Skip to main content

Full text of "Italiänischer Novellenschatz, ausgewählt und übers"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 

















Ditlianiſcher Rovellenfchag. 


* 


Erſter Theil. 


Staliänif cher Rovellenſchah. 


Erſter Theil. 


” 











© 


- Italiänifcher Novellenſchatz. 


. ——— — 


Ausgewählt und überfegt 
Aunnich 
Adelbert Keller. 


Erfter Theil. 


—e — — I —— —— — 
Leipzig: 
F. A. Brockhaus. 


1851. 


Ital ET5 U 


— ——— 
Erh md 2:25 
‘ ' 








Vorwort. 


Der Plan dieſes Werkes ift, eine chronologiſche 
Reihe von charakteriſtiſchen Proben der italiänifchen 
Grzählungstunft , eine Geſchichte der italtänifchen No⸗ 
velliſtik in Beiſpielen zu geben. 

Die hundertundfunfzig Novellen, welche hier über⸗ 
ſetzt find, habe ich aus etwa viertehalbhundert Erzäh⸗ 
lern oder anonymen Erzählungsfammlungen audge- 
wählt. 

Ausgefchloffen von meiner Aufgabe blieb der größte 
italtänifche Erzähler Giovanni Boccaccio. Die Biblio: 
thek der Claſſiker des Auslandes, deren Theil mein 
- Novellenfchat zu werden beſtimmt ift, bat eine aus⸗ 
gezeichnete Überfegung der fümmtlichen Novellen Boe⸗ 
cactio's bereits gegeben. Wem es um Erkenntniß 
litterar⸗ hiſtoriſcher Entwidelung zu thun ift, der möge 
Die Lefung des Decameron nad) meiner Auswahl aus 
den fogenannten hundert alten Novellen, vor denen 
des Franco Sackhetti einreihen. 


‘ 


_ 
vI Borwort. 


Die Auswahl der einzelnen Stüde zu begründen, 
werde ich nicht nöthig haben. Eine fchwierige Klippe 
in diefem Felde bilden die oft unfaubern Stoffe der 
italiänifchen Erzählungen. Wer diefen Zweig der Lit- 
teratur genauer kennt, wirb feben, daß ich die an- 


.flößigen Stüde möglichft habe beifeit Liegen laſſen. 


Manchen bin ich vielleicht diesfalls zu ängſtlich ge- 
weien, andern aber wol zu frei. Ganz umgehen 
fonnte ich dergleichen nicht, da bie fitterar=biftoriiche 
Charakteriftit mein Hauptaugenmerk bleiben: mußte. 


. Zu Abkürzungen oder Abfchwächungen einzelner Stel⸗ 


fen Tonnte ich mich aus demfelben Grunde nicht ent- 
ſchließen: es fehlen mir dies der hiſtoriſchen Treue 
zuwiderzulaufen, auch hätte dieſes Verfahren dann 
meine Verantwortlichkeit für das Stehengebliebene ver⸗ 
größert. Immerhin iſt der Novellenſchatz kein Buch 
für Jünglinge und Mädchen, ſondern für Männer, 
und es gilt davon was Boccaccio über fein Deca- 
meron an Maghinardo von Savalcanti fchreibt: Sane, 
quod inclitas mulieres tuas domesticas nugas meas 
legere permiseris, non laudo; quin imo quaero per 
fidem tuam, ne feceris. Übrigens beftebt auch bier 
das fittlich Verwerflichſte nicht in einzelnen Ausdrüden 
und Schilderungen derber Sinnlichkeit, fondern mehr 
in den oft ganz ‚verkehrten. ſophiſtiſchen Theorien, 


Borwort. vu 


welche über die Moralität aufgeftellt werden und gegen 
Die nicht immer Die poefifche Gerechtigkeit geübt wird. 
Befriedigung gewährt. daneben die Betrachtung, wie 
die finnlichen und anftößigen Dinge häufig wechfeln 
mit Beifpielen fittlicher Reinheit, Feftigkeit und Größe, 
bingebender Zreue und Beftändigkeit, die wie weiße 
Lilien hervorragen aus üppig blühenden und betäubend 
duftenden Gewächſen. 

Was ich bier dem Drude übergebe ift nur ein 
Theil deſſen, was urfprünglich meine Abfiht war. 
Ih wollte, nachdem ich alle mir zugänglichen italia- . 
nifhen Novellen von frübefter Zeit bis auf unfere 
Tage Durchgearbeitet, eine möglichft umfafjende Über: 
fiht geben über das ganze von mir durchwanderte 
Gebiet mit Rückſicht auf die perfünlichen Verhältniffe 
der Erzähler, den Inhalt der Novellen, die Abflam- 
mung und die Verzweigungen der Stoffe und bie 
Bibliographie der Ausgaben und Sammlungen. Wie 
ich theils felbft, theils- durch äußere nicht zu befeiti- 
gende Hemmniſſe veranlaßt worden bin, von dieſem 
meinen Plane abzufehen und einen drudferfigen aus- 
führlichen litterarifchen Apparat zu Dem Novellenbuche 
zurüdzuhalten, gehört nicht hierher. Doch darf ich 
die Hoffnung ausfprechen, Daß es mir fpäfer noch 
gelingen werde, Stimmung und Gelegenheit zur ab- 


vm Borwort. 


ſchließenden Wiederaufnahme und zur Veröffentlihung 
meiner Studien über die Geſchichte der italiänifchen 
Novelle zu gewinnen. 

Tübingen, 9. Mai 1850. 


A. Keller. 





Inhalt des erſten Theils. 


I. Aus den Yundert alten Novellen. 


1. Bon der reihen Botfchaft, welche der Priefter Jo⸗ Seite 
hann an den Kaiſer Friederich abſandte.......... 1 
2, Von einem griechiſchen Weiſen, der gefangen war. 3 
3. Der Erzähler Azzolino's....................... 6 
4. Polo Traverfaro..... .................. ...... 7 
5. Guglielmo von Bergdam, der vermeſſene Provenzale. 8 
6. Troſt der Witwe................. ............ 10 
7. Die Liebe Karl's von Anjou................... 11 
8. Vom König Meliadus und dem Ritter ohne Furcht. 14 
9. Dad Herz des Buhlers........................ 15 
10. Der Gang nach dem Ziegelofen................. 17 
11. Triſtano und Iſotta.............. ....... ...... 19 
12. Eine ſchöne Liebesgeſchichte..................... 23 
13. Der Hauptmann von Nortia⸗.................. 26 
11. Rovellen von Franco Sacdetti. 
14. Lob und Tadel..................... ......... 49 
15. Der Müller und der Abt...................... 52 
16. Die drei Gebote des Vaters................... 57 
17. Piero Brandani............................. 63 
18. Das Vermaͤchtniß............................ 68 
19. Sonnella’8 Heimkehr................... ....... 7 
%. Die Caſentiner Geſandten........ .............. 71 
21. Der Bauer und der Sperber........ ....... 76 
II. Aus dem Beeorone des Ser Giovanni Fiorentino 
22. Galgano's Entſagung .............. ... ........ 81 
23. Die Kunſt zu lieben........................ .. 85 
24. Die Freundin des Cardinals.................... 97 


. Wie ein Hahnrei durch Schläge gefröftet wird.... 106 


X Inhalt. 


Geite 
26. Der Kaufmann von Venedig................... 111 
27. Der liftige Freier..... ....................... 135 
28. Hauskreuz................................... 142 
29. Pariſer Theologen in Rom................. ... 146 
30. Roͤmiſche Rache.............................. 153 
31. Ein Deutſcher in Italien...................... 157 
32. Bon den Guelfen und Ghibellinen..............- 164 
33. Männerliſt.............. .................... 167 
34. Spaniſch-deutſcher Krieg..................... . 19 
35. Dionigia.................................... 197 
36. Die Vergiftung.............................. 205 
37. Baͤrenjagd................................... 213 
IV. Luigi Pulei. | .” 
38. Zwei Stüdlein aus Siena........ .... ......... 218 
V. Gentile Sermini. 
39. Ser Pack ...................... ......... 227 
VI. Riecolo Macchiavelli. 
40. Belfagor.................................... 240 
VII. Bernardo Ilieino. 
41. Sieniſcher Edelmuth......................... . 253 
© VII. Mafueeio aus Salerno. — 
42. Der unſchuldige Moͤrder................... zer. 275 
43. Veronica.................................... 287 
44. Der Barkenführer......-sencorcrece. ......... 206 
IX. Rovelle eines Ungenannten. 
45. Der dicke Zifchler...... .......... ......... u... 301 


I. Aus den Sundert alten Movellen. 
Um 1300. 


1. Bon dee reichen Botfchaft, welche der Priefter 
Johann an den Katfer Friederich abfandte. 


(Nov. 2.) 


Der Priefter Johann, ein fehr edler Herrſcher in 
Indien, fandte eine reiche und edle Botfchaft an den 
edeln und mächtigen Kaiſer Frieberich, welcher wahrhaft 
ein Spiegel der Welt war in Reden und Sitten und 
ein großer Freund von fehöner Rede, und fich bemühete, 
meife Antworten zu geben. Der Zweck und die Abſicht 
bei jener Borfchaft beftand nur in zwei Dingen: er wollte 
nämlich genau prüfen, ob der Kaifer wirklich weile fei in 
Meden und Handlungen. Er fehidte ihm dur befagte 
Sefandte drei fehr edle Steine und ſprach zu ihnen: Gebt 
fie dem Kaifer und richtet ihm aus von mir, er möge 
euch Tagen, was das Beſte ift in ber Welt! Bewahret 
feine Worte und Entfcheid, beobachtet feinen Hof und 
Pal Gebräuche und erzählt mir, was ihr findet, ohne 

ehl 

Sie gingen zu dem Kaiſer, zu welchem ſie von ihrem 
Herrn geſchickt wurden: ſie begrüßten ihn, wie es ſich 
geziemte, im Namen Seiner Majeſtät und ſchenkten ihm 
aus Auftrag ihres denbezuhneen Gebieters die oben⸗ 
genannten Steine. Er nahm ſie und fragte ſie nicht 
nach ihren Eigenſchaften: er ließ ſie aufheben und lobte 
fie ſehr wegen ihrer großen Schönheit. Die Geſandten 

Staliänifcher Novellenfchag. I. 1 


2 I. Hundert alte Novellen. 


brachten ihre ragen vor und beobachteten bie Sitten 
und den Hof. Darauf, nach wenigen Tagen, begehrten 
fie Urlaub. Da ertbeilte ihnen der Kaifer die Antwort 
und fprah: Nichtet mir an euren Gebieter aus, das 
Befte auf diefer Welt fei dad Maß. 

Die Boten gingen, meldeten e8 und erzählten, was 
fie gefehen und gehört hatten, wobei fie des Kaifers Hof 
fehr Iobten, ald welcher durch die fehönften Sitten ge- 
fhmüdt fei, ebenfo das DBetragen feiner Ritter. Der 
Driefter Iohann, ald er vernahm, was feine Botfchafter 
berichteten, lobte den Kaiſer und fagte, er fei fehr weile 
im Worte, aber nicht in der That, alldieweil er nicht 
nad) der Eigenſchaft fo theurer Steine fich erkundigt 
habe. Er ſchickte die Gefandten zurück und bot ihm an, 
wenn es ihm gefalle, ihn zum Seneſchalk feines Hofes 
zu machen. Er ließ ihm feine Reichthümer und bie ver- 
ſchiedenen Stämme feiner Unterthanen erzählen und die 
Beichaffenheit. feines Landes. Nach einiger Zeit dachte 
der Prieſter Johann, die Steine, welche er dem Kaifer 
gefchentt, Haben ihre Kraft verloren, da fie vom Kaiſer 
nicht erfannt worden feien, nahm alfo feinen werthvollſten 
Steintenner und ſchickte ihn heimlich an den Hof des 
Kaifers mit dem Auftrage: Strenge deinen Verſtand aufs 
äußerfie an, daß du mir diefe Steine wieberbringft! 
Um keinen Preis foll mir's fehlen. 

‚Der Steintenner machte fi auf den Weg mit vielen 
Steinen von großer Schönheit und fing an, am Hofe 
feine Steine zu faffen. Die Barone und Ritter famen, 
feine Arbeit zu fehen. Der Mann war fehr Hug: wenn 
“er einen fah, der am Hofe angeftellt war, fo verkaufte 
er nichts an ihn, fondern gab zum Geſchenk; auch fheilte 
er viele Ringe aus; bis endlich fein Lob vor des Kaifers 
Ohren gelangte. Diefer ſchickte nach ihm und er zeigte 
ihm feine Steine. Er lobte fie, aber nicht wegen ihrer 
großen Kraft. Der Fremde fragte daher, ob er denn 
foftbarere Steine habe. Darauf ließ der Kaifer die drei 





1. Bon der Botſchaft des Priefters Johann. 3 


koſtbaren Steine kommen, welche jener zu fehen wünfchte. 
Nun freute fich der Steinfenner, nahm einen in die Hand 
und ſprach: Diefer Stein, gnäbiger Here, ift bie befte 
Stadt werth, bie ihr befiget. 

Dann nahm er den andern und ſprach: Diefer, gnä- 
diger Herr, ift die befte Provinz werth, die ihr befige. 

Und dann nahm er den dritten und ſprach: Gnädiger 
Herr, biefer ift mehr werth ale das ganze Reich. 

Damit ſchloß er die obenbefagten Steine in feine Faufl. 
Die Kraft eines derfelben machte ihn unſichtbar, ſodaß 
fie ihn nicht mehr bemerkten. Er ftieg die Treppen hinab, 
kehrte zu. feinem Herrn zurück und überreichte ihm bie 
‚Steine mit großer Freude. 


2. Bon einem griechifchen Weifen, der gefangen war, 
(Men. 3.) 


Rn Griechenland mar ein Herr, welcher Königskrone 
trug und hatte ein großes Königreih. Er mar geheißen 
Philipp und hielt wegen irgend eines Vergehens einen 
griechifhen Weifen im Gefängnif. Diefer befaß fo große 
Wiffenfchaft, daß fein Verftand bis über die Sterne reichte. 
Es begab fich eines Tages, daß dem Herrn aus Spanien 
ein edles Schlachtroß gefchentt ward von großer Stärke 
und fehönem Anfehen. Da verlangte der Herr nad) ſei⸗ 
nem Marfchalt, um die Güte des Noffes zu erfahren; 
es warb ihm aber gefagt, er habe in’feinem Gefängniß 
den unübertrefflihen Meifter, der in alle Dinge Einſicht 
babe. Er ließ das Roß auf das Feld führen und den 
Griechen aus dem Gefängniß holen und ſprach zu Ihm: 
Meifter, befchaue dieſes Roß! denn es ift mir gemeldet 
worden, daß du dich fehr darauf verfteheft. 

1* 


4 1. Hundert alte Novellen. 


Der Grieche befchaute das Roß und fprah: Gnä- 
deger Ders, das Pferd fieht zwar gut aus, aber ich 
fage euch fo viel, daß das Pferd mit Eſelsmilch aufge⸗ 
zogen iſt. 

Der König ſchickte nach Spanien, um zu erfahren, 
wie es aufgezogen worden ſei, und ſie fanden, daß die 
Stute gefterben war und das Fohlen mit Eſelsmilch 
hatte aufgezogen werben müſſen. De König vermun- 
derte fi) darob fehr und verorbnete, bag man ihm täg- 
lich auf Koften des Hofes ein halbes Brot reihe. Eines 
Tages begab es ſich, daß der König feine Edelfteine fam- 
melte; er fandte nad, jenem griechifchen Gefangenen und 
ſprach: Meifter, du haft große Wiffenfchaft und ich glaube, 
du verftehft dich auf alle Dinge. Sage mir, wenn bu 
dih auf die Steine verfichft, welchen hältft du für dem 
werthyollften? 

Der Grieche befchaute fie und ſprach: Gnädiger Herr, 
welchen habt denn ihr am liebften? 

Der König nahm einen fehr fchönen Stein aus ben 
andern hervor und fagte: Meifter, diefer fcheint mir der 
fhönfte und werthvollſte. 

Grieche nahm ihn, ſchloß ihn in feine Fauſt, 
drückte ihn feſt, hielt ihn alsdann an die Ohren und 
ſagte darauf: Gnäadiger Herr, bier iſt ein Wurm. 

Der König ſchickte nach Meiftern, ließ den Stein in 
Stücke brechen und fie fanden darin wirklich einen Wurm. 
Da lobte er den Griechen megen feines. wunderbaren 
Geiſtes umd fegte feit, daß ihm des Tages ein ganzes 
Brot gegeben werde auf Koften feines Hofes. Sodann 
nach geraumer Zeit Fam es dem König in ben Sinn, 
er fei nicht rechtmäfiger König. Er ſchickte nach dem 
Griechen, nahm ihn an einen geheimen Ort und fing 
an alfo mit ihm zu fprechen: Meifter, ich traue bit 
große Wiffenfchaft zu und es Be ſich klärlich aaeigt in 
den Dingen, um die ich bich befragt habe. Du follft 
mir nun fagen, weß Sohn ich bin. 


T 








2. Bon einem griechifchen Weiſen, der gefangen war. 5 


Der Grieche antwortete: Gnadiger Herr, welche Frage 
legt ihre mir vor? Ihr wißt wol, daß ihr der Sohn 
des und des Vaters feid. 

Der König aber antwortete: Antworte mir nicht 
ſchmeichleriſch! Sage mir ohne Scheu die Wahrheit, 
und wenn du mir fie nicht fagft, fo Laffe ich dich eines 
ſchlimmen Todes fterben. 

Darauf antwortete denn der Grieche: Gnaͤdiger Herr, 
ich fage euch, ihr ſeid der Sohn eines Bäckers. 

„Und der König fagte: Ich will es von meiner Mutter 
erfahren. 

Er fandte zu der Mutter und zwang fie mit grau- 
famen Drohungen zum Geftändnif, bis die Mutter die 
Wahrheit bekannte. —— ſchloß ſich der König mit 
dem Griechen in ein Gemach ein und ſagte: Lieber 
Meiſter, ich babe große Proben deiner Weisheit gefchen. 
3 bitte dich, daß du mir fageft, wie bu dieſe Dinge 
weißt. 

Da antwortete,der Grieche: Gnädiger Herr, ich will 
es euch fagen. Daß das Pferd mit Eſelsmilch aufge 
zogen fei, erkannte ich durch mein eigenes natürliches 
Gefühl, denn ich fah, daß es die Ohren auf eine Art 
gefenft hielt, welche der Natur des Pferdes nicht eigen 
it. Den Wurm in dem Stein erfannte ich daran, daß 
die Steine von Natur kalt find, dieſen aber fand ich 
warm. Warm Fann er von Natur nicht fein, aufer 
durch ein Thier, welches Leben in ſich hat. 

Und wie erfannteft du, daß ich eines Bader Sohn 
fei ? 

Der Grieche antwortete: Gnädiger Herr, ale ich euch 
über das Pferd etwas fo wunderbares fagte, beftimmtet 
ihr mie zum Lohn ein halbes Brot des Tages, und dann, 
als ich euch über den Stein weiſſagte, beſtimmtet ihr 
mir ein ganzes Brot. Seht, da merkte ich, weſſen Sohn 
ihr ſeid. Denn wenn ihr ein Koönigsſohn waͤret, fo hättet 
ihr es noch für ein kleines Geſchenk erachten müffen, 


6. I. Hundert alte Rovellen. 


wenn ihe mir eine edle Stadt verliehen hättet; eurer Ge- 
burt nach aber Fam es euch genug vor, mich mit Brot 
zu belohnen, wie euer Vater that. 

Da erkannte der König feinen. niedrigen Geiz, befreite 
ihn aus der Gefangenfchaft und beſchenkte ihn fehr reich. 


3. Der Erzähler Azzolino's. 


(Nov. 30.) 


Herr Azzolino*) hatte einen Erzähler, welcher ihn in 
den Langen Winternächten unterhalten mußte. Eines 
Abende nun hatte ber Erzähler großes Verlangen zu 
ſchlafen, Azzolino aber bat ihn, ihm etwas vorzuplau- 
dern. Da begann ber Erzähler eine Gefchichte von einem 
Bauer, welcher feine Hundert Gulden**) im Beutel hatte. 
Der ging auf einen Markt, um Schafe zu kaufen, und 
befam zwei um einen Gulden. Als er mit feinen Schafen 
heimfehrte, war ein Fluß, über den er gekommen mar, 
unterbeffen durch einen heftigen Regen ſtark angefchwollen. 
Da ftand er am Ufer und ſchaute hinüber, bis er einen 
armen Fifcher erblickte mit einem ganz unglaublich klei⸗ 
nen Nachen, ſodaß niemand hineinging, als der Bauer 
und ein einziges Schaf auf einmal. Der Bauer fing 
alſo an, mit einem Schafe überzufegen und fing an zu 
rudern. Der Fluß mar breit. Er rudert und kommt 
hinüber. 

Der Erzähler hielt inne und ſprach nichts mehr. 

Nun mas machft du? fragte Herr Azzolino. Fahr 
fort! " 


Ezzelin da Romano, geftorben 1260. 
) Bisanti. Maßmann's Eraclius, ©. 362. Nah der Erusca ift 
1-Bifante = 1 Ziorino. 











3. Der Erzähler Azzolino's. — A. Polo Traverſaro. 7 


Der Erzähler antwortete: Gnaͤdiger Herr, laßt erſt 
die Schafe hinüberkommen und dann mollen wir die 
Geſchichte meiter erzählen. 

Die Schafe wären aber in einem ganzen Jahre 
nicht hinübergefommen. Und fo konnte er gut in Ruhe 


fchlafen. 


4. Solo Zraverfaro. 


(Nov. 41.) 


Meffer Polo Traverfaro war aus der Romagna und 
war der vornehmfte Mann in ber ganzen Romagna, 
und er beherrfchte fie faft ganz in gutem Frieden. Er 
hatte drei fehr Iuftige Ritter, und fie meinten, in ber 
ganzen Romagna fei niemand, der mit ihnen zu vieren 
figen könne. Wo fie daher Hof hielten, hatten fie eine 
Bank zu dreien, und mehr gingen darauf nicht bin, 
erfühnte fi) auch Feiner, darauf zu figen, aus Furcht 
vor ihrem Muthwillen. Und obwol Meffer Polo ihr 
Herr war und fie in andern Dingen ihm gehorchten, 
fo pflegte er doch an biefem luſtigen Orte ſich nicht 
niederzufegen, wenn fie auch bekannten, daß er ber 
beſte Mann der Romagna. fei und der am nächften An- 
fpruch hätte auf den vierten Plag, mehr als irgend ein 
anderer. Was thaten bie drei Ritter, als fie gemahrten, 
daß Meffer Polo ihnen zu viel nachfolget Sie machten - 
das Thor eines ihrer Paläfte enger, dag er nicht herein- 
fonnte. Der Mann war fehr wohlbeleibt: da er nicht 
bineintonnte, zog er fih aus und trat im Hemde ein. 
Als fie das hörten, gingen fie zu Bette und ließen fi 
zudeden, als wären fie krank. Meſſere Polo glaubte 
fie bei Xifhe zu finden und fand fie im Bette. Da 
fprach er ihnen zu, fragfe fie nach ihrem Gebreften, gab 


8 I. Hundert alte Rovellen. 


ihnen guten Rath, nahm Abſchied und ging von bannen. 
Da fagten die Ritter: Das ift fein Spaß. 

Sie gingen auf die Befigung bed einen, wo ein 
ſchönes Schlöfichen war mit Gräben und einer Zugbrüde; 
dort nahmen fie fi) vor, den Winter zuzubringen. , Eines 
Tages kam Meffer Polo dahin mit ftattlicher Gefellichaft, 
und als fie hineinwollten, zogen jene die Brüde auf. 
Er mochte fagen fo viel er wollte, fie famen nicht hinein. 
Sie kehrten zurüd. Als der Winter vorüber war, kamen 
die Ritter in bie Stadt. Mefier Polo ftand. bei ihrer 
Rückkehr nicht auf und fie blieben denn auch ftehen und 
einer von ihnen fagte: Zum Henker, Mefier, ift das 
eure Höflichkeit? Wenn Fremde in bie Stadt kommen, 
erweiſt ihr ibpen Feine Ehre? 

Mefler Polo antwortete: Verzeiht mir, Meſſere, ih 
—* mich nicht, hat ſich ja die Brücke für mich er⸗ 
oben. 0 

Nun erhoben die Ritter darüber großen Jubel. — 
Einer von ihnen ftarb, da fägten die andern fein Drittel 
von der Bank ab, auf der fie faßen; denn ba ber britte 
geftorben war, fanden fie in der ganzen Romagna Feinen 
Nitter, der verdient hätte, an feiner Stelle zu figen. 


5. Guglielmo von Bergdam, der vermeffene Provenzale. 
(Nov. 42.) 
Guglielmo -von Bergbam *) mar ein edler Ritter in 


der Provenze zur Zeit des Grafen Raimondo Berlinghieri. 
Eines Tages begab es fich, daß die Ritter fich berühmten, 


*) Lieder Guillem’5 von Berguedan, herausgegeben von X. Keller 
(Mitau 1849). 





5. Guglielmo von Bergdam, der vermeflene Provenzale. 9 


und Guglielmo prahlte, es fei fein Edelmann in der 
Provenze,. den er nicht aus dem Sattel gehoben und bei 
deffen Frau er nicht gefchlafen hätte. Und das fagte er 
vor den Ohren des Grafen. Da’ verfegte der Graf: 
Und mid auh? Wie? 

Guglielmo fagte: Euch, Herr? Ich will e8 euch fagen. 

Ließ fein Streitroß kommen, gefattelt und wohlge⸗ 
gürtet, fchnallte die Sporen an und fegte den Fuß in 
den Bügel. Dann befann er fich eine Weile, fagte zum 
Strafen und fprah: Euch, Herr, begreife ich’ nicht mit 
und nehme euch nicht aus. 

Damit flieg er zu Pferde, gab ihm die Sporen und 
ritt von dannen. Der Graf war fehr erzürnt, daß er 
niht zu Hofe Fam. Eines Tages kamen Frauen zu 
einem vornehmen Gaftmaht zufammen: fie ſchickten nad) 
Guglielmo von Bergdam aus; die Gräfin war auch 
dabei; und fie fprachen: Run fag’ uns, Guglielms, 
marum haft du die provenzalifchen Frauen fo befchimpft? 
Das follft du ſchwer büfen. . 

Jede hatte ein Meffer unter dem Kleide. . Die Spre- 
herin fuhr fort: Sieh, Guglielmo, wegen beiner Ver: 
meffenheit mußt bu fterben. 

Guglielmo hub an und fprach, als er fah, daß er fo 
in die Falle gerathen mar: Nur um eines bitte ich euch, 
ihr Frauen, fhut mir’s zu Liebe und gewährt es! 

Die Frauen antworteten: Bitte, nur nicht um beine 
Sreilaffung. 

Da hub Guglielmo an und ſprach: Gnädige Frauen, 
ih bitte mir aus, daß diejenige von euch, die am we⸗ 
nigften Zeufch ift, mir den erſten Streich verfege. 

Da fah eine die andere an; aber feine wollte an- 
greifen, und fo fam er für diesmal durch. 


1** 


10 1. Hundert alte Novellen. ‘ 


6. Troſt der Witwe, 


(Nov. 56.) 


Der Kaifer Friederich*) ließ eines Tages einen vorneh⸗ 
men Edelmann wegen irgend einer Miſſethat aufhängen, 
und um die gerechte Strafe in ein helles Licht zu ſtellen, 
ließ er ihn von einem vornehmen Ritter bewachen mit 
Androhung ſchwerer Buße, wenn er ihn abnehmen ließe. 
Als aber der Wächter etwas nachlaͤßig war, wurde ber 
Gehentte weggetragen. Als jener das merkte, ging er 
mit fi zu Rathe, aus Furcht, er möchte den Kopf 
verlieren. Es war Nacht, und indem er fo nadfann, 
fiel es ihm ‚ein ‚ in eine Abtei zu gehen, die nahe babei 
lag, um zu erfahren, ob er jemand finden Tonne, ber 
kürzlich geftorben wäre, damit er diefen an bie Stelle 
bed entwenbeten an den Galgen hinge. In der Abtei 
angelangt, fand er dafelbft eine Frau, jammernd mit 
zerrauften Haaren und aufgelöften Kleidern. Sie klagte 
fehr, war ganz troſtlos und meinte um ihren theuren 
Gatten, der defjelbigen Tages geftorben war. Der Ritter 
redete fi ie freundlich an und fragte: Edle Frau, wus ift 
das für ein Treiben? 

Die Frau antwortete: Ich liebte ihn fo ſehr, daß ich 
nie mehr Troft empfangen will; fondern in Klagen will 
ich meine Tage befchließen. 

Da fagte ber Ritter zu ihr: Liebe Frau, wo ift euer 
Witz? Wollt ihr hier vor Schmerz umlommen? Durch 
Jammer und Thränen Eönnt ihr den Todten doch nicht 
wieder ind Leben rufen.” Welche Thorheit ift es darum, 
euch fo zu geberdben! Macht es vielmehr fo: nehmt mic) 
zum Mann! Ich bin unverheirathet. Und rettet mir 
baburch mein Xeben, denn ich bin in Gefahr und weiß 


”) N Sram’ Gedichte des Mittelalters auf Friedrich I. den Staufer, 


6. Troſt der Witwe. — 7. Die Liebe Karl's von Anjou. 11 


nicht, wo ich mich verbergen fol. Ich Habe nämlich . 
auf Befehl meined Heren einen Ritter bewacht, der ge 
benft war, und bie Leute feiner Familie haben mir ihn 
entwendet. Zeigt mir Rettung, wenn’s euch möglich ift, 
fo will ich euer Gatte werben und euch in Ehren halten. 

Sobald die Frau foldhes hörte, verliebte fie ſich in 
diefen Ritter und fprach: Ich will tun, was bu mir 
gebieteit; fo groß ift die Liebe, die ich zu dir trage. 
Nehmen wir diefen meinen Gatten aus dem Grabe, 
beingen ihn bin und hängen ihn an die Stelle bes ent- 
mendeten! 

- Damit hemmte fie ihre Klage, half den Gatten aus 
der Gruft ziehen und half gleichfalls den Todten auf- 
hängen. Der Ritter aber fagte: Liebe Frau, jener hatte 
einen Zahn weniger im Munde, und ich fürchte, wenn 
man wieberfäme, um ibn. zu befichtigen, fo möchte ich 
.davon- Schande erleben. 

Als fie das hörte, brach fie ihm einen Zahn aus dem 
Munde, und wenn noch etwas anderes erfoberlich geweſen 
wäre, fo hätte fie es auch gethan. Als der Ritter fah, 
wie fie mit ihrem Gatten umgegangen war, fagte er: 
Liebe Frau, da ihr euch fo wenig aufrichtig um ben 
befümmert habt, den ihr fo fehr zu lieben fchienet, fo 
würdet ihr. euch noch viel weniger um mich reblicy be= 
kümmern. 

Damit ließ er ſie und ging ſeinen Geſchäften nach; 
ſie aber hatte die Schmach und Schande. 


7. Die Liebe Karl's von Anjou. 
(Nov. 60.) | 
Karl der edle König von Sicilien und Ierufalem 


verliebte ſich, als er noch Graf von Anjou war, in eine 
ſchöne Gräfin von Teti,. welche ebenfo den Grafen von 


12 I. Hundert alte Rovellen. 


Univerfa*) liebte. Zu jener Zeit hatte der König von 
Frankreich bei Xobesftrafe verboten zu turnieren. Der 
Straf von Anjou aber wollte verfuchen, welcher von bei- 
den mit ben Waffen mehr vermöge, er oder der Graf 
von Univerfa, teaf denmach feine Vorkehrungen und 
drang mit den inftändigften Bitten in Meſſer Alardo . 
be’ Valleri, eröffnete ihm feine Liebe und daß er ſich 
vorgenommen, in offenem Kampfe ſich mit dem Grafen 
von Univerfa zu verfuchen, ex bat ihn alfo um bie Kiebe, 
ihm eine Exrlaubnif vom Könige zu erflehen, daß er nur 
ein einziged Turnier halten dürfe mit feiner Genehmigung. 
Jener fragte, wie. Der Graf von Anjou .unterwied ihn 
folgendermaßen. Der König ift faft zum Kopfhänger 
geworden und aus großem Wohlwollen gegen euch hoffte 
er euch dahin zu bringen, daß ihr geiftliche Kleider nehmt, 
um euren Umgang zu behalten. Wenn er euch nun 
darum erfucht, fo bittet euch ald Gnade aus, baf er euch 
ein einzige® Zurnier befichen läßt. Dann wollet ihr thun 
nach feinem Gefallen. 

Und Meſſer Alarbo antwortete: Sage mir Doc, 
Graf, foll ich die Genoffenfhaft der Ritter meiden um 
eined einzigen Turniers willen ? 

Der Graf antwortete: Ich verfpreche euch auf mein 
Wort, ich will euch davon wieder losmachen. 

Und das that er auch, wie ich euch nachher erzählen 
will. Meffer Alardo ging zum König von Frankreich 
und ſprach: Herr, als ih die Waffen nahm am Tage 
eurer Krönung, trugen die beften Ritter von der Welt 
Waffen; nunmehr will ich euch zu Xiebe die Welt ganz 
verlaffen und das geiftliche Kleid nehmen. Geruhet da- 
für mir nur eine Zöniglihe Gnade zu erweifen, daß ich 
nämlich ein Zurnier halten darf, bei welchem bie edeln 
Nitter Waffen führen, damit ich meine Waffen feierlich 
nieberlege, wie ich fie genommen. 


*) Bieleiht'ift Antwerpen gemeint. Statt Karl von Anjou lieft der 
Drud Benevetti’s Carlo Magno. 








7. Die Liebe Karl's von Anjou. 13 


Der König gewährte ed. Es wurde ein Zurnier 
veranftaltet. Auf der einen Seite fand der’ Graf von 
Univerfa und auf der andern ber Graf von Anjou. 
Die Königin mit Sräfinnen, Damen und Fräulein von 
edler Abkunft fianden unter den Rauben, auch die Gräfin 
von Xeti mar dabei. An bemfelbigen Tage war die 
Blüte der Ritter der Welt auf beiden Seiten unter 
Waffen. Nach vielem Turnieren ließ der Graf von Anjou 
und der von Univerfa den Kampfplag leeren und traten 
einander entgegen auf gewaltigen Schlachtroffen, mit diden 
Speeren in der Hand. Nun begab e& ſich, daß mitten 
auf dem Sampfplag das Schlachtroß des Grafen von 
Univerfa mit diefem über ben Haufen fiel, meshalb die 
Frauen aus den Lauben herabfamen und ihn hold in 
den Armen megtrugen. Auch die Gräfin von Teti war 
darunter. Der’ Graf von: Anjou jammerte heftig und 
ſprach: Weh mir, warum ift nicht mit mir das Pferd’ 
geftürzt, wie mit dem Grafen von Univerfa, daß die 
Gräfin mir fo nahe gefommen wäre, wie ihm! 

As das Turnier vorüber war, ging ber Graf von 
Anjou zur Königin und bat fie um die Gnade, aus 
Liebe für die edeln Ritter Frankreichs mit dem König 
zu ſchmollen und bei der Berföhnung ihn um eine Ver⸗ 
günftigung anzugehen, dafür nämlich, daß es dem Könige 
gefällig fein möge, daß die jungen Ritter Frankreichs 
nicht einen fo edeln Genoffen vermiffen dürfen, wie den 
Meſſere Araldo von Valleri. Die Königin ging dar- 
auf ein. Sie fchmollte mit bem König und bei ber 
Verſöhnung bat fie ihn um das, maß fie wollte. Der 
König verſprach ihr das Geſchenk. Meffer Araldo wurde 
fonach ſeines Verſprechens entbunden und blieb bei den 
andern edeln Rittern unter Zurnier und Waffenwerk und 
der Ruf geht durch die ganze Welt von feiner großen 
Güte und andern wunderbaren Vorzügen. 


14 1. Hundert alte Rovellen. 


8. Vom König Meliaduß und dem Ritter ohne Furcht. 


(Nov. 60.) 


Der gute König Meliadus und ber Ritter ohne Furcht 
waren einander Todfeinde im Feld. ALS eined Tages diefer 
Mitter ohne Zucht nad) irrender Ritter Weife unfenntlich 
umherzog, fand er feine Knechte, die ihn fehr Tiebten, 
aber nicht kannten, und fprachen zu ihm: Herr Ritter, 
auf Nitterwort, mer ift ein beſſerer Ritter, der gute 
Ritter ohne Furcht oder der gute König Meliadus? 

Und der Ritter antwortete: Ihr Knechte, fo wahr 
mir Gott helfe, der König Meltadus ift der befte Ritter, 
der auf einem Sattel figt. 

Die Knechte aber, welche dem ‚König Meliadus übel 
wollten aus Liebe für ihren Herrn und ihn haften auf 
den Tod, fielen verrätherifch und unfchidlich über ihn 
ber, legten ihn gewaffnet, wie er mar, quet über einen 
Klepper und riefen indgemein, fie führen ihn zum Galgen. 
Während fie fo ihres Wegs zogen, fanden fie ben König 
Meliadus, welcher gleichfalls nach irrender Ritter Weife 
zu einem "Turnier zog und fein Wappen verbedt hielt. 
Der fragte die Knechte: Warum führt ihr diefen Ritter 
zum Galgen? und wer ift es, den. ihr fo ſchmachvoll 
entehret? 

Sie antworteten: Gnädiger Herr, er hat den Tod 
wohl verdient, und wenn ihr es wüßtet, wie wir, fo 
würbet ihr ihn viel eher, ale wir, fo führen. Fragt ihn 
felbft um feine Miffethat! 

Der König Meliadus trat vor und ſprach: Ritter, 
was haft du denen zu Leib gethan, die dich fo garftig 
bahinführen ? 

Der Ritter antwortete: Nichts weiter und keine andere 
Miffethat habe ich gethan, als daß ich ber Wohrheit die 
Ehre gegeben babe. 





8. Bom König Meliadus. — 9. Das Herz des Buhlers. 15 


Wie fo? fragte der König. Das kann nit fein. 
Erzählt mir doch euer Vergehen! 

Und er antwortete: Gerne, Herr! Ich zog fo meines 
Weges nad ircender Ritter Weife, fand diefe Knechte 
und ward von ihnen auf Ritterwert befragt, wer der 
beſſere Ritter ſei, der gute König Meliadus oder der 
Ritter ohne Furcht. Um bei der Wahrheit zu bleiben, 
ſagte ich, der König Meliadus ſei der beſſere, und ich 
ſagte das blos, um die Wahrheit zu ſagen, obgleich der 
König Meliadus im Felde mein Todfeind iſt und ich ihn 
tödtlich haſſe; aber ich wollte nicht lügen. Eine andere 
Miſſethat habe ich nicht begangen, und um deswillen 
allein beſchimpfen ſie mich. 

Da begann der König Meliadus die Knechte zu 
ſchlagen, befreite ihn und ließ ihn losbinden und ſchenkte 
ihm ein reiches Roß mit verhüllter Decke, bat ihn auch, 
ſie erſt in ſeiner Wohnung aufzudecken. So ſchieden ſie 
und jeder ging ſeines Weges, der König Meliadus und 
die Knechte. Der Ritter ohne Furcht kam am Abend 
zu ber Wohnung, nahm die Dede vom Sattel und 
fand das Wappen des Königs Meliadus, der ibn fo 
ſchön befreit und beſchenkt hatte und doch war er fein 
Todfeind. 


9. DaB Herz des Buhlers. 


(Nov. 62.) 


Der Berg Arimini ift in Burgund und dort lebt 
ein Herr Namens Meffer Roberto und es ift eine große 
Graffhaft. Die alte Gräfin und ihre Rammerfrauen 
hatten einen einfältigen Thürhüter, der war fehr groß 
von Geftalt und hieß Baligante. Eine der Kammer- 


16 ' I. Hundert alte Rovellen. 


frauen fing an bei ihm zu fchlafen; dann offenbarte fie 
ed einer andern, fodaf es weiter ging bis zur Gräfin. 
Als die Gräfin hörte, daß er fehr groß gemeffen war, 
fihlief fie auch bei ihm. Der Herr fpähte ed aus. Er 
ließ Ihn ermorden und ließ aus dem Herzen einen Kuchen 
machen und brachte ihn der Gräfin und ihren Kammer 
frauen und fie aßen ihn. Nah dem Effen fam ber 
Herr, um den Hof zu machen, und fragte, wie bie 
Torte geweſen fei. Alle antworteten: Gut. 

Da antwortete der Herr: Da ift fein Wunder, daß 
Baligante euch lebend gefallen hat, wenn er euch noch 
als todt gefällt. 

Als die Grafin und die Kammerfrauen dies merkten, 
fhämten fie fih und fahen mol, daß fie ihre Ehre für 
diefe Welt verloren hatten. Darum wurden fie Nonnen 
und machten ein Klofter, welches das Klofter der Nonnen 
von Berg Rimino Hief. Das Haus nahm zu und ward 
fehr reich. Und dies erzählt man als wahre Geſchichte. 
Dort iſt die Sitte, wenn ein Edelmann vorbeikam mit 
vielem Geräth, den luden ſie ein und erwieſen ihm die 
größte Ehre. Und die Abtiſſin und die Schweftern kamen 
ihm entgegen und die, die ihm am beften gefiel, Die wartete 
ihm auf und begleitete ihn zu Zifch und zu Bett. Am 
Morgen ftand fie auf, fuchte ihm Waſſer und Zwehle, 
und wenn er gewaſchen war, bot ſie ihm eine leere Nadel 
und einen Seidenfaden. Nun mußte er, wenn er ſich 
losmachen wollte, den Faden in das Ohr ſtecken, und 
wenn ihm das drei mal hintereinander mislang, nahmen 
ihm die Frauen alle ſeine Habe und gaben ihm nichts 
zurück; wenn er aber den Faden drei mal in die Nadel 
brachte, ſo gaben ſie ihm nicht nur ſein Geräth zurück, 
ſondern ſchenkten ihm auch noch ſchoͤne Kleinode. 





10. Der Gang nad dem Ziegelofen. 17 


10. Der Gang nad dem Ziegelofen. 


(Nov. 68.) 


Ein reicher Edelmann hatte einen einzigen Sohn, 
und als er herangewachſen mar, fchidte er ihn in den 
Dienft eines Königs, damit er dafeldft Artigkeit und 
edle Sitten lerne. Weil er fih nun bei dem König 
jehr beliebt machte, faßten einige Neid gegen ihn und 
beftachen einen der vornehmften Ritter des königlichen 
Hofes durch Geld und gute Worte, daß er auf folgende 
Weiſe den Untergang des Jünglings anfliftete. Eines 
Tages berief diefer befagte Ritter diefen Knaben heimlich 
zu ſich und fagte ihm, mas er ihm nun mittheilen werde, 
thue er wegen der großen Liebe, die er zu ihm frage; 
und darauf fagte er zu ihm: Mein liebfter Sohn, unfer 
Herr der König liebt dich mehr als alle feine Diener; 
aber er hat fich geäußert, daß du ihm durch den Athem 
deines Munbes gar fehr beſchwerlich falleſt. Sei baber 
um Gottes willen Elug und wenn du ihm den Trank 
reichft, halt Mund und Nafe fo mit der Hand zu und 
wende dein Geficht auf die Seite, daß dein Hauch den 
König nicht beläftige! 

Als der Jüngling bies einige Zeit that und der König 
deshalb fehr ärgerlich war, berief er ben Ritter, der jenem 
diefe Anweifung gegeben hatte, und befahl ihm, wenn 
er ben Grund bavon wiſſe, ihm felbigen ungefäumt zu 
fagen. Diefer gehorchte dem König, Eehrte aber die Sache 
ganz um, benn er fagte, jener Knabe könne den Hauch 
aus dem Munde des Königs nicht mehr ertragen. Des- 
halb befchieb der König auf das Anftiften jenes Barons 
einen Ziegelbrenner und befahl ihm, den erften Boten, 
den er an ihn abfende, in den glühenden Ofen zu werfen; - 
und wenn er e& nicht thue oder diefe Sache irgend jemand 
offenbare, drohte er ihm eidlich, er werde ihm den Kopf 


18 1. Hundert alte Rovellen. 


abbauen. Der Ziegelbrenner verſprach ihm alles willig 
zu vollbringen, ftedte einen großen Ofen an und wartete 
ängftlich, bi8 der komme, der diefe Strafe verdient habe. 
Am folgenden Morgen wurde der unfchuldige Knabe von 
dem König zu dem Ziegelbrenner geſchickt, mit dem Auf: 
trag, ihm zu fagen, er folle ausführen, was der König 
ihm befohlen habe. Er ritt bin und war fchon nahe 
bei dem Dfen, als er zur Meffe Iäuten hörte. Er flieg 
daher vom Pferd, band ed am Kreuzgang der Kirche an 
und hörte andächtig die Meſſe. Darauf ging er nad 
dem Dfen und fagte zu dem Ziegelbrenner, was ihm 
der König befohlen hatte. Der Ziegelbrenner aber gab 
ihm zur Antwort, er babe fchon alles gethban. Der 
Hauptanflifter jener Bosheit nämlih war, um bie 
Sache zu befchleunigen, bingegangen und hatte. den Zie- 
gelbrenner gefragt, ob er die Sache ausgeführt habe. 
Diefer fagte ihm, er habe den Befehl des Königs noch 
nicht vollzogen, werde es aber alsbald thun. Daher 
pacdte er diefen und warf ihn unverzüglich in den bren- 
nenden Ofen. Der Jüngling kehrte daher zum König 
zurüd und meldete, ed fei gefchehen, was er befohlen 
habe. Darüber verwunderte fich der König und forfchte 
forgfältig ya), um zu erfahren, wie die Sache gegangen 
ſei. Und als er den wahren Hergang entdeckt, hieb er 
alle die Neider, welche den unfchuldigen Jungen betrogen 
batten, in Stüde und fagte dem vorbemeldten Jüngling 
alles, wie es fich zugetragen hatte. Darauf machte er 
ihn zum Ritter und ſchickte ihn mit vielen Reichthümern 
zurüd in fein Land. 








J 


II. Triſtano und Iſotta. 19 


11. Triſtano und Iſotta. 


(Roy. 99.) 


Als Triſtano von Hein Britannien zurüdgefehrt und 
bei Madonna Iſotta war, erzählte er-ihr, mas ihm da- 
felbft begegnet und wie er fie aus ber Knechtfchaft befreit 
habe, und das ganze Abenteuer bes Schmerzenthals und 
mit Membruto dem fihmwarzen, welchen er getöbte. Und 
Madonna Iſotta begann darüber heftig zu weinen aus 
Mitleid und wegen der Gefahren, die er dort beftanden. 
Und darauf erzählte er ihr, wie fein Schwager Ghedino 
gefommen fei und mie fie fich mit ganzer Liebe lieben, 
und. Triſtano brachte es fo weit, daß Ghedino mit Frau 
Iſotta mehrmals ſprach und meit öfter, als ihm dienlich 
war, denn er verliebte ſich in fie und fie deuchte ihm 
fo ſchön, daß er zu fterben mwähnte Als er nun all- 
mälig Effen, Trinken und Schlafen verloren hatte und 
ſolche Pein und Mühfal litt, daß er geradezu den Tod 
erwartete, gedachte er einen Brief an Frau Sfötta zu 
fenden, um ihr fund zu thun, wie. er aus Liebe zu ihr 
dahinfterbe, und es möge ihr gefallen, ihm einen Troſt 
zu fenden. Die Königin erhielt den Brief, las ihn und 
fah, daß, wenn fie ihm nicht einen guten Troſt fende, 
er fterben müffe. Und da fie fah, daß Zriftano ihn mit 
ganzer Liebe liebte, und alle Tage klagte über fein Uebel⸗ 
befinden und unabläffig fagte, es fei fehr fihade um ihn, 
fo gedachte deshalb die Königin, ihn zu teöften, bis er 
geheilt fei, und fobald er geheilt wäre, wollte fie ihn 
binmwegfchiden aus dem Königreich Kornwall und ihm 
feine große Thorheit vorhalten. Sie ſchickte ihm daher 
einen Brief mit Träftigem Troſte und Ghedino ging ber 
Genefung entgegen. Triftano Fam auch oft zu ihm, um 
ihn zu tröften, und als er eines Tages hinging, fiel 
dem Zriftano der Brief in die Hand, welchen Ghedino 


20 I. Hundert alte Rovellen. 


an Frau Iſotta geſchickt hatte, und der, den fie ihm 
zugefandt hatte, um ihn zu teöften; und als er es ge- 
lefen hatte, fühlte er fich fo unglüdlih, daß er ganz 
vafend wurde, und ging gerades Wegs zu Frau Iſotta, 
und als er ſie ſah, fing er an, heftig zu weinen und 
zu ſprechen: Ich bin ſehr betrübt , daß ihr mich mit 
Ghedino vertaufcht habt; und da ihre mich gegen ihn 
vertaufcht habt, will ich nicht mehr leben. 

Sie wollte ſich entfchuldigen; er aber ſprach: Frau, 
e8 hilft euch keine. Ausrede, denn feht bier den Brief 
von eurer Hand! 

Dann begann er die jämmerlichfte Klage von der 
Welt zu erheben und fagte, er wolle nicht mehr leben, 
und ſchied von ihr wie ein Nafender, ging in den Stall, 
nahm das erſte Pferd, das er fand, flieg darauf und 
jagte durch die Strafen der Stadt wie einer, der die 
Befinnung verloren bat, und fo ritt er weiter, bis er 
an eine Quelle kam. Dort fleigt er vom Pferde und 
beginnt die größte Wehklage, die je einer von fich ge- 
geben, wobei er die Stunde verfluchte, in der er geboren 
worden, und wollte fich felbft ums Leben-bringen. Unter: 
deffen Fam dahin ein Fräulein, welche Palamides ent- 
fendet hatte, um zu erfunden, ob Triftano in Kornwall 
fih befinde: Sie fah Triftano, welcher fo großen Schmerz 
äußerte, fih das Geficht mit den Händen zerfchlug und 
viel von feiner Liebe ſprach. Als das Fräulein dies fah, 
faßte fie großes Mitleid, fodaß fie meinte und fprad: 
Herr Ritter, Gott fei mit euch! 

Triſtano aber hörte fie nicht, fo voll war er von 
Gedanken. Sie grüßte ihn mehrmald wieber, um ihn 
aus feinem Schmerz zu reifen, und faßte ihn bei der 
Hand. Er erhob das Haupt und fagte: Weh mir, 


‚. Sräulein, warum habt ihr mich in meinem Nachſinnen 


geſtört? Kaum halte ich wid, euch übel mitzufpielen. 
Wißt, wenn ihre ebenfo ein Mann wäret, wie ihr ein 
Weib feib, fo hätte ich euch getöbtet! 


- 





11. Zeiftano ‚und Ifotta. 231 


Sie entgegnete: Ach Herr Triflano, ber ihr ber befte 
Ritter von der Welt feid und ber Iuftigfte und ber wei⸗ 
fefte, mie feid ihr fo fehr in Verzweifelung gerathen ? 
Das ift kein ritterlicher Verſtand. 

Da ihr ein Weib ſeid, geht von hinnen! 

Das werde ich gewiß nicht thun, bis ihr getröftet feib. 

Fräulein, fagte barauf Triftano ‚ unb wer feid denn ihr? 

Mein Hear, ich bin eine Botin bes Palamibee, wel- 
cher mich in biefes Land geſchickt hat, um zu erfahren, 
ob ihr in Kornwall feid. 

Darauf ſprach er: Nun fo kehret um und fagt bem 
Palamibes, das ift bem beften Ritter ber Welt, daß ich 
meinen Namen verändert babe und daß ich nunmehr ber 
unglüdlide Ritter heiße, und daß es ihm gefallen möge, 
Hierherzufommen, um "meinen MHäglichen Tod zu fehen. 

Ei wie, ebler Herr? antwortete weinend das Fräu- 
kein, foll das die Kunde fein, bie ich von euch in das 
Königreich Logres mitnehme? Gewiß, ich will fo lange 
bei euch bleiben, bis ihr getröftet feid. 

Und fo ließ fie nicht ab mit Bitten, aber es half fie 
nichts. Triſtano ging in voller Wuth hinweg und ber- 
bergte die Nacht unter einem Baume in großem Schmerz. 


Er hörte nicht auf zu weinen und an bie Königin Stotta 


zu denken und an das Unrecht, das fie ihm mit Ghedino 
zugefügt, und darauf ſprach er: Es kann nicht fein, daf 
Frau Iſotta fich vergangen Hat. 

Darum fchmerzte es ihn heftig, daß ex von ihr ge- 
gangen war, und er fürditete fehr, bie Königin möchte 
fich übel befinden. Am Morgen darauf ging er an bie 
feifcheften und anmuthigften Bäume von der Welt umb 
erinnerte fich, wie er bafelbft die Königin Iſotta erlöft 
hatte, als Palamides fie von binnen führte, wie anderswo 
erzählt wird. Sodann begann er fein heftiges Wehllagen 
von vorn und fagte, daß er hinfort Leine Waffen mehr 
tragen wolle alle Zeit feines, Lebens, und fo zog ex fie 
aus ohne Verzug und warf ein Stüd hierhin, das an⸗ 


- 


23 ’ I. Hundert_alte Novellen. 


dere dorthin. Und darauf fing er an zu weinen und 
die Hände zu ringen und fi ind Angeficht zu fchlagen 
und zu rufen: D ich Unglüdlicher, ih Elender, ich 
Schmerzenreicher! 

Der jungfräulihe Abgefandte ging immer hinter 
ihm ber. Sie hatte großes Mitleid mit ihm und mußte 
wohl aus dem Sammer Triftano’s, woher diefer Schmerz 
rührte. Deshalb ſprach fie darauf zu ihm: Nun weiß 
ih euren Groll und euren Schmerz und woher er kommt. 
Ich werde euch bei eurem Zorn Rath fchaffen, wenn es 
euch gefällt, aus dem Grunde, weil ed auf der Welt 
Bein Fräulein gibt, der es mehr zu Herzen ginge als 
mir. Ihr habt eure, Waffen mweggeworfen und es tft 
nahe zu drei Tage, daß ihr nichts gegeffen habt. Auf 
diefe Weife werdet ihr von Sinnen kommen und die 
ganze NRitterfchaft befchimpfen. Und wenn die Ritter von 
eurem Ende hören werden und wie elend und ſchmählich 
Daffelbe gewefen, fo werben fie es fich zur großen Schande 
anrechnen. Auf der andern Seite wird ed ber Königin 
allzu wehe thun, wenn fie von eurem Mäglichen Tode hört. 
Ich fage euch, mein Herr, ed begegnet oftmals, daß das 
nicht wahr ift, was der Menſch fagt. Und ich weiß ganz 
gewiß, daß Frau. Ifotta euch von ganzem Herzen liebt 
und ftirbt vor Liebe, bie fie zu euch trägt. Darum ift 
ed um euch fehr fchade und um fie. Noch könnt ihr 
lang bei ihr fein nach Herzensluft zu eurer und zu ihrer 
Sreude, Wonne und Ergegen. 

Triſtano faßte alle diefe Worte auf, erkannte, daß 
fie die Wahrheit fagte, und ſprach: Fräulein, ich bitte 
euch, fo fehr ich kann und wenn euch etwas an mir 
gelegen ift, daß ihr nad) Zintoille geht zuc Königin Iſotta 
und daß ihr nicht ablaft, bis es euch gelingt, mit ihr 
zu fprechen. Grüßt fie von mir und bittet fie, eine 
rechtſchaffene Frau zu fein; der Wechfel, den fie mit mir 
vorgenommen, babe mir den Zod gebracht und fie folle 
mir nicht zürnen. 





12. Eine ſchoͤne Liebesgefchichte. 23. 


Und ale er diefe Worte gefprocdhen hatte, ſtieß er 
einen heftigen Schrei aus und ein plögliches Stöhnen. 
Zugleich verkehrte ſich ihm das Gehirn und er wurde 
verrückt! Alsbald lief er von dannen in feiner Raferei 
dur den Wald, fchreiend und lärmend und feine Kleider 
zerreißend, und er war fo von Sinnen, daf er weder 
fih, noch andere fannte. Und fo ging er drei Tage 
umber, ohne zu effen ober zu trinken, von einem Wald 
in den andern, vorwärts und rückwaͤrts, dahin und dorthin, 
wie ihn der Zufall führte, beging allerlei Tollheiten und 
richtete viel Unheil an. Und wenn er einen Brunnen 
fand, fo hielt er ftile und begann erftaunlich zu meinen, 
ſprach aber nichts und ermähnte niemand. Bei bdiefer 
Lebensweiſe war er ganz mager und blaß geworden und 
fah aus wie ein Thier, ſo war er behaart, und af nichts 
als Kräuter und MWaldfrüchte, ſodaß viele Ritter, welche 
ausgingen, ihn zu fuchen, ihn nicht fanden, und bie, 
fo ihn fanden, ihn nicht erfannten. &o bringt die Liebe 
um den Verſtand und um bie Ehre. 


12. Eine ſchoͤne Liebesgeſchichte. 


(Nov. 99 nad der Ausgabe von Venedig, 1571.) 


Ein junger Mann von Florenz war in Kiebesluft 
entbrannt zu einem artigen Sungfräulein. &ie aber liebte 
nicht ihn, fondern liebte aus der Maßen einen andern 
Jüngling, welcher fie zwar auch liebte, doch nicht fo 
heftig wie jener, welcher offenbar alles andere über ihr 
vergaß und ſich wie wahnfinnig in feiner Begier verzehrte, 
zumal an Tagen, wo er fie nicht zu fehen befam. Das 
that einem feiner Gefellen leid und er veranftaltete, daß 
er ihn mwegführte zu einem fehr fchönen Landgut, das er 


24 7-1 Hundert alte Novellen. 


befaß, unb dort verweilten fie in Ruhe vierzehn Tage. 
Inzwiſchen überwarf ſich dad Mädchen mit ihrer Mutter, 
ſchickte ihre Magd aus und ließ fie mit dem fprechen, 
welcher fie liebte, daß fie mit ihm davongehen wolle. 
Diefer war fehr froh. Die Magd ſprach: Sie will, ihr 
follt zu Pferd an das Haus kommen, wenn es ſchon 
ganz Nadır ift. - Sie wird thun, als ginge fie in den 
Keller hinunter. Dann müßt ihr an ber Hausthüre be- 
reit fein, und fie fpringt euch hinten aufs Pferd. Sie 
ift Teiche und kann gut reiten. - 

Er antwortete: But, es ift mir recht. 

As fie es fo verabredet hatten, ließ er große Vor⸗ 
bereitungen treffen auf einem Landhaufe, das ihm ge- 
hörte. Und es waren bafelbft feine Genoffen zu Pferd 
und er bieß fie am Thore warten, damit man es nicht 
fliege. Dann machte er fi mit einem fchönen Roß 
auf den Weg und ritt an das Haus. Sie hatte aber 
noch nicht kommen fünnen, weil die Mutter fie zu fehr 
bewacht. Darum ging jener meiter und zu feinen 
Gefellen zurüd. Der andere aber, der fi) um fie ver- 
zehrte, fand auf dem Rande feine Ruhe. Er flieg zu 
Pferd und fein Gefelle konnte mit allen Bitten ihn nicht 
zurückhalten, noch vermochte er ihn feine Begleitung an« 
zunehmen. Als es Abend ward, gelangte er an bie 
Stadtmauer; alle Thore waren fihon zu, aber er eilte 
fo lange umber, bis er auf das Thor traf,. wo jene 
ftandem Er ritt binein und nahm feinen . Weg nad) 
dem Haufe der Liebften, nicht in ber Abficht, fie zu be: 
fuchen oder auch nur ihren Anblid zu genießen, fondern 
allein um die Straße wiederzufehen. Er ftellte fi 
dem Haufe gegenüber auf, als der andere kaum vorüber- 
geritten war; da öffnete das Mädchen bie Thür, rief ihm 
mit heller Stimme und hieß ihn, das Pferd heranrüden. 
Diefer war nicht läffig und that mas fie wollte, fie aber 
fprang ihm geſchickt Hinten aufs Pferd und fo ritten fie 
von dannen. Als fie an das Thor kamen, ließen bie 





12. Eine fhöne Liebesgefchichte. 25 


Gefellen des andern fie unangefochten hindurch, denn fie 
erkannten fie niet, denn wäre es ber gewefen, den fie 
erwarteten, fo hätte er gehalten. Die beiden ritten wol 
zehn Meilen, bis fie an eine fehr fchone Wieſe kamen, 
die von fehr hohen Tannen umgeben war. Sie fliegen 
ab und banden das Roß feft und er Hub an fie zu küſſen. 
Nun. erfannte fie ihn, merkte das Unglüud und fing an 
bitterlich zu weinen. Dieſer aber verfuchte unter Thraͤnen 
ſie zu tröſten und ihr ſolche Ehre zu erweiſen, daß ſie 
ihre Thraͤnen trocknete und anfing ihm hold zu werden, 
da ſie ſah, daß das Glück ſich für ihn entſchieden hatte, 
und fie umärmte ihn. Der andere ritt unterdeß mehr- 
mals hin und ber, bis er die Altern des Mädchens ge- 
waltigen Lärm machen hörte und durch die Magd ver 
nahm, daß die Jungfrau ſchon fort ſei. Er war beftürzt, 
kehrte zu feinen Gefellen zurück und fagte es ihnen. Sie 
aber antworteten: Wir fahen ihn wol fie vorüberführen, 
aber wir erfannten fie nicht, und es ift fchon fo lang, daß 
fie fchon weit auf diefer Straße gekommen fein können. 

Sie fegten ihnen fogleih nach und titten fort, bie 
fie fie in ihree Umarmung fehlafend fanden. Sie bes 
trachteten fie im Scheine des Mondes, der indeffen auf 
gegangen war, aber es that ihnen leid, fie zu flören, 
und fie fagten: Wir wollen warten, bis fie aufmachen, 
und dann thun, was uns obliegt. 

Sie warteten fo lang, bis fie auch der Schlaf über- 
fiel und alle hinſanken. Die andern wachten inmittels 
auf und fahen, was geichehen war. Sie vermunderten 
fi) und der Jüngling ſprach: Diefe Leute find fo artig 
gegen uns gewefen, daß wir fie ums Himmels. willen 
nicht beleidigen bürfen. 

Er flieg daher zu Pferd und fie warf fih auf ein 
anderes von den beften, die bafelbft fanden, und fo ritten 
fie von dannen. Die Schläfer erwachten und waren fehr 
erzürnt, daß fie die Verfolgung nicht fortfegen konnten. 


Staliänifher Novellenſchatz. I. 2 


N 


26 I. Hundert alte Novellen. 


13. Der Hauptmann von Noreia. 
(Novelle di varj autori eon nate. Milano, 1804. ©. 29.) 


- Da id mich bei der großen Sterblichkeit im Jahre 
bes Herrn 1430 Geſchäfte halber in Florenz aufhielt, 
und gerade im Monat Juli wie gewöhnlich die größte 
Hige herrfehte, kam ich eined Tages auch einmal an die 
Loggia der Buondelmonti in Geſellſchaft eines Venezia⸗ 
nerd Piero und mit Giovannozzo Pitti*). Wir fprachen 
von ZTagesangelegenheiten und befonders von ber Peft, 
als einige gute Freunde zu ung traten, worunter Xioncino 
di Meſſer Guccio de’ Nobili. Diefer unterbrach unfere 
Unterhaltung und fagte mit ganz heiterer Miene: Laffen 
wir die Todten bei ben Todten und bie Arzte bei den 
Kranken! Wir gefunde aber wollen nach Freude trachten 
und Iuftig fein; fonft könnte es mit unferer Gefundheit 
auch nicht mehr zu lang dauern. Ich mache mid an- 
heifchig, wenn ihre mit mir fommen wollt, euch für den 
Reſt des Tages Luſt und Unterhaltung zu bereiten. 
Alle amtworteten ihm, er möge einen Weg nad) fei- 
nem Belieben einfchlagen, wir werden ihm alle nachfolgen 
und gehorchen; und fo wandte er ſich denn zwifchen 
Giovannozzo Pitti und Piero dem Venezianer nad) ber 
alten Brüde**) zu. Wir gingen hinüber und er geleitete 
uns unter mandfaltigen anmuthigen Gefprächen nad 
dem pittifhen Garten, mofelbft fogleich von Giovannozzo 
Pitti unter einer Jasminlaube, in deren Mitte ein feiner 
feifcher Waſſerſtrahl auffchoß, ein Tiſch beftellt wurde, 
voll von Früchten, wie man fie in Diefer Zeit brauchte, 
nebft zwei Küblgefäßen voll der beften weißen und rothen 
Weine. As wir uns dort einige Zeit aufgehalten und 





*) Später wurde diefer Ritter und wohnte im Garten Boboli. 
*) Sie führt noch jegt diefen Namen. 


S 


13. Der Hauptmann von Norcia. 27 


alle erfrifche hatten, machte Piero ber Venezianer mit 
einem luftigen Anfang unfere Aufmerkfamteit rege und 
begann die Gefchichte von Madonna Kifetta, die ich fonft 
auch von ihm gehört und Dir erzählt habe, Gie war 
aber um fo ergegliher, als er alle Bewegungen und 
Geberden der Frau und des Bauerd nachmachte, mit 
Lachen und Weinen abwechslungsweife und zu gleicher 
Zeit, ſodaß ‚mir die Sache felbft zu fehen und zu hören 
glaubten. Als er damit fertig war und wir eine gute 
Weile darüber gelacht hatten, wandte ſich Kioncino noch 
in vollem Lachen zu ihm und fagte: Piero, ich wünfche, 
dag unfer fo lange andauernder Streit endlich zur Ent- 
fcheidung komme und daß du Dich überzeugeft, daß ich 
beffee erzählen kann als du. Diefe wadern Männer, 
welche deine Gefchichte gehört haben, werben: fo gebuldig 
fein, auch eine von mir zu hören. Geben fie das Urtheil, 
daß dieſe ergeglicher ift ald die Deine, fo werde ich mich 
fortan ben Meifter nennen; im entgegengefegten alle 
aber werde ich die Meifterfchaft dir zugeftehen. 

Piero erklärte ſich einverftanden, Lioncino ſtrich ſich 
den Bart, trank einen Schluck und fing darauf alſo an: 
Ihr kennt, glaube ich, alle den Bianco Alfani oder habt 
ihr doch oft von ihm gehört. Er ſcheint auf den erſten 
Anblick noch jung, mag aber doch über vierzig Jahre 
auf dem Rücken haben; und wenn man ihm auch fogleich 
anfieht, daß er liftig und boshaft ift, fo paßt doch feine 
‚Lift mehr zu feinem fcheinbaren Alter als zu feinem 
wirklichen, wie ihr erfahren könnt, ehe wir heute aus⸗ 
einandergehen. Er war von Jugend auf bis jegt faft 
immer Auffeher im Schuldgefängniffe*), mo er die armen 
Gefangenen auslöfte und fich dadurch ſchon viel Geld 
erworben bat. Da er aber immer ein lufliger Bruder 
war und bie Frauen gern fah, befonders die jungen, fo 


*) Le stinche in Florenz genannt, Gefängnif für Schuldner oder 
für auf Lebenszeit Verurtheilte. 
. 2* 


98 I. Hundert alte Rovellen. 


bfieb ihm wenig von feinem Erwerb übrig, Und mas er 
mit dem wenigen angefangen, das follt ihr nun hören. 
Voriges Jahr pflegte er oft auf ben Neumarkt zu kom⸗ 
men, und hatte dort des Abends nach dem Effen immer 
einen Kreis von jungen Leuten um ſich, die ihm nad). 
liefen wie die Vögel der Eule, um feine Auffchneidereien 
und Gefchichten zu hören, an welchen fie großes Ge- 
fallen fanden. Als wir nun eines Abends auch einmal 
auf unferm Bäantchen*) faßen, Herr Antonio der Hofnarr, 
Herr Niccold Tinucci**) und ich, war jener Bianco nahe 
bei uns mit feiner Zuhörerfchaft, wie gewöhnlid. Wir 
hörten ihre Gefpräche mit an und fanden allmälig Ver- 
gnügen an feiner Einfalt und an dem, mas jene Jungen 
zu ihm fagten. Wir hatten ihm fo eine Weile zugehört, 
ale Herr Niccod zu uns fagte: Ich will euch einen 
- Spaß mahen. Voriges Jahr war hier ein gewiſſer Gio- 
vanni di Santi von Norcia***) Erecutor, mit dem diefer 
Strohkopf früher einmal, ich weiß nicht in welcher An⸗ 
gelegenheit, in Norcia war und deswegen fo vertraut mit 
ihm wurde, daß ich, der ich genau mit jenem befannt 
bin und ihn in Gefchäften einiger Freunde oft befuchte, 
ihn faft immer, wenn ich hinkam, bei ihm antraf, und - 
Giovanni hatte feine größte Luft an ihm und .ließ ihn 
den Wahnfinnigen fpielen, wie ihr diefen Abend es ihn 
habt ausführen fehen. inftmals hatte ihn Giovanni mit 
irgend einem unbedeutenden Befchäft beauftragt, denn er 
verwandte ihn zu dergleichen Beinen Dingen, und fagte: 
Geh, mein Bianco, und komm gleich wieder mit der 
Antwort, und fei verfichert, ich will, dich noch einmal 
für alle die Mühe entfchädigen, bie ich dir mache, und 
zwar mit etwas, anderm ald mit, Zetteln oder fonftigen. 
Lumpereien. 


) Bei der Loggia de’ Buondelmonti. 
”) Ein Improvifator. 
) Giovanni di Santi de’ Gollattani di Norcia. 


13. Der Hauptmann von Roreia. 29 


Wenn ihr mich auch entfchädigt, antwortete er, ich 
kenne vielleicht die Norciner nicht recht. 

Kenne wen du will! fagte Giovanni. Ich habe, 
da ich fo zu Haufe bin, überlegt, nicht zu ruhen, bis 
ich dich zum Hauptmann von Norcia gemacht habe. 

Hört einmal, das wäre etwas. Und dazu wollte ich 
den Amtsftab nicht fchlechter führen als ihr ben eurigen. 

Gut, das wollen wir bald fehen. 

Nur vorwärts! fagte Bianco und ging fehr heiter 
weg, wohin man ihn gewieſen hatte, 

Ald er weg war, brach ber Erecutor in ein Gelächter 
aus und fagte zu mir: Was dünkt euch, Herr? Der 
Menſch glaubt ficher, er werde unfer Hauptmann, und 
ich weiß nicht, ob man ihn nur als Anführer der Häfcher 
haben wollte. Aber wißt ihr mas? Wenn id) ihn in 
dieſer Hoffnung beſtärke, ſo macht das mir Spaß und er 
beſorgt mir doch meine kleinen Geſchäftchen punktlicher. 

Was ſagt aber ihr dazu, daß ſich dieſem verrückten 
Menſchen die Sache ſo feſt in den Kopf geſetzt hatte, 
daß ich ihn ſpäter nie dort traf, ohne daß er auf das 
Kapitel kam und darüber genoſſen und geneckt wurde 
von allen Leuten im Haufe bis auf die Häͤſcher hinab, 
ohne daß er es je merkte. Sa, zulegt ald Giovanni weg⸗ 
ging und ich ihn bis an das Bad von Ripoli begleitete, 
kam er auch daher und erinnerte ihn beim Abfchieb fehr 
eindringlich daran. Der Freund fagte zu ihm: Sei gutes 
Muths! Ich werde dir mein Verfprechen halten. 

Und fo zählte er darauf fo gewiß wie auf ben Tod 
nad den orten, die er mir, ald wir zufammen zu» 
rücte hrten unterwegs mittheilte. 

Als ich Herrn Niccold angehoͤrt hatte, fing ich an 
zu lachen und ſagte: Mit dieſem Menſchen ließe ſich ein 
herrlicher Spaß anrichten, wenn ed wahr iſt, was ihr 
da gejagt habt. Wenn wir ihm einen Brief ſchicken, 
als käme er von diefem Giovanni di Santi, und worin 
er ihn in dee Sache beftärkt, fo fteigern wir ihn noch 


30 1. Hundert alte Novellen. 


mehr in feiner Narrheit und kriegen hier des Abends 
taufend neue Dinge von ihm zu hören. 

Ganz gewiß, fagte Herr Niccold. 

Hand ans Merk! rief Here Antonio. Der Brief 
ift meine Sache, benn die noreifhe Mundart habe ich 
wol beffer weg als fonft einer von euch. Ihr über- 
nehmt dann die Sorge der Zufendung, Herr! Morgen 
früh follt ihr ihn fertig haben. 

Er hielt Wort,, denn am andern Morgen brachte er 
einen Brief, den jedermann für von einem Norciner 
verfaßt erkannt Hätte. Darin ftand benn wirklich, ein 
Bermandter von ihm fei durchs Loos zum Wahlmann 
des Hauptmanns beftellte worden und er hoffe gewiß, 
feine Wahl durchzufegen; er folle aber noch nicht Davon 
fprehen. Herr Niccolo ließ ihn von einem befreundeten 
Notar abfchreiben und überfandte ihn durch einen ver- 
trauten Eilboten, der eben vom Land fam und ganz 
mit Staub überdedt war, ſodaß man ihm mol anfah, 
daß er von weiter ber fam. Er ging in die Straße 
bel’ Drto hinter San Piero dem Größern, wo jener 
wohnte, fragte nach dem Haufe und es wurde ihm ge 
zeigt. Er fand den Bianco an der Thür, machte ihm 
feine Reverenz und gab ihm ben Brief. Als er ihn 
gelefen hatte, nahm er ganz beglüdt den Boten bei ber 
Hand und führte ihn, er mochte wollen oder nicht, zum 
Abendeffen. Als Bianco ihn nah Giovanni fragte, 
antwortete er ihm, wie er von dem Herrn unterwiefen 
war. Nachdem fie gegeffen hatten, fagte der Bote, er 
wolle bes andern Morgend bei guter Zeit aufbrechen, 
und er könne ihm eine Antwort mitgeben, wenn er wolle. 
Bianco antwortete, gab fie dem Boten und diefer brachte 
fie dem Herrn Niccold, welcher uns befuchte und fie uns 
vorlad, und wir entnahmen Daraus, ‚daß jener der feften 
Hoffnung lebe. Ueberbies, als wir beffelbigen Tages nad) 
dem Schuldgefängniffe gingen, fanden wir, baß er bald 
zu diefem Gefangenen, bald zu jenem, oder auch zu den 





13. Der Hauptmann von Norcia. 31 


dabeiftehenden bei jeder Gelegenheit fagte: Ich komme 
doch noch einmal hinweg aus Ddiefem Spigbubenneft. 
Wahrlich es wird nicht ein Monat umgeben, fo wird 
man fehen, ob ich etwas oder nichts gelte. 

Außerdem machte er noch taufend andere Thorbeiten, 
die uns in unfern Gedanken beftärkten, weshalb wir denn 
die Sache weiter ausfpinnen zu innen glaubten. Wir 
fchrieben von neuem einen Brief gleihfalls im Namen 
des beſagten Giovanni und überſchickten ihn durch den⸗ 
ſelben Boten einige Tage ſpäter. Bianco wurde darin 
benachrichtigt, daß er gewählt ſei und daß er ihm in 
einigen Tagen die Wahlurfunde zufenden werde. Er 
folle aber die Sache volllommen in ber Stille halten, 
bis die Urkunde erfolge. Auf dieſen Brief erhielten wir 
alsbald Antwort, und in einer Weife, dag wir und vor 
nahmen, die Moftification auf bie Spitze zu treiben. 
Darum verfertigte nach einigen Zagen Herr Niccolo eine 
Wahlurkunde nach feinem Geſchmack. Diefe wurde fo- 
fort mit einem großen Stegel, das wir von Ciave borgten, 
gefiegelt und dann in Begleitung eines Briefs, gleichfalls 
im Ramen bes befagten Giovanni, ihm durch den näm- 
Iihen Zaufboten, überfandt mit der Weifung, er folle fi 
am vierundsmwanzigften Juli in Pergola, drei Meilen von 
Norcia, einfinden und nur für Fahnen und ‚NRüftung 
und einiges Zafelmeißzeug forgen; auf alles übrige wolle 
er felbft bedacht fein; vor Allem aber folle er nicht ver- 
geffen einen paffenden Ritter mitzubringen. Als der 
Bote zu ihm kam, zeigte er fich ganz heiter. Der Bote 
zog feinen Hut ab, überreichte den Brief und ſprach: 
Wohl bekomme ed euch, gnädiger Herr! 

‚Bianco las den Brief und war über den Anblid 
der Wahlurkunde fo entzückt, daß er fi nicht zu faffen - 
wußte. Er nahm den Boten mit nach Haufe und ſchenkte 
‚Ihm vierzig. Grofchen, wobei er ihm noch mehr zu geben 
verfprach, fobald er in NRorcia ware. Sodann fchrieb er 
ihm die Antwort und fonnte es kaum erwarten, bis er 


30 I. Hundert alte Movellen. 


mehr in feiner Narrheit und kriegen bier des Abends 
taufend neue Dinge von ihm zu hören. 

Ganz gewiß, fagte Herr Niccold. 

Hand ans Werk! rief Here Antonio. Der Brief 
ift meine Sache, denn die noreifhe Mundart habe ich 
wol beffer weg als fonft einer von euch. Ihr über- 
nehmt dann die Sorge ber Iufendung, Herr! Morgen 
früh follt ihr ihn fertig haben. 

Er hielt Wort, denn am andern Morgen brachte er 
einen Brief, den jedermann für von einem Norciner 
verfaßt erkannt hätte. Darin ftand denn wirklich, ein 
Berwandter von ihn fei durchs Loos zum Wahlmann 
des Hayptmanns beftellt worden und er hoffe gemiß, 
feine Wahl durchzufegen; er folle aber noch nicht davon 
fpreden. Herr Niccolo ließ ihn von einem befreundeten 
Notar abfchreiben und überfandte ihn durch einen ver⸗ 
trauten Eilboten, der eben vom Land Fam und ganz 
mit Staub überdedt war, ſodaß man ihm wol anfah, 
daß er von meiter her kam. Er ging in die Straße 
del’ Drto hinter San Piero dem Größern, wo jener 
wohnte,. fragte nad, dem Haufe und ed wurde ihm ge 
zeigt. Er fand den Bianco an der Thür, machte ihm 
feine Reverenz und gab ihm ben Brief. Als er ihn 
gelefen hatte, nahm er ganz beglüdt den Boten bei der 
Hand und führte ihn, er mochte wollen oder nicht, zum 
Abendeffen. Als Bianco ihn nah Giovanni fragte, 
antwortete er ihm, wie er von dem Herrn unterwiefen 
war. Nachdem fie gegeffen hatten, fagte ber Bote, er 
wolle des andern Morgens bei guter Zeit aufbrechen, 
und er könne ihm eine Antwort mitgeben, wenn er wolle. 
Bianco antwortete, gab fie dem Boten und diefer brachte 
fie dem Herrn Niccold, welcher uns befuchte und fie uns 
vorlas, und wir entnahmen daraus, ‚daß jener ber feſten 
Hoffnung lebe. Weberbies, als wir deffelbigen Tages nach 
dem Schuldgefängniffe gingen, fanden wir, daß er bald 
zu diefem Gefangenen, bald zu jenem, oder auch zu den 


13. Der Hauptmann von Rercia. 31 


dabeiftchenden bei jeder Gelegenheit fagte: Ich komme 
doch noch einmal hinweg aus diefem Spigbubenneft. 
Wahrlich es wird nicht ein Monat umgeben, fo wird 
man fehen, ob ich etwas oder nichts gelte. 

Außerdem machte er noch taufend anbere Thorheiten, 
die uns in unfern Gedanken beftärkten, weshalb wir denn 
die Sache weiter ausfpinnen zu innen glaubten. Wir 
fchrieben von neuem einen Brief gleichfalls im Namen 
. des befagten Giovanni und überſchickten ihn durch den- 
felben Boten einige Tage fpater. Bianco wurde darin 
benachrichtigt, daß er gewählt fei und daß er ihm im 
einigen Tagen die Wahlurfunde zufenden werde. Gr 
folle aber die Sache vollkommen in ber Stille halten, 
bis die Urkunde erfolge. Auf diefen Brief erhielten wir 
alsbald Antwort, und in einer Weife, daß wir uns vor- 
nahmen, die Myſtification auf die Spige zu treiben. 
Darum verfertigte nach einigen Zagen Herr Nictold eine 
Wahlurkunde nad feinem Geſchmack. Diefe wurbe fo- 
fort mit einem großen Siegel, das wir von Ciave borgten, 
gefiegelt und dann in Begleitung eines Briefs, gleichfalls 
im Ramen des befagten Giovanni, ihm durch den näm- 
Iihen Laufboten überfandt mit der Weifung, er folle ſich 
am vierundzwanzigften Juli in Pergola, drei Meilen von 
Norcia, einfinden und nur für Fahnen und Rüſtung 
und einiges Tafelweißzeug forgen; auf alles übrige wolle 
er felbft bedacht fein; vor Allem aber folle er nicht ver- 
geſſen einen paffenden Ritter mitzubringen. Als der 
Bote zu ihm kam, zeigte er fi) ganz heiter. Der Bote 
zog feinen Hut ab, überreichte den Brief und fpradh: 
Wohl befomme ed euch, gnädiger Herr! 

‚Bianco las den Brief und war über den Anblid 
ber Wahlurfunde fo entzückt, daß er ſich nicht zu faflen - 
wußte. Er nahm den Boten mit nad, Haufe und fchenkte 
ihm vierzig. Groſchen, wobei er ihm noch mehr zu geben 
verfprach, fobald er in Norcia ware. Sodann fchrieb er 
ibm die Antwort und konnte es kaum erwarten, bis er 


32 1. Hundert alte Novellen. 


auf den Neumarkt kam. Sobald er zu Abend gegeffen 
hatte, ging er. bahin, machte fi zu einer Geſellſchaft, 
welche in unſerer Naͤhe war, und unterbrach ihre Unter⸗ 
haltung mit den Worten: Run, glaubt ihr jetzt, daß man 
ben Bianco kennt, oder meint ihr, er gelte nichts? 

Man drehte fih nach ihm um und fragte ihn: Wie? 
Was gibt es Neues, Bianco? Mas bedeuten biefe 
Reben? 

Er antwortete, feine Wahlurkunde in der Hand hal⸗ 
tend: Wenn dieſer Brief nicht lügt, fo werde ich bald 
ſehen, ob ich nicht einen Herrfcherftab fo gut führen werde 
ale ihr da. 

Endlich fagte er ihnen, wie er zum Hauptmann von 
Norcia erwählt fei, und begann großzufprechen, fie aber 
ihn zu ärgern, daß ed ein wahres Feſt war. Nachdem. 
er eine Weile bei ihnen geblieben, fahen wir ihn auf 
uns zukommen, und er fagte, zu Herrn Niccold ge« 
wendet: Unfer Giovanni ift doch ein Ehrenmann, benn 
er hat, was er mir in eurem Beiſein verſprochen, voll. 
Rinne und ohne allzu lang warten zu laffen mir erwirft. 

Er hielt das Papier in der Hand und fagte: Da 
haben wir die -Sefchichte. 

Welche Geſchichte? fragte Herr Niecolo. 

Nun, fagte Bianco, die Wahl zur Hauptmannfchaft 
von Norcia. 

Auf Ehre? 

Auf meine Ehre. Und wenn ihr mir nicht glaubt, 
ſo leſt ſelbſt. 

Herr Niccold las und ſagte dann: Es iſt ſo. Er 
hat Recht. Jetzt ſorge nur für eines, Bianco, daß du 
dem auch Ehre machſt, der dir ſolche Ehre erweiſt. 

Und dabei ermunterten ihn alle, nur recht anftändig 
binzufommen. Sodann nad, vielen andern Gefprächen 
trennten wir und; er ging nach Haufe, mir aber machten 
unferer Freude Luft, benn wir hatten uns kaum enthalten 
fönnen zu lachen. Am folgenden Morgen nun ging 


⸗ 13. Der Hauptmann von Norcia. | 33 


unfer Bianco mit feiner Urkunde in der Hand (denn 
obne diefelbe, meinte er, würde man ihm nicht glauben) 
in ganz Florenz umher und rief fein neues Amt aus, 
auf das er nicht hätte gehen follen. So ging es mehre 
Tage fort, und ob er gleich die Urkunde Hatte, fo 
war doch die Zahl derer, die ihm nicht glaubten, größer, 
als die der andern. Als man aber ſah, daß er die 
Bahnen machen ließ und Pferde kaufte, gab es doch viele, 
welche anfingen, ibm Glauben zu fchenten, fo fehr fie 
fi) auch über die Sache munderten. Nun begab es fich, 
als er das baare Geld, das er hatte, ausgegeben und er 
noch mehr brauchte, daß er in Verlegenheit zu kommen 
fhien. Da fiel ihm aber ein, daß Herr Martino, ‚da- 
mals Notar der Neformationen, ihn fehon mehrmals mit 
dem Gefuch angegangen hatte, ihm ein Stüd Landes zu 
verkaufen, melches er hinter der Kirche des heiligen Marcus 
befaß und womit der Notar eine ihm zugehörige Kapelle 
in der genannten Kirche befchenten wollte. Bianco hatte 
bisher nie eingewilligt, nun aber dachte er, dieſes Mittel 
fönne ihm die nöthige Hilfe verfchaffen. Er fuchte daher 
fogleih den befagten Herrn Martino auf und fagte zu 
ihm alfo: Ihr Habt von mir mein Stud Land bei Sanct- 
Marcus Eaufen wollen. Ich mochte mir nicht die Mühe 
geben, den Kauf abzufchliefen, da wir gerade unfere böfe 
Zeit hatten, und deswegen habe ich bis jegt meine Zu⸗ 
flimmung nicht gegeben. Nun aber kommt mir etwas 
dazwiſchen. 

Dabei erzählte er ihm alles und ſagte: Wollt ihr, 
ſo ſetzt ihr ſelber den Preis feſt! Denn ich will nun 
lieber, ſo ungern ich daran gehe, mein Eigenthum ver⸗ 
kaufen und dem Ehre machen, der mich ſo zu Ehren 
bringt. Wenn ich wieder zurückkomme, ſo habe ich 
ohnedem Geld im Ueberfluß und ich kaufe mir von meinen 
Zinſen Güter, die mehr werth ſind als dieſes Stück. 

Als Herr Martino ſolches hörte, wünſchte er ihm 
Glück und ſagte: Man ſieht dir wol an, Bianco, daß 
2*84 


34 | I. Hundert alte Rovellen. 


du aus dem Haufe der Alfani fiammft und daß dein 
Sinn dem deiner Vorältern gleiht. Du thuft fehr wohl 
daran, dich ehrenhaft auszuflatten, um dort anftändig 
aufzutreten. Und damit dir nichts fehle, bin ich zufrieden, 
deinen Willen zu erfüllen, und made du nur felbft den 
Anſchlag! 

Kurz ſie wurden ohne große Schwierigkeit, da Herr 
Martino ein geſcheiter und rechtfchaffener Mann war, 
auf einen ganz billigen Kaufpreis Handels einig. Es 
ward noch an bemfelben Tag eine Anmeifung aufgefegt 
auf die Bank des Eſau Martellini, mo er ihm das Geld 
auszahlen ließ, und fobald Bianco diefes hatte, brachte 
er alles, was ihm noch fehlte, in Ordnung. Als nun 
die Zeit zum Aufzug herannahte, nahm er einen Richter, 
einen Ritter und einen Notar, die er nach Angabe der 
Wahlacte mitzubringen hatte, ingleichem Diener und Ebel 
Inaben. Einige Tage vor der Abreife ging er durd) ganz 
Florenz mit feiner Dienerfchaft hinter fi her, nahm Ab- 
fhied von allen feinen Freunden und Bekannten und ver- 
fprad) allen, er wolle fich fo brav halten, daß dieſes Amt 
nicht das legte fein werde. Als nun der Tag der Ab- 
reife endlich gelommen war, ſchritten die Häfcher zu Fuß 
vorauf, dann kam er felbft mit feiner übrigen Diener- 
fhaft, im Ganzen acht Berittene, und fo fchlug er den 
Weg gegen Arezzo ein. Dort. angelangt befuchte er den 
Hauptmann und den Schultheifen. Das gleiche that er 
zu Gaftiglione, zu Tortona und zu Perugia bei den Flo- 
rentinern, die fich dafelbft befanden. Als biefe ihn fo 
ftattlih aufziehen fahen und hörten, wo er binwolle, 
mwunberten fie fich fehr, zumal, ba fie ihn kannten. 
Doch wurde ihm von allen aus Rückſicht auf feine 
Vaterſtadt viel Ehre erwiefen. Er ſchied von Perugia 
. und ritt nach Pergola, mo er gerade am vierundzwan⸗ 
zigften, wie man ihm gefchrieben hatte, ankam und vom 
Wirthe freudig und gefällig aufgenommen wurde, wie 
ed fo Wirthsfitte iſt. Bianco flieg ab und brachte feine 


13. Der Hauptmann von Norcia. 35 


Geraͤthſchaften in Ordnung, und da ihn der Wirth fo 
gut ausgeftatter fah, fagte er zu ihm: Edler Herr, 
wenn ed erlaubt ift, zu fragen, wohin geht ihr ale 
Regent? 

Wie? Wohin ich gehe? entgegnete Bianco. Ic, bin 
der Hauptmann von Norcia. 

Der Wirth war ganz betroffen, befann fi ch ein wenig 
und ſagte dann: Habt ihr mich zum Narren? Der Haupt- 
mann bat fein Amt angetreten vor noch nicht vierzehn 
Tagen; es ift ein waderer Römer. 

Geh mir, guter Freund! Geh! fagte Bianco. Du 
willft wol fagen der Schultheiß, denn der Hauptmann 
bin ich; und wenn bu doch darüber im Zweifel biſt, ſo 
lies hier! 

Damit zog er die Wahlurkunde aus dem Bufen und 
gab fie ihm in die Hand. Der Wirth, welcher etwas 
lefen Eonnte, verftand den Inhalt, kam faft auf den 
Gedanken, er babe geirrt, zuckte die Achfeln und fagte: 
Gewiß ich bin diefen Abend nicht vecht bei Sinnen. 

Er brach das Geſpräch ab, fo gut er konnte, und 
ordnete das Nachteffen an. Bianco aber wandte fi) an 
feine Beamte und fagte: Unfer Wirth ift fein großer 
Gedaͤchtnißkünſtler, da er den Schultheiß und den Haupt⸗ 
mann untereinander mengt. 

Sobald fie aber angefangen hatten zu fpeifen, und 
der Wirth dachte, es fei nun alles im Gang, überließ 
er die Bedienung der Gäfte einem Neffen und feinen 
Dienern, beftieg eine Stute und ritt wirklich nach Norcia. 
Dort fuchte er einen Gevatter auf und fagte: Gevatter, 
diefen‘ Abend ift mir ber feltfamfte Fall von der Welt 
begegnet. 

Und er erzählte ihm alles. Sein Gevatter aber hub 
an zu lachen und fagte zu ihm: Ich weiß nicht, wer 
von und ſchwanger ift, aber das: weiß ich, daß du ein 
dummes Vieh biſt. Weißt du nicht, daß der Haupt 
mann am achten dies eingezogen ift? Der Schultheit 





36 J. Hundert alte Novellen. 


aber bat vor noch nicht drei Monaten fein Amt ange 
treten. Entweder führt di bein Gaft am Narrenfeil 
ober ift er felbft ein Narr. 

Wie Teufeld aber, fagte der Wirth, er hat mir ja 
die Wahlurkunde gezeigt! 

Unter folhem SHinundwiderreden Fam er auf ben 


Marktplag, mo das Gefpräc fortgefegt wurde. Sie ger 
fellten fich zu noch einigen andern Städtern, von welchen 


bie einen darüber Poſſen riffen, die andern fich vermun- 
derten. Indeß foderten ihn einige auf, den Stabtvor- 
ftehern die Sache anzuzeigen, und fo ging er, von ein 
paar andern begleitet, dahin. Als diefe den Vorfall 
vernommen hatten und fich nicht vorftellen fonnten, was 
das bedeute, befchloffen fie, ihren Geheimfchreiber zu ihm 
zu ſchicken, um zu hören, mas an ber Sache fei. Der 
Schreiber machte ſich mit dem Wirthe auf den Weg, 
fprach mit ihm verfchiedened über dieſe Angelegenheit und 
fo gelangten fie endlih an bie Herberge, als es fchon 
ziemlich fpät war. Bei ihrer Ankunft ließ der Wirth 
zwei Fadeln anzünden und meldete dem Bianco, daß 
der Rathsſchreiber von Norcia gekommen fei, ihn zu be 
fuchen. Bianco hatte nichts vom Weggehen bes Wirths 
gehört und glaubte ficher, jener fomme, um ihm als dem 
Hauptmann aufzuwarten. Er ging ihm daher entgegen, 
fie zogen voreinander die Hüte und nahmen fich bei der 
Hand. Da wandte ſich Bianco zu dem Wirthe und 


fagte lachend: Nun, was fagft du, Wirth Iegt ſiehſt 


du, wie genau du bir gemerkt haft, wie lange es ift, 


- feit der Hauptmann feinen Einzug gehalten. 


Der Wirth antwortete: Ihr habt: Recht; aber ihr 
werdet bald in noch größern Zweifel gerathen als ich. 


Als der Nathefchreiber dies hörte, wäre er gern in’ 


Lachen ausgebrochen. Er war aber befonnen genug, an 
fih zu halten, wandte ſich zu ihm und begann alfo gu 
fprehen: Edler Herr, meine Gebieter haben von eurer 
Ankunft gehört, und wie ihr erklärt, ihr wollet ale 








13. Der Hauptmann von Norcia. 37 


Hauptmann von Nortia euren Einzug halten. Darob 
find fie über die Maßen verwundert, fintemal und all- 
dieweilen am achten laufenden Monats der Hauptmann 
von Norcia fein Amt angetreten hat. Sie ſchicken mich 
derohalb zu euch, um zu erfahren, was dies bedeute und 
welche Urfache euch zu folchen Außerungen bewegt. 

Ald Bianco diefe Worte hörte, war er wie vom 
Donner gerührt und fchien eher todt als lebendig. Er 
fonnte kaum die Lippen bewegen und fagen: Habt ihr 
mehr ald einen Hauptmann? 

Nein, bei Gott, antwortete der Rathefchreiber. Darauf 
befann er fich eine Weile, und da es ihm fohien, man 
babe ihn zum beften, und er der Meinung war, es 
könne dies von feiner andern Seite, ald von Norcia 
ausgehen, verwandelte fich fein Schmerz in Zorn, mit 
hochrothem Geſicht zog er feine" Wahlurfunde aus dem 
Bufen und ſprach mit giftigem Tone: Wahrlich, wahrlich, 
wenn dies mir nicht Tügt, fo werde ich Hauptmann von 
Norcia werden; und wenn mir Unbild widerfährt, fo 
gehöre ich einem Lande an, das mich nicht hilflos laffen 
wird. | 

Er gerieth vollends ganz in Wuth und rief: Meint 
ihr etwa, ihr habt es mit einem rohen Bergvolk zu thun? 
Ihr werdet ſehen, daß die Bürger von Florenz aus einem 
andern Stoff gemacht find als die Bergvolker. Wir 
haben dem Herzog von Mailand den Eigenfinn vertrieben 
und ganz andern Leuten, bie um ein gutes Stück ge- 
waltiger ausfehen als die Norciner. Glaubt nur nicht, 
wenn ihr mid habt hierher kommen laffen, und ihr 
nachher das Amt einem andern gegeben habt, ich werde 
das fo hinnehmen! Oder wenn ich nicht zur Zeit ge 
fommen wäre, was zum Zeufel hätten fie gemacht! 

Außerdem fprach er noch taufend andere Tchorheiten, 
weiche zu erzählen viel zu weitläufig wäre. Am Ende 
fagte er zum Rathöfchreiber, welcher die Urkunde zu fehen 
begehrte: Geht, geht! Morgen früh komme ich zu euren 


38 I. Hundert alte Rovellen. 


Herren und dann will ich's ihnen zeigen und wir wollen 
ſehen, was fie dagegen vorzubringen Luft haben. 

Als der Rathöfchreiber ihn fo fprechen hörte, hielt 
er den Mann für eine ganz neue Art von Wahnfinnigen 
und nahm, ohne fi) mit ihm auf viele Weiterungen 
einzulaffen, von ibm Abfchied. Der Wirth begleitete 
ihn und fo kehrte er nad) der Stadt zurüd und berich- 
tete dem Rath, wie die Sache abgelaufen fei. Sie wun⸗ 
derten fich, wußten ſich aber gar nicht vorzuftellen, was 
das fein folle, und fprachen: Der nächſte Morgen wird 
ed lehren und uns Auffchluß verfchaffen über die Ab- 
ſichten diefes Menfchen. | 

Bianco blieb mit feinen Beamten zurüd, fie prüften 
bin und ber die Wahlurkunde und die Worte, die fie 
gehört hatten, wußten fi aber die Sache nicht anders 
zu erklären, als daß die Norciner vom Papſt oder von 
irgend einem andern Fürften gezwungen worden feien, 
nachdem fie ihm die Wahlurfunde bereits überfandt hatten, 
die Wahl auf einen andern zu lenken. Am Ende, ale 
es fchon ſehr fpat war, gingen alle fchlafen. Bianco 
aber Eonnte Die ganze Nacht über kein Auge zuthun, 
vielmehr dachte er unaufbhörli über die Sache nad, 
und Fonnte kaum erwarten, bis es Tag wurde, um zu 
erfahren, ob er Hauptmann fei oder nicht, und ber Tag 
war nicht fo bald erfchienen, als er ſchon aufſtand, mit 
feinem Gefolge zu Pferde ſaß und in die Stadt ritt. 
Die Neuigkeit hatte ſich ſchon allenthalben verbreitet und 
alles Tief auf den Straßen umher, um den neuen Haupt- 
mann zu fehen, welcher aus Beihämung nicht wußte, 
wohin die Augen wenden, und mit gefenttem Haupt 
einherzog, ale wäre ihm fein Weib ind Feuer gefallen. 
Am Haufe der Stabtvorfteher angelangt, flieg er ab, 
trat hinein und ließ ihnen melden, er fei angefommen. 
Sie traten fogleih im Rathsſaal zufammen, liefen ihn 
hereinrufen und luden ihn ein, ſich neben ihnen nieder- 
zulaffen. So blieb er eine Weile, dann erhob er ſich 


13. Der Hauptmann von Norcia. 39 


und fing gemäß ber unterwegs mit feinem Richter ge 
pflogenen Verabredung alfo zu fprechen an: Ihr Herren, 
ed find etwa drei Monate, daß Giovanni di Santo, 
welcher voriges Jahr unfer Erecutor war, mir fchrieb, 
er wolle mid zu eurem Hauptmann ermwählen laflen, 
bald darauf wieder, er habe meine Wahl bereits durch⸗ 
gefegt, und endlich fchickte ex mir die Wahlurkunde, welche 
‚ich bier habe. Vom Wunſche befeelt, eurem Rathe ge- 
fällig zu fein und Ehre zu gewinnen, wie ftetd meine 
Borfahren folhe zu befigen gepflogen, entfchloß ich mich 
herzufommen und euch zu dienen; ich habe mic, deshalb 
auf die meinem Amte der mir überſchickten Wahlurkunde 
zufolge zutommende Weiſe ausgeftattet, und bin hierher 
gereift mit dem Gefolge, das ihr bier feht, und nicht ohne 
große Unkoften, denn ich habe über zweihundert Gold» 
gulden dafür ausgegeben. Geftern Abend nun hörte ich 
zuerft vom Wirthe und dann von eurem Schreiber, daß 
ihr fchon vor vierzehn Tagen da8 Amt einem andern 
gegeben habt, Morüber ich verwundert und betrübt bin,. 
fo jehr unter ſolchen Umftänden zu erwarten ift, denn 
das ift doch mol nicht die Treue, bie einer Gemeinde 
wie die eurige anfteht, noch hat folches die Liebe ver- 
dient, welche beftändig zwifchen den Florentinern und 
euh flattgefunden. Auch follt ihr nicht glauben, 
euren Hohn über einen der geringflen ausgefchüttet zu 
haben, denn das Haus der Alfani gehört, ohne ben 
andern zu nahe zu treten, zu den größten und älteften 
unjerer Stadt, darum werdet ihr euch folcher an mir 
verübten Unbild fammt ber Schande und dem Schaden 
nicht berühmen. Wollte ihr jedoch Vorkehrung treffen, 
dag meiner Ehre Fein Eintrag gefchähe und ich meine 
Ausgaben nicht verlöre, fo wollte ich in Abficht auf das 
bereit8 Gefchehene mic, beruhigen. Laßt ed euch darum 
genehm fein, auf eure und auf meine Ehre Bebacht zu 
haben! 

Nachdem er died gefprochen, behändigte er dem Vor⸗ 


- 


40 I. Hundert alte Novellen. 


figer die Wahlurfunde und fagte: Dies ift es, was mid) 
fo zu fprechen veranlaßt. 

Der Vorſtand, als er fah, daß Bianco ausgeredet 
hatte,. fagte zu ihm:. Edler Herr, feid fo gefällig, eine 
Meile draußen zu warten! Wir wollen uns bier unter 
uns berathen und euch alddann antworten. . 

Bianco zog fich in einen Vorſaal bes Rathszimmers 
zurück und fagte dort zu feinem Richter: Ich münfchte 
nur, ihr hättet mich gehört; denn ich verfichere euch, ich 
habe es ihnen auf eine Art gefagt, daß ich unmöglich 
glauben kann, fie werden nicht fo oder anders auf ihre 
Ehre und damit zugleih auf die meinige bedacht fein. 
Ich habe recht wohl bemerkt, daß fie ihr Unrecht einfehen, 
und es "war feiner unter ihnen, der vor Scham magte, 
mir ins Geficht zu blicken. 

Die Vorfteher gingen zu Rathe und ließen die Wahl» - 
urkunde vorlefen, bemerften aber, daß fie nicht von ber 
Hand ihres Rathsſchreibers und durchaus gegen die bei 
der Wahl ihres Hauptmanns herfömmlihe Form ange- 
fertigt war, infofern einmal mehr Befoldung und mehr 
Dienerfchaft und ein Richter in Anfprudy genommen 
wurde, ben der Hauptmann nicht mitzubringen hatte; 
auch war die Urkunde nicht mit ihrem Siegel gefiegelt, 
und fo ergab fich denn alsbald, dag man mit dem Manne 
blos einen Scherz gefpielt habe. Nachdem fie daher eine 
Meile darüber gelacht hatten, ließen fie ihn wieder herein- 
rufen, und fobald er fich niedergefegt hatte, begann einer 
von ihnen im Auftrage der andern alfo: Edler Herr, 
der Rath fühlt fich durch das von euch gehörte Anbringen 
und durch die Einficht diefer von euch vorgelegten Ur⸗ 
funde zur Verwunderung und zum Bedauern mit euch 
bewogen. Wir wundern uns, denn wir können und nicht 
vorfiellen, wie man euch einen folchen gemwaltigen Spuf 
gefpielt hat und daß ihr in fo langer Zeit nicht darauf 
gefommen feid, denn weder feid ihr jemals zu dieſem 
Amte erwählt worden, noch, ift diefe Wahlurktunde bier 








13. Der Hauptmann von Norcia. 4 


ausgefertigt, noch mit unferm Siegel verfehen, noch ift 
fie auch nur in der Form ber Urkunden gehalten, wie 
fie bei Ermählung zu einem folchen Amte gewöhnlich find. 
Wir haben Bedauern mit euch, dba wir aus den von 
euch gehörten Worten und aus eurem Anbli euch für 
einen wadern Mann halten zu müffen glauben; eben 
darum bedauern wir auch die Kränkung eurer Ehre und 
den großen Schaden, in ben ihr, wie wir fehen, euch 
durch die Sache verfegt habt. Wir wünſchten in ber 
Lage zu fen, euch in diefer doppelten Binficht genügen 
zu können, fowohl in Betracht eurer ‚Perfon ale aus 
Rückſicht auf eure Vaterftadt, für die wir wie für jeden 
ihrer ‚Bürger befondere Wohlgeneigtheit hegen. ber 
alle Ämter, welche wir zu vergeben haben, find gegen: 
wärtig befegt, auch nicht eine Stelle ift dermalen frei. Wir 
ſehen daher Feine Möglichkeit, euch in irgend einer Weiſe 
unterſtützen zu können. Das einzige, was wir für euch 
haben, iſt daß wir unſern Schmerz über dieſen Vorfall 
mit dem eurigen vereinen. Schließlich aber müſſen wir 
euch auffodern, um eurer eigenen Ehre willen zurück⸗ 
zukehren, fo ſchnell ihr könnt; denn je länger ihr bier 
euch aufhaltet,. befto mehr müßte eure Schande wachen. 
Hiermit fchloß er. Bianco aber, als er diefe feinen 
Ermartungen fo fehr entgegengefegte Antwort gehört hatte, 
war vom Schmerz ganz überwältigt und Zonnte einige 
Zeit Feine Sylbe vorbringen. Endlich aber fagte er mit 
Zhränen in den Augen: Ihr Herren, das alles kann mir 
niemand anders angethan haben, als der Verräther Gio- 
vanni di Santo, der mir auf folhe Art die Dienfte 
gelohnt hat, die ich ihm in Florenz erwiefen. Ich habe 
bier feine eigenhändigen Briefe. Habt menigftens_ bie 
Güte, nad ihm zu fenden und mir von ihm Entfchä- 
digung für meine Verluſte zu verſchaffen, denn für die 
Schmach, die er mir angethan, will ich ſchon ſelbſt 
Genugthuung erhalten, wenn Gott mir und meinen 
Brüdern das Leben ſchenkt, geh es wie es wolle! 


4 I. Hundert alte Rovellen. 


Wenn ed wahr ift, daß er die Schuld trägt, ant- 
worteten die Rathöherren, fo werden wir ihn veranlaffen, 
dir deinen Schaden zu erfegen, und überdies wollen wir 
ihn für fein Vergehen fo beftrafen, daß dir wenig Rache 
mehr übrig bleiben wird. 

Wirklich ſchickten fie nach ihm, und er fam gleich 
darauf, denn er fand bei den andern Leuten auf dem 
Plage, um zu fehen, mer benn der neue Hauptmann fei. 
Als er aber beim Eintreten in den Rathöfaal den Bianco 
ſah, war er fehr verwundert. Einer der Herren erzählte 
ihm mit firengen Worten im Namen ber andern die 
Deranlaffung, aus ber man nad ihm geſchickt, und 
fragte ihn, welch ein Grund oder Anmaßung ihn be= 
wege, den wadern Mann in Schande und Schmach zu 
bringen, und noch dazu die Obrigkeit mit ind Spiel 
au mifhen. Als Giovanni diefes hörte, verwunderte er 
fi noch mehr und fagte: Gnädige Herren, allerdings, 
als ich Erecutor von Florenz war, erwies mir der bier 
anweſende Bianco viele Dienfte, fodaß ich ihm verfprach, 
ihm nach meinem DBermögen zu diefem Amte zu verhelfen, 
und in der That halte ich mich, ihm fo fehr verpflichtet, 
und feine Verdienſte find der Urt, daß ich, wenn das 
8008 die Wahl auf einen gelenkt hätte, von dem ich hätte 
glauben dürfen, er werde mir gefällig fein, fo hätte ich 
es auch gern gethan. Aber von dem meitern Berlauf 
habe ich nie das Mindefte gehört, und wenn ihr. findet, 
daß ich je etwas davon gehört habe, fo laßt mir den 
Kopf abſchlagen! 

Als Bianco dies hörte, zog er die Briefe aus dem 
Bufen und fagte: Da feht, ihr Herren, mit welder 
Stirn der Mann leugnet! Laßt ihn diefe Briefe lefen 
und erforfcht, ob fie von feiner Hand find! 

