ih nun Alles wohl ermeffen, fo ift es von hier bis da
oben ſechsunddreißig Millionen achthundertvierundfunfzig
Tauſend zweiundſiebzig und eine halbe Meile und zwei⸗
undzwanzig Schritte.
15. Der Müller und der Abt. 55
Der Herr fprah: Du haft es fehr genau angefehen.
Aber wie beweifeft du das?
Laßt ed ausmeffen, antwortete er; und wenn dem
nicht fo ift, fo hangt mich an den Galgen! Zum An-
dern fragtet ihre mich, wie viel Waſſer das Meer ent-
halt. Dies ift mir fehr fauer geworden, herauszubringen,
denn es fteht nicht feit und kommt immer neues hinzu.
Aber ich habe doch ermittelt, daß im Meere fünfundzwanzig
Taufend neunhundertundzmeiundachtzig Millionen Fuder,
fieben Eimer, zwölf Imi, zwei Maß find.
Da ſprach der Herr: Wie mweift du das?
Er antwortete: Ich babe ed nad) beftem Vermögen
unterfucht. Wenn ihr es nicht glaubt, fo laßt Eimer
holen und es nachmeffen. Befindet ihr ed anders, fo
laßt mich viertheilen! Drittens feagtet ihr mich, was fie
in der Hölle machen. In der Hölle koͤpfen, viertheilen,
zwiden und hängen fie nicht mehr und nicht minder,
als ihr hier auf der Erde thut.
Welchen Beweis haft du dafür?
Er antwortete: Ich habe einmal einen gefprochen,
ber ba gewefen war, und von bem hatte der Florentiner
Dante, was er über die Dinge in ber Hölle gefchrieben.
Aber jegt ift er todt. Wenn ihr es alfo nicht glauben
wollt, fo ſchickt Hin und laßt nachfehen. Viertens endlich
fragtet ihr mich, wie viel ihre werth feid. Und ich fage:
neunundzwanzig Silberlinge.
Als Meſſer Bernabd died hörte, wandte er ſich voll
Wuth zu ihm und fagte: Daß dich der Donner und das
Wetter! Bin ich nicht mehr werth als ein Topf?
Der Müller gab nicht ohne große Furcht zur Ant⸗
wort: Gnädiger Herr, vernehmt den Grund! Ihr mwißt,
daß unfer Herr Jeſus Ehriftus um dreißig Silberlinge ver-
kauft wurde; ich rechne, daß ihr einen Silberling weniger
werth ſeid als er.
Als ber Herr dies hörte, ward es ihm auf einmal
deutlich, daß dies nicht der Abt fei. Er fah ihm ftarr
56 II. Franco Sachhetti.
ins Gefiht,-und feft überzeugt, daß dies ein Mann von
viel höhern Einfichten fei als der Abt, ſprach er dreift:
Du bift nicht der Abt.
Man kann fih den Schreden denken, melden der
Müller hatte. Er warf fich mit gefalteten Händen vor
ihm auf die Kniee, bat um Gnade und geftand dem
Heren, daß er ber Müller des Abtes fei und wie und
warum er in dieſer Vermummung vor feine Herrlichkeit
- gelommen und in welcher Weife er das geiftliche Kleid
angerogen habe, und Alles dies mehr, um ihm einen
Spaß zu machen, als aus böfer Abſicht. Als Meſſer
Bernabd dies vernahm, ſprach er: Wohlan denn, da er
dich zum Abt gemacht hat und du mehr werth bift al er,
fo wahr Gott lebt, will ich dich betätigen. Du ſollſt alfo
binfort der Abt fein und er der Müller. Auch folft du alle
Einkünfte des Klofters haben und er die der Mühle.
Und fo mußte es gehalten werden, fo lange er lebte,
daß der Abe Müller war und der Muller Abt. Es iſt
eine fehr misliche Sache und große Gefahr darin, ſich
gegenüber von großen Herren zu fügen, wie biefer
Müller that, und die Keckheit zu haben, melche er hatte.
Aber ed geht mit diefen hohen Herren wie mit dem Meer:
man geht unter großen Gefahren hin, aber bei großer
Gefahr ift auch der Gewinn groß. Und es ift ein großer
Vortheil, wenn auf ber See Windftille herrfcht; ebenfo
auch bei einem großen Herrn; aber beim einen wie beim
andern ift es eine Hauptfache, auf feiner Hut zu fein,
denn das Schickſal wendet fi) fehnell. Einige haben be-
richtet, dieſe oder eine ähnliche Geſchichte fei dem Papft ***
begegnet, welcher einem Abte zur Buße eines begangenen
Fehls die Aufgabe geftellt habe, die vier obengenannten
Fragen zu beantworten, und noch eine drüber, nämlich
‚weiches das merkwürdigſte Ereigniß fei, das ihm im Leben
begegnet wäre. Der Abt bat um Frift, kehrte nach der
Abtei zurüd, verfammelte hier alle Mönche und Laien-
brüder bis auf den Koch und ben Gärtner, erzählte ihnen,
16. Die drei Gebote des Vaters. 57
welche ragen er dem Papft beantworten folte, und bat
fie um Rath und Beiftand. Da ſtanden fie Alle wie
unfinnig da und mußten nicht, was fie antworten follten.
Als aber der Gärtner fah, daß fie Alle veritummten,
hub er an: Here Abt, da biefe hier alle kein Wort her⸗
vorbringen, fo will ich der fein, der redet und handelt.
Ich hoffe euch aus dieſer Verlegenheit zu helfen. Gebt
mir aber eure Kleider, daß ich als Abt vor ihm erſcheinen
kann, und laßt dieſe Mönche mir folgen!
So geſchah es. Und als er vor den Papſt kam,
ſagte er, der Himmel ſei dreißig Schrei hoch. Vom Waſſer
des Meeres ſagte er: Laßt die Mündungen der Ströme
erſt verſtopfen, die hineinfallen! Dann wird es zu er-
meſſen fein.
Den Werth feiner Perfon ſchaͤtzte er auf achtundzwanzig
Silberlinge, denn er rechne ihn zwei Silberlinge geringer
an als Ehriftus, deffen Statthalter er fei. Das merkwür⸗
digſte Ereigniß ſeines Lebens, ſagte er, fei geweſen, als
er aus einem Gärtner zum Abt geworden. Und in diefer
Würde ward er beftätigt. Es mag nun gefchehen fein wie
es will, mit diefem und jenem oder mit beiden, jedenfalls
wurbe aus dem Abt ein Müller oder ein Gärtner.
16. Die drei Gebote des Baterd.®
(Nov. 16.)
Jetzt will ich von einer erzählen, die ſich verheira⸗
thete, als wäre fie noch Jungfrau, ber Bräutigam fah
aber den Beweis bed Gegentheild, ehe er noch bei ihr
lag, und ſchickte ſie nach Hauſe zurück, ohne je mit ihr
zu thun zu haben. In Siena lebte vor Zeiten ein reicher
Bürger, der einen einzigen etwa zwanzigjährigen Sohn hatte,
) Simrod’5 Bibliothek der Novellen, IV, 255. Bol. Strapparola, IA.
V. Schmidts Maͤrchenſaal, I, 70. 291.
344
58 I. Franco Sacchetti.
welchem er, als er zu ſterben kam, unter andern Vor⸗
fehriften die drei folgenden gab: erftens, nie mit jemanden
fo viel zu verkehren, daß er dieſem zum Überdruß werde;
zweitens, wenn er eine Waare ober fonft etwas gekauft
habe, woran er einen Gewinn machen könne, fo folle er
diefen hinnehmen und auch noch Andern baran Gewinn
übrig laſſen; Drittens, wenn er ein Weib nehme, fo folle
er eins aus der nächften Nachbarfchaft wählen, und wenn
. dies nicht fein könne, lieber eins aus feinem eigenen Rande
ale aus andern entlegenen. Der Sohn erhielt diefe drei
Borfchriften als Berlaffenfhaft und der Water farb.
Lange Zeit hatte dieſer Jüngling mit einem aus dem
Haufe der Horteguerri verkehrt, welcher ftets ein Ver⸗
fhmender gemwefen war und jegt einige. mannbare Töchter
batte. Seine Berwandten ftellten ihn täglich wegen feines
Aufwandes zur Rede, es half aber nichts. Nun gefchah -
ed, daß jener Forteguerra eines Tages für ben Süngling
und einige andere ein ſchönes Gaftmahl bereiten ließ,
als feine Verwandten ihn deshalb vernahmen und fprachen:
Was thuft du, Unglücklicher? Willſt du dem aufs Ge-
rathewohl noc zugeben, der ein fo großes Vermögen
geerbt bat, Haft fo viel Aufwand gemacht und machſt
immer noch und haft mannbare Töchter?
Sie fprachen fo lange, bis jener wie verzweifelt nach
Haufe ging, alle Speifen, die in der Küche bereitet
wurden, wieder abbeftellte, dann eine Zwiebel nahm, fie
auf die ſchon gedeckte Tafel legte und ben Befehl Hinter-
ließ, wenn der bewußte junge Mann zu Tifche komme,
- fo folle man ihm fagen, er möge die Zwiebel effen, denn
anders fei nichts da und Forteguerra fpeife nicht baheim.
Als die Effensftunde Fam, begab ſich der Jüngling nad)
dem Haufe, wohin er. geladen war, und als er in den
Saal trat, fragte er die Gattin feines Freundes nach ihm.
Die Frau antwortete, er fei nicht zu Hauſe und fpeife
nicht daheim. Er babe aber hinterlaffen, wenn er komme,
fo folle er jene Zwiebel effen, denn anders fei nichts ba.
DS
16. Die drei Gebote des Vaters. 59
Bei diefem Gerichte gedachte det Jüngling bes erfien
Gebotes feines Vaters und ‚wie übel er baffelbe befolgt
habe. Er nahm die Zwiebel, kehrte nach Haufe, um⸗
wickelte ſie mit einem Bindfaden und hängte fie an bie
Dede des Saaled, in welchem er zu fpeifen pflegte. Nicht
lange darauf kaufte er ein Reitpferd für funfzig Gulden
und einige Monate nachher fonnte er es für neunzig ver⸗
taufen, wollte es aber nicht laffen, fondern fagte, er wolle
hundert dafür haben. Darauf beharrte er; eines Nachts
aber ward das Pferd von Schmerzen überfallen und ftarb
daran. Als der Jüngling dies bedachte, erkannte er, daß
er das zweite Gebot. des Vaters übel befolgt habe, ſchnitt
bem Pferde den Schwanz ab und hängte ihn an die
Dede neben bie Zwiebel. Als er fich hierauf verheira-
then wollte, fügte es der Zufall, daß er weder in ber
Nachbarſchaft noch in ganz Siena ein Mädchen finden
fonnte, das ihm gefiel; meshalb er in mehrern Ländern
zu fuchen begann und zulegt nad) Piſa gelangte, wo er
einem Notar begegnete, der früher in Siena Geſchäfte
gehabt hatte und ſeines Vaters Freund geweſen war.
Daher kannte ihn dieſer Notar, nahm ihn ſehr freundlich
auf und fragte ihn, was er in Piſa für Geſchaͤfte habe.
Der Jüngling antwortete, er ſuche ſich ein ſchönes Mädchen
zur Braut, denn in ganz Siena könne er keine finden,
die ihm gefalle.
Wenn dies ift, fagte der Notar, fo bat dich Gott
hierher gefandt, und du follft hier wohl bedient werden,
denn ich habe bier ein Mädchen aus dem Haufe ber
Lanfrandhi unter ben Händen, das Schönfte, was man
je fehen Tonnte, und hätte wohl Luſt, fie zu der deinigen
zu machen.
Dem Jüngling gefiel e& und er konnte faum die Zeit
erwarten, bis er fie zu fehen befäme. Dies gelang ihm
denn, und als er fie gefehen Hatte, machte er den Handel
richtig und verabrebete die Zeit, wann er fie nach Siena
führen folle. Diefer Notar war von den Lanfranchi be⸗
60 . 1. Franco Sackhetti.
fiohen und das Mädchen unehrbar; denn ba fie mit
einigen jungen Pifanern zu thun gehabt, hatte fie nach⸗
her nicht mehr Gelegenheit gefunden, fich zu verheirathen,
und darum gedachte diefer Notar, ihre Verwandte von
diefer Laſt zu befreien und fie dem Siener anzuhängen.
Er traf alfo Abrede mit ihrer Kammerfrau, welche viel-
leicht die Kupplerin gefpielt hatte. Es war ein Weibchen
aus ihrer Nachbarfchaft, genannt Monna Bartolomen,
und die junge Braut pflegte mit ihr bald hier bald da
ihrem Vergnügen nachzugehen. Als nun Alles in Ord⸗
nung und auch für die Begleitung ‚geforgt mar, unter
welcher ſich auch einige der Zünglinge befanden, welche
fie oft in Liebe erkannt hatte, machten fie fich mit der
Braut und dem Bräutigam auf den Weg nach Siena,
und man fandte Boten voraus, um Alles für fie in
Bereitſchaft zu fegen. Als fie auf der Reife waren,
zeigte fich einer der Jünglinge, die fih in ihrem Gefolge
befanden, fo. traurig, als ob er zum Galgen ginge,
denn er bedachte, wie fie nun nad) einem fremden Ort
verheirathet werde, und er ohne fie nach Piſa zurüd-
kehren müffe. Und er trieb es mit feinem nachdenklihen -
Weſen und feinen Seufzern fo weit, daß ber Bräutigam
ihres Einverftändniffes gemahr wurbe; denn das Sprich-
wort hat nicht Unrecht, welches fagt, daß die Kiebe und
der Huften nicht zu verbergen find. Kaum hatte er dies
bemerkt, als er argen Verdacht ſchöpfte und -nicht eher
ruhte, als bis er vollig’ erfannt hatte, wer das Mädchen
fei und wie der Notar ihn verrathen und betrogen habe.
Als fie daher nach Staggia gelangten, bediente fich der
Bräutigam folgender Lift. Er äuferte, er wolle zu guter
Zeit zu Nacht fpeifen, weil er am Morgen vor Tages-
anbruch nad Siena eilen wolle, um bie nöthigen Vor⸗
bereitungen zu treffen. Dies fagte er fo, daß der verliebte
junge Mann es hören Eonnte. Die Kammern, in wel-
chen fie fehliefen, waren faft alle nur mit Bretern ver-
ſchlagen und lagen nebeneinander. In der einen fchlief
16. Die drei Gebote des Vaters. 61
ber Bräutigam, in der andern die Braut mit der Kammer-
frau, und in der dritten zwei junge Männer, von melden
der eine feine Ohren genug gehabt hattt, um die Auße-
rung ded Sieners aufzufangen. Am Morgen nun erhob
er fich etwa eine Stunde vor Tagesanbruch, um, mie er
zu verfiehen gegeben hatte, nah Siena zu eilen.
ging hinunter, fegte fi zu Pferde und ritt etwa vier
Büchſenſchüſſe weit gegen Siena, worauf er die Zügel
wandte und in langfamem Schritte nad) Staggia zurüd«
ritt. Er näherte ſich leife der Herberge, band fein Pferd
an einem Thürringe feft und ging hinauf nad) dem Saale.
Hier trat er an die Thüre ber Kammer, worin die Braut
ſchlief, lauſchte leiſe und überzeugte ſich, daß fie den
Züngling bei ſich habe; worauf er die fchlechtverriegelte
Thüre erbrach und hineintrat. Dann ging er facht zu
der Bettfponde, fuchte nach einem der Kleidungsftüde
defien, der darin fchlief, und fand zufällig deffen Bein⸗
leider. Die in dem Bette bemerkten ihn nicht, oder
ftellten fih aus Furcht, als fchliefen fi. Er aber nahm
die Beinkleider, verließ die Kammer, eilte die Stiege
hinab, fegte fic mit den befagten Beinkleidern zu Pferde
und eilte nach Siena... Als er nun nad Haufe kam,
hängte er fie an die Dede neben die Zwiebel und ben
Pferdeſchwanz. Am andern Morgen erhob ſich zu Staggia
die Braut mit ihrem Liebhaber. Der SJüngling aber,
der feine Beinkleider nicht fand, ſetzte fich ohne diefelben
mit der übrigen Gefelfhaft zu Pferde und ging nad
Siena. Sie erreichten das Haus, wo die Hochzeit fein
follte, und ftiegen ab. Als fie fih nun zu einem Gabel-
frühſtück unter die drei aufgehängten Dinge fegten, wurde
der Jüngling gefragt, was diefe Dinge bedeuten. Er
antwortete: Ich will es euch fagen, und bitte alle, mir
zuzuhören. Es ift nicht lange her, daß mein Vater ftarb
und mir brei Gebote hinterließ. Das erfte Iautete fo
und fo, und deshalb nahm ich dieſe Zwiebel und hängte
fie bier auf; zweitens befahl er mir fo und fo, und auch
62 a Franco Sackhetti.
. hierin gehorchte ich ihm nicht; und als das Pferd flarb,
fchnitt ich ihm den Schwanz ab und befeftigte ihn bier
oben; zum Dritten befahl er mir, fo nahe als möglich
in der Nachbarfchaft zu heirathen. Ich aber nahm mir
‚ fein Weib aus der Nähe, fondern ging bis nach Pifa
und nahm diefes Mädchen, meil ich glaubte, fie fei,
wie alle fein follen, die ſich als Sungfrauen verheira-
then. Unterwegs aber Tag diefer junge Mann, welcher
bier figt, in der Herberge bei ihr. Ich kam leife zu
ihnen, fand feine Beinkleider, nahm fie mit mir und
befeftigte fie bier an der Dede, und wenn ihr mir
nicht glaubt, fo fucht bei ihm danach, denn er trägt
feine.
Und fo befand 8 fh. -
Nach Tiſche alſo, fuhr er fort, nehmt ihr diefes gute
Mädchen und begebt euch wieder nach der Heimat, denn
ih will fie nicht wieder fehen, gefchmweige denn bei ihr
liegen. Dem Notar, ber mir den guten Rath gab, bie
Heirath fliftete und den Vertrag nieberfchrieb, mögt ihr
fagen, er möge einen Spinnroden mit bem Pergament
bekleiden.
Und fo gefhah es. Sie zogen mit dem Mädchen ab,
ftil und befchämt, oder, wie man zu fagen pflegt, mit
. Jahmem Fuß und den Finger im Auge. Die Braut
aber verfchaffte fich mit der Zeit noch viele Männer,
dee "Bräutigam andere Frauen. In biefen drei Thor:
beiten handelte diefer junge Mann den Geboten feines
Baterd zumider, die alle fehr nüglich find, obgleich viele
Leute fie nicht beobachten. In dem legten Punkte aber,
dem wichtigften, kann man nicht itten, wenn man
Verwandtſchaften in der Nähe ſchließt; und doch thun
wir alle das Gegentheil. Und nicht allein bei den
Ehen, fondern auch wenn wir Pferde zu kaufen haben,
wollen wir nichts von den Nachbarn, bei welchen ums
alles voll Fehler erfcheint, kaufen dagegen die der
Deutfchen, welche nach Rom gehen, in wahrer Wuth
⸗
17. Piero Brandant. 63
auf.. Und fo geht es uns oftmals in beiden Yällen
gerade wie in ber Geſchichte, die ihr gehört habt, ja
noch ſchlimmer.
17. Piero Brandani.
(Nov. 17.)
In der Stadt Florenz lebte vor Zeiten ein gewiſſer
Piero Brandani, der ſeine ganze Zeit mit Proceſſiren
hinbrachte. Er hatte einen Sohn von etwa achtzehn
Jahren, und da er ıfın eines Morgens auch wieder
auf das Rathhaus gehen mußte, um einen Rechtöhandel
zu vertreten, fo gab er feinem Sohne gewiſſe Papiere
und bieß ihn damit vorausgehen und ihn bei der Abtei
von Florenz erwarten. Der Sohn gehorchte dem Vater,
ging an den bezeichneten Ort und erwartete bafelbft
mit den Papieren den Vater. Es war im Monat Mai,
und während der Junge fo wartete, fing es an, fehr
heftig zu regnen. Da kam eine Bäuerin oder Hökin
mit einem Korb voll Kirfchen auf bem Kopfe vorüber
und ber Korb fiel ihr herunter, die Kirfchen waren über
bie ganze Strafe verfireut, und bie Goſſe diefer Straße
war wie immer, fo oft es regnet, zu einem kleinen Bache
angefhmwollen. Der junge Menſch machte begierig, wie
folche Leute- find, mit noch andern fi die Verwirrung
zu Nug und beeilte fi, die befagten Kirfchen aufzulefen,
ja fie liefen bi8 in den Bach hinein Hinter denfelben ber.
Als nun aber die Kirfchen verzehrt waren und der junge
Burfche ſich auf feinen vorigen Stanbpunft zurüdbegab,
fand er, daß er die Papiere nicht mehr unter dem Arm
hatte, denn fie waren ihm in das Waſſer gefallen, und
von demfelben in den Arno geſchwemmt worben, ohne
daß er es bemerkt hatte. Er lief auf und ab, fragte da,
64 II. Franco Sackhetti.
fragte dort, ed war alles umfonft, denn die Papiere
ſchwammen bereits Pifa zu. Der junge Menih war
darüber fehr betrübt und dachte darauf, fih aus dem
Staub zu mahen aus Furcht vor feinem Vater. Er
lief auch am erften Tag bis Prato, wo die meiften Ent-
wichenen oder Flüchtlinge von Florenz die erfte Raſt halten.
Er ging in eine Herberge, wo nah Sonnenuntergang
auch einige Kaufleute ankamen, nicht um bie Nacht da⸗
felbft zuzubringen, fondern mit der Abfiht, ihren Weg .
noch weiter gegen Ponte Agliana fortzufegen. Die Kauf:
leute fahen, daß der junge Menfch fo. niedergefchlagen war,
und fragten ihn, was er babe und woher er fei.
antwortete auf ihre Frage und fie fehlugen ihm vor, fich
an fie anzufchließen und bei ihnen’zu bleiben. Der Knabe
fonnte ed faum erwarten, bis es weiterging, fie machten
fih endlih auf und kamen um zwei Uhr der Naht nach
Ponte Agliana. Sie Flopften an eine Herberge und der
Wirth, welcher ſchon ſchlafen gegangen war, kam an
das Fenfter und fragte: Wer da?
Mach und auf! Wir wollen Quartier.
Der Wirth aber fagte fcheltend: Wißt ihr denn nicht,
daß es hier in der Gegend von Straßenräubern wimmelt?
Es wundert mich fehr, daß ihr durchgelommen feid.
Der Wirth hatte auch wirklich Recht, ba eine große
Schar Verbannter das Land heimfuchte. Die Reifenden
baten aber doch fo lange, bis ihnen der Wirth öffnete,
Als fie drinnen waren und ihre Pferde verforgt hatten,
fagten fie, fie wollen zu Nacht effen. Der- Wirth aber
fagte: Ich babe einen Biffen Brot im Haufe.
"Die Kaufleute antworteten: Nun, mas ift da zu thun?
Ih weiß kein anderes Mittel, verfegte der Wirth,
ald daß euer Burfche da irgend einen zerriffenen Kittel
anzieht, in dem er recht wie ein Lump ausfieht; er foll
dort die Anhöhe Hinuntergehen; drunten wird er eine
Kirche finden, und alsdann fol er dem Ser Cione rufen,
dem Pfarrer von bort, und ihm von mir ausrichten,
17. Piero Brandani. 65
er möge mir neunzehn Brote leihen. Ich fage dies barum,
weit diefe Bofewichter, wenn fie einen fo fchlechtgeklei-
deten Jungen finden, nichts mit ihm anfangen werden.
Er zeigte dem Burfchen ben Weg, ‚welcher ungern
ging, weil e8 Nacht war und man nicht gut ſah. Voll
Furcht, wie man fich denken kann, ging er binmeg,
irrte da= und dorthin und konnte die Kirche durchaus
nicht finden, bis er endlich in ein Gebüſch kam, aus
welchem er etwas hervorfhimmern fah, was wie eine
Mauer ausſah. In der Meinung, es fei die Kirche,
nahm er fich vor, darauf loszugehen. Er kam auf eine
große Tenne, die er für den Kicchplag hielt. In Wahr-
heit aber ftand er an dem Haufe eines Landmannes. Er
ging darauf zu und fing an, an bie Thüre zu klopfen.
Der Landmann hörte ihn und rief: Wer ift da?
PAR Knabe antwortete: Macht mir auf, Ser Gione,
der Wirth (er nannte ben Namen) von Ponte Agliana
ſchickt mich her, ihre möchtet ihm neunzehn. Brote leihen.
Was Brote! vief der Bauer, Gaubdieb, der du bift
und ber du für die Spigbuben Kundfchaft einziehen willft!
Wenn ich binaustomme, fo will ich dich paden und nad
Piſtoja ſchicken, daß fie dich aufhängen.
Als der junge Menfch diefe Worte hörte, wußte er
nicht, was er anfangen follte, und indem er fo außer
fih nach einem Wege ſich umfah, welcher ihn an einen
beffeen Hafen führen könnte, hörte er ganz nahe am
Saum bes Waldes einen Wolf heulen. Er fchaute um-
her und fah auf dem Plag eine Tonne aufrecht ftehen,
welcher oben ber Boden eingefchlagen war. Er lief ſtracks
darauf zu, flieg hinein und wartete mit großer Beſorgniß,
was das Schickſal über ihn beſchloſſen habe. Unterdeſſen
kam wirklich der Wolf heran; er war vielleicht aus Alter
räudig, lehnte ſich an das Faß und fing an, ſich daran
zu reiben. Während er fo juckte, erhob er den Schwanz
und diefer Fam gerade in das Spundloch hinein. Der
Knabe fühlte ſich innerhalb des Faffes von dem Schmanze
66 Ul. Franco Sacchetti.
berührt und kam in heftige Angſt. Sobald er aber ſah,
was es war, packte er in ſeiner großen Noth den Schwanz
und nahm fich vor, fo lang feine Kräfte ausreichen, ihn
nicht mehr loszulaſſen, bis er ihn ganz imnen hätte.
Der Wolf, als er fih am Schwanze gepadt fühlte,
fing an zu ziehen; der Knabe hielt feft und zog gleich⸗
falls. So zogen beide, bis die Tonne umfiel und zu
rollen begann. Der Knabe bielt immer fefter und der
Wolf z0g, und je mehr er zog, deſto mehr Schläge ver:
feste ihm das Faß auf den Rüden. Diefes Wälzen
dauerte wol zwei Stunden, und das Faß verfegte dem
Wolf fo heftige Schläge, daß er am Ende ums Leben
fam. Der. Süngling war babei freilich auch halb zer-
ftoßen worden; doc fam ihm fein gutes Glück fo weit
zu ftatten, daß, je fefter er den Schwanz hielt, deſto
mehr er felbft gefchügt und der Wolf in Nachtheil ver-
fegt war. Als jener den Wolf getödtet hatte, magte er
doch die ganze Nacht nicht, aus dem Faſſe hervorzufriechen
noch den Schwanz Ioszulaffen. Gegen Morgen ftand der
Landmann, auf, bei welchem der Knabe an bie Thüre
geklopft hatte, und’ fah, ald er zur Arbeit auf den Ader
ging, am Fuße eines Abfturzes das Faß liegen. Da
dachte er und ſprach bei fich felbft: Diefe Teufel, bie
des Nachts umgehen, richten auch nichts als Unheil an.
Weil fie nun nichts anders oben auf der Tenne gefunden
als mein Faß, haben fie ed mir bis dort hinuntergerollt.
Er fchritt näher Hinzu und fah neben dem Faffe ben
Wolf liegen, welcher noch nicht todt ſchien. Da fing
er an zu fihreien: Ein Wolf! Ein Wolf! Ein Wolf!
* Die Leute aus dem Dorfe kamen auf den Lärm her⸗
beigelaufen und als fie näher rüdten, bemerkten fie, daf
der Wolf todt war und ber junge Menfch in dem Faffe
lag. Alles kreuzte und fegnete fich und fragte den Knaben:
Wer bift du denn? Was foll das heißen?
Mehr todt als lebendig und faum im Stande, nod)
Athen zu fchöpfen, fagte der Knabe: Erbarmt euch meiner
17. Piero Brandani. 67
um Gottes willen und hört mich an, ohne mir etwas
zu Leid zu thun!
" Die Bauern fpigten die Ohren, um ben Hergang
eines. fo unerwarteten Abenteuers_ zu vernehmen. Er er-
zählte num von dem Verluſt der Papiere bis zu dieſem
Punkte alles, was ihm begegnet war. Die Leute hatten
großes Mitleid mit iym und fagten: Junge, bu haft großes
Unglüd gehabt; aber doch wird es dir nicht fo übel aus-
fhlagen, wie du glaubſt. In Piftoja ift ein Gefeg, daß,
wer einen Wolf erlegt und ihn der Gemeinde bringt,
befommt von ihr funfzig Pfund.
Da wurden bie erflarrten Lebensgeifter dem Jüngling
wieder etwas rege, als fie ihm anboten, ihn zu begleiten
und ihm den Wolf tragen zu helfen, mas er auch an-
nahm. Einige von ihnen trugen mit ihm den Wolf hin-
weg, und als fie in das Wirthshaus von Ponte Agliana
famen, von wo er andgegangen war, verwunderte fich
der Wirth bafelbft, wie nicht anders zu ermarten ift,
und fagte, die Kaufleute feien bereit6 weiter gezogen und
er wie fie haben, ald er nicht zurückkam, geglaubt, er
fei entweder von Wölfen gefrefien oder von Räubern
gefangen worden. Kurz, der Knabe lieferte endlich den
Wolf an die Gemeinde von Piftoja ab und erhielt, nach⸗
dem er den ganzen Verlauf erzählt hatte, funfzig Pfund.
Bon biefen gab er fünf aus zur Bewirthung der Gefell»
Schaft und mit den übrigen fünfundvierzig kehrte er, nach⸗
dem er fich von ihnen verabfchiebet hatte, zu feinem Vater
zurück. Er bat ihn um Verzeihung, erzählte ihm alles,
was ihm begegnet war, und gab ihm bie fünfundvierzig
Pfund. Der Bater als armer Mann war darüber fehr
erfreut, verzieh ihm, ließ von dem befagten Gelde von
jenen Papieren eine neue Abfchrift madyen und procef-
firte mit dem Reſte luſtig drauf los.
Darum muß man über nichts in der Welt verzwei-
feln, denn gar oft gibt das Glück ebenfo wieder wie es
nimmt. Wer hätte fi) eingebilbet, daß die im Waſſer
68 . H. Franco Sackhetti.
verlorenen Papiere wieder erſetzt werben jollten durch
einen Wolf, der feinen Schwanz. durch das Spundloch
eined Faſſes ſteckte und fich fo fangen laffen mußte?
Gewiß, dies ift ein Fall und ein Beifpiel, welches nicht
nur lehrt, daB man nicht verzweifeln darf, jondern daß
man, was auch kommen mag, weder troftlos noch ver⸗
drießlich werden ſoll.
18. Das Vermaͤchtniß.
(Nov. 21.)
Nun will ich auf die Geſchichte kommen von den
teigen Birnen; es iſt dies der- letzte Spaß des Baſſo,
denn er fiel vor, waͤhrend er ſtarb. Als er zu ſterben
kam, war ed eben Sommerzeit und die Sterblichkeit fo
groß, daß die Frau ed nicht wagte, fi dem Manne
zu nahen, unb der Sohn ben Vater vermied, ber Bruder
den Bruder, indem diefe Krankheit, wie jeder weiß, der
fie gefehen hat, fi ch fehr leicht mittheilte. Nun wollte
er ein Zeftament machen, und lief, da er ſich von den
Seinigen allen verlaffen ſah, den Notar niederfchreiben,
feine Kinder und Erben follen verpflichtet fein, alle Jahre
am St. Jacobstag im Julimonat einen Scheffelkorb teiger
Birnen an einem beſtimmten von ihm bezeichneten Orte
den Sliegen zu geben. Der Notar fagte: Baffo, mußt -
du noch immer Scherz treiben?
Baſſo ſagte: Schreibt, wie ich euch ſage; denn in
dieſer meiner Krankheit haben mich alle Freunde und
Verwandte verlaſſen und nur die Fliegen ſind mir treu
geblieben. Da ich ihnen nun ſo verbunden bin, ſo würde
ih nicht hoffen dürfen, bei Gott Gnade zu finden, wenn
18. Das Vermähtni. 69
ich mich ihnen nicht dankbar erwiefe. Und damit ihr feht,
daß ich nicht fcherze, fondern im Ernſt rebe, fo fchreibt,
wenn dies nicht alle Jahre geſchehe, fo follten meine Kinder
enterbt fein und mein ganzes Eigenthum ber und der
milden Stiftung zufallen.
Zulegt fah fi der Notar genöthigt, zu fehreiben,
wie er es haben wollte So mar Baffo billig gegen
diefe Eleinen Thierchen. Bald darauf, als er in bie
legten ‚Kämpfe fam und nicht mehr viel Bewußtſein hatte,
Fam eine Nachbarin zu ihm, wie es bie Weiber machen.
Sie hieß Frau But.
Baffo, fagte fie, Gott dBente dir Gefundheit! Ich
bin deine Nachbarin Frau Gut.
Er blidte mit großer Beſchwerde nach ihr um und
fagte, daß fie e8 kaum hören konnte: Sept, da ich fterbe,
laß ich mirs gefallen; denn ich habe achtzig Jahre gelebt
und ‚habe keine Frau gut gefunden.
Über diefe Außerung Tonnte feiner der Umftehenden
das Rachen halten, und während dieſes Gelächters, gleich
darauf, ftarb er. Um feinen Tod habe ich der Schreiber
und viele andere Mitlebende getrauert, benn Baſſo war
eine Hauptfache für jeben, der nad, Ferrara kant. Und
war das nicht eine große Billigkeit gegen die Fliegen?
Außerdem, daß es ein herber Tadel war für feine ganze
Familie. So gibt e8 Viele, die in bergleichen Fällen die-
jenigen verlaffen, um deren Leben fie taufend Tode wagen
ſollten. Das ift unfere Liebe, daß nicht allein die Kinder
ihr Leben nicht für ihre Altern einfegen, fondern viele
ihren Tod münfchen, um freier zu fein.
70 | II. Franco Sacchetti.
4
| 19. Gonnella’93 Heimkehr. *)
(Nov. 27.)
Gonnella, ein ergöglicher Spaßmacher oder Hofmann,
wie man es heißen will, gab dem Markgrafen von Ferrara
nicht minder hinaus als Bartolino *). Der Markgraf
Dbizzo befahl eines Tages dem Hofnarren, entweder weil
er eine Kleinigkeit gegen ihn verbrochen hatte, oder weil
er fih einen Spaß mit ihm zu machen gedachte, mit
ausdrüdlichen Worten, er folle ſich auf feinem Grund
und Boden nicht mehr betreffen laffen, widrigenfalls ihm
das Haupt abgefchlagen werde. Kaum hatte dies Gonnella
vernommen, fo begab er fi nad) Bologna, miethete ſich
einen Rollwagen, füllte denfelben mit bolognefifcher Erde
an und nachdem er mit dem Wagenführer über den Preis
einig geworden, war, beftieg er benfelben und kehrte auf
dieſem Rollmagen zurüd vor den Markgrafen Obiszo.
Als diefer den Sonnella in folder Weife zurückkehren fah,
wunderte er ſich und ſprach: Gonnella, habe ich dir nicht
verboten, meinen Grund und Boden wieder zu betreten,
und nun wagft du es auf einem NRollmagen vor mir zu
erfcheinen? Was foll das heißen? Verachteſt du meine
Gebote?
Zugleich befahl er feiner Dienerfchaft, ihn zu ver-
haften. Aber Gonnella ſprach: Mein Bebieter, hört mid)
um Gottes willen an und laßt mir Recht widerfahren!
Wenn ihr findet, dag ich im Unrecht bin, follt ihr mid)
an den Galgen hängen laffen.
Der Markgraf war neugierig zu hören, was er fagen
werde, denn er erwartete wol, daß wieder ein frifcher
Witz komme. Er rief alfo feinen Dienern zu: Verziehet
eine Weile und laßt ihn reden!
*) Simrod’5 Bibliothek der Novellen, IV, 262.
») Bon dem Rov. 26 die Rede war.
.
— — ——— — ——— ——— —
19. Sonnella’8 Heimkehr. — W. Die Eafentiner Gefandten. 71
Da begann Gonmella und ſprach: Bere, ihr befahlt
mir, euren Grund und Boden nicht .mehr zu betreten,
weshalb ich mich eilends nach Bologna begab und biefen
Wagen mit bolognefifhem Grund und Boben füllen lief.
Diefen betrat und betrete ich noch jegt und nicht den euren,
noch den von Ferrara.
Als der Markgraf dies hörte, nahm er diefen Grund
mit großer Ergögung für giltig an und ſprach: Gonnella,
du bift eine finntäufchende Nachtjade*), fo bunt und ſchil⸗
leend von Farbe, daß mir weber Lift noch Kunſt gegen
deine Bosheit aushilft. Bleibe, wo es dir beliebt, denn
ich Saffe dir den Sieg. .
Und durch diefe ſpaßhafte Lift gewann er bie Er-
laubniß, in Ferrara zu bleiben, ſchickte den Rollmagen
nad) Bologna zurüd und galt bein Markgrafen nur
noch mehr ald zuvor.
20. Die Cafentiner Gefandten.
(Rov. 31.)
Ars der Biſchof Guido über Arezzo herrfihte, er-
wählten die Gemeinen ber Cafentiner Landſchaft zwei Ge-
fandte, um fie an ihn abzufertigen und ihn wegen geroiffer
Dinge anzugehen. Dan theilte ihnen ihren Auftrag und
mas fie ihm auseinanderzufegen haben ausführlih mit
und gab ihnen eines Abends fpät Befehl, bed andern
Morgens ihre Reiſe anzutreten. Sie kehrten alfo Abends
nach Haufe, padten eilends zufammen und machten fich
in der Frühe auf nad, ihrem Beſtimmungsort. Als fie.
einige Meilen gemandert waren, fagte einer zum andern:
) Gonnella.
12 ⸗ nn. Branco Sackhetti.
Erinnerſt du dich noch des Auftrages, den man uns ge⸗
geben bat?
Der andere erwiberte, er babe fich ihn nicht gemerkt.
Ei, ich. habe mich auf dich verlaffen, fagte jener.
Und ich mid auf dich, entgegnete der andere.
Das haben wir gut gemacht, riefen beide und flierten
einander an. Was ift da zu Chun?
Der eine fagte: Nun fieh, wir find, bald in ber Her⸗
berge, wo wir unſer Frühſtück halten. Dort wollen wir
uns einmal recht zuſammennehmen und ſo muß es uns
nothwendig wieder einfallen.
Der andere ſprach: Du haſt Recht.
So ritten fie träumend weiter und kamen um die
dritte Stunde in die Herberge, wo fie frühſtücken wollten.
Wie fie aber hin und her dachten, che es zum Eſſen
ging, fo konnten fie fih doch durchaus nicht auf die
Sache beſinnen. Als ſie bei Tiſch ſaßen, wurde ihnen
ein ſehr feiner Wein aufgewartet. Die Geſandten, wel⸗
chen der Wein viel beſſer ſchmeckte als das Nachdenken
über ihren Auftrag, fingen an, der Flaſche zuzuſprechen,
tranken und tranken, füllten die Gläfer und leerten fie
wieder, und als das Eſſen vorüber war, war fo wenig
davon die Rede, daß fie fich ihrer Botſchaft erinnerten,
daß fie vielmehr gar nicht mehr wußten, wo fie. waren,
und fich fchlafen legten. Nachdem fie ein Stück weg⸗
geſchlafen hatten, erwachten fie ganz verdußt, und einer
fprah zum andern: Iſt dir jept unfere Angelegenheit
eingefallen ?
Der andere fagte: Ich weiß von nichts; mir ift nur
fo viel Mar, daß der Wein des, Wirthes der befte Wein
ift, den ich je getrumten habe. Seit dem Frühftüd bin
ih überhaupt nicht wieder zur Befinnung gefommen,
‚als eben jegt, und jegt weiß ich kaum, wo ich bin.
Jener erwiderte: Gerade das Nämliche fage ich dir
auch. Aber was follen wir denn fagen? was follen wir
anfangen?
' X. Die Eafentiner Geſandten. 73
Sein Gefaͤhrte entgegnete ihm kurz: Wir wollen
geute bier bleiben und auch hier übernachten, denn guter
ach kommt, wie bu weißt, über Nacht. Es kann nicht
fehlen, daß uns bie Sache bis dahin einfaͤllt.
Sie waren hierüber einig und blieben den ganzen
Tag daſelbſt und guckten noch wiederholte Male in das
Glas. Bei dem Abendeſſen wurden gleichfalls die Stäfer
mehr in Anfpruch genommen als das Holzwerf, und
nach beendigtem Mahle waren fie fo weit, daß einer
kaum den andern kannte. Sie gingen zu Bett und
fhnarchten die ganze Nacht wie Schweine Als fie am
Morgen aufftanden, fagte der eine: Was fangen wir
nun an?
Der andere antwortete: Der Himmel muß fih wider
uns verfchworen haben; denn ba mir diefe Nacht Feine
Sylbe von dem ganzen Auftrage eingefallen iſt, ſo glaube
ich auch nicht, daß er mir je wieder ins Gedächtniß kommt.
Meiner Treu, verfegte jener, mit uns fieht es nicht
zum beften aus. Ich weiß gar nicht, was das heißen
fol, ob es diefer Wein oder etwas anderes ifl. Ich
babe mein 2eben lang noch nie fo, feit gefchlafen, ohne
mich wieder ermuntern zu können, wie heute Nacht in
diefem Wirthöhaufe. Was zum Teufel foll das heißen?
Laß uns zu Pferde fleigen, fagte ber andere,. und
in Gottes Namen weiterreiten. Bielleicht fällt ed uns
unterwegs ein. |
So fegten fie denn ihre Reife fort und fagten unter-
wegs oft zu einander: Iſt es dir eingefallen?
Der andere: Mir nicht.
Mir auch nicht, fagte der erfte.
Auf diefe Art kamen fie in Arezzo an und gingen
in das Wirthshaus, wo fie ſich oft abfeits in eine Kammer
begaben, die Baden auf die Hände geftügt, aber nie
mals fih auf die Sache befinnen konnten. Da fagte
einer zulegt, faft verzweifelnd: Gehen wir geradezu bin!
Gott möge uns beiftehen!
Staliänifcher Novellenſchatz. I. 4
74 U. Franco Sackhetti.
\
Der andere aber fagte: Wie ſollen wir denn aber
mit ihm reden, wenn wir nicht wiſſen mas?
Der erftere aber antwortete: Auf diefem Punkte kann
die Sache nun doch einmal nicht bleiben.
&o liefen fie es denn auf das Gerathewohl ankom⸗
men unb gingen sum Biſchof, und als fie vor ihm
flanden, machten fie eine tiefe Verbeugung und blieben
dabei fiehen, ohne es zu etwas Anderm zu bringen.
Der Biſchof war ein wackerer anfehnlicher Herr, erhob
ſich und ging auf fie zu, nahm fie bei der Hand und
fagte: Seid willlommen, meine Kinder! Was bringt ihr
Neues?
Einer ſchaute den andern an: Sprich du!
Sprich bu!
Aber Zeiner vom beiden rebete ein Wort. Am Ende
aber fagte der eine: Herr Bifchof, wir find abgefandt an
Euer Gnaden von euren ergebenen Dienern in der Caſen⸗
tiner Landſchaft; aber die, weiche und abſchickten, find
ebenfo unbeholfen als wir, die Abgefandten, und fie über⸗
machten uns unfern Auftrag fpät Abends in großer Haft.
Was nun fehuld fein mag, entweder mußten fie ed uns
nicht recht zu fagen, ober waren mir zu ungeſchickt, es
zu verfiehen. Wir bitten euch demnach inftändig, ihr
möget euch diefe Gemeinen und ihre Mitglieder empfohlen
fein lafjen, die aber mögen meuchlings umkommen, die
uns hierher geſandt haben, und wir ſelber, daß wir her⸗
gekommen ſind!
Der verftändige Biſchof legte ihnen die Hand auf
die Schulter und fagte: Geht in Frieden wieder heim
und fagt meinen lieben Kindern im Gafentino, ich fei
immer darauf bedacht, für ihr Beſtes alles zu thun,
was in meinen Kräften ftehe. Damit fie fi aber hin⸗
fort nicht mehr in bie Unfoften einer Geſandtſchaft ver⸗
fegen, mögen fie, fo oft fie etwas von mir wollen, an
mich fehreiben und ich will ihnen meine Antwort beieffich
zutommen laffen.
20. Die Safentiner Gefandten. 15
Darauf nahmen fie Abſchied und gingen. Unter-
wegs fagfe einer zum andern: Hüten wir uns, daf es
uns nicht auf dem Rückweg ebenfo ergeht, wie auf dem
Herweg!
Der andere aber ſagte: Ah, was haben wir denn
im Gedaͤchtniß zu behalten?
Nun, fprach jener, wir müffen doch darauf bedacht
fein, wie wir ausrichten wollen, was wir hier ausein-
andergefegt haben und was wir zur Antwort erhalten.
- Denn menn: unfere Mitbürger im Cafentins jemals er-
führen, baf wir ihren Auftrag fo vergeffen haben und
daß wir wie Gehirnlofe wieder vor fie treten, fo würden
fie uns nimmermehr als Botſchafter ausfenden, ja uns
gar fein Amt mehr anvertrauen.
Der andere, ber ein wenig ſchlauer war, fagter Überlaf
diefe Sorge nur mir! Sch werde ihnen fagen, wir haben
und unferer Sendung gegen ben Biſchof entledigt und er
babe fi gnädig darin und in allen Stüden erboten,
immerbar ihr Wohl zu förbern,. und um feine Liebe noch
mehr zu bethätigen, habe ex gefagt, zu Erſparung von
Koften follen fie, fo oft fie etwas von ihm brauden,
es mit gehöriger Ruhe und Bequemlichkeit in einem ein-
fachen Briefe [reiben und bie Gefandtfchaftn unter
wegen lafjen.
Das Haft du gut ausgeſonnen, fagte: der andere.
Wir wollen fehneller reiten, damit wir bei guser Zeit
wieder zu bem Wein kommen, weißt du!
So fpornten fie ihre Pferde und kamen in bas Gaſt⸗
haus, und als ein Knecht herauskam, um ihnen den
Steigbügel zu halten, fragten ſie nicht nach dem Wirthe,
noch oh er zu eſſen habe, ſondern ihr erſtes Wort war,
daß ſie ſich nach jenem Weine von neulich erkundigten.
Der Knecht ſagte: Der iſt beſſer als je.
Da ftärkten ſie fi ch bier denn auch das zweite mal
nicht weniger als zuvor, und wichen nieht cher ven der
Stelk, ale bis unter redlichem Beiftand anderer JZech⸗
4*
76 II. $ranco Sacchetti.
brüder der Wein auf die Neige und der Boden des
Faſſes zum Vorſchein gekommen war... Voll Kummer
darüber zogen fie von binnen und gelangten zu denen,
die fie abgefchit hatten. Die Lügen, die fie erfonnen
hatten, behielten fie viel beffer im Gedaͤchtniß, als vorher
die Wahrheit. Sie fagten, fie haben vor dem Bifchof
eine fo ſchöne Standrede gehalten, und thaten, als wäre
der eine ein Cicero, der andere ein Quinctilian gewefen.
Dadurch ernteten fie großes Xob ein und wurden auch
fpäterhin mit andern Amtern betraut, denn fie waren
mehrmals NRechnungsreviforen ober Güterverwalter:
Wie oft gefchieht es doch in der Welt, und nicht
nur bei erbärmlichen Gefchöpfen wie diefe waren, fon-
dern bei weit größern als fie, daß folche ohne weiteres
als Borfchafter verwendet werben, während fie doch mit
den Ereigniffen fo wenig vertraut find, als der Sultan
mit Frankreich. Dann verfichern fie mündlich und fchriftlich,
fie haben Tag und Nacht nicht geruht, fondern immer
mit größtem Eifer den- Gefchäften obgelegen, und alles
ift ihe Machwerk, was fie gut heißen und wobei fie an-
wefend find, während fie doch oft nicht mehr Bewußtſein
dazu bringen als ein Klotz. Dafür werden fie aber von
ihren Abfendern gepriefen und mit den größten Amtern
und andern Belohnungen überhäuft, weil fie von ber
Wahrheit abgehen, zumal in Fällen, wo fie fehen, daß
ihnen ein Vortheil daraus erwächft, wenn man ihnen
Glauben ſchenkt.
21. Der Bauer und der Sperber.
(Nov. 195.)
Es fällt mir ein franzöfifcher Bauer ein, deffen Kift
‚ ib doch erzählen muß, die er gegen einen Thürfteher bes
Könige Philipp von Valois übte, weil er aus Habfucht
21. Der Bauer und der Sperber. 17
ihm nehmen wollte, was doch der König ihm befohlen
hatte. zu geben. Als diefer König an der Regierung
war und zu Paris wohnte, befaß er einen Sperber,
welcher an Schönheit und Vortrefflichkeit alle übertraf,
die je an feinem Hofe waren; er hatte GSchellen von
Gold oder Silber und alle mit Schmelz überzogen, auf
weichen bie Lilien des königlichen Wappens ftanden.
Einft kam ihm die Luft, wie er häufig zu thun pflegte,
fpazieren zu gehen, und als fie mit diefem und mit an⸗
dern Vögeln und Hunden an einen Ort famen, mo eine
Menge von Rebhühnern fich befand, ließ ber Falkner des
Königs den Sperber, ben er in ber Hand hielt, auf ein
Rebhuhn los und der Sperber padte ee. Man ging
weiter und ließ ihn auf ein anderes los; das fafte er
aber nicht, was nun daran Schuld fein mochte, fei es,
dag den Sperber Feigheit anmwandelte oder was fonft;
und während er fonft fo zahm war, baf er immer, wenn
er nichtd fing, vom Fluge auf die Fauſt zurückkehrte,
that er nun gerade das Gegentheil, er flog in bie Höhe
und fo weit weg, daß fie ihn ganz aus dem Geficht ver-
Ioren. Als der König dies fah, ſchickte er ungefähr acht
feiner Knappen nebft dem Falkner aus, um den Sperber
zu verfolgen, bis fie ihn wiederfänden. So gingen fie
da und dorthin und zogen acht Zage umher, ohne eine
Spur von ihm aufzufinden, Zehrten alfo nad Paris
zurück und meldeten ed bem Sönige. Darob ward der
König fehr betrübt, obwol es ein mannhafter König war,
und beklagte den ganzen Zag den Verluſt feines edeln
Sperbers. Es dauerte eine geraume Zeit und niemand
zeigte fich, der den Sperber gefangen hätte; da ließ er
öffentlich betannt machen, wer ihm den befagten Sperber
finge und wiederbrächte, würde von ihm zweihundert Sranfen
befommen, wer ihn aber nicht wiederbrädhte, käme an
den Galgen. Die Nachricht und das Gerede darüber
ging durch das Land und es dauerte einen ganzen Monat,
da Fam der Sperber in die Graffchaft N. Dort faß er
78 I. Franco Sacchetti.
auf einem Baume und der obengenannte Landmann,
der gerade unter demſelben ſeine Feldarbeit trieb, hörte
die Gloͤckchen. Er trat wie zum Scherz näher, hielt ſeine
rauhe ſchwielige Hand hin und auf eine ſonſt gar nicht
gewöhnliche Lockung kam ihm der Sperber auf die Hand.
Der Bauer wußte fi ſchon über den Klauen, die ihn
padten, gar nicht zu helfen; als er aber vollends die
Schellen mit dem töniglichen Wahrzeichen fah, von wel-
chen er durch feine zwei erwachfenen Zöchter gehört hatte,
‚wer ber unerfahrene Menfch volends ganz außer fich.
Er nahm indeß die Wurfriemen, ließ feine Hade liegen,
. ging nach feinem Haufe, fehnitt ein Seil vom Saumfattel
eines Eſels, Tnüpfte es an die Wurfriemen und band es
an eine Stange. Wenn er aber überlegte, wer er war
und wie er genöthigt fei, den Vogel nach Paris vor den
König zu bringen, fo murde es ihm ganz ſchwach. Da
ed nun fo weit war, fam ein Thürfteher des Königs in
Geſchäften zufällig an feinem Haufe vorüber, hörte bie
Schellen und fagte: Du haft den Sperber des Königs
gefangen.
Er antwortete: Ja, ich glaube.
Da verlangte ihn jener und ſprach: Du würbdeft ihn
verderben, wenn du ihn hintrügeſt. Gib ihn mir!
Der Bauer antwortete: Das ift ganz richtig, was
ihr fagtz aber feid fo gut und entreißt mir nicht, mas
mir das Glück verliehen hat! Ich will ihn tragen, fo
gut ih Tann.
Der andere bemühte fi mit Bitten und Drohungen,
um ihn von dem Bauer zu befommen; aber es half nichts.
Endlich fagte er: Run fieh, wenn du mit den Vogel nicht
gibſt, fo thu mir wenigftens einen Gefallen! Ich ftehe
genau mit dem König, ich werde dir nützlich fein, in was
ih kann; verſprich mir aber, daß du mir die Hälfte gibft
von dem, was dir der König geben wird.
Der Landmann fagte: Ich bin's zufrieden. .
Und fo verfprach erd. Der Hofdiener ging nach Paris.
21. Der Bauer und bee Sperber. 70
Der Bauer fand einen ganz zerriſſenen Handſchuh von
Tuch, ſchickte an einen in einem benachbarten Orte, wel⸗
cher ſich mit dergleihen Vögeln abgab, ber lich ihm einen
Hut, und ald der Sperber gefüttert und verfappt war,
nahm er den Weg unter die Füße, und kam endlich fehr
müde, wegen ber ungewohnten Laſt und weil ihm die
‚Ebelmamnstraht Höchft beſchwerlich war, in Paris und
bei dem König an. Als biefer ihn fah, war ex ſehr
erfreut, feinen Sperber wiedergefunden zu haben, und
lachte laut, als er bemerkte, mie ſeltſam ihn ber Bauer
in der Hand hielt. Da ſprach der König: Verlange, .
was du begehrft.
Der Bauer antwortete: Herr König, diefer Sperber
ift mir auf die Hand gefeffen, mit Gottes Hülfe habe
ich ihn euch hergebracht, fo gut ich konnte; das Geſchenk,
das ich dafür von euch verlange, iſt, daß ihr mir funfzig
Prügel oder Peitſchenhiebe geben laßt.
Der König verwunderte ſich und fragte ihn um den
Grund dieſer Bitte. Der Bauer ſagte nun, wie en
gewiſſer Thürfteher von feinem Gefolge ihm das Ber
ſprechen abgebrungen habe.
Er verlangte, ich folle ihm die Hälfte geben von dem mas
eure heilige Krone mir ſchenke. Laßt alſo ihm fünfundzwanzig
geben und die andern fünfundzmanzig mir! Ich bin zwar ein
armer Mann und hätte es wol nöthig für meine zwei heiraths⸗
fähigen Töchter, etwas anderes von Euer Gnaden zu er-
halten; aber dennoch will ich zufriedener weggehen, wenn
ich befommme, was ich verlange, um den andern das em⸗
pfangen zu fehen, mas er verdient, und wenn ich auch
die gleiche Strafe dulden muß, als wenn ihr mir von
eurem Gold und eurem Silber gäbet.
Der König war weiſe und verfiand die Rede des
ungebilbeten Bauers, dachte daher ihn nach Gerechtigkeit
zufrtedenzuftellen und fagte zu feinen Leuten: Ruft mir
den Thürfteher herbei!
Er wurde fogleich gerufen, Fam vor den König und
80 II; Franco Sacchetti.
dieſer fragte ihn: Biſt du dort geweſen, wo dieſer Mann
den Sperber gefangen hat?
Er antwortete: Ouy, Herr König!
Der König fragte weiter: Warum Haft du ihn nicht
überbracht?
Sener verfepte: Der Bauer ließ es nicht zu.
Der König ſprach: Dein Geiz ift fo weit gegangen,
daß du von ihm die Hälfte des Gefchenkes begehrteft,
das er bekommen würde.
Als der Bauer dies hörte, fagte er: So war es,
gnädiger Herr! on
Und ich, fagte der König, ſchenke diefem Bauern
funfzig Peitfchenftreiche auf den bloßen Leib, von welchen
du nach: dem Vertrage fünfundzwanzig befommen follft.
Er befahl einem feiner Gerichtödiener, ihn fogleich ent-
Heiden zu laffen und zur Ausführung zu fehreiten, und fo
geihah ed. Der König ließ ihn nun in Gegenwart bes
Bauern vor fi) kommen und ſprach zu diefem: Ich habe
dir die Hälfte des Geſchenkes gegeben und dir beine Ver-
pflichtung abgenommen, die du durch dein Verfprechen gegen
diefen Schurken hattefl. Den Reft gebe ich dir allein.
Da wandte er fich zu einem feiner Kämmerer und
ſprach: Geh, laß diefem Marine zweihundert Franken geben,
daß er feine Töchter verheirathen kann. Und in Zukunft
komm nur zu mir, wenn dir etwas fehlt, ich will immer
deiner Noth abhelfen.
So ſchied der Bauer gludlich von bannen. Der Meifter
Thürfteher aber nahm fich von den Peitfchenhieben eine War-
nung,’ um nicht mehr feinem eigenen Vortheil ftatt dem
feines Königs nachzugehen. — Groß war die Gerechtigkeit
und Klugheit diefes Königs; aber nicht minder bemerkens⸗
werth ift, wie aus dem Munde eines Bauern, der beffer
eine edle Seele heißen könnte, eine fo würdige Bitte kam,
um bie Habgier des Mannes zu ftrafen, ber auch nie mehr
wie früher in Gunft bei König Philipp kam.
II. Aus dem Pecorone des Ser Giovanni
Fiorentino.
1378.
22. Galgano's Entſagung.
(1, 1.)
In Siena war ein Jüngling, mit Namen Galgano,
reich und- von edlem Gefchlechte, gefchiet und durchaus
in Allem erfahren, mannhaft, rüftig, hochherzig, höflich
und leutfelig gegen jedermann. Diefer Galgano liebte
eine Edelfrau aus Siena mit Namen Madonna Minoceia,
bie Gattin eines edeln Ritters, welcher Meffere Stricca
hieß. Darum trug befagter Galgano beftändig an ben
Kleidern und fonft das Wahrzeichen feiner ebengenannten
Geliebten, und machte ihr zu Xiebe oftmals Turniere und
Maffenfpiele mit und veranftaltete Toftbare Gaftmähler.
Bei alledem wollte ihn aber Madonna Minoccia niemals
erhören, und Galgano wufte gar nicht mehr, was er
noch thun und fagen follte, als er fah, welche ˖Grau⸗
ſamkeit in der Bruft diefer feiner Gebieterin waltete, bie
er viel lieber hatte als fich ſelbſt. Immer bei Zeiten
und Hochzeiten war er hinter ihr her und hielt den Tag
für verloren, an dem er fie nicht zu fehen bekommen.
Oftmals ſchickte er an fie durch Mittelsperfonen Gefchente
und Botfchaften, aber niemals wollte die Frau etmas
in Empfang nehmen noch anhören, ſondern war jedes mal
härter als zuvor. So war der befagte Liebende lange
Zeit von ber heftigften Liebe und Treue gequält, die er
für diefe Frau hegte, und oftmals beflagte er fich gegen
Amor und fprah: Ach, mein Gebieter, wie magft du es
4**
82 III. Giovanni Kiorentino.
ertragen, daß ich Liebe und nicht geliebt werdet Siehſt
du nicht, daß dies deinen Geboten zumwiderläuft?
So wollte er oft und viel im Gedenken an die Grau-
ſamkeit jener Frau ſich der Verzweiflung bingeben. Aber
doch befchloß er, fittfamlich das Joch fo fortzutragen, bis
es Amorn einmal gefiele, ihn Gnade finden zu laffen,
und gab die Hoffnung nicht auf. Er ließ fich angelegen
fein, in Reden und Handlungen ihr gefällig zu fein;
fie aber ward nur um fo unbeweglicher. Einftmals war
Meffere Stricca und feine fchöne Gemahlin auf einem
ihrer Güter bei Siena; der befagte Galgano kam auch
vorüber mit einem Sperber auf der Fauſt und that, als
ginge er auf die Vögeljagd, er wollte aber nur die Frau _
fehben. So kam er denn an bem Haufe vorbei, mo fie
war, und ald Meffer Stricca ihn fah und fogleich erkannte,
ging er ihm entgegen und nahm ihn freundfchaftlich bei
der Hand mit der Bitte, gefälligft mit ihm und feiner
Gemahlin zu fpeilen. Galgano dankte ihm bafür auf das
Derbindlichfte, bat aber ihn für entfchuldigt zu achten.
Denn, fagte er, ich muß nothmendig irgendwohin gehen.
Darauf fagte Meſſer Stricca: So nehmt wenigftens
einen Trunk an!
Der Jüngling aber antwortete: Schönen Dank! Bleibt
mit Gott! Ich habe Eile.
Als Meffer Stricca feinen Entſchluß ſah, ließ er ihn
binziehen und ging wieder ind Haus. Galgano aber, als
er von Meſſer Stricca hinweg war, fprach bei fich felbft:
Ach, ich Unglüdlicher, warum babe ich nicht angenommen?
So hätte ich fie wenigſtens gefehen, die mir theurer ift
als die ganze Welt.
Während er biefen Gedanken nachhing, ſteigt eine
Elſter auf. Darum ließ er den Sperber los, die Eiſter
flog in den Garten Meſſer Stricca's und der Sperber
packte ſie in die Klauen. Als Meſſer Stritca und ſeine
Frau dieſen Sperber hörten, liefen ſie an das Garten⸗
fenſter, und als bie Frau die Geſchicklichkeit bemerkte,
23. Galgano's Entfagung. 83
womit der Sperber die Elſter faßte, fragte fie, da fie es
nicht wußte, wen der Sperber gehöre.
Meſſer Stricca antwortete: Diefer Sperber hat ein
gutes Borbild an feinen Herrn, benn er gehört dem treff-
lichſten und volltommenften Süngling in ganz Siena.
Die Frau fragte, wer dies fei.
Der Vogel gehört Galgano, erwiberte ihr Gatte, welcher
eben vorübergegangen iſt. Ich bat ihn, bei uns zu fpeifen,
er nahm es aber nicht an. Fürwahr, es iſt der anmutbigfte
und rechtſchaffenſte Züngling, den Ich je gefehen habe.
"Sie gingen vom Penfter weg und begaben fich zu
Tiſche. Galgano lockte feinen Sperber zu fi) und ent-
fernte fich ebenfalle. Die Frau aber merkte jene Worte
und behielt fie im Sinne. Als daher einige Tage darauf
Meffer Stricca von der Gemeinde von Siena als Ge
fandter nach Perugia ging und feine Frau allein zu Haufe
. ließ, ſchickte fie, fobald fie erfahren, daß ihe Mann weg⸗
geritten fei, eine Vertraute an Galgano und bat ihn, er
möge gefälligft zu ihr kommen, fie wolle mit ihm reden.
As ihm die Borfchaft ausgerichtet war, antwortete Gal-
gano, er komme fehr gerne. Als nun Oalgano hörte,
dag Meſſer Stricca nach Perugia gegangen fei, machte
er fit) am Abend zu paſſender Stunde auf den Weg
und ging in das Haus der Frau, die er weit mehr ale
feine Augen liebte. Als er vor die Frau trat, grüßte er
fie chrerbietig, die Frau aber nahm ihn mit großer Freude
bei der Hand, umarmte ihn und ſprach: Sei mir hundert
mal willkommen, mein ®algano!
Und ohne weitere Worte gaben le ſich mehrmals den
Friedenskuß. Die Frau lieh ſodanm Zuckerwerk und Wein
fommen, und nachdem fie. miteinander gegeffen und ge⸗
trunken hatten, nahm ihn die Frau bei der Hand und
ſprach: Mein Galgano, es ift Zeit fhlafen zu gehen.
Gehen wir baher zu Bette!
Galgans antwortete und ſprach: Madonna, ganz nach
eurem Gefallen.
86 III. Giovanni Fiorentino.
dann im Frühling reiſen wir zuſammen. Du kannſt in⸗
zwiſchen eine andere Wiſſenſchaft lernen, ſo verlierſt du
deine Zeit nicht.
Bucciuolo war damit zufrieden und verſprach ihn
abzuwarten. Die Zeit nicht zu verlieren ging alſo Buc⸗
ciuolo zu ſeinem Meiſter und ſprach: Ich habe mich ent⸗
ſchloſſen, auf meinen Geſellen und Vetter da zu warten,
und bitte euch, mich unterdeſſen irgend eine andere ſchoͤne
Wiffenfchaft zu lehren.
Der Meifter verfegte, ex fei es zufrieden, und ſprach:
Suche dir eine Wiffenfchaft aus, welche du willft, und
ich will fie dich gern lehren.
Da ſprach Bucciuold: Lieber Meifter, ich möchte gern
lernen, wie man fic verliebt und wie man ſich dabei zu
verhalten hat.
Der Meifter entgegnete lächelnd: Das gefällt mir
nicht übel. Du hätteft nicht leicht eine Wiſſenſchaft wählen
tönnen, womit ich zufriebener geweſen wäre. Begib dich
alfo nächften Sonntag Morgen in die Kirche der Mino-
ritenbrüber, wenn alle Frauen dort verfammelt find, und
gib wohl Acht, ob eine iſt, die div wohlgefällt; und
findeft du eine, fo folge ihr von weitem, bie du fiehft,
wo fie wohnt, und dann komm wieder zu mir! Und
dies foll die erfte Aufgabe fein, die du zu lernen haft.
Bucciuolo ging und am folgenden Sonntag Morgen
fand er fich nach der Anmeifung feines Meifters in der
Minoritenkirche ein, um die Frauen zu muftern, welde
ſich zahlreich genug verfammelt hatten. Unter ihnen ſah
er eine, die ihm fehr gefiel, denn fie war gar ſchoͤn und
reizend. Als fie daher die Kirche verließ, folgte ihr
Bucciuolo und fah und merkte fih das Haus, mo fie
wohnte, woraus die Dame abnahm, daß biefer Stubent
im Begriffe fei, ſich in fie zu verlieben. Buceiuolo ging
zu feinem Meifter zurüd und fprah: Ich habe gethan,
fan ihr mir fagtet, und eine gefunden, die mir fehr
gefällt. Ä
23. Die Kunfk zu lieben. 87
Darüber hatte der Meifter eine große Freude und
lachte heimlich des Bucciuolo wegen der Kunft, die er
lernen wollte. Dann ſprach er zu ihm: Jetzt mußt bu
ſuchen, zwei ober drei mal täglid anftändig an ihrem
Senfter vorüberzugehen. Nur Halte die Augen bei dir
und laß niemand merken, daß du nach ihr Hinblidft!
Weide dich jedoch fo lange an ihrem Anfchauen, bis fie
beine Neigung gewahrt, und dann fomm wieber zu mir.
Das foll deine zweite Aufgabe fein.
Hierauf verließ Bucciuolo feinen Meifter und begann
mit kluger Vorficht an dem Haufe feiner Dame vorüber-
zugehen, bis fie deutlich erkannte, dag es um ihretwillen
geichehe. Da fing fie an, auch nach ihm zu bliden, fo-
daß Bucciuolo anfıng, fich befcheiden vor ihr zu verneigen,
was fie mehrmals ermiderte, woraus Bucciuolo ſchloß,
daß die Frau ihn liebe. Er berichtete daher feinem Mei⸗
fter alles, worauf biefer antwortete und fprach: Recht
fhön; ich bin mit dir zufrieden; bis jegt haft du dich
in Allem wohlgehalten. Nun mußt du Mittel fuchen,
ihr eines jener Weiber zuzufchiden, die in Bologna mit
Spigen, Börfen und dergleichen haufiren. Laß ihr fagen,
du ſteheſt ganz zu ihren Dienften; es fei niemand auf
ber Welt, den du mehr liebeft als fie; du feieft gern
bereit, alles für fie zu thun, was ihr gefalle Dam
wirft du hören, mas fie dir antworten läßt! Und je
nachdem du dann von ihr Beſcheid erhäftft, fo komm
wieder hierher und erzähle es mir, und ich werde dir
fagen, was du weiter zu thun haft.
Bucciuolo begab fich ſchnell hinweg und machte eine Hau⸗
firerin ausfindig, die zu diefem Behuf ganz tauglich war.
Ihr könnt mir einen auferordentlichen Dienſt leiten,
fprah er zu ihr, für den ich euch gut bezahlen will,
daß ihr mit mir zufrieden fein follt.
Die Krämerin antwortete: Ich mill thun, was ihr
von mir fordert, denn ich lebe nur von dem, mas ich
mir verdiene.
88 III. Giovanni Fiorentino.
Darauf gab ihre Bucciuolo zwei Gulden mit ber Er-
Härung: Nun fo bitte ich euch, daß ihre mir heute einmal
in die Strafe Mascarella geht, wo eine junge Frau Na-
mend Madonna Giovanna wohnt, und die ich über alles
in der Welt liebe. Empfehle mich ihr und fagt ihr, ich
fei bereit, alles für fie zu thun, was ihr angenehm fein
könnte. Das könnt ihr dann in allerlei füße Worte ein-
wideln, wie fie euch gewiß einfallen. Darum bitte ic
euch fo fehr ich weiß und kann.
Die Alte fagte: Laßt mich nur machen! Ich will
ſchon den rechten Zeitpunkt finden.
Geht, antwortete Bucciuolo; ich erwarte euch hier.
Die Alte fegte fi ch gleich mit einem Korb voll MWaaren
in Bewegung und ging damit zu ber Frau, die fie unter
der Thüre figen fand, begrüßte fie und ſprach fodann:
Madonna, ift euch vielleicht etwas unter diefen meinen
Waaren gefälligt Nehmt Led heraus, was euch gefällt.
Dabei fegte fie fich zu ihre und begann, ihr Schleier,
Börfen, Schnüre, Spiegel und anberes dergleichen vor«
zuzeigen. Nachdem fie vielerlei gefehen hatte, geftel ihr
unter Allem befonders eine Börſe und fie fagte: Wenn
‚ih Geld Hätte, würde ich gern dieſe Börfe Laufen.
Die Verkäuferin entgegnete: Madonna, darauf braucht
ihr durchaus Feine Rücficht zu nehmen. Wählt, was euch
von meinem Krame irgend gefällt! Es ift mir alles fchon -
bezahle.
Die Frau wunderte ſich über diefe Worte und über
die befondere Freundlichkeit der Alten und fragte fie:
Was wollt ihr damit fagen, gute Frau? Was bedeuten
dieſe Worte?
Die Alte ſprach darauf ganz weinerlich: Das will
ih euch wohl fagen. Ein Jüngling Namens Bucciuolo
bat mich hergeſchickt. Er liebt euch und ift euch mit
ganzer Seele ergeben. Es ift nichts auf der Welt, das
er nicht für euch thun würde, wenn ed in feiner Macht
flünde, und er läßt euch fagen, daß ihm Gott feine
23. Die Kunft zu lieben. 89
größere Gnade erzeigen koͤnnte, als wenn er ihm ein
Gebot von euch zulommen Tiefe. In der That, mir
fommt «8 vor, als ob er fich ganz verzehrte vor lauter
Begierde, mit euch zu fprechen; und doch habe ich viel⸗
leicht nie einen rechtfchaffenern jungen Mann gefehen
als ihn.
Als die Frau diefe Worte hörte, "wurde fie ganz
roth im Geficht und fagte zu ber Alten gewendet: Wenn
mich nicht die Rückſicht auf meine Ehre davon abhielte,
fo wollte ich euch übel genug zurichten. Schämft du dich
nicht, du garſtige Alte, einer ehrbaren Frau foldhe Bot⸗
ſchaft zu hinterbringen? Gott möge dich dafür ſtrafen!
Bei dieſen Worten nahm die junge Frau das Quer⸗
holz der Thüre zur Hand und wollte ſie damit ſchlagen.
Wenn du je wieder hierher kommſt, rief ſie, ſo werde ich
dich ſo bedienen, daß nicht mehr viel von dir zu ſehen iſt.
Das Mütterchen nahm alſo behende ihren Kram zu⸗
ſammen, ging ihrer Wege und hatte große Angſt, ſie
möchte jene Stange verſchmecken, hielt ſich auch nicht für
fiher, als bis fie wieber bei Bucciuolo angelangt war.
Als Bucciuolo fie_vor ſich fah, fragte er fie, mas fie
bringe, und wie feine Sache ftehe.
Schlecht ſteht fie, antwortete die Alte; in meinem
Leben bin ich nicht fo erfchroden. Kurzum fie will nichts
von dir hören noch fehen. Und hätte ich mich nicht ſchnell
aus dem Staube gemacht, fo hätte ich wahrfcheinlich eine
Thürſtange zu verfpüren gekriegt, die fie in der Hand
hatte. Was mich betrifft, fo babe ich Feine Luft mehr
zu ihre zurück und rathe auch dir, dich nicht mehr mit
diefen Dingen zu befaffen.
Bucciuolo blieb ganz troftlos zurück; dann begab er
fih Schnell zu feinem Meifter und erzählte ihm, was ihm
begegnet fei. Der Meifter tröftete ihn und ſprach: Be—⸗
ruhige dich, Bucciuolo! Kein Baum fällt auf den erften
Streih. Geh Heut Abend noch einmal vorbei und gib "
Acht, was fie dir für ein Geſicht' macht und ob fie auf-
92 II. Giovanni Fiorentino.
ließ mit einem Worte auch den Meinften Winkel des
Hauſes nicht undurchforſcht, ohne daß er doch Bucciuolo
finden konnte. Seine Frau ging ihm dabei immer mit
dem Licht in der Hand zur Seite und ſagte oft: Lieber
Meiſter, ſchlagt ein Kreuz, denn gewiß hat euch der
Feind Gottes verſucht und euch eine Sache vorgeſpiegelt,
die nimmermehr geſchehen kann; denn wenn nur ein Haar
an meinem Leibe nach fo etwas verlangte, fo brächte ich
mid) felber um. Darum bitte ich euch um Gottes willen,
laßt euch nicht bethoren!
Wie nun der Meifter Bucciuolo nicht fand und die
Frau fortwährend fo reden hörte, maß er ihr faft Glauben
bei, blies bald darauf feine Kerze aus und ging wieder
nad) der Schule. Die Frau riegelte ſodann gefchwind
die Thüre, zog Bucciuolo unter der Wäfche hervor, fachte
ein helles Feuer an, bei dem fie dann einen großen fetten
Kapaun verfpeiften und mehre Sorten Wein tranten. °
Während fie fo eine vortrefflihe Abendmahfzeit hielten,
fagte bie, Frau wiederholt: Siehſt du, dieſer mein Mann
bat fich nicht träumen laffen, wo du ſeiſt.
Nach vielen Scherzen und Kurzweilen nahm ihn die
Frau bei der Hand und führte ihn in die Kammer, wo
ſie miteinander zu Bett gingen und ſich in jener Nacht
das Vergnügen verſchafften, welches beide Theile wuͤnſchten,
und einander wiederholt geſegneten. Und da die erſehnte
Nacht vorüber war und der Morgen anbrach, ſtand Buc⸗
ciuolo auf und fagte: Madonna, ich muß nun von euch
fiheiden. Habt ihr mir noch irgend etwas zu gebieten?
D ja, fagte fie, daß du diefen Abend wiederkommſt.
Bucciuolo fagte: Das foll gefchehen.
Hierauf nahm er Abfchied, ging hinaus und kehrte
zue Schule zurüd, wo er zu dem.Meifter fagte: Ich
habe euch etwas zu erzählen, worüber ihr genug lachen
werdet.
Wie ſo? antwortete der Lehrer.
Geſtern Abend, ſagte Bucciuolo, als ich bei ihr im
23. Die Kunft zu lieben. 93
Haufe war, fiehe ba kommt der Mann, fucht das ganze
Haus duch und weiß mich doch 'nicht zu finden. Sie
hatte mich unter einem Berg von Wäfche verſteckt, die
noch getrodnet werden follte, und kurzum fie wußte fo
Hug zu fprechen, dag er endlich hinwegging; ſodaß wir
nachher einen dicken Kapaun verzehrten und feine Weine
tranten mit der größten Heiterkeit und Wonne, bie ihr
euch nur denken koͤnnt, und fo blieben wir munter und
machten und gute Zeit bis zum Morgen. Da ich nun
die ganze Nacht wenig gefchlafen habe, will ich mich jegt
zur Ruhe legen, denn ich habe ihr verfprocdhen, dieſen
Abend wieder zu ihr zu kommen.
‚Der Meifter fagte: Wenn du hingehft, fo künde es
mir doch an!
Bucciuolo antwortete: Herzlich gern.
Darauf verließ er ihn. Der Meifter aber war ganz
von Zorn entbrannt, daß er ſich vor Schmerz nicht zu
faffen wußte und den ganzen Tag nicht im Stande war,
‘eine Vorleſung zu halten, fo fehr war fein Her; in An-
fpruch genommen. Immer dachte er daran, wie er ihn
am naͤchſten Abend erreichen werde, und borgte ſich einen
Panzer und eine Pidelhaube. Als ed an der. Zeit -war,
begab fich der forglofe Bucciuolo zu feinem Lehrer und
fagte: Jegt gebe ich.
Der Meifter ſprach: Geh nur und komm morgen früh
wieder und erzähle mir, wie es dir ergangen ift!
Buceiuolo antwortete: Das will ich thun.
Dann machte er fi ungefäumt auf den Weg nad
dem Haufe der Frau. Der Meifter aber legte alsbald
feine Waffen an, folgte dem Bucciuolo faft auf dem
Fuße und gedachte ihn noch unter ber Thüre zu erwifchen.
Die Frau ‚aber hatte ihren Liebhaber erwartet, ließ ihn
ein: und verfchloß die Thüre wieber. Der Meifter kam
im Augenblick darauf und begann zu pochen und einen
gewaltigen Lärm zu machen. Die Frau löfchte fehnell
das Licht aus, ſchob den Bucciuolo Hinter fich, ſchloß
94 IH. Giovanni Kiorentino.
die. Thüre auf und umarmte ihren Gemahl, während fie
mit dem andern Arm den Bucciuolo hinausſchob, ohne
daß ihr Mann ed merkte. Dann fing fie an zu fchreien:
Herbei, herbei, der Meifter ift toll geworben!
Dabei hielt fie ihn feſt umfhlungen. Die Nachbarn
liefen auf den Lärm herbei und ba fie den Meifter fo
bewaffnet faben und die Frau rufen hörten: „Haltet ihn,
denn er ift übergefehnappt vom vielen Studiren!“ glaubten
fie e8 und waren dee Überzeugung, daß er von Sinnen
ſei. Sie fingen daher an und ſprachen: Ei, Meifter,
was foll das bedeuten? Geht zu Bette, um auszuruben,
und ftrengt euch nicht weiter an!
Der Meifter fagte: Wie fol ich zur Ruhe kommen,
wenn das fchlechte Weib einen Mann’ im Haufe hat,
den ich felbft hereinfchleigen ſah?
Da rief bie Frau: Ich unglüdliches Meib! Fragt
alle diefe Rachbarn, ob fie mir den geringften Fehltritt
nachſagen können! |
Da. antworteten Männer und Frauen aus einem
Munde: Meifter, habt doch nicht folhe Gedanken! Es
ward ja nie eine beffere Frau geboren als diefe, von
reinern Sitten und unbefledtern Ruf.
Bas? rief der Meifter. Wenn ich nun felbft einen
hereinfchleichen fah und weiß, daß er hier ift?
Unterbeffen tamen zwei Brüder der Frau. Da fing
fie gleich an zu weinen und ſprach: Liebe Brüder, feht
ber, mein Mann ba ift übergefhnappt und will mid)
ums Leben bringen, weil er behauptet, ich Habe einen
Mann im Haufe. Ihe wißt doch wol, daß ih nicht
der Art bin, dag man mir derlei fhuldgeben Tann.
Die Brüder fprahen: Wir wundern uns fehr, wie
ihr unfere Schwefter hier ein fchlechtes Weib nennen
dürft. Was bringt euch denn heute fo plöglich gegen fir
auf, da fie. doch fehon fo lange mit euch zuſammenlebt?
Der Meifter erwiberte: Ich fage euch, es iſt einer
hier im Haufe und ich Habe ihm felbft gefehen.
23. Die Kunft zu Fieber. 95
Wohlen, antworteten bie Brüder, laßt uns ihn fuchen!
Und finden wir ihn, fo wollen wir fo bei ihr aufräumen
und fie dergeftalt beftrafen, daß ihr zufrieden fein follt.
Einer der beiden rief die Schwefter beifeit und ſprach:
Sage mir die Wahrheit, haft du einen im Haufe?
Die Frau erwiderte: Weh mir, mas fagft du? Der
Heiland bewahr mic, davor und gebe mir eher den Top,
ehe ich auch nur mit einem Härchen mich fo etwas ge-
lüften laſſe. Weh, ſoll ich jegt begehen, was nie eine
beging aus unferm Hauſe? Schämft du dich nicht, mid)
nur danach zu fragen?
Den Bruber beruhigte dies fehr und fie begannen
nun zugleih mit dem Meiſter Hausſuchung zu halten.
Der Meiſter ftürzte plöglih auf jene Waͤſche los und
durchbohrte fie, als fechte er mit Bucciuolo, denn er
glaubte, da fei er verborgen. _
Hab ichs euch nicht gefagt, rief Die Frau, daß ber
Meifter übergefchnappt ifit Die Waſchleinwand zu ver-
derben, bie ihm nichts zu leid gethan bat!
Da fahen die Brüder, daß der Meifter von Sinnen
fei; und nachdem fie alles genau durchſucht und nichts
gefunden hatten, fagte der eine: Er iſt verrüdt.
Und ber andere fprach: Meifter, in der That, lieber
Meifter, ihr habt fehr Unrecht, unfere Schweſter als ein
fchlechtes Weib Hinzuftellen.
Darüber geriet der Meifter in die äußerſte uch,
weil er wußte, was er geleben batte, und begann fich
mit hoͤchſt leidenfchaftlichden Worten gegen fte auszulaflen,
wobei er immer das bloße Schwert in der Hand hielt.
Da nahmen die Brüder jeder einen derben Stock in die
Hand und prügelten den Meifter fo reichlich durch, bie
fie ihm die beiden Stöde auf dem Rüden zerbrochen
hatten. Dann knebelten fie ihn als einen Verrückten,
der, wie fie fagten, vom allzu vielen Studiren überge-
ſchnappt fei, und hielten ihn die ganze Nacht gebunden,
während fie fi) mit ihrer Schmwefter zur Ruhe begaben.
96 HI. Giovanni’ Fiorentino.
Am Morgen liegen fie einen Arzt rufen; der verordnete,
ihm an der Zeuerfeite ein Bett zu machen, und befahl,
man folle ihn mit niemand reden laffen, ihm auch auf
nichts antworten und ihn fo lange faften laffen, bis er
wieber bei Verftand wäre; was benn auch pünktlich voll-
zogen wurde. Das Gerücht verbreitete ſich durch Bologna,
der Meifter fei ein Narr geworden; jedermann bebauerte
ihn deshalb und einer fagte zum andern: Gewiß, ich
habe es ſchon geftern bemerkt, denn er war nicht im
Stande, unfere Vorlefung zu halten.
Ein anderer fagte: Ich fah es ganz, wie er ein an-
derer Menfch wurde.
Und alfo erklärten ihn allefammt für einen Berrüdten
und verabredeten, ihm miteinander zu befuchen. Bucciuolo
wußte von alledem nichts und kam zur Schule, um dem
Meifter auch feine neueften Erlebniffe mitzutheilen. Dort
angelangt, erfuhr er benn, dag der Meifter verrüdt ge-
worben fei. Bucciuolo erftaunte und betrübte fich darob
gar fehr und begleitete die andern nach dem Haufe bes
Meifters. Da begann er aber ſich über die Maßen zu
verwunbern, ja er ſank faft in Ohnmacht, als er erkannte,
wie e8 um bie -Sache befchaffen fei. Damit aber nie
mand etwas merke, ging er mit den. andern hinein.
Im Saale angelangt, fah er ben Meifter ganz erfchöpft
und gefeffelt am Feuer im Bett liegen. Die Studenten
brüdten ben Meifter alle ihr. Beileid aus und erklärten
‚ ibm, wie fehr fie fein Unglücd bedauern. Als aber bie
Reihe an Bucciuolo kam, fagte er zu ihm: Lieber Meifter,
ihre thut mir leid wie mein Vater, und wenn ich euch
in irgend etwas gefällig fein kann, fo gebietet über mich,
wie über einen Sohn!
Der Meifter antwortete und ſprach: Bucciuolo, Buc⸗
ciuolo, lauf mit Gott von bannen! Du haft auf meine
Koften ſtudirt.
Die Frau fügte hinzu: Achter nicht auf feine Worte,
denn er fafelt und weiß felber nicht was er fpricht."
24. Die Freundin des Cardinals. 97
Bucciuolo aber ging hinweg, fuchte Pietro Paolo auf
und fagte: Lieber Bruder, gehab dich wohl! Ich habe
nun fo viel gelernt, daß mir ber Appetit vergangen ift.
Darauf reifte er ab und kam glücklich nach Rom.
24. Die Freundin ded Cardinalß.
(3, 1.)
In Bal di Pefa, im Gebiete von Florenz, lebte einft
ein Priefter mit Namen Don Placido, welcher wegen
einer Befchwerbe nad) Avignon zu gehen befchlof. Er
machte ſich daher auf und ging nach Piſa, flieg dort zu
Schiff und fuhr nah Nizza in der Provence, wo er '
landete und in der Herberge eines gewiffen Bartolomeo .
von Siena abflieg. Als der befagte Priefter fchon im
Bette war, kam ein waderer Knecht beffelbigen Wirthes
zu ihm’ an das Bette und ſprach zu ihm: Meffere, es
find hier ein Paar Ordensbrüder in der Herberge, von
welchen ber eine fehr krank ift, und da in diefer Gegend
die Seuche gehauft hat, ift großer Mangel an Geiftlichen.
Darum bitte ic euch, ihr möget zu ihm fommen und
nachſehen, wie es bei ihm ſteht.
Der Priefter antwortete: Sehr gerne.
Er zog ſich eilends an und kam in das Zimmer,
wo bie beiden Brüder waren.
Meffere, fagte der eine, ich empfehle euch diefen meinen
Gefährten und Vater.
Darum fegte fih der Priefter an das Bette und fing
an des kranken Bruders Beichte zu hören, ihn an fein
Seelenheil zu mahnen und ihm dringend einzufchärfen, '
daf er ſich mit unferm Herren Gott ausfühne. Der gute
Bruder wollte davon nichtd hören, vielmehr ftarb er kurz
Italiäniſcher Novellenſchatz. I. 5
98 II. Giovanni Fiorentino.
darauf wie ein Verzweifelter. Der jüngere überlebende
Bruder fing, als er den andern tobt ſah, laut zu weh⸗
flogen an. Der Prieſter tröftete ihn und bat ihn, ſich
zu beruhigen, da wir ja alle einmal fterben müſſen. Nach
furzem Verweilen nahm er Abſchied von bem Bruder,
um in fein Zimmer zurüdzutehren; aber ber Bruder
ſprach zu ihm: Meffere, ich bitte euch um Gottes willen,
mich nicht zu verlaffen, und Mittel und Wege zu finden,
wie wir diefen Todten beftatten. Erweiſt ihm doch alle
Ehre, die ihr könnt!
Dann zog er einen Beutel von. feiner Seite, worin
fi) etwa dreißig Gulden Geld befanden, und fuhr fort:
Da nehmt dies zur. Beftreitung der Auslagen und zahlt,
was es koſtet! ,
Der Priefter nahm ben Beutel, ließ Diener und
Knecht des Wirthes rufen, gab jedem ein Trinkgeld und
fhidte fie dann aus, um alles Erforderliche für die Beer⸗
digung zu beſorgen. Am Morgen war denn auch ſchon
Alles fo ehrenvoll als möglich bereit, um ben Bruber
beizufegen.. Nachdem der Priefter Alles bezahlt hatte,
Eehrte er zu dem andern jüngern Bruder zurüd, fprach
ihm Troſt zu und gab ihm den Beutel mit dem übrigen
Gelde wieder. Unter Thränen fragte der Bruder ben
Priefter, wohin er gehe. Der Priefter antwortete: Ich
gehe nach Avignon. ZZ
* Bruder ſprach: Da würde ich gerne mit euch
gehen. | ,
Ich bin gerne bereit, verfegte ber Priefter, euch Ge⸗
ſellſchaft zu leiften, denn für jeden von uns ift es beffer,
in Gefellfhaft zu reifen als allein.
Nun flug der Bruder wieder die Augen auf und
- fein ganzes Geficht erheiterte fih. Der Prieſter fah ihn
feft an und er meinte, nie fihönere Augen als biefe
gefehen zu Haben.‘ Um euch aufzuklären, muß ich nämlich
fagen, daß biefer Bruder ein Weib war und zwar eine
Edelfrau aus Viterbo, wie ihr gleich hören werdet. Der
- 24. Die Freundin des Carbinals. | 98
Priefter war indeß der Anfıcht, es fei ein Mann, und
wunberte fich ſehr über die fchönen Augen und das feine
Geſicht. Sobeld fie übereingelommen waren, miteinander
zu reifen, gab der Bruder dem Prieſter funfzig Gulden wit
den Worten: Mache ihre den Zahlmeifter und befriedigt
den Wirth nad) feinem Begehren.
Der Prieſter nahm das: Geld, bezahfte den. Wirth,
darauf fliegen fie zu Pferd und fchlugen die Stenfe nad
Avignon ein. Um nicht erkannt zu werben, hatte ſich
der Bruder moͤglichſt verftsdt in fein. Scapulier, brüdte
den Hut ind &dicht, ſprach wenig und ritt immer hinten»
drein. Der Priefker meinte, er thue das aus Betrübniß
und Schmerz über den Tod des andern Bruders, fing
alfo an, Kiedihen herzufagen und Späße zu machen, um
ihm die Grillen zu vertzeiben; der Bruder aber blieb
mäuschenftille und hängte nachdenklich den Kopf. Am
Abend kamen fie an eine Burg, welche Graffa heißt;
dort fliegen fie ab in ber Herberge einer Witwe, welche
eine vor menigen Tagen ebenfalle zur Witwe gewordene
fehr fchöne und anmuthige Tochter hatte. Sobald fie
abgefiegen waren, faßte die Wirthstochter den Bruder
ins Auge und fand Gefallen an feinen feinen ſchonen
Zügen. Ja fie verkiebte ſich wirklich in ihn umd konnte
nicht fatt werden, ihn anzuſehen. Ber Bruber ſprach
zu dem Priefter: Laßt euch eine Schlafkammer geben
mit zwei Betten.
Es wurde ſogleich beſorgt. Ber Wirthin Töchterlein
kochte am Abend felbft, erwies ihnen große Ehre, fiherzte
fortwährend mit dem Bruder und bot ifm am Abend
mehrerlei Wein an. Ber Priefter merkte die Sache,
that abes, als fehe er nichts, und ſprach bei fh felbft:
Mich wunderts nicht, daß das Weibchen in ihm vernarrt
tft, denn ich Babe wol lange Zeit Fein fo ſchoͤnes Geſicht
gefehen.
Als fie zu Racht gegeffen hatten, machte der Prieſter
einen Audgang, um bie beiden nicht zu flören. Er dachte,
. 5*
100 II, Giovanni Fiorentino.
der Bruder fei der Sohn irgend eines reihen Mannes,
der nach Avignon gehe, um eine Pfründe zu erlangen,
denn es ſchien ihm, er babe viel Geld. : Als es Schla:
fenszeit war, kam ber Priefter wieder heim und fagte:
Meffere, wollen wir zur Ruhe gehen?
Fa, antwortete der Bruder, wenn es euch recht ift.
Kaum waren fie in ihrer Schlaflammer, fo fchichte
die MWirthötochter dem Bruder durch einen Burfchen eine
Schachtel mit Zuckerwerk und einen fehr feinen Wein.
Da fagte der Prieſter Lächelnd: Ihr Habt gewiß heute
früh Sanct Julians Paternofter gebetet, denn wir könnten
feine beffere Herberge, Beine ſchoͤnere und gefälligere Wir
thin finden.
So fing er an mit dem Bruber zu fihergen. Der
Bruder lachte darüber, fie fprachen einander zu und
tranten von dem Weine.
Gewiß, fagte der Priefter, ich will nie diefes Weges
gehen, ohne in biefer Herberge einzufprechen; freilich follte
ih dann auch immer euch bei mir Haben, denn biefe Ehre
gilt euch, nicht mir.
Der Bruder fagte lachend: Fürwahr, das junge Weib
ift recht hübfch. |
Der Priefler antwortete: Wenn wir fie nur heute
Nacht zwifchen uns beiden liegen hätten!
Weh, verfegte der Bruder, was fagt ihr?
Der Priefter aber fagte: Es kommt auf den Verfuch an.
Die Tochter der Wirthin hatte ſich verftedkt, um zu
erfahren, welches Bett der Bruder wähle, und hörte
und ſah fomit zum Theil ihre Unterhaltung mit an.
Die Eittfamkeit des Bruders nahm fie noch mehr für
ihn ein und fie konnte kaum erwarten, bie er zu Bette
ging. Der Bruder aber wußte davon nichts und nadh-
bem fie noch Tange gefprochen hatten, legte fich der Priefter
in eine® der Betten und der Bruder in das andere. Als
nun die Frau fah und hörte, daß beide eingefchlafen
waren, zündete fie ein Licht an, trat ganz leife an das
24. Die Freundin des Cardinals. 101
Bette und fing an ſich auszukleiden, um ſich ihm an die
Seite zu legen. Der Bruder hoͤrte es, ſah plöglih auf
und erkannte den Beſuch. Er Löfchte daher alsbald das
Licht, faßte nach den Kleidern, um nicht entbedit zu
werden, und legte fich neben ben Prieſter außen an fein
Bette Die Wirthstochter fchämte ſich und ſchlich leife
von dannen. Der Priefter merkte nichts von Allem und
hörte nichts. Nach dem erften Schlafe aber wollte er
fi) umdrehen und kam fo an den Arm bed Mädchens.
Er wunderte ſich fehr barüber, griff nach ihrer Bruſt
und erkannte daran, daf ed ein Weib war. Er meinte,
ed ſei die Wirthstochter und fagte bei fich ſelbſt: Diefe
meint wahrſcheinlich, ſie liege bei dem Bruder und hat
ſich in mein Bett verirrt. Nun wahrhaftig, ich will dir
ſchon geben, was du ſuchſt.
Alsbald drehte er ſich nach ihr um und gab ihr zwei
brave Küſſe. Der Herr Bruder rührte ſich nicht und
ließ ſichs gefallen. Daher ſchlief der Prieſter, auf ſeiner
bisherigen Meinung verharrend, wieder ein; als aber der
Morgen kam, wachte der Prieſter auf und rief ihr und
ſprach: Wehe, ſteh auf, es iſt naͤchſtens Tag: daß deine
Mutter es nicht merkt!
Der Bruder erfah aus dieſen Worten, wie es ſtehe
und daß der SPriefter fie noch nicht kenne. Sie ſaß daher
im Bette auf, fing an laut aufzulachen, Bleidete fich dann
allmälig an, zog das Scapulier über fi) und machte
das Haar zurecht. Der Priefter ſah zu und bemerkte,
daß ed der Bruder ſei. Da kreuzte und ſegnete er ſich,
ja er kam faſt von Sinnen, als er fie ihren Kopfpug
machen fah, denn fie mar anzufchauen wie die Sonne,
fo blond waren ihre Loden. Nun Heibeten fie fi) an,
ließen ihre Pferde fatteln, riefen fodann die Wirthin und
machten die Zeche, worauf ber. Priefter ihre Schuldigkeit
bezahlte. Die Tochter des Wirthes fagte zu dem Priefter:
Meffere, euer Begleiter da ift doch gar zu widerfpänftig
und wild.
102 IL Bievanni Fiorentino.
Mabonna, antwortete ber Prieſter, ihr kennt ihm
nicht; vielmehr habe ich nie einen zahmern und freumb-
lichern Begleiter gehabt,’ aber er verfteht ſich noch nicht
recht aufs Durchkommen.
Die junge Frau ſagte: Das ſcheint ſo.
Und fo nahmen fie Abſchied und gingen ihres Weges.
Der Bruder rite immer voraus und fo oft er firh um⸗
drehte, ſah er dem Prieſter zurück. Dieſer dachte unauf-
hörlich Über das gehabte Abenteuer nach, das ihm ganz
felttam vorlam. Der Bruder erwartete ibn daher und
ſprach: Geftern, Meffere, war das Nachdenklichſein an
mir, heute ſcheint die Reihe an euch gekommen zu fein.
IH mag aber nicht, daß ihr noch weiter euch ben Kopf
zerbrecht, und um euch aus dem Zweifel zu ziehen, will
ich euch erzählen, wer ich bin und wehin ich gehe. Im
Wahrheit bin ich ein Weib, wie ihr wißt, heiße Petruccia
und bin die Tochter Vannicello's von Viterbo. Nach
dem Tode meiner Altern blieb ich unter ber Pflege meiner
beiden Brüder. Nun begab es fich, daß fich Papft Urban,
wie ihr wißt, auf feiner Durchreife in Viterbo aufbielt.
Dobei geſchah es zufällig, daß ein Carbinal, dem ihr bald
fehen werdet, Durch Gottes gnädige Fügung in unfer Haus
fam, wo er mic, fah, fich in mich verliebte und nicht
nachließ, bis er wich hatte. Und als ber Hof von Hier
nach der Provence überfiebelte, nahm mich der befagte
Cardinal mit, behielt mid, fortwährend be’. ſich, erwies
mir immer bie größte Ehre und hatte wich lieber als
fish felbft.. Als nun ber Papft nach ‘Ponte di Sorga
sung, begleitete ihn biefer mein Gebleter und ließ mich
im Avignon zurück mit zwei Kammerfrauen und einen
Stallmeiſter. Einer meiner Brüder aber fam auf bem
Rückwege von Sanct Jakob nah Avignon und fuchte
mich dort auf. Als ich eines Samstag Morgens in der
Kirche von Sanct Aſiderius die Meſſe hörte, kam mein
Bruder auch hin und hatte einen feiner liebſten Kameraden
bei ſich. Unfere Blicke begegneten ſich und er hatte mich
24. Die Freundin bes Eardinals. 103
erkannt. Plötzlich padte er mich und fchleppte mich an die
Rhone auf das Schiff, das er zur Weiterreiſe gemiethet
hatte. Sobald wir uns eingefchifft hatten, wurde Fein
Augenblick verfäumt und es ging weiter nach Arles, nach
Marſeille, dann nah Nizza, von Nizza nach Genua,
weiter nach Livorno und von bort nach Corneto. Oft⸗
mals hätte er mich ind Meer geflürzt, wäre nicht fein
Begleiter hemmend ihm entgegengetreten; denn unterwegs
auf dem Schiffe fafte der eine Neigung zu mir und ver-
langte mich von meinem Bruder zur Frau: diefer willigte
ein und ich war zufrieden, ihn zum Wanne zu befommen.
Wir gingen fobann nad) Viterbo, wo er mich unter hei-
teren Feſten beirathete und dann in fein Haus einführte.
Das Schidfal ließ ihn aber nur etwa noch einen Monat
am Leben, worauf er farb. Gewiß wäre ich nicht weg⸗
gegangen, wäre nicht fein Tod vorangegangen. Als er
nun tobt war, kehrte ich in meiner Brüder Haus zurüd
und biieb dafelbft unter großen Mübfalen und Qualereien;
denn ich hatte zwei Schwägerinnen im Haufe, ich mußte
ihre Magd abgeben, ob jeder Kleinigkeit rückten fie mir
vor, ich fei ein fehlechtes Weib, und fo hatte ich beſtändig
zu läden. Es begab fich nun eines Tages, daß ich einen
. &ilboten vorbeifommen fah, der nach Avignon ging. Ich
gab ihm einen Brief mit an den Prälaten, worin ich ihm
erzählte, auf welche Weiſe ich weggefommen war und
daß ich zurückzukehren wünfche, er folle eine vertraute
Perſon nach mir fenden. Er ſchickte mir auf Died jenen
in Rizza verflorbenen Bruder, einen ganz wadern Mann,
und verfprach ‚ihm, wenn er mich nach Avignon führe,
das erfte Bisthum, das in feiner Heimat aufgehe, folle
ihm zu Theil werden. Der Bruder fam nad Viterbo
und fand Gelegenheit mich in ber Kirche der Augufliner
zu fprechen; dort zeigte er mir einen Brief von der Hand
des Gardinals und andere Zeichen. Wir fegten darauf
unfere Abreife fe. Als Alles im Meinen war, gingen
an einem Feſttag meine Schmwägerinnen und ich nebft
104 ‚ II. Giovanni Fiorentino.
andern Frauen in ein Bad, welches das Bad zur Afi-
nella heißt. Während alle meine Begleiterinnen im Babe
faßen, that ich, als ginge ich einen Augenblid hinaus
eines Bebürfniffes wegen, lief aber fchnell hinweg und
einem Walde zu, in welchem ber Bruder mid) erwartete.
Dort zog ich meine Weiberkleider aus und legte Diefe
Mönchskleider an. Wir beftiegen fodann im Augenblid
zwei Pferde, welche er bereit gehalten, und waren in
faft ‚drei Stunden in Corneto. Dort hatte er einen
Schnellfegler bereit, den wir fchnell beftiegen, nachdem
wir die Pferde zurückgeſchickt. Die Matrofen flachen in
See und. wir hielten nirgend an, bis wir in Nizza in
der Provence waren. Das Meer fegte ihm fo zu, daß
er umkam, wie ihr gefehen habt; und er flarb in ber
That in Verzweiflung darüber, dag er mich nicht zu.
feinem Herrn zurüdbringen Zonnte. Ihr wift nun, wer
ih bin und mo ich hingehe. Wir wollen uns nun an-
gelegen fein Iaffen, es uns mährend biefer Reife wohl
fein zu laffen und alle Gedanken von der Welt ver-
ſcheuchen. ©
So geſchah es denn auch; fie gönnten fich unterwegs
alle Freuden bei Zafel und im Bette, fangen und fcherzten,
machten kleine Zagereifen, machten fi) gute Zeit und
führten ein frohes Leben. Ja die Kiebe zwifchen dem
Bruder und dem Prieſter wuchs fo fehr, daß es nicht zu
befchreiben ift, wie fie fi miteinander hielten. Niemals
hat jemand eine fo vertrauliche Kamerabfchaft gefehen.
Als fie nun nach Avignon kamen, fliegen fie in einer
Herberge ab, welche neben dem Palafte jenes Cardinals
lag. Am Abend fprach ber Bruder zu dem SPriefter:
Thut, ald wäret ihr mein Vetter und in meiner Gefell-
[haft gefommen! Dann laßt mich nur weiter machen!
So gefchah ed. Der Bruder ſchickte in das Haus
des Cardinals nach einem feiner Kammerdiener, welcher
Nubinetto hieß. ALS der Kammerdiener kam und ben
Bruder erkannte, erfreuten fie fich fehr aneinander. ‘Der
“.
24. Die Freundin des Gardinals. 105
Kammerbiener eilte zum Garbinal mit der Nachricht:
Monfignor, die Petruccia ift da!
Darüber war der Cardinal fehr erfreut und fagte:
Mach, daf fie hier ift, wenn ich von Hof komme, aber.
gewiß!
Der Kammerdiener brachte ihr ihre Weiberkleider und
der Priefter war ihr beim Anziehen derfelben behülflich,
die ihr denn auc, ausnehmend gut fanden; und war
ber Priefter zuvor fchon in fie verliebt im Mönchskleide,
fo mar er e8 hundert mal mehr nun in ihrer Frauen-
tracht. Unter vielen Thränen umarmten fie ſich hundert
mal an jenem Abend, und hernach, als es Zeit war,
kam ber Kammerbiener, fie in das Gemach des Cardi⸗
nals abzuholen. Als diefer nach Haufe fam, war feine
erfte Frage, ob die Petruccia da fei, und als er es be-
ftätigen hörte, eilte er in das -Zimmer und umarmte und
fügte fie hundert mal. Dort fagte fie ihm die ganze
Geſchichte, wie ihr Bruder fie gewaltfam entführt, und
fuhr dann fort: Ich habe einen mir verwandten Priefter
zu meiner Sicherheit mitgebracht, der mich euch zu Liebe
nicht verlaffen wollte, fo Iäflig es ihm auch war, mid
bierher zu euch zu geleiten.
Ä Der Cardinal ſchickte am Morgen nach dem Prieſter,
dankte ihm, ließ ihm alle feine Bittfchriften genehmigen
und erwies ihm jede Gnabe, die jener nur wünfchen
konnte; er ſchenkte ihm auch eine Kleidung und erwies
ihm die größte Ehre, fo lange er in Avignon blieb.
Die Liebe der Petruecia zu dem Priefter war fo groß,
daß fie bei dem Cardinal von Morgen bis zum Abend
fein Lob fang; und der Garbinal wandte ihm foldhe
Gunſt zu, daß er einer der Vornehmften an feinem Hofe
wurde. Nachdem nun der SPriefter vom Hofe erhalten
hatte was er wollte, entfchloß er fi, nach Haufe zu
fehren, was der Petruccia fehr hart däuchte; doch gab
fie fi darein, als fie fah, wie fehr er es wünſchte.
Beim Abfchied führte fie ihn zu einer Kifte, worin fich
56%
106 IN. Giovanni Fiorentino. .
ein Becken voll Gulden befand, und fagte ihm, er folle
daraus nehmen fo viel er wolle. i
Meine Petruccia, antwortete er ihr, es genügt mir,
daß ich deine Gunſt mitnehme, weiter begehre ich nicht
und mag auch von deinem Gelde dir nichts entziehen.
Als ſo die Petruccia die glühende Liebe des Prieſters
ſah, zog fie einen ſehr ſchoͤnen Ring vom Finger und
gab ihm denfelben mit den Worten: Nehmt und fragt
dies zur Erinnerung an meine Liebe, und gebt es Feiner,
die nicht ſchöner ift als ich.
Der Priefter antwortete: Das ift fo viel als: Behalt
ihn immer!
Denn nad, meinem Dafürhalten ift nie eine Schönere
und Lieblichere als du geboren.
Da fiel ihm die Frau unter vielen Thränen um den
Hals und fie fihlang die Arme um ihn; fie Lüften. ſich
auf den Mund, faßten ſich bei der Hand und. verab-
fhiedeten fich voneinander. Dann nahm er auch Ab»
Din von dem Cardinal und kehrte in Gottes Namen
eim.
25. Wie ein Hahnrei durch Schläge gefröftet wird.
(3, 2.)
In Florenz lebte einſt eine ſehr ſchöne Frau, welche
Madonna Iſabella hieß und an einen ſehr reihen Kauf
mann Namens Lapo verheirathet war. Sie war die ges
feiertfie Frau in ganz Florenz, denn es war auch dazu»
mal in der Stadt Feine fehönere zu finden. Ja ihre Auf
verbreitete fi) durch ganz Toscana, fo fhon, anmuthig
und mohlgefittet war fie in jedem Stücke. Als nun ein
reicher junger Mann von Perugia Namens Geccolo von
Cola Rafpanti von ihrer Schönheit hörte und vernahm,
25. Wie ein Hahnrei duch Schläge getröfter wird. 107
daß oft ihr zu. Liebe Zurniere veranftaltet werben, bekam
er Luft, fie zu fehen und auch um fie zu tioflieren. Gr
kaufte alfo Pferde und QVurniergeräthe, Lleidete ſich an-
ftändig und gut, nahm hinreichend Geld zu fi und
ging nach Florenz, wo er im Umgang mit den jungen
Männern viel Aufwand machte. Kurz, er wollte fie
fehen, und fobald er fie fah, war er plöglich in fie ver-
liebt und fprach bei fich felbft: Sie ift wahrhaftig noch
weit ſchöner als ich glaubte.
Don nun an that er fih um fie um, ging häufig
vorüber, machte Muſik und Gefang und ftellte Eſſen
und Gaftmähler an, Alles ihr zu Ehren. Er ging auf
Feſte und Hochzeiten, und wohin immer die Frau Fam,
. tioflirte, zeigte fich in den Waffen und zu Pferde, klei⸗
bete eine Dienerfchaft und fchenkte Kleider und Roffe hin,
Alles ihr zu Liebe. Und fo ange fein Vermögen und
fein Geld nachhielt, war er gerne gefehen und es wurde
ihm Ehre erwiefen. Jeden Tag ſchickte er nach Haufe,
um von feinen Befigungen zu verkaufen und zu ver-
pfänden und den Aufwand durchführen zu können, den
er angefangen hatte. Das ging wol eine Weil. Da
ed aber nicht mehr länger dauern Tonnte, fah er ſich auf
dem Punkte, daß er nichts befaß, und doc, konnte er
nicht don Florenz loskommen, fo heftig mar feine Liebe
zu jener Frau. Als er nun nichts mehr zu leben hatte,
befchloß er eines Tages, fich dem Gatten der Frau als
Knecht anzutragen. Und wie er-fich vorgeftellt, fo ge:
ſchah es; es gelang ihm, als Knecht bei Lapo, dem Ge-
mahl jener Madonna Sfabella, unterzulommen. Diefer
benugte ihn zu allem Möglichen, er mußte ihn auf dem
Land und in Florenz bei allen Gängen begleiten. Lapo
hatte auch an ihm einen guten Begleiter und Diener
und wendete ihm deshalb große Liebe zu, da er feinen
Wis und feine Erfahrung kennen Iernte. Und fo blieb
er eine gute Weile bei diefem Lapo. Dieſer Eeccolo war
nun fortwährend entflammt von der Liebe zu ber Frau,
108 IN. Giovanni Fiorentino.
und da er fie eines Zages allein fand, ſprach er zu ihr:
Madonna, ih empfehle mich euch. Es gibt kein Ge-
ſchöpf auf dieſer Welt, gegen das ich fo viel Liebe und
Verehrung geheget und noch hege ald gegen euch, und
‚ihre habt ſchon früher bemerken können, ob das wahr ift
oder nicht; denn aus Liebe zu euch habe ich Alles, mas
ih auf der Welt befaß, verfchwendet und halte es für
die größte Gnade, bier euch als Knecht zu bienen; fo
habe ich mwenigftens oft Gelegenheit euch zu fehen.
Glaube nicht, antwortete die Frau, daß ich vergeſſen
babe, was du Alles fchon für mich gethan haft; ich meinte
aber, du habeft es vergeffen, da du nie etwas zu mir
gefagt noch irgend eine Andeutung gegeben haft.
Madonna, ermwiderte Ceccolo, ich wollte nur die Zeit
abwarten.
Die Frau fprah: Mach, daß du heute Nacht zu mir
ans Bett kommſt! Tritt an die Seite links! Wenn ich
ſchlafen follte, fo berühre mich leife mit der Hand, nur
daß Lapo dich nicht hört! ch will die Thüre offen laffen
. und das Licht auslöfchen. Komm nur kecklich und unbe-
forgt und laß mich machen! "
Geccolo ſprach: Madonna, es foll gefchehen.
Als es Nacht war, ging Ceccolo um bie bezeichnete
Stunde hin, fand die. Kammerthüre offen und das Kicht
ausgelöfcht, fchlich fi) daher an die andere Seite des
Bettes, ganz nach Iſabella's Angabe, und nahm fie bei
der Hand. Die Frau erwacte nun, faßte ihn fachte
beim Arm, hielt ihn feft und rief dann ihren Mann.
Ich muß bir doch auch fagen, ſprach fie, was du
für mwadere Diener im Haufe haft. Da kam heute der
Ceccolo zu mir und ging mid um unfeufche Liebe an.
Damit du ihn nun paden könneſt, fagte ich zu ihm,
ih wolle heute Nacht zu ihm in die Laube kommen.
Wenn du ihn alfo ertappen willft, fo zieh meine Kleider
gn, nimm ein Handtuch, wickle e8 um ben Kopf und
geh hinab in die Laube. Du wirft fehen, er kommt bin
25. Wie ein Hahnrei Durch Schläge gefröftet wird. 109
in der Meinung, mid zu treffen, und du wirft finden,
ob ic) die. Wahrheit fage.
Lapo ſtand auf, zog die Kleider feiner Frau an und
sing in die Laube, Geccolo zu erwarten. Sobald der
Mann weg war, umarmte die Frau Ceccolo und er fie;
fie gaben fich der Luſt hin, wonach fie fich fo lange
gefehnt hatten, und gaben fich vielmals die holdeften
Küffe. Dann ſprach die Frau zu ihm: Du haft gehoͤrt,
wie es eingeleitet ift.. Geh nun binunter, fchilt ihn weid⸗
li aus, nimm einen Stod mit und miß ihm auf aus
dem Salz!
Cceccolo fagte: Laßt mich nur machen!
Er fland auf, nahm einen Prügel und ging hinab i in
die Laube, mo er den guten Narren feiner harrend fand.
Schnödes Weib, rief nun Ceccolo, wie kannſt bu
glauben, daß ich mich dazu verftehen würde, meinem
Herrn eine folhe Schmach anzuthun? Was ich dir ge-
fteen fagte, that ich nur, um bich auf die Probe zu
ftelen; aber wie haſt du die Unverfchämtheit, deinem
Mann untreu zu fein? Schämft du dich nicht, da du
den beften und rechtfchaffenftien Mann in der Stadt zum
Gatten haft?
Damit fchwang er ben Stock, den er in ber Faufl
hielt, ſchlug ihm über die Arme und auf die Hüfte und
rief: Wenn ich nur wieber die geringfte Kleinigkeit be-
merke, die bu jemand in der Welt anthuft, fo fage ich
es zu Lapo und mache, daß er dir die Gurgel abfchneibet.
Und wenn ers nicht thut, fo thue ich es.
So zog der arme Mann ganz zerbläut ab; und
als er in die Schlaflammer kam, fagte die Frau: Nun,
wie iſts?
Schlimm ifts bei mir, antwortete der Gatte, denn ich
bin ganz zermältnt.
Wehe mir, fagte die Frau, hat der verfchlagene Bube
gar gewagt, Hand an dich zu legen? Gott firaf’ ihn
und ſend' ihm: die Peft!
110 II. Giovanni Fiorentino.
Klage nicht, antwortete der Mann; ich bin ihm fo
gut und beffer als mir felber.
Die Frau fragte: Wie kannſt du ihn Lieber haben
ale dich felber, wenn du fagft, er habe dich ganz zer-
malmt?
Sie ftand auf, zündete ein Licht an und unterfuchte
ihm Schultern und Arme, welche ganz blau waren von
den Schlägen, bie er befommen hatte. Die Frau ftellte
fih daher an, als wollte fie aufjchreien.
Sei ftill, rief ihr Mann, laß mich fein Gefchrei ver-
nehmen! Wenn er mic, todfgefchlagen hätte, fo Ließe
ih mirs gefallen nach dem, was er zu mir fagte.
Gewiß, fügte die Frau bei, wird er nun nicht länger
im Haufe bleiben.
Der Mann aber fagte: Hüte dich, fo lieb dir bein
Leben ift, ihm etwas zu fagen. Ich befehle bir vielmehr,
ihn Tag und Naht in deine Schlaffammer zu laſſen
nach feinem Belieben, da ich bemerkt habe, daß er mich
aufrichtig lieb hat. Fuͤrwahr, er foll nicht aus meinem
Haufe‘ tommen, denn ich glaube, es hat nie ein treuerer
Diener auf diefer Welt gelebt.
- Am folgenden Morgen ließ Lapo den Ceccolo rufen
und fagte: Ich will, daß du dies als dein Haus betradhteft.
Verlaß dich darauf, bier zu leben und zu ftcrben und bu
magft in allen Zimmern aus» und eingehen nach deinem
Belieben; denn ich hatte nie einen Diener, dem ich mehr
zugethban war als dir.
Meffere, antwortete Ceccolo, in Allem was ich gethan
babe oder thun werde, foll Liebe und Treue mid) leiten.
Lapo verfegte: Das bin ich verſichert.
Nun blieb Ceccolo lange Zeit im Hauſe, er und die
Frau pflagen größter Luſt und Freude zuſammen und
Lapo hegte nie den mindeſten Verdacht. Ging er über
Feld, ſo befahl er immer dem Ceccolo ſeine Frau. So
konnten dieſe lange Zeit alle ihre Wünſche erfüllen, und
wenn auch, öfters dur eine Stubenfrau Lapo hinter-
26. Des Kaufmann von Venedig. 11
bracht wurde, baß jener ihm Schande anthue, fo wollte
er ed doch niemals glauben. Wielmehr fagte er öfters:
Wenn ich ihn auf ihr fände, fo glauhte ichs nicht.
So genoffen Ceccolo und die Frau ihr Glück ihr Leben
lang und hatten die Freude und Wonne dieſer Welt.
26. Der Kaufmann von Venedig.
(4, 1.)
Am Haufe der Scali in Florenz befand fich ein
Kaufmann Namens Bindo, welcher oftmals in Tana
und in Wlerandrien gewefen war und alle jene großen
Reifen gemacht hatte, welche man des Handeld wegen
zu machen pflegt. Diefer Bindo war ziemlich reich und
hatte drei erwachfene Söhne. Als er zu fterben Fam,
rief er den älteften und den mittleren zu fih, machte in
ihrer Gegenwart fein Teſtament und fegte fie beibe zu
Erben feiner ganzen irdifchen Habe ein, während er dem
jüngften nichts hinterließ. Sobald das Zeflament fertig
war, fam der jüngfte Sohn, Giannetto mit Namen,
welcher davon gehört hatte, zu ihm an das Bett und
fagte zu ihm: Mein Vater, ich wunbere mich fehr über
das, was ihr getan habt, indem ihr meiner in eurem
Teftamente gar nicht gedachte.
Der Bater antwortete: Mein Giammetto, ich liebe
niemand auf Erden mehr als dich; und darum wünſche
ih nicht, daß du nach meinem Tode hier bleibeft, viel-
mehr ſollſt du, fobald ich geftorben bin, nach Venedig
gehen zu einem deiner Zaufpathen, dem Herrn Anfaldo,
welcher keinen Sohn Hat und mir ſchon mehrmals ge-
fehrieben bat, ich folle dich ihm ſchicken. Ic kann bir
fagen, daß er ber reichfte Kaufmann ift, welcher heutzutage
[4
112 IH. Siovanni Fiorentino.
in ber ganzen Chriftenheit lebt. Darum ift es mein
Wille, daß du, fobald ich geftorben bin, zu ihm gehft
und ihm diefen Brief bringft; und wenn du es redht
anzugreifen weißt, wirft du ein reicher Mann werben.
Da fprah der Sohn: Mein Vater, ich bin bereit
zu thun, was ihr mir befehlet.
Darauf gab ihm der Vater feinen Segen und wenige
Tage darauf verfchied er. Alle feine Söhne erhoben
hierüber den heftigften Jammer und erwiefen dem Leich⸗
nam die gebührende Ehre. Wenige Tage fpäter riefen
die zwei ältern Brüder den Giannetto zu ſich und fagten
zu ihm: Du bift unfer Bruder; unfer Vater hat zwar
ein Teſtament gemacht und uns zwei zu feinen Erben
eingefegt, ohne deiner irgend zu erwähnen. Nichtödefto-
weniger bift du gleichfalls unfer Bruder und darum follft
bu jegt, fo gut als wir, an bem Vorhandenen Theil
haben.
Siannetto antwortete: Liebe Brüder, ich danke euch
für euer Anerbieten. Aber was mich betrifft, fo fteht
mein Sinn dahin, mein Glüd draußen in der Welt zu
fuhen. Dazu bin ich feft entjchloffen und darum follt ihr
das euch zugefchriebene und gefegnete Erbe behalten.
Seine Entichloffenheit erfennend, gaben fie ihm ein
Pferd und Geld für feine Reiſebedürfniſſe. Giannetto
nahm von ihnen Abfchied und ging weg nad, Venedig.
Er kam in das Waarenlager bes Herrn Anſaldo und
übergab ihm ben Brief, welchen ihm fein Vater vor
feinem Tode eingehänbigt hatte. Als Herr Anfalbo diefen
Brief las, erkannte er, daß er der Sohn feines geliebten
Bindo war, und fobald er mit dem Leſen fertig war,
. umarmte er ihn und rief: Sei mir willlommen, mein
theures Kind, wonach ich fo fehr verlangt habe!
Sodann war feine erfte Frage nach Bindo, worauf
ihm Giannetto antwortete, er fei geftorben. Darüber
umarmte und küßte er ihn unter vielen Thraͤnen und
ſprach: Wol thut mir der Tod Bindo's fehr wehe, ba er
26. Der Kaufmann von Benedig. 113
mir einen großen Theil deffen, was ich habe, gewinnen
half. Aber fo groß ift die Freude, die ich nun an dir
habe, daß fie jenen Schmerz; milbdert.
Er lie ihn nah Haufe führen und befahl feinen
Gefchäftsleuten, feinen Ladendienern und feinen fämmt-
lichen Untergebenen und Knechten, ®iannetto mehr nody
zu gehorchen und zu dienen als ihm felbfl. Vor Allem
überwies er ihm bie Schlüffel zu feiner ganzen Baar⸗
[haft und fagte: Mein Sohn, alles, was bier ift, kannſt
du verwenden. Du magft dich Heiden und beſchuhen nach
deinem Geſchmack und die Leute der Stadt zum Effen
laden, damit du Dich bekannt machſt. Wie du es ane
greifen willft, magft du felbft überlegen; ich werde dich
aber um fo lieber haben, je mehr du weißt dich beliebt
zu machen. |
Giannetto fing nun an, mit ben venezianifhen Edel⸗
leuten umzugehen, ein Haus zu machen, Tafel zu halten,
Geſchenke zu geben, feine Dienerfchaft reich zu kleiden,
gute Pferde zu kaufen und Wettlämpfe und Nitterfpiele
zu üben, und in allen Stüden fidy erfahren und geübt,
hochherzig und feingefittet zu erweiſen. Auch verftand er
wohl, wo es am Plage war, Ehre und Höflichkeit zu
ermweifen und erzeigte dem Deren Anfaldo fletE mehr Ehre
ald wenn er hundert mal fein Vater gewefen wäre. Gr
wußte ſich fo Elug gegen jede Art von Leuten zu ftellen,
daß faft jedermann in Venedig ihm zugethan war, ba
man feine große Klugheit und Anmuth und feine unbe
grenzte Höflichkeit fah. Männer wie Frauen fchienen in
ihn verliebt und Herr Anfaldo fah fonft nichts als ihn,
fo ſehr gefiel ihm fein Betragen und feine Aufführung.
Darum wurde denn faft fein Feſt in Venedig veran-
ftaltet, wozu Giannetto nicht eingeladen worden wäre;
fo fehr war er bei Allen beliebt. Da begab es fih, daß
zwei feiner liebften Gefährten nad) Aleſſandria geben
wollten mit ihren Waaren auf zwei Schiffen, wie fie
alljährlich zu thun pflegten. Sie fagten es Giannetto
114 IN. Giovanni Fiorentino.
und fügten hinzu: Du follteft dich mit und bed Meeres
erfreuen, um die Welt zu fehen und zumal jenes Da-
mascus und das Rand umher. \
Giannetto antwortete: Wahrhaftig, das würbe ich fehr
gern thun, wenn mein Water Herr Anfaldo mir dazu
Erlaubniß gäbe.
Jene fagten: Das wollen wir ſchon machen, daß er
fie die gibt und er foll damit zufrieden fein.
Sogleich gingen fie zu Herren Anfaldo und ſprachen:
Wir wollen euch bitten, daß ihr dem Giannetto gefälligft
erlauben möget, mit uns auf das Frühjahr nach Aleran-
drien zu gehen und daß ihr ihm ein Schiff ausrüftet,
damit er ein wenig die Welt fehe.
Herr Anfaldo fagte: Ich bin es zufrieden, wenn es
ihm Vergnügen macht.
Jene antworteten: Herr, es ift fein Wunſch.
Darum ließ ihm Herr Anfaldo fogleich ein fehr fchönes
Schiff ausrüften umd es mit vielen Waaren beladen und
mit Flaggen und Waffen Hinlänglich verfehen. Und nach⸗
dem es fertig war, befahl Herr Anfaldo dem Schiffs⸗
patron und der Mannfchaft, alles zu thun, was Gian-
netto ihnen befehle und mas ihnen aufgetragen werbe.
Denn, fagte er, ich fende ihn nicht aus, um Gewinn
durch ihn zu machen, fondern zu feinem Vergnügen, da⸗
mit er die Welt fehe.
Und ald Giannetto zu Schiffe flieg, lief ganz Venebig
hinter ihm ber, um ihn zu fehen, ba feit langer Zeit Eein
fo ſchönes und fo mohlausgerüftetes Schiff von Venedig
weggefahren mar. Sedermann bebauerte fein Scheiben.
So nahm er und alle feine Gefährten Abfchied von
Herrn Anfaldo; fie fliegen zu Schiff und zogen bie
Sergel auf und nahmen ihren Weg nach Alerandria in
Gotted Namen und ihrem guten Glück vertrauend. Die
drei Gefährten fuhren fo in ihren drei Schiffen mehrere
Tage hin. Da geſchah es eines Morgens vor Tag, daß
der befagte Giannetto einen Meerbufen mit einem fehr.
26. Der Kaufmann von Venedig. 115
ſchönen Hafen wahrnahm und ben Schiffspatron fragte,
wie dieſer Hafen heiße. Er antwortete ihm: Herr, diefer
Drt gehört einer Witwe an, welche fchon viele edle Männer
zu Grumbe gerichtet bat.
Siannetto fragte: Wie das?
Herr, antwortete jemer, es ift ein fchönes reizendes
Weib, welche das Geſetz befolgt, daß jeder, ber dorthin
kommt, bei ihr ſchlafen muß, und wenn er mit ihr zu
ſchaffen bekommt, ſo muß er ſie zur Frau nehmen und
wird Beſitzer des Hafens und des ganzen Landes; bringt
er ſie aber nicht unter ſich, ſo verliert er alles, was
er hat.
Giannetto dachte ein wenig ſtill bei ſich nach und
ſagte ſodann: Sieh zu wie du es machſt, daß du mich
in n Hafen führft!
Der Patron antwortete: Herr, bedenkt, was ihr fagt!
Biele find fchon hineingegaugen und dadurch auf immer
elend geworben.
Giannetto aber fagte: Difge dich nicht in fremde
Dinge, fondern Sue, was ich bir fagel
So geſchah es denn, daß fie Much das Schiff
wendeten und in den Hafen einfuhren, ohne daß ihre
Gefährten auf den ‚andern Schiffen etwas davon merkten.
Am Morgen verbreitete fi) nun die Nachricht, wie diefes
fhöne Schiff in den Hafen gekommen fei, ſodaß alles
Bolt herbeilief, es zu fehen und ber Frau fogleid, darüber
Meldung geſchah. Sie ſchickte daher zu Giannetto, welcher
unverzüglich zu ihr ging und fie ehrerbietig begrüßte. Sie
nahm ihn bei der Hand, fragte ibn, wer er fei, woher '
er komme und ob er die Sitte des Landes wiſſe. Gian⸗
netto bejabte es und fagte, er fei gerade aus dieſem
Grunde gekommen.
So feid mir denn hundert mal willlommen, fagte fie,
und erwies ibm den ganzen Tag bie größte Ehre und
ließ viele Barone, Grafen und Ritter einladen, welche
fie unter fi Hatte, damit fie ihm Gefellfehaft Teifteten.
116 — II. Giovanni Fiorenfino. _
Allen Baronen geftel das Betragen Giannetto’s fehr,
. fowie auch fein gefittetes, einnehmendes und geſprächiges
Weſen, ſodaß faſt jeder ſich in ihn verliebte. Den
ganzen Tag wurde am Hofe getanzt und geſungen und
geſchmauſt dem Giannetto zu Ehren, und jedem wäre
es recht geweſen, ihn zum Gebieter zu bekommen. Als
nun der Abend kam, nahm ihn die Frau bei der Hand,
führte ihn in ihr Schlafgemach ˖ und fagte: Ich glaube,
ed ift num Zeit, zu Bett zu gehen.
Giannetto antwortete: Edle Frau, ich bin zu euren
Dienften.
Alsbald Famen zwei Jungfrauen, die eine mit Wein,
die andere mit Zuderbadiwerf.
Ih weiß, fagte die Frau, ihre werdet Durft befom-
men haben. Darum trinkt!
Giannetto nahm von den Süßigkeiten und trank von
dem Wein, welcher, ohne daß jener ed wußte, fo bereitet
war, daß er fchlafen machte; er trank davon eine halbe
Schaale, denn er ſchmeckte ihm; darauf z0g er ſich fo-
gleich aus und Jegte fich nieder. Kaum aber hatte er
das Bett erreicht, fo war er fchon eingefchlafen. Die
Frau legte ſich ihm zur Seite nieder, er merkte es aber
nicht bis zum Morgen, als fchon die Terzie vorüber war.
Darum ftand die Frau auf, ald es Tag wurde und ließ
anfangen, das Schiff auszuladen, welches’ fie voll von
verfchiedenen Zoftbaren und trefflichen Waaren fand. Als
nun die Zerzie vorüber war, gingen die Kammerfrauen
der Dame an das Bette Giannetto’s, hießen ihn aufe
ftehen und gaben ihm die Weifung feiner Wege zu gehen,
denn er babe das Schiff und alles, was darauf fei, ver.
Ioren. Darüber fchämte er ſich, denn er meinte, feine
Sachen fhleht gemacht zu haben. Die Frau ließ ihm
ein Pferd geben und Geld zur Reife und fo zog er
traurig und betrübt von binnen und wandte fi) nad)
Venedig; dafelbft angelangt mochte er aber aus Scham
nicht nach Haufe gehen, fondern begab fid) in der Nacht
26. Dei Kaufmann von Venedig. 117
zu einem feiner Sameraden, welcher fich fehr verwun-
derte und ſprach: Wehe, Siannetto! Was ift das?
Diefer erwiderte: Mein Schiff fcheiterte eines Nachts
an einer Klippe, ſodaß alles zerborft und zerfchellte und
nach allen Seiten bin getrieben wurde. Ich hielt mich
an ein Stud Holz, dad mich an das Ufer trieb. So
bin ic) gerettet worden und hierher gefommen.
Siannetto blieb einige Tage in dem Haufe biefes
feined Freundes, welcher fodann einmal dem Herrn An⸗
faldo einen Beſuch machte, ihn aber fehr niedergefchlagen
antraf. Herr Anfaldo fagte: Ich fürchte fo fehr für das
Leben meines lieben Sohnes, oder dag ihm zur See ein
Unglück zugeftoßen fei, und ich kann weder Raſt noch
Ruhe finden, fo groß ift die Xiebe, die ich zu ihm trage.
Sener Züngling erwiderte: Ich Tann euch von ihm
Kunde bringen; er ift auf dem Meere geſtrandet und
bat all fein Hab und Gut verloren, er felbft aber ift
wohlbebalten davongekommen.
Da fprah Herr Anfaldo: Gott fei gelobt! Wenn '
nur er gerettet ift,. fo bin ich zufrieden. Der Berluft,
den er erlitten bat, foll mich nicht gramen. Aber mo
ift er?
Der Jüngling antwortete: Er befindet fich in meinem
Haufe.
Und alsbald brach Herr Anfaldo auf, um ihn zu fehen.
Sobald er ihn erblidte, ftürzte er fich in feine Arme und
fprach: Mein lieber Sohn, du braucht dich nicht vor mir
zu fhämen, denn das fommt ja häufig vor, bag Schiffe
im Meere berften. Darum gräme dich nicht, mein Sohn,
denn ich bin zufrieden, daß dir kein Leid widerfahren ift.
Und hiermit führte er ihn nad) Haufe, indem er nicht
müde werden konnte, ihn zu tröften. Die Neuigkeit ver
breitete fic, bald durch ganz Venedig und jeder nahm An⸗
theil an dem Verluſte, welchen Biannetto erlitten hatte.
Nun geſchah es, daß kurze Zeit daranf feine Gefährten
aus Alerandrien zurückkehrten, alle mit reichem Gewinne.
⸗
118 III. Giovanni Fiorentino.
Sowie ſie angekommen waren, fragten ſie nach Gian⸗
netto und erfuhren alles. Deshalb liefen fie ſogleich Hin,
ihn zu umarmen und fagten: Wie bift du von und ge-
fommen und wohin bift du gegangen ? Wir Eonnten
gar nichts mehr von bir erfahren; wir find jenen ganzen
Tag rückwärts gefegelt, Eonnten aber dich nicht anfichtig
werden, noch in Erfahrung bringen, mo du hingefommen
feieft. Wir haben uns darüber fo fehr betrübt, daß wir
den ganzen Weg nicht wieder froh werden mochten, denn
wir glaubten, du feieft geftorben.
Giannetto antwortete: Einem Meerbufen gegenüber
erhob fich ein heftiger widriger Wind, welcher mein Schiff
in gerader Linie auf eine Klippe trieb, welche nahe am
Lande war, fodaß ich mit Enapper Noth felbft mein
Leben rettete, denn alles ging drunter und brüber.
Dies war der Vorwand, welchen Giannetto gebrauchte,
um feinen Fehltritt zu verbergen. Und nun veranftal-
teten fie zufammen eine große Feftlichkeit, dankten Gott,
dag wenigftens er davongekommen fei und fprachen: Mit
dem nächften Frühjahr, wenn es Gottes Wille ift, werden
mir wieder gewinnen, was du biesmal verloren haft.
Darum laß uns jegt darauf denken, uns eine gute Stunde
zu machen und ben Zrübfinn zu verfcheuchen.
Und das ließen fie ſich dann auch angelegen fein, und
waren fröhlich und guter Dinge nad ihrer frühern Ge⸗
wohnheit. Giannetto aber dachte an nichts, als wie er
zu jener Frau zurückkehren könne, fann hin und her und
fprach bei fich felbft: 2 ahthafig sis muß fie zur Frau
. erbalten oder ich will dabei ft
So konnte er demn Kar je nicht heiter werben.
Darum fagte. Herr Anfaldo mehrmals zu ihm: Scheuche
den Zrübfinn von dir, denn wie find ja noch fo rei an
Hab und Gut, daß mir recht wohl beftehen £önnen.
Lieber Her, antwortete Giannetto, ich kann mich
* beruhigen, wenn ich nicht dieſen Weg noch einmal
mache.
26. Der Kaufmann von Venedig. 119
Als nun Anfaldo feinen Willen erkannte, unb bie
Zeit gefommen war, befrachtete ex ein anderes Schiff
mit noch mehr Waaren ald das erfte und von nod)
höherm Werthe, ſodaß er den größten heil von dem,
was er auf ber Welt befaf, ihm anvertraute. Als feine
Gefährten ihre Schiffe auch mit dem Nöthigen ausge-
ftattet hatten, gingen fie mit Giannetto zufammen in See,
liefen die Segel blähen und fleuerten ihres Weges. Und
während mehrerer Tage, da fie fchifften, paßte Giannetto
beftändig, ob er nicht den Hafen jener Frau wiederfehe,
welcher der Hafen der Frau von Belmonte hie. Als
man nun in einer Nacht an die Mündung jenes Hafens
gelangt war, welcher in einer tiefen Bucht lag, erkannte
ihn Siannetto augenblicklich, ließ Segel und Ruder wenden
und fchlüpfte fchnell hinein, ehe noch feine Gefährten auf
den andern Schiffen etwas davon bemerkt hatten. Da
nun die Herrin bes Landes am Morgen aufgeftanden war
und nad) dem Hafen fchaute, bemerkte fie bie Flagge
dieſes Schiffes, erkannte fie alsbald, rief eine ihrer Zofen
und ſprach: Kennft bu biefe Flagge?
Die Kammerfrau ermiderte: Edle Frau, es ſcheint
das Schiff jenes jungen Mannes zu fein, ber vor einem
Fahr bier ankam und mit feinen Waaren uns einen fo
großen Reichthum hinterli.
Die Dame fprah: Gewiß, du fagft bie Wahrheit.
In der That, dee muß nicht wenig in mich verliebt fein,
benn ich babe noch nie einen zum zweiten mal bierher-
fommen fehen.
Die Kammerfrau verfegte: Und ich habe noch Feinen
böflihern und liebenswürdigern Mann gefehen als ihn.
Die Frau ſchickte viele Junker und Knappen nach ihm
aus, welche ihn mit großer Keierlichkeit empfingen, und
er felbft begegnete ihnen freundlich und heiter. Und fo
kam er hinauf in die Burg und vor das Angeficht der
Frau. Als fie ihn erblidte, umarmte fie ihn mit großer
Luft und Freude, und er umarmte fie wieder mit vieler
120 II. Giovanni Fiorentino.
Ehrerbietigkeit.. So verbrachten fie den ganzen Zag in
Luft und Wonne, denn die Frau ließ Barone und Frauen
in Menge einladen, welche an den Hof famen, um dem
Giannetto zu Liebe eine Feftlichkeit zu veranftalten. Faſt
alten Baronen that es leid um ihn und fie häften ihn
gern zu ihrem Herrn gehabt, wegen feines einnehmenden
höflihen Weſens, und faft alle Frauen waren in ihn
verliebt, als fie fahen, wie zierlih er fi beim Tanze
bewegte und fein Geficht immer heiter glänzte, fobaß
jeder meinte, er müſſe der Sohn irgend eines großen
Herrn fein. Als aber die Dame fah, baf es Zeit war
fchlafen zu. gehen, nahm fie Giannetto bei der Hand
und fagte: Gehen wir zur Ruhe!
Darauf gingen fie in die Kammer, festen fich nieder
und fiehe ba kamen zwei Jungfrauen mit Wein und
ſüßem Badwerk; fie tranfen und afen und gingen darauf
zu Bette. Sobald er aber im Bette war, fihlief er auch
ein. Die Frau zog fich aus, legte fich neben ihn nieder
und Zur; er Fam nicht wieder zu fi die ganze Nacht.
Als der Morgen kam, fland die Frau auf und befahl
fogleih, das Schiff abfrachten zu laſſen. Sobald nun
die Terzie vorüber war, Fam Giannetto mieber zu ſich
und fuchte nad) der Frau und fand fie nicht. Er fuhr
mit dem Kopf in die Höhe und fah, daß es heller Tag
war. Deshalb ftand er fogleich auf und fing an, fich fehr
zu fhämen. Dann gab man ihm wieder ein Pferd und
Geld auf die Reife und fagte zu ihm: Geh deiner Wege!
Vol Befhämung z0g er von dannen, traurig und
niedergefchlagen, ruhte aber nicht eher, bis er nad) vielen
Tagereifen in Venedig anfam, wo er bei Nacht in das
Haus jenes feines Freundes eintrat, welcher bei feinem
Anblick fih auf das Außerſte verwunderte und ſprach:
Weh mir, was ift das?
Giannetto antwortete: Das bin ich Unglüdlicer.
Verwünſcht fei mein Schiefal, das mich jemals in dieſes
Land kommen ließ!
!
26. Der Kaufmann von Venedig. 121
Darauf ermwiberte jener Freund: Du haft wol Ur-
fache, es zu verwünfchen, denn du haft den Herrn An-
faldo zu Grunde gerichtet, welcher der größte und reichfte
Kaufmann in der Chriftenheit war, und die Schande ift
noch fehlimmer als der Schaben.
Giannetto blieb mehrere Tage in dem Haufe biefes
feines Freundes verborgen und mußte nicht, was er thun,
noch was er fagen follte; ja er war faft Willens, nad)
Florenz zurüdzutehren, ohne Heren Anfaldo ein Wort
davon zu fagen. Am Ende aber entfchloß er fich doch,
zu ihm zu gehen, und fo that er auch. Als Herr Anfaldo
ihn erblidte, fprang er auf, ftürzte ihm entgegen, umarmte
ihn und rief: Sei mir willlommen, mein Sohn!
Und Giannetto umarmte ihn unter Thränen. Als
er alles vernommen hatte, fagte Herr Anfaldo: Weißt
du was, Giannetto? Mache dir darüber nur gar feinen
Kummer! Da ich nur did) wieder habe, bin ich zufrieden.
Es bleibt uns ja noch fo viel übrig, daß wir gemächlich
leben können. Es ift nun fo des Meeres Brauch, dem
einen zu geben, dem andern zu nehmen.
Die Nachricht von diefem Ereigniß verbreitete fich
durch ganz Venedig, jedermann fprach vom Herrn An-
faldo und beklagte ihn fehr wegen des Verluftes, welchen
er erlitten; und Herr Anfaldo fah ſich genöthigt, viele
Befigungen zu verlaufen, um bie Gläubiger zu bezahlen,
welche ihm die verlorenen Waaren geliefert hatten. In⸗
zwifchen kamen Giannetto’8 Neifegefährten mit großen
Reichthümern von Alerandria zurüd, und faum in De.
nedig angelangt erfuhren fie, daß auch Giannetto zurüd-
gefommen fei, Schiffbruch gelitten und alles verloren habe.
Darüber verwunderten fie fi) und fprachen: Das ift der
außerordentlichfte Fall, der je erhört wurde.
Darauf gingen fie zu Herrn Anfaldo und zu Gian-
netto, begrüßten fie herzlich und fagten: Seid unbeküm⸗
met, edler Herr! Das näcfte Jahr mollen wir aub-
ziehen und zu eurem Beſten arbeiten, denn wir find faſt
Staliänifher Novellenſchatz. I. 6
122 II. Giovanni Fiorentino.
ſchuld an diefem eurem Verluſte, da ja wir ed waren,
die den Giannetto das erfte mal. verleitet Haben mit uns
zu kommen. Darum bedenkt euch nicht, und fo lange
wir noch irgend etwas unfer nennen, betrachtet es wie
euer Eigenthum. |
Herr Anſaldo dankte ihnen und fagte, er habe bis
iegt wol noch fo viel, um nicht barben zu müffen. Da
nun aber Biannetto vom Morgen bis zum Abend jenen
Gedanken nachhing und nie heiter werden wollte, fo fragte
ihn einft Herr Anfaldo, was er habe, und erhielt zur
Antwort: Ich werde nicht eher wieder zufrieden fein, bie
ich das wieder erworben, was ich verloren habe,
Da ſprach Herr Anfaldo: Mein Sohn, du darfft
mir die Meife nicht noch einmal wagen, denn es ift Elüger,
wir halten mit dem Wenigen, was wir haben, fparfam
Haus, ald daß du ed weiter aufs Spiel fegeft.
Giannetto verfegte: Ich bin entfchloffen, alles zu thun,
was ich vermag, ‚denn ich würde es mir zur größten
Schande rechnen, wenn ich die Sache fo bemenden lafjen
follte.
Als nun Herr Anfaldo feinen Willen erkannte, ent-
ſchloß er fih, alles zu verkaufen, was er noch auf der
Welt beſaß, um ihm ein neues Schiff auszurüften. So
that er, und behielt für ſich nichts übrig, ftattete aber
ein fehr fchönes Handelsfhiff aus. Und weil ihm nody
zehntaufend Ducaten fehlten, ging er zu einem Juden
nad; Meftri und borgte fie von ihm unter der vertrags-
mäßigen Bedingung, daß, wenn er ‚fie nicht zwifchen
heute und dem nächſtkommenden St. Sohannistag im
Juni zurückgegeben habe, der Jude ihm ein Pfund Fleifch
von feinem Leibe nehmen dürfe, von welcher Stelle ihm
beliebe. Herr Anfaldo war damit zufrieben, und der
Jude ließ eine gerichtliche Urkunde darüber ausftellen mit
Zeugen und mit allen nöthigen Kormlichkeiten und Vor⸗
fihtömaßregeln verfehen und dann zahlte er ihm zehntau⸗
fend Goldducaten aus, mit welchem Gelbe fofort Anfaldo
26. Der Kaufmann von Venedig. 343
das beforgte, was dem Schiffe noch fehlte; und wenn
die erſten beiden Fahrzeuge fihön waren, fo war das
dritte noch weit reicher und beffer ausgeftattet. Die Ge⸗
fährten rüfteten ebenfalls ihre zwei Schiffe, mit dem
Vorfage, daß das, was fie gewinnen würden, ihrem
Giannetto gehören folle. Und ba die Zeit zur Abreife
gefommen war und die Schiffe fegelfertig fanden, fagte
Herr Anfaldo zu Giannetto: Mein Sohn, du gehft nun
und weißt, unter welcher Verpflichtung ich zurüdbleibe.
Eines aber bitte ich mir von Dir aus, daß, wenn ed dir
ja übelgehen follte, es dir doch gefallen möge, zu mir
zu kommen, auf daß ich dich vor meinem Tode noch
einmal fchauen und zufrieden aus der Welt gehen Tann.
Giannetto erwiberte ihm: Herr Anfaldo, ich will alles
thun, womit ich glaube, euch gefällig zu werden.
Herr Anfaldo gab ihm feinen Segen und fomit nahmen
fie Abfchted und machten fich auf ihre Reife. Die beiden
Gefährten hatten forgfam Acht auf Giannetto’s Schiff,
Giannetto aber ging mit all feinem Dichten und Trachten
darauf aus, in der Bucht von Belmonte zu landen. Er
berebete daher einen feiner Steuermänner, das Schiff zur
Rachtzeit in den Hafen jener Edelfrau zu führen. Da-
nach, als es wieder Zag geworben war und bie Ge-
fährten in ben andern beiden Schiffen ſich umfahen und
Giannetto’s Fahrzeug nirgend gemahren fonnten, fprachen
fie untereinander: Gewiß, das ift wieder fein Unglüd.
Sie dachten daher, es bleibe ihnen nichts übrig, als
ihren Weg fortzufegen und waren barüber fehr vermun-
dert. Als nun das Schiff in den Hafen eingelaufen war,
lief alles aus der Burg herbei, um zu fchauen, und als
fie merften, daß Giannetto zurüdgelehrt war, wunberten
fie fi fehr darüber und fpradhen: Das muß der Sohn
irgend eine® großen Heren fein, in Betracht daß er jebes
Jahr mit fo vielen Waaren und fo ſchönem Schiffzeug
bier ankommt. Wollte Gott, baf er noch unfer Herr
würde!
6*
124 IH. Giovanni Fiorentino.
So wurde er befucht von allen Großen, von den
Baronen und Nittern des Landes und der Frau ward
gemeldet, daß Giannetto wieder in den Hafen gekommen
ſei. Da trat fie an bie Fenſter des Pallaftes und fah
das prächtige Schiff und erkannte die Flaggen, machte
darob das Zeichen bes heiligen Kreuzes und fpradh:
Mahrlich es ift ein Wunder, das ift jener Dann wieder,
welcher den Reichthum ins Land gebracht hat. Und da-
mit fchickte fie nach ihm. Giannetto ging zu ihr; fie
begrüßten fich mit vielen Umarmungen und erwiefen ſich
Ehre, und den ganzen Tag war man darauf bedacht,
Fröhlichkeit und Feſte zu üben, man veranftältete Gian-
netto zu Liebe ein fehönes Turnier, woran viele Barone
und Ritter deffelbigen Tages Theil nahmen. Giannetto
wollte auch tioftieren, er that Wunder ber Zapferkeit
und nahm fi fo gut aus in Waffen und zu Pferde,
und fein ganzes Wefen gefiel fo fehr allen Baronen, daß
jeder ihn zum Herrn zu erhalten wünfchte Als es nun
am Abend Zeit war, ſich zu Bette zu legen, nahm die
„ rau den Giannetto bei der Hand und fagte: Laß und
fchlafen gehen!
Er ftand fhon am Eingang der Schlaflammer als
eine Zofe, welcher es um Giannetto leid that, fich zu
feinem Ohr neigte und ihm zuflüfterte: Gib dir den
Anfchein zu trinken, trint aber nicht diefen Abend!
Giannetto verftand dieſe Worte, trat in die Schlaf-
fammer und die Frau fagte zu ihm: Sch weiß, daß ihr
durftig fein werdet, und wünfche daher, daß ihr trinket,
ehe ihr zu Bette geht.
Alsbald kamen zwei Mädchen, ſchön wie zwei Engel,
mit Wein und Zuderbadiwerk nach gewohnter Weife und
fchenften ein. Giannetto fagte: Wer könnte fich enthalten
zu trinken, wenn er zwei fo fchöne Jungfräulein fieht?
Darüber lachte die Frau. Giannetto nahm die Schaale
und that als ob er trinke, fehüttete fie aber in den Buſen.
Die Frau meinte, er habe getrunfen, und fagte bei fich
26. Der Kaufmann von Venedig. 125
felbft: Du magft immerhin noch ein anderes Schiff herbei-
führen; denn biefes haft du verloren.
Dann ging Giannetto zu Bett, fühlte fih ganz heil
und munter und konnte den Augenblid faum erwarten,
bis die Frau ins Bett Täme.
‚Diesmal habe ich fie gefangen, fprach er bei fich felbft.
Heute hat fie die Zeche ohne den Wirth gemacht.
Ä Und damit die Frau um fo fchneller ins Bett käme,
that er, als ob er anfinge zu ſchnarchen und zu fchlafen.
Darum fagte die Frau: Nun ift es recht.
Sie zog ſich aus und kam an Giannetto’3 Seite.
Diefer wartete nicht lange, fondern fobald die Frau unter
die Dede gefchlüpft war, wandte er ſich nach ihr um,
umarmte fie und ſprach: Jetzt habe ich, wonach ich mich
fo lange gefehnt habe.
Damit gab er ihr ben Friedenskuß der heiligen Che
und fie kam die ganze Nacht nicht mehr aus feinen
Armen. Darüber war die Frau mehr: al vergnügt,
ftand am Morgen vor Tag auf, ließ ausfenden nad)
alten Baronen und Rittern und vielen andern in der
Stadt und ſprach zu ihnen: Giannetto ift euer Gebieter.
Darum denkt darauf, Feftlichkeiten zu veranftalten! -
Ploͤtzlich verbreitete fich das Gerücht durch das Land
und man rief: Es lebe der Herr! Es lebe der Herr!
Die Sloden wurden geläutet und Inſtrumente ge
blofen, um das Feft zu verfünden. Man fandte aue
nach vielen Baronen_und Grafen, welche auferhafb ber
Burg wohnten, und ließ ihnen fagen: Kommt, euren
Heren zu fehen!
Und als Siannetto die Schlafkammer verließ, wurde
er zum Ritter gefchlagen und auf einen Thron gefegt,
bekam einen Scepter in die Hand und wurde mit großem
Triumph und Gepränge zum Herrfcher ausgerufen. Und
nachdem alle Barone und Frauen an den Hof gefommen
waren, heirathete er die Edelfrau mit unbefchreiblicher
und unerdenklicher Freude und Luftbarkeit. Alle Barone
x 1% IL Giovanni Fiorentino.
und Herren des Landes kamen zu dem Feſte, um fich zu
- ergögen, zu turnieren, zu tioftieren, zu tanzen, zu fingen
und zu fpielen und alle Kurzweil zu treiben, welche zu
folhen Feſten gehört. Herr Giannetto theilte in feiner
Großmuth feidene Tücher und andere koſtbare Gegen-
ftände, welche er mitgebracht hatte, aus und wurde bald
fo mannhaft, daß man ihn fürchtete und Recht und Ge-
rechtigkeit von jebermänniglich geübt wurde. In biefem
Glück und. Wohlleben vergaß und vernachläffigte er aber
ganz und gar jenen armen Herrn Anfaldo, welcher ſich
dem Juden für zehntaufend Ducaten verpfändet "hatte.
Als jedoch Herr Giannetto eines Tages mit feiner rau
an einen Fenfter des Pallaftes ftand, fah er eine Schar
Männer über den Pag ziehen mit brennenden Kerzen
in der Hand, welche fie zum Opfer bringen wollten.
Herr Biannetto fragte: Was hat das zu bedeuten?
Die Frau verfegte: Es ift.ein Haufen Handwerker,
welche nach der Kirche des heiligen Johannes zu opfern
gehen, weil heute fein Feſttag ift.
Da gedachte Herr Biannetto des Herrn Anfaldo,
bob ſich vom Fenſter, feufzte ſchwer auf und ging mehr-
-mald im Saale auf und ab in Nachdenken über dieſe
Sache vertieft. Seine Gemahlin fragte ihn, was er habe.
Weiter nichts, verfegte Giannetto. Die Frau begann
daher in ihn au dringen und fagte: Gewiß, ihr habt
etwas und wollt es nicht fagen.
Sie ließ auch nicht nach, bie Here Giannetto ihr
erzählte, wie Herr Anfaldo ald Pfand für zehntaufend
Ducaten zurüdgeblieben fei.
Und heute, fuhr er fort, läuft die Friſt ab und es
fhmerzt mich fehr, bag mein Vater um meinetwillen
fterben fol; denn wenn er ihm heute das Geld nicht
erftattet, fo muß er ein Pfund Fleiſch von feinem Leibe
verlieren.
Die Frau fagte: Lieber Herr, befteigt fehleunigft ein
Pferd und reifet gerades Wegs zu Rande, fo werbet ihr
26. Der Kaufmann von Benedig. 127
fehneller hinkommen als zur See! Nehmt zur Begleitung
mit wen ihr wollt, packt hunderttaufend Ducaten ein
und raftet nicht, bis ihr in Venedig ſeid! Und wenn er
noch am Leben ift, fo führt ihn mit euch Bierher!
Sofort ließ er plöglic, in die Trompete blafen, flieg
zu Pferd mit zwanzig Begleitern, nahm hinlänglicy Geld
mit und fchlug den Weg nad) Venedig ein. Unterbeffen
hatte der Jude, da die Zrift verlaufen war, den Herrn
Anfaldo feitnehmen laffen und wollte ihm ein Pfund
Fleiſch vom Leibe ſchneiden. Da bat ihn Herr Anfaldo
um die Vergünftigung, da er feinen Tod noch um einige
Tage verfchiebe, damit, wenn fein Giannetto fomme, cr
ihn wenigftens noch fehen könne. Der Sude fagte: Ich
bin ed zufrieden, euch euren Wunſch in Betreff des Auf:
ſchubs zu gewähren. Aber wenn er hundert mal käme,
fo ift e8 meine Abficht, euch ein Pfund Fleiſch aus dem
Leibe zu nehmen, wie die Papiere befagen.
Herr Anfaldo verfegte, er fei zufrieden. Da ſprach
ganz Venedig von dem Falle; aber ein jeder hatte Mit-
leid und viele Kaufleute vereinigten fih, um die Schuld
zu bezahlen, aber der Jude wollte davon nichts wiffen,
fondern wollte den Mord begehen, um fagen zu fünnen,
dag er den größten Kaufmann der Chriftenheit ums Leben
gebracht habe. Indem nun Herr Giannetto eilends heran»
reifte, z0g ihm feine Gemahlin gleich nach, und zwar ale
Richter verkleidet mit zwei Dienern. In Venedig ange-
langt begab ſich Herr Giannetto in das Haus des Juden,
umarmte Herrn Anfaldo mit vielee Freude umd fagte
darauf dem Juden, er wolle ihm fein Geld geben, ja
noc) mehr, fo viel er verlange. Der Jude aber ant«
wortete, er wolle gar kein Geld, da er es nicht zur
rechten Zeit erhalten babe, vielmehr wolle er ihm ein
Pfund Fleifh vom Leibe nehmen. Hier erhob fi) nun
ein großer Streit und jedermann gab dem Juden Unredt.
Da man aber bedachte, daß es in Venedig allenthalben
rechtlich zugehe, und daß der Jude feine Anſpruͤche in
128 II. Giovanni Fiorentino.
vollgiltiger gefeglicher Form begründet hatte, fo magte
ihm niemand anders als mit Bitten zu woiderfprechen.
Darum begaben ſich alle Kaufleute Venedigs dahin, um
den Suden zu bitten, er aber beftand nur immer hart⸗
nädiger auf feiner Forderung. Nun erbot fid) Herr Gian⸗
netto, ihm zwanzigtaufend Ducaten zu geben, aber er
wollte nicht; dann fam er auf dreifigtaufend, und dann
auf vierzigtaufend und auf funfzigtaufend und fo ftieg
er auf bis auf hunderttauſend Ducaten. Endlich fprach.
der Jude: Weißt du was? Wenn du mir mehr Ducaten
anböteft, als diefe Stadt werth ift, fo würde ich mich
doch damit nicht abfinden laffen; vielmehr verlange Ich
einzig das, was meine Papiere befagen.
Und fo flanden die Verhandlungen, fiehe da kam in
Denedig diefe Dame an, ald Richter gekleidet und flieg
in einem Gafthaufe ab. Der Wirth fragte einen Diener:
Wer ift diefer edle Herr?
Der Diener: war bereits von der Frau unterrichtet,
was er fagen folle, wenn er nad ihr gefragt würde,
und antwortete: Es ift ein rechtögelehrter Edelmann,
welcher von Bologna kommt, wo er ftudirt bat, und
nun in feine Heimat geht.
Als der Wirth dies vernahm, that er ihm viele Ehre
an, und während der Michter bei Tifch ſaß, fagte er zu
dem Wirthe: Wie ift denn das Regiment hier in eurer
Stadt? \ oo »
Der Wirth antwortete: Nur allzugerecht, edler Herr.
Wie fo? fiel der Richter ein.
Das will ich euch fagen, edler Herr, entgegnete der
Wirth. Es Fam einmal von Florenz ein Jüngling hierher,
welcher Giannetto hieß, und ging. hier zu einem feiner
Taufpathen, Namens Herr Anfaldo, und er betrug ſich
fo artig und gefittet, daß in der ganzen Stadt Männer
und Frauen ihm zugethban waren; ja es ift nie ein
Sremder bei uns fo allgemein beliebt gewefen wie er.
Diefer fein Taufpathe nun rüftete ihm drei mal ein Schiff
-
26, Der Kaufmann von Venedig. 129
aus und dieſe drei Schiffe waren vom größten Werthe,
aber jedes mal war er damit unglüdlich, ſodaß es ihm
zulegt an Geld zur Ausrüftung des Schiffes fehlte.
Daher bosgte jener Herr Anfaldo zehntaufend Ducaten
von einem Juden unter ber Bedingung, daß wenn er
fie ihm nicht bis zum Sanct Gohannistag im naͤchſt⸗
fünftigen Monat Juni zurüdgegeben habe, ber befagte
Jude ihm ein Pfund Fleifh vom Leibe fchneiden dürfe,
wo es ihm beliebe. Nun ift zwar glüdlicherweife der
Jüngling zurüdgefehrt, und hat ſich erboten, ftatt der
zehntaufend Ducaten hunberttaufend zu zahlen, aber der
argliftige Jude will nicht. Es find alle rechtfchaffenen
Leute der Stadt zu ihm gegangen, um ihn mit Bitten
zu ermweichen, aber es hilft nichts.
Darauf antwortete der Richter: Diefer Handel ift
leicht zu fchlichten.
Der Wirth verfegte: Wenn ihr euch der Mühe unter-
ziehen wollt, die Sache zu Ende zu führen, fodaß der
brave Dann nicht fein Leben einbüßt, fo würdet ihr euch
die Gunft und die Liebe des waderften Jünglings er-
werben, der je geboren wurde, und zugleich die aller
Leute diefer Stadt.
Hiernächft ließ der Richter eine Aufforderung bekannt
. machen, wer irgend eine Rechtsfrage zu fchlichten habe,
der folle zu ihm kommen; und fo wurde auch Herrn
Giannetto gefagt, es fei ein Richter von Bologna ange-
kommen, welcher fich jeden Handel zu fehlichten erbiete.
Darum fagte Herr Giannetto zu dem Juden: Wir wollen
zu diefem Richter gehen!
Meinetwegen, fagte der Jude; e8 mag kommen wer
will, ich habe in jedem Falle das Necht, zu thun, was
mein Schein befagt.
Als fie vor den Richter traten und ihm die ſchuldige
Ehrerbietung bezeugten, erkannte der Nichter den Herrn
Giannetto fogleich, nicht ebenfo aber Herr Giannetto den
Richter, denn der letztere hatte vermitteld gewiffer Kräuter
6*%
130 III. Giovanni Fiorentino.
feine Geſichtszüge unkenntlich gemacht. Herr Giannetto
und ber Jude trugen jeder feine Sache und die Gründe
dem Richter vor, diefer nahm den Schein, las ihn und
fagte darauf zu dem Juden: Ich wünfchte, du nähmeft
diefe hunderttauſend Ducaten und gäbeft biefen guten
Mann los, welcher dir überdies immer dafür verpflichtet
fein wird. \.
Daraus wird nichts, antwortete ber Jude.
Aber, fagte der Richter, e8 wäre bein Beſtes.
Der Jude dagegen beharrte darauf, er wolle fih auf
nichts von alle dem einlaffen. Darauf begaben fie fich
insgefammt zu dem Gerichte, das über dergleichen Fälle
gefegt ift, und der Richter verlangte nach Herrn Anfaldo
und fagte: Nun laß ihn vortreten!
Als er erfchienen war, fagte ber Richter: Wohlen,
nimm ihm ein Pfund Fleiſch, wo du willſt und bringe
deine Sache zu Enbe!
Da hieß ihn ber Jude ſich nadt ausziehen und nahm
ein Raficmeffer in die Hand, welches er zu dieſem Zwecke
hatte machen Iaffen. Herr Giannetto aber wandte fich zu
dem Richter und fagte: Herr, darum habe ich euch nicht
gebeten.
Der Richter antwortete: Sei getroft, er hat das Pfund
Fleiſch noch nicht Herausgefchnigelt.
Gleichwol trat der Jude auf ihn zu. Da fpracdh det
Richter: Hab wohl Acht, daß du es recht machſt! denn
wenn du mehr oder weniger als ein Pfund nimmft, fo
laſſe ich dir den Kopf abfchlagen. Ferner fage ich dir
auch, daß, wenn er dabei nur ein Troͤpfchen Blut ver-
liert, du gleichfalls des Todes bift, denn beine Papiere
befagen nichts von Blutverluft; auch fprechen fie, daß
du ihm ein Pfund Fleifch nehmen darfft und fonft Heißt
ed von nichts mehr und nichts minder. Darum, wenn
du Flug bift, ergreifft du die Mafregeln, von welchen bu
glaubft, daß fie zu deinem Beten gereichen.
Und ſogleich ſchickte er nach dem Scharfrichter und
26. Der Kaufmann von Venedig. 131
lieg ihn Pflock und Beil mitbringen und ſprach: So wie
ih nur ein Tröpfchen Blut herausfließen fehe, laſſe ich
dir den Kopf abfchlagen.
Da befam der Jude Furcht, Herr Giannetto- aber
fing an fich wieder zu erheitern. Endlich nad) vielem
Hin- und Herreden begann der Jude: Herr Richter, ihr
feid klüger als ih. So laßt mir denn jene hHunderttaufend
Ducaten zahlen und ich bin zufrieden.
Der Richter aber fagte: Ich will, daß du dir ein
Pfund Fleifh nimmft, wie dein Schein befagt, denn
Gerd folft du nicht einen Pfennig erhalten. Du hätteft
es nehmen follen, als ich es dir anbot.
Der Jude ftieg herab zu neunzigtaufend, damm zu
achtzigtaufend Ducaten, aber der Richter blieb nur immer
fefter auf feinem Ausſpruch. Da fprach Herr Giannetto
zu dem Richter: Geben wir ihm, was er verlangt, wenn
er nur Herrn Anfaldo frei läßt!
. Der Richter aber verfegte: Ich fage dir, laß mid
gewähren !
Darauf begann der Jude: So gebt mir funfzigtau-
fend Ducaten!
Der Richter dagegen antwortete: Ich gebe dir nicht
den fchlechteften Stüber, den du je gefehen.
So gebt mir, fuhr der Jude fort, wenigftend meine
zehntaufend Ducaten! WVerflucht fei Luft und Erde!
Der Richter aber erwiderte: Verftehft du mich nicht?
Nichts will ich dir geben. Willft du ihm ein Pfund
Sleifch nehmen, fo nimm es! Wo nicht, ſo laß ich deine -
Papiere aufheben und vernichten.
Darob waren alle Anmefenden über die Maßen ver:
gnügt. Jeder verfpottete den Juden und fpradh: Wer
Andern eine Grube gräbt, fällt felbft hinein.
Als nun der Jude fah, daß er das nicht erreichen
fonnte, was er wollte, nahm er feine Papiere und zerriß
fie voll Arger, und fo ward Herr Anfaldo frei und Herr
Siannetto geleitete ihn mit großem Jubel nach Haufe.
132 II. Giovanni Kiorentino.
Darauf nahm er ſchnell die hunderttauſend Ducaten, eilte
zu dem Richter und fand dieſen in ſeiner Kammer be⸗
ſchäftigt, ſich auf die Reiſe zu rüſten. Da ſagte Herr
Giannetto zu ihm: Edler Herr , ihr habt mir den größten
Dienſt erwiefen, der mir je erzeigt worden iſt; darum
bitte ich euch, dieſes Geld mit euch zu nehmen, das ihr
wohl verdient habt.
Der Richter antwortete: Dein lieber Herr Giannetto,
ich’ fage euch großen Dank; aber ich bedarf deſſen nicht.
Nehmt ed mit euch, daß eure Frau euch nicht befchuldige,
ſchlecht gewirtbfchaftet zu haben.
Herr Biannetto fagte: Die ift meiner Treu fo, große
herzig, feingefittet und .rechtfchaffen, daß, wenn ich vier
mal fo viel euch gäbe, fie doch zufrieden wäre; denn fie
verlangte, ich folle viel mehr als dies mitnehmen.
Da fuhr der Nichter fort: Wie ſeid ihr denn fonft
mit ihr zufrieden?
Herr Giannetto antwortete: Es gibt Fein Gefchöpf
auf der Welt, zu dem ich mehr Wohlwollen trüge als
zu ihr, denn fie ift fo meife und fo fchön, mie fie die
Natur nur zu fihaffen vermochte. Und wenn ihr mir
eine Gunft erzeigen wollt, und mit mir fommen, um fie
zu fehen, fo follt ihr euch wundern über die Ehre, die
fie euch anthun wird, und mögt euch überzeugen, ob fie
nicht das ift, was ich fage, oder noch mehr.
Der Richter antwortete: Daß ich mit euch komme,
das geht nicht an, denn ich habe andere Geſchaͤfte; aber
weil ihr mir fagt, daß es eine fo vortreffliche Frau ift,
fo grüßt fie von mir, wenn ihr fie feht.
Das fol gefchehen, fprady Here Giannetto; aber ich
wünfchte doch, daß ihr von dieſem Gelde nehmet.
Während er fo fprach, fah der Richter einen Ring
an feinem Singer, weshalb er zu ihm fagte: Gebt mir
diefen Ring! Außerdem will ich feinen Heller.
Herr Giannetto antwortete: Ich bin's zufrieden, ſo
ungern ich es auch thue, denn meine Frau bat ihn mir
26. Der Kaufmann von Venedig. 133
geſchenkt und mir gefagt, ich folle ihn immer tragen um
ihrer Xiebe willen; und wenn fie ihn nicht mehr an mir
fieht, fo wird fie glauben, ich babe ihn einem Weibe
gegeben, und fo wird fie fi) über mic) erzürnen und
‚meinen, ich habe eine Liebfchaft, während ich ihr doch
mehr zugethan bin als mir felbft.
Der Richter fagte: Es fcheint mir ficher, daß fie euch
zärtlich genug liebt, um euch hierin zu glauben; fagt ihr
nur, ihr habt den Ring mir gefchenft! Wber vielleicht
wolltet ihr ihn einer alten Buhlfchaft hier fchenten.
Herr Giannetto aber verfegte: Die Liebe und Treue,
die ich zu ihr trage, ift fo groß, daß es in ber Welt
feine Frau gibt, mit der ich fie vertaufchen möchte, fo
vol Schönheit ift fie in allen Dingen.
Und damit zog er den Ring vom Finger und gab
(in dem Richter. Sodann umarmten fie fi) und ver-
beugten ſich gegeneinander.
Thut mir einen Gefallen, fogte der Richter.
Verlangt, verfegte Herr Giannetto.
Haltet euch Hier nicht auf, fuhr der Richter fort.
Geht fogleich heim zu diefer eurer Frau!
Es fcheint mir eine wahre Ewigkeit, fagte Herr Gian⸗
netto, bis ich fie wieberfehe.
So nahmen fie Abfchied. Der Richter flieg in eine
Barke und ging feines Weges, Herr Giannetto aber gab
jenen feinen Gefährten Abendeffen und Frühſtücke, fchenkte
ihnen Pferde und Geld und hielt fo Feſte und machte
einen Hof mehrere Tage. Dann aber nahm er Abfchied
von allen Venezianern, nahm den Herrn Anfaldo mit fich
und viele feiner alten Sameraden begleiteten ihn. Faſt
jedermann, Männer und Frauen, meinten aus Rührung
über feinen Abgang, fo freundlich hatte er fich während
feines Aufenthaltes in Venedig gegen alle betragen. So
fehied er und kehrte nach Belmonte zurüd, Nun begab
es fich, daß feine Frau mehrere Tage vor ihm anfam
und that ald wäre fie im Bade gewefen. Sie nahm
134 IN. Giovanni Fiorentino.
wieber ihre weibliche Kleidung an, ließ große Zuberei-
tungen veranftalten, alle Straßen mit Zendal bedecken
und viele Scharen Bewaffneter neu leiden. Als num
Herr Giannetto und Herr Anfaldo ankamen, gingen
ihnen alle Barone und ber ganze Hof entgegen und
riefen: Es lebe unfer Herr! Es lebe unfer Herr!
So wie fie and Land fliegen, eilte die Frau, ben
Herren Anfaldo zu umarmen und ftellte fich etwas em⸗
pfindli) gegen Herrn Giannetto, obwol fie ihn mehr '
liebte als ihr Leben. Es wurde ein großes Felt ver-
anftaltet mit Zurnieren, Waffenfpiel, Tanz und Gefang,
woran alle Barone, Frauen und Fräulein, fo dafelbft
waren, Theil nahmen. Als jedoch Herr Giannetto fah,
dag ihm feine Gemahlin fein fo freundliches Geficht
machte wie fonft, trat er in fein Gemach, rief fie zu
fih und ſprach: Was haft du?
Dabei wollte er fie umarmen. Die Frau aber fagte:
Du brauchſt mir keine folche Lieblofungen zu machen;
ich weiß wohl, daß du in Venedig deine alten Buhlfchaften
wieder aufgefucht Haft.
Herr Giannetto begann fich zu entfchuldigen; die Frau
aber fuhr fort: Wo ift der Ring, den ich dir gab?
- Herr Giannetto antwortete: Da haben wird nun,
wie ich mir vorftellte. Ich fagte doch gleich, du werdeſt
Böſes dabei denken. Aber ich ſchwöre dir bei meinem
heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß ih
den Ring jenem Richter gegeben habe, welcher mich ben
Proceß gewinnen machte.
Die Frau aber fagte: Und ich ſchwöre bir bei mei-
nem heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß
du ihn einem Weibe gegeben haft: ich weiß es gewiß und
doch fcheuft dur Dich nicht, fo zu ſchwören.
Herr Giannetto fügte hinzu: Ich flehe zu Gott, mid)
augenblicklich von diefer Welt zu vernichten, wenn ich dir
nicht die Wahrheit fage, ja, daß ich es ſchon den Richter
gefagt habe, als er mich darum gebeten.
27. Der liſtige Feier. 15
Die Frau fagte: Du hätteft ja noch dort bleiben und
Heren Anfaldo allein hierherſchicken können, derweil du
dich mit deinen Liebfchaften ergögteft; denn ich höre, fie
haben alle geweint, ald du meggingft.
Da hub Herr Giannetto an zu meinen, war in
ſchwerer Noth und fprah: Du thuft einen Eid auf et-
was, was nicht wahr ift und nicht wahr fein kann.
Als aber die Frau ihn weinen fah, mar es ihr, als
befäme fie einen Mefferftih in das Herz, ftürzte plöglich
in feine Arme und fing an, laut aufzulachen. Sie zeigte
ihm den Ring und fagte ihm alles, wie er mit bem
Richter gefprochen habe und daß fie der Richter gemefen
fei und auf welche Weife er ihr den Ring gegeben.
Darüber war Herr Giannetto aufs Außerfte verwundert,
und ba er dennoch die Wahrheit ihrer Rede erkannte,
fing er an, über die Maßen fröhlich zu werden. Er
trat aus dem Gemah und erzählte es einigen feiner
Barone und Gefährten. Und die Liebe zwifchen ihnen
beiden wuchs und mehrte fih auch dadurch. Hernach
rief Herr Giannetto die Kammerfrau zu fih, welche ihm
an jenem Abend bie Weifung gegeben hatte, nicht zu
trinten unb gab fie dem Herrn Anfaldo zur Frau. So
blieben fie lange Zeit in Glüd und Bröhlichteit bis an
ihr Ende.
27. Der liflige Freier.
(4, 2.)
In der Provence lebte noch vor nicht langer Zeit
ein Edelmann, der Beſitzer verſchiedener Burgen, mit
Namen Carſivalo, ein Mann von großem Verſtand und
Tüchtigkeit und ſehr geehrt und geliebt von den andern
Herren und Baronen des Landes; denn er ſtammte ur⸗
136- III. Giovanni Fiorentino.
fprünglich aus dem edeln Blute des Haufes Balzo in
der Provence. Carſivalo hatte eine Tochter, Namens
Lifetta, welche die fchonfte und edelfte Geftalt war, die
man bazumal in ber ganzen Provence finden Fonnte.
Viele Herren, Grafen. und Barone erbaten fich ihre
Hand, junge, rüftige und fchöne Männer, der befagte
Carfivalo aber entgegnete allen mit Nein und feiner von
ihnen war ihm recht zum Eidam. Nun war in dem
Lande ein Graf, welcher das ganze Benifi*) befaß, worin
viele Städte und Burgen liegen; er hieß der Graf Aldo-
brandino, mar über fiebzig Jahre alt, hatte weder Frau
noch Kinder, war aber fo reich, daß fein Reichthum gar
Beinen Boden hatte. Diefer Graf Aldobrandino, als er
von ber Schönheit der Tochter ' Earfivalo’8 hörte, ver-
liebte fi) in fie und hätte fie gerne zur Frau genommen;
er fchämte fich aber fie zu begehrten, da er fo alt war
und mußte, wie viele wadere junge Leute fie.zur Frau
begehrt haben, ohne daß fie einem zu Theil geworden
wäre. Und doc nagte an ihm beftändig der Wunſch,
fie zu befigen, und er wußte doch die Sache nicht anzu⸗
greifen. Als er nun eined Tages ein Feft gab, geſchah
ed zufällig, daß Carſivalo als fein Freund und Diener
diefes Feft mit feiner Gegenwart beehrte. Der Graf
nahm ihn aufs Ehrenvollfte auf und ſchenkte ihm Pferde,
Vögel und Hunde und noch viele andere Dinge. Der
Graf befhloß nun, ihn im Vertrauen um feine Tochter
anzugehen, und that ed auch. ALS fie eined Tages
miteinander allein im Zimmer waren, begann der Graf
freundlich folgendermaßen: Mein lieber Carfivalo, ich will
dir meine Gefinnung fagen, ohne langen Prolog und
Vorrede, denn ich denke, bei dir kann ich Alles fagen.
Freilich aus einem Grunde muß ich mich dabei fchämen,
aber aus keinem andern, wiewol ber Lauch unter dem
Boden auch) di und alt wirb und dennoch den Stengel
) 2: = Benaifein,. Bezirk von Avignon.
91. Der liftige Freier. 137
in die Höhe firedt und fortwährend grünt. Ich will
dir daher nur fagen, wie es mit mir fteht. Ich möchte
nämlich gerne, wenn es dir gefällig wäre, deine Tochter
zur Frau befommen.
Garfivalo antwortete: Auf mein Wort, lieber Herr,
ih gäbe fie euch gerne, aber ich müßte mich gar zu fehr
daruber [chämen , angeſehen daß die, fo fie begehrt haben,
lauter junge Leute find von achtzehn bis zwanzig Sahren
und ich koͤnnte in Fehde mit ihnen gerathen. Dann wären
auch Mutter und Brüder und meine andern Verwandten
und Genoffen vielleicht nicht damit zufrieden, auch hätte
das Mädchen felbft Fein Genügen an euch, ba fie andere
rüftigere als ihr haben koͤnnte.
Lieber Carfivalo, antwortete der Graf, du haft ganz
Necht. Du Fannft ja aber fagen, fie befomme dann alles,
was ich befige. Darum wünfche ich, daß wir wegen der
Sache miteinander übereintommen.
Carſivalo fagte: Ih bin damit ganz einverflanden.
Wir wollen ed heute Nacht überlegen und morgen früh
uns unfere Anfichten mittheilen. Dabei wollen wir es
belaffen.
Der Graf Eonnte die ganze Nacht nicht fchlafen, fon-
dern erfann fih, um feinen Zweck zu erreichen, einen
allerliebften Plan. Am folgenden Morgen rief er Car-
fioalo zu fih und ſprach: Ich Habe etwas gefunden,
was dich vollftändig entfchuldigen, ja was dir zu großer
Ehre gereihen muf.
Nun wie? fragte Carſivalo.
Laß ein Zurnier ausfchreiben, fügte der Graf hinzu,
daß, wer deine Tochter zur Frau begehrt, an dem und
dem Tage kommen foll, und wer Sieger ift, fol fie zur
Frau befommen. Für das Weitere laß mich forgen! Ich
will ſchon ein Mittel finden zu fiegen und jedermann wird
dich entfchuldigen.
Carfivalo fagte: Es ift mir recht.
Darauf nahm er Abfchied und Fehrte nach Haufe.
138 . . 11. Giovanni Fiorentino.
Bei gelegener Zeit rief er feine Frau und feine übrigen
Berwandte und Freunde und fprach: Es fchiene mir nun-
mehr Zeit, Lifetta zu verheirathen. Aber wie meint ihr
nun, daß es anzugehen fei bei den vielen Bewerbern,
die wir haben, die alle unfere Nachbarn und Freunde
find? Seder, dem wir fie nicht geben, wird unfer Feind,
erzürnt fih und fpriht: Bin ich nicht fo viel merth
als der?
&o werden bie andern auch fagen, und während wir
Freunde zu erwerben glaubten, befommen wir nichts ale
Feinde. Darum dünkt mich, wir veranftalten auf ben
Frühling ein Turnier, und wer darin gewinnt, der fol
fie in Gottes Namen haben.
Die Mutter und die andern antworteten, fie feien
zufrieden mit diefee Anordnung, und fo ſchritt man denn
zur Ausführung. Carſivalo ließ das Turnier anfagen:
Mer feine Tochter zur Frau begehre, folle fich einfinden
am erſten Tage des Maimonats in der Stadt Marfeille
zu einem Turnier, und wer Sieger bleibe, folle fie haben.
Der Graf Aldobrandino fchidte deshalb nach Frankreich
und bat den König, ihm den rüftigften Snappen im
Waffenwerk zu ſchicken. Der König, in Betracht, daf
der Straf immer ein Diener der Krone gewefen und auch
fein Vetter war, ſchickte ihm einen feiner Knappen, den
er von Kindheit auf erzogen hatte, Namens Ricciardo,
welcher aus dem Haufe Montalbano, einem von jeher
fräftigen edlen Gefchlechte, ſtammte. Dabei befahl er
ihm Alles zu thun, mas ber Graf Aldobrandino ihm
befehle. Der Jüngling kam zum Grafen, welcher ihm
große Ehre erwies, und ihm dann den Grund, warum
er nad) ihm geſchickt Hatte, auseinanderfegte.
Der König hat mir befohlen, ſprach Ricciardo, alle
eure Befehle zu vollziehen: darum gebietet mir und i
werde rüftig gehorchen.
- Der Graf fagte: Wir werden zu Marfeille ein Tur⸗
nier veranftalten, worin ich wünfche, daß du den Sieg
27. Der liſtige Freier. 138
bavonträgfl. Dam fomme ich auf ben Kampfplag und
fechte mit dir, und du mußt dich zulegt von mir befiegen
laffen, damit ich als Sieger des ganzen Turniers er-
ſcheine.
Ricciardo verfegte; er ſei bereit. Der Graf behielt
ihn insgeheim bei fich, bis es Zeit war; dann ſprach er
zu ibm: Nimm die Waffen, die bu willft, geb nad
Marſeille und rüfte dich mit Geld und Pferden nad)
deinem Wohlgefallen wie ein fahrender Ritter aus und
mache, daß du flattlich. ausfiehft.
Ricciarbo fagte: Laßt mi nur machen!
Er ging nun gleih in den Stall und fah daſelbſt
unter den andern ein Roß, das ſchon einige Monate
nicht geritten worden war. Er beftieg e8 fogleich, wählte
fi ein paffendes Gefolge und ging nach Marfeille, wo
eine große Zubereitung zum Turnier gemacht war. Schon
waren viele Fampfluftige junge Männer dafelbft einge
troffen und jeder frhägte fich glücklich, der den andern an
ſchönem und ftattlihem Aufzug zu übertreffen glaubte.
Es waren fo viele Trompeter und Pfeifer hier beifammen,
daß Alles ringsumher von Mufif ertönte. Es wurde
ein großer Plag ausgeſteckt, mofelbft das befagte Turnier
gehalten werden follte, mit vielen Balkonen ringsum,
wo Herren, Frauen und Fräulein flanden, um zuzu-
fchauen. Mit dem feftgefegten erſten Maitage Fam auch
jenes edle Fräulein, namlich Lifetta, die unter den an-
deen wie eine Sonne ausſah, fo vollendet ſchön und
fittfant erfchien fie in jeder Weile. So famen alle, die
fie zur Frau wollten, zum 2urnier mit vielen Sinn-
fprüchen und mannichfaltigem Ausfehen und verfegten fich
untereinander waiblihe Schläge. Ricciardo Fam gleich-
falls auf befagtem Roſſe zum Turnier und bahnte fi
Pag dur) das Gedraͤnge. So dauerte dad Zurnier
einen großen Theil des Tages hindurch und immer fiegte
befagter Ricciardo in demfelben; denn er war gewanbter
in den Waffen als irgend ein anderer, griff rüflig an
140 - IH. Giovanni Fiorentino.
und vertheidigte fi gut und wich gewandt aus, ba er
in diefem Gewerbe fehr erfahren war. Einer fragte den
andern, wer denn das fei; da hieß es, es fei ein eben
angelommener Fremder. Kurz, er blieb Sieger auf dem
SKampfplag und alle andern wurden zu Boden gefchlagen
und zogen ab, der eine dahin, der andere dorthin, denn
vor feinen gemaltigen Streichen vermochten fie nicht zu
beftehen. Es dauerte aber nicht lange, fo trat der Graf
.. Adobrandino auf den Kampfplag, ganz bedeckt mit Waffen,
flürzte auf Ricciardo los und Ricciardo auf ihn, daß es
frachte. Nach vielen Hieben hin und wider, ließ fih Ric-
- ciardo der getroffenen Abrebe gemäß zu Boden fchlagen
und. that nichts mehr, was ihm freilich ſchwer fiel, denn
er hatte fich bereitd in Liſetta verliebt. Aber er mußte
den Befehl des Königs vollziehen und folglich auch den
Wunſch des Grafen Aldobrandino. Als nun der Graf
den Sieg errungen hatte, ritt er buch die Bahn mit
dem Schwert in der Hand und fogleich kamen ihm alle
feine Schildfnappen und Barone entgegen mit großem
Zube. Als er aber den Helm abnahm und man ihn
erfannte, wunderte ſich Alles über ihn, namentlich aber
das Fräulein. . So befam alfo der Graf auf liftige Weife
Carſivalo's Tochter zur Frau und führte fie ind Haus und
ließ aus diefem Anlaß große Feierlichkeiten und Feſte veran-
ftalten. Nach) diefem Ereigniß kehrte Ricciardo nach Frank⸗
reich zurüd und der König fragte ihn, was er gethan habe.
Heilige Majeftät, antwortete Ricctardo, ich komme
von einem Turnier, zu welchem mich euer Graf böslicher
Weiſe genöthigt hat. Ä
Mie fo? fragte der König.
Ich mußte, verfegte Ricciarbo, des Grafen Kuppler
abgeben.
Dann erzählte er ihm die ganze Gefchichte, über welche
fi) der König baß verwunderte,
Gnädigſter Herr, fuhr Nicciardo fort, verwundert
euch nicht über das, mas mir begegnet ift, fondern viel-
N. Der liftige Freier. 141
mehr darüber, daß ich es gethan habe; denn ich habe nie
etwas gethan, mas mir größeres Leid verurfacht als dies.
Das Fräulein, das Graf Albobrandino auf fo fchnöde Weife
zu gewinnen wußte, ift nämlich aus ber Maßen fchön.
Der König dachte eine Weile darüber nach, dann
fagte er: Ricciarbo, beforge nichts! Dies Zurnier kann
noch dein Vortheil fein. Doch damit genug für jegt!
Kurze Zeit darauf gefhah es, daß befagter Graf
Aldobrandino ohne Erben mit Tod abging; Madonna
Lifetta war alfo Witme geworben und ihr Vater holte
fie wieder in fein Haus, machte aber faft gar nichts mit
ihr und fchmeichelte ihr nicht wie ſonſt. Darüber be-
gann das junge Weibchen fih im Stillen fehr zu ver-
wundern und konnte am Ende nicht länger mehr an fich
halten, fondern fprach eines Tages zu ihrem Vater fol-
gendermaßen: Mein Vater, ich wunbdere mich fehr über
euch, angefehen, daß ich fonft eines eurer Augen war
und ihr mich eurem liebften Sohne vorzoget; und fo oft
ihr mich fahet, ging euch das Herz auf, fo lang ich noch
ein Mädchen war; jegt aber, ich weiß gar nicht warum,
ift es, als ob euer Herz gar nicht mehr meinen Anblid
ertragen Tonne.
Der Bater antwortete ihr alfo: Du munderft dich
nicht fo fehr über mich, als ich mich über dich gewun⸗
dert habe, benn ich glaubte, du feieft gefcheit und merkeft,
warum und in welcher Abficht ich dich an den Alten
verheirathet habe, einzig damit du Kinder befämeft, fo
hätteft du dich zur unumfchräntten Gebieterin über feinen
Reichthum machen können. Sonft hatte ich Feine Abſicht.
Mein Vater, antwortete die Tochter, ich habe gethan
was ich Eonnte.
Wie ift es möglich, fügte der Water bei, daß an
feinem Hofe fein Knappe, Ritter oder Knecht fi h fand,
der dazu geſchickt war?
Mein Vater, antwortete die Tochter, ſeid mir nicht
böſe darüber! Ich verſichere euch, es war kein Ritter,
142 II. Giovanni Fiorentino. '
Knappe oder Knecht im Haufe, dem ich ed nicht fagte;
aber keiner: wollte mir glauben.
Als der Vater diefe Iuflige Antwort hörte, erheiterte
er fih ganz und gar und ſprach: Ich bin zufrieden und
verfpreche dir einen folchen Mann zu fchaffen, dag du
nicht nöthig haft, einen andern als ihn darum zu bitten.
Laß mi nur machen!
Nun fiel die ganze Erbfchaft des Grafen Aldobran-
dino an den König von Frankreich, welcher fich bee
wackern ritterlihen Betragens Ricciardo's erinnerte und
alsbald in die Provence fchidte, zu Carfivalo, um ihm
zu eröffnen, er möge feine Tochter einem feiner Knappen
geben, der ohnedies von Rechts wegen ihr Mann fei.
Carſivalo merkte die Sache ſogleich und antwortete daher
dem König, er möge unbefchränft verfügen nad) feinem
Sutdünten. Der König flieg zu Pferde mit . größtem
Gefolge, fam in die Provence, nahm Ricciardo mit fid)
und fchloß jene Verbindung, nämlich dag Lifetta feine
Frau wurde. Sodann erhob er ihn zum Grafen und
ſchenkte ihm die Graffchaft, welche dem Grafen Albo-
brandino gehört hatte. Allen gefiel diefe Verbindung,
namentlich aber ihr. Sie brauchte nun nie wieder weber
Knechte noch Knappen zu bitten, denn fie beide waren
jung und frifh und rüftig zu Allem, und fo lebten fie
miteinander lange Zeit in Glück und Freuden.
28. Hauskreuz.
(5, 2.)
In Rom lebten zwei fehr gute Stameraben, deren
einer Janni, der andere Eiucolo hieß. Sie waren reich
und wohl verfehen mit irdifchen Gütern. Sie lebten Tag
und Nacht beifammen und hatten einander lieber ale
238. Hauskreuz. 143
wenn fie Brüder geweſen wären. Seber von ihnen hatte
feinen ganz anftändigen Haushalt und lebte ftattlich, denn
fie waren von ebler Abkunft und römifhe Ritter. Als
fie nun eines Tages beifammen waren, fagte einer zum
andern: Geht dirs auch wie mir?
Der andere antwortete: Wiefern?
Ich mag noch fo fparfam fein, fagte er, fo habe ich
doch amı Ende des Jahres nichts erübrigt, ſondern bin
vielmehr immer im Rüdftand.
Der andere fügte bei: Meiner Treu und ich habe im
Haufe das verkehrtefte Weib, das, glaube ich, auf ber
ganzen Welt lebt. Sie ift gar fein Weib mehr, fondern
ein leibhaftiger Teufel. So viel ich ihr auch zu Gefallen
thue, jo fann ich doch nicht mit ihr leben, fo ſchnöde
und verkehrt ift fi. Früh und ſpät habe ih Händel
mit ihr, weit mehr als mir lieb iftz ich weiß gar nicht
mehr, wie ich mit ihr auskommen foll.
| Janni antwortete: Wir wollen doch Rath fuchen über
diefe Falle, du über den deinen, ich uber den meinen.
Es ift mir Net, fagte Eiucolo, und ih bin ein-
veritanden.
So machten fie ſich auf und gingen zu einem braven
Manne mit Namen Boezio. Als fie bei ihm waren,
nahm Sanni das Wort.
Mein Herr, fagte er, wir kommen, um und euren
Rath zu erbitten. Ic fpare das ganze Jahr und bin
doch immer im Rüdftand, wenn ich mein Eintommen
betrachte. Das wundert mich fehr.
Ciucolo Tagte: Und ich habe das verfehrtefle und
handelfüchtigfte Weib von ber Welt.
Borzio fagte zu Janni: Steh früh auf!
Und zu Ciutolo fagte er: Geh an die Engelöbrüde!
Geht mit Bott!
Sie wunderten fi und ſprachen untereinander: Das
ift ein Efel. Was foll das heißen, wenn ich ihn um meine
Haushaltung befrage und er antwortet mir: Steh früh auf!
144 III. Giovanni Fiorentino.
Und zu bir fagte er, du ſollſt an die Engelsbrüde
gehen. Ä
So gingen fie weiter und machten ſich über ihn luſtig.
Nun begab es ſich, ald anni eines Morgens früh auf-
ftand und fich hinter bie Thüre verſteckte und dort ftehen
blieb, da fah er einen feiner Knechte, welcher einen großen
Krug Ol wegtrug und ein anderer trug ein Stüd trodenes
Zleifch hinaus. Darum machte ſich Janni denn noch früher
auf und fah, wie bald die Mägde, bald die Kammerfrau,
die einen Korn und Mehl, die andere bied und das trugen.
Da ſprach er bei fich felbft: So ift es kein Wunder,
wenn id am Ende des Jahres nichts übrig habe.
Dann rief er gleich feinem Diener und fagte: Geh
mit Gott und laß dich nicht mehr im Haufe von mir
blicken!
Dann rief er die Mägde und die Kammerfrau und
fagte ihnen da8 Gleiche und ſchickte Alle hinweg. Zuletzt
verfah er fich mit neuen Knechten und Dienern und hatte
von nun an mehr ein wachfames Auge über feinen Haus-
halt, fodaß er am Ende des Jahres einen Überfchuß hatte,
während er zuvor einen Verluſt erlitt. Eines Tages be⸗
gegnete er feinem Freunde und fagte ihm, mas er ge-
funden habe beim Frühaufftehen.
Ei, fagte darauf Ciucolo, da will ich doch auch ver-
fuchen, was Boezio mir gefagt bat.
Am andern Tage ging er daher an die Engelsbrücke,
fegte fi bin und wartete. Da kam ein Efelstreiber mit
einigen beladenen Maulthieren herbei. Eines der Maul
thiere ſcheute und mollte nicht meiter gehen; ba nahm es
ber Treiber am Halfter, um es über die Brüde zu ziehen;
das Half aber Alles nichts, denn je mehr er das Thier
vorwärts zog, um fo mehr ſtemmte es ſich zurüd. Da
warb der Zreiber allmälig ärgerlich und ſchlug auf das
Maulthier los, das fih aber nur um fo fehlimmer ge-
berdete. Als dem Treiber die Geduld ausging, nahm
er den Stod, woran bie Waarenballen befefligt waren,
‚28, Hauskreuz. , 145
flug damit unten, auf die Seite, über ben Kopf, an
die Rippen, und ließ feine Wuth fo reichlih aus an
jenem Thiere, daß der Stod endlich zerbrah. Da wurde
endlich das Thier zahm, ging über die Brüde, ber Treiber
führte es. auch mehrmals hin und ber, und als er fah,
bag dem XThiere die Narrheit ausgetrieben fei, ging er
weiter feinen Gefchäften nah. Ciucolo fah, mas ber
Efelötreiber dem Maulthier gethan hatte, und fagte bei
fih felbft: Nun weiß ich, was ich zu thun habe.
Kehrte auch alsbald nach Haufe unter diefen Gedanken.
Als er ankam, begann die Frau zu ſchreien und zu fchelten,
und fragte, wo er fo lange bleibe. Der Mann ließ ſichs
gefallen und blieb ruhig ; in ihr aber kochte es fortwährend.
Sei ruhig, fagte endlich der Mann, fonft könnte es
dir übel befommen.
Wehe, rief das Weib, follteft du e8 wagen, Hand an
mich zu legen? Du tönnteft deine Rede noch bereuen.
Sich zu, daf du mic, nicht in die Hige bringft! Du
würdeft den Tag beklagen.
MWenn ich glaubte, verfegte das Weib, du habeft nur
ein Härchen an dir, das fo dächte, fo würde ich es meinen
Brüdern fagen laffen, die ſchon fo mit dir fertig werben
würden, daß dir das Lachen verginge. Und du mirft
fhon fehen, was bir für das, was du mir eben gefagt
baft begegnet.
Der Mann fagte: Haft du den Teufel im Leibe
Stund auf, und auf ſie los und ſie ſchrie und machte
großen Lärm. Dann nahm er einen Stock, lief auf fie
los, und fchlug drauf und drein, auf Nüden, Arme
und Kopf. Als der Stod zerbrochen war, nahm er.
einen andern und fing von vorne an. Da begann fie
zu fchreien: Erbarmen, Erbarmen!
Er aber fhlug nur um fo heftiger zu und rief:
Wahrlich, ich muß dich zu Tod ſchlagen.
Die Frau aber, als fie diefen Entfchlug des Mannes
fah und ſich ganz zerfchlagen fühlte, kniete nieder und
Staliänifcher Novellenſchatz. I. 7 "
146 . II. Giovanni Fiorentino.
rief: Lieber Mann, fchlag mich nicht mehr! Du wirft
finden, daß ich nicht mehr widerfpenftig Bin.
Um ihr denn bie Widerfpenftigkeit vollends auszu-
‚treiben, ließ der Mann fie mehrmals im "Saale auf- und
“ abtrotten und laufen und maß ihr fortwährend mit beiden
Händen den Stock auf. In diefem gefegneten Augen-
blide entfchloß ſich die, Frau immer alles ihrem Manne
zu gefallen zu thun und wurde das fanftefte und demü-
thigfte Weib in ganz Rom. Auf diefe Weife trieb Ciucolo
feinem Weibe die Widerfpenfligkeit aus dem Kopfe, und
während er früher in fortwährendem Kriege und Unfrieben
mit feinem Weibe gelebt hatte, lebte er nun ruhig und
friedlich mit ihr. Wer alfo ein widerſpenſtiges Weib hat,
nehme ein Exempel an Ciucolo, wie er eines am Eſels⸗
treiber nahm.
2. Pariſer Theologen in Rom.
(6, 1.)
Es iſt noch nicht lange her, ſo waren in Paris
zwei ſehr bedeutende tüchtige Männer, Doctoren beider
Rechte, deren einer Meſſer Alano, der andere Meſſer
Giovanni Piero hieß, und in der That hatte die Chriſten⸗
heit dazumal keine tüchtigeren Männer als ſie aufzuweiſen.
Die beiden beneideten einander fortwährend; aber Meſſere
Alano behauptete immer die Oberhand, denn er- war der
größte Rebekünftler von der Welt und hatte mehr Ver-
fand, als Meffer Giovanni Piero, welcher faft ein Keger
war und oft Verwirrung in unſern Glauben gebracht hätte,
wäre nicht eben jener Meſſere Alano geweſen, der ihn auf⸗
recht erhielt und gegen alle feine Einmwürfe vertheidigte.
Meffere Alano befam Luft, nach Rom zu gehen und bie
dortigen beiligen Reliquien. zu befuchen, aud den Papſt
2. Parifer Theologen in Rom. 147
und ſeinen Hof zu ſehen. Darum machte er ſich von
Haufe weg mit vielen Dienern und guter Ausrüftung,
ging nach Rom und befuchte ben Papft und fah feinen
Hof und wie es mit ihm gehalten ward. Dabei wun⸗
derte er fich fehr, in Anbetracht daß ber römische Hof
die Grundlage des Glaubens fein muß und die Stüge
des Chriftentbums, da er ihn doch fo tadelnswürbig und
fo vol Simonie fand. Darum verließ er Rom und be-
ſchloß, fi aus der Welt zurüudzuziehen und dem Dienfte
Gottes zu ergeben, As er nun von Rom Abfchied ge-
nommen und auf der Rüdreife mit feinen Dienern nad)
San Ehirico di Nofena kam, fprach er zu ihnen: Geht
nur voran umd nehmt Herberge! Ich will fchon für mich
forgen.
Die Diener zogen weiter und gingen nad) San Chirico,
und als Meffere Alano fie meggegangen fah, verließ er
die Strafe, wandte fi ch nach dem Gebirge und ritt weiter
bis zum Abend, wo er einen Schaͤfer traf. Meſſere Alano
ſtieg ab, blieb den Abend bei ihm und ſagte zu ihm am
folgenden Morgen: Ich will dir meine Kleider und mein
Herd Iaffen: gib du mir deinen Anzug!
Der Echäfer meinte, er treibe Scherz und ſagte:
Meffere, ich babe euch geehrt fo viel ich Tonnte: darum
macht euch nun nicht über mich luſtig!
Meffere Alano aber zog feine Kleider aus und ließ
den Hirten ſich gleichfalls ausziehen; er ließ, ihm das
Pferd und feine ganze Habe und nahm die Kleider,
Schuhe und die Feldflafche des Schäfer und lief fort
aufs Gerathewohl. Als feine Diener ihn nicht zurüd-
kommen fahen, fuchten fie nach ihm; als fie ihn aber
nicht fanden, dachten fie, der Weg müſſe unficher fein,
er fei wol beraubt und erfchlagen worden. So warteten -
fie einige Tage und gingen dann weg und nad Paris
zurud. Nachdem Meſſer Alano ben Schäfer verlaffen
hatte, traf er am Abend auf eine Abtei in der Maremme.
Er bat um ein Brot ale Almofen und ber Abt fragte
7%
148 II. Giovanni Fiorentino. N
ihn, ob er in Dienfte geben wolle. Meſſere Alano
fagte: Ja. u
Darauf fragte der Abt: Was kannſt du arbeiten?
Meſſere Alano verfegte: Lieber Herr, ich werde fchon
können, was ihr mich anmeifet. -
Der Abt dachte, er habe hier einen brauchbaren Mann
gefunden, nahm ihn zu fi und ſchickte ihn zuerft ins
Holz. Er verfah diefes Gefchäft fo gut, daß alle Be⸗
wohner des Klofters ihm wohlwollten; denn er that gerne,
was man ihm auftrug, er ſchämte fich nicht und machte
fi) nichts daraus, Beſchwerden zu ertragen und alles
anzugreifen, was er zu ‚arbeiten hatte. Als ber Abt
feine Demuth fah, machte er ihn zum Bruder Kellner
des Kloſters, da er nicht wußte, wer er war, und legte
ihm den Namen Don Benedetto bei. Er führte babei
ein ftrenges Leben, faftete vier Tage der Woche in einem
fort, Bleidete fih nie aus, brachte immer einen großen
Theil der Nacht im Gebete zu und erzürnte fich nie über
irgend etwas, mas ihm gejagt oder angethan murde,
fondern lobte beftändig Chriftus. Auf dieſe Weiſe hatte
er befchloffen Gott zu dienen, fobaß der Abt ihm fehr
wohlwollte und ihn fehr hoch hielt. Seine Diener waren
indeffen nach Paris zurüdgelommen und meldeten Deffere
Alano todt, worüber dafelbft die größte Wehklage entftand
bei allen wackern Leuten, bieweil fie nun den tüchtigften
Doctor auf der Welt verloren hatten. Iener Meffer Gin
vanni Piero aber, ald er Meffere Alano’d Tod erfuhr,
war darüber fehr vergnügt und fprah: Nun Tann ich
ausführen, was ich fo lange ſchon gewünfcht habe.
Er machte fich bereit und, ging nah Rom und ftelite
dort im Gonfiftorium einen Sag auf, welcher gar fehr
unferm Glauben zumwiberlief und fuchte duch feine Spig-
findigfeiten eine Kegerei in die Kirche Gottes zu bringen.
Der Papft hielt darüber eine Verſammlung der Cardinäle,
worin fie befchloffen, alle tüchtigen Männer in Stalien
Holen zu laffen, damit fie in einem Gonfiftorium erfchlenen,
.®. Parifer Theologen in Rom. . 149
welches der Papſt halten wollte, um auf: die Streitfrage
zu: antworten, melde Meſſer Giovanni Piero unferm,
Glauben zuwider aufgeftellt Hatte. Alle Bifchöfe und
AÄbte und bie andern hohen Prälaten, welche ſich auf
das Kirchenrecht verftanden, murben befchieden, an ben
Hof zu kommen. Darunter war auch ber Abt, bei
welchen Meſſer Alano lebte. Als diefer im Begriffe
war, nah Rom abzugeben und Meffer Alano hörte,
was der Zwed feiner Reiſe war, bat er den Abt um
Erlaubniß mitzugehen.
Was millft denn bu dort thun, fagte der Abt zu .
ihm; du kannſt ja nicht einmal Iefen. Dort find. bie
. tüchtigften Männer von der Welt und man fpricht von
nichts, als von Gelehrſamkeit; da verſtehſt du gar nicht,
um was es fich handelt.
Meffere, verfegte Meffer Alano, fo fehe ich doch den
Papſt, den ich in meinem Xeben noch nie gefehen habe;
‚ich weiß gar nicht, wie er ausfieht.
Als der Abt feinen Entfhluß fah, fagte er: Meinet-
wegen fo komm mit! ber weißt du denn mit einem
Pferde umzugehen?
Meffer Alano fagte: Ja wohl, Mefjere!
Ald es nun Zeit war, machte fi) der Abt auf den
Weg und nahm Meffer Alano mit fih. Als fie in Rom
ankamen, war fehon der Tag beftimmt, an welchem biefes
Eonfiftorium gehalten werben follte, und jedermann konnte
hingehen und die Säge hören, die jener aufftellte; Meffer
Alano bat den Abt, er möchte ihn doch mit in die Ver⸗
fammlung nehmen.
Bift du von Sinnen? fagte der Abt. Meinft du,
ich koͤnne dich mit dahin führen, wo ber Papſt, die Car⸗
dinäle und fo viele angefehene Männer find?
Meffer Alano fagte: Ich fee mid) unter euren
Mantel, daß man mich nicht fieht, denn ich bin ja klein
und unanfehnlich.
Rimm dich in Acht, fagte der Abt, daß dir nicht
150. IH. Giovanni Fiorentino.
die Pförtner und Gtabteäger mit ihren Keulen aus
wiſchen!
Meſſer Alano aber ſagte: Laßt mich nur machen!
Während nun der Abt in dad Konfiftoriuim ging,
bufchte jener unter dem großen Gedränge beim Eingang
plöglih dem Abt unter den Mantel und kam fo mit
binein., Der Abt befam feinen Plag neben den an-
been Übten ihrem Range gemäß; Meſſer Wano aber
kauerte fich zwifchen feinen Beinen unter dem Mantel
des Abtes zufammen, machte fi ein Fenfterchen für fein
Auge, um hindurch zu guden und lauſchte aufmerkfam
den aufgeftellten Sägen. Es dauerte nicht lange, fo trat
Meſſer Giovanni Piero in die Verſammlung, beftieg die
Rebnerhühne in Gegenwart bes Papſtes und ber Gar-
dindle und aller andern Anmefenden und brachte feine
Streitfrage vor, die ex dann mit feinen hinterliftigen
Gründen -zu beweifen fuchte. Meſſere Alano erkannte
ihn gleich, und da er fah, dag niemand aufftand, um
ihm zu antworten und zu widerfprechen, und daß Feiner
wagte, feiner Beweisführung entgegenzutreten, ftedte er
feinen Kopf aus dem Zenfterchen des Manteld des Abtes
hervor und rief laut: Geh an den Galgen! |
Der Abt hob die Hand auf, gab ihm eine tüchtige
Ohrfeige und fagte: Still! Gott verdamm’ dich! Willſt
du mich in Schmach bringen?
Die in der Nähe ftehenden fahen einander an und
fragten: Wo kommt diefe Stimme her?
Meffer Alano wartete nicht Lange, fondern guckte
wieder hervor und rief: Sanctissime pater, audiatis me!
Der Abt war in größter Verlegenheit, denn alle
en auf ihn und riefen: Wen habt ihre da unter
euch?
Der Abt fagte, es .fei ein verrüdter Laienbruder.
Darüber fing man ihn an zu fhelten und ſprach: Wie
mögt ihre Verrückte in das Confiftorium bringen?
Dann brachten fie die Stabträger herbei, damit fie
29. Parifer Theolögen in Rom. - 151
ihn prügeln und binanswerfen follten. Meſſer Alano
aus Furcht, Schläge zu befommen, flürgte unter dem
Mantel des Abtes hervor, fprang unter die Bifchöfe und
fiel dem Papft zu Füßen. Darüber brach das ganze
Conſiſtorium in heftiges Gelächter aus und der Abt war
nahe daran weggemwiefen zu werden, mweil er diefen Men-
ſchen mit fich bineingeführt habe. Als nun Meffer Alano
dem Papfte zu Füßen lag, bat er um Erlaubniß, feine
Meinung über diefe Sache ausfprechen zu dürfen. Der
Papſt gab fie ihm. Meſſer Alano beftieg fofort die
Rednerbühne, widerfprach allen von dem andern aufge
ftellten Behauptungen und erörterte dann Punkt für Punkt
die ganze Frage mit fprechenden und natürlichen Gründen.
Die ganze Verſammlung war erflaunt über das feine
Latein, in welchem er fih ausbrüdte, und die fchönen
Beweife, die er für feine Anficht vorbrachte. Da fagten
alle: Wahrli da ift uns dee Engel Gottes erfchienen.
Als der Papft feine Beredſamkeit hörte, dankte er
Gott. Als nun auf folche Art diefer Meffer Alano den
Meffer Giovanni Piero aus dem Felde gefchlagen hatte
und diefer feine Niederlage anerfennen mußte, fagte er:
MWahrhaftig bu 4 der Geift des Meffer Alano oder
bift du ein böfer Geiſt.
Meſſer Alano fagte: Ich bin Alano, der dich fonft
fhon zum Schweigen gebracht hat; aber du bift in der
That ein böfer Beift, da du in ber Kirche Gottes eine
ſolche Ketzerei anftiften wollteſt.
Meſſere Giovanni Piero antwortete: Hätte ich ge-
dacht, daß du noch am Leben bift, fo wäre ich nicht
bergefommen.
Der Papft verlangte zu wiffen, wer dies fei, ließ
den Abt rufen und befragte ihn, wie er zu dem Men-
ſchen komme.
Heiligfter Vater, fagte der Abt, er ift feit geraumer
Zeit als Xaienbruder bei mir; ich glaubte, er verftehe
nicht einmal zu lefen und habe nie einen demüthigeren
>
152 II. Giovanni Fiorentino.
Menfchen gekannt, als er; er gab ſich immer damit ab,
Holz zu machen, das Haus zu reinigen, zu betten, ber
Kranken zu pflegen, das Pferd zu beftelen; im Ganzen
ſchien er mir ein einfältiger Menfch.
Als der Papft das fromme Leben hörte, das er ge-
führt hatte, und feine Tüchtigkeit fah und erfuhr, wer
er früher gewefen, wollte er ihn zum Cardinal erheben
und ihm die größte Ehre erweifen.
Waͤreſt du nicht geweſen, fagte er zu ihm, fo wäre
die Kirche Gottes in den größten Irrthum gerathen.
Darum verlange ih, daß bu am Hofe bleibeft.
Meffer Alano aber verfegte: Heiligfter Vater, meine
Abſicht ift, in diefer befchaulichen Weiſe mein Leben zu
befchließen und nicht wieder in die Welt zurückzukehren;
vielmehr wünfche ich mit meinem Abte wieder in fein
Klofter mich zurüdzuziehen, das angefangene Leben fott-
zufegen und fortwährend Gott zu dienen.
Der Abt fiel auf die Kniee und bat ihn um Ver-
zeihung, dieweil er ihn nicht gekannt habe, hauptfächlich
von wegen der Ohrfeige, die er ihm gegeben.
Da braucht es feine Verzeihung, ſprach Meffer Alano,
denn ber Vater muß den Sohn züchtigen. "
Darauf nahmen fie Abfchied vom Yapft und den
Gardinälen und Eehrten beide, der Abt und Meffer Alano,
in ihr Klofter zurück. Der Abt erwies ihm fortan im-
mer ganz befondere Verehrung, und fo lebte er ein bei-
liges frommes Leben und verfaßte einige fehone Bücher
über unfern Glauben. &o lang er in diefer Welt lebte,
führte er auch biefe Lebensweiſe fort und erntete darum
am Ende den wohlverdienten Lohn bes ewigen Lebens.
30. Römifche Rache. 153
30. Roͤmiſche Rade..
(7, 1.)
Vor einiger Zeit lebte zu Rom ein Ritter Namens
Meffer Francesco Orſino von Monte Giordano, welcher
eine Gattin hatte, die Madonna Lifabetta hieß, ſchoͤn,
teufch und fehr mohlgefittet und die ihm in feiner Ehe
zwei Söhne geboren. In diefe Frau nun verliebte fi
ein junger Menfch und fie in ihn, und ba fie ſich nicht
Aug und heimlich hielten, befam Meffer Francesco mehr-
mals Wind darüber. Er konnte es nicht glauben, an«
gefehen, daß jener Jüngling nicht ſchön, noch edel, noch
reich war und überdies fich ‚ganz als fein Freund und
ergebener Diener darſtellte. Nun gefchah es aber, daß
einer feiner Gelchäftsführer es bemerkte und Meffer Fran-
cedco fagte, worauf biefer erwiderte: Laure bu ihnen auf,
daß du ihn hereinfommen fiehft, und dann komm zu mir,
denn ich will es felber fehen, ſonſt kann ich's nicht glauben.
Der Geſchäftsmann fagte: Es foll gefchehen.
Da that Meffer Francesco eines Tages, als ginge
er auf eines feiner Schlöffer und flieg zu Pferde mit
einigen Begleitern. In der folgenden Nacht aber Fam
ee nad Rom zurüd und blieb verborgen, bis der Ge⸗
fchäftsführer zu ihm kam. So ſah Meffer Francesco.
jenen Züngling wirklich in der Kammer mit feiner Frau
ſcherzn
em gehoͤrt dieſes Maͤulchen? fragte der Liebhaber
und küßte es.
Dir, antwortete ihm die Frau.
Und dieſe räuberiſchen Augen?
Sind dein.
Und dieſe Wangen?
Sind bein.
Und der fchöne Hals?
Iſt bei
dein. .
7 RR
154 II. Giovanni Fiorentino.
Und dieſer fhöne Buſen?
ft dein. . Ä
Und fo fafte er eins ums andere an und bie Frau
fagte immer, e8 gehöre ihm, außer beim Hintertheil fagte
fie, das gehöre ihrem Manne, und darüber fchlugen fie
beibe ein ſchallendes Gelächter auf. Meſſer Francesco fah
und hörte Alles mit.an, was biefe miteinander trieben.
Gott Rob, dachte er hei ſich felbft, daß ich doch auch
noch einen Theil für mich habe. .
Als er nun Alles zur Genüge gehört und gefehen
hatte, entfernte er fich heimlich, Lehrte nach feinem Schloffe
zurück und blieb dort, fo lange es ihm gefiel; dann kam
er wieder heim und lieg feiner Frau einen Nod machen
aus grobem Tuch, nur ber Hintertheil. war aus Sammt
mit Hermelin gefüttert; er ließ auf feinem Schloſſe ein
ſehr ſchönes Gaftmahl bereiten und Iud dazu auch den
Jüngling und zwei feiner Brüder und einige feiner Ver⸗
wandten und Gefellen, fowie einige Vettern ber Frau.
Meſſer Francesco veranftaltete auf einen Sonntag Morgen,
daß die Frau jenen Rock anziehen, damit durch Rom
gehen und nach feinem Gute mit der Gefellfchaft zu Tifch
kommen follte. So geſchah es auch. Als man nun. zur
TJafel ging, fegte Meffer Francesco feine Frau neben
jenen Jüngling, welcher Rinaldo hieß, und dann der
Reihe nach ihre Brüder und Gefährten und veranftaltete
ihnen an dieſem Morgen ein reiches und fchönes Mahl.
Wer am Morgen bie Frau fo gekleidet fah, mußte fich
wundern, fo auch alle Verwandte der Rrau und Rinaldo's,
* ſie dachten: Das laͤuft auf irgend etwas Beſonderes
inaus.
Rinaldo mar in der größten Angſt. Als das Früh-
ſtück vorüber war, fagte Meffer Francesco: Rum gebt
Acht, ich will euch das Obſt geben. |
Er ſtand auf, ließ jedem der am Tiſche figenden
einen Stod reihen. Dann trat er in eine Kammer,
wo er acht Diener bereit hatte, jeden mit einem Stock
[m
30. Romiſche Race. 155
in der Hand, ebenfo viele, als Gaͤſte an ber Tafel faßen.
Diefe ließ er heraustreten und fich um die Tafel herftellen.
Dann fagte er zu den Bäften: Wehrt euch!
Und zu den Dienern mit den Stöden in der Hand
fagte er: Bringt das Obft!
Darauf warfen fie den Tiſch um, mie ihnen befohlen
war, und fingen an mit’ ihren Stöden auf bie am Tiſche
loszuſchlagen. Das gab eine ſchöne Rauferei mit den
Stöden untereinander, denn als die am Tiſche figenden
merkten, daß es mit den Schlägen Ernſt war, wandten
fie ſich hübſch ordentlih um und theilten auch aus, wie
man ihnen zutheilte. Kurz, es behielten die aus ber
Kammer getretenen Diener die Oberhand, fchlugen die
Speifenden zu Boden und alle kamen im Saale ums
Leben. Meſſer Francesco ließ fodann den Leichnam des
jungen Rinaldo wegtragen und mit auögebreiteten Armen
in feinem. Schlafzimmer ans Kreuz fehlagen; die andern
Leichen wurden bei Nacht in ihre Häufer getragen. Es
entftand große Trauer in ganz Nom über den Tod fo
vieler wadern Leute, aber niemand wagte den Mund
aufzuthun,. denn ber, der es veranftaltet hatte, war ein
‚ angefehener Mann in Rom. Meſſer Francesco ließ feine
Frau nehmen und jede Nacht auf den Leichnam des be-
fagten Rinaldo binden, ſodaß fie ihn die ganze Nacht
umarmt halten mußte; am Tag ließ er fie abnehmen
und ihr täglich zwei Stüde Brot und einen Becher
Waſſer reihen, um fie fo binzuhalten, und fie lebte aud)
noch mehrere Tage. Jeden Tag fchidlte fie zwar zu
Meffer Francesco ihrem Gatten, um ihn um Erbarmen
anzuflehen, er wollte aber nie etwas hören. Da fie nun
ſah, dab fie doch fterben müſſe und fein Mittel ihrer
Errettung übrig fei, bat fie fi) die Gnade aus, ihre
Kinder noch vor ihrem Tode fehen zu dürfen. Die zwei
Knaben wurden ihr gebracht, fie nahm fie in den Arm
und fagte zu ihnen unter vielen Thränen: Meine theuren
Söhne, ich Kaffe euch mit dem Segen Gottes und dem
156 HI. Giovanni Fiorentino.
meinigen; ihr feid die echten Söhne Meſſer Francesco's,
aus rechtmäßiger Ehe geboren. Mein Name ift zwar
wegen des begangenen Fehltritts nicht werth, in ehren⸗
vollem Gedaͤchtniß zu bleiben; aber nur der Groll einer
Magd hat mich dahingebracht. Das ift freilich Feine
hinreichende Entfehuldigung, aber dennoch, laſſe ich Bott
und euch, meine Söhne, die Rache für eure ſchmerzvolle
unglüdlide Mutter.
Und fie Eonnte nicht fatt werden, fie zu küſſen bei
der Eile, bie ihr zugemuthet wurde. Sie Freuzte umd
fegnete fie und gab fie dann ihrer MWärterin mit den
Worten zurüd: Nimm fie bin, und dir gebe ich auf
bei Gott und deiner Seele, wenn fie groß find, -fie an
meinen Tod zu erinnern, befonders den Kleinen.
Der legtere weinte immer und wollte fi) von ihrem
Halfe losmahen. Nachdem fie fie zurüdgegeben und
wieberhoft betheuert hatte, daß fie echte und feine unche-
liche Kinder feien, befahl fie ihre Seele Gott und ſprach
dann Bein Wort ‚mehr in diefem Leben. Kurz darauf
ftarb fie. Nun wurden die Leichname abgenommen und.
mweggetragen. Diefe Grauſamkeit wurde von den einen
. gebilligt,. von andern getabelt. Sobald ed Zeit war,
rief die Amme den Söhnen den Vorgang ind Gedächtnif;
Meffer Francesco wurde dadurch verrüdt gemacht und
lief lange Zeit in ber Tollheit umber, in großer Zwie-
tracht mit feinen Söhnen, zumal mit dem jüngeren.
Der befagte Meffer Francesco lebte und fchlief in den
Wäldern wie ein Wilder und betrug fih ganz wie ein
Verrückter mit tollen Streichen. Dadurch fand man denn
bie Frau gerächt. 0
31. Ein Deutſcher in Italien. 157
31. Ein Deutſcher in Italien.
(7, 2.)
In der Stadt Arimino in der Romagna lebte ein
mannhafter Herr und Baron mit Namen Meffer Galeotte
Malatefti, dee mannhaftefte Ritter, den bie Romagna
feit langer Zeit gehabt hatte, und ber weifefte und klügſte
Mann, ber immer ein reiches und vornehmes Xeben führte
‚und feinem Stande Ehre machte. Diefer Meffer Galeotto
hatte eine Nichte, welche Witwe war, Namens Madonna
Softanza, die Tochter bes Meffer Malateſta Unghero von
Malatefti, gleichfalls eines chrenfeften und gewandten Ritters.
Diefe Madonna Goftanza hatte in Arimino um fich einen
fehr fchönen Hof von Frauen, Fräulein und Knappen
und lebte wie eine vornehme Ebdelfrau, die fie auch war;
Thon Meſſer Galeotto zu Liebe wurbe ihr die größte Ehre
erwieſen. Sie hatte und befaß, mas ihr Vater und Gatte
binterlaffen hatten, und vielleicht war in der ganzen
Romagna, in Toscana und in der Mark eine fo reich,
wie fie, an den edelften Jumelen und überhaupt vermög-
Ticher als fie. Kurz, es wurden ihr alle Genüffe zu
Theil, die eine Frau ihres Gleichen und die von ber
Natur fo gut bedacht war, fi mit Ehren erlauben
fonnte: fie war jung, fchon, gebildet, reich, von edler
Abkunft, fie galt für verftändig, war bei jedermann be-
liebt und Meſſer Galeotto hoffte. durch fie eine reiche und
edle Verwandtſchaft einzugehen. Nun hatte Meffer Ga-
leotto in feinem Solde einen Rottenführer von funfzig
Ranzen Namens Ormanno; ed war ein Deutfcher aus
Dberdeutfchland aus einem Schloffe, welches Cham heißt;
er batte Brüder und Bruderföhne, welche Ritter und
alte Ebdelleute waren, und fo fah er auch aus. Er war
höflich, wohlgefittet und von ftattliher Figur, meshalb
ihn denn auch Meffer Galeotto äuferft lieb hatte. Nun
geſchah es, daß befagter Ormanno mehrmals am Palaſte
158 II. Giovanni Fiorentino.
der Madonna Goftanza vorüberging, während die Frau
am Fenfter ſtand. Da begegneten ſich denn ihre Blicke
ſo, daß Ormanno ſich heftig in -diefe Frau verliebte; er
wußte es auch anzuftellen, daß die Frau ed bemerkte
und anfing ihn zu lieben. Die Neigung nahm auch
bergeftalt zu, daß fie ſich allmählich gegenfeitig wine
Geſchenke machten und namentlih die Frau ihm; fie
fprachen einander mehrmals und verabredeten, daß be-
fagter Ormanno von ihr erlangen follte, was die Liebe
erheifht. Sie mußten aber das Feuer der glühenden
Liebe‘ nicht verborgen zu halten und ihre Angelegenheiten
nicht mit WVorficht zu ordnen, denn die Liebe ift blind
und der Feind liſtig. Da nun Ormanno zu Stunden,
welche mit dem Anſtand nicht vereinbar waren, im Haufe
aus⸗ und einging, wurde ed oftmald Meffer Galeotto
gefagt, er glaubte es aber nicht. Als nun durch Füh-
rung der göttlichen Allmacht Pabſt Urban der fechfte
von dem ganzen Collegium ber Cardinäle in Rom zum
Nachfolger des verſtorbenen Papſtes Gregor’s des elften
beftellt und im Namen des ganzen Collegiums ber ita-
liänifchen und auswärtigen Gardindle allen Herren und
Gemeinden der Chriftenheit verfündet worden war, mas
maßen fie Urban den fechften zum Papſt erwählt haben;
wollte befagter Meffer Galeotto als frommergebener Sohn
der heiligen Kirche hingehen, um ben neuerwählten Papſt
zu befuchen. Ehe er jich nun auf den Weg machte,
ſchickte er nach Ormanno und ſagte zu ihm: Man hat
mir geſagt, du ſteheſt im Haufe meiner Nichte Goſtanza
auf vertrautem Fuße; ich glaube es aber nicht; nichte-
deſtoweniger bitte ich dich indeß, dich ſo aufzuführen,
dag mir nichts der Art mehr zu Obren komme.
Ormanno fagte: Mein Gebieter, ihr werdet finden,
dag Died nicht wahr if. Wer es euch geſagt hat, iſt
jemand, der mir übel will und mir in eurer Gunſt zu
ſchaden ſucht. Aber ich bin bereit, ihm Mann gegen
Mann gegenüber zu treten.
31. @in Deutſcher in Italien. 159
So entfhuldigte er fich angelegentlih. Meſſer Ga⸗
leotto antwortete ihm unb fprach: Ormanno, bu bift ein
- gefcheidter Mann und haft mich verftanden. Mehr fage
ih nicht, ald daß ich dir die Obhut über Arimino über-
teage, und über alles, was ich habe; du bift Anführer
der Truppen, bis ich vom römifchen Hofe zurückkomme.
Sieh zu, daß ich mich bei meiner Rückkehr nicht über
dich zu beklagen babe. .
Drmanno fagte: Mein Gebieter,.e8 ſoll gefchehen.
Meſſer Galeotto machte fih auf zum Beſuche des
Dapftes und fepte, wie gefagt, Ormanno zum Haupt
der Wache ein. Ormanno aber mar nicht vorfichtig genug
in Verfolgung feiner Liebfchaft und ging fortan in be-
fagtes Haus ohne Rüdfiht und Achtung gegen feinen
Herrn. Sa, er hängte vielmehr noch heftiger feiner zü-
gellofen Liebe nach, in der er gefangen mar, und bie
Frau hatte ihn mit einem filbernen Gürtel befchentt.
Nun begab es fich, dag dem Meſſer Galeotto bei feiner
Rückkehr gelagt wurde, wie diefer Ormanno nicht ablaffe,
in Madonna Goftanza’s Haus zu fommen und die meiften
Leute in Arimino diefe Gefchichte wiffen. Darum ließ
Meffer Galeotto die Sache beobachten und trug der Wache
heimlich auf, zu lauern, ob es wahr fe. Ormanno, der
hiervon nichts gehört hatte, wurbe denn gefehen, wie er
bei Naht in das Haus der Frau ſchlich, und alsbald
wurde Meſſer Galeotto benachrichtigt, welcher fogleich
das Haus von einigen Kriegsknechten umftellen ließ, die
er zur Wache bei fih hatte. Er gab ihnen ben Befehl,
bei Todesftrafe den Ormanno nicht herauszulafien. Als
dieſe zur Ausführung fohritten, fandte er zu einigen Bür-
gern und berieth fi) mit ihnen über die Sache; der eine
gab diefen Rath, ber andere einen andern. Als es nun
nahe am Tage war und Ormanno aus dem Haufe wollte,
ſah und hörte er die Kriegsknechte, welche um das Haus
berftanden. Er kehrte daher zu der Frau zurüd und
fagte ihr, wie bie Sache ſtehe. Die Frau fland auf,
158 II. Giovanni Kiorentino.
der Madonna Goftanza vorüberging, während die Frau
am Fenſter fland. Da begegneten fidh denn ihre Blicke
. fo, daß Ormanno ſich heftig in .diefe Frau verliebte; er
wußte ed auch anauftellen, daß die Frau es bemerkte
und anfing ihn zu lieben. Die Neigung nahm auch
dergeftalt zu, daß fie fich allmählich gegenfeitig reiche
Geſchenke machten und namentlih die Frau ihm; fie
fprachen einander mehrmals und verabredeten, daß be-
fagter Ormanno von ihr erlangen follte, mas die Liebe
erheifht. Sie mußten. aber das Feuer der glühenden
Liebe nicht verborgen zu halten und ihre Angelegenheiten
nicht mit Vorſicht zu ordnen, denn die Liebe ift blind
und ber Feind liſtig. Da nun Ormanno zu Stunden,
welche mit dem Anftand nicht vereinbar waren, im Haufe
aus⸗ und einging, wurde ed oftmals Meſſer Galeotto
gejagt, er glaubte es aber nicht. Als nun durch Füh-
rung der göttlihen Allmacht Pabſt Urban der fechfte
von dem ganzen Collegium ber Garbinäle in Rom zum
Nachfolger des verſtorbenen Papſtes Gregor’d bes elften
beftellt und im Namen des ganzen Collegiums der ita-
liänifhen und auswärtigen Gardinäle allen Herren und
Gemeinden der Chriftenheit verfündet worden war, mas
maßen fie Urban den fechften zum Papſt erwählt haben;
wollte befagter Meffer Galeotto als frommmergebener Sohn
der heiligen Kirche hingehen, um den neuerwählten Papft
zu befuchen. Ehe er fih nun auf den Weg machte,
fhidte er nach Drmanno und fagte zu ihm: Man hat
mir gejagt, du ftcheft im Haufe meiner Nichte Goftanza
auf vertrautem Fuße; ich glaube es aber nicht; nichts⸗
deſtoweniger bitte ich dich indeß, dich ſo aufzuführen,
Daß mir nichts der Art mehr zu Ohren komme.
Ormanno fagte: Mein Gebieter, ihr werdet finden,
daß dies nicht ‚wahr ift. Mer «8 euch gefagt hat, ift
jemand, der mir übel will und mir in eurer Gunft zu
ſchaden fucht. Aber ich bin bereit, ihm Mann gegen
Mann gegenüber zu treten.
x
31. Ein Deutfcher in Italien. 159
So entſchuldigte er ſich angelegentlih. Meſſer Ga⸗
leotto antwortete ihm und ſprach: Ormanno, du biſt ein
geſcheidter Mann und haſt mich verſtanden. Mehr ſage
ich nicht, als daß ich dir die Obhut über Arimino über⸗
trage, und über alles, was ich habe; du biſt Anführer
dere Truppen, bis ich vom römifchen Hofe zurückkomme.
Sieh zu, daß ich mich bei meiner Rückkehr nicht über
dich zu beklagen babe. .
Drmanno fagte: Mein Gebieter, es fol gefchehen.
Meſſer Galeotto machte fi auf zum Beſuche des
Papſtes und fegte, wie gefagt, Ormanno zum Haupt
der Wache ein. Ormanno aber war nicht vorfichtig genug
in Verfolgung feiner Liebfchaft und ging fortan in be-
fagtes Haus ohne Rückſicht und Achtung gegen feinen
Heren. Sa, er hängte vielmehr noch heftiger feiner zü-
gellofen Liebe nach, in der er gefangen mar, und die
Frau batte ihn mit einem filbernen Gürtel befchentt.
Nun begab es fih, dag dem Meſſer Galeotto bei feiner
Rückkehr gefagt wurde, wie biefer Ormanno nicht ablaffe,
in Madonna Goftanza’s Haus zu fommen und die meiften
Leute in Arimino biefe Gefchichte wiſſen. Darum ließ
Meffer Galeotto die Sache beobachten und trug der Wache
heimlich auf, zu lauern, ob ed wahr fe. Ormanno, der
hiervon nichts gehört hatte, wurde denn gefehen, wie er
bei Nacht in das Haus ber Frau fhlih, und alsbald
wurde Meſſer Galeotto benachrichtigt, welcher fogleich
da8 Haus von einigen Kriegsfnechten umftellen ließ, die
er zur Wache bei ſich hatte. Er gab ihnen ben Befehl,
bei Todesftrafe den Ormanno nicht herauszulaffen. Als
diefe zur Ausführung ſchritten, fandte er zu einigen Bür-
gern und berieth fich mit ihnen über die Sache; der eine
gab diefen Rath, der andere einen andern. Als ed nun
nahe am Tage war und Ormanno aus dem Haufe wollte,
ſah und hörte er die Kriegsfnechte, welche um das Haug
herſtanden. Er kehrte daher zu der Frau zurüd und
fagte ihr, wie die Sache ſtehe. Die Frau fand auf,
160 IH. Giovanni Fiorentino.
trat and Fenfter und fagte: Was foll das heißen? Was
find das für Wachen und Neuerungen? Schämt ihr euch
nicht, mir Wachen vor die Thüre zu fielen?
Diefe Worte waren der Grund zu ihrem Tode. Wäre
fie nicht ans Fenfter gelommen, fo wäre fie für diesmal
nicht geftorben. Denn Meffer Galeotto hatte für das
Innere des Haufes bereits für die Ehre der Frau geforgt,
indem er eine ihrer Kammerfrauen mit der Sache beauf-
tragte. Als ihm nun aber gefagt wurde, fie fei an das
Fenſter gekommen und habe jene Worte gefprochen, ent-
ſchloß er fih als ein verftändiger, waderer Mann, und
rief einen Faͤhndrich des Fußvolkes und fagte: Geh in
dad Haus meiner Nichte! du findeft Ormanno und bie
Boftanza: bau fie mir beide alsbald in Stüde!
Der Fähndrih, Namens Santolino von Faenza, ant-
wortete: Mein Gebieter, ihm will ich das wol anthun,
aber nicht ihr. Vergebt mir, ich will meine Hand rein
halten vom Blute der Malatefti.
Meſſer Galeotto fagte: Geh und thu es ihm!
Da ging er alsbald hinweg. Meffer Galeotto aber
rief fodann einen andern Fähndrich und fagte zu ihm:
Sch bin und hau mir die Goſtanza, meine Nichte, in
Stüde!
Diefer antwortete: Herr, es foll gefchehen.
Und er ging nach Madonna Goftanza’s Haufe Als
nun Santolino an der Kamimerthüre pochte, fragte Ma-
donna Boftanza: Was willft bu?
Santolino antwortete: Madonna, macht auf! Ich
habe euch etwas auszurichten von dem Herrn.
Die Frau ließ ihm aufmachen.
Madonna, fragte Santolino, wo ift Ormanno?
Welcher Ormanno? erwiderte die Frau.
Ohne viel Umftände, verfepte Santolino, der Herr
weiß, daß er hier ift, und ſchickt mich zu ihm, daß ich
ihm etwas ausrichte. Darum haltet mich und euch nicht
auf! Es könnte fonft fchlimmer kommen.
31.. Ein Deuticher in Italien. 161
Die Frau fagte: Du weiſt wohl, daß hier kein Mann
zu fein pflegt.
Santolino aber fagte wieder: Wenn ihr mir ihn nicht
zeiget, wird es euch reuen.
ALS die Frau ihn fo fprechen hörte, fagte fie: Dort
ift er.
Santolino ging zu ihm und fagte: Ormanno, id
-babe bei dir etwas auszurichten von dem Herrn.
Drmanno fprah: Sag an!
Santolino fuhr fort: Laß uns an einen verborgenen
Ort gehen, ich will nicht von anbern gehört werden.
Da traten fie in ein Kämmerchen und Santolino
ſprach zu ihm: Ormanno, du mußt fterben; es ift nicht
mehr zu ändern.
Drmanno erfchraf heftig und fprach ſodann: Gibt es
fein Mittel, mic) vom Tode zu retten?
Santolino antwortete: Nein, es ift alles feſt be
ſchloſſen.
Da kniete Ormanno nieder vor Santolino, hob die
Hände gen Himmel, bückte ſich dann, nahm Staub vom
Boden auf und ſteckte ihn in den Mund; darauf drückte
er die Haͤnde vor die Augen, um ſeinen Tod nicht zu
ſehen, und neigte den Kopf zur Erde. Santolino ſchwang
ſodann das Schwert und gleich darauf lag jener todt zu
ſeinen Füßen. — Der andere Fähndrich, welcher hinge⸗
gangen war, um der Frau das Gleiche zu thun, kam in
die Kammer und ſagte: Madonna, ich habe euch etwas
auszurichten von dem Herrn.
Ganz erfchroden fagte die Frau: Sag an, mas bu
!
Er ſprach: Laßt alle eure Kammerfrauen bier abtreten!
Die Frau fchidte fie aus dem Zimmer; er trat an
die Thüre, verfchloß fie, viß jein Schwert heraus und
ſagte Madonna, ihr müßt ſterben.
Die Frau ſtieß einen heftigen Schrei aus und wollte
fliehen.
162 ill. Giovanni Fiorentino.
Madonna, fagte er, flieht nicht! Es würde euch
nichts helfen. Denn der Herr bat nun einmal euren
Tod offen, und fo kann euch kein Gott retten.
Die Frau fagte: Wie? Will der Herr zum Mörder
werden an feinem eigenen Zleifch ?
Der Kriegemann antwortete: Wohlen, macht euch
fertig!
Und du, fuhr die Frau fort, haft du den Muth,
deine Hände mit dem Blute von Meffer Malatefta Unghero
meinem Vater zu befleden ?
Er antwortete aber: Ich muß thun, was mir be-
fohlen ifl; und darum verzeibt mir, denn ich thue es
ungern.
Iſt denn fein Mittel, fragte die Frau, mic vom
Tode zu erretten?
Er antwortete: Nein.
Da kniete fie nieder vor. dem Bilde der heiligen Jung-
frau und ſprach folgende Worte: Wenn mein erlauchter
und mannhafter Vater noch lebte, würde ich nicht fo im
Zinftern fhmählichen Todes fterben, darum befehle ich in
deine Arme, holdfeligfte Jungfrau Maria, meinen Geiſt
und meine Seele und die Seele des wadern Mannes,
der um meinetwillen leiden und fterben muß und bitte
dich überdies, Mutter der Gnaden, daß du mich in diefem
finftern fchmählihen Tode flarf und kräftig macheft, ihn
geduldig zu ertragen, auf daß meine Seele, wie einer
Möärtyrerin, gelangen möge zur Herrlichkeit deines aller-
heiligften Sohnes Jeſu Chrifti. Fürwahr, ich habe in
diefee Welt gelebt, ohne wie meines Gleichen mich zu
begnügen.
Dann wandte fie ſich zu dem, der das bloße Schwert
über ihrem Haupte ſchwang und fagte: Da mich meine
Eitelfeit nun fo weit gebracht hat, bitte ich dich, wenig⸗
ſtens nicht ſo ſehr zu eilen, und ſo viel Mitleid mit mir
zu haben, daß ich noch zehnmal die Jungfrau Maria
grüßen darf.
31. Ein Deutſcher in Italien. 163
Es erbarmte den Mann und er ſprach: Betet denn,
aber beeilt euch! \
Sie begrüßte nun die Jungfrau Maria mit vielen
Thränen, ſchaute aber dabei ganz beftürzt fortwährend
auf die Hand, welche das Schwert hielt. Nachdem
fie ein wenig gebetet hatte, fagte er: Seid ihre nun
fertig ?
Die Frau antwortete: Noch nicht.
Der Kriegemann fagte: Wie? In diefer Zeit wäre
ih mehr als zwanzigmal fertig geworden.
Darauf ſprach die Frau: Unglüdliche Goſtanza, wöhin
haft du es "gebracht! O blinde Liebe, warum baft du
mich betrogen und ſchickſt mid nun von binnen in fo
fhlimmen Rufe? Wäre ich doch vor der Geburt ge
ftorben!! |
Da kam ed ihm vor, ald zaudere fie doch allzulange;
es frrah: Sagt: Ave Maria!
Da Sprach fie andächtig: Ave Maria, Ave Maria,
Ave Maria!
Da ſchwang er das Schwert, und erfchlug fie. Mit
einem Streiche traf er fie und fie ſank tobt ihm zu
Füßen. — Der Herr ließ die beiden unglüdlichen Leich⸗
name in einen Sad fteden und ind Meer werfen. So:
dann ließ er audfchreiben, wer an Ormanno eine For-
derung zu machen Babe, folle zur Berahlung kommen.
Er ließ auch jedermann befriedigen, dem er etwas fchuldig
gewefen war, hob dann bie ganze Schaar auf und ſchickte
fie weg. Uber diefed Verfahren erntete Meffer Galeotto
von einigen Lob, won andern aber Zabel.
164 II. Giovanni Yiorentino.
32. Bon den Guelfen und Ghibellinen.
(8, 1.) _
In Deutſchland waren zwei ſehr vertraute Freunde,
beide edel und reich, einander auf eine Meile benachbart,
und der eine hieß Guelfo, der andere Ghibellino. Als
ſie eines Tages von der Jagd heimkehrten, geriethen ſie
in Streit über eine Hündin, und während fie zuvor
Fraͤmnde und Genoſſen waren, wurden ſie nunmehr Feinde
und ließen nicht ab, einander zu befehden; ja, ſie kamen
ſo ſehr in Zwietracht, daß jeder für ſich Einladungen
und Gaſtgebote an ihre Freunde ergehen ließ, um ſich
zu bekriegen. Das Argerniß wuchs ſo ſehr, daß alle
Herren und Barone von Deutſchland über dieſe Ange⸗
legenheit ſich in zwei Parteien trennten, indem es der
eine mit Guelfo, der andere mit Ghibellino hielt, was
denn alljährlich auf beiden Seiten manchem Manne das
Leben koſtete. Als nun Ghibellino fi) von Guelfo be-
fhimpft ſah und meinte, diefer habe mehr Macht als er,
empfahl er ſich dem Kaifer Friederich dem erften, welcher
dazumal vegierte. Da aber Guelfo bemerkte, daß Ghi⸗
belfino ſich unter den kaiſerlichen Schug geftellt Hatte,
Ichnte er feine Sache an Papft Honorius den zweiten,
welcher in Zwietracht mit dem Kaifer lebte, empfahl fich
ihm und that ihm bie ganze Angelegenheit fund. So⸗
bald der Papft vernahm, daß der Kaifer die Partei der
Ghibellinen ergriffen habe, nahm er feinerfeits ſich ber
Partei der Suelfen an. Daher kam es, daß der päpft-
liche Stuhl guelfiſch, das Kaiſerthum ghibellinifc wurde.
Im Jahre des Heils ein Zaufend zweihundert und funfzehn
nun verbreitete fich diefee Same der Zwietracht auch über
Italien und zwar auf folgende Weife. Pobefta von Florenz
war Guido Orlandi, und Podeſta von Florenz zu fein war
ein großes und fchones Amt; da war num im Haufe der
+
32. Bon den Guelfen und Ghibellinen. 165
Buondelmonti ein Ritter Namens Meffer Buonbelmonte,
. ein fchöner reicher und mannhafter Herr. Beſagter Meffer
Buondelmonte gelobte einem Mädchen aus dem Haufe der
Amibei eidlih die Ehe, gab ihr die Hand und verſprach
fih mit ihr in aller bei ſolchem Anlaß herkömmlichen
Feierlichkeit. Als nun Meſſer Buondelmente eines Tages
am Haufe der Donati vorüuberging, fah ihn eine Frau,
welche Madonna Lapaccia hieß, rief ihn zu fi und fagte:
Meſſere, ich wundere mich fehr über euch, wie ibe euch
herablaffen mochtet, eine Frau zu nehmen, bie nicht werth
wäre, euch die Schuhriemen aufzulöfen. - Ich hatte euch
eine meiner Töchter aufbehalten; ich wünſche doch, daß
ihr fie ſehet.
Sogleih rief fie biefe Tochter, welche die Eiulla*)
hieß, ein fchönes liebenswürdiges Mädchen, wie nur
irgend eine in Florenz, „und zeigte fie Meffer Buondel-
monte mit den Worten: Diefe habe ich für euch auf:
behalten.
Als Meffer Buondelmonte das fchöne Kind fah, ver-
liebte er fich in fie und fagte: Madonna, ich bin bereit,
zu thun, was ihr begehrt.
Und ehe er wegging, nahm er fie zur Frau und gab
ihr den Ring.
Sobald die Amidei erfuhren, daß Meffer Buondel-
monte eine andere zur Frau genommen und von der
ihrigen nichts mehr wolle, traten fie zufammen und be-
riethen fi mit andern Freunden und Verwandten fich
zu rächen über bem, was ihnen Meffer Buondelmonte
angetban hatte. Bei dieſem Rathe war auch Lambertuccio
Amidei, Schiatta Ruberti, Mosca Lamberti und viele
andere. Die einen viethen, ihm Prügel zu geben, die
andern einen Schlag ins Geficht, der dies, der andere
‚inet. Da ſtand Mosca Lamberti auf und fagte: Was
lebt, bat einen Kopf.
*) Sigentlih Töchterchen.
166 IN. Giovanni Fiorehtino.
Damit wollte er anbeuten, daß ein Zobter feinen
Krieg mehr führt. So wurde denn befchloffen, ihn um-
zubringen, und das geſchah auch. Als nämlich Meifer
. Buondelmonte eines Öftermorgens aus bem Haufe Barbi
über dem Arno vom Effen zurüdkehrte, auf feinem gan;
weißen Schimmel reitend und mit einem weißen Rod
angethan, er ritt gerabe unten an ber alten Brüde,
dort wo die Marsbildfeule ſtand, weiche die Florentine;
zur beidnifchen Zeit anbeteten, und wo jegt bie Fifch
verkauft werden, da fiel eine Schaar über ihn ber, riffen
ihn vom Pferde und brachten ihn um. Da entftand ein
großer Lärm in ganz Florenz: über den Tod dieſes Herrn
Buondelmonte. Um diefes Mordes willen theilten fich
bie edeln Häufer und Familien von Florenz; die einen
hieltens mit den Buondelmonti, welche fi zu Däuptern
der guelfifchen Partei machten, die andern aber mit ben
Amibei, melde fi an die Spige ber ghibellinifchen Partel
ſtellten. Auf der guelfifchen Seite ftanden die Buondel:
monti, Nerli, Jacopi, Dati, Roffi, Barbi, Frescobaldi
Merzi, Yuld, Gherarbini, Foraboschi, Bagnefi, Guida⸗
. Iotti, Sackhetti, Manieri, die von Quona, die Luccardeſi,
Ehiaramentieri, Cavalcanti, Compiombeft, Gianbonati,
Scali, Gianfigliazzi, Importuni, Boftichi, Tornaquinci,
Vecchietti, Toſinghi, Arigucci, Agli, Adimari, Bie-
domini, Tedaldi, Cerchi, Donati, Arighi und die della
Bella. Alle dieſe Familien nebſt anderen nicht adeligen
wurden über dem Tode Meſſer Buondelmonte's guelfiſch.
Ghibelliniſch aber wurden folgende: die Uberti, Amidei,
und die Häupter waren die Grafen von Gangalandi, die
Ubriachi, Mannelli, Fifanti, Infangati, Maleſpini, die
von Volognana, Scolari, Guidi, Galli, Capiardi, Lam⸗
berti, Soldanieri, Cipriani, Toschi, Amieri, Palermini,
Migliorelli, Pigli, wiewol dieſe zum Theil hernach guelfiſch
wurden, die Barucci, Catani und Catani von Caſtiglione,
Agolanti, Brunelleschi, die indeß fpäter zu den Guelfen
übergingen, die Caponſacchi, Eliſei, Abati, Tedaldini,
33, Männerlift. 167
Giuochi, Galigai. Alle diefe wurden ghibelinifh aus
Anlaß der Ermordung Meffer Buondelmonte's; und fo
theilten und trennten fich alle Herren und Bölkerfchaften
Italiens, nahmen diefen böfen Samen in fi auf und
alle Guelfen hielten zur heiligen Kirche, die Ghibellinen
aber zum SKaifer. — So begann alfo mit einem Danbel
über eine Hündin die guelfifche und ghibellinifche Parteiung
in Deutfchland, die dann auch in Stalien über einem
Weibe ausbrach, wie zuvor gefagt ift.
33. MNännerlift.
(9, 1.)
In der hochedeln Stadt Venedig lebte einft ein Doge,
der ein hochherziger, meifer und reicher Mann war, und
vorfihtig und Hug in allen Stüden, mit Namen Meffer
Baleriano von Meffer Vannozzo Accettani. An der Haupt-
firhe zu Sanct Marcus in Venedig war ein Glodenthurm,
der ſchönſte und reichfte, ben es geben konnte umd der
Hauptſtolz Venedigs zu jener Zeit. Diefer Thurm war
nun aber auf dem Punkte einzuflürzen wegen einiger
Fehler in der Grundlage. Deshalb ließ der Herr Doge
in ganz Stalien umher nachforfchen und ausfchreiben: '
wer. e8 übernehmen wolle, befagten Thurm auszubeſſern,
möge zu ihm kommen, er folle Geld bekommen, fo viel
er zu fordern und zu verlangen Luſt habe. Da entfchlof
fih ein wackerer florentinifcher Meifter Namens Binde,
welcher zu Florenz wohnte und vernahm, wie es mit dem
Thurme ftche, das Unternehmen zu wagen, brach alfo mit
feinem Sohne und feiner Frau von Florenz auf und ging
nad) Venedig. Ws er den Thurm fah, nahm er ſich vor,
ihn auszubeffern, ging zum Herzog und fprach: Gnaͤdiger
Herr, ich komme Hierher, um eurem Thurme zu helfen.
168 III. Giovanni Fiorentino. :
Darüber erwies ihm der Doge große Ehre und fagte
unter vielem Andern: Lieber Meifter, ich bitte euch, be-
ginnt nur eure Arbeit fo bald ale möglich! Ich will
auch zufehen.
Der Meifter fagte: Gnädiger Herr, das foll ge-
jchehen ! |
Und fogleich ordnete er die Arbeit an und dur
großen Fleiß richtete er in kurzer Zeit den Thurm der-
“ geftalt wieder her, dag er fchöner mar als zuvor. Das
machte nun dem Herzog große Areude und man gab dem
Meifter das Geld, das er verlangte, er machte ihn zum
Bürger von Venedig und verlieh ihm ein reiches Ein-
fommen. Ferner fagte er zu ihm: Nun follt ihr mir,
einen Palaft bauen, welcher eine Kammer enthalte, in
die der ganze Schag und alles Vermögen der Gemeine
von Venedig niedergelegt werben Tann.
Der Baumeifter traf fogleich alle Anftalten, um
den befagten Palaft zu errichten und machte darein eine
Kammer, die fchöner und beffer gelegen war, als alle
andern, in welche der befagte Schag kommen follte.
Dabei. brachte er fehr liftig und Punftreich einen Stein
an, welcher beraus- und bineinging, in der Abficht, in
die Kammer nad feinem Gefallen einzubringen; von
dDiefem Eingang aber wußte fein Menfch, als er. Als
nun der Palaft fertig war, ließ der Herzog alles Foft-
bare Geräth, damaftene Stoffe mit Solh durchwirkt,
Tapeten, Bankteppiche, Mäntel und anderes Zeug und
Bold und Silber in Menge in die Kammer bringen.
Man nannte dies nun die Turpea des Dogen und der
Gemeine von Venedig; fie war mit fünf Schlüffeln ver-
fhloffen, deren vier die vier erfien Bürger Venedigs hatten,
die dazu beauftragt waren und welche die Kämmerlinge
des Schatzes von Venedig hießen; den fünften Schlüffel
aber hatte der Doge. So konnte alfo die Schaglammer
nicht geöffnet werden und es mußten alle fünf dazu zu⸗
fammentonmen, welche die Schlüffel in Händen hatten.
. 33, Männerlift. 169 |
As nun biefer Bindo mit feiner Familie in Venedig
lebte und bürgerlich geworden war, fing er an, Aufwand
zu machen und wie ein reicher Mann zu leben; und fein
Sohn Ricciardo gab fich ungeorbneter Verſchwendung hin,
fodag es ihnen in Kurzem an Mitteln für ihren über:
mäßigen Aufwand fehlte. Da rief der Vater einft bei
Nacht feinem Sohne, nahm eine kleine Leiter und ein
geeignetes Hebeifen, und ein wenig Mörtel mit und fo
gingen fie an das Loch, welches der Baumeifter fo Funft-
voll in der Kammer angebracht Hatte. Er legte die Reiter
an, hob den Stein heraus, fehlüpfte in die Kammer und
zog einen fchonen goldenen Becher hervor, der in einem
Schranke ftand, ging dann heraus und fegte ben Stein
wieder an feine gehörige Stelle. Zu Haufe angelangt -
zerfchlugen fie den Becher und fchidten ihn ſtückweiſe
zum Verkauf in einige lombardifche Städte. Auf biefe
Weiſe führten fie das ungeorbnete Leben fort, das fie
angefangen hatten. — Nun begab es fich, daß ein Car⸗
dinal nad) DBenedig zu dem Derzog kam, bem man be»
fondere Ehre erzeigen wollte, und fo mufte man bie
Kammer öffnen, wegen bes darin befindlichen Geräthes;
Silberzeugs, Tapeten und anderer Dinge. Als man fie
nun aufmachte und die befagten Gegenftände herausnahm,
vermißte man den Becher. Darüber entfland nun unter
den Berwaltern der größte Lärm, fie gingen zu dem
Dogen und fagten ihm, daß man den Becher nicht mehr
febe. Der Doge verwunderte fi) und fagte: Das müßt
ihr untereinander ausmachen.
Und nad) langem Hin» und Derreben befahl er ihnen,
von der Sache nichts zu fagen, noch etwas deshalb vor-
zunehmen, bis ber erwartete Gardinal wieder abgereift fei.
‚ Und fo gefchah’8 auch. Der Eardinal Fam und ed wurde
ihm große Ehre erwiefen; als er aber fort war, fandte
der Doge nach den vier Kämmerlingen und verlangte
nun zu wiffen, wo der Becher bingefommen ſei. Er
befahl ihnen, nicht eher aus dem Palafte zu sen, bis
Stoliänifcher Novellenfchat. I.
170 II. Giovanni Biorentino.
der Becher wiebergefunden fei, und ſprach: Ihr habt es
allein zu verantworten.
Die vier Männer traten zufammen und befannen fi ch,
wußten ſich aber auf keine Weiſe zu erklären, wie der
Becher weggekommen fei.
Überlegen wir, fagte einer von’ ihnen, ob man in
die Kammer auch auf anderm Wege gelangen kann, als
durch die Thüre.
Sie ſchauten umher, erblickten aber nirgends eine
Offnung. Sie wollten liſtiger zu Werke gehen und ließen
die Kammer mit dürrem Stroh füllen, zündeten es an
und verſchloſſen Thüre und Fenſter, damit der Rauch
nicht hinauskönne. Als nun das Stroh brannte, ent
ftand ein fo gewaltiger Rauch, daß er durchfchwigte und
ſich Bahn machte durch jene Offnung. So merkten fie
denn, von welcher Seite ber Schaden Fam, gingen zum
Dogen und fagten ihm, wie die Sache ſtehe.
Haltet es ganz im Stillen, fagte der Herzog; dann
tönnen wir ben Dieb über ber That ertappen.
Dann ließ er einen Keffel mit Pech in der Kammer
unter dem Loche aufftellen und darunter Zag und Nacht
ein Feuer unterhalten, ſodaß das Pech beftänbig fott.
Als nun das aus dem Becher erlöfte Gelb zu Ende war,
gingen der Meifter und der Sohn eines Nachts wieder
an die Offnung, nahmen den Stein heraus und ber
Meiſter ftieg hinein und fiel in den immer fiebenden
Pechkeſſel. Als er nun bis zum Gürtel im Keffel ftand
und nicht mehr loskommen konnte, bielt er feinen Tod
für gewiß. Er faßte daher fchnell feinen Entſchluß, rief
feinen Sohn und ſprach: Mein Sohn, ich bin bed Todes;
darum fchneid mir ben Kopf ab, damit der Betrug nicht
entdedit werde und nimm den Kopf mit dir und verfcharre
ihn an einem Orte, wo er nicht gefunden wird! Tröſte
deine Mutter und fuche auf eine vorfüchtige Weiſe bavon-
zufommen! Und wenn dich jemand nach mir fragt, fo
fage, id) fei nach Florenz gegangen in Geſchäften.
33. Maͤnnerliſt. | 171
Der Sohn fing an zu weinen und jämmerlich zu
Magen, fihlug die Hände zufammen und rief: Wehe,
men Bater! |
Der Bater aber fügte: Mein Sohn, es ift beffer,
es flirbt einer, als zwei, und darum thu, was ich bir
fage, und eile! |
Da ſchnitt der Eohn dem Vater den Kopf ab und
trug ihn binweg, ber Rumpf aber blieb im Keffel und
fott in dem Peche dermaßen, daß er ganz abfiel. Der
Sohn kehrte nach Haufe und beerdigte den Kopf des
Vaters, fo gut er wußte und fonnte, und dann fagte
er es der Mutter. Als fie nun eine große Wehklage
erheben wollte, ſchlug der Sohn die Arme übereinander
und fagte: Wenn ihr Lärm macht, find wir in Gefahr,
ums Leben zu fommen; darum, liebe Diutter, feid be
fonnen!
Damit brachte er fie zur Ruhe. — Um folgenden
Morgen wurde der Reichnam gefunden und zum Dogen
gebracht, welcher fid, über dieſe Sache außerordentlich
verwunderte; und da er fich nicht denken konnte, wer
es fei, fprach er: Weil bier offenbar zwei im Spiele find,
wollen wir, nachdem wir den einen gepadt haben, nun
aud den andern paden.
Einer der vier Bermalter ſprach: Ich habe bie Art
und Weiſe gefunden, nämlich folgende. Es ift nicht
möglich, daß er nicht Weib oder Kinder oder fonftige
Verwandte im Lande habe; laffen wir nun den Körper
durch die ganze Stadt fehleppen und [hidden Wachen mit,
daß fie beobachten, ob jemand weint oder jammert; und
wenn es ſich findet, fol man diefen verhaften und ver⸗
hören. Auf diefe Weife werden wir wol den Mitfchul-
digen finden.
So wurde es befchloffen und fie ließen den Körper
in der ‘ganzen Stadt umherſchleifen und Wachen hinter
drein. Als fie nun an fein Haus famıen, trat die Freu
ans Fenſter, und als fie den Leichnam ihres Gatten fo
se
172 1. Giovanni Fiorentino.
mißhandeln fah, fließ fie einen heftigen Schrei aus. Da
fagte der Sohn: Wehe, meine Mutter, was macht ihr?
Er war aber fchnell befonnen, ergriff ein Meffer,
ſchnitt fih in die Hand und brachte fich eine große
Wunde bei. So wie die Wachen das Gefchrei vernah-
men, das die Frau auffchlug, liefen fie in das Haus
und fragten die Frau, was fie habe.
Der Sohn antwortete: Ich habe mit diefem Meffer
gefchnitten und mic, in der Hand verlegt. Deswegen
hat meine Mutter einen Schrei ausgeftoßen, in Beforgniß,
ich) babe mir mehr wehe gethan, als in der That der
Fall if. Als die Wachen die Hand bluten fahen und
bie Wunde und was fich begeben hatte, glaubten fie es
ihm und zogen im ganzen Bezirf umher, ohne jemand
zu finden, der fich auch nur erzürnt gezeigt hätte. Sie
kehrten alfo unverrichtetere Dinge zum Dogen zurüd und
faßten nun den Entſchluß, den Leichnam auf dem Markte
aufzuhängen und gleichfalls im Werborgenen Wachen
bazuzuftellen, um Tag und Nacht zuzufehen, ob jemand
komme, um den Todten zu bejammern oder zu beweinen.
Es verbreitete fi) das Gerücht in ber Stadt, der Leich-
nam fei auf dem Plage aufgehängt, und viel Volks
ging hin, darnach zu fehen. Als nun die Frau fagen
hörte, daB ihr Mann auf dem Plage aufgehangen fet,
fagte fie oftmals zu ihren Sohne, es fei dies für fie
die größte Schmach, ihren Vater auf diefe Weife auf:
gehängt zu fehen. Der Sohn antwortete: Liebe Mutter,
feid um Gottes willen ruhig! Das Vorfchrtiten mit dem
Leichname gefchieht einzig und allein, um mid) zu er-
wiihen. Habt nur eine Weile Geduld! Diefes Miß-
geſchick wird auch vorubergeben.
Die Mutter aber konnte es nicht aushalten und fagte
mehrmals: Wäre ich ein Mann, wie ih ein Weib bin,
fo müßte ich ihn nicht jegt erft abnehmen; und wenn
du ihn nicht wegnimmſt, fo gehe ich einmal bei Nacht
felbft Hin. '
33, Männerlift. 175
Als der Süngling den feften Entfchluß feiner Mutter
fah, befann er fich, wie er den Leichnam losmachen könne.
Er kaufte alfo. zwölf ſchwarze Mönchskutten, ging eines
Abends in den Hafen, nahm zwölf Kaftträger mit und
führte fie durch eine Hinterthüre feines Haufes in eine
Heine Stube, wo er ihnen zu effen und zu trinken gab,
‚fo viel fie Luft hatten. Und als er fie in gehörige Wein⸗
laune verfegt hatte, zog er ihnen die Mäntel an mit
Zarven’ vor dem Gefiht und gab jedem eine brennende
Fackel in die Hand, wodurch fie ein Ausfehen bekamen,
wie Teufel aus der Hölle, fo fehr waren fie durch Diefe
Masten entftellt. Er felbft flieg auf ein Pferd*), ganz
in Schwarz gehüllt, und die Pferdedecke war voll Hafen
und an jedem Haken mar eine brennende Kerze befeftigt;
vor das Geficht hatte er eine abenteuerliche Maske be-
feftigt; fo ftelte er fi, an ihre Spige und fagte zu ihnen:
Thut, was ihr mich werdet thun fehen.
So begaben fie ſich nach dem Plage, auf welchem
der Leichnam aufgehangen war, und rannten auf dem
Plage Hin und ber; es war Mitternacht vorüber und
die tieffte Finſterniß. Als nun die Wachen diefe ſelt⸗
fame Erfcheinung fahen, fürchteten fie fi) und meinten,
es feien böfe Gefpenfter aus der Hölle und der auf dem
Pferde mit der gräulichen Geſtalt fei der alte Lucifer
felber. Als fie ihn daher auf den Galgen zukommen .
fahen, liefen fie in großer Angft dapon. Er nahm den
Leichnam, legte ihn über den Sattelbogen und jagte der
Gefellichaft voraus feinem Haufe zu. Dort gab er ihnen
Geld, 308 ihnen die Kutten aus und fchidte fie weg,
verfcharrte auch den Leichnam, fo heimlich er konnte.
Am Morgen wurde dem Herzog berichtet, der Leichnam
*) In Bendig? Das Mähren hat offenbar vielfah durd die
Abftreifung des urfprüngliden ägyptiſchen Goftümd verloren.
Bol. Über die Duelle und fonftigen Bearbeitungen meinen
roman des sept sages, S. CXCH. Bübeler’s Diocletian
S. 55 der Einleitung. |
174 IN. Giovanni Fiorentino.
fei abgenommen. Der Doge fandte nach den Wachen
und wollte wiffen, wo der Leichnam hingekommen fei.
Snädiger Herr, fagten bie Wächter, ich verfichere
euch, heute Nacht, ed war Mitternacht vorüber, da kam
eine große Schaar von Teufeln und unfer ihnen fahen
wir deutlich den alten Lucifer, der wahrfcheinlich diefen
Leichnam gefreffen Hat. Wir find’ deshalb geflohen, als
wir eine ſolche Heeresmacht dem Körper zu Siebe an⸗
kommen fahen. J
Der Doge ſah klar, daß hier eine Bosheit dahinter-
ſtecke, und wurde nur um ſo begieriger zu erfahren und
zu erkunden, wer es ſei. Er hielt daher einen geheimen
Rath, worin beſchloſſen wurde, es dürfe zwanzig Tage
in Venedig kein friſches Fleiſch verkauft werden. Es
geſchah und jedermann wunderte ſich über dieſe Beſtim-
mung. Dann ließ er ein ſehr ſchönes Milchkalb ſchlachten
und aushauen zu einem Gulden das Pfund und ſagte
zu dem Verkaͤufer, er ſolle Acht haben auf alle, bie
davon nehmen, denn er dachte bei fi, fo: Gemeiniglich
find die Diebe gelüftig; fo wird fi denn auch diefer
nicht enthalten koͤnnen zu holen und die Ausgabe von
einem Gulden für das Pfund nicht anfchlagen.
Er ließ alfo bekannt machen, wer Fleifch wolle, folle
auf den großen Plag kommen. Alle Kaufleute und
‚ Ebelleute Famen um des Milchkalbs willen; da man aber
hörte, daß er einen Gulden für das Pfund begehre,
nahm niemand davon. Die Sage verbreitete fih durch
bie Stadt und kam auch der Mutter des Jünglings,
welcher Ricciardo hieß, zu Ohren. Da fprad fie zu
ihrem Sohne: Es gelüftet mic) nad, einem Stückchen
von biefem Kalbfleifch.
Ricciardo antwortete: Liebe Mutter, eilt nicht fo,
laßt erft andere den Anfang madhen! Dann will ich
euren Wunfch erfüllen und euch davon verfchaffen. Aber
ich möchte nicht der erfte fein, der davon nimmt.
Die Mutter indeh, die eine unbefonnene Frau mar,
33. Männertifl. . 1175
beunruhigte ihn fortwährend mit ihren Wünfchen, und
aus DBeforgniß, fie möchte am Ende einen andern hin⸗
ſchicken und ‚Taufen laffen, beftellte der Sohn eine Torte
und verfchaffte ſich eine Flaſche mit Opium gemifchten
Wein, um einzufchläfen; nun nahm er einige Brode,
die Torte und den Bein, 'und ale ed Nacht war, machte
er ſich einen Bart und eine Kapuze und ging an ben
Ort, mo das Kalbfleifch verkauft wurde. Noch war das
Kalb ganz unangegriffen, und als er gepocht hatte, fagte
einer der Wächter: Wer bift bu?
Ricciardo entgegnete: Könnt ihr mir wol fagen, mo
ein gewiffer Glück wohnt?
Einer von ihnen fragte weiter: Was für ein Glück?
Ricciarbo antwortete: Seinen Geſchlechtsnamen weiß
ich nicht; Gott verdamm mid, daß ich mit ihm zu thun
haben foll.
Wer fchidt dich denn? fagte einer von jenen.
Seine Frau, verfegte Ricciardo; fie gab mir die
Sachen da, um fie ihm zu überbringen, daß er zu
Nacht fpeife. Aber thut mir doch den Gefallen und
hebt mir die Sachen auf, bis ich nach Haufe gehe und
beffer erfahre, wo er ift. Ihr dürft euch nicht wundern,
daß ich es nicht weiß; ich bin erft feit kurzem hier.
Da ließ er ihnen die Torte, das Brod und den Wein
und that, ald ob er wegginge, mit den Worten: Ich
komme gleich wieder.
Sie nahmen dieſe Sachen und einer von ihnen fügte:
Schau doch, Glück ift freilich diefen Abend bei und ein-
gekehrt.
So fegte er die Flajche an den Mund und tranf,
veichte fie feinem Kameraden und fprad): Bich! Du haft
noch nie beffern getrunfen.
Der Kamerad tranf und während fie über den Vor⸗
fall plauderten, fchliefen fie ein. — Ricciardo, der an
einer Ritze der Thüre laufchte, trat, fobald er fie ſchlafen
fah, herein, nahm das Kalb, trug es ganz nach Haufe
176 II. Giovanni Fiorentino.
und fagte zu feiner Mutter: Nun fchneidet euch herunter
jo viel euch gelüftet!
Nun zerlegte er das Kalb und die Mutter kochte
davon eine große Schüffel voll..— Sobald ber Doge
erfuhr, daß das Kalb geftohlen fei, und auf welche Art
man fi) bei dem Diebftahl benommen habe, wunderte
er fih fehr und nahm ſich feſt vor, herauszubringen,
wer es ſei. Er ließ daher hundert arme Leute kommen,
fhrieb alle namentlih auf und fprah dann zu ihnen:
Geht in alle Häufer Venedigs und thut als fordertet ihr
Almofen, gebt aber Acht, ob ihr in keinem Haufe Fleifch
kochen oder eine große Pfanne am Feuer fehet, und feid
fo zudringlich, daß ihr nicht machlaffer, bis man euch
Sleifch oder Brühe gebe. Wer von euch mir melches
bringt, dem laſſe ich zwanzig Gulden ausbezahlen.
Als nun die hundert Zaugenichtfe fih in der Stadt
umber zerftreuten, um Almofen zu fordern, verfiel wirklich
Auch einer von ihnen auf das Haus dieſes Nicciardo’s,
und als er hinaufkam, fah er deutlich das Fleifh, das
jene kochten, und erbat fi) um Gottes willen ein Stüdchen
davon. Die Frau, welche ihre Fülle betrachtete, mar
unvorfihtig genug, ein Schnigelchen abzugeben. Der
Deitiet dankte ihr und ſprach: Ich will Gott für euch
itten.
So eilte. er die Treppe hinunter. Nicciardo aber
begegnete bem Armen auf der Treppe und als er fah,
daß er von dem Fleifche in der Hand hielt, ſprach er
F ihm: Komm wieder mit herauf, ich will dir mehr
geben.
Der Bettler ſtieg mit ihm hinauf, Ricciardo aber
führte ihn in eine Kammer, ſchlug ihn mit einem Beil
auf den Kopf, und als er ihn getoͤdtet hatte, warf er
ihn in den Abteitt und fchloß das Haus. Am Abend
famen alle die Bettler zu dem Herzoge zurüd, mie fie
. verfprochen hatten, umd jeber von ihnen fagte, er habe
nichts. finden können. Der Doge ließ fie zählen und
33. Maͤnnerliſt. 177
fi) namentlih ausweifen; da fand er, daß einer fehle,
wunderte ſich, merkte aber glei, woran er war, und
fagte: Der ift gewiß umgebracht morben.
Er verfammelte den Rath und fprah: Ich muß
fürwahr wiffen, wer das ift.
Da fprach einer der NRäthe: Gnädiger Herr, ihr habt
es verfucht mit dem Lafter der Gefräfigkeit: verfucht es
auch mit dem Lafter der Wolluſt!
Der Herzog ſprach: Wer mehr weiß, thue auch mehr!
Es wurden alfo fünfundzwanzig Zünglinge der Stadt
aufgeboten, die boshafteften und liſtigſten, und die,
welche der Doge am meiften im Verdacht hatte, und einer
darunter war diefer Ricciardo. Als fie nun im Palaſte
behalten wurben, wunderten fie ſich und einer fagte zum
andern: Warum behält und denn der Doge bier?
Sofort ließ der Herzog in einem Saale fünfundzwanzig
Betten aufichlagen, wo dann jeder diefer Jünglinge eines
für fi hatte. Mitten im Saale aber ließ er ein präch-
tiged Bette errichten, wo feine Tochter fchlief, die das
fhönfte Geſchöpf von der Welt war. Und jeden Abend,
fobald die Männer fchlafen gegangen waren, kamen ihre
Kammerfrauen und brachten biefe Tochter des Herzogt
zu Bette. Der Vater aber hatte ihr eine Schale mit
ſchwarzer Zinte gegeben und gefagt: Wer zu bir ans
Bett kommt, dem beftreiche dad Geſicht, damit man ihn
kennt.
Darüber wunderte ſich ein jeder und keiner wagte
zu ihr zu gehen, denn er dachte: das iſt fürwahr eine
eenfthafte Geſchichte.
Ricciardo aber gedachte bei ſich, einsmals eine Nacht
mit ihr zuzubringen, und als Mitternacht vorüber war
und er fein Gelüfte nicht mehr banbigen konnte, fland
er. ganz leife auf, ging an das Bette, in welchem fie lag,
legte fih ihr zur Seite und fing an fie zu umarmen
und zu Züffen. Das Mädchen erwachte, tippte fogleich
mit dem Singer in die Schale und beftrich Ricciardo's
8*4
178 III. Giovanni Kiorentino.
Geſicht, ohne daß er etwas merkte. Als er nun mit dem
fertig war, weshalb er gekommen, und das gewünfchte
- Vergnügen genoffen hatte, kehrte er in fein Bett zurück
und dachte bei ſich: Was ſoll das beißen Was für eine
Lift ſteckt mol barunter?
Nach einer Weile däuchte ihm die Koft ſchmackhaft,
er befam daher Kuft, zu dem Mädchen zurüdzufehren,
und fo that er denn auch. Als er denn bei biefem Engel
bed Paradiefed Iag, kam fie zu fich,. fie beftxich ihn und
rieb es ihm ins Geficht. Als Ricciardo das merkte, nahm
er die Schale, die auf dem Kopfbrette der Bettlabe fand,
ging damit überall umher und beftrih die andern, bie
in den Betten lagen, ganz fanft, fodaß Feiner es merkte.
Dem einen gab er zwei. Striche, bem andern ſechs, bem
dritten zehn und fich felbft vier weitere außer ben zweien,
die ihm das Kind gemacht hatte. Dann fegte er bie
Schale wieder arı das Kopfende des Bettes, verfchaffte
ihr unter großem Genuffe einige Kurzweil und kehrte
darauf in ſein Bett zurück. Am Morgen kamen zeitig
die Kammerfrauen an das Bert bes Mädchens, um fie
ankleiden zu helfen, und begleiteten fie barauf zum Herzog,
weicher fie fragte, wie es gegangen ſei.
Gut, fagte die Tochter, benn ich habe gethan, was
ihr mir aufgetragen. Es iſt allerdings einer dreimal zu
mir gefommen und jebes mal habe ich ihn beſchmiert.
Der Doge fandte gleich nach den Männern aus, mit
welchen er fich berathen, und fagte: Ich habe den guten
Freund erwiſcht und darum habe ich zu euch geſchickt;
wir mollen miteinander hingehen und nachſehen.
Sie gingen in den Saal und befchauten bald biefen
und jenen, und da fie ale beſchmiert fahen, brachen fie
in das lauteſte Gelächter aus.
Fürwahr, ſagten ſie, das iſt der groͤßte Schlankopf,
den man je gefunden hat.
Nur zu gut merkten fie, daß einer die andern alle
beſchmiert hatte. Als nun einer wie der andere von
34. Spaniſch- deutſcher Krieg. 179
diefen Jünglingen ſich befchmiert fah, hatten fie unter-
einander den größten Jubel und Spaß darüber. Der
Doge vernahm fie allefammt, und da er nicht außforfchen
konnte, wer ed gewefen fei, entfchloß er fi dennoch,
ed herauszubringen. Er verſprach alſo dem, der es ge⸗
weſen ſei, ſeine Tochter mit einer reichlichen Mitgift zur
Ehe, dazu volle Verzeihung, da es nur ein Mann vom
größten Verſtande fein könne. Als nun Ricciardo den
Entſchluß des Herzogs ſah und vernahm, ging er ind
geheim zu ihm und vertraute ihm Alles von Anfang bie
‚gu Ende. Der Herzog umarmte ihn und vergab ihm,
und unter großen Feierlichkeiten wurbe ihm feine Tochter
angetraut. Ricciardo faßte wieber Muth unb wurde ein
fo bochherziger, maderer und tüchtiger Mann, daß faft
die ganze Staatsverwaltung in feine Hand fam. So
febte er noch Tange in Prieden und geliebt von der
. ganzen Bürgerfchaft Venedigs.
34. Spanifch:deutfcher Krieg.
(9, 2.)
Saturnina erzählt:
Der König von Aragon hatte eine Tochter, Namens
Lena, jung, ſchön, liebenswürdig, geſittet und verſtändig,
wie die Natur ſie nur bilden konnte. Daher glänzte der
Ruhm dieſes edeln Weſens durch das ganze Land und
viele wackere Herren verlangten fie zur Frau, ber Vater
aber fchlug fie allen ab und mollte fie nicht hergeben.
: Nun hörte der Sohn des Kaifers, Namen? Arrighetto,
von den Reizen ber Jungfrau und verliebte ſich in die-
felbe, dachte auch an nichts weiter, ald wie er fie zur
Frau erhalten könne, und machte in Kurzem einen groß-
180 IT. Giovanni Fiorentino.
artigen und edein Plan. Er hatte bei fi einen Gold⸗
ſchmied, den größten Meifter, den man finden konnte,
und ließ ihn einen fehr fehönen Adler von Gold fertigen
“ in der Größe, daß ein Menſch darin ſtehen konnte.
Als der Adler fertig war, ſo ſchoͤn und meiſterhaft, daß
es kaum zu ſagen iſt, gab er ihn dem Meiſter, der ihn
gefertigt hatte, und ſprach: Geh mit dieſem Adler nach
Aragon und richte eine Bude auf von deinen Arbeiten
auf dem Plag vor dem Schlofje, worin die Tochter des
Königs wohnt, bring den Adler täglich heraus auf die
Bank und fage, du wolleft ihn verfaufen. Ich werde
gleichzeitig hinkommen; thue, was ich dir fage, und küm⸗
mere dich um fonft nichts.
Der Meifter trug feine Arbeit weg, nahm viel Geld
zu fih und begab fi) nach Aragon, wo er eine Bude
dem Palafte gegenüber errichtete, in welchem, diefe Zochter
des Königs wohnte, und fing an, an feinen Meifterftüd .
zu arbeiten. ‚Dann ftellte er einige Tage ber Woche den
Adler aus, und zog die ganze Stabt herbei, um das
Merk anzufehen, fo wunderbar und fhon war ed. Eines.
Tages Fam auch, die Königstochter, fah den Adler und
ließ ihrem Vater fagen, fie wünfche ihn als Zierat zu
haben. Der Vater ließ bei dem Deeifter wegen bed
Kaufes anfragen; Arrighetto war indeß bereits ange-
fommen und ber Meifter befprach fich mit ihm, der ſich
im Derborgenen im Haufe bed Goldſchmieds aufhielt:
Arrighetto ſprach zu dem Meifter: Gib zur Antwort,
du mögeft ihn nicht verkaufen, allein wenn er ihr gefalle,
wolleft du ihr gern damit ein Geſchent machen.
Der Goldſchmied ging zum König und ſprach: Mein
Gebieter, ich möchte den Adler nicht verkaufen; aber
wenn er euch gefällt, ſo nehmt ihn, ich mache euch gerne
damit ein Geſchenk.
Der König ſprach: Laßt ihn heraufbringen, wir wer⸗
den dann bald miteinander eins werden.
Der Meiſter antwortete: Es ſoll geſchehen.
| 34, ESpaniſch · deutſcher Krieg. 181
Dann ging er zu Arrighetto zurück und ſprach zu
ihm: Der König will ihn ſehen.
Da kroch Arrighetto fogleich in den Vogel und nahm
einige feine Speifen mit, welche der Natur aufhelfen
fonnten, und machte den Vogel innen fo zurecht, daß
man ihn nad‘ Bequemlichkeit öffnen und fchließen konnte.
Dann ließ er ihn vor den König bringen. Als biefer
das ſchöne Stud fah, übergab er es feiner Tochter und
ber Meifter ftellte es ihr in ihrer Kammer neben das
Bette des Fräuleins auf. Als er es zurecht gemacht
‚hatte, fagte er zu ihr: Madonna, dedt das Stück mit
nichts zu! Es ift ein Gold, wenn man es zudedit, wird
ed ſchwarz und verliert feinen Glanz.
Serner fagte er zu ihr: Madonna, ih werde oft
hierher fommen, um darnach zu fehen.
Das Fräulein entgegnete offen, es fe ihr ganz lieb.
&o ging ber Goldfchmied zum Könige zurütk und fagte,
der Vogel gefalle dem Fräulein fehr.
Und, fegte er hinzu, ich will machen, daß er ihr
noch mehr gefällt, denn ich arbeite an einer Krone, die
der Vogel auf dem Kopfe tragen muß.
Dem König machte died große Freude, er ließ viel
Geld Herbringen und fprach: Meifter, bezahle dich felbft
nad) deinem Gutdünken!
" Snädiger Herr, verfegte der Meifter, ich bin ſchon
begabt, da ich eure Huld befige.
Und fo viel auch der König redete, konnte er ihm
00 fein Geld aufdrängen, fondern fagte: Ich bin ion.
ezahlt.
Als nun bei Nacht die beſagte Lena im Bette lag
und ſchlief, ſchlüpfte der beſagte Arrighetto aus dem
Vogel, ſchlich leiſe an das Bett, worin die lag, die er
mehr als ſich ſelber liebte, und küßte ihr ſanft ihre weiß
und rothe Wange. Das Mädchen kam zu ſich, hatte
bie größte Angſt und fing an zu beten: Salve regina
misericordiae! .
180 III. Giovanni Fiorentino.
artigen und edeln Plan. Er hatte bei ſich einen Gold⸗
ſchmied, den größten Meifter, ben man finden konnte,
und ließ ihn einen fehr ſchönen Adler von Gold fertigen
“ in ber Größe, daß ein Menſch darin ftehen konnte.
Als der Adler fertig war, fo ſchoͤn und meifterhaft, daß
es kaum zu, fagen ift, gab er ihn dem Meifter, der ihn
gefertigt hatte, und ſprach: Geh mit diefem Adler nach
Aragon und richte eine Bude auf von deinen Arbeiten
auf dem Plag vor dem Schloffe, worin die Tochter des
Königs wohnt, bring den Adler täglich heraus auf die
Bank und -fage, du wolleft ihn verfaufen. Ich werde
gleichzeitig hinfommen;z thue, was ich dir fage, und küm⸗
mere dich um fonft nichte.
Der Meifter trug feine Arbeit weg, nahm viel Geld
zu ſich und begab ſich nad, Aragon, wo er eine Bude
dem Palafte gegenüber errichtete, in welchem, diefe Tochter
des Könige wohnte, und fing an, an feinem Meiſterſtück
zu arbeiten. Dann ſtellte er einige Tage der Woche den
Adler aus, und zog die ganze Stadt herbei, um das
Werk anzufehen, fo wunderbar und ſchön war ed. Eines.
Tages Fam auch bie Königstochter, fah ben Adler und
ließ ihrem Water fagen, fie wünſche ihn als Zierat zu
haben. Der Vater ließ bei dem Meifter wegen des
Kaufes anfragen; Arrighetto mar indeß bereitd ange-
kommen und ber Meifter befprach ſich mit ihm,ber ſich
im Verborgenen im Haufe des Goldſchmieds aufhielt.
Arrighetto ſprach zu dem Meifter: Gib zur Antwort,
du mögeft ihn nicht verkaufen, allein wenn er ihr gefalle,
wolleft du ihr gern damit ein Geſchent machen.
Der Goldſchmied ging zum König und ſprach: Mein
Gebieter, ich möchte ben Adler nicht verkaufen; aber
wenn er euch gefällt, fo nehmt ihn, ich mache euch gerne
damit ein Gefchenf.
Der König fprach: Laßt ihn heraufbringen, wir wer⸗
den dann bald miteinander eins werden.
Der Meiſter antwortete: Es ſoll beſchehen.
"34. Spaniſch-deutſcher Krieg. . 181
Dann ging er zu Arrighetto zurüd und ſprach zu
ihm: Der König will ihn fehen. -
Da kroch Arrighetto fogleich in den Vogel und nahm
einige feine Speifen mit, welche der Natur aufbelfen
tonnten, und machte den Vogel innen fo zurecht, daß
man ihn nach‘ Bequemlichkeit öffnen und fchließen konnte,
Dann ließ er ihn vor den König bringen. ALS dieſer
das ſchöne Stud fah, übergab er es feiner Tochter und
ber Meifter ftellte es ihr in ihrer Kammer neben das
Bette bed Fräuleins auf. Alb er es zurecht gemacht
‚hatte, fagte er zu ihr: Madonna, dedit das Stüd mit
nichts zu! Es ift ein Gold, wenn man es zudeckt, wird
ed ſchwarz und verliert feinen Glanz.
Ferner fagte er zw ihre: Madonna, ich werde oft
hierher kommen, um darnach zu ſehen
Das Fraͤulein entgegnete offen, es ſei ihr ganz lieb.
So ging der Goldſchmied zum Könige zurütk und ſagte,
der Vogel gefalle dem Fraͤulein ſehr.
Und, ſetzte er hinzu, ich will machen, daß er ihr
noch mehr gefällt, denn ich arbeite an einer Krone, die
der Vogel auf dem Kopfe tragen muß.
Dem König machte dies große Ereube, er ließ viel
Geld herbringen und ſprach: Meifter, bezahle dich felbft
nad) deinem Gutdünken!
* Snädiger Herr, verfehte der Meifter, ich bin Schon
bezahlt, da ich eure Huld befige.
Und fo viel auch der König redete, Tonnte er ihm
vo fein Geld aufdrängen, fondern fagte: Ich bin ſchon
bezahlt.
Als nun bei Nacht die beſagte Lena im Bette lag
und ſchlief, ſchlüpfte der beſagte Arrighetto aus dem
Vogel, ſchlich leiſe an das Bett, worin die lag, die er
mehr als ſich ſelber liebte, und küßte ihr ſanft ihre weiß
und rothe Wange. Das Mädchen kam zu ſich, hatte
bie größte Angſt und fing an zu beten: Salve regina
misericordiae! i
182 ‚III. Giovanni Fiorentino.
Und zitternd rief fie einer Kammerfrau, während
Arrighetto eilig in den Vogel zurückkehrte. Die Kammer-
frau ftand auf und fagte: Was wollt ihr?
IH habe einen geſpürt, antwortete fie, hart neben
mir, ber mir das Gelicht berührte.
Die Kammerfrau durchfuchte das ganze Zimmer und
fah und hörte nichts; und da fie nichts fand, kehrte fie
in das Bert zurüd und fprach: Sie hat ficher geträumt.
Nach einer Weile kam Arrighetto mieder ganz. fachte
an das Bert, küßte fie fehr zärtlich und ſprach leife:
Liebe Seele, erſchrick nicht!
Das Fräulein ermachte und ftieß einen heftigen
Schrei aus.
Was haft bu? fagten die Kammerfrauen, welche alle
aufftanden; es ift nichts als ein Traum.
Arrighetto war wiederum in den Vogel zurüdigegan-
gen, fie unterfuchten Thüre und Fenſter, fanden fie aber
verfchloffen, und da fie nichts fahen, fingen fie an, fie
laut auszufchelten und ſprachen: Wenn du dich wieder
rührft, fo fagen wir ed deiner Hofmeifterin. Was find
doch das für Thorheiten, daß du uns nicht willft ſchlafen
laſſen! Das ift eine fchöne Sitte, in der Nacht zu
freien. Sei fo gut und verhalt dich jegt ruhig! - Mache,
daß du fchläfft, und laß uns auch fehlafen!
Da fürkhtete ſich das Mägdlein und nach einer Weile,
als es Arrighetto Zeit ſchien, kam er wieder aus feinem
Vogel hervor, trat Ieife an das Bett und fagte: Meine
‚Lena, frei nicht und fürchte dich nicht!
Sie fragte: Wer bift du?
Arrighetto ſprach: Ich bin der Sohn bed Kaifers.
Sie entgegnete: Wie bift du aber hereingekommen?
Arrighetto antwortete: Verehrungswürdige Dame, das
will ich dir fagen. Es ift fchon lange Zeit, daß ich mich
in dich verliebte, da ich deine Schönheit rühmen hörte,
und oft und viel: bin ich Hergelommen, um bich zu fehen,
aber ich fand fein Mittel; da Tief ich den Adler machen
34. Spaniſch⸗ deutſcher Krieg. 183
und in biefem bin ich: bergefommen, blos um wit bir
eben zu können. Und darum bitte ich Dich, daß es Dir
gefallen möge, Erbarmen nit mir zu haben, dieweil ich
fein anderes Gut, ale dich, auf biefer Welt befige; und
fieh ich habe mein Leben gewagt um beinetiwillen.
Als das Mägblein bie Holden Worte hörte, welche
Arrigbetto zu ihr fagte, wandte fie fich zu ihm, umarmte
ihn und fprah: In Betracht der Gefahr, in bie bu
dich um meinetwillen begeben haft, wäre es eine große
Schändlichkeit von mir, wenn ich es dir nicht vergalte.
Darum bin ich einverftanden, daß du mit mir thueft
nad) deinem Willen; zuvor aber möchte ich doch wiſſen,
wie du ausfiehft. Darum Lehre an deinen Plag zurüd
und fürchte dich nicht, denn morgen will id thun, ale
wünfchte ich zu fchlafen, und bie Kammerthüre fchliefen.
Dann bleibe ich allein und wir koͤnnen einander fehen
und ausführlicher miteinander reden.
Arrighetto antwortete und ſprach: Madonna, und.
wenn ich jept fterben follte, fo bin ich doch froh, daß
du mich zu deinem Diener angenommen haft. Dog
möge es dir gefallen, mich zum Zeichen befielbigen ein
einzig mal zu kuͤſſen.
Das Fräulein küßte ihn anmuthig, denn fie fühlte
fhon im Herzen die Flammen der brennenden Liebe.
Darauf kehrte Arrighetto in den Vogel zurück. Am
folgenden Tage fagte das Fräulein, fie wolle fchlafen,
benn fie konnte den Augenblid kaum erwarten, mo fie
Arrighetto ſähe. Dann ſchickte fie die Kammerfrauen
hinaus, ſchloß das Gemach unb trat zu dem Vogel,
aus welchem alsbald Arrighetto hervorkam und ſich vor
ihr neigte bis auf den Boden. Als ſie in ihm einen ſo
luſtigen und ſchönen Mann erkannte, fiel fie ihm plöglich
um ben Hals und er nahm fie feft in feine Arme.
Ich bin, fprach er, ber glücklichſte Menſch auf der
Melt, denn nun wirb mir die Freude zu. Theil, die ih
fo lange Zeit fehnlich gewuͤnſcht habe.
184 10. Giovanni Fiorentino.
Sodann erzählte er ihr fein ganzes Gefchleht und
wer er war, nebft fo füßen und holden Worten, daß
‚fie duftigen Veilchen glihen, vermifcht mit würzigen
Küſſen. Ih kann die Liebe nicht ausfprechen, die fie
einander fchenkten; und auf diefe Weife blieben fie mehrere
Tage und Nächte beifammen. Das Fräulein verforgte ihn
unterbeffen fortwährend reichlich mit himmlifchen Speifen
und Weinen. Auch kam der Goldſchmied haufig, um
nach dem Vogel zu fehauen, und fragte zugleich Arrig-
hei, ob er nichtd wolle; er antwortete aber jedesmal:
ein. '
Nun ſprach Arrighetto einft zu der Dame: Ich
wünſche, daß wir zufammen nad) Deutfchland gehen in
unfer Daus.
Lieber Arrighetto, antwortete die Frau, ich bin zu⸗
frieden mit dem, was dir gefällt. "
Arrighetto fprach: Ich will weggehen und mit einem -
Schiffe wieder zum Schiffe des Könige kommen, das an
der Kuüfte ſteht, und will mich in einer beftimmten Nacht
dafelbft einfinden. Dann magft du zu deinem Water
fagen, du wolleft fpazieren gehen um die Küfte zu fehen;
dann ermartefi du mich in dem Schloffe; ich komme in
ber Nacht dahin, hole dich auf das Schiff und wir reifen
hinweg.
Die Frau ſprach: So fei es.
Darauf fchidte fie zu dem Goldſchmied und ſprach:
Trag bdiefen Vogel hinweg und mache mir die Krone
darauf, ſodaß ich fie bei meiner Rückkunft fertig finde.
Der Meifter fprah: MWenn der Herr es will, bin
ih einverftanden.
Die Frau ſprach: Thue, was ich bir fage!
Und der Meifter ließ den Vogel in die Bude. brin«
gen. — Als es aber Zeit war, ging Arrighetto heraus,
nahm Abfchied von dem Meifter und ging heimlich hin⸗
weg in fein Land. Dort gab er Befehl, ein fchönes
Schiff auszurüften mit einigen Galeeren, die zur Ver⸗
34. Spaniſch⸗ deutſcher Krieg. 185°
theibigung des befagten Schiffes bewaffüet waren, machte
fih auf und kam an die Burg bed Könige von Aragon,
mie verabredet worden mar. Inmittelſt fagte das Sräu-
lein zu ihrem Bater: Mein Gebieter, ich wünfchte in
ben Hafen zu gehen, um Die Küfte zu fehen und einige
Tage in eurer Burg zu verweilen.
Der Bater war es zufrieden und ließ ihr zur Gefell-
ſchaft viele Frauen und Fräulein beigeben, bamit fie dort
mit ihre fpazieren gingen. Das Fräulein begab fich mit
ihrem Gefolge auf die Burg und erwartete mit großer
Freude Arrighetto, Gott bittend, er möge bald kommen,
und ſchaute den ganzen Tag auf das Meer hinaus, ob
fie ihn nicht fehe. In einer Nacht aber, zur bezeichneten
Stunde, kam Arrighetto unter der Burg an. Die Frau
flieg alsbald hinunter zu ihm und umarmte ihn und
ohne Verzug traten ſie in das Schiff, ſpannten die Segel
auf und fuhren mit Gottes Hilfe von dannen und Arrig⸗
betto brachte fie in feine Heimat. Als man fie aber am
Morgen nicht mehr fand, entfland ein großer Lärm und
e& wurde dem König zu wiffen gethban, es feien See-
räuber gelommen an feine Burg und haben feine Tochter
entführt. Der König war darüber fchmerzlich betrübt,
denn erfchtete feine Tochter für verloren. Und da er
von dem wahren Dergang nichts mußte, ſchickte er einen
feiner Söhne aus, der ein fehr rüfliger junger Mann
wer, und fprach zu ihm: Ich befehle dir bei Todesſtrafe,
fo wahr dir dein Leben lieb iſt, nie wieder zu mir zurück⸗
zukommen, ohne daß bu erfahren haft, mo fie ft und
wer fie entführt hat. "
Diefer begab ſich auf die See und folgte bem Schiffe
und hörte und erfuhr, dag des Kaifer Sohn fie mitge-
nommen habe. Und fobald er fich deſſen verfichert hatte,
kehrte er zum Vater zurüd und fagte ihm, ber Sohn
des Kaiſers fei in eigener Perfon hergekommen und habe
fie geftohlen. Da machte der König große Zurüftungen,
um binzuziehen und ihn in Deutfchland felbft zu befehden,
16 - DI. Giovanni Fiorentino.
und bot dazu auf den. König von Frankreich und den
König von England und den König von Navarra und
"den König von Maiolica und ben König von Schottland
und den König von Gaftilien und den König von Por.
tugal nebft vielen andern Herren und Baronen des Abenb-
landes. Als nun ber Kaifer von den Rüſtungen hörte,
welche jener machte, um ihn zu überfallen, that er ein
Gleiches und lud ein und bot.auf ben König von Ungarn
und den König von Böhmen und außerdem viele Mark» _
grafen, Grafen und Herren von Deutfchland, ſodaß beide
Theile ein großes Heer zufanmenbrachten, um miteinander
zu kämpfen, in. der Weife mie ihr fogleich hören werdet.
Nun gefhah es, als der König von Aragon fein Heer
vereinigt hatte, brach er auf und kam nach Deutfchland
in das Gebiet des Kaiſers. Und ald der Kaifer von
feiner Ankunft hörte, ging er ihm entgegen nad) einer
Stadt, welche Wien heißt, mit einer großen Menge Volks;
und als fie einander auf dem Schlachtfelde gegenüber-
ftanden, hielt der König von Aragon Rath und beſchloß,
den Kaifer zur Schlacht zu fordern, und fo geſchah es.
Er fandte alsbald durch einen Trompeter einen ganz
biutigen Handſchuh auf einem Dornbuſch ab. Arrighetto
als der Oberfeldherr nahm bie Schlacht bereitwillig an;
und nad) den getroffenen Abreden murbe ber Tag feft-
gefegt, an welchem man fich auf dem Schlachtfeld ein-
finden follte. In der Nacht zuvor fegte der König von
Aragon zwölf Heermeifter ein, Männer von großer
Tapferkeit und Berftand. Die erfte Schaar beftand aus
dreitaufend guten Kriegern, alle ſchwarz gekleidet, bie
meiften machte er zu Rittern mit goldenem Sporn, die
biefen Ritter des Todes, und zu ihrem Hauptmann fegte
er feinen Sohn, welcher Meffer Princivale hieß.
Mein Sohn, ſprach er zu ihm, heute ift der Tag,
die Ehre deiner Schwefter wieder zu gewinnen; darum
bitte ich dich, wacker und rüſtig zu fan. Mach, daf
jede Faſer von Angſt heute in dir erfterbe und gib
34. Eyaniſch⸗ deutſcher Krieg. 167
cher zu in Stücke gehauen zu werben, als daß bu
wicheſt.
"Er gab ihm eine Standarte mit goldenem Leuen in
blauem Felde mit einem Schwert in ber Pfote. — Die
zweite Schaar hatte ber Herzog von Burgund mit- drei
taufend Burgunden und Franzofen, alle gut beritten und
gewaffnet; ald Wappen trug er an jenem Tage goldene
Lilien in blauem Felde. Die britte Schaar führte ber
Herzog von Lancafter mit dreitaufend waffengeübten tapfern
Engländern, alle waren mit Panzern und Bruftharnifchen
und glänzenden flachen Helmen verfehen unb alle verei- -
nige unter einer Fahne mit drei goldenen Leoparden in
rothem Felde. Die vierte Schaar führte der König von
Caftilien und der König von Schottland mit viertaufend
Berwaffneten, alle gut zu Roß und gut gewaffnet, und
fie trugen zwei große Schlachtfahnen, und auf der einen
war ein meißes Schloß gemalt in rothem Felde und auf
der andern ein grüner Drade in rothem Felde mit blauem
Sparren in der Mitte. Die fünfte Schaar führte und
lenkte der König von Maiolica und ber König von Na-
varra nebft zmweitaufend guten Fechtern unb fie trugen
ale Waffen an jenem Tage zwei Fahnen, auf der einen
eine ſchwarze Wölfin in weißem Felde und auf der an-
dern brei rothe Schachbrette in weißem Feld und ein
other Streif in der Mitte. Die ſechſte Schaar führte
der Graf Novello von Sanfogna mit funfzehnhundert
Pronenzalen und auf feiner Fahne trug er ale Wappen
im Banner drei rothe Roſen auf weißem Felde. Die
fiebente und legte Schaar führte der mannhafte König
von Aragon mit vieren feiner Enkel, fünftaufend gut
bewaffneten und gut gerüfteten Aragonern mit lauter
großen Schlachtroffen, die ganz mit Schuppen» und
Mingpanzern überzogen waren, und als Feldzeichen trug
er an bemfelbigen Tage einen Engel mit einem Schwert
in ber Hand; und um diefe Schaar her hatte er zwei
taufend Bogenfchügen zu Fuß, und fortwährend waren
188 II. Giovanni Fiorentino.
die zwölf Heermeifter befchäftigt, bie Schaaren in Ord⸗
nung und Stand zu erhalten nebft fo vielen Trompetern
und Pfeifeen, daß es fürwahr wie ein Donner dröhnte.
Auf ähnliche Weife war der Kaifer bedacht, feine Schaaren
zu ordnen, machte feinen Sohn Meffer Arrighetto von
Schwaben an jenem Morgen zum Ritter und Grafen,
gab ihm ferner breitaufend Herren und Ritter zum Ge-
folge, lauter hohe Edelleute und gab ihm zum Feldzeichen
eine ?aiferliche Fahne, worauf ein ſchwarzer Adler in
goldenem Felde gemalt war, und er trug an dbemfelbigen
Tage das Bild eines Fräuleind auf dem Schild mit einer
Dalme in der Hand, und den Schild hatte ihm diejenige
geſchenkt, um derenwillen diefe Schlacht gefchlagen wurde.
Und nachdem ihm der Kaifer die Fahne und das Gefolge
gegeben hatte, fagte er zu ihm: Mein Sohn, das ift
deine Sache: darum fage ich dir weiter nichts.
Die zweite Schaar führte ein Neffe des Königs von
Ungarn mit fünftaufend Ungarn in der beften Verfaffung.
Als Wappen. trug er auf feinem Banner galdne Lilien
in blauem Felde und weiße und rothe Streifen. Die
dritte Schaar führte der uralte König von Böhmen mit
ſechstauſend durchaus gut bemaffneten, gut berittenen und
Tampfmuthigen Rittern und als Abzeichen trug er auf
feiner Standarte einen weißen Löwen mit zmei Schwänzen
in rothem Felde. Die vierte Schaar führte der Herr
von ber Lippe, Herzog von Öfterreich, mit fiebentaufend
fehr in den Waffen geübten und kampfgewohnten Rittern.
von großer Kühnheit, und ald Abzeichen trug er zwei
Banner, auf dem einen war ein weißer Adler mit drei
Köpfen in rothem Felde mit einigen "weißen Punkten,
und auf dem andern war ein weißer Berg abgebildet
in blauem Felde mit einem Degen in befagtem Berge
ftedend. Die fünfte Schaar führte der Graf von Savoien
und der Graf Wilhelm von Lügelburg mit dreitaufend
fünfhundert Rittern, lauter mannhaften und rüfligen
Leuten ohne alle Furcht, und als Abzeichen trugen fie .
34. Spaniſch⸗ deutſcher Keieg. 189
zwei Fahnen, auf der einen war abgebildet ein Baͤr mit
ſeinem Felle in gelbem Felde und auf der andern waren
weiß und rothe Viertel dargeſtellt. Die ſechſte Schaar
führte der Patriarch von Aquileja mit vierzehnhundert
Grafen, Freiherren und Rittern mit goldnem Sporn,
und zum Abzeichen trug er in ſeiner Fahne eine Biſchofs⸗
mütze mitten zwiſchen zwei weißen Biſchofsſtäben in rothem
Felde. Die ſiebente und letzte Schaar führte der Kaiſer
mit viertauſend erprobten Deutſchen, die in den Waffen
geboren ſchienen, und trug als Wappen an jenem Tage
bie Gundfahne, welche der Engel Karl dem großen ge⸗
bracht Hatte, die Driflamme, eine Feuerflamme in gol«
denem Felde. Und wahrlich diefe legte Schaar beftand
aus faft lauter mannhaften und tüchtigen Kriegsleuten;
jede Schaar hatte vier Senefchälle, welche immer um die
Schaaren hergingen, damit Peiner aus derfelben- heraus-
treten konnte, ſodaß es keinen Unfall oder UÜberfehen gab.'
Nun waren bie Schaaren auf beiden Seiten geordnet
und abgetheilt, die Ebener gingen vorauf, um Bäume
und Heden wegzuräumen und Gräben auszufüllen, und
als ed Tag wurde, fah man allmälig auf beiden Seiten
die Strahlen der Sonne auf die fehimmernden Waffen
fallen, man bemerkte, wie die Standarten, Fahnen und
- Banner im Winde flatterten, man hörte das Mehern
ber Pferde, den Lärm der Pfeifer und Trompeter auf
beiden Seiten, fodaß ed das Anfehen gewann, als ob
rings alles bligte und donnerte. Niemals ſah man noch
ein fo ausgezeichnete® und edles Heer auf einem Felde
verfammelt, wie diefes, noch fo viele tapfere, kluge und
Brave Krieger auf beiden Seiten, wie auf diefem wunder-
ſchönen Felde. Wenn je ein Heer mit Verftand geführt
und geleitet wurde, fo war es das des tapfern Könige
von Aragon, welcher, fobald es fo weit Tag wurbe, daß
fie einander zu fehen und zu erkennen vermochten, hin⸗
ging feine Schaaren zu tröften, im Waffenwerk zu unter-
weifen und zu bitten, fi gut und mannhaft aufzuführen,
10 _ IN. Giovanni Fiorentino.
denn am heutigen Zage würden fie mit bem Schwert in
ber Hand den Deutfchen den Kaifertitel nehmen und ihn
mit Ruhm und Triumph in ihre Heimat bringen, wie
das fchon zu den Zeiten des guten Königs Karl’s bes
großen gefcheben fei; darum bitte er fie, es folle fich-jeder
ale echter Paladin benehmen in Betracht ded dauernden
ehrenvollen Namens, ben fie fih und ihren Nachfolgern
an biefem gefegneten und fiegreihen Tage verfchaffen
Tönnten, an welchem Gott und der felige Herr Sant
Georg ihnen ben Sieg verleihen werde.
Darum, fuhr er fort, laßt eure Schwerter einfchnei-
den und macht Eeine ber Feinde zum Gefangenen! Ber
todt ift, fängt Feine Fehde mehr an. Wer fich einfallen
ließe, am heutigen Zage nicht folchen edeln glorreichen
Ruhm zu erwerben, der made fi) nur darauf gefaßt
zu fterben; denn wir find in ihrem Lande und haben
bier Peine Zuflucht. Für uns haben wir nur unfere
Schwerter. Wir müffen alfo nothgedrungen uns tapfer
halten. "
Sodann befahl er, fobalb welche von feinen Leuten
fi) rückwaͤrts wendeten, um zu fliehen, die follten zuerft .
fierben. Alle feine Schaaren Eonnten kaum den Augen⸗
blick erwarten, wo fie bandgemein werden follten, denn
fie glaubten auf ihrer Seite fiche das Recht. Ebenſo
machte es der Kaifer und Meſſer Arrighetto bei ihren
Leuten, fie riefen ihnen ins Gedächtniß, daß das deutfche
Blut das ebelfte und mannhaftefte fei auf der Welt.
Nicht ohne Grund, fagten fie, haben wir die beilige
Laiferliche Krone erobert, und befigen fie feit langer Zeit.
Darum haltet euch tapfer und muthig und dämpfet den
Stolz und die Vermeſſenheit diefer galliſchen Fremdlinge,
welche vermöge ihrer Anmaßung in unſere Lande ge
kommen find, um und zu verfchlingen. Gedenket unferer
Berfahren, welche immer Meifter waren im Waffenwerk
und begierig ihrem Baterlande Ruhm zu erwerben, wie
ber gute tapfere Kaifer Otto ber erfte von Sachſen und
34. Spyaniſch · deutſcher Krieg. 191
der freifinnige Heinrich der erfle und ber erſte Conradin
und ber zweite unb dritte und vierte Kaifer Heinrich und
der brave Rothbart Friedrich der erſte unb ber fünfte
Heinrich von Schwaben und Dtto der vierte von Sachfen
und viele andere.
Gleicherweiſe ging der Patriarch von Aquileja durch
die Schaaren, Segen fpendend und jedem feine Sünden
vergebend mit der Ermunterung, fie follen alle wacker
fechten, dann werben fie ben Sieg gewinnen. Nachdem
ex nun beide Theile mit dem Kreuzabzeichen gefegnet und
base Lofungswort der Schlacht auf Seiten bes Kaiſers
Sanct Paul, auf Seiten des Königs von Aragon Ritter
Santt Georg gegeben war, rüdten fich die beiden erſten
Schaaren allmälig näher, legten die Ranzen ein, holten
luſtig aus, um einander zu treffen und griffen einander
furchtlos und mannhaft an; und als die Ranzen gebrochen
waren, zogen fie die Schwerter und fchlugen fo maßlos
auf die glänzenden Helme los, daf die Funken gen Himmel
forühten, fo ernftlih trafen und ſchlugen beide Xheile
aufeinander. Herrn Arrighetto wurde fein Pferb unter
dem Leibe getöbtet, fobaß er flürzte; doch richtete ex ſich
fhnell wieder auf und machte fi) mit dem Schwerte
Bahn. Viele von den Rittern des Todes flanden um
ihn her und feiner Eonnte ihn faffen. Meffer Princivale
eilte durch das Feld und traf zufällig auf ihn und fie
erkannten einander. Da rief ihm Meſſer Princivale zu
und ſprach: —— du biſt des Todes.
Meſſer Arrighetto antwortete; Ich bitte dich bei der
Liebe deiner Schweſter, daß du mich nicht tödteft.
Ref er Prineivale erwiderte: Verhüte Gott, daß id
auf did Rüdficht nehme, nachdem bu auf mich Feine
Rückſicht genommen haft.
Er ſchwang fein Schwert und fchlug auf ihn, und
wäre nicht die gute und bewährte Rüflung geweſen, bie
er anhatte, fo wäre er ſicherlich an dieſem Tage geftorben,
benn er fehnitt ihm den ganzen Schild durch, ben er am
19 II. Giovanni Fiorentino.
Arme hatte Da kam ihm ber Neffe des Königs von
Ungarn zu Hilfe mit der ganzen Schaar ber Ungarn,
er wurde gleich wieder auf ein Pferd gefegt mit dem
Schwert in der Hand und ftürzte fih unter fi. Nun
. begann bie andere Seite zu weichen wegen ber liber-
maffe, die auf fie drückte. Der Herzog von Burgund
fiel auf fie mit feiner Schaar und dort entftand ein fehr
higiger Kampf und viele Leute famen um. Über bie
‚ »Ungarn nahmen die Bogen von der Seite und fpannten
fie mit folder Haft, daß die Kerben faft zufammenftiegen,
und fo trafen und tödteten fie bei ihren Angriffen viel
Volks, ſodaß die Feinde fich genöthigt fahen, zurudzu-
ſchreiten. Nun machte fich aber der Herzog von Lancafter
auf mit den tapfern und rüftigen englifchen Rittern; er _
kam wie ein losgelaffener Löwe unter bie Ungarn und
fchrie: Tod und Verderben!
Die Ungarn flohen vor ihnen wie eine Heerde Schafe.
So traf er denn auf ben Neffen bed Königs von Ungarn,
legte die Lanze ein, fprengte ihm in den Rüden und ftieß
ihn vom Pferde, fo länge bie Lanze war. Plöglich waren
fie dann auf und über ihn ber, und weil er von fönig-
lihem Haufe war, wollten fie ihn nicht umbringen, fon-
bern nahmen ihn gefangen. Sobald nun bie Ungarn
ihren Hauptmann gefangen fahen, geriethen alle in Ver⸗
wirrung. Als ber König von Böhmen dies bemerkte,
fegte er Iuftiglich feine Schaar in Bewegung und rief
den Feinden entgegen: Fleifch, Fleifch!
- Nun gab ed ein hartes und herbes Gefecht. So
fegten ſich auch die andern folgenden Schaaren in Ber
wegung, die des Königs von Caſtilien, des Königs von
Schottland und des Herzogs von Ofterreih. Als nun
diefe Schaaren zufammenftießen, wa» ber Rirm und das
Geſchrei fo groß und das‘ Getöfe, das fie mit ihren
Schlägen hervorbrachten, daß es war, als ob Luft und
Erde erzitterte. Und wie fie durch das Feld liefen, be
gegneten fie dem König von Schottland und dem ‚Herzog
34. Spanifch- deutfcher Krieg. 193
von Dfterreih, und mit großer Kedheit Tiefen fie auf
einander los und als die Lanzen zerbrochen waren, zogen
fie ihre Schwerter. Der Herzog ducchbohrte dem König
von Schottland den Arm, fobaß der befagte König das
Schwert nicht mehr führen konnte. Da nahm ihn der
Herzog feſt und machte ihn zu feinem Gefangenen. Als
fein Bolt den Herrn gefangen wegführen fah, leifteten
fie Widerftand, drängten ſich zufammen, bildeten einen
Damm gegen den Herzog und nahmen ihm feinen Gefan-
genen mit MWaffengewalt wieder ab. Ganz toll darüber
flürzte fich der Herzog mit folder Wuth unter fie, daß,
wer vor ihm fliehen konnte, fich felig zu preifen hatte.
Er ließ fih von feiner Leidenfchaft fo weit hinreißen, daß
er in bie fünfte Schaar hinüberftürste, mo ber König
von Navarra und der König von Maiolica ftanden, welche
vorfichtig in die Schlacht liefen. Und während er auf
ihn ftieß, fenkte der König von Maiolica bie Lanze, zielte
“damit auf feine Bruft und bohrte fie ihm durch und durch.
Daher, fiel er auf die Erde und ber mannhafte Herzog
von Ofterreih war todt. Als die Krieger von biefer
Schaar einen fo guten Anfang im Siege gemacht hatten,
faßten fie Muth und liefen ganz fühnli bis zu ber
Schaar des Grafen und Herzogs von Savoien und des
Grafen Wilhelm, und da gab es eine harte und herbe
Schlacht und mit Gewalt wurden die Fahnen der be=
fagten zwei Grafen zu Boden geworfen und faft erlitten
fie . eine Niederlage. Als der Patriarch von Aquileja
ſolches ſah, machte er fich plöglich auf mit feiner Schaar
gegen die Wuth des Königs von Maiolica, und er mar
fo gut zu Pferde und hatte eine fo gute Gefellichaft,
daß er gezwungener Weife fit) Bahn machte und mit
großer Wuth hinlief, wo Meffer Princivale ftand, welcher
ihm eifrig entgegenging und ihn mit einer Lanze fo traf,
daß ein Theil von dem Ranzenfplitter ihm in der Bruft ſtecken
blieb; aber feine Gewalt mar doch fo groß, daß er ihn
wegfrug, und verwundet wie er war, richtete er bei feinen
Staliänifcher Novellenſchatz. I. 9
“._
194 I, Giovanni Fiorentino.
Feinden großen Schaden an, endlich aber begann in Folge
der großen Menge Blutes, die er verloren, ihm das Ge-
ficht zu weichen. Indem er nun durch das Feld rannte,
- traf er auf Meffer Arrighetto, welcher, als er ihn er
kannte und fo verwundet fah, ausrief: Wehe, lieber Herr,
was ift das? .
Der Patriarch fprah: . Mein Sohn, zieh mir das
Eifen aus! Sch bin bes Todes.
Und er zog ihm plöglih das Eifen aus umd der
Patriarch ſprach: Ich fehe faft Fein Licht mehr, darum
verftopfe und verbinde mir diefe Wunde gut und führe
mich alsdann dahin, wo die Schlacht am dichteften iſt,
denn fürwahr, ehe ich fterbe, follen durdy meine Hand
noch manche umfommen, und ſo geſchah e®.
Als er verbunden war, küßte er Herrn Arrighetto,
gab ihm feinen Segen und ſprach: Lieber Sohn, entfehe
dich nicht über meinen Tod, fondern nimm ein Beifpiel
an mir und geh mit Gott! denn das ift feine Zeit, um
binzuftehen und Worte zu machen.
Er jagte fodann in die Schlacht, das Schwert in
beiden Händen haltend, und wehe dem, der ihm nahe
kam, und fo hielt er fih noch eine Weile, dann ftarb er.
Als nun Herr Arrighetto die Schaar ded Grafen von
Sachſen heranrücken fah, brach er mit den Seinigen auf,
welche fich wieder erfrifcht hatten, und fiel verzweifelt
über den Grafen ber; er aber, als er ihn fo verzmeifelt
auf ihn zukommen fah, eilte ihm fehr kühn entgegen,
Herr Arrighetto fegte ihm die Lanze auf die Bruft und
ſtach fie ihm gewaltig ganz durch, und fo fiel der man
bafte Graf vom Pferde. Nach kurzem Verweilen farb
er und feine Leiche wurde von ben Seinen aufgehoben
und weggetragen in ihr Lager. Als der König von
Aragon den guten Grafen von Sachfen todt ſah, konnte
er fich des Weinens nicht enthalten. Dann aber nahm
er die Lanze in bie Hand und rief: Mannfchaft, mer mich
lieb bat, der folge mir!
34. Spanifch-beutfcher Krieg. 195
Nun brad er auf wie ein Sturm und bieb mit ſei⸗
nem Schwerte durch, was ihm in ben Meg trat, und
er lief durch das Feld hin wie ein Drache und Alles
floh vor ihm. Als der Kaifer dies fah, brach ſeine
Schaar mit ergrimmtem Muthe gegen den König von
Aragon auf; die beiden Schaaren begegneten ſich und
ſchienen Teufel der Hölle, fo groß war der Sturm, den
beide Theile erregten, indem fie die ungemeffenen Schläge
austheilten und emipfingen. Der König von Aragon warf
den Schild auf den Rüden, faßte bad Schwert mit beiden
Händen und durchhieb, wer vor ihm fich zeigte, ſodaß
jedermann vor ihm floh, denn fie konnten feine unge-
heuerlichen Schläge nicht aushalten. Biele Freiherten
und Grafen fielen durd feine Hände. Das Gemenge
war ſehr groß, man gab und empfing heftige Schläge,
durchſchnitt Panzer, Hände, Arme und vergoß Ströme
Blutes auf dem ganzen Felde. Der Kaifer aber mit
- feiner Schaar fisgte den Feinden den größten Schaden zu.
Run begab es fih, daß der König von Aragon zufällig
an eine Quelle kam, mo Herr Arrighetto.den Helm ab-
genommen hatte und ſich erfrifchen wollte. Der König
von Aragon flieg vom Pferde und als er auf dem Boden
fund, erfannte er am Wappen Herrn Xrrighetto, und
ohne weiter etwas zu fagen, holte er mit dem Schwerte
aus und führte auf Herrn Arrighetto einen heftigen
Streich über dad Geficht und fprach: Das gebe ih bir
zum voraus ald Ausſteuer für meine Tochter.
Dann flieg er wieder zu Pferde und rief Arrighetto zu:
Nimm deine Waffen zu dir! Heute ift der Tag, an bem du
durch meine Hand fterben mußt bei diefem Brunnen.
Herr Xrrighetto antwortete: Es ift nicht Ritterbraudh,
mit einem Manne fechten zu wollen, der fo fehändlich
verwundet iſt wie ich.
Der König antwortete: Verbinde dir die Wunde und
dann ſteig zu Pferde, denn ich will ſehen, ob du ſo rüſtig
biſt, als ich gehört habe.
9*
196 III. Giovanni Fiorentino.
Während fie fo miteinander verhandelten, Fam ber
Straf von Lügelburg mit einigen feiner Barone auf den
Brunnen zugeritten, um fich zu erfrifchen, und als er
den König von Aragon und Herrn Arrighetto erkannt
und von ihrem Streite gehört hatte, wandte er fich zum
König und fagte, er wolle diefen Handel ausmachen,
worüber der König und Herr Arrighetto zufrieden waren.
Herr König, fprach der Graf, ich will, daß für heute
diefem Kampf ein Ziel gefegt werde, und bis Herr Arrig⸗
hetto fi) heilen läßt und wieder im Stande ift, fechten
zu können, könnt ihr beide im Lager bleiben und dann
unter euch den Streit außfechten, damit nicht fo viele
wadere Männer fterben um ein Weib, denn meiner Treu
ih habe nie eine biutigere Schlacht gefehen als dieſe.
Der König war es zufrieden und Herr Arrighetto
gleichfalls, fie gaben fich die Hand miteinander zu fechten,
dann gingen fie hinweg und als fie wieder in die Schlacht
Tamen, ließ jeder von beiden in die Trompeten floßen -
und zum Stillftand blaſen. Es Eoftete aber die größte
Mühe, diefes graufame Handgemenge zu trennen. Als
nun am Abend beide Theile in ihr Lager zurückgekehrt
waren, ließ ber König von Aragon alle feine Könige,
Grafen und Herren zufammenfommen und fagte ihnen,
was er gethan und verfprochen habe, und faft alle waren
damit einverfianden, nur nicht Meffer Princivale, welcher
ſprach: Lieber Herr, ich wünfche felbft mit ihm zu kämpfen,
benn ich bin jung, wie er, und fuchte heute den ganzen
Tag auf dem Schlachtfelde nah ihm umher, konnte ihn
aber nicht finden.
Der Bater fprah: Mein Sohn, laß ihn erft heilen,
dann magft du thun, wie bu begehrft.
Nun begab es fich, daß der Papſt von den aufer-
ordentlichen Aufgeboten hörte, welche die beiden Fürften
gemacht hatten; da ſchickte er zwei Cardinäle hin, um
fie zu verfühnen. Da diefe die Sache in fo ſchlimmem
Stande fanden, fprachen fie mehrmals mit dem Kaifer
35. Dionigia. | 197
und mit dem König von Aragon, welcher fehr ungern
fih zu diefem Frieden herbeiließ. Doch vermochten es
endlich die unabläffigen Bitten der Herren und bie Be-
fehle, welche ihnen die Cardinäle von Seiten des Papſtes
unter Androhung bes Kirchenbanns zukommen ließen, daß
fie Frieden machten und fich unferm Herrgott zu Gefallen
verfrugen, worauf unter großen Feten und Feierlichkeiten
befagter Herr Arrighetto jene Tochter bes Königs von
Aragon zur Frau nahm und Meffer Princivale nahm
die Tochter des Kaifers, Deren Arrighetto’8 Schwefter,
zue Frau. Und als fie einander verziehen und Friede
und Verwandtſchaft gefchloffen hatten durch Vermittelung
der beiden Gardinäle, verabfchiebeten fie fich mit großer
Befriedigung und Feierlichkeit und jeder kehrte in fein
Land zurüd mit Berkhigung.
35. Dionigia.
(10, 1.)
4
Ein König von Frankreich hatte eine Tochter mit
Namen Dionigia, ſchoͤn und reizend, wie nur eine Frau
ihrer Zeit, und ihr. Vater wollte fie, als fie zu ver
mählen war, wegen feines vielen Geldes einem hohen
Heren in Deutfchland geben, welcher fiebzig Jahre alt
war, aber da8 Mädchen wollte ihn nicht, obgleich ihr
Pater ſich anfchidte, ihre ihn wider ihren Willen zu
geben. Da dachte das Kind an nichts anderes, als mie
fie Mittel und Wege fände zu fliehen; fie verkleidete fich
alfo einft bei Nacht ald Pilger, befchmierte ſich das Ger
fiht mit Kräutern, welche die Farbe änderten, nahm
einige koſtbare Steine, welche ihr ihre Mutter bei ihrem
Tode vermacht hatte, und machte fich auf den Weg nad,
198 III. Giovanni Fiorentino.
der Küſte. Sie erreichte auch wirklich das Meer, flieg
auf ein Schiff und fuhr hinüber nad, der britifchen Infel.
Aber der König ihr Vater, als er am Morgen die Tochter
nicht fand, ließ die ganze Stadt nach ihr durchſuchen und
das ganze Reich, und da er fie nicht fand, dachte er, fie
habe „fih aus Schmerz einen Tod angethan. Nachdem
das Kind and Rand geftiegen war, machte fie fich auf
nad) einer Stadt und gelangte an ein Kloſter, das reichfte
dieſer Inſel, deffen Priorin war eine Baſe bes Königs
des Landes. Bei ihrer Ankunft fagte das Mädchen zu
der Prierin, fie möchte gerne Nonne werden. Die Priorin
aber fragte fie, wer fie fei, weſſen Tochter und woher
fie komme. Sie antwortete, fie fei die Tochter eines
Bürgers aus dem Königreiche Frankreich, ihr Vater und
ihre Mutter fei geftorben und nachbem fie einige Reifen
emacht, wolle fie fih nun dem Dienfte Gottes weihen.
8 die Priorin ihr mildes und freundliches Wefen be-
merkte, kam fie auf ben Gedanken, fie ale Schülerin
- and theilweife zur Dienftleiftung anzunehmen, und ſprach:
Liebe Tochter, ich nehme dich gerne an; vorerft aber wird
es gut fein, wenn bu unfere Regel und Lebensweiſe
verſuchſt; wenn die dann das Haus gefällt, fo Fannit
du das Kleid nehmen.
Dionigia war fehr vergnügt, fie trat in das Klofter
ein und fing an mit folder Demuth der Priorin und
ben andern Schweſtern zu bienen, daß alle Bemoh-
nerinnen des Klofters die größte Liebe zu ihr faßten und
fi) über ihre Schönheit und ihr Betragen wunberten.
Fürwahr, fagten fie, das muß ein hohes Ebelfräu-
lein fein. ⸗
Nun begab es fi) nach kurzer Zeit, daß der König
von England, dem noch nicht lange fein Vater geftorben
war, in feinem Lande umberreifte und auch an diefes
Klofter Fam, um feine Bafe die Priorin zu befuchen,
und es murbe ihm von ihr bie feierlichfte, ehrenvolifie
Aufnahme veranftalte. Während er nun dort verweilte,
35. Dionigia. 199
kam ihm Dionigia zu Gefiht, die denn auch einen fo
tiefen Eindrud auf fein. Gemüth machte, daß es nicht
zum fagen ifl. Er fragte die Priorin, wer fie fei; diefe
antwortete ihm mit der Erzählung, wann und wie fie
bergefommen fei und wie fie ſich aufführe. Da kam er
auf den Gedanken, fie zur Frau zu nehmen, und theilte
dies der Priorin mit, weiche aber erwiberte, fie fei da-
mit nicht einverftanden, denn fie wiffe ja nicht, wer das
Mädchen fei, und für ihm zieme fich eine Königs» oder
Koaiferstochter.
Ganz ſicher, entgegnete er, ift fie die Tochter eines
hoben Herrn, nach ihrem Betragen, ihren Sitten und
ihrer Schönheit zu fchließen. i
Das ift fie nicht, antwortete die Priorin.
Nun, verfegte der König, fo will ich fie fo wie fie
ift, fei fie auch mer fie wolle.
Die Priorin ließ fie rufen und ſprach zu ihr: Die- |
nigia, unfer Herrgott bat dir ein großes Glüd bereitet.
Höre, in wie fern! Der König von England begehrt
bich zur Frau.
Als fie das hörte, verfärbte fie ſich und fagte, fie
wolle das unter feiner Bedingung, fondern wolle Ronne
bleiben und bitte fie, ihr nicht mehr von derlei Dingen
zu fprechen. Die Priorin meldete dies dem König, er
aber blieb dabei, jedes Hinderniß befeitigen und fie unter
. allen Umftänden zur rau nehmen zu wollen. Als die
Priorin ihn fo entfchloffen fah, lockte und fchmeichelte fie
ihr fo lange, bis fie einwilligte, und fo heirathete er fie
in Gegenwart der Priorin, beurlaubte fi) fodann mit
feiner Frau von ihr und begab fi) nad, London, wo er
in feinem Palaſte die größte Feierlichkeit veranftaltete.
Er Iud alle feine Barone ein und als diefe die große
Schönheit fahen, die ausgezeichnete Sittfamkeit und das
feine Benehmen, fo war feiner unter ihnen, der fi
nicht in fie ‚verliebt hätte. Aber hie Butter des Königs
wollte fi), da er eine folche Frau genemmen, nicht bei
\
20 IH. Giovanni Fiorentino.
ber Hochzeit einfinden und 309 fic) mit großem Ingrimm
auf ihre Befigungen zurüd. Dionigia brachte ed allmälig
duch ihr Betragen dahin, daß der König ihre mehr,
als fich felber zugethan war. In kurzer Zeit ward fie
ſchwanger, der König aber ihr Gemahl mußte mit einen
ftarfen Heere nach einer Inſel überfegen, welche fi
empört hatte. Darum nahm er Abfchied von feiner
Semaplin und befahl feinem Vicekönig, für fie zu forgen
und fie in Ehren zu halten als Königin, auch ihm fund
zu thun, wie es ihr bei der Geburt ergebe. Damit ent
fernte er fi) von England. Als die Zeit erfüllt war, -
gebar die Frau zwei Knäblein und der Vicefönig fehrieb
es feinem Herren; ber: Überbringer des Briefes aber Fam
an das Schloß, mo die Mutter des Königs mohnte,
kehrte dafelbft ein und gab der Mutter des Königs
Nachricht von der Geburt der zwei Knäblein. Dies
verdoppelte ihren Grimm und als ber Eilbote in der
Nacht fchlief, vertaufchte fie die Briefe, die er bei fich
führte, und fchrieb, es feien zwei der garftigften und
misgeftaltetften Affchen zur Welt gefommen, die man je
fehen könne. Am folgenden Tage erwies man dem Boten
viel Ehre und entließ ihn mit dem Auftrage, er folle bei
feiner Rückreiſe wieber hier einfprehen. Er gab das
Berfprechen und ritt hinweg. Als er endlich zu dem
Here Fam, behändigte er feinem Herrn den falichen
Drief. Als der König ed las und die Gefchichte erfuhr,
war er fehr erfiaunt, fchrieb aber nichts deflo weniger an
feinen Bicefönig, er folle fie aufziehen und nicht unter-
laffen, feine Gemahlin bis zu feiner demnächſt erfolgenden
Rückkehr werth zu halten. Er fertigte denfelben Boten
mit Briefen ab, war aber doch fehr befümmert. Der
Eilbote nahm die Briefe und machte, wie er verfprochen
“ hatte, feine Rückreiſe wieder über das Schloß, mo bie
Mutter feines Gebieterd wohnte, und ruhte daſelbſt aus.
In der Nacht aber, während er fhlief, nahm bie Frau
bie Briefe ihres Sohnes, las fie, und als fie darin
35, Dionigia. 201
nichtd von dem Tode ihrer Schwiegertochter fand, war
fie fehr betrübt. Sie ſchrieb daher ftatt des echten einen
andern Brief des Inhaltes: Angefichts diefes nimmft du
meine Frau mit den zwei Kindern und da ich weiß,
Daß es nicht meine Kinder find, bringft du fie um
fammt ihr. |
Diefen Brief ftedte fie dem Boten, der noch fchlief,
in feine Zafche, und am Morgen entließ fie ihn unter
vielen Xiebesbezeugungen. Der Eilbote mußte von Allem
nichts, nahm Abfchied und übergab bei feiner Heimkunft
dem Vicekönig ben Brief. Als diefer ihn gelefen, war
er fehr verwundert und fragte ben Boten, wer ihm ben
Brief gegeben habe. Diefer antwortete: Der König felbft.
Und er war ganz beſtürzt, als er las, mas ihr ihm be=
richtet.
Als der Vicekönig diefe Nachricht vernahm, brach er
in heftige Weinen aus und mit Thränen in den Augen
begab er fich zu der Königin, zeigte ihre den Brief und
fprach: Leſet, meine Gebieterin!
Als die Königin diefen Brief gelefen haste, fing fie
an heftig zu meinen und ſprach: Ach mein unglüdliches
Leben, daß ich doch Feine gute Stunde haben follte!
Dann nahm fie ihre Kinder in die Arme und riefr
Liebe Kinder, mit wei’ herbem Geſchick feid ihr doch
in die Welt gekommen! Was habt ihr für ein Ver
brechen begangen, um beffen willen ihr fterben mußtet?
Sao ſchlug fie den größten heftigften Jammer auf
und küßte ihre armen Kinderchen, welche ſchoͤn waren
wie Sterne. Der PVisefönig erhob mit ihr die heftigfte
Klage und wußte nicht, welchen Entfchluß er faffen follte,
Gnädige Frau, fprach er endlich, zur Königin gekehrt,
was wollt ihr thun? Was wollt ihr, daß ich thue? Ihr
ſeht, was mein Gebieter fchreibt; nichts deſto weniger würde
ich nimmermehe wagen, Hand an euch zu legen; darum
nehmt heimlich eure Kinder, ich will euch bis an den
Hafen begleiten, dort fehifft euch ein und Gott fei. euer
get.
292 II. Giovanni Fiorentino.
Führer! Das Geichid wird euch irgendwohin bringen, wo
ihr vielleicht glücklicher feid.
Sie war damit einverftanden und in der folgenden
Nacht nahm fie heimlich ihre Kinder mit hinweg, begab
fih, nach dem Hafen, wandte fich zu einem Seemanne
und fprah: Nimm mich auf dein Schiff und bring mich
nah Genua! Du follft bezahlt werben.
Der Vicekönig empfahl fie dem Seemanne, gab ihm
Geld und nahm unter Thränen Abfchied. Das Schiff.
ging unter Segel und trug in furzer Zeit die trauernde
Frau nad) Genua. Dort verkaufte fie einige Kleinodien,
die fie bei fih hatte, nahm zwei Ammen und zwei
Kammerfrauen an und verfügte fich weiter nah Rom,
wo fie ihre zwei Söhne fehr forgfültig erziehen ließ.
Der eine hieß Carlo, der andere Lionetto. Sie lebte in
fittfamer Zurüdgezogenheit und widmete fich der Erziehung
diefer ihrer Söhne, welche an Tugend und Alter wad-
fend alle, die fie kannten, in Erftaunen festen. Die
- Mutter ließ fie von guten LXehrmeiftern unterrichten und
fie mußten alle ſchönen Wiffenfchaften. lernen, welche Edel-
leuten zu wiſſen ziemt. Als fie heranwuchſen, brachte fie
diefelben auch an den päpftlihen Hof, ohne zu fagen,
weſſen Söhne fie waren. Als der Papſt von dem from-
men und fittfamen Leben diefer Frau hörte und die
Schönheit und das anftändige Betragen biefer ihrer Söhne
ſah, liebte er fie fehr und gab ihnen ein reichliches Ein-
tommen, fodaß fie Diener-und Pferde halten und ftattlich
leben fonnten. Nun wollte der Papft einen Kreuzzug
anftellen gegen die Sarazenen im heiligen Rande und bot
alle Könige und ‚Herren ber Chriftenheit auf, worunter
er den König von Frankreich und den König von Eng-
land namentlich nannte, fie möchten in eigener Perfon
nah Rom kommen, um ihren Rath zu vernehmen in
Betreff diefes Zuges. So fanden fi) denn die beiden
Könige auf Befehl des Papſtes in Rom ein. Vorher
ft aber noch zu wiffen, daß der König von England,
35. Bionigie. A
als er von der Wiedereroberung der empörten Inſel zurück
in London anlangte, den Vicekönig gleich nach ſeiner Frau
und ſeinen Kindern fragte. Er erhielt zur Antwort, es
ſei mit ihnen nach dem Inhalt ſeines Briefes verfahren
worden, ja ee habe noch weniger gethan, denn während
er ihm gefchrieben habe, er felle fie umßeingen, habe er
fie nur weggeſchickt, und zum Zeugniß deſſen zeigte er
ihm bie Briefe. Darüber war denn der König fehr er-
fhroden und wollte wiffen, wer etwas folches veranlaßt
habe. WE er ſich überzeugt Hatte, daß feine Mutter
daran Schuld fei, ermorbete er fie in- der Aufregung bes
Zornes und ſchickte dann nach vielen Rändern hin um
feine Gemahlin zu fuchen, und als man ihm melbete,
fie habe ihm zwei ſo fehöne Söhne geboren, wollte er
umlommen vor Schmerz und es dalirte lange Zeit, bis
man wieder mit ihm fprechen konnte; heiter aber wurde
er nie wieder, fo groß war feine Liebe zu der Fran, die
er fo elendiglicy verloren hatte. Als er nun biefen Be-
fehl vom Papfte erhalten hatte, fih nach Rom zu ver-
fügen mit dem König von Frankreich, reifte er ab, begab
ſich nach Frankreich und fegte dann in Begleitung bes
Königs von Frankreich feinen Weg nah Rom fort, wo
fie vom Papfte fehr liebevoll’ aufgenommen wurden.
Während fie nun in Rom umhergingen, wurben fie von
der Frau erkannt, der eine AS ihre Bruder (demn ber
Dater war unterweilen geftotben), der andere als ihre
Gemahl. Da ftellte fie fih dem Papfte vor und ſprach:
Seligfter Vater, Eure Heiligkeit weiß, daß ich euch nie-
mals eröffnen mochte, von wen dieſe meine Söhne ab-
ffammen und wer ich bin. Jegt aber ift die Zeit ge-
fommen, um eines wie das andere zu thun. So foll es
denn gefchehen und mag daraus erfolgen, was Eurer
Heiligkeit gut dünkt. So wiſſe denn Eure Seiligkeit,
daß ich die Tochter des früheren Königs von Frankreich
bin und die Schweſter deſſen, der gegenwärtig in Rom
fi $ aufhält. In meinem kecken Übermuth bin ich, weil
204 IL. Giovanni Fiorentino.
mein Vater mich an einen alten Mann gegen meine
Neigung vermählen wollte, davongelaufen und nad) Eng⸗
land in ein Klofter gegangen. Als aber der König von
England mic, erblidte, faßte er Liebe zu mir und nahm
mih zur Frau, ohne zu wiffen, wer ich war. Nach
furzer Zeit gebar ich ihm diefe zwei Kinder; er aber,
der damald aus dem Reiche abmefend mar, gab den
Befehl, mich mit den armen Knaben umzubringen, bie
ee nicht als die feinigen anerkannte. Durd) Vermitte⸗
lung eines feiner Beamten gelang es mir jedoch zu ent⸗
kommen und ich floh‘ hierher, wo ich feitbem der Erziehung
der unglüdlihen Söhne lebte, wie Eure Seligkeit weiß.
Hier ſchwieg fie. Der Papft fprach ihr Much zu
und entließ fie. Sodann ſchickte er nach den zwei Kö⸗
nigen und den Söhnen und ſprach zu dem König von
Frankreich alſo: Kennt ihr dieſe Knaben, durchlauchtiger
König?
Diefer erwiderte: Fürwahr nein.
Er fragte ebenfo den andern unb erhielt die gleiche
Antwort. Da wandte fich denn der Papft zu dem König
von England und zu dem andern, that ihnen den Stand
der Sache fund und ftellte fie beiden dem einen als Söhne,
dem andern ale Neffen vor. Sie nahmen fie mit ber
größten möglichen Freude und Heiterkeit auf, und als fie
nah der Mutter fragten, ließ der Papſt fie kommen.
Als fie eintrat, umarmte fie aufs Derzlichfte ihren Bruder,
ohne ihren Mann zu beachten. Auf die Frage, warum
fie das thue, antwortete fie: Dazu habe ich wol Grund
nach der Grauſamkeit, mit welcher du gegen mich ver-
fahren bift.
Der König erzählte ihr weinend, mie die Sache ge-
gangen fei, wer die Schuld trage und welche Rache er
dafür genommen. Nun ließ fi die Frau die Entſchul⸗
digung gefallen und fie waren hoͤchſt erfreut und ver-
weilten in biefer Freude in Nom mehrere Tage auf das
Heiterfte. Als fie nun aber der Papft von bem Befehle
36. Die Vergiftung. 205
eines Kreuzzuges entbunden, orbneten fie ihre Abreife an.
Die Frau fagte zu ihrem Mann: Ich gebe dir biefe
Jünglinge als deine Söhne und befehle fie dir. Geh
bin mit Gott! Ich will hierbleiben zum Heil meiner
Seele und mich von ber Welt zurüdiehen.
Ihr Gemahl antwortete: Er werde nimmermehr von
Nom abreifen ohne fie, und fo entftand zwiſchen ihnen
ein heftiger Streit. Aber der Papft und der König von
Frankreich ihr Bruder baten fie fo lange, bis fie mit
ihrem Gatten die Rückreiſe antrat, und fo war dieſer
der glücklichſte Herr von der Welt. Sie nahmen Ab-
fhieb vom Papſte, reiften hinweg und begaben fich mit
dem König von Frankreich nach Frantreih, wo große
Feftlichkeiten angeftellt wurden, und von dort ‚gingen fie
weiter nach England.
36. Die Vergiftung.
(Tag 233, Nov. 2.) ’
In ber Romagna lebte vor Zeiten ein fehr reicher
Edelmann, welcher einen durch Kenntniffe und jeden
andern Vorzug gefihmüdten Sohn beſaß. Als deſſen
Mutter geftorben war, hatte der Vater fich eine andere
Frau beigethan und mit ihr einen zweiten Sohn gezeugt,
welcher bereitö zwölf Jahre alt war, als der ältere Sohn
zweiundzwanzig zählte. Die Stiefmutter nun, mehr mit
Reizen ald mit guten Sitten gefehmüdt, ließ ſich von
der Schönheit des Sn ai fo fehr blenden, daß fie
fi) Heftig in ihn verlieh. Diefes Weib hüllte zwar
dieſe Liebe in tiefes Schweigen, ſo lange im Beginne
noch ihre Kräfte der Sache gewachſen waren; als aber
die fluchwürdige Glut ihr Mark und Leben durcchdrang,
206 III. Giovanni Fiorentino.
fah fie ſich genöthigt, ber Liebe nachzugeben, fie ftellte
fih körperlich leidend, um bie Bunde des Herzens zu
verbeden, und that als wäre fie von einem fchleichenden
Fieber befallen. Am Ende nun ließ fie, getrieben von
ihren feurigen Wünfchen, durch eine Dienerin ihren Stief-
fohn rufen. Diefer, welcher an alles andere dadıte, als
an fo etwas, trat in ihr Gemach und befragte fie mit
freundlicher Miene um bie Urfache ihrer Krankheit. Diefe
Worte famen der Frau eben recht, fie warb etwas fühner,
bededte ihre Geficht aus Schaam mit einem Betttuche,
und bub an, indem fie ihre Worte mit einer reichen
Maffe von Thränen begleitete, alfo zu ſprechen: Die
Urfache und der Anfang meines jegigen Übel und meines
fo heftigen Schmerzes, aber auch meine Arzenei und
Heilung das bift du felber. Diefe deine glänzenden
"Augen find durch meine Augen bi8 in die Kammern
meines Herzens gebrungen und haben in meinem armen
Bufen ein ſolches Feuer entzündet, daß ich es nicht mehr
aushalten kann. Habe daher Erbarmen mit einem Weibe,
das um deinetwillen umfommt! Laß dich nicht zurüd-
fchredden von dem Verwandtfchaftsbande mit deinem Vater,
denn du kannſt ja derjenige werden, der ihm feine arme
Gattin erhält, die ohne deinen Beiftand ihr Leben nicht
mehr friften ann, die in dir fein Bild mwiebererfennt
und in deinen Zügen und mit Recht ihren Gatten liebt.
Da wir beide bier allein find, haben wir alle Sicherheit
und Bequemlichkeit, welche du verlangft. Was gefchieht,
ohne daß es jemand erfährt, ift faft eben fo gut; als
wenn es nicht geſchaͤhe.
Dem mwohlgefitteten Jüngling ſchwindelte es ganz vor
Entſetzen, als er dieſes empörende Anſinnen vernahm;
aber obgleich er dieſe greuliche Sünde ſo höchlich verab⸗
ſcheute, daß er gerne ihr aus den Augen gegangen wäre,
ohne ihr, weiter zu antworten, fo ſchien es ihm doch nach
befferer Überlegung nicht gerathen, fie mit einer fo plög-
lichen abfchlägigen Antwort aufzubringen, vielmehr dachte
3%. Die Vergiftung. 207
er, ed wäre paſſender, fie durch einen Aufſchub hinzu⸗
halten, um zu verfuchen, ihr einen fo unreinen und felt-
famen Gedanken aus dem Sinne zu fohlagen. Darum
antwortete er ihr, fie folle nur forgen gefund zu werden
und gutes Muths fein; er verfpreche ihr, ihre Liebe aufs
befte zu belohnen. Mit diefen Morten befchwichtigte er
fie für den Augenblid. Da nun der Süngling bei fich
erwog, daß bei einer fo außerordentlihen Noth auch eine
ungemeine Abhilfe nöthig fei, fo eradhtete er es für an«
gemeffen, die ganze Sache einem verftändigen Greife
anzuvertrauen, bei welchem er feine Kindheit nützlich zu⸗
gebracht hatte, und der noch jept ihn durch die Fahrniffe
der Jugend leitete. Der Meifter wußte wohl, was ein
rafendes Weib vermag, und glaubte daher, man müffe
mit ſchnellen Schritten dem drohenden Sturme des graufa-
men Schickſals entfliehen. Doch che noch die kluge Über-
legung ins Werk gefegt werden fonnte, wußte bad unge
duldige junge Weib, welcher ein einziger Tag in Erwar⸗
tung auf die Erfüllung ihres ſchändlichen Verlangens fo
lang währte wie ein Jahr, es dahin zu bringen, daß fie
ihren Mann die Anficht einredete, es wäre gut, wenn
er auf eine ihrer Befigungen ginge, da fie gehört babe,
ed gehe dort nicht zu, wie es follte;s auf diefe Art trieb
fie ihn auf mehrere Tage aus dem Haufe. Als der
Gatte fort war, beläftigte fie flündlih den SJüngling
mit der Mahnung, er folle fein Verſprechen erfüllen.
Diefer aber ergriff bald diefe bald jene. Entfchuldigung
und legte es darauf an, ihre Luſt fo lange mit Worten
zu befriedigen, bis er fich durch eine von ihm beabſich⸗
tigte lange Reife aus ihrem Bereiche entfernen könnte.
Die Frau, welche die ſtarke Hoffnung mehr als gewöhnlich
ungeduldig gemacht, und welche an den bebeutungslofen
Entfchuldigungen gemerkt hatte, daß er, je mehr er ver⸗
fprah, um fo mehr fi von der Erfüllung von irgend
etwas entfernte, wurde unwillig und verwandelte plöglich
die verbrecherifche Liebe in einen noch weit ruchlofern Haß.
— —
208 III. Giovanni Fiorentino.
Sie berieth fich mit einem ihrer Sklaven, dem fie großes
Vertrauen fchenkte, welhen Weg fie einfchlagen müffe,
um fih an ihm zu rächen, der ihre feine Zufage nicht
halten wollte; und fie befchloffen endlich, dem armen
Füngling mit Gift das Leben zu nehmen. Der bübifche
Sklave zögerte nicht, diefen graufamen Vorfag zur Aus-
führung zu” bringen; fondern ging alsbald aus dem Haufe
und Fehrte erft Abends fpät zurüd mit einem Getränk in
einem Becher; er vermifchte es in dem Schlafzimmer der
Frau mit- Wein und ftellte es in einen Schrank, wo fich
die Eßwaaren befanden, mit der Abficht, ed am folgenden
Morgen beim Frühftüd dem unglüdlichen jungen Manne
vorzufegen. Das Schidfal aber wollte es anders und
der Sohn jenes böfen Weibes, welcher, wie gefagt, zwölf
Jahre alt war, kam am Morgen aus der Schule zurück,
verzehrte einen Heinen Imbiß und fühlte darauf Durft.
Da ihm nun jenes Glas mit dem giftigen Gebräu in
die Hände fiel, melches aus Fahrläffigkeit in dem Schrank
unverfchloffen ftehen geblieben war, trank er es ganz aus
und fant bald darauf wie todt zu Boden. Als das
Gefinde diefen Fall bemerkte, machte man Lärm, die
Mutter lief hinzu und man kam gleich auf den Gedanken,
ber Knabe fei vergiftet. Die Mutter ging mit dem Diener, .
welcher das Getränk gekauft hatte, bei Seite, fie fprachen
heimlich miteinander und berathfchlagten, die Schuld bes
Verbrechens auf den ältern Sohn zu fehieben. In Folge
deſſen erflärte der Diener öffentlich, er wiſſe gewiß, daß
der ältere Sohn es fei, welcher die Unthat begangen habe,
denn er habe ihm vor wenigen Tagen erft funfzig Thaler
verfprochen, wenn er ihn umbringen molle; da er jedoch
hierzu fich nicht herbeigelaffen babe, fo habe jener ihm
mit bem Tode gedroht, wofern er irgend jemand davon
fage. Die Frau ließ alsbald Häfcher kommen und kraft
der von dem Knechte gemachten Anzeige ihren Stieffohn
ins Gefängniß führen. Darauf fchidte fie einen Boten
an ihren Gatten, um ihn von bem Vorfall in Kenntniß
36. Die Vergiftung. j 208
zu fegen. Ihr Gemahl kam fogleich herbei und fie ließ
ihm von dem Diener das Zeugniß vorfagen, welches er
fhon früher abgelegt Hatte. Sodann fügte fie felbit hinzu,
fein Sohn habe dies gethan, weil fie feinem wollüftigen
Begehren nicht babe Folge geben wollen und er habe
fie überdies auch mit bem Tode bedroht. Der unglüd-
liche Vater beklagte ſich heftig, al® er fah, wie man ben
jungften Sohn zu Grabe trug, während der andere als
Brubermörber der Zodesftrafe verfallen fei; und getäufcht
von dem heuchlerifchen Iammergefchrei feiner Frau ent-
flammte fich fein Zorn immer mehr gegen feinen Sohn.
» Kaum war bie. Leichenfeier zu Ende, als der beflagend-
werthe Vater vom Grabe hinmegeilte und fo wie er war,
mit verweintem Geficht nach dem Rathhauſe ging, wo-
felbft er mit Thränen und inftändigen Bitten auf den
Tod feines nunmehr einzigen Sohnes drang, ben er einen
Blutfchänder nannte, weil er das Bert feines Vaters
babe befleden wollen, Brudermörder, weil er feinen
Bruder umgebracht, und Zodtfchläger, weil er feiner
Stiefmutter das Leben zu nehmen angebroht. Er hatte
mit biefen Klagen die Gemüther des Volkes fo fehr zur
Entrüflung aufgeregt, daß alle riefen, man müßte ihn,
ohne viel Zeit zu verlieren mit Anklage und Verthei⸗
digung, für diefe Sünde öffentlich durch Steinigung be-
ſtrafen. Die Richter fagten jedoch, fie wollen nach altem
Brauche den Spruch erft nach forgfältigem Verhöre fällen,
und wollten nicht zugeben, daß ein fo graufames Beifpiel
aufgeftellt und aus Erbitterung ftatt auf gerechte Beweiſe
hin ein Menfch getöbtet werde. Es wurde daher förmlich
und gefegmäßig der Angeklagte vor Gericht befchieden und
der Anklageprozeß begonnen. Der Vater fagte, fein älterer
Sohn Habe ben jüngern vergiftet und es Tiege dafür ein
fiherer Beweis vor, da er wenige Tage zuvor verfucht
habe, ihn durch einen Diener umbringen zu laffen, wel
chem er funfzig Thaler verfprochen habe. Als der Jüng⸗
ling befragt wurde, leugnete er alles. Nachdem Anklage
210 III. ®iovanni Yiorentinc.
und Bertheidigung ftattgefunden hatte, wollten die Richter
doch bie Sache nicht auf Bermuthungen und Verdachts⸗
gründe hin abmachen, fonbern verlangten fichere Beweiſe
und beftimmte Wahrheit. Darum befchloffen fie, der
Knecht folle ihnen vorgeführt werden, und fo wurde denn
dieſer Galgenvogel herbeigebracht, trat mit dreiſter Stirn
vor die Richter und machte diefelbe Ausfage, die er fhon -
dem Water gemacht, ja er fügte hinzu, er wolle bie
Wahrheit feiner Worte mit dem SJüngling auf der Folter
befräftigen.. Da war nun fein Richter dem Jüngling
fo günſtig gefinnt, der nicht geurtheilt hätte, man müffe
erft den SJüngling auf die Folter fpannen und alsdann,«
‘ wenn berfelbe beim Leugnen beharre, auch den Knecht.
Da erhob fi ein in jener Stadt fehr angefehener recht-
fhaffener Arzt umd ſprach alfo: Ich ſchmeichle mir, fagen
zu können, daß ich bis daher unter euch für einen red⸗
lichen Mann gegolten babe, und fannı nicht zugeben, baf
biefer unfchuldige Jüngling ungerechter Weiſe von euch
gefoltert oder getödtet werde. Aber mas hilft bad, wenn
ich allein mich der Behauptung eines Andern widerfege?
Und doch bin ich der, für den ihr mich haltet, und ber
Andere ift ein niederträchtiger Schurke, der nicht einen,
fondern taufend Galgen verdient. Sch weiß, daf mein
Gewiſſen mich nicht betrügt, und barum hört den wahren
Tharbeftand der Sache! Diefer Schurke fam zu mir
und wollte ein plögliches Gift von mir kaufen, wofür er
mir einen reis von funfzig Golbducaten anbot, indem
er vorgab, deffelben für einen Kranken bebürftig zu fein,
welcher Tag und Nacht von einer unheilbaren Waſſer⸗
fucht und taufend andern Schmerzen gepeinigt werde
und fehnlich wünſche, durch die Arzenei des Todes über
fo große Mühſal hinwegzukommen. Da ich fah, wie
‚ verlegen ber Spigbube um Worte war, mit welchen er
feine lifligen Vorwände befchönigen follte, ſchöpfte ich
Verdacht, er möchte irgend einen böfen Anfchlag im
Kopfe haben, und war im Begriff, ihm die Thüre zu
36. Die Vergiftung. 3211
weifen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ich «6
ihm abſchlage, fo werde er zu einem anbern gehen, der
vielleicht minder vorfüchtig fei, als ich, und ihm in feinem
Begehren willfahre; ich hielt e8 daher für geratben, ihm
einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber
von einer Befchaffenheit, die ihr fpäter hören werdet.
Da ic überzeugt war, daß man ber Sache mit der Zeit
nachſpüren werde, wollte id) den Preis, den er mir anbot,
nicht fogleich nehmen, fondern fagte zu ihm: Ich fürchte,
einige von dieſen Ducaten möchten falfc oder zu leicht
fein; thue fie daher wieder in dieſes Säckchen und fiegele
6 mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit
wollen wir alsdann zufammen nach der Bank gehen und
fie unterfuchen laſſen. Er ließ fich überliften und ich
brachte ihn dahin, daß er den Sad mit feinem Siegel
ſchloß. Ic Habe ihn foeben durch meinen Diener holen
laſſen und will es euch zeigen. Er mag es fehen und
fol fein Siegel anerkennen und darauf erklären, auf
welche Art er diefen braven Süngling befchuldigen will,
feinem Bruder Gift gegeben zu haben, wenn er doch
felbft es gekauft hat.
Während dieſer wadere Mann fo fpradh, war ber
elende Sklave blaß geworden wie eine Leiches er zitterte
und einzelne Tropfen eisfalten Schweißes traten ihm auf
Die Stimme; er trat bald vorwärts bald zurüd, drehte
ben Kopf bald fo bald anders und fing an mit klein⸗
lautem Munde einiges unpaffende Zeug hervorzuftammeln,
fodaß ihn vernünftiger Weife niemand hätte für unfchuldig
erklären konnen. Nichts befto weniger befämpfte der ver
meſſene Schurke feine Furcht mit feiner Frechheit, ver-
fcheuchte fie und warb fo muthig, daß ihm feine alte
‚Berfchlagenheit wiederfam und er mit feiner vorigen
Geiftesgegenwart ben Arzt der Lüge zieh und alle feine
Ausfagen Ieugnete. Der unbefcholtene Greis aber be
fann fih, um nicht in feinen legten Jahren ſeinen un-
befledten Ruf zu befubeln, auf Mittel, die Wahrheit in
212 II. Giovanni Fiorentino.
der Sache and Licht zu bringen. Er forderte daher einen
ber Diener der Gerechtigkeit auf, dem Sklaven feinen
Ring vom Finger zu ziehen, und als man ihn mit dem
Siegel des Sädchens verglich, ergab fich die Überein⸗
flimmung beider. Die Richter erklärten e8 demnach für
einen binreichenden Beweis, um ihn auf die Folter zu
bringen. Dan gab ihm mehrere Steeihe mit dem
Stricke, aber noch immer beharrte er auf feinem Leugnen.
Darauf fagte der Arzt zu ben Richtern: So wiffet denn,
daß, als mic, dieſer Verruchte, wie ich bereits erzähle
babe, bewegen wollte, ihm Gift auszuhändigen, ich aber
es für einem rechtfchaffenen Arzte unziemlich hielt, den
Tod eines Menfchen zu veranlaffen, dieweil ich überzeugt
bin, daß die Heiltunde den Menfchen vom Himmel ge-
offenbart worden ift zum Wohl und nicht zum Schaden
bes Menfchengefchlechts, und als ich fürchtete, wie ich
euch gleichfalls gefagt habe, er möchte zu einem andern
gehen, welcher aus Geldgier ihm das gegeben hätte, was
er verlangte, dag ich ihm fein Gift gegeben habe, fondern
einen Alrauntrank, welcher fo tief in Schlaf fentt, daß,
fo fange feine Kraft dauert, der, der ihn zu ſich genom-
men hat, wie todt ausfieht. Wenn num jener Knabe den
von mir gemifchten Trank genommen hat, fo lebt er, ruht
und fhlummert. Sobald die Kraft der Natur den dichten
Nebel diefes Schlummers verjagt haben wird, wird auch
unfere Sonne fo ſchoͤn wie zuvor ihm leuchten. Iſt er
aber wirklich todt, fo fucht die Urſache anderswo.
Nachdem der Arzt diefe Worte gefprochen hatte,
ſchien es Allen das Wichtigfte, ohne Verzug nach dem
Begräbnißorte des Knaben zu gehen, um fich über den
Fall Aufklärung zu verfchaffen. Man brachte daher den
Diener fowte den andern ältern Sohn in das Gefängniß
und Alle gingen nach der Gruft. Dort angelangt, ließ
es fich der Vater nicht nehmen, mit eigenen Händen ben
Stein über dem Grabe wegzumälzen. Und die Hilfe
durfte auch nicht länger ausbleiben, denn die Natur hatte
36. Die Vergiftung. 211
weifen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ic es
ihm abſchlage, fo werbe er zu einem andern gehen, ber
vielleicht minder vorfichtig fei, als ich, und ihm in feinem
Begehren willfahre; ich hielt es daher für gerathen, ihm
einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber
von einer Beichaffenheit, die ihr fpäter hören werdet.
Da ich überzeugt war, daß man ber Sache mit ber Zeit
nachſpuͤren werbe, wollte id den Preis, den er mir anbot,
nicht fogleich nehmen, fondern fagte zu ihm: Ich fürchte,
einige von biefen Ducaten möchten falfch ober zu leicht
fein; thue fie daher wieder in dieſes Sädchen und fiegele
es mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit
wollen wir alsdann zufammen nad) der Bank gehen und
fie unterfuchen laſſen. Er ließ fich überliften und ich
brachte ihn dahin, daß er den Sad mit feinem Siegel
durch meinen Diener holen
en. Er mag es fehen und
und barauf erklären, auf
Züngling beſchuldigen will,
zu haben, wenn er doch
Mann fo ſprach, war ber
mie eine Leiche er zitterte
ı Schweißes traten ihm auf
rwärts bald zurüd, drehte
ers und fing an mit klein ⸗
mbde Zeug hervorzuflammeln,
niemand hätte für unſchuldig
> weniger befämpfte ber ver»
t mit feiner Frechheit, ver-
authig, daß ihm feine alte
md er mit feiner vorigen
er Züge zieh und alle feine
befcholtene Greis aber ber
n legten Jahren feinen un
uf Mittel, die Wahrheit in
214 II. Giovanni Yiorentino.
einft einen Spaß zu veranflalten, namlich eine große
Jagd von wilden ZThieren in der Stadt, und zwar zu -
Ehren einiger fremden Herren, welche auf Befuch zu
ihm kommen follten. Er hatte daher aus verfchiedenen
Gegenden mit fehr bedeutenden Koften eine große Menge
wilder Thiere zuſammengebracht, worunter viele Bären
waren; nun blieben aber die Herren, um deren willen
hauptſãchlich bie Jagd angeftellt werden follte, länger,
ale man erwartet hatte, ans, die Thiere konnten das
eingefchloffene Leben nicht vertragen und viele farben,
und da fie auf die Straßen geworfen wurden, kamen
die armen Leute daher und zogen ihnen die Haut ab,
um fie zu eſſen. So war denn auch eine fehr große
und erfchrediich. anzufchauende Bärin geftorben und eine
Räuberbande, die vor kurzem in die Stadt gekommen
war, gründete auf diefe Bärin einen Plan, den Demo-
crate Kiftig zw berauben und zwar auf folgende Weiſe.
Sie nahmen bie tobte Bärin, trugen fie in ihre Woh-
nung und zogen ihr geſchickt die Haut ab, ließen aber
Kopf und Füße ganz Nachdem fie das Fell gänzlich
vom Fleifche gereinigt hatten, beftreuten fie es mit Aſche
und legten es in die Sonne, um ed zu trocknen; inmit⸗
telft ließen fie fih8 wohl fein, indem fie das Fleiſch ver
fpeiften. Als das Fell troden war, ftedten fie nach ber
bereitd unter ihnen getroffenen Verabredung einen der
Ihrigen mit Namen Trafileo hinein, nähten es forgfältig
zufammen und bebediten die Naht mit den dicken Borften,
fodaß man fie nicht fehen fonnte; an die Stelle, wo der
Bärin die Kehle durchfchnitten wurde, kam Xrafileo’s
Kopf zu ftehen und fand Raum genug um zu athmen
und zu fehben. So mußte man meinen, es fei eine wirf-
liche Bärin. Nachher kauften fie einen Käfig und fperrten
ihn binein. Als die Sache fo weit war, erhielten fie,
um ihren Betrug vollzumachen, eine Anzeige von einem
gewiffen Nicanore aus Albano, welcher in genauer Freund»
haft mit jenem Democrate fehen follte und in feinem
36. Die Vergiftung. 211
weifen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ich es
ihm abſchlage, fo werde er zu eimem andern gehen, der
vielleicht minder vorfichtig fei, als ich, und ihm in feinem
Begehren willfahre; ich hielt es daher für gerathen, ihm
einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber
von einer Befchaffenheit, die ihr fpäter hören werdet.
Da ich überzeugt war, daß man ber Sache mit ber Zeit
nachſpüren werde, wollte ih den Preis, den er mir anbot,
sicht fogleich nehmen, fondern fagte zu ihm: Ich fürchte,
einige von biefen Ducaten möchten falfc oder zu leicht
fein; thue fie daher wieder in dieſes Sadchen und fiegele
“8 mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit
wollen wir alsdann zufammen nad) der Banf gehen und
fie unterfuchen laffen. Er ließ fich überliften und id)
brachte ihn dahin, dag er den Sad mit feinem Siegel
ſchloß. Ich Habe ihn foeben durch meinen Diener holen
laſſen und will e8 euch zeigen. Er mag es fehen und
fol fein Siegel anerkennen und darauf erklären, auf
welche Art er diefen braven Jüngling befchuldigen will,
feinem Bruder Gift gegeben zu haben, wenn er doch
felbft es gekauft hat.