Die Rathsherren liefen die Briefe Iefen, Giovanni 
aber erklärte, fie feien nicht von feiner Hand. Darum 
wurde er nad, vielem Hinundherreden zwifchen ihm, dem 
Rathe und Bianco entlaffen. Die Rathsherren wollten 





13. Der Hauptmann von Norcia. 45 


Bianco einigermaßen bezeugen, baf es ihnen leid um 
ihn thue, und verorbneten, daß ber Wirth von der Ge- 
meinde zufriedengeftellt werde und ihm nichts abnehme. 
So machte füh denn Bianco in einer Stimmung, bie 
fih jeder von euch leicht vorftellen kann, nach der Her- 
berge auf den Weg; Giovanni begleitete ihn, und in 
der ganzen Stabt wies man ihn mit Fingern und eines 
zeigte ihn dem andern wie ein Wunderthier. Giovanni 
war mit ihm fehr betrübt uber den Vorfall und fügte 
bei, daß in Betracht deffen, was gefchehen fei, er nun 
feine Möglichkeit vorausfehe, ihm erhalten zu tönnen, 
was er ihm. verfprocdhen babe. Im Wirthshaus ange 
langt beſchloß Bianco, da ed noch früh am Tage war, 
fogleich abzureifen; er nahm von Giovanni Abſchied und 
fhlug den Rückweg gegen Perugia ein. Er ritt gamı 
allein voraus; der Michter aber, welcher aus dem Gebiet 
von Perugia war, der Ritter und der Notar fingen an 
miteinander zu fprechen und fagten: Der bat uns mit- 
genommen und uns um unfere Pläge gebracht. Wenn 
er der Narr im Spiele geweſen ift, follen mir auch 
darunter leiden ? 

Sie verabrebeten unter fich, mas fie zu thun haben, 
und ließen, obne viel Worte mit ihm zu machen, fobald 
fie in Perugia waren, auf feine Pferde, fein Zelleifen 
und feine fümmtliche Habfeligkeit Befchlag legen. Als 
Bianco dies fah, überhäufte er fie mit Bitten, aber 
umfonft. Endlich aber, ale er fah, daß es fchlecht aus⸗ 
fehe und daß er ihnen nachgeben müffe, verkaufte er bort 
drei Roſſe, welche ihm gehörten, und die Rüftung, ja 
feine Kleider vom Leibe, obgleich er nur die Hälfte oder 
no weniger von dem, was fie ihn gefoftet hatten, 
daraus löfte; denn da er genöthigt war, die Sachen 
loszufchlagen, wurde er übers Dhr gehauen und er gab 
fie dem nächſten beften bin. So blieb ihm von allem, 
was er mitgebracht hatte, nur .noch bie Fahne mit fei« 
nem Wappen übrig; er nahm jie von der Lanze, widelte 


44 L Hundert alte Rovellen. \ 
fie in ein ärmliches zerlumptes Tuch und machte ſich mit 
diefer Laft auf dem Rüden zu Fuß nad Arezzo auf den 
Weg und ging fofort von Arezzo in das Cafentinifche nad 
Drtignano, wo er einige Verwandte hatte. Er fchämte 
fih nah Florenz zurückzukehren und blieb deshalb dort 
viele Wochen im Schmerz über fein Misgefhid und ohne 
zu wiſſen noch ſich vorftellen zu können, wer ihm das 
angethan habe. Da ihn jedoch der Wunfch, diefen auf: 
zufinden, unaufhörlich ftachelte, befchloß er endlich, nad) 
Florenz heimzugehen, und er that ed auch. Wie er zu 
Haufe anlangte, wunderten fich feine Brüder, bie ihn fo 
zu Zuß und unfceinbar ausgerüftet fahen, und fragten 
ihn, was das bedeute. Er erzählte ihnen alles ausführlich 
und fchloß mit den Worten: Meine Brüder, ihr müßt 
mir beiftehen, mich zu rächen. 

Sie waren ebenfo gefinnt wie er und ſchwuren alle 
dem den Tod, ber ihnen dieſen Schimpf angethan. 
Bianco hielt fi) einige Tage zu Haufe ober doch in 
der Nähe, bis er magte, ſich in der Stadt zu zeigen. 
Als er ſich jedoch bald gezwungen fah, auszugehen, 
ſchritt er ganz verbugt und mit geſenkten Augen durch 
bie Straßen. Und wenn ihn feine Freunde ober Be- 
kannte aufzogen und fragten, ob er fein Amt fo bald 
fhon abgewälzt babe, antwortete er mit ſchamglühendem 
Geſicht, er habe es aus guten Gründen nicht angetreten, 
fei vielmehr im Gafentinifchen gewefen bei feinen Ver⸗ 
wandten. Dann that er, ald habe er viel zu thun, und 
brach die Unterrebung fo fchnell als möglih ab. Durch 
die Leute aber, bie von Norcia und von Perugia famen, 
hörte man allmälig, welchen Ausgang die Sache ge 
nommen hatte, fodaß in kurzem die ganze Stadt ba- 
von voll war und ihn jedermann zum Erbarmen qualte, 
wie ihr alle fehen und hören könnt. Mer e8 ihm aber 
am ärgften machte, dad maren ein paar Handwerksleute, 
denen er fihuldig war, und welche gehofft hatten, von 
feinem Dienfteintommen bezahlt zu werden. Nun aber 








13. Der Hauptmann von Norcia. 45 


fingen fie an, ihn: zu drangen, und verlangten nun 
durhaus ihre Befriedigung. In ber Verlegenheit, mas 
zu beginnen fei, da er fein Stud Land an Herrn Mar: 
tino verkauft hatte, veräußerte er an ihn auch zmei Beine 
Häufer, die er in der. Strafe San Gallo befaß und 
welche ihm berfelbe Herr Martino eigentlih nur aus 
Gefaͤlligkeit und Mitleid für ihn abnahm, wobei ex ihn 
ermahnte, nachdem ihm Bianco bie ganze Angelegenheit 
mitgetheilt hatte, nicht mehr davon zu fprechen, noch 
weitere Nachforfchungen anzuftellen, ba er, jemehr er bie 
Sache berübre, um fo mehr fich lächerlich made; er 
fuchte ihn auch in der Anficht zu beftärken, die Täufchung 


könne von nirgend anders herfommen, als von bem Schuld» " 


gefängniß, und das war denn auch die allgemeinfte An» 


fiht von der Sache. Sobald er nun das Geld erhalten 
hatte, befolgte ‘er den Rath des Herrn Martino und 
befriedigte, ohne weiter nachzuforfchen, feine Schuldner, 
und da er nicht fürder Hoffnung haben konnte, irgendwo 
als Regent unterzutommen, hängte er bie ihm übrig- 
gebliebene Fahne in San Marco über dem Grabe feines 
Daterd auf, der wenige Jahre zuvor geftorben war. 
Dann fehrte er in das Gefängnif zu feinem frühern 
Berufe zurüd, War er fchon früher gegen die Gefan- 
genen ſtreng geweſen, fo wurde er nun, da er fi) von 
ihnen gekraͤnkt glaubte und nicht näher mußte von wen, 
vollends unerbittlih, umd machte ſichs zur Aufgabe, um 
den rechten nicht zu verfehlen, allen miteinander fo viel 
Unluft ale möglich zu bereiten. Die Gefangenen rath- 
fchlagten daher oftmals miteinander und mußten nicht, 
wie der Sache abzuhelfen fei, bis Lodovico da Marradi, 
ein, wie ihre wißt, fehr verfchlagener Mann, endlich zu 
ihnen fagte: Da wir ihn auf keine Weiſe milder gegen 
und machen fünnen, und ba er doch.darauf bleibt, wir 
feien die, die ihn nach Norcia geſchickt Haben, ohne fich, 
durch irgend eine bisher gefchehene oder noch zu gefche- 
bende Entfehuldigung von biefer Anficht abbringen zu 


46 I. Hundert alte Rovellen. 


laffen, da er im Gegentheil es täglich fich fefter in den 
Kopf fegt und ed uns büßen läßt, und da uns einmal 
unfer Unftern an diefen böfen Ort geführt hat, wo mir 
feiner ſchlimmen Laune ausgefegt find, ohne uns Dagegen 
mehren zu können, fo wollen wir wenigftend eines thun, 
um in ſolcher Erniedrigung einigermaßen bie Süßigkeit 
der Rache zu ſchmecken, die nach meiner Anficht fonft 
alle Süßigkeiten von der Welt übertriff. Wir wollen 
den Mann beim MWeinzoll anzeigen, weil er, da er als 
Hauptmann nach Norcia ging, bie Taxe nicht bezahlt hat. 
Das wird zur Folge haben, daß die Zollbeamten, um 
einen Spaß mit ihm zu haben, nad ihm fenden und 
ihn aufziehen, worüber er fich halb zu Tod ärgert, und 
dann haben wir ihn doch, fo lang er dort ift, nicht auf 
dem Hals. Und: wenn er auch darauf kommt, daß wir 
ed geweſen find, fchlimmer, als er ed uns jegt mad, - 
kann er ed und doch nicht machen; und am Ende wer 
guten Krieg führt, kriegt guten Frieden. 

Alle waren damit einverfianden, Lodovico fegte eine 
Klage auf und fie ſchickten diefelbe durch einen Freund 
- auf das Zollamt. Sobald die Beamten die Sache er- 
fuhren, fchidten fie mit großem Gelächter nah ihm aus. 
Sobald er kam, nahm einer im Namen aller das Wort 
und fagte: Bianco, man hat uns zur Anzeige gebracht, 
daß bu ald Hauptmann von Norcia von bier wegge- 
gangen feift, ohne die Zare zu bezahlen. Du mußt fie 
alfo bezahlen und bift zur Strafe den beppelten Betrag 
zu erlegen fchuldig. 

Als er dies hörte, fing er an heftig zu weinen und 
ſprach: Liebe Herren, habt Erbarmen mit mir! 

Dann erzählte er ihnen den ganzen Hergang. Die 
Beamten ftellten fi), als glauben fie ihm nicht, und 
zerrten ihn eine gute Weile herum; endlich gaben fie ihm 
die Weifung, er folle ein anbermal wiederfommen. So 
gelang dem Lobovico fein Plan vortrefflih, denn fo oft 
die Beamten unter fi, über die Gefchäfte uneins waren 


13. Der Hauptmann von Rorci.. 47 


und ſahen, daß ſie nicht gleich ſich verſtaͤndigen konnten, 
ſagte einer ober der andere: Da wir hierüber nicht 
einig werden, wollen wir nach Bianco fenden und zu⸗ 
fehen, ob wir über feine Angelegenheit uns nicht einigen 
können. Sie liefen ihn fommen, behielten ihn eine Weile 
bei fih, machten fi) Spaß mit ihm, fo lange fie Xufl 
hatten, und liefen dann bie Sache unentfchieden. So 
dauerte es lange Zeit, daß man ihn immer bei ber erfien 
Steuererbebung holen ließ, und auch fpäter manchmal, 
wenn ed ihnen einfiel, fodaß ihm die Sache fein geringes 
Gerhäft und Leidwefen machte, und überbies koſtete es 
ihn einige Gulden, denn er brachte bem einen ber Beam- 
ten Granaten, bem andern Kugeln, oder Spindeln, ober 
Spiegel, wie er glaubte, daß es ihnen angenehm fei. 
Die. Sefangenen, welche mit einem Zollboten verabredet 
batten, daß fie Tag für Tag erführen, wie die Sachen 
ſtehen, konnten nicht fatt werben, Lodovico für den von 
ihm ertheilten Math zu danken, da er ihnen fo viel Ber- 
gnügen und Troft verfchaffte, daß fie Daneben alles an- 
dere geduldig erfrugen. Ich ſchweige davon, wie wir 
von dem Notar, den er mitnahm, alles pünktlich erfahren, 
und von dem Bergnügen, das uns bie Gefchichte oftmals 
bereitete, fowie von manchem Schabernad, den ihm die 
Gefangenen fonft noch anthaten, weshalb er immer mit 
ihnen im Streit lebte und fomit arm, bettelhaft, wun- 
derlich und launifch wurde. 

Als Lioncino diefe feine Erzählung beenbigt hatte, 
wandte er fih lachend zu Piero bem Veneziauer und 
fagte: Nun wohlan, was willft du anfangen, Piero? 
Willſt du nachgeben oder wie fonft auf deinem Kopf 
beharren? Gefällt dir meine Geſchichte nicht beffer als 
die deinige? Urtheile felbft, ohne die andern zu behelligen! 

Nein nein, fagte Piero, darum handelt es fich nicht; 
denn fo ſchön und unterhaltend auch deine Rovelfe ge- 
weſen ift, jo behauptet doch die meinige vor ihr weit 
den Vorzug, weil ich die Neben der in meiner Gefchichte 


48 I. Hundert alte Kovellen. 


auftretenden Perfonen anders gehalten und wiedergegeben 
babe ald du die der beinigen. Sodann enthält meine - 
Novelle lauter Dinge, die auf einen Punkt abzielen, von 
dem man nie ohne Lachen fpricht und ber durchaus aller 
Hörer Ohren ergegt; nicht alfo bei der deinigen. Indeß 
haben wir uns dem Urtheil diefer wadern und verftän- 
digen Männer unterworfen und ich will demfelben auf 
feine Weiſe ausweichen. 

Lioncino wandte ſich darauf zu und und fagte: Ich 
wundere mich nicht über Piero, baß er hierin nicht mit 
mir einverftanden ift, denn ed wäre Died ganz gegen 
feine Gewohnheit; aber in Betracht eurer Klugheit fürchte 
ich nicht, daß mir Unrecht gefchehen Lönnte. Und um 
euch nicht durch Weitfchweifigkeit zu beläftigen, will if) 
nicht die vielen unterhaltenden Partien meiner Novelle 
hervorheben, fondern fpreche nur die Anficht Zus, daß, 
ba ihr den Bianco kennt, und doch gewiß gehört habt, 
daß das wirklich fich begeben, was ich euch erzählt habe, 
daß euch dies weit mehr Spaß machen mußte als etwas 
in feiner Geſchichte. Habt daher die Güte und urtheilt 
nach eurem Gewiſſen! 

Es waren unter uns verfchiebene Anfichten; die einen 
verficherten, bie Novelle Piero’s fei fchöner, die andern, 
die Lioncino’s, und ba wir uns zu feiner beflimmten 
Entfcheidung vereinigen konnten, verfpradhen wir Gio- 
vannozzo, es folle dies nicht das legte mal fein, daß 
wir uns bier zufammenfinden, und es wurde befchloffen, 
das nächſte mal, wenn wir wiederkommen, follen noch 
zwei Gefchichten erzählt und dann erft unfer Urtheil ge- 
fprochen werden. Die Krankheit nahm aber zu, Lioncino 
unterlag ihr auch, und wir wurben fo davon erfchredk, 
dag die Gefelfchaft nach allen Seiten zerſtob. So blieb 
das Urtheil ungefprochen und ich berufe mich daher auf 
das deinige und das bes geneigten Leſers. 


II. Rovellen von Franco Sackhetti. 


1335. 


14. Lob und Tadel *) 


(Nov. 3.) 


Der alte König Eduard von England war ein Fürft 
von großem Ruhm und vieler Tapferkeit und dabei fo 
verftändig, als man aus folgender Gefrhichte zum Theil 
erkennen fann. Es lebte nämlich zu feinen Zeiten im 
Enzathal in der Graffchaft Florenz ein Siebmacher mit 
Namen Parcittadino. Diefem kam es in den Sinn, die 
Siebmacherei an den Nagel zu hängen und Hofmann 
zu werden, in welchem Gewerbe er auch bald hübfche 
Erfahrung gewann. Während er fich fo in den höfifchen 
Künften verfuchte, entftand in ihm ein lebhafter Wunfc, 
den befagten König Eduard zu befuchen, und dies nicht 
ohne Grund, fondern weil er gar viel Rühmens von 
feiner Großmuth und Milde, infonderheit gegen feines 
Gleichen, vernommen hatte. In folchen Gedanken machte 
er fich eines Tages auf den Weg und ruhte nicht eher, 
bis er England und die Stadt Xondon erreichte, mo der 
König ſich aufhiel. Er betrat den ‚Löniglichen Palaft, 
wo der befagte König wohnte, fchritt durch Thüren und 
Thore und gelangte in den Saal, mo der König meiften- 
theild Hof zu halten pflegte, und fand ihn mit feinem 
Haushofmeifter ind Schachfpiel vertieft. _ Parcittabino 
näherte fi) dem König, kniete nieder und grüßte ihn 
ehrfurchtevoll; der König nahm aber noch nicht mehr 
Rückſicht auf ihn, als bei feinem erften Eintreten, ja er 


) Simrod’5 Quclen ded Ghaffpeare, IV, 245. 
Staliänifcher Novellenſchatz. I. | 3 


50 II. Franco Sackhetti. 


fhien ihn nicht zu bemerken, und Parcittadino verblieb 
eine geraume Zeit in diefer Stellung. Da er aber fah, 
der König achte nicht auf ihn, erhob er ſich wieder und 
begann zu fprechen: Geſegnet fei ber Tag und die Stunde, 
die mich dahin geführt haben, wohin mid) immer ver- 
langte, nämlih zu dem Anblick des ebelften, weileften 
und tapferften Königs der gefammten Chriftenheit; denn 
nun darf ich mich vor Allen meines Gleichen brüften, 
da mir die Ehre zu Theil geworden ift, die Blume aller 
Könige zu ſchauen. O welcher Gnade hat das Glüd 
mich gewürdigt! Wenn ich des heutigen Tages zum 
Sterben käme, fo würde ich mit freudigem Herzen ben 
legten Schritt thun, fintemal ich jene durchlauchtige Krone 
von Angeſicht fchaue, die, wie ber Magnet das Eifen, 
mit ihrer Xrefflichkeit jedermann an fich zieht und mit 
dem Wunfche erfüllt, ihrer Glorie anfichtig zu werben. 
Kaum hatte Parcittadino feine Rede fo meit ausge 
führt, als der König fih vom Spiel erhob, den Par- 
cittadino ergriff, ihn zur Erde riß und ihm mit Fauft- 
f&hlägen. und Fußtritten fo begegnete, daß er ihn garftig 
zurichtete.. Als der König das gethan hatte, kehrte er 
gleich zu feinem Schachfpiel zurüd. Ganz beftürzt erhob 
ſich Parcittadino von der Erde; kaum mußte er nod, 
mo er fich befand, und faft bedäuchte ihn nun, er habe 
fo manden Schritt vergebens gethan und aud das Lob 
an den König verfchwende. So fand er ganz unglüd: 
lich da und wußte nicht, was er beginnen ſollte. Endlich 
faßte er fi) ein Herz und wollte den Berfuch machen, 
ob es ihm vielleicht beffer ausfchlage, wenn er dem König 
ganz entgegengefepte Dinge fage, da ihm das Xob fo 
übel aufgenommen worden war. Er hub alfo an und 
ſprach: Verwünſcht fei der Tag und bie Stunde, die 
mid, an diefen Ort geführt haben! Ich glaubte, ich fei 
gelommen, einen edeln König zu fohauen, wie der Ruf 
ihn pries, und bin gekommen, einen undankbaren und 
unerkenntlichen König zu fehen. Ich glaubte, ich fei ge- 


14. Lob und Tadel. 51 


fonımen, einen tugendbaften König zu ſehen, und ich bin 
gekommen, einen bofen König zu ſehen. Ich glaubte, 
ih fei gekommen, einen weifen und verfländigen König 
zu ſchauen, und bin zu einem bo6haften und verberbenen 
gefommen.. Ich glaubte, ich fei gefommen, eine heilige 
und gerechte Krone zu fehen, und bin zu einem gekem⸗ 
men, der Gutes mit Boͤſem vergilt, benn das beweifl 
der Augenfchein, da er mich Armfeligen, der ihn ehrte 
und lobpreifte, fo zugerichtet hat, daß ich nicht weiß, ob 
ich je wieder ein Sieb werde machen können, wenn ich einft 
zu meinem alten Handwerk follte zurüdtehren müffen. 

Bei diefen Worten erhob fich der König zum zweiten 
mal und noch heftiger als zuver, trat an Die Thüre 
und rief einen feiner Hofdiener. Als Parcittabing dies 
ſah, kann man ſich denken, welcher Schred ihn ergriff; 
er, fchien eine zitternde Leiche und zweifelte nicht, der 
König werde ihn: umbringen laffen; denn als er fab, 
daß der König jenen Hofdiener berbeirief, bildete er fi 
ein, er rufe einem Schergen, der ihn ans Kreuz ſchia⸗ 
gen folle. Als aber der non dem König gerufege Baron 
kam, ſprach ber König zu ihm: Beh hin und gib die 
fem Mann das und das meiner Staatskleider und ber 
zahle ihn Damit für die Wahrheit, die er mir gefagt hat, 
denn für feine Lügen babe ich ihn fehon felber ausbezahlt. 

Der Baron ging eilends unb brachte Parcittadino 
eined ber ſchoͤnſten Loniglichen Kleider mit fo großen 
Knöpfen voll Perlen und Ebdelfteinen, daß es, die em- 
pfangenen Fußtritte und Fauftfchläge ungerechnet, wol 
dreihundert Gulden oder mehr merth war. Parcittadino 
argmöhnte anfangs, das Kleid möchte eine Schlange oder 
ein Bafilist fein und ihn beißen, und griff nur vor- 
fichtig zu. Bald aber faßte er Muth, zog ed an und 
ftellte fich darin dem Könige vor. 

Gnädigſter König, ſagte er ‚ wenn ihr mid) für meine 
Lügen immer fo bezahlen wollt, werde ic, felten die Wahr- 
heit fprechen. 

3* 


52 II. Franco Sackhetti. 


Er lernte den König aus dem, was er gehört hatte, 
fennen, und der König hatte mehr Freude, an ihm. Rad) 
dem er. geblieben war, fo lang ihm gefiel} nahm er Ur⸗ 
laub und verabfchiebete fi) vom König. Er reifte nad 
der Lombardei zurüd, wo er die Höfe aller Herren be- 
fuchte und diefe Gefchichte erzählte, welche ihm hier mehr als 
noch ein mal dreihundert Gulden einbrachte, womit er nad) 
Toscana zurückkehrte und in Linari feine armen in faurer 
Arbeit ganz verfommenen Verwandten vom Siebmacher- 
gewerbe in feinem Staatökleide befuchte. Diefe machten 
große Augen, Parcittadino aber fprach zu ihnen: 

Am Boden Feicht” ich unter Schläg’ und Tritten, 
Eh’ ih im England dieſes Kleid erftritten. 

Er that Vielen von ihnen Gutes; dann nahm er Ab: 
ſchied und ging feinem Glüde nah. Das war dod) eine 
fo ſchöne Gefchichte, wie fie nur je einem Könige begeg- 
nen kannte. Und wie Viele find, die, wenn fie gelobt. 
worden wären wie dieſer König, nicht bie Baden auf- 
gebläht hätten vor Stolz? Er aber, obmol er mußte, 
dag er jene Lobſprüche verdiente, wollte zeigen, daß es 
nicht wahr fei, übte aber am Ende, ſolche Klugheit. Wiele 
Unwiffende, wenn Schmeichler fie ind Geficht loben, wer⸗ 
den es glauben; er aber, der ein tüchtiger Mann mar, 
wollte das Gegentheil beweifen. 


15. Der Miller und der Abt. *) 


(Nov. 4.) 
Meſſer Bernabd, Herr von Mailand, dem ein Müller 
mit artigen Reden hinausgab, ſchenkte demſelben ein ſehr 


großes Lehen. Dieſer Herr war zu feiner Zeit gefürch— 
teter ald irgend ein anderer Fürft; und obgleich er grau- 


*) Bei Simrock a. a. D., IV, 249. 











15. Der Müller und der Abt. 53 


fam mar, fo befaß er doch dabei einen guten Theil Ge⸗ 
rechtigfeit. Unter vielen andern Abenteuern begegnete es 
ihm auch eines Tages, daß er einen reichen Abt, welcher 
die Nachläffigkeit begangen hatte, zwei bem genannten 
Herrn gehörige Doggen nicht recht zu halten, ſodaß 
diefe räudig geworben waren, zu einer Geldbuße von vier 
Gulden *) verurtheilte. Darüber fing der Abt an uni Gnade 
zu flehen. Der genannte Herr aber, als er hörte, daß 
ee um Gnade flehe, fagte zu ihm: Wenn du mich über 
vier Dinge ins Klare fegeft, fo will ich dir ganz und gar- 
vergeben. Es find folgende: du follft mir fagen, wie 
weit es ift von hier bis zum Himmel; wie viel Waffer 
im Meer ift; was in der Hölle gefchieht und wie viel 
meine Perfon werth ift. 

Als der Abt dies hörte, fing er an zu feufzen, und 
ed fchien ihm, als fei er nun fchlimmer baran als zuvor. 
Um indeß Zeit zu gewinnen und den Zorn des Heren ſich 
abkühlen zu laffen, fagte er, er möge ihm gnädigſt eine 
Friſt verftatten, um fo hohe Dinge zu beantworten. Der 
Herr gab ihm den ganzen folgenden Tag Bedentzeit, und 
begierig, den Ausgang ber Gefchichte zu hören, verlich er 
ihm ſicheres Geleit zur Rückkehr. Gedankenvoll und fehr 
tieffinnig kehrte der Abt zu feiner Abtei zurück und keichte wie 
ein Pferd, wenn es fcheu wird. Dafelbft angelangt, begeg- 
nete er einem feiner Müller. ALS der ihn fo niedergefchlagen 
fah, fragte er: Was ift euch, Herr, daß ihr fo keicht? 

Der. Abt antwortete: Ich habe wol Urſache, denn der 
Fürft hat ſtark im Sinn, mic, dem Teufel in den Rachen 
zu jagen, wenn ich ihn nicht über vier Dinge ins Klare fege, 
die felbft Salomo und Ariſtoteles zu hoch geiwefen wären. 

Der Müller fagt: Und was find das für Dinge? 

Der Abt fagte ed ihm. Darauf fagte ber Müller 
nad) einigem Nachfinnen zum Abte: Wenn es euch recht 
ift, fo will ich euch wol aus diefer Verlegenheit helfen. 


*) Simrod: 4000 Speciedthalern. 


54 II. Franco Sacchetti. 


Wollte Gott, ſprach der Abt. 

Gott und alle Heiligen, fprach ber Müller, werden 
es, denke ich, ſchon wollen. 

Da begann der Abt, der nicht wußte, wie ihm ge⸗ 
ſchah, und ſprach: Wenn du das ausrichteſt, ſo nimm 
dir von mir, was du willſt; denn nichts in der Welt 
kannſt dus von mir fordern, das ich Die nicht gäbe, wenn 
e6 irgend möglich iſt. 

Der Müller verfegte: Dies will ich eurem Belieben 
- überlaffen. 

Wie willft dus es aber anfangen? fragte der Abt. - 

Da antwortete der Müller: Ich will mir euren Rod 
und Mantel anziehen, mir den Bart ſchreren und morgen 
früh bei guter Zeit vor ihn treten und fagen, ich fei 
der Abe. Alsdann will ich ihm die vier Dinge auf ſolche 
Art auseinanderfegen, daß ich benfe, er foll zufrieden fein. 

Der Abt Eonnte die Zeit nicht erwarten, bis er den 
Müller an feine Stelle gefchoben. Und fo geſchah es. 
Der Müller verwandelte fih in einen Abt und machte 
ſich am Morgen bei guter Zeit auf den Weg. Als er 
an dem Thore anlangte, wo der Herr innen wohnte, 
Mopfte er an und fagte, der und der Abt wolle dem 
Heren auf gewiffe Dinge antworten, bie er ihm aufge- 
geben. Der Herr, begierig zu hören, mas ber Abt fagen 
könne, und verwundert, daß er fo bald wieder da: war, 
ließ ihn zu fich rufen. Der Müller trat vor ihn, ftellte 
fih ein wenig in den Schatten, machte feine Verbeugung, 
hielt die Hand öfters vor das Geficht, um nicht erkannt 
zu werben, und al& der Herr ihn nun fragte, ob er ihm 
über die vier Dinge Befcheid fagen könne, bie er ihm 
aufgegeben, antwortete er: Ja, Herr! Ihr fragtet mich, 
wie weit es von bier bis zum Himmel iſt. Nachdem 
ih nun Alles wohl ermeffen, fo ift es von hier bis da 
oben ſechsunddreißig Millionen achthundertvierundfunfzig 
Tauſend zweiundſiebzig und eine halbe Meile und zwei⸗ 
undzwanzig Schritte. 








15. Der Müller und der Abt. 55 


Der Herr fprah: Du haft es fehr genau angefehen. 
Aber wie beweifeft du das? 

Laßt ed ausmeffen, antwortete er; und wenn dem 
nicht fo ift, fo hangt mich an den Galgen! Zum An- 
dern fragtet ihre mich, wie viel Waſſer das Meer ent- 
halt. Dies ift mir fehr fauer geworden, herauszubringen, 
denn es fteht nicht feit und kommt immer neues hinzu. 
Aber ich habe doch ermittelt, daß im Meere fünfundzwanzig 
Taufend neunhundertundzmeiundachtzig Millionen Fuder, 
fieben Eimer, zwölf Imi, zwei Maß find. 

Da ſprach der Herr: Wie mweift du das? 

Er antwortete: Ich babe ed nad) beftem Vermögen 
unterfucht. Wenn ihr es nicht glaubt, fo laßt Eimer 
holen und es nachmeffen. Befindet ihr ed anders, fo 
laßt mich viertheilen! Drittens feagtet ihr mich, was fie 
in der Hölle machen. In der Hölle koͤpfen, viertheilen, 
zwiden und hängen fie nicht mehr und nicht minder, 
als ihr hier auf der Erde thut. 

Welchen Beweis haft du dafür? 

Er antwortete: Ich habe einmal einen gefprochen, 
ber ba gewefen war, und von bem hatte der Florentiner 
Dante, was er über die Dinge in ber Hölle gefchrieben. 
Aber jegt ift er todt. Wenn ihr es alfo nicht glauben 
wollt, fo ſchickt Hin und laßt nachfehen. Viertens endlich 
fragtet ihr mich, wie viel ihre werth feid. Und ich fage: 
neunundzwanzig Silberlinge. 

Als Meſſer Bernabd died hörte, wandte er ſich voll 
Wuth zu ihm und fagte: Daß dich der Donner und das 
Wetter! Bin ich nicht mehr werth als ein Topf? 

Der Müller gab nicht ohne große Furcht zur Ant⸗ 
wort: Gnädiger Herr, vernehmt den Grund! Ihr mwißt, 
daß unfer Herr Jeſus Ehriftus um dreißig Silberlinge ver- 
kauft wurde; ich rechne, daß ihr einen Silberling weniger 
werth ſeid als er. 

Als ber Herr dies hörte, ward es ihm auf einmal 
deutlich, daß dies nicht der Abt fei. Er fah ihm ftarr 


56 II. Franco Sachhetti. 


ins Gefiht,-und feft überzeugt, daß dies ein Mann von 
viel höhern Einfichten fei als der Abt, ſprach er dreift: 
Du bift nicht der Abt. 

Man kann fih den Schreden denken, melden der 
Müller hatte. Er warf fich mit gefalteten Händen vor 
ihm auf die Kniee, bat um Gnade und geftand dem 
Heren, daß er ber Müller des Abtes fei und wie und 
warum er in dieſer Vermummung vor feine Herrlichkeit 
- gelommen und in welcher Weife er das geiftliche Kleid 
angerogen habe, und Alles dies mehr, um ihm einen 
Spaß zu machen, als aus böfer Abſicht. Als Meſſer 
Bernabd dies vernahm, ſprach er: Wohlan denn, da er 
dich zum Abt gemacht hat und du mehr werth bift al er, 
fo wahr Gott lebt, will ich dich betätigen. Du ſollſt alfo 
binfort der Abt fein und er der Müller. Auch folft du alle 
Einkünfte des Klofters haben und er die der Mühle. 

Und fo mußte es gehalten werden, fo lange er lebte, 
daß der Abe Müller war und der Muller Abt. Es iſt 
eine fehr misliche Sache und große Gefahr darin, ſich 
gegenüber von großen Herren zu fügen, wie biefer 
Müller that, und die Keckheit zu haben, melche er hatte. 
Aber ed geht mit diefen hohen Herren wie mit dem Meer: 
man geht unter großen Gefahren hin, aber bei großer 
Gefahr ift auch der Gewinn groß. Und es ift ein großer 
Vortheil, wenn auf ber See Windftille herrfcht; ebenfo 
auch bei einem großen Herrn; aber beim einen wie beim 
andern ift es eine Hauptfache, auf feiner Hut zu fein, 
denn das Schickſal wendet fi) fehnell. Einige haben be- 
richtet, dieſe oder eine ähnliche Geſchichte fei dem Papft *** 
begegnet, welcher einem Abte zur Buße eines begangenen 
Fehls die Aufgabe geftellt habe, die vier obengenannten 
Fragen zu beantworten, und noch eine drüber, nämlich 
‚weiches das merkwürdigſte Ereigniß fei, das ihm im Leben 
begegnet wäre. Der Abt bat um Frift, kehrte nach der 
Abtei zurüd, verfammelte hier alle Mönche und Laien- 
brüder bis auf den Koch und ben Gärtner, erzählte ihnen, 


16. Die drei Gebote des Vaters. 57 


welche ragen er dem Papft beantworten folte, und bat 
fie um Rath und Beiftand. Da ſtanden fie Alle wie 
unfinnig da und mußten nicht, was fie antworten follten. 
Als aber der Gärtner fah, daß fie Alle veritummten, 
hub er an: Here Abt, da biefe hier alle kein Wort her⸗ 
vorbringen, fo will ich der fein, der redet und handelt. 
Ich hoffe euch aus dieſer Verlegenheit zu helfen. Gebt 
mir aber eure Kleider, daß ich als Abt vor ihm erſcheinen 
kann, und laßt dieſe Mönche mir folgen! 

So geſchah es. Und als er vor den Papſt kam, 
ſagte er, der Himmel ſei dreißig Schrei hoch. Vom Waſſer 
des Meeres ſagte er: Laßt die Mündungen der Ströme 
erſt verſtopfen, die hineinfallen! Dann wird es zu er- 
meſſen fein. 

Den Werth feiner Perfon ſchaͤtzte er auf achtundzwanzig 
Silberlinge, denn er rechne ihn zwei Silberlinge geringer 
an als Ehriftus, deffen Statthalter er fei. Das merkwür⸗ 
digſte Ereigniß ſeines Lebens, ſagte er, fei geweſen, als 
er aus einem Gärtner zum Abt geworden. Und in diefer 
Würde ward er beftätigt. Es mag nun gefchehen fein wie 
es will, mit diefem und jenem oder mit beiden, jedenfalls 
wurbe aus dem Abt ein Müller oder ein Gärtner. 


16. Die drei Gebote des Baterd.® 


(Nov. 16.) 


Jetzt will ich von einer erzählen, die ſich verheira⸗ 
thete, als wäre fie noch Jungfrau, ber Bräutigam fah 
aber den Beweis bed Gegentheild, ehe er noch bei ihr 
lag, und ſchickte ſie nach Hauſe zurück, ohne je mit ihr 
zu thun zu haben. In Siena lebte vor Zeiten ein reicher 
Bürger, der einen einzigen etwa zwanzigjährigen Sohn hatte, 


) Simrod’5 Bibliothek der Novellen, IV, 255. Bol. Strapparola, IA. 
V. Schmidts Maͤrchenſaal, I, 70. 291. 
344 


58 I. Franco Sacchetti. 


welchem er, als er zu ſterben kam, unter andern Vor⸗ 
fehriften die drei folgenden gab: erftens, nie mit jemanden 
fo viel zu verkehren, daß er dieſem zum Überdruß werde; 
zweitens, wenn er eine Waare ober fonft etwas gekauft 
habe, woran er einen Gewinn machen könne, fo folle er 
diefen hinnehmen und auch noch Andern baran Gewinn 
übrig laſſen; Drittens, wenn er ein Weib nehme, fo folle 
er eins aus der nächften Nachbarfchaft wählen, und wenn 
. dies nicht fein könne, lieber eins aus feinem eigenen Rande 
ale aus andern entlegenen. Der Sohn erhielt diefe drei 
Borfchriften als Berlaffenfhaft und der Water farb. 
Lange Zeit hatte dieſer Jüngling mit einem aus dem 
Haufe der Horteguerri verkehrt, welcher ftets ein Ver⸗ 
fhmender gemwefen war und jegt einige. mannbare Töchter 
batte. Seine Berwandten ftellten ihn täglich wegen feines 
Aufwandes zur Rede, es half aber nichts. Nun gefchah - 
ed, daß jener Forteguerra eines Tages für ben Süngling 
und einige andere ein ſchönes Gaftmahl bereiten ließ, 
als feine Verwandten ihn deshalb vernahmen und fprachen: 
Was thuft du, Unglücklicher? Willſt du dem aufs Ge- 
rathewohl noc zugeben, der ein fo großes Vermögen 
geerbt bat, Haft fo viel Aufwand gemacht und machſt 
immer noch und haft mannbare Töchter? 

Sie fprachen fo lange, bis jener wie verzweifelt nach 
Haufe ging, alle Speifen, die in der Küche bereitet 
wurden, wieder abbeftellte, dann eine Zwiebel nahm, fie 
auf die ſchon gedeckte Tafel legte und ben Befehl Hinter- 
ließ, wenn der bewußte junge Mann zu Tifche komme, 
- fo folle man ihm fagen, er möge die Zwiebel effen, denn 
anders fei nichts da und Forteguerra fpeife nicht baheim. 
Als die Effensftunde Fam, begab ſich der Jüngling nad) 
dem Haufe, wohin er. geladen war, und als er in den 
Saal trat, fragte er die Gattin feines Freundes nach ihm. 
Die Frau antwortete, er fei nicht zu Hauſe und fpeife 
nicht daheim. Er babe aber hinterlaffen, wenn er komme, 
fo folle er jene Zwiebel effen, denn anders fei nichts ba. 





DS 


16. Die drei Gebote des Vaters. 59 


Bei diefem Gerichte gedachte det Jüngling bes erfien 
Gebotes feines Vaters und ‚wie übel er baffelbe befolgt 
habe. Er nahm die Zwiebel, kehrte nach Haufe, um⸗ 
wickelte ſie mit einem Bindfaden und hängte fie an bie 
Dede des Saaled, in welchem er zu fpeifen pflegte. Nicht 
lange darauf kaufte er ein Reitpferd für funfzig Gulden 
und einige Monate nachher fonnte er es für neunzig ver⸗ 
taufen, wollte es aber nicht laffen, fondern fagte, er wolle 
hundert dafür haben. Darauf beharrte er; eines Nachts 
aber ward das Pferd von Schmerzen überfallen und ftarb 
daran. Als der Jüngling dies bedachte, erkannte er, daß 
er das zweite Gebot. des Vaters übel befolgt habe, ſchnitt 
bem Pferde den Schwanz ab und hängte ihn an die 
Dede neben bie Zwiebel. Als er fich hierauf verheira- 
then wollte, fügte es der Zufall, daß er weder in ber 
Nachbarſchaft noch in ganz Siena ein Mädchen finden 
fonnte, das ihm gefiel; meshalb er in mehrern Ländern 
zu fuchen begann und zulegt nad) Piſa gelangte, wo er 
einem Notar begegnete, der früher in Siena Geſchäfte 
gehabt hatte und ſeines Vaters Freund geweſen war. 
Daher kannte ihn dieſer Notar, nahm ihn ſehr freundlich 
auf und fragte ihn, was er in Piſa für Geſchaͤfte habe. 
Der Jüngling antwortete, er ſuche ſich ein ſchönes Mädchen 
zur Braut, denn in ganz Siena könne er keine finden, 
die ihm gefalle. 

Wenn dies ift, fagte der Notar, fo bat dich Gott 
hierher gefandt, und du follft hier wohl bedient werden, 
denn ich habe bier ein Mädchen aus dem Haufe ber 
Lanfrandhi unter ben Händen, das Schönfte, was man 
je fehen Tonnte, und hätte wohl Luſt, fie zu der deinigen 
zu machen. 

Dem Jüngling gefiel e& und er konnte faum die Zeit 
erwarten, bis er fie zu fehen befäme. Dies gelang ihm 
denn, und als er fie gefehen Hatte, machte er den Handel 
richtig und verabrebete die Zeit, wann er fie nach Siena 
führen folle. Diefer Notar war von den Lanfranchi be⸗ 


60 . 1. Franco Sackhetti. 


fiohen und das Mädchen unehrbar; denn ba fie mit 
einigen jungen Pifanern zu thun gehabt, hatte fie nach⸗ 
her nicht mehr Gelegenheit gefunden, fich zu verheirathen, 
und darum gedachte diefer Notar, ihre Verwandte von 
diefer Laſt zu befreien und fie dem Siener anzuhängen. 
Er traf alfo Abrede mit ihrer Kammerfrau, welche viel- 
leicht die Kupplerin gefpielt hatte. Es war ein Weibchen 
aus ihrer Nachbarfchaft, genannt Monna Bartolomen, 
und die junge Braut pflegte mit ihr bald hier bald da 
ihrem Vergnügen nachzugehen. Als nun Alles in Ord⸗ 
nung und auch für die Begleitung ‚geforgt mar, unter 
welcher ſich auch einige der Zünglinge befanden, welche 
fie oft in Liebe erkannt hatte, machten fie fich mit der 
Braut und dem Bräutigam auf den Weg nach Siena, 
und man fandte Boten voraus, um Alles für fie in 
Bereitſchaft zu fegen. Als fie auf der Reife waren, 
zeigte fich einer der Jünglinge, die fih in ihrem Gefolge 
befanden, fo. traurig, als ob er zum Galgen ginge, 
denn er bedachte, wie fie nun nad) einem fremden Ort 
verheirathet werde, und er ohne fie nach Piſa zurüd- 





kehren müffe. Und er trieb es mit feinem nachdenklihen - 


Weſen und feinen Seufzern fo weit, daß ber Bräutigam 
ihres Einverftändniffes gemahr wurbe; denn das Sprich- 
wort hat nicht Unrecht, welches fagt, daß die Kiebe und 
der Huften nicht zu verbergen find. Kaum hatte er dies 
bemerkt, als er argen Verdacht ſchöpfte und -nicht eher 
ruhte, als bis er vollig’ erfannt hatte, wer das Mädchen 
fei und wie der Notar ihn verrathen und betrogen habe. 
Als fie daher nach Staggia gelangten, bediente fich der 
Bräutigam folgender Lift. Er äuferte, er wolle zu guter 
Zeit zu Nacht fpeifen, weil er am Morgen vor Tages- 
anbruch nad Siena eilen wolle, um bie nöthigen Vor⸗ 
bereitungen zu treffen. Dies fagte er fo, daß der verliebte 
junge Mann es hören Eonnte. Die Kammern, in wel- 
chen fie fehliefen, waren faft alle nur mit Bretern ver- 
ſchlagen und lagen nebeneinander. In der einen fchlief 





16. Die drei Gebote des Vaters. 61 


ber Bräutigam, in der andern die Braut mit der Kammer- 
frau, und in der dritten zwei junge Männer, von melden 
der eine feine Ohren genug gehabt hattt, um die Auße- 
rung ded Sieners aufzufangen. Am Morgen nun erhob 
er fich etwa eine Stunde vor Tagesanbruch, um, mie er 
zu verfiehen gegeben hatte, nah Siena zu eilen. 

ging hinunter, fegte fi zu Pferde und ritt etwa vier 
Büchſenſchüſſe weit gegen Siena, worauf er die Zügel 
wandte und in langfamem Schritte nad) Staggia zurüd« 
ritt. Er näherte ſich leife der Herberge, band fein Pferd 
an einem Thürringe feft und ging hinauf nad) dem Saale. 
Hier trat er an die Thüre ber Kammer, worin die Braut 
ſchlief, lauſchte leiſe und überzeugte ſich, daß fie den 
Züngling bei ſich habe; worauf er die fchlechtverriegelte 
Thüre erbrach und hineintrat. Dann ging er facht zu 
der Bettfponde, fuchte nach einem der Kleidungsftüde 
defien, der darin fchlief, und fand zufällig deffen Bein⸗ 
leider. Die in dem Bette bemerkten ihn nicht, oder 
ftellten fih aus Furcht, als fchliefen fi. Er aber nahm 
die Beinkleider, verließ die Kammer, eilte die Stiege 
hinab, fegte fic mit den befagten Beinkleidern zu Pferde 
und eilte nach Siena... Als er nun nad Haufe kam, 
hängte er fie an die Dede neben die Zwiebel und ben 
Pferdeſchwanz. Am andern Morgen erhob ſich zu Staggia 
die Braut mit ihrem Liebhaber. Der SJüngling aber, 
der feine Beinkleider nicht fand, ſetzte fich ohne diefelben 
mit der übrigen Gefelfhaft zu Pferde und ging nad 
Siena. Sie erreichten das Haus, wo die Hochzeit fein 
follte, und ftiegen ab. Als fie fih nun zu einem Gabel- 
frühſtück unter die drei aufgehängten Dinge fegten, wurde 
der Jüngling gefragt, was diefe Dinge bedeuten. Er 
antwortete: Ich will es euch fagen, und bitte alle, mir 
zuzuhören. Es ift nicht lange her, daß mein Vater ftarb 
und mir brei Gebote hinterließ. Das erfte Iautete fo 
und fo, und deshalb nahm ich dieſe Zwiebel und hängte 
fie bier auf; zweitens befahl er mir fo und fo, und auch 


62 a Franco Sackhetti. 


. hierin gehorchte ich ihm nicht; und als das Pferd flarb, 

fchnitt ich ihm den Schwanz ab und befeftigte ihn bier 
oben; zum Dritten befahl er mir, fo nahe als möglich 
in der Nachbarfchaft zu heirathen. Ich aber nahm mir 
‚ fein Weib aus der Nähe, fondern ging bis nach Pifa 
und nahm diefes Mädchen, meil ich glaubte, fie fei, 
wie alle fein follen, die ſich als Sungfrauen verheira- 
then. Unterwegs aber Tag diefer junge Mann, welcher 
bier figt, in der Herberge bei ihr. Ich kam leife zu 
ihnen, fand feine Beinkleider, nahm fie mit mir und 
befeftigte fie bier an der Dede, und wenn ihr mir 
nicht glaubt, fo fucht bei ihm danach, denn er trägt 
feine. 

Und fo befand 8 fh. - 

Nach Tiſche alſo, fuhr er fort, nehmt ihr diefes gute 
Mädchen und begebt euch wieder nach der Heimat, denn 
ih will fie nicht wieder fehen, gefchmweige denn bei ihr 
liegen. Dem Notar, ber mir den guten Rath gab, bie 
Heirath fliftete und den Vertrag nieberfchrieb, mögt ihr 
fagen, er möge einen Spinnroden mit bem Pergament 
bekleiden. 

Und fo gefhah es. Sie zogen mit dem Mädchen ab, 
ftil und befchämt, oder, wie man zu fagen pflegt, mit 
. Jahmem Fuß und den Finger im Auge. Die Braut 
aber verfchaffte fich mit der Zeit noch viele Männer, 
dee "Bräutigam andere Frauen. In biefen drei Thor: 
beiten handelte diefer junge Mann den Geboten feines 
Baterd zumider, die alle fehr nüglich find, obgleich viele 
Leute fie nicht beobachten. In dem legten Punkte aber, 
dem wichtigften, kann man nicht itten, wenn man 
Verwandtſchaften in der Nähe ſchließt; und doch thun 
wir alle das Gegentheil. Und nicht allein bei den 
Ehen, fondern auch wenn wir Pferde zu kaufen haben, 
wollen wir nichts von den Nachbarn, bei welchen ums 
alles voll Fehler erfcheint, kaufen dagegen die der 
Deutfchen, welche nach Rom gehen, in wahrer Wuth 


⸗ 


17. Piero Brandant. 63 


auf.. Und fo geht es uns oftmals in beiden Yällen 
gerade wie in ber Geſchichte, die ihr gehört habt, ja 
noch ſchlimmer. 


17. Piero Brandani. 
(Nov. 17.) 


In der Stadt Florenz lebte vor Zeiten ein gewiſſer 
Piero Brandani, der ſeine ganze Zeit mit Proceſſiren 
hinbrachte. Er hatte einen Sohn von etwa achtzehn 
Jahren, und da er ıfın eines Morgens auch wieder 
auf das Rathhaus gehen mußte, um einen Rechtöhandel 
zu vertreten, fo gab er feinem Sohne gewiſſe Papiere 
und bieß ihn damit vorausgehen und ihn bei der Abtei 
von Florenz erwarten. Der Sohn gehorchte dem Vater, 
ging an den bezeichneten Ort und erwartete bafelbft 
mit den Papieren den Vater. Es war im Monat Mai, 
und während der Junge fo wartete, fing es an, fehr 
heftig zu regnen. Da kam eine Bäuerin oder Hökin 
mit einem Korb voll Kirfchen auf bem Kopfe vorüber 
und ber Korb fiel ihr herunter, die Kirfchen waren über 
bie ganze Strafe verfireut, und bie Goſſe diefer Straße 
war wie immer, fo oft es regnet, zu einem kleinen Bache 
angefhmwollen. Der junge Menſch machte begierig, wie 
folche Leute- find, mit noch andern fi die Verwirrung 
zu Nug und beeilte fi, die befagten Kirfchen aufzulefen, 
ja fie liefen bi8 in den Bach hinein Hinter denfelben ber. 
Als nun aber die Kirfchen verzehrt waren und der junge 
Burfche ſich auf feinen vorigen Stanbpunft zurüdbegab, 
fand er, daß er die Papiere nicht mehr unter dem Arm 
hatte, denn fie waren ihm in das Waſſer gefallen, und 
von demfelben in den Arno geſchwemmt worben, ohne 
daß er es bemerkt hatte. Er lief auf und ab, fragte da, 


64 II. Franco Sackhetti. 


fragte dort, ed war alles umfonft, denn die Papiere 
ſchwammen bereits Pifa zu. Der junge Menih war 
darüber fehr betrübt und dachte darauf, fih aus dem 
Staub zu mahen aus Furcht vor feinem Vater. Er 
lief auch am erften Tag bis Prato, wo die meiften Ent- 
wichenen oder Flüchtlinge von Florenz die erfte Raſt halten. 
Er ging in eine Herberge, wo nah Sonnenuntergang 
auch einige Kaufleute ankamen, nicht um bie Nacht da⸗ 
felbft zuzubringen, fondern mit der Abfiht, ihren Weg . 
noch weiter gegen Ponte Agliana fortzufegen. Die Kauf: 
leute fahen, daß der junge Menfch fo. niedergefchlagen war, 
und fragten ihn, was er babe und woher er fei. 
antwortete auf ihre Frage und fie fehlugen ihm vor, fich 
an fie anzufchließen und bei ihnen’zu bleiben. Der Knabe 
fonnte ed faum erwarten, bis es weiterging, fie machten 
fih endlih auf und kamen um zwei Uhr der Naht nach 
Ponte Agliana. Sie Flopften an eine Herberge und der 
Wirth, welcher ſchon ſchlafen gegangen war, kam an 
das Fenfter und fragte: Wer da? 

Mach und auf! Wir wollen Quartier. 

Der Wirth aber fagte fcheltend: Wißt ihr denn nicht, 
daß es hier in der Gegend von Straßenräubern wimmelt? 
Es wundert mich fehr, daß ihr durchgelommen feid. 

Der Wirth hatte auch wirklich Recht, ba eine große 
Schar Verbannter das Land heimfuchte. Die Reifenden 
baten aber doch fo lange, bis ihnen der Wirth öffnete, 
Als fie drinnen waren und ihre Pferde verforgt hatten, 
fagten fie, fie wollen zu Nacht effen. Der- Wirth aber 
fagte: Ich babe einen Biffen Brot im Haufe. 

"Die Kaufleute antworteten: Nun, mas ift da zu thun? 

Ih weiß kein anderes Mittel, verfegte der Wirth, 
ald daß euer Burfche da irgend einen zerriffenen Kittel 
anzieht, in dem er recht wie ein Lump ausfieht; er foll 
dort die Anhöhe Hinuntergehen; drunten wird er eine 
Kirche finden, und alsdann fol er dem Ser Cione rufen, 
dem Pfarrer von bort, und ihm von mir ausrichten, 


17. Piero Brandani. 65 


er möge mir neunzehn Brote leihen. Ich fage dies barum, 
weit diefe Bofewichter, wenn fie einen fo fchlechtgeklei- 
deten Jungen finden, nichts mit ihm anfangen werden. 

Er zeigte dem Burfchen ben Weg, ‚welcher ungern 
ging, weil e8 Nacht war und man nicht gut ſah. Voll 
Furcht, wie man fich denken kann, ging er binmeg, 
irrte da= und dorthin und konnte die Kirche durchaus 
nicht finden, bis er endlich in ein Gebüſch kam, aus 
welchem er etwas hervorfhimmern fah, was wie eine 
Mauer ausſah. In der Meinung, es fei die Kirche, 
nahm er fich vor, darauf loszugehen. Er kam auf eine 
große Tenne, die er für den Kicchplag hielt. In Wahr- 
heit aber ftand er an dem Haufe eines Landmannes. Er 
ging darauf zu und fing an, an bie Thüre zu klopfen. 
Der Landmann hörte ihn und rief: Wer ift da? 

PAR Knabe antwortete: Macht mir auf, Ser Gione, 
der Wirth (er nannte ben Namen) von Ponte Agliana 
ſchickt mich her, ihre möchtet ihm neunzehn. Brote leihen. 

Was Brote! vief der Bauer, Gaubdieb, der du bift 
und ber du für die Spigbuben Kundfchaft einziehen willft! 
Wenn ich binaustomme, fo will ich dich paden und nad 
Piſtoja ſchicken, daß fie dich aufhängen. 

Als der junge Menfch diefe Worte hörte, wußte er 
nicht, was er anfangen follte, und indem er fo außer 
fih nach einem Wege ſich umfah, welcher ihn an einen 
beffeen Hafen führen könnte, hörte er ganz nahe am 
Saum bes Waldes einen Wolf heulen. Er fchaute um- 
her und fah auf dem Plag eine Tonne aufrecht ftehen, 
welcher oben ber Boden eingefchlagen war. Er lief ſtracks 
darauf zu, flieg hinein und wartete mit großer Beſorgniß, 
was das Schickſal über ihn beſchloſſen habe. Unterdeſſen 
kam wirklich der Wolf heran; er war vielleicht aus Alter 
räudig, lehnte ſich an das Faß und fing an, ſich daran 
zu reiben. Während er fo juckte, erhob er den Schwanz 
und diefer Fam gerade in das Spundloch hinein. Der 
Knabe fühlte ſich innerhalb des Faffes von dem Schmanze 


66 Ul. Franco Sacchetti. 


berührt und kam in heftige Angſt. Sobald er aber ſah, 
was es war, packte er in ſeiner großen Noth den Schwanz 
und nahm fich vor, fo lang feine Kräfte ausreichen, ihn 
nicht mehr loszulaſſen, bis er ihn ganz imnen hätte. 
Der Wolf, als er fih am Schwanze gepadt fühlte, 
fing an zu ziehen; der Knabe hielt feft und zog gleich⸗ 
falls. So zogen beide, bis die Tonne umfiel und zu 
rollen begann. Der Knabe bielt immer fefter und der 
Wolf z0g, und je mehr er zog, deſto mehr Schläge ver: 
feste ihm das Faß auf den Rüden. Diefes Wälzen 
dauerte wol zwei Stunden, und das Faß verfegte dem 
Wolf fo heftige Schläge, daß er am Ende ums Leben 
fam. Der. Süngling war babei freilich auch halb zer- 
ftoßen worden; doc fam ihm fein gutes Glück fo weit 
zu ftatten, daß, je fefter er den Schwanz hielt, deſto 
mehr er felbft gefchügt und der Wolf in Nachtheil ver- 
fegt war. Als jener den Wolf getödtet hatte, magte er 
doch die ganze Nacht nicht, aus dem Faſſe hervorzufriechen 
noch den Schwanz Ioszulaffen. Gegen Morgen ftand der 
Landmann, auf, bei welchem der Knabe an bie Thüre 
geklopft hatte, und’ fah, ald er zur Arbeit auf den Ader 
ging, am Fuße eines Abfturzes das Faß liegen. Da 
dachte er und ſprach bei fich felbft: Diefe Teufel, bie 
des Nachts umgehen, richten auch nichts als Unheil an. 
Weil fie nun nichts anders oben auf der Tenne gefunden 
als mein Faß, haben fie ed mir bis dort hinuntergerollt. 

Er fchritt näher Hinzu und fah neben dem Faffe ben 


Wolf liegen, welcher noch nicht todt ſchien. Da fing 


er an zu fihreien: Ein Wolf! Ein Wolf! Ein Wolf! 
* Die Leute aus dem Dorfe kamen auf den Lärm her⸗ 
beigelaufen und als fie näher rüdten, bemerkten fie, daf 
der Wolf todt war und ber junge Menfch in dem Faffe 
lag. Alles kreuzte und fegnete fich und fragte den Knaben: 
Wer bift du denn? Was foll das heißen? 

Mehr todt als lebendig und faum im Stande, nod) 
Athen zu fchöpfen, fagte der Knabe: Erbarmt euch meiner 


17. Piero Brandani. 67 


um Gottes willen und hört mich an, ohne mir etwas 
zu Leid zu thun! 

" Die Bauern fpigten die Ohren, um ben Hergang 
eines. fo unerwarteten Abenteuers_ zu vernehmen. Er er- 
zählte num von dem Verluſt der Papiere bis zu dieſem 
Punkte alles, was ihm begegnet war. Die Leute hatten 
großes Mitleid mit iym und fagten: Junge, bu haft großes 
Unglüd gehabt; aber doch wird es dir nicht fo übel aus- 
fhlagen, wie du glaubſt. In Piftoja ift ein Gefeg, daß, 
wer einen Wolf erlegt und ihn der Gemeinde bringt, 
befommt von ihr funfzig Pfund. 

Da wurden bie erflarrten Lebensgeifter dem Jüngling 
wieder etwas rege, als fie ihm anboten, ihn zu begleiten 
und ihm den Wolf tragen zu helfen, mas er auch an- 
nahm. Einige von ihnen trugen mit ihm den Wolf hin- 
weg, und als fie in das Wirthshaus von Ponte Agliana 
famen, von wo er andgegangen war, verwunderte fich 
der Wirth bafelbft, wie nicht anders zu ermarten ift, 
und fagte, die Kaufleute feien bereit6 weiter gezogen und 
er wie fie haben, ald er nicht zurückkam, geglaubt, er 
fei entweder von Wölfen gefrefien oder von Räubern 
gefangen worden. Kurz, der Knabe lieferte endlich den 
Wolf an die Gemeinde von Piftoja ab und erhielt, nach⸗ 
dem er den ganzen Verlauf erzählt hatte, funfzig Pfund. 
Bon biefen gab er fünf aus zur Bewirthung der Gefell» 
Schaft und mit den übrigen fünfundvierzig kehrte er, nach⸗ 
dem er fich von ihnen verabfchiebet hatte, zu feinem Vater 
zurück. Er bat ihn um Verzeihung, erzählte ihm alles, 
was ihm begegnet war, und gab ihm bie fünfundvierzig 
Pfund. Der Bater als armer Mann war darüber fehr 
erfreut, verzieh ihm, ließ von dem befagten Gelde von 
jenen Papieren eine neue Abfchrift madyen und procef- 
firte mit dem Reſte luſtig drauf los. 

Darum muß man über nichts in der Welt verzwei- 
feln, denn gar oft gibt das Glück ebenfo wieder wie es 
nimmt. Wer hätte fi) eingebilbet, daß die im Waſſer 


68 . H. Franco Sackhetti. 


verlorenen Papiere wieder erſetzt werben jollten durch 
einen Wolf, der feinen Schwanz. durch das Spundloch 
eined Faſſes ſteckte und fich fo fangen laffen mußte? 
Gewiß, dies ift ein Fall und ein Beifpiel, welches nicht 
nur lehrt, daB man nicht verzweifeln darf, jondern daß 
man, was auch kommen mag, weder troftlos noch ver⸗ 
drießlich werden ſoll. 


18. Das Vermaͤchtniß. 


(Nov. 21.) 


Nun will ich auf die Geſchichte kommen von den 
teigen Birnen; es iſt dies der- letzte Spaß des Baſſo, 
denn er fiel vor, waͤhrend er ſtarb. Als er zu ſterben 
kam, war ed eben Sommerzeit und die Sterblichkeit fo 
groß, daß die Frau ed nicht wagte, fi dem Manne 
zu nahen, unb der Sohn ben Vater vermied, ber Bruder 
den Bruder, indem diefe Krankheit, wie jeder weiß, der 
fie gefehen hat, fi ch fehr leicht mittheilte. Nun wollte 
er ein Zeftament machen, und lief, da er ſich von den 
Seinigen allen verlaffen ſah, den Notar niederfchreiben, 
feine Kinder und Erben follen verpflichtet fein, alle Jahre 
am St. Jacobstag im Julimonat einen Scheffelkorb teiger 
Birnen an einem beſtimmten von ihm bezeichneten Orte 
den Sliegen zu geben. Der Notar fagte: Baffo, mußt - 
du noch immer Scherz treiben? 

Baſſo ſagte: Schreibt, wie ich euch ſage; denn in 
dieſer meiner Krankheit haben mich alle Freunde und 
Verwandte verlaſſen und nur die Fliegen ſind mir treu 
geblieben. Da ich ihnen nun ſo verbunden bin, ſo würde 
ih nicht hoffen dürfen, bei Gott Gnade zu finden, wenn 








18. Das Vermähtni. 69 


ich mich ihnen nicht dankbar erwiefe. Und damit ihr feht, 
daß ich nicht fcherze, fondern im Ernſt rebe, fo fchreibt, 
wenn dies nicht alle Jahre geſchehe, fo follten meine Kinder 
enterbt fein und mein ganzes Eigenthum ber und der 
milden Stiftung zufallen. 

Zulegt fah fi der Notar genöthigt, zu fehreiben, 
wie er es haben wollte So mar Baffo billig gegen 
diefe Eleinen Thierchen. Bald darauf, als er in bie 
legten ‚Kämpfe fam und nicht mehr viel Bewußtſein hatte, 
Fam eine Nachbarin zu ihm, wie es bie Weiber machen. 
Sie hieß Frau But. 

Baffo, fagte fie, Gott dBente dir Gefundheit! Ich 
bin deine Nachbarin Frau Gut. 

Er blidte mit großer Beſchwerde nach ihr um und 
fagte, daß fie e8 kaum hören konnte: Sept, da ich fterbe, 
laß ich mirs gefallen; denn ich habe achtzig Jahre gelebt 
und ‚habe keine Frau gut gefunden. 

Über diefe Außerung Tonnte feiner der Umftehenden 
das Rachen halten, und während dieſes Gelächters, gleich 
darauf, ftarb er. Um feinen Tod habe ich der Schreiber 
und viele andere Mitlebende getrauert, benn Baſſo war 
eine Hauptfache für jeben, der nad, Ferrara kant. Und 
war das nicht eine große Billigkeit gegen die Fliegen? 
Außerdem, daß es ein herber Tadel war für feine ganze 
Familie. So gibt e8 Viele, die in bergleichen Fällen die- 
jenigen verlaffen, um deren Leben fie taufend Tode wagen 
ſollten. Das ift unfere Liebe, daß nicht allein die Kinder 
ihr Leben nicht für ihre Altern einfegen, fondern viele 
ihren Tod münfchen, um freier zu fein. 


70 | II. Franco Sacchetti. 


4 


| 19. Gonnella’93 Heimkehr. *) 


(Nov. 27.) 


Gonnella, ein ergöglicher Spaßmacher oder Hofmann, 
wie man es heißen will, gab dem Markgrafen von Ferrara 
nicht minder hinaus als Bartolino *). Der Markgraf 
Dbizzo befahl eines Tages dem Hofnarren, entweder weil 
er eine Kleinigkeit gegen ihn verbrochen hatte, oder weil 
er fih einen Spaß mit ihm zu machen gedachte, mit 
ausdrüdlichen Worten, er folle ſich auf feinem Grund 
und Boden nicht mehr betreffen laffen, widrigenfalls ihm 
das Haupt abgefchlagen werde. Kaum hatte dies Gonnella 
vernommen, fo begab er fi nad) Bologna, miethete ſich 
einen Rollwagen, füllte denfelben mit bolognefifcher Erde 
an und nachdem er mit dem Wagenführer über den Preis 
einig geworden, war, beftieg er benfelben und kehrte auf 
dieſem Rollmagen zurüd vor den Markgrafen Obiszo. 
Als diefer den Sonnella in folder Weife zurückkehren fah, 
wunderte er ſich und ſprach: Gonnella, habe ich dir nicht 
verboten, meinen Grund und Boden wieder zu betreten, 
und nun wagft du es auf einem NRollmagen vor mir zu 
erfcheinen? Was foll das heißen? Verachteſt du meine 
Gebote? 

Zugleich befahl er feiner Dienerfchaft, ihn zu ver- 
haften. Aber Gonnella ſprach: Mein Bebieter, hört mid) 
um Gottes willen an und laßt mir Recht widerfahren! 
Wenn ihr findet, dag ich im Unrecht bin, follt ihr mid) 
an den Galgen hängen laffen. 

Der Markgraf war neugierig zu hören, was er fagen 
werde, denn er erwartete wol, daß wieder ein frifcher 
Witz komme. Er rief alfo feinen Dienern zu: Verziehet 
eine Weile und laßt ihn reden! 


*) Simrod’5 Bibliothek der Novellen, IV, 262. 
») Bon dem Rov. 26 die Rede war. 





. 
— — ——— — ——— ——— — 





19. Sonnella’8 Heimkehr. — W. Die Eafentiner Gefandten. 71 


Da begann Gonmella und ſprach: Bere, ihr befahlt 
mir, euren Grund und Boden nicht .mehr zu betreten, 
weshalb ich mich eilends nach Bologna begab und biefen 
Wagen mit bolognefifhem Grund und Boben füllen lief. 
Diefen betrat und betrete ich noch jegt und nicht den euren, 
noch den von Ferrara. 

Als der Markgraf dies hörte, nahm er diefen Grund 
mit großer Ergögung für giltig an und ſprach: Gonnella, 
du bift eine finntäufchende Nachtjade*), fo bunt und ſchil⸗ 
leend von Farbe, daß mir weber Lift noch Kunſt gegen 
deine Bosheit aushilft. Bleibe, wo es dir beliebt, denn 
ich Saffe dir den Sieg. . 

Und durch diefe ſpaßhafte Lift gewann er bie Er- 
laubniß, in Ferrara zu bleiben, ſchickte den Rollmagen 
nad) Bologna zurüd und galt bein Markgrafen nur 
noch mehr ald zuvor. 


20. Die Cafentiner Gefandten. 


(Rov. 31.) 


Ars der Biſchof Guido über Arezzo herrfihte, er- 
wählten die Gemeinen ber Cafentiner Landſchaft zwei Ge- 
fandte, um fie an ihn abzufertigen und ihn wegen geroiffer 
Dinge anzugehen. Dan theilte ihnen ihren Auftrag und 
mas fie ihm auseinanderzufegen haben ausführlih mit 
und gab ihnen eines Abends fpät Befehl, bed andern 
Morgens ihre Reiſe anzutreten. Sie kehrten alfo Abends 
nach Haufe, padten eilends zufammen und machten fich 
in der Frühe auf nad, ihrem Beſtimmungsort. Als fie. 
einige Meilen gemandert waren, fagte einer zum andern: 


) Gonnella. 


12 ⸗ nn. Branco Sackhetti. 


Erinnerſt du dich noch des Auftrages, den man uns ge⸗ 
geben bat? 

Der andere erwiberte, er babe fich ihn nicht gemerkt. 

Ei, ich. habe mich auf dich verlaffen, fagte jener. 

Und ich mid auf dich, entgegnete der andere. 

Das haben wir gut gemacht, riefen beide und flierten 
einander an. Was ift da zu Chun? 

Der eine fagte: Nun fieh, wir find, bald in ber Her⸗ 
berge, wo wir unſer Frühſtück halten. Dort wollen wir 
uns einmal recht zuſammennehmen und ſo muß es uns 
nothwendig wieder einfallen. 

Der andere ſprach: Du haſt Recht. 

So ritten fie träumend weiter und kamen um die 
dritte Stunde in die Herberge, wo fie frühſtücken wollten. 
Wie fie aber hin und her dachten, che es zum Eſſen 
ging, fo konnten fie fih doch durchaus nicht auf die 
Sache beſinnen. Als ſie bei Tiſch ſaßen, wurde ihnen 
ein ſehr feiner Wein aufgewartet. Die Geſandten, wel⸗ 
chen der Wein viel beſſer ſchmeckte als das Nachdenken 
über ihren Auftrag, fingen an, der Flaſche zuzuſprechen, 
tranken und tranken, füllten die Gläfer und leerten fie 
wieder, und als das Eſſen vorüber war, war fo wenig 
davon die Rede, daß fie fich ihrer Botſchaft erinnerten, 
daß fie vielmehr gar nicht mehr wußten, wo fie. waren, 
und fich fchlafen legten. Nachdem fie ein Stück weg⸗ 
geſchlafen hatten, erwachten fie ganz verdußt, und einer 
fprah zum andern: Iſt dir jept unfere Angelegenheit 
eingefallen ? 

Der andere fagte: Ich weiß von nichts; mir ift nur 
fo viel Mar, daß der Wein des, Wirthes der befte Wein 
ift, den ich je getrumten habe. Seit dem Frühftüd bin 
ih überhaupt nicht wieder zur Befinnung gefommen, 
‚als eben jegt, und jegt weiß ich kaum, wo ich bin. 

Jener erwiderte: Gerade das Nämliche fage ich dir 
auch. Aber was follen wir denn fagen? was follen wir 
anfangen? 








' X. Die Eafentiner Geſandten. 73 


Sein Gefaͤhrte entgegnete ihm kurz: Wir wollen 

geute bier bleiben und auch hier übernachten, denn guter 

ach kommt, wie bu weißt, über Nacht. Es kann nicht 
fehlen, daß uns bie Sache bis dahin einfaͤllt. 

Sie waren hierüber einig und blieben den ganzen 
Tag daſelbſt und guckten noch wiederholte Male in das 
Glas. Bei dem Abendeſſen wurden gleichfalls die Stäfer 
mehr in Anfpruch genommen als das Holzwerf, und 
nach beendigtem Mahle waren fie fo weit, daß einer 
kaum den andern kannte. Sie gingen zu Bett und 
fhnarchten die ganze Nacht wie Schweine Als fie am 
Morgen aufftanden, fagte der eine: Was fangen wir 
nun an? 

Der andere antwortete: Der Himmel muß fih wider 
uns verfchworen haben; denn ba mir diefe Nacht Feine 
Sylbe von dem ganzen Auftrage eingefallen iſt, ſo glaube 
ich auch nicht, daß er mir je wieder ins Gedächtniß kommt. 

Meiner Treu, verfegte jener, mit uns fieht es nicht 
zum beften aus. Ich weiß gar nicht, was das heißen 
fol, ob es diefer Wein oder etwas anderes ifl. Ich 
babe mein 2eben lang noch nie fo, feit gefchlafen, ohne 
mich wieder ermuntern zu können, wie heute Nacht in 
diefem Wirthöhaufe. Was zum Teufel foll das heißen? 

Laß uns zu Pferde fleigen, fagte ber andere,. und 
in Gottes Namen weiterreiten. Bielleicht fällt ed uns 
unterwegs ein. | 

So fegten fie denn ihre Reife fort und fagten unter- 
wegs oft zu einander: Iſt es dir eingefallen? 

Der andere: Mir nicht. 

Mir auch nicht, fagte der erfte. 

Auf diefe Art kamen fie in Arezzo an und gingen 
in das Wirthshaus, wo fie ſich oft abfeits in eine Kammer 
begaben, die Baden auf die Hände geftügt, aber nie 
mals fih auf die Sache befinnen konnten. Da fagte 
einer zulegt, faft verzweifelnd: Gehen wir geradezu bin! 
Gott möge uns beiftehen! 

Staliänifcher Novellenſchatz. I. 4 


74 U. Franco Sackhetti. 


\ 

Der andere aber fagte: Wie ſollen wir denn aber 
mit ihm reden, wenn wir nicht wiſſen mas? 

Der erftere aber antwortete: Auf diefem Punkte kann 
die Sache nun doch einmal nicht bleiben. 

&o liefen fie es denn auf das Gerathewohl ankom⸗ 
men unb gingen sum Biſchof, und als fie vor ihm 
flanden, machten fie eine tiefe Verbeugung und blieben 
dabei fiehen, ohne es zu etwas Anderm zu bringen. 
Der Biſchof war ein wackerer anfehnlicher Herr, erhob 
ſich und ging auf fie zu, nahm fie bei der Hand und 
fagte: Seid willlommen, meine Kinder! Was bringt ihr 
Neues? 

Einer ſchaute den andern an: Sprich du! 

Sprich bu! 

Aber Zeiner vom beiden rebete ein Wort. Am Ende 
aber fagte der eine: Herr Bifchof, wir find abgefandt an 
Euer Gnaden von euren ergebenen Dienern in der Caſen⸗ 
tiner Landſchaft; aber die, weiche und abſchickten, find 
ebenfo unbeholfen als wir, die Abgefandten, und fie über⸗ 
machten uns unfern Auftrag fpät Abends in großer Haft. 
Was nun fehuld fein mag, entweder mußten fie ed uns 
nicht recht zu fagen, ober waren mir zu ungeſchickt, es 
zu verfiehen. Wir bitten euch demnach inftändig, ihr 
möget euch diefe Gemeinen und ihre Mitglieder empfohlen 
fein lafjen, die aber mögen meuchlings umkommen, die 
uns hierher geſandt haben, und wir ſelber, daß wir her⸗ 
gekommen ſind! 

Der verftändige Biſchof legte ihnen die Hand auf 
die Schulter und fagte: Geht in Frieden wieder heim 
und fagt meinen lieben Kindern im Gafentino, ich fei 
immer darauf bedacht, für ihr Beſtes alles zu thun, 
was in meinen Kräften ftehe. Damit fie fi aber hin⸗ 
fort nicht mehr in bie Unfoften einer Geſandtſchaft ver⸗ 
fegen, mögen fie, fo oft fie etwas von mir wollen, an 
mich fehreiben und ich will ihnen meine Antwort beieffich 
zutommen laffen. 





20. Die Safentiner Gefandten. 15 


Darauf nahmen fie Abſchied und gingen. Unter- 
wegs fagfe einer zum andern: Hüten wir uns, daf es 
uns nicht auf dem Rückweg ebenfo ergeht, wie auf dem 
Herweg! 

Der andere aber ſagte: Ah, was haben wir denn 
im Gedaͤchtniß zu behalten? 

Nun, fprach jener, wir müffen doch darauf bedacht 
fein, wie wir ausrichten wollen, was wir hier ausein- 
andergefegt haben und was wir zur Antwort erhalten. 
- Denn menn: unfere Mitbürger im Cafentins jemals er- 
führen, baf wir ihren Auftrag fo vergeffen haben und 
daß wir wie Gehirnlofe wieder vor fie treten, fo würden 
fie uns nimmermehr als Botſchafter ausfenden, ja uns 
gar fein Amt mehr anvertrauen. 

Der andere, ber ein wenig ſchlauer war, fagter Überlaf 
diefe Sorge nur mir! Sch werde ihnen fagen, wir haben 
und unferer Sendung gegen ben Biſchof entledigt und er 
babe fi gnädig darin und in allen Stüden erboten, 
immerbar ihr Wohl zu förbern,. und um feine Liebe noch 
mehr zu bethätigen, habe ex gefagt, zu Erſparung von 
Koften follen fie, fo oft fie etwas von ihm brauden, 
es mit gehöriger Ruhe und Bequemlichkeit in einem ein- 
fachen Briefe [reiben und bie Gefandtfchaftn unter 
wegen lafjen. 

Das Haft du gut ausgeſonnen, fagte: der andere. 
Wir wollen fehneller reiten, damit wir bei guser Zeit 
wieder zu bem Wein kommen, weißt du! 

So fpornten fie ihre Pferde und kamen in bas Gaſt⸗ 
haus, und als ein Knecht herauskam, um ihnen den 
Steigbügel zu halten, fragten ſie nicht nach dem Wirthe, 
noch oh er zu eſſen habe, ſondern ihr erſtes Wort war, 
daß ſie ſich nach jenem Weine von neulich erkundigten. 
Der Knecht ſagte: Der iſt beſſer als je. 

Da ftärkten ſie fi ch bier denn auch das zweite mal 
nicht weniger als zuvor, und wichen nieht cher ven der 
Stelk, ale bis unter redlichem Beiftand anderer JZech⸗ 

4* 


76 II. $ranco Sacchetti. 


brüder der Wein auf die Neige und der Boden des 
Faſſes zum Vorſchein gekommen war... Voll Kummer 
darüber zogen fie von binnen und gelangten zu denen, 
die fie abgefchit hatten. Die Lügen, die fie erfonnen 
hatten, behielten fie viel beffer im Gedaͤchtniß, als vorher 
die Wahrheit. Sie fagten, fie haben vor dem Bifchof 
eine fo ſchöne Standrede gehalten, und thaten, als wäre 
der eine ein Cicero, der andere ein Quinctilian gewefen. 
Dadurch ernteten fie großes Xob ein und wurden auch 
fpäterhin mit andern Amtern betraut, denn fie waren 
mehrmals NRechnungsreviforen ober Güterverwalter: 

Wie oft gefchieht es doch in der Welt, und nicht 
nur bei erbärmlichen Gefchöpfen wie diefe waren, fon- 
dern bei weit größern als fie, daß folche ohne weiteres 
als Borfchafter verwendet werben, während fie doch mit 
den Ereigniffen fo wenig vertraut find, als der Sultan 
mit Frankreich. Dann verfichern fie mündlich und fchriftlich, 
fie haben Tag und Nacht nicht geruht, fondern immer 
mit größtem Eifer den- Gefchäften obgelegen, und alles 
ift ihe Machwerk, was fie gut heißen und wobei fie an- 
wefend find, während fie doch oft nicht mehr Bewußtſein 
dazu bringen als ein Klotz. Dafür werden fie aber von 
ihren Abfendern gepriefen und mit den größten Amtern 
und andern Belohnungen überhäuft, weil fie von ber 
Wahrheit abgehen, zumal in Fällen, wo fie fehen, daß 
ihnen ein Vortheil daraus erwächft, wenn man ihnen 
Glauben ſchenkt. 


21. Der Bauer und der Sperber. 
(Nov. 195.) 
Es fällt mir ein franzöfifcher Bauer ein, deffen Kift 


‚ ib doch erzählen muß, die er gegen einen Thürfteher bes 
Könige Philipp von Valois übte, weil er aus Habfucht 


21. Der Bauer und der Sperber. 17 


ihm nehmen wollte, was doch der König ihm befohlen 
hatte. zu geben. Als diefer König an der Regierung 
war und zu Paris wohnte, befaß er einen Sperber, 
welcher an Schönheit und Vortrefflichkeit alle übertraf, 
die je an feinem Hofe waren; er hatte GSchellen von 
Gold oder Silber und alle mit Schmelz überzogen, auf 

weichen bie Lilien des königlichen Wappens ftanden. 
Einft kam ihm die Luft, wie er häufig zu thun pflegte, 
fpazieren zu gehen, und als fie mit diefem und mit an⸗ 
dern Vögeln und Hunden an einen Ort famen, mo eine 
Menge von Rebhühnern fich befand, ließ ber Falkner des 
Königs den Sperber, ben er in ber Hand hielt, auf ein 
Rebhuhn los und der Sperber padte ee. Man ging 
weiter und ließ ihn auf ein anderes los; das fafte er 
aber nicht, was nun daran Schuld fein mochte, fei es, 
dag den Sperber Feigheit anmwandelte oder was fonft; 
und während er fonft fo zahm war, baf er immer, wenn 
er nichtd fing, vom Fluge auf die Fauſt zurückkehrte, 
that er nun gerade das Gegentheil, er flog in bie Höhe 
und fo weit weg, daß fie ihn ganz aus dem Geficht ver- 
Ioren. Als der König dies fah, ſchickte er ungefähr acht 
feiner Knappen nebft dem Falkner aus, um den Sperber 
zu verfolgen, bis fie ihn wiederfänden. So gingen fie 
da und dorthin und zogen acht Zage umher, ohne eine 
Spur von ihm aufzufinden, Zehrten alfo nad Paris 
zurück und meldeten ed bem Sönige. Darob ward der 
König fehr betrübt, obwol es ein mannhafter König war, 
und beklagte den ganzen Zag den Verluſt feines edeln 
Sperbers. Es dauerte eine geraume Zeit und niemand 
zeigte fich, der den Sperber gefangen hätte; da ließ er 
öffentlich betannt machen, wer ihm den befagten Sperber 
finge und wiederbrächte, würde von ihm zweihundert Sranfen 
befommen, wer ihn aber nicht wiederbrädhte, käme an 
den Galgen. Die Nachricht und das Gerede darüber 
ging durch das Land und es dauerte einen ganzen Monat, 
da Fam der Sperber in die Graffchaft N. Dort faß er 


78 I. Franco Sacchetti. 


auf einem Baume und der obengenannte Landmann, 
der gerade unter demſelben ſeine Feldarbeit trieb, hörte 
die Gloͤckchen. Er trat wie zum Scherz näher, hielt ſeine 
rauhe ſchwielige Hand hin und auf eine ſonſt gar nicht 
gewöhnliche Lockung kam ihm der Sperber auf die Hand. 
Der Bauer wußte fi ſchon über den Klauen, die ihn 
padten, gar nicht zu helfen; als er aber vollends die 
Schellen mit dem töniglichen Wahrzeichen fah, von wel- 
chen er durch feine zwei erwachfenen Zöchter gehört hatte, 
‚wer ber unerfahrene Menfch volends ganz außer fich. 
Er nahm indeß die Wurfriemen, ließ feine Hade liegen, 
. ging nach feinem Haufe, fehnitt ein Seil vom Saumfattel 
eines Eſels, Tnüpfte es an die Wurfriemen und band es 
an eine Stange. Wenn er aber überlegte, wer er war 
und wie er genöthigt fei, den Vogel nach Paris vor den 
König zu bringen, fo murde es ihm ganz ſchwach. Da 
ed nun fo weit war, fam ein Thürfteher des Königs in 
Geſchäften zufällig an feinem Haufe vorüber, hörte bie 
Schellen und fagte: Du haft den Sperber des Königs 
gefangen. 

Er antwortete: Ja, ich glaube. 

Da verlangte ihn jener und ſprach: Du würbdeft ihn 
verderben, wenn du ihn hintrügeſt. Gib ihn mir! 

Der Bauer antwortete: Das ift ganz richtig, was 
ihr fagtz aber feid fo gut und entreißt mir nicht, mas 
mir das Glück verliehen hat! Ich will ihn tragen, fo 
gut ih Tann. 

Der andere bemühte fi mit Bitten und Drohungen, 
um ihn von dem Bauer zu befommen; aber es half nichts. 
Endlich fagte er: Run fieh, wenn du mit den Vogel nicht 
gibſt, fo thu mir wenigftens einen Gefallen! Ich ftehe 
genau mit dem König, ich werde dir nützlich fein, in was 
ih kann; verſprich mir aber, daß du mir die Hälfte gibft 
von dem, was dir der König geben wird. 

Der Landmann fagte: Ich bin's zufrieden. . 

Und fo verfprach erd. Der Hofdiener ging nach Paris. 








21. Der Bauer und bee Sperber. 70 


Der Bauer fand einen ganz zerriſſenen Handſchuh von 
Tuch, ſchickte an einen in einem benachbarten Orte, wel⸗ 
cher ſich mit dergleihen Vögeln abgab, ber lich ihm einen 
Hut, und ald der Sperber gefüttert und verfappt war, 
nahm er den Weg unter die Füße, und kam endlich fehr 
müde, wegen ber ungewohnten Laſt und weil ihm die 
‚Ebelmamnstraht Höchft beſchwerlich war, in Paris und 
bei dem König an. Als biefer ihn fah, war ex ſehr 
erfreut, feinen Sperber wiedergefunden zu haben, und 
lachte laut, als er bemerkte, mie ſeltſam ihn ber Bauer 
in der Hand hielt. Da ſprach der König: Verlange, . 
was du begehrft. 

Der Bauer antwortete: Herr König, diefer Sperber 
ift mir auf die Hand gefeffen, mit Gottes Hülfe habe 
ich ihn euch hergebracht, fo gut ich konnte; das Geſchenk, 
das ich dafür von euch verlange, iſt, daß ihr mir funfzig 
Prügel oder Peitſchenhiebe geben laßt. 

Der König verwunderte ſich und fragte ihn um den 
Grund dieſer Bitte. Der Bauer ſagte nun, wie en 
gewiſſer Thürfteher von feinem Gefolge ihm das Ber 
ſprechen abgebrungen habe. 

Er verlangte, ich folle ihm die Hälfte geben von dem mas 
eure heilige Krone mir ſchenke. Laßt alſo ihm fünfundzwanzig 
geben und die andern fünfundzmanzig mir! Ich bin zwar ein 
armer Mann und hätte es wol nöthig für meine zwei heiraths⸗ 
fähigen Töchter, etwas anderes von Euer Gnaden zu er- 
halten; aber dennoch will ich zufriedener weggehen, wenn 
ich befommme, was ich verlange, um den andern das em⸗ 
pfangen zu fehen, mas er verdient, und wenn ich auch 
die gleiche Strafe dulden muß, als wenn ihr mir von 
eurem Gold und eurem Silber gäbet. 

Der König war weiſe und verfiand die Rede des 
ungebilbeten Bauers, dachte daher ihn nach Gerechtigkeit 
zufrtedenzuftellen und fagte zu feinen Leuten: Ruft mir 
den Thürfteher herbei! 

Er wurde fogleich gerufen, Fam vor den König und 


80 II; Franco Sacchetti. 


dieſer fragte ihn: Biſt du dort geweſen, wo dieſer Mann 
den Sperber gefangen hat? 

Er antwortete: Ouy, Herr König! 

Der König fragte weiter: Warum Haft du ihn nicht 
überbracht? 

Sener verfepte: Der Bauer ließ es nicht zu. 

Der König ſprach: Dein Geiz ift fo weit gegangen, 
daß du von ihm die Hälfte des Gefchenkes begehrteft, 


das er bekommen würde. 








Als der Bauer dies hörte, fagte er: So war es, 
gnädiger Herr! on 

Und ich, fagte der König, ſchenke diefem Bauern 
funfzig Peitfchenftreiche auf den bloßen Leib, von welchen 
du nach: dem Vertrage fünfundzwanzig befommen follft. 

Er befahl einem feiner Gerichtödiener, ihn fogleich ent- 
Heiden zu laffen und zur Ausführung zu fehreiten, und fo 
geihah ed. Der König ließ ihn nun in Gegenwart bes 
Bauern vor fi) kommen und ſprach zu diefem: Ich habe 
dir die Hälfte des Geſchenkes gegeben und dir beine Ver- 
pflichtung abgenommen, die du durch dein Verfprechen gegen 
diefen Schurken hattefl. Den Reft gebe ich dir allein. 

Da wandte er fich zu einem feiner Kämmerer und 
ſprach: Geh, laß diefem Marine zweihundert Franken geben, 
daß er feine Töchter verheirathen kann. Und in Zukunft 
komm nur zu mir, wenn dir etwas fehlt, ich will immer 
deiner Noth abhelfen. 

So ſchied der Bauer gludlich von bannen. Der Meifter 
Thürfteher aber nahm fich von den Peitfchenhieben eine War- 
nung,’ um nicht mehr feinem eigenen Vortheil ftatt dem 
feines Königs nachzugehen. — Groß war die Gerechtigkeit 
und Klugheit diefes Königs; aber nicht minder bemerkens⸗ 
werth ift, wie aus dem Munde eines Bauern, der beffer 
eine edle Seele heißen könnte, eine fo würdige Bitte kam, 
um bie Habgier des Mannes zu ftrafen, ber auch nie mehr 
wie früher in Gunft bei König Philipp kam. 








II. Aus dem Pecorone des Ser Giovanni 
Fiorentino. 


1378. 


22. Galgano's Entſagung. 


(1, 1.) 


In Siena war ein Jüngling, mit Namen Galgano, 
reich und- von edlem Gefchlechte, gefchiet und durchaus 
in Allem erfahren, mannhaft, rüftig, hochherzig, höflich 
und leutfelig gegen jedermann. Diefer Galgano liebte 
eine Edelfrau aus Siena mit Namen Madonna Minoceia, 
bie Gattin eines edeln Ritters, welcher Meffere Stricca 
hieß. Darum trug befagter Galgano beftändig an ben 
Kleidern und fonft das Wahrzeichen feiner ebengenannten 
Geliebten, und machte ihr zu Xiebe oftmals Turniere und 
Maffenfpiele mit und veranftaltete Toftbare Gaftmähler. 
Bei alledem wollte ihn aber Madonna Minoccia niemals 
erhören, und Galgano wufte gar nicht mehr, was er 
noch thun und fagen follte, als er fah, welche ˖Grau⸗ 
ſamkeit in der Bruft diefer feiner Gebieterin waltete, bie 
er viel lieber hatte als fich ſelbſt. Immer bei Zeiten 
und Hochzeiten war er hinter ihr her und hielt den Tag 
für verloren, an dem er fie nicht zu fehen bekommen. 
Oftmals ſchickte er an fie durch Mittelsperfonen Gefchente 
und Botfchaften, aber niemals wollte die Frau etmas 
in Empfang nehmen noch anhören, ſondern war jedes mal 
härter als zuvor. So war der befagte Liebende lange 
Zeit von ber heftigften Liebe und Treue gequält, die er 
für diefe Frau hegte, und oftmals beflagte er fich gegen 
Amor und fprah: Ach, mein Gebieter, wie magft du es 

4** 


82 III. Giovanni Kiorentino. 


ertragen, daß ich Liebe und nicht geliebt werdet Siehſt 
du nicht, daß dies deinen Geboten zumwiderläuft? 

So wollte er oft und viel im Gedenken an die Grau- 
ſamkeit jener Frau ſich der Verzweiflung bingeben. Aber 
doch befchloß er, fittfamlich das Joch fo fortzutragen, bis 
es Amorn einmal gefiele, ihn Gnade finden zu laffen, 
und gab die Hoffnung nicht auf. Er ließ fich angelegen 
fein, in Reden und Handlungen ihr gefällig zu fein; 
fie aber ward nur um fo unbeweglicher. Einftmals war 
Meffere Stricca und feine fchöne Gemahlin auf einem 
ihrer Güter bei Siena; der befagte Galgano kam auch 
vorüber mit einem Sperber auf der Fauſt und that, als 
ginge er auf die Vögeljagd, er wollte aber nur die Frau _ 
fehben. So kam er denn an bem Haufe vorbei, mo fie 
war, und ald Meffer Stricca ihn fah und fogleich erkannte, 
ging er ihm entgegen und nahm ihn freundfchaftlich bei 
der Hand mit der Bitte, gefälligft mit ihm und feiner 
Gemahlin zu fpeilen. Galgano dankte ihm bafür auf das 
Derbindlichfte, bat aber ihn für entfchuldigt zu achten. 

Denn, fagte er, ich muß nothmendig irgendwohin gehen. 

Darauf fagte Meſſer Stricca: So nehmt wenigftens 
einen Trunk an! 

Der Jüngling aber antwortete: Schönen Dank! Bleibt 
mit Gott! Ich habe Eile. 

Als Meffer Stricca feinen Entſchluß ſah, ließ er ihn 
binziehen und ging wieder ind Haus. Galgano aber, als 
er von Meſſer Stricca hinweg war, fprach bei fich felbft: 
Ach, ich Unglüdlicher, warum babe ich nicht angenommen? 
So hätte ich fie wenigſtens gefehen, die mir theurer ift 
als die ganze Welt. 

Während er biefen Gedanken nachhing, ſteigt eine 
Elſter auf. Darum ließ er den Sperber los, die Eiſter 
flog in den Garten Meſſer Stricca's und der Sperber 
packte ſie in die Klauen. Als Meſſer Stritca und ſeine 
Frau dieſen Sperber hörten, liefen ſie an das Garten⸗ 
fenſter, und als bie Frau die Geſchicklichkeit bemerkte, 





23. Galgano's Entfagung. 83 


womit der Sperber die Elſter faßte, fragte fie, da fie es 
nicht wußte, wen der Sperber gehöre. 

Meſſer Stricca antwortete: Diefer Sperber hat ein 
gutes Borbild an feinen Herrn, benn er gehört dem treff- 
lichſten und volltommenften Süngling in ganz Siena. 

Die Frau fragte, wer dies fei. 

Der Vogel gehört Galgano, erwiberte ihr Gatte, welcher 
eben vorübergegangen iſt. Ich bat ihn, bei uns zu fpeifen, 
er nahm es aber nicht an. Fürwahr, es iſt der anmutbigfte 
und rechtſchaffenſte Züngling, den Ich je gefehen habe. 

"Sie gingen vom Penfter weg und begaben fich zu 
Tiſche. Galgano lockte feinen Sperber zu fi) und ent- 
fernte fich ebenfalle. Die Frau aber merkte jene Worte 
und behielt fie im Sinne. Als daher einige Tage darauf 
Meffer Stricca von der Gemeinde von Siena als Ge 
fandter nach Perugia ging und feine Frau allein zu Haufe 
. ließ, ſchickte fie, fobald fie erfahren, daß ihe Mann weg⸗ 
geritten fei, eine Vertraute an Galgano und bat ihn, er 
möge gefälligft zu ihr kommen, fie wolle mit ihm reden. 
As ihm die Borfchaft ausgerichtet war, antwortete Gal- 
gano, er komme fehr gerne. Als nun Oalgano hörte, 
dag Meſſer Stricca nach Perugia gegangen fei, machte 
er fit) am Abend zu paſſender Stunde auf den Weg 
und ging in das Haus der Frau, die er weit mehr ale 
feine Augen liebte. Als er vor die Frau trat, grüßte er 
fie chrerbietig, die Frau aber nahm ihn mit großer Freude 
bei der Hand, umarmte ihn und ſprach: Sei mir hundert 
mal willkommen, mein ®algano! 

Und ohne weitere Worte gaben le ſich mehrmals den 
Friedenskuß. Die Frau lieh ſodanm Zuckerwerk und Wein 
fommen, und nachdem fie. miteinander gegeffen und ge⸗ 
trunken hatten, nahm ihn die Frau bei der Hand und 
ſprach: Mein Galgano, es ift Zeit fhlafen zu gehen. 
Gehen wir baher zu Bette! 

Galgans antwortete und ſprach: Madonna, ganz nach 
eurem Gefallen. 


86 III. Giovanni Fiorentino. 


dann im Frühling reiſen wir zuſammen. Du kannſt in⸗ 
zwiſchen eine andere Wiſſenſchaft lernen, ſo verlierſt du 
deine Zeit nicht. 

Bucciuolo war damit zufrieden und verſprach ihn 
abzuwarten. Die Zeit nicht zu verlieren ging alſo Buc⸗ 
ciuolo zu ſeinem Meiſter und ſprach: Ich habe mich ent⸗ 
ſchloſſen, auf meinen Geſellen und Vetter da zu warten, 
und bitte euch, mich unterdeſſen irgend eine andere ſchoͤne 
Wiffenfchaft zu lehren. 

Der Meifter verfegte, ex fei es zufrieden, und ſprach: 
Suche dir eine Wiffenfchaft aus, welche du willft, und 
ich will fie dich gern lehren. 

Da ſprach Bucciuold: Lieber Meifter, ich möchte gern 
lernen, wie man fic verliebt und wie man ſich dabei zu 

verhalten hat. 

Der Meifter entgegnete lächelnd: Das gefällt mir 
nicht übel. Du hätteft nicht leicht eine Wiſſenſchaft wählen 
tönnen, womit ich zufriebener geweſen wäre. Begib dich 
alfo nächften Sonntag Morgen in die Kirche der Mino- 
ritenbrüber, wenn alle Frauen dort verfammelt find, und 
gib wohl Acht, ob eine iſt, die div wohlgefällt; und 
findeft du eine, fo folge ihr von weitem, bie du fiehft, 
wo fie wohnt, und dann komm wieder zu mir! Und 
dies foll die erfte Aufgabe fein, die du zu lernen haft. 

Bucciuolo ging und am folgenden Sonntag Morgen 
fand er fich nach der Anmeifung feines Meifters in der 
Minoritenkirche ein, um die Frauen zu muftern, welde 

ſich zahlreich genug verfammelt hatten. Unter ihnen ſah 
er eine, die ihm fehr gefiel, denn fie war gar ſchoͤn und 
reizend. Als fie daher die Kirche verließ, folgte ihr 
Bucciuolo und fah und merkte fih das Haus, mo fie 
wohnte, woraus die Dame abnahm, daß biefer Stubent 
im Begriffe fei, ſich in fie zu verlieben. Buceiuolo ging 
zu feinem Meifter zurüd und fprah: Ich habe gethan, 
fan ihr mir fagtet, und eine gefunden, die mir fehr 
gefällt. Ä 





23. Die Kunfk zu lieben. 87 


Darüber hatte der Meifter eine große Freude und 
lachte heimlich des Bucciuolo wegen der Kunft, die er 
lernen wollte. Dann ſprach er zu ihm: Jetzt mußt bu 
ſuchen, zwei ober drei mal täglid anftändig an ihrem 
Senfter vorüberzugehen. Nur Halte die Augen bei dir 
und laß niemand merken, daß du nach ihr Hinblidft! 
Weide dich jedoch fo lange an ihrem Anfchauen, bis fie 
beine Neigung gewahrt, und dann fomm wieber zu mir. 
Das foll deine zweite Aufgabe fein. 

Hierauf verließ Bucciuolo feinen Meifter und begann 
mit kluger Vorficht an dem Haufe feiner Dame vorüber- 
zugehen, bis fie deutlich erkannte, dag es um ihretwillen 
geichehe. Da fing fie an, auch nach ihm zu bliden, fo- 
daß Bucciuolo anfıng, fich befcheiden vor ihr zu verneigen, 
was fie mehrmals ermiderte, woraus Bucciuolo ſchloß, 
daß die Frau ihn liebe. Er berichtete daher feinem Mei⸗ 
fter alles, worauf biefer antwortete und fprach: Recht 
fhön; ich bin mit dir zufrieden; bis jegt haft du dich 
in Allem wohlgehalten. Nun mußt du Mittel fuchen, 
ihr eines jener Weiber zuzufchiden, die in Bologna mit 
Spigen, Börfen und dergleichen haufiren. Laß ihr fagen, 
du ſteheſt ganz zu ihren Dienften; es fei niemand auf 
ber Welt, den du mehr liebeft als fie; du feieft gern 
bereit, alles für fie zu thun, was ihr gefalle Dam 
wirft du hören, mas fie dir antworten läßt! Und je 
nachdem du dann von ihr Beſcheid erhäftft, fo komm 
wieder hierher und erzähle es mir, und ich werde dir 
fagen, was du weiter zu thun haft. 

Bucciuolo begab fich ſchnell hinweg und machte eine Hau⸗ 
firerin ausfindig, die zu diefem Behuf ganz tauglich war. 

Ihr könnt mir einen auferordentlichen Dienſt leiten, 
fprah er zu ihr, für den ich euch gut bezahlen will, 
daß ihr mit mir zufrieden fein follt. 

Die Krämerin antwortete: Ich mill thun, was ihr 
von mir fordert, denn ich lebe nur von dem, mas ich 
mir verdiene. 


88 III. Giovanni Fiorentino. 


Darauf gab ihre Bucciuolo zwei Gulden mit ber Er- 
Härung: Nun fo bitte ich euch, daß ihre mir heute einmal 
in die Strafe Mascarella geht, wo eine junge Frau Na- 
mend Madonna Giovanna wohnt, und die ich über alles 
in der Welt liebe. Empfehle mich ihr und fagt ihr, ich 
fei bereit, alles für fie zu thun, was ihr angenehm fein 
könnte. Das könnt ihr dann in allerlei füße Worte ein- 
wideln, wie fie euch gewiß einfallen. Darum bitte ic 
euch fo fehr ich weiß und kann. 

Die Alte fagte: Laßt mich nur machen! Ich will 
ſchon den rechten Zeitpunkt finden. 

Geht, antwortete Bucciuolo; ich erwarte euch hier. 

Die Alte fegte fi ch gleich mit einem Korb voll MWaaren 
in Bewegung und ging damit zu ber Frau, die fie unter 
der Thüre figen fand, begrüßte fie und ſprach fodann: 
Madonna, ift euch vielleicht etwas unter diefen meinen 
Waaren gefälligt Nehmt Led heraus, was euch gefällt. 

Dabei fegte fie fich zu ihre und begann, ihr Schleier, 
Börfen, Schnüre, Spiegel und anberes dergleichen vor« 
zuzeigen. Nachdem fie vielerlei gefehen hatte, geftel ihr 
unter Allem befonders eine Börſe und fie fagte: Wenn 
‚ih Geld Hätte, würde ich gern dieſe Börfe Laufen. 

Die Verkäuferin entgegnete: Madonna, darauf braucht 
ihr durchaus Feine Rücficht zu nehmen. Wählt, was euch 
von meinem Krame irgend gefällt! Es ift mir alles fchon - 
bezahle. 

Die Frau wunderte ſich über diefe Worte und über 
die befondere Freundlichkeit der Alten und fragte fie: 
Was wollt ihr damit fagen, gute Frau? Was bedeuten 
dieſe Worte? 

Die Alte ſprach darauf ganz weinerlich: Das will 
ih euch wohl fagen. Ein Jüngling Namens Bucciuolo 
bat mich hergeſchickt. Er liebt euch und ift euch mit 
ganzer Seele ergeben. Es ift nichts auf der Welt, das 
er nicht für euch thun würde, wenn ed in feiner Macht 
flünde, und er läßt euch fagen, daß ihm Gott feine 


23. Die Kunft zu lieben. 89 


größere Gnade erzeigen koͤnnte, als wenn er ihm ein 
Gebot von euch zulommen Tiefe. In der That, mir 
fommt «8 vor, als ob er fich ganz verzehrte vor lauter 
Begierde, mit euch zu fprechen; und doch habe ich viel⸗ 
leicht nie einen rechtfchaffenern jungen Mann gefehen 
als ihn. 

Als die Frau diefe Worte hörte, "wurde fie ganz 
roth im Geficht und fagte zu ber Alten gewendet: Wenn 
mich nicht die Rückſicht auf meine Ehre davon abhielte, 
fo wollte ich euch übel genug zurichten. Schämft du dich 
nicht, du garſtige Alte, einer ehrbaren Frau foldhe Bot⸗ 
ſchaft zu hinterbringen? Gott möge dich dafür ſtrafen! 

Bei dieſen Worten nahm die junge Frau das Quer⸗ 
holz der Thüre zur Hand und wollte ſie damit ſchlagen. 

Wenn du je wieder hierher kommſt, rief ſie, ſo werde ich 
dich ſo bedienen, daß nicht mehr viel von dir zu ſehen iſt. 

Das Mütterchen nahm alſo behende ihren Kram zu⸗ 

ſammen, ging ihrer Wege und hatte große Angſt, ſie 
möchte jene Stange verſchmecken, hielt ſich auch nicht für 
fiher, als bis fie wieber bei Bucciuolo angelangt war. 
Als Bucciuolo fie_vor ſich fah, fragte er fie, mas fie 
bringe, und wie feine Sache ftehe. 
Schlecht ſteht fie, antwortete die Alte; in meinem 
Leben bin ich nicht fo erfchroden. Kurzum fie will nichts 
von dir hören noch fehen. Und hätte ich mich nicht ſchnell 
aus dem Staube gemacht, fo hätte ich wahrfcheinlich eine 
Thürſtange zu verfpüren gekriegt, die fie in der Hand 
hatte. Was mich betrifft, fo babe ich Feine Luft mehr 
zu ihre zurück und rathe auch dir, dich nicht mehr mit 
diefen Dingen zu befaffen. 

Bucciuolo blieb ganz troftlos zurück; dann begab er 
fih Schnell zu feinem Meifter und erzählte ihm, was ihm 
begegnet fei. Der Meifter tröftete ihn und ſprach: Be—⸗ 
ruhige dich, Bucciuolo! Kein Baum fällt auf den erften 
Streih. Geh Heut Abend noch einmal vorbei und gib " 
Acht, was fie dir für ein Geſicht' macht und ob fie auf- 


92 II. Giovanni Fiorentino. 

ließ mit einem Worte auch den Meinften Winkel des 
Hauſes nicht undurchforſcht, ohne daß er doch Bucciuolo 
finden konnte. Seine Frau ging ihm dabei immer mit 
dem Licht in der Hand zur Seite und ſagte oft: Lieber 
Meiſter, ſchlagt ein Kreuz, denn gewiß hat euch der 
Feind Gottes verſucht und euch eine Sache vorgeſpiegelt, 
die nimmermehr geſchehen kann; denn wenn nur ein Haar 
an meinem Leibe nach fo etwas verlangte, fo brächte ich 
mid) felber um. Darum bitte ich euch um Gottes willen, 
laßt euch nicht bethoren! 

Wie nun der Meifter Bucciuolo nicht fand und die 
Frau fortwährend fo reden hörte, maß er ihr faft Glauben 
bei, blies bald darauf feine Kerze aus und ging wieder 
nad) der Schule. Die Frau riegelte ſodann gefchwind 
die Thüre, zog Bucciuolo unter der Wäfche hervor, fachte 
ein helles Feuer an, bei dem fie dann einen großen fetten 
Kapaun verfpeiften und mehre Sorten Wein tranten. ° 
Während fie fo eine vortrefflihe Abendmahfzeit hielten, 
fagte bie, Frau wiederholt: Siehſt du, dieſer mein Mann 
bat fich nicht träumen laffen, wo du ſeiſt. 

Nach vielen Scherzen und Kurzweilen nahm ihn die 
Frau bei der Hand und führte ihn in die Kammer, wo 
ſie miteinander zu Bett gingen und ſich in jener Nacht 
das Vergnügen verſchafften, welches beide Theile wuͤnſchten, 
und einander wiederholt geſegneten. Und da die erſehnte 
Nacht vorüber war und der Morgen anbrach, ſtand Buc⸗ 
ciuolo auf und fagte: Madonna, ich muß nun von euch 
fiheiden. Habt ihr mir noch irgend etwas zu gebieten? 

D ja, fagte fie, daß du diefen Abend wiederkommſt. 

Bucciuolo fagte: Das foll gefchehen. 

Hierauf nahm er Abfchied, ging hinaus und kehrte 
zue Schule zurüd, wo er zu dem.Meifter fagte: Ich 
habe euch etwas zu erzählen, worüber ihr genug lachen 
werdet. 

Wie ſo? antwortete der Lehrer. 

Geſtern Abend, ſagte Bucciuolo, als ich bei ihr im 








23. Die Kunft zu lieben. 93 


Haufe war, fiehe ba kommt der Mann, fucht das ganze 
Haus duch und weiß mich doch 'nicht zu finden. Sie 
hatte mich unter einem Berg von Wäfche verſteckt, die 
noch getrodnet werden follte, und kurzum fie wußte fo 
Hug zu fprechen, dag er endlich hinwegging; ſodaß wir 
nachher einen dicken Kapaun verzehrten und feine Weine 
tranten mit der größten Heiterkeit und Wonne, bie ihr 
euch nur denken koͤnnt, und fo blieben wir munter und 
machten und gute Zeit bis zum Morgen. Da ich nun 
die ganze Nacht wenig gefchlafen habe, will ich mich jegt 
zur Ruhe legen, denn ich habe ihr verfprocdhen, dieſen 
Abend wieder zu ihr zu kommen. 

‚Der Meifter fagte: Wenn du hingehft, fo künde es 
mir doch an! 

Bucciuolo antwortete: Herzlich gern. 

Darauf verließ er ihn. Der Meifter aber war ganz 
von Zorn entbrannt, daß er ſich vor Schmerz nicht zu 
faffen wußte und den ganzen Tag nicht im Stande war, 
‘eine Vorleſung zu halten, fo fehr war fein Her; in An- 
fpruch genommen. Immer dachte er daran, wie er ihn 
am naͤchſten Abend erreichen werde, und borgte ſich einen 
Panzer und eine Pidelhaube. Als ed an der. Zeit -war, 
begab fich der forglofe Bucciuolo zu feinem Lehrer und 
fagte: Jegt gebe ich. 

Der Meifter ſprach: Geh nur und komm morgen früh 
wieder und erzähle mir, wie es dir ergangen ift! 

Buceiuolo antwortete: Das will ich thun. 