Während diefer wackere Mann fo ſprach, war ber
elende Sklave blaf geworden wie eine Leichez er zitterte
und einzelne Tropfen eisfalten Schweißes traten ihm auf
Die Stine; er trat bald vorwärts bald zurück, drehte
ben Kopf bald fo bald anders und fing an mit klein⸗
lauten Munde einiges unpaffende Zeug hervorzuftammeln,
fodaß ihn vernünftiger. Weiſe niemand hätte für unfchuldig
erklären können. Nichts defto weniger befämpfte der ver-
mefjene Schurke feine Furcht mit feiner Frechheit, ver-
fcheuchte fie und warb fo muthig, daß ihm feine alte
‚Berfchlagenheit wieberfam und er mit feiner vorigen
Geifteögegenwart den Arzt der Lüge zieh und alle feine
Ausfagen leugnete. Der unbefcholtene Greis aber be
fann fih, um nicht in feinen legten Jahren_feinen un-
befleten Ruf zu befubeln, auf Mittel, die Wahrheit in
0
216 III. Giovanni Fiorentino.
Nach diefen Worten nahmen bie Räuber Abfchied
und gingen ein wenig vor bie Stadt hinaus, wo fie an
einer abgelegenen Stelle etwas abfeitd der Straße neben
einem Kirchlein ein Grabmal fahen. Sie hoben den Dedel .
auf, der von der Länge der Zeit ganz abgenugt war,
fanden bie Gebeine ber Todten ganz in Staub gefunten
und dachten, das wäre ein paffender Pla um das zu
verftecden, was fie aus dem Haufe des Democrate ber-
vortrügen. Sie erwarteten nun die dunkelſte Zeit ber
Nacht, das heißt die Stunde, in welcher der Schlaf
mit feiner erften Heftigkeit ſich der Sterblichen bemeiftert,
und ftellten fi) mit ihren Werkzeugen bewaffnet vor
Democrate's Haufe auf. Traſileo war inmittelft nicht
weniger thätig geweſen; denn er hatte, fobald er merkte,
dag Alles fchlief, den Käfig verlaffen, den Pförtner mit
einem Meſſer erftohen, dann bie Thüre geöffnet und
feine Genoſſen eingelaffen. Sobald die Spigbuben im
Haufe des Democrate waren, zeigte ihnen Zrafıleo eine
Vorrathskammer, worin er das Silber hatte nieberlegen
fehen. Sie öffneten mit ihren Eifenwerkzeugen die Thüre,
beluden fich mit dem, was fie tragen konnten und brachten
es in das obengenannte Begräbnig und ließen einen von
ihnen, während fie zurückkehrten, um das Übrige wegzu⸗
tragen, zurüd, um in ber Nähe der Thüre zu beachten,
ob im Haufe eine Bewegung entfiche; denn fie dachten
bei fich, der Anblid jener Bärin würde binreichen, um
bie Dienerfchaft zu fehreden, wenn einer davon etwa auf-
wachen ſollte. Es ftund allerdings auf das Geräufch hin
ein Diener des Haufes auf und ging an bie Thüre, um
zu fehen, ob der Pförtner dort fei. Er fah ihn todt und
das wilde Thier im Daufe umbergehben. Darum fchlich
er leife hinweg und erzählte ben andern, was er gefehen.
Da dauerte es denn nicht lange, fo war das Haus voll
von Männern mit brennenden Fadeln, fodaf de Fin⸗
fterniß floh, und alle .ohne Ausnahme brachten Waffen
mit; die einen kamen mit Panzern, andere mit Lanzen
37. Bürenjagd. 97
und Spiefen und viele mit bloßen Schwertern; ja, was
noch mehr ift, fie ließen große Sagbhunde kommen und
umzingelten allefammt die arme Bärin, ſodaß fie fie
graufam umbrachten, ohne daß der Menſch darin einen
Laut von ſich gab. Dennocd, hatte er allen, die es fahen,
einen ſolchen Schrecken eingejagt, daß auch den Xobten
feiner zu berühren wagte. Am Ende als ein Zleifcher
das Thier fehinden wollte, entkleibete er den armen un»
glücklichen Räuber.
Italianiſcher Novellenfchag. 1. 10
IV. Luigi Pulei.
1432.
38. Zwei Stüdlein aus ‚Siena.
An Zrau Ippolita, Tochter des Herzogs von Mailend und
Gemahlin des Herzogs von Galabrien.
Maſuccio, der Ruhm der Stadt Salerno, der Nach⸗
ahmer unſeres Meſſer Giovanni, hochwohlgeborne Frau
Ippolita, hat mir Muth gemacht, euer fürſtlichen Gnaden
zu ſchreiben, als ich in dieſen Tagen in ſeinem Novellen⸗
buch viel anmuthige Dinge las. Da ich erfuhr, daß
ſelbige von euer Herrlichkeit gnädig aufgenommen und
gelefen worben, machte ich es wie die Schiffer, welche
ihre Fahrzeuge dahin zu richten pflegen, wo fie denken,
daß ihre Waaren Abfag finden. Ich möchte nun aber
zu der Claſſe derjenigen gerechnet werden, welche ihrem
Geſchick und dem ſchwanken Brette nicht zu fehr ver-
trauen und für den Anfang nur Feine — —
machen. So iſt denn meine Abſicht und Wunſch, nur
in Kürze eine kleine Novelle von einem Buͤrger von Siena
zu erzählen, die ich vor wenigen Jahren als wahr ver⸗
nommen habe. Dieſer beging zumeiſt aus reiner Einfalt
einen Fehler, ohne dabei an etwas Schlimmes zu denken.
Glaube jedoch niemand, daß ich dies aus Haß oder ſonſt
in böſer Abſicht ſchreibe, denn ich war immer der Freund
jener erlauchten Stadt. Auch hat mich dazu nicht der
Umſtand bewogen, daß wir zum Schreiben von ihnen
ſind herausgefordert worden, indem ein gewiſſer Siener
eine Anzahl Novellen angefertigt hat, in welchen er immer
Florentiner einführt, die auf verſchiedene Weiſe von den
38. Zwei Gtüdlein aus Siena. 219
Sienern hintergangen worden ſeien; benn ich meines Theils
würde ed ihnen, fo oft fie mich auch bintergingen, ſtets
aus Freundfchaft und Bruderliebe bereitwillig werzeihen,
namentlich im Hinblick darauf, wie unfer Heiland ja auch
denen am Kreuz verziehen bat. Und ich mache darum
Beinen Anſpruch auf den Lorbeerkranz; fondern wenn ich
auf irgend eine Weiſe .einer fo hochanſehnlichen Frau
mic, gefällig ermeifen könnte, indem ich hiervon ober
von andern paffendern Dingen fchreibe, da wir ung doch
manchmal in allerlei Gelehrſamkeit und fhönen Wiffen-
fhaften geübt haben, fo wäre dies der wahre und rechte
Preis und’ den wir allein für all unfere Bemühung an-
ftreben. *) '
Zur Zeit, da Papft Pius**) zu Eorfignano ***) war,
begab ſich zu Siena ein merfwürdiger thörichter Streich.
Diefer wahrhaft würdige und mit Recht höchfte Oberhirt,
der den Namen bes hochberühmten Trojaners wohl ver
diente, war. gelommen, um feinen alten Wohnort wieder
aufehen und wiederaufzubauen, der von ihm ewigen Ruhm
haben wird. Schon offenbarten fich die prächtigen Palaͤſte
und die andern Gebäude, welchen die hohen Mauern nicht
gleichlommen konnten, und das Gerücht flog Durch die ganze.
Stadt des Pius. Infonderbeit aber wollte Siena vor
Selbſtgefühl und Verwunderung faft plagen. Ein Ein-
wohner bdiefer Stadt, der noch am Leben ift und für
einen fehr geachteten Kaufmann gilt, war in feinen frü⸗
*) Den Schluß der Debication, blos aus perſoͤnlichen Lobſprüchen
und Gomplimenten beftehend, übergehe id.
“) Yius TI, früher Aneas Silvius Piccolomini, Yapft von
1468 — 1464.
“-) Hartmann Schebel im Liber chronicarum(Augdb.1497,931.281)
fagt: Pius eius nominis secundus papa Eneas cognomento Picol-
“ homineus antea vocatus, natione Ytalus, Senis oriundus, Cor-
siniani ortus, patre Silvio, matre Victoria.... is Corsiniani
cum per etatem discere potuisset grammaticam didicit; annum
vero XVII agens Senas proficiscitur, ubi a necessariis et
cognatis adiutus poetas prime, mox oratores audivit.
10*
2320 VV. Buigi Pulci.
heren Jahren ein guter Kamerab und vertrauter Freund
des Aneas Piccolomini geweſen, ſie hatten einen großen
Theil ihrer Kindheit miteinander verlebt und da allerlei
Dinge ausgeführt, wie es ihr Alter und der Ort mit
ſich brachte. Als nun dieſer die Wunderdinge von Cor⸗
ſignano und vom Papſt hörte, wünfchte er, auch einmal
binzugehen und ihn zu befuchen und die alte Freundſchaft
zu erneuern. Da befann er fih nun bin und ber, wie
er ihm zuerft etwas Paffendes zum Gefchent überfenden
könne. Oft dachte er, er follte ihm nur eine Schildkröte
ſchicken, denn er hatte eine gar ſchoͤne. Dann aber ging
er auf Anrathen der Magd höher hinauf und er hätte
damals alles gegeben um einen Igel oder eine ähnliche
Thorheit. Zufällig kam beffelbigen Tages Meſſer Goro
nad Siena. Sobald unfer Held das erfuhr, fiel ihm
wie ein Stein vom Herzen, er meinte, Gott habe ihm
den Mann hergefandt, daß er fich bei ihm wegen bes
Geſchenkes Raths erholen und ein Mittel ausfindig machen
Tonne, um fich bei dem Papft wieder in Erinnerung zu
bringen, denn er wußte, wie viel diefer bei feiner Heilig-
feit galt und vermochte, und er konnte doch nicht fo
ohne weiteres hintreten und bem Papft die uralten wurm⸗
ſtichigen Geſchichten ins Gedaͤchtniß rufen. Er machte
ihm daher auf der Stelle einen Beſuch, und als fie fi
kaum angerebet, rief er ihm entgegen: Nun, was macht
denn der fromme Heilige, Meffer Ancas? Iſts wahr,
daß er Papſt geworden iſt? Wir haben vor Zeiten
manchen Schoppen miteinander getrunken. Ich will zu
ihm gehen und ihn fragen, ob er auch noch an die
Backenſtreiche denkt, die ich ihm bei Fontegaia gegeben
habe, als ich machte, daß er das Geld fallen ließ.*)
) Die Reden find im Siener BVolktsdialekt, und id weiß nicht,
ob id} immer recht deutes biezo ift wol dem venediſchen bezzo
gleich? Bielleicht follten in der Überfepung die Worte in
Berliner Mundart oder einer ähnlichen wiedergegeben werben.
Mir ift jedoch Feine folde geläufig.
38. Zwei Ctüdlein aus Siena. 231
—* er war damals ber zuderfüßefte Junge von ber
t.
Nachdem er noch vieles thörichte Zeug vorgebracht,
begehrte er, Meſſer Goro ſolle ihm verſprechen, auf den
Abend mit ihm zu eſſen, und Meſſer Goro nahm es an.
Darauf ging er hinweg, kehrte nach Hauſe und hielt mit
ſeinen Freunden Rath, welche Anſtalten zu treffen ſeien,
um ihm gebührende Ehre zu erweiſen. Sie putzten nun
das Haus ſehr reich auf; dann ſtritt man ſich über die
Speiſen, und es war unter ihnen die Rede von Pfauen
ſammt den Federn, denn fie hatten fagen hören, früher
babe man ſolche in Rom bei Gaftmahlen gegeben und
noch jegt fei es in Florenz üblich; aber es war ihnen
nur wie ein Traum, auch wußten fie nicht eine andere
Zubereitung zu benten, als im Waffer fieden. So wurde
denn verabredet, ed auszuführen. Da fich aber Feine
Pfauen vorfanden, gingen fie auf den Campo *), wo
andere Sachen der Art verkauft wurden, und bandelten
zwei wilde Gänfe ein, bie bort feil waren; benn fie
dachten, diefe haben doc, ziemlich viele Ahnlichkeit mit
ben Pfauenweibchen wegen gewiſſer Flügelfedern, und
mit dieſen können fie Meſſer Goro leicht bintergehen.
Sie fchnitten ihnen bie Füße und die Schnäbel ab, trugen
fie heim und warfen fie fammt allen Federn in den Sied⸗
keſſel, bereiteten. auch mehrere andere Gerichte nad) ihrer
Weiſe. Am Abend kam nun Meffer Goro und brachte
noch einige Hofleute mit. Der Wirth empfing ihn ſehr
heiter und führte ihn, wie es gebräuchlich ift, durch das
aufgeräumte Haus. Dabei begegnete ihm aber vor lauter.
Gefälligkeit ein kleines Misgefhid. Er hatte nämlich
das Wappen bes Papſtes über die Küchenthüre gehängt
) Der fchönfte oͤffentliche Play in Siena heißt la piazza del campo,
tiefer als die ihn einfaffenden Gebäude, mit einem ſchoͤnen Brunnen
von Jacopo della Guercia, der davon den Namen del Fonte bat.
Bol. E. Foͤrſter's Handbuch für Neifende in Italien. Münden
1842, ©. 491,
222 . IV. Luigi Pulci.
und das bes Meſſer Goro war brimmen im Gußflein.
Indem er ihm nun dies zeigen wollte, hielt ex Die Lampe,
die er in der Hand hatte, fo hoch, dag er gar geſchickt
ihm eine ganze Ladung DI über feinen rothen Mantel
herabgoß, was denn einige Störung in die Sache brachte.
Er merkte, daß er etwas Unpaffendes angerichtet hatte,
308 ihm demnach den Mantel eilig ab und ließ ihn eine
Weile in feinem faubern Wamms im Saal ftehen, während
- er in ein Zimmer lief, von da er ihm feinen langen Winter-
überrod holte, der mit dickem ſchwarzen Schöpfenpelz ge
füttert war und den er ihm fofort überwarf. Meffer
Goro ließ ſich das, in Betracht daß es fo ehrlich gemeint
war, gutmillig gefallen, obgleih damale Sommer und
bie Hitze nicht unbeträchtlic) war. Unterbeffen maren
Unftalten zum Händewafchen getroffen worden, man fegte
Meſſer Goro zu oberft an den Tifh und dann die an-
dern Hofleute, die mit ihm gelommen waren, unb zu
Anfang verfpeiften fie viele gute füße Torten. _ Sodann
wurde Meſſer Goro eine Schüffel vorgefegt mit bem
Dfauen ohne Schnabel und einer aufgefordert, fie zu
zerſchneiden. Da derſelbe aber in ſoichem Geichäft
außer Übung gefommen war, mühte er fich eine gute
Weile damit ab, die Vögel zu rupfen, und war unge.
fhidt genug, den Saal und den ganzen Tifch mit Federn
anzufüllen und dem Meffer Goro und den andern bie
Augen und ben Mund und die Nafe und die Ohren.
Sie merkten zwar wol das Lächerliche der Sache, ſchwie⸗
gen aber und nahmen, um die Ordnung nicht zu flören,
‚manchmal einen Biſſen von ben andern Speifen und
würgten damit wieder einige Federn hinunter. An diefem
Abend wären Sperber und Habichte gut am Plage ge
wefen. Als nun bdiefes verwünfchte Gericht abgetragen
war, kamen viele Braten, freilich mit viel Kümmel.
Aber alles wäre noch hingegangen, hätten fie nicht noch
zulegt einen Fehler gemacht, ja in ihrer Thorheit dem
Meſſer Goro und feinen Begleitern am Eſſen faft einen
38. Zwei Stacklein aus Siena. 233
garfligen Spuk gefpiell. Der Hautherr hatte nämlich
mit feinen Raͤthen verabrebet, den Gaͤſten zu Ehren eine
Schüffel mit Sulz zu bereiten, und barauf moliten fie,
wie das manchmal in Florenz und anderswo Sitte if,
das Wappen bes Papftes und basjenige Meſſer Goro’s
mit gewiffen Denkfprüchen darſtellen. Dazu nahmen fie
Dperment, Bleiweiß, Binnober, Grünfpan und anberes
tolles Zeug und fo wurbe die Platte dem Mefier Goro
mit großen Prunk und als etwas ganz Beſonderes vor-
geſeht. Meſſer Boro und alle feine Begleiter ließen fich
auch umfomehr davon belieben, als fie damit ben Ge
ſchmack der. bittern Kümmelbrühen und der andern felt
famen Speiſen wegzubringen bofften, in ber Vorausſetzung,
es fei aus Beftandtheilen zufammengefegt, wie man fie
anderwärts, wo es recht zugeht, anwendet, als Safran,
Mandelmilch, Sandelholz, Kräuterfäften und dergleichen.
So fehlte wenig, daß nicht die Nacht darauf einer ober
ber andere von ihnen ins Gras beißen mußte; namentlich
Hatte Meſſer Goro Kopfſchmerz und Magenbefchwerden
und gab vielleicht alle Federn ber wilden Gänfe wieber
von fih. Nach jenem teuflifhen vergifteten Effen Fam
noch ziemlich vieles Zuckerwerk und damit war die Mahl-
zeit zu Ende. Der Wirth war dabei dem Meffer Goro
beftändig zur Seite geweſen, Ichnte auf feinem Rüden
und über den Kopf und wich ben ganzen Abend nicht
von bee Stelle, fobaf er theils wegen biefer Zudringlich⸗
Leit, theils wegen des unpaffenden langen Uberkleides
ben ganzen Abend vor Hige faſt verſchmachtete. Dabei
ſchwatzte der Wirth unaufhörlich nach feiner Weife vom
Papſt und ließ endlich noch durch feine zwei Knaben
eine Schaufel bereiten*), was den Gäften ein erfchred-
*) Yuld führt von diefem Spiel, das er zuerft, vermuthlich ſieniſch,
le bisciaecole nennt, noch „damit man es beſſer verftehe”
folgende Benennungen aus andern italiänifhen Städten an,
welche wir deuti nit wohl wiedergeben koͤnnen: aus Florenz
Yaltalena, Piſa anciscocolo, Golle il pendoio, Mom la prendi-
32 IV. Buigi Yulci.
liches Spiel vorkam. Ein guter. Theil ber Nacht war
jegt vorüber und Meffer Goro fammt feinen Begleitern
aus ‚mehr ald einem Grund ber Thorheiten ihres Wirthes
müde; deshalb nahmen fie Abfchied und gingen nach Haufe,
wo fie während einer übeln Nacht mehr als einmal ver-
anlaßt waren, das Nachteffen zu bereuen. Der aber,
ber es veranftaltet hatfe, war ber Meinung, es fei alles
ganz vortrefflih abgelaufen, abgefehen von der großen
Zampenfpur, welche Meffer Goro an feinem Mantel mit
fortnahm; und er dachte in feinem ‚Sinn, das Rupfen
der gefottenen Gänfe fei doch ein flattliches Schaufpiel
geweſen. In dieſer Überzeugung, ‚worin ihn noch bie
höflichen Reben des Meſſer Goro beftärkten, verließ er
am andern Morgen früh die Stadt, um allerlei Gefchäfte
ins Reine zu bringen und fodann einige Zage um fo
ungeftörter in Corfignano fein zu können. Da nun das
Schickſal fehr fcharffinnig iſt und wie. mich deucht alle
ft auffindet, wenn ed einmal einen recht zum Narren
machen. will, begab es fich, daß, als an demfelbigen Tag
unfer ſchlimmer Vogel nach Siena zurüdtehrte, er einen
andern. noch feltfamern Vogel, als er felber war, auffand.
Es ging nämlich ein Landmann ein wenig vor ihm drauß
auf ber Straße, melcher einen Grünfpecht gefangen hatte
und ihn zum Verkauf nad) Siena trug. Diefer Vogel
trägt außer feinem grünen Kleide am Kopfe noch einige
rothe Federn und pflegt mit feinem langen Schnabel gar
ſehr die Ameifen zu verfolgen, weshalb unfere Poeten
fabeln und erzählen, es fei ein alter Konig von Stalien
geweſen Namens Picus, der fi in diefen Vogel wer-
wandelt habe. Darum behält er auch noch im Italiä-
fendola, Genua lo balsico, Neapel la salimpendola, Mailand
lidoca. Gaͤbe uns jemand eine Beihreibung und Geſchichte
volksmaͤßiger Spiele, fo wäre das ſicher eine dankenswerthe Arbeit.
Manches Intereſſante dafür theilt ſchon Regis zum Rabelais
(U, 98. 115. 452. 582.) mit. Das Wörterbud der Grusca .
befäpreibt die altalena als Kinderfpiel ganz wie unfere Schaufel.
38. Zwei Stüdlein aus Biene. 2235
nifchen den Namen bei und die Streifen des Töniglichen
Manteld.*) Als unfer Siener den Vogel fah, meinte er,
es fei ein Papagai, und plöglich fiel ihm ein, das wäre
ein paffendes Gefchent, um es dem Papſt zu fenden,
ftug demnach den, der ihn trug: Wo traͤgſt du den
Papagai da hin?
- "Der Bauer aber war pfiffiger, als er; er. merkte
die Dummheit des Mannes und antwortete, wohl wiſſend,
daß die Papagaien ſehr gefchägt find, er bringe ihn einem
Freunde zum Geſchenk; Tieß ſich fodann eine Weile bitten
und gab ihm endlich das Xhier bin faufsweife um brei
Pfund, worauf er nach Haufe ging und fehr froh war
über fein Tagewerk. Unfer Närrlein ging gleichfalls ganz
heiter mit feinem Wogel nach Siena, und ed war ihm
als Hätte er ihn geftohlen, ließ fogleich einen Käfig be-
ftelen und das Wappen der Piccolomini drauf malen
nebft manchen andern artigen Dingen und fperrte feinen
Papagai hinein. So ließ er ihn in feiner Eitelkeit zmei
oder drei Tage an der Bude des Malers öffentlich aus-
ftellen, damit e8 auc, jedermann fehe. In der That ganz
Siena hatte Zeit genug, es zu betrachten, und ed war
nur zu vermundern, daß in einer fo großen ehrenwerthen
Stadt unter einer fo zahlreichen Einmwohnerfchaft auch)
nicht ein einziger gefcheidter war als die andern, und
wußte, ob das ein Grünfpecht war ober ein Papagai.
Endlich ſchickte er wirklich den Käfıg fammt dem gewich⸗
tigen Vogel nach Korfignano und er wurde dem Papft
im Namen feined Freundes ausdrücklich als Papagai
) Italianiſch heißt er Pichio. Die Muthe erzaͤhlt Ovid in den
Metamorphofen B. XIV, 3. 320 ff. Dort beißt es u. a.:
Jener entfüicht, doch indem er ſich felber beftaunt, op * ſchneller
Laufe, denn fonft, entdedt er am eigenen Leibe Ge
Und ganz zornig darob, dab er plöglih ein neues Sender
Latiums Wälder befu akt er mit hornigem Schnabel
Waldbäum, Wunden — zt ſchlägt er in die ragenden Kfte.
Purpurfarbe gewinnt das Gefieder vom Purpurgewande;
Wo die Spange zuvor dad Kleid mit Golde geheftet,
Bard nun Ylaum, und den Naden umläuft solbfatben ein Ringel.
Nichts bleibt auber dem Namen zurück vom vorigen Picus
10**
BB IV. Luigi Pulci.
überreiht. Das Geſchenk Hätte in keinem pafjendern
Augenblit ankommen können, denn Meffer Goro war
gerade in biefen Tagen nad) Corfignano zurückgekehrt
und hatte feiner Heiligkeit dem Papſt und dem: ganzen
Hofe die Gefchichte von dem Nachteffen erzählt und von -
dem Lampenguß und von feiner Bangigkeit in der Nacht
darauf. Da er nun diefe neue Thorheit ſah mit dem in.
einen Papagai verwandelten Grünfpecht, beruhigte er fich
um fo leichter über feine eigenen Unfälle. Obgleich aber
diefe Herzendeinfalt dem Papſt und allen feinen Hofleuten
viel zu lachen gab, fo war man doch in Siena ber feften -
Überzeugung, daß es ein Papagai gewefen fei, und in
der ganzen Stadt gab man fein Wort darauf und ging
Wetten darüber ein. Und fo dauerte ber Tanz einen
Monat oder länger, bag man über diefen Vogel in Eor-
fignano lachte und in Siena ftritt, und man könnte noch
jegt täglich Leute dort finden, die darauf beharren, wie
namentlich ber, ber ihn überfchichte. Derfelbe ging wenige
Zage nad) Ubermachung des Geſchenkes hin. um ben hei-
ligen Vater zu befuchen und ward gnädig aufgenommen,
blieb dafelbft auch mehrere Tage zu feinem Vergnügen.
Sobald er den Papft fah, lief er auf ihn zu wie ein
Verrückter, erinnerte ihn an die vielen Schoppen unb
Badenftreihe und fagte fo viel tolles Zeug, daß ber
Dapft immer wieder und von neuem lachte. Endlich
empfing er feinen Segen und kehrte nach Siena zurüd
ganz getröftet über den Papft und über Korfignano und
vor allem über feinen Vogel. Und er würde noch heu-
tige8 Tages Stein und Bein ſchwören, es fei ein Papagai
gewefen, als hätte er ihn eigenhändig aus feinem Nefte
an dem Nilufer geholt, woher fie kommen follen.
—
V. Gentile Sermini.
1450. |
39. Ser Pace.
(Nov. 5.)
In der praͤchtigen Stadt Rom lebte ein Prieſter
Namens Ser Pace, welcher als Pfarrer eines Kirchleins
mit einer guten Pfründe anſtändig lebte. Er war ein
Mann von milder Gemüthsart und höflichen Sitten, war
einer guten Tafel nicht gram und lud häufig andere
Geiftlihe zum Eſſen zu fih. Als er einft eines Bur⸗
fen benöthigt war, Tief ihm einer aus Colle im Elſa⸗
thal Namens Mafetto in die Hände, welcher gerade als
Knecht Dienfte ſuchte. Sie fprahen miteinander und
kamen tiberein, dag Mafetto auf Lebenszeit fich zu ihm
verdingte, mit dem Verſprechen, fo genau als möglich
zu erfüllen, was Ser Pace zu ihm fage; Ser Pace
nahm ihn ebenfalls auf Lebenszeit an und fegte für fich
fünfundzwanzig Gulden Buße feft, wenn er ihn fort-
fhide, und dad Gleiche für Mafetto, wenn er feine
Entlaffung begehrte. Weil aber Mafetto in einem loſen
Alter fland, das dem Hausheren geringere Gewähr leiſtete,
übergab er von feiner Habe dem Ser Pace zwanzig Du-
caten und ein filbernes Gefchmeide fieben Loth ſchwer,
einen Heinen Falken barfiellend, alles miteinander in
Derfag. Ser Pace ficherte die Übereinkunft noch durch
die Hand eines öffentlichen Notars; es wurde ein Papier
darüber aufgefegt und als daffelbe im Keinen war, wohnte
Mafetto mit Ger Pace zufammen, kam feinem Dienfte
mit großem Eifer nach und erwarb ſich Ser Pace's Zu⸗
228 V. Gentile Sermini.
neigung in hohem Grade. Etwa vierzehn Tage ging
der. Dienft in Ordnung; nun aber begann Mafetto das
ins Werk zu fegen, weshalb er eigentlich zu Ser Pare
gegangen war. Es war bie große Faftenzeit; da ſprach
Ser Pace zu Mafetto: Morgen fommen vier Priefter
zu mir zum Frühſtück. Kaufe zehn Pfund Fifche und
rüfte fie gut zu! Meiche Bohnen ein! Koche aber nicht
viele, denn es ift nicht grade. eine Speife für Priefter.
Daß ed nur an den Fifchen nicht fehlt!
Mafetto antwortete: Ganz recht, geftrenger Herr!
Und er forgte für Alles. Er rechnete, da es fünf.
Priefter waren, legte er elf Bohnen ins Waffer, nämlich
zwei für jeden und eine für fih, und am andern Morgen
fegte er fie fo zum Feuer. Auch bereitete er die Fifche
föftlih zu, wie ihm Ser Pace anbefohlen hatte. Alles
war fertig, die Stunde der Mahlzeit kam und bie Geift-
lichen traten ind Haus. Maſetto empfing fie freundlich,
reichte ihnen Handwaffer, fie fegten fih zu Tiſch und
nad, einem würzigen Salate trug Mafetto die Zeller auf
mit je zwei Bohnen auf einem. Die Geiftlihen ver-
wunberten fich über diefen Anbli und fahen einander an.
Als aber Ser Pare dies, bemerkte, ſprach er zu Mafetto:
Was ift das für eine Ärmlichkeit? Geh, fehöpfe mehr
heraus! Biſt du verrüdt? Solche Teller fegt man nicht
Prieſtern vor.
Mafetto antwortete: In der Schüffel iſt nur noch
eine Bohne für mich. Wenn ihr ſie wollt, ſo will ich
ſie euch bringen.
Was ſagſt du? ˖ ſprach Ser Pace, ſtand auf und
wollte es ſehen. Er fand es auch wirklich ſo. Darüber
tadelte er ihn ſehr und ſprach: Sieh zu, daß dir dies
nicht wieder begegnet!
Maſetto antwortete, er habe es nur aus Gehorſam
ſo gemacht. Er habe ihm ja befohlen, nur wenig zu
kochen, deshalb habe er zwei auf jeden Geiſtlichen und
eine auf fich gerechnet.
39. Ser Pace. 229
Benug damit für jest, fagte Ser Pace. Gib uns
die Fifche! .
So ging das Frühſtück hin. Nachher aber gab er
ihm einen heftigen Verweis und ſprach: Mache, Maſetto,
daß dergleichen nicht wieder vorkommt!
Dieſer antwortete: Ganz recht, geſtrenger Herr!
Ser Pace ſagte zu den Prieſtern: Morgen will ich
euch ſchadlos halten; ich erwarte euch daher alle morgen
Vormittag hier zum Frühſtück.
Sie nahmens an und Ser Pace gab nun Maſetto
die erforderliche Weiſung, was er für morgen vorzu⸗
bereiten habe, naͤmlich Salfinen und friſche Fiſche, außer⸗
dem ſolle er Erbſen einweichen.
Nimm dich in Acht, fügte er hinzu, daß es nicht
wieder geht, wie heute morgen! Lege reichlich ins Waſſer!
Die Prieſter wollen keine Poſſen auf dem Teller. Koche
vollauf, nicht fo aͤrmlich!
Maſetto antwortete: Ganz recht, geſtrenger Herr!
Als es nun Zeit war, nahm er einen halben Scheffel
Erbſen, den Ser Pace vor wenigen Tagen gekauft hatte,
und weichte alle ein. Am Morgen aber fegte er fie in
brei großer. Töpfen zum Feuer und ließ fie kochen. Alles
war im Reinen, als die Priefler zum Frühftud! kamen,
fie faßen zu Tiſch, Maſetto hatte die Teller für fie zu-
gerüftet und. trat nun in den Saal mit ſolchen Erbs-
fuppen, dag nicht nur Priefter, fondern fogar Schweine*)
von Eaftri**) fich über diefe Maffe gefchämt hätten, fo
viele Erbfen fegte er ihnen vor. Als Ser Pace die
Erbſenbeſcheerung fah, ſprach er: Mafetto hat uns für
geftern Morgen entfchädigen wollen.
Und fo Iachten alle miteinander über diefe Kübel***)
) Cigarini finde ih nirgends erklärt. .
”) Das alte Delphi.
”*) Catinate, ein Wort, dad die Grusca nicht aufführt, von catino.
Bielleigt erlaubf, man mir darum auch das ſchwaͤbiſche Kübel,
verwandt mit Kufe.
2% V. Gentile Sermini.
mit Erbſen. Maſetto befchäftigte ſich ganz unbefangen
weiter damit, die Fiſche nach dem Geſchmack der geifl-
lichen Herren zuzmbereiten und bie &läfer immer neu
zu füllen, daß, wenn er fich ihnen geftern durch feine
Armfeligkeit verhaßt gemacht hatte, fie fich jegt für ent-
ſchädigt Halten und feine Freigebigfeit Toben mußten.
Eßt nur rüflig drauf los, antwortete Maſetto. Es
ft genug da um von Allem zu eſſen, namentlich
Erbſen.
Ser Pace ſagte: Haſt du uns denn noch nicht alle
hereingebracht?
Es iſt noch ſo viel übrig, ſagte Maſetto, daß ich
wol zwanzig Trachten, größer als dieſe, hereinbringen
kann.
Nachdem das Eſſen vorbei war, wollte Ser Pace
doch nachſehen und fand drei große Keſſel voll Erbſen
‚über dem Feuer. Er rief feine Geſellſchafter herbei, zeigte
fie ihnen und fprach zu Mafetto: Was Teufels haft du
gemacht? Diefe Erbſen hätten ja für hundert Bann
ausgereicht. Haft du denn alle Erbſen gekocht, die da
waren? |
Mafetto erwiderte: Ja, geftvenger Herr!
Diefer aber war darüber erzürnt und fehalt ihn heftig
aus, Maſetto aber vertheidigte fi) und fagte: Ich thue,
was ihr mir befehle, und ihr zürnet! Geſtern fagtet
ihr mir, ich folle wenig Bohnen kochen, ich that es und
ihr wart böſe; dann fagtet ihr mir, ich folle veichlich
Erbfen kochen, ich that es und ihr fchmählet mich aus.
Das if fehr unrecht von euch. Ihr wißt, daß eine-
Strafe darauf gefegt iſt, wenn ich nicht thue, was ihr
mir befehlt; ich gebe mir alle Mühe und boch werdet
ihre zornig über mid. Ich thue es nur, um nicht fünf-
undawanzig Ducaten zahlen zu mürffen.
Hiermit hörte bie Zwiefprach auf, und wer es mit
angehört hätte, ber hätte Ser Pace Unrecht und Mafetto
Necht geben müflen, fo gut wüßte. biefer zu fprechen.
39, Ser Pace. 231
Darüber geriet denn Ser Pace in Wuth und fagte zu
Maſetto: Mach, daß du mir heute das Haus räumft!
Nach diefen Worten ging er mit feinen Gefellfchaftern
aus und ſchloß die Thüre von außen mit dem Schluffel,
ohne Antwort abzuwarten. Ws Moafetto feine Worte
börte und fich einfchliegen fah, rief er mit lauter Stimme
nach: Auf welchem Wege foll ich denn das Haus räumen?
Ihr habt mich ja eingefchloffen.
Vol Ärger rief Ser Pace: Durch die Fenſter meinet-
wegen.
Ganz recht, geftrenger Herr! fagte Maſetto. Die
Geiftlihen gingen in die Vefper, Mafetto aber, in ſtren⸗
gem Gehorfam, ſchickte ſich an, ‚feinen Befehl zu voll-
ziehen. Er fing alfo an, duch die Fenſter das Haus
zu räumen; er fing von oben an; alles, was im Saale
war, Tafeln, Bänke, Tiſche, Zwehlen, Krüge, Becher,
Unterfäge, Schuffeln, Schaalen, Beſtecke warf er zu den
Zenftern hinaus auf ben Plag. Dann ging ed nach der
Küche; Keffel, Pfannen, Röfte, Brandeifen, Holzplatten,
Zeller und was er dort fand, flog aus bem Fenfter auf
den Pag. Dann im Schlafzimmer das Bett, die Bett-
lade, Koffer mit Allem was darin war, Kapuzen, Para-
mente, Tücher, Bücher und was er fonft fand, nichts
blieb darin, ed mußte durch die Fenſter in den Pfarrhof
hüpfen. Den Hühnerftall leerte er ganz aus und warf
ihn hinab. Auf dem Speicher lag ein großer Berg Kom, -
den leerte er Sad um Sad zum Fenſter hinaus und
ſchuͤttete daffelbe auf den Durcheinander der andern Sachen.
Als nun Ser Yace und feine Gefellfchafter aus der Veſper
Samen, fagten fie: Wir wollen doch fehen, ob ſich Majetto
aus dem Fenfter geftürzt bat.
Sie gingen bin, und als fie an die Thüre des Plages
ober Hofes, wie man es heißen will, kamen, hörten fie
ein lautes Krähen und Durcheinanderfliegen der Hühner,
weil Mafetto eben wieber einen Sad voll Körner herab-
goß. Ser Pace wunderte fih über den Vorfall, öffnete
232 V. Gentile Sermini.
wüthend das Hofthor, und fah denn bier alle‘ feine
Habfeligkeiten übereinandergeworfen und zerbrochen. Voll
Grimm fchrie er auf und rief Mafetto zu: Berräther,
was macht du?
Mafetto, einen andern Sad herabfihüttend, antwor-
tete ganz erfchöpft: Ich räume aus, wie ihre mir gefagt
habt. Ich habe nur noch wenig Korn auszuleeren, dann
ziehe ich den Faäffern die Zapfen aus und fo werde ich
bald ganz fertig fein. Macht nur noch einen Beinen
Gang um eine Ede! Wenn ihr wiederfommt, fo werbet
ihe Alles gethan finden, dag auch nicht ein Härchen
mehr übrig bleibt.
- Ser Pace fpie Feuer und Flammen vor Entrüftung
und fagte: WVerräther, geh mir aus dem Haufe!
Er nahm einen Stod und eilte die Treppe hinauf,
um ihn damit zu bedienen. Maſetto aber, welcher jung
und gewandter war als er, lief ihm davon. Ser Pace
folgte ihm nach und jagte ihn zum Haufe hinaus. Als
Mafetto vor der Hausthüre angelangt war, fprach er zu
den vier Geiftlichen: Ihr feid meine Zeugen, daß er mich
zum Haufe hinausgejagt hat.
In demfelben Augenbiid kam zufällig der Ritter des
Genators vorbei. Bon dem Gefchrei aufmerkfam gemacht,
kam er berzu, hörte den Fall und führte Ser Pace und
Mafetto gefangen mit fih; die vier Prieſter folgten.
Alle wurden dem Senator vorgeführt und Ser Pare
fegte demfelben den ganzen Schaden auseinander, welchen
ihm Maſetto zugefügt hatte.
Gnädiger Herr Senator, ſprach Mafetto, laßt mir
mein Recht werben) Weil aber Ser Pace Priefter ifl,
fo laßt ihn Gewähr leiften, daß er Recht gibt und eure
Gerichtsbarkeit anevfennt.
So gefhah ed. Ser Pace unterwarf fih dem Ge-
richt und leiftete hinreichende Gewähr. Darauf fegte
Mafetto feine Angelegenheit auseinander, zeigte den mit
Ser Pace eingegangenen fehriftlichen Vertrag vor und
39. Ser Pace. 233
erwähnte die Bußen und das Unterpfand. Ser Pace
dagegen erzählte, welchen Schaden er genommen habe.
Während nun ber Herr Senator und einer feiner Ge-
bilfen bie Parteien verhörte, hatte die Erbſenbrühe ihren
Lauf vollbracht und äußerte ihre Wirkfamkeit fo gewaltig,
daß Ser Pace's Schinkentafhe fih ganz mit folcher
Suppenbrühe füllte. Als die Kunde von dieſem Ereigniß
dem Herrn Senator zu Ohren, ober vielmehr zur Nafe
fam, wurde ihm der Prieſter verhaft, er fagte zu feinem
Gehilfen, er folle die Leute abfertigen und wegfchiden.
Diefer hatte die Gründe, die jeber für fich beibrachte,
angehört und ſprach nun das Urtheil, Ser Pace müffe
dem Mafetto fünfundzwanzig Gulden Buße zahlen und
Das ganze Unterpfand, das ihm Maſetto gegeben hatte,
zurüderftatten. Ser Pace befchwerte fih darüber, Ma-
fetto aber vertheibigte fein Recht.
Herr Senator, ſprach er, wundert euch nicht, daß
diefe fchurkifchen Pfaffen fich diefen Abend fo aufführen!
Das begegnet ihnen alle Tage bei ihrem fchlemmerifchen
Sreffen und Saufen. Alle Tage geht es hoch her bei
ihnen und ich hatte die Unluft bavon.
Der Herr Senator that nun in der befagten Weife
den Spruch, daß Mafetto fir Alles bezahlt werden müffe.
Und fomit fchied er befriedigt. Ser Pace und feine Ge⸗
noffen aber fcheiden fehr unzufrieden, denn fie hatten zum
Schaden noch bie Schande. Alle gingen mit Ser Pace in
fein Haus, um ihm zu helfen, feine Sachen, die Mafetto
auf den Plag oder in ben Pfarrhof geworfen hatte,
wieder einzuräumen und aufzuftellen. Zu diefer Arbeit
nahm er einige Nachbarn in Anfpruch und viele unter-
flügten ihn aus Mitleid. Und als fie von Ser Pace
hörten, wie bie Sache gegangen war, bemitleibeten ihn
alle. Unter den SHilfeleiftenden war auch ein junger
Mann aus Sciano in Ombrone im Gebiete. Sienas,
Namens Bela. As er den Schaden fah und Nadh-
richt davon bekam, ergriff ihn Mitleid; er rief Ger
234 J V. Gentile Sermini.
Pace bei Seite und bot ſich ihm folgendermaßen zum
Dienſt an.
Sch habe, ſagte er, ihn ſoeben zum Ganct Peters
Thor hinausgehen fehen; aber ich fage euch, da ich ger
jehen babe, was er Hier angeflellt hat, babe ih mir
vorgenommen, wenn ihr damit einverflanden feib, daß
ee dieſes Geldes nicht froh werden fol. Sagt mir num.
genau, wie viel Gelb er von euch bekommen bat und
in welcher Münze. Dann laßt mich nur mahen! Ihr
ſollt fehen, wer mehr kann, ber Golligianer ober der
Scialinge. Ich bin beffer zu Fuß ale er, und werbe
isn bald einholen. Macht ech nur Beine Sorge! Ich
will es euch fchon wieder einbringen.
Ser Pace nahm das Anerbieten dankbar an und
empfahl ihm allen Eifer. Sie wurben einig und Ser
Pace gab ihm Geld zu feinen. Auslagen.
Ich darf jegt nicht Länger warten, fagte biefer. Haltet
die Sache geheim und laßt mich forgen!
So fchied er in flilem Einverſtaͤndniß mit ihm. Er
eilte Mafetto nah und erfuhr von Zeit zu Zeit, daß er
ihm nicht mehr weit voraus ſei; doch wanderte er zwei
Tage, bis er ihn erreichte; es war dies in ber Herberge
zu Botfene. 5) Sie kehrten dort ein, ed warm vide
Fremde dort, und fo blieben die beiden bafelbft über
Nacht. Pela war unbekannt, er ſprach mit Mafetto
und den andern ohne Unterfchied, gab vor, er fei von
Sutri und gehe nach Siena. Schon geftern hatte Dela
auf den Namen eines Colella von Sutri an einen ge
wiſſen Ventura von Schano einen Brief gefchrieben fol-
genden Inhaltes:
„Ih habe deinen Brief erhalten, in welchem bu mir
aufträgft, ich folle durch ben Uberbringer, deinen Sohn
Salvi, dir fünfundvierzig Ducaten ſchicken, bie ich bir
noch als Reſt für die Thiere, die du an mich verkauft
9 Sermini: Bolfino.
39. Ger Pace. 235
haft, ſchuldig bin. Bor Allem bitte ich um Entſchul⸗
bigung, daß ich nicht im Stande gewefen bin, dir fie
früher zu ſchicken. Segt aber habe ich nach Lefung deines
Briefes die ganze Summe dem Salvi eingehänbigt, nämlich
zwanzig venezianifche Ducaten und fünfundzwanzig römifche.
Darum bitte ich dich, hiermit meine Rechnung zu tilgen.
Berner, da mir Salvi erzählt, daß bu beine Tochter ver»
heirathet haft, ſchicke ich dir ein Kleines Gefchmeibe für fie
zum Andenken von mir, nämlich einen Beinen Fallen mit
einem Kettchen von Silber, im Ganzen fieben und ein
Biertel Loth ſchwer. Ich ſehe wohl, daß ich nicht fo viel
thue, als du verbientef. Du mußt mir eben verzeihen.
Sreilich babe ich fo viel Freundlichkeit von bir genoffen,
ale ich dort war, daß ich gar nicht weiß, mann ich bir
dafür lohnen kann. Dein Dienftbereitwilliger” u. f. w.
Als der Brief gefchrieben war, faltete er ihn unb
ftedte ihn in den Bufen, ‚legte fih au den Namen
Salvi bei. Am Morgen nun machte er ſich unter irgend
einem guten Vorwand an Mafetto und wünſchte ihm
guten Morgen. Sobald er bemerkte, daß dieſer fich zum
Meiterreifen anfhidte, fagte Pela: Iſt vielleicht unter
biefen Gaͤſten einer, ber nad) Acquapendente geht?
Ich, antwortete Mafetto.
So laßt uns miteinander gehen, fagte Pela; denn
ich gehe lieber in Geſellſchaft als allein.
Nachdem ber Wirth bezahlt war, machten fie ſich
alfo auf ben Weg. Abends langten fi fie in Acquapendente
an und gingen miteinander in die gleiche Herberge und
Wohnung. Am Morgen, als fie weiter wollten, fagte
Salvi zu Mafetto: Erwarte mich hier! Ich will nur da
einen Brief an jemand abgeben.
Mafetto glaubte das und. erwartete ihn beim Feuer.
Salvi aber ging alsbald zum Schultheißen und Elagte
den Mafetto an, er habe ihm in ber Nacht fünfundvierzig
Ducaten und ein filbernes Gefchmeide geſtohlen. Weinend
flehte er um den Schug des Beamten unb gab an, in
238 V. Sentile Sermini.
weicher Herberge der Dieb fi befand. Er wußte es
auch fo geſchickt anzubringen, daß ber Beamte ihm voll-
fommen Glauben beimaf und ihm vier Häfcher mitgab,
um ben Dieb zu faffen. So wurde denn Mafetto in
der Herberge feftgenommen, zum Schultheißen geführt,
in enge Haft gebracht und mit der Folter verhört. Da
ee aber nicht geftand, wollte der Schultheiß den Salvi
noch weiter vernehmen. Diefer aber fagte, noch immer
weinend: Geftrenger Herr, beweifen kann ich's euch nicht,
denn zum Stehlen zieht einer Feine Zeugen bei; aber ich
fage euch die Wahrheit, und wenn es nicht fo ift, fo
laßt mich hängen! Er hat mir fünfundvierzig Ducaten
geftohlen, die ich von Eolella in Sutri eingezogen hatte,
und zwar zwanzig venezianifche und fünfundzwanzig rö-
mifche, den Kaufpreis für das Vieh, das mein Vater
an ihn verkauft hat, umb überdies ein filbernes Geſchmeide,
das er meiner Schwefter fchenkte. Da ift der Brief von
Colella.
Damit reichte er ihn dem Beamten hin.
Ich kann nicht lefen, fuhr er fort; -fchaut zu, was
in dem Briefe fteht. Und wenn er die Sachen nicht bei
fih bat, fo will ich das Leben verlieren. Dieſer ſchur⸗
fische Mafetto hat in Sutri ausgefpäht, daß ich das Gelb
bei mir babe, dann hat er fih an mid gemacht, um
mich unterwegs zu beftehlen, und heute Radıt, da wir
zuſammen ſchliefen, hat er es ausgeführt. Beweiſe habe
ih fonft nicht, als Bott und die Wahrheit.
Der Beamte glaubte Salvi, ließ Mafetto holen, und
da man in feinem Buſen genau das vorfand, was der
Brief befagte, nahm er an, Salvi fei wirklich nach feiner
Angabe beraubt worden. So ließ er denn Salvi alle
Ducaten und bas Gefchmeibe übergeben. Der Schultheiß
lite heftig an Hüftfchmerzen, nahm fich der Unterfuchung
wenig an und gab feinem Notar ben Auftrag, er folle
dem Miffethäter fein Recht werben laffen. Der Notar
war Ser Piero von Farnefe, ber in feiner Schelmerei
39. Ser Pace. 237
auf ben Gedanken kam, ben beiben ba6 Geld abzunehmen.
Darum ließ er Maſetto und Salvi gefangen fegen, und
da Mafetto ſich fehr gewehrt hatte, die Beſchuldigung
fei nicht wahr und der Brief unterfhoben, auch fih zum
Beweiſe erbot, fagte er zu Salvi: Ihr müßt beide fo
lange bier bleiben, bis du Colella von Sutri kommen
löft. Dann will ich es unterfuhen. Sobald ich bier
über im. Reinen bin, laſſe ich dich frei. Wenn es nicht
wahr ift, mußt du das Geld wieder hergeben und ich
laffe dich hängen als Betrüger.
Salvi kam biefe Entfcheidung mislich vor. Es wurben
ihm drei Tage Friſt gegeben, um durch Colella zu er
weiſen, baß ber Brief echt fei. Pela Salvi traute aber
diefem als einem liftigen Burfchen nicht ganz. Daher
verfischte er einen Vergleich durch Vermittelung Schia⸗
vetto’s, des Dieners des Schultheifen, welcher die Ger
fangenen mit Effen und Trinken zu verfehen hatte, und
bot ihm Geld an, wenn er ihn entwifchen laffe. Ger
Piero, der auf nichts anderes wartete, verlangte die ganze
Summe und verſprach, fie dann loszugeben. Schiavetto
aber misfiel das und er verftändigte fich daher mit Salvi
und Mafette. Mit feiner Hilfe von aufen und ber
eigenen Anftrengung von innen erbrachen fie in ber
dritten Nacht den Kerker und er führte fie an einen
Pag, mo fie über bie Mauer fteigen konnten. Sobald
fie draußen waren, gaben Salvi und Schinvetto vor,
nah Siena zu geben, wiewol fie die entgegengefegte
Richtung im Sinne hatten und fie miteinander in ge-
Heimem Kinverftändnig waren. Salvi fiellte fih, als
habe er beim Überjpringen der Mauer einen Buß ver-
renkt und Fönne nun nicht mehr gehen. Maſetto wollte
fih aus Angft nicht aufhalten, und Gchiavetto fagte zu
ibm: Geh nur zu, wir kommen gemach hinterbrein!
Da Schiavetto und Pela zurüdhlieben, mar das Ma-
fetto eben vecht, denn er gebachte es Pela ebenfo zu machen,
wie biefer es ihm gemacht hatte. Er eilte daher nad
238 V. Gentile Sermini.
Radicofani, wo er einen falſchen Brief auffegte ahnlich
dem bed Salvi, als ſchickte einer aus Viterbo das Geld
an einen andern in Piſa und dabei das Gefcdhmeibe
Sodann ftellte er fih dem Schultheiß von Rabicofani
vor, fagte, er fei von zwei Leuten um fünfundvierzig
Ducaten und ein Geſchmeide beftohlen worben, und zeigte
zugleich den Brief bes Viterbers. Der Beamte glaubte
ihm und gab ihm vier Häfcher, um bie Miffethäter zu
fahen. Mit diefen wartete er zwei Zage am Shore auf
die Ankunft Pela's und Schiaudtto’s. Da fie aber nicht
kamen, nahm er traurig Abfchieb und ging nad Colle.
Pela und Schiavetto waren inbeffen bereit# in Nom
angekommen und hatten Ser Pace bas Geld und das
Geſchmeide zugeftellt. Als Ser Pace die Nachricht ge-
hört und das Geld und das Gefchmeibe in Empfang
genommen hatte, fagte er ihnen freubigen Dank. Gr
nahm feine fünfundzwangig vömifche Ducaten, bie zwanzig
venezianifchen aber und das Gefchmeibe mashte er ihnen
zum Geſchenk. Die ganze Gefchichte kam dem Carbinal
von Brancacei zu Ohren, welcher fids darüber erfreute
und fie eined Tages dem Papft Gregor XIL in Gegen-
wart aller andern Herten Garbinäfe erzählte und dabei
bie Frage aufwarf wer für den verfchmigteften zu halten
fei, der Colligianer oder der Scialenge. Wir übergehen
ben Spaß, welchen die Sache erregte, und den heftigen
Streit, den’ fie hervorrief, indem der eine dieſem, der
andere jenem ben reis ber Verfchmigtheit zuerfannte.
Es dauerte etwa einen Monat und nie kam e8 zur be-
flimmten Entſcheidung. Unterbeffen verließ der Papft mit
feinen ganzen Hofe Rom und zog nach Siena und von
bort nach längerem Aufenthalte nach Lucca; dann kehrte
er wieder nach Siena zurück, fpäter in bie Romagna.
In der Folge wurde bem Papſt Gregor der Gehorſam
aufgelündigt und im Piſa Papfk Alexander gewählt.
Deshalb blieb fene Streitfrage fehwebend und es wurbe
nie ausgefprochen, wer der verfchmigtefte fei. Unter ben
39. Ser Pace. 239
Hofleuten aber blieb die Redensart fprihwörtlih: Du,
bift du ein Golligianer, fo bin ich ein Scialenge.
Das foll heißen: Wenn bu ein Schurke bift, fo bin
ich kein Heiliger.
Man bittet nun ben geneigten Xefer, die Unterfuchung,
zum Spruche zu bringen.
VI. Niccolo Machiavelli.
1469.
4. Belfagor.
Man lieft in den alten Sahrbüchern der florentinifchen
Gefchichte, was man ſchon aus der Erzählung eines hei-
ligen Mannes meiß, beffen Leben bei allen: feinen Zeit-
genoffen hochgepriefen wurbe, daß berfelbe, in feine Ge⸗
bete vertieft, mittelft ihrer fchaute, wie unzählige Seelen
jener armen Sterblihen, die in Gottes Ungnade umfamen,
in der Hölle alle oder meiftentheild nur darüber klagten,
daß fie einzig und allein durch das Seirathen fich in fo
großes Unglück geftürzt haben. Durch diefen Umftand
wurden nun Minos, Radamanth ſowie die andern Höllen-
richter in höchliches Erſtaunen verfegt, weil fie folchen
Verleumdungen bes weiblichen Gefchlechts nicht wohl glau-
ben fonnten. Da indeffen die Klagen von Zag zu Zug -
zunahmen und auch der gehörige Bericht über die ganze
Sache dem Pluto erftattet war, fo kam es zum Beſchluſſe,
den Fall mit fämmtlichen böllifchen Zürften in reifliche
Erwägung zu ziehen und nächftdem die geeignetfien Maß⸗
regeln zu ergreifen, um ben Betrug aufzudecken und das
Wahre an der Sache herauszuftellen. Pluto berief fonach
eine Ratheverfammlung und fprach dafelbft in folgendem
Sinne: Wiewol ich, meine Lieben und Getreuen, durch
des Himmels Fügung und durch unwiderrufliche Schidfals-
beftimmung diefes Reich beherrfche und um deswillen kei⸗
nem Richterftuhl bes Himmels ober ber Erde unterworfen
fein kann, fo habe ich doch befchloffen, weil es gefcheibter .
it, wenn die Gewaltigen fich ben Gefegen unterwerfen
— my
40. Belfagor. 241
und der Meinung anderer ihr Recht einräumen, euren
Math einzuholen, wie ich in einer Angelegenheit mich zu
verhalten habe, die fonft gar Leichtlich zur Unehre unferer
Herrſchaft ausfchlagen dürfte Es fagen nämlich zwar
alle Seelen von Männern, welche in unfer Reich kommen,
ihre Weiber feien daran ſchuld. Da uns das aber un⸗
möglich feheint und wir befürchten, wenn wir auf biefen
Bericht hin ein Verdammungsurtheil forächen, möchten
wir als allzugraufam verfchrieen werden oder, wenn wir
es nicht thäten, als allzuläffig und ungerecht; da ferner
die einen Menfchen aus Leichtfinn fehlen, die andern aus
Unbilligteit, wir aber dieſem beiderfeitigen Zabel aus-
weichen möchten und nicht wiffen, wie das anzugehen ift,
haben wir euch herbefchieden, damit ihr und mit eurem
guten Rathe beifteht und um zu bewirken, daß biefes
Reich auch für die Zukunft fortbeftehe mit unangetafteter
: Ehre wie bisher.
Es ſchien einem jeden biefer Fürften der vorliegende
Fall ein bochwichtiger und fehr beachtenswerther zu- fein.
Sie waren auch darin miteinander einverftanden, daß
die Wahrheit nothwendigerweiſe erforfcht werden müffe;
aber über die Art und Weile der Ausführung theilten
fih die Meinungen. Der eine hielt dafür, man folle
einen, ber -andere, man folle mehrere Boten zur Erde
empor abfertigen, um unter menfchlicher Geftalt perfönlich
zu ergründen, ob die Sache fich wirklich fo verbalte.
Viele andere dagegen meinten, man brauche nicht fo viele
Umftände zu machen; man dürfe nur ein paar Seelen
durch verfchiedene Marter zum Bekenntniß zwingen: Da
nun aber die Mehrzahl für den Vorfchlag einer Gefandt-
fchaft ftimmte, fo ging diefe Meinung durch, und da fich
Zeiner fand, der freiwillig da Amt übernommen hätte,
fo entſchloß man fi, die Wahl durch das Loos zu ent-
ſcheiden. Das Loos traf den Erxzteufel Belfagor, ber
vordem, she er aus dem Himmel gefallen, ein Erzengel
geweſen war und jegt zwar fehr widermillig fich zu der -
«
Italiaͤniſcher Novellenfchag. I, 11
242 VI. Niccold Macchiavelli.
Botſchaft hergab, aber dennoch durch Pluto's Machtſpruch
gezwungen ſich dazu verſtehen mußte, den Beſchluß der
Rathsverſammlung zu vollführen, und die Bedingungen
einging, welche foͤrmlich berathen worden waren. Dieſe
beſtanden darin, daß dem mit dem Auftrage Betrauten
hunderttauſend Ducaten überwieſen werden ſollten; mit
dieſen mußte er auf die Welt gehen, in menſchlicher
Geſtalt ein Weib nehmen und zehn Jahre mit ihr leben,
ſodann eines ſcheinbaren Todes ſterben und nach der Holle
zurückkehrend feinen Vorgefegten nach der gemachten Er⸗
fahrung darüber Bericht erflatten, worin eigentlich die
Laft und die Luft des Cheftandes befiche. Es wurde
überdies erklärt, daß er mährend ber genannten Zeit allen
Ungemaͤchlichkeiten und Übeln unterworfen fein folle, mit
denen die Menfchen zu kämpfen haben, und welche Armuth,
Gefangenſchaft, Krankheit und fo manchen andern fchlimmen
Umftand, der den Menfchen begegnen kann, nach fich ziehen;
ausgenommen wenn er fi burch Klugheit oder Lift davon
befreie. Belfagor nahm alfo bie Beftallung und fein Gelb
in Empfang und kam herauf auf die Welt. Er hatte
fi) aus feinen Schaaren mit Pferden und Dienerfchaft
verjehben und zog fehr flattlih in Florenz ein. Diefe
Stadt hatte er vorzugsmeife zu feinem Aufenthalt erkoren,
weil fie ihm den Wucher, den, er mit feinem Gelde zu
treiben gefonnen war, ganz befonders zu begünftigen fchien.
Er ließ fih hier Roderigo von Caſtilien nennen und mie
thete ein Haus in ber Vorſtadt Allerheiligen.*) Damit
man feiner wahren Herkunft nicht auf die Spur komme,
fagte er aus, er habe vor einiger Zeit Spanien verlaffen,
fi) dann nach Syrien gewendet und in Aleppo fein Ver⸗
mögen gewonnen; er habe es aber verlaffen in der Ab-
ficht nach Italien zu gehen, in ein menfchlicheres, dem
bürgerlichen Leben und feinen Nägungen angemefjeneres
) Die Allerheiligenfirhe in Florenz liegt unterhalb des Ponte
Earraja am rechten Ufer des Arno.
40. Belfagor. 243
Land, und bort ein Weib zu nehmen. Roderigo war
ein fehr fchöner Mann, der in einem Alter von breifig
Sahren zu ftehen ſchien. Er verrieth in wenigen Tagen,
daß er im Belig großer Reichthümer fei, und da er fi
außerdem bei mehrfachen Gelegenheiten als einen wahr⸗
haft gebildeten und freigebigen Mann zu erkennen gab,
fo boten ihm manche edle Bürger, die viele Töchter und
wenig Thaler im Beſit hatten, ihre Kinder an. Unter
allen biefen ermwählte Roderigo ein fehr fchönes junges
Mädchen Namens Onefta, die Tochter des Amerigo Donati,
der außer ihr noch drei andere Zöchter und drei erwach⸗
fene Söhne hatte, und ihre Schweftern waren auch faft
mannbar. Obgleich er einer fehr edeln Familie angehörte
und in Florenz perfönlich fehr in Achtung ftand, fo war
er doch im Verhältniß zu feiner zahlreichen Familie und
feinem Abel fehr arm. Roderigo richtete feine Hochzeit
mit großem Glanz und Aufwand aus und unterließ nichts
von allem, was bei derlei Feten nun einmal herkoͤmmlich
ift, denn er war durch das Gefeg, das ihm beim Aus-
tritt aus der Hölle auferlegt worden war, allen menſch⸗
lichen Leidenfchaften unterworfen. Ex begann fehr bald
Geſchmack zu finden an Ehre und Herrlichkeit der Welt
und fi daran zu erfreuen von den Menfchen gelobt zu
werden, was ihm feinen geringen Aufwand verurfachte.
Überdies hatte er noch nicht lange Zeit mit feiner Ehe-
gattin Oneſta gelebt, als er fich in diefelbe fo außermaßen
verliebte, daß er es nicht erfragen konnte, fie traurig ober
mismuthig zu fehen. Frau Onefta Hatte neben ihrem
Adel und ihrer Schönheit ihrem Roderigo einen Hoch-
muth zugebracht, wie ihn fogar Lucifer nicht Fannte,
und Roderigo, der einen wie ben andern nun ermeffen
hatte, erachtete den feiner Frau für den höheren. Er
warb aber mit der Zeit noch weit ärger als zuvor, ba
fie die große Liebe ihres Mannes zu ihr merkte. Und
ba fie nunmehr dafür hielt, er befinde ſich durchaus in
ihrer Gewalt, fo gebot fie ihm ohne alles Exrbarmen ober
11*
22 v1. Niccold Macchiavelli.
Botſchaft hergab, aber dennoch durch Pluto's Machtſpruch
gezwungen ſich dazu verſtehen mußte, den Beſchluß der
Rathsverſammlung zu vollführen, und die Bedingungen
einging, welche foͤrmlich berathen worden waren. Dieſe
beſtanden darin, daß dem mit dem Auftrage Betrauten
hunderttauſend Ducaten überwieſen werden follten; mit
dieſen mußte er auf die Welt gehen, in menſchlicher
Geſtalt ein Weib nehmen und zehn Jahre mit ihr leben,
ſodann eines ſcheinbaren Todes ſterben und nach der Hölle
zurückkehrend ſeinen Vorgefetzten nach der gemachten Er⸗
fahrung darüber Bericht erſtatten, worin eigentlich die
Laſt und die Luſt des Eheſtandes beſtehe. Es wurde
überdies erklärt, daß er während der genannten Zeit allen
Ungemächlichkeiten unb Übeln unterworfen fein folle, mit
denen die Menfchen zu kämpfen haben, und welche Armuth,
Gefangenſchaft, Krankheit und fo manchen andern fchlimmen
Umftand, der den Menfchen begegnen kann, nach fich ziehen;
ausgenommen wenn er fich durch Klugheit oder Lift davon
befreie. Belfagor nahm alfo bie Beftallung und fein Geld
in Empfang und kam herauf auf bie Welt. Er hatte
ſich aus feinen Schaaren mit Pferden und Dienerſchaft
verſehen und zog ſehr ſtattlich in Florenz ein. Dieſe
Stadt hatte er vorzugsweiſe zu ſeinem Aufenthalt erkoren,
weil ſie ihm den Wucher, den er mit ſeinem Gelde zu
treiben geſonnen war, ganz beſonders zu begünſtigen ſchien.
Er ließ ſich hier Roderigo von Caſtilien nennen und mie-
thete ein Haus in der Vorſtadt Allerheiligen.*) Damit
man feiner wahren Herkunft nicht auf die Spur komme,
fagte er aus, er babe vor einiger Zeit Spanien verlaffen,
fih dann nad Syrien gewendet und in Aleppo fein Ver⸗
mögen gewonnen; er habe es aber verlaffen in der Ab⸗
fiht nach Italien zu gehen, in ein menfchlicheres, dem
bürgerlichen Leben und feinen Nägungen angemeffeneres
) Die Allerbeiligenfirhe in Zlorenz liegt unterhalb des Ponte
Carraja am rechten Ufer des Arno.
AO. Belfagor. 243
Land, und bort ein Weib zu nehmen. Roderigo war
ein fehr fhöner Mann, der in einem’ Alter von dreißig
Jahren zu ſtehen ſchien. Er verrieth in wenigen Tagen,
daß er im Befig großer Reichthümer fei, unb da er fich
außerdem bei mehrfachen Gelegenheiten als einen wahr.
haft gebildeten und freigebigen Mann zu erkennen gab,
fo boten ihm manche edle Bürger, die viele Töchter und
wenig Thaler im Beſitz hatten, ihre Kinder an. Unter
allen dieſen ermählte Roderigo ein fehr fchönes junges
Mädchen Namens Oneſta, die Tochter bes Amerigo Donati,
der außer ihr noch drei andere Zöchter und drei erwach-
fene Söhne hatte, und ihre Schweftern waren auch faft
mannbar. Obgleich er einer fehr edeln Familie angehörte
und in Florenz perfönlich fehr in Achtung ftand, fo war
er doch im Verhältniß zu feiner zahlreichen Familie und
feinem Adel fehr arm. Roderigo richtete feine Hochzeit
mit großem Glan; und Aufwand aus und unterließ nichts
von allem, was bei berlei Feften nun einmal herfömmlich
ift, denn er war durch das Gefeg, das ihm beim Aus⸗
tritt aus der Hölle auferlegt worden war, allen menſch⸗
lichen Leibdenfchaften unterworfen. Er begann fehr bald
Geſchmack zu finden an Ehre und Herrlichkeit der Welt
und ſich daran zu erfreuen von ben Menfchen gelobt zu
werben, was ihm Feinen geringen Aufwand verurfachte.
Überdies hatte er noch nicht lange Zeit mit feiner Ehe⸗
gattin Onefta gelebt, als er fich in diefelbe fo außermaßen
verliebte, daß er es nicht erfragen konnte, fie traurig ober
mismuthig zu fehen. rau Onefta hatte neben ihrem
Adel und ihrer Schönheit ihrem Roderigo einen Hoch-
muth augebracht, wie ihn fogar Lucifer nicht kannte,
und Roderigo, ber einen wie ben andern nun ermeffen
hatte, erachtete den feiner Frau für den höheren. Er
warb aber mit der Zeit noch weit ärger als zuvor, da
fie die große Liebe ihres Mannes zu ihr merkte. Und
da fie nunmehr dafür hielt, er befinde fich durchaus in
ihrer Gewalt, fo gebot fie ihm ohne alles Erbarmen ober
11*
244 VI. Niccold Machhiavelli.
Rückſicht und ſcheute fich nicht, wenn er ihr ja etwas
verfagen wollte, ihn mit Schelten und Schimpfen zu
verlegen, was dem Roderigo unglaublichen Arger ver:
urfachte. Deffen ungeachtet machte ber Schwiegervater,
die Brüder, die Vermandtfchaft, die Pflicht des Ehebundes
und vor allem die große Liebe, die er für fie fühlte,
daß er ed mit Geduld Hinnahm. Ich will die großen
Koften übergehen, die er zu ihrer Befriedigung in Be⸗
ziehbung auf neue Trachten und neue Moden aufwandte,
in welchen unfere Stadt nad) alter Gewohnheit beftändig
wechſelt. Er mußte ſich überdies, wollte er in Frieden
mit ihr leben, entichliefen, dem Schwiegervater feine
andern Töchter an den Mann bringen zu helfen, was
ihn gewaltige Summen koſtete. Ebenfo mußte er, um
mit feinem Weibe gut Freund zu bleiben, einen ihrer
Brüder mit Tüchern nah dem Brient fhiden, einen
andern mit Seidenzeugen nad dem Wellen und den
dritten als Goldfchläger in Florenz unterbringen. Mit
diefen Dingen ging denn allmälig der größte Theil feines
Vermögens auf. Um die Zeit des Faſchings fodann und
um Sanct Johannis, wenn bie ganze Stadt nach alter
Gemohnheit voller Feftlichkeiten ift, und viele edle und
reiche Bürger die koſtbarſien Gaftereien anftellen, wollte
Frau Oneſta, um nicht andern nachzuftehen, bag ihr
Roderigo mit dergleichen Feftlichkeiten es allen andern
Zuvorthue. Das alles ertrug er aus ben fehon. angege-
“ benen Gründen leicht und würde es auch, fo ſchwer «es
an und für fich fein mochte, nimmermehr läftig gefunden
haben, hätte er damit nur auch wirklich feine häusliche
Ruhe erfauft und fo viel gewonnen, dem berannahenben
Zeitpunkte feine® ganzlichen Unterganges mit Gemaͤchlich⸗
feit entgegenzufehen. Aber es wiberfuhr ihm das Gegen-
theil; denn abgefehen von dem unerfchwinglichen Aufwand
fuchte fie ihn, ihrem widerwärtigen Weſen entiprechend,
mit unzähligen Ungelegenheiten heim, und Fein Knecht
oder Diener konnte es in feinem Haufe lange, ja nur
40. Belfagor. 245
Zage oder Wochen, aushalten. Daraus erwuchs denn
dem armen Roderigo der empfindlichfte Nachtheil, meil
er feinen Diener erhalten konnte, der feinem Hauswefen
reblih zugethan geweſen wäre, benn nicht allein die
menfchlichen gingen weg, fondern auch bie Teufel, die er
in Geftalt von Dienern mitgebracht hatte, wollten lieber
in die Hölle zurückkehren und im euer verweilen, als
auf der Welt unter der Herrfchaft diefes Weibes leben.
So führte nun Roderigo das ruhelofefte und unbehag-
lichſte Leben und hatte es durch feine fchlechte Wirthſchaft
_ bereits dahin gebracht, daß er mit feinem ganzen beweg-
lichen Beſitzthume fertig war und auf die Hoffnung ber
von Dften und Welten erwarteten Summen zu leben
anfing. Noch genoß er guten Credits und borgte auf
Wechſel; da. er aber auf diefe Art nothwendigerweiſe
immer tiefer in Schulden gerieth, machte er fich in kurzer
Zeit allen denjenigen verdächtig, die fi auf folcherlei
Schliche in Handel und Wandel verftanden. Während
nun feine Lage bereits fehr ſchwankend geworden war,
kam plöglih Nachricht von der Levante und aus dem
Werften, einer der Brüder der Frau Onefta habe all das
Eigenthum, das ihm Roderigo anvertraut, im Spiel ver-
loren, der andere fei dagegen auf der Rückkehr in einem
mit feinen Waaren beladenen Schiffe, ohne verfichert zu
fein, fammt allem eine Beute ber Wellen geworden.
Kaum war bied zucchbar geworden, fo verbanden ſich
Roderigo's Gläubiger miteinander in der Beforgniß, er
möchte zu Grunde gerichtet fein; da man aber noch nicht
darüber ins Reine kommen konnte, weil der Zeitpunkt
ihrer Bezahlung noch nicht vorhanden war, fo befchloffen
fie, ihn forgfältig bewachen zu laffen, damit er nicht,
ehe ihre Berathung einen Erfolg haben könne, fich ihnen
durch die Flucht entziehe. Roderigo andererfeitd fah keine
andere Hilfe in feiner Noth und wußte boch, daß er das
Geſetz der Hölle nicht überfchreiten dürfe, entfchloß fich
demnach, unter jeder Bedingung zu entfliehen. Er warf
246 VI. Niccold Macchiavelli.
fi) daher morgens auf ein raſches Pferd und da er nahe
am Thore al Prato*) wohnte, eilte er durch baffelbe
hinaus. Kaum dag man fich feiner Entfernung verfab,
ſo entftand ein Aufruhr unter den Gläubigern, fie wandten
fich an bie Obrigkeit und ſchickten ihm nicht nur Gerichts«
boten nach, fondern verfolgten ihn insgeſammt perfönlich.
Moderigo war noch Feine Meile weit von der Stadt ent-
fernt, als diefe Gefahr wider ihn losbrach. Er erkannte
feine üble Lage und nahm fich vor, um deſto verborgener
zu fliehen, die gebahnte Straße zu verlaffen und quer
feldein weiter zu eilen, wohin ihn fein gutes Glück führe.
Er fegte dieſen Vorfag ins Werk, fand aber bald, daß
bie vielen das Feld durchfchneidenden Gräben ihm dabei
hinderlich wurden und baf er zu Pferb nicht weiter fomme.
Er floh deöwegen zu Fuß weiter, ließ fein Roß auf der
Strafe ledig laufen und fprang von einem Stud Feld
zum andern über das mit Weingärten und Möhricht be
dedte Land hin, bie er in der Nähe von Peretola an
das Haus des Giovanni Matteo del Bricca kam, bes
Feldbauers des Giovanni bel Bene. Er begegnete dem
Siovanni Matteo gerade, als diefer Futter für feine Ochſen
heimtrug, flellte fih unter feinen Schug und verſprach
ibm, mwenn er ihn aus ben Händen feiner Feinde rette,
welche ihn verfolgen, um ihn im Gefängniß umkommen
zu laſſen, fo wolle er ihn reich machen und ‚vor feinem
Scheiden ihm darüber genügende Bürgſchaft geben; im
entgegengefegten Zalle fei er zufrieden, daß er ihn felbft
feinen Gegnern ausliefere. Giovanni Matteo war zwar
ein Landmann, aber dennoch ein unternehmender Menfch,
und da er. ber Anficht war, er könne nicht wohl zu kurz
dabei wegkommen, wenn er den Flüchtling rette, fo fagte
er demfelben feine Bitte zu. Er ftedte ihn im einen
*) Die Porta al Prato ift das nordweftlihe Thor von Zlorenz,
J— welches eine faſt gerade Straße von Allerheiligen aus hin⸗
istt. |
40. Belfagor. 347
Haufen Dünger, ben er vor dem Haufe liegen hatte, '
und bededte ihn mit Pleinen Rohren und anberm Ab»
gang, den er zum Verbrennen zufammengemorfen hatte.
Kaum war man mit Roderigo's Berftedung fertig, als
auch ſchon feine Verfolger herzufamen und durch Dro—
bungen den Giovanni Matteo einzufchüchtern fuchten,
aber nicht einmal von ihm herausbrachten, daß er ihn
gefehen babe. Sie zogen daher weiter und tehrten,
nachdem fie ihn zwei Tage umfanft gefucht Batten, er⸗
müdet wieber nad; Florenz zurüd. Sobald der Lärm
worüber war, holte Giovanni Matteo. ihn aus feinem
Schlupfwinkel hervor und mahnte ihn an fein gegebenes
Wort. Da fprad) Roderigo zu ihm: Mein lieber Bruber,
ih bin dir zu großem Danke verpflichtet; aber ich will
verfuchen, dir meine Verbindlichkeit auf jede Weiſe abzu⸗
tragen. Und damit bu glaubt, dag ich dies im Stande
fei, will ih dir fagen, wer ich bin.
Er theilte ihm hier feine perfönlihen Berhältniffe
und die Bedingungen mit, unter denen er bie Holle ver⸗
laffen und fich ein Weib genommen hatte. Er eröffnete
ihm überdies die Art und Weiſe, auf die er ihn zu ber
reihern gedachte, und bie eben Feine andere war, als.
daß Giovanni Matteo, fobald er von irgend einem Weibe
höre, das befeffen fei, nur getroft annehmen bürfe, er -
fei felber in fie gefahren und er werde nicht cher aus
ihr weichen, als bis Giosanni komme und ihn vertreibe;
damit babe er denn Gelegenheit, fich von ben Verwandten
der Befeffenen nach Belieben bezahlen zu Iaffen. Nach»
dem Roderigo bdiefe- Erklärung von fich gegeben hatte,
wurde er plöglich unfichtbar. Es waren aber hierauf
kaum einige Tage ind Land gegangen, als fich durch ganz
Florenz die Neuigkeit verbreitete, daß eine Tochter‘ bes
Meſſer Ambrogio Amebei, die an Buonajuto Tebalducci
verheirathet war, vom Xeufel befeffen fei. Die Ihrigen
verfäumten nicht, alle jene Hilfsmittel Dagegen anzuwenden,
die bei folchen Unfällen gebräuchlich find. Man legte.ihr
248 VI. RNiccold Macchiavelli.
den Schaͤdel des heiligen Zenobius auf den Kopf und
den Mantel des heiligen Johannes Walbert; aber alle
dieſe Dinge wurden von Roderigo nur verhöhnt; und
um jedermaͤnniglich zu überzeugen, daß die Krankheit
des jungen Weibes ein boͤſer Geiſt und keine phantaſtiſche
Einbildung ſei, ſprach er lateiniſch, disputirte über philo-
ſophiſche Fragen und deckte die Sünden vieler Leute auf,
wie zum Beifpiel die eines gewiſſen Klofterbrubers, welcher
fih über vier Jahre ein in einen Möndy verkleibetes Weib
in feiner Zelle gehalten hatte. Dergleichen Dinge erregten
natürlich allgemeine Verwunderung. Herr Ambrogio war
'unterbeffen fehr misvergnügt und hatte faft alle Hoffnung
auf ihre Heilung aufgegeben, als ihn Giovanni Matteo
befuchte und ihm feine Tochter zu heilen verſprach, wenn
er ihm fünfhundert Gulden geben wolle, um ſich ein
But in Peretola Laufen zu koͤnnen. Herr Ambrogio
ging auf fein Anerbieten ein; Giovanni Matteo aber
ließ, um die Sache aufzuflugen, vorerft etliche Meffen
Iefen, machte allerlei Hocuspocus, und murrte dann dem
jungen Weibe die Worte ins Ohr: Noberigo, ich bin
hierher gekommen, um dich aufzufuchen, damit bu mir
Wort balteft.
Roderigo antwortete ihm: Ich bin es zufrieden; aber
das iſt noch nicht genug, um dich reich zu machen.
Sobald ih von Binnen gewichen fein werbe, fahre ich
in bie Zochter des Könige Karl von Neapel und weiche
nicht von ihr ohne dich. Dann kannſt bu bir ein tüch⸗
tiges Handgeld ganz nach deinen Wünfchen ausbebingen
und mußt mic, fpäter in Ruhe laffen.
Nach diefen Worten fuhr er aus ihr aus zur Freude
und Verwunderung von ganz Florenz. Es währte hierauf
gar nicht Iange, fo verbreitete ſich duch ganz Italien
das Gerücht von dem Unglüd, das über die Tochter des
Königs Karl gelommen war. Die Mittel der Geiftlichen
wollten nicht anfchlagen und ba ber König von Giovanni
Matteo reden hörte, fo ließ er ihm zu ſich von Florenz
40. Belfagor. | 249
entbieten. Matteo fam in Neapel an und heilte fie nach
einigen zum Schein angeftellten Ceremonien. Aber che
Roderigo ſich davonmachte, fagte er: Du fiehft, Gio-
vonni Matteo, ich habe mein Verſprechen, dich zu bes
veichern, vollkommen gehalten und Feine Verbindlichkeit
weiter gegen dich zu erfüllen und wie find quitt. Hüte
dich daher, mir ferner ind Gehege zu fommen! Denn
wie ich bir bisher Gutes erwiefen, würde ich bir in Zur
funft nur Böfes thun. ’
Giovanni Matteo Fehrte baher als fehr reicher Mann
na Florenz zurüd, denn er hatte vom König über
funfzigtaufend Ducaten empfangen und war nur noch
darauf bedacht, dieſen Reichthum in Ruhe zu geniefen,
ohne zu beforgen, Roderigo möchte ihn in feinem fried-
lichen Genuffe zu ſtoͤren beabfichtigen. Mit einem male
aber wurde er aus feiner Ruhe durch die Nachricht auf⸗
gefchredt, daß eine Zochter König Ludwig's des fiebenten
von Frankreich vom Teufel befeffen fei. Diefe Stunde
brachte Giovanni Matteo's Gemüth ganz außer Faffung,
indem er an bie Gewalt diefes Königs und an bie legten
Worte Roderigo’8 dachte. Da nun der König kein Heil-
mittel für feine Xochter fand und von der Heilkraft
Giovanni Matteo’3 hörte, fandte er zuerft einfach einen
Zaufer an ihn ab, um ihn herzubefcheiden; da diefer aber
eine Unpäßlichkeit vorfchügte, fah fich der König am Ende
gezwungen, die Herrfchaft um ihn anzugehen, welche dann
"den Giovanni Matteo gm Gehorſam nöthigte. Diefer
ging daher mit großer Bangigkeit nach Paris, und gab
zuvörderft dem König die Erklärung ab, er habe zwar
einige mal allerdings Befeffene geheilt, aber darum habe
er noch gar nicht die Kraft und die Macht alle folche
Kranke zu heilen; denn es gebe welche von fo hinter
Iiftigem Weſen, daß fie weder Drohungen noch Zauber
noch geiftliche Mittel ſcheuen; er wolle deffen ungeachtet
gern fein möglichftes thun, bitte aber, wenn es ihm nicht
elinge, um Vergebung und Entſchuldigung. Der König
| 1124
250 VI. Niccold Macchiavelli.
verſetzte ihm darauf zornig, wenn er ſeine Tochter nicht
heile, ſo werde er ihn hängen laſſen. Giovanni Matteo
war hierüber tief betrübt, faßte ſich aber doch ſoweit, daß
er die Beſeſſene kommen ließ. Er ſprach ihr ins Ohr
und empfahl ſich demüthig dem Roderigo, erinnerte ihn
an die ihm erwieſene Wohlthat und ſtellte ihm vor,
welch ein undankbares Betragen es von ihm wäre, wenn
er ihn in folder Noth im Stiche ließe. Roderigo aber
verfegte: Ei du fchurkifcher Verräther, wie kannſt du frech
genug fein, mir wieder nahe zu kommen? Meinft du, daf
du dich wirft lange zu rühmen haben, durch mich reich ge⸗
worden zu fein® ch will es dir und einem jeden zeigen, wie
ih nach meinem Belieben auch wieder nehmen Tann, was
ich gegeben habe. Du follft nicht wieder von binnen fommen;
ich bringe dich an den Galgen, es kofte was es wolle.
Da nun Giovanni Matteo hieraus erkannte, daß er
auf die alte Weife dies mal nichts ausrichtete, fo gedachte
er fein gutes Glück auf eine andere zu verfuchen, verfügte,
daß man bie Beſeſſene wieder von bannen bringe, und
fpra dann zum König: Sire, wie ich euch ſchon gefagt
babe, gibt es viele Geiſter, welche fo unbändig find, daß
gar nicht mit ihnen auszukommen ift, und diefer hier iſt
einer von den fchlimmften. Deffen ungeachtet will ich
noch einen legten Verſuch machen, ihn zu vertreiben.
Gelingt e8 mir, fo haben wir beide, eure Majeftät und
ich, unfere Abficht erreicht; wo nicht, fo bin ich in eurer
Gewalt und muß es euch überlaffen zu entfcheiden, wie viel
Mitleiden ihr glaubt, daß meine Unfchuld verdient. Ich er⸗
ſuche euch naͤmlich auf dem Plage ber Liehfrauenfirche
ein hohes Gerüft aufführen zu laffen, das geräumig genug
fei für den ganzen Adel und bie Geiftlichkeit dieſer Stadt;
dieſes Gerüfte läßt du mit Seide und Goldftoffen behängen
und mitten darauf einen Altar errichten. Am nächften
Sonntag in ber Frühe follft du dann mit ber Geiftlichkeit
und allen deinen Fürften und Edelleuten in Töniglicher
Pracht, mit glänzenden reichen Gewaͤnden angethan da-
40. Belfagor. 251
felbft erfcheinen und dort erſt eine feierliche Meffe anhören,
ehe man die Befeffene hinführt. Ich’wünfche überdies,
daß auf der einen Seite des Plages wenigftend zwanzig
Derfonen aufgeftellt werben, die mit Trompeten, Hörnern,
Trommeln, Sadpfeifen, Schalmeien, Zimbeln und andern
geraͤuſchvollen Inſtrumenten aller Art verſehen ſind und,
ſobald ich einen Hut ſchwinge, dieſe Inſtrumente laut
ertönen laſſen, indem ſie damit raſchen Schrittes auf das
Gerüſte zuziehen. Dieſe Dinge, verbunden mit einigen
- andern geheimen Mitteln, ſollen, wie ich hoffe, zur Aus⸗
treibung eben jenes Teufels genügen.
Der König ließ unverzüglich alle Beranflaltungen
treffen, und als der erwartete Sonntagsmorgen kam,
und das Gerüſte von den hohen Perfonen und der Plag
vom Volke angefüllt war, wurde bie Meffe gefeiert, und
fodann die Beſeſſene auf da8 Gerüft geführt, geleitet von
zwei Bifchöfen und vielen vornehmen Herren. Als Ro⸗
derigo die Volksmenge und die großen Zurüftungen fah,
war er ganz verblüfft und ſprach bei fi) jelöft: Mas
bat fih nun wol der elende Bauerlümmel mit mir aus
gedacht? Glaubt er, mich durch das Gepränge einzu:
ſchüchtern? Weiß er nicht, daß ich die Pracht des Him-
meld und das Entfegen der Hölle zu fchauen gewohnt
bin? Ich werde ihn ſchon dafür büfen laffen.
Dann als Giovanni Matteo an feine Seite trat und
ihn nochmals bat, auszufahren, fagte er zu ihm: Ei,
da haft du ja eine herrliche Erfindung gemacht. Was
gedenkſt du mit all dem Zeuge anzufangen? Glaubft
du hierdurch meiner Übermacht und dem Zorn bes Königs
zu entgehen? Du NRüpel! Du Schuft! Du follft mir
hängen; du magft anfangen, was du willft.
Ald Giovanni Matteo ihn nochmals gebeten, aber
nur neue Schimpfreden zur Antwort erhalten hatte,
glaubte er, mun weiter keine Zeit verlieren zu Dürfen.
Er machte alfo das verabrebete Zeichen mit dem Hute,
und alle bie, welche beftellt waren, den Laͤrm anzurichten,
252 VI. Riccold Mackhiavelli.
ließen mit einem Mal ihre Inſtrumente zum Himmel
erklingen und zogen fo zu dem Gerüfte heran. Bei dem
unerwarteten Lärm fpigte Roderigo die Ohren, und da
er durchaus nicht mußte, was das war, fragte er voll
Staunen und Verwunderung den Giovanni Matteo, was
das bedeute. Giovanni Matteo antwortete ihm ganz be-
ftürzt: Weh mir, Freund Roderigo, das ift deine Frau,
die Pi wieder zu ſich Holen will.
Es laͤßt ſich kaum denken, welche Veranderung es in
Roderigo's Stimmung hervorbrachte, als er von ſeiner Frau
reden hörte. Seine Erſchütterung war fo groß, daß er,
ohne zu erwägen, ob ed möglich und denkbar fei, daß
fie es fei, und ohne etwas zu erwibern, in Furcht und
Graufen entfloh und das Mädchen freigab. Belfagor
wollte lieber in die Hölle zurüdtehren, um von feinen
Thaten Nechenfchaft abzulegen, als fich von neuem unter
au der Widerwaͤrtigkeit, Unluft und Gefahr dem Joche
ber Ehe unterwerfen. In bie Hölle zurückgekehrt be-
fräftigte er das Unheil, welches ein Weib in ein Haus
bringt; Giovanni Matteo aber, der davon noch mehr zu
fagen wußte, als der Teufel, machte fich bald nachher
munter und guter Dinge auf ben Weg nad) Hauſe.
VI. Bernardo Ilicino.
1470.
41. Sieniſcher Edelmuth.
In Siena wurde in den letzten Tagen eine adelige
angeſehene und ſehr reichliche Hochzeit gefeiert. Nachdem
die Tafeln aufgehoben waren, führte man wegen der
ſtrengen Kälte des rauhen Wetters die jungen Frauen
und Mädchen an das Feuer, wo unter anmuthigen und
fittfamen Gefprächen über mehrere Gegenftände die Unter-
haltung fortgefegt wurde. Am Enbe derfelben kamen fie
alle in dem Schluffe überein, daß nichtE Anderes in einer
edeln Seele fo ſchön glänze, als Großmuth, Dankbarkeit
und Freigebigkeit. Darüber fagte eine fehr würdige altere
Frau, mit freundlichen Blicken: Hochedle Frauen, eure
löbliche Meinung, auf welche eure fittfame Unterhaltung
und anmuthiges Gefpräd hinausläuft, ruft mir einen
Fall ins Gedächtnig, welcher zwifchen zwei Jünglingen
unferer Vaterſtadt fich ereignet hat. Beide waren edel
von Geburt, wie ihr,. einer aus dem glänzenden und
mächtigen Haufe.der Salimbeni, Namens Anfelmo von
Miffer Salimbene, der andere aus der hochfinnigen Fa-
milie der Montanini, Namens Carlo von Miſſer Tom-
mafo. Sie haben fich gegenfeitig manche Beweiſe edler
Großmuth gegeben; und wenn ihr geneigt feid, mir
darüber euer aufrichtiged Urtheil Fund zu thun, fo will
ich gerne euch das Ereigniß erzählen.
Unter einer großen Zahl anderer einheimifcher Mädchen
waren blos drei dafelbft, welche in Siena Ebelfräulein
biegen: eine aus der adeligen Familie von Luziano,
254 VII. Bernardo Iticino.
Namens Battifta, die andere aus dem Haufe der Mala-
volti, genannt Margarita, die dritte eine der Saracini,
welche Bianca hieß. Als diefe die Rede an fich gerichtet
merkten, übernahm Margarita, die jüngfte unter ihnen,
die Antwort und ſprach: Meine hochzuverehrende Mutter,
wenn ich diefe beiden andern fittfamen Schmweftern für fo
wenig einfichtsvoll und urtheilsfähig hielte, wie ich bei
meiner Jugend, Ungefchidlichkeit und Unerfahrenheit es
bin, fo müßte ich euch bitten, daß ihr euch nicht weiter
Mühe gebt, uns etwas zu erzählen, was Prüfung er-
beifcht. Da aber jede von ihnen mehrmals bie Schule
und den Wettkampf der Klugheit durchgemacht und immter
reifes Urtheil, klarſte Einficht und hoͤchſte Wißbegierde
nach jeder edeln Handlungsweiſe und Sitte bewährt bat,
aus biefem Grunde wird es mir höchft ermünfcht fein,
je eher je lieber ben von euch zu erzählenden Gall zu
vernehmen; worauf fie dann ihr Urtheil abgeben mögen.
Zugleich erkläre ich mich bereit, würbigfte Frau, um nicht
als unaufmerffam oder undankbar gegen euch zu erfchei-
nen, ebenfo dasjenige auszufprechen, was ich davon ver
be.
Nach diefen Worten bereiteten fich ſchon bie drei hoch⸗
edlen Fräulein und ebenfo alle Umſtehenden zu hören;
die ehrwürdige Matrone aber begann alfo ihre ernfie,
würdige und wohlgehaltene Erzählung.
Es fcheint eine allgemeine Eigenfchaft aller erſchaffe⸗
nen Dinge zu fein, daß in ihrem Weſen fich irgend eine
Unvolllommenheit ausfindig machen läßt. Daher fagt man
mit Necht im gemeinen Leben, nur ber allerhöchfte Gott
fei fehlerfrei, was man ganz beutlich bemerkt in ben edeln
und mächtigen Familien, Zürften und Reichen, worin die
Menſchen fo weit entfernt find duldfam zu fein. Dies
erweift Tich offenbar im den vorbefagten Zamilien, den
Salimbent nämlich und den Montanini. Es fanden fich
einft bei einer ſehr adeligen Jagd die meiften jungen
Leute beider Familien vereinigt, die Hunde hatten einen
41. Sienifher Edelmuth. 255
wilden Eber erlegt und man Fam in Streit über bie
brave Haltung der Hunde. Da begab es fi) denn nach
vielem Hin» und Herreden, daß einer der Montanini
einen jungen Salimbene töbdtlich verwundete, aus welchem
Todtfchlag denn eine Zodfeindfchaft entitand, in Folge
deren nad) furzer Zeit das Haus der Montanini dem
gänzlichen Untergang nahe kam. Nach vielen Jahren
jedoch hatte fih die Kränkung verwifcht und gelindert,
im Jahre des Herrn 1395*) war von dem Haufe ber
Montanini nur no Carlo von Miffer Tommafo und
eine funfzehnjährige Schwefter deffelben, Namens Angelica,
übrig, welche in der That mehr die Geſtalt eines Engels
hatte, als fie einem irdifchen Wefen glih. Carlo hatte
in der Nähe im Strovethal eine fehr hübfche Beſitzung
im Werthe von taufend Gulden, womit er gar fparfam
fi) und feiner Schwefter Unterhalt verſchaffte; denn ein
anderes Erbtheil war ihm wegen der vorangegangenen
Fehden nicht geblieben. Als nun Carlo auf diefe Weife
lebte und mehr in Betragen und Worten, als durch Pracht,
wozu ihm die Mittel fehlten, zeigte, daß er ein Edelmann
war, begab es fich, dag Anfelmo, welcher in der Nähe
von Carlo's Haufe wohnte und Angelica oft fah, in Be
tracht ihrer Schönheit, ihres reizenden Benehmens und
ihres fittfamen Weſens ſich faft unvermerkt in fie verliebte.
Weil aber zwifchen beiden Familien, obgleich fie fich nicht
mehr befehdeten, doch auch noch Fein ausbrüdlicher Friede
gefchloffen war, aus diefem Grunde hielt Anfelmo feine
Wünfche fo geheim, daß fie außer ihm niemanden be
Zannt waren. Dabei blieb es einige Zeit, ohne daß etwas
Neues vorkam, bis endlich ein Bürger aus dem Volke,
ber einflußreich bei der Megierung war, nach ber Bes
figung des befagten Carlo lüftern wurde und ihn aufs
fordern ließ, fie an ihn zu verkaufen; er bot ihm dafür
*) Aus diefer Angabe ſcheint hervorzugehen, daß Zlicino den Stoff
aus der alten Siener Ehronik nahm.
a)
958 VII, Bernarbo Ilicino.
Ploͤßglich aber wandte er ſich nach einer andern Seite
und ſagte: Ha, wie niedrig und engherzig! Muß dich
diefe Stimmung nicht mit ber tiefften Schaam isbergießen,
da dir ja befannt ift, daß es zwei Arten des Edelfinnes
und der Großmuth gibt, die. eine, jede große unb Beine
Beleidigung felber zu rächen, die andere aber, durch eigene
Großmuth fie gering zu fehägen und vollig zu verzeihen?
Du haft die erfte vernachläffigt und denkſt nun auch nicht
daran, die zweite zu üben. Ferner, weißt du nicht, Un⸗
dankbarer, daß, obmol von beinem Haufe Angelica viel
Schaden ift zugefügt worben, fie nichts deſto weniger, fo
oft du fie angefehen haft, dir einen friebfertigen Sinn
gezeigt und bewiefen hat, daß fie keinen Haß gegen dich
hegt? Und da fie bie Gefinnung beiner Seele nicht
Tennt, bat fie immer dir freundlich verftattet, fie am
bliden zu dürfen. Ha, kannſt bu, vollig entartet gegen
deine hochebeln Vorfahren, je zugeben, daß etwas, was
du fo fehr Tiebft, in folcher äußerfter Noth von dir ver-
Iaffen wird? Wenn man nun je erführe, daf du um
taufend Gulden den einigen Bruder deiner theuren Ge-
liebten habeft fterben Laffen, würdeft du nicht immer und
mit Recht eher für einen geizigen Bauer, als für einen
milden Edelmann gehalten werden? Unb wenn früher
empfangene Beleidigungen dich abhielten, würdeft du nicht
weit eher die Natur eines wilden Thieres oder eines
schen Steines als bie deinige bekennen, denn die Serle
eines vernünftigen Gefchöpfes?t Hat doch Carlo Mon⸗
tanini dich niemals beleidigt und bie Vernunft gibt nicht
zu, daß eine Schuld an einer andern Perfon gebüßt
werde, als an dem Fehlenden ſelbſt. Hat dich nun bie
Nature zum Edelmann und das Schidfal reich gemacht,
fo darfſt du keinem von ben Beiden bamit Unrecht thun,
daß bu beffen vergiffeft, der deiner Hilfe bebarf.
Nach diefen Worten faßte Anfelmo den befiimmten
Entſchluß, Carlo in feiner Noth beizuftehen, holte aus
einer Kifte taufend Goldducaten und ging noch fpät am
41. Sieniſcher Edelmuth. 260
Abend zu dem Kämmerling, welcher bie Bußgelder in
Empfang nahm.
Hier, fagte er, find die taufend Goldduraten, welche
Carlo Montanini als feine Buße entrichten läßt. Schreibt
mir daher einen Schein, damit er losgegeben und in
Freiheit gefegt werde!
Der Kämmerling nahm bie taufend Ducaten in Em-
pfang und wollte Anfelmo dasjenige herausgeben, um
was die Ducaten taufend Gulden überftiegen. Aber An-
felmo fagte, er wolle ed nicht, und am Ende ftellte ihm
der Kämmerling den Schein zu, auf welchen Carlo frei
gelaffen werben mußte. Als Anfelmo denfelben hatte,
ed war etwa vierundzwanzig Uhr, gab er ihn einem
vertrauten Burfchen, daß er ihn ben Vorſtehern bringe
und blos fage, fie follen Carlo freifaffen. Er ftieg fo-
gleich wieder zu Pferd und ritt hinweg auf fein Landgut
zurüd. Als Anfelmo’s Diener an das Gefängniß Fam,
fragte er nach dem Vorſteher und überreichte ihm den
Schein. AS fodann der Vorfteher denfelben gelefen hatte,
rief er fogleih Carlo herbei. Carlo meinte, es fei bie
Botfchaft, dag er auf fein Seelenheil bedacht fein folle,
weil er am folgenden Morgen fterben müffe, und ant-
wortete dem. Vorfteher fehr niebergefchlagen: Was ver
langft du?
Carlo, antwortete diefer, es ift mir die Anweifung
zu eurer Freilaffung eingehändigt worden; darum öffne
ich euch bier die Kerkerthüre und gebe euch eurer Frei⸗
heit zurück. Es fteht bei euch, Hier zu bleiben ober u
gehen.
Carlo war über die Worte des Vorſtehers überrafcht
und die plögliche Freude und Verwunderung lief ihn eine
Weile nicht zur Befinnung fommen. Dann fragte er,
wer denn die Buße für ihn erlegt habe. Der Vorſteher
aber antwortete ihm, er wiſſe es nicht, es habe blos ein
Diener, welchen er nicht kenne, ihm die Anweiſung ge⸗
bracht. Hierauf ſchied Carlo aus dem Gefängniß und
3650 Vo. Bernardo Jlicino.
ging nach Haufe, wo er die Thüre verfehloffen fand,
weil es ſchon Nacht war. Er pochte an. Angelica,
welche immer eine ſchmerzliche Nachricht erwartete, ftand
plöglih weinend auf, ging ans Fenfter und fragte, wer
es fei. Carlo meinte, Angelica babe ihn durch ihren
Betrieb gerettet; da er aber die Hausthüre verfchloffen
fand und das Weinen feiner Schwefter hörte, wunderte
er fi) von Neuem und noch mehr. Doch antwortete er:
Fa auf, meine Schweiter! Ich Bin bein Bruder
arlo
Angelica erkannte ihn gut an ber Stimme und lief
vol Freude und Verwunderung in größter Eile an bie
Thüre, riß fie auf und flürzte dem Bruder an den Hals,
mit fo überfirömender Liebe und Wonne, ald ob er vom
Zode auferftanden wäre. Einige verwandte Frauen waren
hergefommen, um Angelica zu tröften. Als diefe nun
Carlo befreit fahen, machten fie fogleich den Ihrigen bie
Anzeige, und fo kam es, ba in kurzem Garlo’s Haus
ganz angefüllt ward von feinen Angehörigen, welche herbei»
ſtrömten, theils um ſich zu entfehuldigen, theild um ihre
Freude über feine Errettung auszufprechen. Zugleich er-
tlärten fie, daß feiner von ihnen die Buße für ihn erlegt
habe, was Carlo einestheild einigen Unmuth erregte,
anberntheils feine Verwunderung vermehrte. Daher konnte
er den Tag kaum erwarten, um auszugehen und fich zu
erkundigen, wen er die Erhaltung feines Lebens ver-
banken möge. Daher ging Carlo am folgenden Morgen
“zu dem fchon befagten Kaͤmmerling und fragte ihn blos,
* mer ber fei, der für ihn taufend Gulden bezahlt habe.
Der Kämmerling antwortete: Carlo, geftern Abend kam
Anfelmo von Miffer Salimbene, bezahlte für dich taufend
Goldducaten und bat mich zugleich um eine Anweifung
zu deiner Freilaſſung. Ferner muß ich dir fagen, als
ich ihm den Überfchuß der Ducaten über taufend Gulden
herausgeben wollte, fagte er, es fei bein Wunſch, taufend
Goldducaten vollfländig zu erlegen; und wenn dem fo ift,
s
41. Sienifher Edelmuth. 861
fo iſt die Schrift im Reinen; märe es nicht fo und bu
verlangft den befagten Uberfchuß, fo wiffe, daß er bereit
liegt. |
Carlo antwortete auf die Rede des Kämmerlings als
bald: Miffere, wenn es fo ift, wie ihr fagt, fo ift Alles
gut; ich verlange Feine weitere Zurüuderftattung.
Damit nahm er Abfchied und kehrte nach Haufe. "
Er befann ſich nun fogleich gewiſſer verliebter Blicke,
welche er früher Anfelmo der Angelica hatte zuwenden
fehen und gedachte ebenfo ber frühern Fehden, und ba er
wohl mußte, daß er eine fo große Wohlthat nicht buch
eigenes Verdienſt von feiner Seite fi) erworben habe,
kam er zulegt,-da er einen feharfen Verftand und viel
Geiſt beſaß, auf den Schluß, nichts Anderes habe An⸗
felmo zu dieſer Freigebigfeit bewegen können, als bie
Bereitwilligkeit der Liebe, welche, jemehr fie einem edeln
und von Klugheit, Gemandtheit, und Sitte gezügelten
Manne inwohnt, um fo mehr ihre Kraft zeigt. Er ent-
fchloß fich daher fogleich, fobald er bemerkte, daß Anfelmo
Angelica fein Xeben gewidmet habe, das feinige nebft dem
Angelica’8 der freien Willkür Anfelmo’s zu überlaffen.
Er verfchob jedoch diefen Plan mit größtem Geheimniß,
bis er Anfelmo nad feiner Rüdfehr nach Siena fehe.
Eines Samstag Morgens begegnete er ihm. Sobald er
ihn erblickte, kehrte er nach Haufe, rief Angelica in fein
Gemach und ſprach zu ihr: Meine liebite Schweſter, fo
oft ich überlege, mie groß in vergangenen Tagen der
Adel unferer Familie und die Vortrefflichkeit unferer Vor⸗
fahren geweſen ift, fühle ich meine Seele aufs Höchfte
befchwert, da ich uns jegt in ſolche Bedrängniß verfegt
fehe, daß wir mit großer Mühe unfer armes Xeben er-
halten. Aber noch weit mehr müßte e8 mich fhmerzen,
wenn ich meinen müßte, unfer Sinn entfpreche nicht mehr
dem unferer Vorfahren, welche niemals zugaben, daß
andere, wenn auch Reiche und Mächtige, es ihnen in
Edelmuth zuvor thaten; denn durch bie Niedrigkeit ber
262 VI. Bernardo Jlicino.
Gefinnung müßte ih glauben, daß wir der Natur Un-
recht thun, die uns ein edles Blut und einen großen
Sinn gegeben hat. Aber allerdings begegnet mir Eine
Zufriebenheit unter vielen Bebrängniffen, die nämlich,
daß, während in den legten Tagen ber größte Edelmuth
gegen uns geübt morben ift, der bewundernswürbigfte
vielleicht, deffen fich unfere Familie je zu erfreuen gehabt
bat, daß uns das Glück auch die Möglichkeit gelafjen hat,
diefe That, fofern du es willft, dankbar zu erwidern.
Wie bu weißt, wäre mir feit mehreren Tagen der Kopf
abgefchnitten und beine Ehre und dein Ruf wäre in
Gefahr gelommen, da wir durchaus nicht im Stande
waren, die mir auferlegte Buße von taufend Gufden zu
erlegen; feiner unferer Angehörigen wollte ins Mittel
treten, wie bir wohl bekannt ift; da Fam ber große Edel⸗
much und Hochſinn Anfelmo’s von Miffer Salimbene,
der aus eigenem Antzieb feines zarten und grundguten
Herzens ohne von jemand dazu aufgefordert zu fein,
außer von der Liebe, die er für dich hegt, für mich
taufend Goldducaten bezahlte, ohne Rüdfiht auf jene
alte fchwere Beleidigung unferer Vorfahren, die den Tod
in feine Familie trugen, ja ohne Bürgſchaft von mir
zu verlangen und ohne von uns irgend eine Wohlthat
empfangen zu haben. Darum, meine holde Schwefter,
nachdem ic von ihm das Leben erhalten habe und du
gleicher Weife deinen Bruder nebft deinem Auskommen,
fei. nun du nicht undankbar und mache nicht mich dazu!
Ih Habe mich entfchloffen, deine Perfon ber Willkür
Anfelmo’s zur freien Verfügung zu übergeben. Denn
da er gezeigt bat, wie fehr er dich hochſchätzt, haben wir
dann ficher, indem wir dich ihm überlaffen, unfere Ver⸗
bindlichfeit reichlich gelöfl. Ich bin überzeugt, nachdem
er gezeigt bat, daß er Dich bezahlt, ohne dich in feiner
Gewalt zu haben, daß er nachher, wenn er dich befigt,
dih um fo viel theurer halten wird. Ich muß dir dabei
geftehen, daß, wenn du meiner billigen Bitte nicht zu
41. Sieniſcher Edelmuth. 28
willfahren gedenkſt, ich völlig entſchloſſen bin, nicht allein
Siena, ſondern überhaupt Italien zu verlaſſen und in
bie Fremde zu ziehen, wo man mich gewiß nicht kennt,
damit man nicht mit Fingern auf mich weift und ruft:
Seht da den Carlo Montanini, dem ohne Geſuch und
Bürgſchaft Anfelmo Salimbeni das Leben gerettet hat
und dem der Undankbare nie einen Gegendienft erweift.
Du wirft wohl einfehen, daß auf eine andere, Weife
ein folcher Edelmuth unmöglich belohnt werden kann,
ale dadurch, dag wir ihm dich felbft ſchenken.
Nach diefen Worten fchwieg er. Angelica aber ant-
mortete unter einem Strome von Thränen ganz zitternd
alfo: Mein liebfter Bruder, wehe, neulich, als ich dich
nah Haufe zurückkehren und von folder Gewalt und Wuth
gerettet fah, glaubte ich, das Misgefchid Habe die Schläge
eingeftellt, welche es feit langer Zeit unferer Familie zu
ertheilen gewohnt if. Aber ih Arme fehe nunmehr ein,
dag das Schickſal unfern Vorfahren ſich nie fo feinbfelig
erwiefen hat, wie e8 jegt mit all feiner Gewalt darauf
bedacht zu fein fcheint, fi mir zu erweifen in dem zarten
Alter, in welchem ich ftehe, indem es mich in folche Noth
geführt Hat, daß ich ohne Rettung mich bebrängt fehe,
und mir da den einzigen Zroft, Schug und Beiftand
entzieht, worauf ich alle Hoffnung gefegt hatte, und zwar
wenn ich vermeigere, was mir meine Vernunft zu thun
verbietet. Ich felbft fol, indem ich dein Begehren voll
ftändig erfülle, dazu beitragen, den unfchägbaren Hort zu
verlieren, um deffen Erhaltung willen kein vernünftiger
Menſch den Verluſt des gegenwärtigen Lebens zu hoch
anfchlagen darf. D du grimmiges Geſchick! Elendes
Leben, das fo vielen und mandyfaltigen Bewegungen: von
Unheil und Drangfal unterworfen ift! O erbarmungs-
voller Tod, warum haft du, da ich fo weit gebracht
werben foltte, mir nicht mein elendes Leben ausgelöfcht
mit meiner füßen Mutter, die du mir bei der Geburt
enteiffen haft? Oder doch, nachdem du bis fo meit zu⸗
262 | VI. Bernardo Jlicino.
Gefinnung müßte ich glauben, dag wir der- Natur Un⸗
recht thun, die und ein edles Blut und einen grofen
Sinn gegeben hat. Aber allerdings begegnet mir Eine
Zufriedenheit unter vielen Bebrängniffen, die nämlich,
dag, während in den legten Tagen ber größte Edelmuth
gegen uns geübt morben ift, der bewundernswürdigſte
vieleicht, deffen fich unfere Familie je zu erfreuen gehabt
bat, bag uns das Glück auch die Möglichkeit gelaffen Hat,
diefe That, fofern du es willft, dankbar zu erwidern.
Wie du weißt, wäre mir feit mehreren Tagen der Kopf
abgefchnitten und deine Ehre und dein Ruf. wäre in
Gefahr gelommen, da wir durchaus nicht im Stande
waren, bie mir auferlegte Buße von taufend Gulden zu
erlegen; feiner unferer Angehörigen wollte ind Mittel
treten, wie dir wohl befannt ift; da kam der große Ebdel-
muth und Hocfinn Anfelmo’s von Miffer Salimbene,
der aus eigenem Antzieb feines zarten und grundguten
Herzens ohne von jemand dazu aufgefordert zu fein,
außer von ber Liebe, die er für dich hegt, für mich
taufend Goldducaten bezahlte, ohne Rückſicht auf jene
alte ſchwere Beleidigung unſerer Vorfahren, die den Tod
in feine Familie trugen, ja ohne Bürgfchaft von mir
zu verlangen und ohne von uns irgend eine Wohlthat
empfangen zu haben. Darum, meine holde Schwefter,
nachdem ich von ihm das Leben erhalten habe und bu
gleicher Weife deinen Bruder nebft deinem Ausfommen,
fei. nun du nicht undankbar und mache nicht mich dazu!
Ich Habe mich entfchlofien, deine Perfon ber Willkür
Anfelmo’d zur freien Berfügung zu übergeben. Denn
da er gezeigt hat, wie fehr er dich hochſchätzt, haben wir
dann ficher, indem wir dich ihm überlaffen, unfere Ver⸗
bindlichkeit reichlich gelöft. Ich bin überzeugt, nachdem
er gezeigt bat, daß er dich bezahlt, ohne bich in feiner
Gewalt zu haben, daß er nachher, wenn er dich befigt,
dich um fo viel theurer halten wird. Ich muß dir dabei
geftehen, daß, wenn du meiner billigen Bitte nicht zu
41. Sieniſcher Edelmuth. 263
willfahren gedenkſt, ich vollig entfchleffen bin, nicht allein
Siena, fondern überhaupt Italien zu verlaffen und in
bie Fremde zu ziehen, wo man mid, gewiß nicht Zennt,
damit man nicht mit Fingern auf mic, weift und ruft:
Scht da den Carlo Montanini, dem ohne Gefuch und
Bürsfchaft Anfelmo Salimbeni das Leben gerettet hat
und bem der Undankhare nie einen Gegendienft erweift.
Du wirft wohl einfehen, daß auf eine andere-Weife
ein folcher Edelmuth unmöglich belohnt werden Tann,
ale dadurch, daß wir ihm bich ſelbſt ſchenken.
Nach diefen Worten fchwieg er. Angelica aber ant⸗
wortete unter einem Strome von Thränen ganz zitternd
alfo: Mein liebfter Bruder, wehe, neulih, als ich dich
nach Haufe zurückkehren und von folder Gewalt und Wuth
gerettet fah, glaubte ih, das Misgeſchick habe die Schläge
eingeftellt, welche es feit langer Zeit unferer Familie zu
ertheilen gemohnt ift. Aber ich Arme fehe nunmehr ein,
daß das Schickſal unfern Vorfahren fich nie fo feindfelig
erwiefen hat, wie es jegt mit all feiner Gewalt darauf
bedacht zu fein fcheint, ſich mir zu ermeifen in dem zarten
Alter, in welchem ich ftehe, indem es mich in ſolche Noth
geführt hat, daß ich ohne Mettung mich bebrängt ſehe,
und mir da ben einzigen Troſt, Schug und Beiftand
entzieht, worauf ich alle Hoffnung gefegt hatte, und zwar
. wenn ich vermeigere, was mir meine Vernunft zu thun
verbietet. Ich felbft fol, indem ich dein Begehren voll-
ftändig erfülle, dazu beitragen, ben unfchägbaren Hort zu
verlieren, um beffen Erhaltung willen kein vernünftiger
Menſch den Verluſt des gegenwärtigen Lebens zu Hoch
anfchlagen darf. D du grimmiges Geſchick! Klendes
Leben, das fo vielen und mandjfaltigen Bewegungen. von
Unheil und Drangfal unterworfen iſt! O erbarmungs-
voller Tod, warum haft du, da ich fo weit gebracht
werden follte, mir nicht mein elendes Xeben ausgelöfcht
mit meiner füßen Mutter, die du mir bei der Geburt
entriffen haft? Oder doch, nachdem du bie fo weit zu⸗
264 VI. Bernardo Ilicino.
geſtimmt haft, daß ich endloſe Mühſal, Bedrängniß und
Schmerzen erbulde, warum ſchließt du micht jegt dieſe
weinenden Augen, welche andern wenig Vergnügen, mir '
fetbft aber viel Bitterkeit verurfacht haben? Wohlan,
nachdem mein Schidfal mid, in ſolches Elend zu führen
fih anſchickt, wiffe, mein theurer Bruder, der du weit
mehr auf die Stimme des Edelmuthes, ald auf die For-
derungen ber Vernunft hörft, ich bins zufrieden, beinen
Willen zu erfüllen und die Liebe zu lohnen, die du
immerdar bis zu biefem Augenblide gegen mich gezeigt
haft, und ich bin damit einverftanden, daß du mit dieſem
Leibe ein Geſchenk macheft, wen bir gefällt. Aber das
folft du wiſſen, fobald du mich hingefchenkt Haft, fobald
ich nicht mehr dir angehöre, foll ber Tod , ben ich felbft
graufam hervorrufen werde, wenn je meiner Würde zu
nahe getreten wird, ein wahres und vollgiltiges Zeugniß
ablegen, daß ich zu deinem ungehorigen Geſchenk und
deiner unerlaubten Wiedervergeltung nicht meine Einwil-
ligung gegeben habe.
Nach diefen Worten, welche von einem reichlichen
Strome von Thränen, von Seufzern und Schluchzen
unterbrochen waren, fchwieg fie. Carlo aber fagte, als er
Angelica’s Schluß gehört hatte: Meine holdeſte Schwefter,
glaube nicht, daß mir je diefes armfelige Leben fo theuer
ift, daß ich es nicht gern täglich) unzählige Male binge-
geben hätte, ehe ich deine Ehre in Gefahr brächte. Die
Erfahrung ſollte Dich dies gelehrt haben, wäre nicht ber
überfchwengliche Edelmuth und die ungeheure Kreigebigkeit
Anfelmo’s gefommen. Aber da ich überzeugt bin, daß
die Undankbarkeit nicht niedrig genug anzufchlagen ift,
glaube ich durch deine Mitwirkung deine Würde und
meine eigene zu erhöhen, wenn wir hierin unſerer
Pflicht Genüge leiſten. Der vornehmfte Diener der’
Dankbarkeit ift beiterr Sinn und Ausfehen; darum
bitte ih dich ausdrüdlih, bag du nunmehr deinem
Weinen ein Ziel fegeft und dich überzeugſt, daß der
41. Sieniſcher Ebelmuth. 205
Edelſinn Anſelmo's dieſe Vergeltung wirklich und wahr·
haftig verdient.
Damit ſchwieg er. Angelica und Carlo erwarteten
den Einbruch der Nacht. As fie gekommen war, etwa
um zwei Uhr nach Sommenuntergang, gingen Carlo und
Angelica mit einem einzigen Burfchen, melcher ein kleines
Licht in einer Raterne trug, an Anfelmo’s Haus, pochten
an die Thüre, und ald die Diener barauf mit der Frage
antworteten, wer ba fei, fagte Carlo, es fei ein getreuer
Diener Anfelmo’s, der hoͤchſt nöthig habe, mit ihm zu
fprehen. Die Diener richteten dies Anfelmo aus, worauf
diefer unvermeilt an die Thüre Fam, um zu.vernehmen,
wer ed fei. Er ließ fie öffnen und Carlo und Angelica
traten ein. Nach der erften Begrüßung erkannten fie fich
und Carlo ſprach zu Anfelmo: Anfelmo, mir müffen mit
euch allein in eurem Gemache etwas befprechen.
Anfelmo, von der Neuheit der Sache nicht wenig über-
raſcht, antwortete blos: Gehen wir nach eurem Gefallen!
Sie fliegen die Treppe empor und gelangten in das
Gemach, welches auspeftattet war, wie es für Anfelmo’s
Adel und feinen Reichthum paßte. Er entließ die Diener,
bios die drei blieben in dem Gemach und Carlo hub
gegen Anfelmo alſo an: Mein gnädigfter Herr, von dem
ich ohne alles Verdienſt von meiner Seite diefed mein
Leben und meine Schwefter hier ihre Ehre und ihr Aus-
fommen erhalten zu haben dankbar anerkennen muß, hätte
nicht das Misgeſchick unfere Familie fo fehr verfolgt, fo
hätten wir beide, jedes nad) feinem Vermögen die große
Berbinblichkeit abgetragen, w welche wir gegen: Euer Edeln
haben. Aber ba wir uns in einem fo Mäglichen Zuflande
befinden, daß nichts anderes, ald die Seele und diefe Leiber
in unferer. Gewalt und Derrfchaft geblieben find. und da
Diefe und nur durch :euch gerettet worden find, fo bat
eure Freigebigkeit fie euch mit Recht angeeignet. Da.
aber noch nicht alle Funken vom Edelſinn umferes Ge .
ſchlechts durch das Schickſal in uns verdunkelt find, über-
Staltänifcher Novellenſchatz. J. 12
206 VIL Bixnardo Ilieino.
redet er uns jetzt, ja zwingt uns, daß wir nach Können
und Vermögen vor dem Laſter der Unbantbarkeie fliehen.
Wir haben. nun nach vernünftiger Überlegung ben Vorſatz
und Beſchluß gefaßt, dieweil nur Angelica bier die Ur
fache der großen von euch empfangenen Wohlthat fein
kann, fei nur fie durchaus im Stande, eine fo große
Schuld und Verbindlichkeit zu: tilgen, weshalb fie fick
benn freirsällig, amd mit. meiner vollkommenen Einftim-
mung, eurem Willen bingibt, ſchenkt und überläßt; und
ſo gefalle es denn Euer Eben, von nım an fie zu bes
figen und zu gebrauchen als euer Eigenthum. 1
Nach diefen Morten verließ fie Carle, ohne eine
Erwiderung ‘zu erwarten, verfchloß die Thüre hinter
fih und ging hinweg. Als Anfelmo ſah, baß Carlo
weggegangen und Angelica, welde er fo lange Zeit
heimlich geliebt hatte, nun allein bei ihm im Zimmer
war, umb er fie betrachtete, bie hier immer daſtand wie ein
Bid, das Carlo's Morten weder zusufimmen noch auch
ihnen entſchieden au widerſprechen ſchien, wurde er zugleich
von ber größten Verminderung und ber üuferflen Heiter-
feie erfüllt. : Faft eine halbe Scunde dauerte feine Uber⸗
raſchung, ohne daß er ein Wort gegen Angelica vor«
beingen konnte. Denn ging er aus bem Zimmer und
ließ ſie allein dafelbſt. Er rief aber foglsich einige Frauen |
und ſchickte fie hinein, um Angelica Gefeltfchaft zu leiſten.
Sodann ließ er eime große. Zahl. Fackeln anzünden, ließ
in aller ‚Schnelligkeit feine Genoſſen und alle anbern
Angehörigen, Männer und Frauen, für) verfammeln und
ihnen fagen, fte mögen doch ſchnell herfonmen, um an
einer großen ihm zu Theil gewordenen $reube. Theil zu
nehmen. Daher kamen etwa innerhalb einer Stunde alle
Dermamdoe dei. Hauſes Wnfelero’s zuſunmen. Embald
Anfehno bemerkte, daß niemand mehr fehle, fagte er zu
ihnen bie: Begleitet midy! Ä
Denn rief er Angelica und die andern Frauen une
deu: Gemach und alle gingen nm in bas Haus Catlo
ı
41. Sieniſcher Edelmuth. 2367 -
Montanini's und Angelica's. Dort ließ zur größten
Berwunderung Aller Anfelmo nad, Carlo fragen. So—
bald Carlo vernommen hatte, daß Anſelmo nad ihm
frage, ging er fehnell hinab an die Thüre und fprach
zu Anfelmo: Mein Gebieter, mas verlangt ihr?
Anfelmo antwortete: Carlo, du bift vor kurzem in
mein Haus gekommen und haft gewünfcht, allein in
meinem Gemache mit mir zu fprechen. Jetzt wünſche
ich mit bir zw ſprechen in deinem Saal in Gegenwart
diefer ganzen hochedeln Gefellfchaft.
Carlo antwortete: Mein Gebieter, feht mic, bier bereit,
jeglichen Befehl von euch zu erfüllen.
r zeigte ihnen fogleich den Weg und alle gingen
die Treppe hinauf in den Hauptfaal von Carlo's Haufe.
Dort angelangt ſprach Anfelmo folgende Worte: Geehr-
tefte rauen, hochedle Männer, ich zweifle nicht, daß
jeder von euch mit größter Spannung den Ausgang
dieſes unfered gegenwärtigen Beifaumenfeins zu verneh-
men wünſcht. Es iſt etwas, wie es unfere Vorfahren
nie gehört noch gefehen haben, und woran ihr nach ge-
nauer Betrachtung offenbar den Edelmuth unferer Se:
finnung erfennen mögt, ber nie überwunden worden ift
von ben unheilvollen Wirkungen bes: Schidfals, und er- .
Bennen, daß Reichthum und DBefig bei uns nicht dem
Adel, der Großmuth und feinen Sitte gleichgilt. Ich
fage das wegen der unendlichen Liebenswürdigkeit, Hoheit
und Seelengröße Carlo Montanini’s und Angelica's und
wegen ber Unbefonnenheit unferer Vorfahren, weiche fi
anft Mühe gaben, eine an fo ebeln und feltenen. Gei-
ſtern fruchtbare Familie auszurotten, wogegen ihr wiſſen
mögt, wie ih ſchon ſeit einigen Jahren an ber Schön-
beit der Hier gegenmärtigen die größte Freude habe; aber
in der That babe ich noch weit mehr ihre Tugend, Sitt-
ſamkeit und Würde geliebt; deffen ungeachtet bat nie je
mand meine. Sehnfucht bemerken können, als Carlo's
ſcharfſichtiges Gemüth. Darum, ba dieſer lieber ſterben,
12*
988 VII. Bernardo Jlicino.
als feine Schwefter der Mitgift berauben wollte, die er
ihr bei feinem geringen Vermögen befchaffen-tonnte, babe
ih, wie ihr alle wißt, feiner Zeit taufend Ducaten für
ihn bezahlt ohne alle Bürgfchaft oder Begehren; ich that
dies, damit ein fo ebler Geift, der einzige Bruder und
Schug feiner Schwefter, die ich fo lange im Stillen geliebt
batte, ihr nicht geraubt werde. Aber nun feht die wahre
Trefflichkeit, den unbefledten Edelmuch und fchrantenlofen
Hodhfinn! Der feltene und audgezeichnete Geiſt Carlo’s
konnte eine folche Heine Gefälligkeit nicht annehmen, ohne
fie zu vergüten mit einer fo großen, daß fie in ber That
für unfhagbar muß erachtet werden. Denn in ganz rich⸗
tiger Erkenntniß, daß die gegen Angelica gehegte Riebe
zum großen Theile meine Handlungsweiſe veranlaft hat,
wollte er mit der von mir fo innig Geliebten mid.
belohnen. Bor kurzem kamen fie daher allein in mein
Gemach, und ohne daß Angelica widerfirebte, machte mir
Carlo fie aufs Großmüthigſte zum Gefchent. Damit ich
nun aber mit gerechtem Anfpruch fie befigen kann, die
ih über Alles mit zärtlichem Verlangen liebe, beabſich⸗
tige ih von Neuem in eurer Gegenwart gewiffe Cere⸗
monien vorzunehmen. Zuvörderft, wenn Angelica es zu⸗
. frieden ift und Carlo feine Zuftimmung gibt, ift es meine
Abſicht, fie zu ehelichen ald meine rechtmäfige Gemahlin.
Angelica und Carlo antworteten, fie feien bereit, allen
feinen Wünfchen nachzulommen; worauf Anfelmo mit drei
Löftlichen Ringen fie in Gegenwart Aller fic) vermählte.
Sodann wandte er fi zu den Umſtehenden und fagte
mit freudigem Gefiht: Es ziemt fich nicht, daß eine fo
würdige Braut, wie Angelica, ſich ohne Heirathgut ver⸗
mäple; darum feid mir Zeugen, daß ich diefer Angelica
als Mitgift die Hälfte aller meiner Befigungen und Habe
zum ungetheilten Befig überweife und ſchenke. Drittens
und endlich vernehmet ebenmäßig, wie ich Alles, was
hiernach von meinem Cigenthum übrigbleibt, ich als un⸗
tbeilbaren Befig Carlo fchente und überweife; und da er
A1. Sienifcher Edelmuth. 269
fih .fchon zu Erfüllung meines Willens anheifchig ges
macht bat, fo befehle ich ihm, daß er auf diefe Weife
die Schenkung annehme, worauf ich ihm denn feine Frei«
beit zurückgebe.
Carlo gehorchte Anfelmo’s Worten mit größter Freude
und Lobpreiſung und äußerte fich durchaus zufrieden. Die
Übereinkunft wurde fchriftlich aufgefegt und Anfelmo führte
noch am felbigen Abend feine Gemahlin in fein Haus ein,
unter dem Geleite der ganzen adeligen Gefellfchaft. Als
fie dafelbft angelangt waren, lud er alle auf nächften
Sonntag ein und entließ fie für heute. Es war nun
nahe am vier Uhr der Nacht, da begaben fich die Neu⸗
vermählten mit Carlo zu Zifche und darauf nach kurzer
Unterhaltung mit größter Wonne fchlafen. Dies alfo,
hochedle Fräulein, ift der Vorfall, den ich euch zu er-
zählen beabfichtigt habe. Nunmehr möge euch gefällig fein
euer Urtheil abzugeben, wer größeres Lob edler ritterlicher
Gefinnung verdient, Carlo, Angelica oder Anfelmo.
Nachdem die Dame auf dieſe Weife ihre Erzählung
zu Ende geführt hatte, wurde fie von allen Seiten fehr
gelobt. Die drei vorgenannten ſtimmten in den Schluß
ein, es fei bier ein Beifpiel der höchften Seelengröße
gegeben. Darum mandten ſich alle Umfichenden gegen
die brei jungen Damen und fagten: Ihr habt gehört,
mit welcher Ordnung ber Tal erzählt worben ift, über
welhen man euer einfichtiged Urtheil vernehmen will.
Schon feht ihr, daß nunmehr ein jeder zu- fprechen an-
hebt, denn in ber That, wenn ihr an Seele und Ab-
kunft edel feid, müßt ihr offen beurtheilen Fönnen, welche
der vorangegangenen Handlungen man für einer mahrhaft
edeln Seele am angemeffenften halten muß; und wir wer»
ben Alles, was wir durch euren Spruch befeftigt erfennen
werben, unbedenklich für wahr anerkennen.
Den drei hodjedeln Fräulein flog eine leichte Röthe
fittfamer Beſchämung über das Gefiht und fie antwor-
teten, es gezieme fich nicht. für ihr zartes Alter einen
Y0 Vu. Bernardo Jiicino.
Spruch zu fällen über eine fo ſchwierige und zweifelhafte
Unterfuchung. Nichts defto weniger feien fie, da es fo von
ihnen verfprochen geweſen, zufrieden, ihr geringes Urtheil
hierüber abzugeben. Sie berebeten fich daher unter ein-
ander, jede ermahnte die andere, anzufangen mit dem
Gefpräche; es erhob fich dabei ein hoͤchſt anmuthiger artiger
Streit, indem jede fi) mit aller Macht bemühte, ihren
Genoſſinnen die Ehre zu laffen und durch Namhaftmachung
größerer Tugenden zu erweifen, daß eine der andern vor
gehen müffe. Endlich, wollte Battifta ihren zwei Freun-
dinnen durch Gehorfam ihre Achtung beweifen und war
zufrieden diejenige zu fein, die zuerft ihre Anſicht aus-
ſpräche. Sie trat daher mit einer würdigen Verbeugung
auf, feste fich fodann auf erhaltenen Befehl nieder und
fing ihre Rede alfo an: Ein fehr großer und faft unend-
licher Zweifel, vortrefflichfte Anweſende, hat mir den Geift
befangen, was ich in eurer verehrungswürbigen Gegen-
wart am geeignetften für ein Verfahren einfchlagen möchte,
indem ich entweder fchweigend meine Unzureichendheit ver-
bärge oder redend, wiewol ohne verdientes Lob, eurem
Wunſche genügte. Zuerſt hielt mich zurüd und misrieth
mir das ganze Unternehmen der ungewohnte und fchwierige
Gegenftand, über welchen heute gefprochen werben fol;
jodann zweitens das höchft würdige Borbild des ausge⸗
zeichneten Berichtes, welchen meine verehrte Mutter er«
flattet hat, deffen Glanz leicht nicht allein mein Fleines
ſchwaches Lämpchen, fondern felbft ein fehr glänzendes
und geübtes Licht der Beredtſamkeit verdunkeln würde.
Von der andern Seite, wenn ich auf mid, felbft achte,
gewährt mir die hohe Huld eurer Vortrefflichkeiten den
größten Troft, der, wie ich glaube, es nicht ‘verborgen ift,
- daß ich vielmehr habe dafür gehalten werden wollen. Hier
habe ich mich nun gar leicht überzeugt, daß ich file jeden
Irrthum, der von mir ausgefprochen werden wird, ohne alle
Schwierigkeit von eurer Güte Vergebung erhalten werde.
Wenn nun alfo Carlo Montanini und feine Schwefter
Cd
41. Sieniſcher Edelmuth. 271
Angelica und Anſelmo von Miſſer Salimbene gegen
einander Edelmuth übten und die Frage entſteht, welches
von den dreien megen feiner Danblungsweife am. meiften
Lob verdiene, fo ifi meinem Urtheile nach Garlo unter -
diefen dreien einem jeden vorzuziehen. Wenn ich dies
beweiſen will, fo habe ich zuerft zu betrachten, dag das
größere Lob da ertheilt werden muß, wo die größere
Anzahl von Tugenden ſich findet; zweitens, wo das zu
lobende Werk von einer georbneteren Gefinnung ange
zeigt iſt; dritteng, wo man erkennt, daß bei dem tugend-
haften Handeln die größere Schwierigkeit obmalte. Ich
fage nun, daß nach der Erzählung leicht zu begreifen ift,
daß, wenn Karlo ſich entfchloß lieber zu fterben, als um
fich zu retten fein Beſitzthum zu verkaufen, man zunächft
annehmen muß, der Grund fei eine fehr innige anges
borene Liebe zu feiner Schweſter gewefen, welche Liebe
mit Recht beftimmt wird als bie Grundlage jedes andern
löblichen Hanges unferer Seele, woraus ihm eine echte
Demuth und Geduld entkeimte, welche die Grundfteine
und Stügpfeiler jeglicher andern Tugend find; und daß
‚diefe ihm inwohnten, laͤßt ſich daraus fchließen, bag Carlo
unfchuldig zu fterben vorzog ohne Widerrede, Beſchwerde
oder Wehklage. Sodann zeigt ſich in ihm eine nicht
geringere Feſtigkeit und Hochherzigkeit, da er, nachdem
er das Gefänguiß verlaſſen, ſtandhaft und beharrlich in
der Stadt blieb ohne Furcht vor den vorausgegangenen
Schmähungen, um ſeine Unſchuld klar darzuſtellen. Und
im Gefolge deſſen welche Seelengröße und Vortrefflichkeit
des Geiſtes zeigte ſich in ihm, als er, nicht keck und mit
Überfluß prahlend herauszubringen ſuchte, wer: für ihn
feine Buße erlege habe. Als fich dann zeigte, Daß es
Anfelmo gewefen, ließ er fich nicht beirren von den vor⸗
ausgegangenen feindfeligen Beziehungen, er war nicht
kleinmüthig, da er feine große Armuth erfannte im
Vergleich zu feinem außerorbentlihen Reichthum, nicht
gehemmt von ſeiner Noth, nicht verhindert von feinem
—
2372 VI. Bernardo Jlicino.
widrigen Schickſal, beſchloß er von feinem Edelmuth ſich
nicht übertreffen zu Taffen. Da er aber überlegte, was
ber Grund der erhaltenen Wohlthat geweſen fein möge,
wollte er biefelbe weit £refflicher erfegen, als mit taufend
Ducaten. D feltene Seele, o feharflichtiger Geift in ber
Erfenntniß des menfchlichen Adels! Carlo war fehr traurig
und andererfeits noch weit mehr großmüthig, indem er fich-
und fein Xeben nicht höher achtete als taufend Ducaten.
Er war nicht zufrieden damit, fich allein der unbefchräntten
Willkür und ber freien Mache Anfelmo’s zu überlaffen
und ganz anzuverfrauen, fondern da er urtheilte, bie
jungfräulihe Angelica fei die Urfache gewefen, weshalb
Anfelmo fi) bewogen gefunden habe, auf feine Rettung
zu denken, glaubte er, daß nur Angelica gleich hoch ge-
halten werden könne. Meiner Anficht nach mar feine
Vergeltung ein unendliher Werth, indem fie ben von
Anfelmo geübten Edelmuth noch übertraf. Darum, da
Carlo diefe Wirkung bervorbrachte, glaube ich, daß von
ihm ber beutlichfte Beweis vorliegt, dag ihm jede Zu-
gend inwohnte. Ic ſchließe alfo in diefer Beziehung
mit der Verficherung, dag Carlo Angelica und Anfelmo
mit Recht weit im Preife vorangehen müffe. Zweitens
pflegt es die allgemeine Meinung eines jeden zu fein,
daß keine Handlung Lob verdiene, ald die, bie aus vor⸗
bedachter Abficht und freiem Willen hervorgegangen ift;
woraus man fchliefen kann, daß fie nach dem Maßſtabe
der Vernunft gemeffen ſei. Wer nım die drei vorbefagten
Handlungsweifen betrachtet, der findet diefe Eigenfchaft
Mar nur in dem von Karlo geübten Edelmuthe; denn
Sarlo hatte reiflich geprüft und erwogen, mas von ihm
zunächſt für ein Entfchluß gefaßt werden müffe; er war
‚viel begieriger feinen alten Adel und die junge Ehre feiner
Schweſter zu erhalten, als feine eigene. Rettung zu be-
werffielligen, und antwortete ihr er gebe fein Leben willig
bin. Zu diefem Punkte brachte ihn Fein Stachel ber
Wolluſt, wie auch Anfelmo nicht von Drohungen und
41. Sienifcher Edelmuth. 973
häufigen Bitten bei Angelica geleitet wurde, fondern nur
Vernunft und natürliche Liebe nebft feiner fehr guten
Natur ihn führten. Hieraus kann alfo jeder Mar ent-
nehmen, daß der von Carlo geübte Edelmuth eine wohl
überlegte geprüfte und frei befchloffene Handlung geweſen
ift. Carlo war gegen feine Schwefter höchft grofmüthig;
aber wer wird Teugnen Tonnen, daß er felbft gegen An-
felmo die ergiebigfte Duelle des Ebdelmuthes gemefen ?
Anfelmo bezahlte ohne viel Überlegung und ohne die vor⸗
gängige Bitte Carlo's taufend Ducaten; diefe Handlung
geht meiner Anficht nach von der Vorausfegung aus, daß
Carlo's Leben wenigftens um diefen Preis anzufchlagen fei.
O überfliegende Freigebigfeit, o höchfter Edelmuth, o un»
ausfprechliche Vergeltung! Wie? Überlegt wohl, wie meit
Carlo diefe beiden edelmüthigen Handlungen übertraf! Er
gab Anfelmo Erfag, er erflattete ihm das Gegebene nad)
alt feinem Bermögen und Wefen, während er fchon von
ihm doppelte Herftellung erhalten hatte; und das edle und,
bochherzige Gemüth war nicht zufrieden damit, fondern
außer dem voraus berührten Geſchenke verehrte er ihm
auch noch Angelica, in welcher drei ganz eigenthümliche
Dinge in Betracht kommen. Das erfte ift die natürliche
Schönheit, von welcher und zwar vielleicht bei geringerem
Grade fehon die‘ Phöniker in der Perfon Europas ber
Tochter Agenors, die Griechen in der Perſon Helenas
der Tochter des Tyndareus, und Herkules und Theſeus
in den Perfonen von Hippolyta und Menalippe urtheilten,
fie fei ein wuͤrdiger Lohn gemefen in ihren Mübfalen in
den wilden Schlachten. Das zweite ift eine ausnehmende
Keufchheit, deren Schag in Wahrheit eine unvergleichliche
Mürde if. Das dritte ift eine äußerſte Genugthuung
und eine fo glühende Sehnfucht, ald man fich denken kann,
dag im Gemüt Anfelmos lebte, obmol ihn immer die
frühere Feindfchaft drängte, fie verborgen zu halten. Wie
hoch dies zu achten fei, kann meiner Überzeugung nad
feiner der Anmwefenden, fondern einzig und allein wer es
12**
*
274 VI. Bernardo Jlicino.
erfahren bat, beurtheilen. Hiernach kann wol Keine Un⸗
Marheit übrig fein in unferm Geifte, die uns abbielte,
auszufprechen, daß Carlo größeres Lob verdiene, als feine
Schweſter und fein Schwager, ba er zu feiner edelmü⸗
thigen Handlung einzig und allein von der bewußten Ver⸗
nunft, vom freien Willen und klarer Erkenntniß getrieben
ward. Ich fagte drittens, diejenige Handlungsweiſe fei
um fo böher zu achten, die neben dem, daß fie an fich
durchaus loͤblich und tugendhaft ift, noch auferben große
Schwierigkeit in ihrer Ausführung findet. Daher lieſt
man in den Gefchichtsbüchern, daß keinem Arbeiter ber
Ruhm bed Triumphes vergönnt war, ber den Sieg über
einen unebeln Feind oder ohne Schwierigkeit bavontrug.
Nun betrachtet einmal genauer, wie viele Schwierigkeiten
und Hinderniffe mit ber von Carlo geübten ebein Ihat
verfnüpft waren. Ihr müßt vornehmlich wiffen, daß nicht
allein dem Menfchen, deſſen Sein vernünftig und beffen
Handeln fehr achtungswürdig iſt, fondern auch den nie
deigften und unvolllommenften Gefchöpfen der Erde von
Natur eingepflanzt wurde, mit allee ihrer Macht, Eifer
und natürlihem Zriebe nach ihrer Erhaltung und ihrem
Wohlſein zu fleeben; deshalb zeigt die Erfahrung, daß fie
jede andere Anlage weit weniger hochachten, als das Leben.
Hiernach iſt es nothmendig, dag, obwol manche Gründe
zum Sterben überreden, doch in der Natur eine befondere
Selbſtliebe liegt, welche jenem das größte Widerftreben ent-
gegenfegt. Wer nun diefes überwindet, von bem darf man
annehmen, daß er den mühenoliften Sieg errungen hat.*)
*) Den weiteren Berlauf der langen Disputation übergehen wir
bier als nit nothwendig zu der Novelle gehörig.
VII. Maſuccio aus Salerno.
" 1470,
42. Der unſchuldige Mörder.
An den König Don Ferrando von Aragon.
Zur Zeit deines würbigen Ahns des hochfeligen Königs
Don Ferrando von Aragon glorreichen Andenkens, welcher
den Scepter des Königreichs Kaftilien mit ruhigem Regi-
mente führte, war in ber alten und fehr edeln Stadt
diefes Königreichs Salamanca ein Minoritenmönd Na-
‚mens Magifter Diego von Revalo, welcher nicht minder
in der thomiftifchen als in der feotifchen Lehre unterrichtet
war und darum aus den übrigen erlefen und mit einer nicht
unbebeutenden Belohnung beftellt wurde, in den würbigen
Hörfälen der berühmten Hochfchule derfelben Stadt Vor-
lefungen zu halten. Damit fepte er fich in einen wunder
baren Ruf und machte feine Wiſſenſchaft befannt durch
das ganze Reich; überdies hielt er manchmal auch Beine
Predigten, die mehr nüglich und nothwendig ald fromm
waren. Da er aber jung, ziemlich ſchoͤn und fehr luſti⸗
gen Sinnes, darum den Liebesflammen ausgefegt war,
‚ gefchah es, daß ihm eines Tages unter der Predigt ein
ganz junges Weib von wunderbarer Schönheit auffiel,
Namens Donna Kattarina, die Gattin eines der vor⸗
nehmften Ritter der Stadt mit Namen Miffer Noberico
Dangiagia. Als der Magifter fie fah, gefiel fie ihm auf
den erfien Blick und Herr Amor gab ihm zugleich mit
dem Bilde der Frau die Liebeswunde in fein fehon be⸗
flecktes Herz. Don der Kanzel herabgeftiegen ging er in
276 VII. Maſuccio aus Salerno.
feine Zelle, warf alle theologifchen Gründe und fophifti«
fhen Beweife in eine Ede und gab fi ganz den Ge⸗
danken an das holde junge Weib hin. Und obgleich er
die Vornehmheit der Frau wohl kannte und mußte weffen
Gattin fie war und welche Zollheit er unternehmen würde,
er fich auch oft zu überreden firchte, diefen Weg nicht ein- _
zufchlagen, fo fprach er doch manchmal zu fih: Wo Amor
feine Gewalt äußern will, da ſucht er niemals Gleichheit
des Blutes; denn wenn diefe erforberlich wäre, würden
große Fürften nicht beftändig auf Prifen an unfern Küften
ausgehen. Denfelben Freibrief nun muß Amor uns er-
theilt haben, hohe Minne zu fühlen, da er ihnen zuge-
fteht, fi fo tief berabzulaffen. Die Wunden, welche
Amor fchlägt, empfängt Feiner mit Vorbedacht, fondern
unverfehens; wenn mich daher diefer Gewaltige wehrlos
überrafcht hat, fo Hilft es nichts, fich gegen feine Schläge
zu vertheidigen; da ich nicht Widerftand leiſten Fann,
werde ich mit allem echt befiegt, und fo gefchehe mir
denn als feinem Unterthanen was da will, ich will dem
harten Kampf beftehen, und folgt der Tod, nun fo werde
ich erlöft von allee Pein und wenigftens von diefer Seite
geht mein Geift mit hoher Stirn einher, daß er feine
Strebungen nach einer fo erhabenen Stelle zu richten
gewagt hat.
Nach diefen Worten wandte er fich nicht mehr zurüd
zu den Gegengründen, vielmehr nahm er Papier und
ſchrieb unter vielen tiefen Seufzern und heißen Thränen
einen paffenden zierlihen Brief an die geliebte Frau,
worin er zuerft ihre mehr göttlichen als menfchlichen Reize
pried, dann ausführte, wie er dermaßen von denfelben
umſtrickt fei, daß er entweder ihre Gunft ober ben Tod
erwarte, und zulegt bei aller Anerfenntniß deffen, daß
er in Betracht ihres hohen Standes nicht verdiene, daß
fie ihm Gelegenheit zu einer Zuſammenkunft gebe, fie
doch flehendlich bat, ihm Zeit und Ort anzugeben, daß
er mit ihe im Geheimen fprecden könne, oder ihn wenig⸗
42. Der unfihuldige Mörder. 277
ſtens als ihren Diener anzunehmen, da er fie zur ein-
zigen @ebieterin über fein Leben erkoren habe. Er ſchloß
den Brief mit noch vielen andern Floskeln, machte ihn zu,
tüßte ihn wieberholendlich und gab ihn einem Chorknaben,
mit der MWeifung, wem er ihn "heimlich zuzuftellen habe.
Diefer ging, wohin ihm befohlen war, fam in das Haus
und fand die edle junge Frau im Kreife ihres zahlreichen
weiblichen Gefolges figen. Er grüßte fie höflich und ſagte
zu ihre: Mein Meifter empfiehlt ſich euch und bittet euch,
ihm ein wenig von bem feinen Mehl zu Hoftien zu fchiden,
wie euch dieſes Briefchen des weitern vermelden wird.
Die Dame war gefcheibt genug, um gleich beim An⸗
bli® des Briefes zu merken, was bie wirkliche Abficht
dabei war. Sie nahm und Tas ihn, und obgleich fie
fehr fittfam war, misftel es ihr doch nicht, daß jener
fie liebte, und da fie ſich für die fchönfte unter den Wei⸗
‚bern hielt, freute fie der Brief, in welchem fie ihre Schön.
heit. fo Hoch erhoben’ fah, denn fie hatte mit der Erbfünde
auch die angeborne Leidenfchaft aller übrigen Glieder bes
weiblichen Gefchlechts überkommen, welche famt und fon-
ders ber Meinung find, ihr ganzer Ruf, Ehre und guter
ame beftehe einzig und allein darin, daß fie geliebt,
umbuhlt und ob ihrer Schönheit gepriefen werden, und
welche viel lieber für fchön und lafterhaft, als für noch
"fo tugendhaft und häßlich gelten möchten. Nichts befto
weniger befchloß dieſe Frau, weil fie alle Mönche ernftlich
und nicht ohne Grund hafte, nicht nur dem Magifter in
keiner Weife nachzugeben, fondern auch ihm nicht einmal
eine freundliche Antwort zu gewähren, und zugleich nahm
fie fi) vor, diesmal auch ihrem Gemahl nichts von der
Sache: zu fagen. Nachdem fie fi in diefem Plane ber
feftigt hatte, wandte fie fich zu dem Mönchlein und fagte
zu ihm, ohne die geringfte Verlegenheit merken zu laffen:
Du kannſt deinem Meifter fagen, daß der Herr meines
Mehls es ganz für fi allein will, baram fol er fich
anderswoher welches zu verfchaffen fuchen. -Auf den Brief
978 VIH. Maſuccio aus Salerno.
brauche ich nicht zu antworten. Berlangte er es aber
doch, fo fol er e& mir zu wiffen thun, und fobald mein
gnädiger Herr nah Haus kommt, will ich dann forgen,
daß er eine bekommt, wie es für fein Anfinnen fi
gehört. |
Als der Magifter bie firenge Antwort erhielt, ver-
minderte fih darum feine Liebesglut im Mindeſten nicht;
vielmehr wuchs feine Leidenfchaft zugleich mit dem Ver⸗
fangen zu nur um fo größeren Slammen, und um fich
nicht von dem begonnenen Unternehmen zurückzuziehen,
begann er, da das Haus ber Frau ganz nahe bei dem
Klofter war, fie fo zubringlich mit feinen Werbungen zu
verfolgen, daß fie nicht an ein Fenſter treten, nicht in
bie Kirche oder fonft aus dem Haufe-gehen konnte, ohne
baf ber begehrlihe Magiſter ihr immer in den Weg kam,
weshalb denn in kurzem nicht nur die Leute in der Nach⸗
barfchaft die Sache merkten, fondern auch faft alles in
der Stadt davon Kunde erhielt. Unter folchen Umfländen
überzeugte fich die Frau, daß fie ben Handel vor ihrem
Gemahl nicht länger mehr verbergen dürfe; denn fie
fircchtete, wenn er es von jemanb andern höre, Fünnte
fie in Gefahr kommen und er fie überdies für untren
halten. Nachdem fie ſich mit diefem Gedanken vertraut
gemacht hatte, erzählte fie, als fie eined Nachts bei ihrem
Manne war, ihm die ganze Geſchichte Punkte für Punkt.
Der Nitter, welcher ſehr ehrenfeft und heftig mar, ent⸗
brannte in folhem Zorn, daß er fih kaum enthalten
fonnte, auf der Stelle hinzugeben und mit Feuer und
Schwert das Klofter ſammt allen Mönchen zu zerftören-
Sr mäßigte fich aber doch ein wenig, lobte die Sittfam-
feit feiner Frau gar fehr und gab ihr auf, dem Ritter
zu veriprechen, fie wolle ihn in der folgenden Nacht ins
- Haus kommen laſſen, auf irgend eine Art, wie es ihr
am beften gefalle, damit ex zugleich feiner Ehre genng-
thun konne und feine theure geliebte Frau nicht ferner
befleden laſſe, fie das übrige wolle er felber forgen.
7
42. Der unfhuldige Mörder. 879
So mislich auch der Fran die Sache vorkam, indem fie
bedachte, wohin dies führen Tonne, fo fagte fie doch,
um dem Willen ihres Mannes nachzukommen, fie wolle
ed thun; und da das Mönchlein immer wiederkam und
mit neuen Künften ben harten Stein zu erweichen trachtete,
fagte fie: Empfiehl mich deinem Meifter und fag ihm,
die große Liebe, die er zu mir trage, und die heißen
Thränen, die er, wie er mir immer fchreibt, für mich
vergieße, haben Plag gegriffen in meinem Herzen, ſodaß
ih nun viel mehr ihm angehöre, ald mir. Und da unfer
freundlicher Stern gewollt hat, daß heute Herr Noderico.
aufs Land gegangen ift und über Nacht aus fein wird,
fo fol er mit dem Schlag brei Uhr heimlich zu mir
kommen unb ich will ihm Gehör geben wie er es wünfcht.
Doc bitte ich ihn, keinem Freund ober Bekannten, fo
genau er auch mit ihm ſtünde, die Sache anzuvertrauen.
Das Möndlein zog übermäßig heiter von dannen
und brachte die erfreuliche Botfchaft feinem Herrn; diefer
aber war der glüdtichfte Menfch von der Welt, indem
er bebachte, wie nahe die gegebene Frift fchon heranrüde.
Als diefe Fam, verfah er fich wohl mit Düften, um nicht
möndifh zu riechen, dachte auch, das Kloſtergewand
koͤnne durch guten Athem unterwegs gewinnen und genoß
daber ‚die beften und feinften eingemachten Früchte, legte
feine gewohnten Kleider an und begab fich fo an die Thür
feiner Geliebten. Er fand fie offen, trat ein und wurbe
im Dunkeln wie ein Blinder von einer Dienerin in einen
Saal geführt, wo er die Frau zu finden und von ihr
freundlidy) empfangen zu werden meinte, ftatt deffen aber
den Ritter fand mit einem getreuen Diener, die ihn ohne
viel MWiderftreben padten und in aller Stille erbroffelten.
Als Meifter Diego todt war, reute ed den Ritter ein
wenig, feine gewaltigen Arme mit dem Tode eines Mi-
noriten befleckt zu haben; doch da er fah, daß bier Neue
fo wenig half, als ein ander Mittel, dachte er in Rück⸗
ficht auf feine Ehre und auch aus Furcht vor dem Zorn
280 VMI. Mafuccio aus Salerno.
des - Königs darauf, den Todten aus bem Hauſe zu
ichaffen, und es fiel ihm ein, ihn in fein Kloſter zu
bringen. Er packte ihn daher feinem Diener auf ben
Rüden und fo fehleppten fie ihn in den Garten der
Moönche; von dort drangen fie in das Kiofter felbft ein
und trugen den Leichnam an das Drtchen, wohin Die
Mönche aus gewiffem Erleichterungsbedürfnig zu, gehen
pflesten. Zufällig fand ſich nur ein einziger Sig bereit,
denn die andern waren zu Grunde gerichtet, wie denn,
wie wir beftändig fehen, ber größte Theil der Mönche»
Höftee mehr Näuberhöhlen gleichen als Wohnfigen ber
Diener Gottes. Auf diefen Sig ließen fie iyn nun nieder,
grade als ob er ein Bedürfniß befriebigte, machten ſich
hinweg und gingen nah Haufe. Als nun der Herr
Masifter fo daſaß, grade wie wenn er einer überflüffigen
Leibesbürde ſich entladen wollte, befiel einen andern jungen
und rüftigen Bruder um Mitternacht der dringende Wunſch,
an den befagten Drt zu gehen, um feine Nothdurft zu ver-
rihten. Er zündete ein Lichtlein an und eilte auf die
Stelle zu, wo Meifter Diego im Tode bingefegt worden
war. Sobald er ihn erkannte, z0g er fich, nicht anders
dentend, als er Iebe, ohne ein Wort zu fagen, zurüd,
weil zwifchen ihnen beiden aus Bott weiß welchem moͤnchi⸗
fehen Neid und Misvergunft eine unauslöfchliche tödtliche
Feindfchaft ſtattfand. Er wartete daher abfeits, bis- er
meinte, der Magifter könne mit bem Gefchäft fertig fein,
das er gleichfalls zu verrichten im Sinne hatte; ba er
aber immer noch wartete und nicht bemerkte, daß ber
Magifter fi rühre, andererfeits aber ihn felbft die Noth
immer gebieterifcher drängte, fagte er mehrmals bei fich
felbft: Bei Gott ber Burfche bleibt aus keinem andern
Grunde fo feft figen und will mich nicht hinlaffen, als
um mir auch hierin feine Zeindfchaft zu zeigen und die
böfe Gefinnung, die er gegen mid) hegt. Aber es foll
ihm nicht gelingen, denn ich will aushalten, fo lange
ih Tann, und wenn ich fehe, daß er auf feinem Eigenfinn
42. Der unſchuldige Mörber. 281
beharrt und feft bleibt, fo will ich doch, obfchon ich auch
anderswohin gehen koͤnnte, ihn zwingen von bier wegzu⸗
gehen, er mag wollen ober nicht.
Der Magifter, w welcher bereite an einem harten Fels
Anker geworfen hatte, rührte fich nicht im mindeften,
bis endlich der Mond, es nicht mehr aushalten Fonnte
und wüthend rief: Nun aber, da fei Gott vor, daß du
mir ſolche Schmach anthuft und ich es fo binnehme!
Da ergriff er einen: großen Stein, trat nahe zu ihm
In und beehrte ihn mit einem ſolchen Schlag auf bie
Bruft, daß er zurüdfiel und kein Glied mehr rührte.
Als der Bruder bemerkte, wie er nah dem gewaltigen
Stoß fih nicht mehr erhob, fürchtete er, ihn mit dem
Stein bereit8 umgebracht zu haben; er wartete eine Weile,
hoffte und beforgte, endlich aber trat er zu ihm bin und
fihaute ihn beim Lichte genau an, wo er denn fich voll«
fommen überzeugte, daß er fchon todt fei, und nicht an⸗
ders dachte, als er habe ihn auf bie angegebene Weife
umgebradt. Er war deshalb bis zum Tod betrübt, in«
bem er fürdhtete, wegen ihrer Feindfchaft werde der Ver⸗
dacht alsbald auf ihn fallen und er darüber ums Leben
tommen. Darum beſchloß er mehrmals, ſich felber auf
zuhängen; bei reiflicher Überlegung jedoch nahm er fich vor,
isn aus dem Klofter zu tragen und auf die Strafe zu
werfen, um jeden etwaigen Verdacht von fich abzumälzen,
den man fonft aus der angegebenen Urfache hätte faffen
fönnen. Indem er nun biefen Plan ausführen wollte,
fiel ihm weiter ein, wie öffentlich und unaufhörlich der
Magifter Donna Gattarina mit feinen unzüchtigen Zus
muthungen verfolgte, und er fagte bei fich felbft: Wo
kann ich ihm leichter Hinbringen, um zugleich mich von
allem Verdachte zu befreien, als vor die Thür des
Heren Roderico, einmal weil dies fo nahe ift, und
dann, weil man gewiß annehmen wird, ev fei des
Ritters Weibe nachgefchlichen und diefer habe ihn um⸗
bringen laffen.
282 VII. Mafuccio aus Salerno.
Diefe Überlegungen befläckten ihr in feinem Borhaben.
Er lud mit graßer Mühe den Leichnam auf den Rücken
und trug ihn vor die befagte Thür, aus welcher er wenige
Stunden zuvor als todt herausgetragen worden war.” Dort
ließ er ihn und kehrte , ohne von jemand in Acht genom⸗
men zu werben, in das Klofter zurüd. Obgleich er nun
für feine Rettung hinreichend gebedt ſchien, wollte er fich
doch noch unter irgend einem Vorwand auf ein paar Tage
von bier entfernen, ging alfo in diefem Gedanken auf ber
Stelle nad) ber Zelle des Guardians und fagte zu ihm:
Mein Bater, ich habe vorgeftern, da ich Fein. Laftthier
hatte, den größten Theil unferer Einforberung in Medina
im Haufe eines unferer Freunde gelaffen; darum mörhfe
ih mit eurem Segen nun hingehen, das übrige zu holen,
und dazu die Stute des Klofterd mitnehmen. Wenns
Gottes Wille iſt, komme ich morgen oder übermorgen
wieder.
Der Guardian gab ihm nicht allein die Erlaubniß,
fondern lobte ihn ſogar fehr über feine Sorgfalt. Als
der Bruber diefe Antwort erhalten hatte, machte er feine
Siebenfachen zufammen, zäumte bie Stute auf und er-
wartete nur den Anbrucd des Morgens, um abzugeben.
Herr Noderico, welcher die Nacht wenig oder nicht ge⸗
jchlafen hatte, und doch wegen der Gefchichte in Beforgniß
war, entihloß fi, da num der Zag heranfam, feinem
Diener aufzutragen, ex folle um das Kloſter hergeben
und laufchen, ob wel bie Brüder den Magifter todt ge⸗
funden haben und was fie darüber fagen. Als der Diener
aus dem Haufe trat, um auszurichten, was ihm aufge
tragen worden war, fand er dafelbft den Meifter Diego
vor der Thür figen, daß es ausſah, als hielte er eine
Disputation. Das fagte dem Knechte nicht geringen
Schreden ein, wie man nur über einen Leichnam er-
ſchrecken Tann; er fuhr zurüd, rief alsbald fernen Herrn
und konnte kaum die Worte bervorbringen, um ihm zu
fagen, der Leichnam des Magifters fei vor ihr Haus
42. Der unſchuldige Mörder. 2383
zurückgebracht worden. Der Ritter verwunberte füch”
böchlich über dieſen fchlimmen Fall, der feinen Beforg-
. niffen neue Nahrung gab. Nichts defto weniger tröftete
er ſich mit der gerechten Sache, die er zu führen glaubte,
und faßte den muthigen Entfchluß, geradezu zu warten,
was bie Sache fin Folgen haben werde. Damit wandte
er fi zu dem XZodten und fagfe: So mußt du denn
der ewige Pfahl im Zleifch meines Haufes fein, von
welchem ich dich weder lebendig nod) tobt zu entfernen
vermtochte! Aber dem zum Trotz, der dich hierhergebracht
hat, foll ed die nicht gelingen, wieder herzukommen, es
wäre denn auf einem Vieh, wie du felbft eins in der
Welt geweſen bift.
Nach diefen Worten trug er dem Diener auf, aus
dem Stalle eines Nachbars einen Hengft herbeizusolen,
welchen fein Befiger für das Bedürfniß der Stuten unb
Eſelinnen der Stadt hielt und welcher zu Haben mar
wie die Efelin von Serufalem. Der Diener ging in
größter Eile hin und führte den Hengft herbei mit Sattel
und Zaum und allem fonftigen Zubehör in befter Ord⸗
nung; und wie der Ritter früher befchloffen hatte, fegten
fie den befagten Leichnam auf das Pferd, machten ihn
beritten und banden ihn feft, gaben ihm eine eingelegte
Lanze und den Zaum in die Hand, als wollten fie ihn
in die Schlacht ſchicken und führten ihn endlid) in biefem
Aufzuge vor das Thor der Kirche der Mönche, wo fie
ihn anbanden. und fofore heimkehrten. Dem Mönche
ſchien es nunmehr Zeit, die vorgenommene Reife anzu⸗
treten, er machte daher zuerft das Thor des Kloſters auf,
beftieg fodann feine Stute und ritt hinaus. Als er aber
den Magifter auf die befagte Weife vor dem Thore fand,
fodag er in allem Ernſt meinte, er drohe ihm mit feiner
Lanze den Tod, ward er plöglich won. fo großer Angſt
erfaßt, daß er in Gefahr Fam, todt vom Pferde zu ſinken.
Dabei überfiel ihn ein gewaltiger gräßlicher Gedanke,
der Geift des Mannes müſſe nämlich in feinen Körper
284 VII. Mafuccio aus Salerno.
zurückgekehrt fein und er fei ihm zur Strafe gefegt, um
ihn allenthalben zu verfolgen nach dem Glauben mandjer
Thoren. Während er fich in diefer Täufchung und Furcht
befand und nicht mußte, welchen ZBeg er einfchlagen follte,
witterte der Henaft die Stute, ſchob feine gewaltige Keule
vor, und wollte wiehernd der Stute zu Leib gehen, welche
Bewegungen denn ben Möndy immer mehr in Angft fegten.
Dennoch fafte er ſich und mollte die Stute ihres Weges
führen ; dieſe aber brehte ihr Hintertheil gegen den Hengſt
und fing an auszufchlagen, ſodaß der Mönch, welcher
nicht der befte Reiter war, faft herabfiek; und um den
zweiten Stoß nicht abzuwarten, preßte er bie Beine feft
zufammen, drüdte dem Thier die Sporen in die Seiten,
hielt fi mit beiden Händen an dem Saunifattel feft,
ließ bie Zügel fchießen und vertraute das Pferd ber
Willkür des Zufalls. Sobald nur diefes die Sporen feft
in feine Flanken brüden fühlte, war es gezwungen vor⸗
wärts zu laufen und ungezügelt den Weg einzufchlagen,
der eben vor ihm lag. Als der Hengſt fich fo feine
Beute entwifchen fah, zerriß er in ber Wuth das ſchwache
Dand und lief der Stute eiligft na. Der arme Mönd),
ber fi fo den Feind im Rüden merkte, wandte fih um
und fah ihn mit eingelegter Lanze wie einen rechten
Zurnierfämpfer auf ihn zueilen. Da verfcheuchte er die
erfte Angft mit der zweiten und fing an in voller Flucht
zu rufen: Helft! Helft!
| Auf diefes Gefchrei und durch das Getöfe der ohne
Zügel bahineilenden Roffe fuhr, da es nun heller Tag:
geworden war, alles an bie Fenfter und Thüren und
jeder meinte in Erflaunen, er müffe vor Lachen berften
bei dem Anbli einer fo ungewohnten und feltfamen Jagd
zweier berittener Dlinoritenmönche, welche beide gleich todt
ausfahen. Die Stute lief ungeleitet bald da= bald dorthin
durch die Straßen, welcher Weg ihr am gelegenften kam;
hinter ihr aber unterließ der Hengft nicht, fie wüthend
zu verfolgen, und ob der Möndy nicht mehrmals nahe
42. Der unfehuldige Mörder. 285
daran War, von der Lanze getroffen zu werben, braucht
man nicht zu fragen. Ein großes Getümmel von Leuten
verfolgte die beiden beftändig unter Gefchrei, Zifchen und
Heulen und rief: Greift fie! -
Die einen warfen Steine nach ihnen, die andern
fchlugen ben Hengft mit Stöden, und jedermann fuchte
die beiden zu trennen, nicht. fowol aus Theilnahme für
die Sliehenden, als in dem Wunfche, zu erfahren, mer
bie beiden feien, die man bei dem fchnellen Rennen nicht
ertennen Eonnte. Nach längerem Umberjagen Ienkten fie
zufällig auf ein Stadtthor zu, bei welchem fie eingefangen,
der Todte und ber Lebendige zugleich feftgenommen und
zu großer Verwunderung aller Leute erkannt wurden.
Man führte fie beide auf ihren Pferden in das Klofter,
wo die Mönche fie mit unfäglichem Schmerz empfingen.
Sie liefen ben Todten begraben und für den Lebenden
die Folter bereiten. Als diefe aber fertig war, geſtand
ee, weil er nicht die Qual aushalten wollte, offen, er
habe ihn umgebracht, aus dem oben angeführten Grund;
aber er koͤnne ſich nicht vorftellen, wer den todten Ma⸗
gifter auf diefe Weiſe auf das Pferd gefegt babe. Wegen
dieſes Geftänbniffes wurde er zwar mit der Folter ver⸗
font, aber in ein ſtrenges Gefängniß gebracht. Es
wurde fogleich durch den Pfarrer zu dem Bifchof der
Stabt geſchickt, um ihm bie heiligen Weihen abnehmen
zu laffen und ihn dem weltlichen Richter überliefern zu
fönnen, der ihn nad) der Vorfchrift der Gefege ald Mörber
aburteln follte. Zufällig war in diefen Tagen der König
Ferrando nah Salamanca gefommen; dieſem wurde bie
Geſchichte auch erzählt, und obgleich er ein fehr gefegter
Fürft war und den Vorfall fowie den Tod eines fo be-
rühmten Gelehrten aufrichtig bedauerte, fo gewann doch
das Spaßhafte der Sache bei ihm die Oberhand und er
lachte mit feinen Baronen fo heftig darüber, daß er fich
nicht mehr aufrecht halten Eonnte. Als nun der Zeit
punkt herankam, wo man zu der ungerechten Verurtbeilung -
288 VIH. Maſuctio aus Salerno.
bes Mönche ſchreiten follte, regte fig in Herrn Roberico,
ber ein ſehr tugendhafter Ritter mar und bei dem König
hoch m Gunſt ftand, die Wahrheitsliebe; er dachte, fein
Schiveigen würbe allein eine fo große Ungerechtigkeit ver-
anlaffen, und entfchloß fic), lieber im Nothfalle zu fterben,
als bie Wahrheit über eine ſolche Angelegenheit verbergen.
Er trat daher vor den König ,. während viele Barone und
Leute aus dem Volk um ihn verfammelt waren, und ſprach:
Gnädiger Herr, das firenge und ungerechte Urtheil, das
über ben Minoriten ift gefällt worden, und die Kenntnif
der wahren Sachlage bewegen mich bie über einen fo
fehweren Unfall obſchwebende Frage zu entfcheiben. Wenn
daher euer Majeſtät dem verzeihen will, ber aus gerechtem
Anlaß den Meifter Diego ums Leben gebracht hat, fo
will ich bdenfelbigen alsbald hierher kommen laſſen und
mit unzweifelhafter Wahrheit den Hergang der ganzen
Sache bis ins einzelne erzählen.
Der König, ber ein gar gnädiger Herr und fehr
begierig war die Wahrheit zu hören, gewährte hulbvoll
die verlangte Berzeihung, und fobald der Ritter biefe
hatte, erzählte er vor dem König und allen übrigen Um⸗
fiependen vom, Anfang das Verliebtſein des Magifters
in feine Frau und alle Briefe und Borfchaften, bie er
ihr gefandt, und was er dann mit ihm angefangen bis
zulegt Punkt für Punkt. Der König hatte das Zeugnif
des Mönche ſchon vorher gehört, und ba biefe Berichte
in ber Hauptfache zufammenflimmten, er auch Herrn
Roderico für einen rechtfchaffenen Ritter ohne Falſch
hielt, maß: er ihm ohne weitere Prafung in allem un«
bedingt Glauben bei, und überdachte mit Verwunderung
und Betrüubnif, mandmal auch mit ſittſamem Lachen
dieſe vielbewegte feltfame Gefchichte. Um es jeboch nicht
dahinkommen zu laffen, baf die unbillige Verurtheilung
des unjchuldigen Mönchs vollzogen mürbe, Tieß er ben
Guardian und den armen Mönch felber vor fich kommen.
Der König verkündete ihnen dann in Gegenwart feiner
43. Veronica. BU
Barone, ber übrigen Adeligen und anderer Leute feines
Gefolges, wie die. Sache in Wahrheit fich begeben habe,
und befahl deshalb, daß der zu einer gefchärften Todes⸗
ſtrafe verurtheilte Mönch unverzüglich in Freiheit gefegt
werde. Sobald dies gefchehen war, kehrte derfelbe mit
wieberhergeftelltem guten Namen bödft erfreut nad
Daufe. Here Roderico erhielt die bedungene Berzeihung
wirklich und erntete in Bezug auf feine ganze Hand⸗
lungsweiſe in biefer Angelegenheit das größte Lob. Die
Kunde von dem wimberbaren Ereigniß aber ward in
wenigen Tagen dur die fihnelle Fama zum großen
Ergögen aller im ganzen Königreiche Caſtilien verbreitet.
Bald kam fie auch nach ımferm Italien und wurde bir,
geoßmächtigfter König und Herr, kürzlich erzählt; und
um beinen Befehlen zu gehorfamen, habe ich die &e-
ſchichte gerne niedergefchrieben, um fie fo, mie fie es ver-
dient, der WVergeffenheit auf immer zu entreißen.
43. Veronica.
Ich erinnere mich öfters von einem uralten Groß⸗
pater als solllommene Wahrheit erzählen gehört zu haben,
wie zur Zeit Karls des zweiten in: Salerno ein fonder-
barer Ritter Tebte aus alter edler Familie, Namens
Miffer Mazzeo. Er war Oberrichter und reicher an
Geld und Gut als irgend einer feiner Landsleute. Als
er ſchon betagt war, ftarb ihm feine Gattin und es blieb
ihm von ihr nur eine einzige Tochter Namens Veronica,
ein Fehr Schönes und verftändiges Mädchen, die aber,
emweber wegen der übergroßen Liebe, welche ber Mater
zu ihr als feinem einzigen braven Kinde hegte, oder mei
fie für irgend eine hohe Verbindung aufgehoben murbe,
258 VII. Mafuccio aus Salerno.
obſchon viele fie zur Frau verlangten, bach noch immer
unverheirathet zu Haufe war. Nun mar aber von ihrer
Kindheit an ein adeliger Knabe Namens Antonio Marcello
immer im Haufe aus⸗ und eingegangen unter dem Vor⸗
wande einer weitläufigen Verwandtſchaft, welche zwiſchen
ihm und ber Frau des Ritters beftand, und Beronica
hatte auf diefe Art eine folche Liebe für ihn gefaßt, daß
fie gar Feine Ruhe davor hatte. Antonio war, zwar ein
gefcheidter und fehr gefitteter Jüngling und ward von
dem Vater ded Mädchens als braver Sohn geliebt; aber
da er die Gefchichte. doch vortrefflih merkte und als ein
junger Menſch gegen bie Angriffe der Liebe fich nicht
mit feiner ſchwachen Einficht fchirmen Eonnte, entbrannte
er von gleicher Glut, und da die Gelegenheit ihrem ge»
meinfamen Wunfche günftig war, fo koſteten fie unge
ftört die füßeften Früchte der Liebe. Obgleich fie num
aber in der Fortfegung diefer Genüffe mit ber ‚größten
Klugheit zu Merk gingen, fo mar ihre Vorſicht doch
nicht ſtark genug, den großen Schiffbruch zu umgehen,
der ihnen von.dem neibifchen Geſchick bereitet war; denn
als fie eines Nachtd ganz vergnügt und arglos beifammen
waren, begab es fich, daß fie durch einen nicht vorher
in Rechnung gezogenen Zufall von einem Diener des
Haufes gefehen wurden, welcher plöglid den Ritter her-
beirief und ihm den ganzen Vorfall erzählte. Dieſer
ging voll Zorn mit feinen Dienern dahin, mo bie Lie
benben waren, welche gerade auf bem Gipfel ihrer Luft
ohne Widerfiand feftgenommen wurden. Antonio aber,
welcher ſehr Eräftig und muthig war, rang fich gleich
wieder aus ihren Armen los, bahnte fi mit dem Schwert
in der Hand den Weg und fehrte fo, ohne von jemand
erfannt oder verlegt zu werden, nach Haufe. Miſſer
Mazzeo blieb bis in den Tod betrübt zurüd, da er fah,
wohin die Sache gediehen war, und wollte num von der
Tochter wiſſen, wer der entflohene Züngling fe. Sie
aber war vorfichtig und kannte ihres Waters Wefen wohl‘
43. Veronica. 32809
und Dachte, er werde, um feine alten Tage nicht in
folhem Kummer hinzubringen, ihm das Leben auf Feine
Weiſe fchenten. Da ihr nun das Leben ihres Geliebten
theurer war als das ihrige, gab fie ihm nach einiger Über-
legung zur Antwort, fie wolle lieber jebe Qual, jeden Tod
felber erdulden, als den Jüngling entdedien. "Der Vater
entflammte fih zur Wuth und als er nach vielen ver-
fchiedenen Martern fie doch hartnädig auf ihrer Weige⸗
rung beharren ſah, faßte er, fo fehr die Gewalt ber
natürlichen Neigung wiberftrebte, doch mit großer Mann-
haftigkeit zulegt den Entſchluß, fie umzubringen. Er
befahl daher fogleich, ohne fie weiter fehen zu wollen,
zweien ‚feiner vertrauteften Diener, fie auf eine Barke
zu fchleppen, einige Meilen ins Meer hinaus zu führen
und dann ind Waffer zu werfen. Obgleich biefe es un⸗
gern thaten, banden fie fie doch, um zu gehorchen, fehnell
und führten fie an das Meeresufer. Während fie jedoch
die Barke zurecht machten, kam einem von ihnen das
Mitleid, er verfuchte auf eine gefchickte Art feinen Ge⸗
noffen, der mit nicht weniger Widerfireben, als er, an
einer fo graufamen Handlung Theil nahm, ein Wort
sab das andere und fo faßten fie am Ende den gemein-
famen Entfchluß, wenn fie auch felbft dafür den Tod
erleiden follten, nicht allein ihr das Leben zu fchenten,
fondern auch fie in Freiheit zu fegen. Ste banden fie
daher los und fagten ihr, wie fie aus Mitleid den rohen
Urtheilsſpruch des Vaters nicht an ihr vollziehen wollen ;
zum Lohn für diefe Wohlthat baten fie fie, derſelben nach
ihrem ganzen Werthe zu gedenken, wenn fie das Vater⸗
- Sand verlaffen habe und dereinft ihr Water ihre Hand⸗
lungsweiſe erführe. Das arme Mädchen, welches fo von
ihren eigenen Dienern ihr Leben als Gefchent annehmen
mußte, fühlte wohl, daß eine Dankfagung meit nicht
zum Lohn für eine ſolche That hinreiche und flehte daher
zum Dergelter alles Guten, daß er ihnen eine fo un-
fhägbare Gabe erfegen möge; und nachbem fie fi von
Italänifcher Novellenſchatz. I. 13
390 VII. Maſuccio aus Salerno.
ihrer großen Ungft und Schreden ein wenig erholt hatte,
verſprach und fchwer fie ihnen bei der Rettung, die fie
ihr zu Theil werben ließen, fich auf eine Art zu beneh-
men, baß Fein Lebender, gefchweige ihr unbarmberziger
Bater, je von ihr Kunde erhalte. Sie foren ihr daher
die Haare, verfleideten fie mit ihren eigenen Laken, fo
gut fie Zonnten, in männlihe Tracht, gaben ihr das
wenige Geld, das fie bei ſich hatten, wiefen ihr ben
Weg nah Neapel und trennten ſich von ihr unter
Thränen. Ihre Kleider brachten fie mit nad Haufe
und verficherten ihren Gebieter, fie haben fie umgebracht
und mit einem großen Stein um ben Hals etwa zehn
Meiten auf dem Meer in die Ziefe verſenkt. Das un⸗
glückliche Fräulein, das nie aus der Stadt gekommen
war, ward faft bei jedem Schritte muthlofer fchon bei
dem Gedanken, daß fie ihrem Antonio nun verlaffe ohne
Hoffnung ihn wieberzufehen, und viele eitle Gedanken an
die Rückkehr gingen ihr durch den Kopf; aber in Erin⸗
nerung an bie empfangene Wohlthat und zugleich ihr
gegebenes Berfpsechen, Hatte die Dankbarkeit, diefe Blüte
jeber Tugend, in ihr eine ſolche Kraft, daß fie jeden
zumwiderlaufenden Plan verjagte. Darum nahm fie den
Weg unter bie Füße, obwol fie nicht jehr gewohnt war
zu Fuß zu geben, befahl fi in Gottes Schug und ging
ohne felbft zu miffen wohin. So wanderte fie den ganzen
Reſt der Nacht über weiter mit großer Befchwerde. Gegen
Tagesanbruch befand fie ſich bei Nocera, wo fie zu einigen
Geſellſchaften ſtieß, welche nach Neapel gingen, und fie
gefellte fih vertraulich zu ihnen. Dabei war unter an-
dern ein calabrifeher Edelmann, welcher dem Herzog von
Kalabrien ein paar Sperber überbrachte. Diefem gefiel
des Jünglings Ausfehen und er fragte ihn, woher er fei
und ob er in Dienfte gehen wolle. Veronica, melde in
‚ihrer Kindheit duch Nachahmung einer alten in ihrem
Haufe wehnenden Apülierin viele Wörter dieſer Mundart
gelernt hatte, fiel es ein, ſich derfelben befländig zu be⸗
43. Beronica. 2391
‚dienen und antwortete: Miffer ‚ ih bin ein Apulier, und
- aus Feiner andern Abficht von daup fortgegangen, als
um Dienſte zu ſuchen. Da ich aber der Sohn eines
edeln Vaters bin, möchte ich mich nicht gern zu niedrigen
Dienften verfichen.
Der Galabrier fagte: Würde es euch anftehen, einen -
Sperber zu beforgen?
Dieſe Frage kam Meronica fehr gelegen, da fie im
Haufe ihres Vaters nicht nur einen fondern viele mit
großer Zärtlichkeit beforgt hatte. Sie antwortete ihm
daher, fie habe fih von Kindheit auf mit nichts anderem
befhäftigt. Nachdem fie jo noch manches bin« und her⸗
geſprochen, wurden fie einig, daß fie ihm unterwegs einen
Sperber übernehme. As fie in Neapel angelommen
waren, wurbe fie von ihrem Deren beffer angethan, fobaf
ſie wirklich ganz wie ein ſchmucker Schildknappe ausfah,
und, fei es Fügung bes. Schickſals oder daß ihr anmuthiges
Außere ihn rührte, es begab ih, ald man bem Herzog
die Sperber überreichte, daß diefer zugleich mit den Sper-
been ben Apulier haben wollte, welcher fo gut mit ihnen
umzugehen wußte. So gefchah es au; er wurde auf
die Lifte der Hausdienerfchaft gefegt und ihm ein neapo-
litaniſcher Edelmann beigefellt. Er gab fi) auch fo viel
Muühe fih gut aufzuführen und feinen Dienft recht zu
verfehen, daß er in kurzer Zeit bie Gnade feines Gebie-
ters in einem Mafe erwarb, daß er zu ben höchft ge=
ehrten und begünftigten gehörte ‚ und auf diefe Weife
ging es in zunehmendem Glüde weiter, bis es dem
Schickſal gefiel, feinen Angelegenheiten eine andere Bahn
vorzuzeichnen. Der alte Bater, der in unerträglichem
Schmerz zurüdgebfieben war, mußte fi, da die Sache
in den Mund bes Gerüchts den Weg gefunden hatte,
bie meifte Zeit zu Haufe verfchloffen halten und führte
fo dort, oder zumeilen auf einem Landgut ein einfames
und büfteres Leben. Antonio aber, nachdem er mit bit-
tern bintigen Thränen ben Tod feiner Veronica beweint
13 *
999 VII. Mafueeio aus Salerno.
und bejammert hatte, war durch vorfichtige Erkundung
zu der Überzeugung gelangt, daß der Ritter nie habe
erfahren können, wer der entflohene Jüngling war. Um
nun jeden Verdacht von fih zu entfernen und überbies
von Mitleid gerührt befuchte er ihn einige Tage nach
dem Vorfall, wie wenn er beftändig die zartlichfte Liebe
für fein Haus fühlte, begleitete ihn meiſtens auf das
Land und bezeugte fich gegen ihn: mie ein leiblicher ge-
horfamer Sohn mit größter Nachgiebigkeit und Theil⸗
nahme. Miffer Mazzeo wußte dies befonders hochzu⸗
fhägen, da es ihm ſchien, Antonio fei der einzige, der
ihn in der mislichen Lage nie verlaffen habe. Aus die
fen Grunde und wegen ber eigenthümlichen Vorzüge des
Jünglings fühlte er fi) genöthigt, ihn -wie feinen eigenen
Sohn zu Tieben und wandte ihm fo fehr alle Neigung
feines Herzens zu, daß er Feine Stunde ohne feinen
Antonio bleiben konnte. Da er nun fah, daß dieſer in
ſolchem Gehorfam und Dienftwilligkeit mit Chrerbietung '
\
und Liebe fortfuhr, entfland in dem Herzen des Ritters,
dieweil ihn fein unfeliges 2008 ohne Erben gelaflen, der
Wunſch, ihn im Leben und im Zod zum Sohn anzu-
nehmen. Diefer Gedanke reifte zum Entſchluß, und als
er feine legte Willensmeinung auffegte, beftellte er feinen
Antonio zum Erben aller feiner fahrenden und liegenden
Habe und gefegnete auch bald darauf bag Zeitlihe. An⸗
tonio ſah fih nun im Befig einer fo großen Erbſchaft,
zug in das Haus bed Ritters ein und es war Feine
Stelle,. die ihn an feine Geliebte erinnerte auf ber er
nicht geweint und gefeufzt hätte. Es Fam ihm nicht aus
dem Sinn, daß fie lieber habe den Tod erbulden, als
ihn entdecken wollen, und von dieſer Liebesthat durch⸗
drungen und noch viele andere fchöne Eigenfchäften feiner
Beronica erwägend, faßte er bei fich den Plan und Ent-
ſchluß, fi nie zur Eingehung einer Ehe verfichen zu
wollen. Unterbeffen geſchah es, Daß ber. Herzog beichloß,
eine Meife nach Calabrien zu machen. Died war dem
43. Veronica. 293
Apulier über die Maßen lieb, angefehen daß er nicht
allein fein Vaterland wiederſehen fondern auch wieder
gelegenheitlich irgend etwas von ben Geliebten und dem
Bater vernehmen durfte, den Deronica doch durchaus
nicht zu haſſen vermochte; denn um. fich nicht irgendivie
zu verrathen hatte fie vermieden, nad) ihnen zu fragen,
und daher nie etwas von ihnen erfahren. WIE fie in
Salerno ankamen, wurde das Gefolge des Herzogs nach
Stand und Würden in verfchiedenen Häufern unterge-
bracht, und das Schickſal, welches Veronica von ben
langen Bedrängniffen und Leiden, bie fie erduldet, be-
freien und mit ihrem Antonio in Freude verfegen wollte,
fügte ed, daB durch eine ganz zufällige unabfichtliche
Anordnung dem Antonio Marcello das Loos zufiel, ben
Apulier ſammt feinem Genoffen in fein Haus aufnehmen
zu müffen. Welche Wonne dies Veronica bereitete, kann
jeber felbft beurtheilen. Sie wurden von Antonio fehr
ebrenvoll und freundlich aufgenommen und am Abend
bereitete er ihnen eine koſtbare Mahlzeit. In demſelben
Gang, wo er fi) meiftens mit feiner Geliebten zu ver-
gnügen pflegte, faßten fie nun einander ins Auge, es
ftellte fich ihm eine Weile das Bild feiner Geliebten,
und indem er ihres Lebens und Todes gedachte, begleitete
er alle feine Worte mit heißen Seufzern. Weronica, bie
fih fo in ihr eigenes Haus geführt fah, war zwar fehr
erfreut, ihren treuen Liebhaber fo im Beſitz von allem
zu fehen; aber da fie weder den Vater nody jemand von
der zur Zeit ihres Scheidens hier anmwefenden Dienerfchaft
erblickte, erfaßte fie eine natürliche Wehmuth, fie wünfchte
Aufſchluß zu haben, und doch frheute fie ſich zu fragen,
Während fie fo unentfchloffen bei Tiſch ſaß, fragte ihre -
Genoſſe Antonio, ob das im Gang abgemalte Wappen
das feinige fei. Antonio antwortete, nein, vielmehr ge-
höre ed einem fehe würbigen Ritter zu Namens Miffer
Mazzeo dem Oberrichter, welcher, dieweil er in feinem
Alter Leine Kinder gehabt, ihn zum Erben aller feiner
MA VII. Maſuccio aus Salerno.
Güter eingelegt habe, weshalb ex denn als ein angenom-
mener Sohn nicht nur die Befigungen, fondern auch
den Namen des Haufes und das Wappen wie von fei-
nem leiblihen Vater fich zu eigen gemacht. Als Dero-
nica biefe Kunde vernahm, fühlte fie fich plöglich fo er-
heitert, da fie nur mit Mühe die Threänen zurüdhielt.
Doch that fie fih Gewalt an, um die Mahlzeit wicht
zu flören. Als diefe aber vorbei war, Zonnte fie nicht
länger warten, ihr unbeflzittenes Beſitzthum, welches ihr
das günftige Geſchick bis hierher aufbewahrt hatte, in
ihre offenen Arme aufzunehmen. Sie faßte daher An-
tonio bei der Hand, verließ ihren Begleiter und die an-
dere Gefellihaft und fie traten im ein ander Gemach.
Dort wollte fie einige Worte fprechen, bie fie vorher
ausgedacht hatte, um zu fehen, ob er fie wieder erdenne,
aber die Freude ihred Herzens und bie Thränen ließen
ihr nicht zu, den Mund aufzuthun, vielmehr ſank fie
kraftlos ihm in die Arme und konnte nur bervorbringen:
D mein Antonio, ifte möglich, daß bu mich nicht kennſt?
Er, der, wie ſchen gejagt, bereits feine Veronica zu
erfennen gemeint hatte, war nun, ba er die Worte hörte,
plöglih ‚von der Richtigkeit feiner Vermuthung überzeugt
und fagte, von größter Rührung überwältigt: Ach, fo
lebft du denn nach, mein Herz?
Nach diefen Worten fant auch er über fie bin. So
hielten fie fich lange flumm umarmt, und da fie wieber
zu fich kamen und ſich ihre feitherigen Schickſale erzählten,
erkannte . Antonio, dag das fire fie beide fo erfreuliche
Ereignig nicht verheimlicht werden dürfe. Sie verließen
daher das Zimmer, und obwol es fpät war, ſchickte An-
tonto fchleunig aus und beſchied die ganze Verwandtſchaft
Veronica's und feine eigene, fie möchten ſich wegen einer
Sache von hoͤchſter Wichtigkeit in fein Haus verfügen.
&ie kamen fogleich heran und fobald fie verfammelt waren,
bat er fie, fie möchten ihn zum Palaſt des Fürſten be-
gleiten, denn er beabfichtige mit ihrer Erlaubniß von
43. Veronica. 395
der Gnade des Herzogs bie Wiebereinfegung eines früher
dem Miffer Mazzeo angehörigen adeligen Lehens zu er-
bitten, das ſchon feit Jahren in fremden Befig befinblich
dem reiten Eigenthümer, weil er unbekannt gemwefen,
Seinen Nugen getragen habe. Alle gingen gern mit ihm
bin, und ſobald fie vor dem Fürften flanden, nahm er
feine Deronica bei der Hand und vor allen ammelenden
erzählten nun bie beiden ihre frühern und nenern Be⸗
gegniſſe Punkt für Punkt ohne etwas auszulaffen, und
erflärten ſodann, wie fie ſchon zu Anfang ihrer Liebe
fih buch ihr feierliches Wort und beiberfeitige Zuftim-
mung geheirathet und beabfichtigen mit Genehmhaltung
feiner fürſtlichen Gnaden vor fo würdigen Zeugen biefen
Ehebund öffentlich anzuerkennen. So fehr ſich der Herzog
mit feinen Baronen und der ganzen Verwanbtfchaft und
allen andern einheimifchen und fremden darüber verwun-
derte, als fie biefe feltfamen Begebenheiten vernahmen,
fo war ed doch jedem fehr erfreulich zu fehen, welches
gute und ehrenvolle Ende die Sache nahm und das Ver⸗
fahren Antonio's fowie das würdige Benehmen Veronica's
wurde von allen gelobt. Der Herzog entließ fie mit großer
Freude nach Haufe und veranflaltete am andern Morgen
eine feierliche prunkvolle Meſſe, welcher er ſelbſt mit vielen
Abeligen und andern Leuten beiwohnte. Bei bderfelben
wurbe zur allgemeinen Freude unferer Salernitaner Ve⸗
ronica bem Antonio nah Stand und Würden angetraut.
Sie theilten fehr große Geſchenke aus und lebten in Glück
und Reichthum, von inniger Liebe und fehönen Kindern
erfreut, lange Zeit umgeftört bis an ihr Ende.
KH VIU. Maſuccio aus Salerno.
44. Der Barkenführer.
(Nah Sanſovino's hundert ausgewählten Novellen. Benebig, 1571.
Tag 4, Nov. 4.)
Vor einigen Jahren lebte in Venedig ein junger
Edelmann Namens Herr Aleſſandro, welcher luſtwandelnd
zufällig eine fehr ſchöne junge Frau erblickte, welche die
Gattin eined Seemanns war mit Namen Rabo von Eat«
taro, und da fie ihm fehr wohl. gefiel, ſchickte er ein
altes Mütterchen nah ihr, um mit ihr zu fprechen.
Die junge Frau aber, welcher Aleſſandro gleichfalls
wohl gefallen hatte, hielt die Abgefandte nicht mit langen
Unterhandlungen auf, fondern fagte zu ihr, fie fei ihrer⸗
feits bereit, die Wünfche des jungen Mannes zu erfüllen,
nur ſehe fie fein ficheres Mittel, denn „Ihr Mann laffe
fie bei Nacht nie allein und bei Tag möge fie ihn nicht
im Haufe empfangen aus Rüdfiche auf die Nachbarfchaft,
weil in derfelben Straße fo viel Leute wohnen, daß man
nicht aus⸗ noch eingehen konne, ohne bemerkt zu werden.
Als Aleffandro die Geneigtheit ber Frau vernahm, befann
er fih, was zu thun fein möchte, da fie bamit zufrieden
fe. Endlich ließ er das junge Weib von feinem Plane
unterrichten, und als es ihm Zeit fchten, ließ er Rado
zu fih in fein Haus berufen. Nachdem er ihm fehr
gefchmeichelt hatte, denn er war fein Freund, bat er ihn,
er möchte ihm ben Gefallen erweiſen, ihm am nächften
Abend mit feiner Gondel zu dienen, da er eine Zufam-
mentunft verabredet habe mit einer Edelfrau, in melde
er heftig verliebt fei. Rado, welcher fehr wünfchte, ihm
zu dienen, antwortete, er fei bereit ihn zu führen, wohin
er befehle, und fobald es Nacht wurde, Fam er, um ihn
in feinee Barke abzuholen, nachdem er feiner Frau ge⸗
fagt hatte, fie möge ihn erſt fpät erwarten. Aleſſandro
flieg alſo in die Barke und ließ, fi) von Rado an einen
a)
44. Der Barkenführer: 297
Landungsplatz bringen, wo die Alte ihn erwartete, und
zwar gegenüber von Rado's Haus, das aber einen an«
dern Landbungsplag hatte, ſodaß man zu Waſſer nicht
dahin gelangen Tonmte, als auf einem ſtarken Ummeg,
während es zu Rande nur ein paar Schritte waren.
Sobald nun Wleffandro dort angelommen war, gab er
Rado die Weifung, ihn zu erwarten. Er trat in das
Haus dee Alten und felüpfte fofort durch ein Gäßchen
zu deni jungen Weibe hinüber, von welcher er mit größter
Freude empfangen wurde. Auch führten fie ihre Liebe
zu einem anmuthigen Ziele, daß ihnen nichts zu wün⸗
fchen übrig blieb, und fegten unter fich das Noͤthige für
die Zukunft⸗ feſt, worauf Aleſſandro auf dem namlichen
Wege in bie Barke zurückkehrte, in welcher Rado, ohne
Schlimmes zu ahnen, indem er ihn erwartete, einge:
ihlafen war. Er erwachte nun, nahm Aleſſandro in
die Barke und waͤhrend fie nach feinem Haufe hinſteuer⸗
ten, fragte er ihn unterwegs, ob er nun feine Sehnfucht
ganz geftillt Habe. Aleſſandro bejahte e8 und fügte hinzu:
IH kann bie noch überdies verſi ichern, daß ich mich nicht
erinnere, je in meinem Leben eine ſolche Luſt genoſſen zu
haben, denn außer ihrer Schönheit hat ſie mich auch noch
fo mit Lieblofungen überhäuft, daß ich nicht -begreife,
wie ich von ihr loskommen konnte.
Darauf antwortete Rabo: Herr, als ich daran dachte,
was für ein Vergnügen ihr jegt mit eurer. Geliebten
haben müffet, kam mich fo gewaltige Fleiſchesluſt an,
daß ich mehrmals verfuht war, nach Haufe zu gehen
und meinem Weibe eins zuzufegen; aber ich fürchtete,
ihr möchtet zurückkommen und mich nicht finden ‚ und
deshalb bin ich geblieben.
Als Aleſſandro dies hörte, überlegte er, in welche
Gefahr er gerathen wäre, wenn jener unvermuthet ſich
nach Haufe begeben hätte, und alsbald fiel ihm ein an«
deres fiheres Mittel ein, um die Gefahr zu vermeiden,
in die er früher oder fpäter zu großem vegan. hätte
J
DE . VIII. Maſuccio aus Salerno
geratben koͤnnen. Er fagte daher lachend zu Rado: Ich
mußte gar nicht, daß du verheitathet bift; ſonſt hatte ich
dich nach Haufe geſchickt; du hätteft ja zu beſtimmter
Stunde wieder zurüd fein konnen.
. Rado antwortete: So, dad Habt ihr nicht gewußt,
daß ich «vor einigen Tagen ein ſchönes Mädchen aus
einer guten Familie gebeirathet habe?
Kein, verfegte Wleffandre; das wußte ich nicht; aber
die Frauen, fo ſchön fie find, Hat man zu Haufe, weil man
- fie nötbhig hat; darum darf man jeboch nicht unterlaffen,
auch draußen fremb Brod zus ſuchen. Und ba bu Dich
fo gebulbig heute benonmen haft, hoffe ich morgen Abend
meine Liebfte nebſt einer nicht weniger fhönen Gefährtin
in der Barke umber zu führen, und diefe wird ſicherlich
gegen dich gefällig fein.
Rado antwortete ganz heiter, das nehme er gern an,
bedankte fich auch. fehr, und unter diefen —— hatte
er Aleffandre an fein Haus gebracht und kehrte nun zu⸗
rück zu feinem Weibe. Gebald es aber Tag war, that
Aleffandro der jungen Frau zu wiſſen, was er für ben
folgenden Abend im Sinn habe und beftellte verabrebeter
maßen den Rabe, welcher die Barke mit einer Verdeckung
von Raſch ansgeftattet hatte. Gr fand ſich bei Aleſſandro
‚ein und führte ihn an den gewohnten Ort, wo er ben
Beſcheid erhielt zu warten, denn ex werde gleich mit den
Mäbhen in der Barke zurüd fein. Sobald er zu feiner
. Geliebten gelommen war, erzählte er ihr von der beſtan⸗
denen Gefahr und daß er berfaaben vorbeugen wolle durch
die Veranflaltung, bie er ihr durch bie Alte babe mit-
theilen laſſen. Er Lie fie daher fogleich ein ſeidenes Kleid
anziehen, das er ihr fehon vorher bei Tage geſchickt hatte,
und verhüllte fie fo, dag Rabe fie nicht erfennen konnte,
wenn fie in die Barke kamen. Als Rabe den Aleſſandro
mit einer einzigen Frau kommen fah, fagte er zu ihm:
Herr, mo ift bean die nreinige, bie ihe wir geſtern Abend
verſprochen habt?
,
44. Der Barkenführer. 79
Aleffandro antwortete: Sie konnte nicht kommen wegen
eines eingetretenen Hinderniſſes. Aber du follit dich den-
noch nicht über mich beklagen fünnen, unb ich glaube
diefe hier wird für uns beibe genügen; warm kb mit ihr
fertig bin, überlaffe ich fie dir, und obſchon ih deine
Battin nicht Tenne, fo glaube ich doch, daß diefe ein nicht
weniger ſchoͤnes und fauberes junges Weib ift, als fie.
Das glaube ich gern, antwortete Rabo,. aber das
Bönnte ich niche übers Herz bringen, euch ‘fo in euer
Gehege zu kommen.
Aleffandro aber verfegte: Sei nicht fo feltfam! Wenn
ich es nicht gem thäte, fo Hütte ich es nicht zu dir ge-
fagt und bu würbeft es auch nicht. thun durfen. So
aber ſoll es dich nichts koſten, als an einem Feſttage
ein Fiſchfrühſtück, wozu ich ein paar gute Humpen mit⸗
bringen will.
Rado ſchlug das Anerbieten nochmals ans, Aleſſandro
aber beharrte durchaus bei ſeinem Willen und ſo gab
denn Nado doch endlich auch nach. Er ließ daher die
Barke ſtehen, nahm die Zither in die Hand und fing
an zu ſpielen; Aleſſandro ging während deffen muster
Rabo’s Zelt und gab fich feiner Luft‘ Hin beim Tone .
ber Zither, welche Rabo fpiele. Und nachdem er mit
feinem Gefchäft zu Ende war, fagte Aleffandeo zu Rabe:
Nun mach und nimm auch dein Theil! Aber hüte dich,
dag du mir nicht verfuchft, fie erkennen zu wollen, denn
fie ift aus einer ehrenwerthen Familie und ich habe ihr
weis gemacht, du feieft ein Hiefiger Edelmann.
Darauf antwortete Rabo: Darum kümmere ich mich
nicht, denn ih will ja doch auf feine Weife eine Ver⸗
wandtfchaft mit ihr anknüpfen.
Nach dieſen Worten ging er zu der Frau hinein,
und nach kurzer Zeit kehrte er zu Aleſſandro zurück und
ſagte zu ihm: Herr, das iſt in der That ein ganz artiges
Mädchen. Es war mir gerade, als läge ich bei meinem
. Weibe, fo viel Ähnlichkeit hat fie mit ihre im Fleiſche
300 VI. Mafuecio aus Salerno.
und im Athem. Deswegen will ich euch denn auch
gern mit Fiſchen aufwarten für die Artigkeit, die ihr
mir bewieſen.
Aleſſandro lachte und trieb in großem Jubel aller⸗
hand Scherz mit ihm, bis ſie endlich die Frau wieder
an die Stelle zurückbrachten wo ſie ſie aufgenommen
hatten. Jeder ging ſodann nach Hauſe und Rado fand
feine Frau, welche that als wäre fie ſehr ärgerlich und
anfing ihn awezufchelten und ihm Vorwürfe zu machen,
daß er fie auf ſolche Art allein laſſe. Er entfchuldigte
ſich aber und legte alles dem Aleſſandro zur Laſt. Am
nächften Sonnabend nun veranftaltete Rado feinem Ver⸗
fpeechen gemäß dem Wleffandro und feinen Sreunden Das
Frühſtück. Aleſſandro hatte diefen die ganze Gefchichte
vorher erzählt. Sie Inchten daher viel Darüber und wurden
allmälig dem Rado zur Laſt, indem diefer und jener
feinen Witz darüber riß, wiewol zu Aleſſandro's großem
Verdruß, bis Rado endlich ben Schwanf merkte, wes⸗
halb er voll Unwillen nach Haufe eilte, um feiner Fran
übel mitzuſpielen. Aleſſandro aber hatte es noch zu
rechter Zeit gemerkt und die Frau auf die Seite ſchaffen
laſſen. Als daher Rado fie nicht traf, Tief er voll
Schaam und Schmerz; ganz verzweifelt davon und Alef«
Dane genof von nun an in aller Sicherheit feine fchöne
au.
IX. Rovelle eines Ungenannten.
| 1480. |
,
45. Der dide Tiſchler.
In der Stade Florenz im Jahre vierzehnhundert und
neun verfammtelte fich eines Sonntag Abends eine Ge-
fellichaft junger Leute zum Nachteffien im Haufe eines
florentinifchen Ebdelmannes Namens Tommaſo be Pecori,
eines ehrenwerthen zechtfchaffenen heiteren Mannes, der
ein großer Freund der Gefelligkeit war. Als man nad)
Tiſche um das Feuer herumfichend über dies und jenes
plauderte, wie es bei dergleichen Veranlaſſungen unter
Bekannten zu gefchehen pflegt, fagte einer von ihnen:
Was foll nur das heißen, daß diefen Abend Manetto
Ammanmdtini nicht herkommen wollte und daß wir ihn
durchaus nicht heranzubringen vermochten.
Der befagte Manetto war und ift noch ein Verfer⸗
tiger von ausgelegten Holzarbeiten und hatte feine Bube
am Plage San Giovanni. Er galt für einen ber beften
Meifter in der befagten Holzarbeit ſowol als in Verfer⸗
tigung von Werkzeugen für die Arbeitstifche der Frauen.
Dabei war er ein ganz angenehmer Menſch, eher arglos
als fchlau, etwa achtundzwanzig Jahre alt, und weil er
derb und groß gebaut war, nannte man ihn den Diden.
Er war fonft immer gewohnt, fi) in der obengenannten
Geſellſchaft einzufinden, welche aus lauter fröhlichen und
lebensiuftigen Leuten beftand; diefen Abend aber, feien es
anderweitige Gefchäfte, oder Grillen, wie er fie manchmal
hatte, oder was fonft immer, obgleich man es ihm oft
gefagt hatte, wollte er ſich nicht bereden laſſen hinzugeben.
302 IX. Rovelle eines Ungenannten.
Als daher jene überlegten und ſich befannen, was Schuld
daran fein möge, aber keinen Grund auffinden Eonnten, .
famen fie einflimmig zu dem Schluffe, es koͤnne nichts
anderes als Grillenfängerei von ibm gemefen fein. Sie
ielten fih dadurch ein wenig für ‚beleidigt und ber
precher von vorhin fagte deshalb: Aber warum fpielen
wie ihm nicht einmal einen Streih, damit er fich nicht
daran gewöhnt, um feiner Grillen willen uns ganz zu
vernachläffigen ?
Darauf erwiberte ein auderer: Was fünnen wir ihm
aber anhaben, als daß wir ihn eines Abends die Zeche
bezahlen laſſen ober fonft eine Lumperei?
Es war unter diefer Tifchgefellfchaft einer Namens
Filippo di Ger Brunellesco, deſſen Verdienſt wie ich
glaube damals und jegt befannt if. Diefer ging ver-
traut mit dem Dicken um und Tannte fein Wefſen genau.
Er war ein feiner Kopf und nachdem er eine Weile bei
ſich nahgefonnen und feine Phantafie hatte fpielen laffen,
begann er alſo: Hört, liebe Freunde, wenn wir Luft
haben, da fälle mir etwas ein, eine fo huͤbſche Paſſe,
die wir dem Dicken ſpielen können, daß wir davon den
größten Spaß Hätten. Mein Plan beſteht nämlich darin,
daß wir ihm weis machen, er ſei aus ſich ſelber heraus⸗
getreten und in einen andern verwandelt, er ſei nicht
mechr ber Dicke, ſondern ſei ein anderer geworben,
Hierauf wandten zwar bie andern ein, dies fei un-
möglich auszuführen; Filippo aber führte ihnen feine
Geunde und Beweife an und wußte durch feinen fcharfen
Verſtand ihnen diefelben fo überzeugend zu machen, daß
fie zuletzt nicht mehr an ber Ausfährbarkeit des Planes
zweifelten. Sie verftändigten fich daher über bie Art
und Weiſe, wie jeber ihn auf den Glauben zu bringen
ſuchen folle, er ſei ein gewiſſer Matteo, der auch zu ihrer
Geſelſchaft gehörte, und bie Sache nahm am ndchflen
Abend ihren Anfang in folgender Geſtalt. Filippo bi
Ser Bruncheseo, bekannter mit dem Biden, als die
— — —
45. Der dicke Tiſchler. 803
übrigen, trat zu der Stunbe, da die Handwerker ihre
Läden zu fchließen pflegen, in die Bude bes Dicken ein
und plauderte eine Weile mit ihm, bis verabrebeter
maßen ein Eleiner Knabe eilig gelaufen kam und fragte:
Kommt hierher nicht zuweilen Filippo di Ser Brunellesen?
und ift er vielleicht jegt da?
Filippo trat auf ihn zu, ſagte, ja, er ſei der Mann,
und fragte den Knaben, was er begehre. Darauf ant⸗
wortete ber Knabe: Ihr ſollt fo ſchnell ihr könnt nad
Hauſe kommen, denn vor zwei Stunden hat eure Mutter
ein großes Unglück gehabt und fie iſt Halb todt. Des⸗
wegen kommt nur bald!
Filippo ftellte fi an, als wäre er heftig beteubt
über diefen Unfall, und rief: Gott ſteh mir bei!
Damit nahm er Abfchied von dem Dicken.
Dicke fagte theilnehmend: Ich will mit bir geben, im
Tal du etwas nöthig haſt. Das find Fälle, in denen
man feine Freunde nicht ſchonen muß.
Filippo bedankte fi und ſprach: Ich nehme dich
jegt nicht mit, aber wenn ich etwas bedarf, fo will ich
es dir fagen laffen.
Filippo ging und flug anfcheinend den Weg nad)
feiner Wohnung ein, bag aber um und begab ſich nach
dem Haufe des Diden, welches der Kirche der. Santa
Reparata gegenüber lag. Er öffnete die Thüre mit einem
Meſſerchen, ein Verfahren, das er gut verfiand, trat ins
Haus, und ſchloß ſich innen mit dem Riegel fo feſt ein,
daß niemand hineingelangen konnte. Der Dide hatte
eine Mutter, melde diefer Tage nach Polverofa gegangen
war, wo fie ein Gütchen beſaß, um dort eine Wäaͤſche zu
veranftalten ; ;. fie konnte jeden Tag zurückkommen. Der
Dicke ging, nachdem er feine Bude gefchloffen bes,
feiner Gewohnheit nach einige mal auf bem Plage &
Giovanni auf und ab, ben Kopf mit Gedanken an Filippo
erfüllt und von lauter Mitleid mit befien Mutter. Um
ein Uhr nach Sonnenuntergang fagte er bei fich felbft:
304 IX. Novelle eines Ungenannten.
Nun bebarf Filippo heute meiner doch nicht mehr, da er
noch immer nicht nach mir geſchickt hat.
Er beſchloß alſo, nach Hauſe zu gehen; und als er
vor feiner Thüre, zu der man zwei Stufen in die Höhe
trat, angelangt war, und wie fonft auffchließen wollte,
gelang es ihm nach mehrmaligen Verſuchen nicht. Da
merkte er, daß von innen der Riegel vor fe. Er Elopfte
‚an und rief: Wer ift denn oben? Mach mir auf!
Er war der Meinung, feine Mutter fei vom Dorfe
zurückgekommen und habe die Thüre aus irgend welcher
Vorſicht oder in Gedanken von innen geſchloſſen. Filippo,
welcher drinnen war, trat an die Spitze der Treppe und
ſagte: Wer iſt unten?
Dabei ahmte er die Stimme des Dicken nach. Diefer
aber entgegnete: Mad) -mir 'aufl
Filippo that, als halte er den Pochenden für jenen
Matteo, in welchen ſie den Dicken glauben machen wollten,
daß er verwandelt ſei; ſich ſelbſt aber ſtellte er als den
Dicken dar und ſagte: Ei, Matteo, geh mit Bott! Ich
bin Beute gar nicht aufgelegt, denn eben war Filippo
di Ser Brunellesco in meiner Bude und ba wurde
ihm gemeldet, feine Mutter fei feit zwei Stunden am
Tode. Das hat mich für den ganzen Abend betrübt
gemacht.
Und nad innen gewendet fügte er hinzu: Mona
Giovanna (demn fo bie die Mutter des Dicken), macht,
daß ich zu eſſen bekomme! Es iſt doch gar zu arg;
vor zwei Tagen ſolltet ihr ſchon wieder da ſein und
kommt nun erſt heute Nacht.
So fagte er noch einige verdrüßliche Worte und ahmte
dabei immer bie Stimme des Dicken nad. Als der
Dide fo rufen hörte und babei doch feine eigene Stimme
zu vernehmen glaubte, fagte er: Was heißt denn das?
Kommt e8 mir doch vor, der da droben ſei ich, der da
ſagt, Filippo ſei in ſeiner Bude geweſen, als man ihm
ankündigte, feine Mutter befinde ſich nicht wohl Und
45. Der dide Zifchler. 385
überdies fehmagt er mit Mona Giovanna. Wahrhaftig
ih bin ganz von Befinnung.
Er trat die beiden Stufen wieder hinab und ftellte
ſich zurüd, um zu den Fenftern binaufzurufen. Da
kam verabrebeter maßen einer Namens Donatello*) Hinzu,
ein DMarmorbildbauer und genauer Freund des Diden;
und wie er fo in der Dammterung vorüberging, fagte er:
Suten Abend, Matteo! Suchft du den Diden? Er ift
gerade eben ind Haus hineingegangen.
Nach diefen Worten ging er feiner Wege. War nun
der Die vorher voll Verwunderung, fo ftand er nım,
wie er börte, daß Donatello ihn Matteo nannte, ganz
verblüfft, und ging wieder auf den San Giovanniplag,
indem er zu fich fagte: Ich will fo lange hier bleiben,
bie jemand vorbeigeht, der mich Eennt, und mir fagen
kann, wer ich eigentlich bin. Bin ich denn Galandrino,
daß ich fo gefchwind ein anderer geworden bin, ohne es
zu merken?
Und während er fo Halb von Sinnen baftand, kamen
nach Abrede vier Diener des Handelögerichts nebft einem
Notar und mit ihnen ein Gläubiger jenes Matteo, für
welchen der Dide ſchon auf dem beften Wege war fi
zu halten. Der Gläubiger trat dicht zum Diden heran,
wandte fih zu dem Notar und den Bewaffneten und
fagte: Führt mir bier den Matteo hinweg! Diefer ift
mein Schuldner. Siehſt du wohl, ich habe deine Spur
fo lange verfolgt, bis ich dich endlich erwifcht habe.
Die Gerichtsdiener und der Notar nahmen ihn feft
und ſchickten fih an ihn binwegzuführen. Der Dide
aber wandte fih an den, der ihn greifen ließ, und fpradh:
Was Habe ich mit die zu ſchaffen, ber bu mic feft-
nehmen läffeft. Sage, fie follen mie die Freiheit geben!
) Donato di Betto Bardi aus Florenz, genannt Donatello, lebte
‚1381 — 1466, war alfo 1409, wo unſere Geſchichte fpielt,
achtunddreißig Jahre alt. Man fieht in Italien noch eine große
Zahl feiner Kunſtwerke.
306 IX. Rovelle eined Ungenannten.
Du nimmft mich für einen andern, bemi ich bin nicht
der, für den bu mich haͤltſt, und du begehſt ſchweres
Unrecht, daß du mir dieſe Schmach anthuft, während
ich gar nichts mit bir zu ſchaffen babe. Ich bin ber
dicke Tiſchler und nicht Matteo unb weiß nicht, für was
für einen Matteo du mich ausgibft.
Hiermit wollte er anfangen, fich zu widerfegen, ba
er groß und fehr Fräftig war. Sie fielen ihm aber rafſch
in die Arme und hielten ihn; bee Gläubiger trat vor
ihn bin, faßte ihn fcharf ind Auge und fagte: Wie?
Du haft nichts mit mir zu fehaffent So? Ich follte
den Matteo meinen Schuldner nicht Fennen und nicht
wiffen, wie der dicke Tiſchler ausſieht? Du ſtehſt in
meinem Schuldbuche und ich Habe das Urtheil gegen
dich Thon ein Jahr lang erwirkt trog deiner Schliche.
Du haft ganz Recht, wie ein Schuft zu fagen,. du feieft
nicht Matteo; du wirft aber fchon lernen müffen mich zu
bezahlen, flatt dich zu einem andern zu machen. Führt ihn
nur hinweg, und wir wollen fehen, ob du berfelbe bift.
Unter folch’ heftigem Gezaͤnk führten fie ihn auf das
Handelsgeriht, und weil es faft fchon die Zeit des Abend-
effene war, trafen fie weber unterwegs noch an Ort und
Stelle jemand an, ber fie kannte. Dort angelangt fchrieb
der Notar fcheinbar einen Verhaftbefehl auf Matteo's
Namen ein, man brachte ihn ins Gefängnif, und wie er
bineintrat, drängten fi) die andern Gefangenen, welche
den Lärm bei feiner Ankunft vernommen hatten und ihn
öfters Matteo nennen hörten, ohne ihn zu kennen, heran
und fagten alle: Guten Abend, Matteo, was foll denn
das bedeuten ?
As der Die fih von allen diefen Leuten Matteo
nennen hörte, fchien es ihm faft ausgemacht, daß er «6
fet und fagte, nachdem er ihren Begrüßungen geantwortet
hatte, ganz verwirrt: Ih fol ba einem, ber mich hat
feftnehmen laſſen, eine Summe @elbes geben, aber ich
will mich morgen bei guter Zeit loſmachen.
45. Dei dicke Zifchler. 307
. Die Gefangenen fagten: Du fiehft, wir find eben
beim Abendeſſen. Halt es mit uns und dann morgen
früh magſt du dich freimachen. Aber wir können bir
aus Erfahrung fagen, daß man hier immer länger bleibt,
als man glaubt.
Der Die fpeifte mit ihnen und nach der Mahlzeit
räumte ihm einer den ſchmalen Rand feines Lagers ein,
indem ‘er fagte: Matteo, richte dich heute Nacht bier ein,
fo gut du kannſt! Morgen früh, wenn du loskommſt,
fo ift es gut; wonicht, fo ſchickſt du nach deinem Haufe
um eine Dede. |
Der Die dankte ihm, fie legten fich nieder, um zu
fchlafen, er aber begann im Stillen folgende Überlegungen:
Was will ich machen, wenn ich einmal aus dem Dicken
der Matteo geworben bin? Und das kommt mir nun
ziemlich gewiß vor nach al’ den Zeichen, bie ich gefehen
habe. Schicke ih nach Haufe zu meiner Mutter und
der Die ift dort, fo machen fie ſich Iuftig über mich
und man wird fagen, ich fei verrücdt geworden. Auf
ber anbern Seite fcheint es mir doch immer noch, ich
fei der Dicke.
Und unter folhem Selbſtgeſpräch, bald feiner Sache
gewiß, daß er Matteo, bald daß er der Dide fei, Fam
ber Morgen heran, faft ohne daß er gefchlafen hatte.
Als es Tag wurde, erhob ersſich, trat an das Fenſter⸗
hen an ber Thuͤre des Gefängniffes und dachte, er müfle
gewiß eines Menſchen habhaft werden, der ihn kenne.
Während er fo wartete, trat in das Hanbelögericht ein
junger Mann Namens Giovanni di Meffer Francesco
Rutellai, welcher auch zu jener Gefellichaft gehörte, und
an dem Abendeſſen fowie ander fpaßbaften Verſchwoͤrung
Theil genommen hatte. Er war ein genauer Bekannter
bes Dicken, welcher für ihn eben einen Himmel zu eimer
heiligen Jungfrau anfertigte, und erſt geflern war er
eine gute Weile bei ihm in ber Bude gewefen, um bie
Arbeit zu befchleunigen, und der Dicke hatte ihm ver-
8 IX. Rovelle eine Ungenannten.
ſprochen, ihm in vier Tagen den Rahmen vollfländig
zu liefern. Wie nun Giovanni in das Gerichtshaus ge:
treten mar, firedte er feinen Kopf in ben Flur, auf
welchen das Fenfter der Gefängniffe ging, das in jemer
Zeit zu ebener Erde war und wo ſich ber Dide befand.
Sobald er Giovanni erblickte, lächelte er und fah ihn an;
Giovanni fah ihn, au an und fagte, als ob er ihn
niemals gefehen hatte: Was lachſt du, Freund?
Der Die, dem es vorfam, er werbe von jenem
nicht. erfannt, fagte: O ich Tache über weiter nichts.
Sagt mir, kennt ihr nicht einen, den man ben Diden
nennt, der gleich dort hinten am Plag San Giovanni
wohnt und ausgelegte Holzarbeiten macht?
Ei freilih, fagte Giovanni. Sch Fenne ihn wohl.
Er ift mein guter Freund, und gerade will ich zu ihm
gehen wegen einer Zleinen Wrbeit, die er mir macht.
Der Die fuhr fort: Ach fo thut mir doc ben Ge-
fallen, da ihr ohnehin zu ihm gehen müßt, und fagt ihm:
Es figt im Handelsgericht einer deiner Freunde gefangen
und bittet dich, du möchteft ihm doch den Gefallen thun,
einen Augenblid bei ihm anzufprechen.
Giovanni fagte, indem er ihm fortwährend feft ins
Geſicht fah und nur mit Mühe das Lachen verhalten
fonnte: Das will ich gern thun.
Damit ging er weiterofeinen Gefchäften nah. Der
Die aber blieb am Fenfter des Gefängniffes und fagte
bei fich felbft: Nun kann ich ficher fein, daß ich nicht
mehr der Die, fondern daß ih Matteo geworben bin.
Berwünfcht fei mein Schiefal! Denn wenn ich bie Sache
fage, fo werde ich vollends für närrifch gehalten und auf ber
Gaſſe laufen mir die Kinder nach; fage ich aber nichts, fo
können noch hundert Misverftändniffe vorfommen, wie das
von geftern Abend, daß ich fefigenommen wurde; fo bin ich
alfo auf jeden Fall übel daran. Wir wollen aber doch fehen,
ob der Dice kommt. Wenn er kommt, fo erzähle ich es
ihm und wir werben fehen, was bas heißen foll.
m.
45. Der dicke Tiſchler. 39
Er wartete in dem Wahne, diefer werde kommen,
eine geraume Zeit; als er aber nicht am, trat er zurüd,
um einem andern Plag zu machen, und ftierte das Pflafter
zu feinen Füßen an, oder blidte er mit gefalteten Händen
auf zur Dede. Es war diefer Tage in dem befagten
Gefängniffe Schulden halber auch ein Richter in Haft,
ein ganz waderer Mann, ebenfo durch den Ruf feiner
allgemeinen Bildung als feiner Gefegkunde bekannt, deffen
Name aus Achtung vor ihm hier verfchwiegen werben
fol. Diefer kannte zwar den Dicken nicht; doch da er
ihn fo ſchwermüthig figen ſah und fich einbildete, ex fei
um feine Schuld betrübt, gedachte er ihn ein wenig zu
tröften und fagte zu ihm: Ei, Matteo, du biſt ja fo
teübfelig, als ob es Dir geradezu an den Hals ginge
und doch ift nach dem, was du fagft, deine Schuld
gering. Man muß fih nicht im Unglüd niederbrüden
laſſen. Warum fchicft du nicht nach einem beiner Freunde
oder Verwandten aus und ſuchſt deinen Släubiger zu
bezahlen oder dich irgendwie mit ihm zu verfländigen,
damit du auf freien Fuß kommſt und den Much nicht
ganz und gar verlierft.
As fich der Dice fo wohlmeinend tröften hörte, e ent-
ſchloß er fih, dem Manne feine Noth zu Magen. Gr
zog ihn in einen Winkel des Gefängniffes und hub an:
Obgleich ihr mich nicht kennt, werther Herr, fo kenne
ich doch euch wohl und weiß, daß ihr ein braver Mann
feid. Sch habe daher befchloffen, euch den Grund zu
fagen, warum ich fo ſchwermüthig bin. Ihr follt nicht
glauben, dag eine Feine Schuld mir folches Leid erregt;
es ift etwas anderes.
Darauf erzählte er ihm von Anfang bis zu Ende
alles, was ihm begegnet war, faft unter lauter Thränen
und bat fich zweierlei von ihm aus, daß er erftend mit
niemand. von diefer Sache fpreche und ſodann, daß er
ihm irgend einen guten Rath oder Hilfe in ſeiner Noth
ertheile. Er fegte hinzu: Ich weiß, daß ihr lange Zeit
310 IX. Rovelle eined Ungenamnten.
ſtudirt Habt umb habe viele alte Bücher und Geſchichten
gelefen, in denen mannichfaltige Ereigniffe befchrieben find.
—* ihr wol jemals eine Geſchichte darin, welche dieſer
gleicht?
Als der wackere Mann dieſe Rede vernommen und
ſtill bei ſich erwogen hatte, meinte er, es ſei von zwei
Fällen nur einer möglich; entweder ſei jener naͤrriſch ge⸗
worden ober die ganze Sache ſei nur eine Poſſe, wie es
auch war. Er amtwortete alfo fehnell, er habe vielerlei
ber Art gelefen, wie nämlid aus einem Menfchen ein
A geworden, und dies ſei gerade kein unerhoͤrter
all
Ich hatte ‚ fügte er hinzu, früher ſelbſt einen Bauern
der Urt, dem dieſes begegnete.
Der Die fenfzte ſchwer und wußte gar nicht, was
er fagen follte, wenn das fo wäre.
Das Nämliche, fuhr der Richter fort, lieft man von
den Begleitern des Ulyſſes und von andern, welche bie
Circe verwandelt hat. Allerdings iſt, fo viel ich Höre
„und nach dem was ich auch gelefen habe, wenn ich mid
recht erinnere, ſchon mancher wieber zu feiner vorigen
Geſtalt zurückgekehrt, aber das gefchieht doch felten, zu⸗
mal wenn die Sache lange anfteht.
Darauf fagte der Die: Sagt mir nun aber, wenn
ih Matteo geworben bin, wie ift es dann mit dem alten
Matteo?
Der Richter antivortete: Nothmendigerweife muß aus
ihm dee Dicke geworben fein.
Gut, fagte der Die. Ic möchte ihn bach auch ein
bischen ſehen, um meine Neugier zu ſtillen. .
Unter dieſen Gefprähen war es faft Nachmittag ge
worden, als zwei Brüder diefes Matteo in das Handels-
gericht kamen und den Netar ber Kaffe fragten, ob nicht
bier ein Bruder von ihnen gefangen fige Ramens Matten
und wegen welcher Summe man ihn feflgenommen habe;
fie feien feine Srüber und wollen für ihn bezahlen, um
45. Der dide Tiſchler. | 311
ihn aus der Haft zu befreien. Der Notar der Kaſſe,
der um den ganzen Handel wußte, da er ein genauer
Freund des Tommaſo Pecori war, bejahte die erſte Frage,
that, als blaͤttere er in ſeinem Buche herum und ſagte:
Er iſt hier wegen ſo und ſo viel auf Anſuchen von
dem und dem.
Gut, ſagten ſie, wir wollen ihm ein paar Worte
ſagen und alsdann für die Herbeiſchaffung des Geldes
ſorgen.
Und auf das Gefängniß zugehend ſagten fie zu einem,
der am Fenfter fand: Sage doch dem Matteo drinnen,
es feien zwei von feinen Brüdern bier, welche kommen,
um ihn zu befreien! Er folle ein wenig herkommen.
Während die Brüder hineinfchhauten, erkannten fie
nur zu gut jenen Doctor, melcher mit dem Dicken fpradh.
Als der Dide die Meldung vernonmen hatte, fragte er
noch den Doctor, was denn aus feinem Bauern gewor-
ben fel, und als er ihm fagte, er fet nicht mehr in feine
frühere Geftalt zurückgekehrt, machte ſich der Dicke bop-
pelt fo trübe Gedanken, trat an das Gitter und grüßte
fie. Darauf begann der ältere ber beiden Brüber folcher-
geftalt zu fprechen: Du weißt, Matteo, wie oft unb viel
wie dich ermahnt haben, von dem fchlechten Lebenswandel
abzulafien, den du feither geführt hafl. Du weißt, wir
haben dir täglich gefagt: Du geräthft tagtäglich in Schul-
den, heute bei biefem, "morgen bei jenem, und bezahlſt
nie einen Menfchen, denn bie lieberlihen Ausgaben, zu
welchen dich Spiel und andere Dinge verleiten, machen,
daß du nie einen Heller in ber Taſche haft.
Nun Haben fie dich vollends eingeftedt. Du weißt,
dag wir die Mittel haben und meißt wir Zönnen jeden
Tag für dich bezahlen. Du haft aber feit einiger Zeit
einen wahren Schag vergeudet für beine Lumpereien,
unb darum fagen wir bir alles Ernſtes, wenn es uns
nicht um unſere Ehre wäre und um beine Mutter, bie
ung keine Ruhe läßt, fo liefen wir dich bier ein wenig
312 IX. Novelle eined Ungenannten.
mürb werden, damit du in bich gingefl. Fur dies mal
jeboh haben wir uns entichlofien, dich herauszuholen
und für dich zu bezahlen, aber mit der Warnung, wenn
du wieder einmal hier hineingeräthft, fo mußt du länger
bier bleiben, als bir Lieb if. Damit genug! Damit wir
aber bei Tag hier nicht gefehen werden, wollen wir heute
Abend um Avemaria dich abholen, wenn weniger Leute
um den Weg find, damit nicht jedermann Zeuge unfers
Elends wird und wir uns um beinetwillen nicht noch
mehr ſchämen müffen.
Der Die gab ihnen gute Worte und verſprach hoch
und theuer, er wolle in Zukunft ein ganz anderes Leben
führen, als er ſeither gethan, und ſich hüten, ſolchen
Unfug zu treiben und ihnen ſo viel Schande ins Haus
zu bringen. Er bat fie um Gottes willen, fie möchten
ihm boch ja abholen, fobald es Zeit fei. Sie verſprachen
es zu thun und gingen hinweg; er aber zog fi zurüd
und fagte zu bem Richter: Es kommt immer beffer bei
mir, denn eben find zwei Brüder des Matteo dageweſen,
eben jenes Matteo, mit dem ich verwechſelt werde, und
haben mit mir geſprochen gerade als wäre ich Matteo
und haben mich ernſtlich ermahnt, aber dabei gejagt, fie
wollen um Avemaria fommen, um mich abzuholen. Und,
fügte ee hinzu, wenn fie mich aus dem. Gefängnif weg⸗
führen, wo fol ich alsdann hin? In mein Haus kann
ih nicht zurüd, denn wenn dort der Dicke ift, was foll
ich fagen, will ich nicht für einen Narren gehalten werden
Und es fcheint mir ganz gewiß, bag der Dicke dort iſt,
denn wäre er nicht zu Haufe, fo hätte ja meine Mutter
mich fuchen Iaffen, während jegt, wenn fie ihn vor ſich
fieht, ſie dieſen Irrthum nicht gewahr wird.
Der Richter hielt das Lachen nur mit großer Mühe
und hatte über die Gefchichte eine außerordentliche Freude.
Geh ja nicht dorthin, fagte er, fondern folge denen,
bie fich für deine Brüder ausgeben! Du wirft balb fehen,
wohin fie dich führen und was fie dann mit bir anfangen.
45. Der dicke Zifchler. 313
Während fie fo zufammen ſprachen, kam der Abend heran,
die Brüder langten an und ftellten fich, als wenn fie den
Gläubiger und die Kaffe befriedigt hätten. Da erhob fich
ber Notar von feinem Sige mit den Schlüffeln des Gefäng-
niffes. und ſprach hinein: Wer von euch ift der Matteo?
Der Dide trat vor und fagte: Ich bin ed, mein Herr!
Der Rotar betrachtete ihn aufmerffam und fagte:
Diele deine Brüder haben deine Schuld für dich bezahlt;
du bift demnad frei.
Darauf öffnete er das Thor des Gefängniffes: und
ſprach: Geh deines Weges!
Der Die trat heraus und da es fchon fehr dunkel
war, machte er fich mit jenen auf den Weg nach ihrer .
Wohnung bei Santa Felicita, wo man nad) San Giorgio
hinaufgeht. Als fie dort angekommen waren, führten fie
ihn in ein Zimmer zu ebener Erde und fagten zu ihm:
Verweile hier, bis es Eſſenszeit ift.
Sie thaten, als wollten fie ihn der Mutter nicht
unter die Augen bringen, um fie nicht zu betrüben.
Nicht weit, vom Feuer war ein Heines Zifchchen bereitet.
Einer der Brüder blieb bei ihm am Kamin figen, ber
andere ging zum Pfarrer von Santa Felicita, ihrem
Seelforger, welcher eine ehrliche Haut war. Zu dieſem
fagte er: Xieber Herr, ich komme zu euch mit dem Ber-
trauen, wie es ein Nachbar zum andern haben fol.
Ihr müßt wiffen, daß wir drei Brüder find, und darunter
ift einer welcher Matteo beißt. Diefer wurde geftern
wegen einiger Schulden, die er gemacht, im Handels-
gericht verhaftet, und bat fih nun die Gefangenfchaft
fo zu. Herzen gezogen, daß es uns vorfommt, er fei faft
nicht mehr richtig im Kopfe; indeß fiheint er nur in
einem einzigen Punkte zu wanken, in allen andern ift
er noch ganz der alte Matteo; bie ſchwache Seite ift
naͤmlich bie, daß er fih in den Kopf gefegt bat, er fei
ein anderer geworden, als Matteo. Habt ihr je eine fo
tole Gefchichte gehört? Er fagt geradezu, er fei ein
Staliänifcher Novellenfchab. I. 14
314 IX. Rovelle eines Ungenannten.
gewiffer dicker Zifchler, welcher feine Bude Hinter San
Giovanni Hat und bei Santa Maria del Fiore wohnt.
Das können wir ihm durchaus nicht aus bem Kopf
bringen. Wir haben ihn daher aus dem Gefängnif be:
freit, nad Haufe geführt und in eine befondere Stube
gebracht, damit feine Narrheiten wicht weiter unter bie
Leute kommen; denn ihr wißt wohl, wer einmal aus
diefem Horn geblafen bat, ber wird, wenn er auch aufs
Befte zu feinem Verſtande zurückkehrt, doch immer ge
foppt. Und wenn es unfere Mutter bemerkte, ehe er
wieder zur Befinnung kommt, könnten allerlei Unan⸗
nehmlichkeiten daraus entfliehen. Die Frauen laſſen ſich
gar Teiche erfchredden; fie ift alt und kränklich. Und
darum, um es Fur; zu machen, mollen wir euch bitten,
aus Srharmen mit nach unferm Haufe zu fommen, ba-
mit ihr mit ihm fprecht und verſucht, ihm feine Einbil-
dungen aus dem Sinme zu bringen. Wir mwürben euch
zeitleben® dafür dankbar fein.
Der Prieſter war ein dienfifertiger Wann und exbot
ſich daher zu allem. Er fagte, wenn er mit ihm Ipreche,
fo werde er ber Sache bald auf den Grund fehen; er
wolle ihm fchon fo lange und fo eindringlich zureben,
dag er wohl hoffe, ihm bie Sache aus dem Kopf zu
treiben. Er machte ſich gleich mit jenem auf den Weg
nach dem Hauſe, und als ſie vor das Zimmer kamen,
wo ſich der Dicke befand, trat der Priefter hinein und
der Dide, welcher in feine Gedanken vertieft daſaß,
ftand auf, fobald er ihn erblidte. Der Prieſter fagte
zu ihm: Guten Abend, Matteo!
uten Abend und gute Zeit! erwiderte ber Dice,
Was führt euch zu mir?
Darauf entgeänete der Priefter: Ih bin gekonnnen,
um ein wenig bei dir zu bleiben.
Sodann fegte er ſich nieder und fagte zu dem Dicken:
Sige hier neben mich, ich will bir dann fagen, was mein
Begehr ift.
45. Der dide Kiſchler. 315
Der Die, um nicht au wiberfprechen, ſaß zu ihm
Bin und der Sriefier fing an, ihm folgende Ermahnung
zu halten: Die Urfache, weshalb ich hierher gefommen
bin, Matteo, ift, weil ich eine Sache vernommen habe,
die mir ernſtlich Kummer macht. Wie ich nämlich ge-
hört habe, bift du diefer Tage Schulden halber auf bem
Handelögerichte verhaftet geweſen, und wie es fcheint,
haft du dir dies fo zu Herzen gezogen, daß du nahe
daran bift, den Berftand zu verlieren. Unter andern
Thorheiten, die.du, wie ich höre, begangen haft und
noch begebft, folft du auch behaupten, daß du nicht
mehr Matteo feieft und durchaus ein anderer fein willft,
ein Holzarbeiter, welchen man den Diden heißt. Du
bift fehr zu tadeln, daß du um einer Beinen Wider⸗
wärtigkeit willen einem fo großen Schmerz in deinem
Herzen Raum gibft, ber dich in den Verdacht bringt,
du feieft nicht recht bei bir, und ber di, was dir nicht
eben zur Ehre gereicht, durch beine Hartnäckigkeit in
diefem Punkte zum Gefpötte der Menfchen macht. Um
fehs Gulden? Iſt denn das fo etwas Argest Und
noch überdied menn fie bezahlt find! Lieber Matteo,
fagte der Prieſter, ihm die Hand drüdend, ih wünſchte
in Wahrheit, du ließeft davon ab, und bitte dich, daß
du mir zu Liebe das Verſprechen thueft, von diefem
Augenblide an diefe Narrheit aufzugeben und wieder an
deine Gefchäfte zu gehen, mie es einen rechtfchaffenen
Manne geziemt und wie alle andern Keute thun. Du
würdeſt damit diefen deinen Brüdern große Freude bes
reiten und jedem, der ed gut mit euch meint, und mir
ſelber. Iſt denn diefer Die ein fo großer Meifter oder
ift er fo reich, daß du lieber er fein willft, als du?
Welchen Vortheil fiehft du denn dabei, daß du dies thuft?
Borausgefegt auch, jener fei ein würdiger Mann, und
er fei reicher ale du (mährend er doch nad) dem, mas
mir bie Deinigen fagen, eher unter dir ſteht), fo wirft
14*
314 IX. Rovelle eines Ungenannten.
gewiffer dicker Tiſchler, welcher feine Bude Hinter San
Giovanni hat und bei Santa Maria dei Kiore wohnt.
Das können wir ihm durchaus nicht aus dem Kopf
bringen. Wir haben ihn daher aus dem Sefängnif bes
freit, nad Haufe geführt und in eine befondere Stube
gebracht, damit feine Narrheiten möcht weiter unter Die
Leute kommen; denn ihr wißt wohl, wer einmal aus
diefem Horn geblafen hat, der wird, mern er auch aufb
Befte zu feinem Verſtande zurückkehrt, doch immer ges
foppt. Und wenn ed unfere Mutter bemerkte, ehe er
wieder zur Befinnung kommt, tönnten allerlei Unan⸗
nehmlichkeiten barans entfiehen. Die Frauen laffen ſich
gar Teiche erfchreden; fie iſt alt und kränklich. Und
darum, um es Fur; zu wachen, mollen wir euch bitten,
aus Erbarmen mit nach unferm Haufe zu kommen, da⸗
mit ihr mie ihm fprecht und verfucht, ihm feine Einbil-
dungen aus dem Sinne zu bringen. Wir würden euch
zeitlebens dafür dankbar fein.
Der Prieſter war ein dienfifertiger Mann und ecbot
fih daher zu allem. Er fagte, wenn er mit ihm —
ſo werde er der Sache bald auf den Grund ſehen; er
wolle ihm ſchon fo lange und fo eindringlich zureden,
daß er wohl hoffe, ihm bie Sache aus dem Kopf zu
treiben. Er machte fich gleich mit jenem auf den Weg
nah dem Haufe, und als fie vor das Zimmer kamen,
we fi der Dicke befand, trat ber Priefter hinein und
der Die, welcher in feine Gedanken vertieft daſaß,
ftand auf, fobald er ihn erblickte. Der Prieſter fagte
zu ihm: Guten Abend, Matteo!
uten Abend und gute Zeit! erwiberte ber Dice.
Was führt euch zu mir?
Darauf entgeänete der Priefter: Ich bin gekommen,
um ein wenig bei dir zu bleiben.
Sodann fegte er ſich nieder und fagte zu bem Dicken:
Sitze bier neben mich, Ich will bir dann fagen, was mein
Begehr iſt.
— —— —
— —
45. Der dicke Kiſchler. 315
Der Dide, um nicht. zu widerfprechen, ſaß zu ihm
Bin und der Priefter fing an, ihm folgende Ermahnung
zu balten: Die Urfache, weshalb ‚ich hierher gefommen
bin, Matteo, ift, weil ich eine Sache vernommen habe,
die mir ernſtlich Kummer macht. Wie ich namlich ge
hört babe, bift du diefer Tage Schulden halber auf dem
Handelögerichte verhaftet geweſen, und wie es fcheint,
haft bu dir dies To zu Herzen gezogen, daß du nahe
daran bift, den Verſtand zu verlieren. Unter andern
Zhorheiten, die.du, wie ich höre, begangen baft und
noch begehft, folft du auch behaupten, daß du nicht
mehr Matteo fereft und durchaus ein anderer fein willft,
ein Dolzarbeiter, welchen man den Diden beißt. Du
bift fehr zu tadeln, dag du um einer kleinen Wider-
wärtigkeit ‚willen einem fo großen Schmerz; in deinem
Herzen Raum gibft, der dich in den Verdacht bringt,
du feieft nicht recht bei dir, und ber dich, was dir nicht
eben zur Ehre gereicht, durch deine Hartnäckigkeit in
diefem Punkte zum Gefpötte der Menſchen macht. Um
feh8 Gulden? Iſt denn das fo etwas Wrges? Und
noch überbied wenn fie bezahlt find! Lieber Matten,
fagte der Priefter, ihm die Hand drüdend, ich wünſchte
in Wahrheit, du ließeft davon ab, und bitte dich, daß
du mie zu Liebe das Verſprechen thueft, von biefem
Augenblide an diefe Narrheit aufzugeben und wieder an
beine Gefchäfte zu gehen, wie es einem rechtfchaffenen
Manne geziemt und wie alle andern Leute thun. Du
würdeft damit diefen deinen Brüdern große Freude bes
reiten und jedem, der ed gut mit euch meint, und mir
felber. Iſt denn diefer Dicke ein fo großer Meifter oder
ft er fo reich, daß du lieber er fein willft, al6 du?
Welchen Vortheil fiehft du denn dabei, dag du dies thuſt?
Borausgefegt auch, jener fei ein würdiger Mann, und
er fei reicher ald du (während er doch nad) dem, was
mir bie Deinigen fagen, eher unter dir fleht), fo wirft
14*
316 IX. Rovelle eines Ungenannten.
du doch dadurch, daß du fagft, du feieft er, barum nicht
feinen Werth noch feinen Reichthum erlangen. Erführe
die Welt, daß du von Sinnen geweſen bift, felbft wenn
bu nachher zum beften Berftande von der Welt wieder
gelangteft, und was. du auch thun möchteft, man würde
doch immer fagen, du_feieft verrückt gewefen und du
wäreft ein verlorener Menſch. Kurz forge, dag du ein
Menſch bift und kein Vieh und laß alle diefe Poffen
fhwinden! darum bitte ich dich inftändig. Mas Dider
oder nicht Dider! Mach es nach meiner Weife! Ich
rathe dir zu deinem Beten.
Dabeh fhaute er ihm recht freundlich ins Geficht.
Als der Die ihn fo Tiebreich reden gehört, und bie
paffenden Worte erwogen hatte, die er zu ihm gefprochen,
zweifelte er nicht mehr daran, daß er Matteo fei, und
antwortete ohne Bedenken, ex fei bereit, in Betreff defien
was er von ihm verlange, fein Möglichftes zu thum,
indem er wohl einfehe, daß alle feine Neben nur au
fein Beftes abzwecken. Er verfprad ihm, von nun an
ſich alle Mühe zu geben, daß er nicht mehr auf ben
Gedanken komme, ein anderer zu fein, als er ſelbſt,
naͤmlich Matteo. Aber er bitte ihn nur um eine einzige
Sunft, wenn fie gewährt werden Tonne, nämlich er möchte
nur ein einziges Mal mit jenem Diden fprechen, um
ſich voltommen zu überzeugen. Hierauf erwiderte ber
Prieſter: Dies würde ſich gar ſchlecht mit deinem Nugen
vertragen. Ich fehe wohl, daß du die Grillen noch immer
im Kopfe bafl. Was brauchft du überhaupt mit dem
Diden zu reden? Was haft du mit ihm zu fhaffen?
Je mehr bu darüber fprichft, je mehr Leuten du biefe
Sache entdeckſt, befto ſchlimmer ift es für dich und deſto
mehr fchadet es bir.
Und in biefem Ton fprach er dem Diden fo lange zu,
bis er fich endlich zufrieden gab und von dem Wunſche,
mit ihm zu fprechen, abftand. Darauf ging er weg
45. Der dicke Tiſchler. 317
von ihm, erzählte den Brüdern, was er gethan und ge-
ſprochen babe und was Matteo ihm zugefagt. Darauf
verabſchiedete er ſich von ihnen und kehrte in die Kirche
zurüd. Einer der Brüder drüdte ihm einen Silber
geofhen in die Hand, .um die Sache noch glaubhafter
zu machen, und dankte ihm für feine Mühe. Mittler-
weile, während ber Priefter den Dicken vornahm, mar
Filippo di Ser Brunellesco heimlich herbeigefchlihen, und
hatte fich unter unenblichem Gelächter in einem entfernten
Zimmer von einem der Brüder alles wiebererzählen laffen,
wie der Die aus dem Gefängniß gebracht worden war, .
was fie ihm unterwegs gefagt hatten und fo fort. - Er
hatte in einen großen Becher ein Getränk gegofjen und
fprach zu einem der beiden Brüder: Macht, daß ihr ihm
unter dem Nachteſſen dies zu trinken gebt, entweder im
Wein oder wie ihr am liebſten wollt, ohne daß er es
merkt. Es iſt ein Schlaftrunk, auf den er ſo feſt ein⸗
ſchlafen muß, daß er es ein paar Stunden lang nicht
fühlen würde und wenn man ihn prügelte. Gegen fünf
Uhr will ich dann wieder nachſehen und wir beſorgen dann
das Übrige.
Die Brüder kehrten in die Stube zum Dicken zurüd
und fegten fich mit ihm ans Effen, als es ſchon drei Uhr
vorüber war. Während fie fo bei Tiſch faßen, brachten
fie ihm den Schlaftrunt fo geſchickt bei, daß er gar nichte
davon merkte. Als fie abgefpeift hatten und ein wenig
am euer faßen, begann die Arznei fo fräftig zu wirken,
daß der Die mit aller Mühe die Augen nicht mehr
offen halten Tonnte vor ſchwerem Schlafe, der ihn be
wältigte. Die andern fagten zu ihm: Matteo, du fcheinft
ja vor Müdigkeit umzufallen. Du baft mol heute Nacht
wenig gefchlafen.
Das hatten fie getroffen.
Ich verfichere euch, erwiderte hierauf ber Die, daß
ich mein Leben lang nicht fo ſchläfrig geweſen bin. Ges
14**
—X
318 L. Robelle eines Tingenamnten.
koͤnnte nicht aͤrger fen, wenn ich einen Monat lang nicht
gefchlafen hätte. Ich will mich daher zu Bette legen.
Er fing an, fi, auszukleiden, hatte aber kaum noch
Kraft, die Schuhe abzuziehen und fih auf dad Bette zu
werfen, fo war er fchon feft eingefchlafen und fchnarchte
wie ein Schwein. Zur feftgefegten Stunde kehrte Filippo
di Ser Brunellesco mit ſechs feiner Gefährten zurück und
trat in die Kammer, wo jener lag. Da fie bemerkten,
baß er feſt fchlief, fo nahmen fie ihn und legten ihn mit
allen feinen Kleidern auf eine Tragbahre und trugen ihn
nach feinem Haufe, welches ganz leer ftand, weil feine
Mutter zufällig noch nicht vom Lande zurückgekehrt war.
Sie trugen ihn an das Bett, legten. ihn hinein und
warfen feine Kleider an benfelben Plag Hin, wo er fie
felbft hinzuthun gemohnt war; doch ihm felbft kehrten
fie mit dem Kopfe dahin, wohin er fonft die Füße zu
legen pflegte. Als dies gefhehen war, nahmen fie die
Schlüffel zu feiner Bude, melde an einem Hafen in
feiner Schlafkammer hingen, machten fie auf, traten
hinein und legten alle feine eifernen Werkzeuge an einen
andern Ort, ald wo fie bisher lagen. Alle Eifen an
den Hobeln riffen fie aus dem Geſtell und drehten bie
Schneide gegen oben und das Dicke nach unten. Ebenſo
machten fie es mit allen Hammern und mit ben Arten,
und in der ganzen Bude verwirrten te alles auf eine
Urt, daß es fchien, es haben hunderttanfend Teufel darin
ihr Weſen getrieben. Endlich fchloffen fie den Laden wie-
der ad, trugen die Schlüffel in das Zimmer des Diden
zurück, Bon auch dort die Thüre und gingen fodann
" jeder nah Haus um zu fchlafen. Der Dide betäubt
von bem Tranke fchlief diefe ganze Racht über, ohne je
zur Befinnung zu fommen. Des andern Morgens aber
um bie Zeit des Avemaria in Santa Maria dei Fiore
hatte der Tran feine Wirkung vollendet, der Dicke er-
machte, als es ſchon Tag mar, unb ale er bie Glocke
*
45. Der dicke Tiſchler. 319
erfannte und die Augen auffchlug, erkannte er bei der
durch ein Zugloch einfallenden Helle, daß er in ſeinem
eigenen Hauſe war, und als er ſich aller frühern Ereig⸗
niſſe erinnerte, überfiel ihn das größte Erſtaunen. Er
erinnerte ſich, wo er am vorigen Abend zu Bett gegangen
war und wo er ſich damals befand, und mit einem Mal
war er von Zweifeln beſtürmt, ob er das alles geträumt
habe, oder ob er jetzt träume. Bald ſchien ihm das
eine wahr zu ſein, bald das andere, und nach einem
recht aus Herzensgrund hervorgeholten Seufzer rief er:
Gott fteh mir bei!
Er fprang aus dem Bette, kleidete fi an, . nahm
die Schlüffel der Bude auf und rannte dahin. Als er
aufgefchloffen hatte, fah er bie ganze Werkflätte in Ver⸗
wirrung, alle Eifen verkehrt und von ihrem Plag ent«
fernt, worüber er nicht wenig fich verwunderte. Doc)
räumte er allmälig auf und rückte die Gegenftände wie-
der zurecht. Da kamen auf einmal die zwei Brüber
Matteo’8 und als fie ihn fo befchäftigt fanden, fagte
einer von ihnen, gerade wie wenn fie e ihn nicht Bennten:
Guten Tag, Meifter!
Der Dice drehte ſich nad) ihnen um und als ex fie
erkannte, verfärbte er ſich ein wenig, fagte aber dennoch:
Guten Tag und gutes Jahr! Was führt euch her?
Einer von beiden ſprach: Ich will es dir fagen.
Wir haben einen Bruder, Namens Matteo; diefer wurbe
dor einigen Tagen verhaftet und ift aus Kummer darüber
halb von Sinnen gefommen. So ſagt er unter anderm,
er fei nicht mehr Matteo, fondern der Meifter diefer Bube,
weichen man, wie es fcheint, ‚ben Diden heißt. Wir
haben ihn nun fehr ermahnt und ihm auch geftern Abend
von dem Priefter unferer Pfarre zufprechen laffen, welcher
ein fehr braver Mann if. Dem hatte er verfprochen,
ſich dieſe Narrheit aus dem Sinn zu ſchlagen, ſodaß er
auch mit dem beten Appetit zu Nacht fpeifte und in
320 ° IX. Novelle eines Ungenannten.
unferer Gegenwart zu Bett ging. BDiefen Morgen ‚aber
hat er fich, ohne daß es jemand merkte, davongefchlichen,
wir wiffen nicht wohin. Deshalb find wir hierherge-
fommen, um zu fehen, ob er wol dageweſen ift, oder
ob du. uns nichts von ihm zu fagen weißt.
Dem Diden ſchwindelte es bei diefen Neden. Er
erwiderte: Ich verftehe nicht, was ihr fagt und begreife
nichtö von euren Poffen. Matteo ift nicht hierberge-
fommen und wenn er fich für mich ausgibt, begeht er
eine große Schurkerei. Bei meiner Seele, treffe ich ein-
mal mit ihm zufammen, fo will ich meine Luft an ihm
büßen und will doch fehen, ob ich er bin oder er ich ift.
Was zum Teufel. ift das für ein Spuk die zwei Tage her!
Mit diefen Worten ergriff er voll Zorn feinen Mantel,
zog die Thüre des Ladens hinter fich zu, ließ jene ftehen
und lief unter heftigen Drohungen gegen Santa Maria
del Fiore zu. Die Brüder machten fi) hinweg und der
Dide trat in die Kirche, wo er auf- und niederfchritt,
wie ein Löwe ausfehend, fo wüthend war er über diefe
Gefhichte. Unterdeffen Fam ein Handwerksgenoſſe von
ihm eben dahin, der mit ihm bei dem Meifter Pellegrino
in Terma das Schreinerhandmwerk erlernt hatte. .Diefer
junge Mann war fihon vor mehreren Jahren ausge:
wandert und nad) Ungarn gezogen und ed war ihm dort
fehr gut ergangen durch die Unterftügung eines andern
Florentinerd des Filippo Scolari, welcher fich lo Spano
nannte und welcher damald Generalcapitain des Heeres
von Sigismund, dem Sohn König Karls von Böhmen
war. Diefer Spano nahm alle Florentiner gut auf,
welche ſich durch Kenntniffe oder Gefchiclichkeit irgend
auszeichneten, da er ein fehr wadererr Mann war und
feine Landsleute ganz befonders liebte, wie er denn auch
von ihnen geliebt zu werben verdiente, da er fi) gegen
fo viele wohlthätig erwies. Um diefe Zeit nun war jener
nach Florenz gekommen, um fich zu erfundigen, ob er
45. Der dicke Zifchler. 321
nicht von dort einen Meifter feines Handwerks mitnehmen
könne, weil er fo viele Arbeiten übernommen hatte. Schon
mehrmals hatte er mit dem Diden davon gefprochen und
ihn gebeten, mit ihm zu ziehen, wobei er ihm in Aus⸗
fiht ftellte, wie fie in wenigen Jahren reich werben
tönnten. Als er ihm bier wieder begegnete, fagte der
Dide: Du haft mir fchon mehrmals zugerebet, mit bir
nah Ungarn zu ziehen und ich babe es bir immer ab-
geſchlagen. Jetzt habe ich um eines ſonderbaren Unfalls
willen und wegen einiger Mishelligkeiten mit meiner Mutter
den Entſchluß gefaßt, mit dir zu ziehen, wenn du mid
anders noch haben willſt. Wenn es dir recht ift, fo will
ich morgen früh ſchon abreiſen, denn bliebe ich noch länger,
fo Eönnte wieder etwas dazmifchentommen.
Der junge Mann fagte zu ihm, es werde ihm. fehr
lieb fein, doch Eönne er morgen nicht ſchon abreifen, da
er fonft noch Geſchäfte habe; er Fünne aber ja morgen
Früh gehen, wenn er wolle, und ihn in Bologna er-
warten, wo er auch in menig Tagen eintreffen werde.
Der Die war damit zufrieden und fo wurden fie ein®.
Der Dide ging baher in den Laden zurüd, nahm viele
von feinen Werkzeugen und einige Stleinigkeiten, bie er
fortbringen konnte, fomwie einiges Geld, das er hatte.
Als dies gefchehen mar, ging er nad) Borgo San Lo-
renzo,. miethete ein Pferd nach Bologna, flieg am fol-
genden Morgen auf und nahm feinen Weg dorthin,
nachdem er einen an feine Mutter überfchriebenen Brief
zurüdgelaffen hatte, worin es hieß, fie möge Alles, was
im Laden zurückgeblieben fei, als Gefchent behalten; er
gehe nach Ungarn; fie folle verkaufen, was fie finde.
Auf biefe Art fchied ber Dicke von Florenz, ermartete
in Bologna feinen Gefährten und reifte mit ihm nad)
Ungarn, imo ihre Gefchäfte fo gut von Etatten gingen,
daß fie in wenigen Jahren durch die Gunft des genannten
Spano nad ihren Verhältniffen reich wurden. Spano
320 IX. Robelle eines Ungenannten.
unferer Gegenwart zu Bett ging. Diefen Morgen .aber
hat er ſich, ohne daß es jemand merkte, davongefchlichen,
wir wiffen nit wohin. Deshalb find wir hierherge-
fommen, um zu fehen, ob er wol dageweſen ift, oder
ob du uns nichts von ihm zu fagen weißt.
Dem Diden fhwindelte e8 bei diefen Reden. Er
erwiderte: Ich verftehe nicht, was ihr fagt und begreife
nichts von euren Poffen. Matteo ift nicht hierherge-
fommen und wenn er fih für mich ausgibt, begeht er
eine große Schurkerei. Bei meiner Seele, treffe ich ein-
mal mit ihm zufammen, fo will ich meine Luft an ihm
büßen und will doch fehen, ob ich er bin ober er ich iſt.
Was zum Teufel ift das für ein Spuk die zwei Tage her!
Mit diefen Worten ergriff er voll Zorn feinen Mantel,
zog die Thüre des Ladens hinter fich zu, ließ jene flehen
und lief unter heftigen Drohungen gegen Santa Maria
del Fiore zu. Die Brüder machten fi) hinweg und der
Dide trat in die Kirche, wo er auf- und niederfehritt,
wie ein Löwe ausfehend, fo wüthend war er über dieſe
Geſchichte. Unterbeffen kam ein Handwerkögenoffe von
ihm eben dahin, der mit ihm bei bem Meifter Pellegrino
in Terma das Schreinerhandwerk erlernt hatte. „Diefer
junge Mann war fihon vor mehreren Jahren ausge:
wandert und nad) Ungarn gezogen und ed war ihm dort
fehr gut ergangen durch die Unterftügung eines andern
Florentiners des Filippo Scolari, welcher fih Io Spano
nannte und welder damals Generalcapitain des Heeres
von Sigismund, dem Sohn König Karls von Böhmen
war. Diefer Spano nahm alle Florentiner gut auf,
weiche ſich durch SKenntniffe oder Geſchicklichkeit irgend
auszeichneten, ba er ein fehr wadererr Mann war und
feine Landsleute ganz befonders liebte, wie er denn auch
von ihnen geliebt zu werden verdiente, da er fich gegen
fo viele wohlthätig erwies. Um dieſe Zeit nun war jener
nach Florenz gefommen, um fi zu erkundigen, ob er
45. Der dicke Tiſchler. 321
nicht von dort einen Meifter feines Handwerks mitnehmen
könne, weil er fo viele Arbeiten übernommen hatte. Schon
mehrmals Hatte er mit dem Diden davon gefprochen und
ihn gebeten, mit ihm zu ziehen, wobei er ihm in Aut»
fiht ftellte, wie fie in wenigen Jahren reich werden
Tönnten. Als er ihm hier wieder begegnete, fagte der
Dicke: Du haft mir fchon mehrmals zugeredet, mit bir
nah Ungarn zu ziehen und ich babe es dir immer ab-
gefchlagen. Jetzt habe ich um eines fonderbaren Unfalls
willen und wegen einiger Mishelligkeiten mit meiner Mutter
den Entſchluß gefaßt, mit dir zu ziehen, wenn bu mid
anders noch haben willft. Wenn es bir recht ift, fo will
ich morgen früh ſchon abreifen, denn bliebe ich noch länger,
fo koͤnnte wieder etwas dazwifchentommen.
Der junge Dann fagte zu ihm, es werde ihm. fehr
lieb fein, doch koͤnne er morgen nicht fehon abreifen,, da
er fonft noch Geſchäfte habe; er könne aber ja morgen
früh gehen, wenn er wolle, und ihn in Bologna er-
warten, wo er auch in wenig Tagen eintreffen werde.
Der Die war damit zufrieden und fo wurden fie eins.
Der Die ging daher in den Laden zurüd, nahm viele
von feinen Werkzeugen und einige Kleinigkeiten, die er
fortbringen fonnte, fomwie einiges Geld, das er hatte.
Als dies gefchehen mar, ging er nad) Borgo San Lo⸗
renzo, miethete ein Pferd nach Bologna, flieg am fol-
genden Morgen auf und nahm feinen Meg dorthin,
nachdem er einen an feine Mutter überfchriebenen Brief
zurückgelaffen hatte, worin es hieß, fie möge Alles, was
im Laden zirücgeblieben fei, als Gefchent behalten; er
gehe nach Ungarn; fie folle verkaufen, was fie finde.
Auf diefe Art fchied der Dicke von Florenz, erwartete
in Bologna feinen Gefährten und reifte mit ihm nad
Ungarn, wo ihre Gefchäfte fo gut von Statten gingen,
daß fie in wenigen Jahren durch die Gunft bed genannten
Spano nah ihren Verhältniffen reich wurden. Spano
322 45. Der dide Tiſchler
‚machte ibn zum Kriegswerkmeifter und er führte den
. Ramen Meiſter Manetto von Florenz. Der Die kam
fpäter mehrmals nach Florenz unb als ihn Filippo bi
Ser Brunellesco um feine Auswanderung befragte, er⸗
zählte er ihm in befter Ordnung biefe Geſchichte und
gab fie ald Grund feines Weggehens von Florenz an.
Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Ftaliänilcher Novellenſchutz
Ausgewählt und überfegt
Adelbert Keller. _
Zweiter Theil.
——— —— — —
Leipzig:
F. A. Brockhaus.
1851.
Inhalt des zweiten Theile.
&. Giovanni Sabadino degli Arienti. Seite
46. Der Herzog von Mailand... ....... ......... 1
xl. Luigi da Porto. |
47. Romeo und Siulietta... ....... .............. "1
ZI. Francesco Maria Molza.
48. Schlimmer und ſchlimmer! .................... 40
XIII. Giuſtiniano Nelli.
49. Giulio und Aurelio's Frau. ................... 46
XIV. Luigi Alamanni.
50. Die Gräfin von Toulouſe..................... 62
XV. Lodovieo Carbone.
Hl. Dante's Zerſtreutheit......................... 92
XVI. Benvenuto Cellini.
52. Die Nietung des Diamants................... 93
WVII. Antonio Sranceden Grazzini genannt ber Lasca.
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's................ 98
WIII. Giovanni’ Battiſta Giraldi Cintio.
54. Perſiſche Sraufamkeit.............. ........... 144
55. Rinieri und Cicilia.......................... 168
56. Delio und Dafne. ........................... 188
57. Der Mohr von Venedig............... ....... 201
58. Die Witwe von Fondi ....................... 217
39. Bilippo Sala und fein Serr..... .............. 228
60. Maß für Maß.....................2...... 242
61. Die unglüdlihe Mutter........ .............. 258
62. Täuſchung und Treue........................ 266
63. Ein Gottesurtheil.............. .............. 285
vi Inhalt.
XIX. Aleſſaudro Sozzini. Seite
64. Die drei Blinden und das Almofen............ 304
X. Lionardo Bruni von Arezzo
65. Antiohus und Stratonica..................... 308
XXI. Antonio Corngzzano.
66. Frangofen und Italiäner..................... 318
XXI. Sebaſtiano Erizzo.
67. Die Tochter des Kaiſers von Eonfkantinopel..... 320
68. Der Kaufmann aus Genua... .....-uuceeneeuce 330
XXI. Baldafiare Eaftiglione. '
69. Der blinde Spieler........ Kernen. ernennen 339
X. Giovanni Sabadino degli Arienti,
1483.
46. Der Herzog von Matland:
Der Graf Francesco Eohn Forza’s von Codignola,
hochgeborner Braf und Tiebenswürdige Gefellfhaft, war,
wie ihr wißt, ein Fürft, ‚bei weldyem weder Natur noch
Glück es an irgend etwas hatte fehlen laffen. Wir
fprehen nit davon, wie erlaudt, prachtliebend, frei-
gebig, gütig und gnädig er war, denn in allen dieſen
Eigenfchaften übertraf er nicht allein alle Männer ber
Gegenwart, fondern that es auch allen alten Römern
und Griechen gleich. Aber das wollen wir. erwähnen,
daß er im Waffenwerk, in das er all feinen Ruhm und
Ehre fegte, nicht minder mannhaft, Hug und hochherzig
war, als Sertorius, Marcellus, Lucullus, Cäfar und
Pompejus, oder wer fonft noch mehr den Mund ber
Fama in den Büchern der Gefchichte in Bewegung fegt.
Daß dies wahr fei, beweift die That, da er nicht nur
alle andern friegerifchen Herzöge, an denen Stalien fo
« fruchtbar war, wie ihr wißt, befriegte und glorreich über-
wand, fondern auch durch dieſe feine Tapferkeit fih zum
Herm der Lombardei emporſchwang. Deffenungeachtet,
obwol alle dieſe Eigenſchaften in gehäuftem Maße bei
ihm vorhanden waren, wie ihr ſicherlich in eurem Leben
ſchon tauſend mal gehört habt, und obwol er ſiegreiche
Heere bändigte und zu Boden ſchlug, konnte er doch nicht
vermeiden, von ber Gewalt des jungen Schügen gefangen
zu werben. und. wurbe an dem Siegeswagen feiner Gott-
heit unter der übrigen zahlreichen Schar im Triumph
Italiaͤniſcher Novellenſchai. II. 1
2 X. Giovanni Sabadino degli Arienti.
geführt ob ber preiswürdigen Schönheit einer edeln Jung-
frau aus unferer Stadt, deren Namen und Gefchlecht
ih mit Stillſchweigen übergehen will, um nicht Veran⸗
laſſung zur geben, daß ihr ehrfamer Ruf befledt werde.
Fur diefes Mädchen entbrannte er dermaßen, daß er Tag
und Nadıt an nichts anderes als an fie dachte, und nichts,
was er fah, ihm fo gefiel, ja daß er am Ende vor Sram
geftorben wäre, wenn er nicht mit ihr der Minne Luft
hätte genießen follen; und ihre Eltern mußten, da es
nun einmal fein ganz befonderer Wunſch war, und. um
den Fürften nicht dem Tod und ber Berziweiflung preis-
zugeben, fie ihm überlaffen. Nun kam aber die Sache,
ih weiß nicht auf weiche Urt, der durchlauchtigen Her⸗
zogin zu Ohren, einer Frau, die in ihrem Gefchlecht
ebenfo erhaben war, wie ihr Gatte unter den Männern.
Sie war baber fehr wachſam, um die Ausführung diefer
Liebesplane zum verhindern und nicht folche Unluft und
Hintergehung von Geiten eines Mannes zu erfahren,
den fie ausſchließlich liebte. Als num eines Abende bas
Mädchen auf das Schloß der Stadt geführt murbe, hatte
die vorfichtige Herzogin darauf wohl Acht und war fchen
durch ihre ausgefichten Kundſchafter von der Sache unter-
richtet. Während alfo das Mädchen auf einem gan;
geheimen Weg hereingebracht werden follte, wurbe fie mit
ihren Begleiteen fefigehalten und alle in ihr Zimmer vor
fle geführt, Die dann mit Worten, die zu folder Beran-
laffung ſchicklich ſchienen, ihr auf fo eindringliche Weiſe
ihr Vergehen vorftellte, daß nicht minder Scham als
Furcht fie alle erfaßte; doch entfchuldigten fich bie Unter- '
händler, da fie es nicht gethan haben, um ihrer Dar
laucht etwas zu Leide zu thun noch auch aus Begierde
nach Ehre oder aus Gewinnſucht, fondern einzig und allein,
um den gemeflenen Befehlen bes Gern Herzogs zu ge-
horchen, der fi in Liebe zu dem Maͤdchen verzehre
Die durchlauchtige Herzogin ſchickte fie aus dem Zimmer
und befahl ihnen bei Strafe ihrer Ungnade nicht ohne
46. Der Hergog von Mailand. 3
ihre Erlaubniß wegzugehen, bis fie ihnen ihven Willen
anders kund gebe, dem Maͤdchen aber befahl ſie mit
ſcharfen drohenden Worten, ſich unverzüglich zu entklei⸗
den. Gie zitterte nicht anders als ein Blatt im Binde,
benegte immerfort ihr fchönes Geficht mit Thränen ber
Scham und entleidete fid, fo aus‘ Angſt vor einer Züch⸗
tigung oder Marter. Die Herzogin zog fich auch ihre
reichen Gewande ab und legte die des beängfligten Mäd-
hend an, hängte einen Schleier über den Kopf bis über
die Augen herab, rief fodann, als fie fchon die Tracht
ded Mädchens anhatte, eine ihe. treuergebene Kammerfrau
zu fi und fagte zu ihr: Mache daß du mich, ohne mid)
weiter zu nennen, ohne Licht aus diefem Zimmer führft,
dag man die Verwechslung nicht merft! Dann fage zu
denen, bie draußen warten, wie in Auftrag von mir:
Die gnädige Frau befiehlt, ihr follt da8 Mädchen zum
Derzog bringen, wie er es haben will, in aller Stille
und ohne Zogerung.
Die treue Kammerfrau war nicht wenig - erftaunt
und wußte nit, was das heißen folle, trat aber aus
ben Gemach ihre Gebieterin an ber Hand führend und
übergab fie flatt des Mädchens jenen Leuten mit den ihr
aufgegebenen Worten. Diefen ſchwanden damit die ver-
fchtebenen Beforgniffe, weiche die Drohungen der klugen
Hergogim in ihnen erweckt hatten, und fie führten fie an
das herzogliche Gemach des Fürſten, pochten dort an die
Thür, und, als diefe aufging, hießen fie fie hineingehen
und entfernten fih. Die weile Herzogin that etwas
fremd und ſtand wie verfchänt mit gefenftem Haupt
und mit zur Erde gehefteten Blicken da, trat bann etwa
drei Schritte vor, ohne ein Wort zu forechen, und fiel
an der Iinfen Seite des Herrn auf die Knie, welcher
feine zwei Lieblingekämmerer hinausſchickte, dann heiter
auf fie zuging und in der Meinung, es fei feine Ge⸗
liebte, alſo ſprach: Schönes Mädchen, wie mein Leben
theure, ſei mir taufend und abertaufend mal willlanmen!
1*
4 X. Siovanni Sabadino degli Arienti.
So fand er ein Weilchen vor ihr, berührte fobann
mit der rechten Hand das ſchöne Mädchen und mit ber
Iinten ihren glänzenden Naden, und konnte ſich wicht
erfättigen, indem er dem Liebesgott dankte, ihre Purpur-
lippen zu küſſen. Darauf fuchte er, da er glühte und
die Kunft wohl verftand, ihr mit den Fingern durch den
Ausfchnitt Der Gewande am Hals bie elfenbeinerne Bruft
zu berühren, und fprach dazu immer Worte, welche das
Eis in Flammen fegen mußten. Als er endlich die an-
dern erfehnten Theile berühren wollte, fehien es der weiten
Herzogin, fie dürfe ihren theuern Gemahl nicht meiter
gehen laſſen, zog alfo den weißen Schleier hinweg, ber
ihre fchönen Augen verhüllte, und fagte ganz fanft fol-
gende Worte zu ihm: Ei, mein Gebieter, wo ift eure
Tugend, wo euer Berftand? Iſt das die eheliche Treue,
die ihr mir fchuldig feid, die ich euch ohne Maß liebe?
Iſt das die Battenpflicht, die ihr beobachten müßt‘, nach⸗
dem ihr von mir fo viele würdige Söhne erhalten, Die
der Glanz nicht nur Italiens, fondern der ganzen. Welt
find? Iſt dies das gute Beiſpiel und der Ruf, den ihr
hinterlaffen ſollt? In der That ich habe mich fehr im
euch getäufht. Wer hätte je gedacht, daß ein großes
Herz wie das eure, das nie Mühfal gefcheut noch Furcht
gekannt, fich von einem gemeinen Mädchen fangen laffe!
Weh mir armen, daß ich fehen mußte, was ich nie ge
glaubt habe! Iſt dies der Lohn der Treue, bie ich gegen
‚euch gebegt und gegen euch zu hegen gedenke, fo lange
ich lebe? Ach das war nicht nur ein Schlag bes Ge
ſchicks, es ift der Untergang all meiner Hoffnung.
Sie wollte noch anderes beifügen, der Herzog aber
hatte die Täufchung bemerkt und fah, daß alles offenbar
geworden war, maß er für geheim gehalten hatte, da er
- feine von ihm mehr als fein eigenes Xeben geliebte Ge⸗
mahlin in den Gemwanden bes geliebten Mädchens er-
blidte; ba überlief erſt fein männliches Antlig eine Röthe,
dann machte fich aus feinem ritterlichen Herzen ein heißer
46. Der Herzog von Mailand. 5
Seufzer Luft, und er unterbrach fie mit den Worten:
Gnädige Frau, ich bitte euch, verzeiht mir! Ich ſchwöre
euch bei meiner Seelen Seligkeit, was ich gethan, gefchah
nicht, um euch zu befchimpfen, da ich euch mehr als
alles in der Welt lieb habe, fondern blos, weil ich der
Gewalt der Kiebe nicht widerfichen konnte, die fein Gefeg
achtet und jeden Sterblidhen bindet, wenn es ihr gefällt,
ſei er auch noch fo ſtolz und muthvoll. Und ich Habe
e6 dies mal zu meinem ſchweren Schaden und Strafe
erfahren; da ich nicht mit firengem Zügel meine Sinn»
lichkeit zu lenken und bie Liebesglut zurückzudrängen ver»
mochte, habe ich mich fo weit verleiten laſſen, und ich
bin fo fehr gefangen, daß, wenn ihr mir jegt den Genuß
des geliebten Mädchens verfagt, ich klar einfehe, daß ihr mich
bald werdet graufam und jämmerlich umkommen ſehen.
Da faßte die Herzogin Mitleid mit bem Liebesleiden
ihres Gemahls und fie fagte: Wenn e8 mir auch ſchwerer
ankommt, als irgend etwas auf biefer Welt, euch hierin
nachzugeben, mein einziger Gebieter, 0 glüht doch mein
Herz fo fehr von dem Verlangen, euch immer und überall
euern Wunſch zu erfüllen, und überdies iſt mir euer Leben
‚ viel theurer, als das meinige, und barum bin ich zuftie-
ben, A ihr vollftandig eure Wünfche erreicht.
Mit diefen Worten ging fie hinweg und ?ehrte u
dem Mädchen zurüd, das ihre anfängliche Angſt noch
nicht verlaffen hatte. Sie ließ fie ihre eigenen Kleider
wieder anziehen, und als fie fo geihmüdt und aufgepugt
war, nahm fi fie fie an der Hand und fagte: Komm mit
mir, mein Kind, fürchte dich niche!
So brachte fie fie zu ihrem Gemahl mit den Worten:
Hier, mein theurer Gebieter, ift das Mädchen, das ihr
fo fehnlih wünſcht. Ich bin es zufrieden, daß ihr Die
Luft und. den Liebesgenuß mit ihr habt, die euch gefällt;
denn ich will weder euern Tod noch eure Betrübnif,
fondern euer Leben und eure Freude und dies wird auch
mir auf immer zur ununterbrochenen Wonne gereichen.
6 X. Giovanni Sabadino degli Arienti.
Nach diefen Worten kehrte fie fih um, verließ das
Zimmer und fchloß bie Thüre. Der Fürft erfannte aus
diefem Benehmen das vortrefflihe Gemüth feiner Ge⸗
mahlin und ihre liebreiche Gefinnung gegen ihn, ebenfo
aber feinen ungeheuern Fehler. Indem er daher al6 ein
ſehr kluger und verfiändiger Fürſt bie Hoheit dieſer Tugend
in Erwägung zog, mäfigte er mit bem rechten Zügel die
Glut feiner Gedanken. Er rief deshalb fogleich die Her⸗
zogin herein und fprach zu ihe folgendermaßen: Gnäbdige
Frau, eure Tluge und gegen mein ungerechted Begehren
fo nachſichtsvolle Rede in Verbindung mit eurer unglaub-
lichen Tugend haben mir ben Geiſt und all mein Sinnen
und Trachten mit fo feftem Liebesband an euch gefeffelt,
daß daffelbe nie mehr durch die Hand einer aubern Frau
wird gelöft werben können. Gott verhüte demnach, daß
ich die eheliche Treue, deren Krone ihr fo würbig traget,
je verlegel Ich bitte jedoch demüthig um Vergebung
jedes von mir begangenen Fehltritts.
Nah diefen Worten ſchwieg er und darauf wurde
nach einigen liebevollen Gefprächen über diefe Sache das
Mädchen ſchön gekleidet und beſchenkt ihren Eltern zu-
rüdgeftelt. So Löfte fich die Verwicklung auf edle Weite,
die Geſinnung des Fürften mar gebeffert und er lebte
nach biefem Vorfall in Luft und Freude mit feiner Ge-
mablin und in gutem Vernehmen mit bem geliebten
Mädchen, welche aus biefer Veranlaffung reich verhei-
rathet wurde. Und nun, hochweiſe Gefellfchaft, da ihr
den anmuthigen Fall gehört habt, mögt ihr felbft die
euch anfänglich vorgelegte Trage enticheiden, ob bier bie
eheliche Treue oder die Mäfigung mehr zu bewundern ift.
s
X. Luigi da Porto.
1485.
47. Romeo und Giulietta.
An Frau Lucina Savorgnana.
Wie ihr felbft gefehen habt, in der Zeit, da der
Himmel nicht allen feinen Groll auf mich gewandt, in
den fhönen Tagen meiner Jugend ergab ich mich dem
Waffenwerke nach dem Beifpiel vieler großer und wackerer
Männer und trieb biefe Übung einige Jahre in euerm
anmutbigen Vaterlande Friaul, durch das ich, nach den
Umftänden in geheimem Dienfte bald da- bald dorthin
gewiefen, zu geben hatte. Ich hatte es immer im &e-
brauch, wenn ich ritt, einen VBogenfchügen mit mir zu
nehmen, einen Mann von vielleicht funfzsig Sahren, der
in feinem Gefchäft fehr erfahren, fehr angenehm im Um-
gang und wie faft alle Veronefen (denn er war aus
Derona gebürtig) gefprädig war. Gr hieß Peregrino.
Diefer Mann war nicht nur ein herzhafter und erfah-
rener Soldat,‘ fondern fehr lebensiuftig und, vielleicht
mehr ald es ſich für feine Sabre ſchickte, fortwährend
mit Liebesangelegenheiten beichäftigt, mas benn feine
Tapferkeit verdoppelte. Auch erzählte er gerne bie aller-
ſchönſten Novellen, zumal ſolche, welche von Liebe han⸗
deln, in der beſten Ordnung und ſo reizend, wie ich ſie
nie von ſonſt jemand gehört habe. Als ich daher von
Gradisca, wo ich in Quartier lag, mit dieſem und
zwei andern meiner Leute, vielleicht durch die Liebe ge⸗
8 XI Luigi da Porto.
trieben, nad Udine ging, auf der Straße, bie damals
ganz einfam, vom Krieg zerftürt und verbrannt war,
und ich in düſtern Gedanken verfunfen, mid entfernt
von den andern hielt, ritt der genannte Peregrino, mein
Inneres abnend, heran und ſprach alfo zu mir: Wollt
ihr immer traurig leben, weil eine ſchöne graufame, der
es ganz anders zu Muth ift, euch nicht liebt, wie ihr
wünfcht? Ich weiß wohl, daß ich gegen mid) felbft rede,
aber doch, da man leichter Math gibt als befolgt, muß
ih euch fagen, mein gnädiger Herr, daß, abgefehen da⸗
von, daß für euern Beruf es fich nicht ſchickt, in der
Gefangenſchaft der Liebe zu fein, das Ziel, zu dem fic
uns führt, faft immer fo traurig ift, daß es gefährlich
ift, ihr zu folgen. Zum Beleg könnte ich euch, wenn
ed euch recht wäre, eine Gefchichte erzählen, die fih ın
meiner Vaterſtadt zugetragen hat; es würde dies unſern
Weg weniger einfoͤrmig und langweilig erſcheinen laſſen;
auch koͤnntet ihr daraus erſehen, wie zwei edle Verliebte
in einen elenden erbärmlichen Tod find geführt worden.
Ich Hatte ihm fchon einen Wink gegeben, daß ich
ihm gerne zuhören wolle, und er begann daher alfo.
Zur Zeit, da Bartolommeo bella Scala, ein höflicher
und fehr fein gebildeter Mann, die Zügel meiner fchönen
Vaterſtadt nach feinem Gutdünken bald fefter bald freier
Ienkte, blühten dafelbft, wie mein Vater gehört zu haben
behauptete, zwei fehr edle Familien, die fich, entgegen-
gefegten Parteien angehörend oder aus perfünlichem Haffe,
feindlic, gegenüberftanden; die.eine hieß die der Cappelletti,
bie. andere die der Montechi. - Einer berfelben, glaubt
man mit Beflimmtheit, gehören ‚die jegt in Udine leben-
den. Meffer Niccolo und Meſſer Giovanni an, bie ſich
jetzt Monticoli von Verona nennen, und die durch ein
ſeltſames Schidfal veranlaft worden find, dorthin über
zuſiedeln. Ubrigens haben fie von ihren Vorfahren wenig
an ihten neuen Wohnort mitgebracht, aufer ihrer Höf-
lichkeit und Artigkeit. In einer alten Chronik habe ich
ı 47, Romeo und Giulietta. " 9
freilich zufällig gefunden, daß biefe beiden Familien ver-
eint auf einer und berfelben Partei geftanden feien; id) -
will es euch aber, ohne etwas zu ändern, gerade fo er-
. zählen, wie ich es gehört habe. Es waren alfo, mie
gefagt, in Verona unter dem genannten Herrn die eben
angeführten adeligen Familien, welche der Himmel, bie
Natur und das Glück gleichmäßig mit wadern Männern
und Reichthümern gefhmüdt hatte. Unter dieſen herrfchte,
wie es meiftens in großen DBerhältniffen der Fall ift, mas
nun auch der Grund davon fein mag, eine granfame
Beindfhaft, um deren willen fchon mehrere Männer auf
beiden Seiten den Tod gefunden hatten, fodaß theils aus
Uberdruß, wie dies oft in ähnlichen Fällen begegnet, theils
auch wegen ber Drohungen des Fürften, welcher die Feind⸗
feligkeiten mit größtem Misfallen fah, fie endlich davon
abließen, fich weiter zu befehden und ohne förmlich Frieden
zu fchließen, mit der Zeit fich fo weit nahe traten, daß
ein großer Theil ihrer Angehörigen wieder miteinander
ſprach. Während nun zwifchen den beiden Familien der
Streit auf diefe Weife eingeftellt war, begab es fih in
ber Fafchingszeit, daß im Haufe des Meffer Antonio
Cappelletti, eines fehr heitern und aufgeräumten Mannes,
‚welcher das Haupt der Familie war, viele Feftlichkeiten
bei Tag und bei Nacht veranftaltet wurden, bei welchen
faft die ganze Stadt verfammelt war. Zu einer der-
felben begab fich eines Abends auch ein junger Mann
von den Montechi, feiner Geliebten folgend, wie das fo
bie Art der Liebhaber tft, ihren Damen wie mit dem
Herzen fo auch wo möglich mit dem Leibe zn folgen,
wohin fie gehen. Diefer war noch ganz jung, fehr ſchön
und groß von Perfon, heiter und wohlgeſittet. Als er
daher, wie alle andern, bie Maske abnahm, und in
feiner Tracht als Nymphe erkannt wurde, wandte ſich
fein Auge mehr von ihm, fomol megen feiner Schönheit,
welche die jeder andern felbft der fchönften Frau in der
Geſellſchaft übertraf, als aus Verwunderung darüber,
1**4
N
10 XI. Luigi da Porto.
daß er und zumal bei Nacht in diefes Haus gekommen
war. Mehr Eindrud aber, als auf irgend fonft jemand,
‚machte fein Anbli auf die einzige Tochter ded genannten
Meffer Antonio, welche außerordentlich fchön, voll jugend-
licher Kedpeit und Munterkeit war. Sobald diefe den
Züngling erblidte, faßte fie feine Schönheit mit folcher
Gewalt in ihrem Gemüthe auf, daß fie beim erften Be-
gegnen ihrer Augen meinte, fie fei nicht mehr fie felber.
Der Jüngling hielt fih ganz ſchüchtern und allen im
Hintergrunde und mengte fih nur felten in den Zanz
oder in. ein Geſpraͤch, da ihn nur die Liebe hierher ge-
führt hatte und ihm bei der Sache nicht ganz wohl zu
Muthe war. Dies war dem Mädchen fehr leid, denn
fie hörte, er fei ein fehr angenehmer heiterer Gefellfchafter.
Schon war Mitternacht vorüber, das Ende des Feſtes
kam heran und der Fadeltanz oder Huttanz, wie man
es heißen will, wie er noch jegt am Schluffe von Bällen
gewöhnlich ff, nahm feinen Anfang. Man fteht dabei
im Kreife und der Herr wechſelt nach Belieben feine
Dame, die Dame ihren Herrn. Bei dieſem Tanze nun
wurde der Jüngling von einer Dame aufgejogen und
zufällig neben das fchon verliebte Mädchen gefiellt. Zu
ihrer andern Seite ftand ein edler Jüngling Mareuccio
Guercio mit Ramen, welcher von Natur im Juli wie im
Sanuar immer eiskalte Hände hatte. Als nun Romeo
Montecht (fo bieß der Süngling) links von der Dame
zu ſtehen kam, und, wie es bei dem Tanze gewöhnlich
ift, die Schöne feine "Hand in die ihrige genommen hatte,
fagte das Mädchen auf einmal zu ihm, vieleicht um ihn
zum reden zu hengen: Gott Lob, daß ihre neben mich
kommt, Meſſer Romeo!
Darauf verſetzte der Jüngling, welcher ſchon ihre
Blicke bemerkt hatte, verwundert über ihre Worte: Wie?
Ihr fagt Gott Lob, daß ich komme?
Allerdings, antwortete fie, bin ich froh, daß ihr neben
mich fommt, denn ihr könnt mir wenigſtens diefe müde
⸗
47. Romeo und Giulietta. 11
Hand warm halten, waͤhrend Marcuccio mir die rechte
zu Eis erſtarren mad:
Romeo wurde dadurch etwas kühner und fuhr fort:
Wenn ich euch mit meiner Hand bie eurige erwaͤrme,
fo ſetzt ihr‘ mit euren fehönen Augen mein Ser; in
Flammen.
Das Madchen laͤchelte ein wenig, beſorgte aber, man
möchte ſehen oder hören, daß ſie mit ihm ſpreche, und
fagte nur noch: Ich ſchwöre euch, Momeo, bei meiner
Ehre, es ift Feine Frau bier, die meinen Augen fo wohl-
gefällt als ihr.
Darauf antwortete der Jüngling ganz von Liebe ent⸗
flammt: Wer ich auch ſei, ich bin, wofern es euch nicht
misfällt, eurer Schoönheit treuer Dienr.
Kurz darauf war das Feſt zu Ende und Romeo
überlegte im Heimgehen die Grauſamkeit ſeiner erſten
Geliebten, welche für ſo vieles Schmachten ihm ſo ge⸗
ringen Kohn gab, und beſchloß, ſich, ſofetn es ihr ge⸗
nehm waͤre, ganz dieſer zu weihen, obgleich fie der Fa⸗
milie feiner Feinde angehöre. Auf der andern. Seite
dachte das Mädchen faft an nichts als an ihm und bei
feftigte fich nad} vielen Seufzern in der Anficht, fie müffe
unendlich glüdlih fein, wenn fit Romeo zum Gatten
befommen fänntez aber megen ber Feindſchaft zwiſchen
den beiden Häufern war fie fehr ängftlich und hatte wenig
“Hoffnung, ein fo erfreuliches Ziel zu erreichen. So von .
ihren Zweifeln hin⸗ unb hergemorfen fagte fie oftmals
zu fi felbft: Ich Thörin! Don welcher Lockung laffe
ih mid in ein fo feltfames Labyrinth, verleiten, mo id)
ohne Führer bleibe und sicht mieder herauskann, wenn
ih aud wollte, da Romeo mich nicht liebt; denn bei
feiner Feindfhaft gegen meine Familie kann er auf nichts
anderes abzweden, als meine Schande, und wenn er mich
auch zur Frau haben wollte, ſo würde doch mein Vater
niemals einwilligen, mich ihm zu überlaffen.
"Dann kam fie wieder auf andere Gedanken und fägte:
12 XL Luigi da Porto.
Wer weiß, vielleicht gerade, um ben Frieden zu befeftigen
zwifchen den beiden Häuſern, die ſchon müde und über»
deüßig find fich fortwährend zu befehden, könnte es mir
noch gelingen, auf die Art, wie ich ed wünfche, zu feinem
Befige zu gelangen. |
Und daran hielt fie feft und fing an ihm durch Blicke
ihre Zuneigung zu bezeugen. Da nun die beiden Lie—
benden in gleicher Flamme glühten, und jeder den ſchönen
Kamen und das Conterfei des andern in der Bruſt ein-
gegraben trug, huben fie an, bald in der Kirche bald
am Fenfter ihres ftillen Liebesverkehrs zu pflegen, ſodaß
es feinem von beiden wohl war, als wenn fie fich fahen.
Er vornehmlich fühlte fi) fo entflammt von ihrem holden
Weſen, daß er faft die ganze Nacht mit geößter Lebens»
gefahr allein vor dem Haufe des geliebten Mädchens
weilte, und bald an das Fenfter ihres Zimmers empor-
kletterte und fich davor, ohne daß fie oder fonft jemand
e8 wußte, binfegte, um ihrer fügen Stimme zu laufchen,
bald fich auf der Straße hinlegte. Eines Nachts begab
ed. fih durch Fügung des Liebesgottes, daß der Mond
ungewöhnlich hell ‚Leuchtete, und während Romeo eben
auf ihren Erker emporfteigen wollte, öffnete das Mädchen,
fei es nun zufällig, oder weil fie ihn in früheren Nächten
gehört hatte, das Fenſter, trat hinaus und fah ihn.
Er aber, in der Meinung, nicht fie, fondern fonft jemand
öffne den Balkon, wollte in den Schatten einer Mauer
fliehen. Sie erfannte ihn jedoch, rief ihn beim Namen
und fagte zu ihm: Was macht ihr hier um diefe Stunde
fo allein?
Er Hatte fie nun auch ſchon erkannt und antwortete: '
Wozu mic die Liebe treibt.
Menn man euch aber hier beträfe, fagte das Mäd⸗
hen, Eönntet ihr. nicht leicht ums Leben kommen?
Gnädiges Fräulein, antwortete Romeo, freilich könnte
ich leicht ums Leben kommen, und das wird auch eines
Nachts gefchehen, wenn ihr. mir nicht helft. Aber ba
AT, Romeo und Giulietta. 13
ich an jedem andern Orte dem Tod ebenfo nahe bin,
wie bier, fo will ich nur ſuchen, ſo nahe als moͤglich bei
euch zu ſterben, mit der ich doch ewig zu leben wünſchte,
wenn es dem Himmel und euch gefiele.
Darauf antwortete das Mädchen: Ich würde kein
Hinderniß ſein, wenn ihr in Ehren mit mir leben wollt;
wenn es nicht bei euch mehr Hinderniß fände oder bei
der Feindſchaft, die ich zwiſchen eurem und meinem Hauſe
beſtehen ſehe.
Ihr dürft mir glauben, verſetzte ihr der Juͤngling,
daß man nichts heftiger wünſchen kann, als ich unauf⸗
hörlich euch zu beſitzen wünſche, und deshalb, wenn es
nur euch ebenſo genehm iſt, die meinige zu ſein, wie ich
mich ſehne euch anzugehören, ſo thue ich es gern und
fürchte nicht, daß mich euch jemand entreiße.
Nach dieſen Worten verabredeten ſie, wie ſie in einer
der folgenden Nächte ſich mit mehr Muße ſprechen könnten,
und fo fhieden fie beide. Nachher Fam der Jüngling
mehrmals hin, um mit ihr Zwiefprach zu halten, und
als er fie eines Abends, da viel Schnee fiel, an dem
erfehnten Orte wieberfand, fagte er zu ihr: Ach, warum
laßt ihr mich fo ſchmachten? Faßt euch kein Erbarmen
mit mir, da ich euch allnaͤchtlich bei ſolchem Wetter hier
auf der Straße erwarte?
Das Fraͤulein antwortete: O ja, freilich dauert ihr
mich. Aber was ſoll ich denn thun? Soll ich euch
bitten, fortzugehen?
Darauf erhielt fie von dem Jüngling zur Antwort:
Laßt mid in euer Zimmer hinein, da fönnten wir be⸗
haglicher miteinander plaudern.
Darauf verſetzte die ſchöͤne Jungfrau faſt entrüſtet:
Romeo, ich liebe euch, ſo ſehr ich jemand lieben darf;
ja, ich geſtatte euch mehr, als ſich vielleicht mit meinem
guten Rufe vereinigen läßt; ich thue dies überwunden
von der Liebe und euern Vorzügen. Daͤchtet ihr aber,
„ durch langes Kiebeswerben oder ſonſt ein Mittel noch
—
14 Ä Xf. Luigi da Porto.
weiter als Liebhaber meiner Liebe zu genießen, fo gebt
diefen Gedanken alsbald auf, denn ihr müßtet doch mit
der Zeit euch von feiner gänzlichen Unhaltbarkeit überzeugen.
Um euch aber nicht weiter den Gefahren auszufegen, in
welchen ich euer Leben ſchweben fehe, wenn ihr jede Nacht
in diefe Umgebung kommt, fo fage ich euch, daß, wenn es
euch gefällt mich als eure Frau anzunehmen, ich bereit bin,
mich euch ganz Binzugeben und euch durchaus ohne Rüd-
fiht überall hinzufolgen, wohin es euch beliebt.
Dies ift mein einziger Wunſch, fagte der Süngling.
So gefchehe es denn gleich!
Es mag gefchehen, antwortete das Fräulein, aber es
muß hernach beftätigt werden in Gegenwart bed Krantid-
canerbruders Lorenzo, meines Beichtvaters, wenn ihr wollt,
daß ich mich euch ganz und unbefangen übergebe.
O, verſetzte Romeo, alſo ift der Btuder Lorenzo von
Reggio ber, der alle Geheimniſſe eures Herzens weiß?
Ja, fagte fie, und wir wollen zu meiner Beruhigung
lieber alles weitere bi8 auf ihn auffparen. |
Hiernach trafen fie denn vorfichtige Abrede über das,
was fie zu thun hätten, und trennten fich für dies mal.
Der erwähnte Mönd gehörte zum Orden der minderen
Brüder von der Obfervanz, war ein großer Philoſoph
und befchäftigte fich viel mit Verſuchen in der Natur-
kunde und Magie und mar mit Romeo zu fo Inniger
Freundſchaft verbunden, baf ein fefteres Verhaͤltniß zwi⸗
[hen zwei Männern in jener Zeit wol nicht zu finden
geweſen wäre. Denn, einmal um bei dem thörichten
Volke in gutem Rufe bleiben and dann, um einiger _
maßen das Vergnügen ber Freundfchaft zu genießen, fah
fi) der Mönch genöthigt, fi einem edeln Süngling ber
Stadt zu vertrauen. Unter allen hatte er nun Romeo
ausgemäblt, welcher gefürchtet, muthig und Plug war,
und ihm fein Herz ganz nadt und unverhüllt dargelegt,
das er fonft den andern durch Berflellung verborgen hielt.
Romeo ſuchte ihn daher auf und fagte ihm frei heraus,
47. Romeo und Giulietta. 15
wie er das geliebte Mädchen zur Frau wünfche und baf
fie miteinander verabredet haben, er allein folle der ge-
heime Zeuge ihrer Vermählung fein und barnad) ben
Mittlee machen, ſodaß ihr Vater nachträglich feine Zu-
ſtimmung ertheile. Der Mönch mar bamit einverftanden,
theils meil er Romeo nichts hätte abfchlagen können ohne
großen Schaden zu befahren, theils auch meil er meinte,
durch feine Vermittelung könnte bie Sache vielleicht zu
einem guten Ziele geführt werden; dies hätte ihm dann
große Ehre bei dem Fürſten bereitet: und bei allen denen,
welche bie Herſtellung ded Friedens zwifchen den beiben
Häufern wünſchten. Es mar Faftenzeit und das Mäb-
hen ftellte fich eines Tages an, als wollte fie beichten.
Sie ging in das Franciscanerklofter, trat an einen ber'
Beichtftühle, wie fie die Mönche dort haben, und ließ
nach dem Bruder Lorenzo fragen. Als. er hörte, baf
fie bier war, fam er von der Klofterfeite ber zugleich
mit Romeo in benfelben Beichtſtuhl, ſchloß die Thüre,
zog eine durchlöcherte Eifenplatte, welche die Jungfrau
von ihnen trennte, hinweg und ſprach zu ihr: Ich pflege
euch immer gerne zu fehen, mein Kind, aber jegt feid
ihr mir theurer, als je, wenn es fo tft, daß ihr meinen
Mefler Romeo zu eurem Gatten wollt.
Darauf antwortete fies Nichte wünſche ich ſchnlicher,
als ihm rechtmäßig anzugehören ; darum bin ich Bierher-
gefommen vor euch, in den ich großes Vertrauen fege,
damit ihr nächſt Gott Zeuge feid von dem, mas ich von
Liebe bezwungen zu thun vorhabe.
Darauf wurde denn vor dem Bruder, welcher das
ganze ald Beichtgeheimniß betrachten zu wollen verſprach,
fogleih Romeo mit dem fchönen Fräulein getraut und
zwifchen ihnen die Abrede getroffen, fie wollen bie fol-
gende Natht beifammen zubringen. Sie küßten fich fo-
dann einmal und fehieden von dem Mönd, welcher fein
Gitter wieder in die Mauer einfügte und noch anderer
Frauen Beichte hörte. So wurden denn die zwei Lie-
J
16 XI. Ruigi da Porto.
benden auf bie angegebene Welle Mann und Frau, ge:
noffen mehrere Nächte ihres Liebesglücks und hofften mit
der Zeit Mittel zu finden, um ben Vater der Frau zu
befänftigen, der wie fie wußten ihren Wünfchen entgegen-
ftand. Während deffen begab es fi, daß das Schickſal,
das jeder Luft der Welt feindlich in den Weg tritt, irgend
einen böſen Samen ftreute, aus welchem die faft. erftor-
bene Feindfchaft ihrer Häufer neu emporfproßte, ſodaß
ed mehrere Tage bunt durcheinander ging, bie Montecchi
nicht den Cappelletti und bie Gappelletti nicht den Mon- .
techi aus dem Weg gehen wollten und fich deshalb ein-
mal in der Wettrennenftraße*) in Maffe anftelen. Romeo
Fämpfte auch mit, hütete fi) aber aus Nüdficht auf feine
Frau einen von ihrer Familie zu erfchlagen; zufegt aber,
als viele von den feinigen verwundet und faft alle aus
ber Straße verjagt waren, übernahm ihn der Zorn, er
lief auf Tebaldo Gappelletti los, welcher der heftigfte
feiner Familie ſchien, ſtreckte ihn mit einem Schlage
tobt zu Boden und trieb die andern, welche ſchon durch
Tebaldo's Tod in Verwirrung mwaren, in eilige Flucht.
Man hatte fchon bemerkt, daß Romeo den Zebaldo er-
fhlagen, ſodaß alfo der Mord nicht verheimlicht werden
fonnte. Es wurde daher klagweiſe beim Fürften ange»
bracht, und alle Gappelletti fchrien immer nur über Romeo,
weshalb er denn von dem Gericht auf ewig aus Verona
verbannt wurde. Welchen Eindrul bie Nachricht von
diefen Vorfällen auf bie arme junge Frau machte, kann
jeder, der herzlich liebt, wenn er fi ch in ihre Lage binein-
denkt, leicht ermeflen. Sie weinte in einem fort fo heftig,
daß fie niemand zu tröften vermochte; und ihr Schmerz
war um fo herber, je weniger fie wagte, irgend jemand
ihe Unglüd zu entdecken. Andererſeits war dem jungen
Manne der Abfchied von der Vaterſtadt blos darum leid,
) Via del Corso heißen in vielen italiänifhen Stäpten die Haupt-
[eroden von dem alten Bolfsvergnügen des Wettrennend. So
Rom.
AT. Romeo und Biulietta. 17
weil er fie verlaffen mußte; und da er um feinen Preis
binweg wollte, ohne von ihr einen thränenreichen Abfchied
zu nehmen, und ihr Haus doch nicht befuchen durfte,
fo nahm er feine Zuflucht zu dem Mönche und es wurde
ihr durch einen mit Romeo befreundeten Diener ihres. Vaters
zu wiſſen getban, fie folle auch bahin kommen, mas fie
auch that. Sie gingen beide in ben Beichtftuhl und
beweinten miteinander heftig ihren Verluſt. Am Ende
aber fagte fie zu ihm: Was foll ich anfangen ohne euch?
Ich habe feine Freude mehr am Leben. Es wäre beſſer,
ich ginge mit euch, wohin ihr geht. Ich will mir diefe
Locken abfchneiden und wie eu Diener hinter euch her⸗
gehen, und ihr könnt von niemand beffer und treuer
bedient werden, ald von mir.
Da fei Gott vor, mein liebftes Leben, entgegnete ihr
Romeo, dag, wenn ihr mit mir kommen follt, ich euch
anders benn ald meine Gemahlin mit mir führe. Aber
da ich gewiß bin, daß die Sache nicht lange auf biefe
Art fortgehen Tann und daß Friede werben muß unter
unfern Familien, wo dann ich auch leicht von dem Sürften
kann begnadigt werben, fo meine ich, ihr ſollt einige
Tage leiblich von mir getrennt bleiben, denn mein Herz
iſt unaufhoͤrlich bei euch ; wofern fich aber bie Sachen
nicht ſo entwickeln, wie ich vermuthe, ſo können wir einen
andern Entſchluß faſſen über unſer künftiges Leben.
Nachdem fie dies unter fich verabredet, umarmten fie
fih taufend mal und trennten fi) mit Thränen. Die
Frau bat ihn dringend, ihr fo nahe als möglich zu bleiben
und nicht nad) Rom oder. Florenz zu geben, mie er ge⸗
fagt hatte. Wenige Tage darauf ging Romeo, der bis
dahin im Klofter des Bruders Lorenzo verborgen geblieben
war, aus der Stadt und begab fich in aller Stille nad)
Mantua, nachdem er zuvor dem Diener der Frau auf:
gegeben hatte, alles, was er von ihm in Beziehung auf
die Frau im Haufe höre, dem Mönd, fogleih zu wiffen
zu thun und alles, was fie ihm befehle, getreu zu voll-
18 XI. Luigi da Porto.
bringen, wenn er ben Reſt ber ihm verfprochenen Be⸗
lohnung zu erhalten wünſche. Romeo war ſchon längere
Zeit weggegangen und man fand bie junge Frau noch
immer in Thränen, ſodaß ihre große Schönheit barunter
litt und ihre Mutter, welche fie zärtlich liebte, ihr wie-
derholt mit ſchmeichelnden Worten ben Grund abzuloden
fuchte, weshalb fie fo heftig weine.
D meine Tochter, fagte fie, bie ich fo zärtlich als
mein Leben liebe, welcher Schmerz quält dich feit einiger
Zeit? Woher kommt es, daß bu Beinen Augenblid ohne
Thränen bleibſt? Wünſcheſt bu vielleicht etwas, fo thue
es mir allein Fund, denn in allem, foweit ich darf, werde
ich die Troſt zu ‚gewähren fuchen.
Defien ungeachtet gab ihre bie Tochter nur immer
unerheblihe Gründe für ihre Thränen an. Die Mutter
kam daher auf ben Gedanken, es fei ein heftiger Wunſch,
einen Dann zu befommen, an biefem Weinen ſchuld und
fie babe ihr died aus Scham oder Zucht verbeimlicht.
Daber fagte fie eine Tages zu ihrem Gatten in ber
Meinung, dadurch das Wohl ihrer Tochter zu fordern,
während fie doch auf ihren Tod losarbeitete: Meffere
Antonio, ich fehe ſchon längere Zeit diefe unfere Tochter
beftänbig fo heftig weinen, baß fie, wie ihr felbft wahr⸗
nehmen tünnt, fich gar nicht mehr gleich ſieht. Trotz allen
Bemühungen, die Urfache ihres Weinens von ihr zu er-
fahren, Tann ich doch nicht aus ihr herausbringen, woher
es kommt; und von felbft komme ich auch nicht auf bie
Beranlaffung, wenn es nicht vielleicht der Wunſch zu
heirathen ift, den fie in ihrer Keufchheit nicht auszu-
fpreden wagt. Ich meine daher, ehe fie ſich verzehrt,
wäre es gut, ihr einen Mann zu geben; fie war ja auf
legten Sanct Eufemien*) achtzehn Jahre vorüber, und
wenn die Frauen weit über biefe Zeit hinaus find, ver-
) Diefer Heiligen ift in Verona eine eigene aus dem dreizehnten
Sabrhundert flammende Kirche geweiht.
47. Romeo und Giulietta. 19
fiexen fie eher an Schönheit, als fie gewinnen. Sie
find ohnehin Feine Waare, die man lange aufs Lager
legen barf, obwol ich unfere Tochter durchaus in einem
Stücke anders Eenne abs höchſt fittfam. Überdles weiß
ih, daß ihr ihre Mitgift fchon längere Zeit bereit ‚liegen
habt. Mir wollen uns daher nach einem- anfländigen
Gemahl für fie umſehen.
Meffer Antonio antwortete, es wäre" ganz gut, fie
zu verheirathen, und "lobte feine Zochter ſehr, daß fie,
wenn fie den Wunfch dazu verfpüre, Kieber ihren Kum⸗
mer im fich verfchliege, als fi ihm oder ihrer Mutter
eröffne. Wenige Tage darauf knuͤpfte er auch wirklich
mit einem Grafen von Lodrone Unterhandlungen wegen
ihrer DBermählung an. Schon waren biefelben faft bis
zum Abſchluß gediehen, als die Mutter, in der Meinung
ihrer Tochter bie größte Freude zu machen zu ihr ſagte:
Jetzt freue dich, meine Tochter, denn in wenigen Tagen
ſollſt du mit einem vornehmen Edelmann würdig ver-
mählt werben und damit wird die Urfache deines Jam⸗
merd weggeräumt fein; denn wenn du fie mir auch
nicht haft entdeden wollen, fo bin ich doch mit Got-
tes Hilfe darauf gekommen, und babe es fchon bei
deinem Bater dahingebracht, daß dein Wunſch wird er⸗
füllt werden.
Auf dieſe Worte konnte das fhöne junge Weib ihre
Thränen nicht zurückhalten, weshalb die Mutter zu ihr
fagte: Glaubſt du, ich halte dich zum beften? Es wer-
den nicht acht Tage vergehen, fo bift du die Frau eines
ſchönen Junkers aus dem Haufe Lobrone.
Die Tochter aber verdoppelte auf dieſe Worte ihr
Weinen, weshalb die Mutter fehmeichelnd zu ihr fagte:
Ei, mein Kind, bift du denn nicht damit zufrieden?
Nein, meine Mutter, antwortete fie, und werde auch
nie damit zufrieden fein.
Aber was willft du denn? entgegnete bie Mutter.
Sag es mir, denn ich bin zu allem für dich bereit.
20 XI. Luigi da Porte.
Da fügte ihre Tochter: Sterben möchte ich und fonft
nichts.
Da merkte Madonna Giovanna (denn ſo hieß die
Mutter) als eine erfahrene Frau , daß ihre Tochter eine
Liebe habe, gab ihr daher eine gleichgiltige Antwort und
verließ ſie. Am Abend, als ihr Mann kam, erzaͤhlte
fie ihm, was ihr die Tochter unter Thraͤnen geantwortet
habe. Ihm misftel dies höchlich, doch dachte er es wäre
mohlgethan, ehe man in den Unterhandlungen über ihre
Dermählung einen weiten Schritt thue, um fi wit
irgendivie in Verlegenheit zu fegen, fih auf Kundſchaft
zu legen, mas denn ihre Anfiht von der Sache eigent«
lich fei. Er ließ fie daher eined Tages vor fich kommen
und fagte zu ihr: Biulietta*) (denn das war der Name
feiner Tochter), ih bin im Begriff dich ftandesgemäß zu
vermählen. Bift du damit zufrieden, mein Kind?
Die Zochter hatte eine Weile gefchwiegen, nachdem
der Vater zu fprechen aufgehört, antwortete aber fodann:
Nein, mein Vater, ich bin nicht damit zufrieden.
Wie? verfegte der Vater, willft du denn in ein
Nonnenklofter gehen?
Meſſere, fagte fie, ich weiß nicht.
Bei diefen Worten vergoß fie einen Strom von
Thränen. Da fprach der Vater zu ihr: Aber ih weiß
es, daß du das nicht willſt. Beruhige dich alfo, denn
ich beabfichtige dich mit einem Grafen von Lodrone zu
vermählen.
Darauf verjegte die Tochter heftig weinend: Das
wird nimmermehr gefchehen.
Meffer Antonio war darüber etzurnt und bedrohte
) Es iſt auffallend, daß der Name jegt erft genannt wird. Man
fönnte darin vieleicht mit einen Beweis finden, daß wir bier
wirklich die ältefte Bearbeitung der ſchoͤnen Sage vor uns haben
und daß dem Luigi da Porto das Berdienft der Erfindung oder
doch der erften Pünftlerifhen Geftaltung und Ausſchmückung der-
ſelben zufällt.
47. Romeo und Giulietta. 2
- fie heftig, wenn fie feinem Willen ferner zu wiberfprechen
fih erfühne, und überdies, wenn fie ihni den Grund
ihres Weinens nicht offenbare. Da er aber nichts aus
ihr herausbrachte, als Thränen, mar er über die Maßen
unwillig und ließ fie mit Mabonna Giovanna allein,
ohne zu erfahren, auf mas der Sinn feiner Tochter ge
richtet ſei. Die junge Frau ‚hatte dem Diener ihres
Vaters, welcher Mitwiffer ihrer. Liebe war und Pietro
hieß, alles, was ihre Mutter geiprochen hatte, wieder:
gefagt und vor ihm eiblich betheuert, daß fie eher frei«-
willig Gift trinken wolle, als je einen andern, ald Romeo,
zum Gemahl nehmen, mas ja gar nicht möglich wäre.
Hiervon hatte Pietro insgeheim verabredetermaßen durch
den Möndy Romeo benachrichtigt und diefer hatte an
Giulietta gefchrieben, fie fole um keinen Preis in ihre
Bermählung einwilligen und noch weniger ihre Liebe ge
ftehen, denn er werde höchſt wahrfcheinlich in acht bis
zehn Tagen Gelegenheit haben, fie aus ihrem elterlichen
Haufe zu entführen. Meffere Antonio und Madonna
Giovanna bemühten ſich unterdeß gemeinfam vergeblich
durch Schmeicheleien und durch Drohungen von ihrer
Tochter die Urfache zu erfahren, warum fie nicht heira-
then wolle, und gelangten auch fonft nicht auf die Spur
eines Liebeöverhältniffes. Oftmals hatte Madonna Gio-
vanna zu ihr gefagt: Sieh, meine füße Tochter, weine
jegt nicht mehr, denn du befommft ja einen Gemahl
nach deinen Wunfch; ja faft wenn es einer von den
Montecchi wäre, aus denen ich überzeugt bin, daß bu
Beinen wählen wirft.
Giulietta aber antwortete nie mit etwas anderem ale
mit Seufzern und Thränen. Dadurch kamen bie Eltern
in immer größere Beforgnig, und faßten den Entfchluß,
ihre verabredete Vermählung. mit dem Grafen von Lodrone
fo fehr als möglich zu befchleunigen. Als die junge Frau
dies hörte, wurde fie über die Maßen betrübt und wünfchte
in ihrer Nathlofigkeit fi) taufend mal des Tages den Tod
2 XI. Luigi da Porto.
herbei. Doch beichloß fie bei fi felbft, igren Schmerz
dem Bruder Lorenzo mitzutheilm, da fie naͤchſt Romeo
auf ihn die größte Hoffnung fegte und da fie von ihrem
Geliebten gehört hatte, daß er viele unglaublide Dinge
zu bewerkftelligen verfiehe. Daher fagte fie cines Tages
zu Madonna Giovanna: Meine Mutter, wundert euch
nicht, wenn ich euch bie Urfache meines Weinens nicht
fage, benn ich tenne fie felbft nicht; ich fühle nur be⸗
ftändig in meinem Innern eine foldhe Schwermuth, daß
mir alles miteinander, ja das Leben ſelbſt zumider if,
und ich kann mir nicht vorfielen, woher das rührt, wiel
weniger es euch, oder meinem Mater fagen, ed müßte
denn von einer begangenen Sünde herrühren, deren ich
mich nicht erinnere. Da nun die legte Beichte mich fehr
erleichtert bat, fo möchte ich, wenn ihr nichts dagegen
habt, wieder zur Beichte geben, damit ich an dem nachft
bevorftehenden großen Feſte im Mai‘zur Deilung aller
meiner Schmerzen die liebliche Arznei bes geheiligter
Leibes unſers Herrn empfangen kann.
Madonna Giovanna erflärte fich hiermit einverftanden.
Zwei Tage darauf führte fie fie nah San Francesco und
übergab fie dem Bruder Lorenzo, dem fie zuvor ſchon
bringenb gebeten hatte, er möge bie Urfache ihres Wei⸗
nens in der Beichte erforſchen. Gobald die junge Frau
fah, daß ihre Mutter fi etwas von ihr entfernt haste,
erzählte fie in aller Schnelle mit niedergefchlagener Stimme
dem Mönch ihren gangen Kunmer und. bat ihn bei der
Liebe und innigen Freundſchaft, meiche, wie fie wußte,
zwifchen ihm und Romeo beftand, er möchte ihr doch in
biefer äuferften Noth feine Hilfe nicht verfügen.
Was kann ich hier zu deinem beften thun, meine
Tochter, antwortete ber Mind da eine fo heftige Feind⸗
De zwifchen deinem Haufe und dem deines Gatten
eht?
Die betrübte Witwe ſagte darauf: Mein Bater, ich
weiß, Daß ihr vwieles zu bewerkſteligen im Stande feit
AT. Romeo und Giulietta. 23
und mir auf taufend Arten Helfen konnt, wenn ihr wollt.
Mögt ihr mir aber fonft feine Wohlthat erweifen, fo
vergönnt mir wenigftend das! ch höre, dag man Vor⸗
bereitungen zu meiner Hochzeit trifft in einem Palaſte
meined Vater, welcher zwei Meilen vor der Stadt gegen
Mantua zu liegt. Dort wollen fie mich binführen, damit
ich weniger Herz babe, meinen neuen Bräutigam abzu-
weifen; fobald ich dort bin, kommt dann der mir DBe-
flimnte au dahin. Gebt mir nun fo viel Gift, daß
ih mich von diefem Kummer und Romeo von folcher
Schmach befreien kann; wo nicht, ſo werde ich mir ein
Meſſer in den Leib ſtoßen, mas mir ſchwerer fällt und
ihm auch meher thut:
Als Bruder Lorenzo hörte, daß ihr Muth fo groß
war, und überlegte, wie fehr Romeo ihn in feiner Ge
walt babe, fobaß er ihm ganz ficher feind würde, wenn
er in dieſer Angelegenheit ihn nicht förderte, ſprach er
‚zu bee jungen Frau alfo: Sieh, Giulietta, ich bin, wie
bu weißt, Beichtvater von ber Hälfte dieſer Stadt und
ſtehe bei jedermann in gutem Ruf; auch wird fein Teſta⸗
ment gemacht oder Friede gefchloffen, wo ich nicht babei
wäre. Deshalb möchte. ich um alle Schäge ber Welt
nicht in einen Auffehen erregenden Handel mid, einlaffen,
noch wünſchte ich, daß man mich in der Sache irgend
fuͤr betheiligt haite. Dennoch will ich aus Liebe zu dir
und zu Romeo mich zu einem Schritte verſtehen, den
ich noch für niemand gethan habe, unter der Bedingung
jedoch, daß du mir verſprichſt, meinen Antheil daran
immer geheim zu halten.
Sie antwortete: Mein Vater, gebt mir nur unbeforgt
bas Gift, denm es foll nie jemand anfer mir davon er-
fahren. Ä
@ift, verfegte er, werde ich dir nicht geben, meine
Tochter! Es wäre allzuſehr Sund und Schade, wenn
du fo jung und fchon flerben folltefi. Wenn bu aber
über bich erhalten kannſt, etwas zu thun, was ich dir
24 XI. Luigi da Porto.
ſagen werbe, fo gebe ich dir mein Wort, daß ich Dich
ficher zu deinem Romeo bringen will. Du weißt, baf
die Gruft von euch Gappelletti fih außer dieſer Kirche
auf unferm Kirchhof befindet. Ich will dir ein Pulver
geben. Wenn du das trinkt, wirft du quf achtundvierzig
Stunden ober etwas mehr oder weniger in einen Schlaf
verfinten, daß jedermann auch der größte Arzt dich ent-
fchieden für tobt halten wird. Du wirft dann ohne
Zweifel, als wäreft du verfchieden, in der befagten Gruft
beigefegt, ich aber hole dich, fobald es Zeit ift, heraus
und behalte dich in meiner Zelle, bis ich zu dem Capitel
gehe, das wir in kurzem in Mantua halten. Alsdann
führe ih dich in unfere Ordenstracht verkleidet mit mir
zu deinem Gemahl. Aber fage mir, wirft du dich nicht
fürchten vor dem Leichnam deines Vetter Tebaldo, der
erft vor kurzem bort beigefegt worden ift?
Die junge Frau war fihon ganz heiter geworben und
fagte: Mein Vater, wenn ich nicht anders zu Romeo
kommen #önnte, fo würde ich furchtlos felbft durch Die
Höle zu wandern mid, erfühnen. |
Wohlan denn, fagte er, da bu fo geftimme bift, bin
ich bereit dich zu unterſtüten; aber ehe etwas geſchieht,
ſollteſt du, meine ich, mit eigener Hand Romeo das ganze
ſchreiben, damit er nicht dich tobt wähnenb aus Ber-
zweiflung irgend einen übereilten Schritt thue; denn ich
weiß, daß er bich über alle Maßen liebt. Ich ‚habe
immer Brüber, die nach Mantua gehen, wo er, mie bu
weißt, fich derzeit aufhält. Mache, daß ich den Brief bald
befomme, ben ih ihm dann durch eimen auoerläffigen
Boten fenden will.
Nach diefen Worten verließ der gute Mon (mie
wir benn immer fehen, daß ohne bie Theilnahme biefer
Männer nichts wichtiges zu einem rechten Ziele gedeiht)
die junge Frau in dem Beichtſtuhl, eilte in ſeine Zelle
und kehrte ſchnell zu ihr zuric mit einem kleinen m Gefahr
mit Pulver.
€
47. Romeo und Giulietta. 25
Nimm dies, ſagte er zu ihr, und trink es unbeſorgt,
wenn es dir recht ift, etwa um drei oder vier Uhr der
Nacht, in frifchem Waſſer! Um fechs Uhr ungefähr
wird es dann zu wirken anfangen -und unfer Anfchlag
muß uns unfehlbar gelingen. Vergiß aber nicht, mir
den Brief zu fehiden, den du an Romeo fchreiben mußt!
Es ift dies ſehr wefentlich. |
Biulietta nahm das Pulver, kehrte ganz heiter zu
ihrer Mutter zurüd und fagte zu ihre: In ber That,
Madonna, der Bruder Lorenzo ift der beſte Beichtvater
von der Welt. Er bat mich fo fehr erhoben, daß ich
von meiner frühern Traurigkeit gar nichts mehr weiß.
Madonna Giovanna, welche über der Heiterkeit ihrer
Tochter auch von ihrer Betrübniß verloren hatte, ant-
wortete: Wohlan, meine Tochter, nimm darauf Bebadht,
dag du ihn auch zumeilen wieder erhebeft durch unfere
Almofen, denn es find arme Mönche.
Unter diefen Gefprächen kamen fie nach) Haufe. Nah
diefer Beichte war Giulietta ganz ‚heiter geworden, fobaß
Meffer Antonio und Madonna Giovanna allen Verdacht,
fie möchte verliebt fein, aufgegeben hatten. Sie meinten
vielmehr, irgend ein unerflärlicher Anfall von Schwer⸗
muth babe das Weinen veranlaft, und hätten fie gern
vorläufig ungeftört gelaffen, und nichts weiter von einem
Mann geſprochen. Sie waren aber in der Sache ſchon
ſo weit gegangen, daß ſie ohne Schwierigkeit nicht zurück⸗
treten konnten. Als demnach der Graf von Lodrone
wünfchte, daß einer von feiner Familie das Fräulein fehe,
und Madonna Giovanna etwas kränklich war, wurde
verabredet, daß das Mädchen vön zweien ihrer Muhmen
begleitet auf das fchon erwähnte Kandgut des Vaters in
der Nähe der Stadt fich begebe. Sie widerfegte ſich
durchaus nicht und ging bin. Da fie nun der Meinung
war, ihe Vater habe fie fo plöglich bahingefhidt, um fie
ohne weiteres ihrem zweiten Gemahl in die Arme zu
werfen, hatte fie das Pulver mitgenommen, das ihr der
Italianiſcher Novellenſchatz. II. 2
26 XI. Luigi da Porto.
Mönch gegeben; gegen vier Uhr in ber, Nacht rief fie
eine Dienerin, melche mit ihr war erzogen worben und
die fie faft wie eine Schweſter bielt, Geh fih von ihr
einen Becher mit altem Waſſer geben und fagte, bie
Speifen bes Abendeſſens haben ihr Durſt gemacht.
Darein warf fie nun das Eräftige Pulver und tranf
den Becher ganz aus. Darauf fügte fie vor der Die-
nerin und einer ihrer Muhmen, weiche mit ihr aufge-
wacht war: Mein Vater wird mir gewiß gegen meinen
‚Willen keinen Mann geben, fo meit von mir abhängt.
Obgleich die Frauen, welche aus etwas grobem Teig
gebaden waren, fie das Pulver hatten teinten fehen,
‚von welchem fie behauptete, fie fhütte e# in das Waſſer
zur Abkühlung, und obgleich fie diefe Worte hörten,
fchöpften fie doch Zeinen Verdacht und merkten nichts;
vielmehr kehrten fie In ihr Bett zurück. Giulietta löſchte
das Licht, und ald die Dienerin weggegangen war, that
fie als müffe fie eines natürlichen Bedürfnifſes wegen
aufftehen, flieg aus dem Bette, zog alle ihre Kleider
wieder an und, kehrte dann ins Bett zurück, legte fi,
als hätte fie geglaubt fterben zu müffen, in demfelben
fo gut als moͤglich zurecht, faltete die Hände auf ber
Bruft und erwartete fo, daß der Trank feine Wirkung
thue. Es dauerte auch nicht viel über zwei Stunden,
fo lag fie wie todt da. WIE der Morgen fam und die
Sonne ſchon eine gute Weile aufgegangen war, fand
man das Fräulein in der Art, wie ich gefagt babe, auf
ihrem Bette liegend. Man wollte fie aufiweden, aber
umfonft, denn man fand fie ſchon faft ganz tal. Da
erinnerte fih die Muhme und die Dienerin bes Waſſers
mit dem Pulver, das fie am Abend getrunken Hatte,
und der Worte, die fie dabei gefprochen. Als fie ferner
bemerkte, daß fie fich angekleidet und felbft auf dem Werte
fo eigenthümlich hingelegt ‚hatte, bielten fie das Pulver
für Gift und fie felbft für unzweifelhaft tobt. Da erhob
fih unter den Frauen ein großer Lärm und Heulen;
47. Romeo und Giulietta. 27
befonber6 die Dienerin rief ihr oft beim Namen und
fagte: O Madonna, das war es alfo daß ihre fagtet:
Mein Bater wird mir gegen ‚meinen Willen feinen
Mann geben.
Ihr habt trügerifcher Weife von mir frifches Waffer
verlangt, das mir elenden euren herben Tod bereitet hat.
O ich unglüdfihe! ber wen foll ich am meiften Hagen,
über die todte oder über mich felbfit O Madonna, ich
habe euch mit meinen eigenen Händen das Waſſer ge-
bracht, damit ich umglüdliche auf ſolche Weife von euch
verlaffen werde! Ic allein habe euch mich, euren Vater
und eure Mutter auf einen Schlag getöbtet. Ha, warum
habt ihr im Tode die Gefellfchaft einer eurer Dienerinnen
verachtet, die ihre im Leben fo lieb zu haben fchienet?
Wie ich gern mit euch gelebt habe, fo wäre ich auch gern
mit euch geftorben.
Bei diefen Worten flieg fie auf bas Bett und fchlof
das feheintobte Fräulein feft in ihre Arme Meſſer An-
tonio, welcher in der Nähe war und ben Lärm gehört
hatte, eilte am ganzen Leibe zitternd in das Zimmer der
Tochter, und da er fie fo auf dem Bett liegen fah und
hötte, was fie in ber Nacht getrunken und gefprochen hatte,
ſchickte er, obfchon er fie für todt Bielt, doch zu feiner
eigenen Beruhigung fehnell zu feinem Arzte, den ex für
fehr gelehrt und erfahren hielt, nad ‚Verona. Diefer
kam, ſah das Fräulein und berührte fie etwas und er-
Härte, fie fei im Zolge des genommenen @iftes fchon
ſechs Stunden verfehieden. Als der unglüdliche Vater
dies hörte, brach er im eine grenzenlofe Wehklage aus.
Die Trauerkunde verbreitete fich fchnell von Mund zu
Mund und mar in furzem auch der. armen Mutter zu-
gelommen, welche plöglich von jeber Lebenswärme ver-
laffen wie tobt nieberfan® und als fie mit einem gellen
Schrei wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, fi mie
von Sinnen flug und den Namen ber geliebten Tochter
ausrufend die Luft mit Klagen füllte.
2*
236 XI. uigi da Porto. - '
Mönch gegeben; gegen vier Uhr in ber, Nacht rief fie
eine Dienerin, welche mit iht war erzogen morben und
die fie faft wie eine Schweſter bielt, ließ fich von ihr
einen Becher mit Falten Waſſer geben und fagte, bie
Speifen des Abenbeffens haben ihr Durſt gemadt.
Darein warf fie nun das Fräftige Pulver und tranf
den Becher ganz aus. Darauf fagte fie vor der Die-
nerin und einer ihrer Muhmen, welche mit ihr aufge
wacht war: Mein Vater wird mir gewiß gegen meinen
‚Willen keinen Dann geben, fo weit von mir abhängt.
Dbgleich die Frauen, welche aus etwas grobem Teig
gebaden waren, fie das Yulver hatten trinken ſehen,
‚von welchem fie behauptete, fie fehütte e# in das Waſſer
zur Abkühlung, und obgleich fie diefe Worte hörten,
fchöpften fie doch Leinen Verdacht und merften nichts;
vielmehr kehrten fie in ihr Bett zurüd. Giulietta löſchte
das Licht, und ald bie Dienerin weggegangen war, that
fie als müſſe fie eines natürlichen Bedürfniſſes wegen
aufftehen, flieg aus bem Bette, zog alle ihre Kleider
wieder an und, fehrte dann ind Bett zurüd, legte fich,
als hätte fie geglaubt fterben zu müffen, in bemfelben
fo gut als möglich zurecht, faltete bie Hände auf der
Bruft und erwartete fo, daß der Trank feine Wirkung
tue. Es dauerte auch nicht viel über zwei Stunden,
fo lag fie wie todt da. WIE der Morgen kam und die
Sonne ſchon eine gute Weile aufgegangen war, fand
man das Fräulein in der Art, wie ich gefagt habe, auf
ihrem Bette liegend. Man wollte fie aufweden, aber
umfonft, denn man fand fie ſchon faft ganz kalt. Da
erinnerte fich die Muhme und die Dienerin bes Waſſers
mit dem Pulver, das fie am Abend getrunken batte,
und der Worte, die fie dabei gefprochen. Als fie ferner
bemerkte, daß fie fich angekleidet und felbft auf dem Wette
fo eigenthümlich hingelegt hatte, bieten fie das Pulver
für Gift und fie feldft für unzweifelhaft tobt. Da erhob
fih unter den Frauen ein großer Lärm und Heulen;
47. Romeo und Giulietta. 27
befonders die Dienerin rief ihr oft beim Namen und
fagte: O Madonna, das war es alfo daß ihe fagtet:
Mein Bater wird mir gegen meinen Willen keinen
Mann geben.
Ihr habt trügerifcher Weiſe von mir frifches Waffer
verlangt, das mir elenden euren herben Tod bereitet hat.
D ich unglüdliche! Über wen foll ich am meiften Hagen,
über bie tobte oder über mich felbfit O Madonna, ich
habe euch mit meinen eigenen Haͤnden das Baffer ge:
bracht, damit ich unglüdliche auf ſolche Weife von euch
verlaffen werbe! Ich allein habe euch mich, euren Vater
und eure Mutter auf einen Schlag getöbter. Ha, warum
habt ihe im Tode bie Gefellfchaft einer eurer Dienerinnen
verachtet, die ihre int Xeben fo lieb zu haben ſchienet?
Wie ich gern mit euch gelebt habe, fo wäre ich auch gern
mit euch geftorben.
Bei biefen Worten flieg fie auf das Bett und ſchloß
das feheintodte Fräulein feft in ihre Arme Meſſer An-
tonio, welcher in der Nähe war und ben Lärm gehört
hatte, eilte am ganzen Leibe zitternd in das Zimmer der
Tochter, und ba er fie fo auf dem Bett liegen fah und
hötte, was fie in der Racht getrunken und gefprochen hatte,
ſchickte er, obſchon er ſie für todt hielt, doch zu ſeiner
eigenen Beruhigung ſchnell zu ſeinem Arzte, ben er für
fehr gelehrt und erfahren hielt, nach Verona. Diefer
fam, fab das Fräulein und berührte fie etwas und er-
Härte, fie fei in Zolge des genommenen Giftes fchon
ſechs Stunden verfchieden. Als der unglüdliche Vater
dies hörte, brach er in eine grenzenlofe Wehklage aus.
Die Trauerkunbe verbreitete fich fehnell von Mund zu
Mund und war in kurzem auch der armen Mutter zu-
gekommen, welche plöglich von jeber Lebenswaͤrme ver-
laffen wie tobt nieberfant und als fie mit einem gellen
Schrei wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, fih mie
von Sinnen fehlug und den Namen der geliebten Zochter
ausrufend die Luft mit Klagen füllte.
2%
28 XI. Luigi da Porto.
Ich fehe dich todt, rief fie, o meine Tochter, bu
einzige Ruhe meines Alters! Und wie haft du, grau-
fame, mic) verlaffen können, ohne beiner unglüdlichen
Mutter noch Gelegenheit zu geben, deine legten Worte
zu vernehmen? Ich hätte dir wenigſtens deine ſchoͤnen
Augen zugedrückt und deinen köſtlichen Leib gewaſchen.
Wie kannſt du mich das von bir hören laſſen? O liebſte
Frauen, die ihr da bei mir ſeid, helft mir ſterben, und
wenn noch ein Erbarmen in euch lebt, ſo laßt eure Hände
(wofern ein ſolcher Dienft nicht zu niedrig für euch ift)
mir eher das Kebenslicht auslöfchen, ald meinen Schmerz!
Und du, großer Vater im Himmel, da ich nicht fo bald
fterben fann, ale ich wünfche, entzeusch mit deinem Pfeile
mich mir felbft, da ich mir fo verhaßt bin.
Sie wurde fofort von einer ihrer Frauen aufgehoben,
. und auf das Bett gebracht, und andere fuchten mit vieler
Mühe fie zu tröften; aber fie hörte nicht auf zu weinen
und zu jammern. Das Fräulein wurde indeß von dem
Landgute, wo fie fi befand, nach der Stadt gebracht
und unter einer großen prunkhaften Leichenfeier, von allen
ihren Verwandten und Freunden bejammert, in der Gruft
des Kirchhofs bei San Francesco als todt beigeſetzt. Bruder
Lorenzo, welcher in Angelegenheiten des Kloſters etwas
aus der Stadt gegangen war, hatte den Brief Giulietta's,
den er an Romeo beſorgen ſollte, einem Moͤnch über-
geben, welcher nad, Mantua ging. Als dieſer dafelbft
ankam, ging er zwei oder brei mal in Romeo's Haus
und traf ihn unfeligermweife nie an; da er aber den Brief
nur ihm felbft einhändigen wollte, behielt er ihn noch
bei ſich. Dietro, welcher Giulietta todt glaubte, beſchloß
in größter Verzweiflung, da er den Bruder Lorenzo in
Verona nicht auffand, ſelbſt Romeo eine ſo ſchlimme
Kunde zu überbringen, wie ſie der Tod ſeiner Geliebten
ihm ſein mußte. Er ging deshalb des Abends aus der
Stadt nach dem Landgute ſeines Herrn zurück und wan⸗
derte in der Nacht ſo eilig nach Mantua, daß er ſchon
47. Romeo und Biulietta. 29
am Morgen bei Zeit daſelbſt anlangte. Er fand Romeo,
noch ehe diefer von dem Mönche den Brief feiner Gattin
erhalten hatte, und erzählte ihm unter Thränen, daß er
bie todte Giulietta babe beifegen fehen, berichtete auch
ausführlich, mas fie zulegt gethan und gefprochen habe.
Als dieſer folches. hörte, ward: er ganz blaß und halb
todt, züdte den Degen und wollte fich erftechen. Seine
Leute bielten ihn zwar zurüd, aber er fagte: Mein Leben
Tann in keinem Falle mehr lang dauern, da mein wahres
Keben geftorben if. D meine Giulietta, ich allein bin
fhuld an deinem Tode, da ich nicht, wie ich dir ge
fhrieben hatte, Fam, um dich deinem Vater zu entführen.
Du wollteft fterben, um mich nicht zu verlaffen, und id)
- follte aus Todesfurcht allein leben? Das fol nicht ge
ſchehen.
Und zu Pietro gewendet ſagte er, indem er ihm ein
Trauerkleid vom Leibe weg ſchenkte: Gehab dich wohl,
mein Pietro!
Pietro verließ ihn, Romeo ſchloß ſi ſich allein in ſein
Zimmer ein, und da ihm nichts unerträglicher fhien,
al8 ferner zu leben, überlegte er, was er nun mit fi
beginnen folle. Endlich verkleidete er fi als Bauer,
nahm ein Zläfchchen mit Schlangenmaffer, das er feit
langer Zeit für einen Nothfall in einer Schachtel auf:
bewahrt hatte, ftedte ed in feinen Armel und machte
fih auf ben Weg nach Verona, in der Ausficht, ent-
weder, wenn er erfannt würde, durd) die Hand der
Gerechtigkeit fein Leben zu verlieren, oder fi in ber
Gruft, deren Lage er wohl Eannte, mit feiner Geliebten
einzufchließen und dort zu fterben. Diefem legten Plane
war das Schickſal günftig; denn am Abend bes auf Giu-
lietta's Beifegung folgenden Tages Fam er nach Verona,
ohne von jemand erkannt zu werden, und wartete bie
Nacht ab. Als er nun alles in Schweigen begraben fah,
begab er fi) nach dem Minoritenklofter, wo die Gruft
fih befand. . Die Kirche ftand in der Cittadelle, wo da⸗
80 XI. Luigi da Porto. |
mals diefe Mönche wohnten. Später haben ſie diefelbe,
ich weiß nicht aus welchem Grunde verlaffen und ſich
in die Vorftadt von San Zeno gezogen, in das Kloſter,
das jetzt San Bernardino heißt*), wiewol es früher
dem Sanct Franz angehörte **). An den Mauern diefes
Kloſters befanden ſich damald außerhalb einige große
fteinerne Särge, wie wir fie an vielen Orten außerhalb
dee Kirchen finden. Einer derfelben war das alte Be-
gräbniß aller Cappelletti und bafelbft war auch das fchone
junge Weib. Daran lehnte fih Romeo (es mochte etwa
um vier Uhr der Nacht fein), bob, da er fehr träftig war,
mit Gewalt den Dedel hinweg und nachdem er ihn mit
‚ein paar Hölzern, die er mitgebracht, fo gefpeibelt hatte,
dag er gegen feinen Willen nicht zufallen konnte, trat er
hinein und ſchloß fodann den Sarg. Der üunglüdielige
Jüngling hatte eine Blendlaterne mitgebracht, um feine
Frau noch ein wenig au fehen. Sobald er in ber Gruft
verfchloffen war, zog er diefelbe hervor und machte fie auf.
Da ſah er denn feine fchöne Giulietta unter Knochen und
Gegen von vielen Tobten felbft wie todt liegen. Darüber
brach er alsbald in heftige Thränen aus und fing alfo an:
D ihr "Augen, die ihr meinen Augen helle Lichter waret,
jo lang es dem Himmel gefil! O Mund, von mir
taufend mal fo füß gefüßt und von dem man fo Fluge
orte vernommen! D fchöne Bruft, die mein Herz
in folcher Wonne beherbergt! Nun ich euch hier blind,
ſtumm und alt mwieberfinde, wie ſoll ich ohne euch fehen,
fprechen und leben? Ach meine unglüdliche Frau, wohin
hat dich die Liebe geführt, deren Wille es ift, daß ein
fo enger Raum zwei beteübte Xiebende vernichte und be⸗
herberge? Weh mir, waren das die Vorfpiegelungen der
Hoffnung und der Sehnſucht, welche mich zuerft.in Liebe
) Nah Foͤrſter's Reiſehandbuch (zweite Aufl. &. 530) ift die
Kirche San Bernardino um 1452 erbaut.
») Eine denfelben darftellende Sculptur aus dem vierzehnten Jahre
hundert befindet fih über dem Portal der Kirche nolh jetzt.
47. Romeo und Giufiette. 931
zu dir entflammten? O mein unfelige® Leben, was foll
nun bein Zeitftern fein?
Bei diefen Worten füßte er ihr Augen, Mund und
Bruft und wollte ganz in Ihränen zerfchmelzen. Unter
feinem Weinen rief er: Ihr Mauern, die ihr über mir
fteht, warum fallt ihr nicht über mich ber, mein Leben
abzukürzen? Aber da ja offenbar der Tod einem jeben
in feine Gewalt gegeben ift, wäre ed doch gewiß höchſt
niederträchtig, ihn zu wünfchen und nicht zu nehmen.
Darum zog er dag Flaͤſchchen mit der feharfgiftigen
Flüſſigkelt, das er im Armel verwahrte, heraus und fuhr
alfo zu fprechen fort: Ich weiß nicht, welches Geſchick
mic, dahin führt, daß ich auf meinen Feinden, auf ben
von mir Erſchlagenen in ihrem Grabe fterben muß. Da
aber neben unferer Geliebten zu fterben eine Wonne ift,
mein Herz, fo laß und fterben!.
Damit fegte er das graufame Waſſer an die Lippen
und fchlang es ganz binunter. Darauf nahm er das
geliebte Weib in die Arme, drückte fie. feft an fih und.
fprah: O ſchöner Leib, Iegtes Ziel aller meiner Sehn⸗
fucht, wenn bir. ein Gefühl übriggeblieben ift nach der
Seele Scheiben, oder wenn fie meinen granfen Tod fiehet,
fo bitt ich dich, e8 möge ihr nicht misfallen, wenn ich
nicht glüdlih und vor aller Welt mit bir leben durfte,
daß ich wenigſtens insgeheim und traurig mit dir fterbe.
Und fo erwartete er, fie eng umfaßt haltend, den Tod,
Erndlich war die Stunde gekommen, wo die Lebenswärme
der jungen Frau die gewaltige erſtarrende Kraft des Pul⸗
vers überwinden und fie wieder ermachen mußte. Gebrüdt
und gerüttelt von Romeo ermwachte fie daher in feinen
Armen, und als fie: wieder bei ſich war, ſagte ſie nach
einem ſchweren Seufzer: Weh mir, wo bin ich? Wer
umfaßt mich unglückliche? Wer küßt mich?
Sie meinte, es ſei der Bruder Lorenzo, und rief:
So alſo, Moͤnch, haltet ihr Romeo Treue? Auf dieſe
Weiſe alſo wollt ihr mich ſicher zu ihm führen?
32 XI. Luigi da Porto.
As Romeo merkte, daß die Frau lebe, verwunderte
er ſich fehr, erinnerte fich vielleicht bed Pygmalion und
fagte: Kennt ihr mich nicht, meine füße Frau? Seht
ihr nicht, daß ich euer betrübter Gatte bin, allein und
heimlich von Mantua gelommen, um bei euch zu fterben?
As Biulietta merkte, daß fie in der Gruft war und
einem Manne in den Armen lag, der fi für Romeo
ausgab, Fam fie faft von Sinnen. Sie drüdte ihn etwas
von fih und fchaute ihm ins Gefiht, und da fie ihn
fogleich erfannte, umarmte fie ihn, gab ihm taufend Küffe
und fprach: Welche Thorheit bewog euch, hier herein zu
fommen und mit folder Gefahr? War es nicht genug,
daß ihr aus meinen Briefen erfahren habt, mie ich mich
mit Hilfe des Bruders Lorenzo tode fielen wolle, um
dann in kurzem bei euch zu fein?
Da merkte der unglüdfelige Jüngling feinen großen
Irrthum und rief: D mein betrübtes Loos! O unfeliger
Romeo, des Schmerz allen andern Liebesfchmerz über-
trifft! Ich Habe eure Briefe hierüber nicht erhalten.
Weiter erzählte er ihr, wie Pietro ihren verftellten
Tod ihm al& wahr gemeldet. In der Meinung, fie fei
geftorben, habe er, um ihr im Tode Gefellfchaft zu leiſten,
neben ihr Gift genommen, welches fehr ſcharf fei, ſodaß
er fchon den Tod ſich durch alle Glieder rinnen fühle.
Als das unglüdliche junge Weib folches hörte, warb fie
vom Schmerz fo übermannt, daß fie fich nicht anders zu
helfen wußte, als daß fie ihre ſchönen Loden ausraufte
und ihre unfchuldige Bruſt zerſchlug. Romeo, welcher
fhon rüdlings hingeſunken war, küßte fie häufig und
übergoß ihn mit einem Meer von Thränen. Blaͤſſer als
Aſche und ganz zitternd ſprach fie: Alfo müßt ihr in
meiner Gegenwart und durch meine Schuld fterben, mein
theurer Herr? Und wird der Himmel zugeben, dag ich
nach euch, wenn auch nur kurz, lebet Ich unglüdliche!
* ich wenigſtens euch mein Leben ſchenken und allein
erben!
47. Romeo und Giulietta. 33
Darauf antwortete Romeo mit matter Stimme: Henn
euch meine Treue und meine Liebe je theuer war, meine
lebende Hoffnung, fo befhwöre ich euch dabei, daß ihr
euch nach mir das Leben nicht misfallen laffet, wäre es
auch nur, um wenigſtens das Gebächtniß deffen zu er-
halten, der von eurer Liebe ergriffen um duretwillen vor
euren fchönen Augen binftirbt.
Die Frau antwortete: Wenn ihr um meines verftellten
Zodes willen fterbt, was fol ich thun um eures nicht
verftellten willen? Es ſchmerzt mich allen, daß ich nicht
jest hier in eurer Gegenwart ein Mittel zu flerben fehe,
und ich bin mir felber verhaßt, daß ich fo lange lebe;
aber ich hoffe, es wird nicht lange dauern, bie ich, wie
ich die DVeranlaffung eures Todes geworben bin, fo aud)
die Theilhaberin defjelben werde.
Mit Mühe hatte fie diefe Worte ausgefprochen, ale
fie wie todt zurüdfant. Wieder zu fich gekommen be-
mühte fich die unglüdliche, mit ihrem fchonen Munde
die legten Athemzüge ihres theuren Liebhabers aufzufaffen,
welcher mit fehnellen Schritten feinem Ende entgegeneilte.
Bruder Lorenzo hatte unterbeffen gehört, wie und wann
die junge Frau das Pulver eingenommen und daß fie
ald todt beigefegt worden war. Da er demnach wußte,
daß der Zeitpunkt gefommen war, mo die Wirkung diefes
Pulvers zu Ende ging, nahm er einen vertrauten Ge-
noffen zu fid) und kam, vielleicht eine Stunde vor Tag,
an die Gruft. Als er dort anlangte und fie meinen
und jammern hörte, auch durch die Spalte bed Deckels
fchauend ein Licht drinnen erblidte, verwunderte er ſich
fehr und meinte, die Frau müſſe auf irgend eine Weiſe
die Leuchte mit fich bineingenommen haben, und nun,
da fie erwacht fei, werde fie aus Angſt vor einem Todten,
oder: vielleicht au8 Beſorgniß, immer an dieſem Drte ein-
et zu bleiben, fich befümmern und fo. weinen.
Mit Hilfe feines Begleiters ‚öffnete er fchnell das Be⸗
gräbniß, erblidte Giulietta, welche mit zerrauften Haaren
EL,
34 XI. Aigi da Porto.
und vom. Schmerz verflört daſaß und ihren halbtobdten
Geliebten auf den Schooß genommen hatte, und fagte zu
ihr: Alfo fürchteteft du, meine Tochter, ich laſſe dich hier
umlommen ?
Als fie den Mönch erblickte, verboppelte fie ihre Klage
und fagte: Nein, vielmehr fürchte ich, ihre möchtet mich
mit dem Leben von binnen führen. Um Gottes Barm-
herzigkeit willen verfchließt das Grab und geht von binnen
und laßt mi hier fterben; ober reicht mir ein Meffer,
daß ich es in meine Bruft ſtoßend mich von allem Jam⸗
mer befreie! D mein Vater, mein Bater! hr habt
meinen Brief gut überliefert! ch werde fchön vermaͤhlt
werden! Ihr werdet mich fon zu Romeo geleiten!
Seht ihn hier tobt in meinem Schoof!
Sie erzählte ihm den ganzen Hergang und zeigte ihn:
Romeo. Als Bruder Lorenzo folches hörte, mar er wie
wahnfinnig. Er fah den Jungling an, welcher im Be-
griff war, ins andere Leben zu wandern, rief ihn unter
vielen Thränen beim Namen und fprad: O Romeo,
welcher Unftern bat mir dich geraubt? Sprid auch ein
wenig mit mir! Erhebe zu mir noch ein menig beine
Augen! D Romeo, fieh beine innig geliebte Giulietta,
welche bich bittet, dich anzuſchauen! Warum antworteft
nu a wenigftens ihr, in deren fchönem Schooße du
git?
Romeo erhob hei dem theuren Namen ſeiner Gattin
etwas ſeine matten von dem nahen Tode ſehr beſchwerten
Augen und ſchloß ſie wieder, nachdem er ſie geſehen.
Bald darauf, als der Tod ihm durch alle Gueder fuhr,
krümmte er ſich lang, ſtieß einen kurzen Seufzer aus
und verſchied. Als der unglückliche Liebhaber auf bie
befchriebene, Weiſe geftorben war, fagte der Mönch nach
beftigem Weinen, als ſchon der Tag anbrach, zu der
Frau: Und du, Giulietta, mas willft bu beginnen?
Raſch entfchlaffen antwortete fie: Hier will ich fierben.
Wie, meine Tochter? fagte er; ſprich nicht alfo!
47, Romeo und Giulietta. 3
Komm heraus! Wenn ich auch jegt noch nicht weiß,
was ich mit bir anfangen ſoll, fo bleibt dir doch immer
offen, dich in einem frommen Klofter zu verfchließen und
dafelbft immer Gott für dic und deinen verftorbenen
Gemahl zu bitten, wenn er es nöthig hat.
Die Frau aber antwortete: Mein Vater, ich verlange
nicht8 mehr von euch, als die eine Güte, die ihr in Erin-
nerung an die Xiebe, die ihr zu dem feligen hier (dabei
wies fie auf Romeo) getragen, mir nicht verweigern
werdet, nämlich daß ihr unfern Tod nie bekannt macht,
damit unfere Leichname immer in diefem Grabe beifam-
men bleiben können; und wenn je unfer Tod bekannt
würde, fo bitte ich euch um jener eurer Kiebe zu Romeo
willen, daß ihr. in unfer beider Namen unfern unglück⸗
lichen Bater bittet, denen, die bie Kiebe in dem gleichen
Feuer verzehrt und zum gleichen Tode geführt bat, nicht
zu erfchweren, in einem und bemfelben Grabe zu liegen.
Damit wandte fie fich zu dem neben ihr liegenden
Leichnam Romeo’s, beffen Haupt fie auf ein Kopfliffen
gelegt hatte, das man mit ihr in der Gruft gelaffen,
drüdte Ihm die Augen zu, babete fein kaltes Angeficht -
mit Thränen und ſprach: Was foll ich ohne dich ferner
am Leben thun, mein Gebietert Was bleibt mir fonft
nach Dir zu erreichen übrig, als daß ich die im Tode
folge? Gewiß nichts, damit von dir, von dem nur ber
Tod mich trennen konnte, der Tod felbft mich nicht ewig
trenne.
Nachdem fie dies gefagt, ftellte fie fi, ihr großes
Unglüd recht lebhaft vor die Seele, gedachte an den
BDerluft ihres theuren Geliebten, faßte den feften Ent-
ſchiuß, nicht länger zu leben, hielt Tange den Athem an
fih und als fie ihn nicht mehr halten konnte, firömte
fie ihn aus mit einem heftigen Schrei und fiel über den
Leichnam tobt bin. Als Bruder Lorenzo merkte, baf
bie Frau todt war, machte ihn das Mitleid ganz betreten
und er wußte fich nicht zu rathen. Ihn und feinen
36 ‚ Al 2uigi da Porto.
Begleiter faßte ber Schmerz im innerftien . und fie be
welnten herzlich bie geftorbenen Liebenden. Da kamen
auf einmal die Leute bed Schultheifen dazu, welche einen
Dieb verfolgten. Sie fanden beide weinend an ber Gruft,
in welcher fie Licht erblidtn, und eilten faft alle herzu.
Sie nahmen die Mönche in ihre Mitte und ſprachen:
Mas macht ihr hier, ehrwürdige Herren, um biefe Stunde?
Ubt ihr nicht eine Miffethat aus an biefem Grabe?
As Bruder Lorenzo die Häfcher hörte und erkannte,
hätte er todt umfinten mögen. Er ſprach aber zu ihnen:
Komme mir Peiner zu nahe! ch bin nicht euer Dienft- '
mann. Wollt ihr etwas, fo verlangt es von ferne!
Da fagte ihe Führer zu ihm: Wir wollen wiffen,
weshalb ihr die Gruft der Cappelletti alfo eröffnet habt,
wo erft vorgeftern ein Fräulein aus der Familie beige-
fegt worden if. Wenn ich nicht euch, Bruder Lorenzo,
als einen mwohlgefinnten Mann Eennte, fo würbe ich fagen,
ihr ſeid hierhergekommen, um die Todten zu plündern.
Die Mönche loͤſchten das Licht und antworteten:
Was wir thun, das follft du nicht wiſſen, denn es gebt
dich nichts an. on
Sener verfegte: Allerdings, aber ich werde es dem
Fürſten anzeigen.
Bruder Lorenzo, den die Verzweiflung ruhig machte,
entgegnete hierauf: Sag es immerhin!
Damit ſchloß er das Begraͤbniß mit feinem Begleiter
und ging in bie Kirche. Der Tag mar faft fehon ganz
hell, als die Mönche fih von den Haͤſchern losmachten.
Daher überbrachte einer der Iegtern alsbald einem ber
Cappelletti die Nachricht, was mit diefen Mönchen vor-
gefallen ſei; biefe wußten vieleicht wol auch, daß ber
Bruder Lorenzo mit Romeo befreundet war, und wandten
fi daher ſchnell an den Fürften mit der Bitte, er möge,
wenn es nicht anders gehe, durch Gewalt aus dem Mönch
berauszubringen ſuchen, mas er in ihrem Begräbniß zu
ſuchen habe. Der Fürft ſtellte Wachen aus, daß der Diönch
47. Romeo und Giulietta. 37
nicht entweichen konnte, und ſchickte nach ihm. Er wurbe
‚gewaltfam vor ihn geführt und ber Fürft fragte ihn: Was
fuchtet ihr diefen Morgen. in bem Grabe ber Cappelletti?
Sagt es uns, benn wir mollen es durchaus wiffen.
Darauf antwortete der Mönch: Mein Fürft, ich will
das euer Gnaden recht gerne fagen. Ich war der Beicht-
‚vater der Tochter des Meffer Antonio Gappelletti, welche
vor einigen Tagen auf fo unerwartete Weife geftorben ift,
und da ich fie fehr liebte ald meine geiftlihe Tochter und
mich nicht bei ihrer Leichenfeier einfinden Tonnte, ging
ih Hin, um über ihr gewiffe Gebete zu fprechen, welche,
wenn fie neun mal über einem Leichnam gefprochen werben,
bie Seele von der Pein bes Fegefeuers erlöfen. Weil
wenige dies wiffen und biefe Dinge verftchen, fagen bie
Thoren, ich fei Hingegangen, um. die Todten zu berauben.
Ich weiß nicht,. ob ich zu einer Räuberbande gehöre, wenn
ich diefe Dinge thue. Mir genügt diefer geringe Mantel
und diefer Strick, und ich würde von allen Schägen ber
Lebenden zufammen kein bischen nehmen, gefchweige denn
von ben ‚Kleidern zweier Todten. Sie thun nicht wohl,
die mich auf ſolche Weiſe tabeln.
Der FZürft hätte dies um ein Meines geglaubt, wenn
nicht viele Mönche, welche dem Lorenzo übelwollten, als fie -
hörten, daß man Bruder Korenzo auf dem Grabe gefun-
den habe,. Zuft bekommen hätten, daffelbe zu öffnen. Sie
machten ed auf und als fie den Leichnam des Liebhabere
barin fanden, wurde es plöglich mit größtem Lärm bem
Fürften, welcher noch mit dem Mönche fprach, gemelbet,
wie in der Gruft der Cappelletti, an welcher der Bruber
bei: Nacht betroffen worden fei, Romeo Montecchi tobt
liege. Dies fchien allen faft unmöglich und das Erſtaunen
- war allgemein. Ws der Bruder Lorenzo dies hörte und
einfah, daß er num nicht mehr verfchweigen könne, was
er fo gern verheblt. hätte, fiel er vor dem Fürften auf
die Knie ‘und fagte: Verzeiht mir, mein Fürſt, wenn ich
euer Gnaden auf euer Begehren eine Täufchung erwi⸗
38 XI. Zuigi da Porto.
bert habe, denn es geſchah nicht aus Bosheit noch um
Gewinnes willen, fondern um zwei armen geftorbenen
Liebenden mein Wort zu halten.
So machte er denn von bem ganzen Hergang einen
kurzen Abriß und erzählte bie Gefchichte vor vielen Zeugen.
Als Bartolomımeo della Scala dies hörte, konnte er ſich
vor Mitleid der Thranen nicht enthalten, er begehrte
ferbft die Leichen zu fehen und begab fich mit einer
geoßen Menge Volks an das Grab. Er ließ die beiden
Liebenden herausbringen in die Kirche von San Francesco
und auf zwei Teppiche legen. Unterdeſſen kamen ihre
Bäter auch in die Kirche, vergoffen Thränen über ihren
geftorbenen Kindern und in doppelt regem Erbarmen
fchloffen fie, obgleich bisher Feinde, fi in die Arme,
ſodaß die lange Feindfchaft, die zwifchen ihnen und ihren
Häufern beftanden, und welche nicht Bitten von Freunden
noch Drohungen bes Fürften noch erlittener Schaden noch
feibft die Zeit hatte auslöfchen können, durch den erbärm-
lichen und Bläglichen Tod ber beiden Liebenden eine End-
ſchaft erreichte. Es wurde ein fchönes Denkmal beſtellt,
auf welches in wenigen Tagen die Urfache ihres Todes
eingegraben werden ſollte, und ſo wurden die zwei Lie⸗
benden mit größter würdigſter Feierlichkeit unter den
Thranen und dem Geleite des Fürſten, der Berwandten,
ja der ganzen Stadt beigeſetzt. Dieſes klägliche Ende
hatte die Liebe Romeo's und Giulietta's, wie ihr. gehört
habt und wie mir es Pellegrino von Verona mittheilte.
O du treue Kiebe, die du in den rauen vor alters
walteteft, wohin bift du gefommen? In welcher Bruft
berbergft du heutzutage? : Welche Frau würde es jego
machen, wie bie treue Giulietta bei ber Leiche ihres Ge⸗
liebten? Wann wirb ber ſchoͤne Rome diefer Frau von
den gewandteften Zungen aufhören gepsiefen zu werben?
Wie viele gäbe es jegt, die den Geliebten nicht fo bald
fterben fähen, als fie ſchon daran dächten, einen andern
aufzufinden, geſchweige an feiner Seite zu flerben? Denn
\
471. Romeo und Giulictta. 39
wenn Ay ſehe, daß gegen alle Forderung ber Vernunft,
zum Lohn für alle Treue und redliche Dienfte, manche
Srauen ihre Liebhaber, bie fie fonft heiß geliebt, nicht
aach⸗ Ebr ſchon nach einem Schlage des
Geſchicks vergeſſen und verlaſſen, was ſoll man von ihnen
erwarten, daß ſie nach dem Tode thun werden? Wehe
den Liebhabern unſerer Zeit, die weder fuͤr lang erprobte
treue Dienſte noch dadurch daß ſie den Tod für ihre
Damen wagen, hoffen dürfen, daß dieſe mit ihnen ſterben
moͤchten, vielmehr ſich überzeugt halten können, denſelben
meiter hinaus nicht mehr theuer zu fein, als fo lange ſi fie
rüftig für Befriedigung ihrer Debürfniffe zu wirken im
Stande find!
XH. Francesco Marie Molza.
1489.
48. Schlimmer und fohlimmer!
In Parma einer fehr berühmten Stadt in ber Lom⸗
bardei lebte vor nicht gar langer Zeit ein Wollkrämpler
Namens Gineſe, und weil er von Mantua abzuftammen -
behauptete, gab man ihm den Beinamen der Mantuaner.
Da fi biefer nun einfam fühlte und dabei im Verhältniß
zu feines gleichen wohlhabend, entfchloß er ſich ein Weib
zu nehmen, und da ihm eine Nachbarin gefiel, wußte er,
obwol ſchon etwas bei Jahren, fo geſchickt um fie herum-
zufcherwenzen, daß er feinen Wunſch erreichte. Er hei-
rathete fie fo ſchnell wie möglich und führte fie heim mit
ihrem Sohne, welcher Ghedino hieß und etwa achtzehn
Jahre alt war; die Frau hatte benfelken von einem frü-
beren Gatten. Der Mantuaner begann, um biefe feine
Familie zu erhalten, mit dem Beibringen feiner Frau
Handel zu treiben und war fo thätig, daß er bei feiner
Gefchidlichkeit in feinem Handwerk ganz froh und heiter
lebte und fi gute Zage machen konnte. Als er nun
fah, daß es ihm in allen Stüden nah Wunſch ging,
dachte er darauf, wenn ſich Gelegenheit böte, auch feinem
Stiefſohn Ghedino ein Weib zu geben, dann Fönnten fie
alles mit dem Beibringen von bdeffen Frau zufammen-
werfen, ihren Wohlſtand bedeutend erhöhen und mit ber
Zeit reich werben. Er rief ihn daher eines Tages beifeit
und fprad zu ihm: Mein Sohn, wer heutzutage nicht
Vermögen befigt, der gilt für ein Vieh, ber aber, ber
etwas hat, gilt am meiften; darum ficht es jedermann
4‘
48. Schlimmer und ſchlimmer! 41
wohl an, nicht nur zu erhalten, was er hat, fondern
auch, es fo viel al& möglich zu vermehren. Wie du fiehft,
bift du jegt groß, und barum wäre es wohlgefhan, wenn
du für dich und zugleich für unfer ganzes Haus forgteft,
damit, wenn ich abgehe, du ohne fremde Hilfe allein im
Stande bift, deine Angelegenheiten zu beforgen und dein
Leben zu erhalten. Um dies zu erreichen, weiß ich feinen
Weg, ber mir beffer gefiele, als daß bu dich dazu ver⸗
ftehft, ein Weib zu nehmen, und mit der Mitgift, welche
dir zufließt, und der Unterftügung, welche ich andererfeits
dir gewähre, wirft bu fehen, daß aldbann feiner deines
gleichen hier beffer fteht, als du. Laß alfo diefe meine
Worte Eingang bei dir finden und nimm den Rath an,
ben ich die treulich veiche!
Ghedino nahm es in Überlegung. und fagte, er fei
ganz einverftanden, vorausgefegt, daß es mit Zuftim-
mung von Monna Moneta (fo hieß feine Mutter) ge
fchehe, denn es fei dies fein eigener Wunſch ah, Es
waͤhrte daher nicht lange, fo nahm er ein ſehr ſchönes
feifches und äußerſt Fräftiges Mädchen zur Frau, die
vielleicht für fein Wefen nur allzurüftig war. Nach der
Hochzeit war er forgfältigft bemüht, den Unterweifungen
feines Stiefvaterd nachzukommen. Während er nun täglich
in die Bude ging und es fich fauer werben ließ, geſchah
ed, daß der Mantuaner dermaßen mit dem Weibe Ghe-
dino's vertraut wurde, daß er dachte, wenn ihm diefer
von feinen Gefshäften bei Tag abnehnte, fo dürfe er das
junge Weib nicht unter ber Abwefenheit des Gatten leiden
laffen; nahm fich daher vor, nach Leibesträften die Lüde
auszufüllen, welche diefe feiner Meinung nach fühlen müſſe.
Er übertrug ihm daher jeden Tag neue Geſchäfte und nö⸗
thigte ihn damit, fich möglichft lang aus dem Haufe ent⸗
« feent zu halten; namentlich veranlaßte er ihn morgens in
aller Frühe aufjuftehen. Der Mantuaner trieb diefen
Handel ſchon eine gute Weile, bis einer fam und dem
Ghedino ind Ohr raunte: Ghedino, ich weiß nicht, wie
42 | XII. Francesco Marin Molza.
du di mohlfühlen kannſt, ba bu eime junge Frau haft.
die fo ganz -frifh in dein Haus gelommen, und bu did)
fo oft von ihr entfernft, zumal in der Zeit, welche bie
Männer dem Bergnügen der Weiber widmen ſollen.
Was würdeft du machen, wenn fie, am Morgen fo frübe
von dir im Stich gelaffen ſich an einen wendet, ber ihr
beſſer Geſellſchaft leiftet, als du?