Dann machte er fi ungefäumt auf den Weg nad 
dem Haufe der Frau. Der Meifter aber legte alsbald 
feine Waffen an, folgte dem Bucciuolo faft auf dem 
Fuße und gedachte ihn noch unter ber Thüre zu erwifchen. 
Die Frau ‚aber hatte ihren Liebhaber erwartet, ließ ihn 
ein: und verfchloß die Thüre wieber. Der Meifter kam 
im Augenblick darauf und begann zu pochen und einen 
gewaltigen Lärm zu machen. Die Frau löfchte fehnell 
das Licht aus, ſchob den Bucciuolo Hinter fich, ſchloß 


94 IH. Giovanni Kiorentino. 


die. Thüre auf und umarmte ihren Gemahl, während fie 
mit dem andern Arm den Bucciuolo hinausſchob, ohne 
daß ihr Mann ed merkte. Dann fing fie an zu fchreien: 
Herbei, herbei, der Meifter ift toll geworben! 

Dabei hielt fie ihn feſt umfhlungen. Die Nachbarn 
liefen auf den Lärm herbei und ba fie den Meifter fo 
bewaffnet faben und die Frau rufen hörten: „Haltet ihn, 
denn er ift übergefehnappt vom vielen Studiren!“ glaubten 
fie e8 und waren dee Überzeugung, daß er von Sinnen 
ſei. Sie fingen daher an und ſprachen: Ei, Meifter, 
was foll das bedeuten? Geht zu Bette, um auszuruben, 
und ftrengt euch nicht weiter an! 

Der Meifter fagte: Wie fol ich zur Ruhe kommen, 
wenn das fchlechte Weib einen Mann’ im Haufe hat, 
den ich felbft hereinfchleigen ſah? 

Da rief bie Frau: Ich unglüdliches Meib! Fragt 
alle diefe Rachbarn, ob fie mir den geringften Fehltritt 
nachſagen können! | 

Da. antworteten Männer und Frauen aus einem 
Munde: Meifter, habt doch nicht folhe Gedanken! Es 
ward ja nie eine beffere Frau geboren als diefe, von 
reinern Sitten und unbefledtern Ruf. 

Bas? rief der Meifter. Wenn ich nun felbft einen 
hereinfchleichen fah und weiß, daß er hier ift? 

Unterbeffen tamen zwei Brüder der Frau. Da fing 
fie gleich an zu weinen und ſprach: Liebe Brüder, feht 
ber, mein Mann ba ift übergefhnappt und will mid) 
ums Leben bringen, weil er behauptet, ich Habe einen 
Mann im Haufe. Ihe wißt doch wol, daß ih nicht 
der Art bin, dag man mir derlei fhuldgeben Tann. 

Die Brüder fprahen: Wir wundern uns fehr, wie 
ihr unfere Schwefter hier ein fchlechtes Weib nennen 
dürft. Was bringt euch denn heute fo plöglich gegen fir 
auf, da fie. doch fehon fo lange mit euch zuſammenlebt? 

Der Meifter erwiberte: Ich fage euch, es iſt einer 
hier im Haufe und ich Habe ihm felbft gefehen. 





23. Die Kunft zu Fieber. 95 


Wohlen, antworteten bie Brüder, laßt uns ihn fuchen! 
Und finden wir ihn, fo wollen wir fo bei ihr aufräumen 
und fie dergeftalt beftrafen, daß ihr zufrieden fein follt. 

Einer der beiden rief die Schwefter beifeit und ſprach: 
Sage mir die Wahrheit, haft du einen im Haufe? 

Die Frau erwiderte: Weh mir, mas fagft du? Der 
Heiland bewahr mic, davor und gebe mir eher den Top, 
ehe ich auch nur mit einem Härchen mich fo etwas ge- 
lüften laſſe. Weh, ſoll ich jegt begehen, was nie eine 
beging aus unferm Hauſe? Schämft du dich nicht, mid) 
nur danach zu fragen? 

Den Bruber beruhigte dies fehr und fie begannen 
nun zugleih mit dem Meiſter Hausſuchung zu halten. 
Der Meiſter ftürzte plöglih auf jene Waͤſche los und 
durchbohrte fie, als fechte er mit Bucciuolo, denn er 
glaubte, da fei er verborgen. _ 

Hab ichs euch nicht gefagt, rief Die Frau, daß ber 
Meifter übergefchnappt ifit Die Waſchleinwand zu ver- 
derben, bie ihm nichts zu leid gethan bat! 

Da fahen die Brüder, daß der Meifter von Sinnen 
fei; und nachdem fie alles genau durchſucht und nichts 
gefunden hatten, fagte der eine: Er iſt verrüdt. 

Und ber andere fprach: Meifter, in der That, lieber 
Meifter, ihr habt fehr Unrecht, unfere Schweſter als ein 
fchlechtes Weib Hinzuftellen. 

Darüber geriet der Meifter in die äußerſte uch, 
weil er wußte, was er geleben batte, und begann fich 
mit hoͤchſt leidenfchaftlichden Worten gegen fte auszulaflen, 
wobei er immer das bloße Schwert in der Hand hielt. 
Da nahmen die Brüder jeder einen derben Stock in die 
Hand und prügelten den Meifter fo reichlich durch, bie 
fie ihm die beiden Stöde auf dem Rüden zerbrochen 
hatten. Dann knebelten fie ihn als einen Verrückten, 
der, wie fie fagten, vom allzu vielen Studiren überge- 
ſchnappt fei, und hielten ihn die ganze Nacht gebunden, 
während fie fi) mit ihrer Schmwefter zur Ruhe begaben. 


96 HI. Giovanni’ Fiorentino. 


Am Morgen liegen fie einen Arzt rufen; der verordnete, 
ihm an der Zeuerfeite ein Bett zu machen, und befahl, 
man folle ihn mit niemand reden laffen, ihm auch auf 
nichts antworten und ihn fo lange faften laffen, bis er 
wieber bei Verftand wäre; was benn auch pünktlich voll- 
zogen wurde. Das Gerücht verbreitete ſich durch Bologna, 
der Meifter fei ein Narr geworden; jedermann bebauerte 
ihn deshalb und einer fagte zum andern: Gewiß, ich 
habe es ſchon geftern bemerkt, denn er war nicht im 
Stande, unfere Vorlefung zu halten. 

Ein anderer fagte: Ich fah es ganz, wie er ein an- 
derer Menfch wurde. 

Und alfo erklärten ihn allefammt für einen Berrüdten 
und verabredeten, ihm miteinander zu befuchen. Bucciuolo 
wußte von alledem nichts und kam zur Schule, um dem 
Meifter auch feine neueften Erlebniffe mitzutheilen. Dort 
angelangt, erfuhr er benn, dag der Meifter verrüdt ge- 
worben fei. Bucciuolo erftaunte und betrübte fich darob 
gar fehr und begleitete die andern nach dem Haufe bes 
Meifters. Da begann er aber ſich über die Maßen zu 
verwunbern, ja er ſank faft in Ohnmacht, als er erkannte, 
wie e8 um bie -Sache befchaffen fei. Damit aber nie 
mand etwas merke, ging er mit den. andern hinein. 
Im Saale angelangt, fah er ben Meifter ganz erfchöpft 
und gefeffelt am Feuer im Bett liegen. Die Studenten 
brüdten ben Meifter alle ihr. Beileid aus und erklärten 
‚ ibm, wie fehr fie fein Unglücd bedauern. Als aber bie 
Reihe an Bucciuolo kam, fagte er zu ihm: Lieber Meifter, 
ihre thut mir leid wie mein Vater, und wenn ich euch 
in irgend etwas gefällig fein kann, fo gebietet über mich, 
wie über einen Sohn! 

Der Meifter antwortete und ſprach: Bucciuolo, Buc⸗ 
ciuolo, lauf mit Gott von bannen! Du haft auf meine 
Koften ſtudirt. 

Die Frau fügte hinzu: Achter nicht auf feine Worte, 
denn er fafelt und weiß felber nicht was er fpricht." 


24. Die Freundin des Cardinals. 97 


Bucciuolo aber ging hinweg, fuchte Pietro Paolo auf 
und fagte: Lieber Bruder, gehab dich wohl! Ich habe 
nun fo viel gelernt, daß mir ber Appetit vergangen ift. 

Darauf reifte er ab und kam glücklich nach Rom. 


24. Die Freundin ded Cardinalß. 


(3, 1.) 


In Bal di Pefa, im Gebiete von Florenz, lebte einft 
ein Priefter mit Namen Don Placido, welcher wegen 
einer Befchwerbe nad) Avignon zu gehen befchlof. Er 
machte ſich daher auf und ging nach Piſa, flieg dort zu 
Schiff und fuhr nah Nizza in der Provence, wo er ' 
landete und in der Herberge eines gewiffen Bartolomeo . 
von Siena abflieg. Als der befagte Priefter fchon im 
Bette war, kam ein waderer Knecht beffelbigen Wirthes 
zu ihm’ an das Bette und ſprach zu ihm: Meffere, es 
find hier ein Paar Ordensbrüder in der Herberge, von 
welchen ber eine fehr krank ift, und da in diefer Gegend 
die Seuche gehauft hat, ift großer Mangel an Geiftlichen. 
Darum bitte ic euch, ihr möget zu ihm fommen und 
nachſehen, wie es bei ihm ſteht. 

Der Priefter antwortete: Sehr gerne. 

Er zog ſich eilends an und kam in das Zimmer, 
wo bie beiden Brüder waren. 

Meffere, fagte der eine, ich empfehle euch diefen meinen 
Gefährten und Vater. 

Darum fegte fih der Priefter an das Bette und fing 
an des kranken Bruders Beichte zu hören, ihn an fein 
Seelenheil zu mahnen und ihm dringend einzufchärfen, ' 
daf er ſich mit unferm Herren Gott ausfühne. Der gute 
Bruder wollte davon nichtd hören, vielmehr ftarb er kurz 

Italiäniſcher Novellenſchatz. I. 5 


98 II. Giovanni Fiorentino. 


darauf wie ein Verzweifelter. Der jüngere überlebende 
Bruder fing, als er den andern tobt ſah, laut zu weh⸗ 
flogen an. Der Prieſter tröftete ihn und bat ihn, ſich 
zu beruhigen, da wir ja alle einmal fterben müſſen. Nach 
furzem Verweilen nahm er Abſchied von bem Bruder, 
um in fein Zimmer zurüdzutehren; aber ber Bruder 
ſprach zu ihm: Meffere, ich bitte euch um Gottes willen, 
mich nicht zu verlaffen, und Mittel und Wege zu finden, 
wie wir diefen Todten beftatten. Erweiſt ihm doch alle 
Ehre, die ihr könnt! 

Dann zog er einen Beutel von. feiner Seite, worin 
fi) etwa dreißig Gulden Geld befanden, und fuhr fort: 
Da nehmt dies zur. Beftreitung der Auslagen und zahlt, 
was es koſtet! , 

Der Priefter nahm ben Beutel, ließ Diener und 
Knecht des Wirthes rufen, gab jedem ein Trinkgeld und 
fhidte fie dann aus, um alles Erforderliche für die Beer⸗ 
digung zu beſorgen. Am Morgen war denn auch ſchon 
Alles fo ehrenvoll als möglich bereit, um ben Bruber 
beizufegen.. Nachdem der Priefter Alles bezahlt hatte, 
Eehrte er zu dem andern jüngern Bruder zurüd, fprach 
ihm Troſt zu und gab ihm den Beutel mit dem übrigen 
Gelde wieder. Unter Thränen fragte der Bruder ben 
Priefter, wohin er gehe. Der Priefter antwortete: Ich 
gehe nach Avignon. ZZ 

* Bruder ſprach: Da würde ich gerne mit euch 
gehen. | , 

Ich bin gerne bereit, verfegte ber Priefter, euch Ge⸗ 
ſellſchaft zu leiften, denn für jeden von uns ift es beffer, 
in Gefellfhaft zu reifen als allein. 

Nun flug der Bruder wieder die Augen auf und 
- fein ganzes Geficht erheiterte fih. Der Prieſter fah ihn 
feft an und er meinte, nie fihönere Augen als biefe 
gefehen zu Haben.‘ Um euch aufzuklären, muß ich nämlich 
fagen, daß biefer Bruder ein Weib war und zwar eine 
Edelfrau aus Viterbo, wie ihr gleich hören werdet. Der 


- 24. Die Freundin des Carbinals. | 98 


Priefter war indeß der Anfıcht, es fei ein Mann, und 
wunberte fich ſehr über die fchönen Augen und das feine 
Geſicht. Sobeld fie übereingelommen waren, miteinander 
zu reifen, gab der Bruder dem Prieſter funfzig Gulden wit 
den Worten: Mache ihre den Zahlmeifter und befriedigt 
den Wirth nad) feinem Begehren. 

Der Prieſter nahm das: Geld, bezahfte den. Wirth, 
darauf fliegen fie zu Pferd und fchlugen die Stenfe nad 
Avignon ein. Um nicht erkannt zu werben, hatte ſich 
der Bruder moͤglichſt verftsdt in fein. Scapulier, brüdte 
den Hut ind &dicht, ſprach wenig und ritt immer hinten» 
drein. Der Priefker meinte, er thue das aus Betrübniß 
und Schmerz über den Tod des andern Bruders, fing 
alfo an, Kiedihen herzufagen und Späße zu machen, um 
ihm die Grillen zu vertzeiben; der Bruder aber blieb 
mäuschenftille und hängte nachdenklich den Kopf. Am 
Abend kamen fie an eine Burg, welche Graffa heißt; 
dort fliegen fie ab in ber Herberge einer Witwe, welche 
eine vor menigen Tagen ebenfalle zur Witwe gewordene 
fehr fchöne und anmuthige Tochter hatte. Sobald fie 
abgefiegen waren, faßte die Wirthstochter den Bruder 
ins Auge und fand Gefallen an feinen feinen ſchonen 
Zügen. Ja fie verkiebte ſich wirklich in ihn umd konnte 
nicht fatt werden, ihn anzuſehen. Ber Bruber ſprach 
zu dem Priefter: Laßt euch eine Schlafkammer geben 
mit zwei Betten. 

Es wurde ſogleich beſorgt. Ber Wirthin Töchterlein 
kochte am Abend felbft, erwies ihnen große Ehre, fiherzte 
fortwährend mit dem Bruder und bot ifm am Abend 
mehrerlei Wein an. Ber Priefter merkte die Sache, 
that abes, als fehe er nichts, und ſprach bei fh felbft: 
Mich wunderts nicht, daß das Weibchen in ihm vernarrt 
tft, denn ich Babe wol lange Zeit Fein fo ſchoͤnes Geſicht 
gefehen. 

Als fie zu Racht gegeffen hatten, machte der Prieſter 
einen Audgang, um bie beiden nicht zu flören. Er dachte, 

. 5* 


100 II, Giovanni Fiorentino. 


der Bruder fei der Sohn irgend eines reihen Mannes, 
der nach Avignon gehe, um eine Pfründe zu erlangen, 
denn es ſchien ihm, er babe viel Geld. : Als es Schla: 
fenszeit war, kam ber Priefter wieder heim und fagte: 
Meffere, wollen wir zur Ruhe gehen? 

Fa, antwortete der Bruder, wenn es euch recht ift. 

Kaum waren fie in ihrer Schlaflammer, fo fchichte 
die MWirthötochter dem Bruder durch einen Burfchen eine 
Schachtel mit Zuckerwerk und einen fehr feinen Wein. 
Da fagte der Prieſter Lächelnd: Ihr Habt gewiß heute 
früh Sanct Julians Paternofter gebetet, denn wir könnten 
feine beffere Herberge, Beine ſchoͤnere und gefälligere Wir 
thin finden. 

So fing er an mit dem Bruber zu fihergen. Der 
Bruder lachte darüber, fie fprachen einander zu und 
tranten von dem Weine. 

Gewiß, fagte der Priefter, ich will nie diefes Weges 
gehen, ohne in biefer Herberge einzufprechen; freilich follte 
ih dann auch immer euch bei mir Haben, denn biefe Ehre 
gilt euch, nicht mir. 

Der Bruder fagte lachend: Fürwahr, das junge Weib 
ift recht hübfch. | 

Der Priefler antwortete: Wenn wir fie nur heute 
Nacht zwifchen uns beiden liegen hätten! 

Weh, verfegte der Bruder, was fagt ihr? 

Der Priefter aber fagte: Es kommt auf den Verfuch an. 

Die Tochter der Wirthin hatte ſich verftedkt, um zu 
erfahren, welches Bett der Bruder wähle, und hörte 
und ſah fomit zum Theil ihre Unterhaltung mit an. 
Die Eittfamkeit des Bruders nahm fie noch mehr für 
ihn ein und fie konnte kaum erwarten, bie er zu Bette 
ging. Der Bruder aber wußte davon nichts und nadh- 
bem fie noch Tange gefprochen hatten, legte fich der Priefter 
in eine® der Betten und der Bruder in das andere. Als 
nun die Frau fah und hörte, daß beide eingefchlafen 
waren, zündete fie ein Licht an, trat ganz leife an das 





24. Die Freundin des Cardinals. 101 


Bette und fing an ſich auszukleiden, um ſich ihm an die 
Seite zu legen. Der Bruder hoͤrte es, ſah plöglih auf 
und erkannte den Beſuch. Er Löfchte daher alsbald das 
Licht, faßte nach den Kleidern, um nicht entbedit zu 
werden, und legte fich neben ben Prieſter außen an fein 
Bette Die Wirthstochter fchämte ſich und ſchlich leife 
von dannen. Der Priefter merkte nichts von Allem und 
hörte nichts. Nach dem erften Schlafe aber wollte er 
fi) umdrehen und kam fo an den Arm bed Mädchens. 
Er wunderte ſich fehr barüber, griff nach ihrer Bruſt 
und erkannte daran, daf ed ein Weib war. Er meinte, 
ed ſei die Wirthstochter und fagte bei fich ſelbſt: Diefe 
meint wahrſcheinlich, ſie liege bei dem Bruder und hat 
ſich in mein Bett verirrt. Nun wahrhaftig, ich will dir 
ſchon geben, was du ſuchſt. 
Alsbald drehte er ſich nach ihr um und gab ihr zwei 
brave Küſſe. Der Herr Bruder rührte ſich nicht und 
ließ ſichs gefallen. Daher ſchlief der Prieſter, auf ſeiner 
bisherigen Meinung verharrend, wieder ein; als aber der 
Morgen kam, wachte der Prieſter auf und rief ihr und 
ſprach: Wehe, ſteh auf, es iſt naͤchſtens Tag: daß deine 
Mutter es nicht merkt! 

Der Bruder erfah aus dieſen Worten, wie es ſtehe 
und daß der SPriefter fie noch nicht kenne. Sie ſaß daher 
im Bette auf, fing an laut aufzulachen, Bleidete fich dann 
allmälig an, zog das Scapulier über fi) und machte 
das Haar zurecht. Der Priefter ſah zu und bemerkte, 
daß ed der Bruder ſei. Da kreuzte und ſegnete er ſich, 
ja er kam faſt von Sinnen, als er fie ihren Kopfpug 
machen fah, denn fie mar anzufchauen wie die Sonne, 
fo blond waren ihre Loden. Nun Heibeten fie fi) an, 
ließen ihre Pferde fatteln, riefen fodann die Wirthin und 
machten die Zeche, worauf ber. Priefter ihre Schuldigkeit 
bezahlte. Die Tochter des Wirthes fagte zu dem Priefter: 
Meffere, euer Begleiter da ift doch gar zu widerfpänftig 
und wild. 





102 IL Bievanni Fiorentino. 


Mabonna, antwortete ber Prieſter, ihr kennt ihm 
nicht; vielmehr habe ich nie einen zahmern und freumb- 
lichern Begleiter gehabt,’ aber er verfteht ſich noch nicht 
recht aufs Durchkommen. 

Die junge Frau ſagte: Das ſcheint ſo. 

Und fo nahmen fie Abſchied und gingen ihres Weges. 
Der Bruder rite immer voraus und fo oft er firh um⸗ 
drehte, ſah er dem Prieſter zurück. Dieſer dachte unauf- 
hörlich Über das gehabte Abenteuer nach, das ihm ganz 
felttam vorlam. Der Bruder erwartete ibn daher und 
ſprach: Geftern, Meffere, war das Nachdenklichſein an 
mir, heute ſcheint die Reihe an euch gekommen zu fein. 
IH mag aber nicht, daß ihr noch weiter euch ben Kopf 
zerbrecht, und um euch aus dem Zweifel zu ziehen, will 
ich euch erzählen, wer ich bin und wehin ich gehe. Im 
Wahrheit bin ich ein Weib, wie ihr wißt, heiße Petruccia 
und bin die Tochter Vannicello's von Viterbo. Nach 
dem Tode meiner Altern blieb ich unter ber Pflege meiner 
beiden Brüder. Nun begab es fich, daß fich Papft Urban, 
wie ihr wißt, auf feiner Durchreife in Viterbo aufbielt. 
Dobei geſchah es zufällig, daß ein Carbinal, dem ihr bald 
fehen werdet, Durch Gottes gnädige Fügung in unfer Haus 
fam, wo er mic, fah, fich in mich verliebte und nicht 
nachließ, bis er wich hatte. Und als ber Hof von Hier 
nach der Provence überfiebelte, nahm mich der befagte 
Cardinal mit, behielt mid, fortwährend be’. ſich, erwies 
mir immer bie größte Ehre und hatte wich lieber als 
fish felbft.. Als nun ber Papft nach ‘Ponte di Sorga 
sung, begleitete ihn biefer mein Gebleter und ließ mich 
im Avignon zurück mit zwei Kammerfrauen und einen 
Stallmeiſter. Einer meiner Brüder aber fam auf bem 
Rückwege von Sanct Jakob nah Avignon und fuchte 
mich dort auf. Als ich eines Samstag Morgens in der 
Kirche von Sanct Aſiderius die Meſſe hörte, kam mein 
Bruder auch hin und hatte einen feiner liebſten Kameraden 
bei ſich. Unfere Blicke begegneten ſich und er hatte mich 


24. Die Freundin bes Eardinals. 103 


erkannt. Plötzlich padte er mich und fchleppte mich an die 
Rhone auf das Schiff, das er zur Weiterreiſe gemiethet 
hatte. Sobald wir uns eingefchifft hatten, wurde Fein 
Augenblick verfäumt und es ging weiter nach Arles, nach 
Marſeille, dann nah Nizza, von Nizza nach Genua, 
weiter nach Livorno und von bort nach Corneto. Oft⸗ 
mals hätte er mich ind Meer geflürzt, wäre nicht fein 
Begleiter hemmend ihm entgegengetreten; denn unterwegs 
auf dem Schiffe fafte der eine Neigung zu mir und ver- 
langte mich von meinem Bruder zur Frau: diefer willigte 
ein und ich war zufrieden, ihn zum Wanne zu befommen. 
Wir gingen fobann nad) Viterbo, wo er mich unter hei- 
teren Feſten beirathete und dann in fein Haus einführte. 
Das Schidfal ließ ihn aber nur etwa noch einen Monat 
am Leben, worauf er farb. Gewiß wäre ich nicht weg⸗ 
gegangen, wäre nicht fein Tod vorangegangen. Als er 
nun tobt war, kehrte ich in meiner Brüder Haus zurüd 
und biieb dafelbft unter großen Mübfalen und Qualereien; 
denn ich hatte zwei Schwägerinnen im Haufe, ich mußte 
ihre Magd abgeben, ob jeder Kleinigkeit rückten fie mir 
vor, ich fei ein fehlechtes Weib, und fo hatte ich beſtändig 
zu läden. Es begab fich nun eines Tages, daß ich einen 
. &ilboten vorbeifommen fah, der nach Avignon ging. Ich 
gab ihm einen Brief mit an den Prälaten, worin ich ihm 
erzählte, auf welche Weiſe ich weggefommen war und 
daß ich zurückzukehren wünfche, er folle eine vertraute 
Perſon nach mir fenden. Er ſchickte mir auf Died jenen 
in Rizza verflorbenen Bruder, einen ganz wadern Mann, 
und verfprach ‚ihm, wenn er mich nach Avignon führe, 
das erfte Bisthum, das in feiner Heimat aufgehe, folle 
ihm zu Theil werden. Der Bruder fam nad Viterbo 
und fand Gelegenheit mich in ber Kirche der Augufliner 
zu fprechen; dort zeigte er mir einen Brief von der Hand 
des Gardinals und andere Zeichen. Wir fegten darauf 
unfere Abreife fe. Als Alles im Meinen war, gingen 
an einem Feſttag meine Schmwägerinnen und ich nebft 


104 ‚ II. Giovanni Fiorentino. 


andern Frauen in ein Bad, welches das Bad zur Afi- 
nella heißt. Während alle meine Begleiterinnen im Babe 
faßen, that ich, als ginge ich einen Augenblid hinaus 
eines Bebürfniffes wegen, lief aber fchnell hinweg und 
einem Walde zu, in welchem ber Bruder mid) erwartete. 
Dort zog ich meine Weiberkleider aus und legte Diefe 
Mönchskleider an. Wir beftiegen fodann im Augenblid 
zwei Pferde, welche er bereit gehalten, und waren in 
faft ‚drei Stunden in Corneto. Dort hatte er einen 
Schnellfegler bereit, den wir fchnell beftiegen, nachdem 
wir die Pferde zurückgeſchickt. Die Matrofen flachen in 
See und. wir hielten nirgend an, bis wir in Nizza in 
der Provence waren. Das Meer fegte ihm fo zu, daß 
er umkam, wie ihr gefehen habt; und er flarb in ber 
That in Verzweiflung darüber, dag er mich nicht zu. 
feinem Herrn zurüdbringen Zonnte. Ihr wift nun, wer 
ih bin und mo ich hingehe. Wir wollen uns nun an- 
gelegen fein Iaffen, es uns mährend biefer Reife wohl 
fein zu laffen und alle Gedanken von der Welt ver- 
ſcheuchen. © 

So geſchah es denn auch; fie gönnten fich unterwegs 
alle Freuden bei Zafel und im Bette, fangen und fcherzten, 
machten kleine Zagereifen, machten fi) gute Zeit und 
führten ein frohes Leben. Ja die Kiebe zwifchen dem 
Bruder und dem Prieſter wuchs fo fehr, daß es nicht zu 
befchreiben ift, wie fie fi miteinander hielten. Niemals 
hat jemand eine fo vertrauliche Kamerabfchaft gefehen. 
Als fie nun nach Avignon kamen, fliegen fie in einer 
Herberge ab, welche neben dem Palafte jenes Cardinals 
lag. Am Abend fprach ber Bruder zu dem SPriefter: 
Thut, ald wäret ihr mein Vetter und in meiner Gefell- 
[haft gefommen! Dann laßt mich nur weiter machen! 

So gefchah ed. Der Bruder ſchickte in das Haus 
des Cardinals nach einem feiner Kammerdiener, welcher 
Nubinetto hieß. ALS der Kammerdiener kam und ben 
Bruder erkannte, erfreuten fie fich fehr aneinander. ‘Der 





“. 


24. Die Freundin des Gardinals. 105 


Kammerbiener eilte zum Garbinal mit der Nachricht: 
Monfignor, die Petruccia ift da! 

Darüber war der Cardinal fehr erfreut und fagte: 
Mach, daf fie hier ift, wenn ich von Hof komme, aber. 
gewiß! 

Der Kammerdiener brachte ihr ihre Weiberkleider und 
der Priefter war ihr beim Anziehen derfelben behülflich, 
die ihr denn auc, ausnehmend gut fanden; und war 
ber Priefter zuvor fchon in fie verliebt im Mönchskleide, 
fo mar er e8 hundert mal mehr nun in ihrer Frauen- 
tracht. Unter vielen Thränen umarmten fie ſich hundert 
mal an jenem Abend, und hernach, als es Zeit war, 
kam ber Kammerbiener, fie in das Gemach des Cardi⸗ 
nals abzuholen. Als diefer nach Haufe fam, war feine 
erfte Frage, ob die Petruccia da fei, und als er es be- 
ftätigen hörte, eilte er in das -Zimmer und umarmte und 
fügte fie hundert mal. Dort fagte fie ihm die ganze 
Geſchichte, wie ihr Bruder fie gewaltfam entführt, und 
fuhr dann fort: Ich habe einen mir verwandten Priefter 
zu meiner Sicherheit mitgebracht, der mich euch zu Liebe 
nicht verlaffen wollte, fo Iäflig es ihm auch war, mid 
bierher zu euch zu geleiten. 

Ä Der Cardinal ſchickte am Morgen nach dem Prieſter, 

dankte ihm, ließ ihm alle feine Bittfchriften genehmigen 
und erwies ihm jede Gnabe, die jener nur wünfchen 
konnte; er ſchenkte ihm auch eine Kleidung und erwies 
ihm die größte Ehre, fo lange er in Avignon blieb. 
Die Liebe der Petruecia zu dem Priefter war fo groß, 
daß fie bei dem Cardinal von Morgen bis zum Abend 
fein Lob fang; und der Garbinal wandte ihm foldhe 
Gunſt zu, daß er einer der Vornehmften an feinem Hofe 
wurde. Nachdem nun der SPriefter vom Hofe erhalten 
hatte was er wollte, entfchloß er fi, nach Haufe zu 
fehren, was der Petruccia fehr hart däuchte; doch gab 
fie fi darein, als fie fah, wie fehr er es wünſchte. 
Beim Abfchied führte fie ihn zu einer Kifte, worin fich 

56% 





106 IN. Giovanni Fiorentino. . 


ein Becken voll Gulden befand, und fagte ihm, er folle 
daraus nehmen fo viel er wolle. i 

Meine Petruccia, antwortete er ihr, es genügt mir, 
daß ich deine Gunſt mitnehme, weiter begehre ich nicht 
und mag auch von deinem Gelde dir nichts entziehen. 

Als ſo die Petruccia die glühende Liebe des Prieſters 
ſah, zog fie einen ſehr ſchoͤnen Ring vom Finger und 
gab ihm denfelben mit den Worten: Nehmt und fragt 
dies zur Erinnerung an meine Liebe, und gebt es Feiner, 
die nicht ſchöner ift als ich. 

Der Priefter antwortete: Das ift fo viel als: Behalt 
ihn immer! 

Denn nad, meinem Dafürhalten ift nie eine Schönere 
und Lieblichere als du geboren. 

Da fiel ihm die Frau unter vielen Thränen um den 
Hals und fie fihlang die Arme um ihn; fie Lüften. ſich 
auf den Mund, faßten ſich bei der Hand und. verab- 
fhiedeten fich voneinander. Dann nahm er auch Ab» 
Din von dem Cardinal und kehrte in Gottes Namen 
eim. 


25. Wie ein Hahnrei durch Schläge gefröftet wird. 


(3, 2.) 


In Florenz lebte einſt eine ſehr ſchöne Frau, welche 
Madonna Iſabella hieß und an einen ſehr reihen Kauf 
mann Namens Lapo verheirathet war. Sie war die ges 
feiertfie Frau in ganz Florenz, denn es war auch dazu» 
mal in der Stadt Feine fehönere zu finden. Ja ihre Auf 
verbreitete fi) durch ganz Toscana, fo fhon, anmuthig 
und mohlgefittet war fie in jedem Stücke. Als nun ein 
reicher junger Mann von Perugia Namens Geccolo von 
Cola Rafpanti von ihrer Schönheit hörte und vernahm, 











25. Wie ein Hahnrei duch Schläge getröfter wird. 107 


daß oft ihr zu. Liebe Zurniere veranftaltet werben, bekam 
er Luft, fie zu fehen und auch um fie zu tioflieren. Gr 
kaufte alfo Pferde und QVurniergeräthe, Lleidete ſich an- 
ftändig und gut, nahm hinreichend Geld zu fi und 
ging nach Florenz, wo er im Umgang mit den jungen 
Männern viel Aufwand machte. Kurz, er wollte fie 
fehen, und fobald er fie fah, war er plöglich in fie ver- 
liebt und fprach bei fich felbft: Sie ift wahrhaftig noch 
weit ſchöner als ich glaubte. 

Don nun an that er fih um fie um, ging häufig 
vorüber, machte Muſik und Gefang und ftellte Eſſen 
und Gaftmähler an, Alles ihr zu Ehren. Er ging auf 
Feſte und Hochzeiten, und wohin immer die Frau Fam, 
. tioflirte, zeigte fich in den Waffen und zu Pferde, klei⸗ 
bete eine Dienerfchaft und fchenkte Kleider und Roffe hin, 
Alles ihr zu Liebe. Und fo ange fein Vermögen und 
fein Geld nachhielt, war er gerne gefehen und es wurde 
ihm Ehre erwiefen. Jeden Tag ſchickte er nach Haufe, 
um von feinen Befigungen zu verkaufen und zu ver- 
pfänden und den Aufwand durchführen zu können, den 
er angefangen hatte. Das ging wol eine Weil. Da 
ed aber nicht mehr länger dauern Tonnte, fah er ſich auf 
dem Punkte, daß er nichts befaß, und doc, konnte er 
nicht don Florenz loskommen, fo heftig mar feine Liebe 
zu jener Frau. Als er nun nichts mehr zu leben hatte, 
befchloß er eines Tages, fich dem Gatten der Frau als 
Knecht anzutragen. Und wie er-fich vorgeftellt, fo ge: 
ſchah es; es gelang ihm, als Knecht bei Lapo, dem Ge- 
mahl jener Madonna Sfabella, unterzulommen. Diefer 
benugte ihn zu allem Möglichen, er mußte ihn auf dem 
Land und in Florenz bei allen Gängen begleiten. Lapo 
hatte auch an ihm einen guten Begleiter und Diener 
und wendete ihm deshalb große Liebe zu, da er feinen 
Wis und feine Erfahrung kennen Iernte. Und fo blieb 
er eine gute Weile bei diefem Lapo. Dieſer Eeccolo war 
nun fortwährend entflammt von der Liebe zu ber Frau, 


108 IN. Giovanni Fiorentino. 


und da er fie eines Zages allein fand, ſprach er zu ihr: 
Madonna, ih empfehle mich euch. Es gibt kein Ge- 
ſchöpf auf dieſer Welt, gegen das ich fo viel Liebe und 
Verehrung geheget und noch hege ald gegen euch, und 
‚ihre habt ſchon früher bemerken können, ob das wahr ift 
oder nicht; denn aus Liebe zu euch habe ich Alles, mas 
ih auf der Welt befaß, verfchwendet und halte es für 
die größte Gnade, bier euch als Knecht zu bienen; fo 
habe ich mwenigftens oft Gelegenheit euch zu fehen. 
Glaube nicht, antwortete die Frau, daß ich vergeſſen 
babe, was du Alles fchon für mich gethan haft; ich meinte 
aber, du habeft es vergeffen, da du nie etwas zu mir 
gefagt noch irgend eine Andeutung gegeben haft. 

Madonna, ermwiderte Ceccolo, ich wollte nur die Zeit 
abwarten. 

Die Frau fprah: Mach, daß du heute Nacht zu mir 
ans Bett kommſt! Tritt an die Seite links! Wenn ich 
ſchlafen follte, fo berühre mich leife mit der Hand, nur 
daß Lapo dich nicht hört! ch will die Thüre offen laffen 
. und das Licht auslöfchen. Komm nur kecklich und unbe- 

forgt und laß mich machen! " 

Geccolo ſprach: Madonna, es foll gefchehen. 

Als es Nacht war, ging Ceccolo um bie bezeichnete 
Stunde hin, fand die. Kammerthüre offen und das Kicht 
ausgelöfcht, fchlich fi) daher an die andere Seite des 
Bettes, ganz nach Iſabella's Angabe, und nahm fie bei 
der Hand. Die Frau erwacte nun, faßte ihn fachte 
beim Arm, hielt ihn feft und rief dann ihren Mann. 

Ich muß bir doch auch fagen, ſprach fie, was du 
für mwadere Diener im Haufe haft. Da kam heute der 
Ceccolo zu mir und ging mid um unfeufche Liebe an. 
Damit du ihn nun paden könneſt, fagte ich zu ihm, 
ih wolle heute Nacht zu ihm in die Laube kommen. 
Wenn du ihn alfo ertappen willft, fo zieh meine Kleider 
gn, nimm ein Handtuch, wickle e8 um ben Kopf und 
geh hinab in die Laube. Du wirft fehen, er kommt bin 


25. Wie ein Hahnrei Durch Schläge gefröftet wird. 109 


in der Meinung, mid zu treffen, und du wirft finden, 
ob ic) die. Wahrheit fage. 

Lapo ſtand auf, zog die Kleider feiner Frau an und 
sing in die Laube, Geccolo zu erwarten. Sobald der 
Mann weg war, umarmte die Frau Ceccolo und er fie; 
fie gaben fich der Luſt hin, wonach fie fich fo lange 
gefehnt hatten, und gaben fich vielmals die holdeften 
Küffe. Dann ſprach die Frau zu ihm: Du haft gehoͤrt, 
wie es eingeleitet ift.. Geh nun binunter, fchilt ihn weid⸗ 
li aus, nimm einen Stod mit und miß ihm auf aus 
dem Salz! 

Cceccolo fagte: Laßt mich nur machen! 

Er fland auf, nahm einen Prügel und ging hinab i in 
die Laube, mo er den guten Narren feiner harrend fand. 

Schnödes Weib, rief nun Ceccolo, wie kannſt bu 
glauben, daß ich mich dazu verftehen würde, meinem 
Herrn eine folhe Schmach anzuthun? Was ich dir ge- 
fteen fagte, that ich nur, um bich auf die Probe zu 
ftelen; aber wie haſt du die Unverfchämtheit, deinem 
Mann  untreu zu fein? Schämft du dich nicht, da du 
den beften und rechtfchaffenftien Mann in der Stadt zum 
Gatten haft? 

Damit fchwang er ben Stock, den er in ber Faufl 
hielt, ſchlug ihm über die Arme und auf die Hüfte und 
rief: Wenn ich nur wieber die geringfte Kleinigkeit be- 
merke, die bu jemand in der Welt anthuft, fo fage ich 
es zu Lapo und mache, daß er dir die Gurgel abfchneibet. 
Und wenn ers nicht thut, fo thue ich es. 

So zog der arme Mann ganz zerbläut ab; und 
als er in die Schlaflammer kam, fagte die Frau: Nun, 
wie iſts? 

Schlimm ifts bei mir, antwortete der Gatte, denn ich 
bin ganz zermältnt. 

Wehe mir, fagte die Frau, hat der verfchlagene Bube 
gar gewagt, Hand an dich zu legen? Gott firaf’ ihn 
und ſend' ihm: die Peft! 


110 II. Giovanni Fiorentino. 


Klage nicht, antwortete der Mann; ich bin ihm fo 
gut und beffer als mir felber. 

Die Frau fragte: Wie kannſt du ihn Lieber haben 
ale dich felber, wenn du fagft, er habe dich ganz zer- 
malmt? 

Sie ftand auf, zündete ein Licht an und unterfuchte 
ihm Schultern und Arme, welche ganz blau waren von 
den Schlägen, bie er befommen hatte. Die Frau ftellte 
fih daher an, als wollte fie aufjchreien. 

Sei ftill, rief ihr Mann, laß mich fein Gefchrei ver- 
nehmen! Wenn er mic, todfgefchlagen hätte, fo Ließe 
ih mirs gefallen nach dem, was er zu mir fagte. 

Gewiß, fügte die Frau bei, wird er nun nicht länger 
im Haufe bleiben. 

Der Mann aber fagte: Hüte dich, fo lieb dir bein 
Leben ift, ihm etwas zu fagen. Ich befehle bir vielmehr, 
ihn Tag und Naht in deine Schlaffammer zu laſſen 
nach feinem Belieben, da ich bemerkt habe, daß er mich 
aufrichtig lieb hat. Fuͤrwahr, er foll nicht aus meinem 
Haufe‘ tommen, denn ich glaube, es hat nie ein treuerer 
Diener auf diefer Welt gelebt. 

- Am folgenden Morgen ließ Lapo den Ceccolo rufen 
und fagte: Ich will, daß du dies als dein Haus betradhteft. 
Verlaß dich darauf, bier zu leben und zu ftcrben und bu 
magft in allen Zimmern aus» und eingehen nach deinem 
Belieben; denn ich hatte nie einen Diener, dem ich mehr 
zugethban war als dir. 

Meffere, antwortete Ceccolo, in Allem was ich gethan 
babe oder thun werde, foll Liebe und Treue mid) leiten. 

Lapo verfegte: Das bin ich verſichert. 

Nun blieb Ceccolo lange Zeit im Hauſe, er und die 
Frau pflagen größter Luſt und Freude zuſammen und 
Lapo hegte nie den mindeſten Verdacht. Ging er über 
Feld, ſo befahl er immer dem Ceccolo ſeine Frau. So 
konnten dieſe lange Zeit alle ihre Wünſche erfüllen, und 
wenn auch, öfters dur eine Stubenfrau Lapo hinter- 








26. Des Kaufmann von Venedig. 11 


bracht wurde, baß jener ihm Schande anthue, fo wollte 
er ed doch niemals glauben. Wielmehr fagte er öfters: 
Wenn ich ihn auf ihr fände, fo glauhte ichs nicht. 

So genoffen Ceccolo und die Frau ihr Glück ihr Leben 
lang und hatten die Freude und Wonne dieſer Welt. 


26. Der Kaufmann von Venedig. 


(4, 1.) 


Am Haufe der Scali in Florenz befand fich ein 
Kaufmann Namens Bindo, welcher oftmals in Tana 
und in Wlerandrien gewefen war und alle jene großen 
Reifen gemacht hatte, welche man des Handeld wegen 
zu machen pflegt. Diefer Bindo war ziemlich reich und 
hatte drei erwachfene Söhne. Als er zu fterben Fam, 
rief er den älteften und den mittleren zu fih, machte in 
ihrer Gegenwart fein Teſtament und fegte fie beibe zu 
Erben feiner ganzen irdifchen Habe ein, während er dem 
jüngften nichts hinterließ. Sobald das Zeflament fertig 
war, fam der jüngfte Sohn, Giannetto mit Namen, 
welcher davon gehört hatte, zu ihm an das Bett und 
fagte zu ihm: Mein Vater, ich wunbere mich fehr über 
das, was ihr getan habt, indem ihr meiner in eurem 
Teftamente gar nicht gedachte. 

Der Bater antwortete: Mein Giammetto, ich liebe 
niemand auf Erden mehr als dich; und darum wünſche 
ih nicht, daß du nach meinem Tode hier bleibeft, viel- 
mehr ſollſt du, fobald ich geftorben bin, nach Venedig 
gehen zu einem deiner Zaufpathen, dem Herrn Anfaldo, 
welcher keinen Sohn Hat und mir ſchon mehrmals ge- 
fehrieben bat, ich folle dich ihm ſchicken. Ic kann bir 
fagen, daß er ber reichfte Kaufmann ift, welcher heutzutage 


[4 


112 IH. Siovanni Fiorentino. 


in ber ganzen Chriftenheit lebt. Darum ift es mein 
Wille, daß du, fobald ich geftorben bin, zu ihm gehft 
und ihm diefen Brief bringft; und wenn du es redht 
anzugreifen weißt, wirft du ein reicher Mann werben. 

Da fprah der Sohn: Mein Vater, ich bin bereit 
zu thun, was ihr mir befehlet. 

Darauf gab ihm der Vater feinen Segen und wenige 
Tage darauf verfchied er. Alle feine Söhne erhoben 
hierüber den heftigften Jammer und erwiefen dem Leich⸗ 
nam die gebührende Ehre. Wenige Tage fpäter riefen 
die zwei ältern Brüder den Giannetto zu ſich und fagten 
zu ihm: Du bift unfer Bruder; unfer Vater hat zwar 
ein Teſtament gemacht und uns zwei zu feinen Erben 
eingefegt, ohne deiner irgend zu erwähnen. Nichtödefto- 
weniger bift du gleichfalls unfer Bruder und darum follft 
bu jegt, fo gut als wir, an bem Vorhandenen Theil 
haben. 
Siannetto antwortete: Liebe Brüder, ich danke euch 

für euer Anerbieten. Aber was mich betrifft, fo fteht 
mein Sinn dahin, mein Glüd draußen in der Welt zu 
fuhen. Dazu bin ich feft entjchloffen und darum follt ihr 
das euch zugefchriebene und gefegnete Erbe behalten. 

Seine Entichloffenheit erfennend, gaben fie ihm ein 
Pferd und Geld für feine Reiſebedürfniſſe. Giannetto 
nahm von ihnen Abfchied und ging weg nad, Venedig. 
Er kam in das Waarenlager bes Herrn Anſaldo und 
übergab ihm ben Brief, welchen ihm fein Vater vor 
feinem Tode eingehänbigt hatte. Als Herr Anfalbo diefen 
Brief las, erkannte er, daß er der Sohn feines geliebten 
Bindo war, und fobald er mit dem Leſen fertig war, 
. umarmte er ihn und rief: Sei mir willlommen, mein 
theures Kind, wonach ich fo fehr verlangt habe! 

Sodann war feine erfte Frage nach Bindo, worauf 
ihm Giannetto antwortete, er fei geftorben. Darüber 
umarmte und küßte er ihn unter vielen Thraͤnen und 
ſprach: Wol thut mir der Tod Bindo's fehr wehe, ba er 


26. Der Kaufmann von Benedig. 113 


mir einen großen Theil deffen, was ich habe, gewinnen 
half. Aber fo groß ift die Freude, die ich nun an dir 
habe, daß fie jenen Schmerz; milbdert. 

Er lie ihn nah Haufe führen und befahl feinen 
Gefchäftsleuten, feinen Ladendienern und feinen fämmt- 
lichen Untergebenen und Knechten, ®iannetto mehr nody 
zu gehorchen und zu dienen als ihm felbfl. Vor Allem 
überwies er ihm bie Schlüffel zu feiner ganzen Baar⸗ 
[haft und fagte: Mein Sohn, alles, was bier ift, kannſt 
du verwenden. Du magft dich Heiden und beſchuhen nach 
deinem Geſchmack und die Leute der Stadt zum Effen 
laden, damit du Dich bekannt machſt. Wie du es ane 
greifen willft, magft du felbft überlegen; ich werde dich 
aber um fo lieber haben, je mehr du weißt dich beliebt 
zu machen. | 

Giannetto fing nun an, mit ben venezianifhen Edel⸗ 
leuten umzugehen, ein Haus zu machen, Tafel zu halten, 
Geſchenke zu geben, feine Dienerfchaft reich zu kleiden, 
gute Pferde zu kaufen und Wettlämpfe und Nitterfpiele 
zu üben, und in allen Stüden fidy erfahren und geübt, 
hochherzig und feingefittet zu erweiſen. Auch verftand er 
wohl, wo es am Plage war, Ehre und Höflichkeit zu 
ermweifen und erzeigte dem Deren Anfaldo fletE mehr Ehre 
ald wenn er hundert mal fein Vater gewefen wäre. Gr 
wußte ſich fo Elug gegen jede Art von Leuten zu ftellen, 
daß faft jedermann in Venedig ihm zugethan war, ba 
man feine große Klugheit und Anmuth und feine unbe 
grenzte Höflichkeit fah. Männer wie Frauen fchienen in 
ihn verliebt und Herr Anfaldo fah fonft nichts als ihn, 
fo ſehr gefiel ihm fein Betragen und feine Aufführung. 
Darum wurde denn faft fein Feſt in Venedig veran- 
ftaltet, wozu Giannetto nicht eingeladen worden wäre; 


fo fehr war er bei Allen beliebt. Da begab es fih, daß 


zwei feiner liebften Gefährten nad) Aleſſandria geben 
wollten mit ihren Waaren auf zwei Schiffen, wie fie 
alljährlich zu thun pflegten. Sie fagten es Giannetto 


114 IN. Giovanni Fiorentino. 


und fügten hinzu: Du follteft dich mit und bed Meeres 
erfreuen, um die Welt zu fehen und zumal jenes Da- 
mascus und das Rand umher. \ 

Giannetto antwortete: Wahrhaftig, das würbe ich fehr 
gern thun, wenn mein Water Herr Anfaldo mir dazu 
Erlaubniß gäbe. 

Jene fagten: Das wollen wir ſchon machen, daß er 
fie die gibt und er foll damit zufrieden fein. 

Sogleich gingen fie zu Herren Anfaldo und ſprachen: 
Wir wollen euch bitten, daß ihr dem Giannetto gefälligft 
erlauben möget, mit uns auf das Frühjahr nach Aleran- 
drien zu gehen und daß ihr ihm ein Schiff ausrüftet, 
damit er ein wenig die Welt fehe. 

Herr Anfaldo fagte: Ich bin es zufrieden, wenn es 
ihm Vergnügen macht. 

Jene antworteten: Herr, es ift fein Wunſch. 

Darum ließ ihm Herr Anfaldo fogleich ein fehr fchönes 
Schiff ausrüften umd es mit vielen Waaren beladen und 
mit Flaggen und Waffen Hinlänglich verfehen. Und nach⸗ 
dem es fertig war, befahl Herr Anfaldo dem Schiffs⸗ 
patron und der Mannfchaft, alles zu thun, was Gian- 
netto ihnen befehle und mas ihnen aufgetragen werbe. 
Denn, fagte er, ich fende ihn nicht aus, um Gewinn 
durch ihn zu machen, fondern zu feinem Vergnügen, da⸗ 
mit er die Welt fehe. 

Und ald Giannetto zu Schiffe flieg, lief ganz Venebig 
hinter ihm ber, um ihn zu fehen, ba feit langer Zeit Eein 
fo ſchönes und fo mohlausgerüftetes Schiff von Venedig 
weggefahren mar. Sedermann bebauerte fein Scheiben. 
So nahm er und alle feine Gefährten Abfchied von 
Herrn Anfaldo; fie fliegen zu Schiff und zogen bie 
Sergel auf und nahmen ihren Weg nach Alerandria in 
Gotted Namen und ihrem guten Glück vertrauend. Die 
drei Gefährten fuhren fo in ihren drei Schiffen mehrere 
Tage hin. Da geſchah es eines Morgens vor Tag, daß 
der befagte Giannetto einen Meerbufen mit einem fehr. 











26. Der Kaufmann von Venedig. 115 


ſchönen Hafen wahrnahm und ben Schiffspatron fragte, 
wie dieſer Hafen heiße. Er antwortete ihm: Herr, diefer 
Drt gehört einer Witwe an, welche fchon viele edle Männer 
zu Grumbe gerichtet bat. 

Siannetto fragte: Wie das? 

Herr, antwortete jemer, es ift ein fchönes reizendes 
Weib, welche das Geſetz befolgt, daß jeder, ber dorthin 
kommt, bei ihr ſchlafen muß, und wenn er mit ihr zu 
ſchaffen bekommt, ſo muß er ſie zur Frau nehmen und 
wird Beſitzer des Hafens und des ganzen Landes; bringt 
er ſie aber nicht unter ſich, ſo verliert er alles, was 
er hat. 
Giannetto dachte ein wenig ſtill bei ſich nach und 
ſagte ſodann: Sieh zu wie du es machſt, daß du mich 
in n Hafen führft! 

Der Patron antwortete: Herr, bedenkt, was ihr fagt! 
Biele find fchon hineingegaugen und dadurch auf immer 
elend geworben. 

Giannetto aber fagte: Difge dich nicht in fremde 
Dinge, fondern Sue, was ich bir fagel 

So geſchah es denn, daß fie Much das Schiff 
wendeten und in den Hafen einfuhren, ohne daß ihre 
Gefährten auf den ‚andern Schiffen etwas davon merkten. 
Am Morgen verbreitete fi) nun die Nachricht, wie diefes 
fhöne Schiff in den Hafen gekommen fei, ſodaß alles 
Bolt herbeilief, es zu fehen und ber Frau fogleid, darüber 
Meldung geſchah. Sie ſchickte daher zu Giannetto, welcher 
unverzüglich zu ihr ging und fie ehrerbietig begrüßte. Sie 
nahm ihn bei der Hand, fragte ibn, wer er fei, woher ' 
er komme und ob er die Sitte des Landes wiſſe. Gian⸗ 
netto bejabte es und fagte, er fei gerade aus dieſem 
Grunde gekommen. 

So feid mir denn hundert mal willlommen, fagte fie, 
und erwies ibm den ganzen Tag bie größte Ehre und 
ließ viele Barone, Grafen und Ritter einladen, welche 
fie unter fi Hatte, damit fie ihm Gefellfehaft Teifteten. 


116 — II. Giovanni Fiorenfino. _ 


Allen Baronen geftel das Betragen Giannetto’s fehr, 
. fowie auch fein gefittetes, einnehmendes und geſprächiges 
Weſen, ſodaß faſt jeder ſich in ihn verliebte. Den 
ganzen Tag wurde am Hofe getanzt und geſungen und 
geſchmauſt dem Giannetto zu Ehren, und jedem wäre 
es recht geweſen, ihn zum Gebieter zu bekommen. Als 
nun der Abend kam, nahm ihn die Frau bei der Hand, 
führte ihn in ihr Schlafgemach ˖ und fagte: Ich glaube, 
ed ift num Zeit, zu Bett zu gehen. 

Giannetto antwortete: Edle Frau, ich bin zu euren 
Dienften. 

Alsbald Famen zwei Jungfrauen, die eine mit Wein, 
die andere mit Zuderbadiwerf. 

Ih weiß, fagte die Frau, ihre werdet Durft befom- 
men haben. Darum trinkt! 
Giannetto nahm von den Süßigkeiten und trank von 
dem Wein, welcher, ohne daß jener ed wußte, fo bereitet 
war, daß er fchlafen machte; er trank davon eine halbe 
Schaale, denn er ſchmeckte ihm; darauf z0g er ſich fo- 
gleich aus und Jegte fich nieder. Kaum aber hatte er 
das Bett erreicht, fo war er fchon eingefchlafen. Die 
Frau legte ſich ihm zur Seite nieder, er merkte es aber 
nicht bis zum Morgen, als fchon die Terzie vorüber war. 
Darum ftand die Frau auf, ald es Tag wurde und ließ 
anfangen, das Schiff auszuladen, welches’ fie voll von 
verfchiedenen Zoftbaren und trefflichen Waaren fand. Als 
nun die Zerzie vorüber war, gingen die Kammerfrauen 
der Dame an das Bette Giannetto’s, hießen ihn aufe 
ftehen und gaben ihm die Weifung feiner Wege zu gehen, 
denn er babe das Schiff und alles, was darauf fei, ver. 
Ioren. Darüber fchämte er ſich, denn er meinte, feine 
Sachen fhleht gemacht zu haben. Die Frau ließ ihm 
ein Pferd geben und Geld zur Reife und fo zog er 
traurig und betrübt von binnen und wandte fi) nad) 
Venedig; dafelbft angelangt mochte er aber aus Scham 
nicht nach Haufe gehen, fondern begab fid) in der Nacht 











26. Dei Kaufmann von Venedig. 117 


zu einem feiner Sameraden, welcher fich fehr verwun- 
derte und ſprach: Wehe, Siannetto! Was ift das? 

Diefer erwiderte: Mein Schiff fcheiterte eines Nachts 
an einer Klippe, ſodaß alles zerborft und zerfchellte und 
nach allen Seiten bin getrieben wurde. Ich hielt mich 
an ein Stud Holz, dad mich an das Ufer trieb. So 
bin ic) gerettet worden und hierher gefommen. 

Siannetto blieb einige Tage in dem Haufe biefes 
feined Freundes, welcher fodann einmal dem Herrn An⸗ 
faldo einen Beſuch machte, ihn aber fehr niedergefchlagen 
antraf. Herr Anfaldo fagte: Ich fürchte fo fehr für das 
Leben meines lieben Sohnes, oder dag ihm zur See ein 
Unglück zugeftoßen fei, und ich kann weder Raſt noch 
Ruhe finden, fo groß ift die Xiebe, die ich zu ihm trage. 

Sener Züngling erwiderte: Ich Tann euch von ihm 
Kunde bringen; er ift auf dem Meere geſtrandet und 
bat all fein Hab und Gut verloren, er felbft aber ift 
wohlbebalten davongekommen. 

Da fprah Herr Anfaldo: Gott fei gelobt! Wenn ' 
nur er gerettet ift,. fo bin ich zufrieden. Der Berluft, 
den er erlitten bat, foll mich nicht gramen. Aber mo 
ift er? 

Der Jüngling antwortete: Er befindet fich in meinem 
Haufe. 

Und alsbald brach Herr Anfaldo auf, um ihn zu fehen. 
Sobald er ihn erblidte, ftürzte er fich in feine Arme und 
fprach: Mein lieber Sohn, du braucht dich nicht vor mir 
zu fhämen, denn das fommt ja häufig vor, bag Schiffe 
im Meere berften. Darum gräme dich nicht, mein Sohn, 
denn ich bin zufrieden, daß dir kein Leid widerfahren ift. 

Und hiermit führte er ihn nad) Haufe, indem er nicht 
müde werden konnte, ihn zu tröften. Die Neuigkeit ver 
breitete fic, bald durch ganz Venedig und jeder nahm An⸗ 
theil an dem Verluſte, welchen Biannetto erlitten hatte. 
Nun geſchah es, daß kurze Zeit daranf feine Gefährten 
aus Alerandrien zurückkehrten, alle mit reichem Gewinne. 


⸗ 


118 III. Giovanni Fiorentino. 


Sowie ſie angekommen waren, fragten ſie nach Gian⸗ 
netto und erfuhren alles. Deshalb liefen fie ſogleich Hin, 
ihn zu umarmen und fagten: Wie bift du von und ge- 
fommen und wohin bift du gegangen ? Wir Eonnten 
gar nichts mehr von bir erfahren; wir find jenen ganzen 
Tag rückwärts gefegelt, Eonnten aber dich nicht anfichtig 
werden, noch in Erfahrung bringen, mo du hingefommen 
feieft. Wir haben uns darüber fo fehr betrübt, daß wir 
den ganzen Weg nicht wieder froh werden mochten, denn 
wir glaubten, du feieft geftorben. 

Giannetto antwortete: Einem Meerbufen gegenüber 
erhob fich ein heftiger widriger Wind, welcher mein Schiff 
in gerader Linie auf eine Klippe trieb, welche nahe am 
Lande war, fodaß ich mit Enapper Noth felbft mein 
Leben rettete, denn alles ging drunter und brüber. 

Dies war der Vorwand, welchen Giannetto gebrauchte, 
um feinen Fehltritt zu verbergen. Und nun veranftal- 
teten fie zufammen eine große Feftlichkeit, dankten Gott, 
dag wenigftens er davongekommen fei und fprachen: Mit 
dem nächften Frühjahr, wenn es Gottes Wille ift, werden 
mir wieder gewinnen, was du biesmal verloren haft. 
Darum laß uns jegt darauf denken, uns eine gute Stunde 
zu machen und ben Zrübfinn zu verfcheuchen. 

Und das ließen fie ſich dann auch angelegen fein, und 
waren fröhlich und guter Dinge nad ihrer frühern Ge⸗ 
wohnheit. Giannetto aber dachte an nichts, als wie er 
zu jener Frau zurückkehren könne, fann hin und her und 


fprach bei fich felbft: 2 ahthafig sis muß fie zur Frau 


. erbalten oder ich will dabei ft 


So konnte er demn Kar je nicht heiter werben. 
Darum fagte. Herr Anfaldo mehrmals zu ihm: Scheuche 
den Zrübfinn von dir, denn wie find ja noch fo rei an 
Hab und Gut, daß mir recht wohl beftehen £önnen. 

Lieber Her, antwortete Giannetto, ich kann mich 
* beruhigen, wenn ich nicht dieſen Weg noch einmal 
mache. 








26. Der Kaufmann von Venedig. 119 


Als nun Anfaldo feinen Willen erkannte, unb bie 
Zeit gefommen war, befrachtete ex ein anderes Schiff 
mit noch mehr Waaren ald das erfte und von nod) 
höherm Werthe, ſodaß er den größten heil von dem, 
was er auf ber Welt befaf, ihm anvertraute. Als feine 
Gefährten ihre Schiffe auch mit dem Nöthigen ausge- 
ftattet hatten, gingen fie mit Giannetto zufammen in See, 
liefen die Segel blähen und fleuerten ihres Weges. Und 
während mehrerer Tage, da fie fchifften, paßte Giannetto 
beftändig, ob er nicht den Hafen jener Frau wiederfehe, 
welcher der Hafen der Frau von Belmonte hie. Als 
man nun in einer Nacht an die Mündung jenes Hafens 
gelangt war, welcher in einer tiefen Bucht lag, erkannte 
ihn Siannetto augenblicklich, ließ Segel und Ruder wenden 
und fchlüpfte fchnell hinein, ehe noch feine Gefährten auf 
den andern Schiffen etwas davon bemerkt hatten. Da 
nun die Herrin bes Landes am Morgen aufgeftanden war 
und nad) dem Hafen fchaute, bemerkte fie bie Flagge 
dieſes Schiffes, erkannte fie alsbald, rief eine ihrer Zofen 
und ſprach: Kennft bu biefe Flagge? 

Die Kammerfrau ermiderte: Edle Frau, es ſcheint 
das Schiff jenes jungen Mannes zu fein, ber vor einem 
Fahr bier ankam und mit feinen Waaren uns einen fo 
großen Reichthum hinterli. 

Die Dame fprah: Gewiß, du fagft bie Wahrheit. 
In der That, dee muß nicht wenig in mich verliebt fein, 
benn ich babe noch nie einen zum zweiten mal bierher- 
fommen fehen. 

Die Kammerfrau verfegte: Und ich habe noch Feinen 
böflihern und liebenswürdigern Mann gefehen als ihn. 

Die Frau ſchickte viele Junker und Knappen nach ihm 
aus, welche ihn mit großer Keierlichkeit empfingen, und 
er felbft begegnete ihnen freundlich und heiter. Und fo 
kam er hinauf in die Burg und vor das Angeficht der 
Frau. Als fie ihn erblidte, umarmte fie ihn mit großer 
Luft und Freude, und er umarmte fie wieder mit vieler 


120 II. Giovanni Fiorentino. 


Ehrerbietigkeit.. So verbrachten fie den ganzen Zag in 
Luft und Wonne, denn die Frau ließ Barone und Frauen 
in Menge einladen, welche an den Hof famen, um dem 
Giannetto zu Liebe eine Feftlichkeit zu veranftalten. Faſt 
alten Baronen that es leid um ihn und fie häften ihn 
gern zu ihrem Herrn gehabt, wegen feines einnehmenden 
höflihen Weſens, und faft alle Frauen waren in ihn 
verliebt, als fie fahen, wie zierlih er fi beim Tanze 
bewegte und fein Geficht immer heiter glänzte, fobaß 
jeder meinte, er müſſe der Sohn irgend eines großen 
Herrn fein. Als aber die Dame fah, baf es Zeit war 
fchlafen zu. gehen, nahm fie Giannetto bei der Hand 
und fagte: Gehen wir zur Ruhe! 

Darauf gingen fie in die Kammer, festen fich nieder 
und fiehe ba kamen zwei Jungfrauen mit Wein und 
ſüßem Badwerk; fie tranfen und afen und gingen darauf 
zu Bette. Sobald er aber im Bette war, fihlief er auch 
ein. Die Frau zog fich aus, legte fich neben ihn nieder 
und Zur; er Fam nicht wieder zu fi die ganze Nacht. 
Als der Morgen kam, fland die Frau auf und befahl 
fogleih, das Schiff abfrachten zu laſſen. Sobald nun 
die Terzie vorüber war, Fam Giannetto mieber zu ſich 
und fuchte nad) der Frau und fand fie nicht. Er fuhr 
mit dem Kopf in die Höhe und fah, daß es heller Tag 
war. Deshalb ftand er fogleich auf und fing an, fich fehr 
zu fhämen. Dann gab man ihm wieder ein Pferd und 
Geld auf die Reife und fagte zu ihm: Geh deiner Wege! 

Vol Befhämung z0g er von dannen, traurig und 
niedergefchlagen, ruhte aber nicht eher, bis er nad) vielen 
Tagereifen in Venedig anfam, wo er bei Nacht in das 
Haus jenes feines Freundes eintrat, welcher bei feinem 
Anblick fih auf das Außerſte verwunderte und ſprach: 
Weh mir, was ift das? 

Giannetto antwortete: Das bin ich Unglüdlicer. 
Verwünſcht fei mein Schiefal, das mich jemals in dieſes 
Land kommen ließ! 


! 


26. Der Kaufmann von Venedig. 121 


Darauf ermwiberte jener Freund: Du haft wol Ur- 
fache, es zu verwünfchen, denn du haft den Herrn An- 
faldo zu Grunde gerichtet, welcher der größte und reichfte 
Kaufmann in der Chriftenheit war, und die Schande ift 
noch fehlimmer als der Schaben. 

Giannetto blieb mehrere Tage in dem Haufe biefes 
feines Freundes verborgen und mußte nicht, was er thun, 
noch was er fagen follte; ja er war faft Willens, nad) 
Florenz zurüdzutehren, ohne Heren Anfaldo ein Wort 
davon zu fagen. Am Ende aber entfchloß er fich doch, 
zu ihm zu gehen, und fo that er auch. Als Herr Anfaldo 
ihn erblidte, fprang er auf, ftürzte ihm entgegen, umarmte 
ihn und rief: Sei mir willlommen, mein Sohn! 

Und Giannetto umarmte ihn unter Thränen. Als 
er alles vernommen hatte, fagte Herr Anfaldo: Weißt 
du was, Giannetto? Mache dir darüber nur gar feinen 
Kummer! Da ich nur did) wieder habe, bin ich zufrieden. 
Es bleibt uns ja noch fo viel übrig, daß wir gemächlich 
leben können. Es ift nun fo des Meeres Brauch, dem 
einen zu geben, dem andern zu nehmen. 

Die Nachricht von diefem Ereigniß verbreitete fich 
durch ganz Venedig, jedermann fprach vom Herrn An- 
faldo und beklagte ihn fehr wegen des Verluftes, welchen 
er erlitten; und Herr Anfaldo fah ſich genöthigt, viele 
Befigungen zu verlaufen, um bie Gläubiger zu bezahlen, 
welche ihm die verlorenen Waaren geliefert hatten. In⸗ 
zwifchen kamen Giannetto’8 Neifegefährten mit großen 
Reichthümern von Alerandria zurüd, und faum in De. 
nedig angelangt erfuhren fie, daß auch Giannetto zurüd- 
gefommen fei, Schiffbruch gelitten und alles verloren habe. 
Darüber verwunderten fie fi) und fprachen: Das ift der 
außerordentlichfte Fall, der je erhört wurde. 

Darauf gingen fie zu Herrn Anfaldo und zu Gian- 
netto, begrüßten fie herzlich und fagten: Seid unbeküm⸗ 
met, edler Herr! Das näcfte Jahr mollen wir aub- 
ziehen und zu eurem Beſten arbeiten, denn wir find faſt 

Staliänifher Novellenſchatz. I. 6 


122 II. Giovanni Fiorentino. 


ſchuld an diefem eurem Verluſte, da ja wir ed waren, 
die den Giannetto das erfte mal. verleitet Haben mit uns 
zu kommen. Darum bedenkt euch nicht, und fo lange 
wir noch irgend etwas unfer nennen, betrachtet es wie 
euer Eigenthum. | 

Herr Anſaldo dankte ihnen und fagte, er habe bis 
iegt wol noch fo viel, um nicht barben zu müffen. Da 
nun aber Biannetto vom Morgen bis zum Abend jenen 
Gedanken nachhing und nie heiter werden wollte, fo fragte 
ihn einft Herr Anfaldo, was er habe, und erhielt zur 
Antwort: Ich werde nicht eher wieder zufrieden fein, bie 
ich das wieder erworben, was ich verloren habe, 

Da ſprach Herr Anfaldo: Mein Sohn, du darfft 
mir die Meife nicht noch einmal wagen, denn es ift Elüger, 
wir halten mit dem Wenigen, was wir haben, fparfam 
Haus, ald daß du ed weiter aufs Spiel fegeft. 

Giannetto verfegte: Ich bin entfchloffen, alles zu thun, 
was ich vermag, ‚denn ich würde es mir zur größten 
Schande rechnen, wenn ich die Sache fo bemenden lafjen 
follte. 

Als nun Herr Anfaldo feinen Willen erkannte, ent- 
ſchloß er fih, alles zu verkaufen, was er noch auf der 
Welt beſaß, um ihm ein neues Schiff auszurüften. So 
that er, und behielt für ſich nichts übrig, ftattete aber 
ein fehr fchönes Handelsfhiff aus. Und weil ihm nody 
zehntaufend Ducaten fehlten, ging er zu einem Juden 
nad; Meftri und borgte fie von ihm unter der vertrags- 
mäßigen Bedingung, daß, wenn er ‚fie nicht zwifchen 
heute und dem nächſtkommenden St. Sohannistag im 
Juni zurückgegeben habe, der Jude ihm ein Pfund Fleifch 
von feinem Leibe nehmen dürfe, von welcher Stelle ihm 
beliebe. Herr Anfaldo war damit zufrieben, und der 
Jude ließ eine gerichtliche Urkunde darüber ausftellen mit 
Zeugen und mit allen nöthigen Kormlichkeiten und Vor⸗ 
fihtömaßregeln verfehen und dann zahlte er ihm zehntau⸗ 
fend Goldducaten aus, mit welchem Gelbe fofort Anfaldo 








26. Der Kaufmann von Venedig. 343 


das beforgte, was dem Schiffe noch fehlte; und wenn 
die erſten beiden Fahrzeuge fihön waren, fo war das 
dritte noch weit reicher und beffer ausgeftattet. Die Ge⸗ 
fährten rüfteten ebenfalls ihre zwei Schiffe, mit dem 
Vorfage, daß das, was fie gewinnen würden, ihrem 
Giannetto gehören folle. Und ba die Zeit zur Abreife 
gefommen war und die Schiffe fegelfertig fanden, fagte 
Herr Anfaldo zu Giannetto: Mein Sohn, du gehft nun 
und weißt, unter welcher Verpflichtung ich zurüdbleibe. 
Eines aber bitte ich mir von Dir aus, daß, wenn ed dir 
ja übelgehen follte, es dir doch gefallen möge, zu mir 
zu kommen, auf daß ich dich vor meinem Tode noch 
einmal fchauen und zufrieden aus der Welt gehen Tann. 

Giannetto erwiberte ihm: Herr Anfaldo, ich will alles 
thun, womit ich glaube, euch gefällig zu werden. 

Herr Anfaldo gab ihm feinen Segen und fomit nahmen 
fie Abfchted und machten fich auf ihre Reife. Die beiden 
Gefährten hatten forgfam Acht auf Giannetto’s Schiff, 
Giannetto aber ging mit all feinem Dichten und Trachten 
darauf aus, in der Bucht von Belmonte zu landen. Er 
berebete daher einen feiner Steuermänner, das Schiff zur 
Rachtzeit in den Hafen jener Edelfrau zu führen. Da- 
nach, als es wieder Zag geworben war und bie Ge- 
fährten in ben andern beiden Schiffen ſich umfahen und 
Giannetto’s Fahrzeug nirgend gemahren fonnten, fprachen 
fie untereinander: Gewiß, das ift wieder fein Unglüd. 

Sie dachten daher, es bleibe ihnen nichts übrig, als 
ihren Weg fortzufegen und waren barüber fehr vermun- 
dert. Als nun das Schiff in den Hafen eingelaufen war, 
lief alles aus der Burg herbei, um zu fchauen, und als 
fie merften, daß Giannetto zurüdgelehrt war, wunberten 
fie fi fehr darüber und fpradhen: Das muß der Sohn 
irgend eine® großen Heren fein, in Betracht daß er jebes 
Jahr mit fo vielen Waaren und fo ſchönem Schiffzeug 
bier ankommt. Wollte Gott, baf er noch unfer Herr 
würde! 

6* 


124 IH. Giovanni Fiorentino. 


So wurde er befucht von allen Großen, von den 
Baronen und Nittern des Landes und der Frau ward 
gemeldet, daß Giannetto wieder in den Hafen gekommen 
ſei. Da trat fie an bie Fenſter des Pallaftes und fah 
das prächtige Schiff und erkannte die Flaggen, machte 
darob das Zeichen bes heiligen Kreuzes und fpradh: 
Mahrlich es ift ein Wunder, das ift jener Dann wieder, 
welcher den Reichthum ins Land gebracht hat. Und da- 
mit fchickte fie nach ihm. Giannetto ging zu ihr; fie 
begrüßten fich mit vielen Umarmungen und erwiefen ſich 
Ehre, und den ganzen Tag war man darauf bedacht, 
Fröhlichkeit und Feſte zu üben, man veranftältete Gian- 
netto zu Liebe ein fehönes Turnier, woran viele Barone 
und Ritter deffelbigen Tages Theil nahmen. Giannetto 
wollte auch tioftieren, er that Wunder ber Zapferkeit 
und nahm fi fo gut aus in Waffen und zu Pferde, 
und fein ganzes Wefen gefiel fo fehr allen Baronen, daß 
jeder ihn zum Herrn zu erhalten wünfchte Als es nun 
am Abend Zeit war, ſich zu Bette zu legen, nahm die 
„ rau den Giannetto bei der Hand und fagte: Laß und 

fchlafen gehen! 


Er ftand fhon am Eingang der Schlaflammer als 


eine Zofe, welcher es um Giannetto leid that, fich zu 
feinem Ohr neigte und ihm zuflüfterte: Gib dir den 
Anfchein zu trinken, trint aber nicht diefen Abend! 

Giannetto verftand dieſe Worte, trat in die Schlaf- 
fammer und die Frau fagte zu ihm: Sch weiß, daß ihr 
durftig fein werdet, und wünfche daher, daß ihr trinket, 
ehe ihr zu Bette geht. 

Alsbald kamen zwei Mädchen, ſchön wie zwei Engel, 
mit Wein und Zuderbadiwerk nach gewohnter Weife und 
fchenften ein. Giannetto fagte: Wer könnte fich enthalten 
zu trinken, wenn er zwei fo fchöne Jungfräulein fieht? 

Darüber lachte die Frau. Giannetto nahm die Schaale 
und that als ob er trinke, fehüttete fie aber in den Buſen. 
Die Frau meinte, er habe getrunfen, und fagte bei fich 





26. Der Kaufmann von Venedig. 125 


felbft: Du magft immerhin noch ein anderes Schiff herbei- 
führen; denn biefes haft du verloren. 

Dann ging Giannetto zu Bett, fühlte fih ganz heil 
und munter und konnte den Augenblid faum erwarten, 
bis die Frau ins Bett Täme. 

‚Diesmal habe ich fie gefangen, fprach er bei fich felbft. 
Heute hat fie die Zeche ohne den Wirth gemacht. 

Ä Und damit die Frau um fo fchneller ins Bett käme, 
that er, als ob er anfinge zu ſchnarchen und zu fchlafen. 
Darum fagte die Frau: Nun ift es recht. 

Sie zog ſich aus und kam an Giannetto’3 Seite. 
Diefer wartete nicht lange, fondern fobald die Frau unter 
die Dede gefchlüpft war, wandte er ſich nach ihr um, 
umarmte fie und ſprach: Jetzt habe ich, wonach ich mich 
fo lange gefehnt habe. 

Damit gab er ihr ben Friedenskuß der heiligen Che 
und fie kam die ganze Nacht nicht mehr aus feinen 
Armen. Darüber war die Frau mehr: al vergnügt, 
ftand am Morgen vor Tag auf, ließ ausfenden nad) 
alten Baronen und Rittern und vielen andern in der 
Stadt und ſprach zu ihnen: Giannetto ift euer Gebieter. 
Darum denkt darauf, Feftlichkeiten zu veranftalten! - 

Ploͤtzlich verbreitete fich das Gerücht durch das Land 
und man rief: Es lebe der Herr! Es lebe der Herr! 

Die Sloden wurden geläutet und Inſtrumente ge 
blofen, um das Feft zu verfünden. Man fandte aue 
nach vielen Baronen_und Grafen, welche auferhafb ber 
Burg wohnten, und ließ ihnen fagen: Kommt, euren 
Heren zu fehen! 

Und als Siannetto die Schlafkammer verließ, wurde 
er zum Ritter gefchlagen und auf einen Thron gefegt, 
bekam einen Scepter in die Hand und wurde mit großem 
Triumph und Gepränge zum Herrfcher ausgerufen. Und 
nachdem alle Barone und Frauen an den Hof gefommen 
waren, heirathete er die Edelfrau mit unbefchreiblicher 
und unerdenklicher Freude und Luftbarkeit. Alle Barone 


x 1% IL Giovanni Fiorentino. 


und Herren des Landes kamen zu dem Feſte, um fich zu 
- ergögen, zu turnieren, zu tioftieren, zu tanzen, zu fingen 
und zu fpielen und alle Kurzweil zu treiben, welche zu 
folhen Feſten gehört. Herr Giannetto theilte in feiner 
Großmuth feidene Tücher und andere koſtbare Gegen- 
ftände, welche er mitgebracht hatte, aus und wurde bald 
fo mannhaft, daß man ihn fürchtete und Recht und Ge- 
rechtigkeit von jebermänniglich geübt wurde. In biefem 
Glück und. Wohlleben vergaß und vernachläffigte er aber 
ganz und gar jenen armen Herrn Anfaldo, welcher ſich 
dem Juden für zehntaufend Ducaten verpfändet "hatte. 
Als jedoch Herr Giannetto eines Tages mit feiner rau 
an einen Fenfter des Pallaftes ftand, fah er eine Schar 
Männer über den Pag ziehen mit brennenden Kerzen 
in der Hand, welche fie zum Opfer bringen wollten. 
Herr Biannetto fragte: Was hat das zu bedeuten? 

Die Frau verfegte: Es ift.ein Haufen Handwerker, 
welche nach der Kirche des heiligen Johannes zu opfern 
gehen, weil heute fein Feſttag ift. 

Da gedachte Herr Biannetto des Herrn Anfaldo, 
bob ſich vom Fenſter, feufzte ſchwer auf und ging mehr- 

-mald im Saale auf und ab in Nachdenken über dieſe 
Sache vertieft. Seine Gemahlin fragte ihn, was er habe. 

Weiter nichts, verfegte Giannetto. Die Frau begann 
daher in ihn au dringen und fagte: Gewiß, ihr habt 
etwas und wollt es nicht fagen. 

Sie ließ auch nicht nach, bie Here Giannetto ihr 
erzählte, wie Herr Anfaldo ald Pfand für zehntaufend 
Ducaten zurüdgeblieben fei. 

Und heute, fuhr er fort, läuft die Friſt ab und es 
fhmerzt mich fehr, bag mein Vater um meinetwillen 
fterben fol; denn wenn er ihm heute das Geld nicht 
erftattet, fo muß er ein Pfund Fleiſch von feinem Leibe 
verlieren. 

Die Frau fagte: Lieber Herr, befteigt fehleunigft ein 
Pferd und reifet gerades Wegs zu Rande, fo werbet ihr 


26. Der Kaufmann von Benedig. 127 


fehneller hinkommen als zur See! Nehmt zur Begleitung 
mit wen ihr wollt, packt hunderttaufend Ducaten ein 
und raftet nicht, bis ihr in Venedig ſeid! Und wenn er 
noch am Leben ift, fo führt ihn mit euch Bierher! 

Sofort ließ er plöglic, in die Trompete blafen, flieg 
zu Pferd mit zwanzig Begleitern, nahm hinlänglicy Geld 
mit und fchlug den Weg nad) Venedig ein. Unterbeffen 
hatte der Jude, da die Zrift verlaufen war, den Herrn 
Anfaldo feitnehmen laffen und wollte ihm ein Pfund 
Fleiſch vom Leibe ſchneiden. Da bat ihn Herr Anfaldo 
um die Vergünftigung, da er feinen Tod noch um einige 
Tage verfchiebe, damit, wenn fein Giannetto fomme, cr 
ihn wenigftens noch fehen könne. Der Sude fagte: Ich 
bin ed zufrieden, euch euren Wunſch in Betreff des Auf: 
ſchubs zu gewähren. Aber wenn er hundert mal käme, 
fo ift e8 meine Abficht, euch ein Pfund Fleiſch aus dem 
Leibe zu nehmen, wie die Papiere befagen. 

Herr Anfaldo verfegte, er fei zufrieden. Da ſprach 
ganz Venedig von dem Falle; aber ein jeder hatte Mit- 
leid und viele Kaufleute vereinigten fih, um die Schuld 
zu bezahlen, aber der Jude wollte davon nichts wiffen, 
fondern wollte den Mord begehen, um fagen zu fünnen, 
dag er den größten Kaufmann der Chriftenheit ums Leben 
gebracht habe. Indem nun Herr Giannetto eilends heran» 
reifte, z0g ihm feine Gemahlin gleich nach, und zwar ale 
Richter verkleidet mit zwei Dienern. In Venedig ange- 
langt begab ſich Herr Giannetto in das Haus des Juden, 
umarmte Herrn Anfaldo mit vielee Freude umd fagte 
darauf dem Juden, er wolle ihm fein Geld geben, ja 
noc) mehr, fo viel er verlange. Der Jude aber ant« 
wortete, er wolle gar kein Geld, da er es nicht zur 
rechten Zeit erhalten babe, vielmehr wolle er ihm ein 
Pfund Fleifh vom Leibe nehmen. Hier erhob fi) nun 
ein großer Streit und jedermann gab dem Juden Unredt. 
Da man aber bedachte, daß es in Venedig allenthalben 
rechtlich zugehe, und daß der Jude feine Anſpruͤche in 


128 II. Giovanni Fiorentino. 


vollgiltiger gefeglicher Form begründet hatte, fo magte 
ihm niemand anders als mit Bitten zu woiderfprechen. 
Darum begaben ſich alle Kaufleute Venedigs dahin, um 
den Suden zu bitten, er aber beftand nur immer hart⸗ 
nädiger auf feiner Forderung. Nun erbot fid) Herr Gian⸗ 
netto, ihm zwanzigtaufend Ducaten zu geben, aber er 
wollte nicht; dann fam er auf dreifigtaufend, und dann 
auf vierzigtaufend und auf funfzigtaufend und fo ftieg 
er auf bis auf hunderttauſend Ducaten. Endlich fprach. 
der Jude: Weißt du was? Wenn du mir mehr Ducaten 
anböteft, als diefe Stadt werth ift, fo würde ich mich 
doch damit nicht abfinden laffen; vielmehr verlange Ich 
einzig das, was meine Papiere befagen. 

Und fo flanden die Verhandlungen, fiehe da kam in 
Denedig diefe Dame an, ald Richter gekleidet und flieg 
in einem Gafthaufe ab. Der Wirth fragte einen Diener: 
Wer ift diefer edle Herr? 

Der Diener: war bereits von der Frau unterrichtet, 
was er fagen folle, wenn er nad ihr gefragt würde, 
und antwortete: Es ift ein rechtögelehrter Edelmann, 
welcher von Bologna kommt, wo er ftudirt bat, und 
nun in feine Heimat geht. 

Als der Wirth dies vernahm, that er ihm viele Ehre 
an, und während der Michter bei Tifch ſaß, fagte er zu 
dem Wirthe: Wie ift denn das Regiment hier in eurer 
Stadt? \ oo » 

Der Wirth antwortete: Nur allzugerecht, edler Herr. 

Wie fo? fiel der Richter ein. 

Das will ich euch fagen, edler Herr, entgegnete der 
Wirth. Es Fam einmal von Florenz ein Jüngling hierher, 
welcher Giannetto hieß, und ging. hier zu einem feiner 
Taufpathen, Namens Herr Anfaldo, und er betrug ſich 
fo artig und gefittet, daß in der ganzen Stadt Männer 
und Frauen ihm zugethban waren; ja es ift nie ein 
Sremder bei uns fo allgemein beliebt gewefen wie er. 
Diefer fein Taufpathe nun rüftete ihm drei mal ein Schiff 


- 


26, Der Kaufmann von Venedig. 129 


aus und dieſe drei Schiffe waren vom größten Werthe, 
aber jedes mal war er damit unglüdlich, ſodaß es ihm 
zulegt an Geld zur Ausrüftung des Schiffes fehlte. 
Daher bosgte jener Herr Anfaldo zehntaufend Ducaten 
von einem Juden unter ber Bedingung, daß wenn er 
fie ihm nicht bis zum Sanct Gohannistag im naͤchſt⸗ 
fünftigen Monat Juni zurüdgegeben habe, ber befagte 
Jude ihm ein Pfund Fleifh vom Leibe fchneiden dürfe, 
wo es ihm beliebe. Nun ift zwar glüdlicherweife der 
Jüngling zurüdgefehrt, und hat ſich erboten, ftatt der 
zehntaufend Ducaten hunberttaufend zu zahlen, aber der 
argliftige Jude will nicht. Es find alle rechtfchaffenen 
Leute der Stadt zu ihm gegangen, um ihn mit Bitten 
zu ermweichen, aber es hilft nichts. 

Darauf antwortete der Richter: Diefer Handel ift 
leicht zu fchlichten. 

Der Wirth verfegte: Wenn ihr euch der Mühe unter- 
ziehen wollt, die Sache zu Ende zu führen, fodaß der 
brave Dann nicht fein Leben einbüßt, fo würdet ihr euch 
die Gunft und die Liebe des waderften Jünglings er- 
werben, der je geboren wurde, und zugleich die aller 
Leute diefer Stadt. 

Hiernächft ließ der Richter eine Aufforderung bekannt 
. machen, wer irgend eine Rechtsfrage zu fchlichten habe, 
der folle zu ihm kommen; und fo wurde auch Herrn 
Giannetto gefagt, es fei ein Richter von Bologna ange- 
kommen, welcher fich jeden Handel zu fehlichten erbiete. 
Darum fagte Herr Giannetto zu dem Juden: Wir wollen 
zu diefem Richter gehen! 

Meinetwegen, fagte der Jude; e8 mag kommen wer 
will, ich habe in jedem Falle das Necht, zu thun, was 
mein Schein befagt. 

Als fie vor den Richter traten und ihm die ſchuldige 
Ehrerbietung bezeugten, erkannte der Nichter den Herrn 
Giannetto fogleich, nicht ebenfo aber Herr Giannetto den 


Richter, denn der letztere hatte vermitteld gewiffer Kräuter 
6*% 


130 III. Giovanni Fiorentino. 


feine Geſichtszüge unkenntlich gemacht. Herr Giannetto 
und ber Jude trugen jeder feine Sache und die Gründe 
dem Richter vor, diefer nahm den Schein, las ihn und 
fagte darauf zu dem Juden: Ich wünfchte, du nähmeft 
diefe hunderttauſend Ducaten und gäbeft biefen guten 
Mann los, welcher dir überdies immer dafür verpflichtet 
fein wird. \. 

Daraus wird nichts, antwortete ber Jude. 

Aber, fagte der Richter, e8 wäre bein Beſtes. 

Der Jude dagegen beharrte darauf, er wolle fih auf 
nichts von alle dem einlaffen. Darauf begaben fie fich 
insgefammt zu dem Gerichte, das über dergleichen Fälle 
gefegt ift, und der Richter verlangte nach Herrn Anfaldo 
und fagte: Nun laß ihn vortreten! 

Als er erfchienen war, fagte ber Richter: Wohlen, 
nimm ihm ein Pfund Fleiſch, wo du willſt und bringe 
deine Sache zu Enbe! 

Da hieß ihn ber Jude ſich nadt ausziehen und nahm 
ein Raficmeffer in die Hand, welches er zu dieſem Zwecke 
hatte machen Iaffen. Herr Giannetto aber wandte fich zu 
dem Richter und fagte: Herr, darum habe ich euch nicht 
gebeten. 

Der Richter antwortete: Sei getroft, er hat das Pfund 
Fleiſch noch nicht Herausgefchnigelt. 

Gleichwol trat der Jude auf ihn zu. Da fpracdh det 
Richter: Hab wohl Acht, daß du es recht machſt! denn 
wenn du mehr oder weniger als ein Pfund nimmft, fo 
laſſe ich dir den Kopf abfchlagen. Ferner fage ich dir 
auch, daß, wenn er dabei nur ein Troͤpfchen Blut ver- 
liert, du gleichfalls des Todes bift, denn beine Papiere 
befagen nichts von Blutverluft; auch fprechen fie, daß 
du ihm ein Pfund Fleifch nehmen darfft und fonft Heißt 
ed von nichts mehr und nichts minder. Darum, wenn 
du Flug bift, ergreifft du die Mafregeln, von welchen bu 
glaubft, daß fie zu deinem Beten gereichen. 

Und ſogleich ſchickte er nach dem Scharfrichter und 


26. Der Kaufmann von Venedig. 131 


lieg ihn Pflock und Beil mitbringen und ſprach: So wie 
ih nur ein Tröpfchen Blut herausfließen fehe, laſſe ich 
dir den Kopf abfchlagen. 

Da befam der Jude Furcht, Herr Giannetto- aber 
fing an fich wieder zu erheitern. Endlich nad) vielem 
Hin- und Herreden begann der Jude: Herr Richter, ihr 
feid klüger als ih. So laßt mir denn jene hHunderttaufend 
Ducaten zahlen und ich bin zufrieden. 

Der Richter aber fagte: Ich will, daß du dir ein 
Pfund Fleifh nimmft, wie dein Schein befagt, denn 
Gerd folft du nicht einen Pfennig erhalten. Du hätteft 
es nehmen follen, als ich es dir anbot. 

Der Jude ftieg herab zu neunzigtaufend, damm zu 
achtzigtaufend Ducaten, aber der Richter blieb nur immer 
fefter auf feinem Ausſpruch. Da fprach Herr Giannetto 
zu dem Richter: Geben wir ihm, was er verlangt, wenn 
er nur Herrn Anfaldo frei läßt! 

. Der Richter aber verfegte: Ich fage dir, laß mid 
gewähren ! 

Darauf begann der Jude: So gebt mir funfzigtau- 
fend Ducaten! 

Der Richter dagegen antwortete: Ich gebe dir nicht 
den fchlechteften Stüber, den du je gefehen. 

So gebt mir, fuhr der Jude fort, wenigftend meine 
zehntaufend Ducaten! WVerflucht fei Luft und Erde! 

Der Richter aber erwiderte: Verftehft du mich nicht? 
Nichts will ich dir geben. Willft du ihm ein Pfund 
Sleifch nehmen, fo nimm es! Wo nicht, ſo laß ich deine - 
Papiere aufheben und vernichten. 

Darob waren alle Anmefenden über die Maßen ver: 
gnügt. Jeder verfpottete den Juden und fpradh: Wer 
Andern eine Grube gräbt, fällt felbft hinein. 

Als nun der Jude fah, daß er das nicht erreichen 
fonnte, was er wollte, nahm er feine Papiere und zerriß 
fie voll Arger, und fo ward Herr Anfaldo frei und Herr 
Siannetto geleitete ihn mit großem Jubel nach Haufe. 





132 II. Giovanni Kiorentino. 


Darauf nahm er ſchnell die hunderttauſend Ducaten, eilte 
zu dem Richter und fand dieſen in ſeiner Kammer be⸗ 
ſchäftigt, ſich auf die Reiſe zu rüſten. Da ſagte Herr 
Giannetto zu ihm: Edler Herr , ihr habt mir den größten 
Dienſt erwiefen, der mir je erzeigt worden iſt; darum 
bitte ich euch, dieſes Geld mit euch zu nehmen, das ihr 
wohl verdient habt. 

Der Richter antwortete: Dein lieber Herr Giannetto, 
ich’ fage euch großen Dank; aber ich bedarf deſſen nicht. 
Nehmt ed mit euch, daß eure Frau euch nicht befchuldige, 
ſchlecht gewirtbfchaftet zu haben. 

Herr Biannetto fagte: Die ift meiner Treu fo, große 
herzig, feingefittet und .rechtfchaffen, daß, wenn ich vier 
mal fo viel euch gäbe, fie doch zufrieden wäre; denn fie 
verlangte, ich folle viel mehr als dies mitnehmen. 

Da fuhr der Nichter fort: Wie ſeid ihr denn fonft 
mit ihr zufrieden? 

Herr Giannetto antwortete: Es gibt Fein Gefchöpf 
auf der Welt, zu dem ich mehr Wohlwollen trüge als 
zu ihr, denn fie ift fo meife und fo fchön, mie fie die 
Natur nur zu fihaffen vermochte. Und wenn ihr mir 
eine Gunft erzeigen wollt, und mit mir fommen, um fie 
zu fehen, fo follt ihr euch wundern über die Ehre, die 
fie euch anthun wird, und mögt euch überzeugen, ob fie 
nicht das ift, was ich fage, oder noch mehr. 

Der Richter antwortete: Daß ich mit euch komme, 
das geht nicht an, denn ich habe andere Geſchaͤfte; aber 
weil ihr mir fagt, daß es eine fo vortreffliche Frau ift, 
fo grüßt fie von mir, wenn ihr fie feht. 

Das fol gefchehen, fprady Here Giannetto; aber ich 
wünfchte doch, daß ihr von dieſem Gelde nehmet. 

Während er fo fprach, fah der Richter einen Ring 
an feinem Singer, weshalb er zu ihm fagte: Gebt mir 
diefen Ring! Außerdem will ich feinen Heller. 
Herr Giannetto antwortete: Ich bin's zufrieden, ſo 
ungern ich es auch thue, denn meine Frau bat ihn mir 





26. Der Kaufmann von Venedig. 133 


geſchenkt und mir gefagt, ich folle ihn immer tragen um 
ihrer Xiebe willen; und wenn fie ihn nicht mehr an mir 
fieht, fo wird fie glauben, ich babe ihn einem Weibe 
gegeben, und fo wird fie fi) über mic) erzürnen und 
‚meinen, ich habe eine Liebfchaft, während ich ihr doch 
mehr zugethan bin als mir felbft. 

Der Richter fagte: Es fcheint mir ficher, daß fie euch 
zärtlich genug liebt, um euch hierin zu glauben; fagt ihr 
nur, ihr habt den Ring mir gefchenft! Wber vielleicht 
wolltet ihr ihn einer alten Buhlfchaft hier fchenten. 

Herr Giannetto aber verfegte: Die Liebe und Treue, 
die ich zu ihr trage, ift fo groß, daß es in ber Welt 
feine Frau gibt, mit der ich fie vertaufchen möchte, fo 
vol Schönheit ift fie in allen Dingen. 

Und damit zog er den Ring vom Finger und gab 

(in dem Richter. Sodann umarmten fie fi) und ver- 
beugten ſich gegeneinander. 

Thut mir einen Gefallen, fogte der Richter. 

Verlangt, verfegte Herr Giannetto. 

Haltet euch Hier nicht auf, fuhr der Richter fort. 
Geht fogleich heim zu diefer eurer Frau! 

Es fcheint mir eine wahre Ewigkeit, fagte Herr Gian⸗ 
netto, bis ich fie wieberfehe. 

So nahmen fie Abfchied. Der Richter flieg in eine 
Barke und ging feines Weges, Herr Giannetto aber gab 
jenen feinen Gefährten Abendeffen und Frühſtücke, fchenkte 
ihnen Pferde und Geld und hielt fo Feſte und machte 
einen Hof mehrere Tage. Dann aber nahm er Abfchied 
von allen Venezianern, nahm den Herrn Anfaldo mit fich 
und viele feiner alten Sameraden begleiteten ihn. Faſt 
jedermann, Männer und Frauen, meinten aus Rührung 
über feinen Abgang, fo freundlich hatte er fich während 
feines Aufenthaltes in Venedig gegen alle betragen. So 
fehied er und kehrte nach Belmonte zurüd, Nun begab 
es fich, daß feine Frau mehrere Tage vor ihm anfam 
und that ald wäre fie im Bade gewefen. Sie nahm 


134 IN. Giovanni Fiorentino. 


wieber ihre weibliche Kleidung an, ließ große Zuberei- 
tungen veranftalten, alle Straßen mit Zendal bedecken 
und viele Scharen Bewaffneter neu leiden. Als num 
Herr Giannetto und Herr Anfaldo ankamen, gingen 
ihnen alle Barone und ber ganze Hof entgegen und 
riefen: Es lebe unfer Herr! Es lebe unfer Herr! 

So wie fie and Land fliegen, eilte die Frau, ben 
Herren Anfaldo zu umarmen und ftellte fich etwas em⸗ 
pfindli) gegen Herrn Giannetto, obwol fie ihn mehr ' 
liebte als ihr Leben. Es wurde ein großes Felt ver- 
anftaltet mit Zurnieren, Waffenfpiel, Tanz und Gefang, 
woran alle Barone, Frauen und Fräulein, fo dafelbft 
waren, Theil nahmen. Als jedoch Herr Giannetto fah, 
dag ihm feine Gemahlin fein fo freundliches Geficht 
machte wie fonft, trat er in fein Gemach, rief fie zu 
fih und ſprach: Was haft du? 

Dabei wollte er fie umarmen. Die Frau aber fagte: 
Du brauchſt mir keine folche Lieblofungen zu machen; 
ich weiß wohl, daß du in Venedig deine alten Buhlfchaften 
wieder aufgefucht Haft. 

Herr Giannetto begann fich zu entfchuldigen; die Frau 

aber fuhr fort: Wo ift der Ring, den ich dir gab? 
- Herr Giannetto antwortete: Da haben wird nun, 
wie ich mir vorftellte. Ich fagte doch gleich, du werdeſt 
Böſes dabei denken. Aber ich ſchwöre dir bei meinem 
heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß ih 
den Ring jenem Richter gegeben habe, welcher mich ben 
Proceß gewinnen machte. 

Die Frau aber fagte: Und ich ſchwöre bir bei mei- 
nem heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß 
du ihn einem Weibe gegeben haft: ich weiß es gewiß und 
doch fcheuft dur Dich nicht, fo zu ſchwören. 

Herr Giannetto fügte hinzu: Ich flehe zu Gott, mid) 
augenblicklich von diefer Welt zu vernichten, wenn ich dir 
nicht die Wahrheit fage, ja, daß ich es ſchon den Richter 
gefagt habe, als er mich darum gebeten. 


27. Der liſtige Feier. 15 


Die Frau fagte: Du hätteft ja noch dort bleiben und 
Heren Anfaldo allein hierherſchicken können, derweil du 
dich mit deinen Liebfchaften ergögteft; denn ich höre, fie 
haben alle geweint, ald du meggingft. 

Da hub Herr Giannetto an zu meinen, war in 
ſchwerer Noth und fprah: Du thuft einen Eid auf et- 
was, was nicht wahr ift und nicht wahr fein kann. 

Als aber die Frau ihn weinen fah, mar es ihr, als 
befäme fie einen Mefferftih in das Herz, ftürzte plöglich 
in feine Arme und fing an, laut aufzulachen. Sie zeigte 
ihm den Ring und fagte ihm alles, wie er mit bem 
Richter gefprochen habe und daß fie der Richter gemefen 
fei und auf welche Weife er ihr den Ring gegeben. 
Darüber war Herr Giannetto aufs Außerfte verwundert, 
und ba er dennoch die Wahrheit ihrer Rede erkannte, 
fing er an, über die Maßen fröhlich zu werden. Er 
trat aus dem Gemah und erzählte es einigen feiner 
Barone und Gefährten. Und die Liebe zwifchen ihnen 
beiden wuchs und mehrte fih auch dadurch. Hernach 
rief Herr Giannetto die Kammerfrau zu fih, welche ihm 
an jenem Abend bie Weifung gegeben hatte, nicht zu 
trinten unb gab fie dem Herrn Anfaldo zur Frau. So 
blieben fie lange Zeit in Glüd und  Bröhlichteit bis an 
ihr Ende. 


27. Der liflige Freier. 


(4, 2.) 


In der Provence lebte noch vor nicht langer Zeit 
ein Edelmann, der Beſitzer verſchiedener Burgen, mit 
Namen Carſivalo, ein Mann von großem Verſtand und 
Tüchtigkeit und ſehr geehrt und geliebt von den andern 
Herren und Baronen des Landes; denn er ſtammte ur⸗ 


136- III. Giovanni Fiorentino. 


fprünglich aus dem edeln Blute des Haufes Balzo in 
der Provence. Carſivalo hatte eine Tochter, Namens 
Lifetta, welche die fchonfte und edelfte Geftalt war, die 
man bazumal in ber ganzen Provence finden Fonnte. 
Viele Herren, Grafen. und Barone erbaten fich ihre 
Hand, junge, rüftige und fchöne Männer, der befagte 


Carfivalo aber entgegnete allen mit Nein und feiner von 


ihnen war ihm recht zum Eidam. Nun war in dem 
Lande ein Graf, welcher das ganze Benifi*) befaß, worin 
viele Städte und Burgen liegen; er hieß der Graf Aldo- 
brandino, mar über fiebzig Jahre alt, hatte weder Frau 
noch Kinder, war aber fo reich, daß fein Reichthum gar 
Beinen Boden hatte. Diefer Graf Aldobrandino, als er 
von ber Schönheit der Tochter ' Earfivalo’8 hörte, ver- 
liebte fi) in fie und hätte fie gerne zur Frau genommen; 
er fchämte fich aber fie zu begehrten, da er fo alt war 
und mußte, wie viele wadere junge Leute fie.zur Frau 
begehrt haben, ohne daß fie einem zu Theil geworden 
wäre. Und doc nagte an ihm beftändig der Wunſch, 
fie zu befigen, und er wußte doch die Sache nicht anzu⸗ 
greifen. Als er nun eined Tages ein Feft gab, geſchah 
ed zufällig, daß Carſivalo als fein Freund und Diener 
diefes Feft mit feiner Gegenwart beehrte. Der Graf 
nahm ihn aufs Ehrenvollfte auf und ſchenkte ihm Pferde, 
Vögel und Hunde und noch viele andere Dinge. Der 
Graf befhloß nun, ihn im Vertrauen um feine Tochter 
anzugehen, und that ed auch. ALS fie eined Tages 
miteinander allein im Zimmer waren, begann der Graf 
freundlich folgendermaßen: Mein lieber Carfivalo, ich will 
dir meine Gefinnung fagen, ohne langen Prolog und 
Vorrede, denn ich denke, bei dir kann ich Alles fagen. 
Freilich aus einem Grunde muß ich mich dabei fchämen, 
aber aus keinem andern, wiewol ber Lauch unter dem 
Boden auch) di und alt wirb und dennoch den Stengel 


) 2: = Benaifein,. Bezirk von Avignon. 











91. Der liftige Freier. 137 


in die Höhe firedt und fortwährend grünt. Ich will 
dir daher nur fagen, wie es mit mir fteht. Ich möchte 
nämlich gerne, wenn es dir gefällig wäre, deine Tochter 
zur Frau befommen. 

Garfivalo antwortete: Auf mein Wort, lieber Herr, 
ih gäbe fie euch gerne, aber ich müßte mich gar zu fehr 
daruber [chämen , angeſehen daß die, fo fie begehrt haben, 
lauter junge Leute find von achtzehn bis zwanzig Sahren 
und ich koͤnnte in Fehde mit ihnen gerathen. Dann wären 
auch Mutter und Brüder und meine andern Verwandten 
und Genoffen vielleicht nicht damit zufrieden, auch hätte 
das Mädchen felbft Fein Genügen an euch, ba fie andere 

rüftigere als ihr haben koͤnnte. 
Lieber Carfivalo, antwortete der Graf, du haft ganz 
Necht. Du Fannft ja aber fagen, fie befomme dann alles, 
was ich befige. Darum wünfche ich, daß wir wegen der 
Sache miteinander übereintommen. 

Carſivalo fagte: Ih bin damit ganz einverflanden. 
Wir wollen ed heute Nacht überlegen und morgen früh 
uns unfere Anfichten mittheilen. Dabei wollen wir es 
belaffen. 

Der Graf Eonnte die ganze Nacht nicht fchlafen, fon- 
dern erfann fih, um feinen Zweck zu erreichen, einen 
allerliebften Plan. Am folgenden Morgen rief er Car- 
fioalo zu fih und ſprach: Ich Habe etwas gefunden, 
was dich vollftändig entfchuldigen, ja was dir zu großer 
Ehre gereihen muf. 

Nun wie? fragte Carſivalo. 

Laß ein Zurnier ausfchreiben, fügte der Graf hinzu, 
daß, wer deine Tochter zur Frau begehrt, an dem und 
dem Tage kommen foll, und wer Sieger ift, fol fie zur 
Frau befommen. Für das Weitere laß mich forgen! Ich 
will ſchon ein Mittel finden zu fiegen und jedermann wird 
dich entfchuldigen. 

Carfivalo fagte: Es ift mir recht. 

Darauf nahm er Abfchied und Fehrte nach Haufe. 








138 . . 11. Giovanni Fiorentino. 


Bei gelegener Zeit rief er feine Frau und feine übrigen 
Berwandte und Freunde und fprach: Es fchiene mir nun- 
mehr Zeit, Lifetta zu verheirathen. Aber wie meint ihr 
nun, daß es anzugehen fei bei den vielen Bewerbern, 
die wir haben, die alle unfere Nachbarn und Freunde 
find? Seder, dem wir fie nicht geben, wird unfer Feind, 
erzürnt fih und fpriht: Bin ich nicht fo viel merth 
als der? 

&o werden bie andern auch fagen, und während wir 
Freunde zu erwerben glaubten, befommen wir nichts ale 
Feinde. Darum dünkt mich, wir veranftalten auf ben 
Frühling ein Turnier, und wer darin gewinnt, der fol 
fie in Gottes Namen haben. 

Die Mutter und die andern antworteten, fie feien 
zufrieden mit diefee Anordnung, und fo ſchritt man denn 
zur Ausführung. Carſivalo ließ das Turnier anfagen: 
Mer feine Tochter zur Frau begehre, folle fich einfinden 
am erſten Tage des Maimonats in der Stadt Marfeille 
zu einem Turnier, und wer Sieger bleibe, folle fie haben. 
Der Graf Aldobrandino fchidte deshalb nach Frankreich 
und bat den König, ihm den rüftigften Snappen im 
Waffenwerk zu ſchicken. Der König, in Betracht, daf 
der Straf immer ein Diener der Krone gewefen und auch 
fein Vetter war, ſchickte ihm einen feiner Knappen, den 
er von Kindheit auf erzogen hatte, Namens Ricciardo, 
welcher aus dem Haufe Montalbano, einem von jeher 
fräftigen edlen Gefchlechte, ſtammte. Dabei befahl er 
ihm Alles zu thun, mas ber Graf Aldobrandino ihm 
befehle. Der Jüngling kam zum Grafen, welcher ihm 
große Ehre erwies, und ihm dann den Grund, warum 
er nad) ihm geſchickt Hatte, auseinanderfegte. 

Der König hat mir befohlen, ſprach Ricciardo, alle 
eure Befehle zu vollziehen: darum gebietet mir und i 
werde rüftig gehorchen. 

- Der Graf fagte: Wir werden zu Marfeille ein Tur⸗ 
nier veranftalten, worin ich wünfche, daß du den Sieg 


27. Der liſtige Freier. 138 


bavonträgfl. Dam fomme ich auf ben Kampfplag und 
fechte mit dir, und du mußt dich zulegt von mir befiegen 
laffen, damit ich als Sieger des ganzen Turniers er- 
ſcheine. 

Ricciardo verfegte; er ſei bereit. Der Graf behielt 
ihn insgeheim bei fich, bis es Zeit war; dann ſprach er 
zu ibm: Nimm die Waffen, die bu willft, geb nad 
Marſeille und rüfte dich mit Geld und Pferden nad) 
deinem Wohlgefallen wie ein fahrender Ritter aus und 
mache, daß du flattlich. ausfiehft. 

Ricciarbo fagte: Laßt mi nur machen! 