Bei alle dem fchöpfte der Strohkopf noch keinen Ber-
dacht, fuhr vielmehr in der angegebenen Weiſe fort. und
ließ dem Mantuaner allen Spielraum, das zu erreichen,
was er fo, ſehnlich wünfchte, nämlich theils durch den be⸗
fländigen Arger, ben ihr ihr Mann verurfachte, theils
durch die Bequemlichkeit und geſchickte Gelegenheit, welche
er felbft ihr bot, das fchöne Weibchen feinen Wünfchen
fügfam zu machen. So fiellte er fich denn auch einmal
nad) ber zmifchen ihnen getroffenen Verabredung -gegen
Monna Moneta ganz tieffinnig und nachdenklich und er-
klärte, er müſſe in Gefchäften von großer Wichtigkeit
ausgehen. Sobald er daher merkte, daß Ghebino auf-
geftanden war, erhob er ſich von der Seite der Monna
Moneta, welche nichts davon ahnte, und fchlich fich heim⸗
lid an die Seite der jungen Frau, welche in einem an-
bern Zimmer nicht weit von dem ihrigen fohlief. Der
Zufall wollte, daß an diefem Morgen Ghedino in der
Eile ein paar Karbätfchen vergeffen hatte, welche er den
Tag zuvor new gekauft, auch hatte er die alten nicht
mitgenommen. Er bemerkte auch feine Vergehlichkeit erſt,
als er mit leeren Händen an feiner Bude anfam. Er
‚lief daher ſchnell zurück, offnete Die Hausthüre leife, Fam,
ohne von einem Menfchen gehört zu werben, gerades
Wegs an feine Stube, und trat ein, weil er ganz gut
fie zu öffnen wußte und der thörichte Mantuaner nicht
fo gefcheit geweſen war, fie auf eine Weiſe zu fchließen,
bag man nicht öffnen konnte. Ohne fich zu rühren oder
zu rufen fah er denn fo ar wie der Tag, welches Er-
barmıen der Mantuaner mit feinen Weibe hatte, um
48. Schlimmer und fhlimme! .— 43
beren willen er den Ader der Monna Moneta zu pflügen
unterließ, um einen fremden au bepflanzen, damit der
jungen Frau die Langweile verginge. Es fchien ihm
zwar nicht recht, fie zu flören, aber doch konnte er ſich
nicht enthalten, einen großen Lärm zu machen. Während
er nun mit dem Stiefvater ſich zanfte, öffnete das junge
Weib, aus Furcht, das Wetter möchte ſich zumeift über
ihr entladen, da fie fich nicht anders zu rathen wußte,
‚ ein Senfter, welches auf die Straße ging, und da es
nicht hoch war, fprang fie hinaus, mas auch ganz be-
quem und ohne alle Verlegung von flatten ging. Sie
machte fih daher auf und eilte von dannen. Kaum
war fie jedoch einige Schritte gegangen, fo fuchte fie
Schug in einem Nachbarhaus, welches eben offen ftand,
denn fie meinte, der arme Schelm ihr Mann fei ihr
immer auf den Ferfen. Sie wußte fonft nirgends bin
und fuchte nur, fich fo tief innen als möglich zu ver-
fieden. Da kam fie zufällig an die Thür eines Zim⸗
mers, in welchem ein gar artiger und heiterer Züngling
ganz allein fchlief, welcher Galeazzo Garimberti hieß,
ſchon feit mehreren Monaten ihr den Hof gemacht und
auf alle Weife ihre Neigung -für ihn zu entzünden ge⸗
fucht Hatte, ohne je zu einem Ziele zu gelangen und
wieder einigen Frieden zu erreichen. Es war ihm, als
höre er Tritte wie von einem, welcher eilig läuft; er
ftand fchnel auf, um zu fehen, was es fei, und kaum
hatte er bie Thüre des Zimmers geöffnet, ald das junge
Weib voll Angft und zitternd fi) ihm in die Arme
warf. Der Jüngling erkannte fie gleich und da er fie
fo im Hemd viel fhöner fah, als er fich hatte vorftellen
können, und fih nicht denken Sonnte, was das heiße,
nahm er fie, legte fie fanft auf das Bett und fragte fie
mehrmals umfonft nach der Urfache ihres Kommens.
Er meinte daher, es fei Zeit, fie mit etwas anderem,
als mit Worten zu tröften, und da feine Glücksfahne
fo hoch fand, feste er fih, ohne eim Wörtchen drüber
44 XU. Francesco Maria Molza.
zu verlieren, in den Befig beffen, was foeben dem Man-
tuaner war fireitig gemacht worden. So fehr Ghedino
mit feinem Stiefvater im Feuer war, bemerkte er doc),
was fein Weib that; es faßte ihn daher das größte Mit-
leid mit ihr und ohne weiter Zeit zu verlieren eilte er
hinaus, um zu fehen, mas aus ihr geworden fei. Da
er fie aber nicht auf der Straße fand, auch Feine andere
Thür offen fah, ale die, in welche fie wirklich eingetreten
war, folgte er ihr dahin nah, um zu erfunden, ob fie
bier hereingefommen fei, denn er bildete ſich wohl ein,
daß fie fo barfuß, wie fie war, und im Hemd nicht
‚ „weit könne geflohen fein. Wie fie fam er auch an das
Zimmer, fand die Thür unverfchloffen, trat ein und fand
daB junge Paar beifammen. Ghebino war von biefem
Anblick fo betäubt, daß er nicht wußte, ob er träume
oder mache. Da er aber fein Unglüd fo Schlag auf _
Schlag kommen und fi fo unerfeglichen Schaben zu»
fügen ſah, wo er fih am leichteften verleglich glaubte,
wußte er gar nicht, was er anfangen folle, und floh .
zurück, denn er fürchtete, wenn er fehrie ober der Sache
das geringfte Hinderniß in den Weg legte, Fönnte nur
ein noch größeres Argerniß daraus, erwachfen, da er jetzt
fhon, indem er den erften verfcheucht, dem zweiten den
Weg fo leicht geöffnet Habe. Er dachte alfo, er wolle
unter Peiner Bedingung noch den dritten erwarten, ließ
fie demnach allein und lief, foweit ihn feine Beine trugen.
Garimberti aber hatte auf dem zarten Erdreich feine erfte
Probe vollendet und da er nicht zum zweiten mal in
feiner Aderarbeit geftört werben wollte, ſchloß er die
Zimmerthüre, umarmte das junge Weib und bat und
beſchwor fie fo lange, bis fie ihm zu feiner größten Er⸗
geglichkeit mittheilte, wie ed zugegangen, daß fie um
dieſe Stunde und in ſolchem Aufzug ſich zu ihm begeben.
Allmaͤlich kam fie wieder zur Ruhe, fie lachten, ſcherzten
und fchalten auf die Karbätfchen, Flachſskanten, Hächeln
und alle andern Werkzeuge bed Mannes und machten
43, Schlimmer und fchlimmer!, 45
in freier beiderfeitiger Cinftimmung noch mehrere Wett⸗
läufe zufammen. Ein. paar Tage darauf leitete Garim-
berti es ein, daß alle fich wieder verföhnten und Frieden
f&hloffen, nachdem er zuvor mit dem jungen Weibe die
Abrede getroffen hatte, wie fie fonft zuſammenkommen
könnten.
II. Ginftiniano Reli.
1490.
49. Ginlio und Aurelio's Frau.
Es find erft wenige Monate, daß in unferem Siena
ein Jüngling von achtzehn bis neunzehn Jahren, ſehr
Schöner Seftalt, edlem Blut und mit preißwürbigen Sitten
gefhmüdt, Namens Giulio ſich in eine fehr ſchöne, ge-
wandte und über bie Maßen reizende, nicht weniger
fittfame als Tiebensmwürdige junge Frau heftig zu ver-
lieben anfing. Won biefer Xiebe bewogen unterließ er
nichts, was er meinte, daß ihr gefalle oder daß es ihm
dienlih fein fonnte, um ihr Wohlgefallen zu erlangen.
Diefe Liebſchaft war ſeine einzige Beſchaͤftigung, wie
das häufig bei jungen Leuten geht; er widmete ſich dem
Lautenſchlagen, Floͤtenſpielen, Hornblaſen, Singen und
—2
Tanzen. Es war kein Frühſtück, Hochzeit, Mahlzeit
oder andere Zuſammenkunft, wo Iſabella hinkam, daß
nicht Giulio alsbald auch hingegangen waͤre; ich geſchweige
von der Maskenluſt, dem Limonenwerfen und Ausſtreuen
wohlriechender Sachen, wie es unſere jungen Leute in
der Faſchingszeit zu üben pflegen; aber es waren wenig
Nächte, wo er ihr nicht eine Muſik oder ſonſt eine artige
Unterhaltung zu ihrem großen Vergnügen zu hoͤren gab.
Durch dieſe Kundgebungen merkte nicht blos ihr Gatte
Aurelio Giulio's Liebe, ſondern dieſelbe war faſt allen
jungen Leuten in Siena bekannt, weshalb auch häufig
Aurelio mit ſeiner Iſabella darüber ſcherzte, in vollem
Vertrauen auf die Keuſchheit und Treue ſeiner theuren
Frau. Iſabella andererſeits war zwar aufs Beſte gefinnt,
49. Siulio und Aurelio’s Frau. ‚MM
theils wegen ihrer natürlichen guten Gemuthsart, theild
wegen des liebevollen Betragend, das ihr Gatte ihr an-
gebeihen ließ, aber dennoch misfiel es ihr nicht, fich von
Giulio geliebt zu fehen, und betrachtete es gegenüber
von andern Frauen als einen Vorzug, wiewol fie ſich
ftellte, als kümmere fie ſich gar nicht darum, wie wir
bad täglich fchöne Frauen können fo machen fehen; denn
fo ſchön, reich, jung und ebel auch ihr Gemahl fein mag,
fo fehr fie von ihm geliebt fein mögen, verfäumen ſie doch
niemals, Alles ins Werk zu fegen, weshalb fie glauben
von andern für fihön gehalten zu werden; und fo fhön
fie auch die Natur mag hervorgebracht haben, fo beftreben
fie fi ch doch künſtlich noch viel ſchöner zu erſcheinen; ja
ſie würden ſich lieber arm und ſi ttenlos, als häßlich und
alt nennen hören. Und fragt man eine ſolche, welche der⸗
gleichen Beſtrebungen verfolgen: Warum thuſt du das?
Gleich antworten fie: Um meinem Mann zu gefallen.
Wenn fie ihm aber ſchon gefallen, fo antworten fie:.
Um fein Wohlgefallen zu erhalten.
Und merken nicht, daf fie Vieles thun und treiben,
was ihnen meit mehr misfällt, wie, daß fie fid) die Haare
aus der Stirne raufen, hohe Schuhe tragen und der⸗
gleichen Dinge, welche die Schönheit eher beeinträchtigen,
als erhöhen. Bei alle dem aber, um auf Giulio zurück⸗
zutehren, hatte er nie mehr, als einige ſeltene Liebes⸗
blide von ihr erhalten können. Er verfiel auf verfchie-
dene Wege, um feine Liebe einem Ziel entgegenzuführen,
wiewol er wenig Hoffnung babei hatte; aber ein Ver⸗
fahren gefiel ihm vorzugsweife und daran hielt er auch
feft, nämlih ein gefälliges Weibchen zu ihr zu fchiden,
um ihr auseinanberzufegen, wie er in Liebe für fie glühe.
Er nahm fi) vor, bierbei keine Ausgabe zu ſcheuen.
Da hörte es denn von einer gewiſſen Bonda, welche in
Camollia wohnte, einer zu ähnlichen Leiſtungen feyr ge⸗
eigneten Perſon, denn fie hatte ihre Jugend im Dienſte
der Liebe hingebracht und war nun aus Menſchenliebe
AS XII. Giuſtiniano Reli.
gern andern behilflich, die fie ebenfo hinbringen wollten;
und fie hätte lieber die Meſſe nicht gehört, den Roſen⸗
franz nicht gebetet oder die Predigt verfäumt, als eine
ihr aufgetragene Botſchaft eines Verliebten nicht beforgt,
wiewol fie auch Fein Möonchskloſter einen ganzen Tag
unbefucht läßt und wenig Veſpern gehalten werben, bie
fie nicht gerne anhörte, wo fie denn immer die legte ift,
welche die Kirche verläßt, um beffer zu bören und zu
fehen, was diefer und jener junge Mann frricht und
wen er ind Auge faßt und was Bafe fo und fo mit
ihrer Nachbarin plaudert; mit allen bat fie zu thun, nie
gehen ihr die Worte aus, immer weiß fie, was in der
ganzen Stadt und in der Umgegend gefchieht. Dieſe
alfo fuchte Giulio auf und fagte zu ihr: Mona Bonde,
euer guter Ruf bat mich gelodt, gerne herzukommen
und mid unter euren Schug zu ſtellen. Wie ihr wißt,
ift es nun fo die Art der jungen Leute, daß fie verliebt
find, und mein Unftern will, daß ich meine ganze Liebe
auf ein Weib gerichtet habe, von der ich ohne eure Ver⸗
mittlung nie ein gutes Wort zu befommen hoffen Tann.
Ihr allein alfo könnt mir helfen, in eure Hände lege
ih mein Heil. Helft mir, ich bitte euch darum, und
verfüge über mich, foweit ich vermag, über meine Habe
und Perſon, denn ich bin nie undanfbar geweſen gegen
folhe, die mir Wohlthaten erwiefen haben. Und weil
ih eure Klugheit kenne, vertraue ich euch meine Liebe
an, damit ihr fo gut feid und hingeht, mit Ifabella
Aurelio's Frau zu ſprechen, wenn ihr fie kennt, und ihr,
fo gut ihr immer könnt, mich empfehlt.
Bonda fegte ſich darauf nieder und antwortete be-
dachtig: Giulio, allerdings war es immer mein Beftreben,
rechtichaffenen Männern Vergnügen zu verfchaffen, fomol
wie ich jung war, ald auch jept, immer fo weit als Die
Sittfamkeit zuließ. Aber fo wahr ber liebe Gott mir
meine zwei Töchter erhalten möge, die der Stab meine,
Alters find, ich babe ſolche Dinge nie gern gethan.
4 35
49. Giulio und Aurelio’s Frau. 49
Und jegund‘ will ich die wenige Zeit, bie mir noch zu
leben übrig bleibt, dazu anwenden, nach Ablaf zu gehen,
Kirchen zu befuchen und Gott zu dienen. Gott weiß,
daß ich vielmals um bergleichen bin angegangen worden,
und um meine eigenen Töchter, denen ich aber niemals
ein Wörtchen davon fagen mochte. Allerdings, wenn fie
von felber fich einmal -einen Freund erbeutet haben, bald
um "einen langen Schlafrod, bald um ein Paar Armel
zu erhalten, da habe ich fie machen laſſen, denn ich
meinestheild will nicht in der andern Welt barüber
Rechenſchaft zu geben auf mich nehmen. Und ich fage
dir, ich glaube, ich habe einen fo guten Willen, al nur
irgend eine meines leihen. Du fagft mir, ob ich
Aurelio und feine Frau kenne. Ei welche Frau oder
Mädchen von zehn Jahren und drüber gibt es in dieſer
Stadt, verheirathete oder unverheirathete, die ich nicht
fenne? Es gibt wenige Häufer von Bürgern, wo ich
nicht befannt wäre und aus⸗ und einginge wegen ber
Spinnerei, die ich freibe, denn ich mag nicht, daß mir
irgend fonft eine die Spindel aus der Hand nehme,
Ich flide Hemden für Studenten, Kapuzen für Mönche,
warte Nonnen auf; in der Sapienz und in der Stadt
ift fein Stubent, der mich. nicht kennt, bei Sanct Franz,
Sanıt Dominicus und Sanct Auguftin fein Mönkh, in
deſſen Zelle ich nicht taufendb mal gewefen bin; von ben
Nonnen fage ih nichts; benn ohne Dispens habe ich
Einlaß in alle Kofler, mit Gottes Hilfe bin ih nun
mehr überall befannt. Wiffe überdies, daß deine Mutter
mic fo lieb gehabt hat, Daß ichs gar nicht fagen kann;
und alle Gefchente, die fie deiner Schwefter Ginevra ge.
geben, habe ich mit diefen Händen gefponnen. O wie
viel Gutes habe ich von jener Frau genoffen, Gott habe
fie felig! Aber feit fie tobt ift, da ihr Leine Frauen
mehr im Haufe habt, mochte ich nicht mehr hinkommen,
md ed wundert mich nicht, dag du dich daran nicht
erinnerft oder darauf befinnft, denn vor drei Jahren
Staliänifcher Novellenſchatz. IE, 3
so XIII. Giuſtiniano Relli.
warſt du noch ein Knabe, jetzt biſt du ein ſchöner Züng-
ling geworben. Ei wie groß biſt du! Du gleichft bei-
nem Großvater, der war der fchönfte junge Mann in
Sima. Gott fegne dih, mein Sohn! Sa, ich wäre fehr
ungerecht und müßte die empfangenen Wohlthaten ver-
geffen Haben, wenn ich div nicht dienen möchte, foweit
ih kann. Wiewol ed nicht mein Gewerbe ift, dir zu
Liebe will ich mein Leben daran fegen, und ich fage dir
fogar, daß, wenn du mid, felbft um meine eigene Töchter
angegangen hätteft, hätte ich kaum nein fagen können,
fo groß ift die Neigung und Xiebe, bie ich für dein Haus
gehegt habe und noch hege.
Diefer Schluß Bonda's hatte Giulio ganz erheitert,
während er bisher fehr zweifelhaft geweſen war, bei feiner
Unkenntniß folcher Xeute, welche Keufchheit predigen und
denen boch Fein Verbrechen zw groß fiheint, wenn es
überhaupt ein Verbrechen heißen Tann, verliebte junge
Leute zu unterftügen. Ihre Reben gaben ihm alfo Muth
und er eröffnete ihr ausführlicher feine Geſinnung; nach⸗
dem fie hiernach verabredet hatten, daß fie am folgenden
Tage fie auffuchen folle, nahm er von ihr Abfchied.
Am andern Tage kurz nah der Veſper, als Aurelio
nicht zu Haufe war, verfügte fih Bonda zu Sfabella,
trat ing Haus, erkundigte fi) nach der Hausfrau und
ging ‚weiter in den Saal, wo bei ihrer Ankunft Sfabella,
welche fie nicht kannte, micht wenig verwundert war,
daß fie fo ohne Umftände ihr ind Haus komme. Daber
fragte fie, was fie fuche. Bonda hatte feinen Faden
zu Handtüchern zu verkaufen bei fih und antwortete,
man habe ihr, gefagt, fie bedürfe welchen. Damit z0g
fie aus dem Armel eine Beine Schachtel mit etwa vier
Koth Faden zu einem Gulden das Loth hervor, zeigte es
ihre, fing ein langes Geſpräch darüber an, fegte ihr aus-
einander, wie nützlich es ſei, ſolche Handtücher zu machen,
erzählte ihr, wie viele fie folche verkauft habe, flocht dann
ein, wie fie mit ihrer ‚Mutter fei befreundet gewefen,
zz, Ss zu z„ KU URR FAT 7 bu Ze
49. Biulio und Aurelio's Kran. 51
welche Gefaͤlligkeiten ſie von ihr empfangen babe and
viel dergleichen Zeug. Darauf fügte ſie hinzu: O welch
ein trauriges Leben iſt das doch heutzutage! Wie keck
find die jungen Leute jetziger Zeit! Während ich ba in
euer Haus ging, kam mir ein junger Menfch, ben ich
nur dem Ramen nad tenne, er.beift Giulio, ber war
fo frech mir zu fagen, ob ich ihn mit ins Haus nehmen
wolle, er wolle unter meinen Rod ſchlüpfen. Gott ver⸗
damm' ihn! Seht, was das für artige Streiche ſind!
Iſabella antwortete nichts hierauf, lächelte mur etwas,
ließ fich aber nicht einfallen, worauf das alles abziele.
Bonda faßte dadurch neuen Muth und fuhr fort: Gott
erhalte euch! Ihr kommt mir fchöner vor, als je, und
feid frifch und voll wie eine Rofe und doch noch fo jung! -
Ich erinnere mich, wie von geftern her, daß euch eure
Mutter in die Meſſe mitnahm und überall, wohin fie
ging. Und was fagt ihr dazu, dag er auch noch fo
* war mir zu ſagen: Empfehlt mich der Frau vom
aufe!
Und noch viel Anderes, was ich euch nicht fagen mag.
Iſabella war ganz verwirrt; es machte ihr wohl
Freude ‚ von Giulio ſprechen zu hören, da fie mußte,
wie fehr er fie liebe, doch fürchtete fie mit diefer Frau
davon zu reden, um keine Irrungen zu veranlaffen; fie
traute ihr nicht und fchmählte am Ende Bonda mit
fpröden Werten mit bem Beifügen, nie mehr in ihr
Haus zu kommen. Bonda erwiderte, entfchuldigte ſich
und ig nicht nad, Bis fie fie begütigt hatte, worauf
fie mwegging mit dem Verſprechen wiederzukommen unb
andern fhönern Faden mitzubringen. Gie ſuchte Giulio
auf, erzählte ihm den ganzen Dergang und ſprach ihm
zu, gutes Muthes zu fein ; denn es fei die Art aller
Frauen, in folchen m immer abzufchlagen, fo germ
fie auch weiten. Gr folle nur fie machen laſſen, in
merigen Tagen werde fie ihn zufriebenftellen. Beil aber
im ganzen Rande Soldaten feien, habe fie das Korn,
3*
32 XIII. Giuſtiniano Reli.
das fie von einem Landmann im Arbiathale gekauft habe,
nicht kommen laſſen koͤnnen, und er würde fie ſehr ver⸗
binden, wenn er ihr etwas Korn oder Mehl leihen wollte.
Giulio, der ſchon fo weit zu leſen verſtand, ſagte, hieran,
wie auch an Wein und Sonſtigem werde er es ihr nie
fehlen laſſen, ſie ſolle nur allen ihren Fleiß anwenden,
er werde ſie gewiß zufriedenſtellen. Sie verſprach ihm
von Neuem und nur noch eindringlicher das Beſte, und
nahm Abſchied voll Freude im Gedanken an das Mehl,
das ſie gewonnen hatte. Giulio ſandte ihr an demſelben
Abend einen Sack Mehl und ein Fäßchen Wein und
erinnerte ſie an ihre Arbeit. Mona Bonda ging am
folgenden Tag um dieſelbe Stunde zu Iſabella und
brachte ihr gebleichten Zwirn und Borten zum Geſchenk
und eine Flaſche ſehr wohlriechendes Geſichtswaſſer mit
etwas Zwirn ähnlich wie ber frühere. Als fie kam,
machte’ ihre Iſabella nicht eben das befte Geſicht; fie aber
fagte- ganz heiter und Lächelnd: Madonna, ich babe feit
geftern mich vielfach betrübt, wenn ich daran dachte, .
wie ihr, um nichts, kann man faft fagen, euch erzürnt
habt. Es ift fo meine Art, mit fo fchonen Frauen,
wie ihr, immer zu plaudern, und ich würde mit euch
um nichts zürnen, was ihr auch fagen wolltet. Ich bitte
euch daher, macht es mit mir ebenfo, und feid verfidert,
fobald ihr mich kennt, fo wird es euch nicht unangenehm
fein, wenn ich euch manchmal befuche, denn ich Tann
euh in Manchem helfen. Ic habe Geheimmittel, um
Haare zu vertilgen, wo man will, fobaß fie nie wieder
kommen. Ich kann Geſichtswaſſer machen von verfchie-
dener Art, Hell wie Kryftall, und ich mache folhes, das
bas Geſicht fchön und frifch erhält, wie ihr feib, anderes,
das glänzen macht wie Elfenbein, wieber anderes, das
die Hautrungeln zufammenzieht, was. ihr freilich nicht
nöthig habt. Ich kann ſublimirtes Queckſilber bereiten,
ich brauche einen Gratino oder fonft einen Apotheker
bazu, was freiliäh nicht viel heißen will, denn das find
49. Giulio und Aurelio's Frau. 33
nur Schminken für die Unverſtaͤndigen. Und damit ihr
mir glaubt, will ich's euch mit ber That beweifen, nicht
allein mit Worten.
Damit zog fie ein Flaͤſchchen hervor und gab es ihr
in die Hand.
Nehmt das, Sprach fie, als Andenken von mir! Es
iſt das, von dem ich zuerft gefprochen habe.
Darauf gab fie ihr den Zwirn und die Borten und
fagte: Und das gehört auch euch; diefer Tage hat mirs
eine Nonne von Santo Profpero gewiefen, mit der ich
gut bekannt bin, aber ich brauche es nicht und wüßte
es nicht beffer anzubringen, als bei euch.
Iſabella betrachtete die Sachen, die ihr ausnehmend
wohlgefielen, und die Alte hatte fie.fo mit Worten um-
ſtrickt, daß fie ihr ‚nichts anderes zu erwibern wußte, als,
daß fie nicht zornig fei und daß fie dieſe Sachen gern
annehme. Sie dankte ihre und verficherte fie, fie bürfe
ſich auf fie verlaffen. Sie rief die Magd, ließ ihr zwei
Köslaide geben und fagte: Ihr müßt in dieſem Faſching
mir zu Liebe die Bluttorten machen.
Sie dachte nicht daran, wohin dieſe Freigebigkeit
führen werde. Mutter Bonda kehrte zu ihrem Zwirn
zurück und flocht dann ben Giulio ein mit ber Frage,
ob es ihr Better fei, da er fo eifrig nach ihr fi er-
Tundige. Iſabella antwortete nun allmälig und ſetzte
auseinander, wie fehr fich Diejenigen verfündigen, bie
ihren Ehemännern die Treue brechen, und fie würde
fih lieber umbringen laffen, als daß fie fich Hierzu ver-
ſtaͤnde. Bonda entgegnete darauf: Ihr ſprecht Hier für⸗
wahr ganz wie eine rechtſchaffene Frau und ich gehöre
auch zu denen, die ‚hiervon nie ein Wort hören wollten.
Aber wenn unfere Männer fo viel Rückſicht auf uns
nähmen, wie fie e8 von und gegen fie verlangen, To
wäre bad noch weit vernünftiger. Dagegen fehe ich, bie
Frau mag fhön oder haͤßlich fein, wie fie cher mit Einer
Hand, als mit Einer Frau ſich begnügen würden, und
52 XIII. Siuftiniano Reli.
das fie von einem Landmann im Arbiathale gekauft habe,
nicht kommen laffen können, und er würde fie fehr ver-
binden, wenn er ihr etwas Korn oder Mehl leihen wollte.
Giulio, der ſchon fo weit zu leſen verfland, fagte, hieram
wie auh an Wein unb Sonftigem werbe er es ihr nie
fehlen Laffen, fie folle nur allen ihren‘ Fleiß anwenden,
er werde fie gewiß zufriebenftellen. Sie verfprach ihm
von Neuem und nur noch eindringlicher das Beſte, und
nahm Abſchied voll Freude im Gedanken an das Meht,
das fie gewonnen hatte. Biulio fandte ihr an demfelben
Abend einen Sıd Mehl und ein Fäßchen Wein und
erinnerte fie an ihre Arbeit. Mona Bonda ging am
folgenden Tag um biefelbe Stunde zu Ifabella und
brachte ihr gebleichten Zwirn und Borten zum Gefchent
und eine Flaſche fehr wohlriechendes Geſichtswaſſer mit
etwas Zwirn ähnlich wie der frühere. Als fie kam,
machte ihre Iſabella nicht eben das befte Geſicht; fie aber
ſagte ganz heiter und lächelnd: Madonna, ich babe feit
geftern mich vielfach betrübt, wenn ich daran dachte,
wie ihr, um nichts, kann man faft fagen, euch erzürmt
habt. Es ift fo meine Art, mit fo fhonen Frauen,
wie ihr, immer zu plaudern, und ich würde mit euch
um nicht zürnen, was ihr auch fagen wollte. Ich bitte
euch daher, macht es mit mir ebenfo, und feib verfichert,
fobald ihr mich kennt, fo wirb es euch nicht unangenehm
fein, wenn ich euch manchmal befuche, denn ich Tann
euh in Manchen helfen. Ich babe Geheimmittel, um
Haare zu vertilgen, wo man will, fobaß fie nie wieder
kommen. Sch kann Gefichtsmaffer machen von verfchie-
dener Art, hell wie Kruftall, und ich mache folches, das
das Geſicht fhön und frifch erhält, wie ihr ſeid, anderes,
das glänzen macht mie Elfenbein, wieder anderes, das
bie Hautrunzeln zufammenziceht, was. ihr freilich nicht
nöthig habt. Ich kann fublimirtes Queckſilber bereiten,
ich brauche Leinen Gratino oder fonft einen Apotheker
dazu, was freilich nicht viel heißen will, denn das find
t
4. Giulio und Aurelio's Frau. 33
nur Schminken für die Unverfländigen. Und bamit ihr
mir glaubt, will ich's euch mit der That bemeifen, nicht
allein mit Worten.
Damit zog fie ein Fläfhchen hervor und gab. e& ihr
in die Hand.
Nehmt das, Sprach fie, ald Andenken von mir! Es
iſt das, von dem ich zuerfi gefprochen habe.
Darauf gab fie ihr den Zwirn und die Borten und
| fagte: Und das gehört auch euch; diefer Tage hat mirs
eine Nonne von Santo Proſpero gewiefen, mit der ich
gut bekannt bin, aber ‚ich brauche es nicht und wüßte
ed nicht beffer anzubringen, als bei euch.
Ifabella betrachtete die Sachen, die ihr ausnehmend
wohlgefielen, und die Alte hatte fie-fo mit Worten um-
ſtrickt, daß fie ihr nichts anderes zu erwidern wußte, ale,
daß fie nicht zornig fei und daß fie Diefe Sachen gern
annehme. Sie dankte ihr und verficherte fie, fie bürfe
ſich auf ſie verlaſſen. Sie rief die Magd, ließ ihr zwei
Käslaibe geben und ſagte: Ihre müßt in dieſem Faſching
mir zu Liebe bie Bluttorten machen.
Sie dachte nicht daran, wohin diefe Freigebigfeit
führen werde. Mutter Bonda kehrte zu ihrem Zwirn
zurück und flocht dann den Giulio ein mit der Frage,
ob es ihr Vetter ſei, da er ſo eifrig nach ihr ſich er⸗
kundige. Iſabella antwortete nun allmälig ‚und ſetzte
auseinander, wie fehr fich diejenigen verſündigen, die
ihren Chemännern die Treue brechen, und fie würde
ſich lieber umbringen laffen, als daß fie ſich Hierzu ver-
ftände. Bonda entgegnete barauf: Ihr fprecht hier für-
“ wahr ganz wie eine rechtſchaffene Frau und ich gehöre
auch zu denen, die hiervon nie ein Wort hören wollten.
Aber wenn unfere Männer fo viel Rückſicht auf ‚uns
nähmen, wie fie ed von und gegen fie verlangen, fo
wäre das noch weit vernünftiger. Dagegen fehe ich, bie
Frau mag ſchön oder häßlich fein, wie fie eher mit Einer
Hand, als mit Einer Frau fich begnügen würden, und
34 AII. Giuſtiniano Relli.
ſich den ganzen Tag bald mit ber Haushälterin, bald
mit der Magd, bald mit der Pächterin und taufend
andern Sudeldirnen einlaffen. Ja, was noch mehr ifl,
am Abend rühmen ſich bie Männer deffen vor einander
in den Schenken und das Gefeg erlaubt ihnen, daß fie
hierüber nicht zur Nechenfchaft gezogen werden Tonnen,
während die armen unglüdlichen Frauen, wenn fie fi
nur ein paar Male am Fenfter zeigen, gleich in Aller
Mund find. So mahr Gott Iebt, das ift eine Unge⸗
rechtigkeit; und wenn ich wieder jung würbe, ſo weiß
ih gewiß, daß mir Fein Wunſch unbeffiedigt bleiben
follte. Allerdings, da die Frauen fo großer Beſchämung
ausgefegt find, thun fie wohl daran, mit Vorficht zu
Werke zu gehen, mit Heimlichkeit und mit Leuten, die
der Mühe werth find, wie eben jener junge Mann, von
dem wir foeben fprachen. ch bin überzeugt, daß eine
Frau, die es fo macht, mie ich gefagt habe, nur bazu
beiträgt, die Sünden ihres Mannes in der andern Welt
zu tilgen; denn wenn der Mann einmal feine Pflicht
gegen bie Frau nicht einhält und die Frau fich ebenfalls
verforgt, fo ift Mar, daß ſi e quitt ſind und ſo hat keines
von beiden gefehlt.
Iſabella konnte hierbei kaum das Lachen halten, ſtellte
ſi ch jedoch äußerlich verwirrt und ſprach: Ihr redet, wie
ein Magiſter der Theologie; aber es iſt doch lauter un⸗
verſtaͤndiges Zeug, Bonda! Ber es thun will, mag's
thun; ich aber meines Theils bin entſchloſſen, ich will
mit keinem Mann zu ſchaffen haben, als mit meinem
Aurelio, und will auch nicht wiſſen, ob er mit andern
Weibern zu ſchaffen hat.
Bonda antwortete hierauf und Iſabella entgegnete
wieder, bis endlich Bonda mit der Erklärung hervortrat,
ſie gehe nicht hinweg, bis ſie ihr eine Antwort an Giulio
aufgetragen babe, damit er fie nicht weiter belaͤſtige.
Darauf verfegte Iſabella, als wollte fie fie zurechtweifen,
fie folle ihm fagen, fie werde diefe Dinge nicht thum
49. Siulio und. Aurelio’s Frau. 55
ohne Erlaubniß ihres Gatten, und menn er fie ſprechen
wolle, folle er zu einer Zeit zu ihr kommen, wenn Au⸗
relio zu Haufe fei, dann wolle fie ihn anhören, fonft
nicht. Bonda meinte, dad fei Feine Antwort, die fie
gebrauchen könne, und hielt an mit Bitten. Sfabella
entließ fie aber und ging in ihre Kammer. Bonda Fehrte
zu Giulio zurüd und verlangte von ihm vorerft zwei
Ducaten, bie fie ausgegeben habe für Waffer, Zwirn
und Borten, die fie feiner Iſabella gefchentt, und fagte
ihm fodann, fie werde ihm etwas fagen, was ihn glüd-
lich machen werde. Giulio griff in die Börfe und gab
ihr zwei Goldducaten mit ber Bitte, ihm zu fagen, was
fie ausgerichtet babe. Bonda berichtete fofort umftändlic,
alle ihre Gefpräche mie Iſabella, flocht audy noch man⸗
ches aus dem Kopfe ein und fagte ihm dann den Schluß
ihres Befuches.
Und in wiefern, antwortete Giulio, wird mich das
gludtih machen, wenn ih von ihrem Mann dazu Er»
laubniß einholen fol? |
& habe mir eine gute Art ausgebacht, fagte Bonda,
wie du ins Haus kommen folift, und der Ehemann foll
dich felbft zu ihr in Die Kammer bringen. Wenn bu
bir aber dann nicht weiter zu helfen weißt, fo ift es
deine Schuld. |
Weiter will ich nicht, fagte Biulio. Sie erzählte ihm,
was fie ausgedacht habe, und nun verabrebeten fie alles
Erxforderlihe auf morgen. Um die Zeit des Jrühmahls
hieß fie den Giulio ſich als Weib verkleiden nach Art
einer Bäuerin, mit einem dicken Zuce auf dem Kopf,
und darüber ein Knäuel Werg, einen filbernen Ring
am Finger, einen NRoden an ber Seite, einen Korb am
Arm und eine Alte hinter ſich, fo machte er fich auf
den Weg nah der Strafe, die vom Shore herfam und
auf Aureliv’d Haus zuführte. Als Fäme er zum Thore
herein, trat er in Sfabella’$ Haus und ging hinauf in
einen Saal, ohne zu rufen. Dort angelangt fing Giulio
56 XIII. Giuftiniano Nelli.
faſt weinend alſo zum Hausherrn zu ſprechen an: Ich
flehe euch an, edler Herr, gewährt mir Sicherheit in
eurem Hauſe! |
Aurelio, in hohem Grade erftaunt, ſprach alfo: Ma-
bonna, fürchtet euch nicht! Was habt ihr?
Die Alte, welche ihn begleitete, übernahm das Wort,
damit Giulio nicht erkannt werde. \
Edler Herr, fagte fie, wenn gleich diefe Frau ber
Tracht nach eine Bäuerin zu fein fcheint, wie ich, foift
fie dennoch von Abel und die Gemahlin von ...
Hier nannte fie einen unferer Mitbürger, welcher feit
ein paar Jahren von hier weggewejen mar.
Mie ihe wißt, ift ihr Gatte auswärts und wünfchte,
fie folle ebenfalls auf ihre Güter außer der Stadt kommen.
Da nun aber auf Befehl der Achte angeordnet worden
ift, daß kein Bürger oder Bürgerin die Stadt verlaffe,
ift fie, um ihrem Mann zu gehorchen, auf den Einfall
gefommen, diefe Kleidung anzulegen, um unerkannt zu
bleiben. Sobald wir aber am Thore waren, fei ed, daß
fie zu verlegen einherging oder mas für ein Unftern fonft
über und waltete, die Wachen fingen an, fie fo feft ins
Auge zu faffen, daß fie gut merkten, baf fie nicht vom
Lande fei. Sa, einer von ihnen fagte zu ihr: Madonna,
kehrt nur um und gebt euer Werg heim! Heut dürft
ihre es nicht zum Spinnen tragen. Wenn ihr aber bei
mir bleiben wollt, fo will ich euch nicht Werg, Tondern .
Flache zu fpinnen geben. Wenn ich folche Pächterinnen
hätte, die bebielte ich in Siena und ließe fie nicht auf
bem Lande; meiner Treu, euer Geficht ift nicht der Art,
als folltet ihe bei Bauern fchlafen. Darum bleibt ihr
beffer in der Stadt.
Wir antworteten nichts darauf, damit fie uns nicht
beffer zu erkennen fuchen follten, kehrten eiligft um und
find nun, ohne umzufehen, ob man uns nadeilt, bier
in euer Haus geflüchtet, damit fie uns nicht erkennen,
wenn wir nach) Hauſe gegangen wären und fie und nach⸗
49. Giulio und Aurelio’s Yrau. 57
geſchickt und gefehen hätten, wohin wir gehen. Denn
‚fonft Hätten fie die arme Frau zu taufend Ducaten ver-
urtheilt, wie die Verordnung lautet. Wenn wir nun
auch bier hereingefommen find, koͤnnt ihr ja jagen, wir .
feien durch die Hinterthüre wieder hinaus und ihr habet
und nicht gefehen; und es ift ja Bar, daß ihr Beine ſolche
Frauen bei euch habt, die veranlaßt wären, in dieſer
Weife Siena zu verlaffen. s
Während die Alte dies ſprach, fand Giulio immer
mit gefenktem Haupte da, that, als weinte er und hielt
bald diefe, bald die andere Hand vor's Geficht, um nicht
erfannt zu werben. Aurelio, ber ein Ehrenmann war,
ließ fih von diefer Erzählung zu großem Mitleid rühren
und befahl fogleih dem Burfehen, die Hausthüre zu
ſchließen und niemanden ohne feine Erlaubniß zu öffnen.
Madonna, fagte er, ed thut mir fehr leid, daß ihr
auf fo unangenehme Weiſe berührt worden feid; bier
aber dürft ihr ganz ohne Beforgniß fein. Ihr könnt fo
lange bier bleiben, als wenn ihe meine eigene Schweſter
wäret, und ich weiß niemand, ber euch hier aufjuchen
würde. Ihre dürft daher nicht mehr weinen; niemand
kennt euch; betrachtet euch bier ganz als zu Haufe!
Iſabella wird nicht ermangeln, euch gute Geſellſchaft zu
leiften. -
Er wies hierauf feine Gattin an, in die Kammer
zu gehen, ihn mitzunehmen und ihm alle mögliche Be:
quemlichfeit zu verfchaffen, tröftete überdem die vermeint-
liche rau, fo gut er konnte, und ging fodann hinweg
und feinen Gefchäften nad. Iſabella trat mit der neu
gebadenen Frau und mit der Alten in die Kammer und
bat fie, fo gut fie konnte, fi es nicht mehr leid fein
zu laſſen, fie fei jegt an einem Orte, wo fie ſich ficher
nennen koͤnne. Die gute Alte wandte ſich, als es ihr
Zeit fchien, zu Sfabella und zu ihrer Herrin und fagte:
Madonna‘, es ift vielleicht beffer, wenn ich an das Klofter
der heiligen Maria Magdalena gebe, um eurer Schweſter
34% '
50 XIII. Giuſtiniano Relli.
warſt du noch ein Knabe, jetzt biſt du ein ſchöner Jüng⸗
ling geworben. Ei wie groß biſt du! Du gleichſt dei⸗
nem Großvater, der war der ſchoͤnſte junge Mann in
Siena. Gott ſegne dich, mein Sohn! Ja, ich waͤre ſehr
ungerecht und müßte die empfangenen Wohlthaten ver⸗
geſſen haben, wenn ich dir nicht dienen möchte, ſoweit
ich kann. Wiewol es nicht mein Gewerbe iſt, dir zu
Liebe will ich mein Leben daran ſetzen, und ich ſage dir
ſogar, daß, wenn du mich ſelbſt um meine eigene Töchter
angegangen hätteft, hätte ich kaum nein ſagen können,
fo groß ift die Neigung und Liebe, bie ich für dein Haus
gehegt habe und noch hege.
Diefer Schluß Bonda's hatte Giulio ganz erheitert,
während er bisher fehr zweifelhaft gemefen war, bei feiner
Unkenntniß folcher Leute, welche Keufchheit predigen und
denen boch Fein Verbrechen zu groß fcheint, wenn es
überhaupt ein Verbrechen heißen Tann, verliebte junge
Leute zu unterftügen. Ihre Reden gaben ihm alfo Muth
und er eröffnete ihr ausführlicher feine Gefinnung; nach⸗
dem fie hiernach verabredet hatten, daß fie am folgenden
Tage fie auffuchen folle, nahm er von ihr Abfchied.
Am andern Tage kurz nah der Veſper, als Aurelio
nicht zu Haufe war, verfügte fih Bonda zu Sfabelle,
trat ine Haus, erkundigte ſich nach der Hautfrau und
ging ‚weiter in den Saal, wo bei ihrer Ankunft Sfabella,
welche fie nicht Fannte, micht wenig verwundert war,
daß fie fo ohne Umftände ihr ins Haus fomme. Daher
fragte fie, mas fie ſuche. Bonda hatte feinen Faden
zu Handtüchern zu verkaufen bei fi und antwortete,
man habe ihr, gejagt, fie bedürfe welchen. Damit zog
fie aus dem Armel eine Beine Schachtel mit etwa vier
£oth Faden zu einem Gulden das Loth hervor, zeigte es
ihe, fing ein langes Geſpraͤch darüber an, fegte ihr aus- -
einander, wie nüglid es fei, foldhe Handtücher zu machen,
erzählte ihr, wie viele fie ſolche verkauft habe, flocht dann
ein, wie fie mit ihrer ‚Mutter fei befreundet gewefen,
49. Giulio und Aurelio's Frau. 51
weiche Gefaͤlligkeiten ſie von ihr empfangen babe And
viel dergleichen Zeug. Darauf fügte ſie hinzu: O welch
ein trauriges Leben iſt das doch heutzutage! Wie keck
find die jungen Leute jegiger Zeit! Während ich ba in
euer Haus ging, kam mir ein junger Menſch, ben idy
nme dem Namen nad kenne, er. heißt Giulio, ber war
fo frech mir zu fagen, ob ich ihm mit ins Haus nehmen
wolle, er wolle unter meinen Nod ſchlüpfen. Gott ver⸗
damm' ihn! Seht, was das für artige Streiche ſind!
Iſabella antwortete nichts hierauf, lächelte mır etwas,
ließ fich aber nicht einfallen, worauf das alles abziele.
Bonda faßte dadurch neuen Murh und fuhr fort: Gott
erhalte euch! Ihr komme mir fchöner vor, als je, und
feid friſch und voll wie eine Roſe und doch noch fo jung!
Ich erinnere mid, wie von geftern her, daß euch eure
Mutter in die Meffe mitnahm und überall, wohin fie
sing. Und was fagt ihr dazu, daß er auch noch fo
tel war mir zu fagen: Empfehlt mich der Frau vom
Haufe!
Und noch viel Anberes, was ich euch nicht fagen mag.
Iſabella war ganz verwirrt; es machte ihr wohl
Freude ‚ von Giulio ſprechen zu hören, ba fie mußte,
wie fehr er fie liebe, doc, fürchtete fie mit diefer Frau
davon zu reden, um keine Irrungen zu veranlaffen; fie
traute ihr nicht und fchmählte am Ende Bonda mit
fpröden Worten mit bem Beifügen, nie mehr in ihr
Haus zu kommen. Bonda erwiderte, entfchuldigte ſich
und ließ nicht nad, Bis fie fie begütigt hatte, worauf
fie wegging mit dem Verſprechen wiederzukommen und
andern ſchoͤnern Faden mitzubringen. Sie ſuchte Giulio
auf, erzählte ihm dem ganzen Hergang und ſprach ihm
zu, gutes Muthes zu. fein ; denn es ſei die Art aller
Frauen, in ſolchen * immer abzufchlagen, ſo gern
ſie auch wollten. Er ſolle nur ſie machen laſſen, in
wenigen Tagen werde fie ihn zufriedenſtellen. Weil aber
im ganzen Lande Soldaten feien, habe fie das Korn,
3*
52 XI. Giuftiniano Reli.
das fie von eimem Landmann im Urbiathale gekauft habe,
nicht kommen laffen können, und er würde fie ſehr ver-
binden, wenn er ihr etwas Korn ober Mehl leihen wollte.
Giulio, ber ſchon fo weit zu lefen verfland, fagte, hieran,
wie auch an Wein und Sonftigem werde er: es ihr nie
fehlen laſſen, fie folle nur allen ihren‘ Fleiß anwenden,
er werde fie gewiß zuftiebenftellen. Sie verfpracdh ihm
von Neuem und nur noch eindringlicher das Beſte, und
nahm Abfchied voll Freude im Gedanken an das Mehl,
das fie gemonnen hatte. Giulio fandte ihr an demſelben
Abend einen Sad Mehl und ein Fäßchen Wein und
erinnerte fie an ihre Arbeit. Mona Bonda ging am
folgenden Tag um biefelbe Stunde zu Ifabella und
brachte ihr gebleichten Zwirn und Borten zum Gefchent
und eine Flaſche fehr mwohlriechendes Geſichtswaſſer mit
etwas Zwirn ähnlich wie ber frühere. ALS fie kam,
machte ihr Ifabella nicht eben das befte Geficht; fie aber
fagte- ganz heiter und lächelnd: Madonna, ich habe feit
geftern mich vielfach betrübt, wenn ich daran dachte, .
wie ihre, um nichts, kann man faft fagen, euch erzürnt
habt. Es ift fo meine Art, mit fo ſchönen Frauen,
wie ihr, immer zu plaudern, und ich würde mit euch
um nichts zürnen, was ihr auch fagen wollte. Ich bitte
euch daher, macht ed mit mir ebenfo, und feib verfichert,
fobald ihr mich Eennt, fo wird es euch nicht unangenehm
fein, wenn ich euch manchmal befuche, denn ih Tann
euch in Manchem helfen. Ich habe Geheimmittel, um
Haare zu vertilgen, wo man will, fobaß fie nie wieder-
fommen. Ich kann Geſichtswaſſer machen von verfchie-
dener Urt, hell wie Kruftall, und ich mache folches, das
das Geficht ſchoͤn und frifch erhält, mie ihr feib, anderes,
das glänzen macht wie Elfenbein, mieber anderes, das
die Hautrunzeln zufammenzicht, was. ihr freilich nicht
nöthig Habt. Ich kann fuhlimirtes Queckſilber bereiten,
ich brauche Leinen Gratino oder fonft einen Apotheker
bazu, was freilich nicht viel heißen will, denn das find
f
49. Giulio und Aurelio’s Grau. 2 53
nur Schminken für die Unverfländigen. Und damit ihr
mir glaubt, will ich’8 euch mit der That beweifen, nicht
allein mit Worten.
Damit zog fie ein Fläfchchen hervor und gab. ee ihr
in die Hanb.
Nehmt das, ſprach fie, als Andenken von mir! Es
. it das, von. dem ich zuerft gefprochen habe.
Darauf gab fie ihr den Zwirn und die Borten und
fagte: Und das gehört auch euch; dieſer Tage hat mirs
eine Nonne von Santo Profpero gewiefen, mit ber ich
gut bekannt bin, aber ‚ich brauche es nicht und wüßte
es nicht beffer anzubringen, als bei euch.
Iſabella betrachtete die Sachen, die ihr ausnehmend
wohlgefielen, und die Alte hatte fie.fo mit Worten um-
ſtrickt, daß fie ihe nichts anderes zu erwidern wußte, als,
daß fie nicht zornig fei und daß fie diefe Sachen gern
annehme. Sie dankte ihr und verficherte fie, fie dürfe
ſich auf fie verlaffen. Sie rief die Magd, ließ ihr zwei
Käslaibe geben und ſagte: Ihr müßt in dieſem Faſching
mir zu Liebe die Bluttorten machen.
Sie dachte nicht daran, wohin dieſe Freigebigkeit
führen werde. Mutter Bonda kehrte zu ihrem Zwirn
zurück und flocht dann den Giulio ein mit der Frage,
ob es ihr Vetter ſei, da er ſo eifrig nach ihr ſich er⸗
kundige. Iſabella antwortete nun allmälig und ſetzte
auseinander, wie fehr fich diejenigen ' verfünbdigen, die
ihren Chemännern die Treue brechen, und fie würde
fih lieber umbringen laffen, als daß fie fich Hierzu ver-
ftände. Bonda entgegnete darauf: Ihr ſprecht hier für-
wahr ganz wie eine rechtſchaffene Frau und ich gehöre
auch zu denen, die hiervon nie ein Wort hören wollten.
Aber wenn unſere Männer fo viel Rückſicht auf uns
nähmen, wie fie es von und gegen fie verlangen, To
wäre das noch weit vernünftiger. Dagegen ſehe id, bie
Frau mag ſchön oder haßlich fein, wie fie cher mit Einer
Hand, ale mit Einer Frau fi begnügen würden, und
534 XIH. Giuftiniano Relli.
fi den. ganzen Tag bald mit ber Haushalterin, bald
mit ber Magd, bald mit der Pächterin und taufend
andern Subeldirnen einlaffen. Ja, was noch mehr ifl,
am Abend rühmen ſich die Männer deſſen vor einander
in ben Schenken und das Gefeg erlaubt ihnen, daß fie
hierüber nicht zur Rechenſchaft gezogen werden können,
während die armen unglüdlihen Frauen, wenn fie fi
nur ein paar Male am Fenſter zeigen, gleich in Aller
Mund find. So wahr Gott Iebt, das ift eine Unge⸗
rechtigkeit; und wenn ich wieder jung würde, .fo weiß
ih gewiß, daß mir kein Wunſch unbefkiedigt bleiben
follte. Allerdings, da die Frauen fo großer Beſchaͤmung
ausgefegt find, thun fie wohl daran, mit Vorficht zu
Werke zu gehen, mit Heimlichkeit und mit Leuten, bie
der Mühe werth find, wie eben jener junge Mann, von
dem wir foeben fprachen. Ich bin überzeugt, daß eine
Frau, die es fo macht, wie ich gefagt habe, nur bazu
beiträgt, die Sünden ihres Mannes in ber andern Welt
zu tilgen; denn wenn ber Mann einmal feine Pflicht
gegen die Frau nicht einhält und die Frau fich ebenfalls
verforgt, fo ift Mar, daß fie quite find und fo hat keines
von beiden gefehlt.
Iſabella konnte hierbei kaum das Lachen halten, ftelite
fich jedoch äußerlich verwirrt und ſprach: Ihr redet, wie
ein Magifter der Theologie; aber es iſt doch lauter un⸗
verftändiges Zeug, Bonda! Mer es thus will, mag's
thun; ich aber meines Theils bin entfchloffen, ich will
mit keinem Mann zu fehaffen haben, als mit meinem
Aurelio, und will auch nicht wiffen, ob er mit andern
Weibern zu fchaffen hat.
Bonda antwortete hierauf und Iſabella entgegnete
wieder, bis endlich Bonda mit ber Erklärung hervortrat,
fie gehe nicht hinweg, bis fie ihr eine Antwort an Giulio
aufgetragen babe, damit er fie nicht weiter beläflige.
Darauf verfegte Iſabella, als wollte fie fie zurechtweifen,
fie folle ihm fagen, fie werde diefe Dinge nicht thum
49. Siulio und. Aurelio's Frau. 55
ohne Erlaubniß ihres Gatten, und wenn er fie ſprechen
wolle, folle er zu einer Zeit zu ihr tommen, wenn Au⸗
relio zu Haufe fei, dann wolle fie ihn anhören, fonft
nicht. Bonda meinte, das fei keine Antwort, die fie
gebrauchen könne, und hielt an mit Bitten. Iſabella
entließ fie aber und ging in ihre Kammer. Bonda kehrte
zu Giulio zurück und verlangte von ihm vorerſt zwei
Ducaten, die ſie ausgegeben habe für Waſſer, Zwirn
und Borten, die ſie ſeiner Iſabella geſchenkt, und ſagte
ihm ſodann, ſie werde ihm etwas ſagen, was ihn glück⸗
lich machen werde. Giulio griff in die Börfe und gab
ihr zwei Goldducaten mit der Bitte, ihm zu fagen, mas
fie ausgerichtet Habe. Bonda berichtete fofort umſtaͤndlich
alle ihre Gefpräche mit Iſabella, flecht au noch man⸗
ches aus dem Kopfe ein und fagte ihm dann den Schluß
ihres Beſuches.
Und in wiefern, antwortete Giulio, wird mich das
glücklich machen, wenn id) von ihrem Mann dazu Er-
laubniß einholen fol? |
Ich habe mir eine gute Art ausgedacht, fagte Bonda,
wie du ind Haus kommen follft, und der Ehemann foll
dich felbft zu ihr in die Kammer bringen. Wenn bu
bir aber dann nicht weiter zu helfen weißt, fo iſt «6
deine Schuld.
Weiter will ich nicht, fagte Giulio. Sie erzählte ihm,
was fie ausgedacht habe, und nun verabrebeten fie alles
Erforderlihe auf morgen. Um die Zeit des Frühmahls
hieß fie den Giulio ſich als Weib verkleiden nach Art
einer Bäuerin, mit einem dien Tuche auf dem Kopf,
und darüber ein Knäuel Werg, einen filbernen Ring
am Finger, einen Noden an der Seite, einen Korb am
Arm und eine Alte hinter fih, fo machte er fih auf
den Weg nach der Straße, die vom Thore herfam und
auf. Aureliv’d Haus zuführte. : Als käme er zum Thore
herein, . trat er in Iſabella's Haus und ging hinauf in
einen Saal, ohne zu rufen. Dort angelange fing Giulio
56 XIN. Siuftiniano Reli.
faft weinend alfo zum Hausheren zu fprehen an: Ih
fiehe euch an, ebler Herr, gewährt mir Sicherheit in
eurem Haufe! |
Aurelio, in hohem Grade erftaunt, ſprach alfo: Ma-
donna, fürchtet euch nicht! Was habt ihr?
Die Alte, welche ihn begleitete, übernahm bas Wort,
damit Giulio nicht erfannt werde. \
Edler Herr, fagte fie, wenn gleich biefe Frau der
Tracht nach eine Bäuerin zu fein fcheint, wie ich, fo ift
fie dennoch) von Adel und die Gemahlin von ...
Hier nannte fie einen unferer Mitbürger, welcher feit
ein paar Jahren von hier weggewefen war.
Wie ihr wißt, ift ihr Gatte auswärts und wünfchte,
fie folle ebenfall® auf ihre Güter außer der Stadt fommen.
Da nun aber auf Befehl der Achte angeorbnnet worden
ift, daß Fein Bürger oder Bürgerin die Stadt verlaffe,
ift fie, um ihrem Mann zu gehorchen, auf den Einfall
gefommen, diefe Kleidung anzulegen, um unerkannt zu
bleiben. Sobald wir aber am Thore waren, fei es, daß
fie zu verlegen einherging oder was für ein Unftern fonft
über uns waltete, die Wachen fingen an, fie fo feft ins
Auge zu faffen, daß fie gut merften, daß fie nicht vom
Sande fei. Ja, einer von ihnen fagte zu ihr: Madonna,
kehrt nur um und gebt euer Werg heim! Heut dürft
ihre es nicht zum Spinnen tragen. Wenn ihr aber bei
mir bleiben wollt, fo will ih euch nicht Werg, Tondern .
Flachs zu fpinnen geben. Wenn ich folche Wächterinnen
hätte, die behielte ich in Siena und ließe fie nicht auf
dem Lande; meiner Treu, euer Geficht ift nicht der Art,
als folltet ihe bei Bauern fchlafen. Darum bleibt ihr
beffer in der Stadt.
Wir antworteten nichts darauf, damit fie uns nicht
beſſer zu erkennen fuchen follten, kehrten eiligft um und
find nun, ohne umzufehen, ob man uns nadeilt, hier
in euer Haus geflüchtet, damit fie uns nicht erfennen,
wenn wir nad) Haufe gegangen wären und fie und nach⸗
49. Giulio und Aurelio's Frau. 57
gefchiddt und gefehen hätten, wohin wir geben. Denn
- ‚fonft Hätten fie die arme Frau zu taufend Ducaten ver-
. urtheilt, wie die Verordnung lautet. Wenn wir nun
auch bier hereingefommen find, Tönnt ihr ja fagen, wir .
feien durch die Hinterthüre wieder hinaus und ihr habet
und nicht gefehen; und es ift ja Bar, daß ihr keine ſolche
Frauen bei euch habt, bie veranlaßt wären, in diefer
Weiſe Siena zu verlaffen. n
Während die Alte dies fprach, ftand Giulio immer
mit gefenttem Haupte ba, that, als weinte er und hielt
bald diefe, bald die andere Hand vor's Geficht, um nicht
. erfannt zu werben. Yurelio, ber ein Ehrenmann war,
ließ fih von diefer Erzählung zu großem Mitleid rühren
und befahl fogleih dem Burſchen, die Hausthüre zu
fihliegen und niemanden ohne feine Erlaubniß zu öffnen.
Madonna, fagte er, ed thut mir fehr leid, daß ihr
auf fo unangenehme Weife berührt worden feid; bier
aber dürft ihr ganz ohne Beforgnif fein. Ihr Eönnt fo
lange hier bleiben, als wenn ihr meine eigene Schweiter
wäret, und ich weiß niemand, der euch hier auffuchen
würde. Ihe dürft daher nicht mehr meinen; niemand
kennt euch; betrachtet euch bier ganz als zu Haufe!
a wird nicht ermangeln, euch gute Geſellſchaft zu
leiſten
Er wies hierauf ſeine Gattin an, in die Kammer
zu geben, ihn mitzunehmen und ihm alle mögliche Be⸗
quemlichkeit zu verfchaffen, tröftete überdem die vermeint-
liche Frau, fo gut er konnte, und ging fodann hinweg
und feinen Gefchäften nad. Ifabella trat mit der neu
gebadenen Frau und mit der Alten in die Kammer und
bat fie, fo gut fie konnte, fi es nicht mehr leid fein
zu laffen, fie fei jegt an einem Orte, wo fie fich ficher
nennen Tonne. Die gute Alte wandte fih, als ed ihr
Zeit ſchien, zu Sfabella und zu ihrer Herrin und fagte:
Madonna‘, ed ift vielleicht beffer, wenn ich an das Klofter
der heiligen Maria Magdalena gehe, um eurer - Schweſter
3*
66 XIV. Luigi Alamanni.
Mahlzeit wurden nach Landesfitte in den reichſten Ge⸗
fäaͤßen GSranatäpfel aufgetragen, melde in jener Gegend
ſehr fchön wachſen, um damit den Mund von bem- ver«
fchiedenen rüdbleibenden Gefhmad der vielen Speifen
zu reinigen. Der Graf hatte auch einige davon genom-
men und zufällig war ihm einer aus der Hand entwifcht,
was er alsbald bemerkte, und, wie er felbft hernady und
viele andere, welche es gefehen hatten, verficherte, faßte
er, um bie Leichtigkeit und Gewandtheit feiner Hand zu
zeigen, denfelben fehr gefchickt auf, noch ehe er den Boden
berührt hatte, und führte ihn zum Mund. Die junge
- Braut, fei es, daß das Schidfal fie dazu genöthigt, oder
dag wirklich die Handlung an fich ihr eines vornehmen
Mannes unmürdig fehien, Zurz fie war darüber in ihrem
Herzen fehr beunruhigt und ftellte bei fich felbft im Stil-
len folgende Überlegung an: Da haben wird nun, was
ih fo oft habe fagen Hören und zwar von Leuten, bie
wohl ein Urtheil darüber hatten, daß die Catalonier bie
filzigften, dürftigſten Menfchen des Abendlandes find.
Ih habe zwar an bdiefem manche Eigenfchaften gefehen,
die nicht für Gatalonien paſſen; doc, könnte es mol fein,
daß er fich deshalb ſelbſt Zwang anthut, wie es Leute
machen, welche andere zu täufchen fuchen, ein alter ge⸗
meiner Brauch in Catalonien. Es verräth aber einen
armen Berftand, wenn man nicht wenigftens auf furze
Zeit fich in das Betragen und die Worte eines Wadern
hüllen kann, bis man feinen Plan zum Ziele geführt hat-
und zu feiner Natur zurückkehren darf. Aber ber Geiz,
die Mutter und Amme aller. Lafter, foll eben, wie ich
von einem meiner Lehrer weiß, die verborgene Eigen-
thümlichkeit haben, daß er ſich auch von dem geübteften
Heuchler nicht verbergen läßt. Denn ber, defien Wefen
fo befhaffen ift, ärgert fih nicht nur, wenn er felbſt
das feinige ausgeben muß, fondern auch wenn er feine
Feinde ihre Reichthümer allzufreigebig austheilen fieht,
und fühlt Darüber größeren Unmuth, als ein Verfchwender,
50. Die Gräfin von Zouloufe. 67
wenn er fehen müßte, mie man ihm all feine Habe auf
der Welt, geſchweige die eines andern, in widerrechtlichen.
Befig nahme. Iſt der Graf von der Art, was foll dann _
aus mir werden? Und ganz ficher muß ich ihn für einen
folchen halten, wenn ich denke, daß, wer im höchften Uber-
fluß mit einer Frucht des: andern geizt, wol in der Noth
noch weit geiziger fein wird mit feinem eigenen Golde.
Gibt es ein größeres Elend für ein edles hochherziges
Mädchen, als einen reichen und geizigen Gemahl zu bes
tommen? Solche Frauen werden fich felbft zur Laft und
fommen zur Verzweiflung, andern aber find fie ein Ge-
genftand des Spottes und Hohne. Die Götter verhüten,
daß mir died widerfahre! Ich will lieber bis zw ben
ſpäteſten Tagen meines Alter auf diefe Art leben, als
mit ihm leben in beftändiger Qual und Reue über meinen
Unverfiand. Mein alter Vater mag fagen, was er will!
Ich meiß recht wohl, wie thöricht einer ift, der ſich durch
fremde Bitten bewegen läßt, fich felbft zu ſchaden.
Mit dem Entfchluffe, durchaus dieſe Handlungsweife
zu befolgen, fegte fie ihren Gedanken ein Ziel, und ale
alle Feftlichkeiten vorüber waren, verabfchiedete fich der
Graf von Zouloufe von dem Batalonier, nahm feine
Tochter bei der Hand und ging mit ihr hinweg in fein
Gemach. Hier befragte er fie unter ben väterlichften
Ermahnungen um ihre MWillendmeinung, worauf fie ganz
entfchloffen und heftig ermiberte, lieber wolle fie immer
unverheirathet bleiben, wie jegt, als einen Gemahl haben,
der. ihrem Weſen fo fehr entgegen fei. Als der alte
Vater died hörte, der ganz das Gegentheil vermuthet
hatte, war er im höchſten Grade befrübt. Er hatte ge
hofft, dadurch das Glück und den Frieden des ganzen
Landes zu befeftigen, und nun Eonnte es leicht kommen,
daß von neuem endlofe Vermüftung und allgemeine Fehde -
für fie alle daraus erwuchs. Er befrägte feine Tochter
um ihren Grund, und als er ihn vernommen, konnte er
nicht umhin über diefe Geringfügigfeit zu lachen, fuchte
68 XIV. Luigi Alamanni.
auch auf alle mögliche Weiſe fie davon abzubringen, aber
es war alles umfonft, denn ihr letztes Wort blieb die
entfchiebenfte Antwort, wenn fie merke, daß ihr gegen
das ihrer Mutter geleiftete Verſprechen Gewalt angethan
werben folle, fo werde fie Fieber mit eigener Hand 'fich
das Leben und damit die ihr bevorftehende Unluft nehmen,
als ihre Zuftimmung geben. Der alte Graf erinnerte
ſich des feiner verftorbenen Frau gegebenen Verſprechens
und warb ebenfo bewegt von zärtlicher Sorge um feine
Tochter; daher antwortete er faft weinend nur folgendes:
Wenn dein Entfchlug fo feft ift, ‚fo zu handeln, fo ge
fhehe es! Erwarte von mir feine andere Gewalt, als
die, welche du dir felbft anthuft!
Darauf verließ er das Gemach und mit den ehren-
voliften Entfchuldigungen, bie er erfinnen konnte, und
mit den Höflihflen Worten, die er wußte, nachdem er
auseinanbergefegt,‘ wie befhaffen in ber Regel der Sinn
der Frauen fei und ber Mädchen infonderheit, und wie
fie felöft auf ihrem Schaden am hartnädigften beharren,
that er zulegt dem Grafen von Barcelona zu wiflen, fie
gebe zu diefer Eheverbindung durchaus ihre Einwilligung
nicht. Diefe Worte waren verlegender als die fchärfften
Pfeile für des Cataloniers Herz und verwundeten ed um
fo fehmerzlicher, je weniger er von diefer Seite gefürchtet
hatte und je näher er ſich der Erfüllung feiner Wünfche
glaubte. Nichts. deftoweniger verbarg er feinen geheimen
Groll und Schmerz in feinee Bruft, lächelte bitter und
meinte, es fei dies nicht ber erſte Unfall, der wie ihm,
fo auch höheren als er fchon. begegnet, woburd eine
Hoffnung fehlgefchlagen. Da es nun fo fei, fo gedenke
er, wenn er es genehmige, ben Tag barauf nah Bar⸗
celona zurüdzufehren; zur Vergütung der auf der Her⸗
reiſe erlittenen Beſchwerden wünfche er aber wenigftens
zu erfahren, was denn vorzüglich feine Tochter Mis-
fälliges an ihm gefunden habe, um für die Zukunft feine
Sehler zu beffern. Der Alte fchämte ſich eben fo fehr,-
0. Die Gräfin von Toulouſe. 69
die Wahrheit zu leugnen, als fie zu fagen; body offen«
barte. er fie endlih, da er nicht anders konnte. Der
Catalonier konnte es nicht ohne Lachen hören und ant-
wortete: Faͤllt es mir wieder einmal ein, auf die Braut-
fhau zu geben, fo wähle ich dazu gewiß die Jahreszeit,
wo bie Granatäpfel noch nicht reif find, denn fie haben
„ mih um eine Gemahlin gebracht, wie die Cered um
eine Tochter. -
Er fügte noch Lobeserhebungen auf des Grafen Treue
und Liebe gegen feine Gattin und Tochter bei, vermöge
welcher er ihr nicht Gewalt anthun wolle, und verficherte,
er dürfe darum nicht an der Aufrichtigkeit des unter
ihnen zu Stande gekommenen Friebend- und Freund-
fhaftsverhältniffes zweifeln. Darauf ging er auf andere
Geſpräche über und brachte fo, freilich ohne großes Ver⸗
gnügen, den erfien Tag bin. Am nädjftfolgenden nahm
er, feinen innerlichen Groll gegen das Fräulein verber-
gend, fcheinbar ganz freundlichen Abfchied von ihr ſowie
von den übrigen und trat in ben größtmöglichen Tage-
märfchen den Rückweg nach Gatalonien an. Sobald er
über die Grenzen feines eigenen Gebietes getreten war,
entließ er fein anfehnliches Gefolge unter dem Borwand,
er wolle zu einem heiligen Andachtsorte einige Meilen
vom Wege abſeits gehen, worunter fi) viele unfer Liebe
rau von Monferrato dachten. Und ba man bei folchen
Wallfahrten allen mweltlihen Prunt und Glanz ablegen
"muß, wollte er nur zwei feiner treueften Freunde bei
fih behalten, um fein Gelübde mit möglichfter Demuth
und frommem Eifer zu erfüllen. Sobald aber die an-
dern alle fich entfernt hatten, und er mit ben beiden -
alten Vertrauten feiner Geheimniſſe allein war, entdeckte
er ihnen erft vollig feine Abſicht, fie ließen ihre Pferbe
zurüd und machten fi zu Fuß wieder rückwaͤrts auf
den Weg nach Zouloufe, nachdem fie alle fi in Klei⸗
bung, Haltung und Geftalt gegen früher ganz verändert
"Hatten. Der Graf Hatte fih als Juwelenhaͤndler ver-
6
70 XIV. Swigi Alamanni.
mummt und trug ein Käftchen an dem Arme, wie man
ſolche täglih in Paris umbertragen fieht und in ganz
Frankreich, ja auch in Italien, und worin man unzählige
und mannidhfaltige Dinge zur Schau trägt, welche dann
in ben Häufern den Edelfrauen und den. vornehmen Herren
angeboten werden, mit denen fie fie) ohne Weiteres be-
kannt mahen. Er taufte daher viele Kleinode und Gold-
arbeiten von großem Werth und einige andere Gattungen
feiner Waaren, füllte damit feine Kifte und mifchte
darunter auch ein paar von feinen ſchönen Edelſteinen,
deren er viele von ber größten Schönheit mitgebracht hatte,
um fie feiner Braut zu ſchenken, fobalb fie die Seinige
geworden wäre; bie vom höchſten Werthe aber that er
nicht dazu, um nicht durch den allzugroßen Reichthum
in der Gegend erkannt zu werben. Er fchor fih den
Bart, den man damals in Catalonien zu tragen pflegte,
und ging ganz allein nach Zouloufe hinein in der feiten
Hoffnung, dies müſſe das fiherfte Mittel fein, das ihm
das Geſchick gelaffen habe, um feine Geliebte noch einmal
fehen und ſprechen zu können. So ging er vom Morgen
bis zum Abend in der Stadt umher, feine Waaren an
diefen und jenen verfaufend, wie es der Zufall gab;
vorzugsmweife aber kam er oft in die Nähe des Palaftes,
welchen der Graf von Languedoc bewohnte, um die Ge⸗
legenheit zu erfpäben, wo er wenigftens einmal mit der-
fenigen fprechen Bönnte, welche ſowohl wegen bes [pätern
Unwillens als durch die frühere Xiebe feine Gedanken
unaufhörlich befchäftigte. Und es dauerte nicht lange,
bis er eines Abende nach einem fehr heißen Tage bie
fhöne Tochter in weißem Anzug auf das Anmutbigfte
auf dem Thore figen fah in großer Geſellſchaft von den
ebelften Frauen des Landes. Ganz zitternd grüßte er fie
bemütbhig und fragte ob es einer der Frauen gefällig fei,
etwas zu kaufen von feinen Sachen, wobei er-bie Güte
feiner Waaren und bie Billigkeit der Preiſe herausſtrich.
Die Gräfin und die Edelfrauen verfhmähten, wie es
\ 0. Die Gräfin von Zouloufe. 71
Zandesfitte ift, das Anerbieten nicht, riefen ihn zu fich,
fragten ihn, was er habe, und flanden rings um ihn her.
Ale fammt und fonders ergriffen die eine diefen, bie
andere jenen Gegenftand, und befragten und beflürmten
"ihn bergeftalt, daß er, welcher überhaupt nicht die größte
Erfahrung in diefem Gefchäft Hatte, gar nicht mehr wußte,
was und wen er antworten folle. Er wendete fich baher
mit feinen Worten immer an die Gräfin und 309 fich
mit den ihm vorgelegten Fragen fo gut als möglich aus
der Schlinge. Nachdem er einige von feinen Sachen,
die ihnen am beften gefielen, ziemlich wohlfeil an fie vers
Taufe hatte, ging er hinweg, da ihn die Veſperzeit fort-
trieb. Er unterhielt diefen Handel lange Zeit, faft jeben
Tag fand er fich bei derfelben Gefellfchaft ein und war
bald fo befannt mit all ben Mädchen geworden, daß es
ihnen großes Vergnügen machte, mit ihm zu plaudern,
um welches Glück ihn alle feine Handwerksgenoſſen nicht
wenig beneideten, bie immer von allen abgemwiefen wurden,
da diefe fagten: Wir wollen unferem Navarrefen treu
bleiben. |
Aus Navarra nämlich hatte er.zu fommen vorgegeben, -
da er die Sprache nicht fo in feiner Gemalt. hatte, um
für einen Franzofen zu gelten, und feine fpanifche Ab»
kunft nicht bekennen mochte. Nach einigen Tagen paßte
ber Graf den rechten Augenblid ab, wo er, ohne von
andern gehört zu werden, einer der Kammerfrauen ber
Gräfin, welche wie ihm fchien am meiften von ihr geliebt
und ihr zugethban war und welcher er bereits bei feinem
Handel eine‘ Gefälligkeit erwieſen hatte, fagen Tonmte,
er habe in der Nähe eines der ſchönſten und Fräftigften
Kleinode, die man je auf der Welt gefehen: oder gehört;
er trage es aber nicht fo offen im Land umher, aus
Furcht, ed möchte ihm geraubt werden, und es fei ihm
fo heuer, daß er es für fein Leben ſelbſt nicht hingeben
würde. Ohne noch etwas hinzuzuſetzen, ſchwieg er Damit
und ging kurz darauf hinweg. Der Kammerfrau fchien
12 AIV. Zuigi Alamanni.
jede Stunde taufend Jahre zu währen, bis fie ihrer Ge--
bieterin mittheilen konnte, was fie von dem Navarrefen
gehört hatte. Als Aun die Zeit zum Schlafengehen ges
fommen war, erzählte fie ihr, während fie ihr beim Aus-
ziehen behilflich war, von der Schönheit und Kraft des
wunderbaren Juwels, fügte au, mie ed immer folcher
Leute Art ift, noch etwas mehr als die Wahrheit hinzu,
und fchloß damit, wenn fie die Gräfin wäre, fo würde
fie gewiß Weg und Mittel finden, daß das Stleinod ficher
in ihren DBefig gelangte, wenn gleich der Kaufmann den
Entfchluß Habe laut werben laffen, es nicht zu verkaufen.
Es gibt für alles, fagte fie, ein Mittel, außer für
ben Tod.
Durch diefee Anpreifen und Ermuntern entzündete
fie ſolche Begierde in dem jungen Mädchen, daß diefe
die ganze Nacht hindurch an nichts anderes dachte, und
in, ihren Träumen nichts anderes fah, als eben diefes
Zunel; und am Morgen, als ed kaum Tag geworben
war, beauftragte fie die Kammerfrau, —* den Na-
varrefen aufzufuchen und ihn fo lange in ihrem Namen
zu bitten und zu beſchwoͤren, bis er fich beftimmen laffe,
das Kleinod zu verkaufen; wenn dies jeboch ſich nicht
ausführen Laffe, fo folle fie e8 wenigftens dahin zu bringen
fuchen, daß fie es fehen dürfe; vielleicht vermindere fich
durch den Anblick der Werth, den fie ihm nad dem
Hörenfagen beilege, und es werde damit auch ihre Sehn⸗
fucht nad feinem Befige herabgeflimmt. Die Kammter-
frau begab fi alfo zu dem Navarrefen und erzählte
ihm alles, worüber er äußerft erfreut war und von vorn
anfing, ihr auseinanberzufegen, wie er dem Kleinod den
allerhöchften Werth beilege. Und wenn er es Tages zu-
vor fehr gepriefen hatte, fo bob er es nun vollends
bis in den Himmel, indem er unter taufend Schwüren
von neuem verfiherte, er würde eher, als das Jumel,
fein Leben hinſchenken; doch fei er aus Freundlichkeit
und Gefälligkeit gegen fie es wohl zufrieden, fie es ſehen
50. Die Gräfin von Zouloufe. 13
zu laffen, vorausgefegt, daß fonft niemand, als die beiden
Zrauen anmefend feien, wenn er ed hinbringe. Da bie
Kammerfrau mehr zu erreichen nicht vermochte, nahm
fie wenigſtens dies an. Sie verabredete mit ihm, zu
welcher Stunde es heute gefchehen folle, kehrte fobann
zur Gräfin zurück und erzählte ihr alles. Zur feftge-
fepten Zeit kam der Navarrefe mit dem von ihnen er-
fehnten fehönen Kleinod. Es war dies ein- fpigiger Dia-
mant von fo aufßerordentlicher Größe und von fo feltener
und fhöner Geftalt, daß mol nie etwas Ahnliches gefehen
worden if. Der Stein war in den Befig bed alten
Grafen von Barcelona gekommen durch einige catalonifche
. Seeräuber, welche auf ihren Streifzügen über die Meer-
enge von Gibraltar hinaus gegen die Infel Madera hin-
gelangten und ihn dort einigen Normannen abnahmen,
welche aus gleichem Grunde in jenes Meer gefommen
waren; fchwächer als die Katalonen wurden fie von diefen
aller ihrer Beute beraubt und gefangen genommen. Diefer
Stein fol nachher lange Zeit im Befig des Königs von
Neapel gewefen fein, jegt aber dem Großtürken gehören,
welcher ihn höher achtet, als alle feine andern zufammen,
"deren boch unzählige find. Als er nun hingefommen war,
begann er mit der bekannten fpanifchen Wichtigkeit und
taufend Vorreden fein Jumel zu preifen, ehe er es vor»
zeigte, und betheuerte ihr bei feiner Meblichkeit, er fchäge
gerade feine Schönheit von allem am wenigften, denn
feine Kraft fei noch weit mehr werth; darauf machte er
. feine Gefälligkeit geltend, ſagte, jemand anders hätte ihn
nicht dazu gebracht, und fchloß endlich damit, daß er ihr
‚ben Stein zeigte, unter dem Beifügen jedoch, daß er ihr
fonft nichts geſtatten könne, ald blos den Anblid. Die
Gräfin hielt das unvergleichlihe Kleinod in der Hand.
Se genauer fie es betrachtete, defto fchöner Fam es ihr
vor, wie ed auch wirklich war, und eine unmwiberftehliche
Sehnfucht entzündete fich in ihr, es zu dem ihrigen zu
machen, da fie fonft nicht leben könne; doch beftete fie
Staliänifcher Novellenfchag. IL. 4 |
74 XIV. Luigi Alamanni.
darauf ihre fehmachtenden Blicke ohne es allzu deutlich
merken zu laffen. Darauf bat fie den Navarrefen, ihr
zu fagen, welche geheime Eigenfchaft denn das Kleinod
befige. Nachdem er fich ein wenig geweigert hatte, ant-
wortete er endlich, boch wie mit innerem Widerſtreben:
Gnädiges Fräulein, wenn einer im Zweifel ift, mas er
in einer Sache befchließen foll, bie ihm nahe geht, und
er ſchaut hinein, fo fieht er, wenn es zu feinem Vor⸗
theil ausſchlagen fol, diefen Stein fo hell werden, als
wären bie Sonnenftrablen darin verborgen; wo nicht, fo
wird er dunkler als eine mondlofe Nacht. Es Haben
fhon einige behaupten mollen, dies fei ber Stein der
Weifen, den viele umfonft gefucht haben, wiewol andere
meinen, er fei mehr ein Werk ber Alchimie, als ber
Natur. Auch fehlte es nicht an folchen, welche fagten,
er babe Alerander dem großen gehört, und dieſer habe
fih ohne benfelben nie dem Kriegsglüd anvertraut; ſo⸗
dann fei er in den Beſitz Julius Cäfars gelommen,
und duch bie Kraft diefed Steines haben beide für
unüberwindlih gegolten, wie ihr oftmals gehört haben
werdet.
Nach diefen Worten padte er feinen Edelſtein wieder
ein und nahm Abſchied. Die Gräfin blieb mit ihrer
Kammerfrau allein und rief zu wiederholten Malen:
Wer wäre glüllicher als ih, wenn ich ein fo Föftliches
und fo feltenes Ding befäße, und es ganz nach Bequem-
lichkeit tragen und befchauen dürfte? Würde ich in der
Folge einmal, wie neuli vom Grafen von Barcelona,
zur Ehe verlangt, welcher Vortheil wäre es für mich,
wenn ich untrüglihen Nat von meinem Edelſtein er-
bielte! , .
Nach diefen Überlegungen bat fie zulegt ihre theure
Kammerfrau, ihe zu Lieb wieder zu dem Navarrefen zu
gehen, und «8 dahin zu bringen, daß er den Stein an
fie verkaufe und zwar um einen Preis, den er felbft
nach Belieben beftimmen möge. Die Kammerfrau, wiewol
— —— — — — —
— — — — —
50. Die Gräfin von Toulouſe. 5
ihre Hoffnung gering war, ging doch hin und das erfie
und zweite Mal umfonft und mit der abfchläglicden Weis
fung, daß er nie mehr wagen würde, das Juwel irgend
jemand auf der Welt zu zeigen, gefchmeige es zu ver-
kaufen. Das dritte Mal aber fchien es dem Navarrefen‘
doch Zeit, zu dem Punkte zu gelangen, den er am erften
Tag fchon beabfichtigt hatte. Ex ſprach daher: Liebe Frau,
da eure dringenden Bitten und die Schönheit und Anmuth
eurer Gebieterin endlich meinen Willen gebrochen und mich
zu dem Entſchluß bewogen haben, eines fo theuren Kleinods
mic, zu entfchlagen, fo geht Hin und antwortet ihr, ich
wolle es ihr ganz ficher geben, wenn fie mir flatt der
Bezahlung geftatte, eine einzige Nacht fo vertraut bei ihr
zu ruhen, ald wäre ich ihr Gemahl. Will fie dies nicht
thun, fo fagt ihr, daß weber Geld noch fonft eine Be⸗
lohnung mich je dahin bringen werde, auf mein Eigen-
thum zu verzichten; fie möge fich alsdann ihre Luſt ver-
gehen laſſen und mir nit länger mit Bitten beſchwerlich
fallen.
Die Kammerfrau hinterbrachte ihrer Gebieterin diefen
Beſchluß und fügte hinzu, wenn fie fih dazu nicht ver-
ftehen wolle, fo fei fie felbft nicht gemeint, weitere Worte
und Schritte in diefer Sache zu verlieren, denn fie fei
überzeugt, es führe zu nichts. Die Gräfin erzürnte fich
über biefe Worte aufs Außerſte. Cie hielt ihre Ehre für
ſchwer gekraͤnkt und drohte mit heftigen Reden der zucht-
lofen Verwegenheit desjenigen, deſſen Worte ihre Keufch-
beit und Würde zw verlegen ſich erdreiftet, fehalt aber
auch die Kammerfrau, daß fie ihm nicht nachdrücklichſt
bedeutet habe, wie fchlecht es für einen feined Gleichen
fih zieme, ſolche Heben gegen fie zu führen. Die
Kammerfrau lächelte ein wenig und exwiberte: Madame,
als ich das erſte Mal zu ihm geſchickt wurde, meinte ich,
meine Pflicht fei, euch und ihm alles auszurichten, was
mir von ber andern Seite aufgetragen werde, unb ich
hätte mie nicht zu deuten gewußt, welchen Theil bes
| 4*
76 XIV. Luigi Alamanni.
Auftrages ich tadeln oder. verfehweigen ſolle. Seid ihr
nun unzufrieden mit dem, was ich euch berichtet habe,
fo ift das eure Schuld, daß ihr mich nicht erinnert habt,
für den Fall, daß er mir ſolche Dinge auftrage, folle ich
ihn ausfchelten und euch nichts davon fagen. Übrigens,
wenn ihre mir diefe Auflage gemacht hättet, würde ich
die ganze Sendung jemand anderem überlaffen haben,
benn wegen billiger Dinge Fönnte ich nie jemand tadeln,
geichweige ftrafen. Unfer Herr Gott läßt fih auch un⸗
gerechte Wünfche wie gerechte vortragen, von Guten wie
von Boͤſen, erhört aber freilich nur jene, wenn es ihm
gut dünkt, und diefe nicht. Ich konnte daher nicht wiffen,
dag ihre höher gehalten fein wollt, ald er. Womit bat
euch ber Navazrefe beleidigt? Wißt ihr nicht, dag man
das Fragen überall in der Welt umfonft hatt Ihr feid
noch zu jung und wißt noch nicht recht das Gute und
Böfe zu unterfcheiden. Wären eure Haare fo weiß, wie
die meinigen, fo würdet ihr anders fprehen. Man muf
allerdings oft fo fagen; aber wo und zu wem? Weder
bier, noch zu mir, noch zu den rauen, bie euch ergeben
find, fondern zu Männern und zu fremden Frauen, die
euch, wenn fie euch auch nicht glauben, menigftens für
Aug halten und für eine Frau, melde ſich auf unfere
Kunft, das heißt. das Heucheln wohl verfieht. Mir,
die ich euch ganz ergeben bin und nichts anderes auf
der Welt habe, was mir theuer ift, kommt nicht fo!
Ich weiß recht wohl, daß die größte Ehre und das größte
Vergnügen, das man den Frauen machen kann, darin
befteht, daß man fie um dasjenige bittet, ohne was wir
ein Tag ohne Licht, ein Meer ohne Wellen wären. Sch
entfchuldige euch mit eurem zarten Alter, und habe des-
halb mit eurem Zorn Geduld. Wir wollen zu etwas
anderem übergehen! Aber das fage ih noch, wenn ihr
den Navarrefen auf eine kluge Weife befriedigt, fo be⸗
fommt ihr den Cdelftein eigen, und mir fheint, ihr
tämet auf diefe Art mwohlfeil zu. Was zum Teufel könnt
om — — —, — — —
un 22 u wa wi. — — — 2—
50. Die Graͤfin von Toulouſe. 7
ihr ihm denn Geringeres geben, als ihn mit einer Münze
bezahlen, von der uns, je mehr wir geben, um fo mehr
zu geben übrig bleibt? Die Sünde in Betracht zu ziehen,
das mollen wir den Betfchmweftern und den alten Mütter-
chen überlaffen, die fonft nichts zu thun haben; für junge
Mädchen aber ift das nichts, die noch taufend Jahre Zeit
haben, um ihre Fehler gegen ihren Herrn Gott zu be-
reuen. Und jenen muß man auc) noch zu bedenken geben,
daß fie dazu weder Gelegenheit noch Begierde haben und
nicht darum angegangen werden. Um die Ehre zu ver-
lieren, muß die Sache befannt werben; thun mir «6
daher im Geheimen, fo geht die Ehre nicht verloren.
Ih fage euch meine Anficht wie eine Mutter, und ihr
mögt dann das thun, was ihr für das Befte: haltet.
Aber das gebe ich euch zu bedenken, daß ich um fo viel
weifer, als älter bin. Es thut mir fehr leid, daß ihr
nicht meinen Willen und Verſtand habt, oder ich nicht
eure Reize, Schönheit und Stand, von welchen drei
Porzügen euch jeboch von jegt‘ über vierzig Jahre auch
zwei fehlen werden, und der dritte, was wird er euch
helfen, als daß er euch größere Pein und Laft bereitet?
Diefer Juwelier, wenn er auch ein Heiner Kaufmann ift,
erinnert mich doch in Geficht, Gedanken, Betragen und
in allem weit mehr an einen Edelmann als an feinen
Beruf. Wenn ihr ihn daher nicht nehmt, fo habt ihr
zwar vielleicht nach eurem Gefchmad gehandelt, aber
nicht gethan was ihr folltet.
Mit diefen und vielen andern Worten beflürmte bie
alte Kammerfrau das junge Mädchen, fügte fo viele an-
dere Gründe hinzu und fing fo oft von neuem an, bis
die Gräfin faft ganz müde, fo hart und fauer es fie
ankam, nach langem Wermweigern, Streiten und Nach-
benfen am Ende zu ihr fagte: Nun fo geh und thue,
was dir gut fcheint! Weranftalte es aber fo, daß es
nicht. mehr, ald eine Nacht wird und daß biefe fo fpät
anfängt, daß ich nicht viel Unluft davon zu tragen habe
18 XIV. £yigi Alamanni.
und du micht viel Gefahr; denn wenn du dir einmal
etwas in den Kopf gefegt haft, fo muß man ſich dazu
bequemen oder wird man beiner Wiberwärtigkeiten nicht
eher 108.
Die Kammerfrau erwiderte darauf nichts mehr, fuchte
aber, fobald fie konnte, den Navarreſen auf und verab-
redete mit ihm, daß er ſich in der folgenden Nacht genau
um die Zeit der Frühmeſſe an einer Hinterthüre des Gar-
tens einfinden, was fie ihm genau befchrieb, und ben
Edelftein mitbringen folle. Und fo geſchah es. Als ihr
in der Nacht der Navarrefe den Ebdelftein gegeben hatte,
fagte er zu ihr, er habe noch einige andere von nicht
geringerem Werthe, die er ihr um benfelben Preis über-
liefern wolle, wenn es ihr recht fei. Da die Kammer⸗
frau diefen Antrag gehört hatte, feste fie ihrer Gebie⸗
terin unaufhörich zu, machte ihr bemerklih, daß, was
einmal gefchehen fei, Dadurch nicht fchlimmer werde, wenn
e6 öfter gefchehe, und daß einmal eben fo viel fei als
viermal. Sie wußte ed auch fo gut anzugreifen, daß
fie außer jenem großen Diamant noch einen fehr fhönen
Rubin gewann und einen Smaragd, von welchen ber
Ravarrefe behauptete, ber eine habe ſchützende Kraft gegen
das Gift, der andere gegen bie Pet, welche fortwährend
in Languedoc haufet, fo Eräftig auch Sanct Rochus von
Monpellier gegen fie antämpft. Aber wie es meiftens
gefhieht, daß man gerade das findet, was man am
wenigften fucht, fo begab es fih, daß einige Wochen
barauf die Gräfin ſich zu ihrem äußerften Grame ſchwanger
fühlte. Sie berathfchlagte fogleich über ihren Zuftand
mit ihrer Kammerfrau, welche fie ermunterte, Geduld
und Muth zu haben, und fagte, man müffe e8 geheim
halten, es finde ſich ſchon für alles ein Auskunftsmittel;
fie fei nicht die erfle und dürfe auch nicht fürchten, bie
legte zu fein, die nad einem folchen Unfall noch als
Jungfrau verheirathet werde. Wenn dies ein Grund
. wäre, ber jeber, welche biefes Schickſal gehabt, die Haare
50. Die Gräfin von Zouloufe. 79
ausfallen machte, fo müßten die meiften rauen auf der
Welt eine Perrücke tragen Da ermachte aber in der
Gräfin alfer Adel und alle Größe der Gefinnung, melde
Shen ihre Geburt mit fich brachte, und fie antwoztete:
Mögen andere immerhin thun, was ihnen das Beſte
dünkt! Mic, aber foll Gott davor bewahren, daß ich,
nachdem ich den erſten Fehltritt nun einmal zu begehen
unfiug genug gewefen bin, benfelben mit einem zweiten
zuzudecken ſuche! Ich werde nimmermehr einem Manne
angehören, ben ich durch Rügen und Meineide in dem
Wahn erhalten müßte, er befige etwas, was ich ihm doch
nicht gebe. Die Buße, das ift mein Wille, falle auf
ben Sünder und die Frucht ernte der, der ben Saamen
freute. Ich bin deinem Rathe feither leider nur zu fehr
gefolgt. Verſchone mich deshalb ferner damit, wenn bu
mich nicht beleidigen willft, und bring mir den Navar⸗
refen hierher! Wenn ich mich auch einmal fo tief ernie-
drigt habe, mi ihm Hinzugeben, fo will ich jest groß
genug fein, mic, feinem zweiten betrügerifch aufzubürden.
Ih bin durchaus entfchloffen, den Weg zu verfolgen,
auf welchen mich das Schickſal, deine verkehrten Einflü-
fterungen und meine Unvorfichtigkeit geführt haben.
Die Kammerfrau, ald fie die Entfchloffenheit ihrer
Gebieterin erkannte, und oft vergeblich verfucht hatte,
fie davon abzubringen, führte ihr endlich den Navarrefen
herbei. Diefer hatte, vielleicht weil er die Grafin oft
geſehen, bemerkt, daß fie in Farbe und Gefichtszügen '
verändert und magerer geworden war, und dba er ben
Grund wohl wiffen konnte, auch fich zu Erreichung dieſes
Zweckes alle Mühe gegeben hatte, war er gar bald auf
die wahre Urſache ihres Übelbefindens verfallen. Wiewoi
vom Schmerz gebeugt empfing fie ihn dennoch, ohne auch
nur eine Thräne zu vergießen, mit ſtarkem Geifte, nicht
wie ein jumges fchwaches Mädchen, fondern wie ein er«
fahrenes kräftiges Weib, und fagte zu ihm: Mein Freund,
diemeil dein Glück und mein Unglüd, deine Klugheit und.
80 XIV. Luigi Alamanni.
meine Unvorfichtigkeit mich bahin gebracht haben, daß ich
hochgeboren, wenn ich nicht Bott und die Menſchen be-
teügen will, eines Juweliers Weib werben, und du der
Namenlofe der Batte einer Grafentochter werden mußt,
fo bitte ich dich, du wolleſt mich nicht verfioßen und dich
entfchliegen, mich völlig als die deinige hinzunehmen.
Ich fühle mic ſchwanger von dir und gedenfe auf feine
Weiſe hier zu bleiben, um andern Kummer und Argerniß,
mir felbft aber Schmerz und Schande zu verurfachen.
Ih bin vielmehr bereit, mit bir zu ziehen unb durch
ein bürftiges Leben lieber in einem einzigen Theile dieſem
armen fündigen Körper wehe zu thun, als bei leiblicher
Behaglichkeit taufend mal in einer Stunde meine Seele
und die ‚Seele vieler anderer mit mir zu Eränten. Nichte
dich alfo ein, bag wir morgen, ehe die Nacht herankommt,
von bier geflohen find! Ich nehme deine und überdies
viele andere van meinen eigenen Juwelen mit, bazu
einiges Geld, und fo wollen wir hinmwegziehen und uns
fo gut wir können gegen ben Hunger fihügen, bis ich
Deateife, warum die Sterne mich in dieſe Welt gefegt
haben.
Der Graf von Barcelona (jegt. wollen wir ihn nicht
mehr den Navarrefen nennen), wie überaus erfreut er
auch hierüber war, da er ja gar nichts anderes wünſchte,
fo überlegte er doch, wenn er wirklich der geweſen wäre,
für den fie ihn hielt, wie weit einen oft das Scidfal
führen fann, wie viel Gewalt der Himmel über ung hat,
und wie oft e8 vorkommt und wie leicht es ift, die Frauen,
obſchon fie fich für äußerſt Kiftig halten, zumal aber junge
Mädchen zu betrügen; da überfam ihn ein ſolches Mit-
leiden mit ihr, daß er nahe daran war, trog all feiner
Mannheit und um eines andern willen das zu thun,
was fie, als Weib, um fich felbft zu thun verfchmähte,
nämlich zu weinen. Er bededte das Geſicht, verbarg
feine Gemüthsbewegung und fagte in großer innerlicher
Bewegung: Edles Fräulein, ich bin ein niedriger armer
— -—_ — — — — zz
50. Die Gräfin von Toulouſe. 81
Handelsmann, wie ihr ja gar wohl bemerkt haben könnt;
aber trotzdem iſt mein Sinn immer darauf geſtanden,
unbeweibt zu leben und zu. fterben. Darum bitte ich
euch, fallet mir nicht zu Laft und ſtürzt euch nicht felbft
in diefes Misgeſchick!
Er hätte gerne noch weiter gefprochen; aber fein Mit
leid mit ihr und der Wunfch, fie ganz zu befigen, fowie
die Beforgniß, ed möchte fie Neue ankommen, fchloffen
ihm den Mund. Sie antwortete ihm: Mein Freund,
ich will dir nichts mehr fagen, als daß du bedenken mögeft,
dag das Glück dem gefegnetften Dienfchen auf diefer Welt
in feinem ganzen Leben nicht mehr als eine folche Gele-
genheit bieten kann, wie fie jegt dir mein Misgefchid
und dein guter Stern bereitet. Sieh wohl zu, daß das
Glück fi) nicht über deinen Unverftand erzürne, wenn
bu ein Juwelenkrämer die Hand einer Gattin verfchmähen
willft, welche. vor nicht langer Zeit die Bewerbung des
Grafen von Barcelona zurückgewieſen hat.
Diefe legten Worte fachten wieder etwas den alten
Groll im Herzen des Grafen an und trieben fein Ge
müth zur rohen Rache an. Ohne fernere Weigerung
erklärte cr demnach, da es fo ihr Wunſch fei, füge er
fih in jeden ihrer Befehle; fie müffe ſich aber gefaßt
machen, in allen Dingen zu leben wie feine Frau und
nicht wie die Tochter ihres Waters, mit ihm ohne Bes
gleitung und zu Fuß wandern, wie fein Stand und feine
alte Gewohnheit es erforbere, namentlich auch, um defto
beſſer ben Gefahren zu entgehen, welchen ſich ein Mann
ausfegt, der eines Grafen Tochter aus ihrem Haufe ent-
führe, um fie in frembe Länder zu bringen. Ungekannt
und ohne ihrer Verabredung gemäß mit irgend jemand
zu fprechen, außer mit ber Kammerfrau, welche weinend
zurüdblieb, gingen fie in Pilgertracht, ald wollten fie den
heiligen Jakob in Galizien befuchen, in ber nächften Nacht
von binnen. Ein gewaltiger Aufruhr entſtand in Zouloufe
und im ganzen Lande, ald das Geſchehene befannt wurde.
4*%
83 XIV. Luigi Alamanni.
Da aber kein Menfch die Wahrheit ahnen konnte, glaubten
manche, fie möge, plöglich von Gott getrieben, in irgend
ein heilige Nonnenklofter geflohen fein ; denn feit der Zeit,
da. fie fi ſchwanger fühlte, Hatte fie größere Frömmigkeit
ale früher bewiefen und, fo viel fie konnte, jede Geſell⸗
ſchaft gemieden; fo konnte man alfe leicht auf jenen Ge⸗
danken kommen; und die zurückgebliebene Kammerfrau,
welche allein barum mußte, brachte eine fo wohl aufge
ftugte Gefchichte zu Markte und fiellte ſich zugleich als
bintergangen und hoͤchſt unzufrieden über das Ganze,
baf fie alle überzeugte, die Sache verhalte fi ſo. Theils
wegen ber Hoffnung, welche man hieraus fchöpfte, theils
weil die Flüchtigen in kurzer Zeit iiber die Grenzen von
Languedoc hinaus waren, wurden fie nicht wieder aufge
funden, wiewol man ihnen eifrig nachſpürte. Es würde
zu weitläufig fein, alle die mühenollen langen Prüfungen
zu nennen, welche ber verliebte frohe Graf feine betrübte
und unzufriedene Gattin unterwegs beftehen ließ. Früher-
bin ungewohnt, das ganze Jahr über nur vierzig Schritte
zu Buß zu machen, wo fie ſich dann auf die vornehmften
Eheleute ihres Hofes flügte, und Dies nur zur ——
Zeit, die man finden konnte, war fie jetzt genöthigt, unter
ber beifefien Juliusfonne auf fcharfen Steinen einherzu-
gehen, gedrückt bereits von ber Bürbe ihres Leibes, alle
mögliche Mühſal ertragend, wie nur das ärmfte Gefchöpf,
das auf Erden wandelt. Der Graf Iub fie nur dann
und mann, fo oft es nothwendig war, zur Buße ein,
aber mit fo rauben Worten, unb trieb fie darauf in fo
unböflihem Ton zum Weitergehen an, baf ber geringfie
Befehl für den Leib der Seele die größte Kränkung be-
reitete. Mit dem Tag aber, an welchem fie Touloufe
verlaffen hatten, war fie darauf gefaßt, jeben Dohn bed
Geſchicks gelaffen zu tragen. So ging es ihr unterwegs;
in dem Gaftbaufe fobann, wo fie einigermaßen hoffen
Tonnte, bei Nacht von den Befchiwerben des Tages aus-
zuruben, fand, da biefe Gegend nad fpanifcher Bitte
50. Die Grafin von Tonloufe. 83
nur mit den erbärmlichften Herbergen verfehen ift, und
weil wie es fcheint der Graf ed um fich zu rächen darauf
anlegte, die arme junge Frau fo fchlechtes Unterfommen,
dag man es nicht Ruhe fondern Mühfel auf Mühſal
heißen tonnte. Endlich, nach mehreren Tagen kamen fie
nach Barcelona und fanden bafelbft feine Begleiter wieder,
welhe an bemfelben Tage wie fie von Zouloufe abge-
gangen waren, aber in größeren Zagereifen den Weg
zurüdgelegt hatten. Er bezog mit feiner Frau eines der
ärmlichften und am fchlechteften ausgeftatteten Gaſthäuſer
ber Stadt, in welchem jedoch eine brave und fromme
Frau die Wirtbfchaft führte, wiewol es deren dort wenige
gibt, welche nicht lieber ber Taufe als bem Weiberver-
kaufe entfagten. Er fchlief hier mit ihr die erſte Nacht
und brachte auch den ganzen folgenden Tag bafelbft zu;
am nächften Abend jedoch beredete er fie, er habe in der
Stabt ein Gefchäft und er Tonne unmöglich anders als
die Nacht über bei ihre fein, da er bei Tag ganz von
feinen übrigen Angelegenheiten in Anfpruch genommen fei.
Er fagte, fie folle mit der Alten bier im Haufe ihre
Arbeiten theilen; dadurch Tonne fie ihren Binlänglichen
Unterhalt verbienen; denn er fei nicht gemeint ihretwegen
eines feiner Kleinode zu verkaufen noch auch bas Geld
aufzuzehren; vielmehr, wie er ſtets durch feine Betrieb⸗
famteit etwas erübrige, fo wünfche er, daß auch fie es
halte, wenn ed ihr daran gelegen fei, im rieden mit
ihm zu leben. Die unglüdtiche Gräfin feufzte in ihrem
Herzen ſchwer, als fie fich erinnerte, wie vielen Leuten
ihr Vater zu leben gab, während fie fi nun in Um⸗
ftände verfegt finde, wo fie genöthigt fei, ihren Lebens⸗
unterhalt mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Doc
antwortete fie mit heiterer Miene, fie wolle es thun.
Der Graf verließ fie, ging im Pilgergewande nach fei-
nee Wohnung, wo er längft vermißt und faft für ver-
Ioren gehalten worben war, nun aber ganz unerwartet
zurückgekehrt von feinen Eltern mit inniger Freude em⸗
‘
54 XIV. Luigi Alamanni.
pfangen wurde; denn feine Pilgerfahrt hatte fi um
viele Wochen gegen feine frühere Angabe verlängert.
Der freubige Graf blieb fo den ganzen Tag in feſtlichem
Genuffe bei feinen Freunden und Hofleuten, ermangelte
aber nicht, in dee Nacht heimlich in der frühen Tracht
die Gräfin aufzufuchen und bei ihr zu ſchlafen, legte ihr
auch beftändig neue Laften und ärmliche Gefchäfte auf
und ermahnte fie, in der Küche und im Zimmer ber
guten Wirthin immer dienftwillig und bereit zu fein. Sa,
noch nicht zufrieden mit dem auf fie gewälzten Schimpf
beſchloß er, fie noch weiter in Verfuchung und Schmach
zu führen. Darum fagte er eined Nachts zu ihr: Ich
gedenke morgen einem Rauchhändler meinem Freunde in
der Bude eines Schneiders eine Trinkpartie zu geben,
wozu ih nun Brot kaufen müßte, welches doch hier zu
Lande fehr theuer if. Weil ed mir nun zu fauer an⸗
kommt, fo viel Geld auszugeben, fo ift mir eingefallen,
du follft morgen früh, wenn die Wirthin das Brot ge-
baden, und bu fie dabei unterftügt haft, dich anftellen,
ed fei dir etwas hinuntergefallen, menn du damit zum
Dfen zurückkehrſt, und vier davon in deine Tafche unter
dem Unterrock verfteden und fie mir aufheben. Zwei
oder drei Stunden nad) dem Morgeneffen will ich fie
abholen.
Der hochherzigen Gräfin erſchien diefe Zumuthung
über alle Maßen erniedrigend und fie würde fie nicht
für Ernft genommen haben, hätte fie nicht vorhes fo
vieles über die fchmugige Armfeligkeit der Spanier und
Ravarrefen reden gehört. Sobald fie aber dachte, er
fcherze keineswegs, fo bat fie ihn aufs Demüthigfte, er
möge fie dody nicht zwingen, fo etwas zu thun.
Darauf verfegte er ganz zornig: Iſt es dir noch nicht
aus dem Sinn, daß du die Tochter des Grafen von Tou⸗
loufe biſt? Habe ich dir nicht am erften Tage, wo wir
von dort weggingen, gefagt, und von dir das Verfprechen
erhalten, du wolleſt alles andere vergeffen und nur im
zn zn mE- wa (u „| — vn — — — -—
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50. Die Gräfin von Toulouſe. 85
Gedächtniß behalten, daß du das arme Weib des Na-
varrefen ſeieſt. Darum fage ich bir nochmals, wenn du
im Frieden mit mir leben willft, fo mußt du bich ent-
Schließen, dies zu thun und mas ich dir fonft noch befehle;
‚oder ih laſſe dich allen und gehe anderömo meinem
Glücke nad).
Sie war genöthigt, es ihm zu verfprechen und vol
brachte am andern Morgen genau fein Geheiß. Der
Graf ritt jeden Abend durch die Stadt fpazieren. Heute
hatte er nun mit einem der beiden, welche mit ihm in
Touloufe waren, und welcher in einem entfernten Ver⸗
wandtfchaftsverhäffniffe zu ihm ftand, alles verabrebet,
was weiter zu thun wäre. Er Fam an der ärmlichen
Derberge feiner Srau vorüber und ergriff eine Veran-
Laffung ftille zu halten. Da näherte fih, wie ihm früher
war befohlen worden, jener, während fie warteten, der
Frau, welche zufällig mit der Gräfin an ber Küchenthür
vermweilte, und fagte zu ihr: Wer ift das Mädchen bier
neben euch, liebe Frau?
Die Wirthin antwortete ihm, wer fie fei und wann
und wie fie zu ihr gekommen.
Ei, fagte der Edelmann, ihr feht doch aus, als lebtet
ihr. fchon Yang genug in der Welt und ‚habt nod) nichts
darin gelernt! Diefes Mädchen fieht mir’ aus, ald wäre
fie das fchlaufte böfefte Geſchöpf, das ich je gefehen;
und wenn ihr nicht Achtung gebt, fo fliehlt fie euch noch
alles, was ihr habt.
Die Alte leugnete died und ertheilte ihr das größte
Lob. Darum fagte der Edelmann zu ihr: Ich will, ehe
ih von hier weggehe, machen, daß ihr euch mit eigenen
Augen von der Wahrheit meiner Behauptung überzeuget.
Seid fo gut und hebt. ihr ein wenig vorn die Röde auf
und fihaut ihr in die Zafche, die fie darunter hat, fo
werdet ihr etwas darin finden, was euch beweifen wird,
daß ich nicht umſonſt fieben Jahre in Toledo Nekromantie
ftudirt habe. -
86 XIV. Luigi Alamanni.
Als er Miene machte, felbft den Beweis zu führen,
unterfichte bie gute Frau, mehr um ihm zu gehorchen,
als weil ſie irgend einen Berbacht hegte, ihr bie Taſche,
wo fie bie vier Brote verftedt fand. Sie war darüber
äußerft verwundert, entfehuldigte aber doch freundlich bie
Fremde vor dem Ritter, welcher, nachdem er noch etwas
darüber gelacht und gefpottet hatte, von dannen ritt.
Es laͤßt ſich nicht befchreiben, wie fehr bie bebauerns-
werthe Gräfin fich betrübte und fchämte. Sie ſank faft
vor Schmerz zu Boden, ſich vor einer fo edeln Geſell⸗
fhaft wegen einer fo niebrigen Handlung verhöhnt zu
ſehen. Als fie darauf von der Wirthin mit mütterlicher
Milde zurechtgewiefen wurde, bat fie fie faft unter Thraͤnen
um Verzeihung und verfprach ihr, nie wieder ähnliche
Fehltritte ſich zu erlauben, verfchiwieg jedoch dabei immer,
wer fie zu biefer Handlung beflimmt hatte. Der Graf
fagte ihr in der folgenden Nacht, er habe die Brote
nicht beburft, ftellte fich aber fehr unzufrieden mit der
ihr zu Theil gewordenen Beſchämung, indem er ihr vor»
warf, fie fei felbft an allem fchuld, da fie die Sache
ungerne und ungefchidt angegriffen babe. Die Gräfin
von Gatalonien, feine Mutter, hatte damals einige koſt⸗
bare Arbeiten bei einem Künftler beftellt, welche fie einem
Gelũbde gemäß einer Anbachtsftätte in Barcelona ſchenken
wollte. Unter andern Dingen waren dabei viele Perlen,
aus welchen man Bilder und Thiere nähen fellte, wie
man dergleichen Dinge jegt täglich fiehe. Als ber Graf
dies betrachtete, fiel ihm plöglich ein, er koͤnne dadurch
von Neuem feine Gattin befhimpfen. Gr fagte zu feiner
Mutter, er kenne eine arme Franzöfın, welche fehr geübt
fei in dergleichen Arbeiten, er wolle fie für dem folgenden
Zag zu ihre beftellen, denn ex wiffe, wo fie wohne. In
der Nacht fagte er es zu feiner Frau und befahl ihr,
ohne Weigern und bei Strafe feiner Ungnabe fo viel als
möglich von den Perlen zu fichlen. Die Arme wiber-
ſetzte fi) zwar unter Thraͤnen lange, theil wegen ber
50. Die Gräfin von Toulouſe. 87
eben erſt erlittemnen Schmach mit dem Brote, theild um
nicht das Haus deſſen betreten zu müſſen, beffen Wer⸗
bung fie neun Monate früher auf eine beleidigende Weife
abgewiefen hatte, und wo fie daher gar leicht hätte er-
kannt werden können. Doch naͤch zahllofen und rohen
Drohungen des Grafen verftand fie fich endlich dazu, es
zu thun; und zu befto größerer Sicherheit verabrebeten
fie, fie folle die Perlen in den Mund nehmen und unter
der Zunge verbergen; denn wenn fie auch nur wenige
von bdenfelben, die alle fehr ſchön und von großem Werth
waren, nehme, fo müffe der Gewinn doch immer fehr
groß werden. Gleich am andern Morgen wurde fie von
der Mutter des ‚Grafen befchäftigt, und ihre Betragen
und Benehmen gefiel fo fehr der Mutter wie allen, bie
fie fahen, daß niemand anderd glaubte, als fie fei wirf-
lich eine vornehme Frau, wie fie ed auch war, auch, ab»
gefehen davon, daß fie in allen Arbeiten, welche einer
Edelfrau ziemen, fi ſehr gewandt und gelehrt zeigte,
wie nur irgend eine. Sie felbft kümmerte ſich wenig
um die Worte der andern; vielmehr ging ihr jeber ihrer
Zobfprüche Mie ein ſcharfes Meſſer durch ihre Seele.
Sie gedachte nur ihres Auftrages; ſchon hatte fie drei
der allerfchönften Perlen unter die Zunge gebracht, als
eben der Ritter, welcher ihren Brotdiebſtahl verrieth,
auf des Grafen Befehl in das Zimmer trat und fi
gegen die Srafın fehr verwundert äußerte, daß fie einem
ſolchen Weibe Zutritt in ihrem Haufe verftatte. Er er-
zählte ihr fodann, was er früher mit dem Brote gefehen
babe, und offenbarte ihr endlih auch, was. fie ihr hier
entwendet. Der Unglüdlichen verurfachte diefe Entdeckung
um fo mehr Scham und Betrübniß, je edler dee Ort,
je werthvoller der Gegenftand und je vornehmer die Perfon
war, an welcher fie ihn verübt hatte. Die andere aber
maß alle Schuld ihrer Armuth bei, entlieh fie jeboch
ehrenvoll von ihrer Arbeit. Nunmehr glaubte der zür⸗
nende Graf für. die von feiner Frau erhaltene Beleidigung
1
88 XIV. Luigi Alamanni.
genügende Rache geübt und ihr Worurtheil gegen ihn ge-
hörig beftraft zu haben; denn er hatte nun das Bewußt⸗
fein, daß fie etwas viel Niedrigeres begangen habe, ale
er, indem er den Kern eines Granatapfels aufgehoben.
Auch bemerkte er, daß die Zeit ihrer Entbindung heran⸗
nahe, und fo gab er denn jedes weitere Verlangen, fie
zu tränfen, auf und dachte hinfort nur auf feine Freude
und ihre Zufriedenheit. Er erzählte alfo feinen Eltern
alles, fagte, fie fei buch Verführung und nit durch
Habſucht dahingebracht worden, bei ihm zu fehlafen, be-
richtete fofort, wie viel Schmah, Qual und Verdruß
er ihr bereitet habe zum Lohn für ihren Fall und ſchloß
endlih damit, daß er beabfichtige, wenn fie es geneh⸗
migen, diefelbe am folgenden Tag als Tochter des Grafen
von Touloufe und als feine Gemahlin heimzuführen. Die
Eitern des Grafen waren hierüber ebenfo erfreut, als fie
frühere durch die Kunde von dem Bruch ber beabfichtigten
Bermandtichaft betrübt worden waren; und ohne die Ur-
ſache zu fagen wurde Befehl zu einem koftbaren Feftmahle
gegeben. Der Graf fagte in ber Nacht vor dem angeorb-
neten Feſte zu feiner Frau: Morgen begeht man im
Haufe des Grafen diefes Landes ein großes Hochzeitfeft,
denn fein Sohn hat die altefte Tochter des Könige von
Aragon geheirathet, eine ber reizendften und fchönften
Srauen, die man feit langer Zeit gefehen; er darf Gott
recht danken, daß du ihn ausgefchlagen haft, denn bier
ift er, was Berwandtfchaft, Reichthum und Schönheit
anbelangt, weit beffer gefahren.
Hier konnte die Gräfin einen flüchtigen Seufzer nicht
unterbrüden, indem fie zurückdachte, wer fie einft gewefen
und wer fie jest war.
Morgen, fuhr ber Graf fort, ift allgemeiner Fefttag,
wo man nicht arbeitet. Da du alfo nichts anderes zu
tbun haft, fo denke ich, du gehft zum Zeitvertreib mit
diefer guten Frau hin, denn fo allein würbeft du bier
Langeweile haben. Zugleich wirft du darauf. Acht haben,
— — — — — — —
50. Die Graͤfin von Toulouſe. 89
ob nicht drinnen etwas iſt, was man, ohne daß jemand
es merkt, ſtehlen koͤnnte. Du biſt ein Weib und wenn
man dich daher auch ertappt, ſo kann dir doch nichts
geſchehen, als ein wenig Schande, die bald vorbeigeht
und welche zu ertragen der Arme ſeine Seele gewöhnen
muß. |
Schien e8 der Gräfin vorher hart, bas andere zu
tbun, fo Fam ihr diefes Gebot nun ganz unerträglich
vor, und hatte fie jenes durch Bitten und Entfchuldi«
gungen von fich abzumenden gefucht, ſo betheuerte fie jegt
mit Thränen und der jammervollften Klage, lieber fterben
zu wollen, als fich dazu zu verftehen. Der Graf aber,
welcher damit den Beſchluß machen wollte, zwang ihr
mit noch weit heftigen Drohungen und herbern Worten,
als früher, das DVerfprechen ab, feinem Willen nachzu⸗
fommen. Der Frau vom Haufe hatte er feinen ganzen
Plan heimlich eröffnet ‚und ihr angegeben, .um welde
Stunde, wie und wohin fie am folgenden Morgen zu
gehen habe. Nach diefen Vorbereitungen kehrte er nach
dem Schloffe zurüd. Am andern Tage fanden fich die
vornehmften Nitter und Die ebeiften Frauen von Barce⸗
Ilona zur beftimmten Stunde ein um an dem Gaftmahle
Theil zu nehmen, und erheiterten, ehe bie Zifche gedeckt
waren, mit anmuthigen Gefprächen und muntern Tänzen
die fürftlihe Wohnung. Die alte Wirthin führte nach
der Meifung des Grafen fait mit Gewalt die Grafın hin,
etwa eine Stunde vor dem Gaſtmahl. Sobald ſie unter
andern ſehr armen Leuten verſteckt im Saale erſchienen
war, ſchritt der Graf feſtlich gekleidet ganz ſtrahlend vor
Freude auf ſie zu und ſagte laut, ſodaß er von allen
konnte verſtanden werden: Willkommen, edle Gräfin,
mein geliebtes Weib! Es iſt endlich an der Zeit, daß
aus eurem navarreſiſchen Juwelenhaͤndler der Graf von
Barcelona und aus euch der armen Pilgerin die Tochter
und Gemahlin eines Grafen wird.
Ganz aus der Faffung gebracht und ebenſo voll Ver⸗
90° XIV. Luigi Alamanni.
wunderung. als Scham über dieſe Worte blickte ſie umher,
ob nicht an jemand neben ihr dieſe Worte ſich richten.
Bald aber erkannte ſie an Stimme und Bewegungen,
wer es war und was er ſagte, verſtunmnte aber unent⸗
ſchloſſen, was ſie zu thun habe. Der Graf fuhr fort
und ſagte: Edle Frau, wenn das, daß ihr mich ohne
Recht und Billigkeit verſchmäht habt, mich etwas grau⸗
ſam gegen euch gemacht hat, und vielleicht mehr, als
ihr für ſchicklich erachtet, ſo meine ich doch, wenn ihr
Liebe gefühlt haͤttet wie ich und waͤret fo willkürlich be⸗
leidigt worden, ich müßte auf einen Punkt, in eurem
Herzen Mitleid für alles finden, geſchweige Vergebung.
Aber bei der Hoheit und dem Seelenadel, den ich in
eurem niedern Stande mehr kennen gelernt habe, als
ich ihn in eurer Erhebung auszufinden wußte, bitte ich
euch, wie ich eure frühern Beleidigungen verzeihe, ihr
mir die meinige in meiner Rache vergebet; und ſo möge
es euch in Gegenwart meines Vaters und meiner Mutter
und aller der hier anweſenden Herren und Frauen gefallen,
mir in Barcelona das zu geben, was ihr mir in Tou⸗
loufe genommen habt, ich aber durch meine Lift euch
wieber ftahl. ‘
Die Gräfin gewann ihren verlorenen Muth wieder
und ermwiberte mit feſter Stimme und verſtaͤndigem fitt-
famen Ausfehen, nicht wie ein armes Krämerweib, fon-
dern wie eine Fürftin alfo: Es ift mir in der That lieb,
mein Gebieter, heute zu erfahren, wie viel größer mein
Glück geweſen ift, als mein Verſtand, da ich fehe, daf
ihe ihr feid und nicht der, den ich mir vorftellte. Euch
bie gegen mich geübte Grauſamkeiten verzeihen wird mir
um fo viel leichter werden, als es euch geweien ift, je
mehr immer bie Mache gerechter ift, als die Beleidigung.
Indem ich euch hier ſchenke oder, richtiger zu fprechen,
beftätige, was ih euch anderswo genommen, folge ich
um fo mehr meinem innerften Triebe, je geringer für
mich die Ehre, je unwürdiger bie Haltung und je nie-
— — — - — — — — m ne — oO vr on OH OH A SE 1 eb ——
50. Die Gräfin von Toulouſe. 91
driger die Zeugen waren, in deren Gegenwart. die Schen-
kung in Toulouſe geſchah, die nun in Barcelona bekraͤf⸗
tigt werden ſoll. Ich bin daher bereit, euch anzugehören
oder auch nicht, denn ich wünſche nur eurem Willen Ge⸗
‚ nüge zu thun und dem Wohlnehmen eures Herrn Vaters
und eurer Frau Mutter nachzukommen, deren Edelmuth
ih um Verzeihung bitte für die euch zugefügten Belei⸗
‚digungen und die ic immer ehren und lieben werbe,
wie nur eine Tochter Fann.
Sie würbe noch weiter gefprochen haben, wenn nicht
die Thränen des alten Grafen und der Gräfin, bie laute
Theilnahbme und die Freudenrufe der Umftehenden fie
unferbrochen hätten. Man führte fie daher hinweg, 309
ihe die ärmlichen Kleider aus und hüllte fie in Tönigliche
Gervande. Als darauf das glänzende Feft vorüber war,
wurde alles dem Grafen von Toulouſe angezeigt, die
Verbindung von ihm mit ber größten kaum erwarteten
Freude beftätigt ſammt der früher verabredeten Mitgift
und Freundfchaft, und bie alte ammerfrau , welche den
ganzen Handel vermittelt hatte, kam in größere Gunft,
als je. Die Gräfin gebar nad kurzer Zeit einen fehr
fhönen Knaben und nad, demfelben mit der Zeit viele
andere Söhne und Töchter und lebte fehr lange zufrieden
mit ihrem Manne, vom ganzen Rande fortwährend geliebt
und hochgeachtet.
Diefe Gefchichte ift mit allen Einzelheiten ausführlich
erzählt in ben Chroniken beider Graffchaften und ich über-
laffe dem Gejchmade eines jeben Leſers, zu entfcheiden,
ob daran fouloufifche Keufchheit oder catalonifche Höflichkeit
mehr zu bewundern ift.
XV. Lodovico Carbone.
1500.
51. Dante's Ferftreutheit.
(Gamba's Bibliogr. S. 75.)
Danti Adigieri der florentinifche Dichter war fehr
gewandt in Antworten, denn er war ein tiefer Denker.
Eines Tages, als er die Meffe hörte, fei es, daß er irgend
einer feinen Phantafıe allzufehr nachhing, oder vielleicht
vorfäglich, um feine Feinde zum Beſten zu haben, Eniete
er nicht nieder und lüpfte die Kapuge nicht, ald man
ben Leib Chrifti emporhielt. Seine Neiber, und deren
hatte er viele, denn er war ein rechtichaffener Mann,
liefen alsbald zum Biſchof und verklagten Danti als
Keper, der dem Sacrament die fchuldige Ehrfurcht ver»
fagt habe. Der Bifchof ließ Meffer Danti rufen, hielt
ihm feine Handlungsweife vor und fragte ihn, was er
gethban habe, während man die Hoftie emporbielt.
Fürmahr, antwortete er, ich war mit meinem Geiite
fo bei Gott, daß ich mich nicht erinnere, welche Gebaͤrde
mein Leib machte. Die böfen Menfchen aber, welche
Seele und Augen mehr auf mid) gerichtet hatten, ale
auf Gott, können es euch ja fagn. Wären fie mit
ihren Gedanken bei Gott geweien, fo hätten fie nicht
darauf geachtet, mas ich thue.
Der Bifhof nahm die Entfchuldigung an und er-
fannte Danti als einen weifen Mann, und hielt dieſe
Neider für große Eifel.
XVI. Benvenuto Eellini.
1500. -
52. Die Rietung deb Diamants.
(Nov. 3. Taſſt 3, 281.)
Diamanten jeder Art muß man mit der Sorgfalt
behandeln, welche die Ehre des Meiſters und der Werth
des Juwels erfordert. In der Arbeit ſelbſt läßt ſich große
Kunſt anbringen, wie einem die verſchiedenen Arten von
Geſchmuck dazu Gelegenheit bieten. Um nun auf ein
bemerkenswerthes ſprechendes Beiſpiel zu kommen, muß
ich wieder von dem großen Diamant reden, welchen ich
dem Papſte Paul faßte und den ich nur zu nieten hatte,
denn der Ring war ſchon vorhanden; ich hatte Raffaello*),
Suafparri und Gaio gebeten, mir zmei Tage Zeit zu
laſſen, während deren ich mit ben vorerwähnten Zinten
alle möglichen Verſuche machte, wie fie vielleicht je ein
Menſch bei folhem Anlaß anftellte; fo gelang es mir
durch große Anftrengung eine Zufammenfegung zu er
reihen, welche auf den befagten Diamant beffer wirkte,
als die des Meifters Miliano Targhetta. Und als ic
mich vollfommen überzeugte, einen fo bewundernswür⸗
digen Mann übertroffen zu haben, machte ich: mic
wiederum mit um fo größerem Eifer daran, um zu
verfuhhen, ob ih nun mic felber übertreffen könne;
denn, wie gefagt, die Behandlung dieſes Diamants
war bie ſchwerſte, die man fi) auf der Welt vorftellen
Tonnte, weil er gar zu fein war, und die Kunft des
Juweliers beftand darin, ihn auf der Zinte zu befe-
ftigen, nicht mit dem Spiegelhen, von weldem fpäter
) Raffaello del Moro. Bgl. Gellini’s Leben I, 201 bei Taſſi.
-
94 XVI. Benvenuto Cellini.
die Rede fein wird.*) Als ich mit mir zufrieden war,
ließ ich drei alte Juweliere rufen, und hatte, bis fie
kamen, alle meine Zinten in Orbnung gebracht. Die
drei befagten Männer kamen in meine Bube und ber
anmaßende Gaio war ber erfte, ber hereinkam. Als er
nun alle die fehönen Zurüftungen fah, bie ich. machte,
um ben Diamant in ihrer Gegenwart zu nieten, fchüt-
telte er fogleich den Kopf und winkte mit den Händen.
Dann fing er fein Gefchwäg an und ſprach: Benvenuto,
das find lauter Lappereien und Rarrenspoffen. Hole bie
Zinte des Meifters Miliano und damit wollen wir nieten.
Bring uns nicht um unfere Zeit, denn dieſe ift uns
koſtbar bei den vielen Arbeiten, bie mir der Papſt auf:
getragen bat. |
Der obengenannte Raffaello fah, daß ich in bie er-
ſchrecklichſte Wuth geriet, und als ein rechtfchaffener
Mann, wie er war, und von befonnenerem Alter, fing
er an, bie fchönften und freundlichften und gewichtigften
Worte zu reden, die eine Zunge hervorbringen kann;
fodag er mir Zeit gab, den erfchredfichen Zorn, ber mir
gefommen mar, verbampfen zu laffen. Der andere,
Meiſter Guafparri, gleichfalls von römifcher Abkunft,
begann, um jenes große Vieh zu bändigen, zu plaudern
und fagte allerlei ungefchidtes Zeug, denn er war nicht
fonderlich gewandt in der Rede. Ich aber wandte mich,
als ich meinen Zorn einigermaßen gebändigt fah, zu den
drei Männern und ſprach: Der Gott der Natur hat dem
Menfchen in Übung feiner Stimme vier Arten verliehen
und das find folgende: Die erfte nennt man bie Rede,
fie ift die Sache der Vernunft und geht ben Dingen auf
den Grund; bie zweite pflegt man das Sprechen zu
nennen, das bezieht fich auf fehöne und mwadere Worte,
bie einer mit ben andern wechfelt, wenn fie aud nicht
*) Darunter verfteht man ein Stückchen Kruftallglas, das auf
einer Seite beftriden und unten in den Kaften eines Juwels
gelegt wird.
92. Die Nietung des Diamants. 95
gerade tief greifen; das dritte iſt das Plaudern, wenn
man leichtfertiges Zeug vorbringt, das zwar manchmal
unterhaltend iſt und niemals beleidigt; das vierte aber
iſt das Geſchwätz, und dad kommt von Leuten, welche
nichts verſtehen, und dabei doch ſich anſtellen, als wüßten
ſie wunder was. So will ich denn mit euch reden, liebe
Herren, und euch meine Gründe ſagen. In der That,
Meifter Raffaello bat hier fon, fehr fchön gefprochen.
Meifter Guafparri hat zu unferer Beluftigung uns einiges
vorgeplaudert, wenn gleich feine Worte nicht zu unferer
Sache gehören. Gaio aber hat wader darauf los gefchwagt,
fo widerlih als nur möglih. Weil indeß fein Geſchwätz
nichts geradezu Beleidigendes hatte, konnte ich mich nicht
entfchließen, mich darüber zu erzürnen. So habe ich es
denn fo hingehen laffen. Nun bitte ich euch aber, daß
ihr mich den Diamant fo jegt vor euch nieten laffet, und
wenn mein Kitt nicht beffer ift, als ber des Meifters
Miliano, fo kann ich ja hernach biefen anwenden und
zeige wenigſtens, bag ich bereit bin, zu lernen.
Nachdem ich ausgeredet hatte, fing der Dummkopf
von Gaio an und fpradh: So bin ich alfo ein Schwäger?
Der brave Raffaello aber brachte es durch feine freund-
lihen Worte dahin, daß das Vieh ein bischen flille ward,
und fo beganıf ich mit meinen obengenannten Kitten ben
befogten Diamanten zu Bitten. . Raffaello und Guafparri
fhauten fehr aufmerffam zu, wie ich den befagten Dia-
manten fittete. Und zwar kittete ich ihn zuerft mit meinem
Kitte, welcher fi) fo gut ausnahm, daß fie im Zmeifel
waren, ob ich nicht den Kitt des Miliano übertroffen
babe, und mic, fehr . anerfennend lobten. Da wandte
ſich NRaffaclo zu Gaio und fagte: Gaio, da feht den
Kitt des Benvenuto! Wenn er nicht ben des Miliano
übertroffen bat, fo ift er ihm doch ganz nahe gefommen.
Darum ift ed immer gut, junge Leute zu ermuthigen,
denen es Ernſt ift, ihre Sachen gut zu machen, wie wir
bei Benvenuto fehen.
96 XVI. Benvenuto Eellini.
. Dann wandte ich mich zu ihnen, dankte dem Raffaello
für feine freunblihen Worte und fagte zu ihnen: Zur
weitern Probe will ih nun, ihr lieben Freunde, meinen
Kitt wegnehmen und vor euren Augen wollen wir dann
den des Meifters Miliano anlegen. Alsdann läßt ſich
beffer beurtheilen, auf welchem Kitte ber Diamant beffer
Ih nahm alfo fogleih meinen Kitt weg und legte
den von Meifter Miliano an, worauf Naffaello und
Guaſparri erflärten, der Diamant nehme fich beffer aus
auf biefem meinen Kitte, als auf dem Miliano's. Go
wünſchten denn alle drei einflimmig, baß ich ihn auf
meinen Kitt zurudbringe und zwar fchnell, ehe die Erin-
nerung des Anblicks vergehe. In Folge biefer Auffor⸗
derung brachte ich den Stein gleich wieder auf meinen
Kitt zurück, gab ihn ihnen in die Hand und alle drei
waren einverſtanden. Der erſte war Gaio, deſſen Efels-
geſicht ſich ganz aufheiterte und der äußerſt freundlich
zu mir ſagte, ich ſei ein Ehrenmann, ein ganzer Kopf;
er ſehe, daß ich den Diamant mit dem kräftigen Kitte
noch einmal fo gut gefaßt habe, als Meifter Miliano,
was er, fi nimmermehr ald möglich gebacht hätte. Nach
dieſer Außerung trat ich ihnen ein bischen keck entgegen,
aber doch fo beicheiden, daß bie Kedheit nicht auffiel,
und fagte zu ihnen: Lieben Meiſter, dieweil ihr mir fo
viel kraͤftigen Much einflößt, aus welchem doch jedes
rechte Gut entfpringt, möchte ih euch bitten, daß es
euch gefällig wäre, meine Richter zu fein, denn dieweil
ihr fagt, daß ih Miliano übertroffen habe, mögt ihr
nun auch urtheilen, ob ich im Stande fein werde, mid)
felbft zu übertreffen. Darum wartet auf mich ein halbes
BViertelftundchen!
Ichh ließ fie fofort allein und ging auf eine Gallerie,
wo ich Alles, was ich thun wollte, in Orbnung gebracht
hatte. Worin das beftand, werde ich fogleich fagenz ich
habe es übrigens fonft niemanden gewiefen. Bet dieſem
52. Die Nietung des Diamants. 97
Diamant erwarb es mir die größte Ehre, wiewol die
Sache nicht bei allen andern Diamanten gelingt, noch
ohne Nachdenken und Erfahrung, wie ich ſie hatte. Ich
nahm nämlich ein Körnchen von jenem Kitt, gerade in
der rechten Groͤße, forgfältig gereinigt von allem Unſau⸗
bern, ſodaß es fo fauber und Elar wurde, wie man fidh
irgend denken kann; und mit größter Genauigkeit brei-
tete ich, nachdem ih den Diamant hinreichend gefäu-
bert hatte, ihn darauf aus bei einem gelinden Feuer.
Dann lieg ich es abkühlen, hielt ihn aber immer feft
zwifchen den Zänglein, die man zum Kitten gebraucht.
AS nun, wie gefagt, der reine Kitt über dem Diamant
trocken und alt geworben war, hatte ich ſchon meine
ſchwarze Tinte bereit, fie war ganz dünn und mit einer
gemäßigten Wärme breitete ich fie fachte über den klaren
Kitt aus, der den Diamant überzog. Sie entſprach
auch dem Waſſer des Diamants ſo gut, daß man meinte,
er ſei gerade ſo dick und Alles gehöre und verſtehe ſich
ſo von ſelbſt. Als das geſchehen war, lief ich hinunter
und gab ihn dem Meiſter Raffaello in die Hand. Er
aber geberdete ſich darüber, als wäre ein wahres Wunder
gefchehen. Die beiden andern, Guafparri und Gaio, er-
ftaunten nicht minder und lobten mich unmaͤßig. Gaio
aber warb fo demüthig, daß er mich um Verzeihung bat.
Endlich. fagten alle Drei unwillkürlich: Um diefen Dia⸗
mant zahlte man zwölftauſend Thaler, jegt aber ift er
wol zwanzigtaufend werth.
Sie prieſen meine Hände glücklich und ſchieden von
mir als gute Freunde in beſtem Vernehmen.
2
Staliänifcher Novellenſchatz. II. | 5
XVII. Antonio Srancesco Grazzini
genannt der Lasca.
1503.
|
9. Ein Schwank Lorenzo Mediei's.
(3, 10.)
Lorenzo der alte von Medici war ohne Widerrede
gewiß einer, wo nicht der erſte der allervortrefflichfien
Männer, nicht nur ber felbft tugendhaften, fondern auch
der die Tugend liebenden und belohnenden, die da jemals
in der Welt gefeiert wurden. Zu feiner Zeit nun be-
fand fih in Florenz ein Arzt Namens Meifter Manente
vom Kicchfpiel Sanct Stephan, ber mehr durch die Er«
fahrung, als Durch Wiffenfchaft gelehrt worden, und wenn
auch in der That fehr kurzweilig und fpaßhaft, doch fo
anmaßlich und unverfchämt war, daß man es gar nicht
mit ihm aushalten konnte. So liebte er unter Anderem
auch über die Maßen den Wein; er gab fih für einen
großen Weinkenner und Weinfchmeder aus und pflegte
fi oftmals, ohne eingeladen zu fein, bei dem Erlauchten
einzufinden. Diefem wurde aber feine Zudringlichkeit und
Unverfhämtheit allmälig fo zum Efel und Überdruß, daß
er ihn nicht mehr vor Augen fehen mochte und fih im
Stillen vornahm, ihm einen recht auffallenden Streich
zu fpielen, um fich feiner auf eine Weile und vieleicht
für immer zu entledigen. Er hatte nun eines Abends
53. Ein Schwank Lorenzo Mediti's. 90
vernommen, daß Meiſter Manente in dem Wirthshauſe
zu den Affen ſich ſo übernommen habe, daß er nicht
mehr auf den Füßen ſtehen konnte und der Wirth, als
er ſeine Gaſtſtube geſchloſſen, ihn durch die Kellner unter
beiden Armen hinausführen oder beſſer hinaustragen laſſen
mußte, nachdem ihn ſeine Geſellſchafter verlaſſen. Er
wurde nun auf eine große Bank vor die Bude bei Sanct
Martin niedergelegt, und dort ſchlief er ſo feſt ein, daß
ihn die Bombarden nicht aufgeweckt haͤtten, und ſchnarchte
wie ein Ratz. Dies ſchien dem Fürſten die erwünſchteſte
Zeit für feinen Plan. Er that, als habe er nicht gehört,
was jener ſprach, der von ihm berichtete, und fei mit
Anderem befchäftigt, ftellte ſich, als wolle er zu Bette
gehen, denn ed mar doch fchon ziemlich ſpät; übrigens
bedurfte feine Natur wenig Schlaf und ed war immer
fhon Mitternacht, ehe er zur Ruhe fam. Nun ließ er
insgeheim zwei ganz zuverläffige Diener rufen und trug
ihnen auf, was fie zu thun haben. Die Diener gingen
fodann mit verhülltem Gefihte und unerkannt aus dem
Dalafte und nach Lorenzo's Auftrage nach Sanct Martin,
wo fie auf die zuvor angegebene Weiſe Meifter Manente
ſchlafend fanden. Ste ergriffen ihn, far und rüflig
wie fie waren, ftellten ihn aufreht auf bie Erbe und
vermummten ihn gleichfalls. Dann fchritten fie mit ihm,
indem fie ihn faft in der Schwebe trugen, von dannen.
As der vom Meine wie vom Schlafe betäubte Arzt
"fühlte, daß er hinweggeführt wurbe, glaubte er ficher,
die Wirthöjungen oder feine Zechbrüder und Freunde
bringen ihn nach Haufe; fo überließ er fih, fchläfrig
und betrunfen, wie nur einer fein konnte, gebuldig ber
fremden Willkür. Die Diener drehten ſich mit ihm eine
Meile in Florenz umher, kamen zulegt in den Palafl
der Medici, und traten vorfichtig, um von niemanden
bemerkt zu werden, durch eine Dinterthüre in ben Hof,
wo fie den Erlauchten ganz allein fanden, ber fie mit
unaußfprechlicher Heiterkeit erwartete. Sie fliegen die
5*
100 XVII. Untonio Francesco Grazzini.
erften Treppen miteinander empor in einen Zwilchenftod
inmitten bes Hauſes und begaben fi in ein ganz ge⸗
heimes Zimmer. Dort legten fie Meifter Manente auf
Lorenzo's Befehl auf ein aufgefchütteltes Federbett und
leideten ihn ganz leiſe aus bis aufs Hemde, ſodaß er es
kaum fpürte. Cs fah nun aus, wie man einen Todten
auszieht. Sie nahmen alle feine Kleider mit und ließen
ihn liegen hinter wohlverfchloffener Thüre. — Der Präd-
tige befahl feinen Dienern nochmals reinen Mund zu
halten, bob die Kleider des Arztes auf und ſchickte fo-
gleich nach dem Poſſenreißer Monaco aus, welcher beffer,
als irgend jemand in ber Welt alle Perfonen in der Rebe
nachmachen konnte. Sobald diefer vor ihm erfchien, führte
ihn Lorenzo in fein Schlafzimmer, entließ feine Diener
zur Ruhe und fegte dem Monaco auseinander, was er
von ihm ausgeführt wünfche, worauf er felbft mohlgemuth
zu Bette ging Monaco nahm alle Kleider des Arztes
zufammen, fchlich fich heimlich nach dem Haufe zurüd,
309 die feinigen aus und kleidete fich von Kopf bis zu
Fuß in erſtere; worauf er fih, ohne jemand ein Wort
zu fagen, entfernte und, als ſchon überall die Frühmette
geläutet wurbe, nad) dem Haufe Meifter Manente’s ging,
welcher damals in der Grabengaffe wohnte. Da es
September war, hatte er feine Familie aufs Land nad
Mugello geſchickt, namlich feine Frau, ein Knäbchen und
die Magd, er feibft war allein in Florenz geblieben und
kam nur Nachts zum Schlafen nah Haufe, denn er
fpeifte immer im Gaſthauſe mit Gefellfchaft oder im
Haufe feiner Freunde. Sowie nun der ald Meifter Ma⸗
nente verkleidete Monaco bei deffen Haufe angekommen
war, holte er den Schlüffel aus dee Tafche, ſchloß ohne
Beſchwerde bie Thüre auf, verfchloß fie wieder hinter ſich
und legte fi munter und guter Dinge darüber, dem
Erlauchten dienftlih zu fein und zu gleicher Zeit den Arzt
zu prellen, zu Bette. Indeſſen kam der Tag. Als
Monaco bis zur dritten Stunde nah Sonnenaufgang
mn — — — — — — — — —
53. Ein Schwank Lorenzo Medici’. 101
gefchlafen hatte, fprang er von feinem Lager auf, 309
die Kleider des Arztes an und einen langen Hausrod
über das Wams, fegte fich einen großen Hut auf den
Kopf und rief des Arztes Stinime nachahmend von dem
nach dem Hofe zu gehenden Fenfter aus einer feiner Nach»
barinnen zu, er fühle ſich ein menig unpaß, er habe
etwas Schmerzen am Halfe, den er fih wohlweislich
mit Werg und Fettwolle ummidelt hatte. Die Stadt
Florenz ftand eben damals im Verdachte, von der Peſt
angeſteckt zu fein, die bereits in einigen Häufern in ben
legten Tagen fich gezeigt hatte. Die Nachbarin erkun-
digte fich daher erſt vorfichtig, was er von ihr fordere.
Monaco bat fie um ein Paar frifche Eier und um ein.
wenig Feuer und empfahl fi ihr. Dann’ ftellte ex ſich
mit Worten und Geberden, als könne er nicht mehr auf-
recht bleiben, und entfernte fih vom Fenfter. Die gute
Frau holte Eier und Feuer herbei, rief ihrem Nachbar
mehrmals und that, ihm zu wiffen, daß fte ihm beides
vor die Thüre nad) der Straße ftellen werde, und voll»
brachte es. Dreift, als ob er Meiſter Manente wäre,
ging Monaco, mit feinem fangen Hausrocke bekleidet
und mit dem großen in die Augen gebrüdten Hute be-
beit, an den Eingang, nahm die Eier und das ‚Feuer
auf und ſchlich damit ins Haus zurüd, wie wenn er
fih nicht mehr auf den Beinen erhalten könnte; und
den Hals hatte er dabei über und über verbunden, ſodaß
ihn alle Nachbarn, die ihn fahen, zu ihrem Leidweſen
ſchon ganz mit Peftbeulen bededt glaubten. — Das Ges
ruht von diefem Vorfalle verbreitete fich plöglich in der
Stadt und z0g denn auch einen Bruder von Meifter
Manente's Frau, welcher ein Goldfchmied Namens Nicco-
lajo war, im Fluge herbei, um ſich zu erkundigen, wie
die Sache ſtehe. Er pochte an die Thüre, pochte aber-
mals, erhielt aber Feine Antwort, meil Monaco feine
guten Gründe hatte, nicht darauf zu hören. Hingegen
beftätigte ihm bie ganze Nachbarfchaft, daß der Arzt
102 XVII. Antonio Franceſco Grazzini.
ohne Zweifel die. Peſt babe. In diefem Augenblid ritt
Lorenzo wie von ungefähr in Gefellfchaft vieler Edelleute
die Strafe entlang und fragte, als er bier Leute bei-
fammenftehen fah, was das bedeute. Der Goldſchmied
antwortete, man befürchte fehr, Meifter Manente möchte
von ber Peſt angeftedt fein. Der Erlauchte fprah, es
werde wohlgetban fein, dem Kranken einen Waͤrter bei-
zugeben, und ließ dem Niccolajo eröffnen, er folle in fei=
nem Namen nah Santa Maria Nuova gehen und fich
für Meffere einen tüchtigen und erfahrenen Mann geben
laffen. Der Goldſchmied machte fich eiligft auf den Weg,
richtete dem Spitalverwalter feinen Auftrag aus und er⸗
hielt fofort einen Wärter, den Lorenzo bereits in fein
Geheimniß gezogen und -zu dem, was er zu thun habe,
abgerichtet hatte. Lorenzo der erlauchte, war indeſſen
ab und zugeritten und ermartete fie an der Ede der
Alterheiligenftraße ; dann rite er ihnen entgegen, that,
ale fchließe er den Miethvertrag mit dem Wärter ab,
und empfahl ihm Meifter Manente auf das Dringendfte.
Er ließ ihn ins Haus treten, nachdem er die Thüre
duch einen Schloffer hatte öffnen laſſen. Nach einer
Meinen Weile trat ber Wärter an das Kenfter und rief
heraus, der Arzt babe eine Peftbeule am Halfe fo groß
wie eine Pfirfche, er könne fih nicht vom Bette erheben
und liege halbtodt da, er werde ihm jedoch alle mög-
liche Hilfe leiften. Lorenzo beauftragte den Goldfchmied,
für ihn und den Kranken Speife herbeisufchaffen, ließ
das Peſtzeichen an das Haus befefligen und ritt feines
Wegs, indem er in Worten und Geberden nun reges
Mitleid mit dem Arzte an den Tag legte. Der Kranken⸗
wärter ging zum Monaco hinein, der vor Luft und Lachen
faft berften wollte. Der Goldfehmieb brachte Effen in
Menge, im Haufe felbft fanden fie Pöckelfleiſch und zapften
ein Fäßchen trefflihen Wein an und hielten fo für den
Abend einen wahrbaft päpftlihen Schmaus. — Unter:
beffen hatte Meifter Manente die Nacht und den folgenden
53. Ein Schwank Lorenzo Medici’s. 103
Tag ununterbrochen geichlafen und mußte, als er fih bei
feinem Erwachen im Bett und im Dunkeln wieberfand,
fich nicht zu befinnen, mo er fei, zu Haufe ober anderswo.
Bei ſich ſelbſt darüber nachdenkend erinnerte er ſich endlich,
wie er in den Affen zuletzt mit Burchiello, mit dem
Succia und mit dem Makler Biondo getrunken hatte,
darauf eingeſchlafen und nach ſeinem Dafürhalten nach
Hauſe gebracht worden war. Er ſprang aus dem Bette,
taſtete vorſichtig nach einem Fenſter rings umher, fand
aber keines, wo er glaubte, es müſſe eines ſein; ſo tappte
er denn fort, bis er die Thüre eines Abtritts fand. Dort
entleerte er die Flüſſigkeit, wozu es ihn ſehr drängte, und
verrichtete ſeine Nothdurft, drehte ſich dann wieder in
dem Gemache umher und kehrte endlich voll Angſt und
Erſtaunens in das Bette zuruͤck, denn er wußte gar nicht
mehr, ob er in diefer oder in ber andern Welt lebte.
Er durchlief in feinem Gedachtniffe Alles, was ihm be⸗
gegnet war, von Neuem; ba ihm aber allmälig der Hunger
zu fommen anfing, fühlte er fich "mehrmals verfucht zu
rufen. Doc hielt ihn die Angft zurüd, er ſchwieg und
wartete ruhig zu, was aus ihm werden follte. — Lorenzo
hatte unterdeffen bereitd die Anordnung zu weiterer Durch⸗
führung. feines Planes getroffen, er ſteckte heimlich die
beiden Diener in weiße Mönchöfutten, die bis auf den
Boden reichten und fegte ihnen einen großen Kopf auf
nad) Art derer in ber Knechtegaſſe, welche ausſehen als
lachten fie, folche fegte er ihnen aufs Haupt ober eigentlich
auf die Schultern auf; die Köpfe wie die Mönchskutten
nahm er aus der Kleiderfammer, worin unzählige andere
der verfchiedenften Gattung ſich befanden, und ebenfo
Masten, welche zum Zafching gebient hatten; einer hatte
ein bloßes Schwert in der rechten Hand und in der linken
eine große weiße brennende Kerze; der andere trug zwei
Flaſchen guten Wein bei fi) und in ein Tuch gemwidelt
zwei Paare Brot und zwei die kalte Kapaunen, ein
Stück Kalbsbraten und Obft nad) Maßgabe der Jahreszeit.
104 XV. Antonio Francesſco Grazzini.
So mußten fie leife in das Zimmer treten, in welchem
der Arzt eingefchloffen lag. Da nun die Kammer von
außen verfchloffen wurbe, fehoben fie mit großem Ungeftum
den Riegel weg, riffen die Thüre auf, traten ein und
verſchloſſen plöglih den Eingang Hinter fih. Der mit
dem Schwerte und der Fadel ftellte fih hart an die
Thüre, damit der Arzt nicht etwa hinlaufe und fie öffne.
Als Meifter Manente die Thüre berühren und den Riegel
wegfhieben hörte, fchauderte er zufammen und fegte fich
im Bette auf; als er aber die feltfam gekleideten Geftalten
eintreten und in der Hand des einen ein Schwert bligen
fa, wurde er von ſolchem Staunen und Entfegen über-
mannt, daß ihm der Schrei, den er ausſtoßen mollte,
in feinem Munde erftarb und er in Zodesangft wie feft-
geimurzelt erwartete, was mit ihm gefchehen folle. Gleich
darauf aber fah er, daß der andere, welcher die Eßwaaren
trug, das Zuch auf einem dem Bette gegenüberliegenden
Tiſche ausbreitete und ſodann Brot, Fleifch, Wein, Flafchen
und die übrigen Lederbiffen darauf ftellte und ihm mit
einem Winte_bebeutete zuzugreifen. Der Arzt, der den
Hunger leibhaftig vor fi) gefehen, ftand nunmehr ſtracks
auf und fuhr im Hemde und ohne Unterkleider, wie er
war, auf die Lebensmittel los; jener aber zeigte ihm auf
einen Schlafrod und ein Paar Pantoffeln, bie auf einem
Ruhebette lagen und bebeutete ihm beides anzulegen,
worauf Meifter Manente dann mit dem beften Appetite
von der Welt ſich über das Effen hermadıte. Mit Bliges-
fchnelle öffneten nun die beiden Geftalten die Tchüre,
glitten aus dem Gemach, ſchoben den Riegel vor und
ließen jenen ohne Licht zurück. Sodann zogen fie fich
aus und erftatteten dem Erlauchten ausführlihen Bericht.
Meifter Manente fand feinen Mund audy in der Duntel-
beit mit feinen Sapaunen und dem Kalbebraten, trank
aus der Flafche und lüpfte ganz erflaunlich, indem er
bei fi felbft fprah: Es geht mir bach nicht gar zu
Ihlimm. Sei es wie es will, fo viel weiß ih, wenn
*
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 105
fieden muß, fo will ich heute nicht mit leerem Magen
erben.
Er legte bie Uberbleidfel feiner Mahlzeit, fo gut es
gehen wollte, in das Tiſchtuch zufammen und kehrte in
fein Bett zurüd, wobei es ihm doch feltfam bedauchte,
fo allein im Dunkeln zu fein, ohne zu wiffen, wo und .
wie und von wem er hierhergebracht worden und wann
er von hier loskommen werde, Doc wenn er fidh der
lachenden Garnevalsmasten erinnerte, fo mußte er auch
lachen, denn das ſchmackhafte Effen war ihm ganz recht
—** und er lobte vornehmlich den guten Wein, von
welchem er nicht viel weniger, als eine Flaſche, ausge⸗
ſtochen hatte. Des feſten Glaubens, es ſei Alles nur ein
von ſeinen guten Freunden angelegter Schwank, überließ
er ſich der Hoffnung, über lang oder kurz das Licht des
Tages wieder zu erblicken, und in dieſen angenehmen
Vorſtellungen verſank er in Schlaf. — Am Morgen
trat der Krankenwaͤrter bei Zeiten an das Fenſter und
rief offen den Nachbarsleuten und dem Goldfchmied zu,
der Meifter habe die Nacht über Teidlich gefchlafen, die
Deitbeule komme heraus, er unterftüge ihn mit Mehl⸗
umfchlägen und babe bie befte Hoffnung. Als es nun
Abend wurde, fand der Erlauchte zur Fortfegung feines
Scherzes die befte Gelegenheit und ein Vorfall kam ihm
zu Statten, worauf er dem Monaco und dem SKranfen-
wärter zu wiffen thun Tieß, was fie zu thun hatten. Es
war nämlich an diefem Tage um die dritte Morgenfiunde
ein Roßkamm, ber ſich Franciofino nannte, indem er auf
dem Plag von Santa Maria Novella ein Pferd zuritt
und galoppiren ließ, mit ihm geftürzt und hatte durch
einen mir nicht näher befannten Umftand dabei den Hals
gebrochen, während das Pferd nicht den mindeften Schaden
nahm. Die Keute eilten hinzu, um ihm aufltehen zu
helfen, fanden aber, daß er bereits das Bewußtſein ver-
Ioren hatte. Man nahm ihn daher auf und trug ihn
in das nahegelegene Hofpital von San Pagolo; dort
_ 5*8*
106 XVI. Untonio Franceseo Grazzini.
3098 man ihn aus, um zu fehen, ob man ihn’ wieder
zum Leben bringen könne, fand ihn aber tobt und
das Genid gebrochen. Daher machte man bie wenigen
Kleider, die er auf bem Leibe gehabt, zu Geld, und
einige Freunde übergaben ihn als Fremden den Brü-
dern von Santa Maria Novella, um ihn nach ber
Defper zu beerdigen. Diefe brachten ihn in eines der
Gräber außen unter der Treppe, ber Hauptthüre der
Kirche gegenüber. Monaco und fein Gefellfchafter hat⸗
ten von ber Willensmeinung Lorenzo's Kunde erhalten:
um das Ave Maria trat ber Wärter an bad Fenfter
und rief, der Arzt habe einen fo bebenklihen Anfall
befommen, daß er alle Hoffnung aufgebe; die Peſt⸗
beule verenge ihm bergeftalt ben Hals, daß er kaum
zu Athem kommen Tönne, gefchmweige denn zu reden
im Stande fei. Deshalb erfchten der Goldfhmieb am
Haufe und wünfchte, feinen Schwager doch noch ein
Teftament machen zu laffen. Der Wörter gab ihm
aber zu bedenken, daß dies jegt doch nicht wohl thun-
lich fe, und fo wurden fie einig, den Kranken des
andern Morgens, wenn er ſich bis dahin nicht gebeflert
babe, beichten und communiciren und feinen legten Willen
auffegen zu laffen. Indeſſen kam die Naht, und ale
zwei Drittheile derfelben vorüber waren, gingen Die zwei
Diener heimlih im Auftrage des Erlauchten Auf den
Kichhof von Santa Maria Novella, nahmen den Fran⸗
ciofino aus dem Grabe, in das er kurz zuvor gebracht
worden war, und trugen ihn auf dem Rüden in die
Grabenftraße in das Haus des Meifter Manente. Monaco
und der Wärter harrten an ber Thüre, nahmen ihn ftille
ab und brachten ihn hinein, die Stallinechte aber ent-
fernten fich wieder, ohne von jemand gefehen worden zu
fein. Monaco und ber Wärter machten ein großes Feuer
auf, tranken mader und machten dem Zodten ein Kleid
von fchöner neuer Leinwand. Sodann verbanden fie
ihm den Hals mit gefalbtem Werg, machten ihm durch
um m — — —
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's 107
Draufichlagen ein geſchwollenes biaues Geſicht und legten
ihn ausgeſtreckt auf einen Tiſch im Erdgefchoffe nieder.
Auch fegten fie ihm ein großes Baret auf, welches
Meifter Manente an Oftern zu tragen pflegte, bedediten
ihn über und über mit Pomeranzenblättern und gingen
fchlafen. Der Tag aber war nicht fo bald erfchienen,
ale ber Wärter unter Thränen der Nachbarichaft und
den Borübergehenden fund that, wie Meifter Manente
gegen Tages Anbrud aus diefem irdifchen Leben bahin-
gefchieden fei. Die Nachricht verbreitete ſich augenblid-
lich durch ganz Florenz; ald daher der Goldſchmied es
vernommen, lief er eilends hin und vernahm von dem
Wärter den ganzen Hergang umftänblich; und da nun
feine andere Hilfe war, befchloffen fie, ihn am Abend
zu beftatten. Der Goldfchmied ließ es dem Gefund-
heitdsamte anzeigen und fo warteten fie bis dreiund⸗
zwanzig Uhr d. i. eine Stunde vor Sonnenuntergang,
nachdem fie auch bie Brüder von Santa Maria Novella
unb die Priefter von San Pagolo benachrichtigt hatten,
bi8 zu der feftgefegten Zeit jeder an feinem Plage
war. Mönche und Weltgeiftliche zogen ein Stud Weges
voraus, dann kamen die Peſtleichentraͤger in ziemlicher
Entfernung und nahmen. aud dem Unterflod des Hauſes
ben Noßkamm Franciofino an Statt des Arztes Meifter
Manente, wofür fie ihn unzweifelhaft hielten, ſowie alle
bie ihn fahen, obgleich allgemein behauptet wurde, er fe
ſehr entſtellt; man dachte aber, das komme von Der
Krankheit, und einer fagte zum andern: Sieh .doch zu,
wie der Flecken im Gefichte hat. Es bat ihm doch xecht
mitgeipielt, das muß ich fagen.
Die Mönche und Priefter ſchritten nun fingend in
‚bie Kirche, um die heiligen Gebräude zu vollziehen, bie
Träger aber warfen in das erfie Grab, das fie an ber
Treppe fanden, kopfüber den Todten hinab, verfchloffen
es fo ſchnell als möglich wieder und gingen an ihre Ge⸗
ſchäfte zurück. Dem ganzen Leichenbegängniffe hatten aus
108 „ XV. Antonio Francesco Grazzini.
der Ferne Tauſende zugefehen, bie fi; die Nafen zuhielten,
an Effig, ‚Blumen und Kräuter rohen unb die fefte
innerliche Überzeugung nährten, daß Meifter Manente
vor ihren Augen zur Erbe beftattet worden fi. Seine
Geſtalt war auch um fo leichter nachzuahmen, weil dazu⸗
mal jedermann mit gefchorenem Barte ging, und ba man
die Reiche aus feinem Hauſe heraustommen fah und mit
dem Hute, der ihm das halbe Geficht bedeckte, zweifelte
niemand an der Sache. Als nun ber Todte aus dem
Haufe entfernt und beerdigt war, empfahl ber Goldſchmied
das Haus und bie Habe dem Wärter und ging bin,
um ihm ein Nachteſſen zu fehiden, und zwar ein gutes,
damit er mit um fo größerem Eifer und Liebe feine
Schuldigkeit thue. Dann fandte er einen Eilboten an
feine Schwefter mit der Nachricht, ihr Mann fei fchon
geftorben und begraben, fie möge alfo nicht nach Florenz
kommen, fonbern ihm und feiner, Beforgung Haus und
Eigenthum allein übergeben, im Übrigen fi tröften und
zufrieden leben, um nur auf die Erziehung ihres Söhn⸗
leins Bedacht zu nehmen. — Beim Anbruch der Nacht
und nachdem fih Monaco mit Speife und Trank gütlich
gethban, wobei er fih fehr in Acht nahm, nicht gefehen
zu werden, ließ er den Diener allein und ſchlich -fich
ganz leiſe nah Haufe. Am folgenden Tage befuchte
er Lorenzo; fie. lachten miteinander über den Streid,
der ihnen fo wunderbar gelungen war, unb trafen bie
fernern Anordnungen, um ihn zu Ende zu führen. So
gingen vier bis ſechs Zage bin, während welcher indeß -
nit verfäumt worden war dem Arzte Morgend und
Abends reichlihes Effen zu ſchicken durch die zwei Ver⸗
Peideten mit den großen immer auf gleiche Weife lachen⸗
ben Köpfen. Eines Morgens nun, vier Stunden vor
Tag wurde auf Antrag bes Erlauchten das Zimmer von
ben zwei Großköpfen geöffnet und der Arzt zum Auf-
fiehen bewogen. Durch Geberden nöthigten fie ihn ein
Kamifol von rothem Wollenzeug und ebenfo ein Paar
⁊
%
53. Ein. Schwan Lorenzo Medici's. 108
lange Hofen nach Matrofenart aus demfelben Stoffe an-
zuziehen und eine griechifche Mütze aufzufegen, legten ihm
ſodann Hanbfchellen an, warfen ihm den Regenmantel
über den Kopf und widelten ihn darein, ſodaß er keinen
Stich mehr ſah. In diefer Vermummung führten fie
ihn aus dem Zimmer und geleiteten ihn in den Hof;
er war aber fo bekümmert und voll Herzensangft, daß
er zitterte, als hätte er das Fieber. Dann hoben fie ihn
auf und legten ihn in eine Sänfte, Welche von zwei fehr
rüftigen Maulthieren getragen und fo gut verfchloffen
wurde, daß von innen nicht geöffnet werben Eonnte. Nun
ging es auf und bavon nach dem Sreuzthore, die zwei
Stallfnechte in ihrer gewöhnlichen Tracht machten die
Zugführer; bei ihrer Ankunft wurde das Thor plöglich
geöffnet und fie zogen Iuflig ihres Weges weiter. Meifter
Manente fühlte ſich getragen, ohne zu wiffen, von wen
und wohin, weshalb er in Angft und großem Erftaunen
war. Als er aber fpäter, fobald e8 Tag ward, die Stimme
ber Landleute und den Trott der Thiere vernahm, war
er im Zweifel, ob er träume, doch nahm er ſich vor,
gutes Muth zu fein und fprach ſich felber tröftend zu.
Die Diener aber redeten nichts, was man hören Tonnte,
und gingen weiter, ruhten aus und aßen, wenn ed ihnen
gelegen war, und richteten fich fo ein, daß fie gerade um
Mitternacht in der Einfiedelei von Camaldoli ankamen.
Der Guardian empfing fie freundlich an der Pforte, ließ
die Sänfte ein und begab fich mit ihnen, nachdem fie
die Maulthiere in den Stall gebracht, durd) fein Zimmer
in ein kleines Nebengemach und von dort durch eine
Schreibftube in einen Beinen Saal, wo ber Guardian
das Fenfter hatte vermauern laſſen und das mit einem
Heinen Bette, einem Tiſche und Schemel, auch, einem
amine und einer andern Nothmwendigkeit verfehen war.
Das Zimmerchen ging auf einen fehr hohen einfamen
. Abhang, wohin fi) weder Menfchen noch Thiere jemals
verirrten; ed war an dem entlegenften Theile des Klofters.
l
iR um
- 33. Ein Schwank Lorenzo Mediti's. 11
auf den obern Boden gegangen, hatten ganz leife einen
Backſtein ausgehoben und durch bie Offnung alles Ein-
Zelne, was unten vorging, genau gefehen. Dann gingen
fie dahin, wo bie Knechte ‚waren, welche ſich auszogen
und jenen bie Kleider nebft den andern Giebenfachen
übergaben. Sodann afen biefe und erfrifchten ſich
und da fie ganz mübe und fhlaftrunfen waren, gingen
—fie zur Ruhe. Des andern Morgens aber nachdem bie
: Knete ausgefdlafen und ihr Frühſtück eingenommen
: hatten, ermahnten fie nochmals den Guardian und die
— Laienbrüder, wenn fie dem Gefangenen Morgens und
- Abends feine Lebensmittel bringen, ja genau immer bie-
— felben Gebräuche zu beobachten, dann nahmen fie Abfchieb
. und traten mit ihrer Sänfte den Rückweg an nad) Flor
-: zenz, wo fie dem Erlauchten zu feiner großen Freude
- und Erheiterung ausführlich über alles Einzelne Bericht
abftatteten. — Unterdefien hatte der Krankenwärter feine
Peſtwache beendigt, war, von dem Goldfchmieb bezahlt,
nah Santa Maria Nuova zurückgekehrt und hatte Haus
und Habe Manente’s jenem wieder übergeben. Meifter
Manente's Gattin Fam in Witwenkleidern nach Florenz
zurück; fie betrauerte mit ihrem Soͤhnchen und ihrer Magd
_ einige Zeit den Tod des Gatten und lebte in ziemlicher
Behaglichkeit. — Die- Laienbrüder brachten jeden Abend
— und jeden Morgen, wie fie es gefehen hatten, zu gewiffen
Stunden dem Arzte zu effen, und biefer befchäftigte fich,
da er nichts Beſſeres zu thun wußte, mit nichts anderem,
als feinen Bauch zu füllen und zu fehlafen, und fah nie«
mals Licht, als wenn jene ihm bie Nahrung brachten.
Er konnte ſich nicht vorftellen, wo er war, noch wer
feine Diener waren, er fürchtete in irgend ein verzau ·
= bertes Schloß gerathen zu fein. So that er nichts, als
= effen und trinken in Fuͤlle und träumen
- wachte, Zuftflöffer bauen. — Um biefi
fi, daß Lorenzo, wegen fehr wichtiger
des Staats und ber ftäbtifchen Verwaltur
112 XVH. Antonio Francesco Grazzini.
fih entfernen mußte; es dauerte ein Paar Monate, bie
er zurũckkam, und hernach war er wieber mit höchſt brin-
genden Ungelegenheiten befhäftige, ſodaß er einige Zeit
gar nicht mehr an Meifter Manente dachte, bis er eines
Tages zufällig einen der Camaldolenſer Mönche vorüber-
reiten fah, welche die Gefchäfte des Kloſters beforgen.
Da fiel ihm denn plöglih der Arzt ein. Der Erlauchte
ließ den Moͤnch rufen und gab ihm, da er von ihm hörte,
er gehe am naͤchſten Morgen nad der Einftebelei zurüd,
einen Brief, mit dem Auftrage, ihn in feinem Namen
dem Guardian zuzuftellen. Der Mond übernahm das
Schreiben ehrfurchtsvoll und verſprach, es richtig zu be-
ftellen, was er feiner Zeit und feines Ortes that. —
Es war bis dahin mancherlei Neues vorgefallen. Zuerft
hatte fi) Manente's Weib nad, fechömonatliher Witmen-
ſchaft abermals verheirathet an einen Goldſchmied Michela-
gnolo, den Genoſſen ihres Bruders Niccolajo, welcher ihr
fehr dazu zugefprochen, ja fie inftändig gebeten hatte,
weil dadurch dann der Gefellfchaftsvertrag auf zehn Jahre
befeftige wurde. Darauf war .Niccolajo zu ihr ins Haus
gezogen und mit dem Vormunde eins geworben, die Er-
ziehung bes Knaben zu beforgen. Won dem Dausgerätbe
hatte er ein Inventar aufnehmen laffen und führte ein
Leben voller Freude mit feiner Brigida, fo hieß die Frau,
welche fich bereits von ihm fchwanger fühlte. — Der
Guardian hatte wohl gehört, daß der Erlauchte verreift
fei; da er ihm aber Leine andern Verhaltungebefehle zu-
gefandt, folgte er der bisherigen Ordnung; und da Meifter
Manente, ale die Kälte eintrat, fich fehr unbehaglich fühlte,
verfahb er ihn mit Kohlen, von denen er durch die ihm
aufwartenden Großkoͤpfe einige Säde hintragen und in
einen Winkel des Gemachs werfen lief. Dann wurde
ihm das Kamin angezündet und er mit Pantoffeln und Klei-
bern zum Anziehen und für das Bett verfehen. Ferner
ließ er die Dede oben durchbrechen und ihm ein Lämpchen
berabhängen, welches Tag und Nacht brennend unter-
33. Ein Schwank Lorenzo Medici’s. 113
halten wurde, ſodaß es ihm das Zimmer einigermaßen
erhellte. So unterſchied der Arzt .wenigftens, was er aß,
und fah, was er that; und um einigermaßen die Unbe-
tannten zu belohnen, welche ihm diefen Vortheil zu⸗
wandten, fang er manchmal feine Zrinklieder, die er am
. feuchten Tiſche einft mit feinen Zechbrübern zu fingen
pflegte, und dichtete manchmal aus dem Ötegreife; und
da er eine fhöne Stimme und eine gute Ausfprache hatte,
fagte er oftmald Stangen her aus Lorenzo's neu erfchie-
nenen Liebeswäldern, womit er ben Laienbrübern und
dem Guardian, bie ihn allein hören konnten, das größte
Vergnügen bereitete. Auf diefe Weife vertrieb er fich die
Zeit, fo gut er konnte, und hatte die Hoffnung faft ganz
aufgegeben, jemals wieder dad Sonnenlicht zu ſchauen. —
Indeſſen kam der, welcher dem Pater Guardian den Brief
des Erlauchten überbrachte, woraus er den Willen und
die Anordnung Lorenzo’s vollftändig erfuhr; er befahl den
Laienbrüdern defjelbigen Tages, in ber folgenden Nacht
zwei bis drei Stunden vor Tag ihn hinmwegzuführen, und
fagte ihnen, wie und wohin und in weldem Zuſtande
fie ihn verlaffen follten. Als es nun Zeit war, Bleideten
fih Ddiefe in ber gewohnten Weile an, gingen zu dem
Arzte, hießen ihn aufftehen und brachten ihn mit Ge-
berden dahin, ſich in Matrofentracht anzuziehen. Dann
legten fie ihm die Handfchellen und einen fchlechten Mantel
an mit einer Kapuze, die bis aufs Kinn ging und führten
ihn hinweg. Diesmal dachte Meifter Manente, das Ziel
feines Lebens fei gekommen, er babe nun den legten Biffen
Brot gegeffen. Uber die Maßen betrübt, ließ er fich,
um nicht noch ſchlimmer anzukommen, von jenen führen,
welche zwei Stunden ober noch länger ſtark gingen über
Stock und Stein immer weiter, bis fie in die Nähe von
Dernia kamen, wo fie den Arzt an den Stamm einer
fehr hohen Zanne in einem tiefen Thale mit Zaunrüben
anbanden, ihm fobann den Mantel und die Handfchellen
abnahmen und ben Hut tief in die Augen drüdten.
112 XVH. Antonio Francesco Grazzini.
fich entfernen mußte; es dauerte ein Paar Mo
er zurückkam, und hernach war er wieder mit hi
genden Angelegenheiten befchäftige, ſodaß er ei
gar nicht mehr an Meifter Manente dachte, bi
Tages zufällig einen der Camaldolenfer Mönde *
reiten fah, welche die Gefchäfte bes Kloſters
Da fiel ihm denn plöglich der Arzt ein. Der '-
ließ den Mönch rufen und gab ihm, da er von IF”
er gehe am nächften Morgen nach ber Einft ee
einen Brief, mit dem Auftrage, ihn in feiner
dem Guardian zuzuftellen. Der Mönch über
Schreiben ehrfurchtsvoll und verſprach, es richtke
ſtellen, was er feiner Zeit und feines Ortes
Es mar bis dahin mancherlei Neues vorgefallen “=
hatte fi) Manente's Weib nad, fechdmonatliher “ - .
ſchaft abermals verheirathet an einen Goldfchmieb =
gnolo, den Genoſſen ihres Bruders Niccolajo, mw -
fehr dazu zugefprochen, ja fie inftändig gebete- -
weil dadurch dann der Gefellfchaftsvertrag aufer —- —
befeftigt wurde. Darauf war .‚Niccolajo zu ihr traz-..-
gezogen und mit dem Vormunde eins geworden - u.
ziehung bes Knaben zu beforgen. Von dem Hau .
hatte er ein Inventar aufnehmen laſſen und fr - _..
Leben voller Freude mit feiner Brigida, fo hieß
welche fich bereits von ihm fehmanger fühlte. ...
Guardian hatte wohl gehört, daß ber Air dl ”
fei; da er ihm aber keine andern Verhaltungeber:
gefandt, folgte er der bisherigen Ordnung; und Dada, |
Manente. als die Kälte eintrat, fich fehr unbehagliun „— — _
verfah er ihn mit Kohlen, von denen er buch
aufwartenden Großkoͤpfe einige Säde hintrage —
einen Winkel des Gemachs werfen lief. Dann T
ihm das Kamin angezündet und er mit Pantoffelneam. ., _
bern zum Anziehen und für das Bett verfehen. «., _
ließ er die Dede, Aercen und ihm ein =,
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53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 113
halten mwurbe, ſodaß es ihm das Zimmer einigermaßen
erhellt. _ So unterfchied der Arzt wenigſtens, was er af,
und fah, was er that; und um einigermaßen die Unbe-
Tannten zu belohnen, welche ihm diefen Wortheil zu⸗
wandten, fang er manchmal feine Zrinflieder, die er am
. feuchten Tiſche einft mit feinen Zechbrüdern zu fingen
pflegte, und dichtete manchmal aus dem Stegreife; und
da er eine fchöne Stimme und eine gute Ausfprache hatte,
fagte er oftmals Stanzen her aus Lorenzo’8 neu erſchie⸗
nenen Liebeswäldern, womit er ben Laienbrübern. und
dem Guardian, die ihn allein hören konnten, das größte
Vergnügen bereitete. Auf diefe Weife vertrieb er fich die
Zeit, fo gut er konnte, und hatte die Hoffnung faft ganz
aufgegeben, jemals wieder dad Sonnenlicht zu fhauen. —
Indeffen kam der, welcher dem Pater Guardian den Brief
des Erlauchten überbrachte, woraus er den Willen und
bie Anordnung Lorenzo’s vollftändig erfuhr; er befahl den
Zaienbrüdern defjelbigen Tages, in der folgenden Nacht
zwei bis drei Stunden vor Tag ihn hinwegzuführen, und
fagte ihnen, wie und wohin und in welchem Zuftande
fie ihn verlaffen follten. Als es nun Zeit war, kleideten
fih diefe in der ‘gewohnten Weife an, gingen zu dem
Arzte, hießen ihn aufftehen und brachten ihn mit Ge
berden dahin, ſich in Matrofentracht anzuziehen. Dann
legten fie ihm die Handfchellen und einen fchlechten Mantel
an mit einer Kapuze, die bis aufs Kinn ging und führten
ihn hinweg. Diesmal dachte Meifter Manente, das Ziel
feines Lebens fei gekommen, er habe nun den legten Biffen
Drot gegeffen. Uber die Maßen betrübt, ließ er fich,
um nicht noch fchlimmer anzufommen, von jenen führen,
welche zwei Stunden oder noch länger ſtark gingen über
Stock und Stein immer weiter, bis fie in die Nähe von
Dernia kamen, wo fie den Arzt an den Stamm einer
fehr hohen Zanne in einem tiefen Thale mit Zaunrüben
anbanden, ihm fodann den Mantel und die Hanbdfchellen
abnahmen und den Hut tief in bie Augen drüdten.
114 XVU. Antonio Franceſco Grazzini.
So ließen fie ihn an den Baum gebunden und flohen
mit Windeseile von bannen und auf dem kürzeften Wege,
wiewol fie ihre Fadel ausgelöfht hatten, zurück nad
Camaldoli, ohne dag jemand fie bemerkt hatte. — Allein
geblieben und nur ſchlaff und los gebunden fpigte Meifter
Manente eine Zeit lang in ängftlicher Beforgniß die Ohren,
und da er nicht das mindefte Geräufch mehr um fich hörte,
fing er allmälig an, die Hände an ſich zu ziehen, indem
er fich von feinen leichten Feffeln ohne Schwierigfeit be⸗
freite. Ebenſo fchob er den Hut vor feinen Augen hin-
weg, flug fie empor und erblickte zwiſchen den Bäumen
hindurch ein Stüd des geftirnten Himmeld, woraus er
fih zu feiner größten Freude und Verwunderung über:
zeugte, im Freien und außer dem Kerker zu fein. Er
ließ bie Augen umherfchweifen und fchaute genauer aus,
‚benn ſchon begann es Tag zu werden. Da ſah er bie
Tonnen um ſich her und das Gras unter feinen Füßen:
fo bielt er fi, überzeugt, in einem Walde zu fein. Er
erwartete inbeffen noch immer etwas Neues und Unge
wöhnliches und blieb daher ftil und regungslos auf fei-
nem Plage fiehen, und hatte kaum den Muth zu athmen,
um nur nicht gehört zu werden, denn er meinte nod)
fortwährend, die lachenden Larven fih auf ber Haube
zu ſehen, wie fie-ihm wieder bie Handfeffeln anlegen
und ihn von dannen führen wollen. Erſt als es heller
lihtee Tag um ihn ward, die Sonne mit ihren leuch⸗
tenden Strahlen ſchon jedes Dunkel ducchdrang und er
weber Menfchen noch Thiere in feiner Umgebung fab,
faßte er das Herz, auf einem fchmalen Fußpfade bie
fleile Anhöhe vor fih emporzuflimmen, um aus Die
fem Thale wegzulommen, und war nun endlich feiner
Sache gewiß, wieder in die Welt eingetreten zu fein.
Er war nit über eine Viertelmeile weit gegangen, fo
hatte er den Gipfel des Berges erreicht und kam auf
eine fehr befuchte Straße, auf welcher er.einen Fuhr⸗
mann einherfommen fah mit drei mit Getraide befabenen
-
}
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 115
Mauleſeln. Er ging ihm raſch entgegen und fragte ihn
nach der Gegend und wie der Ort heiße, an welchem er
ſich befinde. Der Mauleſeltreiber antwortete raſch, es
ſei die Vernia, und fügte hinzu: Was Teufels biſt du
blind? Siehſt du nicht dort San Francesco?
Dabei wies er auf die Kirche, welche am Berge ſtand
und nicht viel über zwei Armbruſtſchußweiten von ihnen
weg Ing. Meiſter Manente dankte ihm, fühlte ſich nun
fogleich wieder in der Gegend zu Haufe, die er mit feinen
Freunden öfters zum Vergnügen befucht hatte, und pries
und lobte Gott, indem er die Hände zum Himmel empor«
bob und fi) wie neugeboren fühlte. Er fchlug den Weg
zur Rechten ein und ging in feinem rothen Fifcheranzuge
ftrads auf das Klofter zu, wo er frühzeitig ankam und
einen Mailänder Edelmann antraf, der in Gefellfchaft
eined andern Mailänders mit Pferden und Dienern aus
Florenz gefommen war, um diefen heiligen Ort zu be-
fuhen, an welchem der andächtige San Francesco Buße
gethban hatte. Am vergangenen Abende aber hatte er
ausgleitend fih den Fuß aufgefchlagen und verrenkt und
fodann durch eine zugetretene Erkältung ſich in der Nacht
eine Gefchwulft und folche Schmerzen zugezogen, daß er
fih am Morgen weder regen noch die geringfte Berüh⸗
rung biefes Gliedes ertragen konnte, fobaß er ſich ge⸗
zwungen fab, das Bere zu hüten. Auf Anrathen der
Mönche wollte er eben nach Bibbiena fchiden, um einen
Arzt kommen zu laffen, als Meifter Manente mit einem
Gruße vor fie trat und nachdem er ſich die Urfache des
Ubels des Edelmanns hatte fagen laſſen, die Brüder ver-
fiherte, fie haben nicht nöthig, anderwärts nach Arzten
auszufenden, denn er getraue fih, den Edelmann in einer
halben Biertelftunde von feinen Schmerzen zu befreien und
bis zum andern Morgen gänzlich wiederherzuftellen. —
Wenn auch Meifter Manente für einen Arzt in einem
jeltfamen Aufzuge erſchien, fo flößte fein Äußeres wie feine
Rede dem Mailänder dennoch Vertrauen ein. Er ließ
106 XVII. Antonio Francesco Grazzini.
309 man ihn aus, um zu fehen, ob man ihn’ wieder
zum Leben bringen Zönne, fand ihn aber todt und
das Genick gebrochen. Daher machte man bie wenigen
Kleider, die er auf dem Leibe gehabt, zu Geld, und
einige Freunde übergaben ihn als Fremden den Brü⸗
dern von Santa Maria Novelle, um ihn nach Der
Veſper zu beerdigen. Diefe brachten ihn in eines der
Gräber außen unter der Treppe, der Hauptthüre ber
Kirche gegenüber. Monaco und fein Gefellfchafter hat⸗
ten von der MWillensmeinung Lorenzo's Kunde erhalten:
um das Ave Maria trat der Wärter an das Fenfker
und rief, der Arzt habe einen fo bebenklichen Anfall
befommen, daß er alle Hoffnung aufgebe; die Peft-
beule verenge ihm bergeftalt den Hals, daß er kaum
zu Athem kommen könne, gefchweige denn zu reden
im Stande fei. Deshalb erſchien der Goldfchmied am
Haufe und wünfchte, feinen Schwager doch noch ein
Teftament machen zu laffen. Der Wärter gab ihm
aber zu bedenken, daß dies jegt doch nicht wohl fhun-
lich fei, und fo wurden .fie einig, den Kranken bes
andern Morgens, wenn er ſich bis dahin nicht gebefiert .
habe, beidhten und communiciren und feinen legten Willen
auffegen zu laffen. Indeſſen kam die Naht, und ale
zwei Drittheile derfelben vorüber waren, gingen bie zwei
Diener heimlich im Auftrage des Erlauchten Auf ben
Kirchhof von Santa Maria Novella, nahmen den Fran»
ciofino aus dem Grabe, in das er kurz zuvor gebracht
worden mar, und trugen ihn auf dem Rüden in die
Grabenftraße in das Haus des Meifter Manente. Monaco
und der Wärter harrten an der Thüre, nahmen ihn ftille
ab und brachten ihn hinein, die Stallfnechte aber ent⸗
fernten ſich wieder, ohne von jemand gefehen worden zu
fein. Monaco und ber Wärter machten ein großes Feuer
auf,: tranken mader und machten bem Todten ein Kleid
von fchöner neuer Leinwand. Sodann verbanden fie
ihm den Hals mit gefalbtem Werg, machten ihm durch
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's 107
Draufichlagen ein geſchwollenes blaues Geſicht und legten
ihn ausgeſtreckt auf einen Tiſch im Erdgeſchoſſe nieder.