Er ging nun gleih in den Stall und fah daſelbſt 
unter den andern ein Roß, das ſchon einige Monate 
nicht geritten worden war. Er beftieg e8 fogleich, wählte 
fi ein paffendes Gefolge und ging nach Marfeille, wo 
eine große Zubereitung zum Turnier gemacht war. Schon 
waren viele Fampfluftige junge Männer dafelbft einge 
troffen und jeder frhägte fich glücklich, der den andern an 
ſchönem und ftattlihem Aufzug zu übertreffen glaubte. 
Es waren fo viele Trompeter und Pfeifer hier beifammen, 
daß Alles ringsumher von Mufif ertönte. Es wurde 
ein großer Plag ausgeſteckt, mofelbft das befagte Turnier 
gehalten werden follte, mit vielen Balkonen ringsum, 
wo Herren, Frauen und Fräulein flanden, um zuzu- 
fchauen. Mit dem feftgefegten erſten Maitage Fam auch 
jenes edle Fräulein, namlich Lifetta, die unter den an- 
deen wie eine Sonne ausſah, fo vollendet ſchön und 
fittfant erfchien fie in jeder Weile. So famen alle, die 
fie zur Frau wollten, zum 2urnier mit vielen Sinn- 
fprüchen und mannichfaltigem Ausfehen und verfegten fich 
untereinander waiblihe Schläge. Ricciardo Fam gleich- 
falls auf befagtem Roſſe zum Turnier und bahnte fi 
Pag dur) das Gedraͤnge. So dauerte dad Zurnier 
einen großen Theil des Tages hindurch und immer fiegte 
befagter Ricciardo in demfelben; denn er war gewanbter 
in den Waffen als irgend ein anderer, griff rüflig an 





140 - IH. Giovanni Fiorentino. 


und vertheidigte fi gut und wich gewandt aus, ba er 
in diefem Gewerbe fehr erfahren war. Einer fragte den 
andern, wer denn das fei; da hieß es, es fei ein eben 
angelommener Fremder. Kurz, er blieb Sieger auf dem 
SKampfplag und alle andern wurden zu Boden gefchlagen 
und zogen ab, der eine dahin, der andere dorthin, denn 
vor feinen gemaltigen Streichen vermochten fie nicht zu 
beftehen. Es dauerte aber nicht lange, fo trat der Graf 


.. Adobrandino auf den Kampfplag, ganz bedeckt mit Waffen, 


flürzte auf Ricciardo los und Ricciardo auf ihn, daß es 
frachte. Nach vielen Hieben hin und wider, ließ fih Ric- 


- ciardo der getroffenen Abrebe gemäß zu Boden fchlagen 


und. that nichts mehr, was ihm freilich ſchwer fiel, denn 
er hatte fich bereitd in Liſetta verliebt. Aber er mußte 
den Befehl des Königs vollziehen und folglich auch den 
Wunſch des Grafen Aldobrandino. Als nun der Graf 
den Sieg errungen hatte, ritt er buch die Bahn mit 
dem Schwert in der Hand und fogleich kamen ihm alle 
feine Schildfnappen und Barone entgegen mit großem 
Zube. Als er aber den Helm abnahm und man ihn 
erfannte, wunderte ſich Alles über ihn, namentlich aber 
das Fräulein. . So befam alfo der Graf auf liftige Weife 
Carſivalo's Tochter zur Frau und führte fie ind Haus und 
ließ aus diefem Anlaß große Feierlichkeiten und Feſte veran- 
ftalten. Nach) diefem Ereigniß kehrte Ricciardo nach Frank⸗ 
reich zurüd und der König fragte ihn, was er gethan habe. 
Heilige Majeftät, antwortete Ricctardo, ich komme 
von einem Turnier, zu welchem mich euer Graf böslicher 
Weiſe genöthigt hat. Ä 
Mie fo? fragte der König. 
Ich mußte, verfegte Ricciarbo, des Grafen Kuppler 
abgeben. 
Dann erzählte er ihm die ganze Gefchichte, über welche 
fi) der König baß verwunderte, 
Gnädigſter Herr, fuhr Nicciardo fort, verwundert 
euch nicht über das, mas mir begegnet ift, fondern viel- 











N. Der liftige Freier. 141 


mehr darüber, daß ich es gethan habe; denn ich habe nie 
etwas gethan, mas mir größeres Leid verurfacht als dies. 
Das Fräulein, das Graf Albobrandino auf fo fchnöde Weife 
zu gewinnen wußte, ift nämlich aus ber Maßen fchön. 

Der König dachte eine Weile darüber nach, dann 
fagte er: Ricciarbo, beforge nichts! Dies Zurnier kann 
noch dein Vortheil fein. Doch damit genug für jegt! 

Kurze Zeit darauf gefhah es, daß befagter Graf 
Aldobrandino ohne Erben mit Tod abging; Madonna 
Lifetta war alfo Witme geworben und ihr Vater holte 
fie wieder in fein Haus, machte aber faft gar nichts mit 
ihr und fchmeichelte ihr nicht wie ſonſt. Darüber be- 
gann das junge Weibchen fih im Stillen fehr zu ver- 
wundern und konnte am Ende nicht länger mehr an fich 
halten, fondern fprach eines Tages zu ihrem Vater fol- 
gendermaßen: Mein Vater, ich wunbdere mich fehr über 
euch, angefehen, daß ich fonft eines eurer Augen war 
und ihr mich eurem liebften Sohne vorzoget; und fo oft 
ihr mich fahet, ging euch das Herz auf, fo lang ich noch 
ein Mädchen war; jegt aber, ich weiß gar nicht warum, 
ift es, als ob euer Herz gar nicht mehr meinen Anblid 
ertragen Tonne. 

Der Bater antwortete ihr alfo: Du munderft dich 
nicht fo fehr über mich, als ich mich über dich gewun⸗ 
dert habe, benn ich glaubte, du feieft gefcheit und merkeft, 
warum und in welcher Abficht ich dich an den Alten 
verheirathet habe, einzig damit du Kinder befämeft, fo 
hätteft du dich zur unumfchräntten Gebieterin über feinen 
Reichthum machen können. Sonft hatte ich Feine Abſicht. 

Mein Vater, antwortete die Tochter, ich habe gethan 
was ich Eonnte. 

Wie ift es möglich, fügte der Water bei, daß an 
feinem Hofe fein Knappe, Ritter oder Knecht fi h fand, 
der dazu geſchickt war? 

Mein Vater, antwortete die Tochter, ſeid mir nicht 
böſe darüber! Ich verſichere euch, es war kein Ritter, 


142 II. Giovanni Fiorentino. ' 


Knappe oder Knecht im Haufe, dem ich ed nicht fagte; 
aber keiner: wollte mir glauben. 

Als der Vater diefe Iuflige Antwort hörte, erheiterte 
er fih ganz und gar und ſprach: Ich bin zufrieden und 
verfpreche dir einen folchen Mann zu fchaffen, dag du 
nicht nöthig haft, einen andern als ihn darum zu bitten. 
Laß mi nur machen! 

Nun fiel die ganze Erbfchaft des Grafen Aldobran- 
dino an den König von Frankreich, welcher fich bee 
wackern ritterlihen Betragens Ricciardo's erinnerte und 
alsbald in die Provence fchidte, zu Carfivalo, um ihm 
zu eröffnen, er möge feine Tochter einem feiner Knappen 
geben, der ohnedies von Rechts wegen ihr Mann fei. 
Carſivalo merkte die Sache ſogleich und antwortete daher 
dem König, er möge unbefchränft verfügen nad) feinem 
Sutdünten. Der König flieg zu Pferde mit . größtem 
Gefolge, fam in die Provence, nahm Ricciardo mit fid) 
und fchloß jene Verbindung, nämlich dag Lifetta feine 
Frau wurde. Sodann erhob er ihn zum Grafen und 
ſchenkte ihm die Graffchaft, welche dem Grafen Albo- 
brandino gehört hatte. Allen gefiel diefe Verbindung, 
namentlich aber ihr. Sie brauchte nun nie wieder weber 
Knechte noch Knappen zu bitten, denn fie beide waren 
jung und frifh und rüftig zu Allem, und fo lebten fie 
miteinander lange Zeit in Glück und Freuden. 


28. Hauskreuz. 


(5, 2.) 


In Rom lebten zwei fehr gute Stameraben, deren 
einer Janni, der andere Eiucolo hieß. Sie waren reich 
und wohl verfehen mit irdifchen Gütern. Sie lebten Tag 
und Nacht beifammen und hatten einander lieber ale 











238. Hauskreuz. 143 


wenn fie Brüder geweſen wären. Seber von ihnen hatte 
feinen ganz anftändigen Haushalt und lebte ftattlich, denn 
fie waren von ebler Abkunft und römifhe Ritter. Als 
fie nun eines Tages beifammen waren, fagte einer zum 
andern: Geht dirs auch wie mir? 

Der andere antwortete: Wiefern? 

Ich mag noch fo fparfam fein, fagte er, fo habe ich 
doch amı Ende des Jahres nichts erübrigt, ſondern bin 
vielmehr immer im Rüdftand. 

Der andere fügte bei: Meiner Treu und ich habe im 
Haufe das verkehrtefte Weib, das, glaube ich, auf ber 
ganzen Welt lebt. Sie ift gar fein Weib mehr, fondern 
ein leibhaftiger Teufel. So viel ich ihr auch zu Gefallen 
thue, jo fann ich doch nicht mit ihr leben, fo ſchnöde 
und verkehrt ift fi. Früh und ſpät habe ih Händel 
mit ihr, weit mehr als mir lieb iftz ich weiß gar nicht 
mehr, wie ich mit ihr auskommen foll. 
| Janni antwortete: Wir wollen doch Rath fuchen über 

diefe Falle, du über den deinen, ich uber den meinen. 

Es ift mir Net, fagte Eiucolo, und ih bin ein- 
veritanden. 

So machten fie ſich auf und gingen zu einem braven 
Manne mit Namen Boezio. Als fie bei ihm waren, 
nahm Sanni das Wort. 

Mein Herr, fagte er, wir kommen, um und euren 
Rath zu erbitten. Ic fpare das ganze Jahr und bin 
doch immer im Rüdftand, wenn ich mein Eintommen 
betrachte. Das wundert mich fehr. 

Ciucolo Tagte: Und ich habe das verfehrtefle und 
handelfüchtigfte Weib von ber Welt. 

Borzio fagte zu Janni: Steh früh auf! 

Und zu Ciutolo fagte er: Geh an die Engelöbrüde! 
Geht mit Bott! 

Sie wunderten fi und ſprachen untereinander: Das 
ift ein Efel. Was foll das heißen, wenn ich ihn um meine 
Haushaltung befrage und er antwortet mir: Steh früh auf! 


144 III. Giovanni Fiorentino. 


Und zu bir fagte er, du ſollſt an die Engelsbrüde 
gehen. Ä 

So gingen fie weiter und machten ſich über ihn luſtig. 
Nun begab es ſich, ald anni eines Morgens früh auf- 
ftand und fich hinter bie Thüre verſteckte und dort ftehen 
blieb, da fah er einen feiner Knechte, welcher einen großen 
Krug Ol wegtrug und ein anderer trug ein Stüd trodenes 
Zleifch hinaus. Darum machte ſich Janni denn noch früher 
auf und fah, wie bald die Mägde, bald die Kammerfrau, 
die einen Korn und Mehl, die andere bied und das trugen. 
Da ſprach er bei fich felbft: So ift es kein Wunder, 
wenn id am Ende des Jahres nichts übrig habe. 

Dann rief er gleich feinem Diener und fagte: Geh 
mit Gott und laß dich nicht mehr im Haufe von mir 
blicken! 

Dann rief er die Mägde und die Kammerfrau und 
fagte ihnen da8 Gleiche und ſchickte Alle hinweg. Zuletzt 
verfah er fich mit neuen Knechten und Dienern und hatte 
von nun an mehr ein wachfames Auge über feinen Haus- 
halt, fodaß er am Ende des Jahres einen Überfchuß hatte, 
während er zuvor einen Verluſt erlitt. Eines Tages be⸗ 
gegnete er feinem Freunde und fagte ihm, mas er ge- 
funden habe beim Frühaufftehen. 

Ei, fagte darauf Ciucolo, da will ich doch auch ver- 
fuchen, was Boezio mir gefagt bat. 

Am andern Tage ging er daher an die Engelsbrücke, 
fegte fi bin und wartete. Da kam ein Efelstreiber mit 
einigen beladenen Maulthieren herbei. Eines der Maul 
thiere ſcheute und mollte nicht meiter gehen; ba nahm es 
ber Treiber am Halfter, um es über die Brüde zu ziehen; 
das Half aber Alles nichts, denn je mehr er das Thier 
vorwärts zog, um fo mehr ſtemmte es ſich zurüd. Da 
warb der Zreiber allmälig ärgerlich und ſchlug auf das 
Maulthier los, das fih aber nur um fo fehlimmer ge- 
berdete. Als dem Treiber die Geduld ausging, nahm 
er den Stod, woran bie Waarenballen befefligt waren, 


‚28, Hauskreuz. , 145 


flug damit unten, auf die Seite, über ben Kopf, an 
die Rippen, und ließ feine Wuth fo reichlih aus an 
jenem Thiere, daß der Stod endlich zerbrah. Da wurde 
endlich das Thier zahm, ging über die Brüde, ber Treiber 
führte es. auch mehrmals hin und ber, und als er fah, 
bag dem XThiere die Narrheit ausgetrieben fei, ging er 
weiter feinen Gefchäften nah. Ciucolo fah, mas ber 
Efelötreiber dem Maulthier gethan hatte, und fagte bei 
fih felbft: Nun weiß ich, was ich zu thun habe. 

Kehrte auch alsbald nach Haufe unter diefen Gedanken. 
Als er ankam, begann die Frau zu ſchreien und zu fchelten, 
und fragte, wo er fo lange bleibe. Der Mann ließ ſichs 
gefallen und blieb ruhig ; in ihr aber kochte es fortwährend. 

Sei ruhig, fagte endlich der Mann, fonft könnte es 
dir übel befommen. 

Wehe, rief das Weib, follteft du e8 wagen, Hand an 
mich zu legen? Du tönnteft deine Rede noch bereuen. 

Sich zu, daf du mic, nicht in die Hige bringft! Du 
würdeft den Tag beklagen. 

MWenn ich glaubte, verfegte das Weib, du habeft nur 
ein Härchen an dir, das fo dächte, fo würde ich es meinen 
Brüdern fagen laffen, die ſchon fo mit dir fertig werben 
würden, daß dir das Lachen verginge. Und du mirft 
fhon fehen, was bir für das, was du mir eben gefagt 
baft begegnet. 

Der Mann fagte: Haft du den Teufel im Leibe 

Stund auf, und auf ſie los und ſie ſchrie und machte 
großen Lärm. Dann nahm er einen Stock, lief auf fie 
los, und fchlug drauf und drein, auf Nüden, Arme 
und Kopf. Als der Stod zerbrochen war, nahm er. 
einen andern und fing von vorne an. Da begann fie 
zu fchreien: Erbarmen, Erbarmen! 

Er aber fhlug nur um fo heftiger zu und rief: 
Wahrlich, ich muß dich zu Tod ſchlagen. 

Die Frau aber, als fie diefen Entfchlug des Mannes 
fah und ſich ganz zerfchlagen fühlte, kniete nieder und 

Staliänifcher Novellenſchatz. I. 7 " 


146 . II. Giovanni Fiorentino. 


rief: Lieber Mann, fchlag mich nicht mehr! Du wirft 
finden, daß ich nicht mehr widerfpenftig Bin. 

Um ihr denn bie Widerfpenftigkeit vollends auszu- 
‚treiben, ließ der Mann fie mehrmals im "Saale auf- und 
“ abtrotten und laufen und maß ihr fortwährend mit beiden 
Händen den Stock auf. In diefem gefegneten Augen- 
blide entfchloß ſich die, Frau immer alles ihrem Manne 
zu gefallen zu thun und wurde das fanftefte und demü- 
thigfte Weib in ganz Rom. Auf diefe Weife trieb Ciucolo 
feinem Weibe die Widerfpenfligkeit aus dem Kopfe, und 
während er früher in fortwährendem Kriege und Unfrieben 
mit feinem Weibe gelebt hatte, lebte er nun ruhig und 
friedlich mit ihr. Wer alfo ein widerſpenſtiges Weib hat, 
nehme ein Exempel an Ciucolo, wie er eines am Eſels⸗ 
treiber nahm. 


2. Pariſer Theologen in Rom. 


(6, 1.) 


Es iſt noch nicht lange her, ſo waren in Paris 
zwei ſehr bedeutende tüchtige Männer, Doctoren beider 
Rechte, deren einer Meſſer Alano, der andere Meſſer 
Giovanni Piero hieß, und in der That hatte die Chriſten⸗ 
heit dazumal keine tüchtigeren Männer als ſie aufzuweiſen. 
Die beiden beneideten einander fortwährend; aber Meſſere 
Alano behauptete immer die Oberhand, denn er- war der 
größte Rebekünftler von der Welt und hatte mehr Ver- 
fand, als Meffer Giovanni Piero, welcher faft ein Keger 
war und oft Verwirrung in unſern Glauben gebracht hätte, 
wäre nicht eben jener Meſſere Alano geweſen, der ihn auf⸗ 
recht erhielt und gegen alle feine Einmwürfe vertheidigte. 
Meffere Alano befam Luft, nach Rom zu gehen und bie 
dortigen beiligen Reliquien. zu befuchen, aud den Papſt 


2. Parifer Theologen in Rom. 147 


und ſeinen Hof zu ſehen. Darum machte er ſich von 
Haufe weg mit vielen Dienern und guter Ausrüftung, 
ging nach Rom und befuchte ben Papft und fah feinen 
Hof und wie es mit ihm gehalten ward. Dabei wun⸗ 
derte er fich fehr, in Anbetracht daß ber römische Hof 
die Grundlage des Glaubens fein muß und die Stüge 
des Chriftentbums, da er ihn doch fo tadelnswürbig und 
fo vol Simonie fand. Darum verließ er Rom und be- 
ſchloß, fi aus der Welt zurüudzuziehen und dem Dienfte 
Gottes zu ergeben, As er nun von Rom Abfchied ge- 
nommen und auf der Rüdreife mit feinen Dienern nad) 
San Ehirico di Nofena kam, fprach er zu ihnen: Geht 
nur voran umd nehmt Herberge! Ich will fchon für mich 
forgen. 

Die Diener zogen weiter und gingen nad) San Chirico, 
und als Meffere Alano fie meggegangen fah, verließ er 
die Strafe, wandte fi ch nach dem Gebirge und ritt weiter 
bis zum Abend, wo er einen Schaͤfer traf. Meſſere Alano 
ſtieg ab, blieb den Abend bei ihm und ſagte zu ihm am 
folgenden Morgen: Ich will dir meine Kleider und mein 
Herd Iaffen: gib du mir deinen Anzug! 

Der Echäfer meinte, er treibe Scherz und ſagte: 
Meffere, ich babe euch geehrt fo viel ich Tonnte: darum 
macht euch nun nicht über mich luſtig! 

Meffere Alano aber zog feine Kleider aus und ließ 
den Hirten ſich gleichfalls ausziehen; er ließ, ihm das 
Pferd und feine ganze Habe und nahm die Kleider, 
Schuhe und die Feldflafche des Schäfer und lief fort 
aufs Gerathewohl. Als feine Diener ihn nicht zurüd- 
kommen fahen, fuchten fie nach ihm; als fie ihn aber 
nicht fanden, dachten fie, der Weg müſſe unficher fein, 
er fei wol beraubt und erfchlagen worden. So warteten - 
fie einige Tage und gingen dann weg und nad Paris 
zurud. Nachdem Meſſer Alano ben Schäfer verlaffen 
hatte, traf er am Abend auf eine Abtei in der Maremme. 
Er bat um ein Brot ale Almofen und ber Abt fragte 

7% 


148 II. Giovanni Fiorentino. N 


ihn, ob er in Dienfte geben wolle. Meſſere Alano 
fagte: Ja. u 

Darauf fragte der Abt: Was kannſt du arbeiten? 

Meſſere Alano verfegte: Lieber Herr, ich werde fchon 
können, was ihr mich anmeifet. - 

Der Abt dachte, er habe hier einen brauchbaren Mann 
gefunden, nahm ihn zu fi und ſchickte ihn zuerft ins 
Holz. Er verfah diefes Gefchäft fo gut, daß alle Be⸗ 
wohner des Klofters ihm wohlwollten; denn er that gerne, 
was man ihm auftrug, er ſchämte fich nicht und machte 
fi) nichts daraus, Beſchwerden zu ertragen und alles 
anzugreifen, was er zu ‚arbeiten hatte. Als ber Abt 
feine Demuth fah, machte er ihn zum Bruder Kellner 
des Kloſters, da er nicht wußte, wer er war, und legte 
ihm den Namen Don Benedetto bei. Er führte babei 
ein ftrenges Leben, faftete vier Tage der Woche in einem 
fort, Bleidete fih nie aus, brachte immer einen großen 
Theil der Nacht im Gebete zu und erzürnte fich nie über 
irgend etwas, mas ihm gejagt oder angethan murde, 
fondern lobte beftändig Chriftus. Auf dieſe Weiſe hatte 
er befchloffen Gott zu dienen, fobaß der Abt ihm fehr 
wohlwollte und ihn fehr hoch hielt. Seine Diener waren 
indeffen nach Paris zurüdgelommen und meldeten Deffere 
Alano todt, worüber dafelbft die größte Wehklage entftand 
bei allen wackern Leuten, bieweil fie nun den tüchtigften 
Doctor auf der Welt verloren hatten. Iener Meffer Gin 
vanni Piero aber, ald er Meffere Alano’d Tod erfuhr, 
war darüber fehr vergnügt und fprah: Nun Tann ich 
ausführen, was ich fo lange ſchon gewünfcht habe. 

Er machte fich bereit und, ging nah Rom und ftelite 
dort im Gonfiftorium einen Sag auf, welcher gar fehr 
unferm Glauben zumwiberlief und fuchte duch feine Spig- 
findigfeiten eine Kegerei in die Kirche Gottes zu bringen. 
Der Papft hielt darüber eine Verſammlung der Cardinäle, 
worin fie befchloffen, alle tüchtigen Männer in Stalien 
Holen zu laffen, damit fie in einem Gonfiftorium erfchlenen, 


.®. Parifer Theologen in Rom. . 149 


welches der Papſt halten wollte, um auf: die Streitfrage 
zu: antworten, melde Meſſer Giovanni Piero unferm, 
Glauben zuwider aufgeftellt Hatte. Alle Bifchöfe und 
AÄbte und bie andern hohen Prälaten, welche ſich auf 
das Kirchenrecht verftanden, murben befchieden, an ben 
Hof zu kommen. Darunter war auch ber Abt, bei 
welchen Meſſer Alano lebte. Als diefer im Begriffe 
war, nah Rom abzugeben und Meffer Alano hörte, 
was der Zwed feiner Reiſe war, bat er den Abt um 
Erlaubniß mitzugehen. 

Was millft denn bu dort thun, fagte der Abt zu . 
ihm; du kannſt ja nicht einmal Iefen. Dort find. bie 
. tüchtigften Männer von der Welt und man fpricht von 
nichts, als von Gelehrſamkeit; da verſtehſt du gar nicht, 
um was es fich handelt. 

Meffere, verfegte Meffer Alano, fo fehe ich doch den 
Papſt, den ich in meinem Xeben noch nie gefehen habe; 
‚ich weiß gar nicht, wie er ausfieht. 

Als der Abt feinen Entfhluß fah, fagte er: Meinet- 
wegen fo komm mit! ber weißt du denn mit einem 

Pferde umzugehen? 
Meffer Alano fagte: Ja wohl, Mefjere! 

Ald es nun Zeit war, machte fi) der Abt auf den 
Weg und nahm Meffer Alano mit fih. Als fie in Rom 
ankamen, war fehon der Tag beftimmt, an welchem biefes 
Eonfiftorium gehalten werben follte, und jedermann konnte 
hingehen und die Säge hören, die jener aufftellte; Meffer 
Alano bat den Abt, er möchte ihn doch mit in die Ver⸗ 
fammlung nehmen. 

Bift du von Sinnen? fagte der Abt. Meinft du, 
ich koͤnne dich mit dahin führen, wo ber Papſt, die Car⸗ 
dinäle und fo viele angefehene Männer find? 

Meffer Alano fagte: Ich fee mid) unter euren 
Mantel, daß man mich nicht fieht, denn ich bin ja klein 
und unanfehnlich. 

Rimm dich in Acht, fagte der Abt, daß dir nicht 


150. IH. Giovanni Fiorentino. 


die Pförtner und Gtabteäger mit ihren Keulen aus 
wiſchen! 

Meſſer Alano aber ſagte: Laßt mich nur machen! 

Während nun der Abt in dad Konfiftoriuim ging, 
bufchte jener unter dem großen Gedränge beim Eingang 
plöglih dem Abt unter den Mantel und kam fo mit 
binein., Der Abt befam feinen Plag neben den an- 
been Übten ihrem Range gemäß; Meſſer Wano aber 
kauerte fich zwifchen feinen Beinen unter dem Mantel 
des Abtes zufammen, machte fi ein Fenfterchen für fein 
Auge, um hindurch zu guden und lauſchte aufmerkfam 
den aufgeftellten Sägen. Es dauerte nicht lange, fo trat 
Meſſer Giovanni Piero in die Verſammlung, beftieg die 
Rebnerhühne in Gegenwart bes Papſtes und ber Gar- 
dindle und aller andern Anmefenden und brachte feine 
Streitfrage vor, die ex dann mit feinen hinterliftigen 
Gründen -zu beweifen fuchte. Meſſere Alano erkannte 
ihn gleich, und da er fah, dag niemand aufftand, um 
ihm zu antworten und zu widerfprechen, und daß Feiner 
wagte, feiner Beweisführung entgegenzutreten, ftedte er 
feinen Kopf aus dem Zenfterchen des Manteld des Abtes 
hervor und rief laut: Geh an den Galgen! | 

Der Abt hob die Hand auf, gab ihm eine tüchtige 
Ohrfeige und fagte: Still! Gott verdamm’ dich! Willſt 
du mich in Schmach bringen? 

Die in der Nähe ftehenden fahen einander an und 
fragten: Wo kommt diefe Stimme her? 

Meffer Alano wartete nicht Lange, fondern guckte 
wieder hervor und rief: Sanctissime pater, audiatis me! 

Der Abt war in größter Verlegenheit, denn alle 
en auf ihn und riefen: Wen habt ihre da unter 
euch? 


Der Abt fagte, es .fei ein verrüdter Laienbruder. 
Darüber fing man ihn an zu fhelten und ſprach: Wie 
mögt ihre Verrückte in das Confiftorium bringen? 

Dann brachten fie die Stabträger herbei, damit fie 


29. Parifer Theolögen in Rom.  - 151 


ihn prügeln und binanswerfen follten. Meſſer Alano 
aus Furcht, Schläge zu befommen, flürgte unter dem 
Mantel des Abtes hervor, fprang unter die Bifchöfe und 
fiel dem Papft zu Füßen. Darüber brach das ganze 
Conſiſtorium in heftiges Gelächter aus und der Abt war 
nahe daran weggemwiefen zu werden, mweil er diefen Men- 
ſchen mit fich bineingeführt habe. Als nun Meffer Alano 
dem Papfte zu Füßen lag, bat er um Erlaubniß, feine 
Meinung über diefe Sache ausfprechen zu dürfen. Der 
Papſt gab fie ihm. Meſſer Alano beftieg fofort die 
Rednerbühne, widerfprach allen von dem andern aufge 
ftellten Behauptungen und erörterte dann Punkt für Punkt 
die ganze Frage mit fprechenden und natürlichen Gründen. 
Die ganze Verſammlung war erflaunt über das feine 
Latein, in welchem er fih ausbrüdte, und die fchönen 
Beweife, die er für feine Anficht vorbrachte. Da fagten 
alle: Wahrli da ift uns dee Engel Gottes erfchienen. 

Als der Papft feine Beredſamkeit hörte, dankte er 
Gott. Als nun auf folche Art diefer Meffer Alano den 
Meffer Giovanni Piero aus dem Felde gefchlagen hatte 
und diefer feine Niederlage anerfennen mußte, fagte er: 
MWahrhaftig bu 4 der Geift des Meffer Alano oder 
bift du ein böfer Geiſt. 

Meſſer Alano fagte: Ich bin Alano, der dich fonft 
fhon zum Schweigen gebracht hat; aber du bift in der 
That ein böfer Beift, da du in ber Kirche Gottes eine 
ſolche Ketzerei anftiften wollteſt. 

Meſſere Giovanni Piero antwortete: Hätte ich ge- 
dacht, daß du noch am Leben bift, fo wäre ich nicht 
bergefommen. 

Der Papft verlangte zu wiffen, wer dies fei, ließ 
den Abt rufen und befragte ihn, wie er zu dem Men- 
ſchen komme. 

Heiligfter Vater, fagte der Abt, er ift feit geraumer 
Zeit als Xaienbruder bei mir; ich glaubte, er verftehe 
nicht einmal zu lefen und habe nie einen demüthigeren 


> 


152 II. Giovanni Fiorentino. 


Menfchen gekannt, als er; er gab ſich immer damit ab, 
Holz zu machen, das Haus zu reinigen, zu betten, ber 
Kranken zu pflegen, das Pferd zu beftelen; im Ganzen 
ſchien er mir ein einfältiger Menfch. 

Als der Papft das fromme Leben hörte, das er ge- 
führt hatte, und feine Tüchtigkeit fah und erfuhr, wer 
er früher gewefen, wollte er ihn zum Cardinal erheben 
und ihm die größte Ehre erweifen. 

Waͤreſt du nicht geweſen, fagte er zu ihm, fo wäre 
die Kirche Gottes in den größten Irrthum gerathen. 
Darum verlange ih, daß bu am Hofe bleibeft. 

Meffer Alano aber verfegte: Heiligfter Vater, meine 
Abſicht ift, in diefer befchaulichen Weiſe mein Leben zu 
befchließen und nicht wieder in die Welt zurückzukehren; 
vielmehr wünfche ich mit meinem Abte wieder in fein 
Klofter mich zurüdzuziehen, das angefangene Leben fott- 
zufegen und fortwährend Gott zu dienen. 

Der Abt fiel auf die Kniee und bat ihn um Ver- 
zeihung, dieweil er ihn nicht gekannt habe, hauptfächlich 
von wegen der Ohrfeige, die er ihm gegeben. 

Da braucht es feine Verzeihung, ſprach Meffer Alano, 
denn ber Vater muß den Sohn züchtigen. " 

Darauf nahmen fie Abfchied vom Yapft und den 
Gardinälen und Eehrten beide, der Abt und Meffer Alano, 
in ihr Klofter zurück. Der Abt erwies ihm fortan im- 
mer ganz befondere Verehrung, und fo lebte er ein bei- 
liges frommes Leben und verfaßte einige fehone Bücher 
über unfern Glauben. &o lang er in diefer Welt lebte, 
führte er auch biefe Lebensweiſe fort und erntete darum 
am Ende den wohlverdienten Lohn bes ewigen Lebens. 


30. Römifche Rache. 153 


30. Roͤmiſche Rade.. 


(7, 1.) 


Vor einiger Zeit lebte zu Rom ein Ritter Namens 
Meffer Francesco Orſino von Monte Giordano, welcher 
eine Gattin hatte, die Madonna Lifabetta hieß, ſchoͤn, 
teufch und fehr mohlgefittet und die ihm in feiner Ehe 
zwei Söhne geboren. In diefe Frau nun verliebte fi 
ein junger Menfch und fie in ihn, und ba fie ſich nicht 
Aug und heimlich hielten, befam Meffer Francesco mehr- 
mals Wind darüber. Er konnte es nicht glauben, an« 
gefehen, daß jener Jüngling nicht ſchön, noch edel, noch 
reich war und überdies fich ‚ganz als fein Freund und 
ergebener Diener darſtellte. Nun gefchah es aber, daß 
einer feiner Gelchäftsführer es bemerkte und Meffer Fran- 
cedco fagte, worauf biefer erwiderte: Laure bu ihnen auf, 
daß du ihn hereinfommen fiehft, und dann komm zu mir, 
denn ich will es felber fehen, ſonſt kann ich's nicht glauben. 

Der Geſchäftsmann fagte: Es foll gefchehen. 

Da that Meffer Francesco eines Tages, als ginge 
er auf eines feiner Schlöffer und flieg zu Pferde mit 
einigen Begleitern. In der folgenden Nacht aber Fam 
ee nad Rom zurüd und blieb verborgen, bis der Ge⸗ 
fchäftsführer zu ihm kam. So ſah Meffer Francesco. 
jenen Züngling wirklich in der Kammer mit feiner Frau 


ſcherzn 
em gehoͤrt dieſes Maͤulchen? fragte der Liebhaber 
und küßte es. 

Dir, antwortete ihm die Frau. 

Und dieſe räuberiſchen Augen? 

Sind dein. 

Und dieſe Wangen? 

Sind bein. 

Und der fchöne Hals? 

Iſt bei 


dein. . 
7 RR 





154 II. Giovanni Fiorentino. 


Und dieſer fhöne Buſen? 
ft dein. . Ä 

Und fo fafte er eins ums andere an und bie Frau 
fagte immer, e8 gehöre ihm, außer beim Hintertheil fagte 
fie, das gehöre ihrem Manne, und darüber fchlugen fie 
beibe ein ſchallendes Gelächter auf. Meſſer Francesco fah 
und hörte Alles mit.an, was biefe miteinander trieben. 

Gott Rob, dachte er hei ſich felbft, daß ich doch auch 
noch einen Theil für mich habe. . 

Als er nun Alles zur Genüge gehört und gefehen 
hatte, entfernte er fich heimlich, Lehrte nach feinem Schloffe 
zurück und blieb dort, fo lange es ihm gefiel; dann kam 
er wieder heim und lieg feiner Frau einen Nod machen 
aus grobem Tuch, nur ber Hintertheil. war aus Sammt 
mit Hermelin gefüttert; er ließ auf feinem Schloſſe ein 
ſehr ſchönes Gaftmahl bereiten und Iud dazu auch den 

Jüngling und zwei feiner Brüder und einige feiner Ver⸗ 
wandten und Gefellen, fowie einige Vettern ber Frau. 
Meſſer Francesco veranftaltete auf einen Sonntag Morgen, 
daß die Frau jenen Rock anziehen, damit durch Rom 
gehen und nach feinem Gute mit der Gefellfchaft zu Tifch 
kommen follte. So geſchah es auch. Als man nun. zur 
TJafel ging, fegte Meffer Francesco feine Frau neben 
jenen Jüngling, welcher Rinaldo hieß, und dann der 
Reihe nach ihre Brüder und Gefährten und veranftaltete 
ihnen an dieſem Morgen ein reiches und fchönes Mahl. 
Wer am Morgen bie Frau fo gekleidet fah, mußte fich 
wundern, fo auch alle Verwandte der Rrau und Rinaldo's, 
* ſie dachten: Das laͤuft auf irgend etwas Beſonderes 

inaus. 

Rinaldo mar in der größten Angſt. Als das Früh- 
ſtück vorüber war, fagte Meffer Francesco: Rum gebt 
Acht, ich will euch das Obſt geben. | 

Er ſtand auf, ließ jedem der am Tiſche figenden 
einen Stod reihen. Dann trat er in eine Kammer, 
wo er acht Diener bereit hatte, jeden mit einem Stock 


[m 








30. Romiſche Race. 155 


in der Hand, ebenfo viele, als Gaͤſte an ber Tafel faßen. 
Diefe ließ er heraustreten und fich um die Tafel herftellen. 
Dann fagte er zu den Bäften: Wehrt euch! 

Und zu den Dienern mit den Stöden in der Hand 
fagte er: Bringt das Obft! 

Darauf warfen fie den Tiſch um, mie ihnen befohlen 
war, und fingen an mit’ ihren Stöden auf bie am Tiſche 
loszuſchlagen. Das gab eine ſchöne Rauferei mit den 
Stöden untereinander, denn als die am Tiſche figenden 
merkten, daß es mit den Schlägen Ernſt war, wandten 
fie ſich hübſch ordentlih um und theilten auch aus, wie 
man ihnen zutheilte. Kurz, es behielten die aus ber 
Kammer getretenen Diener die Oberhand, fchlugen die 
Speifenden zu Boden und alle kamen im Saale ums 
Leben. Meſſer Francesco ließ fodann den Leichnam des 
jungen Rinaldo wegtragen und mit auögebreiteten Armen 
in feinem. Schlafzimmer ans Kreuz fehlagen; die andern 
Leichen wurden bei Nacht in ihre Häufer getragen. Es 
entftand große Trauer in ganz Nom über den Tod fo 
vieler wadern Leute, aber niemand wagte den Mund 
aufzuthun,. denn ber, der es veranftaltet hatte, war ein 
‚ angefehener Mann in Rom. Meſſer Francesco ließ feine 
Frau nehmen und jede Nacht auf den Leichnam des be- 
fagten Rinaldo binden, ſodaß fie ihn die ganze Nacht 
umarmt halten mußte; am Tag ließ er fie abnehmen 
und ihr täglich zwei Stüde Brot und einen Becher 
Waſſer reihen, um fie fo binzuhalten, und fie lebte aud) 
noch mehrere Tage. Jeden Tag fchidlte fie zwar zu 
Meffer Francesco ihrem Gatten, um ihn um Erbarmen 
anzuflehen, er wollte aber nie etwas hören. Da fie nun 
ſah, dab fie doch fterben müſſe und fein Mittel ihrer 
Errettung übrig fei, bat fie fi) die Gnade aus, ihre 
Kinder noch vor ihrem Tode fehen zu dürfen. Die zwei 
Knaben wurden ihr gebracht, fie nahm fie in den Arm 
und fagte zu ihnen unter vielen Thränen: Meine theuren 
Söhne, ich Kaffe euch mit dem Segen Gottes und dem 


156 HI. Giovanni Fiorentino. 


meinigen; ihr feid die echten Söhne Meſſer Francesco's, 
aus rechtmäßiger Ehe geboren. Mein Name ift zwar 
wegen des begangenen Fehltritts nicht werth, in ehren⸗ 
vollem Gedaͤchtniß zu bleiben; aber nur der Groll einer 
Magd hat mich dahingebracht. Das ift freilich Feine 
hinreichende Entfehuldigung, aber dennoch, laſſe ich Bott 
und euch, meine Söhne, die Rache für eure ſchmerzvolle 
unglüdlide Mutter. 

Und fie Eonnte nicht fatt werden, fie zu küſſen bei 
der Eile, bie ihr zugemuthet wurde. Sie Freuzte umd 
fegnete fie und gab fie dann ihrer MWärterin mit den 
Worten zurüd: Nimm fie bin, und dir gebe ich auf 
bei Gott und deiner Seele, wenn fie groß find, -fie an 
meinen Tod zu erinnern, befonders den Kleinen. 

Der legtere weinte immer und wollte fi) von ihrem 
Halfe losmahen. Nachdem fie fie zurüdgegeben und 
wieberhoft betheuert hatte, daß fie echte und feine unche- 
liche Kinder feien, befahl fie ihre Seele Gott und ſprach 
dann Bein Wort ‚mehr in diefem Leben. Kurz darauf 
ftarb fie. Nun wurden die Leichname abgenommen und. 
mweggetragen. Diefe Grauſamkeit wurde von den einen 
. gebilligt,. von andern getabelt. Sobald ed Zeit war, 
rief die Amme den Söhnen den Vorgang ind Gedächtnif; 
Meffer Francesco wurde dadurch verrüdt gemacht und 
lief lange Zeit in ber Tollheit umber, in großer Zwie- 
tracht mit feinen Söhnen, zumal mit dem jüngeren. 
Der befagte Meffer Francesco lebte und fchlief in den 
Wäldern wie ein Wilder und betrug fih ganz wie ein 
Verrückter mit tollen Streichen. Dadurch fand man denn 
bie Frau gerächt. 0 





31. Ein Deutſcher in Italien. 157 


31. Ein Deutſcher in Italien. 


(7, 2.) 


In der Stadt Arimino in der Romagna lebte ein 
mannhafter Herr und Baron mit Namen Meffer Galeotte 
Malatefti, dee mannhaftefte Ritter, den bie Romagna 
feit langer Zeit gehabt hatte, und ber weifefte und klügſte 
Mann, ber immer ein reiches und vornehmes Xeben führte 


‚und feinem Stande Ehre machte. Diefer Meffer Galeotto 


hatte eine Nichte, welche Witwe war, Namens Madonna 
Softanza, die Tochter bes Meffer Malateſta Unghero von 
Malatefti, gleichfalls eines chrenfeften und gewandten Ritters. 
Diefe Madonna Goftanza hatte in Arimino um fich einen 
fehr fchönen Hof von Frauen, Fräulein und Knappen 
und lebte wie eine vornehme Ebdelfrau, die fie auch war; 
Thon Meſſer Galeotto zu Liebe wurbe ihr die größte Ehre 
erwieſen. Sie hatte und befaß, mas ihr Vater und Gatte 
binterlaffen hatten, und vielleicht war in der ganzen 
Romagna, in Toscana und in der Mark eine fo reich, 
wie fie, an den edelften Jumelen und überhaupt vermög- 
Ticher als fie. Kurz, es wurden ihr alle Genüffe zu 
Theil, die eine Frau ihres Gleichen und die von ber 
Natur fo gut bedacht war, fi mit Ehren erlauben 


fonnte: fie war jung, fchon, gebildet, reich, von edler 


Abkunft, fie galt für verftändig, war bei jedermann be- 
liebt und Meſſer Galeotto hoffte. durch fie eine reiche und 
edle Verwandtſchaft einzugehen. Nun hatte Meffer Ga- 
leotto in feinem Solde einen Rottenführer von funfzig 
Ranzen Namens Ormanno; ed war ein Deutfcher aus 
Dberdeutfchland aus einem Schloffe, welches Cham heißt; 
er batte Brüder und Bruderföhne, welche Ritter und 
alte Ebdelleute waren, und fo fah er auch aus. Er war 
höflich, wohlgefittet und von ftattliher Figur, meshalb 
ihn denn auch Meffer Galeotto äuferft lieb hatte. Nun 
geſchah es, daß befagter Ormanno mehrmals am Palaſte 


158 II. Giovanni Fiorentino. 


der Madonna Goftanza vorüberging, während die Frau 
am Fenfter ſtand. Da begegneten ſich denn ihre Blicke 
ſo, daß Ormanno ſich heftig in -diefe Frau verliebte; er 
wußte es auch anzuftellen, daß die Frau ed bemerkte 
und anfing ihn zu lieben. Die Neigung nahm auch 
bergeftalt zu, daß fie ſich allmählich gegenfeitig wine 
Geſchenke machten und namentlih die Frau ihm; fie 
fprachen einander mehrmals und verabredeten, daß be- 
fagter Ormanno von ihr erlangen follte, was die Liebe 
erheifht. Sie mußten aber das Feuer der glühenden 
Liebe‘ nicht verborgen zu halten und ihre Angelegenheiten 
nicht mit WVorficht zu ordnen, denn die Liebe ift blind 
und der Feind liſtig. Da nun Ormanno zu Stunden, 
welche mit dem Anſtand nicht vereinbar waren, im Haufe 
aus⸗ und einging, wurde ed oftmald Meffer Galeotto 
gefagt, er glaubte es aber nicht. Als nun durch Füh- 
rung der göttlichen Allmacht Pabſt Urban der fechfte 
von dem ganzen Collegium ber Cardinäle in Rom zum 
Nachfolger des verſtorbenen Papſtes Gregor’s des elften 
beftellt und im Namen des ganzen Collegiums ber ita- 
liänifchen und auswärtigen Gardindle allen Herren und 
Gemeinden der Chriftenheit verfündet worden war, mas 
maßen fie Urban den fechften zum Papſt erwählt haben; 
wollte befagter Meffer Galeotto als frommergebener Sohn 
der heiligen Kirche hingehen, um ben neuerwählten Papſt 
zu befuchen. Ehe er jich nun auf den Weg machte, 
ſchickte er nach Ormanno und ſagte zu ihm: Man hat 
mir geſagt, du ſteheſt im Haufe meiner Nichte Goſtanza 
auf vertrautem Fuße; ich glaube es aber nicht; nichte- 
deſtoweniger bitte ich dich indeß, dich ſo aufzuführen, 
dag mir nichts der Art mehr zu Obren komme. 
Ormanno fagte: Mein Gebieter, ihr werdet finden, 
dag Died nicht wahr if. Wer es euch geſagt hat, iſt 
jemand, der mir übel will und mir in eurer Gunſt zu 
ſchaden ſucht. Aber ich bin bereit, ihm Mann gegen 
Mann gegenüber zu treten. 


31. @in Deutſcher in Italien. 159 


So entfhuldigte er fich angelegentlih. Meſſer Ga⸗ 
leotto antwortete ihm unb fprach: Ormanno, bu bift ein 
- gefcheidter Mann und haft mich verftanden. Mehr fage 
ih nicht, ald daß ich dir die Obhut über Arimino über- 
teage, und über alles, was ich habe; du bift Anführer 
der Truppen, bis ich vom römifchen Hofe zurückkomme. 
Sieh zu, daß ich mich bei meiner Rückkehr nicht über 
dich zu beklagen babe. . 

Drmanno fagte: Mein Gebieter,.e8 ſoll gefchehen. 

Meſſer Galeotto machte fih auf zum Beſuche des 
Dapftes und fepte, wie gefagt, Ormanno zum Haupt 
der Wache ein. Ormanno aber mar nicht vorfichtig genug 
in Verfolgung feiner Liebfchaft und ging fortan in be- 
fagtes Haus ohne Rüdfiht und Achtung gegen feinen 
Herrn. Sa, er hängte vielmehr noch heftiger feiner zü- 
gellofen Liebe nach, in der er gefangen mar, und bie 
Frau hatte ihn mit einem filbernen Gürtel befchentt. 
Nun begab es fich, dag dem Meſſer Galeotto bei feiner 
Rückkehr gelagt wurde, wie diefer Ormanno nicht ablaffe, 
in Madonna Goftanza’s Haus zu fommen und die meiften 
Leute in Arimino diefe Gefchichte wiffen. Darum ließ 
Meffer Galeotto die Sache beobachten und trug der Wache 
heimlich auf, zu lauern, ob es wahr fe. Ormanno, der 
hiervon nichts gehört hatte, wurbe denn gefehen, wie er 
bei Naht in das Haus der Frau ſchlich, und alsbald 
wurde Meſſer Galeotto benachrichtigt, welcher fogleich 
das Haus von einigen Kriegsknechten umftellen ließ, die 
er zur Wache bei fih hatte. Er gab ihnen ben Befehl, 
bei Todesftrafe den Ormanno nicht herauszulafien. Als 
dieſe zur Ausführung fohritten, fandte er zu einigen Bür- 
gern und berieth fi) mit ihnen über die Sache; der eine 
gab diefen Rath, ber andere einen andern. Als es nun 
nahe am Tage war und Ormanno aus dem Haufe wollte, 
ſah und hörte er die Kriegsknechte, welche um das Haus 
berftanden. Er kehrte daher zu der Frau zurüd und 
fagte ihr, wie bie Sache ſtehe. Die Frau fland auf, 


158 II. Giovanni Kiorentino. 


der Madonna Goftanza vorüberging, während die Frau 
am Fenſter fland. Da begegneten fidh denn ihre Blicke 
. fo, daß Ormanno ſich heftig in .diefe Frau verliebte; er 
wußte ed auch anauftellen, daß die Frau es bemerkte 
und anfing ihn zu lieben. Die Neigung nahm auch 
dergeftalt zu, daß fie fich allmählich gegenfeitig reiche 
Geſchenke machten und namentlih die Frau ihm; fie 
fprachen einander mehrmals und verabredeten, daß be- 
fagter Ormanno von ihr erlangen follte, mas die Liebe 
erheifht. Sie mußten. aber das Feuer der glühenden 
Liebe nicht verborgen zu halten und ihre Angelegenheiten 
nicht mit Vorſicht zu ordnen, denn die Liebe ift blind 
und ber Feind liſtig. Da nun Ormanno zu Stunden, 
welche mit dem Anftand nicht vereinbar waren, im Haufe 
aus⸗ und einging, wurde ed oftmals Meſſer Galeotto 
gejagt, er glaubte es aber nicht. Als nun durch Füh- 
rung der göttlihen Allmacht Pabſt Urban der fechfte 
von dem ganzen Collegium ber Garbinäle in Rom zum 
Nachfolger des verſtorbenen Papſtes Gregor’d bes elften 
beftellt und im Namen des ganzen Collegiums der ita- 
liänifhen und auswärtigen Gardinäle allen Herren und 
Gemeinden der Chriftenheit verfündet worden war, mas 
maßen fie Urban den fechften zum Papſt erwählt haben; 
wollte befagter Meffer Galeotto als frommmergebener Sohn 
der heiligen Kirche hingehen, um den neuerwählten Papft 
zu befuchen. Ehe er fih nun auf den Weg machte, 
fhidte er nach Drmanno und fagte zu ihm: Man hat 
mir gejagt, du ftcheft im Haufe meiner Nichte Goftanza 
auf vertrautem Fuße; ich glaube es aber nicht; nichts⸗ 
deſtoweniger bitte ich dich indeß, dich ſo aufzuführen, 
Daß mir nichts der Art mehr zu Ohren komme. 

Ormanno fagte: Mein Gebieter, ihr werdet finden, 
daß dies nicht ‚wahr ift. Mer «8 euch gefagt hat, ift 
jemand, der mir übel will und mir in eurer Gunft zu 
ſchaden fucht. Aber ich bin bereit, ihm Mann gegen 
Mann gegenüber zu treten. 


x 








31. Ein Deutfcher in Italien. 159 


So entſchuldigte er ſich angelegentlih. Meſſer Ga⸗ 
leotto antwortete ihm und ſprach: Ormanno, du biſt ein 
geſcheidter Mann und haſt mich verſtanden. Mehr ſage 
ich nicht, als daß ich dir die Obhut über Arimino über⸗ 
trage, und über alles, was ich habe; du biſt Anführer 
dere Truppen, bis ich vom römifchen Hofe zurückkomme. 
Sieh zu, daß ich mich bei meiner Rückkehr nicht über 
dich zu beklagen babe. . 

Drmanno fagte: Mein Gebieter, es fol gefchehen. 

Meſſer Galeotto machte fi auf zum Beſuche des 
Papſtes und fegte, wie gefagt, Ormanno zum Haupt 
der Wache ein. Ormanno aber war nicht vorfichtig genug 
in Verfolgung feiner Liebfchaft und ging fortan in be- 
fagtes Haus ohne Rückſicht und Achtung gegen feinen 
Heren. Sa, er hängte vielmehr noch heftiger feiner zü- 
gellofen Liebe nach, in der er gefangen mar, und die 
Frau batte ihn mit einem filbernen Gürtel befchentt. 
Nun begab es fih, dag dem Meſſer Galeotto bei feiner 
Rückkehr gefagt wurde, wie biefer Ormanno nicht ablaffe, 
in Madonna Goftanza’s Haus zu fommen und die meiften 
Leute in Arimino biefe Gefchichte wiſſen. Darum ließ 
Meffer Galeotto die Sache beobachten und trug der Wache 
heimlich auf, zu lauern, ob ed wahr fe. Ormanno, der 
hiervon nichts gehört hatte, wurde denn gefehen, wie er 
bei Nacht in das Haus ber Frau fhlih, und alsbald 
wurde Meſſer Galeotto benachrichtigt, welcher fogleich 
da8 Haus von einigen Kriegsfnechten umftellen ließ, die 
er zur Wache bei ſich hatte. Er gab ihnen ben Befehl, 
bei Todesftrafe den Ormanno nicht herauszulaffen. Als 
diefe zur Ausführung ſchritten, fandte er zu einigen Bür- 
gern und berieth fich mit ihnen über die Sache; der eine 
gab diefen Rath, der andere einen andern. Als ed nun 
nahe am Tage war und Ormanno aus dem Haufe wollte, 
ſah und hörte er die Kriegsfnechte, welche um das Haug 
herſtanden. Er kehrte daher zu der Frau zurüd und 
fagte ihr, wie die Sache ſtehe. Die Frau fand auf, 


160 IH. Giovanni Fiorentino. 


trat and Fenfter und fagte: Was foll das heißen? Was 
find das für Wachen und Neuerungen? Schämt ihr euch 
nicht, mir Wachen vor die Thüre zu fielen? 

Diefe Worte waren der Grund zu ihrem Tode. Wäre 
fie nicht ans Fenfter gelommen, fo wäre fie für diesmal 
nicht geftorben. Denn Meffer Galeotto hatte für das 
Innere des Haufes bereits für die Ehre der Frau geforgt, 
indem er eine ihrer Kammerfrauen mit der Sache beauf- 
tragte. Als ihm nun aber gefagt wurde, fie fei an das 
Fenſter gekommen und habe jene Worte gefprochen, ent- 
ſchloß er fih als ein verftändiger, waderer Mann, und 
rief einen Faͤhndrich des Fußvolkes und fagte: Geh in 
dad Haus meiner Nichte! du findeft Ormanno und bie 
Boftanza: bau fie mir beide alsbald in Stüde! 
Der Fähndrih, Namens Santolino von Faenza, ant- 
wortete: Mein Gebieter, ihm will ich das wol anthun, 
aber nicht ihr. Vergebt mir, ich will meine Hand rein 
halten vom Blute der Malatefti. 

Meſſer Galeotto fagte: Geh und thu es ihm! 

Da ging er alsbald hinweg. Meffer Galeotto aber 
rief fodann einen andern Fähndrich und fagte zu ihm: 
Sch bin und hau mir die Goſtanza, meine Nichte, in 
Stüde! 

Diefer antwortete: Herr, es foll gefchehen. 

Und er ging nach Madonna Goftanza’s Haufe Als 
nun Santolino an der Kamimerthüre pochte, fragte Ma- 
donna Boftanza: Was willft bu? 

Santolino antwortete: Madonna, macht auf! Ich 
habe euch etwas auszurichten von dem Herrn. 

Die Frau ließ ihm aufmachen. 

Madonna, fragte Santolino, wo ift Ormanno? 

Welcher Ormanno? erwiderte die Frau. 

Ohne viel Umftände, verfepte Santolino, der Herr 
weiß, daß er hier ift, und ſchickt mich zu ihm, daß ich 
ihm etwas ausrichte. Darum haltet mich und euch nicht 
auf! Es könnte fonft fchlimmer kommen. 





31.. Ein Deuticher in Italien. 161 


Die Frau fagte: Du weiſt wohl, daß hier kein Mann 
zu fein pflegt. 

Santolino aber fagte wieder: Wenn ihr mir ihn nicht 
zeiget, wird es euch reuen. 

ALS die Frau ihn fo fprechen hörte, fagte fie: Dort 
ift er. 

Santolino ging zu ihm und fagte: Ormanno, id 
-babe bei dir etwas auszurichten von dem Herrn. 

Drmanno fprah: Sag an! 

Santolino fuhr fort: Laß uns an einen verborgenen 
Ort gehen, ich will nicht von anbern gehört werden. 

Da traten fie in ein Kämmerchen und Santolino 
ſprach zu ihm: Ormanno, du mußt fterben; es ift nicht 
mehr zu ändern. 

Drmanno erfchraf heftig und fprach ſodann: Gibt es 
fein Mittel, mic) vom Tode zu retten? 

Santolino antwortete: Nein, es ift alles feſt be 
ſchloſſen. 

Da kniete Ormanno nieder vor Santolino, hob die 
Hände gen Himmel, bückte ſich dann, nahm Staub vom 
Boden auf und ſteckte ihn in den Mund; darauf drückte 
er die Haͤnde vor die Augen, um ſeinen Tod nicht zu 
ſehen, und neigte den Kopf zur Erde. Santolino ſchwang 
ſodann das Schwert und gleich darauf lag jener todt zu 
ſeinen Füßen. — Der andere Fähndrich, welcher hinge⸗ 
gangen war, um der Frau das Gleiche zu thun, kam in 
die Kammer und ſagte: Madonna, ich habe euch etwas 
auszurichten von dem Herrn. 

Ganz erfchroden fagte die Frau: Sag an, mas bu 

! 


Er ſprach: Laßt alle eure Kammerfrauen bier abtreten! 
Die Frau fchidte fie aus dem Zimmer; er trat an 
die Thüre, verfchloß fie, viß jein Schwert heraus und 
ſagte Madonna, ihr müßt ſterben. 
Die Frau ſtieß einen heftigen Schrei aus und wollte 
fliehen. 


162 ill. Giovanni Fiorentino. 


Madonna, fagte er, flieht nicht! Es würde euch 
nichts helfen. Denn der Herr bat nun einmal euren 
Tod offen, und fo kann euch kein Gott retten. 

Die Frau fagte: Wie? Will der Herr zum Mörder 
werden an feinem eigenen Zleifch ? 

Der Kriegemann antwortete: Wohlen, macht euch 
fertig! 

Und du, fuhr die Frau fort, haft du den Muth, 
deine Hände mit dem Blute von Meffer Malatefta Unghero 
meinem Vater zu befleden ? 

Er antwortete aber: Ich muß thun, was mir be- 
fohlen ifl; und darum verzeibt mir, denn ich thue es 
ungern. 

Iſt denn fein Mittel, fragte die Frau, mic vom 
Tode zu erretten? 

Er antwortete: Nein. 

Da kniete fie nieder vor. dem Bilde der heiligen Jung- 
frau und ſprach folgende Worte: Wenn mein erlauchter 
und mannhafter Vater noch lebte, würde ich nicht fo im 
Zinftern fhmählichen Todes fterben, darum befehle ich in 
deine Arme, holdfeligfte Jungfrau Maria, meinen Geiſt 
und meine Seele und die Seele des wadern Mannes, 
der um meinetwillen leiden und fterben muß und bitte 
dich überdies, Mutter der Gnaden, daß du mich in diefem 
finftern fchmählihen Tode flarf und kräftig macheft, ihn 
geduldig zu ertragen, auf daß meine Seele, wie einer 
Möärtyrerin, gelangen möge zur Herrlichkeit deines aller- 
heiligften Sohnes Jeſu Chrifti. Fürwahr, ich habe in 
diefee Welt gelebt, ohne wie meines Gleichen mich zu 
begnügen. 

Dann wandte fie ſich zu dem, der das bloße Schwert 
über ihrem Haupte ſchwang und fagte: Da mich meine 
Eitelfeit nun fo weit gebracht hat, bitte ich dich, wenig⸗ 
ſtens nicht ſo ſehr zu eilen, und ſo viel Mitleid mit mir 
zu haben, daß ich noch zehnmal die Jungfrau Maria 
grüßen darf. 


31. Ein Deutſcher in Italien. 163 


Es erbarmte den Mann und er ſprach: Betet denn, 
aber beeilt euch! \ 

Sie begrüßte nun die Jungfrau Maria mit vielen 
Thränen, ſchaute aber dabei ganz beftürzt fortwährend 
auf die Hand, welche das Schwert hielt. Nachdem 
fie ein wenig gebetet hatte, fagte er: Seid ihre nun 
fertig ? 

Die Frau antwortete: Noch nicht. 

Der Kriegemann fagte: Wie? In diefer Zeit wäre 
ih mehr als zwanzigmal fertig geworden. 

Darauf ſprach die Frau: Unglüdliche Goſtanza, wöhin 
haft du es "gebracht! O blinde Liebe, warum baft du 
mich betrogen und ſchickſt mid nun von binnen in fo 
fhlimmen Rufe? Wäre ich doch vor der Geburt ge 
ftorben!! | 

Da kam ed ihm vor, ald zaudere fie doch allzulange; 
es frrah: Sagt: Ave Maria! 

Da Sprach fie andächtig: Ave Maria, Ave Maria, 
Ave Maria! 

Da ſchwang er das Schwert, und erfchlug fie. Mit 
einem Streiche traf er fie und fie ſank tobt ihm zu 
Füßen. — Der Herr ließ die beiden unglüdlichen Leich⸗ 
name in einen Sad fteden und ind Meer werfen. So: 
dann ließ er audfchreiben, wer an Ormanno eine For- 
derung zu machen Babe, folle zur Berahlung kommen. 
Er ließ auch jedermann befriedigen, dem er etwas fchuldig 
gewefen war, hob dann bie ganze Schaar auf und ſchickte 
fie weg. Uber diefed Verfahren erntete Meffer Galeotto 
von einigen Lob, won andern aber Zabel. 


164 II. Giovanni Yiorentino. 


32. Bon den Guelfen und Ghibellinen. 


(8, 1.) _ 

In Deutſchland waren zwei ſehr vertraute Freunde, 
beide edel und reich, einander auf eine Meile benachbart, 
und der eine hieß Guelfo, der andere Ghibellino. Als 
ſie eines Tages von der Jagd heimkehrten, geriethen ſie 
in Streit über eine Hündin, und während fie zuvor 
Fraͤmnde und Genoſſen waren, wurden ſie nunmehr Feinde 
und ließen nicht ab, einander zu befehden; ja, ſie kamen 
ſo ſehr in Zwietracht, daß jeder für ſich Einladungen 
und Gaſtgebote an ihre Freunde ergehen ließ, um ſich 
zu bekriegen. Das Argerniß wuchs ſo ſehr, daß alle 
Herren und Barone von Deutſchland über dieſe Ange⸗ 
legenheit ſich in zwei Parteien trennten, indem es der 
eine mit Guelfo, der andere mit Ghibellino hielt, was 
denn alljährlich auf beiden Seiten manchem Manne das 
Leben koſtete. Als nun Ghibellino fi) von Guelfo be- 
fhimpft ſah und meinte, diefer habe mehr Macht als er, 
empfahl er ſich dem Kaifer Friederich dem erften, welcher 
dazumal vegierte. Da aber Guelfo bemerkte, daß Ghi⸗ 
belfino ſich unter den kaiſerlichen Schug geftellt Hatte, 
Ichnte er feine Sache an Papft Honorius den zweiten, 
welcher in Zwietracht mit dem Kaifer lebte, empfahl fich 
ihm und that ihm bie ganze Angelegenheit fund. So⸗ 
bald der Papft vernahm, daß der Kaifer die Partei der 


Ghibellinen ergriffen habe, nahm er feinerfeits ſich ber 


Partei der Suelfen an. Daher kam es, daß der päpft- 
liche Stuhl guelfiſch, das Kaiſerthum ghibellinifc wurde. 
Im Jahre des Heils ein Zaufend zweihundert und funfzehn 
nun verbreitete fich diefee Same der Zwietracht auch über 
Italien und zwar auf folgende Weife. Pobefta von Florenz 
war Guido Orlandi, und Podeſta von Florenz zu fein war 
ein großes und fchones Amt; da war num im Haufe der 


+ 


32. Bon den Guelfen und Ghibellinen. 165 


Buondelmonti ein Ritter Namens Meffer Buonbelmonte, 
. ein fchöner reicher und mannhafter Herr. Beſagter Meffer 
Buondelmonte gelobte einem Mädchen aus dem Haufe der 
Amibei eidlih die Ehe, gab ihr die Hand und verſprach 
fih mit ihr in aller bei ſolchem Anlaß herkömmlichen 
Feierlichkeit. Als nun Meſſer Buondelmente eines Tages 
am Haufe der Donati vorüuberging, fah ihn eine Frau, 
welche Madonna Lapaccia hieß, rief ihn zu fi und fagte: 
Meſſere, ich wundere mich fehr über euch, wie ibe euch 
herablaffen mochtet, eine Frau zu nehmen, bie nicht werth 
wäre, euch die Schuhriemen aufzulöfen. - Ich hatte euch 
eine meiner Töchter aufbehalten; ich wünſche doch, daß 
ihr fie ſehet. 

Sogleih rief fie biefe Tochter, welche die Eiulla*) 
hieß, ein fchönes liebenswürdiges Mädchen, wie nur 
irgend eine in Florenz, „und zeigte fie Meffer Buondel- 
monte mit den Worten: Diefe habe ich für euch auf: 
behalten. 

Als Meffer Buondelmonte das fchöne Kind fah, ver- 
liebte er fich in fie und fagte: Madonna, ich bin bereit, 
zu thun, was ihr begehrt. 

Und ehe er wegging, nahm er fie zur Frau und gab 
ihr den Ring. 

Sobald die Amidei erfuhren, daß Meffer Buondel- 
monte eine andere zur Frau genommen und von der 
ihrigen nichts mehr wolle, traten fie zufammen und be- 
riethen fi mit andern Freunden und Verwandten fich 
zu rächen über bem, was ihnen Meffer Buondelmonte 
angetban hatte. Bei dieſem Rathe war auch Lambertuccio 
Amidei, Schiatta Ruberti, Mosca Lamberti und viele 
andere. Die einen viethen, ihm Prügel zu geben, die 
andern einen Schlag ins Geficht, der dies, der andere 
‚inet. Da ſtand Mosca Lamberti auf und fagte: Was 
lebt, bat einen Kopf. 


*) Sigentlih Töchterchen. 


166 IN. Giovanni Fiorehtino. 


Damit wollte er anbeuten, daß ein Zobter feinen 
Krieg mehr führt. So wurde denn befchloffen, ihn um- 
zubringen, und das geſchah auch. Als nämlich Meifer 
. Buondelmonte eines Öftermorgens aus bem Haufe Barbi 
über dem Arno vom Effen zurüdkehrte, auf feinem gan; 
weißen Schimmel reitend und mit einem weißen Rod 
angethan, er ritt gerabe unten an ber alten Brüde, 
dort wo die Marsbildfeule ſtand, weiche die Florentine; 
zur beidnifchen Zeit anbeteten, und wo jegt bie Fifch 
verkauft werden, da fiel eine Schaar über ihn ber, riffen 
ihn vom Pferde und brachten ihn um. Da entftand ein 
großer Lärm in ganz Florenz: über den Tod dieſes Herrn 
Buondelmonte. Um diefes Mordes willen theilten fich 
bie edeln Häufer und Familien von Florenz; die einen 
hieltens mit den Buondelmonti, welche fi zu Däuptern 
der guelfifchen Partei machten, die andern aber mit ben 
Amibei, melde fi an die Spige ber ghibellinifchen Partel 
ſtellten. Auf der guelfifchen Seite ftanden die Buondel: 
monti, Nerli, Jacopi, Dati, Roffi, Barbi, Frescobaldi 
Merzi, Yuld, Gherarbini, Foraboschi, Bagnefi, Guida⸗ 


.  Iotti, Sackhetti, Manieri, die von Quona, die Luccardeſi, 


Ehiaramentieri, Cavalcanti, Compiombeft, Gianbonati, 
Scali, Gianfigliazzi, Importuni, Boftichi, Tornaquinci, 
Vecchietti, Toſinghi, Arigucci, Agli, Adimari, Bie- 
domini, Tedaldi, Cerchi, Donati, Arighi und die della 
Bella. Alle dieſe Familien nebſt anderen nicht adeligen 
wurden über dem Tode Meſſer Buondelmonte's guelfiſch. 
Ghibelliniſch aber wurden folgende: die Uberti, Amidei, 
und die Häupter waren die Grafen von Gangalandi, die 
Ubriachi, Mannelli, Fifanti, Infangati, Maleſpini, die 
von Volognana, Scolari, Guidi, Galli, Capiardi, Lam⸗ 
berti, Soldanieri, Cipriani, Toschi, Amieri, Palermini, 
Migliorelli, Pigli, wiewol dieſe zum Theil hernach guelfiſch 
wurden, die Barucci, Catani und Catani von Caſtiglione, 
Agolanti, Brunelleschi, die indeß fpäter zu den Guelfen 
übergingen, die Caponſacchi, Eliſei, Abati, Tedaldini, 


33, Männerlift. 167 


Giuochi, Galigai. Alle diefe wurden ghibelinifh aus 
Anlaß der Ermordung Meffer Buondelmonte's; und fo 
theilten und trennten fich alle Herren und Bölkerfchaften 
Italiens, nahmen diefen böfen Samen in fi auf und 
alle Guelfen hielten zur heiligen Kirche, die Ghibellinen 
aber zum SKaifer. — So begann alfo mit einem Danbel 
über eine Hündin die guelfifche und ghibellinifche Parteiung 
in Deutfchland, die dann auch in Stalien über einem 
Weibe ausbrach, wie zuvor gefagt ift. 


33. MNännerlift. 


(9, 1.) 


In der hochedeln Stadt Venedig lebte einft ein Doge, 
der ein hochherziger, meifer und reicher Mann war, und 
vorfihtig und Hug in allen Stüden, mit Namen Meffer 
Baleriano von Meffer Vannozzo Accettani. An der Haupt- 
firhe zu Sanct Marcus in Venedig war ein Glodenthurm, 
der ſchönſte und reichfte, ben es geben konnte umd der 
Hauptſtolz Venedigs zu jener Zeit. Diefer Thurm war 
nun aber auf dem Punkte einzuflürzen wegen einiger 
Fehler in der Grundlage. Deshalb ließ der Herr Doge 
in ganz Stalien umher nachforfchen und ausfchreiben: ' 
wer. e8 übernehmen wolle, befagten Thurm auszubeſſern, 
möge zu ihm kommen, er folle Geld bekommen, fo viel 
er zu fordern und zu verlangen Luſt habe. Da entfchlof 
fih ein wackerer florentinifcher Meifter Namens Binde, 
welcher zu Florenz wohnte und vernahm, wie es mit dem 
Thurme ftche, das Unternehmen zu wagen, brach alfo mit 
feinem Sohne und feiner Frau von Florenz auf und ging 
nad) Venedig. Ws er den Thurm fah, nahm er ſich vor, 
ihn auszubeffern, ging zum Herzog und fprach: Gnaͤdiger 
Herr, ich komme Hierher, um eurem Thurme zu helfen. 


168 III. Giovanni Fiorentino. : 


Darüber erwies ihm der Doge große Ehre und fagte 
unter vielem Andern: Lieber Meifter, ich bitte euch, be- 
ginnt nur eure Arbeit fo bald ale möglich! Ich will 
auch zufehen. 

Der Meifter fagte: Gnädiger Herr, das foll ge- 
jchehen ! | 
Und fogleich ordnete er die Arbeit an und dur 
großen Fleiß richtete er in kurzer Zeit den Thurm der- 
“ geftalt wieder her, dag er fchöner mar als zuvor. Das 
machte nun dem Herzog große Areude und man gab dem 
Meifter das Geld, das er verlangte, er machte ihn zum 
Bürger von Venedig und verlieh ihm ein reiches Ein- 
fommen. Ferner fagte er zu ihm: Nun follt ihr mir, 
einen Palaft bauen, welcher eine Kammer enthalte, in 
die der ganze Schag und alles Vermögen der Gemeine 
von Venedig niedergelegt werben Tann. 

Der Baumeifter traf fogleich alle Anftalten, um 
den befagten Palaft zu errichten und machte darein eine 
Kammer, die fchöner und beffer gelegen war, als alle 
andern, in welche der befagte Schag kommen follte. 
Dabei. brachte er fehr liftig und Punftreich einen Stein 
an, welcher beraus- und bineinging, in der Abficht, in 
die Kammer nad feinem Gefallen einzubringen; von 
dDiefem Eingang aber wußte fein Menfch, als er. Als 
nun der Palaft fertig war, ließ der Herzog alles Foft- 
bare Geräth, damaftene Stoffe mit Solh durchwirkt, 
Tapeten, Bankteppiche, Mäntel und anderes Zeug und 
Bold und Silber in Menge in die Kammer bringen. 
Man nannte dies nun die Turpea des Dogen und der 
Gemeine von Venedig; fie war mit fünf Schlüffeln ver- 
fhloffen, deren vier die vier erfien Bürger Venedigs hatten, 
die dazu beauftragt waren und welche die Kämmerlinge 
des Schatzes von Venedig hießen; den fünften Schlüffel 
aber hatte der Doge. So konnte alfo die Schaglammer 
nicht geöffnet werden und es mußten alle fünf dazu zu⸗ 
fammentonmen, welche die Schlüffel in Händen hatten. 


. 33, Männerlift. 169 | 


As nun biefer Bindo mit feiner Familie in Venedig 
lebte und bürgerlich geworden war, fing er an, Aufwand 
zu machen und wie ein reicher Mann zu leben; und fein 
Sohn Ricciardo gab fich ungeorbneter Verſchwendung hin, 
fodag es ihnen in Kurzem an Mitteln für ihren über: 
mäßigen Aufwand fehlte. Da rief der Vater einft bei 
Nacht feinem Sohne, nahm eine kleine Leiter und ein 
geeignetes Hebeifen, und ein wenig Mörtel mit und fo 
gingen fie an das Loch, welches der Baumeifter fo Funft- 
voll in der Kammer angebracht Hatte. Er legte die Reiter 
an, hob den Stein heraus, fehlüpfte in die Kammer und 
zog einen fchonen goldenen Becher hervor, der in einem 
Schranke ftand, ging dann heraus und fegte ben Stein 
wieder an feine gehörige Stelle. Zu Haufe angelangt - 
zerfchlugen fie den Becher und fchidten ihn ſtückweiſe 
zum Verkauf in einige lombardifche Städte. Auf biefe 
Weiſe führten fie das ungeorbnete Leben fort, das fie 
angefangen hatten. — Nun begab es fich, daß ein Car⸗ 
dinal nad) DBenedig zu dem Derzog kam, bem man be» 
fondere Ehre erzeigen wollte, und fo mufte man bie 
Kammer öffnen, wegen bes darin befindlichen Geräthes; 
Silberzeugs, Tapeten und anderer Dinge. Als man fie 
nun aufmachte und die befagten Gegenftände herausnahm, 
vermißte man den Becher. Darüber entfland nun unter 
den Berwaltern der größte Lärm, fie gingen zu dem 
Dogen und fagten ihm, daß man den Becher nicht mehr 
febe. Der Doge verwunderte fi) und fagte: Das müßt 
ihr untereinander ausmachen. 

Und nad) langem Hin» und Derreben befahl er ihnen, 
von der Sache nichts zu fagen, noch etwas deshalb vor- 
zunehmen, bis ber erwartete Gardinal wieder abgereift fei. 
‚ Und fo gefchah’8 auch. Der Eardinal Fam und ed wurde 
ihm große Ehre erwiefen; als er aber fort war, fandte 
der Doge nach den vier Kämmerlingen und verlangte 
nun zu wiffen, wo der Becher bingefommen ſei. Er 
befahl ihnen, nicht eher aus dem Palafte zu sen, bis 

Stoliänifcher Novellenfchat. I. 


170 II. Giovanni Biorentino. 


der Becher wiebergefunden fei, und ſprach: Ihr habt es 
allein zu verantworten. 

Die vier Männer traten zufammen und befannen fi ch, 
wußten ſich aber auf keine Weiſe zu erklären, wie der 
Becher weggekommen fei. 

Überlegen wir, fagte einer von’ ihnen, ob man in 
die Kammer auch auf anderm Wege gelangen kann, als 
durch die Thüre. 

Sie ſchauten umher, erblickten aber nirgends eine 
Offnung. Sie wollten liſtiger zu Werke gehen und ließen 
die Kammer mit dürrem Stroh füllen, zündeten es an 
und verſchloſſen Thüre und Fenſter, damit der Rauch 
nicht hinauskönne. Als nun das Stroh brannte, ent 
ftand ein fo gewaltiger Rauch, daß er durchfchwigte und 
ſich Bahn machte durch jene Offnung. So merkten fie 
denn, von welcher Seite ber Schaden Fam, gingen zum 
Dogen und fagten ihm, wie die Sache ſtehe. 

Haltet es ganz im Stillen, fagte der Herzog; dann 
tönnen wir ben Dieb über ber That ertappen. 

Dann ließ er einen Keffel mit Pech in der Kammer 
unter dem Loche aufftellen und darunter Zag und Nacht 
ein Feuer unterhalten, ſodaß das Pech beftänbig fott. 
Als nun das aus dem Becher erlöfte Gelb zu Ende war, 
gingen der Meifter und der Sohn eines Nachts wieder 
an die Offnung, nahmen den Stein heraus und ber 
Meiſter ftieg hinein und fiel in den immer fiebenden 
Pechkeſſel. Als er nun bis zum Gürtel im Keffel ftand 
und nicht mehr loskommen konnte, bielt er feinen Tod 
für gewiß. Er faßte daher fchnell feinen Entſchluß, rief 
feinen Sohn und ſprach: Mein Sohn, ich bin bed Todes; 
darum fchneid mir ben Kopf ab, damit der Betrug nicht 
entdedit werde und nimm den Kopf mit dir und verfcharre 
ihn an einem Orte, wo er nicht gefunden wird! Tröſte 
deine Mutter und fuche auf eine vorfüchtige Weiſe bavon- 
zufommen! Und wenn dich jemand nach mir fragt, fo 
fage, id) fei nach Florenz gegangen in Geſchäften. 











33. Maͤnnerliſt. | 171 


Der Sohn fing an zu weinen und jämmerlich zu 
Magen, fihlug die Hände zufammen und rief: Wehe, 
men Bater! | 

Der Bater aber fügte: Mein Sohn, es ift beffer, 
es flirbt einer, als zwei, und darum thu, was ich bir 
fage, und eile! | 

Da ſchnitt der Eohn dem Vater den Kopf ab und 
trug ihn binweg, ber Rumpf aber blieb im Keffel und 
fott in dem Peche dermaßen, daß er ganz abfiel. Der 
Sohn kehrte nach Haufe und beerdigte den Kopf des 
Vaters, fo gut er wußte und fonnte, und dann fagte 
er es der Mutter. Als fie nun eine große Wehklage 
erheben wollte, ſchlug der Sohn die Arme übereinander 
und fagte: Wenn ihr Lärm macht, find wir in Gefahr, 
ums Leben zu fommen; darum, liebe Diutter, feid be 
fonnen! 

Damit brachte er fie zur Ruhe. — Um folgenden 
Morgen wurde der Reichnam gefunden und zum Dogen 
gebracht, welcher fid, über dieſe Sache außerordentlich 
verwunderte; und da er fich nicht denken konnte, wer 
es fei, fprach er: Weil bier offenbar zwei im Spiele find, 
wollen wir, nachdem wir den einen gepadt haben, nun 
aud den andern paden. 

Einer der vier Bermalter ſprach: Ich habe bie Art 
und Weiſe gefunden, nämlich folgende. Es ift nicht 
möglich, daß er nicht Weib oder Kinder oder fonftige 
Verwandte im Lande habe; laffen wir nun den Körper 
durch die ganze Stadt fehleppen und [hidden Wachen mit, 
daß fie beobachten, ob jemand weint oder jammert; und 
wenn es ſich findet, fol man diefen verhaften und ver⸗ 
hören. Auf diefe Weife werden wir wol den Mitfchul- 
digen finden. 

So wurde es befchloffen und fie ließen den Körper 
in der ‘ganzen Stadt umherſchleifen und Wachen hinter 
drein. Als fie nun an fein Haus famıen, trat die Freu 
ans Fenſter, und als fie den Leichnam ihres Gatten fo 

se 


172 1. Giovanni Fiorentino. 


mißhandeln fah, fließ fie einen heftigen Schrei aus. Da 
fagte der Sohn: Wehe, meine Mutter, was macht ihr? 

Er war aber fchnell befonnen, ergriff ein Meffer, 
ſchnitt fih in die Hand und brachte fich eine große 
Wunde bei. So wie die Wachen das Gefchrei vernah- 
men, das die Frau auffchlug, liefen fie in das Haus 
und fragten die Frau, was fie habe. 

Der Sohn antwortete: Ich habe mit diefem Meffer 
gefchnitten und mic, in der Hand verlegt. Deswegen 
hat meine Mutter einen Schrei ausgeftoßen, in Beforgniß, 
ich) babe mir mehr wehe gethan, als in der That der 
Fall if. Als die Wachen die Hand bluten fahen und 
bie Wunde und was fich begeben hatte, glaubten fie es 
ihm und zogen im ganzen Bezirf umher, ohne jemand 
zu finden, der fich auch nur erzürnt gezeigt hätte. Sie 
kehrten alfo unverrichtetere Dinge zum Dogen zurüd und 
faßten nun den Entſchluß, den Leichnam auf dem Markte 
aufzuhängen und gleichfalls im Werborgenen Wachen 
bazuzuftellen, um Tag und Nacht zuzufehen, ob jemand 
komme, um den Todten zu bejammern oder zu beweinen. 
Es verbreitete fi) das Gerücht in ber Stadt, der Leich- 
nam fei auf dem Plage aufgehängt, und viel Volks 
ging hin, darnach zu fehen. Als nun die Frau fagen 
hörte, daB ihr Mann auf dem Plage aufgehangen fet, 
fagte fie oftmals zu ihren Sohne, es fei dies für fie 
die größte Schmach, ihren Vater auf diefe Weife auf: 
gehängt zu fehen. Der Sohn antwortete: Liebe Mutter, 
feid um Gottes willen ruhig! Das Vorfchrtiten mit dem 
Leichname gefchieht einzig und allein, um mid) zu er- 
wiihen. Habt nur eine Weile Geduld! Diefes Miß- 
geſchick wird auch vorubergeben. 

Die Mutter aber konnte es nicht aushalten und fagte 
mehrmals: Wäre ich ein Mann, wie ih ein Weib bin, 
fo müßte ich ihn nicht jegt erft abnehmen; und wenn 
du ihn nicht wegnimmſt, fo gehe ich einmal bei Nacht 
felbft Hin. ' 


33, Männerlift. 175 


Als der Süngling den feften Entfchluß feiner Mutter 
fah, befann er fich, wie er den Leichnam losmachen könne. 
Er kaufte alfo. zwölf ſchwarze Mönchskutten, ging eines 
Abends in den Hafen, nahm zwölf Kaftträger mit und 
führte fie durch eine Hinterthüre feines Haufes in eine 
Heine Stube, wo er ihnen zu effen und zu trinken gab, 
‚fo viel fie Luft hatten. Und als er fie in gehörige Wein⸗ 
laune verfegt hatte, zog er ihnen die Mäntel an mit 
Zarven’ vor dem Gefiht und gab jedem eine brennende 
Fackel in die Hand, wodurch fie ein Ausfehen bekamen, 
wie Teufel aus der Hölle, fo fehr waren fie durch Diefe 
Masten entftellt. Er felbft flieg auf ein Pferd*), ganz 
in Schwarz gehüllt, und die Pferdedecke war voll Hafen 
und an jedem Haken mar eine brennende Kerze befeftigt; 
vor das Geficht hatte er eine abenteuerliche Maske be- 
feftigt; fo ftelte er fi, an ihre Spige und fagte zu ihnen: 
Thut, was ihr mich werdet thun fehen. 

So begaben fie ſich nach dem Plage, auf welchem 
der Leichnam aufgehangen war, und rannten auf dem 
Plage Hin und ber; es war Mitternacht vorüber und 
die tieffte Finſterniß. Als nun die Wachen diefe ſelt⸗ 
fame Erfcheinung fahen, fürchteten fie fi) und meinten, 
es feien böfe Gefpenfter aus der Hölle und der auf dem 
Pferde mit der gräulichen Geſtalt fei der alte Lucifer 
felber. Als fie ihn daher auf den Galgen zukommen . 
fahen, liefen fie in großer Angft dapon. Er nahm den 
Leichnam, legte ihn über den Sattelbogen und jagte der 
Gefellichaft voraus feinem Haufe zu. Dort gab er ihnen 
Geld, 308 ihnen die Kutten aus und fchidte fie weg, 
verfcharrte auch den Leichnam, fo heimlich er konnte. 
Am Morgen wurde dem Herzog berichtet, der Leichnam 


*) In Bendig? Das Mähren hat offenbar vielfah durd die 
Abftreifung des urfprüngliden ägyptiſchen Goftümd verloren. 
Bol. Über die Duelle und fonftigen Bearbeitungen meinen 
roman des sept sages, S. CXCH. Bübeler’s Diocletian 
S. 55 der Einleitung. | 


174 IN. Giovanni Fiorentino. 


fei abgenommen. Der Doge fandte nach den Wachen 
und wollte wiffen, wo der Leichnam hingekommen fei. 

Snädiger Herr, fagten bie Wächter, ich verfichere 
euch, heute Nacht, ed war Mitternacht vorüber, da kam 
eine große Schaar von Teufeln und unfer ihnen fahen 
wir deutlich den alten Lucifer, der wahrfcheinlich diefen 
Leichnam gefreffen Hat. Wir find’ deshalb geflohen, als 
wir eine ſolche Heeresmacht dem Körper zu Siebe an⸗ 
kommen fahen. J 
Der Doge ſah klar, daß hier eine Bosheit dahinter- 
ſtecke, und wurde nur um ſo begieriger zu erfahren und 
zu erkunden, wer es ſei. Er hielt daher einen geheimen 
Rath, worin beſchloſſen wurde, es dürfe zwanzig Tage 
in Venedig kein friſches Fleiſch verkauft werden. Es 
geſchah und jedermann wunderte ſich über dieſe Beſtim- 
mung. Dann ließ er ein ſehr ſchönes Milchkalb ſchlachten 
und aushauen zu einem Gulden das Pfund und ſagte 
zu dem Verkaͤufer, er ſolle Acht haben auf alle, bie 
davon nehmen, denn er dachte bei fi, fo: Gemeiniglich 
find die Diebe gelüftig; fo wird fi denn auch diefer 
nicht enthalten koͤnnen zu holen und die Ausgabe von 
einem Gulden für das Pfund nicht anfchlagen. 

Er ließ alfo bekannt machen, wer Fleifch wolle, folle 
auf den großen Plag kommen. Alle Kaufleute und 
‚ Ebelleute Famen um des Milchkalbs willen; da man aber 
hörte, daß er einen Gulden für das Pfund begehre, 
nahm niemand davon. Die Sage verbreitete fih durch 
bie Stadt und kam auch der Mutter des Jünglings, 
welcher Ricciardo hieß, zu Ohren. Da fprad fie zu 
ihrem Sohne: Es gelüftet mic) nad, einem Stückchen 
von biefem Kalbfleifch. 

Ricciardo antwortete: Liebe Mutter, eilt nicht fo, 
laßt erft andere den Anfang madhen! Dann will ich 
euren Wunfch erfüllen und euch davon verfchaffen. Aber 
ich möchte nicht der erfte fein, der davon nimmt. 

Die Mutter indeh, die eine unbefonnene Frau mar, 


33. Männertifl. . 1175 


beunruhigte ihn fortwährend mit ihren Wünfchen, und 
aus DBeforgniß, fie möchte am Ende einen andern hin⸗ 
ſchicken und ‚Taufen laffen, beftellte der Sohn eine Torte 
und verfchaffte ſich eine Flaſche mit Opium gemifchten 
Wein, um einzufchläfen; nun nahm er einige Brode, 
die Torte und den Bein, 'und ale ed Nacht war, machte 
er ſich einen Bart und eine Kapuze und ging an ben 
Ort, mo das Kalbfleifch verkauft wurde. Noch war das 
Kalb ganz unangegriffen, und als er gepocht hatte, fagte 
einer der Wächter: Wer bift bu? 

Ricciardo entgegnete: Könnt ihr mir wol fagen, mo 
ein gewiffer Glück wohnt? 

Einer von ihnen fragte weiter: Was für ein Glück? 

Ricciarbo antwortete: Seinen Geſchlechtsnamen weiß 
ich nicht; Gott verdamm mid, daß ich mit ihm zu thun 
haben foll. 

Wer fchidt dich denn? fagte einer von jenen. 

Seine Frau, verfegte Ricciardo; fie gab mir die 
Sachen da, um fie ihm zu überbringen, daß er zu 
Nacht fpeife. Aber thut mir doch den Gefallen und 
hebt mir die Sachen auf, bis ich nach Haufe gehe und 
beffer erfahre, wo er ift. Ihr dürft euch nicht wundern, 
daß ich es nicht weiß; ich bin erft feit kurzem hier. 

Da ließ er ihnen die Torte, das Brod und den Wein 
und that, ald ob er wegginge, mit den Worten: Ich 
komme gleich wieder. 

Sie nahmen dieſe Sachen und einer von ihnen fügte: 
Schau doch, Glück ift freilich diefen Abend bei und ein- 
gekehrt. 

So fegte er die Flajche an den Mund und tranf, 
veichte fie feinem Kameraden und fprad): Bich! Du haft 
noch nie beffern getrunfen. 

Der Kamerad tranf und während fie über den Vor⸗ 
fall plauderten, fchliefen fie ein. — Ricciardo, der an 
einer Ritze der Thüre laufchte, trat, fobald er fie ſchlafen 
fah, herein, nahm das Kalb, trug es ganz nach Haufe 





176 II. Giovanni Fiorentino. 


und fagte zu feiner Mutter: Nun fchneidet euch herunter 
jo viel euch gelüftet! 

Nun zerlegte er das Kalb und die Mutter kochte 
davon eine große Schüffel voll..— Sobald ber Doge 
erfuhr, daß das Kalb geftohlen fei, und auf welche Art 
man fi) bei dem Diebftahl benommen habe, wunderte 
er fih fehr und nahm ſich feſt vor, herauszubringen, 
wer es ſei. Er ließ daher hundert arme Leute kommen, 
fhrieb alle namentlih auf und fprah dann zu ihnen: 
Geht in alle Häufer Venedigs und thut als fordertet ihr 
Almofen, gebt aber Acht, ob ihr in keinem Haufe Fleifch 
kochen oder eine große Pfanne am Feuer fehet, und feid 
fo zudringlich, daß ihr nicht machlaffer, bis man euch 
Sleifch oder Brühe gebe. Wer von euch mir melches 
bringt, dem laſſe ich zwanzig Gulden ausbezahlen. 

Als nun die hundert Zaugenichtfe fih in der Stadt 
umber zerftreuten, um Almofen zu fordern, verfiel wirklich 
Auch einer von ihnen auf das Haus dieſes Nicciardo’s, 
und als er hinaufkam, fah er deutlich das Fleifh, das 
jene kochten, und erbat fi) um Gottes willen ein Stüdchen 
davon. Die Frau, welche ihre Fülle betrachtete, mar 
unvorfihtig genug, ein Schnigelchen abzugeben. Der 
Deitiet dankte ihr und ſprach: Ich will Gott für euch 

itten. 

So eilte. er die Treppe hinunter. Nicciardo aber 
begegnete bem Armen auf der Treppe und als er fah, 
daß er von dem Fleifche in der Hand hielt, ſprach er 
F ihm: Komm wieder mit herauf, ich will dir mehr 
geben. 

Der Bettler ſtieg mit ihm hinauf, Ricciardo aber 
führte ihn in eine Kammer, ſchlug ihn mit einem Beil 
auf den Kopf, und als er ihn getoͤdtet hatte, warf er 
ihn in den Abteitt und fchloß das Haus. Am Abend 
famen alle die Bettler zu dem Herzoge zurüd, mie fie 
. verfprochen hatten, umd jeber von ihnen fagte, er habe 
nichts. finden können. Der Doge ließ fie zählen und 


33. Maͤnnerliſt. 177 


fi) namentlih ausweifen; da fand er, daß einer fehle, 
wunderte ſich, merkte aber glei, woran er war, und 
fagte: Der ift gewiß umgebracht morben. 

Er verfammelte den Rath und fprah: Ich muß 
fürwahr wiffen, wer das ift. 

Da fprach einer der NRäthe: Gnädiger Herr, ihr habt 
es verfucht mit dem Lafter der Gefräfigkeit: verfucht es 
auch mit dem Lafter der Wolluſt! 

Der Herzog ſprach: Wer mehr weiß, thue auch mehr! 

Es wurden alfo fünfundzwanzig Zünglinge der Stadt 
aufgeboten, die boshafteften und liſtigſten, und die, 
welche der Doge am meiften im Verdacht hatte, und einer 
darunter war diefer Ricciardo. Als fie nun im Palaſte 
behalten wurben, wunderten fie ſich und einer fagte zum 
andern: Warum behält und denn der Doge bier? 

Sofort ließ der Herzog in einem Saale fünfundzwanzig 
Betten aufichlagen, wo dann jeder diefer Jünglinge eines 
für fi hatte. Mitten im Saale aber ließ er ein präch- 
tiged Bette errichten, wo feine Tochter fchlief, die das 
fhönfte Geſchöpf von der Welt war. Und jeden Abend, 
fobald die Männer fchlafen gegangen waren, kamen ihre 
Kammerfrauen und brachten biefe Tochter des Herzogt 
zu Bette. Der Vater aber hatte ihr eine Schale mit 
ſchwarzer Zinte gegeben und gefagt: Wer zu bir ans 
Bett kommt, dem beftreiche dad Geſicht, damit man ihn 
kennt. 

Darüber wunderte ſich ein jeder und keiner wagte 
zu ihr zu gehen, denn er dachte: das iſt fürwahr eine 
eenfthafte Geſchichte. 

Ricciardo aber gedachte bei ſich, einsmals eine Nacht 
mit ihr zuzubringen, und als Mitternacht vorüber war 
und er fein Gelüfte nicht mehr banbigen konnte, fland 
er. ganz leife auf, ging an das Bette, in welchem fie lag, 
legte fih ihr zur Seite und fing an fie zu umarmen 
und zu Züffen. Das Mädchen erwachte, tippte fogleich 
mit dem Singer in die Schale und beftrich Ricciardo's 

8*4 


178 III. Giovanni Kiorentino. 


Geſicht, ohne daß er etwas merkte. Als er nun mit dem 
fertig war, weshalb er gekommen, und das gewünfchte 
- Vergnügen genoffen hatte, kehrte er in fein Bett zurück 
und dachte bei ſich: Was ſoll das beißen Was für eine 
Lift ſteckt mol barunter? 

Nach einer Weile däuchte ihm die Koft ſchmackhaft, 
er befam daher Kuft, zu dem Mädchen zurüdzufehren, 
und fo that er denn auch. Als er denn bei biefem Engel 
bed Paradiefed Iag, kam fie zu fich,. fie beftxich ihn und 
rieb es ihm ins Geficht. Als Ricciardo das merkte, nahm 
er die Schale, die auf dem Kopfbrette der Bettlabe fand, 
ging damit überall umher und beftrih die andern, bie 
in den Betten lagen, ganz fanft, fodaß Feiner es merkte. 
Dem einen gab er zwei. Striche, bem andern ſechs, bem 
dritten zehn und fich felbft vier weitere außer ben zweien, 
die ihm das Kind gemacht hatte. Dann fegte er bie 
Schale wieder arı das Kopfende des Bettes, verfchaffte 
ihr unter großem Genuffe einige Kurzweil und kehrte 
darauf in ſein Bett zurück. Am Morgen kamen zeitig 
die Kammerfrauen an das Bert bes Mädchens, um fie 
ankleiden zu helfen, und begleiteten fie barauf zum Herzog, 
weicher fie fragte, wie es gegangen ſei. 

Gut, fagte die Tochter, benn ich habe gethan, was 
ihr mir aufgetragen. Es iſt allerdings einer dreimal zu 
mir gefommen und jebes mal habe ich ihn beſchmiert. 
Der Doge fandte gleich nach den Männern aus, mit 
welchen er fich berathen, und fagte: Ich habe den guten 
Freund erwiſcht und darum habe ich zu euch geſchickt; 

wir mollen miteinander hingehen und nachſehen. 

Sie gingen in den Saal und befchauten bald biefen 
und jenen, und da fie ale beſchmiert fahen, brachen fie 
in das lauteſte Gelächter aus. 

Fürwahr, ſagten ſie, das iſt der groͤßte Schlankopf, 
den man je gefunden hat. 

Nur zu gut merkten fie, daß einer die andern alle 
beſchmiert hatte. Als nun einer wie der andere von 


34. Spaniſch- deutſcher Krieg. 179 


diefen Jünglingen ſich befchmiert fah, hatten fie unter- 
einander den größten Jubel und Spaß darüber. Der 
Doge vernahm fie allefammt, und da er nicht außforfchen 
konnte, wer ed gewefen fei, entfchloß er fi dennoch, 
ed herauszubringen. Er verſprach alſo dem, der es ge⸗ 
weſen ſei, ſeine Tochter mit einer reichlichen Mitgift zur 

Ehe, dazu volle Verzeihung, da es nur ein Mann vom 
größten Verſtande fein könne. Als nun Ricciardo den 
Entſchluß des Herzogs ſah und vernahm, ging er ind 
geheim zu ihm und vertraute ihm Alles von Anfang bie 
‚gu Ende. Der Herzog umarmte ihn und vergab ihm, 
und unter großen Feierlichkeiten wurbe ihm feine Tochter 
angetraut. Ricciardo faßte wieber Muth unb wurde ein 
fo bochherziger, maderer und tüchtiger Mann, daß faft 
die ganze Staatsverwaltung in feine Hand fam. So 
febte er noch Tange in Prieden und geliebt von der 


. ganzen Bürgerfchaft Venedigs. 


34. Spanifch:deutfcher Krieg. 


(9, 2.) 


Saturnina erzählt: 

Der König von Aragon hatte eine Tochter, Namens 
Lena, jung, ſchön, liebenswürdig, geſittet und verſtändig, 
wie die Natur ſie nur bilden konnte. Daher glänzte der 
Ruhm dieſes edeln Weſens durch das ganze Land und 
viele wackere Herren verlangten fie zur Frau, ber Vater 
aber fchlug fie allen ab und mollte fie nicht hergeben. 
: Nun hörte der Sohn des Kaifers, Namen? Arrighetto, 
von den Reizen ber Jungfrau und verliebte ſich in die- 
felbe, dachte auch an nichts weiter, ald wie er fie zur 
Frau erhalten könne, und machte in Kurzem einen groß- 


180 IT. Giovanni Fiorentino. 


artigen und edein Plan. Er hatte bei fi einen Gold⸗ 
ſchmied, den größten Meifter, den man finden konnte, 
und ließ ihn einen fehr fehönen Adler von Gold fertigen 
“ in der Größe, daß ein Menſch darin ſtehen konnte. 
Als der Adler fertig war, ſo ſchoͤn und meiſterhaft, daß 
es kaum zu ſagen iſt, gab er ihn dem Meiſter, der ihn 
gefertigt hatte, und ſprach: Geh mit dieſem Adler nach 
Aragon und richte eine Bude auf von deinen Arbeiten 
auf dem Plag vor dem Schlofje, worin die Tochter des 
Königs wohnt, bring den Adler täglich heraus auf die 
Bank und fage, du wolleft ihn verfaufen. Ich werde 
gleichzeitig hinkommen; thue, was ich dir fage, und küm⸗ 
mere dich um fonft nichts. 

Der Meifter trug feine Arbeit weg, nahm viel Geld 
zu fih und begab fi) nach Aragon, wo er eine Bude 
dem Palafte gegenüber errichtete, in welchem, diefe Zochter 
des Königs wohnte, und fing an, an feinen Meifterftüd . 
zu arbeiten. ‚Dann ftellte er einige Tage ber Woche den 
Adler aus, und zog die ganze Stabt herbei, um das 
Merk anzufehen, fo wunderbar und fhon war ed. Eines. 
Tages Fam auch, die Königstochter, fah den Adler und 
ließ ihrem Vater fagen, fie wünfche ihn als Zierat zu 
haben. Der Vater ließ bei dem Deeifter wegen bed 
Kaufes anfragen; Arrighetto war indeß bereits ange- 
fommen und ber Meifter befprach fich mit ihm, der ſich 
im Derborgenen im Haufe bed Goldſchmieds aufhielt: 
Arrighetto ſprach zu dem Meifter: Gib zur Antwort, 
du mögeft ihn nicht verkaufen, allein wenn er ihr gefalle, 
wolleft du ihr gern damit ein Geſchent machen. 

Der Goldſchmied ging zum König und ſprach: Mein 
Gebieter, ich möchte den Adler nicht verkaufen; aber 
wenn er euch gefällt, ſo nehmt ihn, ich mache euch gerne 
damit ein Geſchenk. 

Der König ſprach: Laßt ihn heraufbringen, wir wer⸗ 
den dann bald miteinander eins werden. 

Der Meiſter antwortete: Es ſoll geſchehen. 





| 34, ESpaniſch · deutſcher Krieg. 181 


Dann ging er zu Arrighetto zurück und ſprach zu 
ihm: Der König will ihn ſehen. 

Da kroch Arrighetto fogleich in den Vogel und nahm 
einige feine Speifen mit, welche der Natur aufhelfen 
fonnten, und machte den Vogel innen fo zurecht, daß 
man ihn nad‘ Bequemlichkeit öffnen und fchließen konnte. 
Dann ließ er ihn vor den König bringen. Als biefer 
das ſchöne Stud fah, übergab er es feiner Tochter und 
ber Meifter ftellte es ihr in ihrer Kammer neben das 
Bette des Fräuleins auf. Als er es zurecht gemacht 
‚hatte, fagte er zu ihr: Madonna, dedt das Stück mit 
nichts zu! Es ift ein Gold, wenn man es zudedit, wird 
ed ſchwarz und verliert feinen Glanz. 

Serner fagte er zu ihr: Madonna, ih werde oft 
hierher fommen, um darnach zu fehen. 

Das Fräulein entgegnete offen, es fe ihr ganz lieb. 
&o ging ber Goldfchmied zum Könige zurütk und fagte, 
der Vogel gefalle dem Fräulein fehr. 

Und, fegte er hinzu, ich will machen, daß er ihr 
noch mehr gefällt, denn ich arbeite an einer Krone, die 
der Vogel auf dem Kopfe tragen muß. 

Dem König machte died große Freude, er ließ viel 
Geld Herbringen und fprach: Meifter, bezahle dich felbft 
nad) deinem Gutdünken! 

" Snädiger Herr, verfegte der Meifter, ich bin ſchon 
begabt, da ich eure Huld befige. 

Und fo viel auch der König redete, konnte er ihm 
00 fein Geld aufdrängen, fondern fagte: Ich bin ion. 
ezahlt. 

Als nun bei Nacht die beſagte Lena im Bette lag 
und ſchlief, ſchlüpfte der beſagte Arrighetto aus dem 
Vogel, ſchlich leiſe an das Bett, worin die lag, die er 
mehr als ſich ſelber liebte, und küßte ihr ſanft ihre weiß 
und rothe Wange. Das Mädchen kam zu ſich, hatte 
bie größte Angſt und fing an zu beten: Salve regina 
misericordiae! . 


180 III. Giovanni Fiorentino. 


artigen und edeln Plan. Er hatte bei ſich einen Gold⸗ 
ſchmied, den größten Meifter, ben man finden konnte, 
und ließ ihn einen fehr ſchönen Adler von Gold fertigen 
“ in ber Größe, daß ein Menſch darin ftehen konnte. 
Als der Adler fertig war, fo ſchoͤn und meifterhaft, daß 
es kaum zu, fagen ift, gab er ihn dem Meifter, der ihn 
gefertigt hatte, und ſprach: Geh mit diefem Adler nach 
Aragon und richte eine Bude auf von deinen Arbeiten 
auf dem Plag vor dem Schloffe, worin die Tochter des 
Königs wohnt, bring den Adler täglich heraus auf die 
Bank und -fage, du wolleft ihn verfaufen. Ich werde 
gleichzeitig hinfommen;z thue, was ich dir fage, und küm⸗ 
mere dich um fonft nichte. 

Der Meifter trug feine Arbeit weg, nahm viel Geld 
zu ſich und begab ſich nad, Aragon, wo er eine Bude 
dem Palafte gegenüber errichtete, in welchem, diefe Tochter 
des Könige wohnte, und fing an, an feinem Meiſterſtück 
zu arbeiten. Dann ſtellte er einige Tage der Woche den 
Adler aus, und zog die ganze Stadt herbei, um das 
Werk anzufehen, fo wunderbar und ſchön war ed. Eines. 
Tages Fam auch bie Königstochter, fah ben Adler und 
ließ ihrem Water fagen, fie wünſche ihn als Zierat zu 
haben. Der Vater ließ bei dem Meifter wegen des 
Kaufes anfragen; Arrighetto mar indeß bereitd ange- 
kommen und ber Meifter befprach ſich mit ihm,ber ſich 
im Verborgenen im Haufe des Goldſchmieds aufhielt. 
Arrighetto ſprach zu dem Meifter: Gib zur Antwort, 
du mögeft ihn nicht verkaufen, allein wenn er ihr gefalle, 
wolleft du ihr gern damit ein Geſchent machen. 

Der Goldſchmied ging zum König und ſprach: Mein 
Gebieter, ich möchte ben Adler nicht verkaufen; aber 
wenn er euch gefällt, fo nehmt ihn, ich mache euch gerne 
damit ein Gefchenf. 

Der König fprach: Laßt ihn heraufbringen, wir wer⸗ 
den dann bald miteinander eins werden. 

Der Meiſter antwortete: Es ſoll beſchehen. 


"34. Spaniſch-deutſcher Krieg. . 181 


Dann ging er zu Arrighetto zurüd und ſprach zu 
ihm: Der König will ihn fehen. - 

Da kroch Arrighetto fogleich in den Vogel und nahm 
einige feine Speifen mit, welche der Natur aufbelfen 
tonnten, und machte den Vogel innen fo zurecht, daß 
man ihn nach‘ Bequemlichkeit öffnen und fchließen konnte, 
Dann ließ er ihn vor den König bringen. ALS dieſer 
das ſchöne Stud fah, übergab er es feiner Tochter und 
ber Meifter ftellte es ihr in ihrer Kammer neben das 
Bette bed Fräuleins auf. Alb er es zurecht gemacht 
‚hatte, fagte er zu ihr: Madonna, dedit das Stüd mit 
nichts zu! Es ift ein Gold, wenn man es zudeckt, wird 
ed ſchwarz und verliert feinen Glanz. 

Ferner fagte er zw ihre: Madonna, ich werde oft 
hierher kommen, um darnach zu ſehen 

Das Fraͤulein entgegnete offen, es ſei ihr ganz lieb. 
So ging der Goldſchmied zum Könige zurütk und ſagte, 
der Vogel gefalle dem Fraͤulein ſehr. 

Und, ſetzte er hinzu, ich will machen, daß er ihr 
noch mehr gefällt, denn ich arbeite an einer Krone, die 
der Vogel auf dem Kopfe tragen muß. 

Dem König machte dies große Ereube, er ließ viel 
Geld herbringen und ſprach: Meifter, bezahle dich felbft 
nad) deinem Gutdünken! 

* Snädiger Herr, verfehte der Meifter, ich bin Schon 
bezahlt, da ich eure Huld befige. 

Und fo viel auch der König redete, Tonnte er ihm 
vo fein Geld aufdrängen, fondern fagte: Ich bin ſchon 

bezahlt. 

Als nun bei Nacht die beſagte Lena im Bette lag 
und ſchlief, ſchlüpfte der beſagte Arrighetto aus dem 
Vogel, ſchlich leiſe an das Bett, worin die lag, die er 
mehr als ſich ſelber liebte, und küßte ihr ſanft ihre weiß 
und rothe Wange. Das Mädchen kam zu ſich, hatte 
bie größte Angſt und fing an zu beten: Salve regina 
misericordiae! i 


182 ‚III. Giovanni Fiorentino. 


Und zitternd rief fie einer Kammerfrau, während 
Arrighetto eilig in den Vogel zurückkehrte. Die Kammer- 
frau ftand auf und fagte: Was wollt ihr? 

IH habe einen geſpürt, antwortete fie, hart neben 
mir, ber mir das Gelicht berührte. 

Die Kammerfrau durchfuchte das ganze Zimmer und 
fah und hörte nichts; und da fie nichts fand, kehrte fie 
in das Bert zurüd und fprach: Sie hat ficher geträumt. 

Nach einer Weile kam Arrighetto mieder ganz. fachte 
an das Bert, küßte fie fehr zärtlich und ſprach leife: 
Liebe Seele, erſchrick nicht! 

Das Fräulein ermachte und ftieß einen heftigen 
Schrei aus. 

Was haft bu? fagten die Kammerfrauen, welche alle 
aufftanden; es ift nichts als ein Traum. 

Arrighetto war wiederum in den Vogel zurüdigegan- 
gen, fie unterfuchten Thüre und Fenſter, fanden fie aber 
verfchloffen, und da fie nichts fahen, fingen fie an, fie 
laut auszufchelten und ſprachen: Wenn du dich wieder 
rührft, fo fagen wir ed deiner Hofmeifterin. Was find 
doch das für Thorheiten, daß du uns nicht willft ſchlafen 
laſſen! Das ift eine fchöne Sitte, in der Nacht zu 
freien. Sei fo gut und verhalt dich jegt ruhig! - Mache, 
daß du fchläfft, und laß uns auch fehlafen! 

Da fürkhtete ſich das Mägdlein und nach einer Weile, 
als es Arrighetto Zeit ſchien, kam er wieder aus feinem 
Vogel hervor, trat Ieife an das Bett und fagte: Meine 
‚Lena, frei nicht und fürchte dich nicht! 

Sie fragte: Wer bift du? 

Arrighetto ſprach: Ich bin der Sohn bed Kaifers. 

Sie entgegnete: Wie bift du aber hereingekommen? 

Arrighetto antwortete: Verehrungswürdige Dame, das 
will ich dir fagen. Es ift fchon lange Zeit, daß ich mich 
in dich verliebte, da ich deine Schönheit rühmen hörte, 
und oft und viel: bin ich Hergelommen, um bich zu fehen, 
aber ich fand fein Mittel; da Tief ich den Adler machen 


34. Spaniſch⸗ deutſcher Krieg. 183 


und in biefem bin ich: bergefommen, blos um wit bir 
eben zu können. Und darum bitte ich Dich, daß es Dir 
gefallen möge, Erbarmen nit mir zu haben, dieweil ich 
fein anderes Gut, ale dich, auf biefer Welt befige; und 
fieh ich habe mein Leben gewagt um beinetiwillen. 

Als das Mägblein bie Holden Worte hörte, welche 
Arrigbetto zu ihr fagte, wandte fie fich zu ihm, umarmte 
ihn und fprah: In Betracht der Gefahr, in bie bu 
dich um meinetwillen begeben haft, wäre es eine große 
Schändlichkeit von mir, wenn ich es dir nicht vergalte. 
Darum bin ich einverftanden, daß du mit mir thueft 
nad) deinem Willen; zuvor aber möchte ich doch wiſſen, 
wie du ausfiehft. Darum Lehre an deinen Plag zurüd 
und fürchte dich nicht, denn morgen will id thun, ale 
wünfchte ich zu fchlafen, und bie Kammerthüre fchliefen. 
Dann bleibe ich allein und wir koͤnnen einander fehen 
und ausführlicher miteinander reden. 

Arrighetto antwortete und ſprach: Madonna, und. 
wenn ich jept fterben follte, fo bin ich doch froh, daß 
du mich zu deinem Diener angenommen haft. Dog 
möge es dir gefallen, mich zum Zeichen befielbigen ein 
einzig mal zu kuͤſſen. 

Das Fräulein küßte ihn anmuthig, denn fie fühlte 
fhon im Herzen die Flammen der brennenden Liebe. 
Darauf kehrte Arrighetto in den Vogel zurück. Am 
folgenden Tage fagte das Fräulein, fie wolle fchlafen, 
benn fie konnte den Augenblid kaum erwarten, mo fie 
Arrighetto ſähe. Dann ſchickte fie die Kammerfrauen 
hinaus, ſchloß das Gemach unb trat zu dem Vogel, 
aus welchem alsbald Arrighetto hervorkam und ſich vor 
ihr neigte bis auf den Boden. Als ſie in ihm einen ſo 
luſtigen und ſchönen Mann erkannte, fiel fie ihm plöglich 
um ben Hals und er nahm fie feft in feine Arme. 

Ich bin, fprach er, ber glücklichſte Menſch auf der 
Melt, denn nun wirb mir die Freude zu. Theil, die ih 
fo lange Zeit fehnlich gewuͤnſcht habe. 


184 10. Giovanni Fiorentino. 


Sodann erzählte er ihr fein ganzes Gefchleht und 
wer er war, nebft fo füßen und holden Worten, daß 
‚fie duftigen Veilchen glihen, vermifcht mit würzigen 
Küſſen. Ih kann die Liebe nicht ausfprechen, die fie 
einander fchenkten; und auf diefe Weife blieben fie mehrere 
Tage und Nächte beifammen. Das Fräulein verforgte ihn 
unterbeffen fortwährend reichlich mit himmlifchen Speifen 
und Weinen. Auch kam der Goldſchmied haufig, um 
nach dem Vogel zu fehauen, und fragte zugleich Arrig- 
hei, ob er nichtd wolle; er antwortete aber jedesmal: 

ein. ' 

Nun ſprach Arrighetto einft zu der Dame: Ich 
wünſche, daß wir zufammen nad) Deutfchland gehen in 
unfer Daus. 

Lieber Arrighetto, antwortete die Frau, ich bin zu⸗ 
frieden mit dem, was dir gefällt. " 

Arrighetto fprach: Ich will weggehen und mit einem - 
Schiffe wieder zum Schiffe des Könige kommen, das an 
der Kuüfte ſteht, und will mich in einer beftimmten Nacht 
dafelbft einfinden. Dann magft du zu deinem Water 
fagen, du wolleft fpazieren gehen um die Küfte zu fehen; 
dann ermartefi du mich in dem Schloffe; ich komme in 
ber Nacht dahin, hole dich auf das Schiff und wir reifen 
hinweg. 

Die Frau ſprach: So fei es. 

Darauf fchidte fie zu dem Goldſchmied und ſprach: 
Trag bdiefen Vogel hinweg und mache mir die Krone 
darauf, ſodaß ich fie bei meiner Rückkunft fertig finde. 

Der Meifter fprah: MWenn der Herr es will, bin 
ih einverftanden. 

Die Frau ſprach: Thue, was ich bir fage! 

Und der Meifter ließ den Vogel in die Bude. brin« 
gen. — Als es aber Zeit war, ging Arrighetto heraus, 
nahm Abfchied von dem Meifter und ging heimlich hin⸗ 
weg in fein Land. Dort gab er Befehl, ein fchönes 
Schiff auszurüften mit einigen Galeeren, die zur Ver⸗ 


34. Spaniſch⸗ deutſcher Krieg. 185° 


theibigung des befagten Schiffes bewaffüet waren, machte 
fih auf und kam an die Burg bed Könige von Aragon, 
mie verabredet worden mar. Inmittelſt fagte das Sräu- 
lein zu ihrem Bater: Mein Gebieter, ich wünfchte in 
ben Hafen zu gehen, um Die Küfte zu fehen und einige 
Tage in eurer Burg zu verweilen. 

Der Bater war es zufrieden und ließ ihr zur Gefell- 
ſchaft viele Frauen und Fräulein beigeben, bamit fie dort 
mit ihre fpazieren gingen. Das Fräulein begab fich mit 
ihrem Gefolge auf die Burg und erwartete mit großer 
Freude Arrighetto, Gott bittend, er möge bald kommen, 
und ſchaute den ganzen Tag auf das Meer hinaus, ob 
fie ihn nicht fehe. In einer Nacht aber, zur bezeichneten 
Stunde, kam Arrighetto unter der Burg an. Die Frau 
flieg alsbald hinunter zu ihm und umarmte ihn und 
ohne Verzug traten ſie in das Schiff, ſpannten die Segel 
auf und fuhren mit Gottes Hilfe von dannen und Arrig⸗ 
betto brachte fie in feine Heimat. Als man fie aber am 
Morgen nicht mehr fand, entfland ein großer Lärm und 
e& wurde dem König zu wiffen gethban, es feien See- 
räuber gelommen an feine Burg und haben feine Tochter 
entführt. Der König war darüber fchmerzlich betrübt, 
denn erfchtete feine Tochter für verloren. Und da er 
von dem wahren Dergang nichts mußte, ſchickte er einen 
feiner Söhne aus, der ein fehr rüfliger junger Mann 
wer, und fprach zu ihm: Ich befehle dir bei Todesſtrafe, 
fo wahr dir dein Leben lieb iſt, nie wieder zu mir zurück⸗ 
zukommen, ohne daß bu erfahren haft, mo fie ft und 
wer fie entführt hat. " 

Diefer begab ſich auf die See und folgte bem Schiffe 
und hörte und erfuhr, dag des Kaifer Sohn fie mitge- 
nommen habe. Und fobald er fich deſſen verfichert hatte, 
kehrte er zum Vater zurüd und fagte ihm, ber Sohn 
des Kaiſers fei in eigener Perfon hergekommen und habe 
fie geftohlen. Da machte der König große Zurüftungen, 
um binzuziehen und ihn in Deutfchland felbft zu befehden, 


16 - DI. Giovanni Fiorentino. 


und bot dazu auf den. König von Frankreich und den 
König von England und den König von Navarra und 
"den König von Maiolica und ben König von Schottland 
und den König von Gaftilien und den König von Por. 
tugal nebft vielen andern Herren und Baronen des Abenb- 
landes. Als nun ber Kaifer von den Rüſtungen hörte, 
welche jener machte, um ihn zu überfallen, that er ein 
Gleiches und lud ein und bot.auf ben König von Ungarn 
und den König von Böhmen und außerdem viele Mark» _ 
grafen, Grafen und Herren von Deutfchland, ſodaß beide 
Theile ein großes Heer zufanmenbrachten, um miteinander 
zu kämpfen, in. der Weife mie ihr fogleich hören werdet. 
Nun gefhah es, als der König von Aragon fein Heer 
vereinigt hatte, brach er auf und kam nach Deutfchland 
in das Gebiet des Kaiſers. Und ald der Kaifer von 
feiner Ankunft hörte, ging er ihm entgegen nad) einer 
Stadt, welche Wien heißt, mit einer großen Menge Volks; 
und als fie einander auf dem Schlachtfelde gegenüber- 
ftanden, hielt der König von Aragon Rath und beſchloß, 
den Kaifer zur Schlacht zu fordern, und fo geſchah es. 
Er fandte alsbald durch einen Trompeter einen ganz 
biutigen Handſchuh auf einem Dornbuſch ab. Arrighetto 
als der Oberfeldherr nahm bie Schlacht bereitwillig an; 
und nad) den getroffenen Abreden murbe ber Tag feft- 
gefegt, an welchem man fich auf dem Schlachtfeld ein- 
finden follte. In der Nacht zuvor fegte der König von 
Aragon zwölf Heermeifter ein, Männer von großer 
Tapferkeit und Berftand. Die erfte Schaar beftand aus 
dreitaufend guten Kriegern, alle ſchwarz gekleidet, bie 
meiften machte er zu Rittern mit goldenem Sporn, die 
biefen Ritter des Todes, und zu ihrem Hauptmann fegte 
er feinen Sohn, welcher Meffer Princivale hieß. 

Mein Sohn, ſprach er zu ihm, heute ift der Tag, 
die Ehre deiner Schwefter wieder zu gewinnen; darum 
bitte ich dich, wacker und rüſtig zu fan. Mach, daf 
jede Faſer von Angſt heute in dir erfterbe und gib 


34. Eyaniſch⸗ deutſcher Krieg. 167 


cher zu in Stücke gehauen zu werben, als daß bu 
wicheſt. 

"Er gab ihm eine Standarte mit goldenem Leuen in 
blauem Felde mit einem Schwert in ber Pfote. — Die 
zweite Schaar hatte ber Herzog von Burgund mit- drei 
taufend Burgunden und Franzofen, alle gut beritten und 
gewaffnet; ald Wappen trug er an jenem Tage goldene 
Lilien in blauem Felde. Die britte Schaar führte ber 
Herzog von Lancafter mit dreitaufend waffengeübten tapfern 
Engländern, alle waren mit Panzern und Bruftharnifchen 
und glänzenden flachen Helmen verfehen unb alle verei- - 
nige unter einer Fahne mit drei goldenen Leoparden in 
rothem Felde. Die vierte Schaar führte der König von 
Caftilien und der König von Schottland mit viertaufend 
Berwaffneten, alle gut zu Roß und gut gewaffnet, und 
fie trugen zwei große Schlachtfahnen, und auf der einen 
war ein meißes Schloß gemalt in rothem Felde und auf 
der andern ein grüner Drade in rothem Felde mit blauem 
Sparren in der Mitte. Die fünfte Schaar führte und 
lenkte der König von Maiolica und ber König von Na- 
varra nebft zmweitaufend guten Fechtern unb fie trugen 
ale Waffen an jenem Tage zwei Fahnen, auf der einen 
eine ſchwarze Wölfin in weißem Felde und auf der an- 
dern brei rothe Schachbrette in weißem Feld und ein 
other Streif in der Mitte. Die ſechſte Schaar führte 
der Graf Novello von Sanfogna mit funfzehnhundert 
Pronenzalen und auf feiner Fahne trug er ale Wappen 
im Banner drei rothe Roſen auf weißem Felde. Die 
fiebente und legte Schaar führte der mannhafte König 
von Aragon mit vieren feiner Enkel, fünftaufend gut 
bewaffneten und gut gerüfteten Aragonern mit lauter 
großen Schlachtroffen, die ganz mit Schuppen» und 
Mingpanzern überzogen waren, und als Feldzeichen trug 
er an bemfelbigen Tage einen Engel mit einem Schwert 
in ber Hand; und um diefe Schaar her hatte er zwei 
taufend Bogenfchügen zu Fuß, und fortwährend waren 


188 II. Giovanni Fiorentino. 


die zwölf Heermeifter befchäftigt, bie Schaaren in Ord⸗ 
nung und Stand zu erhalten nebft fo vielen Trompetern 
und Pfeifeen, daß es fürwahr wie ein Donner dröhnte. 
Auf ähnliche Weife war der Kaifer bedacht, feine Schaaren 
zu ordnen, machte feinen Sohn Meffer Arrighetto von 
Schwaben an jenem Morgen zum Ritter und Grafen, 
gab ihm ferner breitaufend Herren und Ritter zum Ge- 
folge, lauter hohe Edelleute und gab ihm zum Feldzeichen 
eine ?aiferliche Fahne, worauf ein ſchwarzer Adler in 
goldenem Felde gemalt war, und er trug an dbemfelbigen 
Tage das Bild eines Fräuleind auf dem Schild mit einer 
Dalme in der Hand, und den Schild hatte ihm diejenige 
geſchenkt, um derenwillen diefe Schlacht gefchlagen wurde. 
Und nachdem ihm der Kaifer die Fahne und das Gefolge 
gegeben hatte, fagte er zu ihm: Mein Sohn, das ift 
deine Sache: darum fage ich dir weiter nichts. 

Die zweite Schaar führte ein Neffe des Königs von 
Ungarn mit fünftaufend Ungarn in der beften Verfaffung. 
Als Wappen. trug er auf feinem Banner galdne Lilien 
in blauem Felde und weiße und rothe Streifen. Die 
dritte Schaar führte der uralte König von Böhmen mit 
ſechstauſend durchaus gut bemaffneten, gut berittenen und 
Tampfmuthigen Rittern und als Abzeichen trug er auf 
feiner Standarte einen weißen Löwen mit zmei Schwänzen 
in rothem Felde. Die vierte Schaar führte der Herr 
von ber Lippe, Herzog von Öfterreich, mit fiebentaufend 
fehr in den Waffen geübten und kampfgewohnten Rittern. 
von großer Kühnheit, und ald Abzeichen trug er zwei 
Banner, auf dem einen war ein weißer Adler mit drei 
Köpfen in rothem Felde mit einigen "weißen Punkten, 
und auf dem andern war ein weißer Berg abgebildet 
in blauem Felde mit einem Degen in befagtem Berge 
ftedend. Die fünfte Schaar führte der Graf von Savoien 
und der Graf Wilhelm von Lügelburg mit dreitaufend 
fünfhundert Rittern, lauter mannhaften und rüfligen 
Leuten ohne alle Furcht, und als Abzeichen trugen fie . 





34. Spaniſch⸗ deutſcher Keieg. 189 


zwei Fahnen, auf der einen war abgebildet ein Baͤr mit 
ſeinem Felle in gelbem Felde und auf der andern waren 
weiß und rothe Viertel dargeſtellt. Die ſechſte Schaar 
führte der Patriarch von Aquileja mit vierzehnhundert 
Grafen, Freiherren und Rittern mit goldnem Sporn, 
und zum Abzeichen trug er in ſeiner Fahne eine Biſchofs⸗ 
mütze mitten zwiſchen zwei weißen Biſchofsſtäben in rothem 
Felde. Die ſiebente und letzte Schaar führte der Kaiſer 
mit viertauſend erprobten Deutſchen, die in den Waffen 
geboren ſchienen, und trug als Wappen an jenem Tage 
bie Gundfahne, welche der Engel Karl dem großen ge⸗ 
bracht Hatte, die Driflamme, eine Feuerflamme in gol« 
denem Felde. Und wahrlich diefe legte Schaar beftand 
aus faft lauter mannhaften und tüchtigen Kriegsleuten; 
jede Schaar hatte vier Senefchälle, welche immer um die 
Schaaren hergingen, damit Peiner aus derfelben- heraus- 
treten konnte, ſodaß es keinen Unfall oder UÜberfehen gab.' 
Nun waren bie Schaaren auf beiden Seiten geordnet 
und abgetheilt, die Ebener gingen vorauf, um Bäume 
und Heden wegzuräumen und Gräben auszufüllen, und 
als ed Tag wurde, fah man allmälig auf beiden Seiten 
die Strahlen der Sonne auf die fehimmernden Waffen 
fallen, man bemerkte, wie die Standarten, Fahnen und 
- Banner im Winde flatterten, man hörte das Mehern 
ber Pferde, den Lärm der Pfeifer und Trompeter auf 
beiden Seiten, fodaß ed das Anfehen gewann, als ob 
rings alles bligte und donnerte. Niemals ſah man noch 
ein fo ausgezeichnete® und edles Heer auf einem Felde 
verfammelt, wie diefes, noch fo viele tapfere, kluge und 
Brave Krieger auf beiden Seiten, wie auf diefem wunder- 
ſchönen Felde. Wenn je ein Heer mit Verftand geführt 
und geleitet wurde, fo war es das des tapfern Könige 
von Aragon, welcher, fobald es fo weit Tag wurbe, daß 
fie einander zu fehen und zu erkennen vermochten, hin⸗ 
ging feine Schaaren zu tröften, im Waffenwerk zu unter- 
weifen und zu bitten, fi gut und mannhaft aufzuführen, 


10 _ IN. Giovanni Fiorentino. 


denn am heutigen Zage würden fie mit bem Schwert in 
ber Hand den Deutfchen den Kaifertitel nehmen und ihn 
mit Ruhm und Triumph in ihre Heimat bringen, wie 
das fchon zu den Zeiten des guten Königs Karl’s bes 
großen gefcheben fei; darum bitte er fie, es folle fich-jeder 
ale echter Paladin benehmen in Betracht ded dauernden 
ehrenvollen Namens, ben fie fih und ihren Nachfolgern 
an biefem gefegneten und fiegreihen Tage verfchaffen 
Tönnten, an welchem Gott und der felige Herr Sant 
Georg ihnen ben Sieg verleihen werde. 

Darum, fuhr er fort, laßt eure Schwerter einfchnei- 

den und macht Eeine ber Feinde zum Gefangenen! Ber 
todt ift, fängt Feine Fehde mehr an. Wer fich einfallen 
ließe, am heutigen Zage nicht folchen edeln glorreichen 
Ruhm zu erwerben, der made fi) nur darauf gefaßt 
zu fterben; denn wir find in ihrem Lande und haben 
bier Peine Zuflucht. Für uns haben wir nur unfere 
Schwerter. Wir müffen alfo nothgedrungen uns tapfer 
halten. " 
Sodann befahl er, fobalb welche von feinen Leuten 
fi) rückwaͤrts wendeten, um zu fliehen, die follten zuerft . 
fierben. Alle feine Schaaren Eonnten kaum den Augen⸗ 
blick erwarten, wo fie bandgemein werden follten, denn 
fie glaubten auf ihrer Seite fiche das Recht. Ebenſo 
machte es der Kaifer und Meſſer Arrighetto bei ihren 
Leuten, fie riefen ihnen ins Gedächtniß, daß das deutfche 
Blut das ebelfte und mannhaftefte fei auf der Welt. 

Nicht ohne Grund, fagten fie, haben wir die beilige 
Laiferliche Krone erobert, und befigen fie feit langer Zeit. 
Darum haltet euch tapfer und muthig und dämpfet den 

Stolz und die Vermeſſenheit diefer galliſchen Fremdlinge, 
welche vermöge ihrer Anmaßung in unſere Lande ge 
kommen find, um und zu verfchlingen. Gedenket unferer 
Berfahren, welche immer Meifter waren im Waffenwerk 
und begierig ihrem Baterlande Ruhm zu erwerben, wie 
ber gute tapfere Kaifer Otto ber erfte von Sachſen und 





34. Spyaniſch · deutſcher Krieg. 191 


der freifinnige Heinrich der erfle und ber erſte Conradin 
und ber zweite unb dritte und vierte Kaifer Heinrich und 
der brave Rothbart Friedrich der erſte unb ber fünfte 
Heinrich von Schwaben und Dtto der vierte von Sachfen 
und viele andere. 

Gleicherweiſe ging der Patriarch von Aquileja durch 
die Schaaren, Segen fpendend und jedem feine Sünden 
vergebend mit der Ermunterung, fie follen alle wacker 
fechten, dann werben fie ben Sieg gewinnen. Nachdem 
ex nun beide Theile mit dem Kreuzabzeichen gefegnet und 
base Lofungswort der Schlacht auf Seiten bes Kaiſers 
Sanct Paul, auf Seiten des Königs von Aragon Ritter 
Santt Georg gegeben war, rüdten fich die beiden erſten 
Schaaren allmälig näher, legten die Ranzen ein, holten 
luſtig aus, um einander zu treffen und griffen einander 
furchtlos und mannhaft an; und als die Ranzen gebrochen 
waren, zogen fie die Schwerter und fchlugen fo maßlos 
auf die glänzenden Helme los, daf die Funken gen Himmel 
forühten, fo ernftlih trafen und ſchlugen beide Xheile 
aufeinander. Herrn Arrighetto wurde fein Pferb unter 
dem Leibe getöbtet, fobaß er flürzte; doch richtete ex ſich 
fhnell wieder auf und machte fi) mit dem Schwerte 
Bahn. Viele von den Rittern des Todes flanden um 
ihn her und feiner Eonnte ihn faffen. Meffer Princivale 
eilte durch das Feld und traf zufällig auf ihn und fie 
erkannten einander. Da rief ihm Meſſer Princivale zu 
und ſprach: —— du biſt des Todes. 

Meſſer Arrighetto antwortete; Ich bitte dich bei der 
Liebe deiner Schweſter, daß du mich nicht tödteft. 

Ref er Prineivale erwiderte: Verhüte Gott, daß id 
auf did Rüdficht nehme, nachdem bu auf mich Feine 
Rückſicht genommen haft. 

Er ſchwang fein Schwert und fchlug auf ihn, und 
wäre nicht die gute und bewährte Rüflung geweſen, bie 
er anhatte, fo wäre er ſicherlich an dieſem Tage geftorben, 
benn er fehnitt ihm den ganzen Schild durch, ben er am 





19 II. Giovanni Fiorentino. 


Arme hatte Da kam ihm ber Neffe des Königs von 
Ungarn zu Hilfe mit der ganzen Schaar ber Ungarn, 
er wurde gleich wieder auf ein Pferd gefegt mit dem 
Schwert in der Hand und ftürzte fih unter fi. Nun 
. begann bie andere Seite zu weichen wegen ber liber- 
maffe, die auf fie drückte. Der Herzog von Burgund 
fiel auf fie mit feiner Schaar und dort entftand ein fehr 
higiger Kampf und viele Leute famen um. Über bie 
‚ »Ungarn nahmen die Bogen von der Seite und fpannten 
fie mit folder Haft, daß die Kerben faft zufammenftiegen, 
und fo trafen und tödteten fie bei ihren Angriffen viel 
Volks, ſodaß die Feinde fich genöthigt fahen, zurudzu- 
ſchreiten. Nun machte fich aber der Herzog von Lancafter 
auf mit den tapfern und rüftigen englifchen Rittern; er _ 
kam wie ein losgelaffener Löwe unter bie Ungarn und 
fchrie: Tod und Verderben! 

Die Ungarn flohen vor ihnen wie eine Heerde Schafe. 
So traf er denn auf ben Neffen bed Königs von Ungarn, 
legte die Lanze ein, fprengte ihm in den Rüden und ftieß 
ihn vom Pferde, fo länge bie Lanze war. Plöglich waren 
fie dann auf und über ihn ber, und weil er von fönig- 
lihem Haufe war, wollten fie ihn nicht umbringen, fon- 
bern nahmen ihn gefangen. Sobald nun bie Ungarn 
ihren Hauptmann gefangen fahen, geriethen alle in Ver⸗ 
wirrung. Als ber König von Böhmen dies bemerkte, 
fegte er Iuftiglich feine Schaar in Bewegung und rief 
den Feinden entgegen: Fleifch, Fleifch! 

- Nun gab ed ein hartes und herbes Gefecht. So 
fegten ſich auch die andern folgenden Schaaren in Ber 
wegung, die des Königs von Caſtilien, des Königs von 
Schottland und des Herzogs von Ofterreih. Als nun 
diefe Schaaren zufammenftießen, wa» ber Rirm und das 
Geſchrei fo groß und das‘ Getöfe, das fie mit ihren 
Schlägen hervorbrachten, daß es war, als ob Luft und 
Erde erzitterte. Und wie fie durch das Feld liefen, be 
gegneten fie dem König von Schottland und dem ‚Herzog 


34. Spanifch- deutfcher Krieg. 193 


von Dfterreih, und mit großer Kedheit Tiefen fie auf 
einander los und als die Lanzen zerbrochen waren, zogen 
fie ihre Schwerter. Der Herzog ducchbohrte dem König 
von Schottland den Arm, fobaß der befagte König das 
Schwert nicht mehr führen konnte. Da nahm ihn der 
Herzog feſt und machte ihn zu feinem Gefangenen. Als 
fein Bolt den Herrn gefangen wegführen fah, leifteten 
fie Widerftand, drängten ſich zufammen, bildeten einen 
Damm gegen den Herzog und nahmen ihm feinen Gefan- 
genen mit MWaffengewalt wieder ab. Ganz toll darüber 
flürzte fich der Herzog mit folder Wuth unter fie, daß, 
wer vor ihm fliehen konnte, fich felig zu preifen hatte. 
Er ließ fih von feiner Leidenfchaft fo weit hinreißen, daß 
er in bie fünfte Schaar hinüberftürste, mo ber König 
von Navarra und der König von Maiolica ftanden, welche 
vorfichtig in die Schlacht liefen. Und während er auf 
ihn ftieß, fenkte der König von Maiolica bie Lanze, zielte 
“damit auf feine Bruft und bohrte fie ihm durch und durch. 
Daher, fiel er auf die Erde und ber mannhafte Herzog 
von Ofterreih war todt. Als die Krieger von biefer 
Schaar einen fo guten Anfang im Siege gemacht hatten, 
faßten fie Muth und liefen ganz fühnli bis zu ber 
Schaar des Grafen und Herzogs von Savoien und des 
Grafen Wilhelm, und da gab es eine harte und herbe 
Schlacht und mit Gewalt wurden die Fahnen der be= 
fagten zwei Grafen zu Boden geworfen und faft erlitten 
fie . eine Niederlage. Als der Patriarch von Aquileja 
ſolches ſah, machte er fich plöglich auf mit feiner Schaar 
gegen die Wuth des Königs von Maiolica, und er mar 
fo gut zu Pferde und hatte eine fo gute Gefellichaft, 
daß er gezwungener Weife fit) Bahn machte und mit 
großer Wuth hinlief, wo Meffer Princivale ftand, welcher 
ihm eifrig entgegenging und ihn mit einer Lanze fo traf, 
daß ein Theil von dem Ranzenfplitter ihm in der Bruft ſtecken 
blieb; aber feine Gewalt mar doch fo groß, daß er ihn 
wegfrug, und verwundet wie er war, richtete er bei feinen 
Staliänifcher Novellenſchatz. I. 9 


“._ 


194 I, Giovanni Fiorentino. 


Feinden großen Schaden an, endlich aber begann in Folge 
der großen Menge Blutes, die er verloren, ihm das Ge- 
ficht zu weichen. Indem er nun durch das Feld rannte, 
- traf er auf Meffer Arrighetto, welcher, als er ihn er 
kannte und fo verwundet fah, ausrief: Wehe, lieber Herr, 
was ift das? . 

Der Patriarch fprah: . Mein Sohn, zieh mir das 
Eifen aus! Sch bin bes Todes. 

Und er zog ihm plöglih das Eifen aus umd der 
Patriarch ſprach: Ich fehe faft Fein Licht mehr, darum 
verftopfe und verbinde mir diefe Wunde gut und führe 
mich alsdann dahin, wo die Schlacht am dichteften iſt, 
denn fürwahr, ehe ich fterbe, follen durdy meine Hand 
noch manche umfommen, und ſo geſchah e®. 

Als er verbunden war, küßte er Herrn Arrighetto, 
gab ihm feinen Segen und ſprach: Lieber Sohn, entfehe 
dich nicht über meinen Tod, fondern nimm ein Beifpiel 
an mir und geh mit Gott! denn das ift feine Zeit, um 
binzuftehen und Worte zu machen. 

Er jagte fodann in die Schlacht, das Schwert in 
beiden Händen haltend, und wehe dem, der ihm nahe 
kam, und fo hielt er fih noch eine Weile, dann ftarb er. 
Als nun Herr Arrighetto die Schaar ded Grafen von 
Sachſen heranrücken fah, brach er mit den Seinigen auf, 
welche fich wieder erfrifcht hatten, und fiel verzweifelt 
über den Grafen ber; er aber, als er ihn fo verzmeifelt 
auf ihn zukommen fah, eilte ihm fehr kühn entgegen, 
Herr Arrighetto fegte ihm die Lanze auf die Bruft und 
ſtach fie ihm gewaltig ganz durch, und fo fiel der man 
bafte Graf vom Pferde. Nach kurzem Verweilen farb 
er und feine Leiche wurde von ben Seinen aufgehoben 
und weggetragen in ihr Lager. Als der König von 
Aragon den guten Grafen von Sachfen todt ſah, konnte 
er fich des Weinens nicht enthalten. Dann aber nahm 
er die Lanze in bie Hand und rief: Mannfchaft, mer mich 
lieb bat, der folge mir! 


34. Spanifch-beutfcher Krieg. 195 


Nun brad er auf wie ein Sturm und bieb mit ſei⸗ 
nem Schwerte durch, was ihm in ben Meg trat, und 
er lief durch das Feld hin wie ein Drache und Alles 
floh vor ihm. Als der Kaifer dies fah, brach ſeine 
Schaar mit ergrimmtem Muthe gegen den König von 
Aragon auf; die beiden Schaaren begegneten ſich und 
ſchienen Teufel der Hölle, fo groß war der Sturm, den 
beide Theile erregten, indem fie die ungemeffenen Schläge 
austheilten und emipfingen. Der König von Aragon warf 
den Schild auf den Rüden, faßte bad Schwert mit beiden 
Händen und durchhieb, wer vor ihm fich zeigte, ſodaß 
jedermann vor ihm floh, denn fie konnten feine unge- 
heuerlichen Schläge nicht aushalten. Biele Freiherten 
und Grafen fielen durd feine Hände. Das Gemenge 
war ſehr groß, man gab und empfing heftige Schläge, 
durchſchnitt Panzer, Hände, Arme und vergoß Ströme 
Blutes auf dem ganzen Felde. Der Kaifer aber mit 
- feiner Schaar fisgte den Feinden den größten Schaden zu. 
Run begab es fih, daß der König von Aragon zufällig 
an eine Quelle kam, mo Herr Arrighetto.den Helm ab- 
genommen hatte und ſich erfrifchen wollte. Der König 
von Aragon flieg vom Pferde und als er auf dem Boden 
fund, erfannte er am Wappen Herrn Xrrighetto, und 
ohne weiter etwas zu fagen, holte er mit dem Schwerte 
aus und führte auf Herrn Arrighetto einen heftigen 
Streich über dad Geficht und fprach: Das gebe ih bir 
zum voraus ald Ausſteuer für meine Tochter. 

Dann flieg er wieder zu Pferde und rief Arrighetto zu: 
Nimm deine Waffen zu dir! Heute ift der Tag, an bem du 
durch meine Hand fterben mußt bei diefem Brunnen. 

Herr Xrrighetto antwortete: Es ift nicht Ritterbraudh, 
mit einem Manne fechten zu wollen, der fo fehändlich 
verwundet iſt wie ich. 

Der König antwortete: Verbinde dir die Wunde und 
dann ſteig zu Pferde, denn ich will ſehen, ob du ſo rüſtig 
biſt, als ich gehört habe. 

9* 


196 III. Giovanni Fiorentino. 


Während fie fo miteinander verhandelten, Fam ber 
Straf von Lügelburg mit einigen feiner Barone auf den 
Brunnen zugeritten, um fich zu erfrifchen, und als er 
den König von Aragon und Herrn Arrighetto erkannt 
und von ihrem Streite gehört hatte, wandte er fich zum 
König und fagte, er wolle diefen Handel ausmachen, 
worüber der König und Herr Arrighetto zufrieden waren. 

Herr König, fprach der Graf, ich will, daß für heute 
diefem Kampf ein Ziel gefegt werde, und bis Herr Arrig⸗ 
hetto fi) heilen läßt und wieder im Stande ift, fechten 
zu können, könnt ihr beide im Lager bleiben und dann 
unter euch den Streit außfechten, damit nicht fo viele 
wadere Männer fterben um ein Weib, denn meiner Treu 
ih habe nie eine biutigere Schlacht gefehen als dieſe. 

Der König war es zufrieden und Herr Arrighetto 
gleichfalls, fie gaben fich die Hand miteinander zu fechten, 
dann gingen fie hinweg und als fie wieder in die Schlacht 
Tamen, ließ jeder von beiden in die Trompeten floßen - 
und zum Stillftand blaſen. Es Eoftete aber die größte 
Mühe, diefes graufame Handgemenge zu trennen. Als 
nun am Abend beide Theile in ihr Lager zurückgekehrt 
waren, ließ ber König von Aragon alle feine Könige, 
Grafen und Herren zufammenfommen und fagte ihnen, 
was er gethan und verfprochen habe, und faft alle waren 
damit einverfianden, nur nicht Meffer Princivale, welcher 
ſprach: Lieber Herr, ich wünfche felbft mit ihm zu kämpfen, 
benn ich bin jung, wie er, und fuchte heute den ganzen 
Tag auf dem Schlachtfelde nah ihm umher, konnte ihn 
aber nicht finden. 

Der Bater fprah: Mein Sohn, laß ihn erft heilen, 
dann magft du thun, wie bu begehrft. 

Nun begab es fich, daß der Papſt von den aufer- 
ordentlichen Aufgeboten hörte, welche die beiden Fürften 
gemacht hatten; da ſchickte er zwei Cardinäle hin, um 
fie zu verfühnen. Da diefe die Sache in fo ſchlimmem 
Stande fanden, fprachen fie mehrmals mit dem Kaifer 


35. Dionigia. | 197 


und mit dem König von Aragon, welcher fehr ungern 
fih zu diefem Frieden herbeiließ. Doch vermochten es 
endlich die unabläffigen Bitten der Herren und bie Be- 
fehle, welche ihnen die Cardinäle von Seiten des Papſtes 
unter Androhung bes Kirchenbanns zukommen ließen, daß 
fie Frieden machten und fich unferm Herrgott zu Gefallen 
verfrugen, worauf unter großen Feten und Feierlichkeiten 
befagter Herr Arrighetto jene Tochter bes Königs von 
Aragon zur Frau nahm und Meffer Princivale nahm 
die Tochter des Kaifers, Deren Arrighetto’8 Schwefter, 
zue Frau. Und als fie einander verziehen und Friede 
und Verwandtſchaft gefchloffen hatten durch Vermittelung 
der beiden Gardinäle, verabfchiebeten fie fich mit großer 
Befriedigung und Feierlichkeit und jeder kehrte in fein 
Land zurüd mit Berkhigung. 


35. Dionigia. 


(10, 1.) 


4 


Ein König von Frankreich hatte eine Tochter mit 
Namen Dionigia, ſchoͤn und reizend, wie nur eine Frau 
ihrer Zeit, und ihr. Vater wollte fie, als fie zu ver 
mählen war, wegen feines vielen Geldes einem hohen 
Heren in Deutfchland geben, welcher fiebzig Jahre alt 
war, aber da8 Mädchen wollte ihn nicht, obgleich ihr 
Pater ſich anfchidte, ihre ihn wider ihren Willen zu 
geben. Da dachte das Kind an nichts anderes, als mie 
fie Mittel und Wege fände zu fliehen; fie verkleidete fich 
alfo einft bei Nacht ald Pilger, befchmierte ſich das Ger 
fiht mit Kräutern, welche die Farbe änderten, nahm 
einige koſtbare Steine, welche ihr ihre Mutter bei ihrem 
Tode vermacht hatte, und machte fich auf den Weg nad, 


198 III. Giovanni Fiorentino. 


der Küſte. Sie erreichte auch wirklich das Meer, flieg 
auf ein Schiff und fuhr hinüber nad, der britifchen Infel. 
Aber der König ihr Vater, als er am Morgen die Tochter 
nicht fand, ließ die ganze Stadt nach ihr durchſuchen und 
das ganze Reich, und da er fie nicht fand, dachte er, fie 
habe „fih aus Schmerz einen Tod angethan. Nachdem 
das Kind and Rand geftiegen war, machte fie fich auf 
nad) einer Stadt und gelangte an ein Kloſter, das reichfte 
dieſer Inſel, deffen Priorin war eine Baſe bes Königs 
des Landes. Bei ihrer Ankunft fagte das Mädchen zu 
der Prierin, fie möchte gerne Nonne werden. Die Priorin 
aber fragte fie, wer fie fei, weſſen Tochter und woher 
fie komme. Sie antwortete, fie fei die Tochter eines 
Bürgers aus dem Königreiche Frankreich, ihr Vater und 
ihre Mutter fei geftorben und nachbem fie einige Reifen 
emacht, wolle fie fih nun dem Dienfte Gottes weihen. 

8 die Priorin ihr mildes und freundliches Wefen be- 
merkte, kam fie auf ben Gedanken, fie ale Schülerin 
- and theilweife zur Dienftleiftung anzunehmen, und ſprach: 
Liebe Tochter, ich nehme dich gerne an; vorerft aber wird 
es gut fein, wenn bu unfere Regel und Lebensweiſe 
verſuchſt; wenn die dann das Haus gefällt, fo Fannit 
du das Kleid nehmen. 

Dionigia war fehr vergnügt, fie trat in das Klofter 
ein und fing an mit folder Demuth der Priorin und 
ben andern Schweſtern zu bienen, daß alle Bemoh- 
nerinnen des Klofters die größte Liebe zu ihr faßten und 
fi) über ihre Schönheit und ihr Betragen wunberten. 

Fürwahr, fagten fie, das muß ein hohes Ebelfräu- 
lein fein. ⸗ 

Nun begab es fi) nach kurzer Zeit, daß der König 
von England, dem noch nicht lange fein Vater geftorben 
war, in feinem Lande umberreifte und auch an diefes 
Klofter Fam, um feine Bafe die Priorin zu befuchen, 
und es murbe ihm von ihr bie feierlichfte, ehrenvolifie 
Aufnahme veranftalte. Während er nun dort verweilte, 


35. Dionigia. 199 


kam ihm Dionigia zu Gefiht, die denn auch einen fo 
tiefen Eindrud auf fein. Gemüth machte, daß es nicht 
zum fagen ifl. Er fragte die Priorin, wer fie fei; diefe 
antwortete ihm mit der Erzählung, wann und wie fie 
bergefommen fei und wie fie ſich aufführe. Da kam er 
auf den Gedanken, fie zur Frau zu nehmen, und theilte 
dies der Priorin mit, weiche aber erwiberte, fie fei da- 
mit nicht einverftanden, denn fie wiffe ja nicht, wer das 
Mädchen fei, und für ihm zieme fich eine Königs» oder 
Koaiferstochter. 

Ganz ſicher, entgegnete er, ift fie die Tochter eines 
hoben Herrn, nach ihrem Betragen, ihren Sitten und 
ihrer Schönheit zu fchließen. i 

Das ift fie nicht, antwortete die Priorin. 
Nun, verfegte der König, fo will ich fie fo wie fie 
ift, fei fie auch mer fie wolle. 


Die Priorin ließ fie rufen und ſprach zu ihr: Die- | 


nigia, unfer Herrgott bat dir ein großes Glüd bereitet. 
Höre, in wie fern! Der König von England begehrt 
bich zur Frau. 

Als fie das hörte, verfärbte fie ſich und fagte, fie 
wolle das unter feiner Bedingung, fondern wolle Ronne 
bleiben und bitte fie, ihr nicht mehr von derlei Dingen 
zu fprechen. Die Priorin meldete dies dem König, er 
aber blieb dabei, jedes Hinderniß befeitigen und fie unter 
. allen Umftänden zur rau nehmen zu wollen. Als die 
Priorin ihn fo entfchloffen fah, lockte und fchmeichelte fie 
ihr fo lange, bis fie einwilligte, und fo heirathete er fie 
in Gegenwart der Priorin, beurlaubte fi) fodann mit 
feiner Frau von ihr und begab fi) nad, London, wo er 
in feinem Palaſte die größte Feierlichkeit veranftaltete. 
Er Iud alle feine Barone ein und als diefe die große 


Schönheit fahen, die ausgezeichnete Sittfamkeit und das 


feine Benehmen, fo war feiner unter ihnen, der fi 
nicht in fie ‚verliebt hätte. Aber hie Butter des Königs 
wollte fi), da er eine folche Frau genemmen, nicht bei 


\ 


20 IH. Giovanni Fiorentino. 


ber Hochzeit einfinden und 309 fic) mit großem Ingrimm 
auf ihre Befigungen zurüd. Dionigia brachte ed allmälig 
duch ihr Betragen dahin, daß der König ihre mehr, 
als fich felber zugethan war. In kurzer Zeit ward fie 
ſchwanger, der König aber ihr Gemahl mußte mit einen 
ftarfen Heere nach einer Inſel überfegen, welche fi 
empört hatte. Darum nahm er Abfchied von feiner 
Semaplin und befahl feinem Vicekönig, für fie zu forgen 
und fie in Ehren zu halten als Königin, auch ihm fund 
zu thun, wie es ihr bei der Geburt ergebe. Damit ent 
fernte er fi) von England. Als die Zeit erfüllt war, - 
gebar die Frau zwei Knäblein und der Vicefönig fehrieb 
es feinem Herren; ber: Überbringer des Briefes aber Fam 
an das Schloß, mo die Mutter des Königs mohnte, 
kehrte dafelbft ein und gab der Mutter des Königs 
Nachricht von der Geburt der zwei Knäblein. Dies 
verdoppelte ihren Grimm und als ber Eilbote in der 
Nacht fchlief, vertaufchte fie die Briefe, die er bei fich 
führte, und fchrieb, es feien zwei der garftigften und 
misgeftaltetften Affchen zur Welt gefommen, die man je 
fehen könne. Am folgenden Tage erwies man dem Boten 
viel Ehre und entließ ihn mit dem Auftrage, er folle bei 
feiner Rückreiſe wieber hier einfprehen. Er gab das 
Berfprechen und ritt hinweg. Als er endlich zu dem 
Here Fam, behändigte er feinem Herrn den falichen 
Drief. Als der König ed las und die Gefchichte erfuhr, 
war er fehr erfiaunt, fchrieb aber nichts deflo weniger an 
feinen Bicefönig, er folle fie aufziehen und nicht unter- 
laffen, feine Gemahlin bis zu feiner demnächſt erfolgenden 
Rückkehr werth zu halten. Er fertigte denfelben Boten 
mit Briefen ab, war aber doch fehr befümmert. Der 
Eilbote nahm die Briefe und machte, wie er verfprochen 
“ hatte, feine Rückreiſe wieder über das Schloß, mo bie 
Mutter feines Gebieterd wohnte, und ruhte daſelbſt aus. 
In der Nacht aber, während er fhlief, nahm bie Frau 
bie Briefe ihres Sohnes, las fie, und als fie darin 


35, Dionigia. 201 


nichtd von dem Tode ihrer Schwiegertochter fand, war 
fie fehr betrübt. Sie ſchrieb daher ftatt des echten einen 
andern Brief des Inhaltes: Angefichts diefes nimmft du 
meine Frau mit den zwei Kindern und da ich weiß, 
Daß es nicht meine Kinder find, bringft du fie um 
fammt ihr. | 

Diefen Brief ftedte fie dem Boten, der noch fchlief, 
in feine Zafche, und am Morgen entließ fie ihn unter 
vielen Xiebesbezeugungen. Der Eilbote mußte von Allem 
nichts, nahm Abfchied und übergab bei feiner Heimkunft 
dem Vicekönig ben Brief. Als diefer ihn gelefen, war 
er fehr verwundert und fragte ben Boten, wer ihm ben 
Brief gegeben habe. Diefer antwortete: Der König felbft. 
Und er war ganz beſtürzt, als er las, mas ihr ihm be= 
richtet. 

Als der Vicekönig diefe Nachricht vernahm, brach er 
in heftige Weinen aus und mit Thränen in den Augen 
begab er fich zu der Königin, zeigte ihre den Brief und 
fprach: Leſet, meine Gebieterin! 

Als die Königin diefen Brief gelefen haste, fing fie 
an heftig zu meinen und ſprach: Ach mein unglüdliches 
Leben, daß ich doch Feine gute Stunde haben follte! 

Dann nahm fie ihre Kinder in die Arme und riefr 
Liebe Kinder, mit wei’ herbem Geſchick feid ihr doch 
in die Welt gekommen! Was habt ihr für ein Ver 
brechen begangen, um beffen willen ihr fterben mußtet? 
Sao ſchlug fie den größten heftigften Jammer auf 
und küßte ihre armen Kinderchen, welche ſchoͤn waren 
wie Sterne. Der PVisefönig erhob mit ihr die heftigfte 
Klage und wußte nicht, welchen Entfchluß er faffen follte, 

Gnädige Frau, fprach er endlich, zur Königin gekehrt, 
was wollt ihr thun? Was wollt ihr, daß ich thue? Ihr 
ſeht, was mein Gebieter fchreibt; nichts deſto weniger würde 
ich nimmermehe wagen, Hand an euch zu legen; darum 
nehmt heimlich eure Kinder, ich will euch bis an den 
Hafen begleiten, dort fehifft euch ein und Gott fei. euer 

get. 


292 II. Giovanni Fiorentino. 


Führer! Das Geichid wird euch irgendwohin bringen, wo 
ihr vielleicht glücklicher feid. 

Sie war damit einverftanden und in der folgenden 
Nacht nahm fie heimlich ihre Kinder mit hinweg, begab 
fih, nach dem Hafen, wandte fich zu einem Seemanne 
und fprah: Nimm mich auf dein Schiff und bring mich 
nah Genua! Du follft bezahlt werben. 

Der Vicekönig empfahl fie dem Seemanne, gab ihm 
Geld und nahm unter Thränen Abfchied. Das Schiff. 
ging unter Segel und trug in furzer Zeit die trauernde 
Frau nad) Genua. Dort verkaufte fie einige Kleinodien, 
die fie bei fih hatte, nahm zwei Ammen und zwei 
Kammerfrauen an und verfügte fich weiter nah Rom, 
wo fie ihre zwei Söhne fehr forgfültig erziehen ließ. 
Der eine hieß Carlo, der andere Lionetto. Sie lebte in 
fittfamer Zurüdgezogenheit und widmete fich der Erziehung 
diefer ihrer Söhne, welche an Tugend und Alter wad- 
fend alle, die fie kannten, in Erftaunen festen. Die 
- Mutter ließ fie von guten LXehrmeiftern unterrichten und 
fie mußten alle ſchönen Wiffenfchaften. lernen, welche Edel- 
leuten zu wiſſen ziemt. Als fie heranwuchſen, brachte fie 
diefelben auch an den päpftlihen Hof, ohne zu fagen, 
weſſen Söhne fie waren. Als der Papſt von dem from- 
men und fittfamen Leben diefer Frau hörte und die 
Schönheit und das anftändige Betragen biefer ihrer Söhne 
ſah, liebte er fie fehr und gab ihnen ein reichliches Ein- 
tommen, fodaß fie Diener-und Pferde halten und ftattlich 
leben fonnten. Nun wollte der Papft einen Kreuzzug 
anftellen gegen die Sarazenen im heiligen Rande und bot 
alle Könige und ‚Herren ber Chriftenheit auf, worunter 
er den König von Frankreich und den König von Eng- 
land namentlich nannte, fie möchten in eigener Perfon 
nah Rom kommen, um ihren Rath zu vernehmen in 
Betreff diefes Zuges. So fanden fi) denn die beiden 
Könige auf Befehl des Papſtes in Rom ein. Vorher 
ft aber noch zu wiffen, daß der König von England, 


35. Bionigie. A 


als er von der Wiedereroberung der empörten Inſel zurück 
in London anlangte, den Vicekönig gleich nach ſeiner Frau 
und ſeinen Kindern fragte. Er erhielt zur Antwort, es 
ſei mit ihnen nach dem Inhalt ſeines Briefes verfahren 
worden, ja ee habe noch weniger gethan, denn während 

er ihm gefchrieben habe, er felle fie umßeingen, habe er 
fie nur weggeſchickt, und zum Zeugniß deſſen zeigte er 
ihm bie Briefe. Darüber war denn der König fehr er- 
fhroden und wollte wiffen, wer etwas folches veranlaßt 
habe. WE er ſich überzeugt Hatte, daß feine Mutter 
daran Schuld fei, ermorbete er fie in- der Aufregung bes 
Zornes und ſchickte dann nach vielen Rändern hin um 
feine Gemahlin zu fuchen, und als man ihm melbete, 
fie habe ihm zwei ſo fehöne Söhne geboren, wollte er 
umlommen vor Schmerz und es dalirte lange Zeit, bis 
man wieder mit ihm fprechen konnte; heiter aber wurde 
er nie wieder, fo groß war feine Liebe zu der Fran, die 
er fo elendiglicy verloren hatte. Als er nun biefen Be- 
fehl vom Papfte erhalten hatte, fih nach Rom zu ver- 
fügen mit dem König von Frankreich, reifte er ab, begab 
ſich nach Frankreich und fegte dann in Begleitung bes 
Königs von Frankreich feinen Weg nah Rom fort, wo 
fie vom Papfte fehr liebevoll’ aufgenommen wurden. 
Während fie nun in Rom umhergingen, wurben fie von 
der Frau erkannt, der eine AS ihre Bruder (demn ber 
Dater war unterweilen geftotben), der andere als ihre 
Gemahl. Da ftellte fie fih dem Papfte vor und ſprach: 
Seligfter Vater, Eure Heiligkeit weiß, daß ich euch nie- 
mals eröffnen mochte, von wen dieſe meine Söhne ab- 
ffammen und wer ich bin. Jegt aber ift die Zeit ge- 
fommen, um eines wie das andere zu thun. So foll es 
denn gefchehen und mag daraus erfolgen, was Eurer 
Heiligkeit gut dünkt. So wiſſe denn Eure Seiligkeit, 
daß ich die Tochter des früheren Königs von Frankreich 
bin und die Schweſter deſſen, der gegenwärtig in Rom 
fi $ aufhält. In meinem kecken Übermuth bin ich, weil 


204 IL. Giovanni Fiorentino. 


mein Vater mich an einen alten Mann gegen meine 
Neigung vermählen wollte, davongelaufen und nad) Eng⸗ 
land in ein Klofter gegangen. Als aber der König von 
England mic, erblidte, faßte er Liebe zu mir und nahm 
mih zur Frau, ohne zu wiffen, wer ich war. Nach 
furzer Zeit gebar ich ihm diefe zwei Kinder; er aber, 
der damald aus dem Reiche abmefend mar, gab den 
Befehl, mich mit den armen Knaben umzubringen, bie 
ee nicht als die feinigen anerkannte. Durd) Vermitte⸗ 
lung eines feiner Beamten gelang es mir jedoch zu ent⸗ 
kommen und ich floh‘ hierher, wo ich feitbem der Erziehung 
der unglüdlihen Söhne lebte, wie Eure Seligkeit weiß. 

Hier ſchwieg fie. Der Papft fprach ihr Much zu 
und entließ fie. Sodann ſchickte er nach den zwei Kö⸗ 
nigen und den Söhnen und ſprach zu dem König von 
Frankreich alſo: Kennt ihr dieſe Knaben, durchlauchtiger 
König? 

Diefer erwiderte: Fürwahr nein. 

Er fragte ebenfo den andern unb erhielt die gleiche 
Antwort. Da wandte fich denn der Papft zu dem König 
von England und zu dem andern, that ihnen den Stand 
der Sache fund und ftellte fie beiden dem einen als Söhne, 
dem andern ale Neffen vor. Sie nahmen fie mit ber 
größten möglichen Freude und Heiterkeit auf, und als fie 
nah der Mutter fragten, ließ der Papſt fie kommen. 
Als fie eintrat, umarmte fie aufs Derzlichfte ihren Bruder, 
ohne ihren Mann zu beachten. Auf die Frage, warum 
fie das thue, antwortete fie: Dazu habe ich wol Grund 
nach der Grauſamkeit, mit welcher du gegen mich ver- 
fahren bift. 

Der König erzählte ihr weinend, mie die Sache ge- 
gangen fei, wer die Schuld trage und welche Rache er 
dafür genommen. Nun ließ fi die Frau die Entſchul⸗ 
digung gefallen und fie waren hoͤchſt erfreut und ver- 
weilten in biefer Freude in Nom mehrere Tage auf das 
Heiterfte. Als fie nun aber der Papft von bem Befehle 


36. Die Vergiftung. 205 


eines Kreuzzuges entbunden, orbneten fie ihre Abreife an. 
Die Frau fagte zu ihrem Mann: Ich gebe dir biefe 
Jünglinge als deine Söhne und befehle fie dir. Geh 
bin mit Gott! Ich will hierbleiben zum Heil meiner 
Seele und mich von ber Welt zurüdiehen. 

Ihr Gemahl antwortete: Er werde nimmermehr von 
Nom abreifen ohne fie, und fo entftand zwiſchen ihnen 
ein heftiger Streit. Aber der Papft und der König von 
Frankreich ihr Bruder baten fie fo lange, bis fie mit 
ihrem Gatten die Rückreiſe antrat, und fo war dieſer 
der glücklichſte Herr von der Welt. Sie nahmen Ab- 
fhieb vom Papſte, reiften hinweg und begaben fich mit 
dem König von Frankreich nach Frantreih, wo große 
Feftlichkeiten angeftellt wurden, und von dort ‚gingen fie 
weiter nach England. 


36. Die Vergiftung. 


(Tag 233, Nov. 2.) ’ 


In ber Romagna lebte vor Zeiten ein fehr reicher 
Edelmann, welcher einen durch Kenntniffe und jeden 
andern Vorzug gefihmüdten Sohn beſaß. Als deſſen 
Mutter geftorben war, hatte der Vater fich eine andere 
Frau beigethan und mit ihr einen zweiten Sohn gezeugt, 
welcher bereitö zwölf Jahre alt war, als der ältere Sohn 
zweiundzwanzig zählte. Die Stiefmutter nun, mehr mit 
Reizen ald mit guten Sitten gefehmüdt, ließ ſich von 
der Schönheit des Sn ai fo fehr blenden, daß fie 
fi) Heftig in ihn verlieh. Diefes Weib hüllte zwar 
dieſe Liebe in tiefes Schweigen, ſo lange im Beginne 
noch ihre Kräfte der Sache gewachſen waren; als aber 
die fluchwürdige Glut ihr Mark und Leben durcchdrang, 





206 III. Giovanni Fiorentino. 


fah fie ſich genöthigt, ber Liebe nachzugeben, fie ftellte 
fih körperlich leidend, um bie Bunde des Herzens zu 
verbeden, und that als wäre fie von einem fchleichenden 
Fieber befallen. Am Ende nun ließ fie, getrieben von 
ihren feurigen Wünfchen, durch eine Dienerin ihren Stief- 
fohn rufen. Diefer, welcher an alles andere dadıte, als 
an fo etwas, trat in ihr Gemach und befragte fie mit 
freundlicher Miene um bie Urfache ihrer Krankheit. Diefe 
Worte famen der Frau eben recht, fie warb etwas fühner, 
bededte ihre Geficht aus Schaam mit einem Betttuche, 
und bub an, indem fie ihre Worte mit einer reichen 
Maffe von Thränen begleitete, alfo zu ſprechen: Die 
Urfache und der Anfang meines jegigen Übel und meines 
fo heftigen Schmerzes, aber auch meine Arzenei und 
Heilung das bift du felber. Diefe deine glänzenden 
"Augen find durch meine Augen bi8 in die Kammern 
meines Herzens gebrungen und haben in meinem armen 
Bufen ein ſolches Feuer entzündet, daß ich es nicht mehr 
aushalten kann. Habe daher Erbarmen mit einem Weibe, 
das um deinetwillen umfommt! Laß dich nicht zurüd- 
fchredden von dem Verwandtfchaftsbande mit deinem Vater, 
denn du kannſt ja derjenige werden, der ihm feine arme 
Gattin erhält, die ohne deinen Beiftand ihr Leben nicht 
mehr friften ann, die in dir fein Bild mwiebererfennt 
und in deinen Zügen und mit Recht ihren Gatten liebt. 
Da wir beide bier allein find, haben wir alle Sicherheit 
und Bequemlichkeit, welche du verlangft. Was gefchieht, 
ohne daß es jemand erfährt, ift faft eben fo gut; als 
wenn es nicht geſchaͤhe. 

Dem mwohlgefitteten Jüngling ſchwindelte es ganz vor 
Entſetzen, als er dieſes empörende Anſinnen vernahm; 
aber obgleich er dieſe greuliche Sünde ſo höchlich verab⸗ 
ſcheute, daß er gerne ihr aus den Augen gegangen wäre, 
ohne ihr, weiter zu antworten, fo ſchien es ihm doch nach 
befferer Überlegung nicht gerathen, fie mit einer fo plög- 
lichen abfchlägigen Antwort aufzubringen, vielmehr dachte 














3%. Die Vergiftung. 207 


er, ed wäre paſſender, fie durch einen Aufſchub hinzu⸗ 
halten, um zu verfuchen, ihr einen fo unreinen und felt- 
famen Gedanken aus dem Sinne zu fohlagen. Darum 
antwortete er ihr, fie folle nur forgen gefund zu werden 
und gutes Muths fein; er verfpreche ihr, ihre Liebe aufs 
befte zu belohnen. Mit diefen Morten befchwichtigte er 
fie für den Augenblid. Da nun der Süngling bei fich 
erwog, daß bei einer fo außerordentlihen Noth auch eine 
ungemeine Abhilfe nöthig fei, fo eradhtete er es für an« 
gemeffen, die ganze Sache einem verftändigen Greife 


anzuvertrauen, bei welchem er feine Kindheit nützlich zu⸗ 


gebracht hatte, und der noch jept ihn durch die Fahrniffe 
der Jugend leitete. Der Meifter wußte wohl, was ein 
rafendes Weib vermag, und glaubte daher, man müffe 
mit ſchnellen Schritten dem drohenden Sturme des graufa- 
men Schickſals entfliehen. Doch che noch die kluge Über- 
legung ins Werk gefegt werden fonnte, wußte bad unge 
duldige junge Weib, welcher ein einziger Tag in Erwar⸗ 
tung auf die Erfüllung ihres ſchändlichen Verlangens fo 
lang währte wie ein Jahr, es dahin zu bringen, daß fie 
ihren Mann die Anficht einredete, es wäre gut, wenn 
er auf eine ihrer Befigungen ginge, da fie gehört babe, 
ed gehe dort nicht zu, wie es follte;s auf diefe Art trieb 
fie ihn auf mehrere Tage aus dem Haufe. Als der 
Gatte fort war, beläftigte fie flündlih den SJüngling 
mit der Mahnung, er folle fein Verſprechen erfüllen. 
Diefer aber ergriff bald diefe bald jene. Entfchuldigung 
und legte es darauf an, ihre Luſt fo lange mit Worten 
zu befriedigen, bis er fich durch eine von ihm beabſich⸗ 
tigte lange Reife aus ihrem Bereiche entfernen könnte. 
Die Frau, welche die ſtarke Hoffnung mehr als gewöhnlich 
ungeduldig gemacht, und welche an den bebeutungslofen 
Entfchuldigungen gemerkt hatte, daß er, je mehr er ver⸗ 
fprah, um fo mehr fi von der Erfüllung von irgend 
etwas entfernte, wurde unwillig und verwandelte plöglich 
die verbrecherifche Liebe in einen noch weit ruchlofern Haß. 


— — 


208 III. Giovanni Fiorentino. 


Sie berieth fich mit einem ihrer Sklaven, dem fie großes 
Vertrauen fchenkte, welhen Weg fie einfchlagen müffe, 
um fih an ihm zu rächen, der ihre feine Zufage nicht 
halten wollte; und fie befchloffen endlich, dem armen 
Füngling mit Gift das Leben zu nehmen. Der bübifche 
Sklave zögerte nicht, diefen graufamen Vorfag zur Aus- 
führung zu” bringen; fondern ging alsbald aus dem Haufe 
und Fehrte erft Abends fpät zurüd mit einem Getränk in 
einem Becher; er vermifchte es in dem Schlafzimmer der 
Frau mit- Wein und ftellte es in einen Schrank, wo fich 
die Eßwaaren befanden, mit der Abficht, ed am folgenden 
Morgen beim Frühftüd dem unglüdlichen jungen Manne 
vorzufegen. Das Schidfal aber wollte es anders und 
der Sohn jenes böfen Weibes, welcher, wie gefagt, zwölf 
Jahre alt war, kam am Morgen aus der Schule zurück, 
verzehrte einen Heinen Imbiß und fühlte darauf Durft. 
Da ihm nun jenes Glas mit dem giftigen Gebräu in 
die Hände fiel, melches aus Fahrläffigkeit in dem Schrank 
unverfchloffen ftehen geblieben war, trank er es ganz aus 
und fant bald darauf wie todt zu Boden. Als das 
Gefinde diefen Fall bemerkte, machte man Lärm, die 
Mutter lief hinzu und man kam gleich auf den Gedanken, 
ber Knabe fei vergiftet. Die Mutter ging mit dem Diener, . 
welcher das Getränk gekauft hatte, bei Seite, fie fprachen 
heimlich miteinander und berathfchlagten, die Schuld bes 
Verbrechens auf den ältern Sohn zu fehieben. In Folge 
deſſen erflärte der Diener öffentlich, er wiſſe gewiß, daß 
der ältere Sohn es fei, welcher die Unthat begangen habe, 
denn er habe ihm vor wenigen Tagen erft funfzig Thaler 
verfprochen, wenn er ihn umbringen molle; da er jedoch 
hierzu fich nicht herbeigelaffen babe, fo habe jener ihm 
mit bem Tode gedroht, wofern er irgend jemand davon 
fage. Die Frau ließ alsbald Häfcher kommen und kraft 
der von dem Knechte gemachten Anzeige ihren Stieffohn 
ins Gefängniß führen. Darauf fchidte fie einen Boten 
an ihren Gatten, um ihn von bem Vorfall in Kenntniß 


36. Die Vergiftung. j 208 


zu fegen. Ihr Gemahl kam fogleich herbei und fie ließ 
ihm von dem Diener das Zeugniß vorfagen, welches er 
fhon früher abgelegt Hatte. Sodann fügte fie felbit hinzu, 
fein Sohn habe dies gethan, weil fie feinem wollüftigen 
Begehren nicht babe Folge geben wollen und er habe 
fie überdies auch mit bem Tode bedroht. Der unglüd- 
liche Vater beklagte ſich heftig, al® er fah, wie man ben 
jungften Sohn zu Grabe trug, während der andere als 
Brubermörber der Zodesftrafe verfallen fei; und getäufcht 
von dem heuchlerifchen Iammergefchrei feiner Frau ent- 
flammte fich fein Zorn immer mehr gegen feinen Sohn. 
» Kaum war bie. Leichenfeier zu Ende, als der beflagend- 
werthe Vater vom Grabe hinmegeilte und fo wie er war, 
mit verweintem Geficht nach dem Rathhauſe ging, wo- 
felbft er mit Thränen und inftändigen Bitten auf den 
Tod feines nunmehr einzigen Sohnes drang, ben er einen 
Blutfchänder nannte, weil er das Bert feines Vaters 
babe befleden wollen, Brudermörder, weil er feinen 
Bruder umgebracht, und Zodtfchläger, weil er feiner 
Stiefmutter das Leben zu nehmen angebroht. Er hatte 
mit biefen Klagen die Gemüther des Volkes fo fehr zur 
Entrüflung aufgeregt, daß alle riefen, man müßte ihn, 
ohne viel Zeit zu verlieren mit Anklage und Verthei⸗ 
digung, für diefe Sünde öffentlich durch Steinigung be- 
ſtrafen. Die Richter fagten jedoch, fie wollen nach altem 
Brauche den Spruch erft nach forgfältigem Verhöre fällen, 
und wollten nicht zugeben, daß ein fo graufames Beifpiel 
aufgeftellt und aus Erbitterung ftatt auf gerechte Beweiſe 
hin ein Menfch getöbtet werde. Es wurde daher förmlich 
und gefegmäßig der Angeklagte vor Gericht befchieden und 
der Anklageprozeß begonnen. Der Vater fagte, fein älterer 
Sohn Habe ben jüngern vergiftet und es Tiege dafür ein 
fiherer Beweis vor, da er wenige Tage zuvor verfucht 
habe, ihn durch einen Diener umbringen zu laffen, wel 
chem er funfzig Thaler verfprochen habe. Als der Jüng⸗ 
ling befragt wurde, leugnete er alles. Nachdem Anklage 





210 III. ®iovanni Yiorentinc. 


und Bertheidigung ftattgefunden hatte, wollten die Richter 
doch bie Sache nicht auf Bermuthungen und Verdachts⸗ 
gründe hin abmachen, fonbern verlangten fichere Beweiſe 
und beftimmte Wahrheit. Darum befchloffen fie, der 
Knecht folle ihnen vorgeführt werden, und fo wurde denn 
dieſer Galgenvogel herbeigebracht, trat mit dreiſter Stirn 
vor die Richter und machte diefelbe Ausfage, die er fhon - 
dem Water gemacht, ja er fügte hinzu, er wolle bie 
Wahrheit feiner Worte mit dem SJüngling auf der Folter 
befräftigen.. Da war nun fein Richter dem Jüngling 
fo günſtig gefinnt, der nicht geurtheilt hätte, man müffe 
erft den SJüngling auf die Folter fpannen und alsdann,« 
‘ wenn berfelbe beim Leugnen beharre, auch den Knecht. 
Da erhob fi ein in jener Stadt fehr angefehener recht- 
fhaffener Arzt umd ſprach alfo: Ich ſchmeichle mir, fagen 
zu können, daß ich bis daher unter euch für einen red⸗ 
lichen Mann gegolten babe, und fannı nicht zugeben, baf 
biefer unfchuldige Jüngling ungerechter Weiſe von euch 
gefoltert oder getödtet werde. Aber mas hilft bad, wenn 
ich allein mich der Behauptung eines Andern widerfege? 
Und doch bin ich der, für den ihr mich haltet, und ber 
Andere ift ein niederträchtiger Schurke, der nicht einen, 
fondern taufend Galgen verdient. Sch weiß, daf mein 
Gewiſſen mich nicht betrügt, und barum hört den wahren 
Tharbeftand der Sache! Diefer Schurke fam zu mir 
und wollte ein plögliches Gift von mir kaufen, wofür er 
mir einen reis von funfzig Golbducaten anbot, indem 
er vorgab, deffelben für einen Kranken bebürftig zu fein, 
welcher Tag und Nacht von einer unheilbaren Waſſer⸗ 
fucht und taufend andern Schmerzen gepeinigt werde 
und fehnlich wünſche, durch die Arzenei des Todes über 
fo große Mühſal hinwegzukommen. Da ich fah, wie 
‚ verlegen ber Spigbube um Worte war, mit welchen er 
feine lifligen Vorwände befchönigen follte, ſchöpfte ich 
Verdacht, er möchte irgend einen böfen Anfchlag im 
Kopfe haben, und war im Begriff, ihm die Thüre zu 





36. Die Vergiftung. 3211 


weifen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ich «6 
ihm abſchlage, fo werde er zu einem anbern gehen, der 
vielleicht minder vorfüchtig fei, als ich, und ihm in feinem 
Begehren willfahre; ich hielt e8 daher für geratben, ihm 
einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber 
von einer Befchaffenheit, die ihr fpäter hören werdet. 
Da ic überzeugt war, daß man ber Sache mit der Zeit 
nachſpüren werde, wollte id) den Preis, den er mir anbot, 
nicht fogleich nehmen, fondern fagte zu ihm: Ich fürchte, 
einige von dieſen Ducaten möchten falfc oder zu leicht 
fein; thue fie daher wieder in dieſes Säckchen und fiegele 
6 mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit 
wollen wir alsdann zufammen nach der Bank gehen und 
fie unterfuchen laſſen. Er ließ fich überliften und ich 
brachte ihn dahin, daß er den Sad mit feinem Siegel 
ſchloß. Ic Habe ihn foeben durch meinen Diener holen 
laſſen und will es euch zeigen. Er mag es fehen und 
fol fein Siegel anerkennen und darauf erklären, auf 
welche Art er diefen braven Süngling befchuldigen will, 
feinem Bruder Gift gegeben zu haben, wenn er doch 
felbft es gekauft hat. 

Während dieſer wadere Mann fo fpradh, war ber 
elende Sklave blaß geworden wie eine Leiches er zitterte 
und einzelne Tropfen eisfalten Schweißes traten ihm auf 
Die Stimme; er trat bald vorwärts bald zurüd, drehte 
ben Kopf bald fo bald anders und fing an mit klein⸗ 
lautem Munde einiges unpaffende Zeug hervorzuftammeln, 
fodaß ihn vernünftiger Weife niemand hätte für unfchuldig 
erklären konnen. Nichts befto weniger befämpfte der ver 
meſſene Schurke feine Furcht mit feiner Frechheit, ver- 
fcheuchte fie und warb fo muthig, daß ihm feine alte 
‚Berfchlagenheit wiederfam und er mit feiner vorigen 
Geiftesgegenwart ben Arzt der Lüge zieh und alle feine 
Ausfagen Ieugnete. Der unbefcholtene Greis aber be 
fann fih, um nicht in feinen legten Jahren ſeinen un- 
befledten Ruf zu befubeln, auf Mittel, die Wahrheit in 





212 II. Giovanni Fiorentino. 


der Sache and Licht zu bringen. Er forderte daher einen 
ber Diener der Gerechtigkeit auf, dem Sklaven feinen 
Ring vom Finger zu ziehen, und als man ihn mit dem 
Siegel des Sädchens verglich, ergab fich die Überein⸗ 
flimmung beider. Die Richter erklärten e8 demnach für 
einen binreichenden Beweis, um ihn auf die Folter zu 
bringen. Dan gab ihm mehrere Steeihe mit dem 
Stricke, aber noch immer beharrte er auf feinem Leugnen. 
Darauf fagte der Arzt zu ben Richtern: So wiffet denn, 
daß, als mic, dieſer Verruchte, wie ich bereits erzähle 
babe, bewegen wollte, ihm Gift auszuhändigen, ich aber 
es für einem rechtfchaffenen Arzte unziemlich hielt, den 
Tod eines Menfchen zu veranlaffen, dieweil ich überzeugt 
bin, daß die Heiltunde den Menfchen vom Himmel ge- 
offenbart worden ift zum Wohl und nicht zum Schaden 
bes Menfchengefchlechts, und als ich fürchtete, wie ich 
euch gleichfalls gefagt habe, er möchte zu einem andern 
gehen, welcher aus Geldgier ihm das gegeben hätte, was 
er verlangte, dag ich ihm fein Gift gegeben habe, fondern 
einen Alrauntrank, welcher fo tief in Schlaf fentt, daß, 
fo fange feine Kraft dauert, der, der ihn zu ſich genom- 
men hat, wie todt ausfieht. Wenn num jener Knabe den 
von mir gemifchten Trank genommen hat, fo lebt er, ruht 
und fhlummert. Sobald die Kraft der Natur den dichten 
Nebel diefes Schlummers verjagt haben wird, wird auch 
unfere Sonne fo ſchoͤn wie zuvor ihm leuchten. Iſt er 
aber wirklich todt, fo fucht die Urſache anderswo. 
Nachdem der Arzt diefe Worte gefprochen hatte, 
ſchien es Allen das Wichtigfte, ohne Verzug nach dem 
Begräbnißorte des Knaben zu gehen, um fich über den 
Fall Aufklärung zu verfchaffen. Man brachte daher den 
Diener fowte den andern ältern Sohn in das Gefängniß 
und Alle gingen nach der Gruft. Dort angelangt, ließ 
es fich der Vater nicht nehmen, mit eigenen Händen ben 
Stein über dem Grabe wegzumälzen. Und die Hilfe 
durfte auch nicht länger ausbleiben, denn die Natur hatte 


36. Die Vergiftung. 211 


weifen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ic es 
ihm abſchlage, fo werbe er zu einem andern gehen, ber 
vielleicht minder vorfichtig fei, als ich, und ihm in feinem 
Begehren willfahre; ich hielt es daher für gerathen, ihm 
einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber 
von einer Beichaffenheit, die ihr fpäter hören werdet. 
Da ich überzeugt war, daß man ber Sache mit ber Zeit 
nachſpuͤren werbe, wollte id den Preis, den er mir anbot, 
nicht fogleich nehmen, fondern fagte zu ihm: Ich fürchte, 
einige von biefen Ducaten möchten falfch ober zu leicht 
fein; thue fie daher wieder in dieſes Sädchen und fiegele 
es mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit 
wollen wir alsdann zufammen nad) der Bank gehen und 
fie unterfuchen laſſen. Er ließ fich überliften und ich 
brachte ihn dahin, daß er den Sad mit feinem Siegel 
durch meinen Diener holen 

en. Er mag es fehen und 

und barauf erklären, auf 

Züngling beſchuldigen will, 

zu haben, wenn er doch 


Mann fo ſprach, war ber 
mie eine Leiche er zitterte 
ı Schweißes traten ihm auf 
rwärts bald zurüd, drehte 
ers und fing an mit klein ⸗ 
mbde Zeug hervorzuflammeln, 
niemand hätte für unſchuldig 
> weniger befämpfte ber ver» 
t mit feiner Frechheit, ver- 
authig, daß ihm feine alte 
md er mit feiner vorigen 
er Züge zieh und alle feine 
befcholtene Greis aber ber 
n legten Jahren feinen un 
uf Mittel, die Wahrheit in 


214 II. Giovanni Yiorentino. 
einft einen Spaß zu veranflalten, namlich eine große 
Jagd von wilden ZThieren in der Stadt, und zwar zu - 
Ehren einiger fremden Herren, welche auf Befuch zu 
ihm kommen follten. Er hatte daher aus verfchiedenen 
Gegenden mit fehr bedeutenden Koften eine große Menge 
wilder Thiere zuſammengebracht, worunter viele Bären 
waren; nun blieben aber die Herren, um deren willen 
hauptſãchlich bie Jagd angeftellt werden follte, länger, 
ale man erwartet hatte, ans, die Thiere konnten das 
eingefchloffene Leben nicht vertragen und viele farben, 
und da fie auf die Straßen geworfen wurden, kamen 
die armen Leute daher und zogen ihnen die Haut ab, 
um fie zu eſſen. So war denn auch eine fehr große 
und erfchrediich. anzufchauende Bärin geftorben und eine 
Räuberbande, die vor kurzem in die Stadt gekommen 
war, gründete auf diefe Bärin einen Plan, den Demo- 
crate Kiftig zw berauben und zwar auf folgende Weiſe. 
Sie nahmen bie tobte Bärin, trugen fie in ihre Woh- 
nung und zogen ihr geſchickt die Haut ab, ließen aber 
Kopf und Füße ganz Nachdem fie das Fell gänzlich 
vom Fleifche gereinigt hatten, beftreuten fie es mit Aſche 
und legten es in die Sonne, um ed zu trocknen; inmit⸗ 
telft ließen fie fih8 wohl fein, indem fie das Fleiſch ver 
fpeiften. Als das Fell troden war, ftedten fie nach ber 
bereitd unter ihnen getroffenen Verabredung einen der 
Ihrigen mit Namen Trafileo hinein, nähten es forgfältig 
zufammen und bebediten die Naht mit den dicken Borften, 
fodaß man fie nicht fehen fonnte; an die Stelle, wo der 
Bärin die Kehle durchfchnitten wurde, kam Xrafileo’s 
Kopf zu ftehen und fand Raum genug um zu athmen 
und zu fehben. So mußte man meinen, es fei eine wirf- 
liche Bärin. Nachher kauften fie einen Käfig und fperrten 
ihn binein. Als die Sache fo weit war, erhielten fie, 
um ihren Betrug vollzumachen, eine Anzeige von einem 
gewiffen Nicanore aus Albano, welcher in genauer Freund» 
haft mit jenem Democrate fehen follte und in feinem 


36. Die Vergiftung. 211 


weifen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ich es 
ihm abſchlage, fo werde er zu eimem andern gehen, der 
vielleicht minder vorfichtig fei, als ich, und ihm in feinem 
Begehren willfahre; ich hielt es daher für gerathen, ihm 
einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber 
von einer Befchaffenheit, die ihr fpäter hören werdet. 
Da ich überzeugt war, daß man ber Sache mit ber Zeit 
nachſpüren werde, wollte ih den Preis, den er mir anbot, 
sicht fogleich nehmen, fondern fagte zu ihm: Ich fürchte, 
einige von biefen Ducaten möchten falfc oder zu leicht 
fein; thue fie daher wieder in dieſes Sadchen und fiegele 
“8 mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit 
wollen wir alsdann zufammen nad) der Banf gehen und 
fie unterfuchen laffen. Er ließ fich überliften und id) 
brachte ihn dahin, dag er den Sad mit feinem Siegel 
ſchloß. Ich Habe ihn foeben durch meinen Diener holen 
laſſen und will e8 euch zeigen. Er mag es fehen und 
fol fein Siegel anerkennen und darauf erklären, auf 
welche Art er diefen braven Jüngling befchuldigen will, 
feinem Bruder Gift gegeben zu haben, wenn er doch 
felbft es gekauft hat. 
Während diefer wackere Mann fo ſprach, war ber 
elende Sklave blaf geworden wie eine Leichez er zitterte 
und einzelne Tropfen eisfalten Schweißes traten ihm auf 
Die Stine; er trat bald vorwärts bald zurück, drehte 
ben Kopf bald fo bald anders und fing an mit klein⸗ 
lauten Munde einiges unpaffende Zeug hervorzuftammeln, 
fodaß ihn vernünftiger. Weiſe niemand hätte für unfchuldig 
erklären können. Nichts defto weniger befämpfte der ver- 
mefjene Schurke feine Furcht mit feiner Frechheit, ver- 
fcheuchte fie und warb fo muthig, daß ihm feine alte 
‚Berfchlagenheit wieberfam und er mit feiner vorigen 
Geifteögegenwart den Arzt der Lüge zieh und alle feine 
Ausfagen leugnete. Der unbefcholtene Greis aber be 
fann fih, um nicht in feinen legten Jahren_feinen un- 
befleten Ruf zu befubeln, auf Mittel, die Wahrheit in 


0 


216 III. Giovanni Fiorentino. 


Nach diefen Worten nahmen bie Räuber Abfchied 
und gingen ein wenig vor bie Stadt hinaus, wo fie an 
einer abgelegenen Stelle etwas abfeitd der Straße neben 
einem Kirchlein ein Grabmal fahen. Sie hoben den Dedel . 
auf, der von der Länge der Zeit ganz abgenugt war, 
fanden bie Gebeine ber Todten ganz in Staub gefunten 
und dachten, das wäre ein paffender Pla um das zu 
verftecden, was fie aus dem Haufe des Democrate ber- 
vortrügen. Sie erwarteten nun die dunkelſte Zeit ber 
Nacht, das heißt die Stunde, in welcher der Schlaf 
mit feiner erften Heftigkeit ſich der Sterblichen bemeiftert, 
und ftellten fi) mit ihren Werkzeugen bewaffnet vor 
Democrate's Haufe auf. Traſileo war inmittelft nicht 
weniger thätig geweſen; denn er hatte, fobald er merkte, 
dag Alles fchlief, den Käfig verlaffen, den Pförtner mit 
einem Meſſer erftohen, dann bie Thüre geöffnet und 
feine Genoſſen eingelaffen. Sobald die Spigbuben im 
Haufe des Democrate waren, zeigte ihnen Zrafıleo eine 
Vorrathskammer, worin er das Silber hatte nieberlegen 
fehen. Sie öffneten mit ihren Eifenwerkzeugen die Thüre, 
beluden fich mit dem, was fie tragen konnten und brachten 
es in das obengenannte Begräbnig und ließen einen von 
ihnen, während fie zurückkehrten, um das Übrige wegzu⸗ 
tragen, zurüd, um in ber Nähe der Thüre zu beachten, 
ob im Haufe eine Bewegung entfiche; denn fie dachten 
bei fich, der Anblid jener Bärin würde binreichen, um 
bie Dienerfchaft zu fehreden, wenn einer davon etwa auf- 
wachen ſollte. Es ftund allerdings auf das Geräufch hin 
ein Diener des Haufes auf und ging an bie Thüre, um 
zu fehen, ob der Pförtner dort fei. Er fah ihn todt und 
das wilde Thier im Daufe umbergehben. Darum fchlich 
er leife hinweg und erzählte ben andern, was er gefehen. 
Da dauerte es denn nicht lange, fo war das Haus voll 
von Männern mit brennenden Fadeln, fodaf de Fin⸗ 
fterniß floh, und alle .ohne Ausnahme brachten Waffen 
mit; die einen kamen mit Panzern, andere mit Lanzen 


37. Bürenjagd. 97 


und Spiefen und viele mit bloßen Schwertern; ja, was 
noch mehr ift, fie ließen große Sagbhunde kommen und 
umzingelten allefammt die arme Bärin, ſodaß fie fie 
graufam umbrachten, ohne daß der Menſch darin einen 
Laut von ſich gab. Dennocd, hatte er allen, die es fahen, 
einen ſolchen Schrecken eingejagt, daß auch den Xobten 
feiner zu berühren wagte. Am Ende als ein Zleifcher 
das Thier fehinden wollte, entkleibete er den armen un» 
glücklichen Räuber. 


Italianiſcher Novellenfchag. 1. 10 


IV. Luigi Pulei. 


1432. 


38. Zwei Stüdlein aus ‚Siena. 
An Zrau Ippolita, Tochter des Herzogs von Mailend und 
Gemahlin des Herzogs von Galabrien. 


Maſuccio, der Ruhm der Stadt Salerno, der Nach⸗ 
ahmer unſeres Meſſer Giovanni, hochwohlgeborne Frau 
Ippolita, hat mir Muth gemacht, euer fürſtlichen Gnaden 
zu ſchreiben, als ich in dieſen Tagen in ſeinem Novellen⸗ 
buch viel anmuthige Dinge las. Da ich erfuhr, daß 
ſelbige von euer Herrlichkeit gnädig aufgenommen und 
gelefen worben, machte ich es wie die Schiffer, welche 
ihre Fahrzeuge dahin zu richten pflegen, wo fie denken, 
daß ihre Waaren Abfag finden. Ich möchte nun aber 
zu der Claſſe derjenigen gerechnet werden, welche ihrem 
Geſchick und dem ſchwanken Brette nicht zu fehr ver- 
trauen und für den Anfang nur Feine — — 
machen. So iſt denn meine Abſicht und Wunſch, nur 
in Kürze eine kleine Novelle von einem Buͤrger von Siena 
zu erzählen, die ich vor wenigen Jahren als wahr ver⸗ 
nommen habe. Dieſer beging zumeiſt aus reiner Einfalt 
einen Fehler, ohne dabei an etwas Schlimmes zu denken. 
Glaube jedoch niemand, daß ich dies aus Haß oder ſonſt 
in böſer Abſicht ſchreibe, denn ich war immer der Freund 
jener erlauchten Stadt. Auch hat mich dazu nicht der 
Umſtand bewogen, daß wir zum Schreiben von ihnen 
ſind herausgefordert worden, indem ein gewiſſer Siener 
eine Anzahl Novellen angefertigt hat, in welchen er immer 
Florentiner einführt, die auf verſchiedene Weiſe von den 





38. Zwei Gtüdlein aus Siena. 219 


Sienern hintergangen worden ſeien; benn ich meines Theils 
würde ed ihnen, fo oft fie mich auch bintergingen, ſtets 
aus Freundfchaft und Bruderliebe bereitwillig werzeihen, 
namentlich im Hinblick darauf, wie unfer Heiland ja auch 
denen am Kreuz verziehen bat. Und ich mache darum 
Beinen Anſpruch auf den Lorbeerkranz; fondern wenn ich 
auf irgend eine Weiſe .einer fo hochanſehnlichen Frau 
mic, gefällig ermeifen könnte, indem ich hiervon ober 
von andern paffendern Dingen fchreibe, da wir ung doch 
manchmal in allerlei Gelehrſamkeit und fhönen Wiffen- 
fhaften geübt haben, fo wäre dies der wahre und rechte 
Preis und’ den wir allein für all unfere Bemühung an- 
ftreben. *) ' 

Zur Zeit, da Papft Pius**) zu Eorfignano ***) war, 
begab ſich zu Siena ein merfwürdiger thörichter Streich. 
Diefer wahrhaft würdige und mit Recht höchfte Oberhirt, 
der den Namen bes hochberühmten Trojaners wohl ver 
diente, war. gelommen, um feinen alten Wohnort wieder 
aufehen und wiederaufzubauen, der von ihm ewigen Ruhm 
haben wird. Schon offenbarten fich die prächtigen Palaͤſte 
und die andern Gebäude, welchen die hohen Mauern nicht 
gleichlommen konnten, und das Gerücht flog Durch die ganze. 
Stadt des Pius. Infonderbeit aber wollte Siena vor 
Selbſtgefühl und Verwunderung faft plagen. Ein Ein- 
wohner bdiefer Stadt, der noch am Leben ift und für 
einen fehr geachteten Kaufmann gilt, war in feinen frü⸗ 


*) Den Schluß der Debication, blos aus perſoͤnlichen Lobſprüchen 
und Gomplimenten beftehend, übergehe id. 
“) Yius TI, früher Aneas Silvius Piccolomini, Yapft von 
1468 — 1464. 
“-) Hartmann Schebel im Liber chronicarum(Augdb.1497,931.281) 
fagt: Pius eius nominis secundus papa Eneas cognomento Picol- 
“ homineus antea vocatus, natione Ytalus, Senis oriundus, Cor- 
siniani ortus, patre Silvio, matre Victoria.... is Corsiniani 
cum per etatem discere potuisset grammaticam didicit; annum 
vero XVII agens Senas proficiscitur, ubi a necessariis et 
cognatis adiutus poetas prime, mox oratores audivit. 
10* 


2320 VV. Buigi Pulci. 


heren Jahren ein guter Kamerab und vertrauter Freund 
des Aneas Piccolomini geweſen, ſie hatten einen großen 
Theil ihrer Kindheit miteinander verlebt und da allerlei 
Dinge ausgeführt, wie es ihr Alter und der Ort mit 
ſich brachte. Als nun dieſer die Wunderdinge von Cor⸗ 
ſignano und vom Papſt hörte, wünfchte er, auch einmal 
binzugehen und ihn zu befuchen und die alte Freundſchaft 
zu erneuern. Da befann er fih nun bin und ber, wie 
er ihm zuerft etwas Paffendes zum Gefchent überfenden 
könne. Oft dachte er, er follte ihm nur eine Schildkröte 
ſchicken, denn er hatte eine gar ſchoͤne. Dann aber ging 
er auf Anrathen der Magd höher hinauf und er hätte 
damals alles gegeben um einen Igel oder eine ähnliche 
Thorheit. Zufällig kam beffelbigen Tages Meſſer Goro 
nad Siena. Sobald unfer Held das erfuhr, fiel ihm 
wie ein Stein vom Herzen, er meinte, Gott habe ihm 
den Mann hergefandt, daß er fich bei ihm wegen bes 
Geſchenkes Raths erholen und ein Mittel ausfindig machen 
Tonne, um fich bei dem Papft wieder in Erinnerung zu 
bringen, denn er wußte, wie viel diefer bei feiner Heilig- 
feit galt und vermochte, und er konnte doch nicht fo 
ohne weiteres hintreten und bem Papft die uralten wurm⸗ 
ſtichigen Geſchichten ins Gedaͤchtniß rufen. Er machte 
ihm daher auf der Stelle einen Beſuch, und als fie fi 
kaum angerebet, rief er ihm entgegen: Nun, was macht 
denn der fromme Heilige, Meffer Ancas? Iſts wahr, 
daß er Papſt geworden iſt? Wir haben vor Zeiten 
manchen Schoppen miteinander getrunken. Ich will zu 
ihm gehen und ihn fragen, ob er auch noch an die 
Backenſtreiche denkt, die ich ihm bei Fontegaia gegeben 
habe, als ich machte, daß er das Geld fallen ließ.*) 


) Die Reden find im Siener BVolktsdialekt, und id weiß nicht, 
ob id} immer recht deutes biezo ift wol dem venediſchen bezzo 
gleich? Bielleicht follten in der Überfepung die Worte in 
Berliner Mundart oder einer ähnlichen wiedergegeben werben. 
Mir ift jedoch Feine folde geläufig. 











38. Zwei Ctüdlein aus Siena. 231 


—* er war damals ber zuderfüßefte Junge von ber 
t. 

Nachdem er noch vieles thörichte Zeug vorgebracht, 
begehrte er, Meſſer Goro ſolle ihm verſprechen, auf den 
Abend mit ihm zu eſſen, und Meſſer Goro nahm es an. 
Darauf ging er hinweg, kehrte nach Hauſe und hielt mit 
ſeinen Freunden Rath, welche Anſtalten zu treffen ſeien, 
um ihm gebührende Ehre zu erweiſen. Sie putzten nun 
das Haus ſehr reich auf; dann ſtritt man ſich über die 
Speiſen, und es war unter ihnen die Rede von Pfauen 
ſammt den Federn, denn fie hatten fagen hören, früher 
babe man ſolche in Rom bei Gaftmahlen gegeben und 
noch jegt fei es in Florenz üblich; aber es war ihnen 
nur wie ein Traum, auch wußten fie nicht eine andere 
Zubereitung zu benten, als im Waffer fieden. So wurde 
denn verabredet, ed auszuführen. Da fich aber Feine 
Pfauen vorfanden, gingen fie auf den Campo *), wo 
andere Sachen der Art verkauft wurden, und bandelten 
zwei wilde Gänfe ein, bie bort feil waren; benn fie 
dachten, diefe haben doc, ziemlich viele Ahnlichkeit mit 
ben Pfauenweibchen wegen gewiſſer Flügelfedern, und 
mit dieſen können fie Meſſer Goro leicht bintergehen. 
Sie fchnitten ihnen bie Füße und die Schnäbel ab, trugen 
fie heim und warfen fie fammt allen Federn in den Sied⸗ 
keſſel, bereiteten. auch mehrere andere Gerichte nad) ihrer 
Weiſe. Am Abend kam nun Meffer Goro und brachte 
noch einige Hofleute mit. Der Wirth empfing ihn ſehr 
heiter und führte ihn, wie es gebräuchlich ift, durch das 
aufgeräumte Haus. Dabei begegnete ihm aber vor lauter. 
Gefälligkeit ein kleines Misgefhid. Er hatte nämlich 
das Wappen bes Papſtes über die Küchenthüre gehängt 


) Der fchönfte oͤffentliche Play in Siena heißt la piazza del campo, 
tiefer als die ihn einfaffenden Gebäude, mit einem ſchoͤnen Brunnen 
von Jacopo della Guercia, der davon den Namen del Fonte bat. 
Bol. E. Foͤrſter's Handbuch für Neifende in Italien. Münden 
1842, ©. 491, 


222 . IV. Luigi Pulci. 


und das bes Meſſer Goro war brimmen im Gußflein. 
Indem er ihm nun dies zeigen wollte, hielt ex Die Lampe, 
die er in der Hand hatte, fo hoch, dag er gar geſchickt 
ihm eine ganze Ladung DI über feinen rothen Mantel 
herabgoß, was denn einige Störung in die Sache brachte. 
Er merkte, daß er etwas Unpaffendes angerichtet hatte, 
308 ihm demnach den Mantel eilig ab und ließ ihn eine 
Weile in feinem faubern Wamms im Saal ftehen, während 
- er in ein Zimmer lief, von da er ihm feinen langen Winter- 
überrod holte, der mit dickem ſchwarzen Schöpfenpelz ge 
füttert war und den er ihm fofort überwarf. Meffer 
Goro ließ ſich das, in Betracht daß es fo ehrlich gemeint 
war, gutmillig gefallen, obgleih damale Sommer und 
bie Hitze nicht unbeträchtlic) war. Unterbeffen maren 
Unftalten zum Händewafchen getroffen worden, man fegte 
Meſſer Goro zu oberft an den Tifh und dann die an- 
dern Hofleute, die mit ihm gelommen waren, unb zu 
Anfang verfpeiften fie viele gute füße Torten. _ Sodann 
wurde Meſſer Goro eine Schüffel vorgefegt mit bem 
Dfauen ohne Schnabel und einer aufgefordert, fie zu 
zerſchneiden. Da derſelbe aber in ſoichem Geichäft 
außer Übung gefommen war, mühte er fich eine gute 
Weile damit ab, die Vögel zu rupfen, und war unge. 
fhidt genug, den Saal und den ganzen Tifch mit Federn 
anzufüllen und dem Meffer Goro und den andern bie 
Augen und ben Mund und die Nafe und die Ohren. 
Sie merkten zwar wol das Lächerliche der Sache, ſchwie⸗ 
gen aber und nahmen, um die Ordnung nicht zu flören, 
‚manchmal einen Biſſen von ben andern Speifen und 
würgten damit wieder einige Federn hinunter. An diefem 
Abend wären Sperber und Habichte gut am Plage ge 
wefen. Als nun bdiefes verwünfchte Gericht abgetragen 
war, kamen viele Braten, freilich mit viel Kümmel. 
Aber alles wäre noch hingegangen, hätten fie nicht noch 
zulegt einen Fehler gemacht, ja in ihrer Thorheit dem 
Meſſer Goro und feinen Begleitern am Eſſen faft einen 


38. Zwei Stacklein aus Siena. 233 


garfligen Spuk gefpiell. Der Hautherr hatte nämlich 
mit feinen Raͤthen verabrebet, den Gaͤſten zu Ehren eine 
Schüffel mit Sulz zu bereiten, und barauf moliten fie, 
wie das manchmal in Florenz und anderswo Sitte if, 
das Wappen bes Papftes und basjenige Meſſer Goro’s 
mit gewiffen Denkfprüchen darſtellen. Dazu nahmen fie 
Dperment, Bleiweiß, Binnober, Grünfpan und anberes 
tolles Zeug und fo wurbe die Platte dem Mefier Goro 
mit großen Prunk und als etwas ganz Beſonderes vor- 
geſeht. Meſſer Boro und alle feine Begleiter ließen fich 
auch umfomehr davon belieben, als fie damit ben Ge 
ſchmack der. bittern Kümmelbrühen und der andern felt 
famen Speiſen wegzubringen bofften, in ber Vorausſetzung, 
es fei aus Beftandtheilen zufammengefegt, wie man fie 
anderwärts, wo es recht zugeht, anwendet, als Safran, 
Mandelmilch, Sandelholz, Kräuterfäften und dergleichen. 
So fehlte wenig, daß nicht die Nacht darauf einer ober 
ber andere von ihnen ins Gras beißen mußte; namentlich 
Hatte Meſſer Goro Kopfſchmerz und Magenbefchwerden 
und gab vielleicht alle Federn ber wilden Gänfe wieber 
von fih. Nach jenem teuflifhen vergifteten Effen Fam 
noch ziemlich vieles Zuckerwerk und damit war die Mahl- 
zeit zu Ende. Der Wirth war dabei dem Meffer Goro 
beftändig zur Seite geweſen, Ichnte auf feinem Rüden 
und über den Kopf und wich ben ganzen Abend nicht 
von bee Stelle, fobaf er theils wegen biefer Zudringlich⸗ 
Leit, theils wegen des unpaffenden langen Uberkleides 
ben ganzen Abend vor Hige faſt verſchmachtete. Dabei 
ſchwatzte der Wirth unaufhörlich nach feiner Weife vom 
Papſt und ließ endlich noch durch feine zwei Knaben 
eine Schaufel bereiten*), was den Gäften ein erfchred- 


*) Yuld führt von diefem Spiel, das er zuerft, vermuthlich ſieniſch, 
le bisciaecole nennt, noch „damit man es beſſer verftehe” 
folgende Benennungen aus andern italiänifhen Städten an, 
welche wir deuti nit wohl wiedergeben koͤnnen: aus Florenz 
Yaltalena, Piſa anciscocolo, Golle il pendoio, Mom la prendi- 


32 IV. Buigi Yulci. 


liches Spiel vorkam. Ein guter. Theil ber Nacht war 
jegt vorüber und Meffer Goro fammt feinen Begleitern 
aus ‚mehr ald einem Grund ber Thorheiten ihres Wirthes 
müde; deshalb nahmen fie Abfchied und gingen nach Haufe, 
wo fie während einer übeln Nacht mehr als einmal ver- 
anlaßt waren, das Nachteffen zu bereuen. Der aber, 
ber es veranftaltet hatfe, war ber Meinung, es fei alles 
ganz vortrefflih abgelaufen, abgefehen von der großen 
Zampenfpur, welche Meffer Goro an feinem Mantel mit 
fortnahm; und er dachte in feinem ‚Sinn, das Rupfen 
der gefottenen Gänfe fei doch ein flattliches Schaufpiel 
geweſen. In dieſer Überzeugung, ‚worin ihn noch bie 
höflichen Reben des Meſſer Goro beftärkten, verließ er 
am andern Morgen früh die Stadt, um allerlei Gefchäfte 
ins Reine zu bringen und fodann einige Zage um fo 
ungeftörter in Corfignano fein zu können. Da nun das 

Schickſal fehr fcharffinnig iſt und wie. mich deucht alle 
ft auffindet, wenn ed einmal einen recht zum Narren 
machen. will, begab es fich, daß, als an demfelbigen Tag 
unfer ſchlimmer Vogel nach Siena zurüdtehrte, er einen 
andern. noch feltfamern Vogel, als er felber war, auffand. 
Es ging nämlich ein Landmann ein wenig vor ihm drauß 
auf ber Straße, melcher einen Grünfpecht gefangen hatte 
und ihn zum Verkauf nad) Siena trug. Diefer Vogel 
trägt außer feinem grünen Kleide am Kopfe noch einige 
rothe Federn und pflegt mit feinem langen Schnabel gar 
ſehr die Ameifen zu verfolgen, weshalb unfere Poeten 
fabeln und erzählen, es fei ein alter Konig von Stalien 
geweſen Namens Picus, der fi in diefen Vogel wer- 
wandelt habe. Darum behält er auch noch im Italiä- 


fendola, Genua lo balsico, Neapel la salimpendola, Mailand 
lidoca. Gaͤbe uns jemand eine Beihreibung und Geſchichte 
volksmaͤßiger Spiele, fo wäre das ſicher eine dankenswerthe Arbeit. 
Manches Intereſſante dafür theilt ſchon Regis zum Rabelais 
(U, 98. 115. 452. 582.) mit. Das Wörterbud der Grusca . 
befäpreibt die altalena als Kinderfpiel ganz wie unfere Schaufel. 


38. Zwei Stüdlein aus Biene. 2235 


nifchen den Namen bei und die Streifen des Töniglichen 
Manteld.*) Als unfer Siener den Vogel fah, meinte er, 
es fei ein Papagai, und plöglich fiel ihm ein, das wäre 
ein paffendes Gefchent, um es dem Papſt zu fenden, 
ftug demnach den, der ihn trug: Wo traͤgſt du den 
Papagai da hin? 
- "Der Bauer aber war pfiffiger, als er; er. merkte 
die Dummheit des Mannes und antwortete, wohl wiſſend, 
daß die Papagaien ſehr gefchägt find, er bringe ihn einem 
Freunde zum Geſchenk; Tieß ſich fodann eine Weile bitten 
und gab ihm endlich das Xhier bin faufsweife um brei 
Pfund, worauf er nach Haufe ging und fehr froh war 
über fein Tagewerk. Unfer Närrlein ging gleichfalls ganz 
heiter mit feinem Wogel nach Siena, und ed war ihm 
als Hätte er ihn geftohlen, ließ fogleich einen Käfig be- 
ftelen und das Wappen der Piccolomini drauf malen 
nebft manchen andern artigen Dingen und fperrte feinen 
Papagai hinein. So ließ er ihn in feiner Eitelkeit zmei 
oder drei Tage an der Bude des Malers öffentlich aus- 
ftellen, damit e8 auc, jedermann fehe. In der That ganz 
Siena hatte Zeit genug, es zu betrachten, und ed war 
nur zu vermundern, daß in einer fo großen ehrenwerthen 
Stadt unter einer fo zahlreichen Einmwohnerfchaft auch) 
nicht ein einziger gefcheidter war als die andern, und 
wußte, ob das ein Grünfpecht war ober ein Papagai. 
Endlich ſchickte er wirklich den Käfıg fammt dem gewich⸗ 
tigen Vogel nach Korfignano und er wurde dem Papft 
im Namen feined Freundes ausdrücklich als Papagai 


) Italianiſch heißt er Pichio. Die Muthe erzaͤhlt Ovid in den 
Metamorphofen B. XIV, 3. 320 ff. Dort beißt es u. a.: 


Jener entfüicht, doch indem er ſich felber beftaunt, op * ſchneller 
Laufe, denn fonft, entdedt er am eigenen Leibe Ge 

Und ganz zornig darob, dab er plöglih ein neues Sender 

Latiums Wälder befu akt er mit hornigem Schnabel 
Waldbäum, Wunden — zt ſchlägt er in die ragenden Kfte. 
Purpurfarbe gewinnt das Gefieder vom Purpurgewande; 

Wo die Spange zuvor dad Kleid mit Golde geheftet, 

Bard nun Ylaum, und den Naden umläuft solbfatben ein Ringel. 
Nichts bleibt auber dem Namen zurück vom vorigen Picus 


10** 


BB IV. Luigi Pulci. 


überreiht. Das Geſchenk Hätte in keinem pafjendern 
Augenblit ankommen können, denn Meffer Goro war 
gerade in biefen Tagen nad) Corfignano zurückgekehrt 
und hatte feiner Heiligkeit dem Papſt und dem: ganzen 
Hofe die Gefchichte von dem Nachteffen erzählt und von - 
dem Lampenguß und von feiner Bangigkeit in der Nacht 
darauf. Da er nun diefe neue Thorheit ſah mit dem in. 
einen Papagai verwandelten Grünfpecht, beruhigte er fich 
um fo leichter über feine eigenen Unfälle. Obgleich aber 
diefe Herzendeinfalt dem Papſt und allen feinen Hofleuten 
viel zu lachen gab, fo war man doch in Siena ber feften - 
Überzeugung, daß es ein Papagai gewefen fei, und in 
der ganzen Stadt gab man fein Wort darauf und ging 
Wetten darüber ein. Und fo dauerte ber Tanz einen 
Monat oder länger, bag man über diefen Vogel in Eor- 
fignano lachte und in Siena ftritt, und man könnte noch 
jegt täglich Leute dort finden, die darauf beharren, wie 
namentlich ber, ber ihn überfchichte. Derfelbe ging wenige 
Zage nad) Ubermachung des Geſchenkes hin. um ben hei- 
ligen Vater zu befuchen und ward gnädig aufgenommen, 
blieb dafelbft auch mehrere Tage zu feinem Vergnügen. 
Sobald er den Papft fah, lief er auf ihn zu wie ein 
Verrückter, erinnerte ihn an die vielen Schoppen unb 
Badenftreihe und fagte fo viel tolles Zeug, daß ber 
Dapft immer wieder und von neuem lachte. Endlich 
empfing er feinen Segen und kehrte nach Siena zurüd 
ganz getröftet über den Papft und über Korfignano und 
vor allem über feinen Vogel. Und er würde noch heu- 
tige8 Tages Stein und Bein ſchwören, es fei ein Papagai 
gewefen, als hätte er ihn eigenhändig aus feinem Nefte 
an dem Nilufer geholt, woher fie kommen follen. 


— 


V. Gentile Sermini. 
1450. | 


39. Ser Pace. 


(Nov. 5.) 


In der praͤchtigen Stadt Rom lebte ein Prieſter 
Namens Ser Pace, welcher als Pfarrer eines Kirchleins 
mit einer guten Pfründe anſtändig lebte. Er war ein 
Mann von milder Gemüthsart und höflichen Sitten, war 
einer guten Tafel nicht gram und lud häufig andere 
Geiftlihe zum Eſſen zu fih. Als er einft eines Bur⸗ 
fen benöthigt war, Tief ihm einer aus Colle im Elſa⸗ 
thal Namens Mafetto in die Hände, welcher gerade als 
Knecht Dienfte ſuchte. Sie fprahen miteinander und 
kamen tiberein, dag Mafetto auf Lebenszeit fich zu ihm 
verdingte, mit dem Verſprechen, fo genau als möglich 
zu erfüllen, was Ser Pace zu ihm fage; Ser Pace 
nahm ihn ebenfalls auf Lebenszeit an und fegte für fich 
fünfundzwanzig Gulden Buße feft, wenn er ihn fort- 
fhide, und dad Gleiche für Mafetto, wenn er feine 
Entlaffung begehrte. Weil aber Mafetto in einem loſen 
Alter fland, das dem Hausheren geringere Gewähr leiſtete, 
übergab er von feiner Habe dem Ser Pace zwanzig Du- 
caten und ein filbernes Gefchmeide fieben Loth ſchwer, 
einen Heinen Falken barfiellend, alles miteinander in 
Derfag. Ser Pace ficherte die Übereinkunft noch durch 
die Hand eines öffentlichen Notars; es wurde ein Papier 
darüber aufgefegt und als daffelbe im Keinen war, wohnte 
Mafetto mit Ger Pace zufammen, kam feinem Dienfte 

mit großem Eifer nach und erwarb ſich Ser Pace's Zu⸗ 


228 V. Gentile Sermini. 


neigung in hohem Grade. Etwa vierzehn Tage ging 
der. Dienft in Ordnung; nun aber begann Mafetto das 
ins Werk zu fegen, weshalb er eigentlich zu Ser Pare 
gegangen war. Es war bie große Faftenzeit; da ſprach 
Ser Pace zu Mafetto: Morgen fommen vier Priefter 
zu mir zum Frühſtück. Kaufe zehn Pfund Fifche und 
rüfte fie gut zu! Meiche Bohnen ein! Koche aber nicht 
viele, denn es ift nicht grade. eine Speife für Priefter. 
Daß ed nur an den Fifchen nicht fehlt! 

Mafetto antwortete: Ganz recht, geftrenger Herr! 

Und er forgte für Alles. Er rechnete, da es fünf. 
Priefter waren, legte er elf Bohnen ins Waffer, nämlich 
zwei für jeden und eine für fih, und am andern Morgen 
 fegte er fie fo zum Feuer. Auch bereitete er die Fifche 
föftlih zu, wie ihm Ser Pace anbefohlen hatte. Alles 
war fertig, die Stunde der Mahlzeit kam und bie Geift- 
lichen traten ind Haus. Maſetto empfing fie freundlich, 
reichte ihnen Handwaffer, fie fegten fih zu Tiſch und 
nad, einem würzigen Salate trug Mafetto die Zeller auf 
mit je zwei Bohnen auf einem. Die Geiftlihen ver- 
wunberten fich über diefen Anbli und fahen einander an. 
Als aber Ser Pare dies, bemerkte, ſprach er zu Mafetto: 
Was ift das für eine Ärmlichkeit? Geh, fehöpfe mehr 
heraus! Biſt du verrüdt? Solche Teller fegt man nicht 
Prieſtern vor. 

Mafetto antwortete: In der Schüffel iſt nur noch 
eine Bohne für mich. Wenn ihr ſie wollt, ſo will ich 
ſie euch bringen. 

Was ſagſt du? ˖ ſprach Ser Pace, ſtand auf und 

wollte es ſehen. Er fand es auch wirklich ſo. Darüber 
tadelte er ihn ſehr und ſprach: Sieh zu, daß dir dies 
nicht wieder begegnet! 

Maſetto antwortete, er habe es nur aus Gehorſam 
ſo gemacht. Er habe ihm ja befohlen, nur wenig zu 
kochen, deshalb habe er zwei auf jeden Geiſtlichen und 
eine auf fich gerechnet. 


39. Ser Pace. 229 


Benug damit für jest, fagte Ser Pace. Gib uns 
die Fifche! . 

So ging das Frühſtück hin. Nachher aber gab er 
ihm einen heftigen Verweis und ſprach: Mache, Maſetto, 
daß dergleichen nicht wieder vorkommt! 

Dieſer antwortete: Ganz recht, geſtrenger Herr! 

Ser Pace ſagte zu den Prieſtern: Morgen will ich 
euch ſchadlos halten; ich erwarte euch daher alle morgen 
Vormittag hier zum Frühſtück. 

Sie nahmens an und Ser Pace gab nun Maſetto 
die erforderliche Weiſung, was er für morgen vorzu⸗ 
bereiten habe, naͤmlich Salfinen und friſche Fiſche, außer⸗ 
dem ſolle er Erbſen einweichen. 

Nimm dich in Acht, fügte er hinzu, daß es nicht 
wieder geht, wie heute morgen! Lege reichlich ins Waſſer! 
Die Prieſter wollen keine Poſſen auf dem Teller. Koche 
vollauf, nicht fo aͤrmlich! 

Maſetto antwortete: Ganz recht, geſtrenger Herr! 