Auch ſetzten ſie ihm ein großes Baret auf, welches
Meiſter Manente an Oſtern zu tragen pflegte, bedeckten
ihn über und über mit Pomeranzenblättern und gingen
ſchlafen. Der Tag aber war nicht ſo bald erſchienen,
als ber Waͤrter unter Thränen der Nachbarſchaft und
den Vorübergehenden kund that, wie Meiſter Manente
gegen Tages Anbruch aus dieſem irdiſchen Leben dahin⸗
geſchieden ſei. Die Nachricht verbreitete ſich augenblick⸗
lich durch ganz Florenz; als daher der Goldſchmied es
vernommen, lief er eilends hin und vernahm von dem
Waͤrter den ganzen Hergang umſtändlich; und da nun
keine andere Hilfe war, beſchloſſen ſie, ihn am Abend
zu beſtatten. Der Goldſchmied ließ ed dem Geſund⸗
heitsamte anzeigen und ſo warteten ſie bis dreiund⸗
zwanzig Uhr d. i. eine Stunde vor Sonnenuntergang,
nachdem fie auch die Brüder von Santa Maria Novella
und die Prieſter von San Pagolo benachrichtigt hatten,
bis zu der feſtgeſetzten Zeit jeder an ſeinem Platze
war. Mönche und Weltgeiſtliche zogen ein Stück Weges
voraus, dann kamen die Peſtleichentraͤger in ziemlicher
Entfernung ımd nahmen. aus dem Unterflod des Haufes
den NRoßkamm Franciofino an Statt des Arztes Meifter
Manente, wofür fie ihn unzweifelhaft hielten, fowie alle
die ihn fahen, obgleich allgemein behauptet wurde, er fei
ſehr entſtellt; man dachte aber, das komme von der
Krankheit, und einer fagte zum andern: Sieh doch zu,
wie der Flecken im Gefichte hat. .E& hat ihm doch recht
mitgefpielt, dad muß ich fagen.
Die Mönche und Priefter fchritten nun fingend in
‚die Kirche, um die heiligen Gebräuche zu vollziehen, bie
Träger aber warfen in das erfie Grab, das fie an ber
Treppe fanden, Topfüber den Todten hinab, verfchloffen
ed fo fchnell als möglich wieder und gingen an ihre Ger
ſchäfte zurück. Dem ganzen Leichenbegängniffe hatten aus
⸗⸗⸗
118 xVn. Antonio Francesco Grazzini
ſchrift der des Meiſters Manente gleichſehe, ja genau
dieſelbe ſei, wußte aber freilich auch gewiß, daß dieſer
todt ſei, und wußte ſomit ebenſo gewiß, daß das Schrei⸗
ben von jemand anders herrühren müſſe, und das müſſe
ein rechter Gauner fein, ber die Frau auf eine fo umer⸗
hörte Weiſe zu überliften gedente. Der Inhalt des Briefe
war nämlidh folgender: er thue feiner gelichten Gattin
hiermit zu wiffen, baß er nach mannidfaltigen und felt:
famen Scidfaln und nachdem er länger ald ein Jahr
in ſteter Todesangft eingefperrt gehalten worden, enblid
wie duch ein Wunder Gottes aller Gefahr entronnen
fei, wie er ihr mündlich alles umftänblich erzählen werte;
gegenwärtig befehränte er fi) darauf, ihr zu fagen, baf
er frifh und gefund auf ihrem Landgute angelomme
fei, und fie zu bitten, dies in Florenz; überall befannt
zu machen, ihm fein Maulthier, feinen Rod, Megen-
mantel, bie großen Stiefel und den Hut hinauszufenden
und benr neuen Pächter Fund zu thun, daß er als Meifter
Manente ihr Ehegatte fein Gebieter fei, damit er ihm
fein Haus eröffne, um die Nacht über bequem zu ruhen
und am andern Morgen zeitig nady Florenz zu kommen
und fie zu tröften. — Michelagnolo fehrieb nun voll
Gift und Galle im Namen feiner Frau einen Brief,
der Hände und Füße hatte, und drohte ihm, mofern et
nicht ungefäumt feines Weges ziehe, felbft zu ihm hinaus⸗
zukommen, um ihn tüchtig abzuprügeln oder ihm den
Büttel über den Hals zu fhiden. Zudem gab er dem
Bauernjungen noch den mündlichen Auftrag an feinen
Bater mit, den fremden Abenteurer zum Henker zu jagen.
Der Junge ging eilig nad feinem Dorfe und Michel
agnolo kehrte in feine Werkftatt zurück, Brigida aber blieb
in fchmerzliher Verwunberung befangen zu Haufe —
Deffelben Morgens Iuftwandelte Meifter Manente nad
bem Vogelherde, etwa drei Meilen von feinem Gute,
gab ſich aber dem Wirthe, der fein Freund mar, nicht
zu erfennen, fondern gab fi für einen Albanefen aus;
53. Ein Schwanf Lorenzo. Medici's. | 119
er fpeifte luſtig und wohlgemuth mit ihm zu Mittag
und ſchlenderte am Abend in der beſten Stimmung nach
Haufe, wo er in der feſten Überzeugung, als Herr aner⸗
fannt und empfangen zu werden, fich fchon vorgefegt
hatte, einem Paar Kapphähnen die Hälfe umdrehen, zu
laffen, bie er am Morgen hatte mit den Schnäbeln auf
der Tenne herumpiden ſehen. — Er war kaum in bie
Nähe feiner Wohnung gelangt, als ihm der bereits zurüde
getehrte Knabe entgegengelaufen fam und mit einem fauern
Geſichte, ohne nur einen Büdling zu machen, den Brief,
der ohne Aufſchrift und Siegel war, einhänbdigte. Hier⸗
über verwunderte fich Meifter Manente glei von vorn
herein und es betrübte ihn; ja, es däuchte ihn ber Anfang
zu einem traurigen Ende. Als er ihn aber feiner ganzen
Länge nad) durdhlefen hatte, gerieth er vor Staunen und
Schmerz fo außer fih, daß er weder todt noch lebendig
fhien. Mittlerweile kam auch der alte. Bauer hinzu,
dem ber Sohn bereitö feine mündliche Botſchaft ausge
richtet hatte, und fagte ihm mit dürren Worten, er möge
ſich nach einer andern Herberge für die Nacht umfehen,
da fein Herr ihm befohlen habe, ihm unverzüglid) bie
Thüre zu weifen. Wie empfindlich es den armen Meifter
Manente auch kränken mußte, ſich alfo von demjenigen
aus feinem Eigenthum verwiefen zu fehen, von dem er
nach der Ankunft des DBriefes als Gebieter anerkannt
zu werben hoffte, fo ermwiderte er ihm Doch gefaßt und
jfanftmüthig, er werde gehen. Er geriet beinahe auf
die Vermuthung, daß er ein anderer geworden fein möge
oder daß es mehr als einen Meifter Manente auf ber
Welt geben müſſe, und fragte den Landmann um den
Namen feined Heren. Er empfing die Antwort, es fei
der Goldfhmied Michelagnolo und feine Frau ſei Mona
Brigida. Der Arzt erkundigte fich ferner, ob biefe
Mona Brigida fchon früher verheiratet geweſen fei und
ob fie Kinder babe.
Ja, antwortete ihm der Bauer, fie hatte früher
120 XVII. Antonio Francesco Grazzini.
einen Arzt, der, wie ich Höre, Meifter Manente hief
und ihr, als er an ber Peſt flarb, ein Söhnlein Na-
mens Sandrino binterlaffen hat.
Weh mir, fiel ihm der Arzt in bie Rebe, was fagft
du mir da?
Dann fing er an, ihn nach allen Umfländen auszu-
forfhen. Der Pächter bedeutete ihm aber, er wiffe fonft
nichts zu fagen, er fei von Cafentino gebürtig und habe
erft feit dem Auguſt das Gut bezogen. Entſchloſſen,
fih nicht weiter zw erkennen zu geben, ſchied Meifter
Manente, da es noch zwei volle Stunden Tag blieb,
von dem Bauersmann und begab ſich unverzüglich auf
ben Heimweg nach Florenz, in der Meinung, feine Frau
und Derwandten müffen in einem feltfamen Irrthume
befangen ihn für todt gehalten haben und eben auf dieſt
Weiſe zu ihren folgefhweren Schritten verleitet worden
fein, denn er Fannte den Goldfchmied, ben Genoffen
feines Schwagers recht wohl. Unter taufenderlei Ge
banken rüftig zufchreitend langte er noch fpät Abends im
Wirthshaus zum Mühlftein, eine Meile von der Stabt,
an; er kehrte bafelbft ein, aß nur ein Paar weichgefottene
Eier und legte ſich zu Bette, wo er fih hin⸗ und her⸗
wälzte, ohne auch nur ein Auge fchließen zu können.
Des andern Morgens ſtand er bei Zeit auf, bezahlte
den Wirth, ſchlich ganz fachte nach Florenz und. betrat
die Stadt in ber oben erzählten Verkleidung, fobaß er
von niemand erfannt wurde, wiewol er viele feiner Be⸗
kannten und Freunde auf, der Straße traf. Er durch⸗
wanderte die halbe Stabt und gelangte endlich auf bie
Grabengaffe, wo er eben feine Frau und den Knaben
von der Meſſe heimkehrend ins Haus treten fah. Cr
war verfichert, daß fie ihn gefehen hatte, und doch machte
fie kein Zeichen, daß fie ihn kenne; deshalb änderte er
mit einem Male feinen Entſchluß und anftatt fie anzu⸗
reden ging er nah Santa Eroce, um feinen Beichtvater
Meifter Sebaftiano aufzufuchen, denn er bachte, er müßte
53. Ein Schwank Lorenzo Medici’e. 121
en guter Mittelsmann werden, um feine Anerfennung
von Seiten feiner Frau einzuleiten; er wollte ihm Alles
anvertrauen, was ihm begegnet war, und fich mit ihm
berathen; ald er aber im Kloſter nach ihm fragte, erhielt
er zur Antwort, er fei nach Bologna übergefiedelt; in
Verzweiflung darüber wußte er gar nicht, was er be
ginnen folte. Er lief umber, über den Plag, über den
Neumarkt, den Altmarft, er traf unter andern Belannten
und Freunden den Makler Biondo, den Zrommeljchläger
Geo, den Meifter Zenobi della Barba, den Sattler Xeo-
nardo und Fam zulegt halb von Sinnen, wie er fah,
daß er fortwährend von feinem Cinzigen wiedererfannt
ward. Nun war ed aber ſchon Mittageffengzeit geworden,
da ging er in die Affen, mo Amadore, einft fein innigfter
Freund, Wein fchenfte. Diefen erfuchte er, ihm beim
Efien Geſellſchaft zu leiften, was er auch that. Am
Schluffe des Effens fagte Amadore zu ihm, er meine
ihn fonft ſchon gefehen zu haben, könne fich aber nicht
darauf befinnen wo. WMeifter Manente antwortete, es
fönne fehr leicht gefchehen fein, da er lange Zeit in Flo⸗
venz bei Meifter Agoftino in der Baderei am Plage
Padella gewohnt habe, mohin er jegt auch von Livorno
‚urüdkehre, da er der Waſſerfahrten überbrüfig fei.
Während fo ein Wort das andere gab, beendigten fie
ihre Mahlzeit, und ohne fich zu erkennen zu geben be
friedigte Meifter Manente den Wirth, ging höchſt befüm-
mert und erflaunt, daf jener ihn nicht wiedererfannt habe,
hinweg; mit dem feften Vorfage, unter allen Umftänden
vor Nacht noch mit feinem Weibe zu reden. Er ſchlen⸗
derte deshalb fo lange in der Stadt umher, bis ihm
die fhillihe Stunde gekommen zu fein fohien, nämlich
bis zu dreiundswanzig ein halb Uhr. Da klopfte er
zwei mal ſtark an die Thüre. Die Frau ſah heraus,
wer es fei. Da antwortete der Arzt: Ich bin’s, meine
liebe Brigida! Mach’ auf!
Und wer feid ihr denn? fragte jene weiter. — Meiſter
Italtänifcher Novellenfchäg. II. 6
122 XVII. Antonio Francesco Grazzini.
Manente, um nicht laut fprechen zu müflen, daß bie
ganze Rachbarfchaft es hörte, gab zur Antwort: Komm
herab, dann ſollſt du's hören.
Brigida hörte Meifter Manente's Stimme, fah fein
wohlbekanntes Angefiht, erinnerte fich des Briefes und
wollte daher nicht berunterfommen, da fie irgend ein
unheimliches Greigniß befürchtete.
Sagt mir nur von unten, rief fie ihm daher zu,
wer ihr ſeid und was ihr fuchet.
Siehſt du es denn nicht? antwortete der Arzt. Sch
bin Meifter Manente, dein echter und rechtmäßiger Ehe
gatte; dich fuche ich, du bift meine Frau.
Meifter Manente mein erftr Mann könnt ihr nid
wohl fein, weil der tobt und begraben ift, fagte bie
Frau.
Wie, Brigida? fragte ber Arzt, todt? Ich bin noch
nicht geftorben.
Dann fügte er bei: Sei dod fo gut und mach mir
auf! Kennft du mich nicht, mein holdes Herz? Bin id
denn fo fehr entſtellt? Mach mir doch auf, ich bitte dich,
und du follft ſehen, daß ich lebe.
Ei mas, fuhr Brigida fort, ihr feid wohl auch der
Schelm, ber mir geftern früh den Brief gefchrieben.
Schert euch in Gottes Namen fort, denn wehe euc,
wenn euch mein Mann bier betrifft.
Es waren inbeffen viele Keute aus Neugier vor dem
Haufe zufammengelaufen und ein Nachbar nach dem an-
dern zeigte fih am Fenſter und gab fein Theil dazu.
Mona Doroten die Betfchwefter, weiche Brigiden gerade
gegenüber wohnte, hatte Alles von Anfang an mit an-
gehört und fagte: Nimm bi in Acht, meine Tochter,
das ift gewiß der Geift deines Meifters Manente, der
bier umgeht, um feine Sünden abzubüfen. Er gleicht
ihm volllommen an Ausfehen und Sprahe. Rufe ihm
ein wenig, frage ihn und beſchwöre ihn, ob er etwas
von dir will.
53. Ein Schwant Lorenzo Mebici's. 123
Brigida glaubte halb und ya und fing an mit
tlägliher Stimme zu rufen: D du arme Gedle, Haft
du vielleicht etwas auf dem Gewiſſen? Willſt du ein
Todtenamt? Haft du noch ein Gelübde zu erfüllen?
Sprih es nur aus, was du wilft, gebenebeite Seele,
und geh mit. Gott!
Wie Meifter Manente dies hörte, kam ihm faft die
Luft zu lachen an. Er fagte immer, er lebe, fie folle
ihm nur aufmachen und er werde fie ſchon vergemwiffern.
Sie fuhr aber nichts defto weniger fort, ihn zu fragen,
ob er des heiligen Ghirigoro verlange, befreuzte fi, und
auch Madonna Dorotea fprah: D du Gott befohlene
Seele, wenn du im Fegefeuer bift, fo fag’ es frei heraus,
denn deine gute Frau wird für dich das Jubiläum mit-
machen und didy erlöfen.
Dazu fchlug fie ellenlange Kreuze umd rief jeden
Augenblid: Requiescat in pace!
So fingen denn alle umher an fi zu bekreuzen,
beiſeit zu treten und grimmige Geſichter zu ſchneiden,
denn ſchon hatte ſich ein ſtarkes Gedränge von Volt
verfammelt. Als nun ber Arzt fah, daß Brigida ihm
nicht mehr zuhoͤrte, fondern in Gemeinfchaft mit ber
Betſchweſter fortwährend ſich befreuzte und finnlofes Zeug
ſchwatzte, befchloß er wegzugehen, da der Auflauf wuchs
und er fürchten mußte, fich fonft noch einen fchlimmen
Sande! zuzuziehen. Er fchlug alfo ohne meitered die
Straße nah Santa Maria Novella mit ſtarken Schritten
ein; die ihm entgegenftehende Maffe ftob unter mächtigem
Kreuzfchlagen und Gefchrei anseinander, nicht anders,
ald wenn fie wirklich einen Zodten hätten wieder aufer-
ftehen fehen. Meifter Manente wandte ſich daher dahin, -
mo jept die Laſtträger flehen, von bort ging er weiter
durch die Mohrengaffe, und eilte dann halbumfchauend
durch die Gäßchen dort, da es fchon etwas dunkel war,
faft Taufend; bald erreichte er fo den Dreifaltigfeitsplag,
von dort ging er durch Portaroffa nad den Affen,
6*
124 XVII. Antonio Brancesco Grazzini.
immer umfchauend, ob die Volksmenge ihn erreiche, und
fehr misgeftimmt; nun blieb ihm fein ander Mittel, als
am nächften Morgen hinzugeben und feine Zuflucht zum
päpftlichen Vicar zu nehmen. Da er jedod, vorher noch
den Verſuch machen wollte, ob ihn auch Burdiello fein
vertrautefter Freund und Biondo nicht wiedererfennen
würden, fo fagte er zu Amadore, indem er ihm Geld
in die Hand drüdte, daß er, wenn es irgend fein könne,
gern noch bdenfelben Abend dem Burchiello und dem
Matter Biondo in feiner Gefellfchaft ein Nachteffen geben
möchte.
Ei, das wird fchon angehen, ermiberte der Wirth;
laßt mich nur machen!
Er traf in der Küche die nöthigen Anordnungen,
nahm feinen Mantel um und ging nad San Giovanni,
wo er den Biondo fand, den er gleich mit fih nahm,
indem er ihm fagte, daß er diefen Abend in Gefellfchaft
eines Fremden und des Burchiello bei ihm fpeifen folle.
Den Burdiello trafen fie im Haufe und Laden zum
Garbo und es bedurfte bei ihm nicht vieler Worte, um
ihn zu gewinnen; denn fomwie er hörte, daß es freie
Zeche gebe, wandelte ihn al&bald noch größere Kuft an,
als die beiden felbfl. Sie trafen demnah um ein Uhr
nad) Sonnenuntergang alle in den Affen zufammen; es
mochte damals im October fein, nahe um Allerheiligen.
Gleich beim erften Anblick und zumal als er ihn reden
hörte, meinte Burchiello Meifter Manente zu erkennen.
Diefer empfing den Burchiello mit der größten Höflichkeit,
er fagte ihm, wie er, von feinem Rufe für ihn einge-
nommen, feinen andern Weg gefunden habe, ihn kennen
zu lernen, ale daß er den Wirth gebeten Habe, ihn zum
Nachteffen einzuladen und aud) den luftigen Zecher Biondo
feinen guten Freund zur Gefellfchaft zu ziehen. Burchiello
fagte ihm großen Dank und fie fegten fi in einem be-
fonders für fie zugerichteten Nebenzimmer zu Tiſch, wo
fie in Erwartung einiger fetten Zauben und Krammets-
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 125
vögel, mie fie die Jahreszeit bot, verfchiedene Gefpräche
begannen, in melden Meifter Manente fie mit einen
Märchen über fein Leben und den Grund feines Hierher-
kommens bewirthete. Burchiello hatte bereits dem Biondo
geſagt, daß ihm eine ſolche Ähnlichkeit zwiſchen zwei Men⸗
ſchen noch nie vorgekommen ſei, wie ſeine und Meiſter
Manente's.
Wenn ich nicht ganz gewiß wüßte, fügte er hinzu,
daß er geſtorben iſt, ſo würde ich ſagen, es könne fein
anderer fein, als er.
Der Biondo pflichtete ihm in Allem bei. Unterweilen
war Alles zugerüftet und der Wirth ließ Salat, Brot
—
und zwei Flaſchen funkelnden Wein auftragen. Sie ließen
nun die Gefprädhe ruhen und fingen an zu effen. Bur-
chiello und Amadore faßen an der Wand, Biondo und
Meifter Manente ihnen gegenüber. Während des Effens
behielt Burchiello den Arzt innmerdar im Auge. Beim
erften Trunk fah er ihn Meifter Manente’8 Gebrauch)
üben, welcher immer zwei Gläfer Wein auf einmal hinter
dem Salat zu leeren pflegte und hernach jedesmal Waſſer
zugof. Dies fegte ihn in großes Erftaunen. Als fodann
bie Zauben und die Krammetsvögel auf den Tiſch kamen
und ber Fremde ihnen gleich die Köpfe abriß und fie
auffpeifte, weil ihm der Kopf der liebfte Biffen von jedem
Thiere war, fo war er drauf und dran loszuplagen, hielt
jedoch noch länger an, um feiner Sache gewiffer zu werben.
Nun kam der Nachtifch: ed waren Birnen, Sancolom>»
baner Zrauben und vortrefflicher Ziegenkäfe; und jept
wurde er feiner Sache ganz gewiß; denn als ber Arzt
Birnen und Trauben gegeffen hatte, befchloß er die Mahl⸗
zeit, ohne den Käfe zu berühren, fo fehr ihn audy die
andern lobten; Käſe af er aber nie und er war ihm fo
zuwider und zum Ekel, daß er lieber feine Hände ge
geffen hätte. Burchiello wußte dies am befien. Da er
nun ganz überzeugt war, nahm er ihm lachend die linke
Hand, fireifte ihm den Wamsärmel ein wenig hinauf
126 XVIL Antonio Francesco Grazzini.
und erfannte ſcharf am Yulfe ein Muttermahl mit Wild⸗
fyweinsborften, worauf er mit lauter Stimme ausrief:
Du bift Meifter Manente, du kannſt dich nicht mehr
länger verbergen.
Damit fiel er ihm um den Hals, umarmte und
füßte ihn. Biondo und der Wirth waren voll” Ent-
fegen zurüdgefahren und erwarteten ängftlih, was ber
Fremde fagen würde.
Du allein, Burchiello, antwortete er, haft mich unter
allen meinen Freunden und Verwandten noch erkannt.
Freilich bin ich Meifter Manente, wie du fagft, und bin
niemals geftorben, wie mein Weib und ganz Florenz zu
glauben fcheint.
Sene beiden wurden bleich wie Afche; Amabore be-
kreuzte fih, Biondo wollte fchreiend bavonlaufen und
fie fürchteten fi vor ihm, mie wenn Gefpenfter und
Todte vom Grabe erflünden. Burchiello aber redete
ihnen zu.
Fürchtet euch nicht, fagte er, rührt ihn nur an,
betaftet ihn! Die Geifter und Todten haben weder
Fleiſch noch Bein, wie diefer da, den ihr ja mit euren
Augen habt effen und trinken fehen.
Meister Manente fagte auch: Ich lebe, zweifelt und
forgt nicht, meine Brüder, ich habe noch nicht den Tod
geſchmeckt. Seid nur fo gut und hört mid an, ich will
euch eine der wunderbarſten Gefchichten mittheilen, Die
man je gebört. hat, feit die Sonne fcheint.
So brachte er es mit Hilfe Burchiello’s endlich dahin,
daß der Wirch und der Makler Biondo fi ein wenig
berubigten. Sie riefen die Aufwärter herein, liefen außer
dem Wein und Fenchel Alles abdecken, ſchickten fie zum
Effen hinweg mit dem Bedeuten, andere nicht wieber
zu kommen, als wenn Burchiello befehle, und fchloffen
bie Thüre ab, morauf fie mit Aufmerkfamteit und Neu-
aierbe Laufchten, was fie nun Geltfames zu bören be-
33. Ein Schwank Lorengo Medict’s. 127
fommen werden. Und nun begann Meifter Manente
feine Erzählung von dem Augenblide an, wo er ſchla⸗
fend auf der Bank gelaffen murbe, und berichtete in
befter Ordnung Alles, was ihm bis heute begegnet war,
fobaß fie mehrmals ihre Verwunderung äußern und laut
lachen mußten. Sobald er aber mit feinen Mittheilungen
zu Ende war, fiel Burchiello, ein ganz feiner Kopf,
plöglich ein und ſprach: Das ift ein Streich von Lorenzo
dem erlauchten. ’
Die andern fegten fich zwar allefamımt dem entgegen
und behaupteten, es fei durch Hererei, Bannung und
Bezauberung bahingelommen. Burdiello aber beharrte
auf feiner Meinung und fuhr fort: Es kennt nicht ein
jeder diefen wunderlichen Kopf. Wißt ihr nicht, daß er
Alles, was er einmal begonnen hat, zu Stande bringt,
dag er fih in feinen Planen nimmermehr täufcht und
verrechnet, daß ihn keine Luft ankommt, die er nicht
büßt? Und es ift ein verteufeltes Ding, ed mit einem
zu :thun zu haben, der Berftand, Macht und Willen
bat. | | '
Segen Meifter Manente gewendet fegte er hinzu:
Ich habe es mir immer gedacht, daß er bir einmal einen
ſolchen Streich fpielen werbe ſchon von der Stunde an,
wo du zu Careggi mit ihm aus dem Gtegreife reimteft
und did, fo unartig gegen ihn betrugft. Meifter Ma-
nente, Fürften find Fürften und machen es unferes Glei«
chen oftmald fo, wenn wir mit ihnen auf du und du
ftehen wollen.
Der Arzt entfchuldigte fi) mit der Behauptung, die
Mufen haben überall ein freiere® Wort, und wußte noch
hundert Gründe für ſich anzuführen. Betrachtete er aber
die Sache an ſich felbft und Burchiello's Worte dazu,
fo fonnte er doch nicht alle Zweifel in feiner Seele unter-
drüden und mußte jenem bis auf einen gewiffen Grad
Slauben ſchenken. Als fie nun aber eine gute Weile
über die Angelegenheiten bes Meifter Manente hin⸗ und
128 XV. Antonio Francesco Grazzini.
hergeſprochen hatten, ließ diefer auch von ihnen fih aus-
führlih erzählen, was bei ber Peft fih zugetragen und
wie es mit bem Menſchen gewefen, der an feiner Statt
tobt und mit einer Peftbeule am Hals aus feinem Haufe
getragen worden fei. (Er vermochte ſich hierüber gar nicht
zu beruhigen und auch die andern zerbradhen fi umfonft
den Kopf, felbft Burchiello wußte keinen Ausweg zu finden.
Am Ende aber wurde es fpät und Meifter Manente bat
fie nun um ihre Anſicht und um ihren Rath, wie er
fi) aus diefer Verlegenheit ziehen möge, da es ihm doch
allzu hart vorfam, Gut und Blut zugleich verlieren zu
follen. Nachdem aber vielerlei Mittel und Wege zufam-
men erwogen waren, wurden fie einig, daß der Arzt fi
an ben Biſchof menden folle. Zulegt nahmen fie von
einander Abfchied und Meifter Manente ging mit Bur-
chiello heim, meil die andern feinethalb ihrer Sache doch
nicht recht gewiß waren und immer noch ein heimliches
Grauen vor ihm verfpürten. — Unterbeffen war Michel⸗
agnolo nah Haufe zurüdigefehrt und hatte von Brigida
einen umftändlihen Bericht erhalten über Alles, was fich
vor ihrer Thüre ereignet hatte, wobei fie ihn verficherte,
fie hätte darauf fehmören mögen, fie höre die Stimme
und fehe das Geſicht Meifter Manente’s, was mit ber
Meinung der Donna Dorotea zufammentreffe, daß es
feine arme Seele fei, die durch irgend ein frommes Werk
aus dem Fegefeuer erlöft fein wolle.
Was fafelft du da, dumme Gans, verfegte Michel⸗
agnolo, von armer Seele und Fegefeur? Es ift ein
Schelm und lifliger Betrüger und bu thatft wohl daran,
ibm nicht aufzumachen.
Dennody verwunderte er fi) außerordentlich und konnte
nicht begreifen, zu welchem Ende der Menſch dies begon-
nen babe und worauf es dabei abgefehen fei; indeß ließ
er fich nichts weniger dabei einfallen, als daß Meifter
Manente wieder von den Todten erftanden oder daß er
noch am Leben fei, fondern hoffte vielmehr, der Beutel-
53. Ein Schwanf Lorenzo Medici. 129
fohneider werde nad) diefem erſten misglücdten Verſuche
nicht mieder zum Vorſchein kommen. — Des andern
Morgens hieß Burchiello feinen Freund bei Zeiten’ auf-
ftehen, ließ ihm vor Allem. den Kopf wafchen, den Bart
nah der Sitte der Zeit ſcheeren und kleidete ihn dann
von Kopf bis zu Fuß in eine Kleidung von ihm, Die
ibm auch fo gut faß, als ob fie für ihn gemacht worden
wäre. Dann ging er mit ihm aus, um ihn fehen und
von den Leuten wiedererfennen zu laffen, fie gingen nach
Santa Maria mit der Blume, nad) der Berkündigungs-
ficche, auf den Altmarkt, auf den Neumarkt, auf den
Platz, alles Volk fah ihn, viele erkannten ihn und redeten
ihn fogar an, weil durch den Mund des Biondo und
ded Amadore die Zeitung, daß er noch lebe und Weib
und Eigenthum zurüdfordere, allgemein verbreitet worden
wer. Ja, Niccolajo und Michelagnolo hatten ihn gefehen
und ed kam ihnen in der That vor, er fei ed; doch da
fie feines Todes gewiß waren, tröfteten fie fich wieder,
er fünne ed unmöglicd, fein. Auf die Nachricht, daß er
bei dem Bisthum klagbar werden molle, bereiteten fie
fih zur Gegenwehr, gingen zum Peftamte, in die Sa-
criftei von Santa Maria Novella megen des. Zodten-
buche, zu dem Apotheker, der die Kerzen geliefert, zu
den Zodtengräbern und in die Nahbarfchaft umher und
ließen fich beurfunden, daß Meifter Manente in feinem
Zeufe an der Peſt umgefommen und beerdigt worden fei.
iefer Vorfall machte in Florenz das allergrößte Auf:
ſehen und viele, welche den Keichnam hatten in die Gruft
verfenten ſehen, wußten gar nicht mehr, woran fie waren,
und fahen die außerordentlichften Dinge fommen. —
Meifter Manente begab fid) nach Tiſche in Burchiello’s
Begleitung auf die bifchofliche Nefidenz und trug dem.
Vicarius den ganzen Handel vor, in deffen Folge er fein
Weib wiedererftattet haben wollte. Der Vicarius, welchem
die Sache höchft wunderbar vorkam, ließ, um der Sache
auf den Grund zu fommen, die Gegenpartei vorbefcheiden,
6**
130 XVII. Antonio Francesco Grazzini.
und ald er dann auch Niccolajo’s und Michelagnolo’s
Gründe vernommen und fo viele giftige Zeugniffe und
Ausfagen glaubwürdiger Männer binlänglih ermogen
hatte, fchmwindelte ihm vollends vor Verwirrung. Da
nun bei diefer Angelegenheit ein Zodter im Spiele war
und von Feiner ber beiden Parteien herausgebracht wer-
den konnte, wer es geweſen und wie er in das Daus
des Arztes gerathen fei, mar er überzeugt, es fei Dabei
ein Mord vorgefallen, und machte davon im Stillen bie
Anzeige bei den Achten, welche fogleich ihre Häfcher hin⸗
fandten. Diefe trafen die Parteien noch im Streite an,
nahmen fie mit Ausnahme Burchiello’8 fämmtlich in
Berhaft und führten fie zu bem Büttel ab. — Am
nädften Morgen, fobald die Gerichte verfammelt waren,
verhörten fie zuerft den Meifter Manente, nachdent fie
ihn mit ber härteften Folter bedroht hatten, wenn er
ihnen nicht die Wahrheit ſage. Meifter Manente begann
baber von vorn und erzählte der Meihe nach bis zum
Schluffe Alles, mas ihm begegnet war, fodaß alle mehr
wie einmal zum Lachen gebracht wurden. Darauf ſchickten
fie ihn in feine Haft zurüd und ließen Niccolajo fommen,
weicher ihnen ganz der Wahrheit gemäß Alles, was er
wußte, erzählte. Michelagnolo gab das gleiche Zeugnif
ab und zur Belräftigung ihrer Ausfagen brachten beide
die Urkunden vor, in voller Überzeugung, daß der Zodte
der Meifter Manente gewefen fei. Als nun die Achte
vernahmen, daß ein Spitaldiener dagewefen fei, um ben
Kranken zu pflegen und das Haus von der Anftedung
zu reinigen, bachten fie vielleicht das Trum zu diefem
verwidelten Knaul duch ihn zu finden, fchidten daher
wirklich einen Aufwärter in aller Eile nah Santı Maria
Nuova, um ihn zu holen. Sie hörten aber bald von
demfelben @erichtödiener, ber Wärter habe in Händeln
einen Kameraden mit einer Scheere im Geſicht ver⸗
wundet, fei aus Furcht vor Strafe davongelaufen und
. man babe feitdem nicht wieder erfahren, mas aus ihm
— — — — —— — —
59. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 131
geworden fi. So waren fie alfo fo klug mie zuvor.
Man fieht, wie glüdlih die ganze Geſchichte angelegt
war. Die Achte ließen nunmehr die Parteien in das
Gefängniß zurüdbringen und befahlen ihren Beamten,
die Urkunden genau zu prüfen und auf alle mögliche
Weife zu unterfuchen, ob Meifter Manente die Wahrheit
gefagt habe. Diefe berichteten nach zmei oder drei Tagen,
es haben alle die Mahrheit gefagt, zum äußerſten Mis-
fallen und Erftaunen des Gerichte. — Nunmehr begab
ſich Burchiello, um Meifter Manente beizuftehen, zu
einem der wichtigften Herren biefer Obrigkeit, der zu—⸗
gleich fein und Manente's großer Freund war, und
machte ihm bemerklich, das Ganze fei nichts anderes als
ein Anfchlag bes erlauchten Lorenzo, ber ed gewiß nur
erfonnen habe, um mit dem Arzte feinen Spaß zu treiben,
gab ihm auch den Grund und die muthmaßliche Veran-
loffung dazu an, indem er feine Anficht fo gut unter-
ftügte, daß er ihn zu feiner Meinung befehrte und fie
beide auf den Schluß kamen, auf keine andere Reife,
als durch Lorenzo fei in Florenz etwas der Art möglich.
. Er fprach daher eines Morgens in der Sigung von diefer
Angelegenheit und fagte, es heine ihm, es märe gut,
darüber an den Erlauchten zu fhreiben, melcher fich da-
mals zu Poggio aufbielt, den ganzen verwidelten und
bedenklihen Handel ihm vorzutragen und die Entfchei-
dung feinem Ermeſſen anheimzuftellen. Die übrigen
Mitglieder des Nathes billigten diefes Gutachten höchlich
mit dem Beifügen, daß fie nicht allein dem Erlauchten
ein großes Vergnügen dadurch bereiten würden, fondern
daß er auch gerade der befte Richter für folcherlei Fälle
fi. Es warb alfo einftimmig dem Kanzler der Auftrag
gegeben, einen vollfländigen Bericht von dem derma⸗
ligen Stande der Seiner Magnificenz anheimzuftellenden
Sache abzufaffen, und fobald dies gefhehen war, am
nämlichen Tage noch ſchickte man das Schreiben an ihn
fort. Die Gefangenen wurden vorgeführt und empfingen
132 XVII. Untonio Francesco Grazzini.
ben Beſcheid, bei Etrafe des Galgens nicht auf bundert
Schritte der Grabenftraße nahe zu kommen, noch mit
Brigida zu fprechen, bis der Rechtshandel gefchlichtet fei,
weichen fie an den Erlauchten verwiefen haben und ber
bald in die Stadt zurückkehren werde. Darauf gab man
ihnen ihre Freiheit wieder, und fie gingen ein jebes mit
bee Hoffnung von bannen, die Entfcheidbung zu ihren
Gunſten ausfallen zu fehen. Ganz Florenz; war indeffen
voll von biefer erflaunlichen Begebenheit, Brigida war
aber befonders verftiimmt und befümmert und fie meinte
den Ausgang gar nicht erleben zu können. Meifter
Manente 309 fürs Erſte zu Burdiello und fing wieder
an Kranke zu befuchen, die Goldfchmiebe aber arbeiteten
in ihrer Werkſtätte. — Als der Erlauchte die Zufchrift
ber Achte empfing, mußte er fo erftaunlich darüber lachen,
daß er ſich gar nicht zu faffen wußte; denn es fam ihm
vor, der ganze Spaß habe eine taufend mal fchönere und
Iuftigere Wendung genommen, als man ſich nur immer hätte
voraus denken können. Acht bis zehn Tage darauf kehrte
er nach Florenz zurüd und noch an demfelben Tage ging
Meifter Manente zu ihm, wurde jedod) nicht vorgelaffen;
das Gleiche war den Goldſchmieden begegnet. Am fol-
genden Tage Fam Meifter Manente wieder und fand ihn
gerade bei Tiſch, foeben war das Frühmahl vollendet.
Das Herz hüpfte dem Erlauchten vor Freude, als er
fam, dennoch gab er äußerlich Erftaunen und Mistrauen
fund.
Meifter Manente, rief er laut, ich glaubte nicht,
dich je wiederzufehen, denn man hatte mich für gemiß
berichtet, bu feieft tobt; und freilich bin ich nody immer
nicht volltommen überzeugt, ob du es felber bift oder
ein anderer oder ob du ein phantaftifches Zauberbild vor -
dir haft.
„Der Arzt verficherte ihn, er fei niemals geftorben,
fondern immer noch derfelbige, der er vormals geweſen,
und wollte näher. treten, um fi auf die Knie niederzu-
93. Ein Schwan? Lorenzo Mebici’s. 133
laſſen und ihm die Hand zu küffen. Der Erlauchte aber
ſprach: Halt dich fern! Es genüge dir für jegt, daß,
wenn du wieder ber echte, lebendige Meifter Manente bift,
du mir willkommen bift, aber mo nicht, keineswegs!
Der Arzt wollte nun anfangen feine Gefchichte vor-
zutragen, Lorenzo aber fagte ihm, es fei dazu gegen
wärtig nicht Zeit.
Diefen Abend, fügte er hinzu, nad) vierundzwanzig
Uhr erwarte ich dich in meinem Gemade, um deine
Gründe zu hören.
Zugleich that er ihm kund, daß auch feine Gegner
fi) dort einfinden werden. — Meifter Manente dantte
ihm für feine Gnade, 309 fich ehrerbietig zurüd und ging
nach Haufe, wo er dem Burchiello den ganzen Vorfall
berichtete. Diefer mußte im Stillen lachen und dachte:
Sch weiß es ja wohl, daß die Sache an den rechten
Mann gekommen if. Dem Erlauchten glüdt alles nach
feinem Wunfch, er hat jeden Sonntag Oftern.
Doc; konnte er keineswegs vorausfehen, welche Wen-
dung die Sache noch nehmen werde. — Inzwiſchen war
e8 Abend geworden und die Goldfchmiede hatten fich er-
haltener Weifung zufolge bereits eingeftellt und ergingen
fih in der Galerie, in Erwartung, gerufen zu werden,
als Meifter Manente ebenfalls erfchien. Seine Ankunft
ward ſogleich Lorenzo gemeldet und er begab ſich in
Gefellfchaft mehrerer Bürger und Edeln von Florenz,
die allefammt Bekannte und Freunde des Arztes waren,
in feinen Saal, mo er zuerft ben Niccolajo und dann
den Michelagnolo und fpäter beide zufammen vorführen
ließ, ihre Auseinanderfegungen anhörte, die Urkunden
einfah und ſich im höchften Grade verwundert Außerte.
Zulegt traten fie ab und es erjchien Meifter Manente,
‚welcher von Anfang an in fihönfter Orbnung ihnen ganz
der Wahrheit gemäß erzählte, was ihm begegnet war,
ohne etwas ab» oder zuzuthun. Darüber waren alle,
die es mit dem Erlauchten anhörten, Außerft verwundert
134 XV. Antonio Francesco Grazzini.
unb mußten entfeglich lachen, und konnten mit Gelächter
und Erſtaunen gar nicht zu Enbe kommen; fonbern
nachdem Lorenzo ben Meifter Manente die Sache mehr-
mals hatte wiederholen laffen, befahl er bie Goldſchmiede
hereinzurufen, und das gab für eine Weile bie allerfchönfte
und ergöglichfte Kurzweil, bie er Zeit feines Lebens ge-
habt hatte, denn nun fagten ſich die Erhigten im Aus»
bruche ihrer Xeidenfchaft die derbften Grobheiten. Darüber
fam aud der Vicarius herbei, weldhen der Erlauchte
hatte rufen laffen, und nachdem ihm alle Anmefenden
ihre Ehrfurcht bezeugt hatten, nahm er feinen Plag an
der Seite Lorenzo's ein und diefer fuhr alfo fort: Mein
Herr Vicar, da ich weiß, daß ihr von ben Streitigkeiten,
welche diefe ehrenwerthen Männer miteinander führen,
bereitd durch eigenes Verhor in Kenntniß gefegt worden
feid, fo will ich auf nichts anderem als darauf gegen
euch beruhen, wie mir ald dem von den hochanfehnlichen
Herren Achten in biefer Sache erwählten Richter zunächft
obliegt, zu erforfchen, ob ber echte Meifter Manente
jemals geftorben und alfo diefer bier vor uns ſtehende
nicht etwa ein bezaubertes Trugbild oder gar ein höllt-
ſches Weſen ift, welche Entfcheibung denn unzweifelhaft
von eurem Amte zu erwarten fteht.
Auf welche Art und Weife das? antwortete der Vicar.
Ih werde es euch eröffnen, fuhr Lorenzo fort und
fügte: Indem ihr ihn von einigen frommen Brüdern,
welche Teufel austreiben, beſchwören laffet, indem man
ihm Reliquien gegen die Beherung auflegt.
Ihr habt wohl gefprochen, antwortete der Herr Vicar;
gebt mir feche bis acht Tage Zeit, meine Vorbereitungen
zu treffen, und wenn er alddann den Hammer aushält, fo
wird man mit Sicherheit annehmen können, daß er lebt
und der rechte iſt.
Meifter Manente gab fih Mühe zum Worte zu
fommen, allein der Erlauchte bekräftigte die Anfichten
des Vicars, erflärte, baf er fein Urtheil von bem Erfolge
53. Ein Schwank Lorehzo Medici’s. 135
der Beſchwörung abhängig machen werde, ftand auf und
entließ die Sigung, indem er fich mit den ihn begleitenden
Edelleuten zum Nachteſſen entfernte, wobei über dieſen
ſeltſamen Vorfall ungemein viel gelacht und geſcherzt
wurde. — Des andern Tages machte der Vicar, ein
guter und frommer Chriſt und eine ehrliche geiſtliche
Haut, im ganzen Erzbisthum bekannt, daß alle Prieſter
und Mönche, welche Reliquien beſitzen, die ſich zum
Austreiben von Teufeln und Beſchwoͤrung von Geſpen⸗
ſtern eignen, ſelbige bei Strafe ſeines Unwillens binnen
ſechs Tagen nach Florenz in die Kirche Santa Maria
maggiore bringen ſollen. Im ganzen Lande ſprach man
nun von nichts anderem, als von dieſer Neuigkeit und
den Goldſchmieden wie Meiſter Manente däuchte es eine
Ewigkeit, bis fie aus der Sache losfämen. Lorenzo hatte
unterdefien den alten Nepo von Galatrona, einen be-
rühmten Herenmeifter und Zauberer jener Zeit, nad) Flo:
venz fommen lafjen, unterrichtete ihn von dem, was er
zu thun habe, und behielt ihn im Palafte, um fich feiner
bei fchilichee Zeit und Gelegenheit zu bedienen. Don '
Stadt und Land war in Santa Maria maggiore eine
ganz erftaunliche Menge von Reliquien zufammengebracht
worden. Am feftgefegten Zage erfchien Meifter Manente,
man erwartete nur noch den Vicar, welcher auch nad)
der Veſper, begleitet von vielleicht breißig der angefehenften
Geiftlihen von Florenz, erfchien, mitten in der Kirche
auf dem für ihn zubereiteten Sige Plag nahm, Meifter
Manente vortreten und niederfnien lief. Zwei Mönche
von San Marco fangen über ihm Evangelien, Palmen,
Hymnen, Gebete, befprengten ihn mit Weihmaffer, beräu-
cherten ihn mit Weihrauch. Priefter und Mönche ließen
ihn ihre Reliquien berühren, aber Alles war umfonft,
der Arzt veränderte fich nicht im Mindeften, fondern
bewies vielmehr allen feine Ehrfurcht, dankte Gott und
flebte den Vicar um feine Erlöfung an. — Die Kirche
mar voll und gedrängt in allen Eden, denn alle erwar-
4
136 XVU. Antonio Francesco Grazzini.
teten Wunderdinge, als ein feifter Mönch, von Balom-
brofa kommend, jung, rüftig und ein erBlärter Zeufels-
banner, fich vorbrängte und rief: Laßt mich ein wenig
fhaffen! Ich will euch bald fagen, ob er befeffen ift
oder nicht.
Er band ihm bie Hände feft, hängte ihm nochmals
Sanct Philipps Mäntelhen um die Schultern und fing
an ihn zu befragen und zu befchwören. Der Arzt ant-
mwortete zwar immerfort ganz wie ſichs gehörte, da in-
deſſen bei diefer Befchwörung der Bruder Dinge fagte,
welche Steine hätten zum Laden bewegen müffen, fo
wollte Meifter Manente's Unglüd, daß er den Mund
zu einem halben Lächeln verzog. Da brach urplöglid
der Mönch gegen ihn los: Segt hab’ ich ihn.
Er gab ihm zwei Maulfchellen aus dem Salz und
rief: Ja, ja, bu bift ein Feind Gottes und du follfi
mir auf alle Weife weichen.
Schien auch dem Meifter Manente der Spaß bier
ein wenig zu weit zu geben, fo ſprach er doch feiner-
feitd gefaßt: Beſchwöre du fo viel du willſt!
Der dide Mönch aber ſtieß ihm unablaffig mit der
Fauſt auf die Bruft und in die Seiten und fihrie fort-
während: Ei du böfer Geift, dir zum Troge ſollſt du
heraus.
Der Arzt Eonnte fih blos mit der Zunge wehren
und fchrie daher: Wie, du verrätberifcher Pfaffe, ift das
eine Art mit ehrlichen Leuten umzugehen? Schämſt du
dich nicht, du Faullenzer, du Saufaus, meines Gleichen
fo zu fohlagen? Beim Leib des Herrn! ich räche mich
noch dafür.
Als der Mönd ihn fo Läftern hörte, machte er fich
erft recht über ihn her, warf ihn zu Boden, feste ihm
bie. Füße auf den Leib, padte ihn an ber Kehle und würde
ihn ficherlich erwürgt haben, hätte ihn Meifter Manente
nicht um Gottes willen gebeten. Darauf ließ denn ber
Herr Bruder von ihm ab, weil er glaubte, ber böfe
53. Ein Schwan Lorenzo Medici's. 137
Geift wolle heraus, und fing an, ihn zu fragen: Welches
Zeichen gibft du mir?
Jetzt gab Monaco, welcher auf Anordnung des Er-
lauchten mit Nepo in die Kirche gefommen war und fich
unter das Volk gemifcht hatte, diefem zu. verftehen, der
rechte Augenblid fei da. Da ſchrie Nepo plöglich mit
lauter Stimme: Aus dem Weg, aus dem Weg, ihr
ehrlichen Leute, laßt mich hindurch! Ich komme mit
dem Vicar zu reden und ihm die Mahrheit zu ent-
hüllen.
Bei dieſem Geſchrei und ſolchen Reden richtete jeder
ſeinen Blick auf den Sprechenden, es war eine große
Geſtalt, ſchön, ſchlank, mit olivenfarbiger, faſt brauner
Hautfarbe, kahlem Kopf, feinem magern Geſicht, brau⸗
nem und bis auf die Bruſt herabhängendem Barte und
groben ſeltſamen Kleidern, ſodaß alle in Verwunderung
geriethen und aus Angſt ihm gerne Bahn machten; ſo
drang er bis zum Vicar vor und forderte die Entfernung
des Mönches vom Meiſter Manente, welcher ihn als
ſeinen Erwecker vom Tode betrachtete. Dann fuhr er
alſo fort: Damit nach Gottes Willen die Wahrheit Allen
kund werde, ſo wißt, daß Meiſter Manente allerdings
niemals geſtorben iſt, ſondern daß Alles, was ihm be⸗
gegnet iſt, durch Zauberei und Teufelskünſte auf mein
Anſtiften geſchah. Ich bin Nepo von Galatrona und
kann durch meine Teufelskünſte Alles vollbringen, was
mir gefällt und gutdünkt. Ich war es, der ihn, mäh-
rend er in San Martino fchlief, von Teufeln in ein
Zauberfchloß bringen lieg und genau in der Weiſe, wie
ihr von ihm gehört habt, dafelbft fo lange gefangen hielt,
bis ich ihn endlidy eines Morgens in der Dämmerung
im Walde von Vernia wieder in Freiheit fegte. Ich
ftedte einen Kobold in eine aus Luft gefchaffene, ihm
ähnliche Geftalt, ließ ihn darin als Meifter Manente
ſcheinbar an ber Peft erkrankten und am Ende fterben
und veranlafte feine VBeerdigung, woraus denn - alles
138 XV. Antonio Francesco Grazzini.
Ubrige entflanden ift, wie ihre wiffet. Und biefes alles
babe ich vollbracht, um durch ſolche Verhoͤhnung an
Meifter Manente eine Beleidigung zu rächen, die mir
bereinft im Kirchiprengel von Sanct Stephan fein Water
antbat, dem ich fie felbft nicht wieder vergelten Eonnte,
weil er jederzeit ein Amulet bei fi trug, auf dem das
Gebet des Heiligen Cyprianus gefchrieben ftand. Und
bamit ihre euch von der Wahrhaftigkeit diefer meiner
Worte überzeugt, fo geht jept Hin und öffnet die Gruft,
worin ber vorgebliche Arzt beftattet wurde. Findet ihr
darin nicht die offenbarfte Beftätigung meiner Ausſagen,
fo mögt ihr mich für einen Lügner und Betrüger halten
und mir den Kopf abfchlagen.
Der Bicar und alle andern hatten mit gefpannter
Aufmerkfamteit den Reben bes Mannes zugehört. Meiſter
Manente glühte vor Grimm, ſchaute ihn aber doch ganz
ängftlich und wie trunten und fchlafbetäubt an und alles
Bolt gaffte ihn mit offenem Munde an. Um nun biefe
Sache voͤllig aufzuklären und zu fehen, wie es mit diefer
verwidelten Geſchichte fich verhalte, befahl der WBicar
zweien Mönden von San Marco und zweien vom bei-
ligen Kreuz, fchnell hinzugeben und die geweihte Grab-
flätte zu unterfuchen. Sie fegten fich fogleih in Bewe⸗
gung und viele andere Mönche und Priefter und Laien
in großer Zahl liefen hinter ihnen her. Nepo blieb in
der Kirche bei dem Vicar und Meifter Manente zurück,
welche fich halb vor ihm fürchteten, ſodaß fie nicht wagten,
ihm feſt ine Geſicht zu fehen, denn fie beforgten, wie
überhaupt die Mehrzahl der Anweſenden, es ſei ein zweiter
Simon Magus oder ein neuer Malagigi. Indeſſen waren
die Möndye mit ihrem Gefolge auf dem Kirchhofe von
Santa Maria novella angelangt und hatten den Sacriftan
berbeigerufen und fi von ihm das Grabmal zeigen laffen,
worin man glaubte, daß der Leichnam des Arztes beige
fegt worden fe. — Am nämlichen Morgen eine Stunde
vor Taa hatte Monaco im Auftrag des Erlauchten eine
8°
53. Ein Schwank Lorenzo Medici’s. 139
pechſchwarze Taube, die ganz ausgezeichnet raſch flog,
von Gareggi gebracht. Sie wußte ihren Schlag fo gut
wiederzufinden, daß fie. fchon von Arezzo und von Pifa
zurüdgefommen war. Diefe hatte er mit großer Bor:
fiht, daß er von niemand bemerkt werde, in das Grab
verfchloffen, welches er genau kannte und nachher wieder
fo gut zumachte, daß es in zehn Jahren nicht geöffnet -
worden zu fein fehien. Der oben gefagte Sacriftan fegte
nun den Hafen an, hob die Platte auf und öffnete in
Gegenwart vieler Hundert Menſchen den Dede. Da
fhoß nun die Zaube, welche man Kohle hieß, nachdem
fie mehrere Stunden im Dunkel zugebradht, nichts auf-
gepidt und das Zageslicht nicht erblidt hatte, in pfeil»
fhnellem Fluge aufwärts aus der Gruft hervor und ftieg
ſichtlich himmelan und fo Hoch, bis fie Kareggi erblidte.
Dann wandte fie fich feitwärts in diefer Richtung bin '
und langte in weniger ald einer halben Biertelftunde
bofelbft an. Alle Umftehenden waren darüber fo fehr
mit DVermunderung und Schreden erfüllt, daß fie auf-
und davonliefen und fchrien: Jeſus, erbarme dich!
Der Sacriftan fiel aus Angſt rücklings zu Boden
und der Stein flülpte über ihn bin, fodaß er fich ben
Schenkel zerquetichte und viele Tage und Wochen Frank
daran darniederlag. Die Mönche und ein großer Theil
des Volkes liefen wieber nad) Santa Maria maggiore
und riefen: Ein Wunder, ein WBunber!
Der eine fagte, es fei ein Geift herausgefahren in
Form eines Eichhörnchens, es habe aber Flügel gehabt;
der andere, es ſei eine Schlange geweſen, welche Feuer
gefpieen; ein dritter mollte, es ſei ein Teufel gewefen in
Geftalt einer Fledermaus; die meiften aber behaupteten,
den Anblid eines Teufelchens gehabt zu haben; ja, einer
fagte, er habe ganz genau die Hörnchen und die Gänfe-
füge wahrgenommen. In Santa Maria maggiore, wo
der Vicar und Meifter Manente und eine ungeheuere
Menge Volks wartete. kam nun faft in vollem Laufe
‘
140 XV. Antonio Francesco Grazzini.
eine Schaar GBeiftlihe und Laien an, welche alle cin:
flimmig 'riefen: Ein Wunder, ein under!
Alles ſtieß und drängte fih um fie herum, um das
Wahre an der Sache zu vernehmen, und fo benügte
Nepo den entfiandenen Tumult, um fi unbemerkt und
von Monaco und den Stallknechten gededt einen Meg
durch das Gedränge bis vor die Kirche zu bahnen, wo
ein raſcher Gaul feiner wartete, auf dem er, wie ihm
befohlen war, eiligft nach Haufe zurüdritt. — Sobald
fih der Vicar von den Brüdern den Dergang hatte aus-
führlich erzählen laſſen, blidte er flaunend und etwas
beftürzt umher, ob er des Nepo nicht anficdytig würde;
und als er ihn nicht mehr erblidte, begann er dann zu
rufen, man folle ihn fuchen und feſtnehmen, weil er
diefen wahrhaftigen Hegenmeifter, Zauberer und ZTeufels-
banner verbrennen zu laſſen beabfichtige. Nepo warb in-
deſſen nirgends aufgefunden und man glaubte allgemein,
er babe ſich durch Zauberkünfte unfichtbar gemacht; ſodaß
der Vicar aus dieſem Grunde Priefter und Mönche ins-
gefamme mit dem Bedeuten entließ, ihre Reliquien wieder
nach Haufe zu tragen, und in Gefelfhaft Meifter Ma:
nente's nad dem Palafte ging, um den Erlauchten zu
fprechen. Burchiello hatte mit einigen vertrauten Freunden
aus einiger Entfernung Alles mit angefehen und beobachtet
und fo gelacht, daß ihm die Kinnladen fehmerzten, zumal
ale der dide Pfaffe den Meifter Manente. fo gewaltig
durchprügelte. Die beiden verbündeten Goldarbeiter waren
zu ihrem großen Misbehagen und Erftaunen ebenfalls bei
dem ganzen Hergang gegenwärtig geweſen und als fie
den Bicar nach dem Palaſte gehen fahen, machten fie
ſich hinter ihm drein auch dahin auf den Weg, um zu
ſehen, wie doch aus dieſem Labyrinthe hervorzukommen
möglich werden möchte. Der Erlauchte hatte von Zeit
zu Zeit genau über alles Einzelne Bericht erhalten und
konnte mit einigen Edelleuten und ſeinen nächſten Freunden
nicht ſatt werden, zu lachen, als er hoͤrte, der Vicar
33. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 141
fomme mit ihm zu reden. Diefer trat fogleich mit dem
Ausrufe herein, er nehme ben Beiftand der Häfcher in
Anfprudh, um den Nepo von Galatrona einfangen zu
laffen. Lorenzo ftellte fich befremdet, ließ fich Alles noch
einmal erzählen und fprach: Mein Herr Vicar, ich bitte,
fchreiten mir nur facht voran in Allem, was den Nepo
betrifft. Aber was fagt ihre zu Meifter Manente?
Ich fage, antwortete der Vicar, es unterliegt gar
feinem Zweifel mehr, daB er es leibhaftig ift und nie⸗
mals den Tod gefchmedt hat.
Nun denn, fprach der’ Erlauchte, fo will ich das Ur⸗
theil fällen, damit diefe armen Menfchen endlich einmal
aus ihrer Bedraͤngniß erlöft werden.
Er lieg Niccolajo und Michelagnolo, welche er in
der Menge bemerkt hatte, vor fich führen, vermochte fie
in Gegenwart des Picard und vieler ausgezeichneter und
bedeutender Männer, den Meifter Manente zu umarmen
und zu küſſen und Frieden mit ihm zu fchliefen. Als
fie fih nun gegenfeitig entfchuldigten und den ganzen
Handel Nepo in die Schuhe fehoben, that endlich der
Erlauchte folgenden Spruch: Michelagnolo folle am fol-
genden Zage alle Sachen, die er in Meifter Manente’s
Haus gebraht, daraus fortichaffen, Brigida dagegen nur
mit vier Hemden, einem Node und einem Mieder fich
in die Wohnung ihres Bruders begeben und dort ihr
Mocenbette abwarten; nach ihrer Niederkunft folle es
Michelagnolo überlaffen bleiben, ob er das Kind nehmen
wolle oder nicht; wolle er es nicht, fo könne es der Arzt
zu fi nehmen; verfchmähe es auch diefer, fo möge man
es in das Findelhaus geben; die Koften des Mochenbettes
trage Michelagnolo; Meifter Manente könne in fein Haus
zu feinem Söhnlein zurückkehren und müſſe Brigida, fo-
bald fie entbunden fei, wieder bei fih aufnehmen und
fo gut behandeln, wie zuvor. Diefer Urtheilsfpruch gefiel
allgemein und jeder, dem er zu Ohren fam, pries barob
den Erlauchten. Die Goldarbeiter und der Arzt danften
142 XVII Antonio Francesco Graszini.
ibm böchlih und gingen wohlgemuth von bannen. An
bemfelben Abend fpeiften fie eintraͤchtiglich miteinander
bei Brigida in Geſellſchaft Burchiello's, in deſſen Hauſe
ſodann der Arzt die Nacht zubrachte. — Der Herr Bicar
war bei dem Grlauchten zurüdgeblieben und drang von
Neuem darauf, den Nepo einzufangen, um ibn verbren-
nen zu laffen. Lorenzo ftellte ihm aber vor, es würde
beſſer fein, fih ruhig zu verhalten, meil, wenn man
auch den Verſuch mache, es doc, vielleicht nicht gelinge
bei einem Manne, dem taufend Mittel und Wege zu
Gebote ftehen, zu entfliehen und feine Verfolger zu narren,
indem er ſich unfichtbar made, als Vogel Davonfliege,
zur Schlange werde und dergleihen, da einmal unfer
Herrgott jenem Haufe von Galatrona diefe Gewalt zu
einem von Menfhen nicht gekannten Zwecke verliehen
habe; dann Taufe man aber auch die größte Gefahr,
denn wenn Nepo bie böfe Abſicht ſehe oder bemerke,
könnte er ſie ſtumm machen, einem: die Augen verdrehen,
den Mund ſchief ziehen, die Glieder laͤhmen oder ſonſt
ein bösartiges Übel anhängen. Der Bicar, der, mie-fchon
— von gutherziger weicher Gemüthsart war, fiel auf
ſolche Vorſtellungen leicht der Meinung Lorenzo's bei,
entfchuldigte feinen Eifer damit, daß er der Sache nicht
fo reiflih nachgedacht habe, und erflärte endlich ein für
allemal, daß er ferner nicht mehr davon zu reden ent-
ſchloſſen ſei. Mit diefem Worfage verließ er den Er-
lauchten nicht ohne ftarke Beforgniß wegen eines etwaigen
böfen Ubels, ging nad, feiner Wohnung zurüd und er-
wähnte Nepo’s in feinem ganzen Leben nicht mehr weder
in Butem noch in Böſem. Am folgenden Tage nahm
Michelagnolo aus Meiſter Manente's Haufe alle feine
Habfeligkeiten weg, Brigida begab fi in base Haus
ihres Bruders, fodaf der Arzt fein voriges Beſitzthum
ungehindert antreten fonnte und noch am nämlichen Tage
wieder mit feinem Söhnchen zufammenmwohnte, das ihm
ein ganz unermwarteter Fund erfhien. In biefer Zeit
53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 143
ward in Florenz von nichts anderem gefprochen, als von
diefem Ereigniß und vorzüglich Nepo erntete dabei große
Ehre und unfhägbaren Ruf, zumal beim gemeinen Volke,
und wurde für einen großen Schwarzkünftler gehalten.
Meifter Manente glaubte fteif und feit, daß die Sache
fich fo verhalte, mie Nepo erzählt hatte, und pflegte in
ber Folge oft gefprächsweife zu fagen: Die Birne, bie
der Vater ift, verfchlägt manchmal noch dem Bohne
die Zähne.
Died wurde von. da an zum Sprichwort, das noch
jetzt üblich iſt. Der ehrliche Mann ließ ſich auch in
feinem Glauben durch nichts irre machen, trotzdem, daß
nicht nur Burchiello, ſondern auch ſogar der Erlauchte,
Monaco und die Stallknechte im Verlaufe der Zeit den
ganzen Scherz erzählten, wie er ſich verhielt. Er war
vielmehr fo verfchlichtert, daß er ſich viele Gebete des
heiligen Cyprian kaufte, die er beftändig auf dem Leibe an
fi trug und aud Frau Brigida tragen lieh. Brigida
nun gebar, als ihre Zeit erfüllt war, ein Knäblein, das
Michelagnolo zu fi) nahm und bis in fein zehntes Jahr
auferzog. Als dem Kinde in diefem Alter der Vater
ftarb, machten ed die Seinigen zu einem Möndlein in
Santa Maria novella, wo es in der Folge fehr gelehrt
ward und zu einem großen Prediger erwuchs, den die
Leute um feiner fcharflinnigen Einfälle und anmuthigen
Scherze willen Bruder Grübler nannten. Meifter Ma-
nnente erfreute fich mit ſeinet Brigida eines fteten Zu⸗
wachſes an Wohiftand und Nachkommenſchaft, und feierte,
fo lange er lebte, alljährlich das Feſt des Sanct Eyprian,
dem er immerbar mit befonderer Verehrung zugethan
blieb.
XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio.
1504.
54. Perſiſche Graufamfeit.
(3, 2.)
Sulmone König von Perſien war der mädhtigfte der
Könige und wie ich öfters fagen hörte, war er nidt
minder graufam, als tapfer. Er hatte viele Söhne und
Töchter von Selina feiner Gemahlin, einem Weibe vom
beftien Adel, aber von der verdorbenften Gefinnung.
Sulmone hatte fie mit feinem älteften Sohne umgebradt,
weil er fie in unfeufhem Umgang überraſchte. Von al
feinen Kindern war ihm am Ende nur noch eine Tochtet
übrig, Orbecche mit Namen. WIE fie in das heiraths⸗
fähige Alter fam, ward fie wegen ihrer ausnehmenden
Schönheit von vielen geliebt. Dem Water felbft war fie
theurer, als fein Leben, und es fchien, er habe alle feine
Hoffnungen auf fie vereinigt. Dem Mädchen gefiel nichts,
fo bedeutend es war, worin ihr nicht ihr Vater vollftändig
nachgegeben hätte. Dies ward häufig Veranlaffung,, die
Grauſamkeit des Waters beträchtlich zu mildern, ſodaß
oftmals der Beängftigte Sicherheit, der Beleidigte Genug
thuung erhielt. Nun begab es fih, daß ein junger Mann
aus Armenien, Namens Oronte, an den Hof diefes Kü-
nigs fam, welcher zwar von einem König und einer Königin
abftammte, aber von feiner Mutter, die ihn im Geheimen
empfangen hatte, in einer Kifte ins Meer geworfen und,
als er in die Hände des Königs von Armenien fam, in
niedrigem Stande erzogen worden war. Der Jüngling
war fehr fchön, mit liebenswircdigem Betragen geſchmückt
54. Perſiſche Sraufamkeit. 145
und vol fo großer Zugenden, daß, wer ihn genauer
betrachtete, den fcheinbar aus niedrigftem Stamme her-
fommenden durchaus für würdig erklärte, der Sohr
eines Königs zu fein. Diefer alfo fam an den Hof
Sulmone’s; die Landesfprache war ihm aufs Genauefte
betannt, er befreundete fi) mit vielen Baronen des
Hofes und wies fih im Ritterweſen vor dem König fo
aus, daß er geruhte, ihn in feine Dienfte zu nehmen,
wo es ihm gelang in weniger als drei Jahren fo fehr
in Wertbfchägung und Anerkennung bei dem König zu
wachfen, wie nur irgend einer, der ihm theuer war.
Diefes Verhältniß war vielen Altern und edlen Dienern
läftig und unerträglih. Auch fehlte es nicht an folchen,
die bei Drbecche fich, beſchwerten und fie zu bewegen fuchten,
fi) bei ihrem Vater zu befchweren und ihm zu bedeuten,
es fei feiner und ihres langen Dienfies nicht würdig,
Daß ihnen ein Mann vorgezogen werde, ber nicht nur
fremd fei, fondern, fo viel man wiffe, dem niedrigften
Stande angehöre. Die Tochter that, fobald fich Gele-
genheit gab, dem Vater die Klagen feiner Hofleute zu
wiffen.
Liebe Tochter, fagte er zu ihr, nunmehr erkenne ich,
wie ein Menfch mehr werth ift, ald ber andere, und
weiß unter taufend einen auszuwählen, der diefe taufend
zufammen aufwiegt. Darum, wenn ich Oronte hochhalte
(denn fo heißt der junge Mann), fo thue ichs, weil er
es verdient. Mich kümmerts babei nicht, daß er von
niedriger Abkunft ift, denn fein Geift und feine Tugenden
zeigen ihn nicht allein über fein 2008 erhaben, fondern
würdig, der Sohn des größten Königs zu fein. Darum
mögen fi ch meine Leute befchweren, ſo viel ſie wollen,
ſie ſind im Unrecht.
Orbecche glaubte den Worten des Vaters mehr als
nöthig war, ſie lobte ihn darüber, daß er den Wuͤrdigen
ſo gut zu belohnen wiſſe, und ging weg mit einer ſo
heftigen Neigung im Herzen, wie nur je ein Weib für
Italianiſcher Novellenſchatz. II. 7
146 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
einen jungen Mann fühlen konnte. Alle ihre Gebanken
gingen auf ihn und fie achtete auf nichts anderes, als
daß fie DOronte zu Geſicht befomme, denn obwol er lange
am Hofe ihres Vaters gewefen war, hatte ihn Orbecche
doch noch nicht gefehen, da es in jenen Zeiten Sitte bei
den Perſern war, daß die Fremden nicht dahin kamen,
wo ihre Frauen waren. Wenige Zage barauf rief Sul⸗
mone den Dronte zu fih und er gab ihm eine fehr
fhone Perle von größtem Wertge mit den Worten:
Bring dies meiner Tochter und fage ihr, daß ich ihr
damit ein Geſchenk mache.
Der König that die aus keinem andern Grunde (er
dachte freilich nicht an bad, was daraus entfliehen könnte),
als danıit die Zochter erkenne, mit welchem Rechte er ihn
hochfchäge und ihr angepriefen babe. Uronte, bereit, dem
Befehle des Königs zu gehorchen, begab ſich nach den
Bemächern Orbecche's und übergab ihr mit paffenden
Worten und größter Anmuth das Geſchenk ihres Vaters.
Die Jungfrau nahm es mit Anftand bin und fprach zu
ihm, das Geſchenk fei fehr ſchön und ihr fehr angenehm,
dba ed von dem König ihrem Vater fomme; daß er es
ihr aber buch einen Mann, wie er fei, geſchickt Habe,
mache ihr daſſelbe noch viel mwerthooller, denn fon feit
langer Zeit habe fie den Wunſch gebabt, ihn zu fehen
und zu bören. Go kamen fie denn von einem auf das
andere, und wie wir es bei vertraulichen Gefprächen gehen
ſehen, bielten fie fich lange beifammen auf; enblidy nahm
der Jüngling Abſchied und - kehrte zu feinem Gebieter
zurück. Uber wiewol er wegging, blieb doch fein Bild
fo feft in Orbecche's Herzen, daß fie auch den Entfernten
fo gegenwärtig hatte, al& wenn er Tag und Nacht vor
ihre geftanden wäre. Sie erwog die Gigenfchaften des
Sünglings in ihrem Gemüthe und ihr daͤuchte, fo viel
auch ihr Vater zu feinem Lobe vorgebracht hatte, fei er
doch allzufarg geweſen in feinem Preife, fo viel mehr
ergab ſich ihre ſchon aus dem eriten Geſpraͤche, das fie
54. Perſiſche Grauſamkeit. 147
mit' ihm hatte. Während ihr daher anfangs der Name
Dronte zuwider war wegen des Neides, den die Hofleute
auch bei ihr erwedt hatten, war ihr nunmehr nur das
Geſpräch theuer, in welhem Dronte's gebacht wurbe.
Indem fie nun diefen Gedanken nachhing, kam ihr Vater
zu ihr, auf geheimem Wege, wie gewöhnlich, Drbecche
bieß ihn ehrerbietig willlommen und dankte ihm für das
Geſchenk, das er ihr überfandt hatte. Nachdem fie einige
Zeit mit einander gefprochen hatten, fragte der König
Drbeche: Und wie gefiel dir Dronte, meine Tochter?
Meinft du, er verdiene, von mir gefchägt zu werden?
Er ſcheint mir, antwortete fie, jeder Ehre würdig,
aber es fcheint mir auch, wenn ich das ehrerbietig be
merken darf, dag ihr um feinetwillen die andern nicht-
geringfchägen dürft.
Sie fagte dies, damit ber Vater nicht merke, daß
fie ihren Sinn auf ihn gelentt habe, und er ihr nicht
den Weg abfchneide, ihre MWünfche zu erfüllen, für den
Fall, daß er etwas merkte. Nach einigen andern Ge-
fprächen kehrte der König in feine Gemächer zurüd.
Auch bei andern Gelegenheiten unterließ er nicht, Dronte
manchmal an feine Tochter zu ſchicken; es fchien, tie er
ihm alle Reichbangelegenheiten überließ, habe er ihm auch)
feine Tochter anvertraut. Als nun Dronte häufiger zu
der Jungfrau am, als fonft, faßte er fie allmälig ge-
nauer ind Auge.und entbrannte fo in Xiebe für fie, daß
er fih ganz von ihr verzehrt fühlte... Und wie er Dr-
becchen der erſte Ritter der Melt däuchte, fo war Dr-
becche ihm als das wunderbarfte Gefchöpf erfchienen, das
ein fterbliches Auge fehen konnte. Der Arme verliebte
fih in fein Unglück und wünfchte nichts anderes, als
fortwährend ihre wunderbare Schönheit betrachten au
können. Dft ſchalt er auf fein Schilfal, das ihn nicht
in einen Stand gefept habe, wo er hätte hoffen dürfen,
in den Befig einer fo feltenen Frau zu fommen. Aber
bei alle dem gab er niemals ein Zeichen, woraus bie
7%
148 XVII. Giovannı Battifta Giraldi Eintio.
Frau oder fonft jemand feine Wünſche erkennen konnte.
Nun begab es fich, als er eines Tages bei der Jungfrau
in ihrem Gemache war und fie aufmerffam betrachtete,
daß er in ihr einige Merkmale eines liebentbrannten Her⸗
zens gewahrte. Daher fuchte er ihr auf geſchickte Weiſe
zu verftehen zu geben, wenn fie für ihn glühe, fo brenne
er für fie. Diefe Liebe dauerte auf beiden Seiten gan;
ftille fort und quälte fie um fo mehr, je brennender ein
verborgenes Feuer ift, als ein offenes. Als nun bie
Sachen zwiſchen den beiden LKiebenden auf diefem Punkte
angelangt waren, fühlte fi die Jungfrau, die bei der
Schwäche der weiblihen Natur weniger über fi) Meifter
ward, in der Rage, daß fie nothwendig Dronte ihr Ber-
langen offenbaren oder fterben mußte. Als fie einft mit
ihm zufammen war, fing fie, hoch erröthend von edlem
Schamgefühl, mit leifer Stimme alfo zu fprehen an:
Dronte, wenn das Schickſal dir karg geweſen ift mit
feinen Gaben, fo bat die Tugend, um die Schmad
Fortunas gut zu machen, dich mit fo großen und aus—
gezeichneten Zierden überfchüttet, daß, wenn dir Die eine
Armuth und niedrigen Stand befchieden, die andere dich
durch ihre Geſchenke zum erfien Ritter diefes Hofes er-
hoben bat, der wol unter den jegt in dee Welt befte-
henden nicht der am mindeften würdige if. Dieb ift der
Grund, warum du den Augen meines Föniglichen Vaters,
obwol ein Fremdling und einem feindlichen Volle ange
hörig, würdig gefchienen haft, allen Baronen und Herren
diefes Hofes und mit vollem echte vorgezogen zu werben,
und ebenfo muß auch ich Dich mehr als alle andere Men⸗
fchen lieben, weil du allein mir würbig fcheinft (und ich
glaube, nicht ohne den Willen der unfterblihen Götter),
daß du der Herr und Meifter meines Lebens werdeſt.
Darum, wenn mir fhon nicht paffend erfchien, daß ich
als junges unerfahrenese Mädchen aus fo hohem Ge-
fchlechte, wie das meinige ift, dir Bitten vortragen foll,
habe ich doch, überwältigt von unermeßlicher Liebe, wie
54. Perſiſche Grauſamkeit. 149
ich ſie für dich fühle, und da ich anderswie meine Ge⸗
ſinnung dir nicht mittheilen kann, für beſſer gehalten,
einen meiner weniger würdigen Weg zur Kundthuung
meiner Sehnſucht zu verſuchen, um rechtmäßig die deinige
zu werden, als mid von bir gefrennt fchmachtend zu ver-
zehren. Wiſſe alfo, feit mein Vater dich zu mir fandte
mit diefer Perle (fie hing nämlih an ihrem Halfe), bis
zu diefem Augenblid habe ich dich fo innig geliebt, daß
ich nicht weiß, wie meine Kräfte binreihen, um bis auf
diefe Stunde einer ſolchen Glut zu widerfichen. Wenn
nun das aufrichtige Bekenntniß meiner Liebe gegen dic)
fo viel bei dir vermag, als bei mir deine ausgezeichneten
Vorzüge vermochten, fo zweifle ich nicht, daß du dich
nicht geneigt finden laffeft, zuzuftimmen, daß wir beide,
durch das Band der Ehe verknüpft, unfer Leben gemeinfam
Binbringen mögen. Ich fehe wohl ein, daß dies meinem
Dater nicht erwünſcht fein wird, dba er nicht auf das
achtet, worauf er achten follte, fondern geleitet vom Geiz
und der eiteln Meinung des Poöbels fich dahin neigen
wird, wohin ihn Habfücht und Ehrgeiz blindlings führen.
Bei alle dem aber fcheint mir muß diefe Sache niemand
angelegener fein, als mir felbft, und ich will lieber, daß
mein Vater. fi) über mich befchwere, wenn ich mir einen
tugendhaften Ritter erwählt habe, als daß ich mich über
ihn befchweren muß, wenn er mich einem gäbe, der mir
nicht angenehm wäre, wie das ohne allen Zweifel der
Fall fein würde. Und ich hoffe, mit der Zeit, wenn er
fiebt, daß ich meinen Gemahl doch nicht ganz ungefchidt
gewählt habe, und wenn die Sache nicht mehr unge-
fhehen gemacht werden fann, wirb er auch zufrieden fein,
dich zum Eidam und mich zur Tochter zu befommen.
Und wenn audy das Schidfal mir fo fehr entgegen wäre,
was ich nicht glaube, daß eines von beiden gefchehen müßte,
entweder die Gnade bed Vaters fammt dem Throne ver-
lieren oder dich, verlieren, fo will ich lieber mit dir, der
du jedes Kaiſerthums werth bift, ohne Thron leben, als
150 XVII. Giovanni Battifta Siraldi Eintio.
mit einem andern noch fo großen König, der vielleicht
- würdiger wäre beherrfcht zu werden, als zu berrfchen.
Ich wünſche nur, daß biefer mein Gedanke auch in bir
fo mächtig fei, als deine Zrefflichkeit mir verfpricht, daß
er fein werde.
Nah diefen Worten harrte fie auf die Antwort
Dronte's. Sobald Drbeche nur zu ſprechen angefangen
hatte, zogen taufend Gedanken durch Dronte's Seele.
Einerfeit8 309 ihn die Treue, die er feinem Herrn zu
bilten fhuldig war, und bie Liebe des Herrn zu ihm,
von dieſer Sache ab. Andererfeits aber war die Liebe
der Jungfrau ein fo heiß eindringender Sporn für fein
Herz, der ihn alles andere vergeffen und das Werthvollſte
geringer fchägen machte, ald fie Daran bielt er feft,
ee fammelte fih und ſprach: Königliche Jungfrau, nad)
dem ihr mehr vermöge eurer unendlien Huld, als
wegen irgend welches Berdienftes von meiner Seite, wiewol
ihr anderer Meinung feid, mid) fo hoch erhoben habt, daß
ihe mich zu eurem Gemahl erwählet, fo kann ich nicht
anders, al6 euren Wünfchen entfprechen. Allerdings würde
e6 mir zu großer Befriedigung gereichen, wenn die Bei-
flimmung des Königs eures Vaters und meines Gebieters
dazu zu erlangen wäre. Allein da ich bie Möglichkeit
bavon nicht einfehe und ihr ebenfo wenig, fo fol doch
meinerfeits, fomme auch, was mag, ber Erfüllung eures
Derlangens Fein Hinderniß im Mege ſtehen. Ich Hoffe
auf die Gnade der unfterblihen Götter, daß unfere Liebe,
wie fie durch die Vermittelung eures Vaters einen glüd-
lihen Anfang genommen hat, fo auch ein glüdliches Ende
nehmen werde.
Die Jungfrau war hocherfreut über diefe Worte und
dachte nun die Sache nicht weiter zu verzögern. Sie rief
daher ihre Amme Tamaile und eine nicht minder liebe-
volle als vertraute Kammerfrau herein, wandte ſich an
bie Götter, welche nach perſiſchem Glauben die Obhut
über die Ehe haben, übergab Dronte einen fehr koſtbaren
54. Perfifhe Grauſamkeit. 14351
Ring und ‚verlobte ſich fo mit ihm in Gegenwart der.
zwei Frauen. Sodann fchidte fie diefelben aus dem Ge
mache und nad) taufend zärtlihen Küſſen fliegen fie zu
Dette und pflüdten die Frucht ihrer heißen Liebe. Ge
dauerte aber nicht lange, fo mifchte das auf das Glück
dee Menfchen neidiſche Schidfal fo viel Bitterfeit unter
den Honig. ihrer Wonne, daß in Vergleich mit dem
Schmerz, der darauf folgte, die Freude und Zufriedenheit
gar nichts war. Denn Selino ber einzige Sohn des
Königs der Partber ließ Sulmone um die Hand feiner
Tochter bitten. Er befchloß, fie ihm ohne weiteres zu
geben, rief baher Orbecche zu fich und fagte zu ihr, nach
vielen Zärtlichteiten, mit frohem Angefiht: Es ift nun-
mehr Zeit, meine Tochter, bie ich über Alles liebe, daß
ih den Troſt von die empfange, ben ich fo lange fchon
gewünfcht habe. Ich bin um deine Hand gebeten worden
von Selino dem einzigen Sohne des Partherfönigs, einem
fhönen und anmuthigen Jüngling vom höchften Stande,
und babe befchloffen,, ihn dir zum Gemahl zu geben.
Ich war verfichert, daß du meinem Willen nicht wider
ftreben, vielmehr mit dem Manne zufrieden fein werbeft,
der mir zu deinem Beſten der, geeignetfte fcheint, und
habe ihm dich zugefagt in voller Überzeugung, dag du mit
ihm aͤußerſt glücklich wirft leben können. Ä
Der jungen Frau war es bei diefen Worten zu Mutbe,
als ftehe man ihr ein fpigiges Meffer durch das Herz.
Sie verhehlte jedoch, fo gut fie konnte, ihre Bedrängniß
und fagte zu ihrem Water, die Liebe, die fie für ihn
empfinde und bie ſtets ihren Willen nad) dem feinigen
gelenkt babe, gebe ihr nun fo viel Muth, daß fie diefem .
feinem Begehren nicht willfahren koönne, nicht als wollte
fie ihm in irgend etwas widerfireben, was ihm gefalle,
oder als wollte fie ihm die Macht und Gewalt abftreiten,
die er als der liebevolle Vater, der er ihr ſtets geweſen,
über fie zu üben berechtigt fei, fondern weil fie ganz
ficher, fobald.fie von ihm fich trennen würde, ſterben müßte.
152 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
«Ihre legten Worte waren von fo vielen heißen Thränen
begleitet (welche freilich nicht aus kindlicher Liebe ent-
fanden, wiewol fie fie mit biefem Vorwande fließen ließ,
fondern aus ber Betrachtung ihres Unglüds), daß fie
nicht weiter reden konnte. Sulmone war der, Meinung,
dies fei lauter Kiebe zu ihm, und lobte daher im Stillen
fehr ihre freundlihe Gefinnung. Er Lüfte. fie zärtlich
auf die Stirne und tröftete fie, fo gut er konnte. Er
fagte zu ihr, fie fei nicht geboren, um immer bei ihm
zu fein. Er gebe ihr vier bis ſechs Zage Zeit, um die
Sache zu bedenken, denn wenn fie reiflich überlege, was
zu ihrem Frommen diene, fei ex verfichert, fie werde den
beften Entfchlug faffen. Mit diefen Worten fhidte er
fie in ihre Zimmer zurüd. Sie war nicht fo bald da⸗
felbft angelangt, als fie ihre theure Amme zu fich rufen
ließ und ihr unter taufend Thränen und Seufjern mit-
theilte, was ihre Vater zu ihr gefagt hatte, worauf fie
fie bat, ihr treulih zu rathen. Die Amme tröftete fie
fo gut fie konnte. Dronte fam dazu und als er den
Grund davon hörte, that er, obmwol er den bitterfien
Schmerz; fühlte, als fei fein Gefiht heiter. Er gab ihr
einen Kuß, nahm fie in den Arm und fprah: Trocknet
die Augen von biefen Thränen! Die find des königlichen
Herzens nicht würdig, das ihr mir zeigtet, als ihr die
meine wurbet. Nehmt wieder eure Seelengröße an und
fürchtet nicht, daß es uns hier mehr an Rath gebrechen
werde, als fonft der Fall war. Wir werden, liebes Herz,
wie wir es fonft gewefen find, fo auch jegt über das
feindliche Gefchi die Oberhand behalten.
Nachdem er fo die junge Frau getröftet- hatte, begab
fi Oronte zu Sulmone, getrieben von ben fcharfen Pfeilen
des bitterften Schmerzes. Sobald Sulmone Öronte an-
fihtig wurbe, erzählte er ihm das, was er auch feiner
Tochter gefagt hatte, ſowie die von ihr gegebene Antwort.
Er wußte, daß Dronte nicht nur ſchön, fondern audy ein
gewandter Redner war, und befahl ihm daher, zu feiner
⁊
34. Perfifche Graufamkeit. 153
Tochter zu gehen und ihr diefe Findifchen Anfichten aus
dem Kopfe treiben zu helfen. Er folle ihr auseinander-
fegen, daß die Mädchen nicht geboren find, um bei ihren
Vätern zu bleiben, fondern um Männer zu nehmen.
Oronte zeigte fih ganz bereitwillig, ed auszuführen. Er
kehrte zu Orbecche zurüd und fagte ihr, was ihr Water
ihm aufgetragen habe. Sie verabredeten unter fich die
Antwort, Dronte begab fich wieder zu dem König und
fagte, er habe feinen Auftrag an Orbecche beftellt; fie
babe fich fehr verwundert, daß ihr Water meine, fremde
Worte müffen bei ihr mehr Gewicht haben, ale feine
eigenen; nach langer Unterredung habe fie ihn aber be-
auftragt, ihm zu fagen, wenn bie Eindliche Xiebe, die fte
für ihren Vater fühle, ſich dem nicht mwiderfege, fo wolle
fie fuchen, fi feinem Wunfche zu bequemen; er glaube
ganz gewiß, fie werde am Ende thun, was ihm recht fei.
Unterdeffen begab es fich, daß mehrere Zumulte, welche
in einigen Städten des Reichs entfianden waren, Eul-
mone nöthigten, ſich von der Königsftadt Sufa, mo
er fih aufhielt, auf acht. bis zchn Tage zu entfernen.
Beim Abfchied übertrug er Oronte die Zügel des Regi—
ments und des Hofes. So hatten Dronte und Orbecche
‚Zeit, in ihrer unglüdlichen Lage die gehörige Vorforge
zu treffen, und fie entfchloffen fich beide nach Armenien
zu gehen. Nachdem fie mit der größtmöglichen Gemandt-
beit alle Bebürfniffe für die Neife in Ordnung gebracht
und von den Kleinodien des Königs, was ihnen am beften
gefiel und den höchften Werth hatte, zu ſich genommen,
thaten fie, als wollten fie zu ihrer Unterhaltung auf ein
fehr liebliches und heiteres, funfzehn Meilen von der Stadt
entfernte® Landgut gehen, wo die Prinzeſſin oft mit
ihrer Amme,. einigen ihrer Frauen und dem ihr von
ihrem Vater zugewiefenen Hofgefolge fich zu vergnügen
pflegte. - Dort angelangt nahmen fie eines Abende fechs
der beiten Pferde, wie fie fie für ihren Plan am paffendften
glaubten. Dronte und feine Frau nebft zweien ihrer vertraute:
7+%
154 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio.
ſten Diener, welche gleichfalls aus Armenien waren und
benen bie Obhut über die Pferde übertragen wurde, ſetzten
fi darauf, ferner die Amme und bie Zofe, welche bei
ber Bermählung anweſend geweſen waren, und machten
ſich auf einfamen Wegen fchnellftens auf nach Armenien.
Am Meere angelangt, wo ſchon ein leichter Schnellfegler
für fie in Bereitſchaft gefegt war, gingen fie unter Segel,
ſtachen in die hohe See und ruhten nicht eher, als bis
fie in Armenien waren. Die Nacht ihrer Abreife und
mehr als bie Hälfte des andern Tages ging bin, ohne
dag jemand merkte, daß fie nicht mehr dort waren.
Beide Gemaͤcher waren verfchloffen und fo wagte nie
mand, fi zu rühren. Als man endlich hineinging und
niemand fand, als man in den Stall fam und fah,
daß keine Pferde, keine Stallknechte dort waren, kam
man auf die Vermuthung, in Folge einer vom König
angelangten geheimen Weiſung haben fie fi, ohne jemand
eine Andeutung zu geben, in ber Nacht nad) ber Stadt
zurüdverfügt. Die zurüdgelaffenen machten fi daher
fhnel auf den Weg und langten Abends in ber Haupt:
ade an. As fie fie auch nie hier fanden, merkten
fie Dronte'6 Teufhung. Alle waren der Anficht, es
gefhehe dem König ganz Recht, ba er fih viel ehe
einem Fremden, dem Feindesland Angehörigen, als ſei⸗
nen eigenen Leuten habe anvertrauen wollen. Sie fandten
ſogleich einige Pferde ab, um in eiligem Marfche den
Fliehenden zu folgen, die Nachfependen wurden beauf-
tragt, jene gefangen nach der Stadt zu führen, wenn
fie fie wiederfinden würden, und fogleih wurde bem
König von bem Vorfalle Meldung erftattet. Die Nad-
sicht ſchmerzte ihn fo tief, daß er nahe daran war, todt
zu Boden zu finten; bald fchalt er auf Dronte's Zreu-
bruch, bald auf den Leichtfinn und die heuchleriſche An-
hänglichkeie feiner Tochter; nachdem er ſich lange geärgert
hatte, faßte er ſich endlih und ergab ſich gänzlich ben
Nachegedanken, und in diefer zornigen Stimmung kehrte
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Ri
54, Perfifche Grauſamkeit. 155
er nach Suſa zurück. Sobald er erfuhr, daß bie Pferde,
die ihnen nachgefandt waren, fie nicht haben erreichen
törmen, beſchloß er, trog der zwifchen ihm und dem König
von Armenien beftehenden graujamen Feindſchaft, Ge-
fandte an ihn zu fchiden, um fie ausgeliefert zu erhalten.
Er ließ ihm fagen, er bitte ihn, .eine folche empörende
Unbill nicht zu begünftigen; die Könige ſtehen zwar in
feindlichen Verhältniffen, aber doch ſchicke es fich nicht,
daf fie in Dingen, welche die Ehre unb den Nutzen der
Krone und des Löniglichen Blutes betreffen, zumal wenn
ignen kein Wortheil daraus erwachſe, die Verräther bi
günftigen; denn gefhähe das, fo würde man die Könige
nicht höher achten, als irgemb fonft einen gemeinen Mann,
und das gäbe Hinterliftigen reichlichen Stoff, unter dem
Schein der Treue bald biefen bald jenen nach Belieben
zu beleidigen; fo wären bie Könige in ihren Schlöffern
weniger ficher unter ihren Dienern, ald Die Reifenden
im Walde unter Räubern; und da er überzeugt fei,
daß bei ihm @erechtigkeit weit mehr vermöge, als jede
andere Rüdficht, fo bitte er ihn um Dronte und die
Tochter, damit er an der Thorheit und Bosheit biefer
und an bem Berrathe des erftern die ihrer Schuld an⸗
gemieffene Rache nehme. Endlich ließ er ihm fagen, er
folle nicht vergeffen, daß durch ein verbrecherifches Weib
und einen Verräther einft ganz Afien in Verwirrung
gebracht und Zroja zerftört worden fei. Settin (fo hieß
der König von Armenien) mar ein kluger Mann und
fühlte im Stillen große Freude, daß vom einem feiner
Leute feinem Dauptfeinde ein ſolcher Spuk gefpielt wer-
den war. Daher gab er den Gefandten zur Antwort:
-Menn ich die Sache, die ihr mir vortragt, als fie mir
zuerft zu Ohren kam, fo angefehen hätte, wie fie nach
ber Beſchwerde eures Königs erfcheint, fo würde ich
Dronte wicht, wie jept gefchehen ift, meinen Schutz zu-
gefichert haben, fondern entweber hätte ich ihn aus mei-
nem Reiche vertrieben ober In Rückſichtsnahme anf feine
156 XVIH. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Ehre und meine Pflicht, woran er mich erinnert, ihm
die Flüchtigen nah Suſa geſchickt haben, um bort die
gebührende Strafe zu empfangen. Ich beurtheilte aber
die Sache anders, ale euer König fie jegt anfiebt, und.
bin daher genöthigt, ihm das Wort zu halten, das ich
ihm damals zur Sicherung feines Lebens und feiner Frau
gegeben habe, und kann euch fomit auch die Perfonen
nicht ausliefern, bie ihr im Namen eure Königs von
mir verlangt. Und da ich recht geurtheilt habe, zeigt bie
Sache felbit; denn wer, der bei gefundem Bewußtſein tft,
wird eine folche von einem jungen Manne aus Übermaß
der Liebe begangene, und eines andern Ehre nicht ver-
legende Handlung Berrath nennen, und meinen, fie ver-
diene blutigen graufamen Zod? Gemiß, glaube ih, nie-
mand. Verrath wäre ed gewefen, wenn Oronte Das
Mädchen genothzüchtigt und ſchwanger am Hofe zurüd.
gelaffen hätte, ohne fie zur Frau zu nehmen, und bas
hätte die fchwerfte Strafe verdient. Allein da er fie
geheirathet hat, fehe ich in der Sache blos einen Fehler
der Kiebe, der mir cher Verzeihung, ald Strafe zu ver-
dienen fcheint. Wenn vielleiht euer König einwendete,
die Weife, in welcher er fie zur Frau genommen, madye
alles Anſtändige unanfländig, fo fage ich, das ift ein
fhmwacher unhaltbarer Grund, denn weiß er nicht, Daß
die Kraft ber Liebe größer ift, als alle menfchliche Ge⸗
walt, und daß man beim Beſitz der Dinge, zu welchen
fie das Herz eines andern nicht nur einlädt, fondern
zwingt, wenn es ihr beliebt, die Mittel ergreifen muß,
die einem bie Xiebe felbft anbietet? Es darf ihm nicht
verwunderlich fcheinen (äußerlich betrachtet menigfteng,
denn vielleicht könnte ed wol anders fein), daß ein Mann
von gemeinem Stande eine Tochter von ihm zum Weibe
genommen, denn alte und neue Zeiten fönnen ihm reichlich
Zeugniß dafür ablegen, daß viele Jungfrauen von könig-
lihem Geblüte mit Männern geringeren Standes weit
glüdlicher gelebt haben, als andere mit Söhnen ber
54. Perfifche Grauſamkeit. .157
maͤchtigſten Könige. Außerdem find erhabene Sefinnungen
und wahrhaft Zönigliche Tugenden dasjenige, was einen
Menfchen der Herrfchaft würdig erfcheinen laffen muß,
nicht Reichthum oder Stand. Und wenn auch Sulmone
denkt, Macht und SKönigreiche machen einen zum König,
fo fagt ihm in meinem Namen, er folle ſich nicht über
ddbjenige befchmeren, was er, wenn er nur will, leicht
abftellen kann. Er hat nur ein einziges Kind, dieſe
Tochter, die billigerweife nach ihm den Thron erbt; fein
Schwiegerfohn wird alfo fo mächtig, als er ihn machen
mil. Ob aber Dronte bes Thrones würdig und fähig
ift oder nicht, darüber brauche ich Fein weiteres Zeugniß,
als fein eigenes, das er ihm, fo lang er bei ihm lebte
ertheilt bat, indem er ihn in der Verwaltung des Staates
immer allen andern vorzog. Und ich halte es für beffer,
er nimmt einen Schwiegerfohn, der die Herrfchaft von
ihm befommen zu haben fich bewußt ift, als wenn er
einen andern gewählt hätte, der (wie ihm vielleicht hätte
begegnen konnen, wenn er fein Sind bem König der
Parther zur Schwiegertochter gegeben hätte) ber ihm
“ feinen Thron genommen hätte. Ich fehäge darum feine
Tochter um fo mehr, die er fo heftig tadelt, daß fie lieber
einen Mann zum Gatten nehmen wollte, der durch fie
König würde, als einen, der fie aus einer Königin zus
Sklavin machte, wenn fie feine Frau geworben wäre.
Mögen es die unfterblihen Götter fügen, daß meiner
Tochter fein fchlimmeres Loos zufalle, denn ich würbe
mich, wenn mir dieſer Fall begegrrete, nicht nur nicht
beffagen, fondern fie eben fo fehr loben, al& ich jegt bie
feinige lobe. Ich fage euch, wenn ich einen Mann wie
Dronte in meinem Haufe hätte, welchem Volke und
‚welchem . Stande er. auch angehören möchte, ich würde
nicht warten, bis meine Zochter ihn heimlich zum Manne
‚nähme, fondern würde ihr ihn bereitwillig offen zur Ehe
geben und es .für eine befondere mir vom Himmel zuge
swiefene Gnade erachten, wenn er ihr einen folhen Gemahl
158 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
befchert hätte. Aber wie es mir ſcheint, daß Sulmone
fih Glück zu wünſchen habe zu einem ſolchen Ereigniß,
fo habe ich mich zu beflagen, daß nicht an allen Höfen
Männer wie Dronte fih finden. Um alfo mit meiner
Erklärung zum Schluffe zu kommen, möge ihr eurem
König fagen, daß er den Zorn fahren laffe und die An:
gelegenheit ruhig betrachte; denn wenn er fie mit ber
Sefinnung anfieht, wie es ſich gehört, fo wird er fid
nicht über mich befchweren, daß ich feinen Schwiegerfohn
und feine Tochter fo freunblid aufgenommen habe, wie
es geichehen ift, fondern wird mich viel mehr loben, als
ſich felbft, der aus einem fo geringfügigen Anlaß der
Mörder feines Schwiegerfohnes umd feiner Tochter werden
will, die mit ihren Zugenden jeden auch noch fo großen
Fehltritt als unzureichend für die geringfie Strafe hin⸗
fielen würden. Und wenn er auch die Vernunft bei ihm
feine Stätte finden laffen und darum fein Reich in fei-
aem Zorn und Aufwallung in Verwirrung dringen will,
fo muß id; das ihm anbeimgeben, da ich nicht fürchte,
daß er mich aus bem Haufe treiben wird, denn weine
Macht ift Gott fei Dank fo groß, daß fie leicht feine
Angriffe, wie die jedes andern Königs aushalten Fann,
wie er durch lange Erfahrung fich überzeugt haben mag.
Und wenn das Schidfal mir beftimmt haben follte, daß
ich für ein fo löblichee Werk aus dem Haufe gejagt würde,
fo halte ich es für meit weniger ſchlimm, meinen Thron
zu verlieren, ald mein Wort zu brechen.
Hier fchwieg ex und die Gefandten wurden entlaffen.
Als fie vor ihren König kamen, fegten fie ihm außein-
ander, was Settin zu ihmen gefagt hatte, und daß na-
mentlic das Wort, das er dem Dronte gegeben, ihn
abhalte, die Flüchtigen aussuliefern. Dies erhöhte nad,
sar fehr den Zorn Sulmone's und zulegt ſprach er:
Weis diefer Settin wicht, daß die Treue zum Verbrechen
wird, wenn fie die Schlechtigkeit ber Leute fügt und
hegt? Sei dem aber, wie igm wolle, es wird mir nicht
54. Perſiſche Graufamteit. 159
an Mitteln fehlen, mich trog Settin über dieſer Unbill
zu rächen.
Er ließ fogleich Oronte und feine Tochter und alle
Kinder, die aus ihrer Ehe entfpringen würben, in ben
Bann thun und verfprach denen nicht nur Geſchenke,
fondern ganze Herrfchaften, die fie ihm lebendig oder tobt
in die Hände liefern würden. So groß aber auch bie
Hoffnung des Lohnes war, fo wollte doch niemand babei
fein Glück verfuchen, theils meil Dronte es in perfön-
licher Zapferkeit mit jedem andern Ritter aufnehmen
fonnte und für fih und feine Gattin wohl auf der Hut
war, theils auch, weil fie den König Settin fürchteten,
welcher die empfindlichften Strafen jedem androhte, welcher
einen Gedanken daran zu haben die Frechheit hätte. In
Zeit von neun Sahren wurden Dronte von Orbecche zwei
Söhne geboren, welche Dronte gerne mit ihrem Groß—⸗
vater ausgeföhnt hätte; er Tieß daher feinen Weg unver-
fuiht, um Sulmone’d Herz zum Erbarmen zu bewegen,
aber alles war umfonft. Am Hofe war ein hochbetagter
Greis von ehrwürdigem Anfehen Namens Maleche, deffen
Mathe ald dem eines weifen Mannes und geliebten Betters
(er war der Sohn von Sulmone's Bateröbruber) der
König fehr viel vertraute. Diefer hegte großes Mitleid
mit Orbeche und mar fehr unangenehm berührt von dem
Haſſe, womit ihr Vater fie verfolgte; deswegen verfäumte
er nicht, jedes Mittel ins Werk zu fegen, um jenen Haß
in die frühere Liebe zu verwandeln. Er bat daher eines
Tages den König fo eindringlid, und brachte fo gemichtige
Gründe vor, daB es fchien, als laffe er fich überreden.
Und es dauerte nicht lange, fo fchidte er eben dieſen
Maleche als Überbringer des Friedens an Orbecche und
Dronte; außer ben Beglaubigungs- und BVerfiherungs-
ſchreiben, die mit ſeiner eigenen Hand geſchrieben und
mit dem geheimſten koͤniglichen Siegel bekräftigt waren,
überſandte er Orbecche einen ſehr koſtbaren Ring, mit
dem er einſt ſich ſeiner Gattin anverlobt hatte, und
160 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Dronte als ſeinem Rachfolger auf dem Throne über⸗
ſchickte er einen koniglichen Scepter vom feinſten Golde,
geſchmückt mit den koſtbarſten Steinen. Maleche begab
ſich mit den Briefen und Geſchenken an Settin's Hof
und wurde bort mit Freuden bewilllommt nicht nur von
beiden Gatten, fondern vom König ſelbſt. Maleche ſuchte
die Gatten zu überreden, beide mit ihren Kindern zu
Sulmone zurückzukehren, wie er fie eingeladen batte.
ber Settin war klug und fah das Unglüd vorher, das
baraus entfichen konnte. Er fagte zu Dronte: Ich möchtt
nicht, daß bu auf biefe Worte hin von ‚hier weggingeft,
denn Könige, zumal graufame, wie Sulmone, vergeben |
nicht fo leicht Beleidigungen und du fönnteft davon em
glänzendes Beifpiel für jeden abgeben.
Oronte meinte aber, Sulmone fönne ihm nicht um
treu werden. Gr nahm daher mit Maleche Urlaub vom
“önig, ließ Gemahlin und Kinder in Armenien un
begab fih nach Perſien. Sulmone empfing ihn bafelbfi
mit dem gefchminkten Anfehen einer erheuchelten Höflid-
feit, unter welcher er aber dennody das Herz eines Tie
gers barg. Er zeigte ſich eine Zeit lang fehr freundlid
und verbrachte immer einen großen Theil des Tages mit
ihm unter beitern Gefpräden. In biefer Zeit ftarb einer,
der bie Herrfchaft über einige einträgliche Städte de
Reiches hatte; Sulmone fagte daher zu Dronte, er wolle
ihm dieſe Würde übertragen; und als er fü ch dazu bereit
ertlärte, fagte der König, er thäte ihm einen großen
Gefallen, wenn er vor feinem Abgang eigenhändig an
feine Frau fchreiben wollte, fie folle mit ihren Kindern
in Maleche's Geleite, den er ihr entgegenfenben wollte,
und mit ebrenvollem Gefolge zurückkommen, denn bie
Sehnfucht verzehre ihn, feine geliebte Tochter wiederzu-
fehen und feine Enkel zu umarmen. Und als fpräde
der Derräther aufrichtig, ließ er bei den legten Worten
feinen Yugen einige Thränen entfirömen. Dronte fchrieb
den Brief, übergab ihn Sulmone und fchidte fich an,
54. Perfifche Graufamkeit. 161
am folgenden Morgen feine Reife anzutreten. Der König
aber ließ ihn in der Nacht noch zu fich rufen unter dem
Vorwand, mit ihm über einige wichtige Angelegenheiten
fprechen zu wollen, da ihm plöglich unerwartete Radh-
richten zugekommen feien. Als Dronte das Begehren
des Königs vernahm, begab er fich unverweilt zu ihm. .
Kaum aber hatte er den Fuß über die Schwelle des
königlichen Gemaches gefegt, ale er von zwei Burfchen, -
die der graufame König wie zwei Schäferhunde auf die
Lauer geftellt hatte, unbarmhberzig ergriffen wurde mit den
Morten: Verräther, du bift bes Todes!
Sogleich Fam auch Sulmone herbei. Sobald Oronte
ihn erblidte, wandte er fich zu ihm mit firengem Blide
und fprah: So halten Könige Wort in deinem Lande,
Sulmone? Doc ich hoffe, die Rache, die ich nicht üben
fann, wird der oberfte Gott an meiner Stelle in einem
Mafe übernehmen, daß man die Kunde bis zu den Tiefen
der Unterwelt vernehmen wird. Da bin ich, Verräther,
beendige dein Unternehmen! |
Sulmone antwortete nichts, als: So halten Perfiens
Könige Wort den Schurken.
Bei diefen Worten warf er ihm ein Tuch um den
Hals, die beiden andern hielten ihn feft, er erbroffelte
ihn mit eigenen Händen, fihlug ihm fodann den Kopf
vom Rumpfe und ließ den Xeib durch die beiden Ban«
diten dahin werfen, mo die Leichname vieler andern von
ihm auf gleiche Weife Ermordeter geworfen worben waren.
Am Morgen früh fagte er, um feinen Verdacht über das
Vorgefallene zu ermweden, er babe in der Nacht Dronte
eilig in einem fehr wichtigen Gefchäfte weggefandt. Gleich
nachher ſchickte der verruchte Vater Malehe an feine
Tochter mit den Briefen ihres Gatten und fügte noch
eigene hinzu, voll von zärtlicher, wiewol erheuchelter Liebe.
Die Tochter glaubte Maleche ihrem Oheim, fowie ben
Briefen ihres Gatten und benen_ bes Vaters und die
Unglüdliche machte fi auf den Weg. Kurz nad dem
162 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
fhauderhaften Untergang Oronte's kam fie zugleich mit
ihren Meinen Göhnen zu dem rohen Vater. Alle drei
wurden von ihm anfcheinend aufs Liebevollfte aufgenom-
men; nach einigen Tagen aber, als ihm der Augenblick
geeignet fchien, fagte er zu feiner Tochter, es fei jetzt
. nicht mehr an der Zeit, daß die Knaben bei den Frauen
bleiben, er wolle fie in feine Gemächer nehmen, damit
fie, unter Baronen erwachſend, fih an das königliche
Leben gewöhnen. Orbecche zeigte fi) bamit ganz einver-
ftanden und übergab fie ihm willig. Als Sulmone bie
Jungen bei ſich hatte, fehloß er ſich mit ihnen in das
nämliche Zimmer ein, in welchem er einige Tage zuvor
ihren Vater umgebracht hatte. Dort fehlachtete der Ber
suchte fie wie unfchuldige Laͤmmer mit ſcharfen Meffern
bin. Dann nahm er drei filberne Beden, die er zu
biefem Zwecke hatte bereiten laffen, und legte in eine
ben blutigen Kopf Dronte’s, den er aufgehoben, in bie
andern die zwei Kinder mit den Meſſern in der Kehle.
Die drei Becken ftellte er auf einen Tiſch, bedeckte fie
mit carmoſinrothem Zendel, veinigte fih vom Blute,
von dem er ganz gebadet war, und ließ fobann feine
Tochter zu fi) rufen. Als fie in das königliche Gemad
getreten war, verfchloß er, als wollte er insgeheim mit
ihr reden, bie Thüre, wie er auch fonft gethan Hatte,
damit niemand hereinlommen könne.
Meine Tochter, bub er darauf an, feit du "Dronte's
Battin geworden bift, was nun, wenn ich mich nidt
täufche, nicht viel weniger als zehn Jahre fein mögen,
babe ih außer dem Ringe, den Maleche dir brachte,
dir gar Bein Geſchenk gemacht, das, foviel mir fcheint,
meiner Gefinnung gegen dich entfprochen hätte. Wenn
es bir alfo genehm ift, will ich dir jegt ein Geſchenk
maden, an dem du leicht erkennen mägft, wie fehr mit
jest das gefällt, was mir bisher fo fehr misfallen hat.
Die arme Frau, welche die Worte des gottlofen Ba-
tere nicht verfland, antwortete ihm, fie brauche Heine
, 94. Perfifche Grauſamkeit. 163
größeren Zeichen feiner väterlichen Zärtlichkeit abzuwarten,
als bie, die fie fchon "bekommen habe, und fie fei immer
mit ihm zufrieden gewefen, doch nehme fie Alles freudig
an, was ihm gefällig fei, ihr zu geben. Nachdem fie
diefe Reben gemechfelt hatten, nahın Sulmone feine Tochter
bei der Hand und führte fie in das Zimmer, wo ihre
Kieblinge lagen. Er hob die Dede von Oronte's Haupt
und den Leichen der Kinder und zeigte ihre das ſchau⸗
derhafte Schaufpiel, das Hinter diefem Worhange lag,
mit den Worten: Dies ift das Geſchenk, das ich dir
anbiete, wie du es verdient haſt.
Wie glaubt ihr wol, theure Frauen, daß es hier ber
unglüdlihen Orbeche ums Herz fein mochte? Welche
Bedrängniß, welcher Grimm mußte fie befallen? Die
Unglüdiiche fühlte fi bei einem fo entfeglichen Anblid
alle Sinne vergehen, fie erblaßte und war auf dem Punkte
todt niederzufinten. Doc faßte fie fih, die Verzweiflung
gab ihr Kraft, fie wandte die Augen zu ihren Söhnen,
welche noch nicht ganz geftorben waren, fondern ſich noch
etwas frümmten und deren Blut noch aus den Wunden
firömte, von dort fehmweifte ihr thranender Blick auf das
gefhändete Haupt ihres theuren Gatten, fie drängte Die
Thränen nach dem Herzen zurüd und verfchloß den Weh-
fohrei in der Bruſt. Dann wandte fie ſich mit ſtrengem
Blicke gegen den harten Water und fprach zu ihm: Hart
über alles Maß ift es für mich, meine Söhne in diefem
Zuftande zu fehen, der nicht nur andere, fondern euch
feibft zum Erbarmen bewegen könnte Was aber mehr
als Alles meinen Schmerz; erhöhen würde, wäre das,
daß fie von euch, von dem fie nicht diefes, fondern Ehre
und Größe hoffen durften, in den Zuftand geführt wurben,
in dem ihr mir fie jegt zeigt, wenn das Unrechte meiner
Handlungsmeife, für welche ich keinen andern Lohn, als
diefen, erwarten durfte, mich nicht dazu brächte, mit
geduldigem Gemüthe zu ertragen, was euch beliebt hat,
meinen Söhnen und meinem Gatten anzuthun. Aber
164 XVIU. Giovanni Battifla Giraldi Eintio.
da ih, wenn ich die Schwere meines Vergehens betradhtr,
nicht verdient babe, daß ihr midy fchonender behandelt,
als meinen Mann und meine Kinder, da ich ja den erften
Anlaß zu eurem Misfallen gegeben babe, fo bitte ich euch,
daß ihr mit meinem Blute bie Madel gänzlich abwafchet,
die ich dem Löniglichen Blute und dem ehrwürdigen Namen
meines Vaters zugefügt babe, indem ich ohne eure Ein-
willigung den Mann zum Gatten nahm, deffen Haupt
jegt fo ſchauderhaft ſich meinen Blicken darbietet.
Nach diefen Worten zog fie das Meffer aus der Kehle
ihres älteften Sohnes, ber noch nicht ganz geftorben war
und nun den legten Jammerlaut ausftöhnte. Dieſer Eläg-
lihe Ton entflammte noch mehr die traurige Frau zur
Ausführung ihres Vorhabens. Sie that, als wolle ſie
ihm das Meffer in die Hand geben, damit er fie um-
bringe, und näherte ſich Sulmone Zu fpät fühlte er
Rührung, als er fie um nichts anderes bitten ſah, als
um ben Tod, und vermutbete, bie Angft vor ihm, da fie
fih bier allein mit ibm fehe, gebe ihr diefe Worte in
den Munb.
Sei ruhig, meine Zochter, ſprach er mit heiterem
Geficht, ich will nicht, daß du fterbeft, vielmehr wünſche
ih dein Zeben, um di mit einem deiner würdigen Gatten
verbinden zu können.
Er trat zu ihr und wollte ihr feine Arme um den
Hals fchlingen, die Tochter benugte den Augenblid, Zom
und Schmerz verlieh ihr Muth, Verzweiflung gab ihr
Feftigkeit, und mit aller ihr zu Gebot ftehenden Kraft
ſtach fie. ihm das Meffer unter der linken Bruft in den
Leib. Sie mwühlte damit bin und ber und 309 es nict
eher wieder heraus, bis der Graufame tobt niederfiel.
Als fie ihn daliegen fah, z0g fie ihm das Meffer aus
bee Bruft, nahm es in die Hand und rief, zu ihm
gewandt: Genieß, genieß nun, Verräther, die Frucht
deiner Schandthaten und deiner Wortbrüchigkeit! Es
waͤre in der That ſehr ſchlimm geweſen, wenn du nicht
54. Perfiihe Sraufamkeit. | 165
durch bie Hand derer hätteſt umkommen müffen , die du
mit dem Tode der Söhne und des Gatten, in denen fie
lebte, umgebracht haft. Du haft in ihrem Blute ben
graufamen Durft, den du darnach hatteſt, geſättigt und
ich habe mich gleichfalls geſättigt in dem deinigen, aber
mit gerechterer Urſache. Doch was haͤlt mich ab, daß
ich mit dem andern Meſſer ...
Bei diefen Worten zog fie dem andern Sohne das
Meſſer aus der Kehle.
Daß ich dih mit dem andern Meffer nochmals er⸗
ſteche, obſchon du todt biſt, da du mir meinen lieben
Sohn erdolcht haſt? Soll ich nicht, für beide Rache
nehmend, dich gleichſam mit doppeltem Tode umbringen?
Bei dieſen Worten ſtach ſie das Eiſen bis an das
Heft in Sulmone's Kehle. Sie wandte ſich dann zu
den ermordeten Söhnen und zu dem todten Haupte ihres
Gatten, erhob ihre Stimme zur Klage, öffnete ihre Augen
den Thränen und fing alfo an zu fprehen: Ach, ih Un-
glüdliche, wie traurig und unheilvoll war der Tag, da du,
Dronte, mein Gemahl. geworden bift, und nicht minder
unbeilvoll diejenigen, an denen ich euch, meine Kinder,
geboren habe. Der allerunglüdlichfte aber ift der, an
dem ich euch in fo jämmerlicher Geftalt fehe.
So warf fie ſich meinend ganz über den abgefchla-
genen Kopf hin, küßte ihn bald da bald dort auf das
Zärtlichfte und fuhr alfo fort: Ha, du vielgeliebtes Haupt,
verwünfcht fei ber noch in feinem Tode, der mich dich fo
wiederfehen läßt, wie ich dich jegt fehe.. Warum kannſt
du, füßeftes Haupt, nicht fo viel Leben’ gewinnen, daß du
jegt deiner fummervollen unglüdlichen Gattin, bie dich
mit fo viel Sehnfucht anruft, ein Wort erwidern kannſt?
Warum finde ich dich nicht wenigftens in dem Zuftande
wieder, daß ich auf diefem Munde den legten Hauch mit
meinen Lippen erhaſche?
Von dem Haupte wandte ſie ſich zu den Kindern, bald
dieſen, bald jenen der Knaben umarmend und füffend.
166 XVII. Siovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Ach, rief fie, ihr treuen Stügen meines Lebens,
Herzen meines Herzens, ihr echte Abbilder meines theuern
Gatten, was barf ich noch hoffen in diefem Leben, nad
bem ihr mir genommen feib, von denen mein Leben und
alle meine Hoffnungen abhingen? Weh mir Einfältigen,
baf ich den Worten eures erbarmungslofen Dheims ver:
traut babe! Warum ließ ich mich nicht eher felbft er
bolchen, ließ mir nicht den Bufen öffnen, ehe ich mid
den Bänden des Graufamen überlieferte? Welcher milde
Löwe, welcher herzlofe Tieger konnte ein größeres Blut⸗
bab anrichten, als ihr, ale das, das er angerichtet hat!
Aber freut euch, unfchuldige Seelen, freut euch, daf
‘auch er durch einen feiner Grauſamkeit gebührenden Tod
darniederliegt, er durch den ihr fo ungebübrlich Binge
firedt worden feid, von den Händen, die euch hätten
fügen follen, mit denfelben Meſſern, womit er euch
getödtet bat, nach Verdienſt ermordet.
Dann wandte fie ſich nochmals zu dem abgefchlagenen
Haupte und ſprach folgende Worte: Mir war nur das
eine noch übrig, dir, mein Gemahl, wie meinen Söhnen
das Todtenopfer zu bringen; mit dem Blute des Ber-
räther6 habe ich es gethan. Es wird mir Weiteres ver-
fagt, da er ſchon tode iſt; aber bei all dem wird mir
‚mein Unglüd nicht verfagen, fo viel an mir liegt dieſen
Opferdienft zu Ende zu bringen.
Indem fie dies fagte, ging fie zu der Leiche ihres
Baters bin, ſchnitt ihr den Kopf ab, nahm ihn blutig
wie er war, und trug ihn zu dem Kopfe Oronte’&
Her, Oronte, fprad fie weinend, bietet die beine
Frau das Haupt befien bar, der dir das beine genom-
men bat.
Nachdem fie das geſprochen, legte fie die beiden Söhne
und das Haupt des Gatten zufammen, warf fich wie todt
über fie und ſprach: Meine Söhne und du, mein theurer
Gemahl, nunmehr ift meine Pflicht gegen euch vollfländig
erfüllt. Weiter ift mir nicht übrig, als daß ich wid
54. Perſiſche Graufamkeit. 167
an euch anfchliege, damit, wenn ihr mir auch in diefem
Zeben entriffen werdet, ich euch im andern für immer
wiederfinde. Darum, meine Söhne und du mein theurer
Gemahl, deren Geifter vielleicht auf mein Schreien herab-
gefommen durch dieſe Orte ziehen und der von mir ge
ubten Rache fich erfreuen, empfangt diefe Seele, die nun
vollftändig bereit ift, euch zu folgen.
Sie faßte mit ſtarker Hand das Meffer, mit melden
fie dem Pater den Kopf abgefchniften hatte, ſtach ſich
daſſelbe bis zum Heft in den Bufen und fiel todt über
das Haupt ihres Gemahld und über ihre ermordeten
Kinder bin. Schon war bie Stimme der jungen Frau
zu den Ohren vieler im Palaſte anmwefender gedrungen.
Da fie aber den König fürdhteten, deffen große Grau-
ſamkeit jeder kannte, wagte niemand fich zu rühren. Alle
waren zwar verfichert, dag er die Tochter mishandeln
werde; da aber das Gefchrei des armen Weibes aufhörte
und Alles ftille wurde, befchloffen fie endlich am Abend
zu fehen, was es fei. Als fie ein- und zweimal an die
Zhüre gepocht hatten und niemand antwortete, warfen
fie fie ein; da fahen fie nun das jämmerliche Schaufpiel,
von dem wir fprachen, und waren erfüllt von unfäglichem
Schauder. Nachdem Alle viele Xhränen vergoffen hatten,
namentlid, die Amme und die Zofe, die mit Orbecche in
der Hoffnung, glüdlih mit ihr leben zu dürfen, zurüd-
getehrt waren, legten fie die Keichen der Söhne und der
Mutter nebft dem Haupte des Dronte unter allgemeiner
Zrauer des ganzen Volkes zufammen in Ein Grab. Den
Leib Sulmone's ließen fie begraben, mo die andern Könige
begraben waren, indem ihm alle einftimmig feine unglaub-
lihe Grauſamkeit vorwarfen. So ˖ nahm die Liebe der
beiden ein unglückliches Ende, det rohe König aber fand
für feine Graufamteit und feinen Tireubrudy verdiente
Züchtigung.
-
168 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
5. Rinieri und Cicilia.
(2, 5.) 2
Amola warb einft von eigenen Herren regiert, jegt
gehört es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten
ein Edelmann Namens Horatio, der mit Glücksgütern
reichlich verfehen und durch feine Artigfeit in der ganzen
Stadt beliebt war. Wiewol er nun im Außern milde
fhien, fo zeigte er ſich doch, fobald ihm eine Unbill
wiberfuhr, fo entieglich, daß er feinen Zorn den Belei-
diger ſchwer fühlen ließ. Diefer hatte nur eine einzige
‚Tochter, Namens Cicilia, und diefe war zu foldher Schöf-
beit ermachfen, daß bie Imoleſen glaubten, fie fei die
fhönfte Zungfrau des Landes. Der Ruf ihrer wunber-
baren Schönheit verbreitete fich über alle Gauen der Ro-
magna und kam auch einem Sünglinge in Fort Namens
Ninieri zu Ohren, der nicht weniger fihön mar unter
den Jünglingen, als Cicilia unter den Jungfrauen. Wie
- jehr ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausge-
ftattet hatte, fo karg war das Glüd gegen ihn gewefen
im Bergleich mit dem Vermögen Meffere Horatio's. Der
Jüngling nahm fich fo fehr die Schönheit des Mädchens
zu Herzen, obmwol er fie nie geſehen hatte, daß .er fühlte,
es Eofte ihn das Leben. Alle, die von dort kamen,
fragte er, ob fie Cicilia gefehen haben und ob fie wirk⸗
ih fo fchön fei. Jeder, ber fo glüdlich geweſen war,
fie zu fehen (denn nur felten ließ fie der Vater irgendwo
ſich zeigen), berichtete ihm, fie fei zum Verwundern fchon;
darum befchloß er, nach Imola zu gehen, um fie zu fehen.
Als er in die Stabt fam, fragte er nach dem Haufe
Meſſere Hpratio’s, ging dahin und fing an fich auf die
Lauer zu ftellen, ob er die Jungfrau zu fehen befomme.
Da aber bei der Geburt des Mädchens bie Mutfer ge
ſtorben war, hielt, wie gefagt, Meffere Horatio fie unter
[2
59. Rinieri und Eicilia. 169
fo firenger Obhut, daß fie nie einen Fuß vor das Haus
fegte außer zur Meſſe ımd unter dem Geleite der ehr⸗
barften rauen aus ihrer Verwandtfchaft, weshalb er
Zage lang fi umfonft bemühte, bis es ihm gelang, fie
zu Geficht zu befommen. . Der Jüngling unterließ aber
darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte
fih damit, da er nicht weiter Tonnte, wenigftens Die
Mauern zu betrachten, welche eine fo große Schönheit
in fi fchloffen. Dem Haufe ihres Vaters gegenüber
wohnte ein Duftlrämer, der eine alte Frau hatte, bie
gewöhnlich in der Bude fand. Rinieri trat hinein und
that, als wollte er etwas kaufen, und als dies auch
wirffich geichehen war, ließ er fich mit der Alten, welche
Naftagia hieß, in ein Gefpräc, ein und fragte fie freundlich,
was für Frauen in diefer Straße wohnen. Naftagia ant-
wortete ihm fogleich, es feien viele bafelbft, und unter
andern eine, die ihrer Bude gegenüber wohne, die fei
wie ein Engel des Himmels.
Aber, fügte fie hinzu, der Vater bat fie fo fireng
unter der Hut, dag man fie nur höchft felten fiebt.
Während fie nun fo miteinander fprachen, begab es
fih, daß Eicilia, indem fie von einem Zimmer ins an-
dere ging, fih ein wenig am. Fenfter zeigte. Sie fah
die Duftkrämerin, grüßte fie und diefe erwiderte den
Gruß. Bei diefem Grufe erblidte Rinieri, welcher ſchon
aufgeftanden war, die Jungfrau. Er zog das Barett ab
und machte ihe eine Verbeugung. Bei diefer Geberde
gefiel er dem Mädchen, ſodaß auch fein Bild fich ihrem
Herzen fo wirkfam einprägte, daß fie, begierig ihn zu
fehen, nicht aufhören Tonnte, mit Naftagia zu reben.
Es kam aber ihre alte Muhme dazu, welche fie ins
Haus zurüdtief und ihr drohte, wenn fie fie wieder am
Fenſter finde, werde fie es ihrem Water fagen und fie
dafür züchtigen laffen. Beim Anblid der Jungfrau
meinte Ninieri, Alles, was er von ihr gehört hatte, fei
nur ein Traun gemefen neben der Wahrheit, und das
Staliänifcher Novellenſchatz. II. 8
168 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio.
55. Rinieri und Cicilia.
(2, 8.)
Imola ward einſt von eigenen Herren regiert, jetzt
gehoͤrt es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten
ein Edelmann Namens Horatio, der mit Glücksgütern
reichlich verſehen und durch ſeine Artigkeit in der ganzen
Stadt beliebt war. Wiewol er nun im Außern milde
ſchien, ſo zeigte er ſich doch, ſobald ihm eine Unbill
widerfuhr, fo entſetzlich, daß er feinen Zorn den Belei-
diger ſchwer fühlen ließ. Diefer hatte nur eine einzige
‚Tochter, Namens Cicilia, und dieſe war zu foldher Schön⸗
heit erwachfen, daß die Imoleſen glaubten, fie fei die
fhönfte Jungfrau des Landes. Der Ruf ihrer munder-
baren Schönheit verbreitete fich über alle Gauen ber Ro-
magna und kam auch einem Sünglinge in Forli Namens
Rinieri zu Ohren, der nicht weniger ſchön mar unter
den Sünglingen, als Cicilia unter ben Jungfrauen. Wie
- -fehr ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausge⸗
ftattet hatte, fo karg war das Glück gegen ihn gewefen
im Bergleich mit dem Vermögen Meffere Horatio’s. Der
Jüngling nahm fich fo fehr die Schönheit des Mädchens
zu Herzen, obmwol er fie nie geſehen hatte, daß er fühlte,
es koſte ihn das Leben. Alle, die von dort famen,
fragte er, ob fie Cicilia gefehen haben und ob fie wirf-
ich fo fchon fei. Jeder, der fo glüdlich geweſen war,
fie zu ſehen (denn nur felten ließ fie der Vater irgenbwo
ſich zeigen), berichtete ihm, fie fei zum Verwundern ſchön;
darum befchloß er, nach Imola zu gehen, um fie zu fehen.
Als er in die Stadt fam, fragte er nach dem Haufe
Meſſere Horatio's, ging dahin und fing an fich auf die
Lauer zu ftellen, ob er die Jungfrau zu fehen befomme.
Da aber bei der Geburt des Mädchens die Mutfer ge:
ftorben war, hielt, wie gefagt, Meffere Horatio fie unter
55. Rinieri und Citilia. 169
fo firenger Obhut, daß fie nie einen Fuß vor das Haus
fegte außer zur Meffe ımd unter dem Geleite der ehr-
barften rauen aus ihrer Verwandtfchaft, weshalb er
Tage lang fidy umfonft bemühte, bis es ihm gelang, fie
zu Geſicht zu bekommen. . Der Jüngling unterließ aber
darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte
fih damit, da er nicht weiter konnte, wenigftens - die
Mauern zu betrachten, welche eine fo große Schönheit
in fich fchloffen. Dem Haufe ihres Waters gegenüber
wohnte ein Duftlrämer, der eine alte Frau hatte, bie
gewöhnlich in der Bude fland. Rinieri trat hinein und
that, als wollte er etwas Faufen, und als dies auch
wirklich gefchehen war, ließ er fi) mit der Alten, welche
Naftagia hieß, in ein Gefpräc ein und fragte fie freundlich,
was für Frauen in diefer Straße wohnen. Naftagia ant-
wortete ihm fogleich, es feien viele bafelbft, und unter
andern eine, die ihrer Bude gegenüber wohne, die fei
wie ein Engel des Himmels.
Aber, fügte fie hinzu, der Vater Hat fie fo ftreng
unter ber Hut, bag man fie nur höchft felten fieht.
Mährend fie nun fo miteinander fprachen, begab es
fih, daß Eicilia, indem fie von einem Zimmer ins an-
dere ging, fih ein wenig am Fenſter zeigte. Sie fah
die Duftkrämerin, grüßte fie und diefe erwiderte den
Gruß. Bei diefem Gruße erblidte Rinieri, welcher ſchon
aufgeftanden war, die Jungfrau. Er 309 bas Barett ab
und machte ihre eine DVerbeugung. Bei biefer Geberde
gefiel er dem Mädchen, fobaß auch fein Bild fich ihrem
Herzen fo wirkfam einprägte, daß fie, begierig ihn zu
fehen, nicht aufhören konnte, mit Naftagia zu reben.
Es kam aber ihre alte Muhme dazu, welche fie ins
Haus zurüdrief und ihr drohte, wenn fie fie wieder am
Fenſter finde, werde fie es ihrem Vater fagen und fie
dafür züchtigen laffen. Beim Anblid der Jungfrau
meinte Rinieri, Alles, was er von ihr gehört hatte, fei
nur ein Traum geweſen neben der Wahrheit, und bas
Staliänifcher Novellenſchatz. IT. 8
168 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
55. Niniert und Cicilia.
(3, 5.)
Amola warb einft von eigenen Herren regiert, jest
gehört es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten
ein Edelmann Namens Horatio, der mit Glücksgütern
reichlich verfehen und durch feine Wrtigkeit in der ganzen
Stadt beliebt war. Wiewol er nun im Außern milde
fhien, fo zeigte er fi doch, fobald ihm eine Unbil
widerfuhr, fo entieglich, daß er feinen Zorn ben Belei⸗
diger fchwer fühlen ließ. Diefer hatte nur eine einzige
Tochter, Namens Cicilia, und diefe war zu folder Schöf:
beit erwachſen, daß die Imolefen glaubten, fie fei bie
fhönfte Jungfrau des Landes. Der Ruf ihrer munder
baren Schönheit verbreitete ſich über alle Bauen der Ro
magna und fam auch einem SJünglinge in Forlt Namens
Rinieri zu Ohren, ber nicht weniger ſchoͤn war unter
den Jünglingen, als Cicilia unter ben Jungfrauen. Wie
- jeher ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausge:
ftattet hatte, fo karg war das Glück gegen ihn geweſen
im Bergleich mit dem Vermögen Meffere Horatio's. Der
Jüngling nahm fich fo fehr die Schönheit des Mädchens
zu Herzen, obwol er fie nie ‚gefehen hatte, daß er fühlte,
es koſte ihn das Leben. Wlle, bie von dort kamen,
fragte er, ob fie Cicilia gefehen haben und ob fie wirk⸗
lich fo ſchön fei. Jeder, der fo glüdlich geweſen war,
fie zu fehen (denn nur felten ließ fie der Vater irgendwo
fih zeigen), berichtete ihm, fie fei zum Verwundern ſchön;
darum befchloß er, nach Imola zu geben, um fie zu fehen.
Als er in die Stadt kam, fragte er nah dem Haufe
Meffere Hpratio’s, ging dahin und fing an fich auf die
Lauer zu ftellen, ob er die Jungfrau zu fehen bekomme.
Da aber bei der Geburt des Mädchens bie Mutter ge
ftorben war, hielt, wie gefagt, Meffere Horatio fie unter
55. Rinieri und Cieilia. 169
fo ftrenger Obhut, daß fie nie einen Fuß vor das Haus
fegte außer zur Meſſe und unter dem Geleite der ehr-
barften Frauen aus ihrer Verwandtſchaft, weshalb er
Tage lang ſich umfonft bemühte, bis ed ihm gelang, fie
zu Geficht zu bekommen. . Der Jüngling unterließ aber
darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte
fih damit, da er nicht weiter konnte, wenigftens die
»Mauern zu betrachten, melde eine fo große Schönheit
in fich fchloffen. Dem Haufe ihres Vaters gegemüber
wohnte ein Duftlrämer, der eine alte Frau hatte, bie
gewöhnlich in der Bude ſtand. Rinieri trat hinein und
that, als wollte er etwas Faufen, und als dies auch
wirklich gefchehen mar, ließ er ſich mit der Alten, welche
Naftagia hieß, in ein Geſpräch ein und fragte fie freundlich,
was für Frauen in diefer Straße wohnen. Naftagia ant-
wortete ihm fogleih, es feien viele dafelbft, und unter
andern eine, bie ihrer Bude gegenüber wohne, die fei
wie ein Engel des Himmels.
Aber, fügte fie hinzu, der Water hat fie fo ſtreng
unter der Hut, dag man fie nur hödhft felten fieht.
Während fie nun fo miteinander ſprachen, begab es
fh, daß Eicilia, indem fie von einem Zimmer ins an-
dere ging, fi ein wenig am. Senfter zeigte. Sie fah
die Duftkramerin, grüßte fie und dieſe erwiderte den
Gruß. Bei diefem Gruße erblidte Rinieri, welcher ſchon
aufgeftanden war, die Jungfrau. Er 309 bas Barett ab
und machte ihr eine Verbeugung. Bei biefer Geberde
gefiel er dem Mädchen, ſodaß auch fein Bild fi ihrem
Herzen fo wirkſam einprägte, daß fie, begierig ihn zu
fehen, nicht aufhören Tonnte, mit Naſtagia zu reden.
Es kam aber ihre alte Muhme dazu, welche fie ins
Haus zurüdrief und ihr drohte, wenn fie fie wieder am
Fenſter finde, werde fie es ihrem Vater fagen und fie
dafür züchtigen laſſen. Beim Anblid der Jungfrau
meinte Rinieri, Alles, was er von ihr gehört hatte, fei
nur ein Traum gemefen neben ber Wahrheit, und Das
Italiäniſcher Novellenſchatz. IT. 8
170 XVIIL Giovanni Battifla Giraldi Eintio.
Bewer wucht in ihm fo an, bap er ganz zur Summe
wurde. Nie war es ihm fo leid, arm geboren zus fein,
Meſſere Horatio gleich wäre, wäre Citilia feine Gemahlin
geworben. Die Duftkrämerin flanb auf ſehr vertrauten
Fan mit jenen Frauen und fie mit ihr, denn es ver
g keine Boche, wo nicht Raflagia in ihr Haus kam
oder fie in das Haus Naftagia’s, wohin fie auch manchmal
Cicilia mitbrachten. So kam die Alte in Meſſere He
tatio’6 Haus und fing an, mit ber Jungfrau zutraulich
zu plaudern. Diefe fragte fie alsbald, wer ber Jüng⸗
ling fei, den fie im ihrem Laben gefehen babe. Sie ant-
wortete, fie wiſſe nicht, wer es fei, doch komme er iht
ſehr artig und gebilbet vor.
Es iſt unmöglich, antwortete Cicilia, daß mit fe
großer Schönheit nicht jeder Borzug verbunden fein ſollte
Naſtagia verwunderte fich über diefe ihre Rede um
fragte fie: Wie hat er euch gefallen?
&o fehr, entgegnete fie, wie nur irgend einer, da
ich jemals gefehen babe, und es wird mir ſehr lieb fein,
wenn er öfters wieder binfommt. Erkundigt euch, wer
er ift, und thut es mir zu wiſſen.
Die gute Alte verſprach es ihr und ging nach Hauke.
Gleich als Hätte fie ihr ins Herz gefehen, erfannte fı
deutlih, daß fie in den jungen Mann verliebt war, un?
ſah daraus, daß manchmal ein Blick beim erften Be
gegnen, verbunden mit einem entfprechenden Wehen, mehr
Kraft hat, als fonft eine lange anhaltende Dienſtbarkeit
Als Rinieri zu Mittag gegeſſen hatte, kehrte er in die
Bude zurück und NRaftagia brachte nun ihre Fragen an,
wer er fei unb woher er fomme. Der Jüngling ant:
wortete, er fei Rinieri Chelini aus For. Um die Ur-
fache feines Hierherkommens befragt, fagte er: Madonna
ih will und kann die Wahrheit nicht verbergen. Das
Gerücht hat mir den Ruf der großen Schönheit biefer
eurer Nachbarin bi6 nach Forli getragen, fobaß ich mich
55. Rinieri und Cicilia. 171
gedrungen fühlte, meine Heimat und all bas Meinige
zu verlaffen und hierher zu eilen, um mit Augen jene
Schönheit zu ſehen, die ich fon lange Zeit nach den
Meben anderer im Geifte angefhaut Habe. Ich Habe fie
auch bei ihrem erſten Erxfcheinen fo gefunden, daß, wenn
ich fie früher liebte, ich jetzt fie anbete.
In der That, entgegnete Naftagia, ich glaube, ihr
habt eure Liebe nicht ſchlecht angebracht, denn ich bin
ber Anſicht, wenn ihr für Cicilia glühet, fo fleht fie für
euch in voller Lohe. -
Ninieri war dies fehr angenehm und er bat fie, ihm
zu fagen, wie fie. das wiſſe. Naſtagia erzählte ihm nun,
was die Jungfrau geingt und wie dringend fie fie ge
beten hatte, fie möge ihr ausführlihen Bericht über ihn
verfhaffen. Rinieri bat fie Hierauf dringend, fie möge
diefe feine Liebe begümfligen, er werde fich gegen fie fo
balten, daß fie nicht bereuen folle, daß fie fih für ihn
bemüht habe; eine Schande könne ihr daraus nicht er-
wacfen, denn er liebe dad Mädchen nur, um fie zur
Frau zu nehmen. Bei diefen Worten gab er ihr einen
gar zierlihen Ring mit zwei ineinander verfehlungenen
Händen mit dem Auftrag, ihn der Jungfrau als Ge-
ſchenk anzubieten und ihr zu fagen, mit diefem Ringe
fhide er ihr fein Herz. Dabei ſchenkte er der Botin
einige Kleinigkeiten und verfprach ihr veichliche Geſchenke,
wenn es ihm etwa gelinge, die Jungfrau zur Gattin zu
befommen, worin fein höchfter Wunſch läge. Die gute
Frau verfprach ihm ihre ganze Mitwirkung, fagte ihm
übrigens, da jene einſt das ganze Vermögen ihres Va⸗
ters erbe, fo verlangen viele fie zur Frau, dennoch habe
er noch bei feinem feine Einwilligung gegeben, beun feine
Abſicht fei, fie nur mit einem Manne zu verbinden, der
ihm an Vermögen gleichtomme; ans dieſem Grunde fcheine
es ihr faft unmöglich, daf er jemals feinen Zweck erreiche.
Nichts ift her Liebe unmöglich, antwortefe Rinieri;
ich bitte euch nur, daß ihr bei eurer Mitwirkung nichts
8*
172 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
verfäumet, fo werdet ihr fehen, daß Amor fie für mid
aufgehoben hat.
Naftagia wartete eine ſchickliche Zeit ab, um ihren
Plan auszuführen, und ging nun zu’ Giclia. Und fie
erblickte fie nicht fo bald, als fie fragte, ob fie den jungen
Mann gefehen habe. Sie antwortete ihr, fie habe ihn
gefehen und fogar mit ihm gefprochen. Sie habe ge-
funden, daß, wenn er ihr gefalle, fie nicht minder ihm
gefalle, und er fei, vom Rufe ihrer Schönheit angezogen,
von Korli nach Imola gefommen, um fie zu fehen und
ihr zu beweifen, wie fehr er fie liebe.
Und Bin ich denn, fragte fie, bin ich denn fo fchon,
Naftagia, daß die Männer auf den Ruf meiner Schoͤn⸗
heit bin ſich in mich verlieben ?
Freilich, afftwortete Naftagia, und ich kann euch noch
weiter fagen, baß er mit mit von eurer Schönheit und
von ber großen Kiebe gefprochen, die er zu euch hegt, und
mich erfucht hat, ihn euch zu empfehlen und euch zu
bitten, ibn fo herzlich zu lieben, als er euch liebt. Auch
hat er mir ein Geſchenk gegeben, das ih euch in feinem
Namen überreichen fol.
Und was benn? fragte das Mädchen.
Es ift das hHoldefte Ringchen, antwortete jene, das
ihr je gefehen habt.
Wie, ein Ring? entgegnete Cicilia. Was fol ich
denn bamit anfangen?
Nichts anderes, antwortete Naftagia, als ba ihr ihn
als Pfand des Zieles anfehet, um deffen willen er euch liebt.
Und mas ift diefes Ziel? fragte fie.
Euh zur Frau zu befommen, war die Antivort,
wenn es euch nicht unlieb wäre.
Keineswegs, antwortete Cicilia, vielmehr äußerſt Lieb;
wenn es aber auch wahr ift,; daß er mich liebt, wie du
fagft, fo kann ich ihm doch nicht verfprechen, um mas
er mich bittet. Aber wo ift der Ring, von dem du fagfl,
daß er fo Hold anzufchauen fei?
55. Rinieri und Cicilia. 173
Hier habt ihr ihn, antwortete Naftagia, und er hat
mir gefagt, daß er euch damit fein Herz fchide.
Bei diefen Worten lächelte das Mädchen, nahm ben
Ring in die Hand und lobte ihn fehr, indem er ein
Zeichen der Treue an fich trug.
Wie mache ichs nun aber, fragte fie, indem fie ihn
an den Finger fledte, um ihn tragen zu können?
Ihr müßt, antwortete Naftagia, den, ber ihn euch
ſchickt, zum Manne nehmen.
Märe nur, entgegnete fie, mein Vater bamit fo zu⸗
frieden, wie ich es wäre.
Sie behielt den Ring und übergab ihr ein hübſches
Paar Handſchuhe, um fie dem Jüuͤngling zu überbringen
als Gegengabe für das ihr geſchickte Geſchenk und zum
Zeichen, daß fie ihn fo aufrichtig liebe, Als er fie. Na-
ftagia brachte dem jungen Manne diefe Kunde und gab
- ihm zugleich die Handfchuhe, welches Geſchenk ihm große
Freude machte. Er meinte nun, es fehle jegt nichtd mehr
zur Erfüllung feinee Wünfche, als dag er Cicilia's Vater
beftimme, fie ihm zur Frau zu geben. Er verfuchte dazu
alle möglichen Wege, aber Alles war umfonft wegen feines
im Vergleich zu Meſſere Horatio's Reichthum geringen
Vermögens. Waͤhrend nun die Liebe zwiſchen den beiden
jungen Leuten auf dieſe Weiſe fortging, fand Rinieri
Gelegenheit, ein Feſt zu beſuchen, bei welchem auch Ci⸗
cilia anweſend war. Er tanzte mit und am Ende des
Fackeltanzes fügte es ſich ſo glücklich, daß beim Wechſel
der Orte und Perſonen, wie das bei einem ſolchen Tanze
gewöhnlich it, Rinieri Cicilia bei der Hand faßte; er
drückte fie .feft und fie die feinige.
Mein Leben, flüfterte ihr der Jüngling zu, ich brenne.
Und fie gab ihm zur Antwort: Und ich bin ſchon
verbrannt, Rinieri, und faft nichts mehr, als Aſche.
Als der Tanz aus war, nahm der Jüngling Urlaub
und fprach zu ihr: Ich laſſe mein Herz in euren Händen.
Und fie zu ihm? Und ich meine Seele.
174 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio.
Weiter Eonnten fie fih nichts fagen und fehieben von
einander, beiber Herzen aber warn vol ber glühendſten
Flammen. — WE Rinieri fah, daß Cicilia's Vater ihren
beiderfeitigen Wünfchen entgegenfland, gebachte ex durch
Vermittelung Naftagia’s feinen Zweck zu erreichen. Als
er eines Tages mit ihr ſprach, fagte er zu ihr: Naftagia,
ich fehe, wie genau ihr mit Cicilia bekannt feib und wie
fie fih mit ihren Frauen in dieſem euren Garten ergeht.
Bei dem Haufe des Duftkrämers mar nämlich ein
war Eleiner, aber body wol ber fhönfte Garten in gan;
mola.
Ich weiß, fuhr Rinieri fort, daß wenn ihr wollt, ihr
mir leicht Gelegenheit verfchaffen könnt, Cicilia zu ber
rathen und mich ihrer Liebe zu freuen. Darum bitte
ih euch, habt doch Erbarmen mit mir, und wenn alles
Anbere mir widerfirebt, laßt ihr mich nie ganz zu
Grunde gehen, da ihr fo geſchickt und ohne Nachtheil
helfen Eönnt.
Naſtagia war nicht von Stahl, fie wünfchte Die Lieb⸗
ſchaft, wie fie fie eingeleitet hatte, auch zu Ende zu führen,
und fagte, fie wolle e8 gerne thun, wenn bie Jungfrau
damit einverftanden fei.
Daran zweifle ih nicht, fagte Rinieri, da fie mich
fo feurig liebt, wie ih weiß, und wenn ihr bie Mittlerin
macht, daß fie fih auf eine fo ehrenhaft bezwedte Sache
einlaffen wird.
Die gute Alte verfprach ihm wieberholt ihre Dienfte,
ging zu ber Jungfrau und fagte ihr, was ihr Ninieri
aufgetragen hatte. Cicilia war ſchon völlig mit ihrem
Liebhaber ein Weſen geworben, fie antwortete daher,
wofern fie nur ihre Ehre dabei unverlegt bewahren wolle,
fei fie bereit, zu thun, was ihr gefalle. Naſtagia Fehrte
alfo zu Rinieri zurück und bewies ihm, daß Cicilia ganz
bereit fe, ihn zum Manne zu nehmen, weshalb fie unter
ſich forgfltig verabredeten, was zu thun ſei. Nach einigen
Tagen ließ die Muhme, melche das Maͤdchen unter ihrer
an Em .— ww zn —
55. Rinieri und Eicilia. 175
Obhut Hatte, der Duftkrämerin fagen, fie wolle morgen
mit ihrem Mäbchen in ihren Garten fommen. Daher
ordnete Naſtagia mit den Liebenden die Feier der Ver⸗
mäblung an. Die Frauen famen in das Haus der guten
Alten und raten in den Garten; während nun Cicilia
Blumen pflüdte, an welchen der Ort fehr reich war,
ließen fich die beiden Alten in ein Gefpräc ein über ihre
Einkäufe, über Leinwand und Spinnerei. Unter anderem
fagte Naftagia zu ber andern, fie wolle ihr eine bewun-
dernswürdige Weberei zeigen, welche eine ihrer Töchter
außer dem Haufe mache, wenn fie jemand hätte, der fie
ihr holte. Die Frau fagte: Wir wollen meine Magd
darnach ſchicken.
Cicilia, ſchon von Allem zum voraus unterrichtet,
ſagte: Ach nein, Muhme, ſchickt nicht hin! Wenn es
euch recht iſt, möchte ich lieber, wir gingen nach Hauſe,
denn es überfällt mich ein ſolcher Schlaf, daß ich die
Augen kaum offen halten kann.
Ei, fagte Naftagia, Gott fei Dank, ich habe auch
Plaͤtze zum Schlafen in meinem Haufe.
Dann wandte fie fich zu der Magd und fagte: Geh,
wohin dich die Frau ſendet! Cicilia wird ſchon eine
Ruheſtaͤtte finden.
Die Magd ging hin, Naflagia aber nahm die Jung-
frau bei der Hand und führte fie fammt der Muhme
in ein Zimmer, legte fie aufs Bette, fchloß die Fenſter
und endlih au bie Thüre und gab ber Muhme des
Mädchens den Schlüffel. Sodann gingen beide in den
Garten und erwarteten die Magd, welche das Gewebe
holen ſollte. Die gute Alte hatte kurz, ehe bie Frauen
kamen, Rinieri in jener Kammer verborgen. Sobald
er nun feine Cicilia hineingefchloffen hörte, kam er aus
feinem Derfted hervor, ging an das Bette, nahm die
Geliebte in ben Arm, preßte fie feſt an feine Bruft
und gab ihr Tauſende von Küffen und ebenfo fie ihm.
Nach vielen gegenfeitigen Liebkoſungen vermählte fich
176 XVIH. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
Rinieri mit ihe und auf die Verfiherung des ehelichen
Bundes pflüdte er zu großer Wonne beider die erfehnte
Frucht ihrer Liebe, ja fie hatten fo viel Muße, daß fie
fih mehrmals von neuem ihrer Wonne bingeben Eonnten.
Unterdeffen war nämlich die Magd eingetroffen und durch
Naſtagia's Gefchiclichkeit Famen beide Frauen in ein lan-
ges Gefpräc, über die Weberei. Schon war ed mehr als
Abend geworden, da fhien es Cicilia's Muhme, es fei
nun Zeit, ſich nach Haufe zurüdzuziehen. “Sie ging mit
Naftagia an bas Zimmer, wo Rinieri ſich in fein Verſteck
zurüdgezogen hatte, und fie öffneten Thüre und Fenfter.
Das Mädchen fehlief, denn nach der ausgeftandenen Er-
müdung hatte fie wol Grund dazu, die Muhme weckte
fie und ſprach: Willft du, Schlafhaube, den ganzen Tag
verfchlafen? Es ift Zeit, daß wir nach Haufe gehen.
Cicilia rieb ſich die Augen, fand auf und kehrte,
viel heiterer, als fie gefommen war, nach Haufe. Unter-
deſſen mar Meſſere Horatio zu Ohren gekommen, was
auf dem zuvor erwähnten Balle zwiſchen den beiden Lie⸗
benden vorgefallen war. Daher faßte er den feſten Ent»
ſchluß, daß ſeine Tochter nirgends hin mehr weder allein
noch in Begleitung gehen dürfe, und befahl, freilich zu
ſpät, daß fie in feinem Zimmer ſchlafe. Nur allein vor
Naſtagia hütete er ſich nicht, durch deren Vermittelung
Cicilia von einer Jungfrau zur Frau geworden war;
denn das Schickſal fcheint zu ‚wollen, dag man fih in
folhen Fällen vor jedermann in Acht nimmt, nur vor
benen nicht, wo ed am nöthigfien wäre. Die beiden
Liebenden waren über die neuen Befchräntungen unfäglich
betrübt und ba fie fi den Weg abgefchnitten fahen,
zufammenzutommen, brachte den Bekümmerten nur das
noch einigen Troſt, dag Naftagia Botfchaften hin⸗ unb
hertrug. Kaum aber war ein Monat verfloffen, ſeit
Ninieri die Zuſammenkunft mit Eicilia gehabt hatte,
ba fing ihr an die Epluft zu vergehen und fie fühlte
Übelkeiten, was fie Naftagia mittheilte.
—
55. Rinieri und Cieilia. 177
Meine Tochter, fagte diefe, ihr werdet wol ſchwanger
fein. Ä
Das fürchte ich auch, antwortete fie; und fo bin ich
das unglüdlichfte Gefchöpf, das je mit einem Manne
zu thun Hatte, denn wenn das mein Water merkt, fo
wird er mich ganz gewiß ums Leben bringen; auch märe
es leicht möglich, daß er Rinieri ermorbete, denn ich weiß,
wie weit fein Zorn geht, wenn er beleidigt ift.
Naftagia tröftete Das Mädchen, ging weg und be-
richtete Alles Rinieri, welcher fich ſchnell befann, feine
Frau in feine Heimat fortzunehmen. Bis er aber ver-
ſchiedene Vorkehrungen getroffen hatte, welche ihm nöthig
fhienen, um fie fiher dahin zu bringen, gingen einige Mo-
nate vorüber und ihr Water merkte untermitteld, Daß
Cicilia ſchwanger war. Er war darüber fo betrübt, als
man nur über ein heftiged Unglüd fein kann. Doc,
verfchloß er fein Leid in fich, wollte auch nicht wiffen,
von wem fie ſchwanger war, und fein ganzes Trachten
ging darauf, fie ums Leben zu bringen. Doch beichloß
er, nicht ſelbſt fich mit ihrem Blute die Hände befleden
zu wollen. Er rief einen gewiffen Maltrova, feinen alten .
Diener, deffen er fich bediente, um denjenigen den Tod
zu geben, die ihn beleidigt hatten. Er entdedte ihm
feinen Plan und brachte ihn mit leichter Mühe dazu,
Gicilia zu ermorden; dann aber folle er fo weit weggehen,
dad man in Imola nichts mehr von ihm erfahre. Er
verfprach ihm dafür fo viel Geld, daß er genug hätte,
um überall davon leben zu können. Nachdem die Sache
unter ihnen abgefchloffen und die Art der Ausführung
verabredet war, führte Horatio Cicilia aufs Land unter
dem Vorwand, einen Ausflug zur Erholung zu machen.
Nachdem er einige Tage mit erheuchelter Heiterkeit dort
gewefen war, Fam eines Abends der verruchte Maltrova
mit feiner Gattin, die nicht minder gottlos war, ald er.
Sie kamen in Meſſer Horatio’d Haus und thaten, als
fommen fie ganz unverfehens an und wollen ihre Pferde
| 8*4
178 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
etwas ausruhen Laffen, welche ben Wagen zogen, auf
dem feine Frau mit einigen Habfeligkeiten faß. Der
Berräther ward fammt feinem Weibe von Cieilia mit
bem heiterften Gefichte empfangen; Meffere Horatio war
nämlich gerade abweſend, ba er, um ben Unmuth zu zer⸗
flreuen, der ihm das Herz beflemmte, mit einem Sperber
auf bie Wachteljagb gegangen war. Als er nach Haufe
fam und ben Henker anfichtig wurbe, hieß er ihn will»
fommen, es war fchon fpät, man fepte fi zu Zifche
und über dem Effen fragte Meffere Horatio, wo ihre
Reife Hingehe. Die Alte antwortete, fie wollen ein Paar
Hochzeiten von Verwandten mitmachen, welche in Maffa
gefeiert werben. Cicilia wid gerne ben Biden ihres
Daters aus in Beſorgniß, ee möchte merken, was er
Thon laͤngſt gemerkt hatte. Daher fagte fie bei biefer
Mittheilung: Wie gerne ginge ich mit dahin, wenn es
mein Vater erlaubte.
Und warum follte er e8 nicht zugeben? fagte bie Alte.
Weil, antwortete Meffere Horatio, vorfäglich feinen
eigentlichen höchſten Wunſch verbergend, weil meine Tochter
gar nicht gewohnt ift, umberzureifen.
Ei, fagte die gottlofe Alte, bie in ben ganzen Plan
eingeweiht war, mollt ihre, Meſſere, daß das Mädchen
wie eine Nonne immer im Haufe ſich vergrabet Ber-
gönnt ihr doch auch je und je eine anftändige Zerfireuung !
Der Drt, wohin wir gehen, ift nicht weit, der Weg gut
und ungefährlich, die Jahreszeit Läbt zu Vergnügungen
ein, bei ben Hochzeiten werden viele adelige Fräulein fein,
wie Cicilia, und ich will fchon über fie machen unb ihr
Geſellſchaft Leiften, als wäre es mein eigen Kind. Daher
bitte ich euch, mir zu erlauben, daß fie mit mir Fommt
und mit meinen Manne, wir haben fie ja von Kindheit
auf fhon gepflegt und gewartet.
Meffere Horatio that noch immer, alt ſei er nicht
einverſtanben, und die unglückliche Cicilia, welche nicht
dwußte, was das für Folgen haben werde, um was fie
55. Rinieri und Cicilia. 179
fo einfaͤltig bat, beflürmte ihren Vater unablaͤſſig, ihr
die Erlaubniß zu. ertheilen. So bat alſo einerfeits die
Tode, anbererfeits die bofe Alte, und die andern, die
m Haufe waren, und am Ende ftellte er fich zufrieden.
Im Morgen ließ Meſſere Horatio Cicilia ein carmofin-
rothes Zendelkleid anziehen und übergab fie Maltrova
und dem gottlofen Weibe auf ihren Wagen. Meſſere
Horatio that, als wollte er feiner Tochter noch eine alte
Frau zur Geſelſſchaft mitgeben; die andere aber ſprach:
Ihr habt wenig Zutrauen zu mir, Meſſere, daß ihr meint,
ſie brauche noch ein anderes Geleite, wenn ich bei ihr bin.
Sollte ich etwa nicht verſtehen, fie zu bedienen?
Der Vater fchien fih auf diefe Worte der Gottlofen
zu beruhigen, das unglückliche Fräulein meinte eine Lufl-
reife anzutreten und machte fidy auf den Weg mit folchen,
die fie zum Tode führten. Maltrova fihlug den Weg
gegen Ravenna ein und als fie In einen bichten Wald
famen, that er, als fei ein Holz am Wagen gebrochen,
und fagte zu feinem Weihe unb der jungen Frau, fie
follen ausfteigen, damit er bie zerbrochene Stange wieder
in Ordnung bringe. Die zwei Frauen fliegen ab und
als Cicilia auf dem Boden ſtand, nahm fie Maltrova
beim Arme und fprach: Empfiehl deine Seele Gott, denn
bier mußt du durch meine Hand ſterben.
Die junge Frau war bei diefen Worten halb todt
und fing an laut zu weinen und zu fchreien.
Ah, Maltrova, fagte fie, find das bie Hochzeiten,
zu benen du mich führen will? Behandelt man fo
Frauen meines Gleichen?
Ja, antwortete der Verruchte, fo behandelt man
Weiber, bie ohne Rückſicht auf die Ehre ihrer Familien
tbun, was bu gethan haft, fchnödes Weib! Hier fol
beine Hochzeit gefeiert werben, wie es ſich für dich ge⸗
Aus dieſen Worten erkannte die Unglüdfice, daß
der Vater ihren ſehleritt bemerkt und fie deshalb dieſe
1838 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio.
Manne übergeben babe, daß er fie umbringe. Deffen-
ungeachtet warf fich die Unglüdliche vor Maltrova auf
die Knie und ſprach weinend zu ihm: Ich leugne nicht,
gefehlt zu Haben; aber nichts deſto weniger habe ich ja
dich niemals beleidigt. und bir eine Schmach angethan,
wofür du Dich rächen müßteſt. Ach, wenn du nicht mit
mir Erbarmen haben willft, fo habe wenigſtens Mitleid
mit dem unglüdlichen Gefchöpfe, bas ich unter dem Herzen
trage. Gib nicht außer mir auch ihm ben Tob, das noch
nichts verbroden hat, ja noch gar nicht geboren ift.
Dann fand fie auf und wandte fi an bie grau-
fame Alte.
Ach, meine Mutter, ſprach fie, ich bitte euch, erlaubt
doch nicht, daß ich von eurem Gatten, dem ich immer,
wie ihr wißt, nur Freude machte, fo grauſam hingemordet
werde!
Die mitleidslofe Alte fagte nichts anderes zu ihr, ale:
Wenn bein Vater fich deiner nicht erbarmt hat, wie willft
du, daß wir es follen? Sterben mußt du, darum Hab
.Acht, nicht mit dem Leib auch die Seele zu verlieren!
Da nahm fie Maltrova bei den Haaren und hob das
Schwert auf, um ihr den Kopf abzufchlagen. Während
er aber ausholte, faßte die Alte, in der in bas Erbarmen
Platz gegriffen Hatte, doch das Mitleid mit dem jungen
Weihe, fie bielt den Arm des Gatten auf und ſprach
zu der unglüdlichen Cicilia: Wenn du uns verfprichft,
fo weit wegzugehen, daß dich niemand kennt und nie
jemand. fagt, daß du noch am Leben bift, fo will ich dir
das Leben ſchenken.
Cicilia meinte, es fei eine Stimme vom Himmel in
ihre Ohren gedrungen, fie verfprach es ihre und ſchwur
ihr bei Gott, es fo zu machen. Da bewog bie Alte
ihren Gatten, wiewol mit Mühe, fie nicht umzubringen.
Man nahm ihr nun ben Rod von Zendel und alle
Zieraten ab, welche ihre edle Abkunft andeuten konnten,
nd ließ fie im bloßen Hemde. Da fohenkte ihr die Alte
D
55. Rinieri und Cicilia. 181
einen ſchlechten fehr vertragenen Unterrock von ihr, welchen ”
fie anlegte. Malteova ließ fie im Walde allein, ftieg .auf
feinen Wagen und fuhr weiter fammt ben Kleidern der
unglüdlichen jungen Frau und Allem, was Meffere Ho-
ratio ihm zu feinem Zwede gegeben hatte. Aber kaum
hatte er fih von Cicilia zehn Meilen weit entfernt, als
eine NRäuberbande fie überfiel und ihm und feiner Frau
den verdienten Tod gaben; und mit Cicilia's Kleid nah⸗
men fie ihnen Alles, was fie von Meffere Horatio be-
kommen hatten und was ſich auf mehr als vier Tauſend
Gulden in Gold belief. Aber die göttliche Gerechtigkeit
fügte es, daß auch fie bald hernach den Lohn für ihre
verbrecherifhen Thaten befamen, denn fie begegneten dem
Dolizeimeifter von Ravenna, der mit einer ſtarken Schaar
ausgezogen war, fie gefangen nahm und vor ben Richter
“führte, wo fie nach geleiftetem Geſtaͤndniß ihrer Morb-
thaten bie gebührende Strafe fanden. Die unglüdliche
Cicilia Hatte eingenäht in einen Gürtel, ben fie imter
dem Hemde auf dem bloßen Leibe trug, ein Paar hun-
bert Goldgulden und einige Kleinode, denn ba fie mit
Rinieri von ihrem Vaterhauſe fliehen wollte, hatte fie
ſchon angefangen, werthuolle Sachen zufammenzufuchen,
um fie mit fi zu nehmen. Sie zog daher zwei Paar
Goldgulden heraus und ging fo lange burch den Wald
weiter, bis fie den Weg nad dem Meere fand. Sie
flieg in eine Barke, welche gegen Loretto ging und ließ
ſich nad dem Hafen von Ricanati führen. Dort fand
- fie ein frommes und ehrbares altes Weiblein, mit ber
fie ihre armfelige Lebensweife theilte; fie hieß Iſabella
von Narne. Zwei Tage darauf fing Meffere Horatio an,
fih zu verwundern, daß Cicilia nicht zurückkehre. Er
ſchickte einen feiner Leute nach Maffa, wohin Maltrova
geſagt Hatte, daß fie auf die Hochzeit gehen wollen. - Der
Diener kehrte zurück und meldete, er fei nicht nur nicht
dorthin gegangen, ſondern es fei dort gar Feine große
Hochzeit gefeiert worden. Als Meffere Horatio bies hörte,
%
' —
182 XV. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
fing er an zu ſchreien und zu wehklagen und ben größten
Schmerz; zu heucheln und ſich und fein Unglüd zu ver-
fluchen, das ihn verleitet habe, feine Tochter einem ſolchen
Manne und Weibe anzuvertrauen. Ex ſchickte Reitende
nach allen Seiten, um zu ſehen, ob man nicht eine Spur
von Maltrova finden könne Alle Leute in der Stadt
bejammerten mit ihm einen fo unerflärlihen Vorfall,
wunberten fich aber umter fi, daß Meſſer Horatio fich
diefem Manne in einer Sache von folcher Wichtigkeit
anvertraut habe. Man mußte darüber nichts anderes zu
fagen, als, nachdem Meſſere Horatio mit Hilfe diefes
Menſchen andern taufendfah Schmach angethan, habe
Bott endlich diefen Vorfall geftattet, um zu zeigen, daß
aus böfer Handlungsmeife und aus dem Umgang mit
Böfen weiter nichts zu ernten ift, als Böſes. Die Leute,
die ausgegangen waren, um Maltrova zu fuchen, kehrten
zurüd und fagten, er fei gar nirgends zu finden, fie
haben aber gehört, ini Hafen von Ravenna fei ein Schiff
.von Kaufleuten, die nach Dtronto gejegelt fein, um
von dort nach Gonftantinopel zu fahren; fie halten es
für fiher, daß er mit biefem Schiffe entflohen fei und
Sicilia dem Großtürken bringe, indem er denke, da fie
fo ſchön fei, einen großen Gewinn daraus zu ziehen.
Meflere Horatio ſchickte nach Otronto und erfuhr, das
Schiff fei ſchon über acht Zage weggefahren. Nun ftellte
er fi als ben unglüdlichfien Vater, der ba lebe (obwol
ich glaube, daß fein Schmerz; nicht ganz nur Verftellung
war), und trauerte tief. Während dies in Imola vorfiek,
gebar Cicilia im Haufe der guten Alten einen wunbder-
fhönen Knaben, dem fie ben Namen Kinieri beilegte,
um duch den Namen ihres Kindes die Sehnſucht um
ihren Gemahl zu ‚lindern, welche fie verzehrte und bem
fie ſich doch nicht zur entbedien wagte theild wegen bed
Eides, ben fie Maltrona hatte ſchwören müffen, wm
nice wider Gott zu fünbigen, theils weil fie fürchtete,
es Tönnte ihrem Water zu Obren kommen, und er würbe
Te Se U U — — — ——
35. Rinieri und Cicilia. 183
dann ſie beide umbringen laſſen, nachdem ſie ſchon einmal
ſeine Grauſamkeit erprobt hatte. Cicilia's Schickſal ward
in der ganzen Romagna bekannt und kam auch zu Ri⸗
nieri's Ohren, welcher hoͤchſt betrübt darüber nach Imola
ging und von Naſtagia zu erfahren ſuchte, was an der
Sache ſei. Als er nun kein Mittel ſah, Cicilia wieder⸗
zufinden, nahm er den Dolch, den er an der Seite trug,
und wollte ſich erſtechen. Naſtagia aber gab es nicht zu
und überredete ihn, ſeine Frau aufzuſuchen, denn ſie ſei
verſichert, wenn er eifrig ſuche, werde er ſie finden und
einſt noch glücklich mit ihr zuſammen leben. Rinieri er⸗
griff dieſen Rath und ging, ohne weiteres Merkmal an-
zugeben, nachdem er erkundet hatte, welchen Weg Mal-
trova eingefchlagen habe, nach dieſer Richtung bin. Nach⸗
dem er lange gefucht, fand er einen Schäferfnaben, wel⸗
cher fagte,, er babe gefehen, wie einer eine junge Frau
umbringen wollte, bie er auf dem Wagen gehabt, unb
er glaube auch, er habe fie umgebracht, denn er habe
fie fpäter nicht mehr geſehen. Auf diefe Kunde war
Rinieri fo betrübt, daß es nicht zu fagen ill. Als er
weiter ging, fand er einen andern, ber ihm fagte, ber
Mann auf dem Wagen fei nebft einem alten Weibe von
Mäubern umgebracht worden, eine junge Frau habe er
aber nicht bei fich gehabt. Rinieri dachte, nun brauche
er nicht weiter zu gehen, benn er war nun überzeugt,
dag nach der Ausfage des Hirtenfnaben feine Geliebte
todt fei. Er wollte daher nad) Imola zurückkehren unb
fi) auf bemfelben Bette den Tod geben, auf welchem
fie ihre Vereinigung gefeiert hatten. Aber fiehe da,
während er biefen Gedanken nachbing, fah er einen
.. Mann kommen, welder bas Kleid anhatte, das Cieilia
trug, als Maltrova fie umbringen wollte. Rinieri er-
fannte es fogleich für baffelbe, welches das Fräulein auch
an dem Zage frug, wo er und fie ein Paar wurden.
Er fragte ihn freundlich, wo er es herhabe, und erhielt
zur Antwort, er habe es in Ravenna in einem Juden⸗
184 VI. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
laden gekauft. Rinieri bat ihn, mit ihm nach Ravenna
zurüdzulommen, umb er war es zuftieben. Sie gingen
beide nady der Stadt, der Fremde führte ihn dahin, wo
er das Kleid gekauft Hatte, und Rinieri erfuhr von dem
Juden, es habe einigen Räubern gehört, die in Ravenna
gehenkt worben fein. Rinieri begab fi zu ben Ridh-
tern und ben Rotaren bes Amtes, erforfchte, was fie
bei den Räubern gefunden und von ihnen erfahren Haben,
und biefe zeigten ihm denn unter Anderem einen Brief,
welchen fie Maltrova nebft einer Gelbfumme abgenommen.
Er hatte denfelben gleich, nachdem er Cicilia verlaffen,
gefchrieben, um ihn dem erften vertrauten Boten zu über-
geben, ben er fände; er benadhrichtigte darin Meſſere
Horatio, daß er feinem Auftrage gemäß feine Tochter
umgebracht babe. Rinieri nahm ben Brief und faufte
das Kleid zurück, mit bem feften Entſchluß Rache zu
nehmen für bie Frau, die er wie fein Leben liebte. Er
begab fi baher zu dem Präfidenten ber Romagna,
welcher gerade in Gervia war, überreichte ihm den Brief
und bat, ihm Gerechtigkeit nicht zu verfagen. Dem
Präfidenten war ber Borfall mit Gicilia bereits gemeldet
werben unb er hegte bei fich bie Überzeugung, daß ber
Bater um das ihr sugefloßene Schickſal ſicher wiffen
müſſe. Us er daher den Brief 1, verfügte er fich
alsbald nah Imola und ließ in ber folgenden Nacht
Meffere Horatio verhaften und ins Gefängniß fegen.
Am Morgen ließ er ihn vorführen und fragte ihn, was
aus feiner Tochter geworden fe. Bei diefer Frage ging
ihm ein Stich durchs Herz. Doch machte er, ſo gut er
konnte, ein heiteres Geſicht und ſagte, er wiſſe nicht
mehr davon, als die ganze Stadt. In dieſem Augen⸗
blide trat Riniert unvermuthet hinter einem Bette hervor,
wo ihn ber Prafibent hatte verbergen laſſen, trat Meffere
Horatio entgegen und zeigte ihm Cicilia's Kleid mit den
Borten: Ha, alter Schurke, kennſt du biefes Kleid?
Übergabft du nicht dem Maltrova deine Tochter in biefem
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55. Rinieri und Cicilia. 185
Aufzuge, damit .er fie umbringe? Gabft du ihm nicht
fo und fo viel Goldgulden und Kleinodien?
Er war nämlich vom Amte in Ravenna vollftändig
unterrichtet, weil die Räuber befannt hatten, welche Hab-
feligkeiten dem Maltrova abgenommen worden waren.
Sabft du fie ihm nicht, damit er dies ausführe?
sent du biefen Brief, gottlofer Menfch!
Bei diefen Worten zeigte er ihm Maltrova's Brief.
Lied ihn und du wirft fehen, graufamer Mann, daß
der verruchte Henker dein Verlangen erfüllt hat.
Der arme Alte las den Brief, fah das Kleid und
da er fich fo bis ins Einzelne den Hergang vorerzählen
hörte, wußte ex nicht, was er antworten follte, und fand
wie verfteinert, denn er konnte ſich gar nicht erflären,
wie dieſer Menſch das alles wiſſe. Da nun der Präft-
bent ſah, daß er in biefem Grabe allen Muth verloren
hatte, hielt er ihn mit Überzeugung für fchuldig und
ſprach zu ihm: Behandeln Väter ihre Töchter fo, Meffere
Horatio® Aber ihr follt fo dafür geftraft werden, daß
es euch jammern foll.
Der arme Schelm antwortete: Sa, fo machen es bie
Väter, wenn fie die Schmach nicht ertragen können, Die
ihre Töchter der Familie anthun, indem fie fih Männern
bingeben, die nicht ihre Gatten find.
Darauf erwiderte Rinieri: Nur ihrem Gatten hatte
ſich Cicilia bingegeben, Berruchter, von ihm mar fie
ſchwanger, fonft von Zeinem; und biefer bin ih. Aber
ich danke Gott, daß deine Züchtigung dich erwartet; und
nit mit einem Tode allein follteft du geftraft werden,
fondern mit zweien, wenn du zweimal fterben könnteſt,
da du mit einem Male die Tochter und ben unfchuldigen
Enkel ums Leben gebracht haft.
Da fprach Meffere Horatio zu Rinieri: Hätte ich
dich nur früher, als jegt gekannt, fo hätteſt du nicht
Zeit gefunden, mich anzuflagen; jegt aber fterbe ich nur
darum ungerne, weil du am Leben bleibft; dir aber ge=
186 XVII. Giovanni Battifta Biraldi Eintic.
bührte eine weit größere Strafe, als mir, weil bu die
erfte Urfache des ganzen Unheils bifl. Unb der Herr
Praͤſident Handelt unrecht, wenn er dich nicht züchtigt
und dich lehrt, den Bätern freie Hand zu laffen in Ver⸗
heirathung ihrer Töchter.
Die Ehen find frei, Meflere Horatio, antwortete der
Praͤſident, und wenn die Töchter fi) nach ihrem Wunſche
verheirathen, darf man fie deshalb nicht umbringen.
Nach diefen Worten ließ er Meſſere Horatio wieder
ins Gefängnif bringen unter forgfältige Bewachung und
zeigte dem Papfte an, wie die Sache ſtehe. Dieſer ſchrieb
ihm zurüd, er folle ihm ihn nach Rom fchiden. Der
Drafident ſchickte ihn bin, der Papft ließ ihn fogleich
verhören unb fand ihn zweier Tode fhuldig, darum wurde
er verurtheilt, geköpft zu werden, nicht fowol, um ihn
für die Ausführung bes Todes zu beftrafen, als weil er
jenen Mörber mit Geld zu einer fo verbrecherifchen That
bewogen hatte, damit er ein abfchrediend Beifpiel würbe
für die Welt und zeigte, welche Strafe diejenigen ver-
dienen, bie ſolche Böſewichte zum Morde anderer, nament-
lich der eigenen Angehörigen mit Mingender Münze Dingen.
Meffere Horatio war, wie wir geſagt haben, in feiner
Heimat ein Mann von edlem Haufe und großem Ver⸗
mögen; beshalb Hatte er auch einen weiten Ruf, und er
war nicht fo bald zum Tode verurtheilt, als ſich das
Gerücht davon da⸗ und borthin verbreitete. So kam «8
auch nach Recanati zu Cicilia's Ohren, Diefe Nachricht
berührte fie ſchmerzlich, und fo fehr fie Rinieti liebte,
fo Börte fie doch mit großem Misfallen, daß er es ge-
weien fei, der ihren Vater zum Tode gebracht babe.
Sie beſchloß daher, ihn zu retten, unb meinte, den Eid,
den fie dem Maltrova habe leiſten müffen, ſich nicht zu
offenbaren, dürfe fie unter ſolchen Umftänden wol brechen
und fie fönne das thun, ohne Gott zu verlegen. Daher
nahm fie Abſchied von der guten Alten, machte fi) mit
ihrem Söhnchen auf den Weg und langte gerade an
55. Rinieri und Cicilia. 187
dem Tage in Rom an, wo Meffere Horatio zur Nicht»
ftätte geführt wurde. As Cicilia auf den Platz Fam,
wo das Zobesurtheil vollzogen werben follte, und ben
Henker fah mit dem Schwert in der Hand, bereit ihm
den Kopf abzufchlagen, da drängte fie fich gewaltig Durch
das Volk und fing an zu fchreien, was fie fonnte: Halt
ein mit deinem Schwert, halt ein mit deinem Schwert,
Scherge! Der mwadere Mann hat den Zod nicht ver-
dient, denn fie lebt fammet ihrem Kinde, um derenmwillen
er zu diefem graufamen Tode verurtheilt wurde.
Alles anweſende Volk wandte feine Blicke nad) dieſem
Schreien und fah die junge Frau mit dem Knäblein im
Arme, das war das fchönfte Kind, das je ein flerbliches
Auge erblidte, und wegen des Mitleids, das alle mit
Meſſere Horatio hatten, ließ man bie Hinrichtung nicht
vollziehen, denn man dachte, es Tonne die Tochter bes
Edelmanns fein. Cicilia kam mit ihrem Söhnchen im
Arme auf das Schafott, wo der Unglüdliche Eniete mit
auf den Rüden gebundenen Händen, den töbtlichen Schlag
erwartend. Sie fiel ihrem Vater um den Hals und rief:
Ach, liebfter Vater, feht hier eure unglüdliche Tochter,
die Gott fei Dank noch lebt und die euch in fo großer
Noth auch das Leben bringt, gänzlich vergeffend, daß ihr
fie dem verruchten Maltrova übergeben habt, um fie zu
ermorden. Seht hier bei ihr euren Enkel, um defien-
willen euch auch mit ein fo fehlimmes Loos getroffen hat.
Verzeiht mir, lieber Vater, wenn ich euch beleidigt habe,
und nehmt von mir euer Leben an!
Bei diefen Worten fühlte ſich ihre Vater feine Em-
pfindungen fo das Herz beflemmen, daß er keine Sylbe
hervorbrachte. Er weinte vor Rührung und hätte feine
Tochter gerne umarmt und ihr das liebe Kind abgenommen,
wenn dem Armen nicht bie Hände gebunden geiwefen wären.
Rinieri, welcher dabei war, um dem Schwiegervater ben
Kopf abfchlagen zu fehen, und feine Frau lebendig und
mit dem wunderſchoͤnen Söhnlein auf ben Armen erblickte,
188 XVIN. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
erkannte fie fogleih. Wie naͤrriſch lief er auf fie zu,
umarmte fie vor allem Volk nebft dem Kinde und auch
fie umarmte ihn. Daraus erkannte denn jedermann, daß
es die Tochter des Meffere Horatio und daß der Jüng-
ling ihr Gatte war. So kamen aus Freude und Mit-
gefühl allen die Thränen in bie Augen. Der Gerichts-
hauptmann that dem Papfte den Vorfall zu wiſſen, der
denn höchlich verwundert Meffere Horatio und bie andern
vor fih führen, ſich alles Einzelne genau erzählen ließ
und Gott Iobte, daß bie junge Frau fo zeitig eingetroffen
fi. Er tadelte die Tochter, daß fie ohne Wiffen ihres
Vaters ſich vermählt habe, und Meffere Horatio, daß
er barum fie hatte ans Meffer liefern wollen. Am fol-
genden Tag aber ließ er ein Boftbares Mahl bereiten und
die umter den zwei Liebenden heimlich gefchloffene Ehe
von neuem in feiner Anweſenheit feierlich einfegnen nach
vorgängiger Zuftimmung bes Vaters. Diefer lief feiner
Tochter und feinem Enkel all fein Vermögen ald Erbgut
und ging, ber Welt fatt, in ein Mönchskloſter, wo er
fein Leben fromm beſchloß. Rinieri aber Iebte mit Cicilia
fortwährend in glüdlicher Eintracht und beide dankten
Gott, daß er fie nad folder Bekümmerniß für fo große
Wonne aufgeſpart.
56. Delio und Dafne.
. 1.)
In der Stadt Ferrara, die zwar vielen andern
Städten Italiens an Alter, keiner einzigen aber an in-
nerem Werthe und Berühmtheit nachſteht, theild wegen
der Milde und Gerechtigkeit ihrer Beherrſcher, theils
wegen der Schönheit ihrer Lage, der Pracht ihrer Palafte,
56. Delio und Dafne. 189
der Fruchtbarkeit des Landes, der Tugenden und Fähig-
feiten der audgezeichneten Geifter, bie in ihr blühten,
Iebte ein Jüngling Namens Delio, von ebler Familie
und von guter Erziehung, ber, als er kaum fieben Jahre
alt war, anfing, in dem Haufe eines Meffer Gianni
Mazzo, das ber Wohnung feines Vaters fehräg gegen-
über lag, vertraut aus⸗ und einzugehen. Es hatte diefer
Edelmann eine reizende anmuthige Tochter, von vierzehn
Jahren, die, ich weiß nicht, ob wegen ihres eigentlichen
Namens, ober wegen der befondern Meize, die man an
ihr wahrnahm, von ihren Hausgenofien und der ganzen
Nahbarfchaft Dafne genannt wurde. So oft nun Delio
mit diefer Jungfrau ſprach, fcherzte fie mit ihm, ange.
fehen, daß er ein fehr artiger Knabe war, liebkoſte ihn
nad Mäbdchenweife und fragte ihn um dies und das.
Delio, der noch in zu frühem Alter ſtand, um das Feuer
ber Liebe in feiner Bruft aufzunehmen, blieb aber doch
immer gern bei ihr, fcherzte gerne mit ihr, und wenn
es einmal vorkam, daß bie Jungfrau ihn in die Arme
nahm, fo meinte er eines Vorſchmacks der Himmels⸗
freuden theilhaftig zu fein. Während folchergeftalt diefer
Liebeshandel feinen Fortgang hatte, wuchs Delio zu dem
Alter von vierzehn Jahren heran, und ward aus dem
.tindifhen Wohlgefallen, das er an Dafne und ihrer
Gegenwart empfand, in feinem Herzen allmälig eine fo
ftarfe Leidenfchaft, daB es vor Frankhafter Sehnſucht
nirgends mehr Ruhe fand, als bei ihr. Er liebte und
befuchte fie häufiger und heftiger, ald zuvor, und Dafne
ging es ebenfo, denn fie war für ihn entbrannt, fo gut
als er für fie. Die beiden jungen Leute hielten nun
zwar das Feuer in ihrer Bruſt verfchloffen, aber doch
merkten ed die beiberfeitigen Eltern. Deshalb wurde das
Mädchen von den Ihrigen forgfältiger, als bisher, gehüter,
Delio aber fortan verboten, fie zu befuchen; und dies ge-
ſchah nicht allein von Seiten des Mädchens, fondern auch
von Seiten Delio’s. Denn fo wie Delio's Eltern fürch
56. Delio und Dafne. 191
fein Befinden merklich befferten. Er ließ fich von feinem
Heinen Bruder Schreibzeug reichen, und dankte fo gut er
fonnte in einem zärtlichen Briefe, den er mit zitternder
Hand ſchrieb, dem Mädchen aufrichtig dafür, daß fie
duch ihren Gruß und das Geſchenk diefer fehönen Blu»
men ihn wieder zum Leben geweckt babe; und in Erman-
gelung eined zuverläffigeren Boten gab er ben Brief eben
wieder dem Kinde zur Beftellung an das Mädchen. Er
batte dem Kleinen allerbings eingefchärft, den Brief nie-
manden zu übergeben, als ihr." Das Schidfal wollte
aber Delio auch in diefen geringen Troſt fein Gift mifchen,
denn das unbefangene Kind trat zu dem Mädchen in das
Zimmer, . worin fie mit ihrer Mutter ſaß, hielt ihr den
Heinen Zettel bin und fagte: Nehmt, das fendet euch
mein Bruder.
Die Jungfrau ward an ber Geite ihrer Mutter
feuerroth im Gefiht und wollte den Brief nicht nehmen.
Als die Mutter dies fah, nahm fie ihn, las ihn, und
da fie fah, woher er kam und was fein Inhalt war,
erhob fie einen großen Lärm gegen ihre Tochter, zerriß
ihn in deren Gegenwart, fchalt den Knaben, der ihn ihr
gebracht hatte, heftig aus und hätte ihn beinahe mit .
Schlägen fortgejagt. Der Eleine Knabe lief zu feinem
Bruder zurüd, fagte ihm indefien kein Wort von dem
erlittenen Ungemach, weil ihn feine erfte Unachtfamteit
behutfam gemacht hatte, Feine zweite zu begeben, und
binterbrachte ihm im Gegentheile, Dafne habe den Brief
mit Zreuben empfangen und empfehle fich feinem An-
denken. Uber diefe Nachricht war Delio fo ſehr erfreut,
daß er in kurzem feine Gefundheit wiebergewann. Und
von dem Verlangen getrieben, die Sungfrau, in der feine
Seele lebte, wieberzufehen, ließ er fich feine völlige Her⸗
ſtellung felbft fo angelegen fein, daß er in wenigen Tagen
im Stande war, auszugehen und zu fpähen, ob er feine
Geliebte erblicke. Indem er nun nach diefem Troſte firebte,
fiehe da kam von Dafne abgefandt ihre Amme auf ihn zu
1923 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
und erzäblte ibm, was durch die Unbebachtfamkeit bes
Knaben vorgefallen fei und wie Dafne aus diefem Grunde
in fo ftrengem Gewahrſam gehalten werde, daß fie noch
nicht einmal fo viele Freiheit gehabt habe, die Feder zu
ergreifen, um ihm ihre Betrübniß fchriftlich zu ſchildern.
Es läßt ſich nicht fagen, wie empfindlich ben Züngling
diefe Botſchaft traf. Da ihm jeder perfönliche Umgang
mit feiner Geliebten benommen blieb, fo verabrebete er
mit ber Amme, ihr zu fchreiben und fich brieflih das
mitzutheilen, was fie bei der Hut, unter welcher bie
Jungfrau fland, einander nicht erzählen konnten. In⸗
dem fie nun fo in geheimem brieflihen Verkehr ihre
Liebesglutben hegten, ging eine geraume Zeit hin; und
bei fo großem Misgeſchick ſchien es ihnen eine große
Erquickung in ihrer Qual, wenn fie Briefe von einanber
lefen durften. Unterbefien hatte Meffer Gianni bie voll-
ftändige Gewißheit erlangt, Delio's Vater hege durchaus
nicht die Abſicht, Dafne mit feinem Sohne zu verhei- -
rathen. Da diefe nun bereits einundzwanzig Jahre alt
geworden war, befchloß er, fie fogleich einem andern zur
Frau zu geben. Er ſprach daher hierüber mit feiner Tochter
und fegte ihr mit vielen Gründen auseinander, fie könne
unmöglich länger fo bleiben, wie fie fei; er habe ihr ſchon
einen ihrer würbigen Gatten auserfehen. Vater und Tochter
hatten über diefen Gegenftand ein langes Zwiegefprädh,
bei deffen Ende das Mädchen dem Vater die Bitte vor-
trug, er möge ihr geflatten, noch eine Zeit lang bei ihm
zu bleiben. Er erwiderte ihr aber, fie fei nicht dazu ge⸗
boren, ihr ganzes Leben im elterlichen Haufe zuzubringen,
und bei reiflihem Nachdenken, werbe fie gewiß einfehen,
daß er blos auf ihr eigenes Beſte Bebacht nehme. So
verließ ihn Dafne, das Herz mit bitterem Leidweſen er-
füllt, und, fuchte ihre Amme auf, bei der fie fidh heftig
über die Außerungen ihres Waters beklagte. Die Amme
tröftete fie fo gut fie vermochte, indem fie ihr den Nach
gab, in einem warmen und liebevollen Briefe Delio alles
56, Delio und Dafne. 193
mitzutheilen, was ihr Water gefagt hatte. Und fo ſchrieb
fie ihm denn und bat ihn inftändig, da fie all ihr Glück
auf ihn fege, möge er nicht zugeben, daß fie, um auf
immer alle Freude zu verlieren, in die Hände eines an⸗
‚dern Tomme, was, wenn er fie liebe, wie er ihr immer
verfichert habe, ihm nur zum größten Leidweſen gereichen
müßte. Die Amme überbrachte dem Jüngling den Brief
und fügte zu Dafne's feurigen Worten noch felbft alles
Dasjenige hinzu, was ihr geeignet fchien, das Gemüth
des Jünglings zu bewegen, auf die ehrbaren Wünfche
Dafne’s, die fie gefäugt und auferzogen hatte, einzugehen.
Doch bedurfte es dazu nicht vieler Worte, denn Delio
war nur allzufehr eben dazu geneigt. Er las den Brief
der Geliebten, hörte die Worte ber Amme an und er-
widerte, Dafne fei feine Seele, ohne fie gebe es für ihn
fein Gut auf Erden, und er hätte wol gewünfcht, daß
ed dem Himmel gefallen haben möge, daß auch fein
Vater fo gefinnt fei, denn er würde dann nicht gewartet
haben, bis ihm von ihre Briefe und Botfchaften zuge
fommen wären, die ihn: dazu ermunterten, wornach über
Alles in der Welt feine Sehnfucht ftehe. Da die Dinge
nun aber gegenwärtig fo weit gelommen feien, wie er
fie erblidde, fo werde er nicht unterlaffen, alles Mögliche
zur Erfüllung ihrer beiderfeitigen Wünfche zu thun. Die
Amme hatte ihn auch kaum verlaffen, als der tief nieder
geſchlagene Delio einen feiner Verwandten, der bei feinem
Bater in großem Anſehen ftand, in fein Vertrauen 309
und ihn bat, allen feinen Einfluß bei feinem Vater auf
zubieten, daß, nachdem er fi Dafne zur Ruhe feines
Lebens ermählt, derfelbe ihn nicht ihrer beraube, denn er
würde fein Leben lang dadurch unglücklich werden. Der
wackere Mann empfand Mitleid mit dem ZJüngling und
ging. zu dem Vater, dem er mit aller möglichen Ein⸗
dringlichkeit auseinanderfegte, mas ihm Delio ſelbſt vor-
geftellt Hatte, und alle Gründe zu bedenken gab, bie
er für dienlih erachtete, um die Wünſche des Sohnes
Italianiſcher Novellenſchatz. 1. 9
es
nichſten Witten, die er wußte, um feine Wunſche durch⸗
zufegen. Der Bater hörte ihm ganz freundlich zu und
nachdem jener fertig war, begann er mit halb finflerem
halb heiterem Gefichte alfo: Lieber Sohn, ich habe fehr
wohl deine Wünſche verftanden; fie würden bir aber nicht
fo verfhändig vorkommen, wie du jett meinft, wäre bir
erſt eine weitere Einſicht in die Folgen gegoͤnnt, weiche
biefe deine jugendliche Lüſternheit zulegt nach fich ziehen
muß, und die gerade das Gegenteil beffen find, mas
die als dein höchſtes Wohl erfcheinen mag. Denn ab-
gefehen. davon, daß bein gegenwärtiges Miter vielmehr
ein Eindifches, als ein zur Che taugliches zu nenncn iſt,
und daß deine bereits aufs Beſte eingeleiteten Studien,
zu einem glücklichen Ausgange gefördert, bir einen guten
Muf verfhaffen und eine Frau von ganz anderem Stande
verdienen Tonnen, als du jegt verlangſt, gehe ich zu
56. Defio und Dafne. 195
deiner Äußerung über, biefe Jungfrau fei deine Ruhe
und Zufriedenheit, fo muß ih dir fagen, mwofern bem
alfo wäre, folltsft du gewiß und wahrhaftig nicht nöthig
haben, mich mit Bitten zu beftürmen, daß ich fie dir
zur Frau gebe. Uber eben weil ich klar fehe, mas beine
thörichte Begierde dich nicht. fehen läßt, weil fie dir das
Auge bes Geiſtes geblendet hat, erkläre ich bir, erkoͤreſt
du Dafne zu beinem Weibe, .fo wäre es eben nichts
anderes, als trauteft du dir eine ewige Plagean. Deun
betrachten wir zuvörderſt die Beſchaffenheit dieſer Jung⸗
frau, ſo iſt es ein hoͤchſt unnatürlicher und ungewöhn-
kicher Fall, daß du dich in Kiebe zu ihr entzünden mochteft,
während du faum bein funfzehntes Jahr erreicht Haft,
fie aber eind weniger als zweiundzwanzig alt iſt; fobaf
bei dem erften Sohne, ben fie bir gebären würbe, ganz
unzweifelhaft der Umſtand einträte, daß fie vielmehr deiner
Mutter, ald deiner Gattin ähnlich fähe; und wenn fie
gar erft mehr als Ein Kind von dir hätte, würde fie fo
weit werden, daß fie dir felbft unkenntlich würde und
mit der nächſten Zeit nach der Sättigung deiner jugend»
lichen Lüfte dir fürwahr fo läftig fiele, daß du fie ungern
dir entgegenfonmen fähelt. Ich felbft, mein lieber Sohn,
nahm in meinem fünfundoierzigften Sabre deine Mutter
zur Frau, die damals noch nicht in ihrem arhtzehnten
Jahre fand, und mir will es ſcheinen, ich habe bies zur
rechten Zeit gethan und als wäre fie eben alt genug für
mid. Run bedenke du wohl, mas aus bir merben würde,
wenn bu in diefem beinem zarten Alter diefes Mädchen
nähmeft. Nächſtdem nimmt man eine Frau zur Mube
und Bequemlichkeit des Hausweſens; du weißt nun, wie
wenig Dafne deiner Mutter behagt und mohlgefällt, und
begreifft leicht, daß von zwei umvermeiblihen Dingen
nothwendig eines gefchehen müßte, märe fie deine Frau:
entweder gäbe es zwiſchen Schnur und Schwiegermutter
ſtets Mishelligkeiten und’ Zwift, eine Sade, bie in bem
zwiſchen deiner Mutter und mir obwaltenden Frieden
9%
186 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio.
bührte eine weit größere Strafe, als mir, weil bu bie
erfie Urfache des ganzen Unheil bifl. Und der Herr
Präfident handelt unrecht, wenn er bich nicht züchtigt
und dich Iehrt, ben Bätern freie Hand zu laſſen in Ver⸗
heirathung ihrer Töchter.
Die Ehen find frei, Meſſere Horatio, antwortete der
Praͤſident, und wenn die Töchter fich nach ihrem Wunfche
verheiratben, darf man fie deshalb nicht umbringen.
Nach diefen Worten ließ er Meſſere Horatio wieder
ins Gefängnif bringen unter forsfältige Bewachung und
zeigte dem Papfte an, wie die Sache fiehe. Diefer fchrieb
ihm zurüd, er folle ihm ihn nach Rom fchiden. Der
Drafident ſchickte ihn bin, der Papſt ließ ihn fogleich
verhören unb fand ihn zweier Tode ſchuldig, darum wurde
er verurtheilt, geföpft zu werben, nicht fowol, um ihn
für die Ausführung bes Tobes zu beftrafen, als weil er
jenen Mörder mit Geld zu einer fo verbrecherifchen That
bewogen hatte, damit er ein abfchreddend Beifpiel würde
für die Welt und zeigte, welche Strafe diejenigen ver-
dienen, bie ſolche Bofewichte zum Morde anderer, nament-
lich der eigenen Angehörigen mit klingender Münze bingen.
Mefjere Horatio war, wie wir gefagt haben, in feiner
Heimat ein Mann von edlem Haufe und großem Ver⸗
mögen; beshalb hatte er auch einen weiten Ruf, und er
war nicht fo bald zum Tode verurtheilt, als ſich das
Gerücht davon da= und dorthin verbreitete. So kam es
auch nach Recanati zu Cicilia's Ohren. Diefe Nachricht -
berührte fie fchmerzlih, und fo fehr fie Minieri liebte,
fo börte fie doch mit großem Misfallen, daß er es ge-
weien fei, ber ihren Mater zum Tode gebracht habe.
Sie beſchloß daher, ihn zu retten, und meinte, den Eib,
ben fie bem Maltrova habe leiſten müffen, ſich nicht zu
offenbaren, dürfe fie unter folchen Umftänden wol brechen
und fie könne das thun, ohne Gott zu verlegen. Daher
nahm fie Abſchied von der guten Alten, machte ſich mit
ihrem Söhnchen auf den Weg und langte gerade an
55. Rinieri und Cicilia. 187
bem Tage in Rom an, mo Meſſere Horatio zur Richt
ftätte geführt wurde. Als Cicilia auf ben Platz kam,
wo das Todesurtheil vollzogen werden ſollte, und den
Henker ſah mit dem Schwert in der Hand, bereit ihm
den Kopf abzuſchlagen, ba drängte fie ſich gewaltig durch
das Volt und fing an zu fihreien, was fie fonnte: Halt
ein mit deinem Schwert, halt ein mit beinem Schwert,
Scherge! Der mwadere Mann hat den Zob nicht ver-
dient, denn fie lebt fammt ihrem Kinde, um berenwillen
er zu diefem graufamen Tode verurtheilt wurde.
Alles anmefende Volt wandte feine Blicke nad; diefem
Schreien und fah die junge Frau mit dem Snäblein im
Arme, das war das fchönfte Kind, das je ein fterbliches
Auge erblidte, und wegen bes Mitleibs, das alle mit
Meſſere Horatio hatten, ließ man die Hinrichtung nicht
vollziehen, denn man dachte, es Tonne bie Tochter bes
Edelmanns fein. Cicilia fam mit ihrem Söhnden im
Arme auf das Schafott, mo ber Unglüdliche Eniete mit
auf ben Rüden gebundenen Händen, ben töbtlichen Schlag
erwartend. Sie fiel ihrem Vater um ben Hals und rief:
Ah, liebfter Vater, feht bier eure unglückliche Zochter,
die Gott fei Dank noch lebt und die euch in fo großer
Noth auch das Leben bringt, gänzlich vergeſſend, daß ihr
fie dem verruchten Maltrova übergeben habt, um fie zu
ermorden. Seht hier bei ihr euren Enkel, um deſſen⸗
willen euch auch mit ein fo fchlimmes Loos getroffen hat.
Verzeiht mir, lieber Vater, wenn ich euch beleidigt habe,
und nehmt von mir euer Leben an!
Bei diefen Worten fühlte fih ihr Vater feine Em-
pfindungen fo das Herz beflemmen, baf er keine Syibe
hervorbrachte. Er weinte vor Rührung und hätte feine
Tochter gerne umarmt und ihr das liebe Kind abgenommen,
wenn dem Armen nicht die Hände gebunden geweſen wären.
Ninieri, welcher dabei war, um dem Schwiegervater ben
Kopf abfchlagen zu fehen, und feine Frau lebendig und
mit dem munderfhönen Söhnlein auf den Armen erblickte,
198 xVIIL Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Zeit ſuchte eine ſchwere grauſame Peſt nicht nur die
Stadt Ferrara, ſondern ganz Italien heim, und ed er»
folgte aus ihre an allen Orten unter den Menfchen eine
fo große Sterblichkeit, daß es ein Graus und Entfegen
war, in ben von Kranken und unfeligen Leichen ganz
überfüllten Städten zu fein. Auch Meffere Chriſtofano's
Haus blieb damals von ber verberblichen Seuche nicht
unverfhont, und obgleih er fi auf das Land begab
und alle Borkehrungen und Arzeneien anmandte zur
Heilung ber Kranken und Bewahrung der Gefunden,
vermochte er doch weber ſich noch feine Frau noch alle
feine Kinder vom Tode zu errettn. Auch Delio wurde
von der Krankheit ergriffen, aber kam durch Gottes
Gnade glücklich davon. Wie er nun eben nad Ferrara
zurückkehrte und an das Thor der Stadt gelommen war,
erblidte ex Dafne’s Pe bie er ſogleich befragte, wie
es um ihre Herrin fl
2) web, Delio, uf fie, e8 geht fo gar fihlimm mit
ihr, daß es mir das Herz zerbricht. Die Peftilenz ift
in ihrem Hauſe ausgebrochen, ihr Wann ift entflohen
und bat fie ganz allein und hilflos zurüdgelaffen.
Auf diefe Worte warf ber von Mitleid mit ber Fran
tief ergriffene Jüngling alle Rüdfiht auf Todesgefahr
beifet, die er felbft mit feiner Familie jüngft erft über-
fanden hatte, und ebenfo ben Gchauber vor den Todes⸗
fällen der Seinigen, die er mit angefehen, Dafne's Er⸗
rettung ging ihm feiner eigenen und allem Anbdern vor
und er eilte an ihr Haus. Nachdem er an die Thyüre
gehiopft, erſchien Dafne, welche allein im Haufe war,
und meinte, wie fie Delio wahrnahm, einen
Engel des Himmels zu fehen, der gefandt fei, ihr im
ihrem Elende hilfreich beizuſtehen. Vom Fenſter aus
ſprach ſie weinend zu ihm: Es iſt ſo gekommen, Delio,
wie ich immer meinte, daß es kommen mäfje, wenn ich
wicht dich zum Manu erhielte, daß ich naͤmlich die elen⸗
defte unglüdlichfte Frau geworden bin, bie auf Erben lebt.
56. Delio und Dafne. 209
Denn ich Arme erfahre jegt zu meinem unfäglichen Schmerz,
daß es noch anderer Dinge bedarf, als Ringe und goldener
Ketten, um die Gattin dem Gatten in Liebe zu verbinden.
Sobald mein Mann die Gewißheit erfehen hatte, baf
fein Haus von der Krankheit angeftedit war, floh er von
dannen, und ließ mich hier ohne Hoffnung auf Unterflügung
unter Zod und Graus allein.
Hierauf erwiderte ihr Delio, von unfäglidem Mit:
leid ergriffen: So lange ich lebe, Dafne, fol man nicht
fagen, daß ihr verlaffen geweſen ſeid; benn das Schiefal
bat mich mehr, als mir lieb ift, gelehrt, Mitleid mit den
Bedrängten zu haben, und fo follt ihr denn auch von
mir Alles erhalten, was ihr braucht.
Dafne dankte ihm und legte ihm vor Allem ihre
Ehre ans Herz. Er gab ihr, darauf fein Wort, das er
noch mit einem Eide bekräftigte, und bat fie, ihm ihre
Thüre zu öffnen, damit er zu ihr hinauflommen könne.
Ih will nit, fagte Dafne, daß du heraufkommſt,
ih komme vielmehr zu dir hinab.
Bei diefen Worten zog fie das Geil und machte die
Thüre auf, Delio trat in die Hausflur und bie Unglück⸗
liche fing an die Treppen herunterzufteigen. Doch weld
ein Unfall, der auch das haͤrteſte Herz rühren Fönnte,
begab fih da! Die unglüdliche Dafne hatte faft ſchon
die unterfte Treppenſtufe erreicht, als eine Ohnmacht fie
anmwandelte. Ob ihr bie plögliche. Freude über den Anr
blick Delio's, der in ihrer größten Noth zu ihrer Hilfe
herbeieilte, die Adern erweitert und alles Blut nad ihrem
Derzen gedrängt, oder ob ein Funke ber Peft ihre edleren
Zebenötheile in der Aufregung ihres Blutes mit größerer
Gewalt ergriffen haben mochte, bleibt ungewiß: wie tobt
fan? fie bin und konnte fich nicht bewegen. Als Delid
Died bemerkte, ging er ihr mit offenen Armen entgegen
und fagte zu ihr: O weh, meine theuerfle Seele, was
ift mit euch?
Dafne, deren Geift faft ſchon ihren Körper verlaffen
300 XVII Giovanni Battiſta Gitaldi Eintio.
hatte, antwortete nichts; aber fie wendete ihre vom Tode
gebrochenen Augen nad) ihm, als flehte fie mit jammer«
vollem Blide um Hilfe Delio legte fie auf ein Bett
nieder, das in einer Stube im Erdgefchoffe ftand, Löfte
ihr vorn das Kleid auf, jammerte und weinte bitterlich
und verfuchte die ſchon entflohenen Lebensgeifter zu ihrem
Dienfte zurüdzurufen. Als er ſich aber am Ende über-
zeugen mußte, baß fie tobt fei, forengten Wehklagen
gewaltfam feine Zunge und er rief aus, indem er ihren
Körper feft mit feinen Armen umſchloß: Welch über-
graufans Geſchick, Dafne, zwingt mich jegt, ba ich dem
de dich zu entreißen hoffte, dich tobt in meine Arme
fallen zu ſehen? Warum hat mich der Himmel für
ſolche Unglüdfeligkeit erhalten? Warum hat er mid
nicht lieber mit den Meinigen zugleich fterben lafſen?
Barum laͤßt er mich dich alfo vor mir fehen, wie ich
Dich jegt ſehe?
Er umarnıte fie und brüdte fie an fi und Eonnte
nicht aufhören zu meinen und zu Magen. Zulegt jedoch
ermannte er ſich aus feinem Schmerz und fprah: Da
ih nun, mein füßes Herz, nichts mehr für di zu thun
fähig bin, fo Liegt mir in diefem Außerfien nur noch die
legte Pflicht gegen dich nach Kräften zu erfüllen ob; ich
will forgen, daß diefe Glieder, einft die würbige Herberge
beiner edeln Seele eine fo würbige Beftattung finden, als
die gegenwärtigen Zeitumftände irgend geftatten, eine an«
gemeffene Ehrenbezeugung aber behalte ich mir für beffere
erhältniffe vor.
Nah biefen Worten Eleidete er die Geliebte in ein
ſchneeweißes Gewand, und da er in einem Fenfter einen
Ah mit blühenden rothen Nelken hatte ftehen fehen,
brach er zwei der fchönften ab, und ftedte fie der Ge-
florbenen an ben Bufen mit ben Worten: Nimm dieſe
Blumen, meine Freundin, an beine einft fo fehone wie
getreue Bruft, zum Zeugniß des herben Andentens, das
mir, fo lange ich lebe, von bir bleiben fol.
57. Dee Mohr von Benedig. 201
Hiernach ließ er fie vorläufig in einem ganz ausge
pichten Sarge beerdigen, bis die Verhältniffe ihm ge-
flatten würden, fie wieder audgraben zu laſſen. Nach
Berlauf eines Jahres aber lieh er fie dem Kaſten ent-
nehmen und in die Gruft feiner Ahnen beifegen, mohin
auch er dereinft feinen Leib beftattet haben wollte, damit
bis zum jüngften Tage feine Gebeine mit den ihrigen
vereinigt blieben und auf den Pofaunenruf des Engels
neues Fleiſch annähmen und in unauflöslicher Gemein-
fhaft der Seligkeit des Himmels ſich erfreuten. Wun-
derbar genug waren bie beiden Nelken, die Delio an
den Buſen Dafne's geſteckt hatte, unter dem Staube
und unter dem Gebeine, das er aus dem Sarge hob,
fo frifh und blühend geblieben, wie damals, als er fie
dahin brachte. Als Delio die bemerkte, nahm er fie
- hinweg und erhielt ihnen ihr Anfehen fo lange es mög-
ih war; darnach legte ex fie zu feinen theuerften Sachen,
“und darunter verwahrt er fie noch jegt, fomwie das un-
verlöfchliche Bild feiner innig geliebten Dafne ewig frifch
in feinem Herzen lebt.
— — — — —
57. Der Mohr von Venedig.
(3, 7.)
In Venedig lebte vor Zeiten ein fehr tapferer Mohr,
deffen flreitbarer Arm fomol, als die große Klugheit und
GSeifteögegenwart, die er in Kriegsfachen bewieſen hatte,
ihn den Herren jener Stadt fehr werth machten, die
immer in Belohnung vorzüglicher Handlungen alle Re-
publiten der Welt übertroffen hat. Nun begab es ſich,
dag ein tugendreiches Fräulein von wunderbarer Schön-
heit, Disdemona genannt, nicht von weiblichen Begierden,
- 9**
pp} XVII. Siovanni Battiſta Giraldi Eintio.
fondern von den Tugenden dieſes Mohren angezogen warb,
fih in ihn zu verlieben, während er, von der Schönheit
und der edein Gefinnung der Dame befiegt, gleichfalls
für fie entbrannte. Die Liebe war ihnen fo günftig, daß
fie ſich beide durch die Ehe verbanden, obgleich die Eitern
bes Fraͤuleins alle ihre Kräfte aufboten, um fie zu ver⸗
mögen, einen andern Dann zu nehmen; und fo lange
fie in Venedig blieben, lebten fie beide in folher Ein-
tracht und Zufriedenheit zufammen, daß nie auch nur
ein unzärtliches Wort unter ihnen vorfiel. Unterbeffen
geſchah es, daß die Herren von Venedig ihre Kriege-
mannfchaft ablöften, die fie in Cypern zu halten pflegen,
und den Mohren zum Anführer bes Heeres wählten,
welches fie dahin ſchickten. So vergnügt diefer audy über
die ihm gewordene Ehre war, denn eine Ehrenftelle diefer
Art wird gewöhnlich nur Männern übertragen, bie fidh
duch Adel, Tapferkeit, Treue und ausgezeichnete Ver⸗
dienfte empfehlen, fo verminderte doch ber Gedanke an
die Länge und Befchwerlichkeit der Reife, welche feine
Disdemona fcheuen möchte, biefe Freude um kein Ge-
ringed. Sie aber, die außer dem Mohren fein Glüd
auf der Welt kannte und über die Achtung, die eine fo
mächtige und edle Republik ihrem Mann bezeugte, fehr
erfreut war, konnte die Stunde kaum erwarten, in ber
ihr Gemahl mit feinen Leuten die Reife antreten und
fie ihn auf einen fo ehrenvollen Poften begleiten würde;
aber es betrübte fie fehr, ihren Gatten misftimmt zu
fehben. Da ihr die Urfache unbekannt war, fprady fie
eined Tages bei Tifche zu ihm: Wie kommt es, daß ihr
fo ſchwermüthig feid, da euch doch der Staat ein fo
ehrenvolle® Amt übertragen hat? Ä
Der Mohr antwortete Disdemonen: Die Liebe zu
die trübt die Freude über die Ehre, die mir gefchieht,
denn ich fehe, daß nothwendig eins von zwei Dingen
gefchehen muß, entweder daß ich dich mit mir den Ge-
fahren des Meeres ausfege, oder daß ich dich, in Venedig
57. Der Mohr von Venedig. 208
zurüdfaffe, um bir diefe Unannehmlichleit zu erfparen.
Das erfte würde mir fehr ſchwer anfonımen, weil jedes
Leiden, das dir widerführe, und jede Gefahr, die wir
zu überfiehen hätten, mir ben äußerſten Kummer verur
fachen würde; das andere, dich hier zu laffen, würde
mich mir felbft unerträglic machen, weil ich von dir
ſcheidend zugleich von meinem Leben ſchiede.
Als Disdemona ihn ſo reden hoͤrte, ſprach fie: Ei,
lieber Mann, was ſind das für Gedanken, die euch durch
den Sinn gehen? Wie könnt ihr euch ſolcher Dinge halb
beunruhigen? Ich folge euch gern aller Wege, wohin
ihr geht, und müßte ich im Hemd durchs Feuer gehen,
ſowie ich jegt mit euch in einem ſichern wohl bewahrten
Schiffe durchs Maffer gehen fol. Gibt es dabei auch
Gefahren und Leiden, fo werde ich fie freudig mit euch
theilen und ich würde mich für fehr wenig von euch ge⸗
liebt halten, wolltet ihr mich nicht mit euch über das
Meer führen und mih in Venedig laſſen, als ob ich
mich hier ſicherer glaubte, als wenn ich mit euch dieſelbe
Gefahr beſtehe. Darum ſchickt euch von meinetwegen nur
mit all der Heiterkeit zur Reiſe an, welche euer jetziger
hoher Rang verdient!
Hierauf ſchlang der hocherfreute Mohr die Arme um
ben Hals der Gattin und ſagte zu ihr mit einem zärt⸗
lichen Kuffe: Gott erhalte und lange in fo liebevollen
Einverftändniß, meine theure Gattin!
Bald darauf. vollendete ex feine Zurüſtungen, beachte
alles zur Reife in Ordnung, und beflieg mit feiner Ge
mahlin und feinen Leuten bie Galeere, die Die Segel
aufzog und in See flach, worauf fie denn bei volllommen
ruhigem Waffer nach Eypern gelangten. In feinem: Ge⸗
folge hatte er einen Fähndrich von ſehr ſchönem Außen,
wenn auch von der ruchlofeften Sinnesart, bie je ein
Menfch auf der Welt haben konnte. Er war bei Dem
Mohren fehr beliebt, weil diefer nicht® von. feiner Bo8-
heit ahnte; denn fo nieberträchtig fein Herz war, fo mußte
204 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio.
er boch die Niederträchtigkeit, die fein Inneres beherbergte,
fo hinter hochtrabenden gleisnerifchen Worten und feiner
Schönheit zu verbergen, daß er von außen einem Hektor
oder Achilles gleichſah. Diefer Nichtswürdige hatte auch
feine ſchöne und fittfame junge Frau mit fih nah Cy⸗
pern gebracht, die als Staliänerin von der Gemahlin des
Mohren fehr geliebt wurde und bie meifte Zeit des Tages
bei ihr zubrachte. Ferner war in bem Gefolge bed Mohren
ein Rottenführer, welchen berfelbe fehr werth hielt. Er
kam fehr häufig in das Haus des Mohren und aß mit
ihm und feiner Gemahlin, welche, da fie ihn bei ihrem
Gemahl fo fehr in Gunft fah, ihm gleichfalls Beweiſe
bes größten Wohlmwollens gab, unb bie war dem Mohren
ſehr erwünfcht. Der verruchte Faͤhndrich nun, aller Treue
gegen feine Gattin und aller Freundfchaft, Treue und
Pflicht gegen den Mohren vergeffend, verliebte fich leiden» -
fhaftlih in Disdemona, und richtete all fein Sinnen
und Zrachten darauf, fich ihrer Reize zu erfreuen, wie-
wol er nicht den Much hatte, fich gegen fie zu erklären,
weil er beforgte, der Mohr werde ihn auf der Stelle
töbdten, fobald er die Sache merke. Er beftrebte fich daher
vielfach, fo heimlich er konnte, ber Dame feine Liebe zu
verftehen zu geben; ihr Gemüth war: aber einzig nur
bem Mohren zugewandt und wußte weder etwas von
bem Faͤhndrich, noch von einem andern, und alle feine
Verſuche, fie in ihn verliebt zu machen, blieben wir-
kungslos. Gr bildete ſich daher ein, die Schuld davon
fet, daß fie für ben Rottenführer entbrannt fei, und
nahm ſich vor, ihn aus ihren Augen zu entfernen; aber
er blieb dabei nicht fichen, fondern verwandelte feine
Liebe zu der Dame in ben bitterfien Haß und gab fich
ale Mühe, ein Mittel zu finden, wie er den Rotten⸗
führer umbringen und, wenn er ſelbſt die Dame nicht
genießen folle, auch. ben Mohren verhindern Tonne, fie zu
genießen. Nachdem er zu biefem Ende mehrere Buben-
füde und Schurkenſtreiche überlegt, beſchloß er endlich,
57. Der Mohr von Benebig. 25
fie bei ihrem Gemahl bed Ehebruches anzuflagen und
ben Rottenführer als den Ehebrecher zu bezeichnen. Da
ihm aber die zärtliche Kiebe des Mohren gegen Disbe-
mona und feine Freundfchaft gegen den Rottenführer be
kannt war, fo fah er wohl ein, es werde unmöglich fein,
ihm das eine oder das andere einzureden, wenn er ihn
nicht durch feine Lift betrüge. Er nahm ſich daher vor,
es abzuwarten, bis Zeit und Gelegenheit ihm den Weg
zu einem fo verbrecherifchen Unternehmen eröffnen würde.
Es waͤhrte nicht lange, fo entfegte der Mohr den Rotten-
führer feiner Stelle, weil er gegen seinen Soldaten auf
der Wache ben Degen gezogen und ihn verwundet hatte.
Disdemona, der bies fehr leid that, verfuchte oft, ihren
Gemahl mit dem Rottenführer auszufühnen. Um diefe
Zeit fagte der Mohr zu dem verrätherifchen Fähndrich,
feine . Gemahlin laſſe ihm fo feine Ruhe wegen bes
Rottenführers, daß er fürchte, er müffe ihn zulegt wieder
in feine Stelle einfegen. Dies fah ber Bofewicht fogleich
als einen Wink an, feinen binterliftigen Plan auszu-
führen und fagte: Disdemona "hat vielleicht Urfache, dies
gern zu fehen.
Und welche? fragte der Mohr.
Ich möchte nicht gern Mann und Frau entzweien,
antwortete ber Faͤhndrich; aber ihr dürft nur die Augen
aufthun, um es felbft zu bemerken.
Weiter wollte der Fähndrich nicht gehen, fo fehr der
Mohr auch in ihn drang, fich näher zu erklären. Aber
feine Worte ließen einen fo fcharfen Dorn in der Bruft
des Mohren zurüd, daß er ganz trübfinnig wurde und
an nichts dachte, ald mas die Worte bed Fähndrichs
wol zu bebeuten haben möchten. Als es baher feine
Gattin eines Tages von neuem verfuchte, feinen Zorn
gegen ben Rottenführer zu befänftigen, indem fie ihn bat,
er möchte doch die treuen Dienfte und die Freundfchaft
fo vieler Jahre nicht um eines Heinen Verſehens willen,
vergeffen, zumal da der Mottenführer mit dem verwun⸗
26 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
deten Soldaten wieder ausgeföhnt ſei, gerieth der Mehr
in heftigen Zorn und ſprach: Es iſt doch auffallend,
Disdemona, daß du ſo viel Antheil an dem Manne
nimmſt. Er iſt doch weder dein Bruder noch dein An⸗
verwandter, daß er dir ſo ſehr am Herzen liegen ſollte.
Ganz demüthig und liebreich antwortete die Dame:
Ihr werdet mir hoffentlich deshalb nicht zürnen. Ich
babe dazu feinen andern Beweggrund, ale daß es mir
leid chut, euch eines fo theuren Freundes beraubt zu
feben, wie der Rottenführer nady eurem eigenen Zeugniß
euch geweſen if. Er bat doch keinen fo ſchweren Fehler
begangen, daß ihr ihm deshalb fo fehr zurnen dürftet.
Aber ihr Mohren feid fo higiger Natur, daß jede Kleinig-
keit euch zu Zorn und Rache reist.
Über diefe Worte noch mehr erzürnt antwortete ber
Mohr: Das könnte wol noch mander erfahren, der es
nicht dachte. Ich will die Beleidigungen, die man mir
zufügt, rächen, bis ich gefättigt bin mit Rache.
Die Dame erfchrat heftig bei dieſen Worten, und
da fi e ihren Gemahl gegen feine Gewohnheit wider ſich
erzürnt fah, fagte fie mit vieler Demuth: Nur die befte
Abſicht hat mich bemogen, mit euch hiervon zu fprechen;
um euch aber nicht ferner wider mid) zu erzürnen, will
ih nie mehr ein Wort davon reden.
Da der Mohr fah, wie feine Gemahlin von neuem
fih zu Gunften des Rottenführers verwandt hatte, über-
zeugte er fich, die Worte, die er vom Yähndrich ver-
nommen, Zönnen nichtE anderes bedeutet haben, als daß
Disdemona den Nottenführer liebe. Er begab fi alfo
ganz trübſinnig zu jenem Schurken, und fing an, in ihn
zu dringen, daß er fich deutlicher erflären möge. Der
nach dem Verderben des unglüdlihen Weibes trachtende
Faͤhndrich ftellte fi zuerſt an, nichts fagen zu wollen,
was ihm misfallen könnte, ſprach aber am Ende, wie
von feinen Bitten überwältigt, zu dem Mohren alfo:
Ih kann nicht leugnen, daß ich, mie leid es mir auch
97. Der Mohr von Venedig. 207
thut, euch etwas zu fagen babe, bad euch überaus un-
angenehm fein muß; aber da ihr nun einmal verlangt,
Daß ich reden foll, und da mich die Sorge um eure als
meined Gebieterd Ehre felbft dazu antreibt, fo will ich
jegt eurer Forderung und meiner Pflicht Genüge thun.
Ihr müßt alſo wiffen, dag eure Gemahlin aus feinem
andern Grunde ſich die Ungnade, in welcher der Rotten-
führer bei euch fteht, fo zu Herzen nimmt, als weil fie,
fo oft .er in euer Haus —5* ſich mit ihm vergnügt,
denn ſie iſt eurer Schwärze bereits überdrüßig.
Dieſe Worte ſchnitten dem Mohren bis in die Wurzel
ſeines Herzens ein; aber um noch mehr zu erfahren, und
wiewol er bei dem Argwohn, der ſchon vorher in ſeiner
Seele erweckt mar, den Worten des Fahndrichs durchaus
Glauben beimaß, brach er doch finfterblidend in bie Worte
aus: Ich weiß nicht, was mich abhält, dir dieſe freche
Zunge -ausreißen zu laffen, die fich unterfängt, meine
Gemahlin einer ſolchen Schmady zu bezichtigen.
Der Faͤhndrich entgegnete: Ich erwartete für meinen
Liebesdienft Eeinen andern Kohn von euch, mein Haupt
mann! Aber da mic, meine Pflicht und der Eifer für
eure Ehre einmal fo weit geführt hat, fo betheuere ich
euch wiederholt, daß die Sache ſich fo verhält, wie ihr
gehört habt, und wenn das fchlaue Weib euch durch den
Anfchein ihrer Liebe zu euch die Augen fo verkleibt hat,
daß ihr bis jegt nicht gefehen habt, was ihr doch hättet
fehen follen, fo ift ed darum nicht minder wahr, was
ih euch fage; denn der Rottenführer felber hat ed mir
gefagt, weil es ihm feheinen mochte, daß feine Glüd-
feligkeit keine vollkommene fei, wenn er nicht jemand in
die Mitwiffenfchaft derfelben ziehe,
Er fügte hinzu: Hätte ih nicht euren Zorn gefürchtet,
fo würde ich ihm, als er mir dies fagte, feinen verdienten
Lohn gegeben und ihn getödtet haben. Da mir aber die
Mittheilung einer Sache, die euch doch mehr als irgend
jemand fonft angeht, einen fo übeln Lohn eingetragen,
>
208 XVI. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
muß ich bereuen, nicht ftilfgefchwiegen zu haben, wo dann
ich mir wenigſtens nicht eure Ungnabe zugezogen hätte.
Der Mohr verfegte ihm in voller Hige: Überzeugft
du mich nicht durch meinen eigenen Augenfchein von der
Wahrheit deiner Angaben, fo fei verfichert, daß bu zu
der Erkenntniß kommen follft, bu wareft beſſer ftumm
geboren. _
Diefe Überzeugung hätte ich euch leicht verfchaffen
tönnen, fügte der Böfewicht hinzu, fo lange er noch euer
Hausfreund war; fegt aber, da ihr ihn ohne Noth viel-
mehr au® einer ganz geringfügigen Urfache verjagt habt,
geht das nicht fo bequem; denn wenn ich auch der An-
fiht bin, daß er fortwährend Disdemona genießt, fo oft
ihr ihm Gelegenheit dazu gebt, fo fängt er es doch jept
ficherlich feiner, al® vorher an, da er meiß, daß ihr ihn
jegt haft, was früher nicht der Fall war. Aber deffen-
ungeachtet gebe ich die Hoffnung noch nicht auf, euch
durch ben Augenfchein zu beweifen, mas ihr mir nicht
glauben wollt.
Nah diefen Worten fchieden fie voneinander. Der
unglüdlihe Mohr ging nad Haufe, wie von bem fchärfe
ften Pfeil getroffen, und erharrte den Tag, an weldyem
ihm ber Faͤhndrich das zeigen follte, was ihn für immer
unglüdtih machen mußte. Aber ebenfo unruhig war ber
verwünfchte Faͤhndrich über der Keufchheit, welche, wie
ee wohl wußte, Disdemona beobachtete, und bei der es
ihm unmöglich fihien, einen Weg zu finden, um dem
Mohren feine falfhe Angabe zu erhärten. In feinen
Gedanken fich vielfältig damit befchäftigend verfiel ber
Verleumder auf eine ganz unerhörte Bosheit. Die Gattin
des Mohren Fam, wie fehon gefagt, oft zu der Gattin
bes Fähndrichs ins Haus und brachte einen guten Theil
des Tages bei ihr zu. Da nun der Fähndrich bemerkte,
daß fie um dieſe Zeit ein Schnupftuch trug, das ihr,
wie ex wußte, ber Mohr gefchenkt hatte, das aͤußerſt fein
auf maurifche Weiſe gearbeitet war und von der Dante
57. Der Mohr von Benedig. 209
wie von dem Mohren fehr werth gehalten wurbe, fo bil
dete fich bei ihm der Vorfag aus, ihr dieſes Tuch heim⸗
li, zu entwenden und mittelft deffelben fie ins Verderben
zu flürzen. Er Hatte ein Zöchterchen von brei Jahren,
das Disdemona fehr liebte. Dies nahm er, als die un-
glüdliche Dame eines Tages in das Haus biefes Böfe
wichts Fam, auf den Arm und fegte es ihr auf den
Schooß. Disdemona nahm es und drüdte es an ihre
Bruſt. Indeß nahm ihr der Betrüger, der fich vortrefflich
aufs Zafchenfpielen verftand, das Taſchentuch fo geſchickt
vom Gürtel, daß fie nicht das Geringfte davon bemerkte,
und ging voller Freuden von ihr hinweg. Disdemona,
die Davon nichts ahnte, ging nach) Haufe und vermifte, da
fie mit andern Gedanken befchäftigt war, das Schnupfe
tuch nit. Einige Tage nachher aber, da fie es fuchte
und nicht fand, war fie fehr in Furcht, der Mohr möchte,
wie er öfter that, barnad) fragen. Der gottlofe Fähndrich
erjah fi) indeß eine gelegene Zeit, ging zu dem Rotten-
führer und Tieß mit verfchmigter Bosheit das Schnupftuch
zu Haͤupten feined Bettes zurüd, was der Rottenführer
‚ erft am folgenden Morgen bemerkte, denn als er vom
Bett aufftand, trat er mit dem Fuß auf das Schnupfe
tu, das zur Erde gefallen war. Er erkannte es als
das Eigenthum Disdemona’s, ohne begreifen zu Zönnen,
wie es in fein Haus gekommen fei, unb befchloß es ihr
zurüdzugeben. Er wartete, bis der Mohr ausgegangen
war, begab fih an die Hinterthüre des Haufes und
Hopfte an. Aber das Glüd, das fich mit dem Fähndricy
zum Verderben der Armen verſchworen zu haben ſchien,
wollte es, daß der Mohr in demſelben Augenblicke wieder
nad) Haus kam. Da er nun an ber Thüre klopfen hörte,
trat er an das Penfter und rief heftig erzumt: Wer
Hopft da?
Als der Rottenführer die Stimme des Mohren ver⸗
nahm, fürchtete er, er möchte herabkommen, um ihn zu
verderben, und ergriff die Flucht, ohne zu antworten.
3% XVII. Giovanni Battiſta Giraldi intio.
Dee Mohr flieg die Treppe hinab und öffnete die Thüre.
As er aber auf die Straße trat und. ihn fudhte, fand
er ihn nicht mehr. Er ging alfo voller Wuth ind Haus
zurück und fragte feine Gattin, wer unten geklopft habe.
Sie antwortete, ber Wahrheit gemäß, fie wiſſe es nicht.
Mich däuchte aber, fagte der Mohr, ed mar der Rotten-
führer.
Ich meines Theile, antwortete fie, weiß nicht, ob er
ed war oder wer fonft.
Der Mohr hielt feine Wuth zurüd, obgleid, er vor
Zorn glühte, und wollte nicht eher etwas unternehmen,
bis er mit dem Fähndrich gefprochen, zu dem er fi
fchleunigft begab, ihm den Vorfall erzählte und die Bitte
binzufügte, den NRottenführer fo genau als möglich Darüber
auszuforfchen. Uber einen ihm fo willkommenen Vorfall
höchft erfreut, verſprach ihm der Kähndrich, es auszuführen.
Darauf ſprach er eines Tages mit dem Rottenführer an
einem Orte, wo der Mohr zugegen war und ihrer Unter
redung zufehen konnte. Gr fprach mit ihm über taufend
Dinge, aber mit feiner Sylbe von Disbemona, flug
das hellfte Selächter auf, ſtellte fich fehr verwundert und
geberbete fih mit Haupt und Händen wie einer, dem
unerhörte Dinge erzählt werden. Sobald der Mohr ſah,
daß fie von einander gegangen waren, begab fi der Mohr
zu dem Fähndrich, um zu hören, was ihm jener gefagt
babe. Diefer ließ fich erſt lange bitten und fprach dann
endlich: Er bat mir nicht das Geringſte verhehlt und
geftanden, daß er eurer Gemahlin genoffen habe, fo ‚oft
ige ihnen durch eure Abweſenheit dazu Gelegenheit ge
geben habt. Das legte mal, da er bei ihre war, hat fie
ihm jenes Nastuch gefchentt, welches ihr bei eurer Ver
mählung ihr gegeben habt.
Der Mohr dankte dem Fähndrich und war nun über
zeugt, wenn es ſich finde, daß fie das Schnupftuc nicht
mehr befige, fo fei kein Zweifel mehr, daß alles wahr fei,
was der Fähndrich ihm gefagt habe. Er verlangte daher
57. Dee Mohr von Benedig. 211
eined Tages, da er fich nach Tiſche in mancherlei Ge⸗
fpräche mit feinee Gattin eingelaffen hatte, das Schnupfe
tuch zu fehen. Die Unglüdliche, welche biefe Frage längft
gefürchtet hatte, wurde darüber feuerroth im Geficht und
lief um ihr Erröthen zu verbergen, das der Mohr jedoch
wohl bemerkt hatte, an ihren Schrein, wo fie that als
ſuche fie ed. Nach langem Suchen fprach fie endlich:
Ich weiß nicht, wie ich es heut nicht PN en fann. Hättet
ihr es vielleicht gehabt?
Wenn ich es gehabt hätte, fagte er, warum würde
ich Dich darüber befragen? Aber fuche doc, noch einmal
genauer nach!
Indem er jegt von ihr ging, war fein Sinnen nur
darauf gerichtet, wie er feine Frau und zugleich den
Rottenführer tödten könne, ohne ihres Mordes befchuldigt
zu werden. Er dachte Zag und Nacht an nichts anderes
und feine Frau konnte nicht umhin zu bemerken, daß er
nicht mehr wie fonft gegen fie war. Sie fagte vielmals
zu ihm: Was habt ihr nur, das euch fo verfiört? Ehe
mals waret ihr der aufgewedkefte und nunmehr feid ihr
ber fhwermüthigfte Mann von ber Welt.
Der Mohr erfann darauf verfchiedenartige Antworten,
aber feine einzige genügte ihr; und wiewol fte mußte,
daß kein Vergehen von ihrer Seite diefe Stimmung des
Mohren veranlaft haben koͤnne, fo fürchtete fie doch,
gerade durch ihre große Zärtlichkeit, ihm zur Laſt gefallen
au fein. Sie fagte einigemal zu der Gattin bes Faͤhndrichs:
Sc weiß nicht, was ich von dem Mohren denken foll.
Er pflegte fonft ganz Liebe zu mir zu fein, und ift jegt,
ich weiß nicht, feit wie viel Tagen, ein ganz anderer ges
worden. Ich fürchte fehr, ich werde den Mädchen ein
warnendes Beifpiel werden, ſich nicht gegen den Willen
der Ihrigen zu vermählen, und die italiänifchen Frauen
werden von. mir lernen können, daß man fich nicht zu
Männern gefellen fol, welche Natur, Himmel und Lebent-
weife von uns abfondern. Da ich nun aber weiß, daß
312 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
der Mohr ein vertrauter Freund eures Gatten ift und
ihm feine Angelegenheiten mittheilt, fo erfuche ich euch,
wenn ihr irgend etwas von ihm hörtet, bas mir zu wiffen
nüglich wäre, mir eure Hilfe damit nicht zu verfagen.
Sie vergoß, während fie dieſe Worte ſprach, bie bit-
terften Thränen; die Gattin bes Faͤhndrichs aber, welche
alles wußte, da fie ihr Mann ale Vermittlerin des Mordes
bee Dame hatte gebrauchen wollen, wiewol fie fich mit
allen Kräften dagegen gefträubt, wagte aus Furcht vor
isrem Gatten ihr nichts von alle dem zu verrathben. Nur
foviel fagte fie: Sorget ja, daß ihr eurem Gatten Feinen
Grund zum Argwohn gebt, und fucht ihm eure Liebe
und Treue auf alle Weiſe zu bethätigen!
u thue ich, fprach Disdemona, aber es hilft mir
nichts.
Der Mohr ſtrebte mittlerweile ſich immermehr von
dem zu überzeugen, was er doch ſo gar nicht zu finden
wünſchte, und bat ben Fahndrich, es zu bewirken, daß
er das Schnupftuh im Befig des Mottenführers fehen
könne. Dem Böſewicht war dies freilich eine ſchwierige
Aufgabe, indeffen verfprach er fein Möglichftes zu thun,
um ihn zu befriedigen. Der Nottenführer hatte ein
Srauenzimmer bei fih im Haufe, welches am Stick⸗
rahmen ungemein feine Stepparbeiten machte. Als diefe
das Tüchelchen fah und hörte, es gehöre der Gattin bes
Mohren an und folle ihr zurüdigegeben werben, begann
fie fih, ehe es fortlam, ein ähnliches darnach zu ver-
fertigen. In dieſer Arbeit begriffen fah fie einft der
Fahndrich am Fenſter figen und bemerkte zugleich, daß
fie damit jedem Vorübergehenden auf der Strafe fihtbar
ſei. Er zeigte dies daher dem Mohren, welcher fih nun
vollkommen überzeugt bielt, daß feine durchaus Feufche
Frau wirklich eine Ghebrecherin fei. Er befchloß alfo
mit dem Fähndrich, fie und ben Mottenführer umzu⸗
bringen, und indem ſich beide beriethen, wie dies anzu⸗
gehen fei, bat ihn der Mohr, den Mord bes Rotten⸗
57. Der Mohr von Venedig. 213
führers auf fich zu nehmen, wogegen er ihm auf ewige
Zeiten verpflichtet zu bieiben verſprach. Der Fähndrich
weigerte fi) zwar, diefe That zu begehen, weil fie, wie
er fagte, fehr ſchwierig und gefährlich ware, da ber
Rottenführer nicht minder gewandt als tapfer fei. Nach»
dem ihn aber der Mohr lange gebeten und er ihm viel
Geld gegeben hatte, brachte er ihn endlich zu der Zufage,
er wolle fein Glück verfuchen. Als fie diefe Verabredung
getroffen hatten, kam ‘der Rottenführer eines Abends aus
dem Haufe einer Buhlerin, bei welcher ex fich zu ver⸗
gnügen pflegte, und der FZähndrich benügte die Dunkel⸗
beit, fchlich fi) mit gezogenem Schwerte an ihn heran
und richtete ihm einen Hieb nach) den Beinen, um ihn
zu Sal zu bringen. Der Zufall fügte es, daß er ihm
den rechten Schenkel entzwei ſchlug, ſodaß der Unglüdliche
nieberflürzte, worauf der Fähndrich berbeieilte, um ihm
ben Garaus zu machen. Aber der Rottenführer, der
Herzhaftigkeit genug befaß, und an Blut und Tod ge-
wohnt war, zog das Schwert und fuchte fih, fo ſchwer
verwundet er auch war, zu vertheidigen, wobei er mit
lauter Stimme fchrie: Man bringt mich um.
Als daher der Faͤhndrich Leute herzulaufen hörte und
einige Soldaten, die in der Nähe ihr Quartier hatten,
ergriff ex, um nicht erwifcht zu werben, die Flucht, brebte
fih aber plöglih um und ftellte fi, als komme er auch
auf den Lärm herbeigelaufen. Er mifchte ſich unter die
übrigen und da er das Bein entzwei fah, fo fchloß er,
daß der Mottenführer, ob er gleich noch nicht todt war,
Doch ganz gewiß an dem Schlage fterben werde, und
obwol er darüber fehr froh war, fo bezeugte er body dem
Mottenführer fo viel Mitleid, als ob er fein Leiblicher
Bruder gewefen wäre. Den andern Morgen verbreitete
fih die Sache durch die ganze Stadt und kam auch zu
den Ohren Disdemona's, und fie, bie fehr liebreich war
und nicht ahnte, daß dies fchlimme Folgen für fie haben
koͤnne, zeigte fich fehmerzlich betrübt über diefen Vorfall.
214 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Der Mohr legte ihr dies ſehr übel aus, ging wieber zu
den Fahndrich und ſagte zu ihm: Denke nur, die Närrin
von meiner Frau ift über den Unfall bes Rottenführers
fo betrübt, daß fie faft von Sinnen kommt.
Und wie konntet ihe euch das anders vorftellen, ver⸗
fegte der Fähndrich, da er ihre Seele mar?
Ihre Seele, ha! entgegnete der Mohr. Ich will ihr
fon die Seele aus dem Leibe reifen. Sch würde mich
für keinen Daun halten, wenn id, biefe Schändliche nicht
aus der Welt ſchaffte?
Sie berathfchlagten hierauf, ob fie Disbemona mit
Gift oder Dolch umbringen folten, aber feines von beiden
ſchien ihnen thunlich.
Da faͤllt mir ein, ſagte der Fähndrich, wie ihr euch
Genugthuung verſchaffen könnt, ohne daß euch der ge⸗
ringſte Verdacht trifft. Nämlich das Haus, worin ihr
wohnt, iſt alt und die Decke eurer Kammer voller Ritzen.
Ich denke alſo, wir ſchlügen Disdemona mit einem mit
Sand gefüllten Strumpfe ſo lange, bis ſie ſtürbe, damit
man keine Spur, daß ſie geſchlagen worden, an ihr
wahrnimmt; und wenn fie dann tobt iſt, werfen wir
einen Theil ber Dede auf fie herab und zerfchlagen ihr
den Kopf, als hätte ein herabgefallener Balken fie zer⸗
ſchmettert und getöbtet. Auf dieſe Weiſe wird niemand
Berbacht auf euch werfen und jebermann ihren Tod einem
Men Zußzu zuſchreiben.
Mohren gefiel der grauſame Rath. Er paßte
alſo ie y ab, bie ihm am gelegenften ſchien, und da er
eines Nachts mit ihr im Bette lag, machte der Faͤhndrich,
ben ex vorher in ein Kabine, das an bie Kammer ſtieß,
verborgen Hatte, plöglich der Verabredung gemäß in bem
Cabinet ein Geraͤuſch. Der Mohr hörte es fogleich und
fagte zu feiner Gattin: Haft bu das Geraͤuſch gehört?
Ja wohl Habe ichs gehört, entgegnete fie. - -
&o ſteh auf, verfegte der Mehr, und fieh, was es
ſein mag!
'
57. Der Mohr von Venedig. 215
Die ungludliche Disbemona fand auf und fobald
fie ſich dem Cabinete näherte, trat ber Faͤhndrich heraus
und gab ihr ſtark und kräftig, wie er war, einen fo
seaufamen Schlag mit dem Sad voll Sand über ben
Rückgrat, daß fie plöglich zur Erbe fiel und kaum noch
zu athmen vermochte. Doch mit der wenigen Stimme,
die ihr noch blieb, rief fie den Mohren um Hilfe an.
Diefer fprang Aus dem Bette und ſprach: Das ift der
Lohn, du zuchlofes Weib, für deine Untrene. So bes
handelt man bie Weiber, die unter dem Schein der zärt-
lichſten Liebe gegen ihre Männer ihnen Hörner auffegen-
Wie die unglüdliche Frau bied hörte und ihr Ende
nahen. fühlte, denn der Fähndrich hatte ihr noch einen
Streich verfegt, fo rief fie zum Zeugen ihrer Unfchuld,
du ihr auf Erden Fein Recht widerfahren folle, die himm⸗
liſche Gerechtigkeit an umd flehte zu Gott, ihr beizuſtehen,
indem ber ruchlofe Fähndrich fie mit dem dritten Streiche
völlig töbtete. Darauf legten bie beiben fie in das Bett,
zerfchlugen ihr das Haupt und riſſen, wie fie zuvor aus⸗
gemacht hatten, die Stubendede ein. Sodann hub ber
Mohr an, um Hilfe zu rufen, ba das Haus einfalle,
bis die Nachbarn auf feinen Ruf berbeiftürzten und bei
Unterſucheng des Bettes das arme Weib unter ben Balken
erfchlagen fanden. Die Trauer bierubee mar allgemein
wegen der Vorzüge der Dame, und fo wurde Disdemona
am folgenden Zag unter den Klagen ber ganzen Ein-
wohuerfchaft zur Erbe befkattet. Der gerechte Gott aber,
welcher die Hergen der Menfchen durchſchaut, wollte nicht,
daß eine fo unerhörte Schandthat der ihr gebährenden
Strafe ermangeln folle. Denn dee Mohr hatte feine
Gattin mehr als das Licht feiner Augen geliebt und von
ber Stunde an, da er fich ihrer beraubt fah, überkam
ihn eine folge Sehnſucht nach ihr, daß er wie außer
ſich felbft geriet) und fie allerwärts in feiner Wohnung
fuchte.. Ja, indem er bebachte, daß er durch die Schuld
bes Fähndrichs mit feiner Battin allen Reiz des Lebens
!
916 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
und fich felber verloren habe, wurde ihm der Böſewicht
fo in ber Seele verhaßt, daß er ihn nicht mehr anfehen
tonnte und ihn wol gar auf offener Strafe umgebracht
haben würde, hätte er nicht vor ber unbeftechlihen Ge⸗
rechtigfeit dev Herren von Venedig Scheu getragen. Da
er nun fo etwas nicht wohl mit Sicherheit vollbringen
fonnte, fo entzog er ihm die Fahne, und fließ ihn aus
feinem Gefolge, woher eine fo heftige Feindſchaft zwifchen
beiden entfprang, wie man fie fich nicht ärger denken
tönnte. Der Fähndrich, ber garfliger war als alle Ber-
brecher, richtete alle feine Gedanken barauf, dem Mohren
zu fchaden, und da er bereinft den Rottenführer antraf,
der wieberhergeftellt war und flatt feines abgehauenen
Beine mit einem hölzernen einherging, fagte er zu ihm:
Die Zeit ift gekommen, ba bu dich für bein abgehauenes
Bein rächen kannſt; und wenn du mit mir nad) Venedig
kommen willft, fo werde ich dir fagen, wer ber Ber
brecher ift, denn bier habe ich aus manderlei Rüdfichten
dazu nicht den Muth. Ich will es bir aber dort vor
Gericht bezeugen.
Der Rottenführer, welcher fo fchwer beleidigt war,
ohne zu wiſſen warum, dankte dem Faähndrich und ging
mit ihm nach Venedig. Sobald fie bort angelangt waren,
fagte er ihm, der Mohr fei es, der ihm das Bein ab-
gehauen, weil diefer fidy in den Kopf gefegt, ex habe bei
Disdemona gefchlafen, und aus demfelben Grunde habe
er dieſe getöbtet und nachher ausgefchrien, die eingefallene
Stubendecke habe fie erfchlagen. Sobald ber Rottenführer
biefe Nachricht erhalten hatte, verklagte er den Mohren
bei der Regierung wegen feines abgehauenen Beines und
wegen der Ermordung der Dame und ftellte als Zeugen
ben Zähndri vor Gericht, welcher ausfagte, das eine
wie das andere fei wahr, benn ber Mohr habe ihm alles
mitgetheilt und ihn zuerſt felbft überreden wollen, beibe
Verbrechen für ihn zu begehen, und nachdem er aus
thieriſcher Eiferfucht, die er ſich in ben Kopf gefegt, fein
— — — -
58. Die Witwe von Fondi. 217
Weib gemorbet, habe er ihm anvertraut, auf welche Weife
er diefe That zu Stande gebracht. Als die Herren von
Venedig vernahmen, welche Graufamkeit der Barbar gegen
eine ihrer Mitbürgerinnen begangen babe, ließen fie den
Mohren in Cypern verhaften und nach Venedig bringen,
wo fie ihn durch vielerlei Martern zu zwingen fuchten,
die Wahrheit einzugeftehen. Aber die Kraft feiner Seele
half ihm alle Marter befiegen und die That mit folcher
Hartmädigkeit leugnen, daß nichts aus ihm herauszu-
bringen war. Obgleich er aber durch feine Standhaftig-
feit dem Tod entging, fo ward er doch nach Tanger
Gefangenschaft zu Tebenslänglicher Verbannung verurtheilt,
in welcher er zulegt von den Verwandten feiner Frau,
wie er es verdiente, umgebracht wurde. Der Fähndrid)
fehrte nach feiner Heimat zurüd, und da er von feiner
Gemüthsart nicht laffen fonnte, fo befchuldigte er einen
feiner Gefährten, er babe ihn verleiten wollen, einen
Edelmann, ber fein Feind gewefen, ums Leben au bringen.
Der Angeklagte ward hierauf ergriffen und auf die Folter
gebracht, und da er die Anklage leugnete, fo ward der
Fähndrich ebenfalls auf die Folter gefpannt und fo heftig
gemartert, daß ihm die Eingemweide zerfprangen. Als er
daher aus dem Gefängniffe entlaffen und nad Haufe
gebracht wurde, verfchied er elendiglih. So rächte Gott
die Unfchuld Disdemona’sd; und den ganzen Hergang er-
zählte die Frau des Fähndrichs, die nun alles wußte,
nachdem er, wie ich euch erzählt habe, ums Leben ges
fommen mar.
58. Die Witwe von Fondi.
(6, 6.)
An Fondi, einer der Familie Colonna gehörigen Stadt,
lebte dereinft eine verwitwete Edelfrau Namens Livia,
welche einen einzigen fehr artigen und wohlerzogenen Sohn
Staliänifcher Novellenſchatz. I. 10
218 xVIII. Giovanni Battifta Gitaldi Eintio.
batte, den die Mutter über alles in ber Welt liebte.
Diefer Züngling verliebte ſich in eine der Frauen, welche
zuchtlos andern ihren Körper preis geben, er befam über
fie mit einem andern Edelmann Streit, fie felbft nach
Art von ihres Gleichen liebte weber den einen noch den
andern, außer infofern fie dachte, dem einen vortheilbafter
ald dem andern die Haut abziehen zu konnen. So be-
gegnete denn das Unglüd, daß die beiden Maͤnner vor
der Thüre jener Buhlerin zu den Dolchen griffen und
miteinander in Streit geriethen; leider wurde der Sohn
der Witwe durch einen Stich unter ber linken Bruſt ver-
wundet, der Stih drang fo tief ein, baf er ihm das
Herz berührte und er plöglich todt niederfiel. Der Mörder
ſah die Schergen des Schultheißen auf fich zueilen, um
fih feiner zu bemächtigen; er verfuchte, ſchnellfüßig, wie
ee war, ſich durch die Flucht zu retten, fand in feinem
Zaufe die Thüre der Mutter des getödteten Jünglings
offen und trat zitternd umd zagend vor Livia mit den
‚Worten: Erbarmt euch meiner, Mabonna, und verbergt
mich vor den Schergen des Schultheißen, die hinter mir
beein find, um mich zum Tode abzuführen.
Die gute Frau, zu der die Nachricht von ihres Sohnes
Ermordung noch nicht gedrungen war, fühlte fih von
tiefem Mitleid ergriffen mit dem Unglücklichen, forfchte
nicht lange nach dem Grunde, weshalb er ben Tod fürchte,
und ſprach: Sei verfichert, daf du in meinem: Haufe fo
wohl geborgen fein follft, wie mein eigenes Kind.
Darauf verbarg fie den Jüngling an einem Drte,
den fie für fiher halten zu dürfen glaubte — Während
fie nun in Angſt und Sorge war, bie Häfcher möchten
in das Haus kommen und nad dem jungen Manne
fuchen, brachte man ihren erfchlagenen Sohn einher unter
allgemeinen Trauerbezeugungen von der ganzen Nachbar-
ſchaft. Als die arme Mutter ihren Sohn tobt ſah, be-
gann die Ziefbetrübte laut gen Himmel zu fhreien, fie
rang bie Hände, zerkragte ſich das Geſicht, rief ihren
“
58, Die Witwe von Fondi 219
Sohn bei Namen und fprah: O Stipione (die war
der Name bes Todten), kaum noch bift du von mir
geſchieden, und mie ganz anderd wirft du nun zu mir
zurüdgebraht! Weffen war die grauſame Hand, bie
mid) dir fo elendiglich geraubt hat? In welchem un-
feligen Augenblide mufteft du, mein Sohn, aus dem
Haufe gehen und beine trauernde Mutter verlaffen?
Wehe mir, die ich faft das mir bevorſtehende Unglüd
ahnte und bis an bie Thüre dich begleitend dich nicht
auszugehen bat! O daß ich mit dir gegangen wäre!
Ich würbe dich gegen die ruchlofe Hand vertheidigt haben,
bie mir bein Leben nahm. D hätteft bu deiner Mutter
gefolgt, fo würdeſt du nod am Leben und ich nicht das
betrübtefte Weib auf Erben fein. Du, mein Sohn, haft
alle meine Ruhe und Zufriedenheit mit dir hinwegge⸗
nommen, und mic in ben tieflten Abgrund der Trauer
geftürgt, der auf Erden einen menfchlichen Geiſt umfan-
gen Tann. Wohin foll ich nunmehr noch, meine Hoff-
nungen richten? Wer foll nunmehr die Stüge meines
binfälligen Alters fein, da du mir fo grauſam entriffen
biſt? Warum habe ich den Böſewicht, der dich mir
getöbtet hat, nicht in meinen Händen, um durch feinen
Tod fire den beinigen bie Rache zu nehmen, die ich dir
als deine Hutter fhuldig bin, bie dich, liebſter Sohn
verloren hat!
Unter folgen und ähnlichen Klagen teodnete fie das
Blut der Wunde mit ihren aufgelöften Haaren und
wufch fie mit ihren heißen Thränen, fobaß nicht nur
das Haus, fondern die ganze Strafe von ihrem Jammer⸗
gefchrei ertönte; dabei wünfchte fie nichts fehnlicher, als
daß ber Mörder erwiſcht und vom Henker in Stüde
geriffen werde. — Die Häfcher hatten bereits Anzeige
erhalten, daß Scipione's Mörder in das Haus der Mutter
bes Todten geflohen fei, und während fie die Leiche ihres
: Sohnes in den Armen hielt, traten fie zu dee Frau und
fagten: Wir haben gehört, daß der Ubeltbäter in deinem
10*
220 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
Hauſe ſich verſteckt hat. Liefere uns ihn aus, damit wir
ihm die gerechte Strafe für ſein Vergehen angedeihen
laſſen und dich durch eine Rache für deines Sohnes Tod
befriedigen koͤnnen.
Von ihrem Schmerze hingenommen erwiderte Livia
fein Wort und bekümmerte ſich mit dem Todten beſchäf⸗
tigt überhaupt nit um das, mas um fie ber verging
und gefpeochen mwurbe. Die Diener der Gerechtigkeit
traten daher ind Haus, fuchten viel umher und fanden
zulegt den Mörder, welcher bereits den Lärmı gehöxt hatte,
der bei den Nahforfhungen nad) ihm entitand, und voll
Zobesangft zitterte und bebte. Sie ergriffen ihn, banden
ihm die Hände und fagten: Du Miflethäter, die gött«
liche Gerechtigkeit bat es gefügt, daß bu gerade in das
Haus ber Frau gekommen bift, der du ihren geliebten .
Sohn erfchlagen haft.
Dann fchleppten fie den Gebundenen vor Livia.
Sieh hier, Frau, den Mörder, fprachen fi. Morgen
wirft due ihm den Kohn ertheilen fehen, welchen er ver-
bient.
Livia fah nun, daß es derfelbe Jüngling war, dem
fie ihren Schug zugefagt hatte, und wurde mit einem
Male vom hHeftigften Zorn und vom erbarmendfin Mit
leid ergriffen; zu jenem fpornte fie der Anblic der Leiche
ihres Sohnes, wobei fie fehnlich wünfchte, den Mörder
deffelben zum Tode geführt zu fehen, zu dieſem bie Be⸗
trachtung des Misgeſchicks des Jünglings, der fich eben
in das Haus derjenigen geflüchtet hatte, die er am ängſt⸗
lichften hätte meiden follen. Außerdem bewog fie aber ihr
ihm gegebenes Wort, ihn fo ficher zu hüten, als ob es
ihr Sohn wäre, zu dem chriftlihen Verlangen, ihm zu
vergeben und ihn vom Verderben zu erretten. Sobald
der Jüngling ſich im biefe Lage gebracht fah, daß er
feinen Tod für ganz ficher hielt, warf er ſich vor Livia
auf die Kniee nieder und fprach zu ihr mit Thränen in
den Augen: Madonna, da mein Unftern gewollt Bat,
58. Die Witwe von Fondi. 221
daß ich ftatt Diefes Land zu verlaffen, um mid, zu flüchten,
oder, wenn mir das nicht möglich geworden wäre, mich
in der Stadt felbft an taufend Drte zu begeben, wo ich
ſicher geweſen wäre, ich gerade in euer Haus gelommen
bin, die mich nicht nur nicht erretten darf, da ich der
Mörder eures Sohnes geworben bin, fondern die ein
Recht hat mir alles Schlimme anzumünfcyen, wie nur
irgend einem Todfeinde, fo bitte ich euch in diefer meiner
Außerfien Noth, mir wenigftens die Gnade zu ermweifen,
mir meinen Fehltritt zu vergeben, nicht, um der Strafe
bes begangenen Mordes zu entgehen, welche ich euch mit
Recht in Anſpruch nehmen fehe, bie ich, wie ich felbft
erfenne, wohl verdiene und zu welcher mich meine Führer,
die mich in Verhaft genommen, nun bringen werben, fon-
dern um doch wenigftend beim Zode den Troſt mit ins
andere Leben zu nehmen, von euch Vergebung meiner
Berirrung erlangt zu haben; und nicht ohne Grund
nenne ich ed DVerirrung, denn nicht mit meinem Vorfag,
fondern durch Zufall ift diefer Süngling geftorben, deffen
Tod ihr nun beweinet, und ebenfo konnte er mich um⸗
bringen, wie das Schickſal nun gefügt hat, daß ich ihn
umgebracht habe, was mich aufs tieffte fchmerzt, nicht
allein weil ich jegt felbft den Tod drohend vor mir fehe,
fondern megen bed Schmerzes, ben ich, mie ich fehe,
‚ euch bereitet habe, die mir fo liebevoll fich zu meinem
Schuge bereit erklärt hat; und wenn ich jegt mit meinem
Tode eurem Sohne das Xeben wieder gewinnen könnte,
fo würde ich ihn fehr gerne übernehmen, ja bier vor
euren Augen würde ich mir ihn felbft geben, nicht um
‚ mid) der Hand der Gerechtigkeit zu entreißen, in welcher
ih jegt bin, fondern um nad), beftem Vermögen euch
zufrieden zu ſtellen; oder vermörhte ich die Gefege des
Blutes und der Natur umftoßend mid im euren Sohn
zu verwandeln, und euch zu bewegen, meine Mutter zu
werden, ich würde gewiß ebenfo liebreich und gehorfam
gegen euch fein, als wenn ihr mic, geboren hätte. Da
2322 XVIH. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
ich aber dies nicht zu leiflen vermag und fehe, daß es
umfonft wäre, euch zu bitten, ihr follt mich zu euerm
Sohne annehmen, ba ihr den, den: ihr geboren, tobt vor
euch feht, der euch mich nicht als euren Sohn, fondern
old euren Feind betrachten laßt, Dank fei es meinem
Unftern, fo tehre ich zu meiner erſten Bitte zurück und
erfuche euch von neuem, mir zur Erleichterung meines
Elends zu verzeihen; ich flehe darum nicht um meinet«
willen, fondern bei ber Liebe, die ihr für euren Sohn
gehabt, und bei dem Worte, das ihr mir gegeben, ale
ihe mich in euer Haus fo liebevoll aufnahme. Gemwährt
es mir, daß im Gedanken, dies von eurer Güte erlangt
- zu haben, mir ber Tod weniger ſchwer wird, ben ih
vor euren Augen fehe.
Diefe Worte rührten fogar die Schergen, welche fonft
an Graufamkeit gewöhnt find, zum Mitleid mit dem
armen Manne, gefchweige das weiche Herz ber trauern-
den Mutter. Wiewol fie ihren getödteten Sohn noch in
den Armen hielt, fo wandte fie fih doch mit folgenden
Worten an ben Züngling: Ich glaube nicht, daß es auf
Erden einen fchärferen Schmerz gibt noch geben kann,
als den ich empfunden und noch empfinde um ben Tod
bed von dir graufam erſtochenen Sohnes, den ich Bier
febe; denn er war mir ber befte und gehorfamfte Sohn,
ben je eine Mutter geboren. DBetrachtete ich blos den
großen Verluſt, ben ich buch dich erlitten, und ben
unglaublihen Kummer, von dem du mich erfüllt fichft,
fo würde ich es nicht nur nicht über mich gewinnen, bir
zu vergeben, fondern ich müßte wünſchen, dich fo blutig
geftraft zu fehen, wie es die Befchaffenheit des began-
genen Verbrechens verdiente. Da es aber Gottes Wille
gemwefen ift, dag du, der mein Haus wie das eines Zobd-
feindes hätte fliehen follen, hereingelommen bift, um Ret-
fung zu fuchen, und ich dich, als wäre ich deine Mutter,
bier aufgenommen und bir mein Wort verpfändet habe,
dich zu retten, fo muß ih annehmen, es fer dies auf
58. Die Witwe von Fondi. 223
eine geheime Fügung der unfterblichen Götter gefchehen,
welche meine Gefinnung auf die Probe ftellen und fehen
wollten, ob ich auch zu ber Zahl derjenigen Frauen ge
höre, welche von Natur nach Nacye verlangen, und fo weiß
ih dir fo zw vergeben, wie andere Rache zu nehmen
verftehen würden. Da es nur durd einen Zufall ge-
fhehen ift, daß ich meines Sohnes beraubt worden bin,
und nicht dein Wille die Schuld träge, fo foll auch in
mir die Gnade die Oberhand erhalten über die Nacheluft,
die mich mit fehärfftem Stachel zu deinem Xode treibt,
ih will jept die Gefege der Natur und die Vorfchriften
des Blutes überwinden, die dir fo unüberwindlich ſcheinen:
und wenn bu von mir Vergebung begehrft, um diefen
Troft mit ins andere Leben nehmen au fönnen, fo ge
währe ich ihn dir gerne fo, daß bu in diefem Leben noch
meiner Gnade Dich zu erfreuen habeft: und nicht allein
vergebe ich dir die Verirrung, die du unüberlegt begangen,
bereitwillig, fondern da du es zufrieden bift, mein Sohn
zu fein und dich mir als folchen anbieteft, fo nehme ich
dich auf biefe Weiſe an und werde dich immer nicht
minder hoch halten, als den, ben ich unter dem Herzen
getragen unb welcher hier im Tode dein Bruder gewor⸗
den if. Bleib bier, um zu erkennen, wie Großes bu
von mir erlangt haft, und werde mir, wie diefer mir
ein gehorfamer und liebender Sohn war, ebenfo und halt
mich ald Mutter fortan, wie ich dich immer wie einen
Sohn halten werde, fo können wir beide glüdlich leben.
Mit dieſen Worten umarmte fie den Jüngling und
nahm ihn zum Sohn an. Diefe That der Milde er-
füllte alle Umſtehenden mit Rührung und Erftaunen.
Die Schergen aber, fo fehr auch felbft diefer Auswurf
der Menſchen fi) über diefe Handlung des Erbarmens
wunberte, wollten doch nicht unterlaffen, den Gefangenen
vor den Schultheißen zu führen. Es half nichts, daß
die Witwe vorftellte, dab das Unrecht ja ihr gefchehen fei
und wenn fie dem Mörder verzeibe, fo dürfe ſich nie
224 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
manb weiter um das, was ihr begegnet fei, bekümmern,
als fie felbft. Sie führten alfo den Süngling zum Ge
richtsvogte ab, und er rief ihr noch fcheidend zu: Meine
Mutter, da ihre mich ald euren Sohn angenommen habt,
vertheidige mich mütterlich !
Durch diefe Worte wurbe fie fo innig gerührt, daß
fie den Leichnam ihres Sohnes mit einem ſchwarzen Tuche
bededite und dem armen Sünder bis ins Gerichtshaus
folgte.
Meffere, fagte fie zum, Schultheifen, es kommt euch
nicht mehr zu eure Gewalt gegen biefen Gefangenen an-
zuwenden, benn ich, die Mutter des Jünglings, den er
erſchlagen hak, babe ihm verziehen und ihn an Kindes
Statt angenommen. Ich wünfche ebenfo herzlich fein
Wohlergehen, wie das meines leiblihen Sohnes, und
erfuche euch nicht weiter gegen ihn zu verfahren.
Der ſehr firenge Richter, dem ber harte Buchftabe
des Gefeged mehr galt, als die Milde der Frau, erwi⸗
derte ihr aber: Livia, wenn ihr dem Mörder verziehen
und ihn zum Sohn angenommen, fo habt ihr wohlgethan
und einen giltigen Beweis eures edeln Sinnes abgelegt.
Aber es hat ihm um deffen willen noch keineswegs das
Recht verziehen und ich kann durchaus nicht umhin, ihn
für etwas anderes, als für einen Mörder zu halten, wenn
ich die Gerechtigkeit aufrecht erhalten will, zu deren Schuge
ich aufgeftellt bin: ich darf nicht unterlaffen, ihm den Tod
zuzuerfennen.
Er befahl hierauf, ihn ins Gefängniß zu führen und
ihm am folgenden Zag den Kopf abzufchlagen.
Ah, Meifere, fprach die Witwe ferner zu ihm, thut
mir doch nicht mit eurer firengen Gerechtigkeit die Unge-
rechtigkeit an, mich boppelt elend zu madhen! Ein un-
vorhergefehener Unfall gab mir Veranlaffung, den Tod
eines Sohnes zu beweinen, den ich der Natur verdanke,
und ihr wollt mit Vorbedacht durch eure Härte mich den
Tod diefes andern bemweinen machen, der durch die freie
58, Die Witwe von Fondi. 395
Wahl mein eigen geworben ift! So hätte ich mich weit
mehr über euch zu beklagen, wenn ihr das thäter, als
über den, der mir meinen erften Sohn umgebracht hat.
Diefe Worte machten jedoch keineswegs auf das Ge-
müth des Nichterd Eindrud, vielmehr zeigte er fich ent-
fhloffen, der vollen Strenge des Gefeges freien Lauf zu
laffen, um den ihm von feinen Obern aufgelegten Pflichten
Genüge zu thun. 8 befanden fi gerade bamals in
Fondi Herr Profpero Colonna, ein ebenfo mohlmollender
und menfchenfreundlicher, als Hochfinniger und kraftvoller
Hear. Sowie nun Livia von feiner Anmwefenheit Kunde
erhielt, ging fie zu ihm und ſprach zu ihm zuverſichtlich:
O gnädiger Herr, feid mir doc, auch fo huldvoll günftig,
wie der Name Profpero, den ihr führt, mich vertrauen
läßt, daß ihr fein werdet. Da euch die göftlihe Gnade
Macht und Gewalt über Gefege und Richter gegeben hat,
um ihre Härte und noch vielmehr eure eigenen Befehle
zu mildern und beide auf das Maß der Billigkeit zurüd-
zuführen, fo bitte ic euch um Gnade für meinen un-
gludlihen Sohn, den euer Schultheiß zur Enthauptung
verurtheilt bat. Weder meine Bitten noch angeführten
Gründe haben ihn zu bewegen vermocht, Milde zu üben,
und fo werde ich bald feinen Tod beweinen müffen, wo⸗
fern mir nicht eure Barmherzigkeit Troſt verleiht in meiner
Bedrangnif.
Hierauf erzählte fie dem: edeln Herrn Alles, was vor-
“gegangen war. Der Grundherr ftaunte über das Wunder,
welches die Gnade in dem Gemüthe diefes Weibes bes
wirkt hatte, welche uneingeden? des Todes ihres Sohnes
feinen Mörder an Sohnes Statt angenommen. Daher
ſprach er, als er ihre Seelengröße fah, mit echt römi-
fhem Sinne: Deine milde GSefinnung, Weib, foll die
Strenge des Gefeges und die Beftimmtheit unferer Aufträge
beugen, und da bu fo hochherzig und tugendhaft gehan-
delt haft, fo fchenfe ich dir den Sohn deiner Wahl, dem
zwar der Schultheiß von Nechtöwegen den Tod zuer-
10 **
236 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
faunt bat, dem aber meine Gnade bas Leben ferner
ften will.
Er ließ hierauf auch den Züngling felbft vorführen
und erklärte ihm: Dein Vergehen würbe dem Urtheil
des Schultheißen gemäß den Tod verdienen; doch der
Edelmuth, womit dir diefe Witwe ihres Sohnes Mord
vergilt, während bu ihr fo großen Anlaß gegeben batteft
zu dem Wunfce, dich todt zu fehen, verdient, daß ich
dich ihre lebendig überlaffe. Ich thue dies gern ihe zu
Gefallen und damit fie die Frucht ihrer Großmuth ge-
nieße. Bedenke du, wie fehr du ihr verpflichtet bift,
und bezeuge dich immer gegen fie fo, wie ihre außer-
ordentliche Güte verdient, wodurch fie fi um fo mehr
erhaben über ihre Gefchlecht gezeigt hat, als die von bir
erlittene Beleidigung fie nicht beftimmen Tonnte, dir
gnädig zu fein.
Der Züngling fagte dem Herrn den tiefften Dank
dafür, daß er ihm das Leben gejchenkt, und verfprady
ihm, fich immerdar fo aufzuführen, daß bie Witwe ebenfo
wie er felbft Urſache haben, fortwährend mit ber von
ihm geübten Dankbarkeit zufrieden zu fen. — Bon
ihrem hochfinnigen Gebieter entlaffen gingen fie fofort
nad Haufe, bereiteten dem Todten ein ſtattliches chren-
volles Begräbnig und lebten in Eintracht zufammen.
Nach einigen Jahren fühlte die Witwe das Ende ihres
Lebens herannahen. Che fie ihren Geift aufgab, lies fie
‚den Süngling rufen, welchem fie den Namen ihres ver»
ftorbenen Sohnes beigelegt hatte, reichte ihm die Hand
und ſprach: Scipione, ed ift nunmehr der legte Abfchnitt
meines Lebenslaufs eingetreten; ich fühle mich dem Tode
nahe, vor weichem ich als vor der der ganzen Menjchheit
nothwendigen und allgemeinen Beſtimmung an fich felbft
feine Scheu trage. Wohl aber ſchmerzt e8 mich, daß
ih bei meinem Scheiden aus diefem Leben mich auch
von dir trennen muß, mit dem ich fo gern einen viel
längeren Zeitraum vereint geblieben wäre, als das Schickſal
58. Die Witwe von Fondi. 227
mir gonnt. Da es indeffen die Naturnothwendigkeit fo
erheifcht und nicht anders zuläßt, fo will ih, Scipione,
gleichwie ich mich im Leben dir als Liebreihe Mutter
erwiefen habe, daß du mich auch als eine folche im Tode
erkennt, und habe dich demgemaß in meinem Zeftamente
sum Haupterben eingefegt. Ich bitte dich bei dem Wohl⸗
wollen, daß ich bir von dem Augenblicke an bethätigte,
als ich dich wie meinen Sohn ‚empfing „ und bir feinen
Namen beilegte, und bei der innigen lbereinftimmung,
die zwifchen uns beftand, fo lange unfer gemeinfchaft-
liches Leben dauerte, daß du mein Andenken immerbar
lebendig in dir erhaͤltſt. Wofern ich dieſe Hoffnung mit
mir nehmen kann, wird es mir, wiewol ich dich ver-
laffen muß, doch nicht anders fein, als lebte ich noch
bei dir.
Scipione konnte nad) diefer Anrede die Thränen nicht
zurückhalten und erwibderte: Mir ift e8 nicht minder fchmerz-
haft, als euch, meine theuerfte Mutter, uns durch ben Tod
von einander gefchieden zu fehen, und ich würbe mich über:
glücklich ſchätzen, wenn ich dies durch irgend ein Mittel
abzumenden müßte, ebenfo wie ich mich höchſt unglüdlich
fühle, wenn ich fehe, daß es nicht in meiner Macht fteht.
Da euch denn aber die verhängnißvolle Stunde fo bald
ſchlagen foll, fo will ich doch in Gedanken unabläffıg bei
eurem feligen Geifte im Himmel weilen, gleichwie ich
euch gegenwärtig hier vor Augen ſtehe. Darum fürchtet
nicht, daß euer Gedächtniß je in meinem Sinne erfterben
werde, fo lange mein Leben währt, dem ich eine ewige
Dauer wünfchen möchte, nur damit bad Andenken eures
Namens ewig in mir lebe.
Ich glaube, es wird gefchehen, erwiderte die Frau;
fie ließ fi) von ihm die rechte Hand reichen, brüdte fie
ihm feſt als Zeichen ber Treue, zog ihn zu einem feu-
rigen Kuffe zu fi) heran und nahm dann von Ecipione
den legten Abfchied.
Mein Sohn, ſprach fie, die himmlifche Gnade Laffe
2328 XxVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
es dir wohlergehen und ſegne Alles, was du hienieden
thuſt; dies iſt mein inbrünſtiges Gebet.
Nach dieſen Worten endete ſie ihr Leben zum groͤßten
Leidweſen ihres Sohnes. Er ließ ſie ehrenvoll in ein
Grab von weißem Marmor begraben und auf daſſelbe
Verſe einhauen, welche die edle Milde der Frau und
ſeine Trauer um ihren Tod ausführlich ausſprachen.
59. Filippo Sala und ſein Herr.
(6, 7.)
Filippo Sala ein edler ferrariſcher Bürger war von
Natur mit fhönem Äußern, ſehr einnehmendem Geſchick
zur Unterhaltung, Rede und Verhandlung ausgeſtattet,
und auch ſonſt war das Glück nicht karg mit ſeinen
Gaben gegen ihn geweſen; denn durch Erbſchaften, welche
ihm von ſeinem Vater, ſowie von andern Verwandten
zufielen, erlangte er einen anſtaͤndigen Reichthum. Wenn
nun dieſer Reichthum jedem andern haͤtte genügen können,
der nicht über ſeine Kräfte hinausgeſtrebt, ſo gab er,
obwol ein geborner Bürger, ſich doch das Anſehen eines
großen Herrn und fing unbedachtſamer Weiſe an, große
Summen in Spiel, Kleidern, Pferden, Jagden, auf die
er fi zu Lande wie mit Falten gründlich verftand, zu
verſchwenden, und dehnte feine Liebeshändel fo weit aus,
bag er ın furzer Zeit Alles ausgegeben hatte, was er
befaß, und in Armuth verfunten war. Er pflegte oft
nach Venedig zu kommen, das einen Überfluß an leicht-
fertigen für Geld erkäuflihen Frauen befigt; dort lebte
er mit vielen von ihnen dußerft vertraut, er bezahlte
und ſchenkte reichlich, als wäre er ein großer Fürft, fein
Außeres war fehr einnehmend, er konnte fingen, fpiefte
59. Filippo Sala und fein Herr. 229
verfchiebene Inftrumente, beſonders die Laute, fehr ge-
ſchickt, und erwarb ſich folche Beliebtheit bei derartigen
Frauen, daß feine war, die nicht gewünfcht hätte, fich
ihn zu ergeben, um feiner ritterlihen Freigebigkeit theil-
baftig zu werden und ſich feiner Anmuth zu erfreuen.
Da gefchah es, daß eine biefer Dirnen, bie in ihrem
ſchändlichen Gewerbe eined großen Rufes genof, für
Filippo fo heftig entbrannte, daß ihr gar nicht wohl
war, als fo lange fie in feiner Gefellfhaft vermeilte,
und auch er verliebte fich in ihre außerordentlihe Schön-
heit dergeftalt, daß er auch, als er nicht mehr viel zu
verfcehwenden hatte, nicht unterließ, fein Verlangen nach
ihr zu befriedigen und durch Gefchente ihre Liebe zu
nähren. Als es nun aber mit feinem Vermögen ganz
zu Ende war, fchied er, ehe die Frau feinen Verluſt
bemerkte, unter einem guten Vorwande von ihr, binter-
lieg ihre jedoch eine Menge von Berfpreehungen und
namentlich die, Daß er in wenigen Zagen mieder zu ihr
zurüdtehren werde. Als er nach Ferrara fam und ihm
nun nichts übrig geblieben war von feiner reichlichen Ver⸗
fchwendung, als der Verdruß, hielt er ſich ärmlich zu
Haufe. Doc hatte er die ihm angeborene Eeelengröße
keineswegs eingebüßt und er ertrug feine gedrückten Ver⸗
bhältniffe mit eben der hohen Gefinnung, womit er feine
Reichthümer durchzubringen mußte, und trog dem, daß
er Alles verloren hatte, glaubte er doch in feinen Ge-
danken noch auf filbernen Gefäßen Faſanen, Rebhühner,
Hafen und andere Lederbiffen zu verfpeifen, gleich als
ob er fie in der That noch in fo reicher Menge, wie
vordem befeffen hätte, da er fie zu bezahlen im Stande
war. Ebenſo pflegte er es mit feiner Kleidung und
andern Bebürfniffen des Lebens zu halten, an denen es
ihm gebrach. Wie große Noth er aber auch litt und
wie viele Edelleute ihm auch aus Mitleib mit feiner
Armuth ihre Unterftügung anboten, fo wollte er doch
durchaus nicht das Mindefte von ihnen annehmen, fon»
- 230 XVIH. Giovanni Battiſta Siralbi Eintio.
dern behauptete, er Tonne ebenſowol ihnen Geſchenke
geben, als fie ihm. Es Lebt in Ferrara der Graf Paolo
Goftabili, nicht weniger freigebig und edel gefinnt, als
fih bei feinem großen Reichthum ſchickt; dieſer als ein
Freund Eräftiger Menfchen fühlte fich von Filippo’s Feftig-
teit, feiner Anmuth in der Unterhaltung, feiner Gefchid-
lichkeit in Gefchäften- und andern feiner obengenannten
Eigenfhaften, welche jedem großen Fürſten theuer fein
müffen, fo angezogen, daß er ihn ind Haus nahm, nicht
als Diener, fondern als lieben Freund, und alle feine
Bedürfniffe mit freigebigfter Hand befriedigte, fobaß er
fagen Eonnte, er babe in biefem edeln Haufe, was er
wünfche. — Derweil nun Filippo’s Schilfal diefe Wen-
dung genommen hatte, erwartete bie obenerwähnte Buh⸗
lerin in Venedig fehnfüchtig feine ihr zugefagte Rückkehr;
und da fie Monate ja vielleicht Jahre verftreichen fah,
ohne daß er zu ihr kam, fürchtete fie von ihm vergeffen
und verfchmäht zu fein, und da fie weder Brief noch
Borfchaft von ihm erhielt, befchloß fie, getrieben vom
fharfen Stachel ber Liebe, welche Filippo's Liebens⸗
würbigkeit und ritterlich freigebiges Weſen in ihr ent-
zündet hatte, nach vielem Beſinnen, nad Ferrara zu
geben, um ihn aufsufuchen, denn fie meinte, er fige in
demfelben Reichtum, mo er reichlich fpenden und geben
könne, wie er es in Denebig feiner Zeit geübt habe.
Sie ſchickte alfo einen Diener nach Ferrara voraus, um
eine Wohnung auf einige Tage zu miethen; dann lief
fie eine Barke für ſich zurecht machen, beftieg fie in
Gefellfehaft ihrer Dienerinnen und fuhr nach Ferrara ab.
Als fie ſich bei ihrer Ankunft nach einem Heren Filippo
Sala erkundigte, fand fie keine Spur von ihm auf,
weil die Armuth, worin er verfunlen war, feinen Ramen
faft in gänzliche Vergeffenheit begraben hatte; außerdem
ließ er fih in Venedig Herr Filippo nennen, während
er in Ferrara nur unter dem Namen $ilippino oder
Dhilippchen bekannte war und ihm niemand ben Titel
59. Filippo Sala und fein Herr. 23
Here gab, den er fich durch feine Freigebigfeit in Venedig
erworben hatte. — Die Frau bereute nun faft, die Reife
unternommen zu haben um feinetwillen. Während fie
nun fo darüber nachdachte, erblidte fie zufällig einen ber
Gefährten Filippo’s, der In Venedig gleichfalls ihre Be⸗
kanntſchaft gemacht hatte. Sie rief ihn zu fich und fragte
nady Heren Filippo. Er kannte feine Verhältniffe genau,
antwortete ihr aber vorfichtig, er habe ihn ſchon geraume
Zeit nicht gefehen, weil er in bedeutenden Gefchäften feines
Herrn zu thun gehabt habe, halte aber dafür, daß es ihm
wohlergehe. Auf diefen Beſcheid konnte die Frau noch in
der Hoffnung beharren, ihn in guten Umftänden wieder⸗
zufinden und mit ihrem Beſuche in Ferrara ihm nicht
ungelegen zu kommen.
Seid doch ſo gut, ſagte ſie, zu ihm zu gehen und
ihm zu ſagen, ich ſei, von meiner großen Liebe zu ihm
angetrieben, nach Ferrara gekommen, um ihn zu ſehen,
und veranlaft ihn mich zu befuchen! Ihr könntet mir
feinen größeren Gefallen und Freundlichkeit erzeigen, als
damit.
Filippo's Freund antwortete ihr, ſobald er ihn ſehe,
wolle er mit Vergnügen ſich dieſes Auftrages entledigen.
Er nahm von ihr Abſchied und begab ſich ſogleich zu
Filippo, um es ihm zu melden.
Du weißt woi nicht, ſagte er, daß die wohl Bekannte
nach Ferrara gekommen iſt und dich eifrig aufſucht. Ich
fürchte, ſie erlangt am Ende Kunde von deinen jetzigen
Umſtänden und geht unzufrieden mit dir und mit den
geringen Ehren, in denen du ſtehſt, nach Venedig zurück,
und während du dort ſeither für einen großen Herrn
gegolten, gibt man dir am Ende einen von dem jetzt
erworbenen fehr verfchiedenen Namen.
Diefe Worte gingen Filippo durchs Herz und er
fragte feinen Freund, wie er zu diefer Nachricht gekom⸗
men fei. Der Freund erzählte alles, was zwiſchen ihm
und der Burtifane befprochen worden fei und was er zu ı
232 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
feinen Gunſten gefagt habe, und Filippo bankte ihm
vielmals, fo behutfam gegen fie fich ausgebrüdt zu haben,
ward aber ganz betrübt und niedergefchlagen, als er nach
diefem Gefpräche bebachte, wie er doch auf feine Weiſe
auch niche im Geringften im Stande fei, dem Rufe zu
genügen, den er fich in Venedig erworben und in dem
ihn jener neuerdings gegen die Frau beftätigt Hatte. Der
Straf, der gewohnt gewefen war, ihn heiter und aufge
räumt zu fehen und nun mit Einem Male biefe unend-
liche Schwermuth an ihm entdedte, ber zufolge Scherz
und Spaß und alle gute Laune und Heiterkeit von ihm
gewichen und vertrieben war, fagte zu ihm: Was haft
du, Filippo? Was wandelt dich fo plöglih an, das
dich fo außer bir felbft bringt und dich fo ganz anders
erfcheinen läßt, als du warſt? Wo ift deine Munterfeit
und bein fröhliches Wefen bin?
Filippo fannte zwar ben Grafen als einen freigebigen
großmüthigen Herrn; «8 fehien ihm jedoch unmäßig viel
‚dazu zu gehören, der hohen Meinung, welche jenes Weib
in Venedig von ihm gefaßt hatte, zu genügen, fodaß er
nicht wagte, feinem Befchüger die Urfache feiner Betrübniß
zu entdeden.
Graf, antwortete er daher, der Grund bes mid) be-
drüdenden Kummers liegt allzu tief, und dba ich weiß,
wenn ich ihn -ausfpräche, würdet ihr um meinetwillen
betrübt werden, fo ſchweige ih, um euch nicht zu belä-
fligen, und ertrage ein Übel, dem nicht abzuhelfen ift,
für mid allein.
Hierauf ſprach der Graf mit fehr wohlmollendem Ge-
fihte: Ei, Filippo, fo lange wir noch leben und athmen,
gibt es in allen Dingen Rath und Hilfe. Berbirg mir
die Urfache deiner Schwermuth nicht! . Vielleicht ift das,
was du als fo unrettbar aufgibft, doch nicht fo ganz
verloren, wie du glaubft, und du ſiehſt wol deine hoff-
nungslofe Niedergefchlagenheit noch in völlige Genüge über-
gehen. Gage es mir, ich bitte dich. Wenn es Etwas ift,
59. Filippo Gala und fein Herr. 233
worin ih dir mit Allem, mas mir zu Gebote ſteht, helfen
Tann, fo follft du mich fo bereit finden, es zu thun, als
wenn e8 für mich felber wäre.
Diefe Worte erwedkten in Filippo große Hoffnungen,
er Tonne au in feiner Armuth die ſchöne Venezianerin
glauben machen, der Titel Herr gebühre ihm in Ferrara
gut, als er ihn in Venedig erworben hatte.
Herr Graf, ſagte er daher zu dem Grafen, waͤhrend
mir das Schickſal noch laͤchelte, liebte ich in Venedig eine
ſehr ſchöne feine Curtiſane und zu meinem Glück oder
Unglück entbrannte auch ſie in ſolcher Leidenſchaft gegen
mich, daß ſie alle andern verſchmaͤhend, welchen ſie vorher
gefällig geweſen war, ihr ganzes Sinnen und Trachten
ausſchließlich auf mich allein richtete und daß ich der
Beſitzer dieſer ſeltenen Schönheit wurde, die jeden mit
Bewunderung erfüllte, für alle die zu grenzenloſem Neide,
die ſich früher von ihr für beſonders begünſtigt erachteten.
Dieſe Liebſchaft hielt aus, ſo lange als mein Beutel,
nicht etwa, als ob ſie mich nun weniger hochgefchägt
hätte, fondern weil ich mich in ber Unmoglichkeit ſah,
längere Zeit auf demſelben Fuße, wie ſeither, mit ihr
zu leben. Ich hielt es demnach für gerathener, mich
von ihr zu entfernen, und ſie in der von mir gefaßten
Meinung‘ zu laſſen, als länger bei ihr zu bleiben, das
Anfehen zu verlieren, das ich bei ihr gewonnen, und
am Ende unter großer Schmacd ben andern zum Ge-
lächter zu werden, bie fie um meinetwillen verlaffen hatte.
Ich feste daher Verfprehungen an die Stelle, mo ich
mit Thaten nicht ausreichte, fchügte ein unvorhergefehenes
wichtiges Ereigniß vor, das mich nach Ferrara zurückrufe,
und trennte mich von ihr. Die Augen flanden ihr voll
Thränen, als ich von ihr Abfchied nahm, und als fie
mich das legte mal umarmte, bat fie mich, unfere baldige
Wiedervereinigung nicht zu verzögern. ch ging nur mit
dem innigften Misvergnügen von ihr fort, und wenn ich
außer dem vergeubdeten noch weiteres Vermögen gehabt
334 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
hatte, fo ſchwoͤre ih euch bei meiner Ehre, ich würbe
es zu Gelb, gemacht haben und Hingegangen fein,
fie noch ferner zu genießen. Aber mein Schidfal Wolke,
daß ich ſchon meinen legten Heller mit ihr durchgebracht
hatte. Ich meinte nun längft von ihr vergefien zu fein
und fie benfe nicht mehr an mich, ſiehe da kommt fie
nah Ferrara und fpürt mir eifrig nah. Nun fürchte
ich fehr, fie möge mich finden und für ben armgemor-
denen Edelmann erkennen, ber ih bin, wenigftend der
That, ob auch nicht bem Geifte nach, und das erregt
mir unendliches Leidweſen; denn ich ſehe klar, daß der
Ruf, den mic mein früheres Leben bis hierher erhalten
bat, mir nunmehr von meinem jegigen ganz entriffen
wird, und meine Armuth ſelbſt die ich ſtets muthvoll
ertragen habe, iſt mie nie ſo laͤſtig geweſen, als jetzt,
wo ich mir die Mittel fehlen ſehe, dieſe nach meinem
Wunſche und nach dem Berdienſte ihrer Handlungsweiſe
zu ehren, indem ſie herkommt, mich aufzuſuchen.
Der Graf, deſſen Sinn nicht dahin ging, Schaͤtze
aufzuhaͤufen, wie Diejenigen zu thun pflegen, bie ihren
Reichthum nicht befigen, ſondern vielmehr von ihm wie
Sklaven in der Weiſe befeflen werden, baß fie Teinen
Heller für ſich ſelbft, geſchweige denn für andere auszu-
geben wagen, fagte, als er bie ihm von Filippo erzählte
Geſchichte vernommen hatte: Wie nun, Filippo, haft du
fo wenig Vertrauen zu mir, daß bu nicht glaubft, ich
werde bir das Unrecht vergüten, das bir dein fchlimmes
Geſchick anthut? Sei gutes Muth, denn es ift mein
Wille, daß, wenn dich diefes Weib in Venedig für einen
Herrn gehalten hat, fie dich in Ferrara für einen König
halten ſoll. Die Meinigen find, wie bu weißt, in Vice
novo und ich bin hier mit acht oder zehn Dienern, Pferden,
Magen und allen Dingen, bie nur irgend von Nöthen
fein würden, irgend einer großen Dame die fehuldigen
Ehren anzuthun. Mein Haus fommt allem, mas barin
ift, fei- für zehn Tage dein! Hole beine Geliebte mit
59. Filippo Gala und fein Herr. 355
meinem Hofwagen zu bie ab. Sch Laffe die alle diefe
Diener auf diefe Zeit zu Befehl und gehe die wenigen
Tage aufs Land. Du magft indeffen in meinem Haufe
gebahren, wie bu von mir vorausfegen würdeſt, daß ich
thäte, um ein zärtlich geliebtes Weib ehrenvoll darin zu
empfangen.
Filippo fühlte fi) durch die Worte des Grafen voll-
fommen getröftet, ſchämte ſich jedoch, zuzugeben, daß der
Graf fein Haus verlaffe und ihm ganz einräume, und
on fo ganz über das Haus und was barin war ſchalten
affe.
€
Eure Gefälligkeit gegen mich, fagte er zu dem Grafen,
iſt mir zwar theuer und ich konnte von eurer Grofmuth
nichts anderes erwarten; aber da ich nicht durch An⸗
nahme eured mir gütigft gemachten Anerbietens, während .
ih meine Achtung vor andern zu erhalten fuche, nicht
mich euch gegenüber in ein nachtheiliges Licht fegen möchte,
kann ic) diefes Erbieten nicht in feinem ganzen Umfange
annehmen. Es genügt mir, mit einer oder zwei- Abend-
mahlzeiten diefe meine Geliebte ehrenvoll zu empfangen
und fie anfländig auszuftatten, um nach Venedig zurüd.
. zufehren; das Weitere will ich mit Worten abmachen
und bin gewiß, fie wird zufrieden mwegreifen.
Der Graf, beffen Großmuth den Umfang feiner Reich-
thümer noch überfteigt, ließ ſich durch —28 — Worte
nicht von ſeinem Plane abbringen.
Filippo, ſagte er, wenn du auch, wie du mir geſagt
haſt, zufrieden mwäreft, fo wäre doch ich noch nicht zu⸗
frieden, da ich fonft nicht das Bewußtſein hätte, für
einen Freund Alles gethan zu haben, was ich in ähn-
lichem Kalle um meinetwillen thäte. Darum bleibe es
dabei, und wenn es dir zu viel fcheint für deine Be⸗
fheidenheit, fo fcheint es mie noch viel zu wenig für bag, -
was ich einem Freunde wie bu zu thun verpflichtet Bin.
Nachdem er dies gefprochen, rief er alle feine Diener
vor ſich und fagte zu ihnen: Ich laffe in meinem Palafte
256 XVII. Giovanni Battifta Siraldi Eintio.
auf zehn Tage Filippo als unumfchränkten Gebieter über
das Haus und Alles, was barin ift, zurüd, und es ift
mein Wille, daß ihre ihm gehorchet und dienet, nicht an«
ders, als wenn ich es felbft wäre. In biefer Zeit fagt
ihr ber Frau, welche er hierher bringt, das Haus und
was darinnen ift, gehöre Filippo; und wer von euch hierin
mir zuwider handelt, bat meine Ungnade zu gewärtigen.
Dann fafte er Filippo's Hand.
Du wirft, fagte er zu ihm, ihnen befehlen, was bir
erforderlich fcheint, um dieſe beine Frau bier in Ferrara
zu ehren und fie nach Venedig zurüdyubringen, fo ehren-
voll, als dir zweckmaͤßig ſcheint; und diefe meine Leute
follen deinen Befehlen aufs Bereitwilligfte gehorchen, wie
wenn ich felbft die Befehle ertheilte,
Filippo wollte durchaus fo viel nicht annehmen, aber
der Graf geftattete Feine fernere Widerrede, lieb ihn im
Defig von Allem und begab ſich auf das Land. Filippo
zog nun bie vornehmften Kleider an, die ber Graf befaß,
beftieg das fchönfte Neitpferb mit reichem Geſchirr und
ſuchte mit vier Reitknechten feine Geliebte auf, melde
ihm, als fie ihn erblidte, mit offenen Armen entgegen-
eilte.
Ad, Herr Filippo, rief fie, wie habt ihr es fo lange
Tonnen anftehen Tafien, ohne mich zu befuhen! Euer
langes Ausbleiben bat mic auf die Vermuthung gebracht,
ihr Tiebet mich nicht mehr. Fürwahr, wenn ihr das Feuer
ber Liebe fo fehr gefühlt hättet, wie ich es fühle, fo hättet
ihr gegenüber von mir das gethan, was ihr feht, daß ich
gegenüber von euch getban habe. Ich konnte die Be-
drängnig bes Wartens nicht länger mehr aushalten unb
babe mich genöthigt gefehen, euch endlich aufzufuchen,
während doch eure unbeftreitbare Schulbigkeit war, daß
ihr eurem DVerfprechen gemäß, zu mir famet.
Laſſen wir, fagte Filippo, die Beſchwerden beifeit,
liebes Herz, und denken nunmehr an bie Freude, da ihr
jegt bier ſeid.
%
59. Filippo Sala und fein Herr. 237
Er brachte fodann diefelbe Ausrede vor, bie ſchon
fein Freund gegen fie geäußert hatte.
Nur das eine, fagte er, will ich zu meiner Ent
fhuldigung anführen, daß ich im Dienfte meines Herrn
in fehr wichtigen Angelegenheiten befchäftigt war; er hält
mich fortwährend in Arbeit und läßt mich faum Athem
fchöpfen. Wenn ich aber auch nicht nad) Venedig ge⸗
fommen bin, fo ift doch mein Herz immer bei euch ge⸗
wefen und ich habe fortwährend gemünfcht, ed möge fich
mir eine Gelegenheit bieten, wo ich mit dem Wohlnehmen
meines Fürften abtommen könnte, um euch aufzufuchen.
Da ich aber dies nicht thun konnte, bin ich euch um fo
dankbarer für die mir bethärigte Liebe, indem ihr mid)
bier aufjuchte. So angenehm mir aber auch dies ift,
fo kann ich dennoch nicht umhin, mich deshalb fehr über
“euch zu beſchweren, daß ihr bei eurer Ankunft in Ferrara
in eine Mietbwohnung gezogen feid, ftatt bei mir felbit
in meinem Palaſte abzufteigen. Ich komme aber eudy
aufzufuchen, fobald ich von eurem Hierfein vernommen,
um euch abzuholen aus diefem Haufe und in das eurige
zu bringen, denn der Palaft, in welchem ich wohne, foll
ebenfo gut der eure fein, wie er mir gehört.
Damit wandte er ſich zu einem der Diener und fagte:
Geh fehnell und Taf meinem Wagen rüften und herbringen,
daß wir Madonna in den Palaft führen.
Während der Diener hineilte, blieb Filippo bei ber
"Frau in fügen Gefprächen, bis der Wagen fam. Als
dies gefchah, flieg fie mie ihren Frauen hinein und fuhr
begleitet von Filippo in den Palafl. Als fie diefen ſah,
ber vielleicht feines Gleichen nicht in der Stadt hat, denn
er fieht eher wie das Schloß eines großen Fürften aus,
ald wie das eines Edelmanns, als fie in die Gemächer
trat und alle mit den reichften Tüchern behangen und
mit reichen und fehr fchönen Betten außdgeftattet fah,
bachte fie, der habe wol mit Recht in Venedig ben Titel
Herr geführt, Wenn nun bie Eſſensſtunde Fam, fo fland
28 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
immer Morgens und Abends ber Tiſch voll ber beften
Speifen und köſtlichſten Weine, es waren Diener umber,
welche alle ein fo anftändiges Ausfehen hatten, daß fie
lauter Herren fhienen. Dies Alles fegte fie in Erſtaunen.
Auf folhe Weife ging es ſechs Tage fort. Endlich be»
gehrte fie nach Venedig zurüdzufehren und fagte eines
Abende nach dem Effen: Herr Filippo, ich bin lange
von Haufe meggewefen; mit der Zeit, mo ih euch ge
fucht Habe, mit ber, in weicher ich bei euch geweſen bin
und mich bier aufgehalten babe, find zwölf Tage hinge⸗
gangen. Nachdem ich euch nun aber gefehen und zu
meiner großen Freude einige Tage euren Umgang ge-
noffen babe, will ich mit eurer Vergünftigung nad Be
nedig zurückkehren; nicht als ob ich nicht wünfchte, mit
euch mein ganzes Leben binzubringen, fonbern meil, wie
euch die Angelegenheiten eures Fürften vollauf befchäftigen,
fo auch meiner in Venedig Gefchäfte von nicht geringem
Belange warten und mid dahin abrufen, da fie fonft
einen ganz fhlimmen Bang nehmen möchten, wenn ich
nicht dabei märe.
Zilippo wollte nun die ganze Vollmacht ausüben,
welche die Großmuth des Grafen ihm geftattet hatte.
Liebe Seele, fagte er, es fcheint, ihr feid fo lange
bei mir gewefen, daß es euch genügt, und mir ift es,
ale wäret ihr erft geftern Abend bierhergefommen. &o
wünſche ich denn, daß ihre wenigftens noch zehn Tage
bei mir bleibet.
Er fagte dies, weil er ſchon die Eile fah, womit die
Frau fih zur Abreife rüftete und baher fiher war, daß
fie einen fo langen Auffchub nicht annehmen würde. Er
täufchte fich auch in diefem Gedanken nicht, denn fie fagte:
Ich wünfchte ganz und auf immer hier bleiben zu können,
wie ich euch ſchon fagte, aber die Verhäftmiffe zwingen
mich wider meinen Willen zurückzukehren. Daram bitte
ich euch, zufrieden zu fein und mich zu entlaffen.
Silippo fpielte darüber den Berbrießlichen.
59. Filippo Sala. und fein Herr. 280
Ich werde glauben müſſen, ſagte er, daß ihr mich
nicht im Ernſte liebt, wenn ihr euch nicht noch zehn
Tage bei mir aufhalten mögt.
Ich kann nicht, mein Herr, meiner Treu ich kann
nicht, antwortete ſie; wenn ich ſo lange wegbleibe, ſo
bin ich ſicher, daß alle meine Angelegenheiten in Venedig
ſchief gingen. Ich weiß aber, daß ihr meinen Schaden
nicht begehrt. |
Keineswegs, antwortete er; und wenn ihr nicht noch
zehn Tage bleiben wollt, fo bleibt wenigftens ſechs!
Sie behauptete von neuem, es fei ihr unmöglich,
und fo brachte er fie dahin, noch bie vier Tage zu
bleiben, mit welchen fein Regiment ablief. So ging
denn bie Lebensweife und die Bedienung in berfelben
Ordnung und Überfülle fort, daß fie Filippo für nichts
anderes, ald einen großen Herrn halten mußte. — Am
Morgen ded zehnten Tages kam der Graf zurüd nad
Ferrara, ließ Filippo zu fih rufen und ſprach: Nun,
Filippo, wie ift die Sache abgelaufen? Haft du beiner
Geliebten Ehre erwielen ?
Fa, gnädiger Herr, antwortete er, Dank eurer Güte,
und ich wollte ich hätte taufend Zungen und eine Stimme
von Stahl um euch vollftändig und anhaltend danken zu
können für fo große Gefälligfeit, für welche ich euch immer
unendlich verbunden fein werde, fo lange ich lebe.
Der Graf verfegte: Ich weiß nicht, ob du nicht viel⸗
leicht noch länger im Befige des Meinigen zu bleiben
wünfcheft; fage mir's, du wirft feine Fehlbitte then.
Nur zu lange, Herr Graf, habt ihr mid barin ge
laffen, antwortete er, und ed war nahezu eine Unzart⸗
beit, daß ich geftattete, daß ihr fo lange aus eurem Haufe
wegbliebet, um mich, ber ich euer Diener bin, eure Stelle
darin einnehmen zu laffen. Überdies will bie Frau morgen
früh ohnfehlbar nach Venedig zurückreiſen und ich habe
ſie nur mit Mühe bis heute aufgehalten.
Da ſie nun weggehen will, ſagte der Graf, möchteſt
240 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
du ihre nicht gerne ein Geſchenk machen, damit fie dich
im Andenken behalte?
Menn ih nur fo viel hätte, Graf, fügte Filippo bei,
als ich ihre zu geben wünſchte. Da ich aber fonft nichts
babe, fo werde ich fie mit Verſprechungen befriedigen,
fo gut ich kann.
Ich wünſche aber, fagte der Graf, daß du fie mit
einem Geſchenke entlaffeft, das der ihr gethanen Kund-
gebung entſpricht. Darum nimm diefen Ring und ſchenke
ihre ihn!
Bei biefen Worten gab er ihm einen Foftbaren Dia-
mant. Filippo wollte ihn durchaus nicht annehmen in
der Überzeugung, daß ber Graf bis hierher nur allzuviel
gethan habe und daß er ihm nicht noch weiter befehweren
dürfe. Aber er war genöthigt, ihn boch anzunehmen,
was denn feine Heiterkeit verdoppelte. Hierauf wollte ber
Graf aud mit ibm nach Haufe gehen, um zu fehen, ob
ber Ruhm der Schönheit, den Filippo der Frau zuerkannt,
in ber That der Art fei, wie er geſchildert. Er trat in
den Palaft, und Filippo that, als wäre es ein ihm be-
freundeter Edelmann, ber ihn befuche. Er zeigte ihm
die Frau und ließ fie ihm die Hand reihen. Da gedachte
der Graf, Filippo habe noch wenig gefagt im Verhältniß
zu dem, wie er es gefunden hatte, und konnte fich nicht
fatt an ihre fehen. Filippo wußte, daß der Graf ein
großer Verehrer von ſchönen Frauen war und keine Aus-
gabe fcheute, um den Befig einer jeden zu erwerben,
die ihm wünſchenswerth fchien. Er ftellte fi) daher vor,
der Graf babe fich auch in dieſe Frau verliebt, und fagte
zu ibm: Graf, fie ift weder meine Zochter, noch meine
Frau, noch meine Schweiter, fondern ein Weib, das
zwar nicht jedermann angehört, aber doch gegen vornehme
Herten, bie nad ihr traten, nicht farg if. Da mir
nun vorkommt, ihre Schönheit habe Eindrud auf euch
gemacht, fo geftattet mir, wenn es euch recht ift, daß ich
euch bei ihr Iafje; und damit ihr ungeflört mit ihr ſeid,
Ä
59. Filippo Sala und fein Herr. 241
will ich mich von Haufe entfernen und ihr anbeuten,
daß ich nichts dawider habe, wenn fie zu euch ‚halt,
nicht als wollte ich auf biefe Weiſe eure Großmuth
vergelten, welcher ich nicht im Geringſten es gleichthun
koͤnnte, und wenn ich mein Leben für euch ließe, ſon⸗
dern ich möchte nur nicht für einen niedrigen Menſchen
gelten und euch das verweigern, was ich ohne allen
Nachtheil für mich euch zu eurer Genugthuung gewähren
ann.
Der Graf, der zu anderer Zeit und unter andern
Umftänden den ihm angebotenen Befig der ſchönen Vene⸗
zianerin nicht nur mit Freuden angenommen, fondern
felbft gerne um den höchſten Preis erkauft hätte, mollte
doch nicht durch eine thörichte Luſt die Handlung der
Edelmuth befledien, die er im Dienfte feines Freundes '
geübt hatte. Er fagte daher: Filippo, beine Geliebte ift
weit fchöner, als du mir gefagt haft, und die Luft konnte
mich wol bahin bringen, auf deinen Vorſchlag einzugehen.
Behüte aber der Himmel, daß mic, ein lofes Feuer dazu
verführe. Ich habe fie zur Genüge genofien, indem ich
deiner LKeidenfchaft zu ihre Vorſchub leiftete, und wie du
fie hierher gebracht haft als die deinige, fo führe fie auch
als folche von binnen.
Ohne weiter ein Wort hinzuzufügen, ging er aus
feinem Haufe fort und ließ Filippo in Freiheit, alle nö⸗
thigen Vorkehrungen zur Abreife feiner Schönen zu treffen.
Er brachte fie reichlich mit Lebensmitteln verfehen in ehren⸗
vollfter Begleitung zu Schiffe und gab ihr, als er mit
ihr die Barke beftiegen hatte, den fchönen Ring, den ihm
der Graf gefchentt, mit den Worten: Nehmt dies umd
behaltet es zum Andenken an euren Filippo.
Dann verabfchiedete er ſich zum legten Mal von ihr
und verließ fie Außerft befriedigt mit ihm. AB in ber
Folge öffentlich verlautete, was der Graf für feinen
Freund gethan hatte, erachtete ihn jedermann für den
alfervollfommenften Edelmann feines Landes, zählte ihn
Italiänifcher Novellenſchatz. II. il
243 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio.
unter bie wenigen, bie ihren Reichtbum dann wahrhaft
zu befigen glauben, wenn fie ihn freigebig im Dienfte
ihrer Freunde und Diener verwenden, und man wünfchte
nur, daß in der Stadt unter den reichen Edelleuten viele,
welche ihm glichen, gefunden würden.
60. Ma für Map.
(8, 5.)
As Kaiſer Maximilian der große, dieſer feltene
Spiegel ber Ritterlichkeit, Großmuth und hoher Gerech⸗
tigkeit, das römifche Reich mit fo vielem Glücke ber
berefchte, fchicte er feine Diener aus, um die Provinzen
zu verwalten, welche unter feinem Scepter blühten. So
trug er unter andern die Statthalterfchaft über Inspruck
dem Juriſte auf, einem Wanne, der fein Vertrauen und
- feine Liebe befaß. Che diefer dahin abging, ſprach der
Kaifer zu ihm: Juriſte, ich habe, feit du in meinen
Dienften ſtehſt, eine fo günftige Meinung von dir ge
faßt, daß ich befchloffen Habe, dir die Verwaltung einer
fo edeln Stadt wie Insptud zu übertragen. Über ihre
Verweſung hätte ich dir vielerlei Dinge anzuempfehlen,
ih faffe aber alled in die eine Anmweifung zuſammen,
daß bu bie Gerechtigkeit unverleglih handhaben mögeft,
foßlteft du auch gegen mich felber, der ich dein Herr bin,
zw entfcheiben haben. Wiſſe nämlich, daß ich Dir alle
andern Fehltritte, die du aus Unkenntniß oder auch aus
Nacläffigkeit begehen könnteſt (obgleich es mein Wille ift,
daß bu auch diefe nach allen Kräften vermeideft), vergeben
koͤnnte, aber für ein Vergehen wider die Gerechtigkeit
würbeft bu niemals bei mir Vergebung finden. Fuͤhlſt
du nun vielleicht, daß du nicht alfo biſt, wie ich dich
60. Map für Maß. ' 243
wünfche, denn ein Menſch ift nicht zu allem gut, fo
enthalte dich, biefe Würde anzunehmen, und bleib lieber
bier am Hof in beinen gewohnten Befchäftigungen, in
denen du mir werth bift, denn indem ich dich zum Statt⸗
halter dieſer Stadt mache, babe ich Dir eine Gnade er
wiefen, die ich nur mit großem Widerwillen und aus
Rechtsgefühl dann zurücknehmen müßte, wenn bi bie
Gerechtigkeit verlegteft. | |
| ‚Hier ſchwieg der Kaifer fill, und Juriſte, der fih
viel weniger felbft Tannte, als über das ihm zuertheilte
Amt erfreut war, dankte feinem Gebieter für fein huld⸗
reiches Andenken und fagte zu ihm, er fühle fi, zwar
fhon duch fich felbft zur Ausübung der Gerechtigkeit
angetrieben, er werde fie aber nun um fo firenger beob»
achten, da feine Worte ihm als Fackel dienen müffen,
die ihm auf dem Wege der Erfüllung feiner Pflichten
vorleuchte. Er wolle fih Mühe geben, fein Amt fo zu
verwalten, daß feine Majeftät nur Veranlaffung haben
werde, ihn zu loben. Der Kaifer nahm Juriſte's Worte
vohlgefällig auf und fagte: Gewiß werde ich nur Urfache
haben, dich zu loben, wenn deine Handlungen fo gut
ausfallen, als deine Worte.
Er ließ ihm darauf den ſchon ausgefertigten Beftal-
Iungsbrief einhändigen und entließ ihn nach feinem Be⸗
fimmungsort. Juriſte begann die Stabt mit Umficht
und Eifer zu beberrfchen, ließ es fich fehe wichtig und
angelegen fein, überall die Wage gerade zu halten,
ebenfowol in ben Gerichten als bei Bertheilung von
Amtern, in Belohnung der Tugend und Beftrafung bes
Laſters. Und lange Zeit gewann er durch ſolche Mäfi-
gung bie größte Gunſt feines Herrn und erwarb fich
die Liebe des ganzen Volkes, ſodaß er in der That wäre
glüdlich zu preifen gewefen, wenn er feine Amtsführung
auf diefe Weiſe fortgefegt hätte. Da geſchah es jeboch,
daß ein Züngling Namens Vico einer jungen Bürgerin
aus Insprud Gewalt anthat und deshalb bei Juriſte
11*
244 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
angeflagt wurde. Diefer ließ ihn ˖alsbald feſtnehmen,
brachte ihn zum Geftändnif, daß er die Jungfrau ger
nothzuchtige habe, und verurtbeilte ihn nad dem Gefeg
jener Stadt, welches dahin lautet, daß einem Schuldigen
dieſer Urt der Kopf abzufchlagen fei, felbft wenn er ge-
neigt wäre, bie Entehrte zu heirathen. Der Jüngling
hatte eine Schwefter, eine Jungfrau von nicht über acht«
sehn Jahren, die mit einer ungemeinen Schönheit aus-
geftattet war und in ihrer Mebe wie in ihrem ganzen
Auftreten einen füßen Liebreiz fund gab, den ihre jung»
fräuliche Reinheit noch erhöhte. Epitia, fo mar ihr Name,
wurde von dem bitterften Schmerze durchdrungen, als fie
das Todesurtheil ihres Bruders vernahm, und befchloß,
fie wolle fehen, ob fie wo nicht den Bruder freimachen,
fo doch feine Strafe mildern könne. Sie hatte zugleich
mit ihrem Bruder den Unterricht eines alten Mannes
genofien, den ihr Vater ind Haus genommen hatte, um
fie beide in der Philofophie zu untermeifen, von welcher
freilich ihe Bruder einen guten Gebrauch gemacht hatte.
Sie ging alfo zw Juriſte und bat ihn Erbarmen mit
ihrem Bruder zu haben, wegen feines zarten Alters
(denn er war noch nicht über fechzehn Jahre alt), das
ihn entfchuldbar mache, wegen feiner geringen Erfahrung
und wegen des heftigen Triebes, womit die Liebe ihn
aufgeftachelt. Sie fegte ihm auseinander, wie es die
Anſicht der größten Weiſen fei, daß der Ehebruch, ber
aus Drang ber Leidenfchaft begangen werde und nicht
darum, um den Gatten der Frau zu beichimpfen, gerin-
gere Strafe verdiene, als wenn man ihn aus beleibi-
ender Abficht verübe; daffelbe gelte von dem Kalle ihres
Bruders, welcher nicht um zu befchimpfen, fondern von
glühender Liebe gedrängt, das getban habe, um beöwillen
er verurtheilt worden fei; überdies wolle er ja fein Ver⸗
gehen im Wefentlihen dadurch wieder gut machen, daß
er das Mädchen zu heirathen geneigt fei; wenn aud)
Das Geſetz vorfchreibe, daß dies Jungfernſchaͤndern nichts
6%. Maß für Maß. | 245
helfen folle, fo koͤnne ja er als ein Huger Mann diefe
Strenge mildern, welche eher ein Unrecht als Gerechtig-
£eit in fich fchließe, denn er fei ja vermöge der vom
Kaifer ihm übertragenen Gewalt das lebendige Gefeg,
und fie ſei der Anficht, daß feine Majeftät ihm folche
Gewalt dazu verliehen habe, daß er fich bei aller Unparteis
lichkeit lieber gnädig als hart erweife; und wenn je in
einem Kalle Milde anwendbar fei, fo fei dies bei Der-
gehen der Liebe, vorzüglich dann, wenn bie Ehre der
Geſchwächten gerettet werde, wie dies hier bei ihrem
Bruder der Fall fei, welcher volllommen bereit fei, fie
zur Frau zu nehmen; fie glaube, jenes Gefeg fei mehr
der Abfchredung wegen gegeben, als um es in Vollzug
zu fegen, denn es dünke fie graufam, ein Vergehen mit
dem Zode zu flrafen, das zur Genugthuung des gefränkten
Theils auf ehrenvolle und gottgefällige Weile wieder gut
gemacht werben künne Mit diefen und vielen andern
Gründen fuchte fie den Jurifte zu überreden, baf er dem
Verbrecher verzeihe. Juriſte, deſſen Ohr bie füße Stimme
und Nede der Epitia eben fo fehr ergegte, als ihre feltene
Schönheit feinen Augen wohlgefiel, konnte ſich nicht fatt
an ihr hören und fehen und veranlaßte fie, ihm ihre
Gegenvorftellungen noch einmal zu wieberholen. Die
Jungfrau, welche dies als ein gutes Zeichen anfah, fagte
daſſelbe noch einmal und noch viel eindringlicher, als
zuvor. Die Anmuth, womit Epitia fprach, und der
Sauber ihrer Schönheit entwaffnete ihn völlig. Don
heftigem Sinnenreiz ergriffen kam er auf den Gedanken,
fi deffelben Verbrechens an ihr fehuldig zu machen,
um deffen willen er Vico zum Tode verurtheilt hatte.
Epitia, fprach er zu ihr, beine Bitten haben es dei⸗
nem Bruder ausgewirkt, da die Vollziehung des Urtheils,
nach welchem er fihon morgen den Kopf verlieren follte,
fo lange verfchoben bleiben foll, bis ich die Gründe er-
wogen habe, bie du mir vorgetragen haft. Wenn ich
fie fo befchaffen finde, daß ich dir deinen Bruder frei-
346 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
geben Tann, fo gebe ich die ihn um fo Lieber zurück,
als es mic fehmerzen würde, ihn zum Tode führen zu
feben um ber Gtrenge des Geſetzes willen, das eine
folche Härte beflimmt.
Diele Worte gaben Epitien frohe Hoffnung; fie dankte
ibm vielmals, daß er fi ihr fo gnädig erwieſen habe,
und betheuerte ‚ihm ewig dafür verpflichtet bleiben zu
wollen, denn fie erwartete, er werbe fich in Befreiung
ihres Bruders ebenfo gefällig finden laſſen, als ex fi in
BVertagung bes Endziels feines Lebens gefällig. erwieſen
hatte. Sie fügte hinzu, fie bege das feftefte Bertrauen,
das, was fie gefprochen, werde ihn bei näherer Erwaͤ⸗
gung beftimmen, ihren WBunf dur Freilafſung ihres
Bruders ganz zu erfüllen; worauf er erwiberte, er werbe
ihre Gründe erwägen und wenn er es ohne Beleidigung der
Gerechtigkeit thun könne, nicht ermangeln, ihrem Wunſch zu
willfahren. Mit der ſchönſten Hoffnung verließ ihn Epitia,
begab fi * zu ihrem Bruder und erzaͤhlte ihm ausführlich,
welchen Schritt fie bei Juriſte gethan und welche Hoff-
nungen ſie aus ſeinen Außerungen entnehmen zu dürfen
glaube. In ſo bedraͤngter Lage vernahm Vico dies mit
Freuden, bat ſie, nicht abzulaſſen, ſeine Befreiung nach⸗
zuſuchen und bie Schweſter gelobte ihm ihre nachdrück⸗
lichſte Verwendung. Juriſte, dem ſich die Geſtalt des
Mädchens in die Seele geprägt hatte, dachte in feiner
Züfternbeit nur darauf, Epitiens zu genießen unb er-
wartete daher mit Ungeduld ihre MWiederkunft. Epitia
ließ drei Tage vergehen und erichien darauf mwieber bei
Jurifte mit der befcheibenen Frage, mas er befchloffen
babe. Sobald Juriſte fie erblickte, fühlte er fih ganz
Feuer und Flammen und ſprach: Sei mir willlommen,
fchönes Mädchen! Ich habe nicht ermangelt, die Gründe,
womit bu beinen ‚Bruder gegen mich vertheidigteft, indeß
nochmals zu erwägen, ja, ich habe fogar deren neue auf⸗
gefucht, um dich zufrieden zu fiellen. Aber leiber babe
ich mich überzeugen müflen, baf ihm alles nur den Tod
6. Maß für Maß. 247
zufpricht, da nach dem allgemeinen Geſetze kein Menſch,
der nicht ohne Vorwiſſen, fondern nur aus Unsiffenheit
fündige, Entfhuldigung finden Tann; denn er hätte wiſſen
ſollen, was alle Menſchen ohne Unterſchied wiſſen müſſen,
um rechtlich zu leben, und wer aus einer ſolchen Unwiſſen⸗
heit fehlt, verdient weder Entſchuldigung noch Mitleid.
Dein Bruder iſt in dieſem Falle; er mußte wiſſen, daß
das Geſet einem Jungfrauenſchänder den Tod zuerkennt;
ee muß alfo fterben und ich kann ihn von Rechtéswegen
feine Gnade angebeihen laſſen. Allerdings mwünfchte ich
die zu Gefallen alles mögliche zu thun, und wenn du
daher, da du deinen Bruder fo fehr liebft, dich dazu
verftehen wollteft, dich mir zu ergeben, fo wäre ich gern
bereit, ihm das Leben zu fchenten und fein Todesurtheil
in eine mildere Strafe zu verwandeln.
‚ Epitien flieg auf diefe Worte das Blut ins Geficht
und fie fagte zu ihm: Das Leben meines Brubers ift
mir allerdings viel werth, aber weit theurer ift mir doch
meine Ehre, und ich wollte meinen Bruder lieber mit
dem Veriuſte meines Lebens, als mit bem meiner Ehre
erretten. Darum fieht ab von biefem eurem unehrbaren
Gedanken! Kann ich aber auf andere Weife, als ba»
durch, daß ich mic, euch hingebe, meinem Bruder das
Leben retten, fo werde ich bas gerne thun.
Einen andern Weg, fagte Juriſte, gibt es nicht, als
ben ich dir bezeichnet Habe. Auch follteft du Dich nicht
fo fpröbe gegen mich bemweifen, da es fich leicht fügen
könnte, daß ich dich in Folge unſerer erſten Zufammen-
fünfte zu meiner Frau erföre.
Ich will meine Ehre nicht in Gefahr bringen, erwi⸗
derte Epitia.
Wie fo in Gefahr? fragte Juriſte. Vielleicht bift
du fo befhaffer, daß du dir nicht vorſtellſt, es werde
gut gehen. Denke hübfch darüber nah! Ich erwarte
beine Antwort morgen.
Die Antwort gebe.ich euch auf der Stelle, erwiberte
248 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
fie, denn wenn ihre mich nicht zur Frau nehmt, da ihr
doch wollt, daß bie Befreiung meines Bruders hiervon
abhängen fol, fo ift alles in den Wind gefproihen.
Jurifte verfegte nochmals, fie folle die Sache erwägen
und ihm morgen ihren Entfchluß zu wiffen thun, wobei
fie auch reiflich überlegen möge, wer er fei, welche Macht
er bier zu Lande befige und wie nüglich er nicht nur ihr
werden könne, fondern jebem, dem er mohlmolle, denn er
babe bier Recht und Gewalt in Händen. Epitia ging
hoͤchſt beftürzt von ihm zu ihrem Bruder, dem fie hinter-
brachte, was zwifchen ihr und Juriſte vorgefallen, und
ſchloß damit, fie wolle ihre Ehre nicht verlieren, um ihm
das Leben zu retten. Sie bat ihn unter Thraͤnen ſich
vorzubereiten, das Loos geduldig hinzunehmen, das ihm
das Verhängniß ober fein ungünftiger Zufall bereite.
Da begann Vico plöglich heftig zu weinen und feine
Schwefter zu bitten, fie möge ihn nicht fterben lafien,
da fie doch ‘auf bie von Jurifte vorgefchlagene Weife ihn
befreien könne.
Willſt du denn, Epitia, ſprach er, mir das Henker⸗
beil am Halfe und den Kopf von diefem Körper ab«
Schlagen fehen, den berfelbe Keib, wie bich, getragen,
berfelbe Vater erzeugt bat? Willſt du mich, der bisher
mit dir aufgewachfen ift und denfelben Unterricht mit
bir genofien hat, vom Henker zu Boden geworfen fehen?
D meine Schwefter, laß die Stimme der Natur, des
Blutes und ber Liebe, die ſtets zwiſchen uns waltete,
Dich bewegen, mich, da es ja in deinen Kräften fteht,
von einem fo jämmerlichen und fchändlichen Ende zu bee
freien. Ich habe gefehlt, ich geftehe es; du, Schweſter,
Die meine Fehler wieder gut machen kann, fei nicht arg
mit deiner Hilfe! Hat dir Jurifte gefagt, daß er dich
zur Frau nehmen könne, warum willft du es nicht für
möglih halten, daß es gefhehet Du bift fehr fchön,
mit allen Meizen begabt, womit die Natur eine Edelfrau
fhmüden kann; du bift von guter Kamilie und anmuthig,
60. Maß für Maß. 249
befigeft eine wunderlieblihe Art dich auszubrüden, lauter
Vorzüge, welche dich fammt und fonders dem Kaiſer der
ganzen Welt, gefchiweige den Juriſte, wünfchenswerth
machen müſſen. Du haft alfo nicht Grund, zu fürchten,
dag Jurifte anftehen werde, dich zum Weibe zu nehmen
. und fo ift deine Ehre gefichert und zugleich deines Bru⸗
ders Leben gerettet.
Dico meinte bei diefen Worten, und mit ihm weinte
Epitia, welche Vico umarmt hielt und nicht eher wieder
losließ, bis fie von den Thränen des Bruders gerührt
ihm verfprach, fich feinem Mathe gemäß dem Surifte
hinzugeben, wenn diefer ihm das Leben fchente und fie
in der Hoffnung befeftige, daß er fie zum Weib nehme.
Als dies unter ihnen befchloffen war, begab fich die
Jungfrau am folgenden Tage zu Juriſte und fagte ihm,
die Ausficht, welche er ihr eröffnet habe, nad) den erften
Zufammentünften fein Weib zu werden, und der Wunfd,
den Bruder nicht nur vom Tode, fondern von aller Strafe,
die er durch fein Vergehen verwirft haben könne, zu be
freien, haben fie zu dem Entfchluß gebracht, fi) ganz
feiner Willkür zu überlaffen; aus beiden Nüdfichten fei
“fie alfo bereit, fi ihm hinzugeben; vor allem aber be-
ftehe fie darauf, daß er ihr das Leben und die Freiheit
ihres Bruders verfpreche. Juriſte hielt fi) für den glück⸗
lichften der Menfchen, daß er eines fo ſchönen und reis
zenden Mädchens geniegen folle, und fagte ihr, er made
ihr jegt diefelben Hoffnungen, die er ihre neulich gemacht
habe und der Bruder folle ihre den Morgen nad, der
Beimohnung freigegeben werden. Nachdem fie zufammen
zu Nacht gefpeift, begaben ſich Surifte und. Epitia zu
Bett, wo der Niederträchtige ſich volllommen an dem
Mädchen erfättigte. Ehe er fi aber mit der Jungfrau
zur Ruhe begeben, hatte er, flatt Vico freizwiaffen, Be⸗
fehl gegeben, ihn fogleich zu enthaupten. Das Mädchen
konnte vor Begierde, ihren Bruder frei zu fehen, das Er-
fcheinen des Tages kaum erwarten, und nie hatte ihr
11**
250 XVII. Giodanni Battiſta Giraldi Eintio.
die Sonne fo fäumig gefchienen, den Tag heraufzuführen,
ale in dieſer Nahk Als es heil wurde, entwand ſich
Epitia den Armen bes Jurifte und bat ihn mit ben zaͤrt⸗
lichſten Worten, daß er die Hoffnung, bie er ihr gegeben,
fie zum Weibe zu nehmen, erfüllen und vor allem ihr
den Bruder frei zufchiden möge. Er antwortete ihr, ex
babe in ihrer Umarmung volle Freude genoſſen und fehe
alfo gern, wenn fie die Hoffnung nähre, die er ihr ge⸗
geben habe; den Bruder werde er ihr ins Haus ſchicken.
Nach diefen Worten ließ er den Gefangenwärter kommen
und ſprach: Geh in ben Kerker und hole ben Bruber
dieſer Frau und bring ihn in ihre Wohnung!
Als Epitia dies hörte, begab fie fich voller Freuden
nad Haufe und erwartete ihren Bruder. Der Kerker-
meifter ließ den Leichnam des Vico auf eine Bahre heben,
legte ihm das Haupt unter die Füße, fpreitete ein ſchwarzes
Zub darüber und ließ ihn nad Epitia's Haufe tragen;
er ſelbſt fchritt dem Zuge vorauf. Da fie ind Haus
traten, ließ er das Mädchen rufen und ſprach: Dies ift
euer Bruder, weichen euch der Herr Statthalter aus dem
Sefängniß freigibt.
Mit diefen Worten ließ er das Tuch wegziehen und
zeigte ihr den Bruder in dem Zuſtande, wie ihr ver⸗
nommen habt. Kaum möchte eine Zunge im Stande
fein, es auszufprechen, oder ein menfchlihes Gemüth,
es zu faſſen, welcher Schmerz und welcher Schreden
über Epitia kam, indem fie jegt ihren Bruder auf dieſe
Weiſe getödtet erblidte, den fie erwartet hatte, mit froh⸗
lockendem Herzen fobald als lebend und frei von jeder
Dein begrüßen zu koͤnnen, und gewiß nehmt auch, ihr,
meine Damen, an, daß der Schmerz der Unglüdlicyen
fo groß war, daß er jebe Art von Entfegen übertraf.
Dennoch verfchloß fie alles in ihrem Herzen, und wo
jedes andere Weib gemeint und gefchrien haben würde,
blieb fie, welche von der Philoſophie gelernt hatte, wie
der menfchliche Geiſt in jeber Rage befchaffen fein müſſe,
60. Maß für Maß. | 251
ſcheinbar ruhig und zufrieden. Sie fagte zu dem Kerker⸗
meifter: Hinterbring deinem und meinem Seren wieder,
dag ich meinen Bruder annehme, fowie es ihm gefallen
ut, ihn mir zu fenden, und daß es mir, da er meinen
len nicht babe thun wollen, recht fei, ben feinigen
erfüllt zu haben, den ich zu dem meinen mache, infofern
ich glauben will, er babe an dem, mas er gethan, eben
recht gehabt. Empfiehl mich ihm mit der Verficherung,
daß ich zu jeder Zeit bereit fei, ihm zu dienen!
Der Kerkermeifter meldete Juriſte Wort für Bert,
was Epitia ihm für ihn aufgetragen, und berichtete ihm,
daß fie bei dem entfeglichen Anblicke auch nicht das min-
defte Zeichen von Unmuth ‘habe blicken laſſen. Surifte
freute fi, al8 er das hörte, in feinem Innern fehr, und
ward der Meinung, das Mädchen möchte ihm mel nach
wie vor ihren Beſitz geftatten, als wenn fie feine Frau
wäre und er ihr Wico lebendig zurüdgegeben hätte.
Sowie der Kerfermeifter fort war, hub Epitia an, über
ihren tobten Bruder bitterlich zu meinen und lange und
fchmerzliche Klage zu erheben. Sie verwünfchte Juriſte's
Grauſamkeit und ihre eigene Einfalt, daß fie fich ihm
vor ber Befreiung ihres Bruders ergeben. Nachdem fie
lange geweint, ließ fie den Leichnam zur Erbe beftatten
und 309 ſich darauf felbft in ihre einfame Kammer zurück,
wo fie, von gerechtem Unmillen erregt, zu ſich fagte:
Alfo willft du es ruhig dulden, Epitia, daß diefer Schurke
dir deine Ehre geraubt und er dir dafür den Bruder
lebend freizugeben verfprochen, darnach aber ihn dir fobt
in fo jämmerlicher Berunftaltung dDargebracht bat? Willſt
du e8 ruhig dulden, daß er ſich doppelten Betrugs, den
ee an deiner Einfalt begangen, rühmen koͤnne, ohne daß
er dafür von dir die gebührende Züchtigung erhält?
Mit folhen Worten feuerte fie fih zur Nahe an
und fagte weiter: Meine Einfalt hat diefem Böſewichte
ben Weg gebahnt, das Ziel feiner fehändlichen Wünſche
zu erreichen. Seine Lüfternbeit fol mir nun das Mittel
252 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio.
zu meiner Nahe an die Hand geben; und wenn auch
die Rache mir nicht dad Leben meines Bruders zurüdgibt,
fo fol fie mir doch das Gemüth erleichtern helfen.
Bei folder Aufregung beftärkte fie ſich in diefem
Gedanken immer mehr und wartete nur darauf, daß
Juriſte fie von neuem zu fich befcheiden laſſen werde,
um bei ihre zu fchlafen. Für diefen Fall hatte fie be-
ſchloſſen, heimlich ein Meffer mit fi zu nehmen und
ihn wachend oder ſchlafend, fobald ſich die Gelegenheit
dazu darböte, zu ermorden; ja, wenn es irgend moͤglich
wäre, wollte fie ihm den Kopf abfchneiden, benfelben
auf das Grab ihres Bruders tragen und feinem Schatten
weihen. Nachher dachte fie der Sache freilich auch, wie⸗
ber reifliher nad) und fah ein, daß, wenn es ihr felbft
gelänge, den Schuldigen zu töbten, doch mit ziemlicher
Sicherheit anzunehmen fei, daß man fie ein ehrloſes
Weib nennen und glauben werde, fie habe diefe That
viel mehr aus Bosheit und Eiferfucht vollbracht, als weil
er fo treulos an ihr gehandelt. Da ihr num- die große
Gerechtigkeitstiebe des Kaifers wohl bekannt war, welcher
fih damals zu Villaco aufbielt, fo beſchloß fie zu ihm
zu gehen und fich bei feiner Majeftät über die Undank-
barkeit und Ungerechtigkeit Juriſte's gegen fie zu beilagen,
in der feften Überzeugung, der fo gnädige und gerechte
Kaifer werde dem Böfewicht ben verdienten Lohn für
feine Ungerechtigkeit und Undankbarkeit ertheilen. In
Trauerkleider gehüllt trat fie heimlich und ohne Beglei-
tung den Weg zu Marimilian an, bat um ein Gehör
und als es ihr gemährt wurde, warf, fie fi ihm zu
Füßen, und ſprach mit Elagender Stimme und der ganzen.
Haltung einer tief Gebeugten: Grhabenfter Kaifer, es
führt mich vor eure Majeftät der arge Verrath und die
unglaubliche Ungerechtigkeit, welche Surifte, euer. aifer-
lihen Majeſtaͤt Statthalter zu Insprud an mir verübt
bat; ich habe die Hoffnung, ihr werdet die Gerechtigkeit,
bie nie einem Unglüdlichen verfagt blieb, auch hier -auf
m
60: Maß für Map. 253
eine Weife üben, daß biefer Zurifte, über den ich mid)
des beifpiellofen Unrechts wegen, das er mir gethan hat,
unermeßlich zu beklagen babe, nicht triumphiren dürfe,
mich fo jämmerlich erwärgt zu haben: Entfchuldige euer
Majeftät. diefed Wort, das, fo ſtark es auch fcheint, doch
der graufamen und unerhörten Schande nicht gleichfommt,
die mir diefer Bofewicht zugefügt, der ſich zugleich höchſt
ungerecht und höchſt treulos an mir ermiefen hat.
Hierauf erzählte fie den Kaifer unter vielen Thränen
und Seufzern, wie Jurifte unter der Vorſpiegelung, fie
ehelichen und ihr ihren Bruder freigeben zu mollen, ihr
Magdthum geraubt und dann ihr den Bruder todt auf
einer Bahre, das Haupt zu den Füßen, ins Haus
geſandt habe. Alsdann ſtieß ſie einen ſo heftigen Schrei
aus und ihre Augen floſſen fo reichlich von Thränen über,
dag der Kaifer und alle Herren in der Umgebung feiner
Majeftät vor Rührung und Mitleid wie verfteinert da-
fanden. Aber obgleich) Maximilian fie feht bedauerte,
und das eine Ohr: den Klagen Epitiens öffnete, welche
er, nachdem fie ihre Anrede geendigt Hatte, fich erheben
ließ, fo bielt er doch das anbere für Juriſte frei und
fohifte die Dame zur Ruhe. Hierauf ließ er fogleih
ZJurifte rufen und befahl dem Boten und alien Anwe⸗
fenden bei Verluft feiner Gnade dem Surifte fein Wort
von dem, mas vorgefallen war, zu entdeden. Juriſte,
der ſich eher alles andere gedacht hätte, als dag Epitia
fih an den Kaifer gewandt habe, ftellte ſich ganz unbe»
fangen ein, und. da ihn feine Majeftät vorlief, neigte
er fi) und fragte, was er befehle.
Gleich, fagte Marimilian, gleich wirft du es erfahren.
Er ließ alsbald Epitia rufen. Als Jurifte fah, dag
fi e bier fei, die er fich bemußt war tief gefränkt zu Haben,
erſchrak er, vom Gewiſſen gefoltert, fo heftig, daß er von
allen Lebensgeifiern verlaffen am ganzen Leibe zu zittern
begann. Als Marimilian dies ſah, erkannte er, daß die
Anflägerin nichts als die reine Wahrheit gefagt habe.
254 XVII. Giovanni Battiſta Gireldi Gintio.
Er wandte fi au ihm und fprach mit dee Strenge, bie
feine Grauſamkeit verdient hatte: Vernimm, was dieſes
Mädchen dir Schuld gibt!
Dann befahl er Gpitien, ihre Klage vorzubringen.
Diefe erzählte von neuem den ganzen Hergang unb
wandte fi) zum Schlufſe nochmals mit der Bitte um
Genugthuung an ben Kaifer. Als Juriſte bie Anklage
vernommen, wollte er fie durch Schmeicheleien verföhnen
und ſprach: Ich hätte nie geglaubt, daß ihr, bie ich fo
herzlich liebe, vor feiner Majeftät meine Anklägerin wer-
den Eönntet.
Aber Marimilian duldete nicht, daß Jurifte dem Maͤd⸗
chen ſchönthue und ſprach: Es iſt hier nicht der Ort, den
Berliebten zu fpielen; beantworte nur bie Klage, welche
fie vorbringt!
Jurifte mußte alfo biefe Xift fahren laffen, welche
ihm hätte gefährlich werben können.
Es ift wahr, ſprach er, daß ich ihren Bruder habe
enthaupten laſſen, weil er eine Jungfrau entführt und
gefehwächt hatte; aber das. habe ich gethan, um bie Heilig-
keit der Gelege aufrecht zu erhalten und jene Gerechtigkeit
zu üben, weldhe euer Majeftät mir fo ſehr eingefchärft
hatte; denn ohne dieſe zu verlegen konnte ich ihn nicht
am Leben laſſen.
Hier fiel ibm Epitia ins Wort: Wenn du nun aber
die Gerechtigkeit babei vor Augen hatteſt, wie kam es,
daß dus mir doch fein Leben unter jener Bedingung zu
fiherteft, und mir mit der Vorfpiegelung, mich zur Frau
zu nehmen, mein Magbthum raubtefit Verdiente mein
Bruder wegen feiner einen Berfündigung, die Strenge
„ der Gerechtigkeit zu ſchmecken, fo verdienft du dies zwie⸗
fach mehr.
Da ftand ihr Juriſte verſtummt gegenüber und ber
Kaifer nahm zunächft das Wort.
Meinft de, Zurifte, fagte er, es heiße Gerechtigkeit
bewahren, wenn du ihr einen fo gefährlichen Stoß bei-
0. Maß für Ma. 256
bringſt, daß nicht viel zu ihrer völligen Ermorbung fehlt,
wenn du den größten Verrath übft gegen diefes Mädchen,
"wie nur je der gemeinfte Verbrecher gethan? Aber es
foll die nicht fo leer ausgehen, das glaube mir!
Zurifte fing nun an, um Gnade zu bitten und Epitia
ihrerfeits, um Gerechtigkeit zu flehen. Maximilian ermog
die Einfalt der Jungfrau und Juriſte's Bösartigkeit und
überlegte, wie er der Ehre der Jungfrau und der Ge-
vechtigkeit zugleich Genüge thun könne. Er befann fich,
was zu thun fei, und befhloß, Juriſte folle Epitia hei⸗
rathen. Sie wollte darein nicht willigen, indem fie be
hauptete, fie Tonne nicht erwarten, in der Ehe mit ihm
etwas anderes als Mishandlungen und Verrath zu er-
leben, aber Maximilian verlangte, da fie fich bei feinem
Beichluß befriedige. Epitia wurde mit Jurifte vermählt
und biefer meinte nun, alle Noth überftanden zu haben,
aber es gefchah ganz anders; denn Marimilian entließ
die Frau mit der Weifung in ihre Herberge zurückzu⸗
gehen, und mandte ſich dann zu dem zurüdgebliebenen
Jurifte mit folgenden Worten: Was du verbrochen, ift
zweierlei, eines nicht minder ſchwer, als das andere;
erftend haft du diefe Jungfrau gefchändet und zwar auf
fo betrüugliche Weife, daß man mit Recht fagen Tann,
du habeft ihr Gewalt angethan; fodann haft bu wiber
dein ihr gegebenes Wort ihren Bruder ums Leben ges
bracht, der zwar allerdings den Tod verdient hat, dem
du aber nichts deſto weniger, einmal auf dem Wege
‚ ber Rechtöverlegung begriffen, ſchuldig warft, das feiner
Scwefter gegebene Berfprechen zu halten, nachdem fie
bich bei deiner zügellofen Lüfternheit zu der Zufage auf
Ehrenmwort gebracht hatte, und nicht ftatt deſſen, wie
du befohlen haft, nachdem du ihre Ehre geraubt, ihn
ihe todt zugufenden, wie du getban. Da bu nun das
erite Vergehen wieder gut gemacht haft, indem ich dich
veranlaßt babe, die Gefchwächte zu heirathen, befehle ich
zur Sühnung bed zweiten, daß dir ebenfalls der Kopf
>
356 XVVI. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
nanelhlagen werde, wie du ihn ihrem Bruder abſchlagen
ließeft.
Wie groß Juriſte's Betrübnif war, ald er ben Spruch
des Kaifers vernommen, ift leichter fich zu denken, als aus⸗
führlich zu erzählen. Juriſte wurde daher ben Schergen
übergeben, um am nädftfolgenden Morgen dem Urtheil
gemäß hingerichtet zu werden. Juriſte war alfo ganz
auf ben Tod gefaßt und erwartete nichts amberes, als
fih in kurzem unter den Händen bes Henkers zu befinden.
Unterdefien vernahm Epitia den Urtheildfprud, des Kai⸗
ferd, und fo erbittert fie vorher auch gegen Juriſte ge-
weſen war, fo trug doch ihre natürliche Herzensgüte den
Sieg davon. Sie meinte, es wäre ihrer unwürbig, wenn
fie zugäbe, daß Zurifte, den fie einmal vom Kaifer als
ihren Gatten angenommen, ums ihretwillen den Tod er-
litte. Sie fürchtete, man werde ihr dies cher ald Rache»
durft auslegen, denn als Berlangen nach Gerechtigkeit.
Sie wandte daher all ihr Sinnen und Trachten auf bie
Rettung des armen Verbrechers, begab ſich zu dem Kaifer
und fagte zu ihm, nachdem es ihr geftattet war, zu reden,
alfo: Erhabenfter Kaifer, die Ungerechtigkeit und ber Ver⸗
rath Jurifte'® an mir trieben mich an, gegen ihn bei euer
Majeſtät Recht zu fuchen. Eurer großen Gerechtigkeit
gemäß habt ihr ihn wegen zweier Verbrechen auf das aller-
gerechtefte beftraft: für ben betrügerifchen Raub meiner
Jungfräulichkeit durch den Befehl mid, zu ehelichen, für
die Hinrichtung meines Bruders gegen das mir gegebene
Wort durch feine Verurtheilung zum Tode. Wie ich aber, .
bevor ich fein Weib geworben, darauf beftehen mußte,
dag ener Majeftät ihn mit ber Todesſtrafe belege, welche
Diefelbe gerechterweife über ihn verhängt hat, fo müßte
ih mid) .jegt, nachdem es euch gefallen hat, mich mit
dem heiligen Bande der Ehe an Jurifte zu knüpfen, für
eine Pflichtvergeffene, Unmenfchliche, der ewigen Schande
Preißgegebene halten, wenn ih in feinen Tod willigte.
Unmöglich kann dies die Abficht euer Majeſtaͤt fein, welche
- — — — — — —
60. Maß für Maß. 257
bei ſeiner Verurtheilung nur meine Ehre bezweckte. Da⸗
mit alſo, erhabenſter Kaiſer, die gute Abſicht euer Ma⸗
jeſtät ihr Ziel erreiche und meine Ehre unbefleckt bleibe,
bitte ich euch demüthigſt und in tiefſter Ehrfurcht, nicht
zuzugeben, daß das Schwert der Gerechtigkeit zufolge des
Urtheils euer Majeftät das Band fo jämmerlich wieder
auflöfe , duch welches diefelbe mich mit Juriſte zu vereie
nigen gerubte; und wie das Urtheil euer Majeflät ihn
zum unzweidentigen Beweis ihrer Gerechtigkeit mit dem
Tode beſtrafte, fo möge es derſelben jegt gefallen, wie
ih von neuem inbrünftiglich flehe, eure Zaiferliche Gnade
an feiner Freigebung zu offenbaren, denn die bung
der Gnade, erhabenfter Kaifer, ift für den, in deſſen
Händen die Herrfchaft der Welt ruht, wie fie jegt in
den euren würdiglich befchloffen ift, tein geringerer Ruhm,
ale die Handhabung der Gerechtigkeit; denn wenn: diefe
beweift, daß er die Laſter haft und mit der verdienten
Strafe verfolgt, fo macht ihn jene den unfterblichen Göt⸗
tern ähnlich; und erlange ich biefe einzige Bitte von eurer
Milde, fo werde ich für die an mir bemüthigfter Magd
euer Majeftät gewirfte Handlung der Güte ewig mit.
Andacht zu Gott flehen, daß er euer Mojeftät auf lange
glükliche Jahre erhalten möge, damit ihr zur Wohlthat
der Sterblichen und zu eurer eigenen Ehre und unfterb-
lichem Ruhm bis in fpäte Seiten Gerechtigkeit und Gnade
üben möget.
Hiermit beſchloß Epitia ihre Anrede. Maximilian war
erſtaunt, daß fie die von’ Jurifte empfangene ſchwere Un⸗
bill fchon vergeffen babe und mit fo vieler Wärme von
ihm ſpreche. Solche Güte, wie er an biefer Dame er
blidte, fhien es ihm wohl zu verdienen, daß er ihr den
aus Gnade freigebe, den er um bed Rechts willen zum
Tode verurtheilt. Er. ließ alfo den QJurifte in eben der
Stunde, in welcher er erwartete, zum Tode geführt zu
werden, vor fich bringen und fprach zu ihm: Verraͤther,
die Güte Epitia's hat fo viel über mich vermocht, daß
2358 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
ich bir, beffen Verruchtheit ben Tod bdeppelt verdient
bätte, um ihretwillen das Leben ſchenke, und du foRft
wiffen, daß du nur ihr beffen Erhaltung zu danken haft;
mb da fie es zufrieden ift, mit dir zu leben, nachdem
fie das Band an dich geknüpft bat, das dich auf meinen
Befehl mit ihr verbindet, fo bin ich es auch zufrieden,
daß du mit ihr lebeſt. Uber kommt es mir je zu Ohren,
daß du fie anders, benn als eine liebevolle und groß⸗
mütbige Gattin behandelft, fo ſollſt du erfahren, in wel
Unmillen ich darüber gerathe.
Nach diefen Worten faßte ber Kaifer Epitiens Hand
und übergab fie dem Juriſte, worauf fie und Juriſte mit
ihr feiner Majeſtaͤt für die ihnen erwiefene Huld und Gnade
ihren Dank ausfprachen. Juriſte aber ermog, welche Groß⸗
muth Spitia an ihm geübt habe, und hielt fie immer theuer
und werth und fo Eonnte fie den Reſt ihrer Tage glücklich
mit ihm verleben.
— —— — — — —
61. Die ungluͤckliche Mutter.
(9, 3.)
In Salerno lebte einft ein Dann Namens Marine,
welcher von feiner liebenswürdigen Frau, welche Placida
hieß, ein einziges Kind, einen Anaben hatte. Das Kind
hatte kaum ein Alter von zwei Sahren erreicht, als ber
Bater heftig erkrankte, und kein Arzneimittel wollte helfen,
er mußte fterben. Als er fi nun dem Tode nahe ſah,
rief er feiner Frau und bat fie, auch ben Knaben mitzu-
bringen, welchem er den Namen Perpetus beigelegt hatte;
diefee Name*) follte dem Kinde und ber ganzen Familie
9 „Der Fortdauernde“ zu deutſch.
61. Die unglüdtiche Mutter. ' 259
eine gute Borbebeutung werben, baf in ihm bem Haufe
fortdauernde unaufhörliche Freude erwachſe. Als die Frau
mit ihrem Söhnchen ins Zimmer trat, erhob er fi, fo
gut er Eonnte, im Bette, nahm die Mutter mit ber einen
Hand und das Kind mit ber andern und fprach zu feiner
Gattin: Placida, ich fehe meine legte Stunde vor Augen,
und es ift Mar, daß ich nicht den Fleiß und die Sorgfalt
-auf die Erziehung und Heranbildung diefes unferes Söhn⸗
Gens zu einem brauchbaren Manne verwenden kann, wie
ih fo fehr wünſchte und worauf alle meine Gebanten
gerichtet waren. Er hätte das in feinem zarten Alter
ſehr nötbig, aber ich fehe, ich muß ihn ſchon in feinen
erften Lebensjahren verlaffen, und dies würde mir ben
Tod fehr verbittern, wenn ich nicht wüßte, daß beine
Klugheit im Stande ift, reichlich zu ergänzen, was der
unausweichliche Zwang der Natur mich nicht felbft aus⸗
führen läßt. Darum, meine theure Gattin, befehle ich
dir diefes Kind, in welchem ich felbft gewiffermaßgen fort.
zuleben meine, wiewol die legte Stunde mir bald bie
Augen fchliegen wird, ich befehle ihn dir, fage ich, ganz
in deine Hände und zu deiner Leitung und bitte dich bei
dem ganz beſonderen guten Vernehmen, bas unfere Ver⸗
bindung feither fortwährend bezeichnet hat, daß du, wäh-
rend du ihm bis jept für und für eine liebevolle Mutter
gewefen bift, ihm von nun an Water und Mutter zu-
gleich fein mögeft; und da es Gottes Wille ift, daß ich
nicht länger bei dir bleibe, wünſche ich, daß du die Kiebe,
die du mir zugewandt hätteft, wenn ich bis zu den grauen
Haaren mit bir gelebt hätte, alle diefem Kinde zumenbeft
und in ihm auch mich fortliebeft, wie, wenn ich mit dir
Iebte. Wenn ich diefe Hoffnung mit ins andere Leben
nehmen darf, fo wird mir der Tod nicht fchwer werden.
Bei diefen Worten legte er die Hand des Kindes in
die Hand der Mutter, fchlang feinen Arm um ihren Hals
und fprach, indem er feine Lippen auf bie ihrigen drückte:
Ih befehle dir ihn, meine theure Gattin, und laffe an
260 VII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
meiner Statt bir dieſes theure Pfand als ficheres Zeugniß
unferer beiderfeitigen Liebe.
Er konnte diefe letzten Worte nicht audfprechen, ohne
reichlihe Thränen zu vergießen, und Placida konnte nicht
umbin, bie ihrigen mit denen ihres theuerften Gemahls zu
vermifhen. Es wurde ihr ſchwer unter lauter Schluchzen
zum Worte zu kommen und fo fprad) fie: Marino, bu
nimmft den beften Theil von mir mit dir fort, indem
due aus diefem Leben fcheibeft; benn mein Herz wird dich
begleiten und bir verbunden bleiben mit jenem Bande,
womit treuefte Liebe uns in dem Leben zufammengeßettet,
das bu nunmehr zu verlaffen auf dem Punkte ſtehſt,
um mic voll unglaublihen Schmerzes zurüdszulaffen.
Ih wünfchte fehr, daß es Gott gefiele, daß zur gleichen
Stunde mit bem deinigen auch mein Leben fein Endziel
‚ erreichte. Aber nun bat er anders befchloffen, vielleicht,
damit dieſes umfer Soͤhnlein nicht ohne Führer bleibe;
und fo werde ich ihm denn die Fülle ber Liebe ganz
zuwenden, welche bie Dutterliebe mich ihm zu widmen
antreibt. Freilich hätte er zu feiner Erziehung und An-
leitung zur Tugend Dich mehr, als mich, nöthig gehabt;
aber ich will nun allen mir inwohnenden Geift und Eifer
anwenden, bamit du nicht in der guten Meinung ge
täufcht werdeft, die du von mir hegſt, und bamit biefes
unſer Söhnlein, in welchem ich dein Bild abgebrüdt fehe,
deinem Verlangen nachkomme und ein brauchbarer Mann
werde. Ach tönnte ich nur, mein Gemahl, durch irgend
ein Mittel, ja durch Vergießen meines eigenen Blutes
dein Hinfcheiden von uns verhindern! Aber gewiß werde
ih dich immer lieben in biefem unferm gemeinfhaftlichen
Kinde, das du in meine Hand befohlen haft und befohlen
haft in meine Treue, bie ich auch im Tode bir ebenfo
fer bewahren werde, als ich fie dir im Leben bewahrt
habe.
Darauf ſchwieg fie unter Thränen, ihr Dann freute
fi) der innigen Liebe feiner Gattin und Iobte fie fehr.
61. Die unglüdlihe Mutter. 261
Kurz darauf gab er wirklich feinen Geift auf zum un.
fäglih großen Schmerze Placida's. Als ihr Mann todt
war und fie ihn hatte ehrenvoll beftatten laſſen, verfehlte
Placida nicht alles das auszuführen, was ihr nöthig fchien,
um ihren Sohn gut zu erziehen; diefer war auch von
Natur fehr Leicht zur Tugend zu lenken und feiner Mutter
fo ſehr in Liebe zugethan, daß er von ihren Befehlen
niemald abwich und in kurzem feinem Alter voraus war
an Gelehrfamkeit, feinem Betragen und guten Sitten,
worüber man in der ganzen Stadt fi) verwunderte und
feine Mutter wegen ihrer Sorgfalt rühmte. Als ber
Knabe zwölf Fahre alt war, wurde er von einem Fieber
befallen, welches fich bald fo bald fo äußerte und die
Arzte auf die Beſorgniß brachte, es möchte in eine
Schwindfuht ausarten und am Ende ben Sinaben das
Leben Eoften. Placida war darüber fo betrübt, daß fie '
fih nicht weniger vom Kummer verzehrte, als fie fühlte,
dag das Fieber ihren Sohn verzehre, und unterließ nichts,
was zur 3 erherfiellung des Jünglings dienen Fonnte.
Auch die Arzte fparten feinen Fleiß, um zu verhindern,
daß das Fieber in Mark und Bein eindringe und dann‘
wie ein verdecktes fchleichendes Feuer mit unbilliger Hige
jene feuchte Naturgrundlage .des Lebens aufzehre. Sie
bemühten fi daher, den Körper frifeh und feucht zu
erhalten, um auf biefe Weiſe der Hige Einhalt zu thun
und endli das Feuer ganz zu verlöfchen, welches die
Lebenskräfte des armen jungen Menfchen vernugte. Sie
verordneten ihm daher abgezogene Waffer, welche diefem
Plane ihrer Heilart entforahen. Die Mutter hatte die
Dbliegenheit, ihm jeden Morgen bei Sonnenaufgang eine
gewiffe Latwerge mit Endivienwaffer vermifcht zu reichen,
und wiewol es der Frau nicht an Dienern und Auf«
wärtern fehlte, denn fie war fehr vornehm, fo wollte fie
doch nicht, daß ein anderer, als fie, fich erlaube, dem
Sohne das, was bie Arzte verordnet hatten, zu reichen;
daher ftand fie denn immer mit Tagesanbruch auf, bes
262 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
reitete den Trank und reichte ihn mit eigener Hand dem
Kranken. Nun feht aber, wie fchlecht das ſchnöde Schidfal
uns behandelt, wenn ed uns übel will und uns Wider
wärtigfeit bereitet! Platida ftand noch in jugendlichen
Alter, denn fie zählte noch nicht viel über dreißig Jahre,
und wiewol fie durchaus fittfam lebte und feft entichloffen
war, feinen Mann mehr zu nehmen, fo hielt fie doch
darauf, die Schönheit zu bewahren, welche die Natur mit
freigebiger Hand ihr bargereicht hatte. Ste gebrauchte
daher Sublimatwaffer, um dad Geficht glänzend und rein
zu erhalten und fich, fo gut fie konnte, zu wahren gegen
die Runzeln, welche die Jahre bringen und die einem
männlichen &efichte Ernſt und Würde verleihen, bem
weiblichen aber die Lieblichkeit rauben. Diefe edle Frau
hatte nun in einem Fläſchchen folches Waſſer, das fie zu
diefem Zwecke verwendete und eine ihrer Frauen hatte es
aufzuheben. Als nun eines Morgens Placida mit ihrem
Putze fertig war, gab fie das Fläfchchen dem Mädchen,
das fie bediente, mit dem Auftzage es an feinen Plag
zurüdzuftellen. Als fie das Zimmer verließ, kam einer
der Diener ihr entgegen, welcher ihr das Flaͤſchchen mit
dem Enpdivienwaffer gab, das man zur Heilung des
Kranken anwendete; das Mädchen hielt nun beide Fläfch-
hen in der Hand, legte fobann das eine in die Büchſe,
wohin das Sublimatwaifer gehörte, und gab das andere
ihrer Gebieterin, welche es dahin ſtellte, wo dasjenige
ftand, aus welchem fie das Waſſer für ihren Sohn
nahm. Als num dee Morgen kam, fand Placiba auf
und reichte mach ihrer Gewohnheit ihrem Sohne den
Trank. Kaum hatte der Unglückliche denfelben eine Weile
im Magen, fo empfand er die unfäglichiten Schmerzen,
ed war ihm, als würden ihm die Eingeweide zerfreffen
und er fühlte jenen Tod nahe. Darum fchidte bie
Mutter plöglih zu den Arzten und erzählte ihnen bie
feltfame Wirkung, welche heute der Trank hervorgebracht,
ber doch bisher ihrem Sohne fo wohlthätig gewefen fei.
61. Die unglückliche Mutter. 263
Die Arzte vermunderten ſich und Tonnten fich nicht ein-
bilden, wie das komme. Sie traten zu bem Kranken,
beobachteten die Zufälle, die ihn quälten, und erkannten,
daß Zeichen von Vergiftung vorlagen.
Madonna, fagten fie daher zu der Mutter, euer
Sohn hat nicht den Trank befommen, den er fonft zu
nehmen pflegte, fondern flatt deſſen hat er ein äzendes
Silo — das ihn verzehrt.
Wie, Gift? rief Placida. Ih Unglückliche! Ihr
täuſcht euch, ihr Herren, denn niemand, als ich, hat
ihm den Trank gereicht, und ich habe ihm den gleichen
gegeben, wie ſonſt immer.
WVilielleicht, ſagten die Ärzte, haben die, die ihn ger
holt haben, euch getäufcht und das Waſſer vergiftet.
Sogleih murde der Diener gerufen, welcher fagte,
er babe das, was ber Apotheker in die Flaſche gethan,
ins Haus gebrachte ohne Trug und Taͤuſchung; ehe er
- eine folge Schurkerei beginge, würde er fich lieber das
Lehen genommen haben, denn er liebe ben Sohn des
Haufes, wie fein eigenes Leben. Der Diener war ein
rechtfchaffenee Menſch und galt dafür bei jedermann,
weshalb man auch gern feinen Worten glaubte . Sie
liegen den Apotheker rufen, welcher fagte, er habe das
Waſſer verabreicht, ohne irgend etwas daran zu fälfchen.
Die Arzte wollten fich jedoch fo gut ale möglich auf-
Hören, wie ed mit der Sache ſich verhalte, und ließen
fih das Fläfchehen mit dem Waſſer bringen, betupften
fih den Finger damif und brachten ibn an die Zunge,
wo fie dann bie töbtliche Schärfe empfanden, die das
Waſſer in ſich ſchloß; fie fprachen daher zu der Mutter:
Madonna, man hat euch getäufcht, dies ift fein Endinien-
waſſer, fondern wirklich Gift.
Nun betrachtete es die Frau genauer und erkannte,
daß es ein Flaͤſchchen Sublimatwafler fei, das fie zur
Erhaltung ihrer Schönheit anzuwenden pflegte. Nun
fing fie an zu freien und zu jammern und fah, daß
264 XVIH. Giovanni Battifta Giraldi Cintio.
die Dienerin ſich in der Ahnlichkeit der Gefäße (demn
fie fahen ſich beide fehr ähnlich) getäufcht hatte, da ber
Diener ihr bie Flaſche mit dem Endivienwaſſer gab,
während fie noch die andere in der Hand hatte; bier
vertaufchte fie die beiden, ftellte die Arznei in die Büchfe
und gab Placida das Gift. Sobald die Arzte dies be-
merkten, ermangelten fie nicht, jedes mögliche Heilmittel
für ihren unglüdlihen Sohn in Anwendung zu bringen;
aber die tödtlihe Gewalt bes Gifts hatte fchon fo fehr
um ſich gegriffen, dag alle Mittel umfonft waren und
der Jüngling ftarb. Die arme Mutter im Bemußtfein,
Gift ftatt Arznei dem Sohne gereicht zu haben, der ihr
Gut, ihr Leben, ihr Herz war, fühlte ſich fo ſchmerzlich
ergriffen, daß fie den todten Sohn umarmte und über
ihn binfanf in folder Ohnmacht, dag man meinte, bas
Leben fei ‚ganz von ihr gewichen. Da jedoch die gegen-
wärtigen Arzte ihre Mittel anwandten, riefen fie ihre
Lebensthätigkeit zurück, worüber die Frau ganz unzu⸗
frieden war und fich beklagte, daß fie fie nicht haben
fterben und ihre Seele hinziehen laffen, um der ihres
Sohnes nachzueilen.
Aber, fagte fie, was der Schmerz nicht vermocht hat,
foU meine Hand vollenden.
Sie hatte ein Meffer in einer Scheide am Gürtel
hängen, riß es heraus und wollte fi umbringen; aber
die Anmefenden hielten fie zurüd. Das Leben war ihr
jedoch verhaßt und darum nannte fie fie graufam, daß
fie fie bei ſolchem Schmerze noch zum Leben zwingen.
Sie verwünfchte das Schickſal, fie beklagte fih über die
Fügung, bezichtigte die Sterne. und den Himmel der
Graufamkeit und verlangte durchaus, daß ihr jene Die-
nerin herbeigeholt werde, benn fie wolle fie eigenhändig
erwürgen, da fie duch ihre Bahrläffigkeit ihren theuern
Sohn in den Zod geftürzt und ihr einen fo herben Schmerz
bereitet habe. Die Umftehenden fuchten fie zu überzeugen,
es fei nur ein Verfehen, nicht böfe Abſicht geweſen und
x
64. Die unglüdliche Mutter.. 265
das Mäbchen verdiene deshalb nicht den Tod. Da fie
aber ihren Zorn nicht befchwichtigen konnte, begehrte fie,
man folle fie den Händen der Gerechtigleit- übergeben,
damit fie zum Tode verurtheilt würde. Nach einem
gründlihen Verhöre fanden indeß die Richter, daß fie
eber unvorfichtig, als ſchuldig fei, und fprachen fie von
jeder Strafe frei. Dies war für Placida ein Barker
Schlag, denn fie war nicht zufrieden mit dem, was das
Recht verlangte, fondern ließ ſich einzig vom Zorn leiten
und von der Wuth. Man nahm ihr daher das Mädchen
aus dem Haufe und fie ging voll Trauer hinweg, denn
fie war fich bewußt, durch ihre Unvorfichtigkeit. einen ber
deutenden Unfall veranlaft zu haben. Als nun Placida
fah, daß die frei ausgegangen war, die fie gerne zu.
einem graufamen Ende gebracht gefehen hätte, war ihr
auch der kleine Troſt entwunden, den fie aus dem Unter:
Hang berjenigen zu ziehen hoffte, die fie als die Urſache
des Todes ihres Sohnes anfah. Sie fehrte daher den
ganzen Zorn wider fich felbft, fie zog in Betracht, daß
alles das gefchehen fei zu Aufrehterhaltung ihrer Schön-
heit, und zerfragte und verderbte fi, dermaßen ihr Ge-
fiht, daß ihre bisher ſchönen Züge viel häßlicher wurden,
als die des garftigften alten Weibes, das man je gefehen.
Sie ſprach auch von nichts, als daß fie fich den Tod
geben wolle.
Nimmermehr, rief fie, werde ich, die Mörberin meines
Sohnes, am Leben bleiben. Diefen Sohn hat fein Vater
Perpetuo genannt, in der Meinung, er werde in langer
Nachkommenſchaft fein eigenes Leben fortpflanzen.
Und fortwährend weinte und feufzte fie.
Du, Verpetuo, fagte fie, bleibft todt und die dich
‚ umgebracht hat foll leben bleiben? Leben bleiben fol die,
die dich von der Hand beines Vaters empfangen, um
dich zur Tugend zu erziehen und zu ben Jahren. der Reife
zu bringen! Und jegt hat fie dich getödtet? Nein, nein,
das darf nicht fein.
Staliänifcher Novellenfchag. II 12
262 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
reitete ben Trank und reichte ihn mit eigener Hand bem
Kranken. Run feht aber, wie ſchlecht das ſchnöde Schickſal
uns behandelt, wenn es uns übel will und uns Biber
wärtigfeit bereitet! Platida ſtand noch in jugenblichem
Alter, denn fie zählte noch nicht viel über dreißig Jahre,
und wiewol fie durchaus fittfam lebte und feft entichloffen
war, feinen Mann mehr zu nehmen, fo hielt fie doch
darauf, die Schönheit zu bewahren, welche die Natur mit
freigebiger Hand ihre bdargereicht hatte." Ste gebrauchte
daher Sublimatwafler, um das Geficht glänzend und rein
zu erhalten und ſich, fo gut fie fonnte, zu wahren gegen
die Rungeln, weldhe die Jahre bringen und bie einem
maͤnnlichen Geſichte Ernſt und Würde verleihen, bem
weiblichen aber bie Lieblichteit vauben. Diefe edle Frau
hatte nun in einem Fläfchchen ſolches Waſſer, das fie zu
diefem Zwecke verwendete und eine ihrer Frauen hatte es
aufzuheben. Als nun eines Morgens Placida mit ihren
Putze fertig war, gab fie das Flaͤſchchen dem Mäbchen,
das fie bediente, mit bem Auftrage es an feinen Plag
zurückzuſtellen. Als fie das Zimmer verließ, kam einer
der Diener ihr entgegen, welcher ihr das Flaͤſchchen mit
dem Endivienwaſſer gab, das man zur Heilung bes
Kranken anmwendete; das Mädchen hielt nun beide Flaͤſch⸗
hen in der Hand, legte ſodann das eine in die Büchfe,
wohin das Sublimatwaſſer gehörte, und gab das andere
ihrer Gebieterin, welche es dahin ſtellte, mo dasjenige
ftand, aus welchen fie das Waſſer für ihren Sohn
nabm. Us num der Morgen kam, ſtand Maciba auf
und reichte mach ihrer Gewohnheit ihrem Sohne ben
Trank, Kaum hatte ber Unglückliche denfelben eine Weile
im Magen, fo empfand er die unfäglichften Schmerzen,
es war ihm, als würden ihm die Eingeweide zerfreffen
und er fühlte feinen Tod nahe. Darum fchidte bie
Mutter plöglih zu den Arzten und erzählte ihnen bie
feltfame Wirkung, welche heute der Trank hervorgebracht,
ber doch bisher ihrem Sohne fo wohlthätig gewefen fei.
61. Die unglüdlihe Mutter. 263
Die Arzte verwunderten fih und konnten fich nicht ein-
bilden, wie das komme. Sie traten zu dem Kranken,
beobachteten die Zufälle, die ihn quälten, und erkannten,
dag Zeichen von Vergiftung vorlagen.
Madonna, fagten fie daber zu ber Mutter, euer
Sohn Hat nicht den Trank bekommen, den er fonft zu
nehmen pflegte, fondern ſtatt deſſen bat er ein äzendes
Gift verfchludt, das ihn verzehrt.
Wie,. Gift? rief Placida. Ih Unglückliche! Ihr
täufcht euch, ihre Herren, denn niemand, als ich, hat
ihm den Trank gereicht, und ich habe ihm den gleichen
gegeben, wie fonft immer. _
Vielleicht, fagten die Arzte, haben die, bie ihn ge-
holt haben, euch getäufcht und das Waſſer vergiftet.
Sogleich wurde der Diener gerufen, welcder fagte,
er babe das, was der Apotheker in die Flaſche gethan,
"ins. Haus gebracht ohne Trug und Täufchung; che er
eine ſolche Schurkerei beginge, würde er fich lieber das
Lehen genommen haben, denn er liebe ben Sohn des
Haufes, wie fein eigenes Leben. Der Diener war ein
rechtfchaffeneer Menfh und galt dafür bei jedermann,
weshalb man auch gern feinen Werten glaubte . Sie
liegen den Apotheker rufen, welcher fagte, er habe das
Waffer verabreicht, ohne irgend etwas daran zu fälfchen.
Die Arzte wollten ſich jedoch fo gut als möglich auf-
klären, wie ed mit der Sache ſich verhalte, und ließen
fih das Flaͤſchchen mit dem Waffer bringen, betupften
fih den Finger damif und brachten ihn an die Zunge,
wo fie dann die tödtliche Schärfe empfanden, die das
Waſſer in fich ſchloß; fie fprachen daher zu der Mutter:
Madonna, man hat eucdy getäufcht, dies ift fein Endivien-
waffer, fondern wirtlih Gift.