Als es nun Zeit war, nahm er einen halben Scheffel 
Erbſen, den Ser Pace vor wenigen Tagen gekauft hatte, 
und weichte alle ein. Am Morgen aber fegte er fie in 
brei großer. Töpfen zum Feuer und ließ fie kochen. Alles 
war im Reinen, als die Priefler zum Frühftud! kamen, 
fie faßen zu Tiſch, Maſetto hatte die Teller für fie zu- 
gerüftet und. trat nun in den Saal mit ſolchen Erbs- 
fuppen, dag nicht nur Priefter, fondern fogar Schweine*) 
von Eaftri**) fich über diefe Maffe gefchämt hätten, fo 
viele Erbfen fegte er ihnen vor. Als Ser Pace die 
Erbſenbeſcheerung fah, ſprach er: Mafetto hat uns für 
geftern Morgen entfchädigen wollen. 

Und fo Iachten alle miteinander über diefe Kübel***) 


) Cigarini finde ih nirgends erklärt. . 

”) Das alte Delphi. 

”*) Catinate, ein Wort, dad die Grusca nicht aufführt, von catino. 
Bielleigt erlaubf, man mir darum auch das ſchwaͤbiſche Kübel, 
verwandt mit Kufe. 


2% V. Gentile Sermini. 


mit Erbſen. Maſetto befchäftigte ſich ganz unbefangen 
weiter damit, die Fiſche nach dem Geſchmack der geifl- 
lichen Herren zuzmbereiten und bie &läfer immer neu 
zu füllen, daß, wenn er fich ihnen geftern durch feine 
Armfeligkeit verhaßt gemacht hatte, fie fich jegt für ent- 
ſchädigt Halten und feine Freigebigfeit Toben mußten. 

Eßt nur rüflig drauf los, antwortete Maſetto. Es 
ft genug da um von Allem zu eſſen, namentlich 
Erbſen. 

Ser Pace ſagte: Haſt du uns denn noch nicht alle 
hereingebracht? 

Es iſt noch ſo viel übrig, ſagte Maſetto, daß ich 
wol zwanzig Trachten, größer als dieſe, hereinbringen 
kann. 

Nachdem das Eſſen vorbei war, wollte Ser Pace 
doch nachſehen und fand drei große Keſſel voll Erbſen 
‚über dem Feuer. Er rief feine Geſellſchafter herbei, zeigte 
fie ihnen und fprach zu Mafetto: Was Teufels haft du 
gemacht? Diefe Erbſen hätten ja für hundert Bann 
ausgereicht. Haft du denn alle Erbſen gekocht, die da 
waren? | 

Mafetto erwiderte: Ja, geftvenger Herr! 

Diefer aber war darüber erzürnt und fehalt ihn heftig 
aus, Maſetto aber vertheidigte fi) und fagte: Ich thue, 
was ihr mir befehle, und ihr zürnet! Geſtern fagtet 
ihr mir, ich folle wenig Bohnen kochen, ich that es und 
ihr wart böſe; dann fagtet ihr mir, ich folle veichlich 
Erbfen kochen, ich that es und ihr fchmählet mich aus. 
Das if fehr unrecht von euch. Ihr wißt, daß eine- 

Strafe darauf gefegt iſt, wenn ich nicht thue, was ihr 
mir befehlt; ich gebe mir alle Mühe und boch werdet 
ihre zornig über mid. Ich thue es nur, um nicht fünf- 
undawanzig Ducaten zahlen zu mürffen. 

Hiermit hörte bie Zwiefprach auf, und wer es mit 
angehört hätte, ber hätte Ser Pace Unrecht und Mafetto 
Necht geben müflen, fo gut wüßte. biefer zu fprechen. 





39, Ser Pace. 231 


Darüber geriet denn Ser Pace in Wuth und fagte zu 
Maſetto: Mach, daß du mir heute das Haus räumft! 

Nach diefen Worten ging er mit feinen Gefellfchaftern 
aus und ſchloß die Thüre von außen mit dem Schluffel, 
ohne Antwort abzuwarten. Ws Moafetto feine Worte 
börte und fich einfchliegen fah, rief er mit lauter Stimme 
nach: Auf welchem Wege foll ich denn das Haus räumen? 
Ihr habt mich ja eingefchloffen. 

Vol Ärger rief Ser Pace: Durch die Fenſter meinet- 
wegen. 

Ganz recht, geftrenger Herr! fagte Maſetto. Die 
Geiftlihen gingen in die Vefper, Mafetto aber, in ſtren⸗ 
gem Gehorfam, ſchickte ſich an, ‚feinen Befehl zu voll- 
ziehen. Er fing alfo an, duch die Fenſter das Haus 
zu räumen; er fing von oben an; alles, was im Saale 
war, Tafeln, Bänke, Tiſche, Zwehlen, Krüge, Becher, 
Unterfäge, Schuffeln, Schaalen, Beſtecke warf er zu den 
Zenftern hinaus auf ben Plag. Dann ging ed nach der 
Küche; Keffel, Pfannen, Röfte, Brandeifen, Holzplatten, 
Zeller und was er dort fand, flog aus bem Fenfter auf 
den Pag. Dann im Schlafzimmer das Bett, die Bett- 
lade, Koffer mit Allem was darin war, Kapuzen, Para- 
mente, Tücher, Bücher und was er fonft fand, nichts 
blieb darin, ed mußte durch die Fenſter in den Pfarrhof 
hüpfen. Den Hühnerftall leerte er ganz aus und warf 
ihn hinab. Auf dem Speicher lag ein großer Berg Kom, - 
den leerte er Sad um Sad zum Fenſter hinaus und 
ſchuͤttete daffelbe auf den Durcheinander der andern Sachen. 
Als nun Ser Yace und feine Gefellfchafter aus der Veſper 
Samen, fagten fie: Wir wollen doch fehen, ob ſich Majetto 
aus dem Fenfter geftürzt bat. 

Sie gingen bin, und als fie an die Thüre des Plages 
ober Hofes, wie man es heißen will, kamen, hörten fie 
ein lautes Krähen und Durcheinanderfliegen der Hühner, 
weil Mafetto eben wieber einen Sad voll Körner herab- 
goß. Ser Pace wunderte fih über den Vorfall, öffnete 








232 V. Gentile Sermini. 


wüthend das Hofthor, und fah denn bier alle‘ feine 
Habfeligkeiten übereinandergeworfen und zerbrochen. Voll 
Grimm fchrie er auf und rief Mafetto zu: Berräther, 
was macht du? 

Mafetto, einen andern Sad herabfihüttend, antwor- 
tete ganz erfchöpft: Ich räume aus, wie ihre mir gefagt 
habt. Ich habe nur noch wenig Korn auszuleeren, dann 
ziehe ich den Faäffern die Zapfen aus und fo werde ich 
bald ganz fertig fein. Macht nur noch einen Beinen 
Gang um eine Ede! Wenn ihr wiederfommt, fo werbet 
ihe Alles gethan finden, dag auch nicht ein Härchen 
mehr übrig bleibt. 

- Ser Pace fpie Feuer und Flammen vor Entrüftung 
und fagte: WVerräther, geh mir aus dem Haufe! 

Er nahm einen Stod und eilte die Treppe hinauf, 
um ihn damit zu bedienen. Maſetto aber, welcher jung 
und gewandter war als er, lief ihm davon. Ser Pace 
folgte ihm nach und jagte ihn zum Haufe hinaus. Als 
Mafetto vor der Hausthüre angelangt war, fprach er zu 
den vier Geiftlichen: Ihr feid meine Zeugen, daß er mich 
zum Haufe hinausgejagt hat. 

In demfelben Augenbiid kam zufällig der Ritter des 
Genators vorbei. Bon dem Gefchrei aufmerkfam gemacht, 
kam er berzu, hörte den Fall und führte Ser Pace und 
Mafetto gefangen mit fih; die vier Prieſter folgten. 
Alle wurden dem Senator vorgeführt und Ser Pare 
fegte demfelben den ganzen Schaden auseinander, welchen 
ihm Maſetto zugefügt hatte. 

Gnädiger Herr Senator, ſprach Mafetto, laßt mir 
mein Recht werben) Weil aber Ser Pace Priefter ifl, 
fo laßt ihn Gewähr leiften, daß er Recht gibt und eure 
Gerichtsbarkeit anevfennt. 

So gefhah ed. Ser Pace unterwarf fih dem Ge- 
richt und leiftete hinreichende Gewähr. Darauf fegte 
Mafetto feine Angelegenheit auseinander, zeigte den mit 
Ser Pace eingegangenen fehriftlichen Vertrag vor und 


39. Ser Pace. 233 


erwähnte die Bußen und das Unterpfand. Ser Pace 
dagegen erzählte, welchen Schaden er genommen habe. 
Während nun ber Herr Senator und einer feiner Ge- 
bilfen bie Parteien verhörte, hatte die Erbſenbrühe ihren 
Lauf vollbracht und äußerte ihre Wirkfamkeit fo gewaltig, 
daß Ser Pace's Schinkentafhe fih ganz mit folcher 
Suppenbrühe füllte. Als die Kunde von dieſem Ereigniß 
dem Herrn Senator zu Ohren, ober vielmehr zur Nafe 
fam, wurde ihm der Prieſter verhaft, er fagte zu feinem 
Gehilfen, er folle die Leute abfertigen und wegfchiden. 
Diefer hatte die Gründe, die jeber für fich beibrachte, 
angehört und ſprach nun das Urtheil, Ser Pace müffe 
dem Mafetto fünfundzwanzig Gulden Buße zahlen und 
Das ganze Unterpfand, das ihm Maſetto gegeben hatte, 
zurüderftatten. Ser Pace befchwerte fih darüber, Ma- 
fetto aber vertheibigte fein Recht. 

Herr Senator, ſprach er, wundert euch nicht, daß 
diefe fchurkifchen Pfaffen fich diefen Abend fo aufführen! 
Das begegnet ihnen alle Tage bei ihrem fchlemmerifchen 
Sreffen und Saufen. Alle Tage geht es hoch her bei 
ihnen und ich hatte die Unluft bavon. 

Der Herr Senator that nun in der befagten Weife 
den Spruch, daß Mafetto fir Alles bezahlt werden müffe. 
Und fomit fchied er befriedigt. Ser Pace und feine Ge⸗ 
noffen aber fcheiden fehr unzufrieden, denn fie hatten zum 
Schaden noch bie Schande. Alle gingen mit Ser Pace in 
fein Haus, um ihm zu helfen, feine Sachen, die Mafetto 
auf den Plag oder in ben Pfarrhof geworfen hatte, 
wieder einzuräumen und aufzuftellen. Zu diefer Arbeit 
nahm er einige Nachbarn in Anfpruch und viele unter- 
flügten ihn aus Mitleid. Und als fie von Ser Pace 
hörten, wie bie Sache gegangen war, bemitleibeten ihn 
alle. Unter den SHilfeleiftenden war auch ein junger 
Mann aus Sciano in Ombrone im Gebiete. Sienas, 
Namens Bela. As er den Schaden fah und Nadh- 
richt davon bekam, ergriff ihn Mitleid; er rief Ger 





234 J V. Gentile Sermini. 


Pace bei Seite und bot ſich ihm folgendermaßen zum 
Dienſt an. 

Sch habe, ſagte er, ihn ſoeben zum Ganct Peters 
Thor hinausgehen fehen; aber ich fage euch, da ich ger 
jehen babe, was er Hier angeflellt hat, babe ih mir 
vorgenommen, wenn ihr damit einverflanden feib, daß 
ee dieſes Geldes nicht froh werden fol. Sagt mir num. 
genau, wie viel Gelb er von euch bekommen bat und 
in welcher Münze. Dann laßt mich nur mahen! Ihr 
ſollt fehen, wer mehr kann, ber Golligianer ober der 
Scialinge. Ich bin beffer zu Fuß ale er, und werbe 
isn bald einholen. Macht ech nur Beine Sorge! Ich 
will es euch fchon wieder einbringen. 

Ser Pace nahm das Anerbieten dankbar an und 
empfahl ihm allen Eifer. Sie wurben einig und Ser 
Pace gab ihm Geld zu feinen. Auslagen. 

Ich darf jegt nicht Länger warten, fagte biefer. Haltet 
die Sache geheim und laßt mich forgen! 

So fchied er in flilem Einverſtaͤndniß mit ihm. Er 
eilte Mafetto nah und erfuhr von Zeit zu Zeit, daß er 
ihm nicht mehr weit voraus ſei; doch wanderte er zwei 
Tage, bis er ihn erreichte; es war dies in ber Herberge 
zu Botfene. 5) Sie kehrten dort ein, ed warm vide 
Fremde dort, und fo blieben die beiden bafelbft über 
Nacht. Pela war unbekannt, er ſprach mit Mafetto 
und den andern ohne Unterfchied, gab vor, er fei von 
Sutri und gehe nach Siena. Schon geftern hatte Dela 
auf den Namen eines Colella von Sutri an einen ge 
wiſſen Ventura von Schano einen Brief gefchrieben fol- 
genden Inhaltes: 

„Ih habe deinen Brief erhalten, in welchem bu mir 
aufträgft, ich folle durch ben Uberbringer, deinen Sohn 
Salvi, dir fünfundvierzig Ducaten ſchicken, bie ich bir 
noch als Reſt für die Thiere, die du an mich verkauft 


9 Sermini: Bolfino. 


39. Ger Pace. 235 


haft, ſchuldig bin. Bor Allem bitte ich um Entſchul⸗ 
bigung, daß ich nicht im Stande gewefen bin, dir fie 
früher zu ſchicken. Segt aber habe ich nach Lefung deines 
Briefes die ganze Summe dem Salvi eingehänbigt, nämlich 
zwanzig venezianifche Ducaten und fünfundzwanzig römifche. 
Darum bitte ich dich, hiermit meine Rechnung zu tilgen. 
Berner, da mir Salvi erzählt, daß bu beine Tochter ver» 
heirathet haft, ſchicke ich dir ein Kleines Gefchmeibe für fie 
zum Andenken von mir, nämlich einen Beinen Fallen mit 
einem Kettchen von Silber, im Ganzen fieben und ein 
Biertel Loth ſchwer. Ich ſehe wohl, daß ich nicht fo viel 
thue, als du verbientef. Du mußt mir eben verzeihen. 
Sreilich babe ich fo viel Freundlichkeit von bir genoffen, 
ale ich dort war, daß ich gar nicht weiß, mann ich bir 
dafür lohnen kann. Dein Dienftbereitwilliger” u. f. w. 

Als der Brief gefchrieben war, faltete er ihn unb 
ftedte ihn in den Bufen, ‚legte fih au den Namen 
Salvi bei. Am Morgen nun machte er ſich unter irgend 
einem guten Vorwand an Mafetto und wünſchte ihm 
guten Morgen. Sobald er bemerkte, daß dieſer fich zum 
Meiterreifen anfhidte, fagte Pela: Iſt vielleicht unter 
biefen Gaͤſten einer, ber nad) Acquapendente geht? 

Ich, antwortete Mafetto. 

So laßt uns miteinander gehen, fagte Pela; denn 
ich gehe lieber in Geſellſchaft als allein. 

Nachdem ber Wirth bezahlt war, machten fie ſich 
alfo auf ben Weg. Abends langten fi fie in Acquapendente 
an und gingen miteinander in die gleiche Herberge und 
Wohnung. Am Morgen, als fie weiter wollten, fagte 
Salvi zu Mafetto: Erwarte mich hier! Ich will nur da 
einen Brief an jemand abgeben. 

Mafetto glaubte das und. erwartete ihn beim Feuer. 
Salvi aber ging alsbald zum Schultheißen und Elagte 
den Mafetto an, er habe ihm in ber Nacht fünfundvierzig 
Ducaten und ein filbernes Gefchmeide geſtohlen. Weinend 
flehte er um den Schug des Beamten unb gab an, in 


238 V. Sentile Sermini. 


weicher Herberge der Dieb fi befand. Er wußte es 
auch fo geſchickt anzubringen, daß ber Beamte ihm voll- 
fommen Glauben beimaf und ihm vier Häfcher mitgab, 
um ben Dieb zu faffen. So wurde denn Mafetto in 
der Herberge feftgenommen, zum Schultheißen geführt, 
in enge Haft gebracht und mit der Folter verhört. Da 
ee aber nicht geftand, wollte der Schultheiß den Salvi 
noch weiter vernehmen. Diefer aber fagte, noch immer 
weinend: Geftrenger Herr, beweifen kann ich's euch nicht, 
denn zum Stehlen zieht einer Feine Zeugen bei; aber ich 
fage euch die Wahrheit, und wenn es nicht fo ift, fo 
laßt mich hängen! Er hat mir fünfundvierzig Ducaten 
geftohlen, die ich von Eolella in Sutri eingezogen hatte, 
und zwar zwanzig venezianifche und fünfundzwanzig rö- 
mifche, den Kaufpreis für das Vieh, das mein Vater 
an ihn verkauft hat, umb überdies ein filbernes Geſchmeide, 

das er meiner Schwefter fchenkte. Da ift der Brief von 
Colella. 

Damit reichte er ihn dem Beamten hin. 

Ich kann nicht lefen, fuhr er fort; -fchaut zu, was 
in dem Briefe fteht. Und wenn er die Sachen nicht bei 
fih bat, fo will ich das Leben verlieren. Dieſer ſchur⸗ 
fische Mafetto hat in Sutri ausgefpäht, daß ich das Gelb 
bei mir babe, dann hat er fih an mid gemacht, um 
mich unterwegs zu beftehlen, und heute Radıt, da wir 
zuſammen ſchliefen, hat er es ausgeführt. Beweiſe habe 
ih fonft nicht, als Bott und die Wahrheit. 

Der Beamte glaubte Salvi, ließ Mafetto holen, und 
da man in feinem Buſen genau das vorfand, was der 
Brief befagte, nahm er an, Salvi fei wirklich nach feiner 
Angabe beraubt worden. So ließ er denn Salvi alle 
Ducaten und bas Gefchmeibe übergeben. Der Schultheiß 
lite heftig an Hüftfchmerzen, nahm fich der Unterfuchung 
wenig an und gab feinem Notar ben Auftrag, er folle 
dem Miffethäter fein Recht werben laffen. Der Notar 
war Ser Piero von Farnefe, ber in feiner Schelmerei 


39. Ser Pace. 237 


auf ben Gedanken kam, ben beiben ba6 Geld abzunehmen. 
Darum ließ er Maſetto und Salvi gefangen fegen, und 
da Mafetto ſich fehr gewehrt hatte, die Beſchuldigung 
fei nicht wahr und der Brief unterfhoben, auch fih zum 
Beweiſe erbot, fagte er zu Salvi: Ihr müßt beide fo 
lange bier bleiben, bis du Colella von Sutri kommen 
löft. Dann will ich es unterfuhen. Sobald ich bier 
über im. Reinen bin, laſſe ich dich frei. Wenn es nicht 
wahr ift, mußt du das Geld wieder hergeben und ich 
laffe dich hängen als Betrüger. 

Salvi kam biefe Entfcheidung mislich vor. Es wurben 
ihm drei Tage Friſt gegeben, um durch Colella zu er 
weiſen, baß ber Brief echt fei. Pela Salvi traute aber 
diefem als einem liftigen Burfchen nicht ganz. Daher 
verfischte er einen Vergleich durch Vermittelung Schia⸗ 
vetto’s, des Dieners des Schultheifen, welcher die Ger 
fangenen mit Effen und Trinken zu verfehen hatte, und 
bot ihm Geld an, wenn er ihn entwifchen laffe. Ger 
Piero, der auf nichts anderes wartete, verlangte die ganze 
Summe und verſprach, fie dann loszugeben. Schiavetto 
aber misfiel das und er verftändigte fich daher mit Salvi 
und Mafette. Mit feiner Hilfe von aufen und ber 
eigenen Anftrengung von innen erbrachen fie in ber 
dritten Nacht den Kerker und er führte fie an einen 
Pag, mo fie über bie Mauer fteigen konnten. Sobald 
fie draußen waren, gaben Salvi und Schinvetto vor, 
nah Siena zu geben, wiewol fie die entgegengefegte 
Richtung im Sinne hatten und fie miteinander in ge- 
Heimem Kinverftändnig waren. Salvi fiellte fih, als 
habe er beim Überjpringen der Mauer einen Buß ver- 
renkt und Fönne nun nicht mehr gehen. Maſetto wollte 
fih aus Angft nicht aufhalten, und Gchiavetto fagte zu 
ibm: Geh nur zu, wir kommen gemach hinterbrein! 

Da Schiavetto und Pela zurüdhlieben, mar das Ma- 
fetto eben vecht, denn er gebachte es Pela ebenfo zu machen, 
wie biefer es ihm gemacht hatte. Er eilte daher nad 





238 V. Gentile Sermini. 


Radicofani, wo er einen falſchen Brief auffegte ahnlich 
dem bed Salvi, als ſchickte einer aus Viterbo das Geld 
an einen andern in Piſa und dabei das Gefcdhmeibe 
Sodann ftellte er fih dem Schultheiß von Rabicofani 
vor, fagte, er fei von zwei Leuten um fünfundvierzig 
Ducaten und ein Geſchmeide beftohlen worben, und zeigte 
zugleich den Brief bes Viterbers. Der Beamte glaubte 
ihm und gab ihm vier Häfcher, um bie Miffethäter zu 
fahen. Mit diefen wartete er zwei Zage am Shore auf 
die Ankunft Pela's und Schiaudtto’s. Da fie aber nicht 
kamen, nahm er traurig Abfchieb und ging nad Colle. 
Pela und Schiavetto waren inbeffen bereit# in Nom 
angekommen und hatten Ser Pace bas Geld und das 
Geſchmeide zugeftellt. Als Ser Pace die Nachricht ge- 
hört und das Geld und das Gefchmeibe in Empfang 
genommen hatte, fagte er ihnen freubigen Dank. Gr 
nahm feine fünfundzwangig vömifche Ducaten, bie zwanzig 
venezianifchen aber und das Gefchmeibe mashte er ihnen 
zum Geſchenk. Die ganze Gefchichte kam dem Carbinal 
von Brancacei zu Ohren, welcher fids darüber erfreute 
und fie eined Tages dem Papft Gregor XIL in Gegen- 
wart aller andern Herten Garbinäfe erzählte und dabei 
bie Frage aufwarf wer für den verfchmigteften zu halten 
fei, der Colligianer oder der Scialenge. Wir übergehen 
ben Spaß, welchen die Sache erregte, und den heftigen 
Streit, den’ fie hervorrief, indem der eine dieſem, der 
andere jenem ben reis ber Verfchmigtheit zuerfannte. 
Es dauerte etwa einen Monat und nie kam e8 zur be- 
flimmten Entſcheidung. Unterbeffen verließ der Papft mit 
feinen ganzen Hofe Rom und zog nach Siena und von 
bort nach längerem Aufenthalte nach Lucca; dann kehrte 
er wieder nach Siena zurück, fpäter in bie Romagna. 
In der Folge wurde bem Papſt Gregor der Gehorſam 
aufgelündigt und im Piſa Papfk Alexander gewählt. 
Deshalb blieb fene Streitfrage fehwebend und es wurbe 
nie ausgefprochen, wer der verfchmigtefte fei. Unter ben 





39. Ser Pace. 239 


Hofleuten aber blieb die Redensart fprihwörtlih: Du, 
bift du ein Golligianer, fo bin ich ein Scialenge. 
Das foll heißen: Wenn bu ein Schurke bift, fo bin 
ich kein Heiliger. 
Man bittet nun ben geneigten Xefer, die Unterfuchung, 
zum Spruche zu bringen. 


VI. Niccolo Machiavelli. 


1469. 


4. Belfagor. 


Man lieft in den alten Sahrbüchern der florentinifchen 
Gefchichte, was man ſchon aus der Erzählung eines hei- 
ligen Mannes meiß, beffen Leben bei allen: feinen Zeit- 
genoffen hochgepriefen wurbe, daß berfelbe, in feine Ge⸗ 
bete vertieft, mittelft ihrer fchaute, wie unzählige Seelen 
jener armen Sterblihen, die in Gottes Ungnade umfamen, 
in der Hölle alle oder meiftentheild nur darüber klagten, 
daß fie einzig und allein durch das Seirathen fich in fo 
großes Unglück geftürzt haben. Durch diefen Umftand 
wurden nun Minos, Radamanth ſowie die andern Höllen- 
richter in höchliches Erſtaunen verfegt, weil fie folchen 
Verleumdungen bes weiblichen Gefchlechts nicht wohl glau- 


ben fonnten. Da indeffen die Klagen von Zag zu Zug - 


zunahmen und auch der gehörige Bericht über die ganze 
Sache dem Pluto erftattet war, fo kam es zum Beſchluſſe, 
den Fall mit fämmtlichen böllifchen Zürften in reifliche 
Erwägung zu ziehen und nächftdem die geeignetfien Maß⸗ 
regeln zu ergreifen, um ben Betrug aufzudecken und das 
Wahre an der Sache herauszuftellen. Pluto berief fonach 
eine Ratheverfammlung und fprach dafelbft in folgendem 
Sinne: Wiewol ich, meine Lieben und Getreuen, durch 
des Himmels Fügung und durch unwiderrufliche Schidfals- 
beftimmung diefes Reich beherrfche und um deswillen kei⸗ 
nem Richterftuhl bes Himmels ober ber Erde unterworfen 
fein kann, fo habe ich doch befchloffen, weil es gefcheibter . 
it, wenn die Gewaltigen fich ben Gefegen unterwerfen 





— my 


40. Belfagor. 241 


und der Meinung anderer ihr Recht einräumen, euren 
Math einzuholen, wie ich in einer Angelegenheit mich zu 
verhalten habe, die fonft gar Leichtlich zur Unehre unferer 
Herrſchaft ausfchlagen dürfte Es fagen nämlich zwar 


alle Seelen von Männern, welche in unfer Reich kommen, 


ihre Weiber feien daran ſchuld. Da uns das aber un⸗ 
möglich feheint und wir befürchten, wenn wir auf biefen 
Bericht hin ein Verdammungsurtheil forächen, möchten 
wir als allzugraufam verfchrieen werden oder, wenn wir 
es nicht thäten, als allzuläffig und ungerecht; da ferner 
die einen Menfchen aus Leichtfinn fehlen, die andern aus 
Unbilligteit, wir aber dieſem beiderfeitigen Zabel aus- 
weichen möchten und nicht wiffen, wie das anzugehen ift, 
haben wir euch herbefchieden, damit ihr und mit eurem 
guten Rathe beifteht und um zu bewirken, daß biefes 
Reich auch für die Zukunft fortbeftehe mit unangetafteter 


: Ehre wie bisher. 


Es ſchien einem jeden biefer Fürften der vorliegende 
Fall ein bochwichtiger und fehr beachtenswerther zu- fein. 
Sie waren auch darin miteinander einverftanden, daß 
die Wahrheit nothwendigerweiſe erforfcht werden müffe; 
aber über die Art und Weile der Ausführung theilten 
fih die Meinungen. Der eine hielt dafür, man folle 


einen, ber -andere, man folle mehrere Boten zur Erde 


empor abfertigen, um unter menfchlicher Geftalt perfönlich 
zu ergründen, ob die Sache fich wirklich fo verbalte. 
Viele andere dagegen meinten, man brauche nicht fo viele 
Umftände zu machen; man dürfe nur ein paar Seelen 
durch verfchiedene Marter zum Bekenntniß zwingen: Da 
nun aber die Mehrzahl für den Vorfchlag einer Gefandt- 
fchaft ftimmte, fo ging diefe Meinung durch, und da fich 
Zeiner fand, der freiwillig da Amt übernommen hätte, 
fo entſchloß man fi, die Wahl durch das Loos zu ent- 
ſcheiden. Das Loos traf den Erxzteufel Belfagor, ber 
vordem, she er aus dem Himmel gefallen, ein Erzengel 
geweſen war und jegt zwar fehr widermillig fich zu der - 


« 


Italiaͤniſcher Novellenfchag. I, 11 


242 VI. Niccold Macchiavelli. 


Botſchaft hergab, aber dennoch durch Pluto's Machtſpruch 
gezwungen ſich dazu verſtehen mußte, den Beſchluß der 
Rathsverſammlung zu vollführen, und die Bedingungen 
einging, welche foͤrmlich berathen worden waren. Dieſe 
beſtanden darin, daß dem mit dem Auftrage Betrauten 


hunderttauſend Ducaten überwieſen werden ſollten; mit 


dieſen mußte er auf die Welt gehen, in menſchlicher 
Geſtalt ein Weib nehmen und zehn Jahre mit ihr leben, 
ſodann eines ſcheinbaren Todes ſterben und nach der Holle 
zurückkehrend feinen Vorgefegten nach der gemachten Er⸗ 
fahrung darüber Bericht erflatten, worin eigentlich die 
Laft und die Luft des Cheftandes befiche. Es wurde 
überdies erklärt, daß er mährend ber genannten Zeit allen 
Ungemaͤchlichkeiten und Übeln unterworfen fein folle, mit 
denen die Menfchen zu kämpfen haben, und welche Armuth, 
Gefangenſchaft, Krankheit und fo manchen andern fchlimmen 
Umftand, der den Menfchen begegnen kann, nach fich ziehen; 
ausgenommen wenn er fi burch Klugheit oder Lift davon 
befreie. Belfagor nahm alfo bie Beftallung und fein Gelb 
in Empfang und kam herauf auf die Welt. Er hatte 
fi) aus feinen Schaaren mit Pferden und Dienerfchaft 
verjehben und zog fehr flattlih in Florenz ein. Diefe 
Stadt hatte er vorzugsmeife zu feinem Aufenthalt erkoren, 
weil fie ihm den Wucher, den, er mit feinem Gelde zu 
treiben gefonnen war, ganz befonders zu begünftigen fchien. 
Er ließ fih hier Roderigo von Caſtilien nennen und mie 
thete ein Haus in ber Vorſtadt Allerheiligen.*) Damit 
man feiner wahren Herkunft nicht auf die Spur komme, 
fagte er aus, er habe vor einiger Zeit Spanien verlaffen, 
fi) dann nach Syrien gewendet und in Aleppo fein Ver⸗ 
mögen gewonnen; er habe es aber verlaffen in der Ab- 
ficht nach Italien zu gehen, in ein menfchlicheres, dem 
bürgerlichen Leben und feinen Nägungen angemefjeneres 


) Die Allerheiligenfirhe in Florenz liegt unterhalb des Ponte 
Earraja am rechten Ufer des Arno. 


40. Belfagor. 243 


Land, und bort ein Weib zu nehmen. Roderigo war 
ein fehr fchöner Mann, der in einem Alter von breifig 
Sahren zu ftehen ſchien. Er verrieth in wenigen Tagen, 
daß er im Belig großer Reichthümer fei, und da er fi 
außerdem bei mehrfachen Gelegenheiten als einen wahr⸗ 
haft gebildeten und freigebigen Mann zu erkennen gab, 
fo boten ihm manche edle Bürger, die viele Töchter und 
wenig Thaler im Beſit hatten, ihre Kinder an. Unter 
allen biefen ermwählte Roderigo ein fehr fchönes junges 
Mädchen Namens Onefta, die Tochter des Amerigo Donati, 
der außer ihr noch drei andere Zöchter und drei erwach⸗ 
fene Söhne hatte, und ihre Schweftern waren auch faft 
mannbar. Obgleich er einer fehr edeln Familie angehörte 
und in Florenz perfönlich fehr in Achtung ftand, fo war 
er doch im Verhältniß zu feiner zahlreichen Familie und 
feinem Abel fehr arm. Roderigo richtete feine Hochzeit 
mit großem Glanz und Aufwand aus und unterließ nichts 
von allem, was bei derlei Feten nun einmal herkoͤmmlich 
ift, denn er war durch das Gefeg, das ihm beim Aus- 
tritt aus der Hölle auferlegt worden war, allen menſch⸗ 
lichen Leidenfchaften unterworfen. Ex begann fehr bald 
Geſchmack zu finden an Ehre und Herrlichkeit der Welt 
und fi daran zu erfreuen von den Menfchen gelobt zu 
werden, was ihm feinen geringen Aufwand verurfachte. 
Überdies hatte er noch nicht lange Zeit mit feiner Ehe- 
gattin Oneſta gelebt, als er fich in diefelbe fo außermaßen 
verliebte, daß er es nicht erfragen konnte, fie traurig ober 
mismuthig zu fehen. Frau Onefta Hatte neben ihrem 
Adel und ihrer Schönheit ihrem Roderigo einen Hoch- 
muth zugebracht, wie ihn fogar Lucifer nicht Fannte, 
und Roderigo, der einen wie ben andern nun ermeffen 
hatte, erachtete den feiner Frau für den höheren. Er 
warb aber mit der Zeit noch weit ärger als zuvor, ba 
fie die große Liebe ihres Mannes zu ihr merkte. Und 
ba fie nunmehr dafür hielt, er befinde ſich durchaus in 
ihrer Gewalt, fo gebot fie ihm ohne alles Exrbarmen ober 
11* 


22 v1. Niccold Macchiavelli. 


Botſchaft hergab, aber dennoch durch Pluto's Machtſpruch 
gezwungen ſich dazu verſtehen mußte, den Beſchluß der 
Rathsverſammlung zu vollführen, und die Bedingungen 
einging, welche foͤrmlich berathen worden waren. Dieſe 
beſtanden darin, daß dem mit dem Auftrage Betrauten 
hunderttauſend Ducaten überwieſen werden follten; mit 
dieſen mußte er auf die Welt gehen, in menſchlicher 
Geſtalt ein Weib nehmen und zehn Jahre mit ihr leben, 
ſodann eines ſcheinbaren Todes ſterben und nach der Hölle 
zurückkehrend ſeinen Vorgefetzten nach der gemachten Er⸗ 
fahrung darüber Bericht erſtatten, worin eigentlich die 
Laſt und die Luſt des Eheſtandes beſtehe. Es wurde 
überdies erklärt, daß er während der genannten Zeit allen 
Ungemächlichkeiten unb Übeln unterworfen fein folle, mit 
denen die Menfchen zu kämpfen haben, und welche Armuth, 
Gefangenſchaft, Krankheit und fo manchen andern fchlimmen 
Umftand, der den Menfchen begegnen kann, nach fich ziehen; 
ausgenommen wenn er fich durch Klugheit oder Lift davon 
befreie. Belfagor nahm alfo bie Beftallung und fein Geld 
in Empfang und kam herauf auf bie Welt. Er hatte 
ſich aus feinen Schaaren mit Pferden und Dienerſchaft 
verſehen und zog ſehr ſtattlich in Florenz ein. Dieſe 
Stadt hatte er vorzugsweiſe zu ſeinem Aufenthalt erkoren, 
weil ſie ihm den Wucher, den er mit ſeinem Gelde zu 
treiben geſonnen war, ganz beſonders zu begünſtigen ſchien. 
Er ließ ſich hier Roderigo von Caſtilien nennen und mie- 
thete ein Haus in der Vorſtadt Allerheiligen.*) Damit 
man feiner wahren Herkunft nicht auf die Spur komme, 
fagte er aus, er babe vor einiger Zeit Spanien verlaffen, 
fih dann nad Syrien gewendet und in Aleppo fein Ver⸗ 
mögen gewonnen; er habe es aber verlaffen in der Ab⸗ 
fiht nach Italien zu gehen, in ein menfchlicheres, dem 
bürgerlichen Leben und feinen Nägungen angemeffeneres 


) Die Allerbeiligenfirhe in Zlorenz liegt unterhalb des Ponte 
Carraja am rechten Ufer des Arno. 


AO. Belfagor. 243 


Land, und bort ein Weib zu nehmen. Roderigo war 
ein fehr fhöner Mann, der in einem’ Alter von dreißig 
Jahren zu ſtehen ſchien. Er verrieth in wenigen Tagen, 
daß er im Befig großer Reichthümer fei, unb da er fich 
außerdem bei mehrfachen Gelegenheiten als einen wahr. 
haft gebildeten und freigebigen Mann zu erkennen gab, 
fo boten ihm manche edle Bürger, die viele Töchter und 
wenig Thaler im Beſitz hatten, ihre Kinder an. Unter 
allen dieſen ermählte Roderigo ein fehr fchönes junges 
Mädchen Namens Oneſta, die Tochter bes Amerigo Donati, 
der außer ihr noch drei andere Zöchter und drei erwach- 
fene Söhne hatte, und ihre Schweftern waren auch faft 
mannbar. Obgleich er einer fehr edeln Familie angehörte 
und in Florenz perfönlich fehr in Achtung ftand, fo war 
er doch im Verhältniß zu feiner zahlreichen Familie und 
feinem Adel fehr arm. Roderigo richtete feine Hochzeit 
mit großem Glan; und Aufwand aus und unterließ nichts 
von allem, was bei berlei Feften nun einmal herfömmlich 
ift, denn er war durch das Gefeg, das ihm beim Aus⸗ 
tritt aus der Hölle auferlegt worden war, allen menſch⸗ 
lichen Leibdenfchaften unterworfen. Er begann fehr bald 
Geſchmack zu finden an Ehre und Herrlichkeit der Welt 
und ſich daran zu erfreuen von ben Menfchen gelobt zu 
werben, was ihm Feinen geringen Aufwand verurfachte. 
Überdies hatte er noch nicht lange Zeit mit feiner Ehe⸗ 
gattin Onefta gelebt, als er fich in diefelbe fo außermaßen 
verliebte, daß er es nicht erfragen konnte, fie traurig ober 
mismuthig zu fehen. rau Onefta hatte neben ihrem 
Adel und ihrer Schönheit ihrem Roderigo einen Hoch- 
muth augebracht, wie ihn fogar Lucifer nicht kannte, 
und Roderigo, ber einen wie ben andern nun ermeffen 
hatte, erachtete den feiner Frau für den höheren. Er 
warb aber mit der Zeit noch weit ärger als zuvor, da 
fie die große Liebe ihres Mannes zu ihr merkte. Und 
da fie nunmehr dafür hielt, er befinde fich durchaus in 
ihrer Gewalt, fo gebot fie ihm ohne alles Erbarmen ober 
11* 


244 VI. Niccold Machhiavelli. 


Rückſicht und ſcheute fich nicht, wenn er ihr ja etwas 
verfagen wollte, ihn mit Schelten und Schimpfen zu 
verlegen, was dem Roderigo unglaublichen Arger ver: 
urfachte. Deffen ungeachtet machte ber Schwiegervater, 
die Brüder, die Vermandtfchaft, die Pflicht des Ehebundes 
und vor allem die große Liebe, die er für fie fühlte, 
daß er ed mit Geduld Hinnahm. Ich will die großen 
Koften übergehen, die er zu ihrer Befriedigung in Be⸗ 
ziehbung auf neue Trachten und neue Moden aufwandte, 
in welchen unfere Stadt nad) alter Gewohnheit beftändig 
wechſelt. Er mußte ſich überdies, wollte er in Frieden 
mit ihr leben, entichliefen, dem Schwiegervater feine 
andern Töchter an den Mann bringen zu helfen, was 
ihn gewaltige Summen koſtete. Ebenfo mußte er, um 
mit feinem Weibe gut Freund zu bleiben, einen ihrer 
Brüder mit Tüchern nah dem Brient fhiden, einen 
andern mit Seidenzeugen nad dem Wellen und den 
dritten als Goldfchläger in Florenz unterbringen. Mit 
diefen Dingen ging denn allmälig der größte Theil feines 
Vermögens auf. Um die Zeit des Faſchings fodann und 
um Sanct Johannis, wenn bie ganze Stadt nach alter 
Gemohnheit voller Feftlichkeiten ift, und viele edle und 
reiche Bürger die koſtbarſien Gaftereien anftellen, wollte 
Frau Oneſta, um nicht andern nachzuftehen, bag ihr 
Roderigo mit dergleichen Feftlichkeiten es allen andern 
Zuvorthue. Das alles ertrug er aus ben fehon. angege- 
“ benen Gründen leicht und würde es auch, fo ſchwer «es 
an und für fich fein mochte, nimmermehr läftig gefunden 
haben, hätte er damit nur auch wirklich feine häusliche 
Ruhe erfauft und fo viel gewonnen, dem berannahenben 
Zeitpunkte feine® ganzlichen Unterganges mit Gemaͤchlich⸗ 
feit entgegenzufehen. Aber es wiberfuhr ihm das Gegen- 
theil; denn abgefehen von dem unerfchwinglichen Aufwand 
fuchte fie ihn, ihrem widerwärtigen Weſen entiprechend, 
mit unzähligen Ungelegenheiten heim, und Fein Knecht 
oder Diener konnte es in feinem Haufe lange, ja nur 


40. Belfagor. 245 


Zage oder Wochen, aushalten. Daraus erwuchs denn 
dem armen Roderigo der empfindlichfte Nachtheil, meil 
er feinen Diener erhalten konnte, der feinem Hauswefen 
reblih zugethan geweſen wäre, benn nicht allein die 
menfchlichen gingen weg, fondern auch bie Teufel, die er 
in Geftalt von Dienern mitgebracht hatte, wollten lieber 
in die Hölle zurückkehren und im euer verweilen, als 
auf der Welt unter der Herrfchaft diefes Weibes leben. 
So führte nun Roderigo das ruhelofefte und unbehag- 
lichſte Leben und hatte es durch feine fchlechte Wirthſchaft 
_ bereits dahin gebracht, daß er mit feinem ganzen beweg- 
lichen Beſitzthume fertig war und auf die Hoffnung ber 
von Dften und Welten erwarteten Summen zu leben 
anfing. Noch genoß er guten Credits und borgte auf 
Wechſel; da. er aber auf diefe Art nothwendigerweiſe 
immer tiefer in Schulden gerieth, machte er fich in kurzer 
Zeit allen denjenigen verdächtig, die fi auf folcherlei 
Schliche in Handel und Wandel verftanden. Während 
nun feine Lage bereits fehr ſchwankend geworden war, 
kam plöglih Nachricht von der Levante und aus dem 
Werften, einer der Brüder der Frau Onefta habe all das 
Eigenthum, das ihm Roderigo anvertraut, im Spiel ver- 
loren, der andere fei dagegen auf der Rückkehr in einem 
mit feinen Waaren beladenen Schiffe, ohne verfichert zu 
fein, fammt allem eine Beute ber Wellen geworden. 
Kaum war bied zucchbar geworden, fo verbanden ſich 
Roderigo's Gläubiger miteinander in der Beforgniß, er 
möchte zu Grunde gerichtet fein; da man aber noch nicht 
darüber ins Reine kommen konnte, weil der Zeitpunkt 
ihrer Bezahlung noch nicht vorhanden war, fo befchloffen 
fie, ihn forgfältig bewachen zu laffen, damit er nicht, 
ehe ihre Berathung einen Erfolg haben könne, fich ihnen 
durch die Flucht entziehe. Roderigo andererfeitd fah keine 
andere Hilfe in feiner Noth und wußte boch, daß er das 
Geſetz der Hölle nicht überfchreiten dürfe, entfchloß fich 
demnach, unter jeder Bedingung zu entfliehen. Er warf 


246 VI. Niccold Macchiavelli. 


fi) daher morgens auf ein raſches Pferd und da er nahe 
am Thore al Prato*) wohnte, eilte er durch baffelbe 
hinaus. Kaum dag man fich feiner Entfernung verfab, 
ſo entftand ein Aufruhr unter den Gläubigern, fie wandten 
fich an bie Obrigkeit und ſchickten ihm nicht nur Gerichts« 
boten nach, fondern verfolgten ihn insgeſammt perfönlich. 
Moderigo war noch Feine Meile weit von der Stadt ent- 
fernt, als diefe Gefahr wider ihn losbrach. Er erkannte 
feine üble Lage und nahm fich vor, um deſto verborgener 
zu fliehen, die gebahnte Straße zu verlaffen und quer 
feldein weiter zu eilen, wohin ihn fein gutes Glück führe. 
Er fegte dieſen Vorfag ins Werk, fand aber bald, daß 
bie vielen das Feld durchfchneidenden Gräben ihm dabei 
hinderlich wurden und baf er zu Pferb nicht weiter fomme. 
Er floh deöwegen zu Fuß weiter, ließ fein Roß auf der 
Strafe ledig laufen und fprang von einem Stud Feld 
zum andern über das mit Weingärten und Möhricht be 
dedte Land hin, bie er in der Nähe von Peretola an 
das Haus des Giovanni Matteo del Bricca kam, bes 
Feldbauers des Giovanni bel Bene. Er begegnete dem 
Siovanni Matteo gerade, als diefer Futter für feine Ochſen 
heimtrug, flellte fih unter feinen Schug und verſprach 
ibm, mwenn er ihn aus ben Händen feiner Feinde rette, 
welche ihn verfolgen, um ihn im Gefängniß umkommen 
zu laſſen, fo wolle er ihn reich machen und ‚vor feinem 
Scheiden ihm darüber genügende Bürgſchaft geben; im 
entgegengefegten Zalle fei er zufrieden, daß er ihn felbft 
feinen Gegnern ausliefere. Giovanni Matteo war zwar 
ein Landmann, aber dennoch ein unternehmender Menfch, 
und da er. ber Anficht war, er könne nicht wohl zu kurz 
dabei wegkommen, wenn er den Flüchtling rette, fo fagte 
er demfelben feine Bitte zu. Er ftedte ihn im einen 





*) Die Porta al Prato ift das nordweftlihe Thor von Zlorenz, 
J— welches eine faſt gerade Straße von Allerheiligen aus hin⸗ 
istt. | 





40. Belfagor. 347 


Haufen Dünger, ben er vor dem Haufe liegen hatte, ' 
und bededte ihn mit Pleinen Rohren und anberm Ab» 
gang, den er zum Verbrennen zufammengemorfen hatte. 
Kaum war man mit Roderigo's Berftedung fertig, als 
auch ſchon feine Verfolger herzufamen und durch Dro— 
bungen den Giovanni Matteo einzufchüchtern fuchten, 
aber nicht einmal von ihm herausbrachten, daß er ihn 
gefehen babe. Sie zogen daher weiter und tehrten, 
nachdem fie ihn zwei Tage umfanft gefucht Batten, er⸗ 
müdet wieber nad; Florenz zurüd. Sobald der Lärm 
worüber war, holte Giovanni Matteo. ihn aus feinem 
Schlupfwinkel hervor und mahnte ihn an fein gegebenes 
Wort. Da fprad) Roderigo zu ihm: Mein lieber Bruber, 
ih bin dir zu großem Danke verpflichtet; aber ich will 
verfuchen, dir meine Verbindlichkeit auf jede Weiſe abzu⸗ 
tragen. Und damit bu glaubt, dag ich dies im Stande 
fei, will ih dir fagen, wer ich bin. 

Er theilte ihm hier feine perfönlihen Berhältniffe 
und die Bedingungen mit, unter denen er bie Holle ver⸗ 
laffen und fich ein Weib genommen hatte. Er eröffnete 
ihm überdies die Art und Weiſe, auf die er ihn zu ber 
reihern gedachte, und bie eben Feine andere war, als. 
daß Giovanni Matteo, fobald er von irgend einem Weibe 
höre, das befeffen fei, nur getroft annehmen bürfe, er - 
fei felber in fie gefahren und er werde nicht cher aus 
ihr weichen, als bis Giosanni komme und ihn vertreibe; 
damit babe er denn Gelegenheit, fich von ben Verwandten 
der Befeffenen nach Belieben bezahlen zu Iaffen. Nach» 
dem Roderigo bdiefe- Erklärung von fich gegeben hatte, 
wurde er plöglich unfichtbar. Es waren aber hierauf 
kaum einige Tage ind Land gegangen, als fich durch ganz 
Florenz die Neuigkeit verbreitete, daß eine Tochter‘ bes 
Meſſer Ambrogio Amebei, die an Buonajuto Tebalducci 
verheirathet war, vom Xeufel befeffen fei. Die Ihrigen 
verfäumten nicht, alle jene Hilfsmittel Dagegen anzuwenden, 
die bei folchen Unfällen gebräuchlich find. Man legte.ihr 


248 VI. RNiccold Macchiavelli. 


den Schaͤdel des heiligen Zenobius auf den Kopf und 
den Mantel des heiligen Johannes Walbert; aber alle 
dieſe Dinge wurden von Roderigo nur verhöhnt; und 
um jedermaͤnniglich zu überzeugen, daß die Krankheit 
des jungen Weibes ein boͤſer Geiſt und keine phantaſtiſche 
Einbildung ſei, ſprach er lateiniſch, disputirte über philo- 
ſophiſche Fragen und deckte die Sünden vieler Leute auf, 
wie zum Beifpiel die eines gewiſſen Klofterbrubers, welcher 
fih über vier Jahre ein in einen Möndy verkleibetes Weib 
in feiner Zelle gehalten hatte. Dergleichen Dinge erregten 
natürlich allgemeine Verwunderung. Herr Ambrogio war 
'unterbeffen fehr misvergnügt und hatte faft alle Hoffnung 
auf ihre Heilung aufgegeben, als ihn Giovanni Matteo 
befuchte und ihm feine Tochter zu heilen verſprach, wenn 
er ihm fünfhundert Gulden geben wolle, um ſich ein 
But in Peretola Laufen zu koͤnnen. Herr Ambrogio 
ging auf fein Anerbieten ein; Giovanni Matteo aber 
ließ, um die Sache aufzuflugen, vorerft etliche Meffen 
Iefen, machte allerlei Hocuspocus, und murrte dann dem 
jungen Weibe die Worte ins Ohr: Noberigo, ich bin 
hierher gekommen, um dich aufzufuchen, damit bu mir 
Wort balteft. 

Roderigo antwortete ihm: Ich bin es zufrieden; aber 
das iſt noch nicht genug, um dich reich zu machen. 
Sobald ih von Binnen gewichen fein werbe, fahre ich 
in bie Zochter des Könige Karl von Neapel und weiche 
nicht von ihr ohne dich. Dann kannſt bu bir ein tüch⸗ 
tiges Handgeld ganz nach deinen Wünfchen ausbebingen 
und mußt mic, fpäter in Ruhe laffen. 

Nach diefen Worten fuhr er aus ihr aus zur Freude 
und Verwunderung von ganz Florenz. Es währte hierauf 
gar nicht Iange, fo verbreitete ſich duch ganz Italien 
das Gerücht von dem Unglüd, das über die Tochter des 
Königs Karl gelommen war. Die Mittel der Geiftlichen 
wollten nicht anfchlagen und ba ber König von Giovanni 
Matteo reden hörte, fo ließ er ihm zu ſich von Florenz 





40. Belfagor. | 249 


entbieten. Matteo fam in Neapel an und heilte fie nach 
einigen zum Schein angeftellten Ceremonien. Aber che 
Roderigo ſich davonmachte, fagte er: Du fiehft, Gio- 
vonni Matteo, ich habe mein Verſprechen, dich zu bes 
veichern, vollkommen gehalten und Feine Verbindlichkeit 
weiter gegen dich zu erfüllen und wie find quitt. Hüte 
dich daher, mir ferner ind Gehege zu fommen! Denn 
wie ich bir bisher Gutes erwiefen, würde ich bir in Zur 
funft nur Böfes thun. ’ 
Giovanni Matteo Fehrte baher als fehr reicher Mann 
na Florenz zurüd, denn er hatte vom König über 
funfzigtaufend Ducaten empfangen und war nur noch 
darauf bedacht, dieſen Reichthum in Ruhe zu geniefen, 
ohne zu beforgen, Roderigo möchte ihn in feinem fried- 
lichen Genuffe zu ſtoͤren beabfichtigen. Mit einem male 
aber wurde er aus feiner Ruhe durch die Nachricht auf⸗ 
gefchredt, daß eine Zochter König Ludwig's des fiebenten 
von Frankreich vom Teufel befeffen fei. Diefe Stunde 
brachte Giovanni Matteo's Gemüth ganz außer Faffung, 
indem er an bie Gewalt diefes Königs und an bie legten 
Worte Roderigo’8 dachte. Da nun der König kein Heil- 
mittel für feine Xochter fand und von der Heilkraft 
Giovanni Matteo’3 hörte, fandte er zuerft einfach einen 
Zaufer an ihn ab, um ihn herzubefcheiden; da diefer aber 
eine Unpäßlichkeit vorfchügte, fah fich der König am Ende 
gezwungen, die Herrfchaft um ihn anzugehen, welche dann 
"den Giovanni Matteo gm Gehorſam nöthigte. Diefer 
ging daher mit großer Bangigkeit nach Paris, und gab 
zuvörderft dem König die Erklärung ab, er habe zwar 
einige mal allerdings Befeffene geheilt, aber darum habe 
er noch gar nicht die Kraft und die Macht alle folche 
Kranke zu heilen; denn es gebe welche von fo hinter 
Iiftigem Weſen, daß fie weder Drohungen noch Zauber 
noch geiftliche Mittel ſcheuen; er wolle deffen ungeachtet 
gern fein möglichftes thun, bitte aber, wenn es ihm nicht 
elinge, um Vergebung und Entſchuldigung. Der König 
| 1124 


250 VI. Niccold Macchiavelli. 


verſetzte ihm darauf zornig, wenn er ſeine Tochter nicht 
heile, ſo werde er ihn hängen laſſen. Giovanni Matteo 
war hierüber tief betrübt, faßte ſich aber doch ſoweit, daß 
er die Beſeſſene kommen ließ. Er ſprach ihr ins Ohr 
und empfahl ſich demüthig dem Roderigo, erinnerte ihn 
an die ihm erwieſene Wohlthat und ſtellte ihm vor, 
welch ein undankbares Betragen es von ihm wäre, wenn 
er ihn in folder Noth im Stiche ließe. Roderigo aber 
verfegte: Ei du fchurkifcher Verräther, wie kannſt du frech 
genug fein, mir wieder nahe zu kommen? Meinft du, daf 
du dich wirft lange zu rühmen haben, durch mich reich ge⸗ 
worden zu fein® ch will es dir und einem jeden zeigen, wie 
ih nach meinem Belieben auch wieder nehmen Tann, was 
ich gegeben habe. Du follft nicht wieder von binnen fommen; 
ich bringe dich an den Galgen, es kofte was es wolle. 

Da nun Giovanni Matteo hieraus erkannte, daß er 
auf die alte Weife dies mal nichts ausrichtete, fo gedachte 
er fein gutes Glück auf eine andere zu verfuchen, verfügte, 
daß man bie Beſeſſene wieder von bannen bringe, und 
fpra dann zum König: Sire, wie ich euch ſchon gefagt 
babe, gibt es viele Geiſter, welche fo unbändig find, daß 
gar nicht mit ihnen auszukommen ift, und diefer hier iſt 
einer von den fchlimmften. Deffen ungeachtet will ich 
noch einen legten Verſuch machen, ihn zu vertreiben. 
Gelingt e8 mir, fo haben wir beide, eure Majeftät und 
ich, unfere Abficht erreicht; wo nicht, fo bin ich in eurer 
Gewalt und muß es euch überlaffen zu entfcheiden, wie viel 
Mitleiden ihr glaubt, daß meine Unfchuld verdient. Ich er⸗ 
ſuche euch naͤmlich auf dem Plage ber Liehfrauenfirche 
ein hohes Gerüft aufführen zu laffen, das geräumig genug 
fei für den ganzen Adel und bie Geiftlichkeit dieſer Stadt; 
dieſes Gerüfte läßt du mit Seide und Goldftoffen behängen 
und mitten darauf einen Altar errichten. Am nächften 
Sonntag in ber Frühe follft du dann mit ber Geiftlichkeit 
und allen deinen Fürften und Edelleuten in Töniglicher 
Pracht, mit glänzenden reichen Gewaͤnden angethan da- 


40. Belfagor. 251 


felbft erfcheinen und dort erſt eine feierliche Meffe anhören, 
ehe man die Befeffene hinführt. Ich’wünfche überdies, 
daß auf der einen Seite des Plages wenigftend zwanzig 
Derfonen aufgeftellt werben, die mit Trompeten, Hörnern, 
Trommeln, Sadpfeifen, Schalmeien, Zimbeln und andern 
geraͤuſchvollen Inſtrumenten aller Art verſehen ſind und, 
ſobald ich einen Hut ſchwinge, dieſe Inſtrumente laut 
ertönen laſſen, indem ſie damit raſchen Schrittes auf das 
Gerüſte zuziehen. Dieſe Dinge, verbunden mit einigen 
- andern geheimen Mitteln, ſollen, wie ich hoffe, zur Aus⸗ 
treibung eben jenes Teufels genügen. 

Der König ließ unverzüglich alle Beranflaltungen 
treffen, und als der erwartete Sonntagsmorgen kam, 
und das Gerüſte von den hohen Perfonen und der Plag 
vom Volke angefüllt war, wurde bie Meffe gefeiert, und 
fodann die Beſeſſene auf da8 Gerüft geführt, geleitet von 
zwei Bifchöfen und vielen vornehmen Herren. Als Ro⸗ 
derigo die Volksmenge und die großen Zurüftungen fah, 
war er ganz verblüfft und ſprach bei fi) jelöft: Mas 
bat fih nun wol der elende Bauerlümmel mit mir aus 
gedacht? Glaubt er, mich durch das Gepränge einzu: 
ſchüchtern? Weiß er nicht, daß ich die Pracht des Him- 
meld und das Entfegen der Hölle zu fchauen gewohnt 
bin? Ich werde ihn ſchon dafür büfen laffen. 

Dann als Giovanni Matteo an feine Seite trat und 
ihn nochmals bat, auszufahren, fagte er zu ihm: Ei, 
da haft du ja eine herrliche Erfindung gemacht. Was 
gedenkſt du mit all dem Zeuge anzufangen? Glaubft 
du hierdurch meiner Übermacht und dem Zorn bes Königs 
zu entgehen? Du NRüpel! Du Schuft! Du follft mir 
hängen; du magft anfangen, was du willft. 

Ald Giovanni Matteo ihn nochmals gebeten, aber 
nur neue Schimpfreden zur Antwort erhalten hatte, 
glaubte er, mun weiter keine Zeit verlieren zu Dürfen. 
Er machte alfo das verabrebete Zeichen mit dem Hute, 
und alle bie, welche beftellt waren, den Laͤrm anzurichten, 


252 VI. Riccold Mackhiavelli. 


ließen mit einem Mal ihre Inſtrumente zum Himmel 
erklingen und zogen fo zu dem Gerüfte heran. Bei dem 
unerwarteten Lärm fpigte Roderigo die Ohren, und da 
er durchaus nicht mußte, was das war, fragte er voll 
Staunen und Verwunderung den Giovanni Matteo, was 
das bedeute. Giovanni Matteo antwortete ihm ganz be- 
ftürzt: Weh mir, Freund Roderigo, das ift deine Frau, 
die Pi wieder zu ſich Holen will. 

Es laͤßt ſich kaum denken, welche Veranderung es in 
Roderigo's Stimmung hervorbrachte, als er von ſeiner Frau 
reden hörte. Seine Erſchütterung war fo groß, daß er, 
ohne zu erwägen, ob ed möglich und denkbar fei, daß 
fie es fei, und ohne etwas zu erwibern, in Furcht und 
Graufen entfloh und das Mädchen freigab. Belfagor 
wollte lieber in die Hölle zurüdtehren, um von feinen 
Thaten Nechenfchaft abzulegen, als fich von neuem unter 
au der Widerwaͤrtigkeit, Unluft und Gefahr dem Joche 
ber Ehe unterwerfen. In bie Hölle zurückgekehrt be- 
fräftigte er das Unheil, welches ein Weib in ein Haus 
bringt; Giovanni Matteo aber, der davon noch mehr zu 
fagen wußte, als der Teufel, machte fich bald nachher 
munter und guter Dinge auf ben Weg nad) Hauſe. 


VI. Bernardo Ilicino. 
1470. 


41. Sieniſcher Edelmuth. 


In Siena wurde in den letzten Tagen eine adelige 
angeſehene und ſehr reichliche Hochzeit gefeiert. Nachdem 
die Tafeln aufgehoben waren, führte man wegen der 
ſtrengen Kälte des rauhen Wetters die jungen Frauen 
und Mädchen an das Feuer, wo unter anmuthigen und 
fittfamen Gefprächen über mehrere Gegenftände die Unter- 
haltung fortgefegt wurde. Am Enbe derfelben kamen fie 
alle in dem Schluffe überein, daß nichtE Anderes in einer 
edeln Seele fo ſchön glänze, als Großmuth, Dankbarkeit 
und Freigebigkeit. Darüber fagte eine fehr würdige altere 
Frau, mit freundlichen Blicken: Hochedle Frauen, eure 
löbliche Meinung, auf welche eure fittfame Unterhaltung 
und anmuthiges Gefpräd hinausläuft, ruft mir einen 
Fall ins Gedächtnig, welcher zwifchen zwei Jünglingen 
unferer Vaterſtadt fich ereignet hat. Beide waren edel 
von Geburt, wie ihr,. einer aus dem glänzenden und 
mächtigen Haufe.der Salimbeni, Namens Anfelmo von 
Miffer Salimbene, der andere aus der hochfinnigen Fa- 
milie der Montanini, Namens Carlo von Miſſer Tom- 
mafo. Sie haben fich gegenfeitig manche Beweiſe edler 
Großmuth gegeben; und wenn ihr geneigt feid, mir 
darüber euer aufrichtiged Urtheil Fund zu thun, fo will 
ich gerne euch das Ereigniß erzählen. 

Unter einer großen Zahl anderer einheimifcher Mädchen 
waren blos drei dafelbft, welche in Siena Ebelfräulein 
biegen: eine aus der adeligen Familie von Luziano, 


254 VII. Bernardo Iticino. 


Namens Battifta, die andere aus dem Haufe der Mala- 
volti, genannt Margarita, die dritte eine der Saracini, 
welche Bianca hieß. Als diefe die Rede an fich gerichtet 
merkten, übernahm Margarita, die jüngfte unter ihnen, 
die Antwort und ſprach: Meine hochzuverehrende Mutter, 
wenn ich diefe beiden andern fittfamen Schmweftern für fo 
wenig einfichtsvoll und urtheilsfähig hielte, wie ich bei 
meiner Jugend, Ungefchidlichkeit und Unerfahrenheit es 
bin, fo müßte ich euch bitten, daß ihr euch nicht weiter 
Mühe gebt, uns etwas zu erzählen, was Prüfung er- 
beifcht. Da aber jede von ihnen mehrmals bie Schule 
und den Wettkampf der Klugheit durchgemacht und immter 
reifes Urtheil, klarſte Einficht und hoͤchſte Wißbegierde 
nach jeder edeln Handlungsweiſe und Sitte bewährt bat, 
aus biefem Grunde wird es mir höchft ermünfcht fein, 
je eher je lieber ben von euch zu erzählenden Gall zu 
vernehmen; worauf fie dann ihr Urtheil abgeben mögen. 
Zugleich erkläre ich mich bereit, würbigfte Frau, um nicht 
als unaufmerffam oder undankbar gegen euch zu erfchei- 
nen, ebenfo dasjenige auszufprechen, was ich davon ver 


be. 

Nach diefen Worten bereiteten fich ſchon bie drei hoch⸗ 
edlen Fräulein und ebenfo alle Umſtehenden zu hören; 
die ehrwürdige Matrone aber begann alfo ihre ernfie, 
würdige und wohlgehaltene Erzählung. 

Es fcheint eine allgemeine Eigenfchaft aller erſchaffe⸗ 
nen Dinge zu fein, daß in ihrem Weſen fich irgend eine 
Unvolllommenheit ausfindig machen läßt. Daher fagt man 
mit Necht im gemeinen Leben, nur ber allerhöchfte Gott 
fei fehlerfrei, was man ganz beutlich bemerkt in ben edeln 
und mächtigen Familien, Zürften und Reichen, worin die 
Menſchen fo weit entfernt find duldfam zu fein. Dies 
erweift Tich offenbar im den vorbefagten Zamilien, den 
Salimbent nämlich und den Montanini. Es fanden fich 
einft bei einer ſehr adeligen Jagd die meiften jungen 
Leute beider Familien vereinigt, die Hunde hatten einen 


41. Sienifher Edelmuth. 255 


wilden Eber erlegt und man Fam in Streit über bie 
brave Haltung der Hunde. Da begab es fi) denn nach 
vielem Hin» und Herreden, daß einer der Montanini 
einen jungen Salimbene töbdtlich verwundete, aus welchem 
Todtfchlag denn eine Zodfeindfchaft entitand, in Folge 
deren nad) furzer Zeit das Haus der Montanini dem 
gänzlichen Untergang nahe kam. Nach vielen Jahren 
jedoch hatte fih die Kränkung verwifcht und gelindert, 
im Jahre des Herrn 1395*) war von dem Haufe ber 
Montanini nur no Carlo von Miffer Tommafo und 
eine funfzehnjährige Schwefter deffelben, Namens Angelica, 
übrig, welche in der That mehr die Geſtalt eines Engels 
hatte, als fie einem irdifchen Wefen glih. Carlo hatte 
in der Nähe im Strovethal eine fehr hübfche Beſitzung 
im Werthe von taufend Gulden, womit er gar fparfam 
fi) und feiner Schwefter Unterhalt verſchaffte; denn ein 
anderes Erbtheil war ihm wegen der vorangegangenen 
Fehden nicht geblieben. Als nun Carlo auf diefe Weife 
lebte und mehr in Betragen und Worten, als durch Pracht, 
wozu ihm die Mittel fehlten, zeigte, daß er ein Edelmann 
war, begab es fich, dag Anfelmo, welcher in der Nähe 
von Carlo's Haufe wohnte und Angelica oft fah, in Be 
tracht ihrer Schönheit, ihres reizenden Benehmens und 
ihres fittfamen Weſens ſich faft unvermerkt in fie verliebte. 
Weil aber zwifchen beiden Familien, obgleich fie fich nicht 
mehr befehdeten, doch auch noch Fein ausbrüdlicher Friede 
gefchloffen war, aus diefem Grunde hielt Anfelmo feine 
Wünfche fo geheim, daß fie außer ihm niemanden be 
Zannt waren. Dabei blieb es einige Zeit, ohne daß etwas 
Neues vorkam, bis endlich ein Bürger aus dem Volke, 
ber einflußreich bei der Megierung war, nach ber Bes 
figung des befagten Carlo lüftern wurde und ihn aufs 
fordern ließ, fie an ihn zu verkaufen; er bot ihm dafür 


*) Aus diefer Angabe ſcheint hervorzugehen, daß Zlicino den Stoff 
aus der alten Siener Ehronik nahm. 


a) 


958 VII, Bernarbo Ilicino. 


Ploͤßglich aber wandte er ſich nach einer andern Seite 
und ſagte: Ha, wie niedrig und engherzig! Muß dich 
diefe Stimmung nicht mit ber tiefften Schaam isbergießen, 
da dir ja befannt ift, daß es zwei Arten des Edelfinnes 
und der Großmuth gibt, die. eine, jede große unb Beine 
Beleidigung felber zu rächen, die andere aber, durch eigene 
Großmuth fie gering zu fehägen und vollig zu verzeihen? 
Du haft die erfte vernachläffigt und denkſt nun auch nicht 
daran, die zweite zu üben. Ferner, weißt du nicht, Un⸗ 
dankbarer, daß, obmol von beinem Haufe Angelica viel 
Schaden ift zugefügt worben, fie nichts deſto weniger, fo 
oft du fie angefehen haft, dir einen friebfertigen Sinn 
gezeigt und bewiefen hat, daß fie keinen Haß gegen dich 
hegt? Und da fie bie Gefinnung beiner Seele nicht 
Tennt, bat fie immer dir freundlich verftattet, fie am 
bliden zu dürfen. Ha, kannſt bu, vollig entartet gegen 
deine hochebeln Vorfahren, je zugeben, daß etwas, was 
du fo fehr Tiebft, in folcher äußerfter Noth von dir ver- 
Iaffen wird? Wenn man nun je erführe, daf du um 
taufend Gulden den einigen Bruder deiner theuren Ge- 
liebten habeft fterben Laffen, würdeft du nicht immer und 
mit Recht eher für einen geizigen Bauer, als für einen 
milden Edelmann gehalten werden? Unb wenn früher 
empfangene Beleidigungen dich abhielten, würdeft du nicht 
weit eher die Natur eines wilden Thieres oder eines 
schen Steines als bie deinige bekennen, denn die Serle 
eines vernünftigen Gefchöpfes?t Hat doch Carlo Mon⸗ 
tanini dich niemals beleidigt und bie Vernunft gibt nicht 
zu, daß eine Schuld an einer andern Perfon gebüßt 
werde, als an dem Fehlenden ſelbſt. Hat dich nun bie 
Nature zum Edelmann und das Schidfal reich gemacht, 
fo darfſt du keinem von ben Beiden bamit Unrecht thun, 
daß bu beffen vergiffeft, der deiner Hilfe bebarf. 

Nach diefen Worten faßte Anfelmo den befiimmten 
Entſchluß, Carlo in feiner Noth beizuftehen, holte aus 
einer Kifte taufend Goldducaten und ging noch fpät am 


41. Sieniſcher Edelmuth. 260 


Abend zu dem Kämmerling, welcher bie Bußgelder in 
Empfang nahm. 

Hier, fagte er, find die taufend Goldduraten, welche 
Carlo Montanini als feine Buße entrichten läßt. Schreibt 
mir daher einen Schein, damit er losgegeben und in 
Freiheit gefegt werde! 

Der Kämmerling nahm bie taufend Ducaten in Em- 
pfang und wollte Anfelmo dasjenige herausgeben, um 
was die Ducaten taufend Gulden überftiegen. Aber An- 
felmo fagte, er wolle ed nicht, und am Ende ftellte ihm 
der Kämmerling den Schein zu, auf welchen Carlo frei 

gelaffen werben mußte. Als Anfelmo denfelben hatte, 
ed war etwa vierundzwanzig Uhr, gab er ihn einem 
vertrauten Burfchen, daß er ihn ben Vorſtehern bringe 
und blos fage, fie follen Carlo freifaffen. Er ftieg fo- 
gleich wieder zu Pferd und ritt hinweg auf fein Landgut 
zurüd. Als Anfelmo’s Diener an das Gefängniß Fam, 
fragte er nach dem Vorſteher und überreichte ihm den 
Schein. AS fodann der Vorfteher denfelben gelefen hatte, 
rief er fogleih Carlo herbei. Carlo meinte, es fei bie 
Botfchaft, dag er auf fein Seelenheil bedacht fein folle, 
weil er am folgenden Morgen fterben müffe, und ant- 
wortete dem. Vorfteher fehr niebergefchlagen: Was ver 
langft du? 

Carlo, antwortete diefer, es ift mir die Anweifung 
zu eurer Freilaffung eingehändigt worden; darum öffne 
ich euch bier die Kerkerthüre und gebe euch eurer Frei⸗ 
heit zurück. Es fteht bei euch, Hier zu bleiben ober u 
gehen. 

Carlo war über die Worte des Vorſtehers überrafcht 
und die plögliche Freude und Verwunderung lief ihn eine 
Weile nicht zur Befinnung fommen. Dann fragte er, 
wer denn die Buße für ihn erlegt habe. Der Vorſteher 
aber antwortete ihm, er wiſſe es nicht, es habe blos ein 
Diener, welchen er nicht kenne, ihm die Anweiſung ge⸗ 
bracht. Hierauf ſchied Carlo aus dem Gefängniß und 


3650 Vo. Bernardo Jlicino. 


ging nach Haufe, wo er die Thüre verfehloffen fand, 
weil es ſchon Nacht war. Er pochte an. Angelica, 
welche immer eine ſchmerzliche Nachricht erwartete, ftand 
plöglih weinend auf, ging ans Fenfter und fragte, wer 
es fei. Carlo meinte, Angelica babe ihn durch ihren 
Betrieb gerettet; da er aber die Hausthüre verfchloffen 
fand und das Weinen feiner Schwefter hörte, wunderte 
er fi) von Neuem und noch mehr. Doch antwortete er: 
Fa auf, meine Schweiter! Ich Bin bein Bruder 
arlo 

Angelica erkannte ihn gut an ber Stimme und lief 
vol Freude und Verwunderung in größter Eile an bie 
Thüre, riß fie auf und flürzte dem Bruder an den Hals, 
mit fo überfirömender Liebe und Wonne, ald ob er vom 
Zode auferftanden wäre. Einige verwandte Frauen waren 
hergefommen, um Angelica zu tröften. Als diefe nun 
Carlo befreit fahen, machten fie fogleich den Ihrigen bie 
Anzeige, und fo kam es, ba in kurzem Garlo’s Haus 
ganz angefüllt ward von feinen Angehörigen, welche herbei» 
ſtrömten, theils um ſich zu entfehuldigen, theild um ihre 
Freude über feine Errettung auszufprechen. Zugleich er- 
tlärten fie, daß feiner von ihnen die Buße für ihn erlegt 
habe, was Carlo einestheild einigen Unmuth erregte, 
anberntheils feine Verwunderung vermehrte. Daher konnte 
er den Tag kaum erwarten, um auszugehen und fich zu 
erkundigen, wen er die Erhaltung feines Lebens ver- 
banken möge. Daher ging Carlo am folgenden Morgen 


“zu dem fchon befagten Kaͤmmerling und fragte ihn blos, 
* mer ber fei, der für ihn taufend Gulden bezahlt habe. 


Der Kämmerling antwortete: Carlo, geftern Abend kam 
Anfelmo von Miffer Salimbene, bezahlte für dich taufend 
Goldducaten und bat mich zugleich um eine Anweifung 
zu deiner Freilaſſung. Ferner muß ich dir fagen, als 
ich ihm den Überfchuß der Ducaten über taufend Gulden 
herausgeben wollte, fagte er, es fei bein Wunſch, taufend 
Goldducaten vollfländig zu erlegen; und wenn dem fo ift, 


s 


41. Sienifher Edelmuth. 861 


fo iſt die Schrift im Reinen; märe es nicht fo und bu 
verlangft den befagten Uberfchuß, fo wiffe, daß er bereit 
liegt. | 
Carlo antwortete auf die Rede des Kämmerlings als 
bald: Miffere, wenn es fo ift, wie ihr fagt, fo ift Alles 
gut; ich verlange Feine weitere Zurüuderftattung. 

Damit nahm er Abfchied und kehrte nach Haufe. " 
Er befann ſich nun fogleich gewiſſer verliebter Blicke, 
welche er früher Anfelmo der Angelica hatte zuwenden 
fehen und gedachte ebenfo ber frühern Fehden, und ba er 
wohl mußte, daß er eine fo große Wohlthat nicht buch 
eigenes Verdienſt von feiner Seite fi) erworben habe, 
kam er zulegt,-da er einen feharfen Verftand und viel 
Geiſt beſaß, auf den Schluß, nichts Anderes habe An⸗ 
felmo zu dieſer Freigebigfeit bewegen können, als bie 
Bereitwilligkeit der Liebe, welche, jemehr fie einem edeln 
und von Klugheit, Gemandtheit, und Sitte gezügelten 
Manne inwohnt, um fo mehr ihre Kraft zeigt. Er ent- 
fchloß fich daher fogleich, fobald er bemerkte, daß Anfelmo 
Angelica fein Xeben gewidmet habe, das feinige nebft dem 
Angelica’8 der freien Willkür Anfelmo’s zu überlaffen. 
Er verfchob jedoch diefen Plan mit größtem Geheimniß, 
bis er Anfelmo nad feiner Rüdfehr nach Siena fehe. 
Eines Samstag Morgens begegnete er ihm. Sobald er 
ihn erblickte, kehrte er nach Haufe, rief Angelica in fein 
Gemach und ſprach zu ihr: Meine liebite Schweſter, fo 
oft ich überlege, mie groß in vergangenen Tagen der 
Adel unferer Familie und die Vortrefflichkeit unferer Vor⸗ 
fahren geweſen ift, fühle ich meine Seele aufs Höchfte 
befchwert, da ich uns jegt in ſolche Bedrängniß verfegt 
fehe, daß wir mit großer Mühe unfer armes Xeben er- 
halten. Aber noch weit mehr müßte e8 mich fhmerzen, 
wenn ich meinen müßte, unfer Sinn entfpreche nicht mehr 
dem unferer Vorfahren, welche niemals zugaben, daß 
andere, wenn auch Reiche und Mächtige, es ihnen in 
Edelmuth zuvor thaten; denn durch bie Niedrigkeit ber 


262 VI. Bernardo Jlicino. 


Gefinnung müßte ih glauben, daß wir der Natur Un- 
recht thun, die uns ein edles Blut und einen großen 
Sinn gegeben hat. Aber allerdings begegnet mir Eine 
Zufriebenheit unter vielen Bebrängniffen, die nämlich, 
daß, während in den legten Tagen ber größte Edelmuth 
gegen uns geübt morben ift, der bewundernswürbigfte 
vielleicht, deffen fich unfere Familie je zu erfreuen gehabt 
bat, daß uns das Glück auch die Möglichkeit gelafjen hat, 
diefe That, fofern du es willft, dankbar zu erwidern. 
Wie bu weißt, wäre mir feit mehreren Tagen der Kopf 
abgefchnitten und beine Ehre und dein Ruf wäre in 
Gefahr gelommen, da wir durchaus nicht im Stande 
waren, die mir auferlegte Buße von taufend Gufden zu 
erlegen; feiner unferer Angehörigen wollte ins Mittel 
treten, wie bir wohl bekannt ift; da Fam ber große Edel⸗ 
much und Hochſinn Anfelmo’s von Miffer Salimbene, 
der aus eigenem Antzieb feines zarten und grundguten 
Herzens ohne von jemand dazu aufgefordert zu fein, 
außer von der Liebe, die er für dich hegt, für mich 
taufend Goldducaten bezahlte, ohne Rüdfiht auf jene 
alte fchwere Beleidigung unferer Vorfahren, die den Tod 
in feine Familie trugen, ja ohne Bürgſchaft von mir 
zu verlangen und ohne von uns irgend eine Wohlthat 
empfangen zu haben. Darum, meine holde Schwefter, 
nachdem ic von ihm das Leben erhalten habe und du 
gleicher Weife deinen Bruder nebft deinem Auskommen, 
fei. nun du nicht undankbar und mache nicht mich dazu! 
Ih Habe mich entfchloffen, deine Perfon ber Willkür 
Anfelmo’s zur freien Verfügung zu übergeben. Denn 
da er gezeigt bat, wie fehr er dich hochſchätzt, haben wir 
dann ficher, indem wir dich ihm überlaffen, unfere Ver⸗ 
bindlichfeit reichlich gelöfl. Ich bin überzeugt, nachdem 
er gezeigt bat, daß er Dich bezahlt, ohne dich in feiner 
Gewalt zu haben, daß er nachher, wenn er dich befigt, 
dih um fo viel theurer halten wird. Ich muß dir dabei 
geftehen, daß, wenn du meiner billigen Bitte nicht zu 


41. Sieniſcher Edelmuth. 28 


willfahren gedenkſt, ich völlig entſchloſſen bin, nicht allein 
Siena, ſondern überhaupt Italien zu verlaſſen und in 
bie Fremde zu ziehen, wo man mich gewiß nicht kennt, 
damit man nicht mit Fingern auf mich weift und ruft: 
Seht da den Carlo Montanini, dem ohne Geſuch und 
Bürgſchaft Anfelmo Salimbeni das Leben gerettet hat 
und dem der Undankbare nie einen Gegendienft erweift. 

Du wirft wohl einfehen, daß auf eine andere, Weife 
ein folcher Edelmuth unmöglich belohnt werden kann, 
ale dadurch, dag wir ihm dich felbft ſchenken. 

Nach diefen Worten fchwieg er. Angelica aber ant- 
mortete unter einem Strome von Thränen ganz zitternd 
alfo: Mein liebfter Bruder, wehe, neulich, als ich dich 
nah Haufe zurückkehren und von folder Gewalt und Wuth 
gerettet fah, glaubte ich, das Misgefchid Habe die Schläge 
eingeftellt, welche es feit langer Zeit unferer Familie zu 
ertheilen gewohnt if. Aber ih Arme fehe nunmehr ein, 
dag das Schickſal unfern Vorfahren ſich nie fo feinbfelig 
erwiefen hat, wie e8 jegt mit all feiner Gewalt darauf 
bedacht zu fein fcheint, fi mir zu erweifen in dem zarten 
Alter, in welchem ich ftehe, indem es mich in folche Noth 
geführt Hat, daß ich ohne Rettung mich bebrängt fehe, 
und mir da den einzigen Zroft, Schug und Beiftand 
entzieht, worauf ich alle Hoffnung gefegt hatte, und zwar 
wenn ich vermeigere, was mir meine Vernunft zu thun 
verbietet. Ich felbft fol, indem ich dein Begehren voll 
ftändig erfülle, dazu beitragen, den unfchägbaren Hort zu 
verlieren, um deffen Erhaltung willen kein vernünftiger 
Menſch den Verluſt des gegenwärtigen Lebens zu hoch 
anfchlagen darf. D du grimmiges Geſchick! Elendes 
Leben, das fo vielen und mandyfaltigen Bewegungen: von 
Unheil und Drangfal unterworfen ift! O erbarmungs- 
voller Tod, warum haft du, da ich fo weit gebracht 
werben foltte, mir nicht mein elendes Leben ausgelöfcht 
mit meiner füßen Mutter, die du mir bei der Geburt 
enteiffen haft? Oder doch, nachdem du bis fo meit zu⸗ 


262 | VI. Bernardo Jlicino. 


Gefinnung müßte ich glauben, dag wir der- Natur Un⸗ 
recht thun, die und ein edles Blut und einen grofen 
Sinn gegeben hat. Aber allerdings begegnet mir Eine 
Zufriedenheit unter vielen Bebrängniffen, die nämlich, 
dag, während in den legten Tagen ber größte Edelmuth 
gegen uns geübt morben ift, der bewundernswürdigſte 
vieleicht, deffen fich unfere Familie je zu erfreuen gehabt 
bat, bag uns das Glück auch die Möglichkeit gelaffen Hat, 
diefe That, fofern du es willft, dankbar zu erwidern. 
Wie du weißt, wäre mir feit mehreren Tagen der Kopf 
abgefchnitten und deine Ehre und dein Ruf. wäre in 
Gefahr gelommen, da wir durchaus nicht im Stande 
waren, bie mir auferlegte Buße von taufend Gulden zu 
erlegen; feiner unferer Angehörigen wollte ind Mittel 
treten, wie dir wohl befannt ift; da kam der große Ebdel- 
muth und Hocfinn Anfelmo’s von Miffer Salimbene, 
der aus eigenem Antzieb feines zarten und grundguten 
Herzens ohne von jemand dazu aufgefordert zu fein, 
außer von ber Liebe, die er für dich hegt, für mich 
taufend Goldducaten bezahlte, ohne Rückſicht auf jene 
alte ſchwere Beleidigung unſerer Vorfahren, die den Tod 
in feine Familie trugen, ja ohne Bürgfchaft von mir 
zu verlangen und ohne von uns irgend eine Wohlthat 
empfangen zu haben. Darum, meine holde Schwefter, 
nachdem ich von ihm das Leben erhalten habe und bu 
gleicher Weife deinen Bruder nebft deinem Ausfommen, 
fei. nun du nicht undankbar und mache nicht mich dazu! 
Ich Habe mich entfchlofien, deine Perfon ber Willkür 
Anfelmo’d zur freien Berfügung zu übergeben. Denn 
da er gezeigt hat, wie fehr er dich hochſchätzt, haben wir 
dann ficher, indem wir dich ihm überlaffen, unfere Ver⸗ 
bindlichkeit reichlich gelöft. Ich bin überzeugt, nachdem 
er gezeigt bat, daß er dich bezahlt, ohne bich in feiner 
Gewalt zu haben, daß er nachher, wenn er dich befigt, 
dich um fo viel theurer halten wird. Ich muß dir dabei 
geftehen, daß, wenn du meiner billigen Bitte nicht zu 


41. Sieniſcher Edelmuth. 263 


willfahren gedenkſt, ich vollig entfchleffen bin, nicht allein 
Siena, fondern überhaupt Italien zu verlaffen und in 
bie Fremde zu ziehen, wo man mid, gewiß nicht Zennt, 
damit man nicht mit Fingern auf mic, weift und ruft: 
Scht da den Carlo Montanini, dem ohne Gefuch und 
Bürsfchaft Anfelmo Salimbeni das Leben gerettet hat 
und bem der Undankhare nie einen Gegendienft erweift. 

Du wirft wohl einfehen, daß auf eine andere-Weife 
ein folcher Edelmuth unmöglich belohnt werden Tann, 
ale dadurch, daß wir ihm bich ſelbſt ſchenken. 

Nach diefen Worten fchwieg er. Angelica aber ant⸗ 
wortete unter einem Strome von Thränen ganz zitternd 
alfo: Mein liebfter Bruder, wehe, neulih, als ich dich 
nach Haufe zurückkehren und von folder Gewalt und Wuth 
gerettet fah, glaubte ih, das Misgeſchick habe die Schläge 
eingeftellt, welche es feit langer Zeit unferer Familie zu 
ertheilen gemohnt ift. Aber ich Arme fehe nunmehr ein, 
daß das Schickſal unfern Vorfahren fich nie fo feindfelig 
erwiefen hat, wie es jegt mit all feiner Gewalt darauf 
bedacht zu fein fcheint, ſich mir zu ermeifen in dem zarten 
Alter, in welchem ich ftehe, indem es mich in ſolche Noth 
geführt hat, daß ich ohne Mettung mich bebrängt ſehe, 
und mir da ben einzigen Troſt, Schug und Beiftand 
entzieht, worauf ich alle Hoffnung gefegt hatte, und zwar 
. wenn ich vermeigere, was mir meine Vernunft zu thun 
verbietet. Ich felbft fol, indem ich dein Begehren voll- 
ftändig erfülle, dazu beitragen, ben unfchägbaren Hort zu 
verlieren, um beffen Erhaltung willen kein vernünftiger 
Menſch den Verluſt des gegenwärtigen Lebens zu Hoch 
anfchlagen darf. D du grimmiges Geſchick! Klendes 
Leben, das fo vielen und mandjfaltigen Bewegungen. von 
Unheil und Drangfal unterworfen iſt! O erbarmungs- 
voller Tod, warum haft du, da ich fo weit gebracht 
werden follte, mir nicht mein elendes Xeben ausgelöfcht 
mit meiner füßen Mutter, die du mir bei der Geburt 
entriffen haft? Oder doch, nachdem du bie fo weit zu⸗ 


264 VI. Bernardo Ilicino. 


geſtimmt haft, daß ich endloſe Mühſal, Bedrängniß und 
Schmerzen erbulde, warum ſchließt du micht jegt dieſe 
weinenden Augen, welche andern wenig Vergnügen, mir ' 
fetbft aber viel Bitterkeit verurfacht haben? Wohlan, 
nachdem mein Schidfal mid, in ſolches Elend zu führen 
fih anſchickt, wiffe, mein theurer Bruder, der du weit 
mehr auf die Stimme des Edelmuthes, ald auf die For- 
derungen ber Vernunft hörft, ich bins zufrieden, beinen 
Willen zu erfüllen und die Liebe zu lohnen, die du 
immerdar bis zu biefem Augenblide gegen mich gezeigt 
haft, und ich bin damit einverftanden, daß du mit dieſem 
Leibe ein Geſchenk macheft, wen bir gefällt. Aber das 
folft du wiſſen, fobald du mich hingefchenkt Haft, fobald 
ich nicht mehr dir angehöre, foll ber Tod , ben ich felbft 
graufam hervorrufen werde, wenn je meiner Würde zu 
nahe getreten wird, ein wahres und vollgiltiges Zeugniß 
ablegen, daß ich zu deinem ungehorigen Geſchenk und 
deiner unerlaubten Wiedervergeltung nicht meine Einwil- 
ligung gegeben habe. 

Nach diefen Worten, welche von einem reichlichen 
Strome von Thränen, von Seufzern und Schluchzen 
unterbrochen waren, fchwieg fie. Carlo aber fagte, als er 
Angelica’s Schluß gehört hatte: Meine holdeſte Schwefter, 
glaube nicht, daß mir je diefes armfelige Leben fo theuer 
ift, daß ich es nicht gern täglich) unzählige Male binge- 
geben hätte, ehe ich deine Ehre in Gefahr brächte. Die 
Erfahrung ſollte Dich dies gelehrt haben, wäre nicht ber 
überfchwengliche Edelmuth und die ungeheure Kreigebigkeit 
Anfelmo’s gefommen. Aber da ich überzeugt bin, daß 
die Undankbarkeit nicht niedrig genug anzufchlagen ift, 
glaube ich durch deine Mitwirkung deine Würde und 
meine eigene zu erhöhen, wenn wir hierin unſerer 
Pflicht Genüge leiſten. Der vornehmfte Diener der’ 
Dankbarkeit ift beiterr Sinn und Ausfehen; darum 
bitte ih dich ausdrüdlih, bag du nunmehr deinem 
Weinen ein Ziel fegeft und dich überzeugſt, daß der 


41. Sieniſcher Ebelmuth. 205 


Edelſinn Anſelmo's dieſe Vergeltung wirklich und wahr· 
haftig verdient. 

Damit ſchwieg er. Angelica und Carlo erwarteten 
den Einbruch der Nacht. As fie gekommen war, etwa 
um zwei Uhr nach Sommenuntergang, gingen Carlo und 
Angelica mit einem einzigen Burfchen, melcher ein kleines 
Licht in einer Raterne trug, an Anfelmo’s Haus, pochten 
an die Thüre, und ald die Diener barauf mit der Frage 
antworteten, wer ba fei, fagte Carlo, es fei ein getreuer 
Diener Anfelmo’s, der hoͤchſt nöthig habe, mit ihm zu 
fprehen. Die Diener richteten dies Anfelmo aus, worauf 
diefer unvermeilt an die Thüre Fam, um zu.vernehmen, 
wer ed fei. Er ließ fie öffnen und Carlo und Angelica 
traten ein. Nach der erften Begrüßung erkannten fie fich 
und Carlo ſprach zu Anfelmo: Anfelmo, mir müffen mit 
euch allein in eurem Gemache etwas befprechen. 

Anfelmo, von der Neuheit der Sache nicht wenig über- 
raſcht, antwortete blos: Gehen wir nach eurem Gefallen! 

Sie fliegen die Treppe empor und gelangten in das 
Gemach, welches auspeftattet war, wie es für Anfelmo’s 
Adel und feinen Reichthum paßte. Er entließ die Diener, 
bios die drei blieben in dem Gemach und Carlo hub 
gegen Anfelmo alſo an: Mein gnädigfter Herr, von dem 
ich ohne alles Verdienſt von meiner Seite diefed mein 
Leben und meine Schwefter hier ihre Ehre und ihr Aus- 
fommen erhalten zu haben dankbar anerkennen muß, hätte 
nicht das Misgeſchick unfere Familie fo fehr verfolgt, fo 
hätten wir beide, jedes nad) feinem Vermögen die große 
Berbinblichkeit abgetragen, w welche wir gegen: Euer Edeln 
haben. Aber ba wir uns in einem fo Mäglichen Zuflande 
befinden, daß nichts anderes, ald die Seele und diefe Leiber 
in unferer. Gewalt und Derrfchaft geblieben find. und da 
Diefe und nur durch :euch gerettet worden find, fo bat 
eure Freigebigkeit fie euch mit Recht angeeignet. Da. 
aber noch nicht alle Funken vom Edelſinn umferes Ge . 
ſchlechts durch das Schickſal in uns verdunkelt find, über- 

Staltänifcher Novellenſchatz. J. 12 


206 VIL Bixnardo Ilieino. 


redet er uns jetzt, ja zwingt uns, daß wir nach Können 
und Vermögen vor dem Laſter der Unbantbarkeie fliehen. 
Wir haben. nun nach vernünftiger Überlegung ben Vorſatz 
und Beſchluß gefaßt, dieweil nur Angelica bier die Ur 
fache der großen von euch empfangenen Wohlthat fein 
kann, fei nur fie durchaus im Stande, eine fo große 
Schuld und Verbindlichkeit zu: tilgen, weshalb fie fick 
benn freirsällig, amd mit. meiner vollkommenen Einftim- 
mung, eurem Willen bingibt, ſchenkt und überläßt; und 


ſo gefalle es denn Euer Eben, von nım an fie zu bes 


figen und zu gebrauchen als euer Eigenthum. 1 

Nach diefen Morten verließ fie Carle, ohne eine 
Erwiderung ‘zu erwarten, verfchloß die Thüre hinter 
fih und ging hinweg. Als Anfelmo ſah, baß Carlo 
weggegangen und Angelica, welde er fo lange Zeit 
heimlich geliebt hatte, nun allein bei ihm im Zimmer 
war, umb er fie betrachtete, bie hier immer daſtand wie ein 
Bid, das Carlo's Morten weder zusufimmen noch auch 
ihnen entſchieden au widerſprechen ſchien, wurde er zugleich 
von ber größten Verminderung und ber üuferflen Heiter- 
feie erfüllt. : Faft eine halbe Scunde dauerte feine Uber⸗ 
raſchung, ohne daß er ein Wort gegen Angelica vor« 
beingen konnte. Denn ging er aus bem Zimmer und 
ließ ſie allein dafelbſt. Er rief aber foglsich einige Frauen | 
und ſchickte fie hinein, um Angelica Gefeltfchaft zu leiſten. 
Sodann ließ er eime große. Zahl. Fackeln anzünden, ließ 
in aller ‚Schnelligkeit feine Genoſſen und alle anbern 
Angehörigen, Männer und Frauen, für) verfammeln und 
ihnen fagen, fte mögen doch ſchnell herfonmen, um an 
einer großen ihm zu Theil gewordenen $reube. Theil zu 
nehmen. Daher kamen etwa innerhalb einer Stunde alle 
Dermamdoe dei. Hauſes Wnfelero’s zuſunmen. Embald 
Anfehno bemerkte, daß niemand mehr fehle, fagte er zu 
ihnen bie: Begleitet midy! Ä 

Denn rief er Angelica und die andern Frauen une 
deu: Gemach und alle gingen nm in bas Haus Catlo 


ı 


41. Sieniſcher Edelmuth. 2367 - 


Montanini's und Angelica's. Dort ließ zur größten 
Berwunderung Aller Anfelmo nad, Carlo fragen. So— 
bald Carlo vernommen hatte, daß Anſelmo nad ihm 
frage, ging er fehnell hinab an die Thüre und fprach 
zu Anfelmo: Mein Gebieter, mas verlangt ihr? 

Anfelmo antwortete: Carlo, du bift vor kurzem in 
mein Haus gekommen und haft gewünfcht, allein in 
meinem Gemache mit mir zu fprechen. Jetzt wünſche 
ich mit bir zw ſprechen in deinem Saal in Gegenwart 
diefer ganzen hochedeln Gefellfchaft. 

Carlo antwortete: Mein Gebieter, feht mic, bier bereit, 
jeglichen Befehl von euch zu erfüllen. 


r zeigte ihnen fogleich den Weg und alle gingen 


die Treppe hinauf in den Hauptfaal von Carlo's Haufe. 
Dort angelangt ſprach Anfelmo folgende Worte: Geehr- 
tefte rauen, hochedle Männer, ich zweifle nicht, daß 
jeder von euch mit größter Spannung den Ausgang 
dieſes unfered gegenwärtigen Beifaumenfeins zu verneh- 
men wünſcht. Es iſt etwas, wie es unfere Vorfahren 
nie gehört noch gefehen haben, und woran ihr nach ge- 
nauer Betrachtung offenbar den Edelmuth unferer Se: 
finnung erfennen mögt, ber nie überwunden worden ift 
von ben unheilvollen Wirkungen bes: Schidfals, und er- . 
Bennen, daß Reichthum und DBefig bei uns nicht dem 

Adel, der Großmuth und feinen Sitte gleichgilt. Ich 
fage das wegen der unendlichen Liebenswürdigkeit, Hoheit 
und Seelengröße Carlo Montanini’s und Angelica's und 
wegen ber Unbefonnenheit unferer Vorfahren, weiche fi 
anft Mühe gaben, eine an fo ebeln und feltenen. Gei- 
ſtern fruchtbare Familie auszurotten, wogegen ihr wiſſen 
mögt, wie ih ſchon ſeit einigen Jahren an ber Schön- 
beit der Hier gegenmärtigen die größte Freude habe; aber 
in der That babe ich noch weit mehr ihre Tugend, Sitt- 
ſamkeit und Würde geliebt; deffen ungeachtet bat nie je 
mand meine. Sehnfucht bemerken können, als Carlo's 
ſcharfſichtiges Gemüth. Darum, ba dieſer lieber ſterben, 

12* 


988 VII. Bernardo Jlicino. 


als feine Schwefter der Mitgift berauben wollte, die er 
ihr bei feinem geringen Vermögen befchaffen-tonnte, babe 
ih, wie ihr alle wißt, feiner Zeit taufend Ducaten für 
ihn bezahlt ohne alle Bürgfchaft oder Begehren; ich that 
dies, damit ein fo ebler Geift, der einzige Bruder und 
Schug feiner Schwefter, die ich fo lange im Stillen geliebt 
batte, ihr nicht geraubt werde. Aber nun feht die wahre 
Trefflichkeit, den unbefledten Edelmuch und fchrantenlofen 
Hodhfinn! Der feltene und audgezeichnete Geiſt Carlo’s 
konnte eine folche Heine Gefälligkeit nicht annehmen, ohne 
fie zu vergüten mit einer fo großen, daß fie in ber That 
für unfhagbar muß erachtet werden. Denn in ganz rich⸗ 
tiger Erkenntniß, daß die gegen Angelica gehegte Riebe 
zum großen Theile meine Handlungsweiſe veranlaft hat, 
wollte er mit der von mir fo innig Geliebten mid. 
belohnen. Bor kurzem kamen fie daher allein in mein 
Gemach, und ohne daß Angelica widerfirebte, machte mir 
Carlo fie aufs Großmüthigſte zum Gefchent. Damit ich 
nun aber mit gerechtem Anfpruch fie befigen kann, die 
ih über Alles mit zärtlichem Verlangen liebe, beabſich⸗ 
tige ih von Neuem in eurer Gegenwart gewiffe Cere⸗ 
monien vorzunehmen. Zuvörderft, wenn Angelica es zu⸗ 
. frieden ift und Carlo feine Zuftimmung gibt, ift es meine 
Abſicht, fie zu ehelichen ald meine rechtmäfige Gemahlin. 

Angelica und Carlo antworteten, fie feien bereit, allen 
feinen Wünfchen nachzulommen; worauf Anfelmo mit drei 
Löftlichen Ringen fie in Gegenwart Aller fic) vermählte. 
Sodann wandte er fi zu den Umſtehenden und fagte 
mit freudigem Gefiht: Es ziemt fich nicht, daß eine fo 
würdige Braut, wie Angelica, ſich ohne Heirathgut ver⸗ 
mäple; darum feid mir Zeugen, daß ich diefer Angelica 
als Mitgift die Hälfte aller meiner Befigungen und Habe 
zum ungetheilten Befig überweife und ſchenke. Drittens 
und endlich vernehmet ebenmäßig, wie ich Alles, was 
hiernach von meinem Cigenthum übrigbleibt, ich als un⸗ 
tbeilbaren Befig Carlo fchente und überweife; und da er 


A1. Sienifcher Edelmuth. 269 


fih .fchon zu Erfüllung meines Willens anheifchig ges 
macht bat, fo befehle ich ihm, daß er auf diefe Weife 
die Schenkung annehme, worauf ich ihm denn feine Frei« 
beit zurückgebe. 

Carlo gehorchte Anfelmo’s Worten mit größter Freude 
und Lobpreiſung und äußerte fich durchaus zufrieden. Die 
Übereinkunft wurde fchriftlich aufgefegt und Anfelmo führte 
noch am felbigen Abend feine Gemahlin in fein Haus ein, 
unter dem Geleite der ganzen adeligen Gefellfchaft. Als 
fie dafelbft angelangt waren, lud er alle auf nächften 
Sonntag ein und entließ fie für heute. Es war nun 
nahe am vier Uhr der Nacht, da begaben fich die Neu⸗ 
vermählten mit Carlo zu Zifche und darauf nach kurzer 
Unterhaltung mit größter Wonne fchlafen. Dies alfo, 
hochedle Fräulein, ift der Vorfall, den ich euch zu er- 
zählen beabfichtigt habe. Nunmehr möge euch gefällig fein 
euer Urtheil abzugeben, wer größeres Lob edler ritterlicher 
Gefinnung verdient, Carlo, Angelica oder Anfelmo. 

Nachdem die Dame auf dieſe Weife ihre Erzählung 
zu Ende geführt hatte, wurde fie von allen Seiten fehr 
gelobt. Die drei vorgenannten ſtimmten in den Schluß 
ein, es fei bier ein Beifpiel der höchften Seelengröße 
gegeben. Darum mandten ſich alle Umfichenden gegen 
die brei jungen Damen und fagten: Ihr habt gehört, 
mit welcher Ordnung ber Tal erzählt worben ift, über 
welhen man euer einfichtiged Urtheil vernehmen will. 
Schon feht ihr, daß nunmehr ein jeder zu- fprechen an- 
hebt, denn in ber That, wenn ihr an Seele und Ab- 
kunft edel feid, müßt ihr offen beurtheilen Fönnen, welche 
der vorangegangenen Handlungen man für einer mahrhaft 
edeln Seele am angemeffenften halten muß; und wir wer» 
ben Alles, was wir durch euren Spruch befeftigt erfennen 
werben, unbedenklich für wahr anerkennen. 

Den drei hodjedeln Fräulein flog eine leichte Röthe 
fittfamer Beſchämung über das Gefiht und fie antwor- 
teten, es gezieme fich nicht. für ihr zartes Alter einen 


Y0 Vu. Bernardo Jiicino. 


Spruch zu fällen über eine fo ſchwierige und zweifelhafte 
Unterfuchung. Nichts defto weniger feien fie, da es fo von 
ihnen verfprochen geweſen, zufrieden, ihr geringes Urtheil 
hierüber abzugeben. Sie berebeten fich daher unter ein- 
ander, jede ermahnte die andere, anzufangen mit dem 
Gefpräche; es erhob fich dabei ein hoͤchſt anmuthiger artiger 
Streit, indem jede fi) mit aller Macht bemühte, ihren 
Genoſſinnen die Ehre zu laffen und durch Namhaftmachung 
größerer Tugenden zu erweifen, daß eine der andern vor 
gehen müffe. Endlich, wollte Battifta ihren zwei Freun- 
dinnen durch Gehorfam ihre Achtung beweifen und war 
zufrieden diejenige zu fein, die zuerft ihre Anſicht aus- 
ſpräche. Sie trat daher mit einer würdigen Verbeugung 
auf, feste fich fodann auf erhaltenen Befehl nieder und 
fing ihre Rede alfo an: Ein fehr großer und faft unend- 
licher Zweifel, vortrefflichfte Anweſende, hat mir den Geift 
befangen, was ich in eurer verehrungswürbigen Gegen- 
wart am geeignetften für ein Verfahren einfchlagen möchte, 
indem ich entweder fchweigend meine Unzureichendheit ver- 
bärge oder redend, wiewol ohne verdientes Lob, eurem 
Wunſche genügte. Zuerſt hielt mich zurüd und misrieth 
mir das ganze Unternehmen der ungewohnte und fchwierige 
Gegenftand, über welchen heute gefprochen werben fol; 
jodann zweitens das höchft würdige Borbild des ausge⸗ 
zeichneten Berichtes, welchen meine verehrte Mutter er« 
flattet hat, deffen Glanz leicht nicht allein mein Fleines 
ſchwaches Lämpchen, fondern felbft ein fehr glänzendes 
und geübtes Licht der Beredtſamkeit verdunkeln würde. 
Von der andern Seite, wenn ich auf mid, felbft achte, 
gewährt mir die hohe Huld eurer Vortrefflichkeiten den 
größten Troft, der, wie ich glaube, es nicht ‘verborgen ift, 
- daß ich vielmehr habe dafür gehalten werden wollen. Hier 
habe ich mich nun gar leicht überzeugt, daß ich file jeden 
Irrthum, der von mir ausgefprochen werden wird, ohne alle 
Schwierigkeit von eurer Güte Vergebung erhalten werde. 
Wenn nun alfo Carlo Montanini und feine Schwefter 





Cd 


41. Sieniſcher Edelmuth. 271 


Angelica und Anſelmo von Miſſer Salimbene gegen 
einander Edelmuth übten und die Frage entſteht, welches 
von den dreien megen feiner Danblungsweife am. meiften 
Lob verdiene, fo ifi meinem Urtheile nach Garlo unter - 
diefen dreien einem jeden vorzuziehen. Wenn ich dies 
beweiſen will, fo habe ich zuerft zu betrachten, dag das 
größere Lob da ertheilt werden muß, wo die größere 
Anzahl von Tugenden ſich findet; zweitens, wo das zu 
lobende Werk von einer georbneteren Gefinnung ange 
zeigt iſt; dritteng, wo man erkennt, daß bei dem tugend- 
haften Handeln die größere Schwierigkeit obmalte. Ich 
fage nun, daß nach der Erzählung leicht zu begreifen ift, 
daß, wenn Karlo ſich entfchloß lieber zu fterben, als um 
fich zu retten fein Beſitzthum zu verkaufen, man zunächft 
annehmen muß, der Grund fei eine fehr innige anges 
borene Liebe zu feiner Schweſter gewefen, welche Liebe 
mit Recht beftimmt wird als bie Grundlage jedes andern 
löblichen Hanges unferer Seele, woraus ihm eine echte 
Demuth und Geduld entkeimte, welche die Grundfteine 
und Stügpfeiler jeglicher andern Tugend find; und daß 


‚diefe ihm inwohnten, laͤßt ſich daraus fchließen, bag Carlo 


unfchuldig zu fterben vorzog ohne Widerrede, Beſchwerde 
oder Wehklage. Sodann zeigt ſich in ihm eine nicht 
geringere Feſtigkeit und Hochherzigkeit, da er, nachdem 
er das Gefänguiß verlaſſen, ſtandhaft und beharrlich in 
der Stadt blieb ohne Furcht vor den vorausgegangenen 
Schmähungen, um ſeine Unſchuld klar darzuſtellen. Und 
im Gefolge deſſen welche Seelengröße und Vortrefflichkeit 
des Geiſtes zeigte ſich in ihm, als er, nicht keck und mit 
Überfluß prahlend herauszubringen ſuchte, wer: für ihn 
feine Buße erlege habe. Als fich dann zeigte, Daß es 
Anfelmo gewefen, ließ er fich nicht beirren von den vor⸗ 
ausgegangenen feindfeligen Beziehungen, er war nicht 
kleinmüthig, da er feine große Armuth erfannte im 
Vergleich zu feinem außerorbentlihen Reichthum, nicht 
gehemmt von ſeiner Noth, nicht verhindert von feinem 


— 


2372 VI. Bernardo Jlicino. 


widrigen Schickſal, beſchloß er von feinem Edelmuth ſich 
nicht übertreffen zu Taffen. Da er aber überlegte, was 
ber Grund der erhaltenen Wohlthat geweſen fein möge, 
wollte er biefelbe weit £refflicher erfegen, als mit taufend 
Ducaten. D feltene Seele, o feharflichtiger Geift in ber 
Erfenntniß des menfchlichen Adels! Carlo war fehr traurig 
und andererfeits noch weit mehr großmüthig, indem er fich- 
und fein Xeben nicht höher achtete als taufend Ducaten. 
Er war nicht zufrieden damit, fich allein der unbefchräntten 
Willkür und ber freien Mache Anfelmo’s zu überlaffen 
und ganz anzuverfrauen, fondern da er urtheilte, bie 
jungfräulihe Angelica fei die Urfache gewefen, weshalb 
Anfelmo fi) bewogen gefunden habe, auf feine Rettung 
zu denken, glaubte er, daß nur Angelica gleich hoch ge- 
halten werden könne. Meiner Anficht nach mar feine 
Vergeltung ein unendliher Werth, indem fie ben von 
Anfelmo geübten Edelmuth noch übertraf. Darum, da 
Carlo diefe Wirkung bervorbrachte, glaube ich, daß von 
ihm ber beutlichfte Beweis vorliegt, dag ihm jede Zu- 
gend inwohnte. Ic ſchließe alfo in diefer Beziehung 
mit der Verficherung, dag Carlo Angelica und Anfelmo 
mit Recht weit im Preife vorangehen müffe. Zweitens 
pflegt es die allgemeine Meinung eines jeden zu fein, 
daß keine Handlung Lob verdiene, ald die, bie aus vor⸗ 
bedachter Abficht und freiem Willen hervorgegangen ift; 
woraus man fchliefen kann, daß fie nach dem Maßſtabe 
der Vernunft gemeffen ſei. Wer nım die drei vorbefagten 
Handlungsweifen betrachtet, der findet diefe Eigenfchaft 
Mar nur in dem von Karlo geübten Edelmuthe; denn 
Sarlo hatte reiflich geprüft und erwogen, mas von ihm 
zunächſt für ein Entfchluß gefaßt werden müffe; er war 
‚viel begieriger feinen alten Adel und die junge Ehre feiner 
Schweſter zu erhalten, als feine eigene. Rettung zu be- 
werffielligen, und antwortete ihr er gebe fein Leben willig 
bin. Zu diefem Punkte brachte ihn Fein Stachel ber 
Wolluſt, wie auch Anfelmo nicht von Drohungen und 


41. Sienifcher Edelmuth. 973 


häufigen Bitten bei Angelica geleitet wurde, fondern nur 
Vernunft und natürliche Liebe nebft feiner fehr guten 
Natur ihn führten. Hieraus kann alfo jeder Mar ent- 
nehmen, daß der von Carlo geübte Edelmuth eine wohl 
überlegte geprüfte und frei befchloffene Handlung geweſen 
ift. Carlo war gegen feine Schwefter höchft grofmüthig; 
aber wer wird Teugnen Tonnen, daß er felbft gegen An- 
felmo die ergiebigfte Duelle des Ebdelmuthes gemefen ? 
Anfelmo bezahlte ohne viel Überlegung und ohne die vor⸗ 
gängige Bitte Carlo's taufend Ducaten; diefe Handlung 
geht meiner Anficht nach von der Vorausfegung aus, daß 
Carlo's Leben wenigftens um diefen Preis anzufchlagen fei. 
O überfliegende Freigebigfeit, o höchfter Edelmuth, o un» 
ausfprechliche Vergeltung! Wie? Überlegt wohl, wie meit 
Carlo diefe beiden edelmüthigen Handlungen übertraf! Er 
gab Anfelmo Erfag, er erflattete ihm das Gegebene nad) 
alt feinem Bermögen und Wefen, während er fchon von 
ihm doppelte Herftellung erhalten hatte; und das edle und, 
bochherzige Gemüth war nicht zufrieden damit, fondern 
außer dem voraus berührten Geſchenke verehrte er ihm 
auch noch Angelica, in welcher drei ganz eigenthümliche 
Dinge in Betracht kommen. Das erfte ift die natürliche 
Schönheit, von welcher und zwar vielleicht bei geringerem 
Grade fehon die‘ Phöniker in der Perfon Europas ber 
Tochter Agenors, die Griechen in der Perſon Helenas 
der Tochter des Tyndareus, und Herkules und Theſeus 
in den Perfonen von Hippolyta und Menalippe urtheilten, 
fie fei ein wuͤrdiger Lohn gemefen in ihren Mübfalen in 
den wilden Schlachten. Das zweite ift eine ausnehmende 
Keufchheit, deren Schag in Wahrheit eine unvergleichliche 
Mürde if. Das dritte ift eine äußerſte Genugthuung 
und eine fo glühende Sehnfucht, ald man fich denken kann, 
dag im Gemüt Anfelmos lebte, obmol ihn immer die 
frühere Feindfchaft drängte, fie verborgen zu halten. Wie 
hoch dies zu achten fei, kann meiner Überzeugung nad 
feiner der Anmwefenden, fondern einzig und allein wer es 
12** 





* 


274 VI. Bernardo Jlicino. 


erfahren bat, beurtheilen. Hiernach kann wol Keine Un⸗ 
Marheit übrig fein in unferm Geifte, die uns abbielte, 
auszufprechen, daß Carlo größeres Lob verdiene, als feine 
Schweſter und fein Schwager, ba er zu feiner edelmü⸗ 
thigen Handlung einzig und allein von der bewußten Ver⸗ 
nunft, vom freien Willen und klarer Erkenntniß getrieben 
ward. Ich fagte drittens, diejenige Handlungsweiſe fei 


um fo böher zu achten, die neben dem, daß fie an fich 


durchaus loͤblich und tugendhaft ift, noch auferben große 
Schwierigkeit in ihrer Ausführung findet. Daher lieſt 
man in den Gefchichtsbüchern, daß keinem Arbeiter ber 
Ruhm bed Triumphes vergönnt war, ber den Sieg über 
einen unebeln Feind oder ohne Schwierigkeit bavontrug. 
Nun betrachtet einmal genauer, wie viele Schwierigkeiten 
und Hinderniffe mit ber von Carlo geübten ebein Ihat 
verfnüpft waren. Ihr müßt vornehmlich wiffen, daß nicht 
allein dem Menfchen, deſſen Sein vernünftig und beffen 
Handeln fehr achtungswürdig iſt, fondern auch den nie 
deigften und unvolllommenften Gefchöpfen der Erde von 
Natur eingepflanzt wurde, mit allee ihrer Macht, Eifer 
und natürlihem Zriebe nach ihrer Erhaltung und ihrem 
Wohlſein zu fleeben; deshalb zeigt die Erfahrung, daß fie 
jede andere Anlage weit weniger hochachten, als das Leben. 
Hiernach iſt es nothmendig, dag, obwol manche Gründe 
zum Sterben überreden, doch in der Natur eine befondere 
Selbſtliebe liegt, welche jenem das größte Widerftreben ent- 
gegenfegt. Wer nun diefes überwindet, von bem darf man 
annehmen, daß er den mühenoliften Sieg errungen hat.*) 


*) Den weiteren Berlauf der langen Disputation übergehen wir 
bier als nit nothwendig zu der Novelle gehörig. 


VII. Maſuccio aus Salerno. 
" 1470, 


42. Der unſchuldige Mörder. 


An den König Don Ferrando von Aragon. 


Zur Zeit deines würbigen Ahns des hochfeligen Königs 
Don Ferrando von Aragon glorreichen Andenkens, welcher 
den Scepter des Königreichs Kaftilien mit ruhigem Regi- 
mente führte, war in ber alten und fehr edeln Stadt 
diefes Königreichs Salamanca ein Minoritenmönd Na- 
‚mens Magifter Diego von Revalo, welcher nicht minder 
in der thomiftifchen als in der feotifchen Lehre unterrichtet 
war und darum aus den übrigen erlefen und mit einer nicht 
unbebeutenden Belohnung beftellt wurde, in den würbigen 
Hörfälen der berühmten Hochfchule derfelben Stadt Vor- 
lefungen zu halten. Damit fepte er fich in einen wunder 
baren Ruf und machte feine Wiſſenſchaft befannt durch 
das ganze Reich; überdies hielt er manchmal auch Beine 
Predigten, die mehr nüglich und nothwendig ald fromm 
waren. Da er aber jung, ziemlich ſchoͤn und fehr luſti⸗ 
gen Sinnes, darum den Liebesflammen ausgefegt war, 
‚ gefchah es, daß ihm eines Tages unter der Predigt ein 
ganz junges Weib von wunderbarer Schönheit auffiel, 
Namens Donna Kattarina, die Gattin eines der vor⸗ 
nehmften Ritter der Stadt mit Namen Miffer Noberico 
Dangiagia. Als der Magifter fie fah, gefiel fie ihm auf 
den erfien Blick und Herr Amor gab ihm zugleich mit 
dem Bilde der Frau die Liebeswunde in fein fehon be⸗ 
flecktes Herz. Don der Kanzel herabgeftiegen ging er in 





276 VII. Maſuccio aus Salerno. 


feine Zelle, warf alle theologifchen Gründe und fophifti« 
fhen Beweife in eine Ede und gab fi ganz den Ge⸗ 
danken an das holde junge Weib hin. Und obgleich er 
die Vornehmheit der Frau wohl kannte und mußte weffen 
Gattin fie war und welche Zollheit er unternehmen würde, 
er fich auch oft zu überreden firchte, diefen Weg nicht ein- _ 
zufchlagen, fo fprach er doch manchmal zu fih: Wo Amor 
feine Gewalt äußern will, da ſucht er niemals Gleichheit 
des Blutes; denn wenn diefe erforberlich wäre, würden 
große Fürften nicht beftändig auf Prifen an unfern Küften 
ausgehen. Denfelben Freibrief nun muß Amor uns er- 
theilt haben, hohe Minne zu fühlen, da er ihnen zuge- 
fteht, fi fo tief berabzulaffen. Die Wunden, welche 
Amor fchlägt, empfängt Feiner mit Vorbedacht, fondern 
unverfehens; wenn mich daher diefer Gewaltige wehrlos 
überrafcht hat, fo Hilft es nichts, fich gegen feine Schläge 
zu vertheidigen; da ich nicht Widerftand leiſten Fann, 
werde ich mit allem echt befiegt, und fo gefchehe mir 
denn als feinem Unterthanen was da will, ich will dem 
harten Kampf beftehen, und folgt der Tod, nun fo werde 
ich erlöft von allee Pein und wenigftens von diefer Seite 
geht mein Geift mit hoher Stirn einher, daß er feine 
Strebungen nach einer fo erhabenen Stelle zu richten 
gewagt hat. 

Nach diefen Worten wandte er fich nicht mehr zurüd 
zu den Gegengründen, vielmehr nahm er Papier und 
ſchrieb unter vielen tiefen Seufzern und heißen Thränen 
einen paffenden zierlihen Brief an die geliebte Frau, 
worin er zuerft ihre mehr göttlichen als menfchlichen Reize 
pried, dann ausführte, wie er dermaßen von denfelben 
umſtrickt fei, daß er entweder ihre Gunft ober ben Tod 
erwarte, und zulegt bei aller Anerfenntniß deffen, daß 
er in Betracht ihres hohen Standes nicht verdiene, daß 
fie ihm Gelegenheit zu einer Zuſammenkunft gebe, fie 
doch flehendlich bat, ihm Zeit und Ort anzugeben, daß 
er mit ihe im Geheimen fprecden könne, oder ihn wenig⸗ 


42. Der unfihuldige Mörder. 277 


ſtens als ihren Diener anzunehmen, da er fie zur ein- 
zigen @ebieterin über fein Leben erkoren habe. Er ſchloß 
den Brief mit noch vielen andern Floskeln, machte ihn zu, 
tüßte ihn wieberholendlich und gab ihn einem Chorknaben, 
mit der MWeifung, wem er ihn "heimlich zuzuftellen habe. 
Diefer ging, wohin ihm befohlen war, fam in das Haus 
und fand die edle junge Frau im Kreife ihres zahlreichen 
weiblichen Gefolges figen. Er grüßte fie höflich und ſagte 
zu ihre: Mein Meifter empfiehlt ſich euch und bittet euch, 
ihm ein wenig von bem feinen Mehl zu Hoftien zu fchiden, 
wie euch dieſes Briefchen des weitern vermelden wird. 
Die Dame war gefcheibt genug, um gleich beim An⸗ 
bli® des Briefes zu merken, was bie wirkliche Abficht 
dabei war. Sie nahm und Tas ihn, und obgleich fie 
fehr fittfam war, misftel es ihr doch nicht, daß jener 
fie liebte, und da fie ſich für die fchönfte unter den Wei⸗ 
‚bern hielt, freute fie der Brief, in welchem fie ihre Schön. 
heit. fo Hoch erhoben’ fah, denn fie hatte mit der Erbfünde 
auch die angeborne Leidenfchaft aller übrigen Glieder bes 
weiblichen Gefchlechts überkommen, welche famt und fon- 
ders ber Meinung find, ihr ganzer Ruf, Ehre und guter 
ame beftehe einzig und allein darin, daß fie geliebt, 
umbuhlt und ob ihrer Schönheit gepriefen werden, und 
welche viel lieber für fchön und lafterhaft, als für noch 
"fo tugendhaft und häßlich gelten möchten. Nichts befto 
weniger befchloß dieſe Frau, weil fie alle Mönche ernftlich 
und nicht ohne Grund hafte, nicht nur dem Magifter in 
keiner Weife nachzugeben, fondern auch ihm nicht einmal 
eine freundliche Antwort zu gewähren, und zugleich nahm 
fie fi) vor, diesmal auch ihrem Gemahl nichts von der 
Sache: zu fagen. Nachdem fie fi in diefem Plane ber 
feftigt hatte, wandte fie fich zu dem Mönchlein und fagte 
zu ihm, ohne die geringfte Verlegenheit merken zu laffen: 
Du kannſt deinem Meifter fagen, daß der Herr meines 
Mehls es ganz für fi allein will, baram fol er fich 
anderswoher welches zu verfchaffen fuchen. -Auf den Brief 


978 VIH. Maſuccio aus Salerno. 


brauche ich nicht zu antworten. Berlangte er es aber 
doch, fo fol er e& mir zu wiffen thun, und fobald mein 
gnädiger Herr nah Haus kommt, will ich dann forgen, 
daß er eine bekommt, wie es für fein Anfinnen fi 
gehört. | 
Als der Magifter bie firenge Antwort erhielt, ver- 
minderte fih darum feine Liebesglut im Mindeſten nicht; 
vielmehr wuchs feine Leidenfchaft zugleich mit dem Ver⸗ 
fangen zu nur um fo größeren Slammen, und um fich 
nicht von dem begonnenen Unternehmen zurückzuziehen, 
begann er, da das Haus ber Frau ganz nahe bei dem 
Klofter war, fie fo zubringlich mit feinen Werbungen zu 
verfolgen, daß fie nicht an ein Fenſter treten, nicht in 
bie Kirche oder fonft aus dem Haufe-gehen konnte, ohne 
baf ber begehrlihe Magiſter ihr immer in den Weg kam, 
weshalb denn in kurzem nicht nur die Leute in der Nach⸗ 
barfchaft die Sache merkten, fondern auch faft alles in 
der Stadt davon Kunde erhielt. Unter folchen Umfländen 
überzeugte fich die Frau, daß fie ben Handel vor ihrem 
Gemahl nicht länger mehr verbergen dürfe; denn fie 
fircchtete, wenn er es von jemanb andern höre, Fünnte 
fie in Gefahr kommen und er fie überdies für untren 
halten. Nachdem fie ſich mit diefem Gedanken vertraut 
gemacht hatte, erzählte fie, als fie eined Nachts bei ihrem 
Manne war, ihm die ganze Geſchichte Punkte für Punkt. 
Der Nitter, welcher ſehr ehrenfeft und heftig mar, ent⸗ 
brannte in folhem Zorn, daß er fih kaum enthalten 
fonnte, auf der Stelle hinzugeben und mit Feuer und 
Schwert das Klofter ſammt allen Mönchen zu zerftören- 
Sr mäßigte fich aber doch ein wenig, lobte die Sittfam- 
feit feiner Frau gar fehr und gab ihr auf, dem Ritter 
zu veriprechen, fie wolle ihn in der folgenden Nacht ins 
- Haus kommen laſſen, auf irgend eine Art, wie es ihr 
am beften gefalle, damit ex zugleich feiner Ehre genng- 
thun konne und feine theure geliebte Frau nicht ferner 
befleden laſſe, fie das übrige wolle er felber forgen. 





7 


42. Der unfhuldige Mörder. 879 


So mislich auch der Fran die Sache vorkam, indem fie 
bedachte, wohin dies führen Tonne, fo fagte fie doch, 
um dem Willen ihres Mannes nachzukommen, fie wolle 
ed thun; und da das Mönchlein immer wiederkam und 
mit neuen Künften ben harten Stein zu erweichen trachtete, 
fagte fie: Empfiehl mich deinem Meifter und fag ihm, 
die große Liebe, die er zu mir trage, und die heißen 
Thränen, die er, wie er mir immer fchreibt, für mich 
vergieße, haben Plag gegriffen in meinem Herzen, ſodaß 
ih nun viel mehr ihm angehöre, ald mir. Und da unfer 
freundlicher Stern gewollt hat, daß heute Herr Noderico. 
aufs Land gegangen ift und über Nacht aus fein wird, 
fo fol er mit dem Schlag brei Uhr heimlich zu mir 
kommen unb ich will ihm Gehör geben wie er es wünfcht. 
Doc bitte ich ihn, keinem Freund ober Bekannten, fo 
genau er auch mit ihm ſtünde, die Sache anzuvertrauen. 

Das Möndlein zog übermäßig heiter von dannen 
und brachte die erfreuliche Botfchaft feinem Herrn; diefer 
aber war der glüdtichfte Menfch von der Welt, indem 
er bebachte, wie nahe die gegebene Frift fchon heranrüde. 
Als diefe Fam, verfah er fich wohl mit Düften, um nicht 
möndifh zu riechen, dachte auch, das Kloſtergewand 
koͤnne durch guten Athem unterwegs gewinnen und genoß 
daber ‚die beften und feinften eingemachten Früchte, legte 
feine gewohnten Kleider an und begab fich fo an die Thür 
feiner Geliebten. Er fand fie offen, trat ein und wurbe 
im Dunkeln wie ein Blinder von einer Dienerin in einen 
Saal geführt, wo er die Frau zu finden und von ihr 
freundlidy) empfangen zu werden meinte, ftatt deffen aber 
den Ritter fand mit einem getreuen Diener, die ihn ohne 
viel MWiderftreben padten und in aller Stille erbroffelten. 
Als Meifter Diego todt war, reute ed den Ritter ein 
wenig, feine gewaltigen Arme mit dem Tode eines Mi- 
noriten befleckt zu haben; doch da er fah, daß bier Neue 
fo wenig half, als ein ander Mittel, dachte er in Rück⸗ 
ficht auf feine Ehre und auch aus Furcht vor dem Zorn 





280 VMI. Mafuccio aus Salerno. 


des - Königs darauf, den Todten aus bem Hauſe zu 
ichaffen, und es fiel ihm ein, ihn in fein Kloſter zu 
bringen. Er packte ihn daher feinem Diener auf ben 
Rüden und fo fehleppten fie ihn in den Garten der 
Moönche; von dort drangen fie in das Kiofter felbft ein 
und trugen den Leichnam an das Drtchen, wohin Die 
Mönche aus gewiffem Erleichterungsbedürfnig zu, gehen 
pflesten. Zufällig fand ſich nur ein einziger Sig bereit, 
denn die andern waren zu Grunde gerichtet, wie denn, 
wie wir beftändig fehen, ber größte Theil der Mönche» 


Höftee mehr Näuberhöhlen gleichen als Wohnfigen ber 


Diener Gottes. Auf diefen Sig ließen fie iyn nun nieder, 
grade als ob er ein Bedürfniß befriebigte, machten ſich 
hinweg und gingen nah Haufe. Als nun der Herr 
Masifter fo daſaß, grade wie wenn er einer überflüffigen 
Leibesbürde ſich entladen wollte, befiel einen andern jungen 
und rüftigen Bruder um Mitternacht der dringende Wunſch, 
an den befagten Drt zu gehen, um feine Nothdurft zu ver- 
rihten. Er zündete ein Lichtlein an und eilte auf die 
Stelle zu, wo Meifter Diego im Tode bingefegt worden 
war. Sobald er ihn erkannte, z0g er fich, nicht anders 
dentend, als er Iebe, ohne ein Wort zu fagen, zurüd, 
weil zwifchen ihnen beiden aus Bott weiß welchem moͤnchi⸗ 
fehen Neid und Misvergunft eine unauslöfchliche tödtliche 
Feindfchaft ſtattfand. Er wartete daher abfeits, bis- er 
meinte, der Magifter könne mit bem Gefchäft fertig fein, 
das er gleichfalls zu verrichten im Sinne hatte; ba er 
aber immer noch wartete und nicht bemerkte, daß ber 
Magifter fi rühre, andererfeits aber ihn felbft die Noth 
immer gebieterifcher drängte, fagte er mehrmals bei fich 
felbft: Bei Gott ber Burfche bleibt aus keinem andern 
Grunde fo feft figen und will mich nicht hinlaffen, als 
um mir auch hierin feine Zeindfchaft zu zeigen und die 
böfe Gefinnung, die er gegen mid) hegt. Aber es foll 
ihm nicht gelingen, denn ich will aushalten, fo lange 
ih Tann, und wenn ich fehe, daß er auf feinem Eigenfinn 


42. Der unſchuldige Mörber. 281 


beharrt und feft bleibt, fo will ich doch, obfchon ich auch 
anderswohin gehen koͤnnte, ihn zwingen von bier wegzu⸗ 
gehen, er mag wollen ober nicht. 

Der Magifter, w welcher bereite an einem harten Fels 
Anker geworfen hatte, rührte fich nicht im mindeften, 
bis endlich der Mond, es nicht mehr aushalten Fonnte 
und wüthend rief: Nun aber, da fei Gott vor, daß du 
mir ſolche Schmach anthuft und ich es fo binnehme! 

Da ergriff er einen: großen Stein, trat nahe zu ihm 
In und beehrte ihn mit einem ſolchen Schlag auf bie 

Bruft, daß er zurüdfiel und kein Glied mehr rührte. 
Als der Bruder bemerkte, wie er nah dem gewaltigen 
Stoß fih nicht mehr erhob, fürchtete er, ihn mit dem 
Stein bereit8 umgebracht zu haben; er wartete eine Weile, 
hoffte und beforgte, endlich aber trat er zu ihm bin und 
fihaute ihn beim Lichte genau an, wo er denn fich voll« 
fommen überzeugte, daß er fchon todt fei, und nicht an⸗ 
ders dachte, als er habe ihn auf bie angegebene Weife 
umgebradt. Er war deshalb bis zum Tod betrübt, in« 
bem er fürdhtete, wegen ihrer Feindfchaft werde der Ver⸗ 
dacht alsbald auf ihn fallen und er darüber ums Leben 
tommen. Darum beſchloß er mehrmals, ſich felber auf 
zuhängen; bei reiflicher Überlegung jedoch nahm er fich vor, 
isn aus dem Klofter zu tragen und auf die Strafe zu 
werfen, um jeden etwaigen Verdacht von fich abzumälzen, 
den man fonft aus der angegebenen Urfache hätte faffen 
fönnen. Indem er nun biefen Plan ausführen wollte, 
fiel ihm weiter ein, wie öffentlich und unaufhörlich der 
Magifter Donna Gattarina mit feinen unzüchtigen Zus 
muthungen verfolgte, und er fagte bei fich felbft: Wo 
kann ich ihm leichter Hinbringen, um zugleich mich von 
allem Verdachte zu befreien, als vor die Thür des 
Heren Roderico, einmal weil dies fo nahe ift, und 
dann, weil man gewiß annehmen wird, ev fei des 
Ritters Weibe nachgefchlichen und diefer habe ihn um⸗ 
bringen laffen. 











282 VII. Mafuccio aus Salerno. 


Diefe Überlegungen befläckten ihr in feinem Borhaben. 
Er lud mit graßer Mühe den Leichnam auf den Rücken 
und trug ihn vor die befagte Thür, aus welcher er wenige 
Stunden zuvor als todt herausgetragen worden war.” Dort 
ließ er ihn und kehrte , ohne von jemand in Acht genom⸗ 
men zu werben, in das Klofter zurüd. Obgleich er nun 
für feine Rettung hinreichend gebedt ſchien, wollte er fich 
doch noch unter irgend einem Vorwand auf ein paar Tage 
von bier entfernen, ging alfo in diefem Gedanken auf ber 
Stelle nad) ber Zelle des Guardians und fagte zu ihm: 
Mein Bater, ich habe vorgeftern, da ich Fein. Laftthier 
hatte, den größten Theil unferer Einforberung in Medina 
im Haufe eines unferer Freunde gelaffen; darum mörhfe 
ih mit eurem Segen nun hingehen, das übrige zu holen, 
und dazu die Stute des Klofterd mitnehmen. Wenns 
Gottes Wille iſt, komme ich morgen oder übermorgen 
wieder. 

Der Guardian gab ihm nicht allein die Erlaubniß, 
fondern lobte ihn ſogar fehr über feine Sorgfalt. Als 
der Bruber diefe Antwort erhalten hatte, machte er feine 
Siebenfachen zufammen, zäumte bie Stute auf und er- 
wartete nur den Anbrucd des Morgens, um abzugeben. 
Herr Noderico, welcher die Nacht wenig oder nicht ge⸗ 
jchlafen hatte, und doch wegen der Gefchichte in Beforgniß 
war, entihloß fi, da num der Zag heranfam, feinem 
Diener aufzutragen, ex folle um das Kloſter hergeben 
und laufchen, ob wel bie Brüder den Magifter todt ge⸗ 
funden haben und was fie darüber fagen. Als der Diener 
aus dem Haufe trat, um auszurichten, was ihm aufge 
tragen worden war, fand er dafelbft den Meifter Diego 
vor der Thür figen, daß es ausſah, als hielte er eine 
Disputation. Das fagte dem Knechte nicht geringen 
Schreden ein, wie man nur über einen Leichnam er- 
ſchrecken Tann; er fuhr zurüd, rief alsbald fernen Herrn 
und konnte kaum die Worte bervorbringen, um ihm zu 
fagen, der Leichnam des Magifters fei vor ihr Haus 


42. Der unſchuldige Mörder. 2383 


zurückgebracht worden. Der Ritter verwunberte füch” 
böchlich über dieſen fchlimmen Fall, der feinen Beforg- 
. niffen neue Nahrung gab. Nichts defto weniger tröftete 
er ſich mit der gerechten Sache, die er zu führen glaubte, 
und faßte den muthigen Entfchluß, geradezu zu warten, 
was bie Sache fin Folgen haben werde. Damit wandte 
er fi zu dem XZodten und fagfe: So mußt du denn 
der ewige Pfahl im Zleifch meines Haufes fein, von 
welchem ich dich weder lebendig nod) tobt zu entfernen 
vermtochte! Aber dem zum Trotz, der dich hierhergebracht 
hat, foll ed die nicht gelingen, wieder herzukommen, es 
wäre denn auf einem Vieh, wie du felbft eins in der 
Welt geweſen bift. 

Nach diefen Worten trug er dem Diener auf, aus 
dem Stalle eines Nachbars einen Hengft herbeizusolen, 
welchen fein Befiger für das Bedürfniß der Stuten unb 
Eſelinnen der Stadt hielt und welcher zu Haben mar 
wie die Efelin von Serufalem. Der Diener ging in 
größter Eile hin und führte den Hengft herbei mit Sattel 
und Zaum und allem fonftigen Zubehör in befter Ord⸗ 
nung; und wie der Ritter früher befchloffen hatte, fegten 
fie den befagten Leichnam auf das Pferd, machten ihn 
beritten und banden ihn feft, gaben ihm eine eingelegte 
Lanze und den Zaum in die Hand, als wollten fie ihn 
in die Schlacht ſchicken und führten ihn endlid) in biefem 
Aufzuge vor das Thor der Kirche der Mönche, wo fie 
ihn anbanden. und fofore heimkehrten. Dem Mönche 
ſchien es nunmehr Zeit, die vorgenommene Reife anzu⸗ 
treten, er machte daher zuerft das Thor des Kloſters auf, 
beftieg fodann feine Stute und ritt hinaus. Als er aber 
den Magifter auf die befagte Weife vor dem Thore fand, 
fodag er in allem Ernſt meinte, er drohe ihm mit feiner 
Lanze den Tod, ward er plöglich won. fo großer Angſt 
erfaßt, daß er in Gefahr Fam, todt vom Pferde zu ſinken. 
Dabei überfiel ihn ein gewaltiger gräßlicher Gedanke, 
der Geift des Mannes müſſe nämlich in feinen Körper 


284 VII. Mafuccio aus Salerno. 


zurückgekehrt fein und er fei ihm zur Strafe gefegt, um 
ihn allenthalben zu verfolgen nach dem Glauben mandjer 
Thoren. Während er fich in diefer Täufchung und Furcht 
befand und nicht mußte, welchen ZBeg er einfchlagen follte, 
witterte der Henaft die Stute, ſchob feine gewaltige Keule 
vor, und wollte wiehernd der Stute zu Leib gehen, welche 
Bewegungen denn ben Möndy immer mehr in Angft fegten. 
Dennoch fafte er ſich und mollte die Stute ihres Weges 
führen ; dieſe aber brehte ihr Hintertheil gegen den Hengſt 
und fing an auszufchlagen, ſodaß der Mönch, welcher 
nicht der befte Reiter war, faft herabfiek; und um den 
zweiten Stoß nicht abzuwarten, preßte er bie Beine feft 
zufammen, drüdte dem Thier die Sporen in die Seiten, 
hielt fi mit beiden Händen an dem Saunifattel feft, 
ließ bie Zügel fchießen und vertraute das Pferd ber 
Willkür des Zufalls. Sobald nur diefes die Sporen feft 
in feine Flanken brüden fühlte, war es gezwungen vor⸗ 
wärts zu laufen und ungezügelt den Weg einzufchlagen, 
der eben vor ihm lag. Als der Hengſt fich fo feine 


Beute entwifchen fah, zerriß er in ber Wuth das ſchwache 


Dand und lief der Stute eiligft na. Der arme Mönd), 
ber fi fo den Feind im Rüden merkte, wandte fih um 
und fah ihn mit eingelegter Lanze wie einen rechten 
Zurnierfämpfer auf ihn zueilen. Da verfcheuchte er die 
erfte Angft mit der zweiten und fing an in voller Flucht 
zu rufen: Helft! Helft! 
| Auf diefes Gefchrei und durch das Getöfe der ohne 
Zügel bahineilenden Roffe fuhr, da es nun heller Tag: 
geworden war, alles an bie Fenfter und Thüren und 
jeder meinte in Erflaunen, er müffe vor Lachen berften 
bei dem Anbli einer fo ungewohnten und feltfamen Jagd 
zweier berittener Dlinoritenmönche, welche beide gleich todt 
ausfahen. Die Stute lief ungeleitet bald da= bald dorthin 
durch die Straßen, welcher Weg ihr am gelegenften kam; 
hinter ihr aber unterließ der Hengft nicht, fie wüthend 
zu verfolgen, und ob der Möndy nicht mehrmals nahe 


42. Der unfehuldige Mörder. 285 


daran War, von der Lanze getroffen zu werben, braucht 
man nicht zu fragen. Ein großes Getümmel von Leuten 
verfolgte die beiden beftändig unter Gefchrei, Zifchen und 
Heulen und rief: Greift fie! - 

Die einen warfen Steine nach ihnen, die andern 
fchlugen ben Hengft mit Stöden, und jedermann fuchte 
die beiden zu trennen, nicht. fowol aus Theilnahme für 
die Sliehenden, als in dem Wunfche, zu erfahren, mer 
bie beiden feien, die man bei dem fchnellen Rennen nicht 
ertennen Eonnte. Nach längerem Umberjagen Ienkten fie 
zufällig auf ein Stadtthor zu, bei welchem fie eingefangen, 
der Todte und ber Lebendige zugleich feftgenommen und 
zu großer Verwunderung aller Leute erkannt wurden. 
Man führte fie beide auf ihren Pferden in das Klofter, 
wo die Mönche fie mit unfäglichem Schmerz empfingen. 
Sie liefen ben Todten begraben und für den Lebenden 
die Folter bereiten. Als diefe aber fertig war, geſtand 
ee, weil er nicht die Qual aushalten wollte, offen, er 
habe ihn umgebracht, aus dem oben angeführten Grund; 
aber er koͤnne ſich nicht vorftellen, wer den todten Ma⸗ 
gifter auf diefe Weiſe auf das Pferd gefegt babe. Wegen 
dieſes Geftänbniffes wurde er zwar mit der Folter ver⸗ 
font, aber in ein ſtrenges Gefängniß gebracht. Es 
wurde fogleich durch den Pfarrer zu dem Bifchof der 
Stabt geſchickt, um ihm bie heiligen Weihen abnehmen 
zu laffen und ihn dem weltlichen Richter überliefern zu 
fönnen, der ihn nad) der Vorfchrift der Gefege ald Mörber 
aburteln follte. Zufällig war in diefen Tagen der König 
Ferrando nah Salamanca gefommen; dieſem wurde bie 
Geſchichte auch erzählt, und obgleich er ein fehr gefegter 
Fürft war und den Vorfall fowie den Tod eines fo be- 
rühmten Gelehrten aufrichtig bedauerte, fo gewann doch 
das Spaßhafte der Sache bei ihm die Oberhand und er 
lachte mit feinen Baronen fo heftig darüber, daß er fich 
nicht mehr aufrecht halten Eonnte. Als nun der Zeit 
punkt herankam, wo man zu der ungerechten Verurtbeilung - 


288 VIH. Maſuctio aus Salerno. 


bes Mönche ſchreiten follte, regte fig in Herrn Roberico, 
ber ein ſehr tugendhafter Ritter mar und bei dem König 
hoch m Gunſt ftand, die Wahrheitsliebe; er dachte, fein 
Schiveigen würbe allein eine fo große Ungerechtigkeit ver- 
anlaffen, und entfchloß fic), lieber im Nothfalle zu fterben, 
als bie Wahrheit über eine ſolche Angelegenheit verbergen. 
Er trat daher vor den König ,. während viele Barone und 
Leute aus dem Volk um ihn verfammelt waren, und ſprach: 
Gnädiger Herr, das firenge und ungerechte Urtheil, das 
über ben Minoriten ift gefällt worden, und die Kenntnif 
der wahren Sachlage bewegen mich bie über einen fo 
fehweren Unfall obſchwebende Frage zu entfcheiben. Wenn 
daher euer Majeſtät dem verzeihen will, ber aus gerechtem 
Anlaß den Meifter Diego ums Leben gebracht hat, fo 
will ich bdenfelbigen alsbald hierher kommen laſſen und 
mit unzweifelhafter Wahrheit den Hergang der ganzen 
Sache bis ins einzelne erzählen. 

Der König, ber ein gar gnädiger Herr und fehr 
begierig war die Wahrheit zu hören, gewährte hulbvoll 
die verlangte Berzeihung, und fobald der Ritter biefe 
hatte, erzählte er vor dem König und allen übrigen Um⸗ 
fiependen vom, Anfang das Verliebtſein des Magifters 

in feine Frau und alle Briefe und Borfchaften, bie er 
ihr gefandt, und was er dann mit ihm angefangen bis 
zulegt Punkt für Punkt. Der König hatte das Zeugnif 
des Mönche ſchon vorher gehört, und ba biefe Berichte 
in ber Hauptfache zufammenflimmten, er auch Herrn 
Roderico für einen rechtfchaffenen Ritter ohne Falſch 
hielt, maß: er ihm ohne weitere Prafung in allem un« 
bedingt Glauben bei, und überdachte mit Verwunderung 
und Betrüubnif, mandmal auch mit ſittſamem Lachen 
dieſe vielbewegte feltfame Gefchichte. Um es jeboch nicht 
dahinkommen zu laffen, baf die unbillige Verurtheilung 
des unjchuldigen Mönchs vollzogen mürbe, Tieß er ben 
Guardian und den armen Mönch felber vor fich kommen. 
Der König verkündete ihnen dann in Gegenwart feiner 


43. Veronica. BU 


Barone, ber übrigen Adeligen und anderer Leute feines 
Gefolges, wie die. Sache in Wahrheit fich begeben habe, 
und befahl deshalb, daß der zu einer gefchärften Todes⸗ 
ſtrafe verurtheilte Mönch unverzüglich in Freiheit gefegt 
werde. Sobald dies gefchehen war, kehrte derfelbe mit 
wieberhergeftelltem guten Namen bödft erfreut nad 
Daufe. Here Roderico erhielt die bedungene Berzeihung 
wirklich und erntete in Bezug auf feine ganze Hand⸗ 
lungsweiſe in biefer Angelegenheit das größte Lob. Die 
Kunde von dem wimberbaren Ereigniß aber ward in 
wenigen Tagen dur die fihnelle Fama zum großen 
Ergögen aller im ganzen Königreiche Caſtilien verbreitet. 
Bald kam fie auch nach ımferm Italien und wurde bir, 
geoßmächtigfter König und Herr, kürzlich erzählt; und 
um beinen Befehlen zu gehorfamen, habe ich die &e- 
ſchichte gerne niedergefchrieben, um fie fo, mie fie es ver- 
dient, der WVergeffenheit auf immer zu entreißen. 


43. Veronica. 


Ich erinnere mich öfters von einem uralten Groß⸗ 
pater als solllommene Wahrheit erzählen gehört zu haben, 
wie zur Zeit Karls des zweiten in: Salerno ein fonder- 
barer Ritter Tebte aus alter edler Familie, Namens 
Miffer Mazzeo. Er war Oberrichter und reicher an 
Geld und Gut als irgend einer feiner Landsleute. Als 
er ſchon betagt war, ftarb ihm feine Gattin und es blieb 
ihm von ihr nur eine einzige Tochter Namens Veronica, 
ein Fehr Schönes und verftändiges Mädchen, die aber, 
emweber wegen der übergroßen Liebe, welche ber Mater 
zu ihr als feinem einzigen braven Kinde hegte, oder mei 
fie für irgend eine hohe Verbindung aufgehoben murbe, 


258 VII. Mafuccio aus Salerno. 


obſchon viele fie zur Frau verlangten, bach noch immer 
unverheirathet zu Haufe war. Nun mar aber von ihrer 
Kindheit an ein adeliger Knabe Namens Antonio Marcello 
immer im Haufe aus⸗ und eingegangen unter dem Vor⸗ 
wande einer weitläufigen Verwandtſchaft, welche zwiſchen 
ihm und ber Frau des Ritters beftand, und Beronica 
hatte auf diefe Art eine folche Liebe für ihn gefaßt, daß 
fie gar Feine Ruhe davor hatte. Antonio war, zwar ein 
gefcheidter und fehr gefitteter Jüngling und ward von 
dem Vater ded Mädchens als braver Sohn geliebt; aber 
da er die Gefchichte. doch vortrefflih merkte und als ein 
junger Menſch gegen bie Angriffe der Liebe fich nicht 
mit feiner ſchwachen Einficht fchirmen Eonnte, entbrannte 
er von gleicher Glut, und da die Gelegenheit ihrem ge» 
meinfamen Wunfche günftig war, fo koſteten fie unge 
ftört die füßeften Früchte der Liebe. Obgleich fie num 
aber in der Fortfegung diefer Genüffe mit ber ‚größten 
Klugheit zu Merk gingen, fo mar ihre Vorſicht doch 
nicht ſtark genug, den großen Schiffbruch zu umgehen, 
der ihnen von.dem neibifchen Geſchick bereitet war; denn 
als fie eines Nachtd ganz vergnügt und arglos beifammen 
waren, begab es fich, daß fie durch einen nicht vorher 
in Rechnung gezogenen Zufall von einem Diener des 
Haufes gefehen wurden, welcher plöglid den Ritter her- 
beirief und ihm den ganzen Vorfall erzählte. Dieſer 
ging voll Zorn mit feinen Dienern dahin, mo bie Lie 
benben waren, welche gerade auf bem Gipfel ihrer Luft 
ohne Widerfiand feftgenommen wurden. Antonio aber, 
welcher ſehr Eräftig und muthig war, rang fich gleich 
wieder aus ihren Armen los, bahnte fi mit dem Schwert 
in der Hand den Weg und fehrte fo, ohne von jemand 
erfannt oder verlegt zu werden, nach Haufe. Miſſer 
Mazzeo blieb bis in den Tod betrübt zurüd, da er fah, 
wohin die Sache gediehen war, und wollte num von der 
Tochter wiſſen, wer der entflohene Züngling fe. Sie 
aber war vorfichtig und kannte ihres Waters Wefen wohl‘ 


43. Veronica. 32809 


und Dachte, er werde, um feine alten Tage nicht in 
folhem Kummer hinzubringen, ihm das Leben auf Feine 
Weiſe fchenten. Da ihr nun das Leben ihres Geliebten 
theurer war als das ihrige, gab fie ihm nach einiger Über- 
legung zur Antwort, fie wolle lieber jebe Qual, jeden Tod 
felber erdulden, als den Jüngling entdedien. "Der Vater 
entflammte fih zur Wuth und als er nach vielen ver- 
fchiedenen Martern fie doch hartnädig auf ihrer Weige⸗ 
rung beharren ſah, faßte er, fo fehr die Gewalt ber 
natürlichen Neigung wiberftrebte, doch mit großer Mann- 
haftigkeit zulegt den Entſchluß, fie umzubringen. Er 
befahl daher fogleich, ohne fie weiter fehen zu wollen, 
zweien ‚feiner vertrauteften Diener, fie auf eine Barke 
zu fchleppen, einige Meilen ins Meer hinaus zu führen 
und dann ind Waffer zu werfen. Obgleich biefe es un⸗ 
gern thaten, banden fie fie doch, um zu gehorchen, fehnell 
und führten fie an das Meeresufer. Während fie jedoch 
die Barke zurecht machten, kam einem von ihnen das 
Mitleid, er verfuchte auf eine gefchickte Art feinen Ge⸗ 
noffen, der mit nicht weniger Widerfireben, als er, an 
einer fo graufamen Handlung Theil nahm, ein Wort 
sab das andere und fo faßten fie am Ende den gemein- 
famen Entfchluß, wenn fie auch felbft dafür den Tod 
erleiden follten, nicht allein ihr das Leben zu fchenten, 
fondern auch fie in Freiheit zu fegen. Ste banden fie 
daher los und fagten ihr, wie fie aus Mitleid den rohen 
Urtheilsſpruch des Vaters nicht an ihr vollziehen wollen ; 
zum Lohn für diefe Wohlthat baten fie fie, derſelben nach 
ihrem ganzen Werthe zu gedenken, wenn fie das Vater⸗ 
- Sand verlaffen habe und dereinft ihr Water ihre Hand⸗ 
lungsweiſe erführe. Das arme Mädchen, welches fo von 
ihren eigenen Dienern ihr Leben als Gefchent annehmen 
mußte, fühlte wohl, daß eine Dankfagung meit nicht 
zum Lohn für eine ſolche That hinreiche und flehte daher 
zum Dergelter alles Guten, daß er ihnen eine fo un- 
fhägbare Gabe erfegen möge; und nachbem fie fi von 
Italänifcher Novellenſchatz. I. 13 


390 VII. Maſuccio aus Salerno. 


ihrer großen Ungft und Schreden ein wenig erholt hatte, 
verſprach und fchwer fie ihnen bei der Rettung, die fie 
ihr zu Theil werben ließen, fich auf eine Art zu beneh- 
men, baß Fein Lebender, gefchweige ihr unbarmberziger 
Bater, je von ihr Kunde erhalte. Sie foren ihr daher 
die Haare, verfleideten fie mit ihren eigenen Laken, fo 
gut fie Zonnten, in männlihe Tracht, gaben ihr das 
wenige Geld, das fie bei ſich hatten, wiefen ihr ben 
Weg nah Neapel und trennten ſich von ihr unter 
Thränen. Ihre Kleider brachten fie mit nad Haufe 
und verficherten ihren Gebieter, fie haben fie umgebracht 
und mit einem großen Stein um ben Hals etwa zehn 
Meiten auf dem Meer in die Ziefe verſenkt. Das un⸗ 
glückliche Fräulein, das nie aus der Stadt gekommen 
war, ward faft bei jedem Schritte muthlofer fchon bei 
dem Gedanken, daß fie ihrem Antonio nun verlaffe ohne 
Hoffnung ihn wieberzufehen, und viele eitle Gedanken an 
die Rückkehr gingen ihr durch den Kopf; aber in Erin⸗ 
nerung an bie empfangene Wohlthat und zugleich ihr 
gegebenes Berfpsechen, Hatte die Dankbarkeit, diefe Blüte 
jeber Tugend, in ihr eine ſolche Kraft, daß fie jeden 
zumwiderlaufenden Plan verjagte. Darum nahm fie den 
Weg unter bie Füße, obwol fie nicht jehr gewohnt war 
zu Fuß zu geben, befahl fi in Gottes Schug und ging 
ohne felbft zu miffen wohin. So wanderte fie den ganzen 
Reſt der Nacht über weiter mit großer Befchwerde. Gegen 
Tagesanbruch befand fie ſich bei Nocera, wo fie zu einigen 
Geſellſchaften ſtieß, welche nach Neapel gingen, und fie 
gefellte fih vertraulich zu ihnen. Dabei war unter an- 
dern ein calabrifeher Edelmann, welcher dem Herzog von 
Kalabrien ein paar Sperber überbrachte. Diefem gefiel 
des Jünglings Ausfehen und er fragte ihn, woher er fei 
und ob er in Dienfte gehen wolle. Veronica, melde in 
‚ihrer Kindheit duch Nachahmung einer alten in ihrem 
Haufe wehnenden Apülierin viele Wörter dieſer Mundart 
gelernt hatte, fiel es ein, ſich derfelben befländig zu be⸗ 





43. Beronica. 2391 


‚dienen und antwortete: Miffer ‚ ih bin ein Apulier, und 
- aus Feiner andern Abficht von daup fortgegangen, als 
um Dienſte zu ſuchen. Da ich aber der Sohn eines 
edeln Vaters bin, möchte ich mich nicht gern zu niedrigen 
Dienften verfichen. 

Der Galabrier fagte: Würde es euch anftehen, einen - 
Sperber zu beforgen? 

Dieſe Frage kam Meronica fehr gelegen, da fie im 
Haufe ihres Vaters nicht nur einen fondern viele mit 
großer Zärtlichkeit beforgt hatte. Sie antwortete ihm 
daher, fie habe fih von Kindheit auf mit nichts anderem 
befhäftigt. Nachdem fie jo noch manches bin« und her⸗ 
geſprochen, wurden fie einig, daß fie ihm unterwegs einen 
Sperber übernehme. As fie in Neapel angelommen 
waren, wurbe fie von ihrem Deren beffer angethan, fobaf 
ſie wirklich ganz wie ein ſchmucker Schildknappe ausfah, 
und, fei es Fügung bes. Schickſals oder daß ihr anmuthiges 
Außere ihn rührte, es begab ih, ald man bem Herzog 
die Sperber überreichte, daß diefer zugleich mit den Sper- 
been ben Apulier haben wollte, welcher fo gut mit ihnen 
umzugehen wußte. So gefchah es au; er wurde auf 
die Lifte der Hausdienerfchaft gefegt und ihm ein neapo- 
litaniſcher Edelmann beigefellt. Er gab fi) auch fo viel 
Muühe fih gut aufzuführen und feinen Dienft recht zu 
verfehen, daß er in kurzer Zeit bie Gnade feines Gebie- 
ters in einem Mafe erwarb, daß er zu ben höchft ge= 
ehrten und begünftigten gehörte ‚ und auf diefe Weife 
ging es in zunehmendem Glüde weiter, bis es dem 
Schickſal gefiel, feinen Angelegenheiten eine andere Bahn 
vorzuzeichnen. Der alte Bater, der in unerträglichem 
Schmerz zurüdgebfieben war, mußte fi, da die Sache 
in den Mund bes Gerüchts den Weg gefunden hatte, 
bie meifte Zeit zu Haufe verfchloffen halten und führte 
fo dort, oder zumeilen auf einem Landgut ein einfames 
und büfteres Leben. Antonio aber, nachdem er mit bit- 
tern bintigen Thränen ben Tod feiner Veronica beweint 

13 * 


999 VII. Mafueeio aus Salerno. 


und bejammert hatte, war durch vorfichtige Erkundung 
zu der Überzeugung gelangt, daß der Ritter nie habe 
erfahren können, wer der entflohene Jüngling war. Um 
nun jeden Verdacht von fih zu entfernen und überbies 
von Mitleid gerührt befuchte er ihn einige Tage nach 
dem Vorfall, wie wenn er beftändig die zartlichfte Liebe 
für fein Haus fühlte, begleitete ihn meiſtens auf das 
Land und bezeugte fich gegen ihn: mie ein leiblicher ge- 
horfamer Sohn mit größter Nachgiebigkeit und Theil⸗ 
nahme. Miffer Mazzeo wußte dies befonders hochzu⸗ 
fhägen, da es ihm ſchien, Antonio fei der einzige, der 
ihn in der mislichen Lage nie verlaffen habe. Aus die 
fen Grunde und wegen ber eigenthümlichen Vorzüge des 
Jünglings fühlte er fi) genöthigt, ihn -wie feinen eigenen 
Sohn zu Tieben und wandte ihm fo fehr alle Neigung 
feines Herzens zu, daß er Feine Stunde ohne feinen 
Antonio bleiben konnte. Da er nun fah, daß dieſer in 


ſolchem Gehorfam und Dienftwilligkeit mit Chrerbietung ' 


\ 


und Liebe fortfuhr, entfland in dem Herzen des Ritters, 
dieweil ihn fein unfeliges 2008 ohne Erben gelaflen, der 
Wunſch, ihn im Leben und im Zod zum Sohn anzu- 
nehmen. Diefer Gedanke reifte zum Entſchluß, und als 
er feine legte Willensmeinung auffegte, beftellte er feinen 
Antonio zum Erben aller feiner fahrenden und liegenden 
Habe und gefegnete auch bald darauf bag Zeitlihe. An⸗ 
tonio ſah fih nun im Befig einer fo großen Erbſchaft, 
zug in das Haus bed Ritters ein und es war Feine 
Stelle,. die ihn an feine Geliebte erinnerte auf ber er 
nicht geweint und gefeufzt hätte. Es Fam ihm nicht aus 
dem Sinn, daß fie lieber habe den Tod erbulden, als 
ihn entdecken wollen, und von dieſer Liebesthat durch⸗ 
drungen und noch viele andere fchöne Eigenfchäften feiner 
Beronica erwägend, faßte er bei fich den Plan und Ent- 
ſchluß, fi nie zur Eingehung einer Ehe verfichen zu 
wollen. Unterbeffen geſchah es, Daß ber. Herzog beichloß, 
eine Meife nach Calabrien zu machen. Died war dem 








43. Veronica. 293 


Apulier über die Maßen lieb, angefehen daß er nicht 
allein fein Vaterland wiederſehen fondern auch wieder 
gelegenheitlich irgend etwas von ben Geliebten und dem 
Bater vernehmen durfte, den Deronica doch durchaus 
nicht zu haſſen vermochte; denn um. fich nicht irgendivie 
zu verrathen hatte fie vermieden, nad) ihnen zu fragen, 
und daher nie etwas von ihnen erfahren. WIE fie in 
Salerno ankamen, wurde das Gefolge des Herzogs nach 
Stand und Würden in verfchiedenen Häufern unterge- 
bracht, und das Schickſal, welches Veronica von ben 
langen Bedrängniffen und Leiden, bie fie erduldet, be- 
freien und mit ihrem Antonio in Freude verfegen wollte, 
fügte ed, daB durch eine ganz zufällige unabfichtliche 
Anordnung dem Antonio Marcello das Loos zufiel, ben 
Apulier ſammt feinem Genoffen in fein Haus aufnehmen 
zu müffen. Welche Wonne dies Veronica bereitete, kann 
jeber felbft beurtheilen. Sie wurden von Antonio fehr 
ebrenvoll und freundlich aufgenommen und am Abend 
bereitete er ihnen eine koſtbare Mahlzeit. In demſelben 
Gang, wo er fi) meiftens mit feiner Geliebten zu ver- 
gnügen pflegte, faßten fie nun einander ins Auge, es 
ftellte fich ihm eine Weile das Bild feiner Geliebten, 
und indem er ihres Lebens und Todes gedachte, begleitete 
er alle feine Worte mit heißen Seufzern. Weronica, bie 
fih fo in ihr eigenes Haus geführt fah, war zwar fehr 
erfreut, ihren treuen Liebhaber fo im Beſitz von allem 
zu fehen; aber da fie weder den Vater nody jemand von 
der zur Zeit ihres Scheidens hier anmwefenden Dienerfchaft 
erblickte, erfaßte fie eine natürliche Wehmuth, fie wünfchte 
Aufſchluß zu haben, und doch frheute fie ſich zu fragen, 
Während fie fo unentfchloffen bei Tiſch ſaß, fragte ihre - 
Genoſſe Antonio, ob das im Gang abgemalte Wappen 
das feinige fei. Antonio antwortete, nein, vielmehr ge- 
höre ed einem fehe würbigen Ritter zu Namens Miffer 
Mazzeo dem Oberrichter, welcher, dieweil er in feinem 
Alter Leine Kinder gehabt, ihn zum Erben aller feiner 





MA VII. Maſuccio aus Salerno. 


Güter eingelegt habe, weshalb ex denn als ein angenom- 
mener Sohn nicht nur die Befigungen, fondern auch 
den Namen des Haufes und das Wappen wie von fei- 
nem leiblihen Vater fich zu eigen gemacht. Als Dero- 
nica biefe Kunde vernahm, fühlte fie fich plöglich fo er- 
heitert, da fie nur mit Mühe die Threänen zurüdhielt. 
Doch that fie fih Gewalt an, um die Mahlzeit wicht 
zu flören. Als diefe aber vorbei war, Zonnte fie nicht 
länger warten, ihr unbeflzittenes Beſitzthum, welches ihr 
das günftige Geſchick bis hierher aufbewahrt hatte, in 


ihre offenen Arme aufzunehmen. Sie faßte daher An- 


tonio bei der Hand, verließ ihren Begleiter und die an- 
dere Gefellihaft und fie traten im ein ander Gemach. 
Dort wollte fie einige Worte fprechen, bie fie vorher 
ausgedacht hatte, um zu fehen, ob er fie wieder erdenne, 
aber die Freude ihred Herzens und bie Thränen ließen 
ihr nicht zu, den Mund aufzuthun, vielmehr ſank fie 
kraftlos ihm in die Arme und konnte nur bervorbringen: 
D mein Antonio, ifte möglich, daß bu mich nicht kennſt? 

Er, der, wie ſchen gejagt, bereits feine Veronica zu 
erfennen gemeint hatte, war nun, ba er die Worte hörte, 
plöglih ‚von der Richtigkeit feiner Vermuthung überzeugt 
und fagte, von größter Rührung überwältigt: Ach, fo 
lebft du denn nach, mein Herz? 

Nach diefen Worten fant auch er über fie bin. So 
hielten fie fich lange flumm umarmt, und da fie wieber 
zu fich kamen und ſich ihre feitherigen Schickſale erzählten, 
erkannte . Antonio, dag das fire fie beide fo erfreuliche 
Ereignig nicht verheimlicht werden dürfe. Sie verließen 
daher das Zimmer, und obwol es fpät war, ſchickte An- 
tonto fchleunig aus und beſchied die ganze Verwandtſchaft 
Veronica's und feine eigene, fie möchten ſich wegen einer 
Sache von hoͤchſter Wichtigkeit in fein Haus verfügen. 
&ie kamen fogleich heran und fobald fie verfammelt waren, 
bat er fie, fie möchten ihn zum Palaſt des Fürſten be- 
gleiten, denn er beabfichtige mit ihrer Erlaubniß von 





43. Veronica. 395 


der Gnade des Herzogs bie Wiebereinfegung eines früher 
dem Miffer Mazzeo angehörigen adeligen Lehens zu er- 
bitten, das ſchon feit Jahren in fremden Befig befinblich 
dem reiten Eigenthümer, weil er unbekannt gemwefen, 
Seinen Nugen getragen habe. Alle gingen gern mit ihm 
bin, und ſobald fie vor dem Fürften flanden, nahm er 
feine Deronica bei der Hand und vor allen ammelenden 
erzählten nun bie beiden ihre frühern und nenern Be⸗ 
gegniſſe Punkt für Punkt ohne etwas auszulaffen, und 
erflärten ſodann, wie fie ſchon zu Anfang ihrer Liebe 
fih buch ihr feierliches Wort und beiberfeitige Zuftim- 
mung geheirathet und beabfichtigen mit Genehmhaltung 
feiner fürſtlichen Gnaden vor fo würdigen Zeugen biefen 
Ehebund öffentlich anzuerkennen. So fehr ſich der Herzog 
mit feinen Baronen und der ganzen Verwanbtfchaft und 
allen andern einheimifchen und fremden darüber verwun- 
derte, als fie biefe feltfamen Begebenheiten vernahmen, 
fo war ed doch jedem fehr erfreulich zu fehen, welches 
gute und ehrenvolle Ende die Sache nahm und das Ver⸗ 
fahren Antonio's fowie das würdige Benehmen Veronica's 
wurde von allen gelobt. Der Herzog entließ fie mit großer 
Freude nach Haufe und veranflaltete am andern Morgen 
eine feierliche prunkvolle Meſſe, welcher er ſelbſt mit vielen 
Abeligen und andern Leuten beiwohnte. Bei bderfelben 
wurbe zur allgemeinen Freude unferer Salernitaner Ve⸗ 
ronica bem Antonio nah Stand und Würden angetraut. 
Sie theilten fehr große Geſchenke aus und lebten in Glück 
und Reichthum, von inniger Liebe und fehönen Kindern 
erfreut, lange Zeit umgeftört bis an ihr Ende. 





KH VIU. Maſuccio aus Salerno. 


44. Der Barkenführer. 


(Nah Sanſovino's hundert ausgewählten Novellen. Benebig, 1571. 
Tag 4, Nov. 4.) 


Vor einigen Jahren lebte in Venedig ein junger 
Edelmann Namens Herr Aleſſandro, welcher luſtwandelnd 
zufällig eine fehr ſchöne junge Frau erblickte, welche die 
Gattin eined Seemanns war mit Namen Rabo von Eat« 
taro, und da fie ihm fehr wohl. gefiel, ſchickte er ein 
altes Mütterchen nah ihr, um mit ihr zu fprechen. 
Die junge Frau aber, welcher Aleſſandro gleichfalls 
wohl gefallen hatte, hielt die Abgefandte nicht mit langen 
Unterhandlungen auf, fondern fagte zu ihr, fie fei ihrer⸗ 
feits bereit, die Wünfche des jungen Mannes zu erfüllen, 
nur ſehe fie fein ficheres Mittel, denn „Ihr Mann laffe 
fie bei Nacht nie allein und bei Tag möge fie ihn nicht 
im Haufe empfangen aus Rüdfiche auf die Nachbarfchaft, 
weil in derfelben Straße fo viel Leute wohnen, daß man 
nicht aus⸗ noch eingehen konne, ohne bemerkt zu werden. 
Als Aleffandro die Geneigtheit ber Frau vernahm, befann 
er fih, was zu thun fein möchte, da fie bamit zufrieden 
fe. Endlich ließ er das junge Weib von feinem Plane 
unterrichten, und als es ihm Zeit fchten, ließ er Rado 
zu fih in fein Haus berufen. Nachdem er ihm fehr 
gefchmeichelt hatte, denn er war fein Freund, bat er ihn, 
er möchte ihm ben Gefallen erweiſen, ihm am nächften 
Abend mit feiner Gondel zu dienen, da er eine Zufam- 
mentunft verabredet habe mit einer Edelfrau, in melde 
er heftig verliebt fei. Rado, welcher fehr wünfchte, ihm 
zu dienen, antwortete, er fei bereit ihn zu führen, wohin 
er befehle, und fobald es Nacht wurde, Fam er, um ihn 
in feinee Barke abzuholen, nachdem er feiner Frau ge⸗ 
fagt hatte, fie möge ihn erſt fpät erwarten. Aleſſandro 
flieg alſo in die Barke und ließ, fi) von Rado an einen 


a) 








44. Der Barkenführer: 297 


Landungsplatz bringen, wo die Alte ihn erwartete, und 
zwar gegenüber von Rado's Haus, das aber einen an« 
dern Landbungsplag hatte, ſodaß man zu Waſſer nicht 
dahin gelangen Tonmte, als auf einem ſtarken Ummeg, 
während es zu Rande nur ein paar Schritte waren. 
Sobald nun Wleffandro dort angelommen war, gab er 
Rado die Weifung, ihn zu erwarten. Er trat in das 
Haus dee Alten und felüpfte fofort durch ein Gäßchen 
zu deni jungen Weibe hinüber, von welcher er mit größter 
Freude empfangen wurde. Auch führten fie ihre Liebe 
zu einem anmuthigen Ziele, daß ihnen nichts zu wün⸗ 
fchen übrig blieb, und fegten unter fich das Noͤthige für 
die Zukunft⸗ feſt, worauf Aleſſandro auf dem namlichen 
Wege in bie Barke zurückkehrte, in welcher Rado, ohne 
Schlimmes zu ahnen, indem er ihn erwartete, einge: 
ihlafen war. Er erwachte nun, nahm Aleſſandro in 
die Barke und waͤhrend fie nach feinem Haufe hinſteuer⸗ 
ten, fragte er ihn unterwegs, ob er nun feine Sehnfucht 
ganz geftillt Habe. Aleſſandro bejahte e8 und fügte hinzu: 
IH kann bie noch überdies verſi ichern, daß ich mich nicht 
erinnere, je in meinem Leben eine ſolche Luſt genoſſen zu 
haben, denn außer ihrer Schönheit hat ſie mich auch noch 
fo mit Lieblofungen überhäuft, daß ich nicht -begreife, 
wie ich von ihr loskommen konnte. 

Darauf antwortete Rabo: Herr, als ich daran dachte, 
was für ein Vergnügen ihr jegt mit eurer. Geliebten 
haben müffet, kam mich fo gewaltige Fleiſchesluſt an, 
daß ich mehrmals verfuht war, nach Haufe zu gehen 
und meinem Weibe eins zuzufegen; aber ich fürchtete, 
ihr möchtet zurückkommen und mich nicht finden ‚ und 
deshalb bin ich geblieben. 

Als Aleſſandro dies hörte, überlegte er, in welche 
Gefahr er gerathen wäre, wenn jener unvermuthet ſich 
nach Haufe begeben hätte, und alsbald fiel ihm ein an« 
deres fiheres Mittel ein, um die Gefahr zu vermeiden, 
in die er früher oder fpäter zu großem vegan. hätte 


J 





DE . VIII. Maſuccio aus Salerno 


geratben koͤnnen. Er fagte daher lachend zu Rado: Ich 
mußte gar nicht, daß du verheitathet bift; ſonſt hatte ich 
dich nach Haufe geſchickt; du hätteft ja zu beſtimmter 
Stunde wieder zurüd fein konnen. 

. Rado antwortete: So, dad Habt ihr nicht gewußt, 
daß ich «vor einigen Tagen ein ſchönes Mädchen aus 
einer guten Familie gebeirathet habe? 

Kein, verfegte Wleffandre; das wußte ich nicht; aber 
die Frauen, fo ſchön fie find, Hat man zu Haufe, weil man 
- fie nötbhig hat; darum darf man jeboch nicht unterlaffen, 
auch draußen fremb Brod zus ſuchen. Und ba bu Dich 
fo gebulbig heute benonmen haft, hoffe ich morgen Abend 
meine Liebfte nebſt einer nicht weniger fhönen Gefährtin 
in der Barke umber zu führen, und diefe wird ſicherlich 
gegen dich gefällig fein. 

Rado antwortete ganz heiter, das nehme er gern an, 
bedankte fich auch. fehr, und unter diefen —— hatte 
er Aleffandre an fein Haus gebracht und kehrte nun zu⸗ 
rück zu feinem Weibe. Gebald es aber Tag war, that 
Aleffandro der jungen Frau zu wiſſen, was er für ben 
folgenden Abend im Sinn habe und beftellte verabrebeter 
maßen den Rabe, welcher die Barke mit einer Verdeckung 
von Raſch ansgeftattet hatte. Gr fand ſich bei Aleſſandro 
‚ein und führte ihn an den gewohnten Ort, wo er ben 
Beſcheid erhielt zu warten, denn ex werde gleich mit den 
Mäbhen in der Barke zurüd fein. Sobald er zu feiner 
. Geliebten gelommen war, erzählte er ihr von der beſtan⸗ 
denen Gefahr und daß er berfaaben vorbeugen wolle durch 
die Veranflaltung, bie er ihr durch bie Alte babe mit- 

theilen laſſen. Er Lie fie daher fogleich ein ſeidenes Kleid 
anziehen, das er ihr fehon vorher bei Tage geſchickt hatte, 
und verhüllte fie fo, dag Rabe fie nicht erfennen konnte, 
wenn fie in die Barke kamen. Als Rabe den Aleſſandro 
mit einer einzigen Frau kommen fah, fagte er zu ihm: 
Herr, mo ift bean die nreinige, bie ihe wir geſtern Abend 
verſprochen habt? 


, 


44. Der Barkenführer. 79 


Aleffandro antwortete: Sie konnte nicht kommen wegen 
eines eingetretenen Hinderniſſes. Aber du follit dich den- 
noch nicht über mich beklagen fünnen, unb ich glaube 
diefe hier wird für uns beibe genügen; warm kb mit ihr 
fertig bin, überlaffe ich fie dir, und obſchon ih deine 
Battin nicht Tenne, fo glaube ich doch, daß diefe ein nicht 
weniger ſchoͤnes und fauberes junges Weib ift, als fie. 

Das glaube ich gern, antwortete Rabo,. aber das 
Bönnte ich niche übers Herz bringen, euch ‘fo in euer 
Gehege zu kommen. 

Aleffandro aber verfegte: Sei nicht fo feltfam! Wenn 
ich es nicht gem thäte, fo Hütte ich es nicht zu dir ge- 
fagt und bu würbeft es auch nicht. thun durfen. So 
aber ſoll es dich nichts koſten, als an einem Feſttage 
ein Fiſchfrühſtück, wozu ich ein paar gute Humpen mit⸗ 
bringen will. 

Rado ſchlug das Anerbieten nochmals ans, Aleſſandro 
aber beharrte durchaus bei ſeinem Willen und ſo gab 
denn Nado doch endlich auch nach. Er ließ daher die 
Barke ſtehen, nahm die Zither in die Hand und fing 
an zu ſpielen; Aleſſandro ging während deffen muster 
Rabo’s Zelt und gab fich feiner Luft‘ Hin beim Tone . 
ber Zither, welche Rabo fpiele. Und nachdem er mit 
feinem Gefchäft zu Ende war, fagte Aleffandeo zu Rabe: 
Nun mach und nimm auch dein Theil! Aber hüte dich, 
dag du mir nicht verfuchft, fie erkennen zu wollen, denn 
fie ift aus einer ehrenwerthen Familie und ich habe ihr 
weis gemacht, du feieft ein Hiefiger Edelmann. 

Darauf antwortete Rabo: Darum kümmere ich mich 
nicht, denn ih will ja doch auf feine Weife eine Ver⸗ 
wandtfchaft mit ihr anknüpfen. 

Nach dieſen Worten ging er zu der Frau hinein, 
und nach kurzer Zeit kehrte er zu Aleſſandro zurück und 
ſagte zu ihm: Herr, das iſt in der That ein ganz artiges 
Mädchen. Es war mir gerade, als läge ich bei meinem 
. Weibe, fo viel Ähnlichkeit hat fie mit ihre im Fleiſche 


300 VI. Mafuecio aus Salerno. 


und im Athem. Deswegen will ich euch denn auch 
gern mit Fiſchen aufwarten für die Artigkeit, die ihr 
mir bewieſen. 

Aleſſandro lachte und trieb in großem Jubel aller⸗ 
hand Scherz mit ihm, bis ſie endlich die Frau wieder 
an die Stelle zurückbrachten wo ſie ſie aufgenommen 
hatten. Jeder ging ſodann nach Hauſe und Rado fand 
feine Frau, welche that als wäre fie ſehr ärgerlich und 
anfing ihn awezufchelten und ihm Vorwürfe zu machen, 
daß er fie auf ſolche Art allein laſſe. Er entfchuldigte 
ſich aber und legte alles dem Aleſſandro zur Laſt. Am 
nächften Sonnabend nun veranftaltete Rado feinem Ver⸗ 
fpeechen gemäß dem Wleffandro und feinen Sreunden Das 
Frühſtück. Aleſſandro hatte diefen die ganze Gefchichte 
vorher erzählt. Sie Inchten daher viel Darüber und wurden 
allmälig dem Rado zur Laſt, indem diefer und jener 
feinen Witz darüber riß, wiewol zu Aleſſandro's großem 

Verdruß, bis Rado endlich ben Schwanf merkte, wes⸗ 
halb er voll Unwillen nach Haufe eilte, um feiner Fran 
übel mitzuſpielen. Aleſſandro aber hatte es noch zu 
rechter Zeit gemerkt und die Frau auf die Seite ſchaffen 
laſſen. Als daher Rado fie nicht traf, Tief er voll 
Schaam und Schmerz; ganz verzweifelt davon und Alef« 
Dane genof von nun an in aller Sicherheit feine fchöne 

au. 


IX. Rovelle eines Ungenannten. 
| 1480. | 


, 


45. Der dide Tiſchler. 


In der Stade Florenz im Jahre vierzehnhundert und 
neun verfammtelte fich eines Sonntag Abends eine Ge- 
fellichaft junger Leute zum Nachteffien im Haufe eines 
florentinifchen Ebdelmannes Namens Tommaſo be Pecori, 
eines ehrenwerthen zechtfchaffenen heiteren Mannes, der 
ein großer Freund der Gefelligkeit war. Als man nad) 
Tiſche um das Feuer herumfichend über dies und jenes 
plauderte, wie es bei dergleichen Veranlaſſungen unter 
Bekannten zu gefchehen pflegt, fagte einer von ihnen: 
Was foll nur das heißen, daß diefen Abend Manetto 
Ammanmdtini nicht herkommen wollte und daß wir ihn 
durchaus nicht heranzubringen vermochten. 

Der befagte Manetto war und ift noch ein Verfer⸗ 
tiger von ausgelegten Holzarbeiten und hatte feine Bube 
am Plage San Giovanni. Er galt für einen ber beften 
Meifter in der befagten Holzarbeit ſowol als in Verfer⸗ 
tigung von Werkzeugen für die Arbeitstifche der Frauen. 
Dabei war er ein ganz angenehmer Menſch, eher arglos 
als fchlau, etwa achtundzwanzig Jahre alt, und weil er 
derb und groß gebaut war, nannte man ihn den Diden. 
Er war fonft immer gewohnt, fi) in der obengenannten 
Geſellſchaft einzufinden, welche aus lauter fröhlichen und 
lebensiuftigen Leuten beftand; diefen Abend aber, feien es 
anderweitige Gefchäfte, oder Grillen, wie er fie manchmal 
hatte, oder was fonft immer, obgleich man es ihm oft 
gefagt hatte, wollte er ſich nicht bereden laſſen hinzugeben. 


302 IX. Rovelle eines Ungenannten. 
Als daher jene überlegten und ſich befannen, was Schuld 


daran fein möge, aber keinen Grund auffinden Eonnten, . 


famen fie einflimmig zu dem Schluffe, es koͤnne nichts 
anderes als Grillenfängerei von ibm gemefen fein. Sie 
ielten fih dadurch ein wenig für ‚beleidigt und ber 

precher von vorhin fagte deshalb: Aber warum fpielen 
wie ihm nicht einmal einen Streih, damit er fich nicht 
daran gewöhnt, um feiner Grillen willen uns ganz zu 
vernachläffigen ? 

Darauf erwiberte ein auderer: Was fünnen wir ihm 
aber anhaben, als daß wir ihn eines Abends die Zeche 
bezahlen laſſen ober fonft eine Lumperei? 

Es war unter diefer Tifchgefellfchaft einer Namens 
Filippo di Ger Brunellesco, deſſen Verdienſt wie ich 
glaube damals und jegt befannt if. Diefer ging ver- 
traut mit dem Dicken um und Tannte fein Wefſen genau. 
Er war ein feiner Kopf und nachdem er eine Weile bei 
ſich nahgefonnen und feine Phantafie hatte fpielen laffen, 
begann er alſo: Hört, liebe Freunde, wenn wir Luft 
haben, da fälle mir etwas ein, eine fo huͤbſche Paſſe, 
die wir dem Dicken ſpielen können, daß wir davon den 
größten Spaß Hätten. Mein Plan beſteht nämlich darin, 
daß wir ihm weis machen, er ſei aus ſich ſelber heraus⸗ 
getreten und in einen andern verwandelt, er ſei nicht 
mechr ber Dicke, ſondern ſei ein anderer geworben, 

Hierauf wandten zwar bie andern ein, dies fei un- 
möglich auszuführen; Filippo aber führte ihnen feine 
Geunde und Beweife an und wußte durch feinen fcharfen 
Verſtand ihnen diefelben fo überzeugend zu machen, daß 
fie zuletzt nicht mehr an ber Ausfährbarkeit des Planes 


zweifelten. Sie verftändigten fich daher über bie Art 


und Weiſe, wie jeber ihn auf den Glauben zu bringen 
ſuchen folle, er ſei ein gewiſſer Matteo, der auch zu ihrer 
Geſelſchaft gehörte, und bie Sache nahm am ndchflen 
Abend ihren Anfang in folgender Geſtalt. Filippo bi 
Ser Bruncheseo, bekannter mit dem Biden, als die 


— — — 





45. Der dicke Tiſchler. 803 


übrigen, trat zu der Stunbe, da die Handwerker ihre 
Läden zu fchließen pflegen, in die Bude bes Dicken ein 
und plauderte eine Weile mit ihm, bis verabrebeter 
maßen ein Eleiner Knabe eilig gelaufen kam und fragte: 
Kommt hierher nicht zuweilen Filippo di Ser Brunellesen? 
und ift er vielleicht jegt da? 

Filippo trat auf ihn zu, ſagte, ja, er ſei der Mann, 
und fragte den Knaben, was er begehre. Darauf ant⸗ 
wortete ber Knabe: Ihr ſollt fo ſchnell ihr könnt nad 
Hauſe kommen, denn vor zwei Stunden hat eure Mutter 
ein großes Unglück gehabt und fie iſt Halb todt. Des⸗ 
wegen kommt nur bald! 

Filippo ftellte fi an, als wäre er heftig beteubt 
über diefen Unfall, und rief: Gott ſteh mir bei! 

Damit nahm er Abfchied von dem Dicken. 
Dicke fagte theilnehmend: Ich will mit bir geben, im 
Tal du etwas nöthig haſt. Das find Fälle, in denen 
man feine Freunde nicht ſchonen muß. 

Filippo bedankte fi und ſprach: Ich nehme dich 
jegt nicht mit, aber wenn ich etwas bedarf, fo will ich 
es dir fagen laffen. 

Filippo ging und flug anfcheinend den Weg nad) 
feiner Wohnung ein, bag aber um und begab ſich nach 
dem Haufe des Diden, welches der Kirche der. Santa 
Reparata gegenüber lag. Er öffnete die Thüre mit einem 
Meſſerchen, ein Verfahren, das er gut verfiand, trat ins 
Haus, und ſchloß ſich innen mit dem Riegel fo feſt ein, 
daß niemand hineingelangen konnte. Der Dide hatte 
eine Mutter, melde diefer Tage nach Polverofa gegangen 
war, wo fie ein Gütchen beſaß, um dort eine Wäaͤſche zu 
veranftalten ; ;. fie konnte jeden Tag zurückkommen. Der 
Dicke ging, nachdem er feine Bude gefchloffen bes, 
feiner Gewohnheit nach einige mal auf bem Plage & 
Giovanni auf und ab, ben Kopf mit Gedanken an Filippo 
erfüllt und von lauter Mitleid mit befien Mutter. Um 
ein Uhr nach Sonnenuntergang fagte er bei fich felbft: 


304 IX. Novelle eines Ungenannten. 


Nun bebarf Filippo heute meiner doch nicht mehr, da er 
noch immer nicht nach mir geſchickt hat. 

Er beſchloß alſo, nach Hauſe zu gehen; und als er 
vor feiner Thüre, zu der man zwei Stufen in die Höhe 
trat, angelangt war, und wie fonft auffchließen wollte, 
gelang es ihm nach mehrmaligen Verſuchen nicht. Da 
merkte er, daß von innen der Riegel vor fe. Er Elopfte 
‚an und rief: Wer ift denn oben? Mach mir auf! 

Er war der Meinung, feine Mutter fei vom Dorfe 
zurückgekommen und habe die Thüre aus irgend welcher 
Vorſicht oder in Gedanken von innen geſchloſſen. Filippo, 
welcher drinnen war, trat an die Spitze der Treppe und 
ſagte: Wer iſt unten? 

Dabei ahmte er die Stimme des Dicken nach. Diefer 
aber entgegnete: Mad) -mir 'aufl 

Filippo that, als halte er den Pochenden für jenen 
Matteo, in welchen ſie den Dicken glauben machen wollten, 
daß er verwandelt ſei; ſich ſelbſt aber ſtellte er als den 
Dicken dar und ſagte: Ei, Matteo, geh mit Bott! Ich 
bin Beute gar nicht aufgelegt, denn eben war Filippo 
di Ser Brunellesco in meiner Bude und ba wurde 
ihm gemeldet, feine Mutter fei feit zwei Stunden am 
Tode. Das hat mich für den ganzen Abend betrübt 
gemacht. 

Und nad innen gewendet fügte er hinzu: Mona 
Giovanna (demn fo bie die Mutter des Dicken), macht, 
daß ich zu eſſen bekomme! Es iſt doch gar zu arg; 
vor zwei Tagen ſolltet ihr ſchon wieder da ſein und 
kommt nun erſt heute Nacht. 

So fagte er noch einige verdrüßliche Worte und ahmte 
dabei immer bie Stimme des Dicken nad. Als der 
Dide fo rufen hörte und babei doch feine eigene Stimme 
zu vernehmen glaubte, fagte er: Was heißt denn das? 
Kommt e8 mir doch vor, der da droben ſei ich, der da 
ſagt, Filippo ſei in ſeiner Bude geweſen, als man ihm 
ankündigte, feine Mutter befinde ſich nicht wohl Und 


45. Der dide Zifchler. 385 


überdies fehmagt er mit Mona Giovanna. Wahrhaftig 
ih bin ganz von Befinnung. 

Er trat die beiden Stufen wieder hinab und ftellte 
ſich zurüd, um zu den Fenftern binaufzurufen. Da 
kam verabrebeter maßen einer Namens Donatello*) Hinzu, 
ein DMarmorbildbauer und genauer Freund des Diden; 
und wie er fo in der Dammterung vorüberging, fagte er: 
Suten Abend, Matteo! Suchft du den Diden? Er ift 
gerade eben ind Haus hineingegangen. 

Nach diefen Worten ging er feiner Wege. War nun 
der Die vorher voll Verwunderung, fo ftand er nım, 
wie er börte, daß Donatello ihn Matteo nannte, ganz 
verblüfft, und ging wieder auf den San Giovanniplag, 
indem er zu fich fagte: Ich will fo lange hier bleiben, 
bie jemand vorbeigeht, der mich Eennt, und mir fagen 
kann, wer ich eigentlich bin. Bin ich denn Galandrino, 
daß ich fo gefchwind ein anderer geworden bin, ohne es 
zu merken? 

Und während er fo Halb von Sinnen baftand, kamen 
nach Abrede vier Diener des Handelögerichts nebft einem 
Notar und mit ihnen ein Gläubiger jenes Matteo, für 
welchen der Dide ſchon auf dem beften Wege war fi 
zu halten. Der Gläubiger trat dicht zum Diden heran, 
wandte fih zu dem Notar und den Bewaffneten und 
fagte: Führt mir bier den Matteo hinweg! Diefer ift 
mein Schuldner. Siehſt du wohl, ich habe deine Spur 
fo lange verfolgt, bis ich dich endlich erwifcht habe. 

Die Gerichtsdiener und der Notar nahmen ihn feft 
und ſchickten fih an ihn binwegzuführen. Der Dide 
aber wandte fih an den, der ihn greifen ließ, und fpradh: 
Was Habe ich mit die zu ſchaffen, ber bu mic feft- 
nehmen läffeft. Sage, fie follen mie die Freiheit geben! 


) Donato di Betto Bardi aus Florenz, genannt Donatello, lebte 
‚1381 — 1466, war alfo 1409, wo unſere Geſchichte fpielt, 
achtunddreißig Jahre alt. Man fieht in Italien noch eine große 
Zahl feiner Kunſtwerke. 


306 IX. Rovelle eined Ungenannten. 


Du nimmft mich für einen andern, bemi ich bin nicht 
der, für den bu mich haͤltſt, und du begehſt ſchweres 
Unrecht, daß du mir dieſe Schmach anthuft, während 
ich gar nichts mit bir zu ſchaffen babe. Ich bin ber 
dicke Tiſchler und nicht Matteo unb weiß nicht, für was 
für einen Matteo du mich ausgibft. 

Hiermit wollte er anfangen, fich zu widerfegen, ba 
er groß und fehr Fräftig war. Sie fielen ihm aber rafſch 
in die Arme und hielten ihn; bee Gläubiger trat vor 
ihn bin, faßte ihn fcharf ind Auge und fagte: Wie? 
Du haft nichts mit mir zu fehaffent So? Ich follte 
den Matteo meinen Schuldner nicht Fennen und nicht 
wiffen, wie der dicke Tiſchler ausſieht? Du ſtehſt in 
meinem Schuldbuche und ich Habe das Urtheil gegen 
dich Thon ein Jahr lang erwirkt trog deiner Schliche. 
Du haft ganz Recht, wie ein Schuft zu fagen,. du feieft 
nicht Matteo; du wirft aber fchon lernen müffen mich zu 
bezahlen, flatt dich zu einem andern zu machen. Führt ihn 
nur hinweg, und wir wollen fehen, ob du berfelbe bift. 

Unter folch’ heftigem Gezaͤnk führten fie ihn auf das 
Handelsgeriht, und weil es faft fchon die Zeit des Abend- 
effene war, trafen fie weber unterwegs noch an Ort und 
Stelle jemand an, ber fie kannte. Dort angelangt fchrieb 
der Notar fcheinbar einen Verhaftbefehl auf Matteo's 
Namen ein, man brachte ihn ins Gefängnif, und wie er 
bineintrat, drängten fi) die andern Gefangenen, welche 
den Lärm bei feiner Ankunft vernommen hatten und ihn 
öfters Matteo nennen hörten, ohne ihn zu kennen, heran 
und fagten alle: Guten Abend, Matteo, was foll denn 
das bedeuten ? 

As der Die fih von allen diefen Leuten Matteo 
nennen hörte, fchien es ihm faft ausgemacht, daß er «6 
fet und fagte, nachdem er ihren Begrüßungen geantwortet 
hatte, ganz verwirrt: Ih fol ba einem, ber mich hat 
feftnehmen laſſen, eine Summe @elbes geben, aber ich 
will mich morgen bei guter Zeit loſmachen. 


45. Dei dicke Zifchler. 307 


. Die Gefangenen fagten: Du fiehft, wir find eben 
beim Abendeſſen. Halt es mit uns und dann morgen 
früh magſt du dich freimachen. Aber wir können bir 
aus Erfahrung fagen, daß man hier immer länger bleibt, 
als man glaubt. 

Der Die fpeifte mit ihnen und nach der Mahlzeit 
räumte ihm einer den ſchmalen Rand feines Lagers ein, 
indem ‘er fagte: Matteo, richte dich heute Nacht bier ein, 
fo gut du kannſt! Morgen früh, wenn du loskommſt, 
fo ift es gut; wonicht, fo ſchickſt du nach deinem Haufe 
um eine Dede. | 

Der Die dankte ihm, fie legten fich nieder, um zu 
fchlafen, er aber begann im Stillen folgende Überlegungen: 
Was will ich machen, wenn ich einmal aus dem Dicken 
der Matteo geworben bin? Und das kommt mir nun 
ziemlich gewiß vor nach al’ den Zeichen, bie ich gefehen 
habe. Schicke ih nach Haufe zu meiner Mutter und 
der Die ift dort, fo machen fie ſich Iuftig über mich 
und man wird fagen, ich fei verrücdt geworden. Auf 
ber anbern Seite fcheint es mir doch immer noch, ich 
fei der Dicke. 

Und unter folhem Selbſtgeſpräch, bald feiner Sache 
gewiß, daß er Matteo, bald daß er der Dide fei, Fam 
ber Morgen heran, faft ohne daß er gefchlafen hatte. 
Als es Tag wurde, erhob ersſich, trat an das Fenſter⸗ 
hen an ber Thuͤre des Gefängniffes und dachte, er müfle 
gewiß eines Menſchen habhaft werden, der ihn kenne. 
Während er fo wartete, trat in das Hanbelögericht ein 
junger Mann Namens Giovanni di Meffer Francesco 
Rutellai, welcher auch zu jener Gefellichaft gehörte, und 
an dem Abendeſſen fowie ander fpaßbaften Verſchwoͤrung 
Theil genommen hatte. Er war ein genauer Bekannter 
bes Dicken, welcher für ihn eben einen Himmel zu eimer 
heiligen Jungfrau anfertigte, und erſt geflern war er 
eine gute Weile bei ihm in ber Bude gewefen, um bie 
Arbeit zu befchleunigen, und der Dicke hatte ihm ver- 


8 IX. Rovelle eine Ungenannten. 


ſprochen, ihm in vier Tagen den Rahmen vollfländig 
zu liefern. Wie nun Giovanni in das Gerichtshaus ge: 
treten mar, firedte er feinen Kopf in ben Flur, auf 
welchen das Fenfter der Gefängniffe ging, das in jemer 
Zeit zu ebener Erde war und wo ſich ber Dide befand. 
Sobald er Giovanni erblickte, lächelte er und fah ihn an; 
Giovanni fah ihn, au an und fagte, als ob er ihn 
niemals gefehen hatte: Was lachſt du, Freund? 

Der Die, dem es vorfam, er werbe von jenem 
nicht. erfannt, fagte: O ich Tache über weiter nichts. 
Sagt mir, kennt ihr nicht einen, den man ben Diden 
nennt, der gleich dort hinten am Plag San Giovanni 
wohnt und ausgelegte Holzarbeiten macht? 

Ei freilih, fagte Giovanni. Sch Fenne ihn wohl. 
Er ift mein guter Freund, und gerade will ich zu ihm 
gehen wegen einer Zleinen Wrbeit, die er mir macht. 

Der Die fuhr fort: Ach fo thut mir doc ben Ge- 
fallen, da ihr ohnehin zu ihm gehen müßt, und fagt ihm: 
Es figt im Handelsgericht einer deiner Freunde gefangen 
und bittet dich, du möchteft ihm doch den Gefallen thun, 
einen Augenblid bei ihm anzufprechen. 

Giovanni fagte, indem er ihm fortwährend feft ins 
Geſicht fah und nur mit Mühe das Lachen verhalten 
fonnte: Das will ich gern thun. 

Damit ging er weiterofeinen Gefchäften nah. Der 
Die aber blieb am Fenfter des Gefängniffes und fagte 
bei fich felbft: Nun kann ich ficher fein, daß ich nicht 
mehr der Die, fondern daß ih Matteo geworben bin. 
Berwünfcht fei mein Schiefal! Denn wenn ich bie Sache 
fage, fo werde ich vollends für närrifch gehalten und auf ber 
Gaſſe laufen mir die Kinder nach; fage ich aber nichts, fo 
können noch hundert Misverftändniffe vorfommen, wie das 
von geftern Abend, daß ich fefigenommen wurde; fo bin ich 
alfo auf jeden Fall übel daran. Wir wollen aber doch fehen, 
ob der Dice kommt. Wenn er kommt, fo erzähle ich es 
ihm und wir werben fehen, was bas heißen foll. 


m. 


45. Der dicke Tiſchler. 39 


Er wartete in dem Wahne, diefer werde kommen, 
eine geraume Zeit; als er aber nicht am, trat er zurüd, 
um einem andern Plag zu machen, und ftierte das Pflafter 
zu feinen Füßen an, oder blidte er mit gefalteten Händen 
auf zur Dede. Es war diefer Tage in dem befagten 
Gefängniffe Schulden halber auch ein Richter in Haft, 
ein ganz waderer Mann, ebenfo durch den Ruf feiner 
allgemeinen Bildung als feiner Gefegkunde bekannt, deffen 
Name aus Achtung vor ihm hier verfchwiegen werben 
fol. Diefer kannte zwar den Dicken nicht; doch da er 
ihn fo ſchwermüthig figen ſah und fich einbildete, ex fei 
um feine Schuld betrübt, gedachte er ihn ein wenig zu 
tröften und fagte zu ihm: Ei, Matteo, du biſt ja fo 
teübfelig, als ob es Dir geradezu an den Hals ginge 
und doch ift nach dem, was du fagft, deine Schuld 
gering. Man muß fih nicht im Unglüd niederbrüden 
laſſen. Warum fchicft du nicht nach einem beiner Freunde 
oder Verwandten aus und ſuchſt deinen Släubiger zu 
bezahlen oder dich irgendwie mit ihm zu verfländigen, 
damit du auf freien Fuß kommſt und den Much nicht 
ganz und gar verlierft. 

As fich der Dice fo wohlmeinend tröften hörte, e ent- 
ſchloß er fih, dem Manne feine Noth zu Magen. Gr 
zog ihn in einen Winkel des Gefängniffes und hub an: 
Obgleich ihr mich nicht kennt, werther Herr, fo kenne 
ich doch euch wohl und weiß, daß ihr ein braver Mann 
feid. Sch habe daher befchloffen, euch den Grund zu 
fagen, warum ich fo ſchwermüthig bin. Ihr follt nicht 
glauben, dag eine Feine Schuld mir folches Leid erregt; 
es ift etwas anderes. 

Darauf erzählte er ihm von Anfang bis zu Ende 
alles, was ihm begegnet war, faft unter lauter Thränen 
und bat fich zweierlei von ihm aus, daß er erftend mit 
niemand. von diefer Sache fpreche und ſodann, daß er 
ihm irgend einen guten Rath oder Hilfe in ſeiner Noth 
ertheile. Er fegte hinzu: Ich weiß, daß ihr lange Zeit 


310 IX. Rovelle eined Ungenamnten. 


ſtudirt Habt umb habe viele alte Bücher und Geſchichten 
gelefen, in denen mannichfaltige Ereigniffe befchrieben find. 
—* ihr wol jemals eine Geſchichte darin, welche dieſer 
gleicht? 

Als der wackere Mann dieſe Rede vernommen und 
ſtill bei ſich erwogen hatte, meinte er, es ſei von zwei 
Fällen nur einer möglich; entweder ſei jener naͤrriſch ge⸗ 
worden ober die ganze Sache ſei nur eine Poſſe, wie es 
auch war. Er amtwortete alfo fehnell, er habe vielerlei 
ber Art gelefen, wie nämlid aus einem Menfchen ein 
A geworden, und dies ſei gerade kein unerhoͤrter 

all 

Ich hatte ‚ fügte er hinzu, früher ſelbſt einen Bauern 
der Urt, dem dieſes begegnete. 

Der Die fenfzte ſchwer und wußte gar nicht, was 

er fagen follte, wenn das fo wäre. 
Das Nämliche, fuhr der Richter fort, lieft man von 
den Begleitern des Ulyſſes und von andern, welche bie 
Circe verwandelt hat. Allerdings iſt, fo viel ich Höre 
„und nach dem was ich auch gelefen habe, wenn ich mid 
recht erinnere, ſchon mancher wieber zu feiner vorigen 
Geſtalt zurückgekehrt, aber das gefchieht doch felten, zu⸗ 
mal wenn die Sache lange anfteht. 

Darauf fagte der Die: Sagt mir nun aber, wenn 
ih Matteo geworben bin, wie ift es dann mit dem alten 
Matteo? 

Der Richter antivortete: Nothmendigerweife muß aus 
ihm dee Dicke geworben fein. 

Gut, fagte der Die. Ic möchte ihn bach auch ein 
bischen ſehen, um meine Neugier zu ſtillen. . 

Unter dieſen Gefprähen war es faft Nachmittag ge 
worden, als zwei Brüder diefes Matteo in das Handels- 
gericht kamen und den Netar ber Kaffe fragten, ob nicht 
bier ein Bruder von ihnen gefangen fige Ramens Matten 
und wegen welcher Summe man ihn feflgenommen habe; 
fie feien feine Srüber und wollen für ihn bezahlen, um 


45. Der dide Tiſchler. | 311 


ihn aus der Haft zu befreien. Der Notar der Kaſſe, 
der um den ganzen Handel wußte, da er ein genauer 
Freund des Tommaſo Pecori war, bejahte die erſte Frage, 
that, als blaͤttere er in ſeinem Buche herum und ſagte: 
Er iſt hier wegen ſo und ſo viel auf Anſuchen von 
dem und dem. 

Gut, ſagten ſie, wir wollen ihm ein paar Worte 
ſagen und alsdann für die Herbeiſchaffung des Geldes 
ſorgen. 

Und auf das Gefängniß zugehend ſagten fie zu einem, 
der am Fenfter fand: Sage doch dem Matteo drinnen, 
es feien zwei von feinen Brüdern bier, welche kommen, 
um ihn zu befreien! Er folle ein wenig herkommen. 

Während die Brüder hineinfchhauten, erkannten fie 
nur zu gut jenen Doctor, melcher mit dem Dicken fpradh. 
Als der Dide die Meldung vernonmen hatte, fragte er 
noch den Doctor, was denn aus feinem Bauern gewor- 
ben fel, und als er ihm fagte, er fet nicht mehr in feine 
frühere Geftalt zurückgekehrt, machte ſich der Dicke bop- 
pelt fo trübe Gedanken, trat an das Gitter und grüßte 
fie. Darauf begann der ältere ber beiden Brüber folcher- 
geftalt zu fprechen: Du weißt, Matteo, wie oft unb viel 
wie dich ermahnt haben, von dem fchlechten Lebenswandel 
abzulafien, den du feither geführt hafl. Du weißt, wir 
haben dir täglich gefagt: Du geräthft tagtäglich in Schul- 
den, heute bei biefem, "morgen bei jenem, und bezahlſt 
nie einen Menfchen, denn bie lieberlihen Ausgaben, zu 
welchen dich Spiel und andere Dinge verleiten, machen, 
daß du nie einen Heller in ber Taſche haft. 

Nun Haben fie dich vollends eingeftedt. Du weißt, 
dag wir die Mittel haben und meißt wir Zönnen jeden 
Tag für dich bezahlen. Du haft aber feit einiger Zeit 
einen wahren Schag vergeudet für beine Lumpereien, 
unb darum fagen wir bir alles Ernſtes, wenn es uns 
nicht um unſere Ehre wäre und um beine Mutter, bie 
ung keine Ruhe läßt, fo liefen wir dich bier ein wenig 


312 IX. Novelle eined Ungenannten. 


mürb werden, damit du in bich gingefl. Fur dies mal 
jeboh haben wir uns entichlofien, dich herauszuholen 
und für dich zu bezahlen, aber mit der Warnung, wenn 
du wieder einmal hier hineingeräthft, fo mußt du länger 
bier bleiben, als bir Lieb if. Damit genug! Damit wir 
aber bei Tag hier nicht gefehen werden, wollen wir heute 
Abend um Avemaria dich abholen, wenn weniger Leute 
um den Weg find, damit nicht jedermann Zeuge unfers 
Elends wird und wir uns um beinetwillen nicht noch 
mehr ſchämen müffen. 

Der Die gab ihnen gute Worte und verſprach hoch 
und theuer, er wolle in Zukunft ein ganz anderes Leben 
führen, als er ſeither gethan, und ſich hüten, ſolchen 
Unfug zu treiben und ihnen ſo viel Schande ins Haus 
zu bringen. Er bat fie um Gottes willen, fie möchten 
ihm boch ja abholen, fobald es Zeit fei. Sie verſprachen 

es zu thun und gingen hinweg; er aber zog fi zurüd 
und fagte zu bem Richter: Es kommt immer beffer bei 
mir, denn eben find zwei Brüder des Matteo dageweſen, 
eben jenes Matteo, mit dem ich verwechſelt werde, und 
haben mit mir geſprochen gerade als wäre ich Matteo 
und haben mich ernſtlich ermahnt, aber dabei gejagt, fie 
wollen um Avemaria fommen, um mich abzuholen. Und, 
fügte ee hinzu, wenn fie mich aus dem. Gefängnif weg⸗ 
führen, wo fol ich alsdann hin? In mein Haus kann 
ih nicht zurüd, denn wenn dort der Dicke ift, was foll 
ich fagen, will ich nicht für einen Narren gehalten werden 
Und es fcheint mir ganz gewiß, bag der Dicke dort iſt, 
denn wäre er nicht zu Haufe, fo hätte ja meine Mutter 
mich fuchen Iaffen, während jegt, wenn fie ihn vor ſich 
fieht, ſie dieſen Irrthum nicht gewahr wird. 

Der Richter hielt das Lachen nur mit großer Mühe 
und hatte über die Gefchichte eine außerordentliche Freude. 

Geh ja nicht dorthin, fagte er, fondern folge denen, 
bie fich für deine Brüder ausgeben! Du wirft balb fehen, 
wohin fie dich führen und was fie dann mit bir anfangen. 





45. Der dicke Zifchler. 313 


Während fie fo zufammen ſprachen, kam der Abend heran, 
die Brüder langten an und ftellten fich, als wenn fie den 
Gläubiger und die Kaffe befriedigt hätten. Da erhob fich 
ber Notar von feinem Sige mit den Schlüffeln des Gefäng- 
niffes. und ſprach hinein: Wer von euch ift der Matteo? 

Der Dide trat vor und fagte: Ich bin ed, mein Herr! 

Der Rotar betrachtete ihn aufmerffam und fagte: 
Diele deine Brüder haben deine Schuld für dich bezahlt; 
du bift demnad frei. 

Darauf öffnete er das Thor des Gefängniffes: und 
ſprach: Geh deines Weges! 

Der Die trat heraus und da es fchon fehr dunkel 
war, machte er fich mit jenen auf den Weg nach ihrer . 
Wohnung bei Santa Felicita, wo man nad) San Giorgio 
hinaufgeht. Als fie dort angekommen waren, führten fie 
ihn in ein Zimmer zu ebener Erde und fagten zu ihm: 
Verweile hier, bis es Eſſenszeit ift. 

Sie thaten, als wollten fie ihn der Mutter nicht 
unter die Augen bringen, um fie nicht zu betrüben. 
Nicht weit, vom Feuer war ein Heines Zifchchen bereitet. 
Einer der Brüder blieb bei ihm am Kamin figen, ber 
andere ging zum Pfarrer von Santa Felicita, ihrem 
Seelforger, welcher eine ehrliche Haut war. Zu dieſem 
fagte er: Xieber Herr, ich komme zu euch mit dem Ber- 
trauen, wie es ein Nachbar zum andern haben fol. 
Ihr müßt wiffen, daß wir drei Brüder find, und darunter 
ift einer welcher Matteo beißt. Diefer wurde geftern 
wegen einiger Schulden, die er gemacht, im Handels- 
gericht verhaftet, und bat fih nun die Gefangenfchaft 
fo zu. Herzen gezogen, daß es uns vorfommt, er fei faft 
nicht mehr richtig im Kopfe; indeß fiheint er nur in 
einem einzigen Punkte zu wanken, in allen andern ift 
er noch ganz der alte Matteo; bie ſchwache Seite ift 
naͤmlich bie, daß er fih in den Kopf gefegt bat, er fei 
ein anderer geworden, als Matteo. Habt ihr je eine fo 
tole Gefchichte gehört? Er fagt geradezu, er fei ein 

Staliänifcher Novellenfchab. I. 14 


314 IX. Rovelle eines Ungenannten. 


gewiffer dicker Zifchler, welcher feine Bude Hinter San 
Giovanni Hat und bei Santa Maria del Fiore wohnt. 
Das können wir ihm durchaus nicht aus bem Kopf 
bringen. Wir haben ihn daher aus dem Gefängnif be: 
freit, nad Haufe geführt und in eine befondere Stube 
gebracht, damit feine Narrheiten wicht weiter unter bie 
Leute kommen; denn ihr wißt wohl, wer einmal aus 
diefem Horn geblafen bat, ber wird, wenn er auch aufs 
Befte zu feinem Verſtande zurückkehrt, doch immer ge 
foppt. Und wenn es unfere Mutter bemerkte, ehe er 
wieder zur Befinnung kommt, könnten allerlei Unan⸗ 
nehmlichkeiten daraus entfliehen. Die Frauen laſſen ſich 
gar Teiche erfchredden; fie ift alt und kränklich. Und 
darum, um es Fur; zu machen, mollen wir euch bitten, 
aus Srharmen mit nach unferm Haufe zu fommen, ba- 
mit ihr mit ihm fprecht und verſucht, ihm feine Einbil- 
dungen aus dem Sinme zu bringen. Wir mwürben euch 
zeitleben® dafür dankbar fein. 

Der Prieſter war ein dienfifertiger Wann und exbot 
ſich daher zu allem. Er fagte, wenn er mit ihm Ipreche, 
fo werde er ber Sache bald auf den Grund fehen; er 
wolle ihm fchon fo lange und fo eindringlich zureben, 
dag er wohl hoffe, ihm bie Sache aus dem Kopf zu 
treiben. Er machte ſich gleich mit jenem auf den Weg 
nach dem Hauſe, und als ſie vor das Zimmer kamen, 
wo ſich der Dicke befand, trat der Priefter hinein und 
der Dide, welcher in feine Gedanken vertieft daſaß, 
ftand auf, fobald er ihn erblidte. Der Prieſter fagte 
zu ihm: Guten Abend, Matteo! 

uten Abend und gute Zeit! erwiderte ber Dice, 
Was führt euch zu mir? 

Darauf entgeänete der Priefter: Ih bin gekonnnen, 
um ein wenig bei dir zu bleiben. 

Sodann fegte er ſich nieder und fagte zu dem Dicken: 
Sige hier neben mich, ich will bir dann fagen, was mein 
Begehr ift. 


45. Der dide Kiſchler. 315 


Der Die, um nicht au wiberfprechen, ſaß zu ihm 
Bin und der Sriefier fing an, ihm folgende Ermahnung 
zu halten: Die Urfache, weshalb ich hierher gefommen 
bin, Matteo, ift, weil ich eine Sache vernommen habe, 
die mir ernſtlich Kummer macht. Wie ich nämlich ge- 
hört habe, bift du diefer Tage Schulden halber auf bem 
Handelögerichte verhaftet geweſen, und wie es fcheint, 
haft du dir dies fo zu Herzen gezogen, daß du nahe 
daran bift, den Berftand zu verlieren. Unter andern 
Thorheiten, die.du, wie ich höre, begangen haft und 
noch begebft, folft du auch behaupten, daß du nicht 
mehr Matteo feieft und durchaus ein anderer fein willft, 
ein Holzarbeiter, welchen man den Diden heißt. Du 
bift fehr zu tadeln, daß du um einer Beinen Wider⸗ 
wärtigkeit willen einem fo großen Schmerz in deinem 
Herzen Raum gibft, ber dich in den Verdacht bringt, 
du feieft nicht recht bei bir, und ber di, was dir nicht 
eben zur Ehre gereicht, durch beine Hartnäckigkeit in 
diefem Punkte zum Gefpötte der Menfchen macht. Um 
fehs Gulden? Iſt denn das fo etwas Argest Und 
noch überdied menn fie bezahlt find! Lieber Matteo, 
fagte der Prieſter, ihm die Hand drüdend, ih wünſchte 
in Wahrheit, du ließeft davon ab, und bitte dich, daß 
du mir zu Liebe das Verſprechen thueft, von diefem 
Augenblide an diefe Narrheit aufzugeben und wieder an 
deine Gefchäfte zu gehen, mie es einen rechtfchaffenen 
Manne geziemt und wie alle andern Keute thun. Du 
würdeſt damit diefen deinen Brüdern große Freude bes 
reiten und jedem, der ed gut mit euch meint, und mir 
ſelber. Iſt denn diefer Die ein fo großer Meifter oder 
ift er fo reich, daß du lieber er fein willft, als du? 
Welchen Vortheil fiehft du denn dabei, daß du dies thuft? 
Borausgefegt auch, jener fei ein würdiger Mann, und 
er fei reicher ale du (mährend er doch nad) dem, mas 
mir bie Deinigen fagen, eher unter dir ſteht), fo wirft 

14* 


314 IX. Rovelle eines Ungenannten. 


gewiffer dicker Tiſchler, welcher feine Bude Hinter San 
Giovanni hat und bei Santa Maria dei Kiore wohnt. 
Das können wir ihm durchaus nicht aus dem Kopf 
bringen. Wir haben ihn daher aus dem Sefängnif bes 
freit, nad Haufe geführt und in eine befondere Stube 
gebracht, damit feine Narrheiten möcht weiter unter Die 
Leute kommen; denn ihr wißt wohl, wer einmal aus 
diefem Horn geblafen hat, der wird, mern er auch aufb 
Befte zu feinem Verſtande zurückkehrt, doch immer ges 
foppt. Und wenn ed unfere Mutter bemerkte, ehe er 
wieder zur Befinnung kommt, tönnten allerlei Unan⸗ 
nehmlichkeiten barans entfiehen. Die Frauen laffen ſich 
gar Teiche erfchreden; fie iſt alt und kränklich. Und 
darum, um es Fur; zu wachen, mollen wir euch bitten, 
aus Erbarmen mit nach unferm Haufe zu kommen, da⸗ 
mit ihr mie ihm fprecht und verfucht, ihm feine Einbil- 
dungen aus dem Sinne zu bringen. Wir würden euch 
zeitlebens dafür dankbar fein. 

Der Prieſter war ein dienfifertiger Mann und ecbot 
fih daher zu allem. Er fagte, wenn er mit ihm — 
ſo werde er der Sache bald auf den Grund ſehen; er 
wolle ihm ſchon fo lange und fo eindringlich zureden, 
daß er wohl hoffe, ihm bie Sache aus dem Kopf zu 
treiben. Er machte fich gleich mit jenem auf den Weg 
nah dem Haufe, und als fie vor das Zimmer kamen, 
we fi der Dicke befand, trat ber Priefter hinein und 
der Die, welcher in feine Gedanken vertieft daſaß, 
ftand auf, fobald er ihn erblickte. Der Prieſter fagte 
zu ihm: Guten Abend, Matteo! 

uten Abend und gute Zeit! erwiberte ber Dice. 
Was führt euch zu mir? 

Darauf entgeänete der Priefter: Ich bin gekommen, 
um ein wenig bei dir zu bleiben. 

Sodann fegte er ſich nieder und fagte zu bem Dicken: 
Sitze bier neben mich, Ich will bir dann fagen, was mein 


Begehr iſt. 


— —— — 


— — 





45. Der dicke Kiſchler. 315 


Der Dide, um nicht. zu widerfprechen, ſaß zu ihm 
Bin und der Priefter fing an, ihm folgende Ermahnung 
zu balten: Die Urfache, weshalb ‚ich hierher gefommen 
bin, Matteo, ift, weil ich eine Sache vernommen habe, 
die mir ernſtlich Kummer macht. Wie ich namlich ge 
hört babe, bift du diefer Tage Schulden halber auf dem 
Handelögerichte verhaftet geweſen, und wie es fcheint, 
haft bu dir dies To zu Herzen gezogen, daß du nahe 
daran bift, den Verſtand zu verlieren. Unter andern 
Zhorheiten, die.du, wie ich höre, begangen baft und 
noch begehft, folft du auch behaupten, daß du nicht 
mehr Matteo fereft und durchaus ein anderer fein willft, 
ein Dolzarbeiter, welchen man den Diden beißt. Du 
bift fehr zu tadeln, dag du um einer kleinen Wider- 
wärtigkeit ‚willen einem fo großen Schmerz; in deinem 
Herzen Raum gibft, der dich in den Verdacht bringt, 
du feieft nicht recht bei dir, und ber dich, was dir nicht 
eben zur Ehre gereicht, durch deine Hartnäckigkeit in 
diefem Punkte zum Gefpötte der Menſchen macht. Um 
feh8 Gulden? Iſt denn das fo etwas Wrges? Und 
noch überbied wenn fie bezahlt find! Lieber Matten, 
fagte der Priefter, ihm die Hand drüdend, ich wünſchte 
in Wahrheit, du ließeft davon ab, und bitte dich, daß 
du mie zu Liebe das Verſprechen thueft, von biefem 
Augenblide an diefe Narrheit aufzugeben und wieder an 
beine Gefchäfte zu gehen, wie es einem rechtfchaffenen 
Manne geziemt und wie alle andern Leute thun. Du 
würdeft damit diefen deinen Brüdern große Freude bes 
reiten und jedem, der ed gut mit euch meint, und mir 
felber. Iſt denn diefer Dicke ein fo großer Meifter oder 
ft er fo reich, daß du lieber er fein willft, al6 du? 
Welchen Vortheil fiehft du denn dabei, dag du dies thuſt? 
Borausgefegt auch, jener fei ein würdiger Mann, und 
er fei reicher ald du (während er doch nad) dem, was 
mir bie Deinigen fagen, eher unter dir fleht), fo wirft 

14* 


316 IX. Rovelle eines Ungenannten. 


du doch dadurch, daß du fagft, du feieft er, barum nicht 
feinen Werth noch feinen Reichthum erlangen. Erführe 
die Welt, daß du von Sinnen geweſen bift, felbft wenn 
bu nachher zum beften Berftande von der Welt wieder 
gelangteft, und was. du auch thun möchteft, man würde 
doch immer fagen, du_feieft verrückt gewefen und du 
wäreft ein verlorener Menſch. Kurz forge, dag du ein 
Menſch bift und kein Vieh und laß alle diefe Poffen 
fhwinden! darum bitte ich dich inftändig. Mas Dider 
oder nicht Dider! Mach es nach meiner Weife! Ich 
rathe dir zu deinem Beten. 