Nun betrachtete ed die Frau genauer und erkannte,
dag es ein Fläfhchen Sublimatwafler fei, das fie zur
Erhaltung ihrer Schönheit anzuwenden pflegte. Nun
fing fie an zu freien und zu jammern und fah, daß
284 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
die Dienerin fih in der Ahnlichkeit der Gefäße (denn
fie ſahen fich beide fehr ähnlich) getäufcht hatte, da ber
Diener ihre die Flaſche mit dem Endivienwaſſer gab,
während fie noch die anbere in der Hand hatte; bier
vertaufchte fie die beiden, ftellte die Arznei in die Büchfe
und gab Placida das Gift. Sobald bie Ärzte dieß be»
merkten, ermangelten fie nicht, jedes mögliche Heilmittel
für ihren unglüdlihen Sohn in Anwendung zu bringen;
aber die tödtlihe Gewalt bes Gifts hatte fchon fo fehr
um ſich gegriffen, daß alle Mittel umfonft waren und
der Züngling farb. Die arme Mutter im Bewußtfein,
Gift ftatt Arznei dem Sohne gereicht zu haben, der ihre
Gut, ihr Leben, ihr Herz war, fühlte fi) fo ſchmerzlich
ergriffen, daß fie den todten Sohn umarmte und über
on binfant in folder Ohnmacht, daß man meinte, bas
Leben fei ‚ganz von ihr gewichen. Da jedoch die gegen-
wärtigen Arzte ihre Mittel anmwandten, riefen fie ihre
Lebensthätigfeit zurüd, worüber die Frau ganz unzu⸗
frieden war und ſich beklagte, daß fie fie nicht haben
fterben und ihre Seele binziehen Laffen, um der ihres
Sohnes nachzueilen.
Aber, fagte fie, was der Schmerz nicht vermocht hat,
foU meine Hand vollenden.
Sie Hatte ein Meffer in einer Scheide am Gürtel
hängen, riß es heraus und wollte fi umbringen; aber
Die Anweſenden hielten fie zurüd. Das Leben war ihr
jedoch verhaßt und darum nannte fie fie graufam, daß
fie fie bei ſolchem Schmerze noch zum Leben zwingen.
Sie verwünfchte das Schickſal, fie beklagte fih über bie
—* „ bezichtigte die Sterne und den Himmel der
Grauſamkeit und verlangte durchaus, daß ihr jene Die-
nerin herbeigeholt werde, denn fie wolle fie eigenhändig
erwürgen, ba fie durch ihre Fahrlaͤſſi gkeit ihren theuern
Sohn in den Tod geftürzt und ihr einen fo hetben Schmerz
bereitet habe. Die Umftehenden fuchten fie zu überzeugen,
es fei nur ein Derfehen, nicht böfe Abſicht geweſen und
D)
’
61. Die unglückliche Mutter.. 2365
das Mädchen verdiene deshalb nicht den Tod. Da fie
aber ihren Zorn nicht befchwichtigen konnte, begehrte fie,
man folle fie den Händen der Gerechtigkeit übergeben,
damit fie zum Tode verurtheilt würde. Nach einem
gründlihen Verhöre fanden indeß die Richter, daß fie
eher unvorfichtig, als fehuldig fei, und fprachen fie von
jeder Strafe frei. Dies war für Placida ein harter
Schlag, denn fie war nicht zufrieden mit dem, was das
Recht verlangte, fondern ließ ſich einzig vom Zorn leiten
und von ber Wuth. Man nahm ihr daher das Mädchen
aus dem Haufe und fie ging voll Trauer hinweg, denn
fie war fich bewußt, durch ihre Unvorfichtigkeit einen be-
deutenben Unfall veranlaft zu haben. Als nun Placida
ſah, daß die frei ausgegangen war, die fie gerne zu.
einem graufamen Ende gebracht gefehen hätte, war ihr
auch ber kleine Troſt entwunben, den fie aus dem Unter:
gang berjenigen zu ziehen hoffte, die fie als die Urfache
des Todes ihres Sohnes anfah. Sie Fehrte daher den
ganzen Zorn wider fich felbft, fie zog in Betracht, daß
alles das gefchehen fei zu Aufrechterhaltung ihrer Schön-
heit, und zerfragte und verderbte fi, dermaßen ihr Ge-
ficht, daß ihre bisher fchonen Züge viel häßlicher wurden,
als die des garftigften alten Weibes, das man je gefehen.
Sie ſprach auch von nichts, als daß fie fih den Tod
geben wolle.
Nimmermehr, rief fie, werde ich, bie Mörbderin meines
Sohnes, am Leben bleiben. Diefen Sohn hat fein Vater
Perpetuo genannt, in der Meinung, er werde in langer
Nachkommenſchaft fein eigenes Leben fortpflangen.
Und fortwährend weinte und feufzte fie.
Du, Verpetuo, fagte fie, bleibft todt und die dich
‚ umgebracht hat ſoll leben bleiben? Leben bleiben foll die,
die dich von der Hand deines Vaters empfangen, um
dich zur Tugend zu erziehen und zu den Jahren. der Reife
zu bfingen! Und jegt hat fie dich getöbtet? Nein, nein,
das darf nicht fein.
Staliänifcher Novellenfchag. II. 12
2366 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Dann bat fie die, welche fie bewachten, daß fie fich
nichts Leides thue, fie mögen iht den Tod geben. Als
fie aber kein Mittel mußte, fich das Leben zu nehmen,
verfiel fie endlich darauf, nicht mehr zu effen und zu |
teinten. Ihre Wärter mußten ihr mit Gewalt den Mund
öffnen und Flüffigkeiten hinuntergießen, um fie am Leben
zu erhalten. Doch war die Gewalt ihres Schmerzes fo
groß, daß fie ganz verrüdt wurde; während ihrer Ber-
rücktheit, welche ihr jebe vernünftige Überlegung raubte,
führte fie fortwährend den Namen ihres Sohnes im
Munde, und in diefem Zuſtande ftarb fie nach einigen
Jahren. Man darf diefe Verrücktheit als ein Glück für
fie betrachten, da fie ihr das Bewußtfein des Unglüde-
fall entzog, welcher ein Herz von Stein und Eifen,
gefhweige das Herz einer fo liebenden Mutter, wie
Placida ihrem Sohne war, hätte mit Jammer erfüllen
müſſen.
62. Taͤuſchung und Treue,
(9, 7.)
In Mantua der edeln Stadt der Lombardei, die
durch ihre Lage und Annehmlichkeit, fowie Durch die feine
Bildung ihrer Beherrſcher und ihrer Einwohner berühmt
iſt, der Stadt, welcher weit größere Ehre der göttliche
Genius Virgils verfhafft, .ald Denus, der Sohn des
Mantus, von dem fie den Namen erhielt, in Mantua
lebte vor kurzem eine fehr artige und höflihe Jungfrau
Namens Nonna, welhe auf das Glühendfte in einen
Edelmann Namens Pantheone verliebt war. Aber ob-
wol die Jungfrau fehr fon, in der Blüthe ihres Alters
und unter den Sittſamen die fittfamfte war, fo gäft fie
doch für arm und er für reich, und obwol er ihre Liebe
623. Zäufchung und Treue. 287
zu ihm kannte, fchlug er doch, weil er mußte, daß ber
Zwed ihrer Liebe nicht auf Wolluft, fondern einzig
darauf ging, ihn zum Manne zu befommen, es nicht
hoch an, von ihr geliebt zu werden, fondern verachtete
fie fo fehr, daß er niemand hören wollte, der ihm von
ihr ſprach, was der Jungfrau unerträglichen Aummer
bereitete. Bei alle dem aber ließ fie die Hoffnung nicht
finten, fondern dachte, ba fie ihn zu einem guten Zwecke
liebe, müſſe ihr Gott den Weg zeihen, um das erfehnte
Ziel ihrer Liebe zu erreichen. Pantheone war aber in
ein anderes Mädchen verliebt Namens Kipera, welche
gerade fo ihn verfchmähte, wie er Nonna verfchmähte.
Sie wollte zwar nicht den Anfchein haben, als fei er
ide zumider, und wenn er fie grüßte, fo grüßte fie ihn
wieder; aber fie wollte nie eine Botfchaft von ihm an⸗
nehmen noch aud ihm bie Gunft bezeugen, daß er felbft
nur eim Wörtchen mit ihr fprechen konnte. Wiewol er
bei ihrem Vater um fie angehalten, hatte er doch Feine
Antwort befommen, die ihm gefallen hätte. Denn ba
der Vater wußte, daß das Mädchen ſich nicht dazu ver-
fiehe, ihn zu erhören, und wußte, daß die Frauen, bie
ſich verheirathen follen, einen Mann bekommen müffen,
der mehr ihnen zufchlägt, als ihrem Water und ihrer
Mutter oder fonft jemand, ber für fie zu forgen hat,
ba ja fie auch ihr Lebtage mir dem Manne leben müffen,
ſuchte er die Ausflucht, er wolle feine Tochter noch gar
nicht verheirathen; wenn er fie aber irgend einem Manne
in der Stadt zu geben hätte, würde er nicht anftehen,
fie ihm zu geben. Mit diefen und ähnlichen Antworten
fertigte er die ab, bie mit ihm davon fprachen. Dies
fonnte jedoch die Liebe zu ihr in Pantheone nicht min»
dern. Andererſeits wandte auch Nonna, obwol fie ſich
von ihm verſchmaͤht fah, ihre Liebe auf keinen andern,
ale auf ihn. Während die Sachen fo fanden, Fam
Nonna die Liebe zu Ohren, die Pantheone für Lipera
hegte und daß diefe ihn gar nicht liebe; darum kam ihr
12*
268 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
oft und viel der Wunſch, ſich in jene verwandeln zu
Tonnen. Da fie aber einfah, daf dies unmüglich war,
fing fie an, bei fi) zu überlegen, ob fie ein Mittel finden
Tonne, Pantheone fo zu täufchen, daß fie fich felbft die
Liebe zuwenden könnte, die er für jene andere fühlte.
Es fiel ihr aber nichts ein, womit fie ihren Zweck zu
erreichen hoffen durfte. Sie dachte, wenn fie nur mit
ihm fprechen koͤnnte, würde fie ihm fo eindringlich be-
weifen, wie fehr fie ihn liebe, das er fich ſchaͤmen müßte,
fie nicht hochzufchägen und fie mit Gegenliebe zu belohnen.
Wie fehr fie aber auch ihren Kopf damit anftrengen mochte,
es wollte ihr nie gelingen, fo wenig Pantheone die Gunft
zu Theil wurde, mit der andern fprechen zu fönnen. Das
Glück aber, das Nonna’s Liebe fo begünftigen wollte, daß
fie ein erfehntes Ziel erreichen durfte, Tieß aller menfchli-
hen Berechnung entgegen einen Fall eintreten, ber Nonna
zur höchften Befriedigung gereichen follte. Pantheone hatte
nämlich einen Brief an Lipera gefchrieben, in welchem er
fie bat, feine treue Liebe anerkennen zu wollen und ihm
geneigte Gehör zu gönnen; biefen übergab er einer Frau,
welche viel in ba6 Haus des Mädchens kam, an das er
gerichtet war, und fagte zu ihr: Da, nimm biefen Brief
und bring ihn ber Dame, bie, wie du weißt von mir über
Alles in der Welt geliebt ifl.
Er harte fich ihrer nämlich ſchon öfters in dieſem
Liebeshandel als Mittelsperfon bedient.
Begleite das Schreiben mit den Worten, bie: bir
geeignet fcheinen, um fie zu beftimmen, baß fie mir Ant⸗
wort gebe. Denn wenn ich das durch deine Vermitte⸗
lung erreiche, fo werde ich dir fo reichlich lohnen, daß es
dich nicht reuen foll, mir gedient zu haben.
Meſa (fo hieß fie) nahm den Brief, verfprach ihm,
feinen Auftrag zu beftellen, und ging weg. Da fie aber
aus früheren Erfahrungen mohl wußte, wie fehr Lipera -
ihn haſſe, und daß es in ben Wind gerebet wäre, wollte
man fie zu dem zu beflimmen fuchen, mas Pantheone
62. Täuſchung und Treue. 269
verlangte, fo bejchloß fie, Pantheone zu fagen, fie habe
zwar den Brief überbracht, allein die Jungfrau habe
trog aller Worte und Bitten ihn gar nicht annehmen
wollen. Diefelbe Frau war nun fehr genau befannt-mit
Nonna, denn ba biefe ihre Freundfchaft mit Pantheone
kannte, hatte fie fie auch mehrfach als Vermittlerin ge-
braucht, um ihn zur Gegenliebe zu flimmen. Sie ging,
nun zu ihre und erzählte ihr, was fie mit dem ihr zur
Beftellung übergebenen Briefe anfangen wolle.
Ich unglüdlliche, fagte Nonna meinend, was traf
doch mich für ein herbes Loos, daß ich, obwol ich Die»
ſem Mann mit folher Treue und Liebe zugethan bin,
nie die Gunft erreichen kann, ihm ein Wörtchen zu fagen;
und er müht ſich vergebens, von einer geliebt zu werben, .
bie ihn doch haft und die darum ebenfo von ihm gehaft
zu werden verdient, als fie von mir gehaßt wird, denn
in ihr ift das Ende der Liebe meines Geliebten.
Bei diefen Worten wandte fie ſich zu Mefa und bat
fie, ihr den Brief zu zeigen und fie ihn lefen zu laffen.
Die gute Frau gewährte es ihr und gab ihr ihn.
Ab, ſprach fie, als fie ihn gelefen hatte, warum
bat der Himmel nicht gewollt, daß er diefen Brief mir
ſchickte? Ich würbe mich damit für das glüdlichte Weib
auf Erben halten. -
Als Mefa dies hörte, fagte fie zu ihr: Da ich ihn
euch gebracht habe, fo feht es an, als habe er ihn euch
geſchickt; ihr könnt euch fo felbft täufchen und feid dann
auch glücklich.
Das wäre nicht anders, entgegnete Mefa, ale wachend
träumen und von der Luft leben ohne Hoffnung, dem
Ziel meiner Wünſche näher zu rüden.
Indem Nonna fo ſprach und meinte, rührte Mitleid
mit dem Mädchen das Herz Meſa's. Sie wandte all
ihre Dichten und Trachten darauf und firengte all ihren
Berftand an, um fie zu befriedigen; und wiewol ihr für
jegt nichts Paffendes einfiel, fo dachte fie doch, es werbe
270 XVIII. Giovanni Battifla Giraldi Eintio.
fih mit ber Zeit ein Mittel finden. Daher fuchte fie
das Mädchen zu tröften und fagte zu ihr: Und was
meintet ihr, wenn biefer Brief euch nicht allein mit
Hoffnung erfüllte, fondern mir auch noch die Mittel an
bie Hand gäbe, eure Wünſche wirklich zu befriedigen?
Und wie follte das gefchehen? fragte Nonna.
Ich will euch fagen, was mir eingefallen ift. Ich
meine, nachdem ſich einmal diefe Gelegenheit euch ge-
boten hat, folltet ihr euer Glück benügen und denken,
dies fei einzig nach der Fügung der unfterblichen Götter
gefchehen, welche eure ehrbaren Beftrebungen Pantheone
zum Mann zu bekommen, begünftigen wollen. Damit
nun dies erfolge, follt ihr flatt des von ihm geliebten
Fräuleins in der Urt, wie es euch am beften ſcheint,
ihm antworten, ich bringe ihm den Brief und er iſt in
der Meinung, er komme von ſeiner Geliebten, befriedigt.
Er wird antworten, ich bringe euch die Antwort, und
es könnte geſchehen, wenn er immer ſchreibt und ihr
antwortet, würde ſich leicht ein Zwiſchenfall einſtellen,
der euch auf immer glücklich machen könnte.
Weh mir, ſagte Nonna, wie ſchlimm iſt es doch,
Meſa, dergleichen Dinge zu erſinnen, und wie wenig
Werth haben ſie, wenn man ſie ſich nur vorſtellt! Aber
wenn ich auch auf die Taͤuſchung, die du mir vorſchlaͤgſt,
eingehe, was wird die Folge davon ſein, als daß ich klar
erkenne, daß er jene andere liebt und mic, geringſchaͤtt,
daß ich Schatten umarmen darf, während fie Pantheone
ans Herz brüdt? Und wenn ich das je fehen müßte,
fo würde e8 mir den herbſten Schmerz bereiten.
Was meint ihr aber, verfegte Mefa, wenn euch Bott
dadurch zeigen wollte, daß er ber Urheber ber Gnaden
und derjenige ift, ber alle Wunder in der Welt thut
und der auf uns unbekannten Wegen Haß in Liebe zu
verwandeln weiß? Ich bitte euch, thut, was ich fage,
benn ich erwarte davon nur Gutes. Mein Herz hat
mir nie zu etwas gerathen, das nicht am Ende irgend-
62. Zaufchung und Treue. 271
wie gut ausgegangen wäre. Schreibt ihm nur, zeigt
ihm unter der Maske der andern eure Liebe und ſagt
ihm, die firenge Aufliht, unter der euch der Water
halte, Laffe euch nicht die Mittel finden, mit Bequem-
lichkeit mit euch zu fprechen; fobald ſich aber die Gele-
genheit biefe, werdet ihr fie ihm fund thun, dba ihr nicht
minder ſehnlich wünfcher, mit ihm zu fprechen, als er
mit euch; unterdeffen bittet ihr ihn, feine Liebe zu euch
mit der Zreue fortzufegen, womit ihr an ihm hanget.
Habt ihr ihm das gefchrieben, fo überlaffen wir es dem
Schidfal, den guten Anfang weiter zu leiten und einem
guten Ziele zuzuführen.
Nonna war zwar der Meinung, der Vorfchlag der
guten Alten könne zu nichts führen; dennoch fchrieb fie
den Brief in der Weife, wie Mefa erfonnen hatte, und
diefe überbrachte ihn Pantheone, welcher in ber Meinung,
er komme von feiner Geliebten, der Botin taufend Dank
fagte und ihr noch überdies ein reichliches Geſchenk machte.
Pol Wonne antwortete er auf den Brief, Nonna fchrieb
auf die Antwort wieder und gab ihm auf Meſa's Rath
Hoffnung, nit nur, daß er mit ihr werde fprechen
können, fondern auch, daß fie ihm ihre höchfte Gunft
gewähren wolle, fobald ſich Gelegenheit zeige, wofern er
fie zur Frau nehmen würde. Pantheone zitterte vor
Freuden über diefe Nachricht, es wurden bin und ber -
noch mehrere Briefe gewechfelt und fo kamen bie Feſt⸗
lichkeiten des Garnevald heran. Männer und Frauen
fingen an, fi zu verkleiden und maskirt Feſte zu be-
fuhen. Als Pantheone Lies ſah, welcher von Nonna
unter dem Namen Lipera’8 Briefe voll der unbefchränf-
teften Anerbietungen und Verſprechungen erhalten hatte,
fagte er zu Mefa, welche den Betrug zu Nonna’s Gunften
leitete: Wenn meine Geliebte die Verfprechungen, bie fie
mir gegeben, zur Ausführung bringen wollte, fo ift jegt
die Zeit da, wo fie mich felig machen könnte.
Und was wollt ihr, fragte die Alte, dag fie thue!
372 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
Was ich wollte, daß fie thue? verfegte er. Sie foll
fih maskiren und fo irgend wohin kommen, wo ich Die
Frucht meiner Kiebe genießen Pönnte, die fie fich fo ver-
langend zeigt mir zu übergeben.
Ich weiß nicht, fepte Meſa hinzu, ob ihre Water es
zugeben wird, daß fie fi eine Maske macht, denn ich
weiß, er ift eiferfüchtig fogar auf die Ragen, die ihm
duchs Haus laufen. Aber gefegt auch, daß fie dies
von ihrem Water erhielte, was ich kaum glauben kann,
glaubt ihr, daß fie fih fo euren Händen anvertrauen
werde, ohne ihrer Ehre ficher zu fein? Das würde fie
nicht thun, fo fehr fie euch liebt, und ich würde ihr
auch dazu nie zureden, denn ich weiß, daß ihr jungen
Leute, ſobald ihr euer Gelüſte gefättigt Habt, euch nicht
mehr um die Frauen kümmert, die euch zu Willen ge-
weien find, als wenn ihr fie gar nie gefehen hättet.
Mit der Begattung erlifcht eure Liebe und bie Sehn-
ſucht nach ihnen: ich bin nicht erft von geflern her,
Dantheone, um nicht die Natur ber jungen Leute all-
mälig zu kennen.
Das werde ich nicht hun, fiel er ihr ein, vielmehr
verfpreche ich bei meinem Worte, wie ich wünfche, fie
fortwährend zur Frau zu haben, werde ich mich nicht vor
dem Eheverlöbniß mit ihr vereinigen, und ic wünfche, daf
- ihre dies immer, überall und vor jedermann bezeugen mögt.
Da ihr fo gefinne feid, ſprach fie, könnte es nur
gut fein, wenn ihr an fie fehriebet und fie baͤtet, euch
ihr Derfprechen zu erfüllen, indem ihr ihr zeigt, daß fie
es jegt bei Gelegenheit des Faſchings Leicht ausführen
konnte; babei gebt ihr Ihe denn Sicherheit in Betreff
ihrer Ehre, wie ihr mir foeben auseinandergefegt habt;
dann will ich zu ihrer und eurer Befriedigung die Sache
verfuchen, und vielleicht werde ich mich nicht umfonft
bemühen und euch beide glüdlich machen, da ich fehe,
daß die Liebe biefes Mädchens zu euch und eure Kiebe
zu ihr fo groß iſt.
62. Taͤuſchung und Treue. 275
Pantheone war nicht faul die Feber zu ergreifen und
einen Brief zu fihreiben voll Liebesglut; den gab er der
Frau, daf fie ihn feiner Geliebten überliefere.. Sobald
fie den Brief in Händen hatte, ging fie alsbald zu Nonne,
bändigte ihr ihn ein und fie las ihn.
Was fehe ich, ſprach fie, als fie damit fertig war,
aus dieſem Briefe anderes, als daß Pantheone eine
andere liebt und fich um midy nichts befümmert, daß er
wünfcht, ſich mit jener zu vereinigen und mich beifeit
zu laffen? Welchen Troſt kann mir das Feuer bereiten,
das hierinnen verfihloffen ift, und die Treue, die er ver⸗
fpricht, wenn er von einem andern Feuer glüht und bie
Treue einer andern, als mir, zugefagt ift® Sch weiß
hieraus nicht zu entnehmen, als Kummer und die fichere
Berzweiflung an dem, mas ich mit folcher Hingebung
fo lange gewünfcht habe.
Hier fing fie an jämmerlich zu weinen. Mefa, melche
bereits ihre Plane mit ihr entworfen hatte, fprach zu ihr:
Nonne, wenn ihr euch meinem Rathe fügen wollt, fo
fagt mir mein Herz, daß ich euch fo heiter machen werde,
als ihr jegt traurig und kummervoll feid.
Und wie willft du das je bewerkftelligen, fragte jene,
wenn alle meine Freude davon abhängt, Pantheone zum
Mann zu befommen, und er der Gatte einer andern
werden will?
‚Gerade, fagte fie, will ich, daß er euer Gatte werde.
Und wie ſoll das geſchehen? fragte Nonna.
Folgendermaßen, antwortete jene. Pantheone hat bis
jetzt geglaubt und glaubt noch immer, das Mädchen, das
er liebt, habe allezeit auf ſeine Briefe geantwortet, ich
babe dieſen Glauben zu euern Gunſten ſtets in euch ge-
nährt in Erwartung, daß bie Zeit euer und mein Ver⸗
langen auf eine ehrenhafte Weiſe erfüllen werde; denn
mein Verlangen geht nad) eurer Zufriedenheit, gerade als
wäret ihre meine Zochter. Und mir feheine nun, es fei
das eingetroffen, was. ic zu eurem Beſten feit dem
12* *
774 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Gintio.
Beginn dieſer Unternehmung im Auge hatte. Ihr ſeht,
wie ſehr Pantheone wünſcht, mit dieſem Mädchen zu⸗
ſammen zu fen. Run follt ihr ſtatt ihrer zu mir kommen,
und ich will machen, daß Pantheone fi) mit euch ver»
bindet, in der Meinung, bei feiner Freundin zu liegen.
Als Ronna dies hörte, flieg ihr das Bedenken auf,
die Alte könnte mie diefer Lift fie Pantheone preisgeben
und dann, nachdem er befriedigt wäre, fich nicht weiter
darum kümmern, ob fie mit Schande. bebedit bleibe;
darum fagte fie: Ich weiß recht wohl, Meſa, wenn ich
nicht für meine Ehre hätte forgen unb mich Pantheone
hingeben wollen, fo hätte ich weder beine noch fonft
jemanbes Bermittelung nöthig gehabt, um mit ihm zu⸗
fanmen zu kommen; aber wie das früher nicht meine
Abſicht war, fo begehre ich es auch jegt feineswegs;
beshalb kann ich mich auf deinen Vorſchlag nicht ein-
laſſen und du follteft glühen vor Scham, mir ihn anzu-
bringen, denn ich fehe nicht, was mir anders daraus
entfpringen Zönnte, als Schande ohne irgenb weichem
Bortheil, und unter biefer Bedingung möchte ich nicht
mit Jupiter felbft mich vereinigen, geſchweige mit Pan-
theone; lieber will ich, daß bie Flammen, von welchen ich
glühe, mich elendiglich verzehren, als daß ich das thue.
Ihr Habt euch, antwortete jene, gleich das Schlimmfte
eingebildet, was Bier möglicher Weiſe geſchehen könnte.
Glaubt ihr wol, Ronna, daß ich fo gottlos wäre, euch
ſchandbar mit ihm zu’ verfuppelnt Da kennt ihr mid
ſchlecht, Nonne, wenn ihr eine ſolche Meinung von mir
habt. Gin ehrembafter Zweck treibt mich zu dieſem Unter
nehmen, nicht eure Schande; und darum, wenn es euch
recht ift, die Sache einzugeben, bie ich euch vorgefchlagen
habe, fo foll er nicht bei euch liegen, ohne daß er euch
zur rau nimmt, ehe er euch anrührt.
Eine größere Gnade, entgegnete Ronna, könnte mir
feeilih der Himmel nicht befcheren, und wenn dies ge
ſchehen fol, fo werde ich dir unendlich verbunden fein
62. Taͤuſchung und Treue. 275
und du wirft mich niemals fatt fehen, dir eine fo große
Wohlthat zu vergelten.
Es wird gefchehen, fagte die Frau, und ich werde
mich hinlänglich ‚belohnt erachten, wenn ich euch voll-
ftändig befriedigt fehe.
Wie foll das aber gefhehen? fragte Nonna.
Sobald e8 Zeit ift, mill ich euch bemeifen, daß ich
euch liebe und daß vom erften Briefe an, den ich euch
brachte, bis zum legten ich an nichts anderes gedacht
habe, als daß ihr das erfehnte Ziel eurer Liebe erreichen
möget. Darum müßt ihr ihm auf diefen Brief erwibern,
er folle nur Allem glauben, was ich ihm als Antwort
"vermelde; denn ihr und ich haben miteinander befchloffen,
was zur Ausführung diefee Angelegenheit erforderlich fei.
Nonna that, wie bie Frau verlangte. Diefe nahm
den Brief, begab fi zu Pantheone, ber fie mit der
größten Sehnſucht von der Welt erwartete, und über-.
reichte ihm den Brief. Als er darin nur ein Beglau-
bigungsfchreiben für fie fah, fragte er fie, was geſchehen
und was in ber Sache angeordnet fei. Die Frau fagte:
Pantheone, ich; babe ein folches Feuer im Herzen eurer
Geliebten erwedt, daß, wenn nicht die Rüdfiht auf ihren
Vater fie abgehalten hätte, fie mit mir zu euch gefommen
wäre; aber bie große Furcht vor ihm, deffen Wefen hart
und furchtbar ift und der fie in befländiger Angft erhält,
ließ es ihr nicht zu. Ich wollte indeß nicht unterlaffen,
Alles zu verfuchen, was mir geeignet ſchien, euch zufrieden
zu fielen; daher fagte ich zu ihr: Und warum maskirt
ihr euch nicht und kommt in mein Haus? Ich werde
Pantheone Hinbeftellen und ohne daß euer Vater etwas
davon erfährt, könnt ihr euch eurer Liebe freuen.
Sie antwortete mir aber fogleih: Wie fol ich mich
denn masliren? Mein Bater würde nimmermehr zu-
geben, daß ich auch nur zu. Haufe eine Maske auffeste,
geſchweige daß ich damit audginge. Ihr wißt ja, daß
feit meine Mutter geftorben ift, er fein Auge mehr von
276 XVIN. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
mir läßt und, wenn er audgeht, mich fo in feine Zimmer
verfchließt, daß ich feinen Fuß hinausfegen kann.
Als ich dies hörte, fagte ich zu ihr: Und wenn ich
euern Vater dazu brächte, daß er es erlaubt, würdet ihr
euch dann nicht maskiren und würdet ihr nicht mit mir
fommen?
Darauf antwortete fie: Von ganzem Herzen gerne.
Als ich fo die Einwilligung des Mädchens hatte,
habe ich mich bei dem Water dafür verwandt, daß er
erlaube, daß fie ſich maskire und morgen ein Paar
Stunden mit mir fomme Ich muß fie alfo morgen
abholen und werde fie in eure Arme führen, aber nur
mit dem Beding, daß ihr, ehe ihr fie berührt, euch mit
ihr verlobt und fie auf der Stelle für eure Frau erklärt.
Ih glaube nicht, holde Frauen, daß eines Menfchen
Sinn die Freude faffen kann, die Pantheone nunmehr
fühlte. Er fegnete taufend mal den Tag, da er in das
Mädchen ſich verliebt habe, taufend und aber taufend mal
die Liebe, die ibm Mefa zugeführt als Vermittlerin dieſes
Verkehrs. Er konnte nicht fatt werden, ber Alten zu
liebfofen und den Dienft zu loben, ben fie ihm erwiefen.
Am folgenden Tage ging das gute Weib zu Nonna und
meldete ihr, mas fie mit Pantheone verhandelt hatte.
Niemals, fügte fie hinzu, hat Pantheone mit Lipera
gefprochen, die euch fo fehr verhaßt ift, auch hat er nie
mals mit euch gefprochen; eure Perfon gleicht volllommen
ber feiner Geliebten, und wenn ihr das Geficht bededt
habt, fo fehlt zur Täuſchung nichts mehr, ald die Augen;
bafür aber hat die Natur geforgt, denn bie eurigen find
eben fo ſchwarz und lebendig, als Lipera fie hat, und
fönnen bie Meinung, daß fie es fei, eher bekräftigen,
"ale ſchwaͤchen. Wollte er auch aber etwa, während er
bei euch ift, die Maske abnehmen, wie es gefchehen konnte,
fo müßt ihr euch dem widerfegen, indem ihr euch, wie
euch am beften fcheint, ausrebet, fo aber, ald wäre Ki-
pera's Vater der eurige. °
62. Taͤuſchung und Treue. 277
Nonna war mit alle dem einverftanden.
Aber, fagte fie, gefept, daß alles, wie bu ed aus⸗
gefonnen haft, ein glüdliches Ende nehme, zulegt muß
"ja doch der Betrug an den Tag fommen, und wenn das
gejchieht, was fol alsdann aus mir werden?
Werde, ſprach Meſa, mas da will! Er bat euch
einmal zur Frau genommen und muß euch behalten auch
gegen feinen Willen; ich werde beftändig zu euren Gunften
Beugniß ablegen. Es gefchieht dann nur, was dem alten
Patriarchen wibderfuhr, der um Rachel gedient hatte, aber
Lea zum Weibe befam. ch will aber hoffen, wie Gott
bort geholfen hat, jo wird er auch hier nad) feinem Er⸗
barmen alle Hinderniſſe hinwegräumen.
Als Nonna hörte, was Meſa zu ihr geſagt und was
fie erfonnen hatte, bat fie Gott um feinen Beiftand:
Sie zog ein Nonnenkleid an, nahm eine Maske vor und
vermummte fich das Geſicht mit Binden und Schleiern,
wie wir e8 Nonnen machen fehen. Daher war die Maske
nicht leicht vom Geficht abzunehmen, wenn man nicht
den ganzen verwidelten Sopfpug in Unordnung bringen
wollte. Sie machte fih alfo mit der Frau auf den Weg
nach ihrer Wohnung... Bald. darauf fam auch Pantheone
und als er das Mädchen dort fah, glaubte er, es fei
Lipera, und wollte ihr die Arme um den Hals fchlingen.
Sie aber drängte ihn fanft zurüd und ſprach: Pantheone,
die abfonderliche Liebe, die ich für euch fühle, hat mich
hergeleitet, und ich erkenne wohl, daß ich hierin gegen
meinen Vater ein großes Unrecht begehe, indem ich fo
ohne feine Zuftimmung zu euch komme. Aber meine
Liebe zu euch war mächtiger, als die Ehrerbietung, die
ih meinem Vater fchuldig wäre. Doc da mich bie
Liebe hierzu gezwungen hat, ihm ſolches Unrecht zu thun,
ſo möchte ich ihm nicht noch ein zweites weit größeres
zufügen ‚nämlich, dag ich mic, euch hingäbe mit Verluft
meiner Ehre, fo meinen guten Namen verlöre und ben
Glanz meines Blutes verdunfelte. Che daher. etwas
“
2778 xvVIl. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
* Weiteres zwiſchen uns erfolgt, verlange ih, daß ihr mich
heirathet und mich zu eurer Gattin nehmt; dann bin ich
volllommen bereit, euch au Willen zu fein.
Yantheone heftete feinen Blick auf die Augen des
Mädchens und er fand fie denen gleich, aus melden
ihm Fackeln unb Pfeile ber Liebe zugeflogen waren, er
vernahm den holden Ton ihrer Stimme, der bei Ronna
bewunbernswürdig war, und durch die Kebhaftigkeit der
Blide und die Süfigkeit der Rede war er ganz in bie
Gewalt der Jungfrau gefangen, bie er für feine Geliebte
hielt.
Auch ich, verfegte er daher, bin in feiner andern
Abſicht hergekommen, als um euch zum Weibe zu nehmen,
unb ich will eudy das_fogleich bemeifen.
Er hatte zwei der fchönften Ringe mitgebracht, durch
diefe verlobte er ‚fi mit ihr und nahm fie zur Frau.
Dann wollte er ihr die Maske abnehmen und fich zu
ihr legen. Ronna aber fprah: Thut das nicht, mein
Gemahl, denn mein Bater hat mich mit eigener Hand
fo angezogen und mir gefagt, er „habe mir beim Befe⸗
fligen ber Maske und beim AJurechtlegen der Binden
und Schleier darüber ein Zeichen gemacht, das ich nicht
fenne; wüßte ich, worin es beſteht, fo hätte ich nicht
gervartet, bis ihr mir die Maske abzieht, fondern ich
hätte fie felbft abgenommen, um beflo ungesmungener
eure Liebe genießen zu können. Wenn ich ihm aber
meinen Kopfpug nicht wieder gerade fo nad Hauſe
bringe, wie er mir ihn angemacht bat, fo werde ich
unglüdlich ; ficherlich könnte ich, wenn ich die Maske
abnähme, das Zeichen leicht verderben, und menn das
wäre, würde ich Gefahr laufen, daß er mic umbrächte,
denn ich weiß, wie beftig er if. Wollt ihr daher jept
bei mir fein, fo wie ich bin, wohlen, ich bin ganz die
eure; feid ihre aber damit nicht zufrieden, fo bitte ich
euch, bringt mich nicht durch Ablegen meiner Maske in
Gefahr, ums Leben zu kommen. Wenn ed euch, viel-
62. Zäufchung und Treue. 279
leicht nicht geftele, auf diefe Weife mit mir zufammen
au fein, fo laßt mich für jest! Es wird fehon eine Zeit
tommen, mo wir mit größerer Sicherheit unfere Verei⸗
nigung fchließen formen, als es jegt gefchähe, wenn ic)
mich maskirt mit euch verbaͤnde.
Pantheone glühte fo von Sehnſucht nach der Frau,
daß er nicht nur in dieſem Aufzuge, fondern felbft wenn
fie ganz mit Waffen bededt geweſen wäre, nicht unter-
laffen hätte, fich ihr zu nahen. Er umarmte fie daher
und fagte tadelnd: Wie, ich fol euch laſſen? Nimmer⸗
‚mehr wird Pantheone das thun.
Er legte fie nun auf ein fehr bequemes im Zimmer
fiehendes Bette und verband ſich mit ihr in leidenſchaft⸗
licher Hingebung zu unendlicher Wonne von beiden, denn
Dantheone glaubte, bei Kipera zu fein, Nonna aber fah
ihre Liebe an einem ehrenvollen Ziele angelangt. Nach⸗
dem fie ſich lange Zeit miteinander vergnügt hatten, trat
bie gute Frau, melche das Spiel geleitet hatte, vor und
fagte zu dem jungen Manne: Pantheone, bei diefer Sache
muß man tlüglich verfahren, damit nicht eure Freude ſich
in das gräulichfte Argerniß auflöfe. Da ihr alſo ficher
feid, daß diefe junge Frau niemand, ald euch angehören
fann und ihr ben Befig eurer Liebe angetreten habt, fo
bleibe uns nur noch übrig, ihren Water zu der Einwil-
ligung zu beftimmen, daß ihr ſicher fein Schwiegerfohn
feid und bleibt. Da jedoch hierzu Zeit erforderlich ift,
müßt ihr euch begnügen, euch in dem Verhältniß zu
begegnen, wie früher, ehe ihr euch einander ergeben habt;
denn wenn ber Vater etwas merkte, fo wären wir, die
junge Frau und ich, übel angeführt. Ihr wißt, wie.
euch Zipera ſchon zuvor gefagt hat, wie heftig er ift;
darum bitte ich euch, geht auf das ein, was ich euch
fage, damit wir allmälig und ohne Gefahr für einen von
uns feine Einwilligung erlangen können, und ich werbe
euch zur Mittelöperfon dienen, um auch dies, wie ich das
Bisherige geleitet babe, einem guten Ziele zuzuführen.
)
W0 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
Dem jungen Manne fiel das ſchwer, doch da ſich
mit Meſa's Worten Nonna's Bitten vereinigten, ſagte er:
Nachdem mir Gott die Gnade erzeigt hat, mit euch zu⸗
ſammen zu kommen, Lipera, will ich nicht, daß dieſes
unſer Beiſammenſein eine andere Frucht trage, als Freude.
Damit wir alfo in gutem Einvernehmen mit eurem Bater
uns froh und ruhig genießen fonnen, will ih, ba ich
gerade in Rom einen Rechtsſtreit von nicht geringer
Wichtigkeit Habe, mich indeffen dorthin verfügen, denn
bier koͤnnte ich es nicht aushalten, ohne zu euch zu
tommen oder ohne daß ihr zu mir kaͤmet. In der Zwi⸗
ſchenzeit mag biefe unfere gemeinfchaftliche Freundin, Die
uns bereit fo viel Glück bereitet hat, das librige zu
bem Ende führen, das wir erwarten.
Das will ich thun, ſprach Meſa, und bie beiden
Gatten überließen fi) neuen Umarmungen, wobei Pan-
theone ftet6 eifrigft Rüdfihe nahm, den Kopfpug feiner
jungen Frau zu fihonen, aus dem bereitd angeführten
Grunde. Mefa aber brängte Nonna durch die Bemer-
tung, der DBater babe fie ihr auf zwei Stunden anver-
traut, jegt aber feien mehr als drei vorüber.
Ad, fagte fie zu Pantheone, lieber Herr, die Tren-
nung von euch fällt mir aͤußerſt fchwer; doc da mid
die fefigefepte Zeit zu meinem Vater zurückruft, bitte ich
euch, zu geftatten, daß ich mid) entferne.
Diefer Abſchied Fällt mir nicht minder ſchwer, fügte
Pantheone hinzu, als euch; doch da es denn fo fein muß,
fo geht bin, mein Leben! Morgen reife ih nach Rom.
Zum Abſchied laſſe ih euch mein Her, zum Pfande
zurüd. Und was gebt ihr mir mit auf den Weg?
Die Eeele, fagte Nonna, und wo ihr mweilet, wird
fie euch beftändige treue Geſellſchaft leiten.
Nach diefen Worten küßte Pantheone die Maske rechts
und links, die Liebenden trennten fi und Nonna kehrte
nad) Haufe. Pantheone machte fi) am folgenden Tag auf
den Weg und ging nach Rom. Nonna blieb voll von
62. Taͤuſchung und Treue. 281
großer unbefchreiblicher Wonne zurück. Nur das machte
ſie einigermaßen beforgt, daß fie nicht wußte, mie es
werden würde, wenn. Pantheone die Täufchung einfehe,
was doch früher oder fpäter gefchehen. müffe, ob fie. nicht
ganz in Ungunft bei ihm falle, theild weil er ſich nun
alle Hoffnung geraubt ehe, nachdem er fie zum Meibe
genommen, ſich je mit feiner Geliebten verbinden zu
fönnen, theil® meil fie arm und dies bisher die Haupt⸗
urfache geweſen fei, daß er fich nie hatte beftimmen laffen,
fie zu lieben, denn Mefa hatte ihr oftmals gefagt: Nonna,
eure Schönheit und eure Armuth ift fchuld, dat Pan-
theone fich nicht dazu verfieht, euch zu lieben; denn ba
ihr fo außerordentlich ſchön feid, fürchtet er, bie Liebe
für euch Zönnte ihn drängen, euch arm wie ihre feid zur
Frau zu nehmen.
Da ed aber, wie ich glaube, vom Schickfal beſtimmt
iſt, daß dieſe Ehe zu Stande kommen ſoll, ſo traf auch
der Himmiel Vorſorge gegen jede Unordnung, die fie
irgendwie hätte ſtören können. Denn. ein Bruder von
Nonna’d Vater, welcher fehr reich war und das Mädchen
fehr lieb hatte, ftarb, und da er Feine näheren Ber:
wandten hatte, als fie, Binterließ ‘er ihr fein ganzes
-Bermögen, das über zehntaufend Goldgulden betrug.
Lipera's Water aber gab noch im Laufe des angeführten
Garnevals feine Tochter einem ferrarifchen Edelmann zur
Frau, diefee brachte fie nad Beendigung des Carnevals
nach Ferrara. ALS dies Pantheone hörte, nachdem er
faum einen Monat in Rom gewefen war, fühlte er fich
tief betrübt, er Tieß plöglich alle Gefchäfte im Stih und -
kam nad) Mantua. Er fuchte bie Frau auf, welche feine
Heirath eingeleitet hatte, und beklagte ſich bitter über das
Borgefallene. Sie fand aber gleich Ausflüchte und fagte,
fie habe es an nichts fehlen laffen und alle möglichen
Mittel bei Vater und Tochter angewandt, um die neue
Permählung zu verhindern, aber er habe durchaus fich
nicht dazu verftehen wollen, zu erlauben, baß fie einem
282 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
andern angehöre, als dem, bem er fie fchon feit geraumer
Zeit zugefagt hatte; der jungen Frau habe fie gefagt,
fie habe fih ihm zur Gattin gegeben und könne fich
baber nicht mit einem andern vermählen; fie habe ihr
aber geantwortet, nur mit großem Schmerze werde fie
bie Frau eines andern, als Pantheone’s, und fie fei auf
dem Punkte geflanden, ihrem Vater das dem Pantheone
gegebene Wort anzuführen, fie babe fi aber mit ihrem
Beichtiger darüber berathen und biefer habe ihr gefagt,
ba keine kirchlichen Feierlichkeiten babei ftattgefunden haben,
gelte die Ehe nicht, und aus biefem Grunde habe fie den
Zorn ihres Vaters nicht ohne Nugen gegen fie aufregen
wollen, fich alfo bamit einverftanden erklärt, deffen Gattin
zu werden, bem ihr Vater fie übergeben habe. Pantheone
war fehr betrübt über diefe Mittheilungen und wollte fein
Mittel unverfucht laffen, diejenige zurücdzubelommen, mit
weicher er die Ehe vollzogen zu haben glaubte. Aber
Mefa fagte zu ibm: Ich will nicht unterlaffen, euch meine
Meinung zu fagen; thut hernach, was euch lieb ift und
was euch angemeffen ſcheint. Ihr habt das Mädchen
genoffen und nachdem ihr ihre Blume gepflücdt, ift fie
in eines andern Hand übergegangen. Das muß euch,
wie mich dünkt, eher Freude machen, als daß ihr num
fie dem wieder nehmen wollt, der fie feither genoffen hat.
Dies koͤnnte euch nur zur Schande gereichen, denn jeber-
mann würde euch, um es gerade herauszufagen, für einen
Hörmerträger halten, und es könnte leicht fommen, daß
der, ber jest das junge Weib befigt, fie euch ohne Wider-
rede zurüdgäbe, um mit einer andern in die Ehe zu
treten. Darum, wenn ich ihr wäre, ließe ich dem Waſſer
feinen Lauf und würde mich nad einer neuen Frau um⸗
ſehen, da ja bei der erften die Kirche ihren Segen noch nicht
ertheilt hat, fie ſomit auch nicht wirklich eure Frau war.
Thut ihre das, fo konnt ihe immer über jenen lachen,
der eure erfte zur Frau genommen, nachdem ihre zuerft
ihr beigewohnt, gerade wie er über euch lachen würde,
62. Taͤuſchung und Treue. 283
wenn ihr fuchtet, fie ihm zu entreißen und als eure Frau
zu behalten. Es fehlt hier zu Lande nicht an Frauen,
die für euch paſſen. Da ift unter andern die Nonne,
bie euch bekanntlich liebt und die euch eine würdige
Gattin wäre. Jetzt hat fie auch dur den Tod ihres
Oheims ein fo großes Vermögen geerbt, daß fie eine
ganz andere Mitgift euch zubrächte, als ihre von ber
andern befommen hättet, und wenn euch etma mehr Die
Schönheit beſtimmen foll, eine Frau zu nehmen, als der
Reichthum, fo ift Nonna nicht minder fehön als irgend
eine im Lande. Sch glaube daher, ihr thut wohl, bie
andere jenem, der fie einmal hat, zu laffen, und Nonna
zw beirathen, mit ber ihr vielleicht viel zufriedener und
bequemer leben werdet, ald mit der andern der Fall ge
weſen wäre.
Die Worte der Alten blieben nicht ohne Wirkung
bei Pantheone. Er zog namentlicd, in Betracht, daß
Lipera, bei welcher ex gefchlafen zu haben glaubte, ihm
doch nicht mehr ohne Schande für ihn angehören fönne,
und entfchloß fih, Nonna zu nehmen, fobald er fi
überzeugt hätte, baf wegen Mangels der kirchlichen Feier
bei feiner Vermählung mit Lipera ſie nicht wirklich feine
Frau geworben fei. Als er nun fand, daß bie beften
Gewährsmänner ber Anficht waren, daß folhe heimlich
‚gefchloffene Eheverträge Leine Giltigkeit haben, nahm er
Nonna zum Weibe. Es dauerte aber nicht lange, fo
hielt er fich für den unglüdlichften und beteogenften Dann,
ber je ſich mit einem Weibe eingelaffen hätte. Nonna
war nämlich von ihren erften Berührungen, die fie unter -
frembem Namen mit Pantheone gehabt hatte, ſchwanger
geworden, was Pantheone zwei Monate nach feiner wirk⸗
lichen Verheirathung bemerkte. Der Kummer über diefe
Mahrnehmung ließ ihn nicht Ruhe noch Raft finden und
oft fprach er bei fih: Seht doch wie ich Schafstopf mir
felbee Hörner angefegt habe, indem ich dieſe zum Weibe
nahm, die ſchon ſchwanger in mein Bett gekommen ift.
284 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio.
Ganz ſchwermüthig ſann er fortwährend auf Mittel,
fih von dem Weibe loszumachen, und oft hatte er ge
radezu im Sinne, fie ohne Weiteres zu verlaffen. Freilich
ſah er wohl ein, daß dies nicht das rechte Mittel war,
um zu maden, daß fie nicht mehr feine Frau wäre; er
kam daher auf einen viel graufameren Plan und bedachte,
wie er ihr das Leben nehmen wollte, da er mußte, daß
nichts, als der Tod, den Knoten Iöfen könne, mit
bem er zu feinem Unheil an Nonna gefeffelt zu fein
wähnte.
Bon fo läftigen Gedanken gepeinigt verwünfchte er
fein Geſchick und Mefa, die ihn an eine ſolche Klippe
geführt, um baran zu fcheitern. Als Ronna dies merkte
und wußte, mit meld großer Mitgift fie ihren Gatten
erkauft hatte, befchloß fie, ihm zu entdedien, was zwifchen
ihr und ihm durch Bermittelung ber guten Alten vor-
gefallen war. Sie erzählte ihm ‚daher in einer Stunbe,
die ihr geeignet fehlen, wie fie von ihm ſchwanger fe,
entgüllte ihm vollftändig das Verfahren, wodurch fie auf
Mefa’s Rath feine Frau zu werben gefucht habe, und
zeigte ihm die Ringe, die er ihr zur Verlobung gegeben.
Als Pantheone die Wahrheit ihrer Erzählung einfah,
erkannte er, wie groß die Liebe Nonna’s zu ihm gemefen
und wie fehr fie verdiene von ihm geliebt zu werben.
Er verwandelte den Argwohn, ben er gefaßt hatte, in
die anhänglichfte Liebe und freute fich, baf fie Durch folche
Täuſchung feine Gattin geworben fei. Auch Mefa erntete
Lob dafür, daß fie, um die Sache zu Ende zu führen,
ihm eine folche Falle gelegt habe. Er lebte glüdlich mit
Nonna und hielt Mefa beftändig werth dafür, daß fie
ihn. mit Nonna zufammengebracht hatte.
63. Ein Gottesurtheit. 285
63. Ein Gottesurtheil. |
(10, 7.)
Sn Agina ber vornehmften Infel der Cykladen lebte
um die Zeit, wo diefelbe mit Athen um die Herrſchaft
auf dem Meere vwetteiferte, eine junge Frau von fehr
vornehmer Abkunft Namend Eupia. Sie mar aufer-
ordentlich fchön, fehr wohlmollend und reizend 'und von
fo einnehmendem Betragen, daß fie bei jedermann beliebt
war. Sie war an einen Mann verheirathet, welcher fich
ganz dem Handel und der Kaufmannfchaft widmete und
Eupoleo hieß. Seine Gefchäfte hielten ihn meift von
der Stadt entfernt. Einft war er nach Euböa, dem
heutigen Negroponte, gegangen, um gewiffe Unterneh-
mungen zu machen, bie ihn auf einige Monate dafelbft
feffelten. Unterdeffen kam ein fehr vornehmer Ritter aus
Athen nad) Agina und wohnte zu feiner Unterhaltung
in der Stadt, die dbenfelben Namen wie die Infel führte.
Hier fiel ihm Eupia ins Auge und er entbrannte fo ſehr
für fie, daß er feine Gedanken auf nichts anderes wandte,
als wie er ihre Liebe gewinnen und die legten Früchte
derfelben fi) aneignen fonne; und ba bie junge Frau
von vornehmem Stande und, wie gefagt, fehr artig und
höflich war, mwurbe in Agina kein Feſt noch Gaſtmahl
gefeiert, wozu fie nicht gerufen worden wäre, und ebenfo
wurde dazu der milde und erlauchte Ritter geladen, welcher
Eleuterio hieß. Bei einem folchen Fefte tanzte Eleuterio
mit Eupia. Dies fchien ihm die paflendfte Zeit, um
der jungen Frau feine Liebe zu entdeden, wegen .ber
Freiheit, womit Männer und Frauen fich beim Tanze
die Hände geben und ungeftört fprechen dürfen; fo fagte
er denn, indem er fie bei der Hand bielt: Eupia, eure
feltene Schönheit, dergleichen ich nie fonft gejehen zu
haben: glaube, nicht allein hier fondern in ganz Griechen-
286 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
land, bat mich fo fehr für euch entzündet und ich habe
fie fo mädtig in meinem Derzen empfunden, daß ic
euh zur Herrin meiner Seele und meines Lebens und
ohnehin aller meiner Habe, die übrigens nicht gering ifl,
gemacht habe. Und da ich euch ebenfo höflich, als ſchön
fah, bin ich auch zu der Überzeugung gefommen, meine
Liebe auf eine durchaus freundliche Dame gewendet zu
haben, und diefe Anficht ließ mich Hoffen, daß, wenn
ihr von edlem Gemüthe feid und ber Adel der Liebe dient,
ihr geneigt fein werdet, mir ebenfo eure Liebe zuzuge-
ſtehen, wie id gan, mit all meinem Geſchick mid
eurer Willkür zu Befehl ſtelle. Darum bitte ich euch
bei ber Schönheit, die mich zu eurem Knechte gemacht
und mein Lehen und Sterben in eure Hand gelegt hat,
und bei eurer Höflichkeit, aus der ich große Hoffnung
gefchöpft, und bei diefer meiner inbrünftigen Liebe zu euch,
daß es euch gefallen möge, daß ich euch liebe, und daß
e8 euch ferner gefallen möge, daß ihr mich liebet und
mie gewähret, was eine fehöne gütige Frau einem auf.
richtigen treuen Liebhaber gewähren fol; und wenn ich
diefe Gunſt von euch erlange, wie ich fie erlangen follte,
fo werde ich es fo betrachten, als habe ich von euch das
Leben empfangen, das ich ganz ficher in wenigen Tagen
laffen müßte, wenn ich eure Liebe entbehren follte.
Hier ſchwieg er, drüdte aber immer die weiche zarte
Hand der jungen Frau in ber feinigen unb erwartete
bie Antwort. Ihre Züge verriethen ebenfo viel Güte,
ale würdigen Stolz, und fie fpra zu ihm: Wie ich es
nie zugeben wollte, Daß euch jemand irgend einmal mit
Recht für ungefällig halten dürfte, ebenfo wollte ich,
dag mir nie jemand ein anderes Zeugniß geben könne,
als das der Ehrbarkeit und Treue. Der erftere Umftand
macht, daß alle Gefälligkeiten, bie ein edler @eift ohne
Nachtheil für feine Ehre von einer ehrbaren Frau errei-
hen kann, euch von mir zu Theil werben follen, nicht
aber ber Zweck, aus dem ihr, wie mir fcheint, mich zu
63. Ein Gottesurtheil. 2387
lieben angebt. Denn die zweite der genannten Eigen⸗
fchaften, die Keufchheit und Treue verlangt, daß ich mich
dem Manne rein und treu erhalte, mit bem ed dem
Himmel gefallen hat, daß ich in Gemeinfchaft lebe; und
gerade fo würde ich mich auch euch erhalten, wenn ich
eure Gattin wäre, wie ich die Eupoleo’3 bin; und wenn
ih anders handelte, fo würde ich glauben, gerade jene
angeblihe Schönheit an mir zu befleden, welche ihr fo
fehr zu erheben euch bemüht und um deren willen ihr
mid) zu lieben behauptet. Während ihr mich jegt ihret-
wegen liebt, müßtet ihre, wenn ihr mich unkeuſch er-
fändet, mich als garflig und verächtlihh auf den Tod
baffen. Wenn ihr aber wollt, daß ich fo fchön bleibe,
wie ihr meint, daß ich fei, und darum glaube, daß ihr
mich liebet, und verlangt, daß ich euch liebe, fo bitte
ih euch, lenkt eure Gedanken auf etwas anderes, als
Daß ihr mich gegen meine Ehre verfuchet; denn wenn
ihre bei diefem Worfage bebarret, fo fage ich euch zum
voraus, dag ich euch nicht allein nicht glauben werde,
daß ihr mich Tiebet, fondern ich werde euch für einen
ſehr fchlechten Freund, ja für meinen Feind anfehen.
Wie died demnach dad erfte Mal gemefen ift, daß ich -
euch angehört babe, fo fol es auch das legte fein; nicht
allein werde ich euch nicht anhören, wenn ihr mit mir .
reden wollt, fondern auch nie auf eine Seite fehen, mo
ich denken könnte, daß mir euer Anblick begegne.
Nach diefen Worten ging auch der Ball zu Ende,
Eleutherio fah zwar, daß Eupia’s Gedanken ben feinigen
fehr entgegenftanden, dennoch aber wollte er nichts zu
verfischen unterlaffen, wozu fi ihm günftige Gelegenheit
bot und mas er für geeignet hielt, um den Sinn ber
jungen Frau nad feinem Wunſche zu flimmen. Er
fparte deshalb weder an Borfchaften noch an Geſchenken:
von biefen aber wollte Eupia nie auch nur das geringfte
annehmen; von jenen aber wollte fie gleich von Anfang an
Seine hören, die von biefer Sache ſprach. Nach einigen
|]
288 XVIM. Giovanni Battifta Siraldi Eintio.
Tagen hatte jedoch Gleutherio eine Nachbarin gewonnen,
welche viel in Eupia’s Haus kam, ihr zu fagen, da ihr
Gatte abweiend fei, folle fie ſich nicht fo fpröbe zeigen,
einem andern Manne anzugehören, um nicht ihre Jugend
einzubüßen; wenn ihr Gemahl mehr auf feine, Handel
ſchaft fehe, als auf feine Frau, fo müffe auch fie mehr
Rückſicht auf fi nehmen, als auf ihn. Eupia gerieth
aber in ſolchen Zorn über diefe Reben, baf fie die Nach⸗
barin gar nicht mehr in ihr Haus laffen wollte, und
als fie zulegt von ihr Abfchied nahm, fagte fie: Du
kannſt Eleutherio fagen, daß ich, ehe ih Empoleo zum
Manne nahm, wohl wußte, daß er Kaufmann fei und
daß ‘er mir nicht beftändig zur Seite bleiben Tonne.
Wenn er aber auch weit von mir entfernt ift, fo bin
ich nichts defto weniger mit meinen Gedanken ihm be
fländig nahe, und dies ift ber Grund, weshalb ich die
Frucht meiner Jugend pflüde, nicht, wie er meint, ver-
liere. Den Beweis für unfere gegenfeitige Liebe mag
Folgendes liefern. Vor einiger Zeit war er zwei volle
Jahre abweſend, wir beobachteten die Stunden und bie
Minuten, wo wir an einander dachten, und brachten fie
in ein Berzeihniß; da ergab ſich denn, daß wir beide
um dieſelbe Zeit ‚ an bemfelben Tage, in bemfelben
Augenblide uns im Geifte und in füßer Erinnerung, die
wir einander bewahrten, zufammenfanden und, wiewol
leiblich getrennt, und ganz nahe famen, uns im Geifte
umarmten und im Gedaͤchtniß gatteten, gerade ald wären
wir beifammen. Auf diefe Weiſe habe ich von jeher die
Frucht der Jugend geerntet und ernte fie noch, die ich
nad Eleutherio 6 Meinung verliere bei der Entfernung
von meinem Gatten. Deshalb möge er für die Zukunft
unterlaffen, mich zu beläftigen, denn er ift mir wirklich
—* befchwerlich, er pflügt das Geſtade und fäet in den
Rach ſo vielen Angriffen auf die Frau verzweifelte
Eleutherio gänzlih, je etwas bei ihr zu erreichen, was
63. Ein Gottesurtheil. 289
dee Ehre zumibderliefe. Aber feht, welche Gewalt die
Schönheit einer keuſchen Frau auf ein edles freies Ge-
müth hat. Wiewol Efeutherio in Eupia eine andere
Gefinnung zu finden wünfchte, ale wirklich der Fall war,
fo gefiel ihm doch fo ausnehmend der feſte Vorfag” der
jungen Stau, ihrem Gatten Treue zu bewahren und fich
feufch zu erhalten, daß er, als er auf den Tod erfrankte,
feinen Bruber, welcher gekommen war, ihn in der Krank⸗
heit zu pflegen, al& er fein Ende nahe fühlte, zu fich
rief und zu ihm fagte, er habe Eupia auf das Glühendfte
geliebt und alle Mittel bei ihr angewandt, um fie zu
bewegen, ihm ihre Liebe zu ſchenken, habe fie aber immer
weit entfernt. von jedem wollüftigen unehrbaren Gedanken
gefunden, und weder Bitten noch Gefchenfe noch Bot⸗
fhaften noch fonft etwas habe fie von ihrem feften
Entichluffe abdringen können; er wolle nun zeigen, daß er
als Ritter eben diefe Ehrbarkeit Tenne, die ex an Eupia
gefehen habe, und münfche daher daß fie nicht allein
das erhalte, was er ihr gegeben haben würde, menn fie
feinen wollüftigen Wünfchen- Gehör gefchenft, hätte, fon-
dern außerdem Alles, was er fonft noch in Agina befige,
was etwa fechötaufend Thaler werth war; für fein übriges
Vermögen fegte er feinen Bruder zum Gefammterben ein,
bat ihn jedoch in Kalle feined Todes gegen eine fo feufche
Frau diefen feinen legten Willen zu vollziehen. Der Bruder
verfpradh ihm, ganz getreulic, auszuführen, was er fo groß-
müthig angeordnet habe. Er ließ alfo den Notar und bie
Zeugen fommen und verfügte, was alles nady feinem Tode
geſchehen folle. Ex feierte in feinem Zeftamente höchlich
die Keufchheit und Treue Eupia’d gegen ihren Gatten.
Nachdem das Teſtament fertig war, ftarb er. Der Bruder
wollte feinem gegebenen Worte nicht umfreu werben, den-
noch fürchtete er, Eupia möchte von allem, was er ihr
anbiete, gar nichts annehmen wollen, fo keuſch hatte fie
ihm Eleutherio gefchildert. Er ließ daher einen Bruder
ber jungen Frau zu fich rufen und erzählte ihm, was
Italiänifcher Novellenfchag. II. 13
290 XVII. Giovanni Battiſta Biraldi Gintio.
er an Eupia für einen Auftrag babe, und forderte ihn
zu der Gefälligkeit auf, feine Schweſter zu bewegen, das
von dem todten Eleutherio als Pfand ihrer Sittfamkeit
in Empfang zu nehmen, was fie, fo lange er gelebt hatte,
nie als Zeugniß feiner Liebe zu ihr Hatte annehmen wollen.
Der Bruder ging zu ber Schwefter und fuchte fie durch
viele Gründe zu bewegen, anzunehmen, was ihr bie
firenge Hut ihrer Ehre zum Gewinn bereitet habe, in-
dem er fagte, fie habe in wenigen Monaten ihrem Mann
durch ihre Ehrbarkeit einen weit größeren Erwerb einge-
bracht, als er durch die Bemühungen vieler Jahre in
der Handelſchaft zu thun im Stande gemefen fü. Eupia,
vor Allem auf ihre Ehre bedacht, ſprach zu iheem Bruder,
weicher Efippe hieß: Du weißt, mein Beuber, welchen
Nachtheil es einer ehrbaren Frau bringen kann, ihrem
Batten Argwohn einzuflößen, und welch ein unbebeuten-
der Umſtand oft in den Männern bie Eiferfucht wecken
kann, welche eine wahrhaft töbtlihe Peſt ift für liebenbe
Seelen, wenn fie irgendwie bei ihnen @ingaug findet.
Darum möchte ich nicht, daß die Geſchenke, bie ich ven
GEleutherio nie habe annehmen wollen, fo lange er lebte,
um dem keinen Argwohn gegen mich einzuflößen, gegen-
über von bem ich mich von jedem Verdachte fern halten
muß, daß biefe Geſchenke, wenn ich fie jegt nach feinem
Tode annähme, mid in das verfallen machten, was ich
immerdar zu fliehen fuchte, und diefer Nugen mir zum
großen Nachtheil gereichte bei meinem Manne. Dei:
wegen bin ich ber Anſicht, lieber nichts von bem anzu-
nehmen, was er mir hinterlafien bat.
Ihr Bruder entgegnete ihr, es fei eine Thorheit, aus
eitier Furcht eine Gelegenheit diefer Art vorübergehen zu
laffen; wenn ihr Mann da wäre, fo mürbe biefer gewiß
fih kein Gewiffen daraus machen; darum folle fie nicht
von ber Hand meifen, was ihre Ehrbarkeit und ihr Glück
ihr dargeboten habe. Und wenn je in bas Gemürh ihres
Gatten ein Verdacht Eingang finden follte, von beffen
63. Ein Sottesurtheil. 291
Möglichkeit er fih übrigens keineswegs überzeugen könne,
fo würde das der Fall fein, ob fie die Gefchente annehme
oder nicht; denn wenn er höre, und er werde es. hören,
dag Eleutherio fie ihm durch fein Teſtament hinterlaffen
habe, fo würde derfelbe Argwohn in feine Seele kommen.
Er ermunterte fie deshalb von neuem, die Gefchente
anzunehmen; denn, wenn auch je ein fchlimmer Gedanke
in bie Seele ihres Gatten käme, würde ed nicht an Mit-
tein fehlen, fie ihm zu nehmen. Es wurbe viel gefprochen
von ihr und von ihm, am Ende aber gab Eupia dem
Anbringen ihres Bruders nah. Es dauerte nicht lange,
fo fam. ihr Gatte nach Haus und wurde von ihr mit
großer Zärtlichkeit und Liebe willkommen geheifen und
ebenfo nahm fie ihn auf. Da er aber das Haus auf
andere Weife gefchmüdt fah, als er es verlaffen hatte,
fragte er Eupia um den Grund diefer Veränderung;
fie fagte ihm, mas vorgefallen fei, und zeigte ihm, mas
ihr Eleutherio durch fein Teftament binterfaffen, mit
dem Beifügen, er habe dies verfügt zum klaren Zeugnif
ihrer großen Sittfamteit. |
Nein, rief Empoleo erzürnt, er hat es Dir hinter:
Iaffen, böfes Weib, zum offenbarften Zeichen deines Ehe⸗
bruchs. Meinſt du, ich fer ein Kind und werde bie
Thorheiten glauben, die du dir erfonnen haft? Als ob
ih nicht wüßte, daß die Männer ihr Eigenthum nicht
fo wegwerfen, ohne zu miffen wie. Aber ich werde dich
züchtigen für deine Xhorheit und Dir zeigen, baf bie
Meiber ihren Gatten auch treu fein müffen, wenn fie
fern von ihnen find.
Eupia wollte ihre Gründe vorbringen, um ihm biefe
fchlimme Anficht auszureden. Empoleo aber glühend vor
Zorn fiel ihr ins Wort.
Bift du noch fo frech, fagte er, mit mir zu reden?
Bei diefen Worten griff er nach dem Dolce, den
er an der Seite trug, und wollte fie umbringen. Die
Frau floh in ihrem Schreden, fo fehnell fie Eonnte von
13*
233 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
ihm und ging in das Haus des Bruders, zu bem fie
weinend ſprach: Es ift genau eingetroffen, Efippo, was
ich vermuthet habe, daß gefchehen werde, wenn ich das
annähme, was mir Eleutherio zurüdgelafien. Lieber
Bruder, daß ich mehr deinen Willen that, als ben mei-
nigen, bat mich in bie ſchlimmſte Lage verfegt, und ich
kann wol fagen, daß ich zu meinem Unheil diefen Mann
gefehen habe, denn tobt und lebendig mußte er mir Mühſal
bereiten.
Dann erzählte fie ihm in tiefer Bekümmerniß, daß
Empoleo fie habe umbringen und feinerlei Gründe an-
hören wollen, die fie ihm zu Gunſten der Wahrheit und
ihrer Ehre babe vorbringen mögen. Efippo empfand
darüber das größte Misvergnügen. Doc fuchte er feine
Schweiter zu tröften.
Die erften Aufwallungen, fagte er, haben die Leute
nicht in der Gewalt.
Der Zorn, meinte er, habe Empoleo über die rechten
Schranken geführt; fobald er fich etwas beruhigt habe,
wolle er mit ihm reden und ihn auf andere Gedanken
bringen. Er ließ biefen und den folgenden Tag vorüber-
gehen, damit die Vernunft bei Empoleo Plag greifen
fonne, und dann fuchte ihn Efippo wieder auf und fagte,
was ihm geeignet ſchien, um ihn von der Mahrheit zu
überzeugen, wobei er ihn namentlich verficherte, er felbft
babe Eupia veranlaft, das Vermächtniß anzunehmen, fie
für fich Habe e8 durchaus nicht nehmen wollen aus Beforgniß,
es möchte das gefchehen, was fein unbegründeter Zorn
wirklich bewahrheitet habe, da er in die Treue und Ehr-
barkeit feiner Frau nicht das gebührende Vertrauen fee.
Empoleo wollte ſich aber hierdurch keineswegs beruhigen.
Wie hätte fie, fagte er, fih nicht fcheuen follen, das
Vermaͤchtniß anzunehmen, da fie mußte, daß dies ein
Zeugniß ihrer Uhkeufhheit wart Und ihr hättet fie nicht
nur nicht veranlaffen follen, es zu nehmen, fondern es.
war eure Pflicht, ihr die Züchtigung zu ertheilen, bie
63. Ein Gottesurtheil. 293
eine böfe treuloſe Gattin verdiente. Aber was ihr habt
thun wollen, das werde id, thun; feid deffen verfichert!
Efippo war jung, rüftig und in Waffen geübt. Als
er daher fah, daß kein Vernunftgrund bei diefem unver-
nünftigen Menfchen Pag griff, ſprach er, erhigt von
den verwunderlihen Reben feines Schwagers: Es thut
mir fehr leid, daB du nicht der Mann bift, um did
mit mir in den Waffen zu meffen, denn fonft würde
ih dir mit dem Schwert in der Hand zeigen, daß bu
keine Vernunft Eennft und daß, wenn bu meine Schwefter
des Ehebruchs zeibft, du dich von der Wahrheit trennft,
und daß eine falſche Meinung, die dir den Sinn befangen
hält, dich das echte nicht fehen läßt. Wenn du aber
deinen Sinn nicht änderft und in hartnädiger Thorheit
Eupia und mit ihre unferem ganzen Haufe diefen Fleden
anhängen willft, fo wirft du machen, daß ich alle Rück⸗
fichten beifeit werfe und dir bemeife, daß nicht fie, fon»
dern du verdienft, für diefe deine Narrheit gezüchtigt zu
werden.
Als Empoleo ſeinen Schwager ſo entrüſtet ſah und
wohl wußte, daß er nicht im Stande ſei, mit ihm ſich
auf Waffenkampf einzulaſſen, wagte er nicht, ihm eine
Sylbe zu antworten, aus Furcht, es koͤnnte ihm übel
bekommen, und er entfernte ſich von ihm, fo gut er
tonnte. Empoleo hatte aber einen Bruder, Areio mit
Namen, der war ein junger Mann und ein Träftiger
und muthiger Krieger. Diefem erzählte er, mas zwifchen
ihm und Efippo vorgefallen war. Als er das hörte,
befchloß er, den Kampf zu wagen, nicht nur zur Ver:
theidigung feines Bruders, fondern auch, im Vertrauen
auf feine Verficherung , zum Beweiſe, daß feine Schmä-
gerin eine Chebrecherin fei. Unterdefien begab ſich Em-
poleo zu dem Richter, der über Ehebrüche zu erkennen hatte,
und den Frauen, welche fich folche Fehltritte zu Schulden
fommen ließen, bie empfindlichfien Strafen zuerfannte.
Bei diefem verklagte er feine Frau und fagte, die Reich-
294 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
thümer, Die fie empfangen habe, feien ein offenbares
Zeugniß für die Sünde der Frau, und fie verdiene des⸗
bald die Strafe, welche die Gefege einem folchen Ver⸗
brechen androhen. Der Richter lieh Eupia rufen, weiche,
als fie die Beichuldigung hörte, welche ihr Mann über
fie angebracht hatte, weinenb zu dem Wichter fagte:
D Herr, ich habe niemals meinen Gatten bintergangen,
denn auf ihn allein gingen ftet# alle meine Gedanken
aus, niemals dachte ich, vor euch gerufen zu werden aus
einem folchen Grunde. Da es aber meinem Gatten ge-
fallen hat, dies zu thun, fo ertläre ih, bag, wenn bei
diefer Sache ein Fehler gemacht wurde, fo fällt ex nicht
mir zur Laſt; die erfie Urfache ift die Natur, die mich
fo ſchuf, daß die Schönheit, bie fie mir verlieh, Eleu⸗
therio reizte, mich zu lieben, ohne daß er je von mir
etwas empfangen hätte, woraus er den Schluß ziehen
tonnte, von mir geliebt zu werden. Die zweite Urfache
ift mein Gatte, indem er fi von mir entferne hat und
damit Eleutherio auf die Anficht brachte, ich fei vom Feuer
der fleifchlihen Luft getrieben, und er könne mich dadurch
bewegen, ihm zu Willen zu fein, fo lange mein Gatte
abmefend- wäre. Der britte Schuldige in ber Sache ift
Eleutherio, weicher von mir dachte, was man von einer
ebhrbaren und treuen Frau nie denken ſollte. Mir jelbft
aber ift keine Verirrung zur Laft zu legen, wenn man
mir nicht etwa zur Sünde anrechnen will, daf ich ſtand⸗
haft blieb in der graufamen Schlacht, die mir Eleutherio
mit Boten, Gefchenten und Sendungen lieferte, während
er für Alles, was er thun mochte, von mir auch nicht
einen Blick erreichen konnte, der ihm Hoffnung gegeben
hätte, ich fage nicht, feine Wünfche erfüllt zu fehen,
fondern nicht einmal, daß ih ihm einen freundlichen
Blick zuwenden werde. Died können die Vermittlerinnen
beweifen, welche er bemügte, um mir Gefchente und
Botſchaften zu überbringen, und bie ich, als meine Tod⸗
feindinnen, immer mit Scheltwerten von mir gejagt habe,
63. Ein Gottesurtheil. 295
ohne ihre Bitten zu hören oder Gefchente anzunehmen.
Und wenn er mir im Tode die Geſchenke hinterlaffen bat,
weiche meinem Dann eine fchlimme Meinung von mir
beigebracht haben, fo kann ich: dies nur dem Glück oder
Unglück zufchreiben; dem Glüde, 'infofern ihn dies ver-
anlaft hat, in demfelben XZeftamente, in welchem er.
mir fie vermachte, ein mumwundenes Zeugniß meiner
Ehrbarkeit abzutegen, und infofern mein Gatte dadurch
bereichert worden ift; meinem Unglüde, weil ganz unver-
dientermaßen Empoleo davon Anlaß genommen hat, mic
für ehrvergeffen zu halten und deshalb vor euch zu ver
Magen. Möge midy nur Gott durch feine Gnade und
Barmherzigkeit fo gewiß wieder in die Gunft meines
Gatten zurüdführen, ale ich nichts von allem, was mir
Eleutherio vermacht, annehmen wollte. Aber mein Bruder
Efippo war der Meinung, ed wäre eine wahre Thorheit,
ein ſolches Glück nicht anzuerkennen und ſich anzueignen,
und beftimmte mich gegen memen Willen, alled angu-
nehmen, was Eleutherio zu meinen Gunften verfügt hatte.
Habe ich hierin einen Fehler begangen, fo rührte er nicht
von mir ber, fondern von meinem Bruder, der immer
Tiebevol für mich geforgt und mid) Empoleo zur Gattin
gegeben hat. Hätte er auf alles diefes Rückſicht ger
nommen, fo würde ee mich nur für keuſch gehalten und
dad freundlich und in gutem. Sinne aufgenommen haben,
womit ihn meine CEhrbarkeit und fein Glüd verbunden
mit der Kreigebigkeit des verftorbenen Ritters bereichert
bat. Hier ift das Teſtament, durch welches er glänzendes
Zeugniß ablegt für meine Ehrbarkeit, indem er darthut,
daß einzig hierdurch er bewogen wurde, mir eine fo glän-
zenbe Urkunde zu geben; hier find die Mittelöperfonen,
welche euch fagen werben, wie fie mich immer gefunden
haben; hier iſt mein Bruder, der euch fein Wort geben
wird, daß er mich veranlaft hat, anzunehmen, was id)
nicht annehmen wollte, lauter Umflände, die fammt und
fonders meinem . Manne jeden böſen Gedanken hätten
®
206 XVIU. Giovanni Battifta Giraldi Eintio.
benehmen müfjen, wenn er fie hätte überlegen wollen.
Aber da er doch gethan hat, was er nicht hätte thun
folen, und mich vor euch lud, fo vertraue ich zu eurer
Weisheit und Gerechtigkeit, daf ihr mich aus ben ange»
führten Gründen von der weiteren Verfolgung, bie mir
fo unverdientermaßen zur Laſt fällt, und ebenfo von dieſer
ungeredhten Verleumdung freifprecht ‚ und ich boffe Euer
Gnaden werde mid durch einen gerechten Spruch meinem
Gatten als das zu erkennen geben, was ich in Wahr ·
heit bin.
Hier ſchwieg die Unglückliche unter Thränen. Nach
bem Eupia alſo geſprochen hatte, fragte der Richter
Eupoleo, was er dagegen einzuwenden babe, und er.
ſprach zu ihm alsbald: Alle von diefer Frau zu ihrer
Rechtfertigung angeführten Gründe fprechen gegen fie
und zu meinen Gunſten. Was die Schönheit anbetrifft,
deren fie die Natur anklagt, fo fage ich, daf, wenn fie
bie Sittfamkeit im Bunde mit fi) behalten Hätte, wie
die Natur fie ihr verliehen, fo hätte fie ſi ch vielmehr
fpröde, als ſchamlos gezeigt, und wenn fie in der That
und in ihrem Außern fo geweſen wäre, wie fie jegt
durch ihr Geſchwaͤt fih dafür ausgeben will, fo hätte fie
jedem Manne vorweg alle Hoffnung abgefchnitten, fie zu
verfuchen, fo kühn und frech er auch hätte fein mögen;
denn es ift fein Mann fo alles Verſtandes baar, daß er,
nachbem er ſich von einer reinen Frau beftimmt abge
wieſen ficht, nicht unterließe, fie zu beläftigen. Auch
meine Entfernung hätte niemand Anlaß geben können,
ſich zu erdreiften, fie au verfuchen oder ihr Botfchaften
und Gefchente zu fehiden. Berner die Frauen, welche
bei der Sache die Vermittlerinnen gemacht haben, be
weifen ihre Schuld, denn nur ſchlechte Weiber Hätten
ſich erfühnt, zu einer Frau von Ehre hinzugeben, und
biefe wären alfo nicht zu ihr gekommen, menn fie fie als
keuſch gekannt hätten, bie fih nun für bie Keufchheit
felbft ausgeben möchte. Darum barf man glauben, baf
63. Ein GSottesurtheit. 397
fie fehr mohl gewußt haben, daf fie ihnen felbft den Weg
‚öffnete, um die Borfchaften an fie zu beftellen und ihnen
die Gefchenke zu geben. Daß fie fie zuerft ausgefchlagen,
fpäter aber doch angenommen hat, was ihr Buhle ihr
in feinem Xeftamente vermacht hatte, um nach feinem
Tode ihr anzugehören, beweift, daß fie fo miteinander
übereingefommen waren, um durch diefen Kunftgriff den
Ehebruch zu verftedden und dann, er möchte leben oder
nicht, auf einmal zu erhalten, was er ihr zu verfchie-
denen Zeiten gefchictt hatte. Ich weiß nur zu gut, ba
bei ausjchweifenden Weibern, wie diefes, die Habfucht
die Mutter des Ehebruchs iſt. Wenn er im Teſtamente
gejagt hat, er hinterlaffe es ihr zum Zeugniß ihrer Sitt-
famteit, fo bat er hierin als braver Ritter gehandelt,
denn es ift eines Mannes, der die Gunft einer Frau
genießt, durchaus unmürdig, fie, nachdem fie ihn erhört
bat, in den Ruf der Unkeufchheit zu bringen. Aber mo
wäre der Thor, ber einem Manne, der im Verbachte des
Ehebruchs fteht, fogleich glauben möchte, daß biejenige
fittfam fei, die um feinetmwillen als Ehebrecherin verklagt
wird? Wenn fie behauptet, ihr Bruder habe fie ge-
zwungen, das Vermächtniß anzunehmen, fo fieht man
deutlich, daß fie genöthigt worden ift, weil fie es gewollt
hat; und wenn man ihr zulegt Alles ind Haus ge-
bracht hat, fo zeigt dies ihre Einwilligung; da ich aber
hierüber mit ihrem Bruder hinlänglich gefprochen habe,
fo werde ich mich nicht weiter in Gerede darüber ver-
breiten. Es bleibt mir nur übrig, euch zu beweifen,
daß ed mehr, als wahr ift, daß, wenn eine Frau einmal
die Schranken der Scham überfchritten hat, fie ſichs zur
Ehre rechnet, auch offen als ſchamlos erfannt zu werben.
Die Ehrloſe hat es über fi) gewonnen, bier in eurer
Gegenwart, wo fie in Anbetracht ihrer Schuld und ber
ihr gebührenden Strafe hätte verftummen‘ follen, zu
Aufern, ich follte mich freuen über den Zuwachs meiner
Habe, den mir ihr Ehebruc ind Haus geführt, als wäre
1 3**
298 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
ich einer von denen, die, wenn fie nur ihr Haus gefüllt
finden, fich nichts darum kümmern, Hörner an der Stirne
zu tragen. Gottloſes Weib, das du bift, meinft du ich
folle mi freuen, mich fo ſchmachvoll bereichert zu ſehen?
Weist du nicht, daß alles Gold und Edelgeſtein, das ich
auf diefem Wege bekäme, mir nur wie lauter Koth und
Geſtank vorkäme? Aber ich wundere mid nicht, Herr
Nichter, wenn dieſe Gottloſe, die für fittfam gehalten
werden will, während fie doch das Zeugniß ihres Ehe-
bruchs bei fich hat, ſich nicht ſchäͤnt zu fagen, ich follte
mich darüber freuen; denn wenn fie nicht fo alle Scham
abgelegt hätte, fo müßte fie fich fo fchämen, daß fie lieber
todt, als mit einer folhen Schmach bedeckt lebendig fein
wollte. Darum bitte ich euch, ihren fchlimm angelegten
Lügen kein Gehör zu leihen und nicht zu ermangeln,
ihr mit Hilfe der Gerechtigkeit den Lohn zu ertheilen,
den fie für ihre böfe gottlofe Handlungsweiſe verbient.
Nachdem der Michter beide angehört hatte, wollte er
ſich Zeit nehmen, um zu überlegen, was er in diefem
Balle nah dem Rechte thun müſſe. Er entließ daher
die beiden Theile, beendigte den Streit und zog fich zurüd,
um reiflich ben feltfamen Fall zu betrachten, der ihm fo
zweifelhaft entgegengetreten war, daß er unter den gege-
benen Umftänden felbft nicht wußte, auf welche Seite
er ſich neigen ſollte. Da erfchien Areio und fagte zu
Efippo, er babe nicht wohlgethan, feinen Bruder ale
Betrüger barzuftellen, er habe nicht die Wahrheit gefagt,
indem er jene offenbare Ehebrecherin für ehrbar ausgeben
wollte, As Efippo ſich auf dieſe Weife beleidigt fah,
fagte er ſogleich, er wolle ihm mit allen beliebigen Waffen
(vorausgefegt, dag Mitter fie im Kampfe gebrauchen
können) beweifen, daß feine Behauptung vollfommen
wahr fe. Ein Wort gab das andere, wie es bei der-
gleichen Händeln zu gehen pflegt, und am Ende kamen
fie zu dem Schluffe, die Waffen entfcheiden zu laſſen.
As der beftimmte Tag kam, erfchien Areio als der
63. Ein Gottesurtheil. 299
Schuldige und Efippo ald Kläger auf dem Kampfplage,
den ihm Efippo in einer berühmten Stadt von Salamis
vorgefchlagen, und ben er als rechtlich und ficher ange⸗
nommen hatte. Areio hatte befchloffen, zu Pferde zu
tämpfen, und er jchidte ihm eine vollftändige Waffen-
rüftung zu, der Delm aber bedeckte nur das Geficht von
den Augen abwärts und ber obere Theil bes Kopfes blieb
ganz unbebedt, was zwar Efippo nicht gefiel, da ed ganz
‚gegen Kriegsgebrauch und Ordnung ber Nitterfchaft ver-
flieg, er aber doch hinnahm, da er fehen wollte, worauf
der ganze Handel binauslaufe. Zulegt fchidte er ihm
einen Degen und einen Schild. So fliegen denn beide
zu Pferd. Das Pferd des Areio war faft drei Spannen
höher, ale gewöhnliche Pferde und außerdem fo gewöhnt,
daß, wenn ber Ritter die Zügel im Munde hielt, er es,
ebenfo gut leitete, als ein anderer mit der Hand. So
blieb ihm die linke Hand frei, um den Kopf mit dem
‚Schilde zu dedien, und die rechte zum Schlägen. Efippo
Dagegen mußte fein Pferd mit ber linken Hand leiten
und konnte fich feined Schildes gar nicht bedienen; des⸗
halb blieb der Kopf unbefhügt und konnte von jedem
Schlage des Feindes gefährlich) getroffen werden. Ale
er dies bemerkte, weigerte er fich, auf diefe Weile zu
fämpfen, indem er fagte, das feien feine ritterlichen
Waffen und man pflege im Kriege nicht die Pferde auf
folhe Weife zu lenken und zu führen. Gr berief fich
auf ben Kampfrichter, wo der Schuldige für ſich anführte,
wie im allgemeinen Kriege Liften und ein Sieg durch
Gewandtheit und Schlauheit ebenſo, wie durch Tapferkeit,
ja ſogar der Sieg mit Hinterhalt geſtattet ſei und das Über-
winden für löblich gelte, fo müffe e8 auch erlaubt "und
geftattet fein in einem Kampfe der wegen eines Privat«
kampfes zmwifchen zweien flattfinden. Seine Gründe wur-
den jedoch nicht angenommen, denn der Michter fagte,
in den allgemeinen Kriegen gefchehe das, weil man nicht
ein Heer dem andern gleich machen, noch das eine vor
300 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio.
den Nachſtellungen bes andern bewahren könne, wiewol
Alerander der große ‚weder durch Binterhalt noch durch
Betrug noch durch Lbervortheilung in ber Nacht noch
duch irgend ein gelegenes Mittel fämpfen wollte; fon-
dern einzig durch feine Tapferkeit und bie feiner zwar
menigen, aber muthvollen und klugen Soldaten über-
wanden fie die zahllofe Menge der Kriger Yfiens, und
darum wurden zu feiner Zeit feine Siege gepriefen und
werden es werden, fo lange ber Bau diefer Welt, ber
fteht. Cinzeltämpfe aber, die nach gemeinfchaftlicher Über-
eintunft von den Parteien verfucht werden, und mit
Genehmbaltung der FZürften, werden an einem fichern
Drte veranftaltet, wo feine Furcht vor Gewalt oder
Hinterhalten flattfinde, und fie werden erlaubt, damit
ohne Vortheil des einen oder bed andern Waffen ohne
Hinterlift, wie fie muthvollen Rittern ziemen, ange-
wandte werden. Darum, fagte er ferner, dürfe man
nicht mit ſolchen Sophiftereien fommen, und jeder Ritter,
der fi) weigere, mit einem zu kämpfen, der ſolche
Waffen auf den Kampfplatz bringe, wie Areio gethan
habe, handle als ein ehrlicher Krieger, ſowie ſich anderer⸗
ſeits der ſehr wenig ehre, der mit ſolchen Kunſtgriffen
bei Zweikämpfen vorſchreiten wolle, und vielmehr ſich
als Feigling, denn als muthig erweife; und wenn aud)
mit ungewöhnlichen Waffen gelämpft werden folle, was
er nicht zugebe, fo müffe der, ber fie wähle, dem
Gegner menigftens zmei Monate zuvor Kenntnif ge-
ben, damit, wenn er fie annehme, er fi darin üben
und dem Kampfe gewachfen werden könne. So wurde
befchloffen, eine andere Waffengattung für diefes Gefecht
zu mählen. Als Areio ſah, daß nicht erfolge war, was
er fish erfonnen hatte, und er nicht ber Feigheit befchulbdigt
werben wollte, befchloß er zu Fuß zu kämpfen, halb be
waffnet auf der Vorderfeite, mit der Sturmhaube, in
ber linken Hand den Schild, in der rechten ein Schwert.
Serner wurde ausgemacht, wenn das Schwert zerbreche,
63. Ein Gottesurtheil. 301
fo folle es ausgetaufcht und dafür ein frifches gegeben
werben. Auf diefe Weife gerüftet traten die beiden Ritter
einander gegenüber, nad, einigen Schlägen zerbrach das
Schwert des Areio und fogleich gebot der Kampfrichter
Stillftand, bis ihm ein anderes gegeben wurde. Die
Ritter fochten dann weiter, Efippo bradıte feinem Gegner
einen Stoß bei, er dedte ihn mit dem Schilde; der Stoß
war aber fo heftig, daß. fi) das Schwert. umbog, wie
ein Schießbogen, wodurch es zum Kampfe unnüg und
zum Pariren wenig geeignet geworden war. Deshalb -
verlangte er, man folle ihm das Schmert austaufchen.
Areio widerfegte fich diefem Begehren, denn das Schwert:
fei nicht zerbrochen, wie es in der Ubereinkunft laute,
Efippo dagegen behauptete, man müffe ihm ein anderes
geben, denn das feinige fei fo frumm, als wenn es ge=
brohen wäre. Die Übereinkunft fei auch nur darum
getroffen worben, weil ein zerbrochener Degen nicht mehr
paffend fei zum Kampfe, und unbrauchbar fei auch der
feinige geworden, welcher fo gebogen fei, dag man ihn
nicht mehr anmenden könne; deswegen fei es bderfelbe
Fall, wie, wenn er zerbrochen wäre. Während die beie
den Ritter vor dem Kampfherrn fanden, welcher aus
dem angegebenen Grunde das Gefecht unterbrochen hatte,
erfchien auf dem Kampfplage ein greifer Dann von ehr»
würdigem Anſehen, trat vor den Richter, machte ihm
eine Verbeugung 'und ſprach: Herr, ich habe den Grund
diefes Gefechtes gehört. Wie mir fcheint, find diefe beiden
Ritter im Streit über die Sittfamkeit einer Frau, bie
von ihrem Gatten als ehrvergeffen angeklagt wird; eimer
von ihnen nimmt die Partei der angefchuldigten Frau,
der andere ift ihr Gegner, urd es find bei der Obrigkeit,
wo der Ehemann feine Frau belangt bat, folche Zeichen
für beide Theile vorhanden, daß die Sache rechtlich höchſt
zmeifelhaft bleibt; und wenn man ſich auch im Zweifels⸗
fall zu Gunften der Frau ausfprechen müßte, fo würde
man bamit doch den Verdacht nicht aus der Seele des
302 XVIII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio.
Satten entfernen, und berfelbe Fall wäre es, wenn ber
Vertheidiger der Frau uber den andern der beiden Ritter
den Sieg davontrüge. Darum babe ih mich auf ein
Mittel befonnen, wobei die Ritter keinen Anlaß mehr
haben, zu tämpfen, und es fich durch fichern Beweis
herausftellen muß (mas weder bei dem Spruche des
Richters noch bei der Kampfprobe des Ritters der Fall
wäre), ob bie Zrau keuſch oder eine Ehebrecherin ift,
und fomit, ob fie Lob oder Strafe verdient. Das Mittel
ift folgendes. Bei Korinth befindet fich ein dem Neptun
geweihter Tempel, worin unter dem Hauptaltar eine Kleine
dem Portunus gewibmete Kapelle ſteht, deſſen Bildniß
dort ausgehauen ift in ganz grünem Marmor, fobaf
man meint, es fei ber feinfte Smaragd. Dahin führt
man, wenn fonft Beweife fehlen, diejenigen, die irgend
eines Vergebene fehuldig gehalten werden, unb vor ber
Thüre des Zempeld lege man einen Eid ab über die
beftrittene Sache; dann wird der Schwörende in den
Tempel geführt und muß zu bem Gögenbilde hinunter-
fteigen. Dat er falfch gefchiworen, fo wird alsbald, wenn
er vor dem Bilde ſteht, dafjelbe ſchwarz und er verliert fo
ſehr die Befinnung, daß er den Weg aus diefem Drte
heraus nicht mehr findet. Dies ift das ficherfte Zeichen
feiner Schuld und darum wird er geftraft für das erfte
Vergehen und für den Meineid. Wenn aber der Ange
Hagte recht geichworen bat, fo wird das Bildnif glän-
zend hell und der mit Unrecht Beſchuldigte findet fogleich
"den Ausgang. Um alfo dieſen ftreitigen Punkt aufzu-
tlären, der an fich fo zweifelhaft ift und den, wie gefagt,
weder ber Spruch des Richters noch der Sieg oder Verluft
der Ritter vollftändig ind Licht fegen konnte, fcheint mir,
muß man bie angellagte Frau zu diefer Probe führen;
dann werden die Gründe wegfallen, das bürgerliche Ge⸗
richt zu bebelligen oder biefe Ritter zum Zweikampfe zu
veranlaffen. Iſt die Frau rein, fo bleibe fie in Gunft
bei ihrem Gatten; ift es vieleicht anders, fo wird fie
63. Ein Gottesurtheit. 303
J
‚als Ehebrecherin verurtheilt und dem Feuer: übergeben,
wie das Gefeg mit Mecht verordnet.
Diefer Vorfchlag gefiel dem Kampfrichter wohl, er ließ
das Gefecht innehalten und ſchickte, ohne damit den Par⸗
teten vorzugreifen, Botfchafter an den Fürften von Agina
und that es ihm zu wiffen. Diefer befahl die Frau an
jene Stelle zu führen, unter Zuſtimmung bes Gatten,
welcher mit ihr und mit den beibderfeitigen Verwandten
ſich gleichfalls dahin begab; auch folgten die beiden Ritter.
Als fie an der bezeichneten Stelle angelangt waren, wurde
durch ben Priefter des Tempels nad) dem alten damals
im Schmang gehenden Aberglauben der Frau der Eid vor-
gehalten und fie ſchwur, daß fie ihre SKeufchheit nie ver⸗
legt habe. Dann wurde fie mit den andern, die ges
fommen waren, diefe Probe zu fehen, vor das Bild
des Portunus geführt, und die Frau war nicht fo bald
eingetreten, als das Götzenbild einen ſolchen Schein ver-
breitete, daß man meinte, bie Sonne fei vom Himmel
geftiegen, um fie zu erleucyten. Der ganze Raum war
vol von Licht und fogleich fand die keuſche Frau den
Meg wieder heraus. Als die Umftehenden dies bemerkten,
wurde fie für ganz fittfam gehalten und war daher ihren
Gatten von neuem höchſt theuer. Aller Streit hörte
auf und man lobte höchlich Eleutherio, der nach ritter⸗
licher Sitte ein fo ausgedehnte Zeugniß abgelegt Hatte von
feiner Liebe zu Eupia und feiner innigen Freude über ihre
Keufchheit, indem fie fo beftimmt feine Anträge zurüd-
gewiefen hatte, um ihre Unbefcholtenheit zu bewahren.
— an ne — — —
XIX. Alefiandro Sozzini.
1510.
64. Die drei Blinden und daB Almofen. *)
Scacazzone kam eines Abends ber ber Kirche ber
Madonna del Poggio**) vorüber, trat hinein und be-
merkte, daß niemand barin war, als drei Blinde. Als
biefe jemand in ber Kirche hörten, fingen fie alle an um
ein Almofen zu bitten. Scacazzone gewährte es ihnen,
indem er alle drei miteinander alfo anredete: Sch bin
verpflichtet, einen Goldducaten als Almofen zu geben,
ih will ihn euch allen brei geben.
Er fuhr fort: Da nehm!
Alle drei ſtreckten die Hand aus, er gab ihn aber
keinem.
Wollt ihr meinem Rath folgen? fuhr er fort. Geht
in die Schenke, und macht alle miteinander eine ordent⸗
liche Zeche.
Waͤhrend er ſo ſprach, bildete ſich jeder von ihnen
ein, einer der beiden andern Blinden habe den Gold⸗
ducaten erhalten, und fo faßten fie unter fi) den Be⸗
ſchluß, die vorgefchlagene Zehrung zu veranftalten und
machten fi auf den Weg nah der Schenke Marchino’s
in Diacceto, Scacazzone aber ging ihnen nad) und immer
nah. Die drei traten in die Schenke und Scacazzone
gab dem MWirthe einen Wink, ihnen fo wenig ald möglich
: *).Eine aͤhnliche Geſchichte erzählt ein ar amaöfiihes Fabliau,
bei Barbazan III, 3985 Le Grand d'Aufſy III,
”) In Siena.
64. Die drei Blinden und das Almofen. 305
vorzufegen, denn er habe einen Scherz; mit ihnen vor
und werde nachher ihre Zeche bezahlen, wenn fie gegeffen
haben. Dann blieb er auf ber andern Seite von der
Thüre, um zuzufchauen, worauf. der Scherz hinauslaufen '
werde. Die Blinden fegten ſich zu Tifche und der Wirth
brachte ihnen eine reichliche Portion Salat zum Anfang
eines fchlechten Nachteffens, dann trug er jedem einen
Fleiſchklloß auf. AS fie damit fertig waren, fingen fie
an, weitered Effen zu verlangen.
Wir mollen und heute gütlih thun, fagten fie.
Wirth, Halt uns gut! Wir haben einen Ducaten zu
verzehren.
Der Wirth brachte ihnen fofort noch weiß Gott was
. für ein Geköch, erklärte aber, weiter Tonne er ihnen
nichts reichen, fie mögen Geduld mit ihm haben; fobaß
die Sache genau auf einen Zeftone fich belief.
Verzeiht mir, fagte er nochmald. Wenn ihr auf
biefe Weiſe in Gefellfchaft zu mir kommen wollt,. fo laßt
es mich vorher mwiffen! Dann feid unbeforgt, ic) ver-
fpreche euch, da follt ihr genug finden, um zu ſchwelgen.
Als die Blinden das zuvorfommende Anerbieten des
Mirthes hörten, berathfchlagten fie, ein ander Mal wieder
herzukommen, und einer von ihnen fagte zu ihm: Wir
wollen dir einen Goldducaten geben und damit den Xeftone
auszahlen, den wir dir von heute Abend fchuldig find.
Vom Übrigen bereite und morgen Abend ein Feſtmahl!
Wir fommen dann wieder miteinander zu dir.
Der Wirth antwortete alsbald: Ich mill es ſchon
einrichten, daß ihr mit mir zufrieden ſeid.
Dann aber fügte er hinzu: Gebt mir nur den Ducaten!
Da fagte einer von den Blinden zu den beiden an⸗
bern: Wer ihn von euch bat, der gebe ihn: ber!
Die zmei aber erwiderten einftimmig: Ic habe ihn
nicht.
Der erfte verfegte alsbald: Es muß doch einer von
euch ihn haben, denn ich habe ihn nicht.
306 XIX. Aleſſandro Sozzini.
Die andern beiden dagegen ſagten: Im Gegentheil,
du mußt ihn haben, wenn wir ihn nicht haben. Und du
baft ihn auch, denm bu ftandeft zunächſt an ber Thür.
Wenn ic, zunächſt an ber Thür mar, fo flandet ihr
weiter vorm und mit euch hat der gefprochen, der uns
den Ducaten gab. Ginem von euch Hat er ihn einge
bändigt, mir nicht.
Ha, du Berräther, fagte einer der beiden zu ihm,
wir beide fanden nebeneinander, und wenn er ihn uns
gegeben hätte, fo hätten wir es hörem müffen, wen von
uns er ihn gegeben hätte.
Ihr Schelme, fagte der erfte Blinde, ihr möchtet
den Ducaten unter euch theilm und mir meinen Theil
daran vorenthalten.
Damit bob er feinen Stod auf und fing an bie
andern zwei Blinden zu prügeln. Als fie die Schläge
fühlten, fingen fie gleichfalls an, mit ihren Stöden zu
bantieren und theilten blindlings bie heftigſten Streiche
aus. Einer der beiden Freunde traf ungefchidter —
den andern auf den Arm, ſodaß er ſchreien mußte und
ausrief: Wer von euch mich geſchlagen hat, iſt ein
Mörder.
Damit ſuchte er ſich aus dem Gefecht zu entfernen und
ſank zu Boden. Die beiden andern aber wurden hand⸗
gemein und gaben ſich blindlings Fauſiſchlaͤge. Scacaz⸗
zone indeſſen brachte den Mund faſt nicht mehr zuſammen
vor Lachen. Da er aber ſah, daß aus Beranlaffung
feines Betrugs diefe armen Schelme ſich fo gar übel zu-
richteten, trat er zwifchen fie (denn, obgleich bei diefem
wahrhaft blinden Lärm viele Leute zufammengelaufen
waren, hatte er doch nicht zugegeben, daß jemand ſich
in die Sache mifche, um fie zu trennen), richtete den
zu Boden gefallenen Blinden auf und nahm die beiden
andern an der Hand. Und ale hätte er nichts gewußt
von ber Sache, fragte er bie Blinden nach dem Grunde
ihres Streites und dieſe erzählten ihm benfelben.
64. Die drei Blinden und das Almofen. 307
Wahrſcheinlich, erwiderte er darauf, hat jener feinem
von euch den Ducaten gegeben und nur fo gefagt, um
ſich einen Spaß mit euch zu maden.
Der Blinde, welcher ſich aufgerichtet hatte, erkannte
den Sprechenden an der Stimme, er merkte, daß er
ihnen verfprochen hatte, einen Ducaten zu geben, und
fagte zu ihm in beftigem Zorn: Du haft uns fo zum
Beten gehabt, Verräther!
Scacazzone lachte einen Schocher und fagte zu ihm:
Das mußt du nicht fagen. Ich bin jegt hier erfchienen,
und will, daß ihr Arieden fchließt.
Einer der Blinden antwortete: Der Friede wird ge⸗
f&loffen werden, wenn du dem Wirthe drei Giuli zahlen
willft für das, was wir verzehrt haben auf Rechnung
des Ducaten. |
Scacazzone fagte: Ich bin es zufrieden.
Und er gab dem Wirthe drei Giuli.
Die Blinden gingen fort und fprachen unter fi:
Es iſt ſchon gut, wir find doch nicht ganz im Schaden
geblieben.
Die Streiche aber, die fie fich gegeben hatten, be⸗
hielten fie, denn davon ließ fich nichts abthun.
XX. Lionardo Bruni von Arezzo.
1511.
65. Antiochus und Stratontca.
Es find noch nicht viele Jahre, daß ih mich in
Sefelfchaft mehrerer edler Herren und Frauen auf dem
Lande in der Nähe von Florenz befand. Es war dafelbft
Mahlzeit und feftliher Empfang und man hatte ſich ſchon
ziemlich Tange verfchiedentlidh unterhalten, da befchloß ber,
der dafür zu forgen beauftragt war, um ben Frauen
Erholung zu verfchaffen, fie follten ſich alle nach einer
Meinen Wieſe begeben, welche zu bem Landgut gehörte,
und zwar nicht umfangreich), aber fehr gut angelegt war
und einen anmuthigen Aufenthaltsort abgab. Sie gingen
dahin, Tießen ſich nieder und der Beſitzer des Landguts
309 zur Unterhaltung der Frauen ein Buch hervor mit
dem Titel „Hundert Novellen, verfaßt von dem fürtreff-
fichften Dichter Johann Boccaccio.“ Ein heitere und
fehr anmuthiges Fräulein aus der Gefellfhaft fchlug das
Bud auf und fing an zu lefen. Zufällig ſtieß fie auf
die Gefchichte von Gismonda der Tochter Tancred’s Fürften
von Salerno, die fie mit fehr klarer und mwohlflingender
Stimme las, und feffelte dadurch die Aufmerkſamkeit
aller anmefenden. Es wurde ftill und man hörte und
vernahm nur fie allein mit großer Begierde, und es wäre
nicht möglich auszufprechen, wie fehr die herben Schickſale,
die jene Gefchichte berichtet*), alle rührten, vornehmlich
) Es ift die erfte Novelle des vierten Tags im Decamerone.
Die UÜberfhrift gibt den Anhalt folgendermaßen an: Bancred,
Zürft von Salerno, tödtet den Geliebten feiner Tochter und
Ihidt ihr das Herz deffelben in einem goldenen Beder. Sie
gießt vergiftetes Wafler darüber, trinkt es aus und ftirbt.
«65. Antiohus und Stratonica. 309
aber die leidenfchaftlichen kläglichen Worte, die über Guis-
cardo’8 Herz gefprochen werden, das ihr der unglückliche
trogige Vater überfchichte, fodann bei dem Zod der Tochter
und beim Herbeieilen des Vaters, der fich ſchon einbil-
dete, was fie gethan babe, und darüber betrubt war.
Diele von den anmelenden Frauen vermochten nicht das
Übergehen ihrer Augen zu verhehlen und die durch das
Mitleid mit einem fo herben Falle hervorgelockten Thränen.
Unter den Herren befand ſi ch dafelbft auch einer unſerer
Mitbürger, deſſen Namen wir für jetzt verſchweigen, es
iſt aber ein in griechiſcher und lateiniſcher Literatur ſehr
bewanderter Mann, der den alten Geſchichten eifrig nach-
forfcht. Er ſaß zufällig neben dem fchönen Fräulein,
welches die Novelle: gelefen hatte. Da er nun aller
Stimmung getrübt ſah, erzählte er, um Frobfinn und
Heiterkeit wieder berzuftellen, eine andere Gefchichte faft
entgegengefegten Inhalts von jener, und leitete fie fol-
gendermafen ein: Es hat mir immer gefchienen, edle
Frauen, als ob die alten Griechen an Menfchlichkeit und
Edelfinn uns Jtaliäner meit übertroffen haben. Wie ich
nun in der vorgelefenen Novelle von dem graufamen
harten Herzen bed Fürften Zancred von Salerno hörte,
der fich alles Troſtes und feine Tochter des Lebens be-
raubte, fiel mir ald Gegenſtück eine Novelle oder viel-
mehr Geichichte ein von einem griedhifchen Edeln ‚ ber
viel menſchlicher und weiſer ald Zancred war, wie die
Sache‘ felbft erweifen wird. Wiſſet nämlich, daß unter
Alexanders des großen Nachfolgern auch ein Fürſt war
von großem Anſehen und Macht, Namens Seleucus;
derſelbe war König von Syrien. In ſeiner Jugend nahm
er zur Frau eine Tochter des Königs Ptolemäus von
Ägypten, mit Namen Cleopatra geheißen, von welder
er in Eurzer Zeit einen Sohn befam Namens Antiocyus
und überdies mehrere Tochter, welche für jegt nicht er-
wähnt zu werden brauchen. Da begab es. fih nun,
daß, als Antiochus ſchon vierzehn Jahre alt war, feine
310 XX. Lionardo Bruni von Arezzo.
Mutter Gleopatra in Folge einer Krankheit farb und
fein Vater Seleucus ohne Frau blieb. Auf Antrieb
und Zureden feiner Freunde nahm biefer jedoch eine
zweite Frau, die Zochter des Königs Antipater von
Macedonien, mit. Namen Stratonica geheißen, welche
ec unter großem Pomp und Hochzeitfeierlichkeiten heim⸗
führte, und lebte mit ihr im größter Zufriebenheit.
Stratonica war von Perfon ausnehmend ſchön und fo
anmuthig und erheiternd im Umgang, daß es nicht zu
fagen if. Sobald fie nun am Hofe ihres Gemahls ein-
heimiſch wurde, hatte fie oftmals in freundliche Berüh-
rung zu treten mit dem jungen Antiochus, fie fpielte
mit ihm, ritt mit ihm aus und erzeugte fo, ohne es
zu merken oder daran zu denken, in des Jünglings Ge-
müth die Flamme ber glühendften Liebe, welche von
Zag zu Tag mehr in hellen Brand auszufchlagen drohte.
Der Jüngling war um diefe Zeit etwa achtzehn Jahre
alt, aber fehr gefegt und hochherzig, und da er wohl
einfah, daß feine Liebe in Rückſicht auf feinen Water
unerlaubt war, bielt er fie fo geheim, daß er fie nie-
mand mittheilte: Uber je verborgener die Flamme mar
und je weniger ihr Linderung von außen wurde, um fo
mehr wuchs, die Glut, die ihn im Grund des Herzens
verzehrte, und es brauchte nur wenige Monate, fo ver-
wandelte fich die Farbe feines Gefichts, und feine faum
noch fo kräftige Geftalt war eingefallen und mager an-
zufhauen, ſodaß ihn fein Water oft fragte, und aud
anbere Leute, was er denn habe, und ob er fi wohl-
fühle. Der Jüngling fchügte aber bald dies bald jenes
vor und lenkte ihre Gedanken auf alles andere, ald auf
die Wahrheit. Am Ende ließ er feinen Vater bitten,
ihn von Haufe wegzuſchicken zum Oberbefehl des Heeres,
indem er anführte, es würde ihm als einem Ritter das
Tragen der Waffen und die Anftrengung des Kriegs⸗
dienſtes die Beſchwerden heben, welche ihm allzu große
Muße und Ruhe verurfacht habe. Diefe Grunde bewogen
-
|.
Ä
65, Antiechus und Gtratonica. 311
den Bater ihn zum Deere zu fenden, in gutem Geleit
von alten im Waffenwerk mwohlgeübten Männern. Das
Mittel wäre ficherlich vollkommen gut gewefen, wenn
Antiochus feine Gedanken hätte dahin mitnehmen können,
wohin er ging. Da aber fein Sinn durchaus auf dem
Anblid der fchönen Frau haftete und, mit ihm befchäftige
war, fönnen wir fagen, daß er fein Außeres, feinen Leib
zum Heere trug, feine Seele aber bort blieb, wo bie
fhöne Frau weilte. Obwol er beim Heere war, konnte
er doch an nichts anderes, ale an feine Geliebte denken,
im Traume meinte er nicht anders, als er fei bei ihr,
und oft bemweinte er feine Thorheit, daß er fi von dem
Anblick deffen entfernt babe, was ihn allein noch be-
ruhigen konnte. So vergingen nicht zwei Monate, als
er niebergefchlagen von feinen Gedanken in eine Krank:
heit verfiel, bie ihn beſtändig ins Bett bannte. Er
mußte Daher nach einigen Zagen auf einer Tragbahre
nad Haufe gebracht werden zum großen Leidweſen aller
feinem Water unterworfenen Völker. Sie hatten das
größte Zutrauen und Hoffnung auf die Tüchtigkeit des
Jünglingd und ermarteten von ihm eine volllommen
gute Regierung nach feines Vaters Tode. Es wurden
daher fogleich viele Arzte zufammenberufen, um ihm von
der Krankheit, die ihn befallen hatte, zu befreien; aber
fo fehr fie auch berühmt und gefeiert waren, fo fehr fie
auch all. ihr Geſchick aufboten, fo fchafften fie ihm doch
feine Abhilfe, denn die Wurzel feiner Krankheit war
ihnen verborgen und ein Geheimnif und fo wirkten fie
mit ihren Arzeneien nicht auf das daniedergeworfene Ge-
müth, das vom tödtlichen Schlage der Liebe betioffen war,
fondern fuchten den Körper zu heilen, der vom Gemüthe
befiändig den Stoff der Krankheit überfam. Am Ende
verzichtete man auf alle ärztliche Pflege und ed war
niemand, der ein Mittel gegen eine fo verftedte Krank.
beit anzugeben wußte. Unter andern war auch ein fehr
verfiändiger und gelehrter Arzt bafelbft, Namens. Philippus.
310 XX. Lionardo Bruni von Arezzo.
Butter Gleopatra in Folge einer Krankheit farb und
fen Vater Geleucus ohne Frau blieb. Auf Antrieb
und Zureben feiner Freunde nahm biefer jedoch eine
zweite Frau, die Tochter des Königs Antipater von
Macedonien, mit Namen Gtratonica geheißen, welche
er unter großem Pomp und Dedhzeitfeierlichkeiten heim⸗
führte, und lebte mit ihr in größter Zufriedenheit.
Stratonica war von Perfon ausnehmend fchon und fo
anmuthig und erheiternb im Umgang, daß es nicht zu
fagen iſt. Sobald fie nun am Hofe ihres Gemahle ein-
heimiſch wurde, hatte fie oftmals in freundliche Berüh⸗
rung zu treten mit dem jungen Antiochus, fie fpielte
mit ihm, ritt mit ihm aus und erzeugte fo, ohne es
zu merken oder daran zu denken, in bes Sünglinge Ge⸗
müth die Flamme ber glühendfien Liebe, welche von
Tag zu Tag mehr in hellen Brand auszuſchlagen drohte.
Der Jüngling war um diefe Zeit etwa achtzehn Jahre
alt, aber fehr gefegt und hochherzig, und da er wohl
einfah, daß feine Liebe in Ruͤckſicht auf feinen Bater
unerlaubt war, hielt er fie fo geheim, daß er fie nie⸗
mand mittheilte. Uber je verborgener die Flamme war
und je weniger ihr Linderung von außen wurde, um fo
mehr wuchs ‚die Glut, die ihn im Grund des Herzens
verzehrte, und es brauchte nur wenige Monate, fo ver-
wandelte fich die Farbe feines Geſichts, und feine kaum
noch fo kräftige Geftalt war eingefallen und mager an-
zuſchauen, fodaß ihn fein Vater oft fragte, und auch
anbere Leute, was er denn babe, und ob er fi wohl-
fühle. Der Jüngling fchügte aber bald dies bald jenes
vor und lenkte ihre Gedanken auf alles andere, ald auf
die Wahrheit. Am Ende ließ er feinen Vater bitten,
ihn von Haufe wegzufhiden zum Oberbefehl des Heeres,
indem er anführte, es würbe ihm als einem Mitter das
Tragen der Waffen und die Anftrengung bes Kriegs⸗
dienftes die Beſchwerden heben, welche ihm allzu große
Muse und Ruhe verurfacht habe. Diefe Gründe bewogen
-
65. Antiochus und Stratonica. 311
den Vater ihn zum Heere zu fenden, in gutem Geleit
von alten im Waffenwerk wohlgeübten Männern. Das
Mittel märe ficherlich volllommen gut gemefen, wenn
Antiochus feine Gedanken hätte dahin mitnehmen können,
wohin er ging. Da aber fein Sinn durchaus auf dem
Anbli der fchönen Frau haftete und, mit ihm befchäftigt
war, können wir fagen, daf er fein Außeres, feinen Leib
zum Heere trug, feine Seele aber bort blieb, wo bie
fchöne Frau weilte. Obwol er beim Heere war, konnte
et doch an nichts anderes, als an feine Geliebte denken,
im Traume meinte er nicht anders, als er fei bei ihr,
und oft beweinte er feine Thorheit, daß er fich von dem
Anblick deifen entfernt babe, was ihn allein noch be-
ruhigen konnte. So vergingen nicht zwei Monate, als
er niebergefchlagen von feinen Gedanken in eine Krank⸗
heit verfiel, die ihn befkändig ins Bett bannte. Er
mußte daher nach einigen Zagen auf einer Tragbahre
nach Haufe gebracht werben zum großen Leidweſen aller
feinem Vater unterworfenen Völker. Sie hatten das
größte Zutrauen und Hoffnung auf die Füchtigkeit- des
Jünglings und ermarteten von ihm eine vollkommen
gute Regierung nad, feines Vaters ode. Es wurden
daher fogleich viele Arzte zufammenberufen, um ihn von
ber Krankheit, bie ihn befallen hatte, zu befreien; aber
fo fehr fie auch berühmte und gefeiert waren, fo fehr fie
auch all. ihr Geſchick aufboten, fo fchafften fie ihm doch
feine Abhilfe, denn die Wurzel feiner Krankheit war
ihnen verborgen und ein Geheimnif und fo wirkten fie
mit ihren Arzeneien nicht auf das baniedergemorfen: Ge⸗
müth, das vom tödtfichen Schlage ber Liebe bettoffen mar,
fondern fuchten den Körper zu heilen, der vom Gemüthe
beftändig den Stoff der Krankheit überfam. Am Ende
verzichtete man auf alle ärztlihe Pflege und ed war
niemand, ber ein Mittel gegen eine fo verftedte Krank:
beit anzugeben wußte. Unter andern war auch ein fehr
verfiänbiger und gelehrter Arzt bafelbft, Namens Philippus.
312 XX. Lionardo Bruni von Arezzo.
Es war der Arzt des Könige und Bürger ber Stadt,
in welcher der König refidirte. Diefer gab fi alfe- er-
denkliche Mühe, um der Krankheit des Jünglings auf
die Spur zu kommen, und verfiel endlich auf den Ge-
danken und Verdacht, es fei vielleicht ein Liebesleiden,
während die andern Arzte der Anficht waren, er leide
an Abzehrung oder Schwindfuht. Da nun Philippus
diefen Gebanten hatte, hielt er fih ale ein gefchidter
und thätiger Mann viel in dem Zimmer bes Franken
Jünglings auf und beobachtete fleißig jede feiner Hand⸗
lungen. Er fagte zum Sönig, es fei zur Zerflreuung
des Kranken erforderlih, dag die Königin umd andere
Frauen des Hofes wenigftens. einmal täglich fommen
und ihn beſuchen und ihn dabei zu unterhalten bemüht
feien. Dies wurde dann von dem König fogleidy befohlen.
Der Arzt fegte fi) unter irgend einem Vorwand auf
das Bett neben den Süngling, hielt deffen linken Arm
in der Hand und die Finger auf dem Puls, um zu
feben, ob er durch biefes fchlau berechnete Mittet auf
irgend eine Spur komme. Und wirklich brachte er fo
die Krankheit des Jünglings heraus; denn als ihn viele
ſehr fchöne und anmuthige Frauen des Hofes befuchten,
fühlte er nie eine Anderung in bem niedergefchlagenen
Pulſe des liebenden Jünglings, aber als die Königin
hinkam, fühlte er in dem Pulfe ein wunderbares Prideln
und lebendiges Pocen. Und als die Königin ſich neben
den Jüngling niedergefegt hatte und ihn mit ihrer ge-
wohnten Anmuth zu tröften anfing, ſchien der Puls ſich
ganz zu beruhigen und in geregeltem Gange ſich zu be
wegen. Als aber nach einigem Verweilen die Königin
fih entfernte, war die Unruhe und Aufregung des Yulfes
fo heftig, daß der Arzt das Außerfte befürchtete und der
Kranke am Ende wie todt hinſank. Zugleich ſchaute der
Arzt dem Jüngling ins Gefiht und fah, wie fich die
Heiterkeit und Zufriedenheit in Trübfinn und Zraurigkeit
verwandelte. Daraus erfah ber wadere Arzt mit voller
65. Antiochus und Steatonica. 813
Sicherheit, daß die Krankheit nichts anderes fei, als
Liebesleiben, und daß die Königin e8 fei, um derenwillen
er in fo gefährliche Krankheit gerathen. Aber nicht zu-
frieden mit Einem Male wollte der weiſe Arzt die Probe
zwei und breimal wiederholen, fand aber immer biefelben
Zufälle. Da er nun die Sache für ausgemacht annahm,
befchloß er mit dem Jüngling davon zu reden und ihm
zu eröffnen, was er bemerkt habe. Cr erwartete dazu
einen günftigen Augenblid, hieß jedermann ſich aus dem
“Zimmer entfernen und fing alfo zu fprechen an: Ich
glaubte, Antiochus, du habeſt ſolches Zutrauen zu mir,
daß du nicht allein in aͤrztlicher Beziehung, da es ſich
von der Rettung deines Lebens handelt, das in größter
Gefahr ſchwebt, fondern auch in jeder andern geheimen
oder öffentlichen Angelegenheit mir die Wahrheit nicht
verhehleſt. Nun Habe ich aber erfahren, daß ich in fehr
großem Irrthum war, und daß meine Treue vor deinem
Angeficht nicht fo viel Gnade fich erworben hat. Darüber
bin ich fehr betrüubt, wenn ih bedenke, daß die Sachen
ganz anders flünden, wenn mir die Wahrheit nicht wäre
verhehlt worden. In ber That weder meine Kunft noch
deine Genefung kann dadurch gewinnen, daß du mich
auf ſolche Art hintergehſt. Wiſſe demnach, daß bie
Wurzel deiner Krankheit, die du aus Scham haft ver-
hehlen wollen,. mir bekannt ift, und fo offenbar, dap .
mir nicht entgeht, weder mas noch wer die Veranlaffung
berfelben ift. Ich bin aud Fein fo ſtrenger Mann, daß
ic nicht. wüßte, daß das jugendliche Alter den Zufällen
der Liebe unterworfen ift und daß es nicht im unſerer
Gewalt fteht, wen wir lieben wollen. Aber fei getroft,
denn gewiß meine Arzneitunft wird noch ein Mittel. für '
diefe beine Krankheit ausfindig machen, und zwar nicht
aus Pillen und Säften, fondern dadurch, daf ich den
König deinen Vater dazu bringe, daß er lieber feiner
Gattin entfagt, als feinen Sohn verliert.
Während der Arzt alfo ſprach, brach ver "Süngling
SItaliänifcher Novellenſchatz. II.
314 XX. Lienardo Bruni von Arezzo.
in fo beftiges Weinen aus, daß er fi gar nicht mehr
ofen tonnte, und er bat ben Arzt mit Schluchzen und
Seufzern, er möchte ihn ohne weitere Belaͤſtigung in
Nuhe Reiben und ben Lauf feines ärmlichen Lebens ber
Schließen laſſen. Darüber tabelte ihn der Arzt eruſtlich,
indem er ihn auf den Schmerz hinwies, den fein Tod
bem befümmerten Water verurfachen müßte, und auf das
Leibweien, das die Völker feines ganyen Königreich fühlen
würden, bie auf feine Vorzüge bie größte Hoffnung eines
guten Regiments und ber Segnungen bes Friedens bauten.
Der verfländige Arzt bewies ihm ferner, daß dies nichts
jei, weshalb ee ben Tod wiünfchen müßte, zumal da ber
Sache ja leicht abgeholfen werden könne, wie er denke
und nad Der zuverfichtlichen Hoffnung, die er auf feinen
Zuſpruch fegte. Nachdem er auf diefe Weife dem Jüng-
ling zugeſprochen, ließ er ihn zu feinem gefchwächten
Buftande paffende Speife nehmen und ging zum König,
welcher, fobald er den Arzt anfichtig wurbe, nach feinem
Sohn fragte und wie er fich befinde und welche Hoffnung
er in Betreff feiner habe. Der Arzt fagte mit einiger
Schüchternheit, er müfle im Geheimen mit ihm fprechen.
Sie zogen fich daher in ein anderes Gemach zurüd, und
als fie allein waren, fagte der Art: König, ich habe
die Urfache der Krankheit deines Sohnes gefunden, nad
„ ber wir fo lange umfonft geforfcht Haben. Aber wahrlich
ich wollte wiel lieber, Die Sache wäre verborgen geblieben,
da fich fein Mittel dagegen finden läßt.
Wie, fagte der König, was für eine-große Sache
ift denn Schuld, daß Leine Abhilfe möglich iſt, wenn
man fie auch weiß?
Allerdings, fagte der Arzt, es iſt feine Abhilfe möglich.
Der König fragte weiter und wollte durchaus wiffen,
was ſchuld fei. Da fagte der Arzt endlich: Die Leiden:
ſchaft der Liebe, und der Gegenſtand feiner Wünfche ik
meine Gattin; bie will ich aber für mic behalten, und
eher würde ich alle Qualen erbufden, als fie ihm zuge⸗
65. Antiechus und Stratenica. 315
ſtehen. Da ift alfo Feine Ahhilfe — — ohwol 6 weiß,
daß er gexettet wäre, wenn er fie Haben könnte.
Do ſprach ber König faſt weinend: O Philippus,
willſt du fo graufam fein, daß bu mich einen ſolchen
Sohn verlieren Fäßt um deiner Frau willen? Meinft du,
wenn du biefe beine Gattin entläßt, Feine anbere ebenfo
fhöne und ebenfo eble und angenehme als diefe finden
zu Fönnen? Du weißt, daß Eheſcheidung aus achtharen
Gründen und Urfachen möglich iſt, und um die gegen-
wärtige Ehe aufzulöfen und ſtatt deffen eine andere ein-
zugehen, gäbe es Feinen triftigeren Grund, als ben vor-
liegenden. Ich erfuche dich daher und Bitte dich, bei dem
Vertrauen, das ich auf dich fege, bei den Ehren und
Wohlthaten, die du von mir empfangen, umd bie ich bir
noch in höherem Maße zu übertragen und zu vermehren
gebente, ich beſchwoͤre dich, daß du dich entſchließen mögeſt,
mir dieſen Sohn zu erhalten als meine und des ganzem
Reiches einzige Hoffnung, Denn wenn «8 dazu käme,
daß er ftürbe, fo kannſt du dir wohl vorftellen, wie id
feben und wie ich gegen bich gefinnt fein werde, und mit
welchem Blicke dich meine Wugen betrachten können und
mit welcher Miene du vor mir wirft erfcheinen mögen,
nachdem du, um einem Weibe nicht zu entfagen, ba doch
taufend andere und fchönere für did) zu finden wären,
bie Veranlaſſung geweſen biſt, Daß mir ein folder Sohn
ums ann kommt und daß mein Gemüth in einiger Trauer
leben muß.
Je mehr der König pprach, je mehr Gründe er an⸗
führte, um fo lieber hörte ihm der Arzt zu, denn er führte
ja die triftigften Gründe gegen ſich feibft an. Nachdem
daher der König feine Rebe heenbigt haste, ſah er ben
Arzt feſt an, ob er wol geneigt fei, ihm beizuftimmen.
Da antwortete ber Arzt alfo: D König, beine Gründe
find der Art und fo eindringlich, daß ich nicht nur eine
einzige mir über alles theure Frau, fombern zehn laſſen
wollte, um beinen Sohn zu retten. Aber ich wende nun
14*
si6 XX. Lionarbo Bruni von Arezzo.
dieſelben Gründe gegen dieſen, die bu gegen mich ange⸗
führe haft, indem ich dir die Wahrheit mittheile, daß
dein Sohn feine andere Krankheit bat, als heftige Liebe,
und daß die, zu ber er folche Leidenſchaft hegt, deine
Gemahlin Stratonica ifl. Und wenn ich, der ich nicht
bes Junglings Vater bin, zu feiner Rettung babe meine
Frau entlaffen und mir eine andere ſuchen follen, fo mußt
dis ale Vater zur Erhaltung beined eigenen Sohnes noch
weit mehr daffelbe thun.
Als der König diefes hörte, wurde er ganz betroffen
und wollte vom Arzte wiffen, auf welche Art er das
erfahren babe. Da er aber vernahm, daß bie Königin
davon nichts wiffe und daß der Jüngling aus Scham
und Ehrfurcht vor dem Vater lieber habe fterben: als
die unerlaubte Begier offenbar werben laſſen wollen,
ward er von Mitleid bewegt, und da er feine eigenen
Gründe dem Arzt gegenüber nicht ‚widerrufen fonnte,
faßte er den edeln Entfchluß, zur Erhaltung feines Sohnes
feiner Gattin zu entfagen. Die Scheibung wurde daher
vollzogen und mit fehönen menfchlihen Worten und mit
heiteree Miene gab er die Frau dem Sohne und brüdkte
beiden - feinen ernfllihen Willen aus, baf dies alfo ge-
ſchehe. Es iſt kaum zu fagen, mie diefe paffende Arznei
im Augenblick wirkte. Der Jüngling, der anfangs faft
in bie dußerfie Verzweiflung gerathen war, faßte, fobald
er die aufrichtige Zuftimmung feines Waters zu feinem
höchften Wunſche erkannte, folhen Muth, daß er fich
in wenigen Tagen ganz erholt. Er erhielt fodann feine
Stratonica zur Frau und lebte mit ihr in höchfter Freude
und Wonne, befam auch bald von ihre Kinder. Der
Bater aber, der ben Sohn aus fo gefährlicher Krankheit
errettet und in feinen Enkelchen die Nachfolge feinem
Stamme gefichert fah, lebte höchft zufrieden und glüdlich
und pries täglich feinen Entſchluß, wobei er beflänbig
dem tüchtigen und Eugen Arzte dankte, ber mit feiner
harffinnigen Berechnung einen fo wohlthätigen Erfolg
65. Antiohus und Stratonica. 317
erzielt hatte. Auf folche Weiſe alfo ſchaffte der menfch-
liche edle Sinn bes griechifchen Fürften Abhilfe bei dem
Unglück des Sohnes, rettete diefem das Leben und ficherte
ſich felbft fortdauerndes Glück. Ganz das Gegentheil da⸗
von that unfer Landsmann Tangred, er raubte durch feine
rohe Gefinnung der Tochter das Leben und fich felbft auf
immer jebe Freude des Dafeins.
XXI. Antonio Cornazzano.
66. Franzofen und Italiaͤner.
(Nach Gamba's Bibliogr. ©. 58 f.)
Ein Mailänder Namens Pietro von Yufterla Fam
als Gefandter an ben König von Frankreich im Auf-
trage des Herzogs Francesco in einer dem Könige fehr
widerlichen Angelegenheit. Da er nun hörte, daß ber
König und alle Franzofen den Stallänern nicht eben viel
Butes nachrühmten, befann er ſich auf eine Lift, um fie
zum Schweigen zu bringen. Gr ſprach daher in meiner
Gegenwart eine® Tages vor dem König von Frankreich
fo viel Rühmliches über die Sranzofen, als ihm nur in den
Sinn kam, er pries ihre Großmuth, Klugheit und alle
möglichen Vorzüge, von welchen der Mebende felbft wohl
wußte, Daß er dabei in feinen Hals. hinein Iog, denn die
Franzoſen find alle unverfhämt und tollkühn. Endlich,
als der König ihm genug und übergenug zugehört hatte,
wandte er fi zu Pietro und ſprach: Monsyr Piero,
vous dite vrai, che tout les Francois sone du bien;
ma nous non povon pa ainsi dire di vous Taliani.
Sogleich erwiderte Pietro: Ei freilich, erhabene Ma-
jeftät, ihre könnt das und noch mehr.
Wie fo fragte der König.
Ihr lügt über die Staliäner, wie ich über die Fran⸗
zofen gelogen habe.
66. Franzofen und Italiäner. . 319
Diefes Wort ftopfte dem Sade das Maul, Der
König that zwar, als lächele et darüber, aber ich bin
überzeugt, das Lächeln ging ihm nicht fehr von Herzen
und niemals fprach weder er noch fein Hof fortan
Übles von den Staliänern, ſoweit wenigſtens uns zu
Ohren gekommen iſt.
XXI. Sebaſtiano Erizzo.
1525.
67. Die Tochter desß Kaiſerb von Conſtantinopel.
(Tag 1, Nav. 1.)
Wie ih einft in den alten Geſchichten der Kreter
gelefen habe, lebte auf der Inſel Kreta, welche jept
Candia Heißt, ein waderer und fehr edler junger Mann
Namens Erafto, aus hohem Befchlechte ſtammend und
von koͤniglichem Blute entfproffen, aber in Folge ber
wechſelnden Bewegungen bes Schickſals, welche Die .welte
lihen Dinge fo ploͤtzlich umdreht, in arme und Tlägliche
Berhältniffe gefunten, welcher nunmehr fi der Handel⸗
fchaft ergab und mit einer Summe Geldes fi) von feinem
Vaterland entfernte, ein Schiff beftieg, durch den Archipel
fuhr und verfchiedene Inſeln dieſes Meeres berührte, welche,
weil fie von der Natur gleichfam im Kreife her gelagert find,
[don vor Alters den Namen Kykladen oder Kreisinfeln
erhalten haben. Indem er fich alfo den Handelsgefchäften
ergab, kaufte er auf diefen Inſeln verfchiedene Waaren,
3098 dann weiter und gelangte nach Konftantinopel, einer
fehr berühmten Hanbelsftabt, von wo er, nachdem er
einige Geſchaͤfte gemacht, in fein Vaterland zurüdzutehren
befchloß, um von ben eingelauften Gütern einigen Ge⸗
winn zu ziehen. Während er nun feine Sachen für feine
Heimkehr ordnete, wollte er nach der allgemeinen Sitte
der Fremden bie merfwürbigften Sachen jener Stabt fehen,
und nachdem er Vieles in Augenfchein genommen, ging
ee am Palafte des Kaiferd vorbei in einem wunberfchönen
7. Die Tochter des Kaifers von Eonftantinopel. 321
Garten voll verfchiedener Gebüfche und Pflanzen und
anmuthiger Wiefen mit taufenderlei Blumen, da fiel ihm
eine Zochter beffelben in die Augen mit Namen Filena,
welche fchon erwachfen und mannbar war, ſodaß der Kaiſer
ihre Vater wegen einer Vermählung mit dem König Wil
heim von Sicilien unterhandelte. Sobald Erafto fie er-
blidte, meinte er fie fet über alle Verdleichung ſchön
und verliebte fich fo heftig in fie, daß er Tag und’ Nacht
“ Teinen Genuß und Feine Ruhe hatte, wenn er fie nicht
ſehen durfte Da nun der Garten, in welchen Erafto
Filena erblickt Hatte und wo fie ihn gleichfalls fehen konnte,
. ganz außerhalb des Palaftes fich befand und fie oftmals
zu ihrem Vergnügen dorthin fam, war dem Eraſto das
Glück in diefer Sache fo günftig, daß, als er wieder des
Weges kam, der an dem Garten hinlief, in dem Augen-
blick, wo der dem ſchoͤnen Fräulein in die Augen fiel,
fie in Erwägung des Wefens und Betragens Erafto’s,
welcher von fchöner Geftalt und edelm Anblid war, fich
gleichfalls in Liebe zu ihm entzündete; und die Schritte
wurden ihr fehr theuer, welche Erafto um fie zu fehen .
eifrig und angelegentlih durch bdiefe Strafe machte.
Während nun ber liebende Süngling fo weit war und
die Liebesflammen in feinem DBufen verborgen hielt,
jammerte er bei fich felbft und ſprach, als er nach Haus
fam: O graufames, unerbittliches und kränkendes Ge—
(hi, biſt du jept noch nicht zufrieden mit deinen
Schlägen, die mich früherhin fo graufam gequält haben?
Iſt es dir nicht genug, du neidifche Feindin jedes Glück—
lichen, mein ganzes Wohlfein umgeftofen zu haben, in-
dem du mic aus einer hohen und erhabenen Stellung
perdrängteft und in bie tieffte Tiefe des Elends ftürzteft;
biind mit deinem ungefuchten Rathe, indem du einige
Zeit ganz die meinige warft, und taub meine traurigen
Klagen über meine MWidermwärtigkeiten zurückweiſend haft
du fo trügerifch, fo unverfühnlich dein Geſicht verändere? -
Iſt e8 dir nicht genug, fage ich, fo lange Zeit meine
14#%
3232 XXI. Gebaftiano Erizzo.
Feindin geweſen zu fein und mich allenthalben graufam
zu verfolgen, daß du noch in dieſer legten Zeit, da ich
eben in mein Vaterland zurückzukehren und bort mit
meinem Eifer und meinen Bemühungen mich aus deinen
Händen zu befreien gedachte, mich gewaltfam zurückhältſt
und verlangft, daß ich leidig umlommet D glühende
fehmeichlerifche* Kiebe, großmächtiger Despot der menfc-
lihen Herzen, mir wollte es nicht zu inne, daß deine
Pfeile ſich über die Unglüdlichen und Armen auch aus-
dehnen dürfen und daß in befümmerten Herzen, die von
kranken und ſchweren Gedanken belaftet find, eine Stätte
für dich fein fol. Aber ich fehe und erkenne wehl, daß
nicht leicht von deiner Gewalt ein lebender Menſch ſich
losmachen kann und baf jeden noch fo feiten Vorfag
deine Waffen durchdringen, da ich unglüdlicher Jüngling,
ein wahrer Spiegel jedes Misgeſchicks, obſchon ich mir
beflimmt vorgenommen, auf nichts anderes zu achten
und mit fonft nichts die Zeit meiner Jugend auszufüllen,
als einigen Gewinn zu machen, um mein Leben zu friften
und mic, gegen die Armuth zu fohügen, welche Die Größe
meiner Seele in feiner Weife gebuldig ertragen Tann,
nunmehr durchbohrt von deinen Gefchoffen mitten auf
dem Wege aufgehalten werbe.
Auf diefe Weiſe beklagte fih Eraſto und als er
weiter vernahm, daß der Kaiſer fchon befchloffen habe,
die Tochter an jenen Fürſten zu vermählen, verfiel er
in noch viel größere Betrübniß. Er befchloß, fich einige
Zeit in Conſtantinopel aufzuhalten und befann fi), ge-
trieben von glühendem Werlangen, das ihm das Herz
entzündete, fo gut als möglich die erfauften Waaren
wieder zu verwerthen und fie in Baar umzufegen, um
feiner geliebten Filena folgen zu fönnen, wohin fie gehe.
Der Kaifer ließ ein wohlausgerüftetes und mit einer zu
jedem Dienfte geeigneten Mannfchaft wohlverfehenes Schiff
bereit halten und gedachte Damit die geliebte Tochter ihrem
Bräutigam zu überfenden. Eraſto hatte dies alles bis
67. Die Tochter des Kaiſers bon Gonftantinopel. 323
ins Einzelne in Erfahrung gebracht, er beſtach den Pa-
teon des Schiffes mit zweihundert Goldgulden, damit er
ihn unter die Zahl derer auswähle, welche zur Bewachung
der Prinzeffin verorbnet wurden, um mit eigener Perſon
und am geichen Orte ſeine theure Filena begleiten zu
können. Er verſah fi) daher ganz gut mit Rüftungen
und allem, was einem gut geſchmückten Soldaten ge-
ziemt, und eines Morgens in ber Brühe fliegen fie an
Bord, die Tochter bed Kaiſers mit großen Reichthümern .
und Schmud, nebft ber ganzen Gefellfchaft, die zu die.
ſem Zwecke verordnet wear, fie gingen mit gutem und
günftigem Winde umter Segel, paflirten die Meerenge
von Gallipoli, entfernten fi) von Romanien und famen
nach und nach an den Infeln bed Archipels vorüber.
Sobald Filena Erafto erblidt hatte, ftellte fie fich fein
Vorhaben vor und kam mit ihm eines Nachts heimlich
ins Gefpräch über ihr Liebesverhältnig. Aber fie waren
faum etwas über die Inſel Palmofa hinaus gelangt,
welche unter andern in dem befagten Meere liegt, als
fie von einer ziemlichen Anzahl von Rennſchiffen von
Korfaren angegriffen wurden. Als diefe das gut aus⸗
geftattete Schiff fahen, in welchem fie viel Gewinn und
hinreichende Beute zu finden hofften, umzingelten fie es,
befämpften es mit, aller Macht und- zwangen die Schiffd-
feute wegen der Überzahl und Überlegenheit der Feinde
den ungleihen Kampf zu verlaffen, fich zu ergeben und
den Korfaren als Beute zu überliefern, indem fie bie
Knechtſchaft dem Tode vorzogen. Die fhöne unglückliche
Filena aber, als fie kein anderes Mittel für ihre Ret⸗
tung ſah und ihe nur die Wahl gegeben war zwiſchen
den Tode und Eläglicher Gefangenfchaft, egeif einen
Pack ihrer Eoftbarften Juwelen, band fie mit einer gol⸗
‚denen Kette um den Hals feft, faßte eine Kifte und
ſtürzte fi) mit Erafto insg Meer. Er, der wie ein Fiſch
ſchwamm, biele fie ‚fortwährend empor und rettete fie
beide mannhaft vom Tode. Auf: der erften Infel, die
324 xx. Gehaftiano Erige.
fie erreichten (denn biefes ganze Meer ift befät mit
unzähligen Infeln), ruhten fie aus, bie fchöne Filena
legte männliche Tracht an. und am folgenden Tag fegten
fie auf einer Heinen Barke über nad Samos, einer nicht
fehr weit von Afien entfernten Inſel. &o hatte fie ihr
günftiges Schickſal frei gemacht und gegen den Angriff
der Feinde gefichert. Erafto und Filena fliegen von aller
Gefahr entledigt and Land, wohnten in ber folgenden
Naht in Smyrna und erreichten das Biel ihrer zärt-
lihen Wünfche. Als Filena demnäcft fchwanger warb,
kam fie auf verfchiebene neue Gedanken und entſchloß fich
endlich nach Conftantinopel zurückzukehren und nach den
Kraͤnkungen des Geſchicks zu verfuchen, ob fie beide mit
Anwendung einiger Liſt noch in ruhigem und heiterem
Zuftande leben können. Filena war nicht undankbar
gegen die von Erafio empfangene Wohlthat, der ihr in
fo großer Gefahr das Leben aus den Wellen des Meeres
gerettet hatte, fie verpfändete ihm ihr Wort und ver⸗
fprah ihm, nie jemand anders als ihn zur Che zu
nehmen. Als nun die Sachen fo ftanden und der Kaifer
ihr Vater keine Nachricht erhielt von der Ankunft feiner
Zochter bei ihrem Bräutigam, gerieth er in Beſorgniß
und ſchickte einen Botichafter mit eigenhändigen Schreiben,
um Kundfchaft über fie einzuziehen. Als diefer von Wil⸗
helm ihrem Bräutigam erfahren hatte, daß nie ein Schiff
bei ihm von dort angelommen fei, kehrte er zum Kaifer
zurück und überbrachte ihm die betrübte Kunde. Der
Bater war ganz niebergefchlagen über ben Verluſt feiner
Tochter, die Unruhe trieb ihn befländig um und er ver-
ſank in eine unglaublihe Schwermuth. Unterbeffen ver-
liefen Erafto und Filena Smyrna, fie wandten fid) von
dort nach Natolien und Fanıen nach großen Meifebefchwer-
lichkeiten und mannigfachem Aufenthalt nach Scutari, von
wo fie über die Meerenge ſetzend in Conftantinopel an-
famen. Da Filena in Männertraht auftrat und nie
mand fie erfannte, behielt fie Erafto mehrere Tage in
67. Die Tochter des Kaifers von Eonftantinopel, 325
Conſtantinopel verborgen. In diefer Zeit erfann er einen
neuen Betrug, gab fi) für einen reifenden Kaufmann
aus und fchidte zu dem Kaifer, um ihm durch einen
feiner Leute fagen zu laffen, es fei ein Kaufmann aus
Morea hier angelommen, ber Seiner -Majeftät Nachricht
von feiner Tochter bringen wolle. Der befümmerte Vater
ließ ihn hierauf fogleich vor fi fommen und fragte ihn
mit Thränen in den Augen, was an der Sache fei.
Erafto erzählte ihm nun den ganzen Vorfall mit ber
Wegnahme des Schiffes durch die SKorfaren, aber fügte
bei, mie fie um taufend Goldgulden verfauft worben ſei
an einen edeln Dann von erlauchtem Blute, der nun
ihn als Botfchafter an Seine Majeftät fende, um feine
Tochter zur Frau zu befommen. Er habe fie gekauft
und die hohe Summe Geldes nicht gefpart, fondern fie -
aus der harten Sklaverei der Korfaren und jedem andern
Unglüd gefund und mohlbehalten errettet. Als der Vater
die Kunde vernahm von dem Xeben Filena’s, freute er
fi fo fehr, daß er antwortete, wenn jener Mann ihrer
Derfon und ihres hohen Standes würdig fei, fo werbe
er fie ihm gerne überlaffen, doch wünfche er ihn und fie
zu fehen, die er ſchon viele Monate als todt bemeint
habe. Erafto ließ nun wieder einen Monat verftreichen,
bis er fie dem Vater zeigte, um fich den Schein zu geben,
als fei fie von Ferne her gefommen. Als es ihm fodann
Zeit fchien, flellte er fie in Frauenkleidern ihrem Vater
vor. Sobald ber erfreute Vater feine Tochter fah, um
armte er fie zärtlich, küßte fie auf die Stine und ließ
fi) ihr ganzes Unglüd von ihr erzählen. Eraſto, dem
es Zeit fchien, fein mwankelmüthiges Glück auf die Probe
zu ftellen, fprach, da Filena ſchwieg, auf folgende Weiſe
zum Kaifer: Es ift eine natürliche Sache, allgerechtefter
Kaifer, Wohlthaten zu ſäen, um die Früchte davon zu
ernten, und ernftlich getadelt wird der, welcher im Aner-
kenntniß deſſen läfjig erfunden wird. Einen foldyen nennt
man mit Recht nicht nur einen undankbaren Menfchen,
396 XXI. Sebaſtiano Erizzo.
und der Undank gilt für das verwerflichſte Laſter, fon-
been auch einen gottlofen, einen Verleger aller Religion.
Und wenn das fo ift, wie wir es in Wahrheit ſehen,
weiches Gebächtniß, welches Verdienft, welche Vergeltung
kann der Wohlthatıdeffen entfprechen, ber einen andern vom
Tode zum Leben, von der Verzweiflung zur Hoffnung,
von graufamer Sklaverei zur Freiheit rettet und in feinen
früheren Zuftand, in welchem er fi mwohlfühlte, zurüd-
führt? Der Mann, der deine Tochter von Sklaverei
und Tod befreit hat, ift der, welcher jegt vor bir redet,
er beißt Erafto, erlaucht durch Adel des Blutes, ent-
fproffen aus bem erhabenen Stamme der fretifchen Könige,
aber durch den Reid des Scidfals in Armuth geſunken
und bierher gekommen, um in Conftantinopel Handels-
gefhäfte zu treiben; als aber beine Tochter Filena au
ihrem Verlobten reifen follte, faßte er den glüdlichen
Entſchluß, fi) auf demfelben Schiffe einzufchiffen, welches
fie wegzuführen beflimmt war, und mit einer Summe
Geldes, die ihm eben verfügbar war, nach den Inſeln
bes Archipels zu reifen. Nicht weit von der Infel Pal-
mofa wurden wir, wie deine Tochter dir bereits erzählt
bat, von Korfaren überfallen, welche das Schiff heftig
angriffen und nahe baran waren, es zu erobern. Aus
Furcht vor ber Sklaverei ftürzte ſich die unglüdliche Filena
auf einer Kifte ind Meer; aus Mitleid mit ihre folgte
ich ihr nach und bot ihr ſolchen Beiftand, daß wir von
einer Inſel des Archipels zur andern überfegten und ich
fie nach langer Zeit endlich wohl und gefund von aller
Gefahr frei hierher nach Gonftantinopel brachte. Und
wie Filma dankbar für die empfangene Wohlthat mir
ihr Wort gegeben hat, meine Gattin werden zu wollen, '
fo hoffe ih von Dir, der ein gerechter Fürſt fein muß,
ſchuldigermaßen die ſchon fo fehr ganz von Filena mir
gewährte Gunſt erwarten zu dürfen. Und wenn ben
Weiſen die Vernunft, den Barbaren die Nothwendigkeit,
den Bölfern bie Sitte, den Thieren der Naturtrieb das
67. Die Tochter des Kaifers von Gonftantinopel. 327
Sefep vorfchreibt, alle ihre Kraft und Mittel auf die
Erhaltung ihres Lebens zu verwenden, wenn id) deiner
Tochter das Xeben erhalten habe, das fie zuerft von bir
als ihrem früheften Urfprunge empfangen hat, fo mußt
du als ihr Vater und die erfte Urfache ihres Lebens die
Erhaltung deines Eigenthums dur mi um fo mehr
als Berdienft anerkennen und nicht weniger vielleicht,
als wenn ich dein eigenes Leben vom Tode errettet hätte,
inſofern du ja das Fleiſch und Blut deiner Tochter als
das deinige betrachten mußt. "
Diefe - und andere gewichtige Gründe brachte Erafto
dem Kaiſer vor, und nachdem er feine Worte geendet
hatte, antwortete ihm ihr Vater, der ihm fehr aufmerkfam
zugebört, er beabfichtige in Feiner Weiſe ihm undankbar
zu fein für bie Errettung, welche durch feine Vermittelung
Filenen zu Theil geworden; vielmehr, zumal er aus hohem
öniglichen Geſchlechte ftamme, werde er vielleicht, wenn
er fih etwas darüber befonnen habe, fie ihm als Ge-
mahlin übergeben. Er behielt fih nun einige Tage Be
denfzeit vor, um ihm zu antworten. Crafto wohnte von
jegt an im Palafte des Kaiſers, Filena hatte den vierten
Monat ihrer Schwangerfchaft vollendet, ihre Beleibtheit
nahm täglich zu und als fie eines Tages in ihrem Ge-
mache mit ihrem Vater ſich unterhielt, bemerkte er endlich
diefe ihre Umftände. Darüber war er trauriger als je
und fragte fie eines Morgens, woher die Schwangerfchaft
rühre, die er an ihr bemerke. Filena leugnete und fchrieb
alled der natürlichen Befchaffenheit ihres Leibes zu. Der
Kaifer aber fihöpfte einen richtigen Verdacht, ließ Eraſto
unvermuthet fefinehmen, brachte ihn auf die härteften
Foltern, bie ein Menfch beftehen kann, und fo warb er
gezwungen, am Ende die Wahrheit zu befennen. Er
holte einen tiefen Seufzer und fing an zu feiner Der-
theidigung mit dem Kaifer alfo zu fprechen: Ich leugne
nicht, erbarmungsreicher Fürſt, daß ich durch mein Ver-
gehen deinen Unmillen verdient habe; aber ich bin auch
328 .. XXI. Sebaftiano Erizzo.
überzeugt, daß du als ein kluger und milder Herr in
Anbetracht der drei Punkte, namlih, mit wie großer
Schönheit deine Tochter begabt, wie ſchwach bie Kraft
der Jugend und wie fiher das Eheverfprechen ift, das
mir Filena gegeben, in Rüdficht hierauf, fage ich, und
da ich demüthig wegen der vergangenen Unbil um Ver⸗
zeihung bitte, nachdem du mich zum armen Schelm ge-
macht, mich gerne loben wirft. Denn wenn bu dich für
beleidigt erachteft dadurch, daß ich ohne deine Zuftimmung
Filena erniedrigt babe, nachdem ich doch von ihr ein
vollftändiges Cheverfprechen erhalten, das fie mir frei-
willig, ohne Begehren von meiner Geite ertheilt bat
und wodurch fie auch nicht geringer zu werden dachte,
fo war meine ‚Sünde doch fo bedeutend nicht, da ich in
Gegenwart Gottes mit ihr den Ehebund ſchloß, baf ich
deiner DBegnadigung fo durchaus unmwürdig wäre. ch
unterlaffe zu fagen, daß ich in Feiner Weiſe mich über-
zeugen kann, bu werbeft mich, der ich beine Tochter von
den Stürmen des Meeres und aus ſchnöder Sklaverei
errettet habe, fo behandeln wollen, al& hätte ich unter
den graufamften Qualen fie und alle deine Verwandten
ums Leben gebrachte. Wäre es mir hiernach nicht befjer
gemwefen, ich hätte deine Zochter ertrinten, fie den Fifchen
zur Beute werden und an ben fpigigen Klippen zerichellen
laffen, als daß ich fie frifch und gefund aus aller Gefahr
erlöftet Wie könnte man je eine größere Grauſamkeit
finden? Wo ein fo wildes erbarmungslofes Wefen, das .
zum Lohn für die Lebensrettung einem andern einen grau-
famen Zod gäbe? Nimmermehr kann ich glauben, daß
ein fo harter Spruch von einem Menfchen ausgehen wird;
denn es findet fich kein fo barbarifches, fo Aller Menfch-
lichkeit entblößtes Volt, das zum Lohn für eine fo wich
tige Wohlthat ſich fo ruchlos die Hände befledte; man
würde einen folhen Menfchen eher für ein wildes Thier
und für eine in menfchliche Geftalt gekleidete Iybifche
Schlange halten. Wirft du dich über den Tod bes
67. Die Tochter des Kaifers von Eonftantinopel. 329
Mannes freuen, ber bir felber, der deinem Fleiſche bas
Leben gerettet bat? Wird mein Blut beine Begierde
und deine Augen fättigen? Und glaubft du nicht, daß
du viel unglücklicher wäreft, wenn bu lebteft, als ich,
wenn ich fo graufam gegen alle Vernunft, gegen das
Geſetz der Natur und die Sitten der Menfchen fierben
müßte? Ä
Bis hierher Hatte Erafto mit traurigem und weinen-
dem Gefichte mit dem Kaifer gefprochen, er warf. fich
vor ihm nieder und flebte um Gnade, und er bereitete
fi vor, in feiner Rede fortzufahren, als jener voll Zorns
und glühenden Unmillens ihn unterbrach).
Da wir, fagte der Kaifer, dich als Abkoͤmmling eines
hohen Eoniglihen Stammes Eennen, hätten wir beiner
Bitte um bie Hand Filena's gerne gewillfahrt, wenn bu
nicht vor unferer Zuftimmung und vor der öffentlich vor
aller Welt gefeierten Hochzeit ;unfere königliche Krone mit
einem ſolchen Madel belegt und ihre Ehre befleckt hätteft.
Nachdem bu aber einen fo großen Fehltritt gegen uns
begangen und uns große Schande zugezogen, beabfichtigen
wir, ein ftrenges Urtheil über dich und unfere Tochter
ergeben zu laffen-und euch zum Zode zu verdammen.
Nach diefen Worten befahl er, dem Drange feiner
Leidenschaft folgend, einem feiner Getreueften, welcher
lange Zeit unter feiner Leibwache gedient hatte, bie beiden
gefangen zu fegen, und nach brei Tagen fie heimlich mit
einem: Gewichte am Hals ind Meer zu werfen und -
fie zu erfäufen. Wie groß hierüber die Verzweiflung -
und ber Schmerz Eraſto's und Filena’s war, möge jeder
fih felbft vorftellen. Die armen unglüdlichen jungen
Leute hatten nun nur noch einen einzigen Ausweg: fie
gedachten durch große Summen bie Wache zu beftechen,
um auf dieſe Weife einem fo ſchmachvollen Tode zu ent-
gehen. Filena gab dem Wächter am erften Abend zwei
Juwelen vom hoͤchſten Werthe, welche fie unter andern
von ihren früheren Verluſten noch übrig hatte, worauf
ee beide in der folgenden Racht entweichen ließ. Als
nım die Zeit kam, da er fein Henkeramt hätte vollzogen
baben follen, fagte er zum SKaifer, er babe fie feinem
Urthellsfpruche gemäß im Deere erfäuft. Nachdem fie fo
bee Gefahr entronnen waren, vertaufchten Grafto und
Filena ihren Anzug mit den gemeinften Kleidern; nad
fo großer Roth; lächelte ihnen das Schickſal ſchmeichleriſch
und nad fo heftigen und bebenklichen Schlägen des Ge⸗
ſchicks beftiegen fie unerkannt ein Pleines Fahrzeug, kamen
vor die Meerenge von Gallipoli heraus nad, Tenedo,
begaben fich dort auf ein ſicheres Fahrzeug und ſchifften
in wenigen Tagen von einer Infel zur andern, bis fie
gluͤcklich nach fo viel Leiden nach Kreta gelangten, wo⸗
felbft fie fortan ein ruhiges Leben führten und threr
ſchwer erworbenen Liebe Früchte lange Zelt ungeflört
genofien. Eraſto machte Filena unverweilt zu feiner
Bemahlin, fie gebar ihm einen Sohn nad Verlauf ihrer
Schwangerſchaft, welcher, fo viel man weiß, nach vielen
Jahren durch feine Tugenden und feinen Reichthum König
diefee Infel wurde. Hieraus kann man fehen, dag man
- nicht fo jedes Übel dee Liebe zufchreiben muß, das wir
vielmehr immer- felbft veranlaffen, fondern vielmehr nad
Eraſto's Beiſpiel alles Gute. Er war aus armen und
klaͤglichen Umſtaͤnden durch Filena zu Reichthum und Glück
emporgeſtiegen.
——— — — —
68. Der Kaufmann aud Genua.
(Xag 6, Mov. 36.)
Wie ich ſchon öfter erzählen hörte, Ichte in Genua
ein fehr reicher junger Kaufmann, Namens Giannotto.
Er war viele Jahre lang von feiner Vaterſtadt entfernt
geweſen, hatte verfehtebene Theile der Belt in Handels⸗
68. Der Kaufmann aus Genua. 331
geſchaͤften durchzogen und wuͤnſchte nun, ſich zur Ruhe
zu begeben und irgendwo feſtzuſetzen. Da kam er endlich
nach Neapel, der edeln berühmten Stadt Italiens. Nach⸗
dem er einige Zeit dort verweilt hatte und noch immer
dort verweilte, entweder weil ihm ſchien, ſeine Geſchaͤfte
gedeihen ihm daſelbſt beſſer, als anderswo, oder ange⸗
sogen vorn der reizenden Lage der Stabt, begab es fich,
daß fi ihm Gelegenheit zur Ehe bot mit einer Tochter
eines neapolitanifchen Edelmanns. Gr überlegte, daß
diefe Sache ihm in manden Rückſichten vortheilhaft
werben koͤnne, und ergriff die Gelegenheit, weit fie ihm
ehrenvoll und zu feinem Vorhaben paffend fihien.
einer ſchoͤnen prachtvollen Hochzeit führte er das Mädchen,
welches Leonora hieß, ale feine Braut heim. Er mochte
fi hernach vielleicht ein Jahr in Neapel aufgehalten
haben, ba fiel es ihm ein, nachbem er fo lange Zeit
von feiner Heimat entfernt geweſen fei und durch feinem
Handel und Fleiß ſich einiges Vermögen erworben habe,
mit feiner Gattin nach Genua zurückzukehren. Giannotto's
Einfall reifte zum Entſchluß. Er beftieg, als es ihm
paſſende Zeit fchien, mit feiner Frau ein Schiff, worauf
er feine Güter hatte laden laffen, verließ mit feiner Ge⸗
fellfehaft den Hafen von Neapel und fuhr auf Genua zu.
Wie nun das launenhafte Schickſal oft gern die Vor⸗
haben der Menfchen durchkreust, fo wollte es, nachdem
ee Giannotto bisher in allen feinen Unternehmungen
günftig geweſen mar, daß die gegenwärtige einen ganz
andern Ausgang nahm, ale er dachte. Denn eines
Morgens mit Aufgang der Morgenröthe überfiel die
Schiffenden bei Piombino ein großer heftiger Wind, das
Meer begann zu fchiwellen und wogte allmälig im wüthend«
ſten Sturm empor, der das Fahrzeug nach kurzem Kampf
wider die Corfica gegenüberliegende Infel Caprara warf,
an deffen hüglichtem Strande es fcheiterte und alle Mann⸗
ſchaft ertrant. Der unglüdliche, von feinem Geſchick in
diefes aͤußerſte Elend gebrachte Giannotto Hammerte fich
332 XXI. Sebaſtiano Erizzo.
an ein Brett, das ihm der Zufall entgegenſtieß, und
ſtürzte in das Meer. Von Wind und Wellen bald hierhin
bald dahin geworfen, trieb er zuletzt auf der unfernen
Infel Elba ans Land. Um nun auf Leonora zurückzu⸗
kommen, die unglückliche junge Frau hatte mit einer ihrer
Mägde aus Furcht vor dem Waſſer das Schiff nicht ver-
laffen, fondern erwartete auf dem Bintertheile deffelben
jeden Augenblid ihren Untergang. Die Folge davon war,
daß durch diefen Umftand ihr Gefchid ihr gerade zu Hilfe
fam, und meber fie noch ihre Magd ertrant; denn das
Schiff war auf eine Sandbank gerathen und rubte da⸗
ſelbſt feſt. Die beiden Frauen verbrachten die fürchter-
lihe Nacht in fteter Todesangft. Doch legte ſich endlich
Sturm und Ungemwitter und fie erblidten mit ber Morgen-
röthe ein anderes Schiff, das von Corſica abgegangen
war und auf fie zufegelte. Sobald es unfern von ihnen
vorüberfuhr und Leonora es erblidte, gab fie alle mög-
lichen Zeichen, und ſchrie und rief, je näher es Fam, fo
lange mit ihrer Magd um Hilfe, bis die Seeleute auf
merffam wurden und erkannten was vorgegangen mar.
Sie zogen die Segel ein und fleuerten auf das geſchei⸗
terte Fahrzeug los. Durch Leonora’s Klagen und das
Mitleid mit ihrer Gefahr gerührt nahmen fie beide Frauen
zu fih an Bord und retteten dabei auch einige ihnen
übriggebliebene Sachen von dem Verdeck des zertrüm⸗
merten Schiffes. Leonora hatte vorfichtiger Weife, da
ihre fonflige Habe und die Waaren auf dem Schiffe
foft alle ins Meer gefchleudert waren, vorher aus einer
Heinen Kifte eine gute Summe Geldes zu fich geſteckt,
gab aber deffen ungeachtet gegen die Seeleute des andern
Schiffes vor, von Allem entblößt zu fein. Als nım
Leonora auf das andere Schiff geftiegen war, begab es
fi, daß ihre Schönheit und ihre Netze in zweien Rei⸗
fenden eine heftige Leibenfchaft entzundeten. Ohne dag
einer vom andern wußte, beftürmten fie fie während ber
Fahrt mehrmals um das Geichen? ihrer Liebe; Leonora
68, Der Kaufmann aus Genua. 333
aber bei ihrer Ehrbarkeit hielt fich immer gegen diefe
MWünfche zurück und bezeugte ihre Abneigung dagegen.
Doch dauerte ed nicht lange, bis fie von dieſer Verfuchung
befreit wurde; denn als das Schiff in Livorno landete,
fegte der Schiffsherr jene beiden Reifenden mit ihrem
Gepaͤck and Land, Leonora aber, bie fich vorgenommen
hatte, nach Genua zu gehen und dafelbft fich feftzufegen,
wurde mit dem Schiffspatron über eine nicht unbebeu-
tende Summe einig, die fie ihm verfprach, durch ihre
Verwandte in Genua auszahlen zu laffen, und bewog
ihn dadurch, weiter zu fahren, wohin fie ſich zu gehen
vorgenommen hatte, in der Abficht dafelbft ihren Gemahl
zu erwarten, wenn vielleicht das Glück ihm das Leben
gerettet habe. Giannotto aber, den die Meereswogen
an eine fichere Küfte getragen. hatten, war mie gefagt
auf der Infel Elba geborgen und entfchloß fich nachher,
nad) Piombino zu gehen. AU feiner Habe beraubt bis
auf die Lappen, die er an ſich Hatte, und an nichts
weniger denfend, als daß feine Frau am Leben fei, be-
flog er fi) nah Ancona zu wenden. Und ale er nady
vielen Zagereifen in fehr übelm Zuflande und elend da-
felbft anlangte und fein Ausfommen zu finden fuchte,
bot er ſich in dieſer Stadt als Diener an. Er ging
bei einem Anconer Edelmann in Dienfte und brachte
fih, fo gut er konnte, in deffen Haufe durch. Leonora
war indefien in Genua angelangt, fie fragte bei vielen
Leuten der Stadt nah Giannotto, aber kein einziger
tonnte ihr über ihn Auskunft ertheilen, ja es fand ſich
niemand, dem er nur befannt war, denn Giannotto war
fhon gar jung von feiner Vaterftadt gefchieden und lange
von Haufe weg gemwefen. Als daher Leonora nichte von
ihrem Gemahl hörte, entſchloß fie fih, in Genua zu
bleiben und zu warten, ob er nicht vielleicht komme.
Und wenn fie ihn auch nicht kommen fehe, fei es wegen
feines Todes oder eined andern ihm zugeftoßenen Unfalls,
und keine Rachricht mehr von ihm erhalte, gedachte fig,
3A xxIl, Sebaſtiano Erizzo.
doch nicht wieder von hier weg zu gehen, ſondern als
Wittwe den Reſt ihres Lebens bier zuzubringen. Und
obwol ſie noch ſehr jung war (denn ſie hatte das zwan⸗
zigſte Jahr noch nicht erreicht), war doch die Liebe zu
dem Gemahl in ihrem Herzen ſo ſtark, daß ſie ihn nicht,
wie es viele Frauen machen, in der Entfernung vergaß,
vielmehr ihm die Treue unverlegt bewahren wollte, wie
es ihre Ehre ihr zu erfordern ſchien. Giannotto mar
nun vielleicht zehn Sabre in den Dienften dieſes anconi-
tanifchen Edelmanns, aber in einem niedrigen armfeligen
Zuftande, jedoch wegen feiner guten und treuen Dienfte
bei feinem Herrn fehr beliebt. Da er nun feine Habe
verloren hatte und feft überzeugt war, feine Frau fei
mit den andern in den Wellen umgelommen, meinte ex,
in biefer feiner Betrübniß und ärmlichen Lage bleibe ihm
ein anderer Troſt mehr übrig, befchloß daher, heimzu-
ehren, um vor feinem Tode feine Vaterſtadt noch einmal
zu fehen, nachdem er jept fünfundzwanzig Jahre lang
von dort war entfernt gewefen. Bei feiner Abreife hatte
er ein Paar Brüder dafelbft zurudgelaffen, von denen
er zu wiffen miümfchte, was aus ihnen geworben fei und
ob einer von ihnen noch lebe. Giannotto nahm baher
von feinem Deren Urlaub, verlieh Ancona, und als ex
nad vielen Tagereiſen endlich nah Genua kam, wurbe
ee von niemand mehr erkannt; denn fein Ausſehen
hatte fi gegen früher gar fehr verändert, weil er bärtig
und alt geworben war. So ging er nun-auf das Haus
feines Bater zu. Dort fand er von allen feinen Brü-
dern, deren er vier gehabt hatte, nur noch einen einzigen
am Leben und ohne Kinder, wohlbetagt und reich begütert.
Als diefer Giannotto fah, ihn aber nicht von felbft er-
kannte, gab fich der Fremde endlich zu erfennen. Die
Freude und ben Jubel, den die Brüder empfanden, die
feit vielen Jahren gar nichts von einander gehört hatten,
möge ihr felbft beurtheilen. Die Umarmungen und Be⸗
willkommnungen wollten gar nicht aufhören und Gian⸗
63. Der Kaufmann aus Genua. 335
notte erzählte fobann dem Bruder nad ber Reihe alle
feine Verluſte von Anfang bis zu Ende. Leonora, melde
ihren Gatten fo lange in Genua erwartet hatte, als biefer
in Ancona als Diener lebte, war, ale fie fah, baf er
nicht kam, der Meinung, Giannotto fei bei jenem Schiff-
bruche umgelommen, und hatte nun feine Hoffnung mebr
auf feine Rückkehr. Mit dem in dem Seeſturme geret-
teten Gelde erhielt fie, da fie nur fehr geringe Ausgaben
machte, ihr Leben. Da fie noch jung und fehr ſchön
war, hatten einige Edelleute ber Stadt fie mit Ber-
fuchungen verfolgt und die reichiten artigften Jünglinge
um ihre Liebe gebuhblt; aber fie wollte fich nie auf etwas
einlafien, was den guten Sitten zuwider war. Go hütete
fie, fo viel an ihr war, ihre Sittfamfeit und ließ ſich
Geber manche Unbehaglichleit gefallen, als daß fie irgend«
wie ihre Ehre beeinträchtigt hätte. Da nun Giannotto
in feinem Haufe mit feinem Bruder auf ganz ehren: .
volle Weile fein Auskommen fand, weil diefer kinderlos
mar und niemand hatte, der ihm näher ftand, gab Gian⸗
notto jeden Gedanken auf, nad Ancona zurüdzutehren.
&o war er vielleicht ein Jahr. dort geweien, ohne daß
er von feiner Frau, noch fie von ihm etwas wußte, ale
das harte zürnende Schickſal, das Giannotto in vielen
Dingen ſich fo feindfelig gezeigt und fo viele Klagen von
feiner Seite fi zugezogen hatte, fein Benehmen gegen
ihn veränderte und nad) fo vielen Stößen und Ummäl-
sungen ſich ihn heiter und freundlich zeigte. (Eines Tages
eing nämlich Giannotto ganz allein durch eine Straße,
wo Lesnora's Zimmer ſich befand, da fah jene Magd,
die mit ihr auf dem Schiffe geweſen war und fie nie
verlaffen hatte, ihn am Haufe vworbeigehen. Sie faßte
ihn feharf ins Auge, fie meinte ihn zu kennen, und be
gann ſich des Giannotto zu erinnern, fo fehr er ſich auch
gegen früher verändert hatte. Sie rief Daher fchnell ihre
Bebieterin ans Fenſter und zeigte ihr ihn. Auch Leo⸗
nora erfannte den Gatten wieder, und von unfchägbarer
338 XXII. Gebaſtiano Erizzo.
Freude erfüllt ſchickte ſie ſogleich die Magd hinunter,
um ihn zu fich in das Hans zu bringen, und flieg ſelbſt
die Treppe hinab, um ihn im Flur zu erwarten. Wie
nun @iannotto vor fie gelommen war, weinte Leonora
vor großer Rührung und fing an, auf folgende Weife
zu ihm zu reden: Mein Herr, ihr glaubt mir ficherlich,
daß nur ein hochwichtiger Grund mic, bewogen hat, euch
meine Magd nachzuſchicken, um euch zu mir zu befcheiden;
ich glaube nämlich, ich wäre ander6 nicht wieder von euch
erfannt worden. Aber fagt mir, ich bitte euch inftändig,
ob ihr jemals in einer Lebensgefahr gewefen feid, in welcher
ihr etwas euch Theures verloren habt, obwol euch felbft
das Geſchick Heil und unverlegt aus jener Gefahr errettet
bat. Wenn euch irgend ein folcher Unfall ins Gedaͤchtniß
fommt, fo bitte ich euch, denkt nad, weichen Gegenftand
{hr von ‚denen am fchmerzlichften vermiffet, den ihr bei
diefee Gelegenheit verloren habt, und gebt es mir an!
So werde ih euch dann auch fogleich bie Urſache fagen,
weshalb ich euch fo dringend Habe zu mir einladen laſſen.
Als Biannotto Leonora’s Worte gehört hatte, ant-
wortete er ihr alfo: Edle Frau, ich erlitt in meinem
bedrängten Leben nicht menige Unglüdsfälle und einige
Abfchnitte deſſelben waren fo reich an Gefahren, daß ich
nicht hoffen tonnte, ihnen mit dem Leben, zu entgehen,
obgleich mir des Allmächtigen Gnade es dennody erhalten
bat, er weiß, zu welchem Ende. Fragt ihr mich, ob
ih etwas verloren babe, fo weiß jeder, der hier in meiner
Baterftadt lebt und mid kennt, wie ich ſchon viele Jahre -
von bier abgereift und in welchem Zuftande ich zurüd-
gekehrt bin. - Verlangt ihr von mir zu wiſſen, ob unter
den mir geraubten Gegenfländen (es waren fehe reiche
Waaren, die ich im Schiffbruch einbüßte) ich auch etwas
verloren babe, was mir befonderd. theuer war, fo ant-
worte ih: Ja. Denn ich verlor etwas, in deſſen Ver⸗
gleich mir jede andere fehwere Herzenswunde leicht zu
erdulden ſchien, meine Frau, die ich in eben dem Jahre
68. Der Kaufmann aus Genua. 337
erft in Neapel geheirathet hatte und die, wie meine
Waaren im erzürnten Meere verfunten find, wie ich
vermuthe, eine Beute der Fifche geworben ift.
Wie Gianmotto den Berluft feiner Gattin erwähnte,
flürzten Leonora die Thränen in ſolchem Ubermaße aus
- den Augen, daß fie ihr jebe Empfindungstraft benahmen
und fie bewußtlos zu ihres Mannes Füßen ſank. Als
Giannotto dies merkte und vorher ſchon durch die Ein-
ladung ber Frau etwas Verdacht gefchöpft hatte, wun⸗
derte er fich fehr über den Vorfall und fing an, fie ge
nauer ind Auge zu faffen. Einige Gefichtögüge feiner
Frau machten wieber in ibm auf und er erkannte nun
plöglih, daß dies Leonora fei. Ohne weitere Beweife
zu erwarten, fchlang er al&bald feine Arme um ihren
Hals und fagte: D mein geliebtes Weib, wie vermochte
ih zu ahnen, daß bei einem fo flürmifchen Meere, wo
die erfahrenften muthigften Seeleute ertrunfen waren,
du allein mit dem Leben bavonfommen werbeft? Und
wenn du auch dort davongefommen waͤreſt, mußte ich
zweifeln, ob ber bittere Schmerz über unfer großes Un-
glück dir das Leben gelaffen habe.
Als Giannotto dies geſprochen hatte, erlaubte ihm
die überftrömende Freude nicht, Weiteres Hervorzubringen.
Vielmehr vergoß er heiße Thränen, er hielt Leonora feft
in feinem Arm und beide blieben fo eine geraume Zeit
vereinigt, ohne daß eins von beiden fprah. Und als
Leonora’s Schwache Kebensgeifter allmälig wieder zur Thaͤtig⸗
keit zurückkamen und Giannotto's beklommenes Herz ſich
erleichterte, bewillkommneten ſie ſich noch vielmals auf
das Zaͤrtlichſte und brachten dieſen wie viele folgende
Tage mit Lieblofungen und Mittheilungen ihrer beider
feitigen fchmerzlihen Erlebniffe zu. Giannotto theilte
fodann feinem Bruder die Begebenheit mit und führte
mit feiner Zuftimmung fein getreues Weib in fein Haus.
Nicht lange darauf farb der alte Iebensfatte Bruder ohne
Kinder und hinterließ Siannotto mit feinem Sohn, den
Italiänifcher Novellenfchag. II. 15
ihm Leonora gefdyenkt hatte, als Erben all feines großen
Bermögens. Sofort brachten fie froher und zufriebener
als je den Reſt ihres Lebens miteinander hin. Hieraus
kann man fchen, wie wanfelmüthig das Glück und das
Leben der Menfchen ift und wie leicht ein jeber im Laufe
der Jahre von einem Außerfien zum andern übergeben
kann. Man fieht aber auch, wie groß die Treue diefer
Frau gegen ihren Mann, wie groß ihre Keufchheit war,
da fie in folcher Jugend fo fittfam bie ganze Blütezeit
isrer Jahre verbracht hat, weshalb ſich ihre Seelenſtaͤrke
der Entfagung ber Penelope des Alterthums gleichſtellt.
XXI. Baldaffare Caſtiglione.
1528,
69. Der blinde Spieler.
(Zirard. 1, 424.)
Als ich einſt in Paglia übernachtete, traf es ſi hh,
daß in derſelben Herberge, wo ich war, ſich noch drei
andere Reiſende aufhielten, zwei von Piſtoja, der dritte
von Prato. Nach dem Nachteſſen ſetzten ſie ſich, wie
das ſo zu gehen pflegt, zum Spiele, und ſo dauerte es
nicht lange, da hatte einer von den beiden Piſtojern ſeine
Baarſchaft verloren und ſaß plutt und baar da ohne
einen Heller im Beutel. Da fing er an in feiner Ber:
zmeiflung heftige Blüche und Verwünſchungen auszuftoßen,
und mit diefem fchlimmen Abenbdfegen legte er ſich fohlafen.
Nachdem die andern zwei noch eine Weile fortgefpielt
hatten, befchloffen fie, dem, der ins Bett. gegangen war,
einen Spuk zu fpielen. Sobald fie daher merften, daß
er fchlief, Löfchten fie die Kichter aus und verftedlten das
Teuer; dann fingen fie an Jaut zu fprechen und einen -
Dölenlärm aufzufchlagen, als kämen fie über dem Spiele,
treit
Du haſt hinuntergeſehen nach der Karte, rief der eine.
Nein, ſprach der andere, du haſt nicht Farbe bekannt.
Das Spiel gilt nicht.
Dies und Ahnliches riefen ſie mit ſo lauter Stimme,
daß der Schlafende erwachte. Und als er hörte, daß ſie
ſpielten und ſprachen, als fähen fie die Karten, machte
er die Augen ein wenig auf, und da er fein Kicht im
Zummer fah, fagte er: Was Teufels fol das heißen,
dag ihr die ganze Nacht durch fortfchreit.
340 XXIII. Baldaflare Eaftiglione.
Darauf drehte er ſich um, als wollte er gleich wieder
weiter ſchlafen. Die zwei Gefellen aber gaben ihm meiter
fein Gehör, fondern fuhren in ihrem Treiben fort, ſodaß
jener noch beſſer aufwachte und fidy zu wundern anfing.
Denn ba er kein Feuer noch fonft eine Helle fah, und
fie doch fpielen und ftreiten hörte, fagte er: Wie könnt
ihr denn die Karten fehen ohne Licht?
Darauf fagte einer der beiden: Es fcheint, bu haft
zu deinem Geld bin auch deine Augen verloren. Gichft
du nicht, daß wir hier zwei Lichter haben ?
Der, ber im Bette war, richtete fi) nun auf, ftemmte
fih auf den Arm und rief faft zornig: Entweder bin ich
betrunken ober blind, ober ihr macht laufen. -
- Die zwei andern flunden nun auf und gingen vor-
fihtig nah dem Bette zu, lachten und thaten, als
glaubten fie, jener wolle fi) über fie luftig machen.
Ich fage, fuhr er fort, ich fehe euch nicht,
Am Ende thaten bie beiden, als kommen fie in hef-
tiges Erſtaunen, und einer fprach zu dem andern; Ei weh,
ich glaube faft, es ift ihm ernſt. Gib einmal das Licht
her! Dann wollen wir fehen, ob ihm wirklich fein Ge
ficht getrübt ift.
Darauf nahm benn ber arme Schelm als gewiß an,
daß er blind geworben fei, weinte laut und ſprach: O liebe
Brüder, ih bin blind. |
Da fing er gleich an, unfere liebe Frau von Loreto
anzurufen und fie zu bitten, ihm bie Läfterungen und
Berwünfchungen zu verzeihen, bie er über fie ausgeſtoßen,
weil er fein Geld verloren hatte. Die zwei Gefellen trö-
fteten ihn jeboch und fagten: Es ift nicht möglich, du mußt
uns fehen. Das haft du bir nur fo in ben Kopf gefegt.
Nein, nein, entgegnete jener, ich habe mir es nicht
nur fo in ben Kopf gefegt. Ich fehe euch fo wenig,
als wenn ich niemals Augen im Kopf gehabt hätte.
j en Blick ift ja doch ganz heil, antworteten bie
eiden.
69. Der blinde Spieler. 341
Sieh nur, ſprach einer zum andern, wie gut er die
Augen aufmacht und wie ſchön fie find. Wer follte
glauben, daß er nicht daraus fieht?
Der arme Tropf weinte immer heftiger und flehte
Gott um Erbarmen an. Am Ende fagten die beiden
zu ihm: Thue ein Gelübde zu unferer lieben Frauen in
Loreto baarfuß und nadt eine Pilgerfahrt zu thun, denn
das ift das befte Mittel, das es gibt. Unterdeffen wollen
wir nad) Wcquapendente und in die andern nahe ge«
legenen Ortfchaften gehen und uns nad, einem Arzte um-
ſehen; wir wollen dir es an nichts fehlen laſſen.
Darauf Eniete der Unglüdliche fogleich im Bette nieder
und that unter unendlichen Thränen und in bitterer Reue
über feine gottesläfterlichen Neben ein feierliches Gelübde,
nadt zu der heiligen Jungfrau nach Xoreto zu gehen und
ihre ein Paar filberne Augen barzubringen, auch am
Mittwoch kein Fleifh und am Freitag Feine Eier zu effen
und mit Waffer und Brot jeden Samstag zu Ehren der
heiligen Jungfrau zu faften, wenn fie ihm die Gnade
erzeige, daß er fein Geſicht wiedererlange. Die beiden
Gefellen gingen fodann in ein anderes Zimmer, zündeten
ein Licht an und traten unter fehallendem Gelächter wider
vor den armen Schelm, der, wiewol er fich frei fühlte
von einer, wie fich denken laßt, nicht geringen Herzens⸗
angft, nicht nur nicht zu lachen, fondern nicht einmal
zu fprechen vermochte, und bie zwei Gefellen ließen ihn
auch jegt noch mit ihren Stichelreden nicht in Ruhe,
fondern behaupteten, er müffe durchaus die Gelübde löfen,
denn es fei ihm ja die erflehte Gnade zu Theil geworden.
Drud von 3. A. Brockhaus jn Leipzig.
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un Zune
Kay WR .r 2 Se 34
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