Dabeh fhaute er ihm recht freundlich ins Geficht. 
Als der Die ihn fo Tiebreich reden gehört, und bie 
paffenden Worte erwogen hatte, die er zu ihm gefprochen, 
zweifelte er nicht mehr daran, daß er Matteo fei, und 
antwortete ohne Bedenken, ex fei bereit, in Betreff defien 
was er von ihm verlange, fein Möglichftes zu thum, 
indem er wohl einfehe, daß alle feine Neben nur au 
fein Beftes abzwecken. Er verfprad ihm, von nun an 
ſich alle Mühe zu geben, daß er nicht mehr auf ben 
Gedanken komme, ein anderer zu fein, als er ſelbſt, 
naͤmlich Matteo. Aber er bitte ihn nur um eine einzige 
Sunft, wenn fie gewährt werden Tonne, nämlich er möchte 
nur ein einziges Mal mit jenem Diden fprechen, um 
ſich voltommen zu überzeugen. Hierauf erwiderte ber 
Prieſter: Dies würde ſich gar ſchlecht mit deinem Nugen 
vertragen. Ich fehe wohl, daß du die Grillen noch immer 
im Kopfe bafl. Was brauchft du überhaupt mit dem 
Diden zu reden? Was haft du mit ihm zu fhaffen? 
Je mehr bu darüber fprichft, je mehr Leuten du biefe 
Sache entdeckſt, befto ſchlimmer ift es für dich und deſto 
mehr fchadet es bir. 

Und in biefem Ton fprach er dem Diden fo lange zu, 
bis er fich endlich zufrieden gab und von dem Wunſche, 
mit ihm zu fprechen, abftand. Darauf ging er weg 





45. Der dicke Tiſchler. 317 


von ihm, erzählte den Brüdern, was er gethan und ge- 
ſprochen babe und was Matteo ihm zugefagt. Darauf 
verabſchiedete er ſich von ihnen und kehrte in die Kirche 
zurüd. Einer der Brüder drüdte ihm einen Silber 
geofhen in die Hand, .um die Sache noch glaubhafter 
zu machen, und dankte ihm für feine Mühe. Mittler- 
weile, während ber Priefter den Dicken vornahm, mar 
Filippo di Ser Brunellesco heimlich herbeigefchlihen, und 
hatte fich unter unenblichem Gelächter in einem entfernten 
Zimmer von einem der Brüder alles wiebererzählen laffen, 


wie der Die aus dem Gefängniß gebracht worden war, . 


was fie ihm unterwegs gefagt hatten und fo fort. - Er 
hatte in einen großen Becher ein Getränk gegofjen und 
fprach zu einem der beiden Brüder: Macht, daß ihr ihm 
unter dem Nachteſſen dies zu trinken gebt, entweder im 
Wein oder wie ihr am liebſten wollt, ohne daß er es 
merkt. Es iſt ein Schlaftrunk, auf den er ſo feſt ein⸗ 
ſchlafen muß, daß er es ein paar Stunden lang nicht 
fühlen würde und wenn man ihn prügelte. Gegen fünf 
Uhr will ich dann wieder nachſehen und wir beſorgen dann 
das Übrige. 

Die Brüder kehrten in die Stube zum Dicken zurüd 
und fegten fich mit ihm ans Effen, als es ſchon drei Uhr 
vorüber war. Während fie fo bei Tiſch faßen, brachten 
fie ihm den Schlaftrunt fo geſchickt bei, daß er gar nichte 
davon merkte. Als fie abgefpeift hatten und ein wenig 
am euer faßen, begann die Arznei fo fräftig zu wirken, 
daß der Die mit aller Mühe die Augen nicht mehr 
offen halten Tonnte vor ſchwerem Schlafe, der ihn be 
wältigte. Die andern fagten zu ihm: Matteo, du fcheinft 
ja vor Müdigkeit umzufallen. Du baft mol heute Nacht 
wenig gefchlafen. 

Das hatten fie getroffen. 

Ich verfichere euch, erwiderte hierauf ber Die, daß 
ich mein Leben lang nicht fo ſchläfrig geweſen bin. Ges 
14** 


—X 





318 L. Robelle eines Tingenamnten. 


koͤnnte nicht aͤrger fen, wenn ich einen Monat lang nicht 
gefchlafen hätte. Ich will mich daher zu Bette legen. 
Er fing an, fi, auszukleiden, hatte aber kaum noch 
Kraft, die Schuhe abzuziehen und fih auf dad Bette zu 
werfen, fo war er fchon feft eingefchlafen und fchnarchte 
wie ein Schwein. Zur feftgefegten Stunde kehrte Filippo 
di Ser Brunellesco mit ſechs feiner Gefährten zurück und 
trat in die Kammer, wo jener lag. Da fie bemerkten, 
baß er feſt fchlief, fo nahmen fie ihn und legten ihn mit 
allen feinen Kleidern auf eine Tragbahre und trugen ihn 
nach feinem Haufe, welches ganz leer ftand, weil feine 
Mutter zufällig noch nicht vom Lande zurückgekehrt war. 
Sie trugen ihn an das Bett, legten. ihn hinein und 
warfen feine Kleider an benfelben Plag Hin, wo er fie 
felbft hinzuthun gemohnt war; doch ihm felbft kehrten 
fie mit dem Kopfe dahin, wohin er fonft die Füße zu 
legen pflegte. Als dies gefhehen war, nahmen fie die 
Schlüffel zu feiner Bude, melde an einem Hafen in 
feiner Schlafkammer hingen, machten fie auf, traten 
hinein und legten alle feine eifernen Werkzeuge an einen 
andern Ort, ald wo fie bisher lagen. Alle Eifen an 
den Hobeln riffen fie aus dem Geſtell und drehten bie 
Schneide gegen oben und das Dicke nach unten. Ebenſo 
machten fie es mit allen Hammern und mit ben Arten, 
und in der ganzen Bude verwirrten te alles auf eine 
Urt, daß es fchien, es haben hunderttanfend Teufel darin 
ihr Weſen getrieben. Endlich fchloffen fie den Laden wie- 
der ad, trugen die Schlüffel in das Zimmer des Diden 
zurück, Bon auch dort die Thüre und gingen fodann 
" jeder nah Haus um zu fchlafen. Der Dide betäubt 
von bem Tranke fchlief diefe ganze Racht über, ohne je 
zur Befinnung zu fommen. Des andern Morgens aber 
um bie Zeit des Avemaria in Santa Maria dei Fiore 
hatte der Tran feine Wirkung vollendet, der Dicke er- 
machte, als es ſchon Tag mar, unb ale er bie Glocke 


* 





45. Der dicke Tiſchler. 319 


erfannte und die Augen auffchlug, erkannte er bei der 
durch ein Zugloch einfallenden Helle, daß er in ſeinem 
eigenen Hauſe war, und als er ſich aller frühern Ereig⸗ 
niſſe erinnerte, überfiel ihn das größte Erſtaunen. Er 
erinnerte ſich, wo er am vorigen Abend zu Bett gegangen 
war und wo er ſich damals befand, und mit einem Mal 
war er von Zweifeln beſtürmt, ob er das alles geträumt 
habe, oder ob er jetzt träume. Bald ſchien ihm das 
eine wahr zu ſein, bald das andere, und nach einem 
recht aus Herzensgrund hervorgeholten Seufzer rief er: 
Gott fteh mir bei! 

Er fprang aus dem Bette, kleidete fi an, . nahm 
die Schlüffel der Bude auf und rannte dahin. Als er 
aufgefchloffen hatte, fah er bie ganze Werkflätte in Ver⸗ 
wirrung, alle Eifen verkehrt und von ihrem Plag ent« 
fernt, worüber er nicht wenig fich verwunderte. Doc) 
räumte er allmälig auf und rückte die Gegenftände wie- 
der zurecht. Da kamen auf einmal die zwei Brüber 
Matteo’8 und als fie ihn fo befchäftigt fanden, fagte 
einer von ihnen, gerade wie wenn fie e ihn nicht Bennten: 
Guten Tag, Meifter! 

Der Dice drehte ſich nad) ihnen um und als ex fie 
erkannte, verfärbte er ſich ein wenig, fagte aber dennoch: 
Guten Tag und gutes Jahr! Was führt euch her? 

Einer von beiden ſprach: Ich will es dir fagen. 
Wir haben einen Bruder, Namens Matteo; diefer wurbe 
dor einigen Tagen verhaftet und ift aus Kummer darüber 
halb von Sinnen gefommen. So ſagt er unter anderm, 
er fei nicht mehr Matteo, fondern der Meifter diefer Bube, 
weichen man, wie es fcheint, ‚ben Diden heißt. Wir 
haben ihn nun fehr ermahnt und ihm auch geftern Abend 
von dem Priefter unferer Pfarre zufprechen laffen, welcher 
ein fehr braver Mann if. Dem hatte er verfprochen, 
ſich dieſe Narrheit aus dem Sinn zu ſchlagen, ſodaß er 
auch mit dem beten Appetit zu Nacht fpeifte und in 





320 ° IX. Novelle eines Ungenannten. 


unferer Gegenwart zu Bett ging. BDiefen Morgen ‚aber 
hat er fich, ohne daß es jemand merkte, davongefchlichen, 
wir wiffen nicht wohin. Deshalb find wir hierherge- 
fommen, um zu fehen, ob er wol dageweſen ift, oder 
ob du. uns nichts von ihm zu fagen weißt. 

Dem Diden ſchwindelte es bei diefen Neden. Er 
erwiderte: Ich verftehe nicht, was ihr fagt und begreife 
nichtö von euren Poffen. Matteo ift nicht hierberge- 
fommen und wenn er fich für mich ausgibt, begeht er 
eine große Schurkerei. Bei meiner Seele, treffe ich ein- 
mal mit ihm zufammen, fo will ich meine Luft an ihm 
büßen und will doch fehen, ob ich er bin oder er ich ift. 
Was zum Teufel. ift das für ein Spuk die zwei Tage her! 

Mit diefen Worten ergriff er voll Zorn feinen Mantel, 
zog die Thüre des Ladens hinter fich zu, ließ jene ftehen 
und lief unter heftigen Drohungen gegen Santa Maria 
del Fiore zu. Die Brüder machten fi) hinweg und der 
Dide trat in die Kirche, wo er auf- und niederfchritt, 
wie ein Löwe ausfehend, fo wüthend war er über diefe 
Gefhichte. Unterdeffen Fam ein Handwerksgenoſſe von 
ihm eben dahin, der mit ihm bei dem Meifter Pellegrino 
in Terma das Schreinerhandmwerk erlernt hatte. .Diefer 
junge Mann war fihon vor mehreren Jahren ausge: 
wandert und nad) Ungarn gezogen und ed war ihm dort 
fehr gut ergangen durch die Unterftügung eines andern 
Florentinerd des Filippo Scolari, welcher fich lo Spano 
nannte und welcher damald Generalcapitain des Heeres 
von Sigismund, dem Sohn König Karls von Böhmen 
war. Diefer Spano nahm alle Florentiner gut auf, 
welche ſich durch Kenntniffe oder Gefchiclichkeit irgend 
auszeichneten, da er ein fehr wadererr Mann war und 
feine Landsleute ganz befonders liebte, wie er denn auch 
von ihnen geliebt zu werben verdiente, da er fi) gegen 
fo viele wohlthätig erwies. Um diefe Zeit nun war jener 
nach Florenz gekommen, um fich zu erfundigen, ob er 


45. Der dicke Zifchler. 321 


nicht von dort einen Meifter feines Handwerks mitnehmen 
könne, weil er fo viele Arbeiten übernommen hatte. Schon 
mehrmals hatte er mit dem Diden davon gefprochen und 
ihn gebeten, mit ihm zu ziehen, wobei er ihm in Aus⸗ 
fiht ftellte, wie fie in wenigen Jahren reich werben 
tönnten. Als er ihm bier wieder begegnete, fagte der 
Dide: Du haft mir fchon mehrmals zugerebet, mit bir 
nah Ungarn zu ziehen und ich babe es bir immer ab- 
geſchlagen. Jetzt habe ich um eines ſonderbaren Unfalls 
willen und wegen einiger Mishelligkeiten mit meiner Mutter 
den Entſchluß gefaßt, mit dir zu ziehen, wenn du mid 
anders noch haben willſt. Wenn es dir recht ift, fo will 
ich morgen früh ſchon abreiſen, denn bliebe ich noch länger, 
fo Eönnte wieder etwas dazmifchentommen. 

Der junge Mann fagte zu ihm, es werde ihm. fehr 
lieb fein, doch Eönne er morgen nicht ſchon abreifen, da 

er fonft noch Geſchäfte habe; er Fünne aber ja morgen 
Früh gehen, wenn er wolle, und ihn in Bologna er- 
warten, wo er auch in menig Tagen eintreffen werde. 
Der Die war damit zufrieden und fo wurden fie ein®. 
Der Dide ging baher in den Laden zurüd, nahm viele 
von feinen Werkzeugen und einige Stleinigkeiten, bie er 
fortbringen konnte, fomwie einiges Geld, das er hatte. 
Als dies gefchehen mar, ging er nad) Borgo San Lo- 
renzo,. miethete ein Pferd nach Bologna, flieg am fol- 
genden Morgen auf und nahm feinen Weg dorthin, 
nachdem er einen an feine Mutter überfchriebenen Brief 
zurüdgelaffen hatte, worin es hieß, fie möge Alles, was 
im Laden zurückgeblieben fei, als Gefchent behalten; er 
gehe nach Ungarn; fie folle verkaufen, was fie finde. 
Auf biefe Art fchied ber Dicke von Florenz, ermartete 
in Bologna feinen Gefährten und reifte mit ihm nad) 
Ungarn, imo ihre Gefchäfte fo gut von Etatten gingen, 
daß fie in wenigen Jahren durch die Gunft des genannten 
Spano nad ihren Verhältniffen reich wurden. Spano 


320 IX. Robelle eines Ungenannten. 


unferer Gegenwart zu Bett ging. Diefen Morgen .aber 
hat er ſich, ohne daß es jemand merkte, davongefchlichen, 
wir wiffen nit wohin. Deshalb find wir hierherge- 
fommen, um zu fehen, ob er wol dageweſen ift, oder 
ob du uns nichts von ihm zu fagen weißt. 

Dem Diden fhwindelte e8 bei diefen Reden. Er 
erwiderte: Ich verftehe nicht, was ihr fagt und begreife 
nichts von euren Poffen. Matteo ift nicht hierherge- 
fommen und wenn er fih für mich ausgibt, begeht er 
eine große Schurkerei. Bei meiner Seele, treffe ich ein- 
mal mit ihm zufammen, fo will ich meine Luft an ihm 
büßen und will doch fehen, ob ich er bin ober er ich iſt. 
Was zum Teufel ift das für ein Spuk die zwei Tage her! 

Mit diefen Worten ergriff er voll Zorn feinen Mantel, 
zog die Thüre des Ladens hinter fich zu, ließ jene flehen 
und lief unter heftigen Drohungen gegen Santa Maria 
del Fiore zu. Die Brüder machten fi) hinweg und der 
Dide trat in die Kirche, wo er auf- und niederfehritt, 
wie ein Löwe ausfehend, fo wüthend war er über dieſe 
Geſchichte. Unterbeffen kam ein Handwerkögenoffe von 
ihm eben dahin, der mit ihm bei bem Meifter Pellegrino 
in Terma das Schreinerhandwerk erlernt hatte. „Diefer 
junge Mann war fihon vor mehreren Jahren ausge: 
wandert und nad) Ungarn gezogen und ed war ihm dort 
fehr gut ergangen durch die Unterftügung eines andern 
Florentiners des Filippo Scolari, welcher fih Io Spano 
nannte und welder damals Generalcapitain des Heeres 
von Sigismund, dem Sohn König Karls von Böhmen 
war. Diefer Spano nahm alle Florentiner gut auf, 
weiche ſich durch SKenntniffe oder Geſchicklichkeit irgend 
auszeichneten, ba er ein fehr wadererr Mann war und 
feine Landsleute ganz befonders liebte, wie er denn auch 
von ihnen geliebt zu werden verdiente, da er fich gegen 
fo viele wohlthätig erwies. Um dieſe Zeit nun war jener 
nach Florenz gefommen, um fi zu erkundigen, ob er 





45. Der dicke Tiſchler. 321 


nicht von dort einen Meifter feines Handwerks mitnehmen 
könne, weil er fo viele Arbeiten übernommen hatte. Schon 
mehrmals Hatte er mit dem Diden davon gefprochen und 
ihn gebeten, mit ihm zu ziehen, wobei er ihm in Aut» 
fiht ftellte, wie fie in wenigen Jahren reich werden 
Tönnten. Als er ihm hier wieder begegnete, fagte der 
Dicke: Du haft mir fchon mehrmals zugeredet, mit bir 
nah Ungarn zu ziehen und ich babe es dir immer ab- 
gefchlagen. Jetzt habe ich um eines fonderbaren Unfalls 
willen und wegen einiger Mishelligkeiten mit meiner Mutter 
den Entſchluß gefaßt, mit dir zu ziehen, wenn bu mid 
anders noch haben willft. Wenn es bir recht ift, fo will 
ich morgen früh ſchon abreifen, denn bliebe ich noch länger, 
fo koͤnnte wieder etwas dazwifchentommen. 

Der junge Dann fagte zu ihm, es werde ihm. fehr 
lieb fein, doch koͤnne er morgen nicht fehon abreifen,, da 
er fonft noch Geſchäfte habe; er könne aber ja morgen 
früh gehen, wenn er wolle, und ihn in Bologna er- 
warten, wo er auch in wenig Tagen eintreffen werde. 
Der Die war damit zufrieden und fo wurden fie eins. 
Der Die ging daher in den Laden zurüd, nahm viele 
von feinen Werkzeugen und einige Kleinigkeiten, die er 
fortbringen fonnte, fomwie einiges Geld, das er hatte. 
Als dies gefchehen mar, ging er nad) Borgo San Lo⸗ 
renzo, miethete ein Pferd nach Bologna, flieg am fol- 
genden Morgen auf und nahm feinen Meg dorthin, 
nachdem er einen an feine Mutter überfchriebenen Brief 
zurückgelaffen hatte, worin es hieß, fie möge Alles, was 
im Laden zirücgeblieben fei, als Gefchent behalten; er 
gehe nach Ungarn; fie folle verkaufen, was fie finde. 
Auf diefe Art fchied der Dicke von Florenz, erwartete 
in Bologna feinen Gefährten und reifte mit ihm nad 
Ungarn, wo ihre Gefchäfte fo gut von Statten gingen, 
daß fie in wenigen Jahren durch die Gunft bed genannten 
Spano nah ihren Verhältniffen reich wurden. Spano 


322 45. Der dide Tiſchler 


‚machte ibn zum Kriegswerkmeifter und er führte den 
. Ramen Meiſter Manetto von Florenz. Der Die kam 
fpäter mehrmals nach Florenz unb als ihn Filippo bi 
Ser Brunellesco um feine Auswanderung befragte, er⸗ 
zählte er ihm in befter Ordnung biefe Geſchichte und 
gab fie ald Grund feines Weggehens von Florenz an. 


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


Ftaliänilcher Novellenſchutz 
Ausgewählt und überfegt 


Adelbert Keller. _ 


Zweiter Theil. 


——— —— — — 
Leipzig: 
F. A. Brockhaus. 


1851. 





Inhalt des zweiten Theile. 


&. Giovanni Sabadino degli Arienti. Seite 

46. Der Herzog von Mailand... ....... ......... 1 
xl. Luigi da Porto. | 

47. Romeo und Siulietta... ....... .............. "1 
ZI. Francesco Maria Molza. 

48. Schlimmer und ſchlimmer! .................... 40 
XIII. Giuſtiniano Nelli. 

49. Giulio und Aurelio's Frau. ................... 46 
XIV. Luigi Alamanni. 

50. Die Gräfin von Toulouſe..................... 62 
XV. Lodovieo Carbone. 

Hl. Dante's Zerſtreutheit......................... 92 
XVI. Benvenuto Cellini. 

52. Die Nietung des Diamants................... 93 
WVII. Antonio Sranceden Grazzini genannt ber Lasca. 

53. Ein Schwank Lorenzo Medici's................ 98 
WIII. Giovanni’ Battiſta Giraldi Cintio. 

54. Perſiſche Sraufamkeit.............. ........... 144 

55. Rinieri und Cicilia.......................... 168 

56. Delio und Dafne. ........................... 188 

57. Der Mohr von Venedig............... ....... 201 

58. Die Witwe von Fondi ....................... 217 

39. Bilippo Sala und fein Serr..... .............. 228 

60. Maß für Maß.....................2...... 242 

61. Die unglüdlihe Mutter........ .............. 258 

62. Täuſchung und Treue........................ 266 


63. Ein Gottesurtheil.............. .............. 285 





vi Inhalt. 


XIX. Aleſſaudro Sozzini. Seite 

64. Die drei Blinden und das Almofen............ 304 
X. Lionardo Bruni von Arezzo 

65. Antiohus und Stratonica..................... 308 
XXI. Antonio Corngzzano. 

66. Frangofen und Italiäner..................... 318 


XXI. Sebaſtiano Erizzo. 
67. Die Tochter des Kaiſers von Eonfkantinopel..... 320 
68. Der Kaufmann aus Genua... .....-uuceeneeuce 330 
XXI. Baldafiare Eaftiglione. ' 
69. Der blinde Spieler........ Kernen. ernennen 339 


X. Giovanni Sabadino degli Arienti, 


1483. 


46. Der Herzog von Matland: 


Der Graf Francesco Eohn Forza’s von Codignola, 
hochgeborner Braf und Tiebenswürdige Gefellfhaft, war, 
wie ihr wißt, ein Fürft, ‚bei weldyem weder Natur noch 
Glück es an irgend etwas hatte fehlen laffen. Wir 
fprehen nit davon, wie erlaudt, prachtliebend, frei- 
gebig, gütig und gnädig er war, denn in allen dieſen 
Eigenfchaften übertraf er nicht allein alle Männer ber 
Gegenwart, fondern that es auch allen alten Römern 
und Griechen gleich. Aber das wollen wir. erwähnen, 
daß er im Waffenwerk, in das er all feinen Ruhm und 
Ehre fegte, nicht minder mannhaft, Hug und hochherzig 
war, als Sertorius, Marcellus, Lucullus, Cäfar und 
Pompejus, oder wer fonft noch mehr den Mund ber 
Fama in den Büchern der Gefchichte in Bewegung fegt. 
Daß dies wahr fei, beweift die That, da er nicht nur 
alle andern friegerifchen Herzöge, an denen Stalien fo 
« fruchtbar war, wie ihr wißt, befriegte und glorreich über- 
wand, fondern auch durch dieſe feine Tapferkeit fih zum 
Herm der Lombardei emporſchwang. Deffenungeachtet, 
obwol alle dieſe Eigenſchaften in gehäuftem Maße bei 
ihm vorhanden waren, wie ihr ſicherlich in eurem Leben 
ſchon tauſend mal gehört habt, und obwol er ſiegreiche 
Heere bändigte und zu Boden ſchlug, konnte er doch nicht 
vermeiden, von ber Gewalt des jungen Schügen gefangen 
zu werben. und. wurbe an dem Siegeswagen feiner Gott- 
heit unter der übrigen zahlreichen Schar im Triumph 

Italiaͤniſcher Novellenſchai. II. 1 


2 X. Giovanni Sabadino degli Arienti. 


geführt ob ber preiswürdigen Schönheit einer edeln Jung- 
frau aus unferer Stadt, deren Namen und Gefchlecht 
ih mit Stillſchweigen übergehen will, um nicht Veran⸗ 
laſſung zur geben, daß ihr ehrfamer Ruf befledt werde. 
Fur diefes Mädchen entbrannte er dermaßen, daß er Tag 
und Nadıt an nichts anderes als an fie dachte, und nichts, 
was er fah, ihm fo gefiel, ja daß er am Ende vor Sram 
geftorben wäre, wenn er nicht mit ihr der Minne Luft 
hätte genießen follen; und ihre Eltern mußten, da es 
nun einmal fein ganz befonderer Wunſch war, und. um 
den Fürften nicht dem Tod und ber Berziweiflung preis- 
zugeben, fie ihm überlaffen. Nun kam aber die Sache, 
ih weiß nicht auf weiche Urt, der durchlauchtigen Her⸗ 
zogin zu Ohren, einer Frau, die in ihrem Gefchlecht 
ebenfo erhaben war, wie ihr Gatte unter den Männern. 
Sie war baber fehr wachſam, um die Ausführung diefer 
Liebesplane zum verhindern und nicht folche Unluft und 
Hintergehung von Geiten eines Mannes zu erfahren, 
den fie ausſchließlich liebte. Als num eines Abende bas 
Mädchen auf das Schloß der Stadt geführt murbe, hatte 
die vorfichtige Herzogin darauf wohl Acht und war fchen 
durch ihre ausgefichten Kundſchafter von der Sache unter- 
richtet. Während alfo das Mädchen auf einem gan; 
geheimen Weg hereingebracht werden follte, wurbe fie mit 
ihren Begleiteen fefigehalten und alle in ihr Zimmer vor 
fle geführt, Die dann mit Worten, die zu folder Beran- 
laffung ſchicklich ſchienen, ihr auf fo eindringliche Weiſe 
ihr Vergehen vorftellte, daß nicht minder Scham als 
Furcht fie alle erfaßte; doch entfchuldigten fich bie Unter- ' 
händler, da fie es nicht gethan haben, um ihrer Dar 
laucht etwas zu Leide zu thun noch auch aus Begierde 
nach Ehre oder aus Gewinnſucht, fondern einzig und allein, 
um den gemeflenen Befehlen bes Gern Herzogs zu ge- 
horchen, der fi in Liebe zu dem Maͤdchen verzehre 
Die durchlauchtige Herzogin ſchickte fie aus dem Zimmer 
und befahl ihnen bei Strafe ihrer Ungnade nicht ohne 





46. Der Hergog von Mailand. 3 


ihre Erlaubniß wegzugehen, bis fie ihnen ihven Willen 
anders kund gebe, dem Maͤdchen aber befahl ſie mit 
ſcharfen drohenden Worten, ſich unverzüglich zu entklei⸗ 
den. Gie zitterte nicht anders als ein Blatt im Binde, 
benegte immerfort ihr fchönes Geficht mit Thränen ber 
Scham und entleidete fid, fo aus‘ Angſt vor einer Züch⸗ 
tigung oder Marter. Die Herzogin zog fich auch ihre 
reichen Gewande ab und legte die des beängfligten Mäd- 
hend an, hängte einen Schleier über den Kopf bis über 
die Augen herab, rief fodann, als fie fchon die Tracht 
ded Mädchens anhatte, eine ihe. treuergebene Kammerfrau 
zu fi und fagte zu ihr: Mache daß du mich, ohne mid) 
weiter zu nennen, ohne Licht aus diefem Zimmer führft, 
dag man die Verwechslung nicht merft! Dann fage zu 
denen, bie draußen warten, wie in Auftrag von mir: 
Die gnädige Frau befiehlt, ihr follt da8 Mädchen zum 
Derzog bringen, wie er es haben will, in aller Stille 
und ohne Zogerung. 

Die treue Kammerfrau war nicht wenig - erftaunt 
und wußte nit, was das heißen folle, trat aber aus 
ben Gemach ihre Gebieterin an ber Hand führend und 
übergab fie flatt des Mädchens jenen Leuten mit den ihr 
aufgegebenen Worten. Diefen ſchwanden damit die ver- 
fchtebenen Beforgniffe, weiche die Drohungen der klugen 
Hergogim in ihnen erweckt hatten, und fie führten fie an 
das herzogliche Gemach des Fürſten, pochten dort an die 
Thür, und, als diefe aufging, hießen fie fie hineingehen 
und entfernten fih. Die weile Herzogin that etwas 
fremd und ſtand wie verfchänt mit gefenftem Haupt 
und mit zur Erde gehefteten Blicken da, trat bann etwa 
drei Schritte vor, ohne ein Wort zu forechen, und fiel 
an der Iinfen Seite des Herrn auf die Knie, welcher 
feine zwei Lieblingekämmerer hinausſchickte, dann heiter 
auf fie zuging und in der Meinung, es fei feine Ge⸗ 
liebte, alſo ſprach: Schönes Mädchen, wie mein Leben 
theure, ſei mir taufend und abertaufend mal willlanmen! 


1* 


4 X. Siovanni Sabadino degli Arienti. 


So fand er ein Weilchen vor ihr, berührte fobann 
mit der rechten Hand das ſchöne Mädchen und mit ber 
Iinten ihren glänzenden Naden, und konnte ſich wicht 
erfättigen, indem er dem Liebesgott dankte, ihre Purpur- 
lippen zu küſſen. Darauf fuchte er, da er glühte und 
die Kunft wohl verftand, ihr mit den Fingern durch den 
Ausfchnitt Der Gewande am Hals bie elfenbeinerne Bruft 
zu berühren, und fprach dazu immer Worte, welche das 
Eis in Flammen fegen mußten. Als er endlich die an- 
dern erfehnten Theile berühren wollte, fehien es der weiten 
Herzogin, fie dürfe ihren theuern Gemahl nicht meiter 
gehen laſſen, zog alfo den weißen Schleier hinweg, ber 
ihre fchönen Augen verhüllte, und fagte ganz fanft fol- 
gende Worte zu ihm: Ei, mein Gebieter, wo ift eure 
Tugend, wo euer Berftand? Iſt das die eheliche Treue, 
die ihr mir fchuldig feid, die ich euch ohne Maß liebe? 
Iſt das die Battenpflicht, die ihr beobachten müßt‘, nach⸗ 
dem ihr von mir fo viele würdige Söhne erhalten, Die 
der Glanz nicht nur Italiens, fondern der ganzen. Welt 
find? Iſt dies das gute Beiſpiel und der Ruf, den ihr 
hinterlaffen ſollt? In der That ich habe mich fehr im 
euch getäufht. Wer hätte je gedacht, daß ein großes 
Herz wie das eure, das nie Mühfal gefcheut noch Furcht 
gekannt, fich von einem gemeinen Mädchen fangen laffe! 
Weh mir armen, daß ich fehen mußte, was ich nie ge 
glaubt habe! Iſt dies der Lohn der Treue, bie ich gegen 
‚euch gebegt und gegen euch zu hegen gedenke, fo lange 
ich lebe? Ach das war nicht nur ein Schlag bes Ge 
ſchicks, es ift der Untergang all meiner Hoffnung. 

Sie wollte noch anderes beifügen, der Herzog aber 
hatte die Täufchung bemerkt und fah, daß alles offenbar 
geworden war, maß er für geheim gehalten hatte, da er 
- feine von ihm mehr als fein eigenes Xeben geliebte Ge⸗ 
mahlin in den Gemwanden bes geliebten Mädchens er- 
blidte; ba überlief erſt fein männliches Antlig eine Röthe, 
dann machte fich aus feinem ritterlichen Herzen ein heißer 





46. Der Herzog von Mailand. 5 


Seufzer Luft, und er unterbrach fie mit den Worten: 
Gnädige Frau, ich bitte euch, verzeiht mir! Ich ſchwöre 
euch bei meiner Seelen Seligkeit, was ich gethan, gefchah 
nicht, um euch zu befchimpfen, da ich euch mehr als 
alles in der Welt lieb habe, fondern blos, weil ich der 
Gewalt der Kiebe nicht widerfichen konnte, die fein Gefeg 
achtet und jeden Sterblidhen bindet, wenn es ihr gefällt, 
ſei er auch noch fo ſtolz und muthvoll. Und ich Habe 
e6 dies mal zu meinem ſchweren Schaden und Strafe 
erfahren; da ich nicht mit firengem Zügel meine Sinn» 
lichkeit zu lenken und bie Liebesglut zurückzudrängen ver» 
mochte, habe ich mich fo weit verleiten laſſen, und ich 
bin fo fehr gefangen, daß, wenn ihr mir jegt den Genuß 
des geliebten Mädchens verfagt, ich klar einfehe, daß ihr mich 
bald werdet graufam und jämmerlich umkommen ſehen. 

Da faßte die Herzogin Mitleid mit bem Liebesleiden 
ihres Gemahls und fie fagte: Wenn e8 mir auch ſchwerer 
ankommt, als irgend etwas auf biefer Welt, euch hierin 
nachzugeben, mein einziger Gebieter, 0 glüht doch mein 
Herz fo fehr von dem Verlangen, euch immer und überall 
euern Wunſch zu erfüllen, und überdies iſt mir euer Leben 
‚ viel theurer, als das meinige, und barum bin ich zuftie- 
ben, A ihr vollftandig eure Wünfche erreicht. 

Mit diefen Worten ging fie hinweg und ?ehrte u 
dem Mädchen zurüd, das ihre anfängliche Angſt noch 
nicht verlaffen hatte. Sie ließ fie ihre eigenen Kleider 
wieder anziehen, und als fie fo geihmüdt und aufgepugt 
war, nahm fi fie fie an der Hand und fagte: Komm mit 
mir, mein Kind, fürchte dich niche! 

So brachte fie fie zu ihrem Gemahl mit den Worten: 
Hier, mein theurer Gebieter, ift das Mädchen, das ihr 
fo fehnlih wünſcht. Ich bin es zufrieden, daß ihr Die 
Luft und. den Liebesgenuß mit ihr habt, die euch gefällt; 
denn ich will weder euern Tod noch eure Betrübnif, 
fondern euer Leben und eure Freude und dies wird auch 
mir auf immer zur ununterbrochenen Wonne gereichen. 








6 X. Giovanni Sabadino degli Arienti. 


Nach diefen Worten kehrte fie fih um, verließ das 
Zimmer und fchloß bie Thüre. Der Fürft erfannte aus 
diefem Benehmen das vortrefflihe Gemüth feiner Ge⸗ 
mahlin und ihre liebreiche Gefinnung gegen ihn, ebenfo 
aber feinen ungeheuern Fehler. Indem er daher al6 ein 
ſehr kluger und verfiändiger Fürſt bie Hoheit dieſer Tugend 
in Erwägung zog, mäfigte er mit bem rechten Zügel die 
Glut feiner Gedanken. Er rief deshalb fogleich die Her⸗ 
zogin herein und fprach zu ihe folgendermaßen: Gnäbdige 
Frau, eure Tluge und gegen mein ungerechted Begehren 
fo nachſichtsvolle Rede in Verbindung mit eurer unglaub- 
lichen Tugend haben mir ben Geiſt und all mein Sinnen 
und Trachten mit fo feftem Liebesband an euch gefeffelt, 
daß daffelbe nie mehr durch die Hand einer aubern Frau 
wird gelöft werben können. Gott verhüte demnach, daß 
ich die eheliche Treue, deren Krone ihr fo würbig traget, 
je verlegel Ich bitte jedoch demüthig um Vergebung 
jedes von mir begangenen Fehltritts. 

Nah diefen Worten ſchwieg er und darauf wurde 
nach einigen liebevollen Gefprächen über diefe Sache das 
Mädchen ſchön gekleidet und beſchenkt ihren Eltern zu- 
rüdgeftelt. So Löfte fich die Verwicklung auf edle Weite, 
die Geſinnung des Fürften mar gebeffert und er lebte 
nach biefem Vorfall in Luft und Freude mit feiner Ge- 
mablin und in gutem Vernehmen mit bem geliebten 
Mädchen, welche aus biefer Veranlaffung reich verhei- 
rathet wurde. Und nun, hochweiſe Gefellfchaft, da ihr 
den anmuthigen Fall gehört habt, mögt ihr felbft die 
euch anfänglich vorgelegte Trage enticheiden, ob bier bie 
eheliche Treue oder die Mäfigung mehr zu bewundern ift. 


s 





X. Luigi da Porto. 


1485. 


47. Romeo und Giulietta. 


An Frau Lucina Savorgnana. 


Wie ihr felbft gefehen habt, in der Zeit, da der 
Himmel nicht allen feinen Groll auf mich gewandt, in 
den fhönen Tagen meiner Jugend ergab ich mich dem 
Waffenwerke nach dem Beifpiel vieler großer und wackerer 
Männer und trieb biefe Übung einige Jahre in euerm 
anmutbigen Vaterlande Friaul, durch das ich, nach den 
Umftänden in geheimem Dienfte bald da- bald dorthin 
gewiefen, zu geben hatte. Ich hatte es immer im &e- 
brauch, wenn ich ritt, einen VBogenfchügen mit mir zu 
nehmen, einen Mann von vielleicht funfzsig Sahren, der 
in feinem Gefchäft fehr erfahren, fehr angenehm im Um- 
gang und wie faft alle Veronefen (denn er war aus 
Derona gebürtig) gefprädig war. Gr hieß Peregrino. 
Diefer Mann war nicht nur ein herzhafter und erfah- 
rener Soldat,‘ fondern fehr lebensiuftig und, vielleicht 
mehr ald es ſich für feine Sabre ſchickte, fortwährend 
mit Liebesangelegenheiten beichäftigt, mas benn feine 
Tapferkeit verdoppelte. Auch erzählte er gerne bie aller- 
ſchönſten Novellen, zumal ſolche, welche von Liebe han⸗ 
deln, in der beſten Ordnung und ſo reizend, wie ich ſie 
nie von ſonſt jemand gehört habe. Als ich daher von 
Gradisca, wo ich in Quartier lag, mit dieſem und 
zwei andern meiner Leute, vielleicht durch die Liebe ge⸗ 


8 XI Luigi da Porto. 


trieben, nad Udine ging, auf der Straße, bie damals 
ganz einfam, vom Krieg zerftürt und verbrannt war, 
und ich in düſtern Gedanken verfunfen, mid entfernt 
von den andern hielt, ritt der genannte Peregrino, mein 
Inneres abnend, heran und ſprach alfo zu mir: Wollt 
ihr immer traurig leben, weil eine ſchöne graufame, der 
es ganz anders zu Muth ift, euch nicht liebt, wie ihr 
wünfcht? Ich weiß wohl, daß ich gegen mid) felbft rede, 
aber doch, da man leichter Math gibt als befolgt, muß 
ih euch fagen, mein gnädiger Herr, daß, abgefehen da⸗ 
von, daß für euern Beruf es fich nicht ſchickt, in der 
Gefangenſchaft der Liebe zu fein, das Ziel, zu dem fic 
uns führt, faft immer fo traurig ift, daß es gefährlich 
ift, ihr zu folgen. Zum Beleg könnte ich euch, wenn 
ed euch recht wäre, eine Gefchichte erzählen, die fih ın 
meiner Vaterſtadt zugetragen hat; es würde dies unſern 
Weg weniger einfoͤrmig und langweilig erſcheinen laſſen; 
auch koͤnntet ihr daraus erſehen, wie zwei edle Verliebte 
in einen elenden erbärmlichen Tod find geführt worden. 
Ich Hatte ihm fchon einen Wink gegeben, daß ich 
ihm gerne zuhören wolle, und er begann daher alfo. 
Zur Zeit, da Bartolommeo bella Scala, ein höflicher 
und fehr fein gebildeter Mann, die Zügel meiner fchönen 
Vaterſtadt nach feinem Gutdünken bald fefter bald freier 
Ienkte, blühten dafelbft, wie mein Vater gehört zu haben 
behauptete, zwei fehr edle Familien, die fich, entgegen- 
gefegten Parteien angehörend oder aus perfünlichem Haffe, 
feindlic, gegenüberftanden; die.eine hieß die der Cappelletti, 
bie. andere die der Montechi. - Einer berfelben, glaubt 
man mit Beflimmtheit, gehören ‚die jegt in Udine leben- 
den. Meffer Niccolo und Meſſer Giovanni an, bie ſich 
jetzt Monticoli von Verona nennen, und die durch ein 
ſeltſames Schidfal veranlaft worden find, dorthin über 
zuſiedeln. Ubrigens haben fie von ihren Vorfahren wenig 
an ihten neuen Wohnort mitgebracht, aufer ihrer Höf- 
lichkeit und Artigkeit. In einer alten Chronik habe ich 








ı 47, Romeo und Giulietta. " 9 


freilich zufällig gefunden, daß biefe beiden Familien ver- 
eint auf einer und berfelben Partei geftanden feien; id) - 
will es euch aber, ohne etwas zu ändern, gerade fo er- 
. zählen, wie ich es gehört habe. Es waren alfo, mie 
gefagt, in Verona unter dem genannten Herrn die eben 
angeführten adeligen Familien, welche der Himmel, bie 
Natur und das Glück gleichmäßig mit wadern Männern 
und Reichthümern gefhmüdt hatte. Unter dieſen herrfchte, 
wie es meiftens in großen DBerhältniffen der Fall ift, mas 
nun auch der Grund davon fein mag, eine granfame 
Beindfhaft, um deren willen fchon mehrere Männer auf 
beiden Seiten den Tod gefunden hatten, fodaß theils aus 
Uberdruß, wie dies oft in ähnlichen Fällen begegnet, theils 
auch wegen ber Drohungen des Fürften, welcher die Feind⸗ 
feligkeiten mit größtem Misfallen fah, fie endlich davon 
abließen, fich weiter zu befehden und ohne förmlich Frieden 
zu fchließen, mit der Zeit fich fo weit nahe traten, daß 
ein großer Theil ihrer Angehörigen wieder miteinander 
ſprach. Während nun zwifchen den beiden Familien der 
Streit auf diefe Weife eingeftellt war, begab es fih in 
ber Fafchingszeit, daß im Haufe des Meffer Antonio 
Cappelletti, eines fehr heitern und aufgeräumten Mannes, 

‚welcher das Haupt der Familie war, viele Feftlichkeiten 
bei Tag und bei Nacht veranftaltet wurden, bei welchen 
faft die ganze Stadt verfammelt war. Zu einer der- 
felben begab fich eines Abends auch ein junger Mann 
von den Montechi, feiner Geliebten folgend, wie das fo 
bie Art der Liebhaber tft, ihren Damen wie mit dem 
Herzen fo auch wo möglich mit dem Leibe zn folgen, 
wohin fie gehen. Diefer war noch ganz jung, fehr ſchön 
und groß von Perfon, heiter und wohlgeſittet. Als er 
daher, wie alle andern, bie Maske abnahm, und in 
feiner Tracht als Nymphe erkannt wurde, wandte ſich 
fein Auge mehr von ihm, fomol megen feiner Schönheit, 
welche die jeder andern felbft der fchönften Frau in der 


Geſellſchaft übertraf, als aus Verwunderung darüber, 
1**4 


N 


10 XI. Luigi da Porto. 


daß er und zumal bei Nacht in diefes Haus gekommen 
war. Mehr Eindrud aber, als auf irgend fonft jemand, 
‚machte fein Anbli auf die einzige Tochter ded genannten 
Meffer Antonio, welche außerordentlich fchön, voll jugend- 
licher Kedpeit und Munterkeit war. Sobald diefe den 
Züngling erblidte, faßte fie feine Schönheit mit folcher 

Gewalt in ihrem Gemüthe auf, daß fie beim erften Be- 
gegnen ihrer Augen meinte, fie fei nicht mehr fie felber. 
Der Jüngling hielt fih ganz ſchüchtern und allen im 
Hintergrunde und mengte fih nur felten in den Zanz 
oder in. ein Geſpraͤch, da ihn nur die Liebe hierher ge- 
führt hatte und ihm bei der Sache nicht ganz wohl zu 
Muthe war. Dies war dem Mädchen fehr leid, denn 
fie hörte, er fei ein fehr angenehmer heiterer Gefellfchafter. 
Schon war Mitternacht vorüber, das Ende des Feſtes 
kam heran und der Fadeltanz oder Huttanz, wie man 
es heißen will, wie er noch jegt am Schluffe von Bällen 
gewöhnlich ff, nahm feinen Anfang. Man fteht dabei 
im Kreife und der Herr wechſelt nach Belieben feine 
Dame, die Dame ihren Herrn. Bei dieſem Tanze nun 
wurde der Jüngling von einer Dame aufgejogen und 
zufällig neben das fchon verliebte Mädchen gefiellt. Zu 
ihrer andern Seite ftand ein edler Jüngling Mareuccio 
Guercio mit Ramen, welcher von Natur im Juli wie im 
Sanuar immer eiskalte Hände hatte. Als nun Romeo 
Montecht (fo bieß der Süngling) links von der Dame 
zu ſtehen kam, und, wie es bei dem Tanze gewöhnlich 
ift, die Schöne feine "Hand in die ihrige genommen hatte, 
fagte das Mädchen auf einmal zu ihm, vieleicht um ihn 
zum reden zu hengen: Gott Lob, daß ihre neben mich 
kommt, Meſſer Romeo! 

Darauf verſetzte der Jüngling, welcher ſchon ihre 
Blicke bemerkt hatte, verwundert über ihre Worte: Wie? 
Ihr fagt Gott Lob, daß ich komme? 

Allerdings, antwortete fie, bin ich froh, daß ihr neben 
mich fommt, denn ihr könnt mir wenigſtens diefe müde 


⸗ 


47. Romeo und Giulietta. 11 


Hand warm halten, waͤhrend Marcuccio mir die rechte 
zu Eis erſtarren mad: 

Romeo wurde dadurch etwas kühner und fuhr fort: 
Wenn ich euch mit meiner Hand bie eurige erwaͤrme, 
fo ſetzt ihr‘ mit euren fehönen Augen mein Ser; in 
Flammen. 

Das Madchen laͤchelte ein wenig, beſorgte aber, man 
möchte ſehen oder hören, daß ſie mit ihm ſpreche, und 
fagte nur noch: Ich ſchwöre euch, Momeo, bei meiner 
Ehre, es ift Feine Frau bier, die meinen Augen fo wohl- 
gefällt als ihr. 

Darauf antwortete der Jüngling ganz von Liebe ent⸗ 
flammt: Wer ich auch ſei, ich bin, wofern es euch nicht 
misfällt, eurer Schoönheit treuer Dienr. 

Kurz darauf war das Feſt zu Ende und Romeo 
überlegte im Heimgehen die Grauſamkeit ſeiner erſten 
Geliebten, welche für ſo vieles Schmachten ihm ſo ge⸗ 
ringen Kohn gab, und beſchloß, ſich, ſofetn es ihr ge⸗ 
nehm waͤre, ganz dieſer zu weihen, obgleich fie der Fa⸗ 
milie feiner Feinde angehöre. Auf der andern. Seite 
dachte das Mädchen faft an nichts als an ihm und bei 
feftigte fich nad} vielen Seufzern in der Anficht, fie müffe 
unendlich glüdlih fein, wenn fit Romeo zum Gatten 
befommen fänntez aber megen ber Feindſchaft zwiſchen 


den beiden Häufern war fie fehr ängftlich und hatte wenig 
“Hoffnung, ein fo erfreuliches Ziel zu erreichen. So von . 


ihren Zweifeln hin⸗ unb hergemorfen fagte fie oftmals 
zu fi felbft: Ich Thörin! Don welcher Lockung laffe 
ih mid in ein fo feltfames Labyrinth, verleiten, mo id) 
ohne Führer bleibe und sicht mieder herauskann, wenn 
ih aud wollte, da Romeo mich nicht liebt; denn bei 
feiner Feindfhaft gegen meine Familie kann er auf nichts 
anderes abzweden, als meine Schande, und wenn er mich 
auch zur Frau haben wollte, ſo würde doch mein Vater 
niemals einwilligen, mich ihm zu überlaffen. 

"Dann kam fie wieder auf andere Gedanken und fägte: 


12 XL Luigi da Porto. 


Wer weiß, vielleicht gerade, um ben Frieden zu befeftigen 
zwifchen den beiden Häuſern, die ſchon müde und über» 


 deüßig find fich fortwährend zu befehden, könnte es mir 


noch gelingen, auf die Art, wie ich ed wünfche, zu feinem 
Befige zu gelangen. | 
Und daran hielt fie feft und fing an ihm durch Blicke 
ihre Zuneigung zu bezeugen. Da nun die beiden Lie— 
benden in gleicher Flamme glühten, und jeder den ſchönen 
Kamen und das Conterfei des andern in der Bruſt ein- 
gegraben trug, huben fie an, bald in der Kirche bald 
am Fenfter ihres ftillen Liebesverkehrs zu pflegen, ſodaß 
es feinem von beiden wohl war, als wenn fie fich fahen. 
Er vornehmlich fühlte fi) fo entflammt von ihrem holden 
Weſen, daß er faft die ganze Nacht mit geößter Lebens» 
gefahr allein vor dem Haufe des geliebten Mädchens 
weilte, und bald an das Fenfter ihres Zimmers empor- 
kletterte und fich davor, ohne daß fie oder fonft jemand 
e8 wußte, binfegte, um ihrer fügen Stimme zu laufchen, 
bald fich auf der Straße hinlegte. Eines Nachts begab 


ed. fih durch Fügung des Liebesgottes, daß der Mond 


ungewöhnlich hell ‚Leuchtete, und während Romeo eben 
auf ihren Erker emporfteigen wollte, öffnete das Mädchen, 


fei es nun zufällig, oder weil fie ihn in früheren Nächten 


gehört hatte, das Fenſter, trat hinaus und fah ihn. 
Er aber, in der Meinung, nicht fie, fondern fonft jemand 
öffne den Balkon, wollte in den Schatten einer Mauer 
fliehen. Sie erfannte ihn jedoch, rief ihn beim Namen 
und fagte zu ihm: Was macht ihr hier um diefe Stunde 
fo allein? 

Er Hatte fie nun auch ſchon erkannt und antwortete: ' 
Wozu mic die Liebe treibt. 

Menn man euch aber hier beträfe, fagte das Mäd⸗ 
hen, Eönntet ihr. nicht leicht ums Leben kommen? 

Gnädiges Fräulein, antwortete Romeo, freilich könnte 
ich leicht ums Leben kommen, und das wird auch eines 
Nachts gefchehen, wenn ihr. mir nicht helft. Aber ba 





AT, Romeo und Giulietta. 13 


ich an jedem andern Orte dem Tod ebenfo nahe bin, 


wie bier, fo will ich nur ſuchen, ſo nahe als moͤglich bei 


euch zu ſterben, mit der ich doch ewig zu leben wünſchte, 
wenn es dem Himmel und euch gefiele. 

Darauf antwortete das Mädchen: Ich würde kein 
Hinderniß ſein, wenn ihr in Ehren mit mir leben wollt; 
wenn es nicht bei euch mehr Hinderniß fände oder bei 


der Feindſchaft, die ich zwiſchen eurem und meinem Hauſe 


beſtehen ſehe. 

Ihr dürft mir glauben, verſetzte ihr der Juͤngling, 
daß man nichts heftiger wünſchen kann, als ich unauf⸗ 
hörlich euch zu beſitzen wünſche, und deshalb, wenn es 
nur euch ebenſo genehm iſt, die meinige zu ſein, wie ich 
mich ſehne euch anzugehören, ſo thue ich es gern und 
fürchte nicht, daß mich euch jemand entreiße. 

Nach dieſen Worten verabredeten ſie, wie ſie in einer 
der folgenden Nächte ſich mit mehr Muße ſprechen könnten, 
und fo fhieden fie beide. Nachher Fam der Jüngling 
mehrmals hin, um mit ihr Zwiefprach zu halten, und 
als er fie eines Abends, da viel Schnee fiel, an dem 
erfehnten Orte wieberfand, fagte er zu ihr: Ach, warum 
laßt ihr mich fo ſchmachten? Faßt euch kein Erbarmen 
mit mir, da ich euch allnaͤchtlich bei ſolchem Wetter hier 
auf der Straße erwarte? 

Das Fraͤulein antwortete: O ja, freilich dauert ihr 
mich. Aber was ſoll ich denn thun? Soll ich euch 
bitten, fortzugehen? 

Darauf erhielt fie von dem Jüngling zur Antwort: 
Laßt mid in euer Zimmer hinein, da fönnten wir be⸗ 
haglicher miteinander plaudern. 

Darauf verſetzte die ſchöͤne Jungfrau faſt entrüſtet: 
Romeo, ich liebe euch, ſo ſehr ich jemand lieben darf; 
ja, ich geſtatte euch mehr, als ſich vielleicht mit meinem 


guten Rufe vereinigen läßt; ich thue dies überwunden 


von der Liebe und euern Vorzügen. Daͤchtet ihr aber, 
„ durch langes Kiebeswerben oder ſonſt ein Mittel noch 


— 





14 Ä Xf. Luigi da Porto. 


weiter als Liebhaber meiner Liebe zu genießen, fo gebt 
diefen Gedanken alsbald auf, denn ihr müßtet doch mit 
der Zeit euch von feiner gänzlichen Unhaltbarkeit überzeugen. 
Um euch aber nicht weiter den Gefahren auszufegen, in 
welchen ich euer Leben ſchweben fehe, wenn ihr jede Nacht 
in diefe Umgebung kommt, fo fage ich euch, daß, wenn es 
euch gefällt mich als eure Frau anzunehmen, ich bereit bin, 
mich euch ganz Binzugeben und euch durchaus ohne Rüd- 
fiht überall hinzufolgen, wohin es euch beliebt. 

Dies ift mein einziger Wunſch, fagte der Süngling. 
So gefchehe es denn gleich! 

Es mag gefchehen, antwortete das Fräulein, aber es 
muß hernach beftätigt werden in Gegenwart bed Krantid- 
canerbruders Lorenzo, meines Beichtvaters, wenn ihr wollt, 
daß ich mich euch ganz und unbefangen übergebe. 

O, verſetzte Romeo, alſo ift der Btuder Lorenzo von 
Reggio ber, der alle Geheimniſſe eures Herzens weiß? 

Ja, fagte fie, und wir wollen zu meiner Beruhigung 
lieber alles weitere bi8 auf ihn auffparen. | 

Hiernach trafen fie denn vorfichtige Abrede über das, 
was fie zu thun hätten, und trennten fich für dies mal. 
Der erwähnte Mönd gehörte zum Orden der minderen 
Brüder von der Obfervanz, war ein großer Philoſoph 
und befchäftigte fich viel mit Verſuchen in der Natur- 
kunde und Magie und mar mit Romeo zu fo Inniger 
Freundſchaft verbunden, baf ein fefteres Verhaͤltniß zwi⸗ 
[hen zwei Männern in jener Zeit wol nicht zu finden 
geweſen wäre. Denn, einmal um bei dem thörichten 
Volke in gutem Rufe bleiben and dann, um einiger _ 
maßen das Vergnügen ber Freundfchaft zu genießen, fah 
fi) der Mönch genöthigt, fi einem edeln Süngling ber 
Stadt zu vertrauen. Unter allen hatte er nun Romeo 
ausgemäblt, welcher gefürchtet, muthig und Plug war, 
und ihm fein Herz ganz nadt und unverhüllt dargelegt, 
das er fonft den andern durch Berflellung verborgen hielt. 
Romeo ſuchte ihn daher auf und fagte ihm frei heraus, 








47. Romeo und Giulietta. 15 


wie er das geliebte Mädchen zur Frau wünfche und baf 
fie miteinander verabredet haben, er allein folle der ge- 
heime Zeuge ihrer Vermählung fein und barnad) ben 
Mittlee machen, ſodaß ihr Vater nachträglich feine Zu- 
ſtimmung ertheile. Der Mönch mar bamit einverftanden, 
theils meil er Romeo nichts hätte abfchlagen können ohne 
großen Schaden zu befahren, theils auch meil er meinte, 
durch feine Vermittelung könnte bie Sache vielleicht zu 
einem guten Ziele geführt werden; dies hätte ihm dann 
große Ehre bei dem Fürſten bereitet: und bei allen denen, 
welche bie Herſtellung ded Friedens zwifchen den beiben 
Häufern wünſchten. Es mar Faftenzeit und das Mäb- 
hen ftellte fich eines Tages an, als wollte fie beichten. 


Sie ging in das Franciscanerklofter, trat an einen ber' 


Beichtftühle, wie fie die Mönche dort haben, und ließ 
nach dem Bruder Lorenzo fragen. Als. er hörte, baf 
fie bier war, fam er von der Klofterfeite ber zugleich 
mit Romeo in benfelben Beichtſtuhl, ſchloß die Thüre, 
zog eine durchlöcherte Eifenplatte, welche die Jungfrau 
von ihnen trennte, hinweg und ſprach zu ihr: Ich pflege 
euch immer gerne zu fehen, mein Kind, aber jegt feid 
ihr mir theurer, als je, wenn es fo tft, daß ihr meinen 
Mefler Romeo zu eurem Gatten wollt. 

Darauf antwortete fies Nichte wünſche ich ſchnlicher, 
als ihm rechtmäßig anzugehören ; darum bin ich Bierher- 
gefommen vor euch, in den ich großes Vertrauen fege, 


damit ihr nächſt Gott Zeuge feid von dem, mas ich von 


Liebe bezwungen zu thun vorhabe. 


Darauf wurde denn vor dem Bruder, welcher das 


ganze ald Beichtgeheimniß betrachten zu wollen verſprach, 
fogleih Romeo mit dem fchönen Fräulein getraut und 
zwifchen ihnen die Abrede getroffen, fie wollen bie fol- 
gende Natht beifammen zubringen. Sie küßten fich fo- 
dann einmal und fehieden von dem Mönd, welcher fein 
Gitter wieder in die Mauer einfügte und noch anderer 
Frauen Beichte hörte. So wurden denn die zwei Lie- 


J 


16 XI. Ruigi da Porto. 


benden auf bie angegebene Welle Mann und Frau, ge: 
noffen mehrere Nächte ihres Liebesglücks und hofften mit 
der Zeit Mittel zu finden, um ben Vater der Frau zu 
befänftigen, der wie fie wußten ihren Wünfchen entgegen- 
ftand. Während deffen begab es fi, daß das Schickſal, 
das jeder Luft der Welt feindlich in den Weg tritt, irgend 
einen böſen Samen ftreute, aus welchem die faft. erftor- 
bene Feindfchaft ihrer Häufer neu emporfproßte, ſodaß 
ed mehrere Tage bunt durcheinander ging, bie Montecchi 


nicht den Cappelletti und bie Gappelletti nicht den Mon- . 


techi aus dem Weg gehen wollten und fich deshalb ein- 
mal in der Wettrennenftraße*) in Maffe anftelen. Romeo 
Fämpfte auch mit, hütete fi) aber aus Nüdficht auf feine 
Frau einen von ihrer Familie zu erfchlagen; zufegt aber, 
als viele von den feinigen verwundet und faft alle aus 
ber Straße verjagt waren, übernahm ihn der Zorn, er 
lief auf Tebaldo Gappelletti los, welcher der heftigfte 
feiner Familie ſchien, ſtreckte ihn mit einem Schlage 
tobt zu Boden und trieb die andern, welche ſchon durch 
Tebaldo's Tod in Verwirrung mwaren, in eilige Flucht. 
Man hatte fchon bemerkt, daß Romeo den Zebaldo er- 
fhlagen, ſodaß alfo der Mord nicht verheimlicht werden 
fonnte. Es wurde daher klagweiſe beim Fürften ange» 
bracht, und alle Gappelletti fchrien immer nur über Romeo, 
weshalb er denn von dem Gericht auf ewig aus Verona 


verbannt wurde. Welchen Eindrul bie Nachricht von 


diefen Vorfällen auf bie arme junge Frau machte, kann 
jeder, der herzlich liebt, wenn er fi ch in ihre Lage binein- 
denkt, leicht ermeflen. Sie weinte in einem fort fo heftig, 
daß fie niemand zu tröften vermochte; und ihr Schmerz 
war um fo herber, je weniger fie wagte, irgend jemand 
ihe Unglüd zu entdecken. Andererſeits war dem jungen 
Manne der Abfchied von der Vaterſtadt blos darum leid, 


) Via del Corso heißen in vielen italiänifhen Stäpten die Haupt- 
[eroden von dem alten Bolfsvergnügen des Wettrennend. So 
Rom. 


AT. Romeo und Biulietta. 17 
weil er fie verlaffen mußte; und da er um feinen Preis 
binweg wollte, ohne von ihr einen thränenreichen Abfchied 
zu nehmen, und ihr Haus doch nicht befuchen durfte, 
fo nahm er feine Zuflucht zu dem Mönche und es wurde 
ihr durch einen mit Romeo befreundeten Diener ihres. Vaters 
zu wiſſen getban, fie folle auch bahin kommen, mas fie 
auch that. Sie gingen beide in ben Beichtftuhl und 
beweinten miteinander heftig ihren Verluſt. Am Ende 
aber fagte fie zu ihm: Was foll ich anfangen ohne euch? 
Ich habe feine Freude mehr am Leben. Es wäre beſſer, 
ich ginge mit euch, wohin ihr geht. Ich will mir diefe 
Locken abfchneiden und wie eu Diener hinter euch her⸗ 
gehen, und ihr könnt von niemand beffer und treuer 
bedient werden, ald von mir. 

Da fei Gott vor, mein liebftes Leben, entgegnete ihr 
Romeo, dag, wenn ihr mit mir kommen follt, ich euch 
anders benn ald meine Gemahlin mit mir führe. Aber 
da ich gewiß bin, daß die Sache nicht lange auf biefe 
Art fortgehen Tann und daß Friede werben muß unter 
unfern Familien, wo dann ich auch leicht von dem Sürften 
kann begnadigt werben, fo meine ich, ihr ſollt einige 
Tage leiblich von mir getrennt bleiben, denn mein Herz 
iſt unaufhoͤrlich bei euch ; wofern fich aber bie Sachen 
nicht ſo entwickeln, wie ich vermuthe, ſo können wir einen 
andern Entſchluß faſſen über unſer künftiges Leben. 

Nachdem fie dies unter fich verabredet, umarmten fie 
fih taufend mal und trennten fi) mit Thränen. Die 
Frau bat ihn dringend, ihr fo nahe als möglich zu bleiben 
und nicht nad) Rom oder. Florenz zu geben, mie er ge⸗ 
fagt hatte. Wenige Tage darauf ging Romeo, der bis 
dahin im Klofter des Bruders Lorenzo verborgen geblieben 
war, aus der Stadt und begab fich in aller Stille nad) 
Mantua, nachdem er zuvor dem Diener der Frau auf: 
gegeben hatte, alles, was er von ihm in Beziehung auf 
die Frau im Haufe höre, dem Mönd, fogleih zu wiffen 
zu thun und alles, was fie ihm befehle, getreu zu voll- 








18 XI. Luigi da Porto. 

bringen, wenn er ben Reſt ber ihm verfprochenen Be⸗ 
lohnung zu erhalten wünſche. Romeo war ſchon längere 
Zeit weggegangen und man fand bie junge Frau noch 
immer in Thränen, ſodaß ihre große Schönheit barunter 
litt und ihre Mutter, welche fie zärtlich liebte, ihr wie- 
derholt mit ſchmeichelnden Worten ben Grund abzuloden 
fuchte, weshalb fie fo heftig weine. 

D meine Tochter, fagte fie, bie ich fo zärtlich als 
mein Leben liebe, welcher Schmerz quält dich feit einiger 
Zeit? Woher kommt es, daß bu Beinen Augenblid ohne 
Thränen bleibſt? Wünſcheſt bu vielleicht etwas, fo thue 
es mir allein Fund, denn in allem, foweit ich darf, werde 
ich die Troſt zu ‚gewähren fuchen. 

Defien ungeachtet gab ihre bie Tochter nur immer 
unerheblihe Gründe für ihre Thränen an. Die Mutter 
kam daher auf ben Gedanken, es fei ein heftiger Wunſch, 
einen Dann zu befommen, an biefem Weinen ſchuld und 
fie babe ihr died aus Scham oder Zucht verbeimlicht. 
Daber fagte fie eine Tages zu ihrem Gatten in ber 
Meinung, dadurch das Wohl ihrer Tochter zu fordern, 
während fie doch auf ihren Tod losarbeitete: Meffere 
Antonio, ich fehe ſchon längere Zeit diefe unfere Tochter 
beftänbig fo heftig weinen, baß fie, wie ihr felbft wahr⸗ 
nehmen tünnt, fich gar nicht mehr gleich ſieht. Trotz allen 
Bemühungen, die Urfache ihres Weinens von ihr zu er- 
fahren, Tann ich doch nicht aus ihr herausbringen, woher 
es kommt; und von felbft komme ich auch nicht auf bie 
Beranlaffung, wenn es nicht vielleicht der Wunſch zu 
heirathen ift, den fie in ihrer Keufchheit nicht auszu- 
fpreden wagt. Ich meine daher, ehe fie ſich verzehrt, 
wäre es gut, ihr einen Mann zu geben; fie war ja auf 
legten Sanct Eufemien*) achtzehn Jahre vorüber, und 
wenn die Frauen weit über biefe Zeit hinaus find, ver- 


) Diefer Heiligen ift in Verona eine eigene aus dem dreizehnten 
Sabrhundert flammende Kirche geweiht. 


47. Romeo und Giulietta. 19 


fiexen fie eher an Schönheit, als fie gewinnen. Sie 
find ohnehin Feine Waare, die man lange aufs Lager 
legen barf, obwol ich unfere Tochter durchaus in einem 
Stücke anders Eenne abs höchſt fittfam. Überdles weiß 
ih, daß ihr ihre Mitgift fchon längere Zeit bereit ‚liegen 
habt. Mir wollen uns daher nach einem- anfländigen 
Gemahl für fie umſehen. 

Meffer Antonio antwortete, es wäre" ganz gut, fie 
zu verheirathen, und "lobte feine Zochter ſehr, daß fie, 
wenn fie den Wunfch dazu verfpüre, Kieber ihren Kum⸗ 
mer im fich verfchliege, als fi ihm oder ihrer Mutter 
eröffne. Wenige Tage darauf knuͤpfte er auch wirklich 
mit einem Grafen von Lodrone Unterhandlungen wegen 
ihrer DBermählung an. Schon waren biefelben faft bis 
zum Abſchluß gediehen, als die Mutter, in der Meinung 
ihrer Tochter bie größte Freude zu machen zu ihr ſagte: 
Jetzt freue dich, meine Tochter, denn in wenigen Tagen 
ſollſt du mit einem vornehmen Edelmann würdig ver- 
mählt werben und damit wird die Urfache deines Jam⸗ 
merd weggeräumt fein; denn wenn du fie mir auch 
nicht haft entdeden wollen, fo bin ich doch mit Got- 
tes Hilfe darauf gekommen, und babe es fchon bei 
deinem Bater dahingebracht, daß dein Wunſch wird er⸗ 
füllt werden. 

Auf dieſe Worte konnte das fhöne junge Weib ihre 
Thränen nicht zurückhalten, weshalb die Mutter zu ihr 
fagte: Glaubſt du, ich halte dich zum beften? Es wer- 
den nicht acht Tage vergehen, fo bift du die Frau eines 
ſchönen Junkers aus dem Haufe Lobrone. 

Die Tochter aber verdoppelte auf dieſe Worte ihr 
Weinen, weshalb die Mutter fehmeichelnd zu ihr fagte: 
Ei, mein Kind, bift du denn nicht damit zufrieden? 

Nein, meine Mutter, antwortete fie, und werde auch 
nie damit zufrieden fein. 

Aber was willft du denn? entgegnete bie Mutter. 
Sag es mir, denn ich bin zu allem für dich bereit. 


20 XI. Luigi da Porte. 


Da fügte ihre Tochter: Sterben möchte ich und fonft 
nichts. 

Da merkte Madonna Giovanna (denn ſo hieß die 
Mutter) als eine erfahrene Frau , daß ihre Tochter eine 
Liebe habe, gab ihr daher eine gleichgiltige Antwort und 
verließ ſie. Am Abend, als ihr Mann kam, erzaͤhlte 
fie ihm, was ihr die Tochter unter Thraͤnen geantwortet 
habe. Ihm misftel dies höchlich, doch dachte er es wäre 
mohlgethan, ehe man in den Unterhandlungen über ihre 
Dermählung einen weiten Schritt thue, um fi wit 
irgendivie in Verlegenheit zu fegen, fih auf Kundſchaft 
zu legen, mas denn ihre Anfiht von der Sache eigent« 
lich fei. Er ließ fie daher eined Tages vor fich kommen 
und fagte zu ihr: Biulietta*) (denn das war der Name 
feiner Tochter), ih bin im Begriff dich ftandesgemäß zu 
vermählen. Bift du damit zufrieden, mein Kind? 

Die Zochter hatte eine Weile gefchwiegen, nachdem 
der Vater zu fprechen aufgehört, antwortete aber fodann: 
Nein, mein Vater, ich bin nicht damit zufrieden. 

Wie? verfegte der Vater, willft du denn in ein 
Nonnenklofter gehen? 

Meſſere, fagte fie, ich weiß nicht. 

Bei diefen Worten vergoß fie einen Strom von 
Thränen. Da fprach der Vater zu ihr: Aber ih weiß 
es, daß du das nicht willſt. Beruhige dich alfo, denn 
ich beabfichtige dich mit einem Grafen von Lodrone zu 
vermählen. 

Darauf verjegte die Tochter heftig weinend: Das 
wird nimmermehr gefchehen. 

Meffer Antonio war darüber etzurnt und bedrohte 


) Es iſt auffallend, daß der Name jegt erft genannt wird. Man 
fönnte darin vieleicht mit einen Beweis finden, daß wir bier 
wirklich die ältefte Bearbeitung der ſchoͤnen Sage vor uns haben 
und daß dem Luigi da Porto das Berdienft der Erfindung oder 
doch der erften Pünftlerifhen Geftaltung und Ausſchmückung der- 
ſelben zufällt. 








47. Romeo und Giulietta. 2 


- fie heftig, wenn fie feinem Willen ferner zu wiberfprechen 
fih erfühne, und überdies, wenn fie ihni den Grund 
ihres Weinens nicht offenbare. Da er aber nichts aus 
ihr herausbrachte, als Thränen, mar er über die Maßen 
unwillig und ließ fie mit Mabonna Giovanna allein, 
ohne zu erfahren, auf mas der Sinn feiner Tochter ge 
richtet ſei. Die junge Frau ‚hatte dem Diener ihres 
Vaters, welcher Mitwiffer ihrer. Liebe war und Pietro 
hieß, alles, was ihre Mutter geiprochen hatte, wieder: 
gefagt und vor ihm eiblich betheuert, daß fie eher frei«- 
willig Gift trinken wolle, als je einen andern, ald Romeo, 
zum Gemahl nehmen, mas ja gar nicht möglich wäre. 
Hiervon hatte Pietro insgeheim verabredetermaßen durch 
den Möndy Romeo benachrichtigt und diefer hatte an 
Giulietta gefchrieben, fie fole um keinen Preis in ihre 
Bermählung einwilligen und noch weniger ihre Liebe ge 
ftehen, denn er werde höchſt wahrfcheinlich in acht bis 
zehn Tagen Gelegenheit haben, fie aus ihrem elterlichen 
Haufe zu entführen. Meffere Antonio und Madonna 
Giovanna bemühten ſich unterdeß gemeinfam vergeblich 
durch Schmeicheleien und durch Drohungen von ihrer 
Tochter die Urfache zu erfahren, warum fie nicht heira- 
then wolle, und gelangten auch fonft nicht auf die Spur 
eines Liebeöverhältniffes. Oftmals hatte Madonna Gio- 
vanna zu ihr gefagt: Sieh, meine füße Tochter, weine 
jegt nicht mehr, denn du befommft ja einen Gemahl 
nach deinen Wunfch; ja faft wenn es einer von den 
Montecchi wäre, aus denen ich überzeugt bin, daß bu 
Beinen wählen wirft. 

Giulietta aber antwortete nie mit etwas anderem ale 
mit Seufzern und Thränen. Dadurch kamen bie Eltern 
in immer größere Beforgnig, und faßten den Entfchluß, 
ihre verabredete Vermählung. mit dem Grafen von Lodrone 
fo fehr als möglich zu befchleunigen. Als die junge Frau 
dies hörte, wurde fie über die Maßen betrübt und wünfchte 
in ihrer Nathlofigkeit fi) taufend mal des Tages den Tod 


2 XI. Luigi da Porto. 


herbei. Doch beichloß fie bei fi felbft, igren Schmerz 
dem Bruder Lorenzo mitzutheilm, da fie naͤchſt Romeo 
auf ihn die größte Hoffnung fegte und da fie von ihrem 
Geliebten gehört hatte, daß er viele unglaublide Dinge 
zu bewerkftelligen verfiehe. Daher fagte fie cines Tages 
zu Madonna Giovanna: Meine Mutter, wundert euch 
nicht, wenn ich euch bie Urfache meines Weinens nicht 
fage, benn ich tenne fie felbft nicht; ich fühle nur be⸗ 
ftändig in meinem Innern eine foldhe Schwermuth, daß 
mir alles miteinander, ja das Leben ſelbſt zumider if, 
und ich kann mir nicht vorfielen, woher das rührt, wiel 
weniger es euch, oder meinem Mater fagen, ed müßte 
denn von einer begangenen Sünde herrühren, deren ich 
mich nicht erinnere. Da nun die legte Beichte mich fehr 
erleichtert bat, fo möchte ich, wenn ihr nichts dagegen 
habt, wieder zur Beichte geben, damit ich an dem nachft 
bevorftehenden großen Feſte im Mai‘zur Deilung aller 
meiner Schmerzen die liebliche Arznei bes geheiligter 
Leibes unſers Herrn empfangen kann. 

Madonna Giovanna erflärte fich hiermit einverftanden. 
Zwei Tage darauf führte fie fie nah San Francesco und 
übergab fie dem Bruder Lorenzo, dem fie zuvor ſchon 
bringenb gebeten hatte, er möge bie Urfache ihres Wei⸗ 
nens in der Beichte erforſchen. Gobald die junge Frau 
fah, daß ihre Mutter fi etwas von ihr entfernt haste, 

erzählte fie in aller Schnelle mit niedergefchlagener Stimme 
dem Mönch ihren gangen Kunmer und. bat ihn bei der 
Liebe und innigen Freundſchaft, meiche, wie fie wußte, 
zwifchen ihm und Romeo beftand, er möchte ihr doch in 
biefer äuferften Noth feine Hilfe nicht verfügen. 

Was kann ich hier zu deinem beften thun, meine 
Tochter, antwortete ber Mind da eine fo heftige Feind⸗ 
De zwifchen deinem Haufe und dem deines Gatten 

eht? 

Die betrübte Witwe ſagte darauf: Mein Bater, ich 
weiß, Daß ihr vwieles zu bewerkſteligen im Stande feit 


AT. Romeo und Giulietta. 23 


und mir auf taufend Arten Helfen konnt, wenn ihr wollt. 
Mögt ihr mir aber fonft feine Wohlthat erweifen, fo 
vergönnt mir wenigftend das! ch höre, dag man Vor⸗ 
bereitungen zu meiner Hochzeit trifft in einem Palaſte 
meined Vater, welcher zwei Meilen vor der Stadt gegen 
Mantua zu liegt. Dort wollen fie mich binführen, damit 
ich weniger Herz babe, meinen neuen Bräutigam abzu- 
weifen; fobald ich dort bin, kommt dann der mir DBe- 
flimnte au dahin. Gebt mir nun fo viel Gift, daß 
ih mich von diefem Kummer und Romeo von folcher 
Schmach befreien kann; wo nicht, ſo werde ich mir ein 
Meſſer in den Leib ſtoßen, mas mir ſchwerer fällt und 
ihm auch meher thut: 

Als Bruder Lorenzo hörte, daß ihr Muth fo groß 
war, und überlegte, wie fehr Romeo ihn in feiner Ge 
walt babe, fobaß er ihm ganz ficher feind würde, wenn 
er in dieſer Angelegenheit ihn nicht förderte, ſprach er 
‚zu bee jungen Frau alfo: Sieh, Giulietta, ich bin, wie 
bu weißt, Beichtvater von ber Hälfte dieſer Stadt und 
ſtehe bei jedermann in gutem Ruf; auch wird fein Teſta⸗ 
ment gemacht oder Friede gefchloffen, wo ich nicht babei 
wäre. Deshalb möchte. ich um alle Schäge ber Welt 
nicht in einen Auffehen erregenden Handel mid, einlaffen, 
noch wünſchte ich, daß man mich in der Sache irgend 
fuͤr betheiligt haite. Dennoch will ich aus Liebe zu dir 
und zu Romeo mich zu einem Schritte verſtehen, den 
ich noch für niemand gethan habe, unter der Bedingung 
jedoch, daß du mir verſprichſt, meinen Antheil daran 
immer geheim zu halten. 

Sie antwortete: Mein Vater, gebt mir nur unbeforgt 
bas Gift, denm es foll nie jemand anfer mir davon er- 
fahren. Ä 
@ift, verfegte er, werde ich dir nicht geben, meine 
Tochter! Es wäre allzuſehr Sund und Schade, wenn 
du fo jung und fchon flerben folltefi. Wenn bu aber 
über bich erhalten kannſt, etwas zu thun, was ich dir 


24 XI. Luigi da Porto. 


ſagen werbe, fo gebe ich dir mein Wort, daß ich Dich 
ficher zu deinem Romeo bringen will. Du weißt, baf 
die Gruft von euch Gappelletti fih außer dieſer Kirche 
auf unferm Kirchhof befindet. Ich will dir ein Pulver 
geben. Wenn du das trinkt, wirft du quf achtundvierzig 
Stunden ober etwas mehr oder weniger in einen Schlaf 
verfinten, daß jedermann auch der größte Arzt dich ent- 
fchieden für tobt halten wird. Du wirft dann ohne 
Zweifel, als wäreft du verfchieden, in der befagten Gruft 
beigefegt, ich aber hole dich, fobald es Zeit ift, heraus 
und behalte dich in meiner Zelle, bis ich zu dem Capitel 
gehe, das wir in kurzem in Mantua halten. Alsdann 
führe ih dich in unfere Ordenstracht verkleidet mit mir 
zu deinem Gemahl. Aber fage mir, wirft du dich nicht 
fürchten vor dem Leichnam deines Vetter Tebaldo, der 
erft vor kurzem bort beigefegt worden ift? 

Die junge Frau war fihon ganz heiter geworben und 
fagte: Mein Vater, wenn ich nicht anders zu Romeo 
kommen #önnte, fo würde ich furchtlos felbft durch Die 
Höle zu wandern mid, erfühnen. | 

Wohlan denn, fagte er, da bu fo geftimme bift, bin 
ich bereit dich zu unterſtüten; aber ehe etwas geſchieht, 
ſollteſt du, meine ich, mit eigener Hand Romeo das ganze 
ſchreiben, damit er nicht dich tobt wähnenb aus Ber- 
zweiflung irgend einen übereilten Schritt thue; denn ich 
weiß, daß er bich über alle Maßen liebt. Ich ‚habe 
immer Brüber, die nach Mantua gehen, wo er, mie bu 
weißt, fich derzeit aufhält. Mache, daß ich den Brief bald 
befomme, ben ih ihm dann durch eimen auoerläffigen 
Boten fenden will. 

Nach diefen Worten verließ der gute Mon (mie 
wir benn immer fehen, daß ohne bie Theilnahme biefer 
Männer nichts wichtiges zu einem rechten Ziele gedeiht) 
die junge Frau in dem Beichtſtuhl, eilte in ſeine Zelle 
und kehrte ſchnell zu ihr zuric mit einem kleinen m Gefahr 
mit Pulver. 


€ 








47. Romeo und Giulietta. 25 


Nimm dies, ſagte er zu ihr, und trink es unbeſorgt, 
wenn es dir recht ift, etwa um drei oder vier Uhr der 
Nacht, in frifchem Waſſer! Um fechs Uhr ungefähr 
wird es dann zu wirken anfangen -und unfer Anfchlag 
muß uns unfehlbar gelingen. Vergiß aber nicht, mir 
den Brief zu fehiden, den du an Romeo fchreiben mußt! 
Es ift dies ſehr wefentlich. | 

Biulietta nahm das Pulver, kehrte ganz heiter zu 
ihrer Mutter zurüd und fagte zu ihre: In ber That, 
Madonna, der Bruder Lorenzo ift der beſte Beichtvater 
von der Welt. Er bat mich fo fehr erhoben, daß ich 
von meiner frühern Traurigkeit gar nichts mehr weiß. 

Madonna Giovanna, welche über der Heiterkeit ihrer 
Tochter auch von ihrer Betrübniß verloren hatte, ant- 
wortete: Wohlan, meine Tochter, nimm darauf Bebadht, 
dag du ihn auch zumeilen wieder erhebeft durch unfere 
Almofen, denn es find arme Mönche. 

Unter diefen Gefprächen kamen fie nach) Haufe. Nah 
diefer Beichte war Giulietta ganz ‚heiter geworden, fobaß 
Meffer Antonio und Madonna Giovanna allen Verdacht, 
fie möchte verliebt fein, aufgegeben hatten. Sie meinten 
vielmehr, irgend ein unerflärlicher Anfall von Schwer⸗ 
muth babe das Weinen veranlaft, und hätten fie gern 
vorläufig ungeftört gelaffen, und nichts weiter von einem 
Mann geſprochen. Sie waren aber in der Sache ſchon 
ſo weit gegangen, daß ſie ohne Schwierigkeit nicht zurück⸗ 
treten konnten. Als demnach der Graf von Lodrone 
wünfchte, daß einer von feiner Familie das Fräulein fehe, 
und Madonna Giovanna etwas kränklich war, wurde 
verabredet, daß das Mädchen vön zweien ihrer Muhmen 
begleitet auf das fchon erwähnte Kandgut des Vaters in 
der Nähe der Stadt fich begebe. Sie widerfegte ſich 
durchaus nicht und ging bin. Da fie nun der Meinung 
war, ihe Vater habe fie fo plöglich bahingefhidt, um fie 
ohne weiteres ihrem zweiten Gemahl in die Arme zu 
werfen, hatte fie das Pulver mitgenommen, das ihr der 

Italianiſcher Novellenſchatz. II. 2 


26 XI. Luigi da Porto. 


Mönch gegeben; gegen vier Uhr in ber, Nacht rief fie 
eine Dienerin, melche mit ihr war erzogen worben und 
die fie faft wie eine Schweſter bielt, Geh fih von ihr 
einen Becher mit altem Waſſer geben und fagte, bie 
Speifen bes Abendeſſens haben ihr Durſt gemacht. 
Darein warf fie nun das Eräftige Pulver und tranf 
den Becher ganz aus. Darauf fügte fie vor der Die- 
nerin und einer ihrer Muhmen, weiche mit ihr aufge- 
wacht war: Mein Vater wird mir gewiß gegen meinen 
‚Willen keinen Mann geben, fo meit von mir abhängt. 
Obgleich die Frauen, welche aus etwas grobem Teig 
gebaden waren, fie das Pulver hatten teinten fehen, 
‚von welchem fie behauptete, fie fhütte e# in das Waſſer 
zur Abkühlung, und obgleich fie diefe Worte hörten, 
fchöpften fie doch Zeinen Verdacht und merkten nichts; 
vielmehr kehrten fie In ihr Bett zurück. Giulietta löſchte 
das Licht, und ald die Dienerin weggegangen war, that 
fie als müffe fie eines natürlichen Bedürfnifſes wegen 
aufftehen, flieg aus dem Bette, zog alle ihre Kleider 
wieder an und, kehrte dann ins Bett zurück, legte fi, 
als hätte fie geglaubt fterben zu müffen, in demfelben 
fo gut als moͤglich zurecht, faltete die Hände auf ber 
Bruft und erwartete fo, daß der Trank feine Wirkung 
thue. Es dauerte auch nicht viel über zwei Stunden, 
fo lag fie wie todt da. WIE der Morgen fam und die 
Sonne ſchon eine gute Weile aufgegangen war, fand 
man das Fräulein in der Art, wie ich gefagt babe, auf 
ihrem Bette liegend. Man wollte fie aufiweden, aber 
umfonft, denn man fand fie ſchon faft ganz tal. Da 
erinnerte fih die Muhme und die Dienerin bes Waſſers 
mit dem Pulver, das fie am Abend getrunken Hatte, 
und der Worte, die fie dabei gefprochen. Als fie ferner 
bemerkte, daß fie fich angekleidet und felbft auf dem Werte 
fo eigenthümlich hingelegt ‚hatte, bielten fie das Pulver 
für Gift und fie felbft für unzweifelhaft tobt. Da erhob 
fih unter den Frauen ein großer Lärm und Heulen; 








47. Romeo und Giulietta. 27 


befonber6 die Dienerin rief ihr oft beim Namen und 
fagte: O Madonna, das war es alfo daß ihre fagtet: 
Mein Bater wird mir gegen ‚meinen Willen feinen 
Mann geben. 

Ihr habt trügerifcher Weife von mir frifches Waffer 
verlangt, das mir elenden euren herben Tod bereitet hat. 
O ich unglüdfihe! ber wen foll ich am meiften Hagen, 
über die todte oder über mich felbfit O Madonna, ich 
habe euch mit meinen eigenen Händen das Waſſer ge- 
bracht, damit ich umglüdliche auf ſolche Weife von euch 
verlaffen werde! Ic allein habe euch mich, euren Vater 
und eure Mutter auf einen Schlag getöbtet. Ha, warum 
habt ihr im Tode die Gefellfchaft einer eurer Dienerinnen 
verachtet, die ihre im Leben fo lieb zu haben fchienet? 
Wie ich gern mit euch gelebt habe, fo wäre ich auch gern 
mit euch geftorben. 

Bei diefen Worten flieg fie auf bas Bett und fchlof 
das feheintobte Fräulein feft in ihre Arme Meſſer An- 
tonio, welcher in der Nähe war und ben Lärm gehört 
hatte, eilte am ganzen Leibe zitternd in das Zimmer der 
Tochter, und da er fie fo auf dem Bett liegen fah und 
hötte, was fie in ber Nacht getrunken und gefprochen hatte, 
ſchickte er, obfchon er fie für todt Bielt, doch zu feiner 
eigenen Beruhigung fehnell zu feinem Arzte, den ex für 
fehr gelehrt und erfahren hielt, nad ‚Verona. Diefer 
kam, ſah das Fräulein und berührte fie etwas und er- 
Härte, fie fei im Zolge des genommenen @iftes fchon 
ſechs Stunden verfehieden. Als der unglüdliche Vater 
dies hörte, brach er im eine grenzenlofe Wehklage aus. 
Die Trauerkunde verbreitete fich fchnell von Mund zu 
Mund und mar in furzem auch der. armen Mutter zu- 
gelommen, welche plöglich von jeber Lebenswärme ver- 
laffen wie tobt nieberfan® und als fie mit einem gellen 
Schrei wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, fi mie 
von Sinnen flug und den Namen ber geliebten Tochter 
ausrufend die Luft mit Klagen füllte. 

2* 


236 XI. uigi da Porto. - ' 


Mönch gegeben; gegen vier Uhr in ber, Nacht rief fie 
eine Dienerin, welche mit iht war erzogen morben und 
die fie faft wie eine Schweſter bielt, ließ fich von ihr 
einen Becher mit Falten Waſſer geben und fagte, bie 
Speifen des Abenbeffens haben ihr Durſt gemadt. 
Darein warf fie nun das Fräftige Pulver und tranf 
den Becher ganz aus. Darauf fagte fie vor der Die- 
nerin und einer ihrer Muhmen, welche mit ihr aufge 
wacht war: Mein Vater wird mir gewiß gegen meinen 
‚Willen keinen Dann geben, fo weit von mir abhängt. 
Dbgleich die Frauen, welche aus etwas grobem Teig 
gebaden waren, fie das Yulver hatten trinken ſehen, 
‚von welchem fie behauptete, fie fehütte e# in das Waſſer 
zur Abkühlung, und obgleich fie diefe Worte hörten, 
fchöpften fie doch Leinen Verdacht und merften nichts; 
vielmehr kehrten fie in ihr Bett zurüd. Giulietta löſchte 
das Licht, und ald bie Dienerin weggegangen war, that 
fie als müſſe fie eines natürlichen Bedürfniſſes wegen 
aufftehen, flieg aus bem Bette, zog alle ihre Kleider 
wieder an und, fehrte dann ind Bett zurüd, legte fich, 
als hätte fie geglaubt fterben zu müffen, in bemfelben 
fo gut als möglich zurecht, faltete bie Hände auf der 
Bruft und erwartete fo, daß der Trank feine Wirkung 
tue. Es dauerte auch nicht viel über zwei Stunden, 
fo lag fie wie todt da. WIE der Morgen kam und die 
Sonne ſchon eine gute Weile aufgegangen war, fand 
man das Fräulein in der Art, wie ich gefagt habe, auf 
ihrem Bette liegend. Man wollte fie aufweden, aber 
umfonft, denn man fand fie ſchon faft ganz kalt. Da 
erinnerte fich die Muhme und die Dienerin bes Waſſers 
mit dem Pulver, das fie am Abend getrunken batte, 
und der Worte, die fie dabei gefprochen. Als fie ferner 
bemerkte, daß fie fich angekleidet und felbft auf dem Wette 
fo eigenthümlich hingelegt hatte, bieten fie das Pulver 
für Gift und fie feldft für unzweifelhaft tobt. Da erhob 
fih unter den Frauen ein großer Lärm und Heulen; 


47. Romeo und Giulietta. 27 


befonders die Dienerin rief ihr oft beim Namen und 
fagte: O Madonna, das war es alfo daß ihe fagtet: 
Mein Bater wird mir gegen meinen Willen keinen 
Mann geben. 

Ihr habt trügerifcher Weiſe von mir frifches Waffer 
verlangt, das mir elenden euren herben Tod bereitet hat. 
D ich unglüdliche! Über wen foll ich am meiften Hagen, 
über bie tobte oder über mich felbfit O Madonna, ich 
habe euch mit meinen eigenen Haͤnden das Baffer ge: 
bracht, damit ich unglüdliche auf ſolche Weife von euch 
verlaffen werbe! Ich allein habe euch mich, euren Vater 
und eure Mutter auf einen Schlag getöbter. Ha, warum 
habt ihe im Tode bie Gefellfchaft einer eurer Dienerinnen 
verachtet, die ihre int Xeben fo lieb zu haben ſchienet? 
Wie ich gern mit euch gelebt habe, fo wäre ich auch gern 
mit euch geftorben. 

Bei biefen Worten flieg fie auf das Bett und ſchloß 

das feheintodte Fräulein feft in ihre Arme Meſſer An- 
tonio, welcher in der Nähe war und ben Lärm gehört 
hatte, eilte am ganzen Leibe zitternd in das Zimmer der 
Tochter, und ba er fie fo auf dem Bett liegen fah und 
hötte, was fie in der Racht getrunken und gefprochen hatte, 
ſchickte er, obſchon er ſie für todt hielt, doch zu ſeiner 
eigenen Beruhigung ſchnell zu ſeinem Arzte, ben er für 
fehr gelehrt und erfahren hielt, nach Verona. Diefer 
fam, fab das Fräulein und berührte fie etwas und er- 
Härte, fie fei in Zolge des genommenen Giftes fchon 
ſechs Stunden verfchieden. Als der unglüdliche Vater 
dies hörte, brach er in eine grenzenlofe Wehklage aus. 
Die Trauerkunbe verbreitete fich fehnell von Mund zu 
Mund und war in kurzem auch der armen Mutter zu- 
gekommen, welche plöglich von jeber Lebenswaͤrme ver- 
laffen wie tobt nieberfant und als fie mit einem gellen 
Schrei wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, fih mie 
von Sinnen fehlug und den Namen der geliebten Zochter 
ausrufend die Luft mit Klagen füllte. 

2% 


28 XI. Luigi da Porto. 


Ich fehe dich todt, rief fie, o meine Tochter, bu 
einzige Ruhe meines Alters! Und wie haft du, grau- 
fame, mic) verlaffen können, ohne beiner unglüdlichen 
Mutter noch Gelegenheit zu geben, deine legten Worte 
zu vernehmen? Ich hätte dir wenigſtens deine ſchoͤnen 
Augen zugedrückt und deinen köſtlichen Leib gewaſchen. 
Wie kannſt du mich das von bir hören laſſen? O liebſte 
Frauen, die ihr da bei mir ſeid, helft mir ſterben, und 
wenn noch ein Erbarmen in euch lebt, ſo laßt eure Hände 
(wofern ein ſolcher Dienft nicht zu niedrig für euch ift) 
mir eher das Kebenslicht auslöfchen, ald meinen Schmerz! 
Und du, großer Vater im Himmel, da ich nicht fo bald 
fterben fann, ale ich wünfche, entzeusch mit deinem Pfeile 
mich mir felbft, da ich mir fo verhaßt bin. 

Sie wurde fofort von einer ihrer Frauen aufgehoben, 
. und auf das Bett gebracht, und andere fuchten mit vieler 
Mühe fie zu tröften; aber fie hörte nicht auf zu weinen 
und zu jammern. Das Fräulein wurde indeß von dem 
Landgute, wo fie fi befand, nach der Stadt gebracht 
und unter einer großen prunkhaften Leichenfeier, von allen 
ihren Verwandten und Freunden bejammert, in der Gruft 
des Kirchhofs bei San Francesco als todt beigeſetzt. Bruder 
Lorenzo, welcher in Angelegenheiten des Kloſters etwas 
aus der Stadt gegangen war, hatte den Brief Giulietta's, 
den er an Romeo beſorgen ſollte, einem Moͤnch über- 
geben, welcher nad, Mantua ging. Als dieſer dafelbft 
ankam, ging er zwei oder brei mal in Romeo's Haus 
und traf ihn unfeligermweife nie an; da er aber den Brief 
nur ihm felbft einhändigen wollte, behielt er ihn noch 
bei ſich. Dietro, welcher Giulietta todt glaubte, beſchloß 
in größter Verzweiflung, da er den Bruder Lorenzo in 
Verona nicht auffand, ſelbſt Romeo eine ſo ſchlimme 
Kunde zu überbringen, wie ſie der Tod ſeiner Geliebten 
ihm ſein mußte. Er ging deshalb des Abends aus der 
Stadt nach dem Landgute ſeines Herrn zurück und wan⸗ 
derte in der Nacht ſo eilig nach Mantua, daß er ſchon 


47. Romeo und Biulietta. 29 


am Morgen bei Zeit daſelbſt anlangte. Er fand Romeo, 
noch ehe diefer von dem Mönche den Brief feiner Gattin 
erhalten hatte, und erzählte ihm unter Thränen, daß er 
bie todte Giulietta babe beifegen fehen, berichtete auch 
ausführlich, mas fie zulegt gethan und gefprochen habe. 
Als dieſer folches. hörte, ward: er ganz blaß und halb 
todt, züdte den Degen und wollte fich erftechen. Seine 
Leute bielten ihn zwar zurüd, aber er fagte: Mein Leben 
Tann in keinem Falle mehr lang dauern, da mein wahres 
Keben geftorben if. D meine Giulietta, ich allein bin 
fhuld an deinem Tode, da ich nicht, wie ich dir ge 
fhrieben hatte, Fam, um dich deinem Vater zu entführen. 
Du wollteft fterben, um mich nicht zu verlaffen, und id) 
- follte aus Todesfurcht allein leben? Das fol nicht ge 
ſchehen. 

Und zu Pietro gewendet ſagte er, indem er ihm ein 
Trauerkleid vom Leibe weg ſchenkte: Gehab dich wohl, 
mein Pietro! 

Pietro verließ ihn, Romeo ſchloß ſi ſich allein in ſein 
Zimmer ein, und da ihm nichts unerträglicher fhien, 
al8 ferner zu leben, überlegte er, was er nun mit fi 
beginnen folle. Endlich verkleidete er fi als Bauer, 
nahm ein Zläfchchen mit Schlangenmaffer, das er feit 
langer Zeit für einen Nothfall in einer Schachtel auf: 
bewahrt hatte, ftedte ed in feinen Armel und machte 
fih auf ben Weg nach Verona, in der Ausficht, ent- 
weder, wenn er erfannt würde, durd) die Hand der 
Gerechtigkeit fein Leben zu verlieren, oder fi in ber 
Gruft, deren Lage er wohl Eannte, mit feiner Geliebten 
einzufchließen und dort zu fterben. Diefem legten Plane 
war das Schickſal günftig; denn am Abend bes auf Giu- 
lietta's Beifegung folgenden Tages Fam er nach Verona, 
ohne von jemand erkannt zu werden, und wartete bie 
Nacht ab. Als er nun alles in Schweigen begraben fah, 
begab er fi) nach dem Minoritenklofter, wo die Gruft 
fih befand. . Die Kirche ftand in der Cittadelle, wo da⸗ 


80 XI. Luigi da Porto. | 


mals diefe Mönche wohnten. Später haben ſie diefelbe, 
ich weiß nicht aus welchem Grunde verlaffen und ſich 
in die Vorftadt von San Zeno gezogen, in das Kloſter, 
das jetzt San Bernardino heißt*), wiewol es früher 
dem Sanct Franz angehörte **). An den Mauern diefes 
Kloſters befanden ſich damald außerhalb einige große 
fteinerne Särge, wie wir fie an vielen Orten außerhalb 
dee Kirchen finden. Einer derfelben war das alte Be- 
gräbniß aller Cappelletti und bafelbft war auch das fchone 
junge Weib. Daran lehnte fih Romeo (es mochte etwa 
um vier Uhr der Nacht fein), bob, da er fehr träftig war, 
mit Gewalt den Dedel hinweg und nachdem er ihn mit 
‚ein paar Hölzern, die er mitgebracht, fo gefpeibelt hatte, 
dag er gegen feinen Willen nicht zufallen konnte, trat er 
hinein und ſchloß fodann den Sarg. Der üunglüdielige 
Jüngling hatte eine Blendlaterne mitgebracht, um feine 
Frau noch ein wenig au fehen. Sobald er in ber Gruft 
verfchloffen war, zog er diefelbe hervor und machte fie auf. 
Da ſah er denn feine fchöne Giulietta unter Knochen und 
Gegen von vielen Tobten felbft wie todt liegen. Darüber 
brach er alsbald in heftige Thränen aus und fing alfo an: 
D ihr "Augen, die ihr meinen Augen helle Lichter waret, 
jo lang es dem Himmel gefil! O Mund, von mir 
taufend mal fo füß gefüßt und von dem man fo Fluge 
orte vernommen! D fchöne Bruft, die mein Herz 
in folcher Wonne beherbergt! Nun ich euch hier blind, 
ſtumm und alt mwieberfinde, wie ſoll ich ohne euch fehen, 
fprechen und leben? Ach meine unglüdliche Frau, wohin 
hat dich die Liebe geführt, deren Wille es ift, daß ein 
fo enger Raum zwei beteübte Xiebende vernichte und be⸗ 
herberge? Weh mir, waren das die Vorfpiegelungen der 
Hoffnung und der Sehnſucht, welche mich zuerft.in Liebe 


) Nah Foͤrſter's Reiſehandbuch (zweite Aufl. &. 530) ift die 
Kirche San Bernardino um 1452 erbaut. 

») Eine denfelben darftellende Sculptur aus dem vierzehnten Jahre 
hundert befindet fih über dem Portal der Kirche nolh jetzt. 








47. Romeo und Giufiette. 931 


zu dir entflammten? O mein unfelige® Leben, was foll 
nun bein Zeitftern fein? 

Bei diefen Worten füßte er ihr Augen, Mund und 
Bruft und wollte ganz in Ihränen zerfchmelzen. Unter 
feinem Weinen rief er: Ihr Mauern, die ihr über mir 
fteht, warum fallt ihr nicht über mich ber, mein Leben 
abzukürzen? Aber da ja offenbar der Tod einem jeben 
in feine Gewalt gegeben ift, wäre ed doch gewiß höchſt 
niederträchtig, ihn zu wünfchen und nicht zu nehmen. 

Darum zog er dag Flaͤſchchen mit der feharfgiftigen 
Flüſſigkelt, das er im Armel verwahrte, heraus und fuhr 
alfo zu fprechen fort: Ich weiß nicht, welches Geſchick 
mic, dahin führt, daß ich auf meinen Feinden, auf ben 
von mir Erſchlagenen in ihrem Grabe fterben muß. Da 
aber neben unferer Geliebten zu fterben eine Wonne ift, 
mein Herz, fo laß und fterben!. 

Damit fegte er das graufame Waſſer an die Lippen 
und fchlang es ganz binunter. Darauf nahm er das 
geliebte Weib in die Arme, drückte fie. feft an fih und. 
fprah: O ſchöner Leib, Iegtes Ziel aller meiner Sehn⸗ 
fucht, wenn bir. ein Gefühl übriggeblieben ift nach der 
Seele Scheiben, oder wenn fie meinen granfen Tod fiehet, 
fo bitt ich dich, e8 möge ihr nicht misfallen, wenn ich 
nicht glüdlih und vor aller Welt mit bir leben durfte, 
daß ich wenigſtens insgeheim und traurig mit dir fterbe. 

Und fo erwartete er, fie eng umfaßt haltend, den Tod, 
Erndlich war die Stunde gekommen, wo die Lebenswärme 
der jungen Frau die gewaltige erſtarrende Kraft des Pul⸗ 
vers überwinden und fie wieder ermachen mußte. Gebrüdt 
und gerüttelt von Romeo ermwachte fie daher in feinen 
Armen, und als fie: wieder bei ſich war, ſagte ſie nach 
einem ſchweren Seufzer: Weh mir, wo bin ich? Wer 
umfaßt mich unglückliche? Wer küßt mich? 

Sie meinte, es ſei der Bruder Lorenzo, und rief: 
So alſo, Moͤnch, haltet ihr Romeo Treue? Auf dieſe 
Weiſe alſo wollt ihr mich ſicher zu ihm führen? 


32 XI. Luigi da Porto. 


As Romeo merkte, daß die Frau lebe, verwunderte 
er ſich fehr, erinnerte fich vielleicht bed Pygmalion und 
fagte: Kennt ihr mich nicht, meine füße Frau? Seht 
ihr nicht, daß ich euer betrübter Gatte bin, allein und 
heimlich von Mantua gelommen, um bei euch zu fterben? 

As Biulietta merkte, daß fie in der Gruft war und 
einem Manne in den Armen lag, der fi für Romeo 
ausgab, Fam fie faft von Sinnen. Sie drüdte ihn etwas 
von fih und fchaute ihm ins Gefiht, und da fie ihn 
fogleich erfannte, umarmte fie ihn, gab ihm taufend Küffe 
und fprach: Welche Thorheit bewog euch, hier herein zu 
fommen und mit folder Gefahr? War es nicht genug, 
daß ihr aus meinen Briefen erfahren habt, mie ich mich 
mit Hilfe des Bruders Lorenzo tode fielen wolle, um 
dann in kurzem bei euch zu fein? 

Da merkte der unglüdfelige Jüngling feinen großen 
Irrthum und rief: D mein betrübtes Loos! O unfeliger 
Romeo, des Schmerz allen andern Liebesfchmerz über- 
trifft! Ich Habe eure Briefe hierüber nicht erhalten. 

Weiter erzählte er ihr, wie Pietro ihren verftellten 
Tod ihm al& wahr gemeldet. In der Meinung, fie fei 
geftorben, habe er, um ihr im Tode Gefellfchaft zu leiſten, 
neben ihr Gift genommen, welches fehr ſcharf fei, ſodaß 
er fchon den Tod ſich durch alle Glieder rinnen fühle. 
Als das unglüdliche junge Weib folches hörte, warb fie 
vom Schmerz fo übermannt, daß fie fich nicht anders zu 
helfen wußte, als daß fie ihre ſchönen Loden ausraufte 
und ihre unfchuldige Bruſt zerſchlug. Romeo, welcher 
fhon rüdlings hingeſunken war, küßte fie häufig und 
übergoß ihn mit einem Meer von Thränen. Blaͤſſer als 
Aſche und ganz zitternd ſprach fie: Alfo müßt ihr in 
meiner Gegenwart und durch meine Schuld fterben, mein 
theurer Herr? Und wird der Himmel zugeben, dag ich 
nach euch, wenn auch nur kurz, lebet Ich unglüdliche! 
* ich wenigſtens euch mein Leben ſchenken und allein 

erben! 








47. Romeo und Giulietta. 33 


Darauf antwortete Romeo mit matter Stimme: Henn 
euch meine Treue und meine Liebe je theuer war, meine 
lebende Hoffnung, fo befhwöre ich euch dabei, daß ihr 
euch nach mir das Leben nicht misfallen laffet, wäre es 
auch nur, um wenigſtens das Gebächtniß deffen zu er- 
halten, der von eurer Liebe ergriffen um duretwillen vor 
euren fchönen Augen binftirbt. 

Die Frau antwortete: Wenn ihr um meines verftellten 
Zodes willen fterbt, was fol ich thun um eures nicht 
verftellten willen? Es ſchmerzt mich allen, daß ich nicht 
jest hier in eurer Gegenwart ein Mittel zu flerben fehe, 
und ich bin mir felber verhaßt, daß ich fo lange lebe; 
aber ich hoffe, es wird nicht lange dauern, bie ich, wie 
ich die DVeranlaffung eures Todes geworben bin, fo aud) 
die Theilhaberin defjelben werde. 

Mit Mühe hatte fie diefe Worte ausgefprochen, ale 
fie wie todt zurüdfant. Wieder zu fich gekommen be- 
mühte fich die unglüdliche, mit ihrem fchonen Munde 
die legten Athemzüge ihres theuren Liebhabers aufzufaffen, 
welcher mit fehnellen Schritten feinem Ende entgegeneilte. 
Bruder Lorenzo hatte unterbeffen gehört, wie und wann 
die junge Frau das Pulver eingenommen und daß fie 
ald todt beigefegt worden war. Da er demnach wußte, 
daß der Zeitpunkt gefommen war, mo die Wirkung diefes 
Pulvers zu Ende ging, nahm er einen vertrauten Ge- 
noffen zu fid) und kam, vielleicht eine Stunde vor Tag, 
an die Gruft. Als er dort anlangte und fie meinen 
und jammern hörte, auch durch die Spalte bed Deckels 
fchauend ein Licht drinnen erblidte, verwunderte er ſich 
fehr und meinte, die Frau müſſe auf irgend eine Weiſe 
die Leuchte mit fich bineingenommen haben, und nun, 
da fie erwacht fei, werde fie aus Angſt vor einem Todten, 
oder: vielleicht au8 Beſorgniß, immer an dieſem Drte ein- 
et zu bleiben, fich befümmern und fo. weinen. 
Mit Hilfe feines Begleiters ‚öffnete er fchnell das Be⸗ 
gräbniß, erblidte Giulietta, welche mit zerrauften Haaren 

EL, 


34 XI. Aigi da Porto. 


und vom. Schmerz verflört daſaß und ihren halbtobdten 
Geliebten auf den Schooß genommen hatte, und fagte zu 
ihr: Alfo fürchteteft du, meine Tochter, ich laſſe dich hier 
umlommen ? 

Als fie den Mönch erblickte, verboppelte fie ihre Klage 
und fagte: Nein, vielmehr fürchte ich, ihre möchtet mich 
mit dem Leben von binnen führen. Um Gottes Barm- 
herzigkeit willen verfchließt das Grab und geht von binnen 
und laßt mi hier fterben; ober reicht mir ein Meffer, 
daß ich es in meine Bruft ſtoßend mich von allem Jam⸗ 
mer befreie! D mein Vater, mein Bater! hr habt 
meinen Brief gut überliefert! ch werde fchön vermaͤhlt 
werden! Ihr werdet mich fon zu Romeo geleiten! 
Seht ihn hier tobt in meinem Schoof! 

Sie erzählte ihm den ganzen Hergang und zeigte ihn: 
Romeo. Als Bruder Lorenzo folches hörte, mar er wie 
wahnfinnig. Er fah den Jungling an, welcher im Be- 
griff war, ins andere Leben zu wandern, rief ihn unter 
vielen Thränen beim Namen und fprad: O Romeo, 
welcher Unftern bat mir dich geraubt? Sprid auch ein 
wenig mit mir! Erhebe zu mir noch ein menig beine 
Augen! D Romeo, fieh beine innig geliebte Giulietta, 
welche bich bittet, dich anzuſchauen! Warum antworteft 
nu a wenigftens ihr, in deren fchönem Schooße du 

git? 

Romeo erhob hei dem theuren Namen ſeiner Gattin 
etwas ſeine matten von dem nahen Tode ſehr beſchwerten 
Augen und ſchloß ſie wieder, nachdem er ſie geſehen. 
Bald darauf, als der Tod ihm durch alle Gueder fuhr, 
krümmte er ſich lang, ſtieß einen kurzen Seufzer aus 
und verſchied. Als der unglückliche Liebhaber auf bie 
befchriebene, Weiſe geftorben war, fagte der Mönch nach 
beftigem Weinen, als ſchon der Tag anbrach, zu der 
Frau: Und du, Giulietta, mas willft bu beginnen? 

Raſch entfchlaffen antwortete fie: Hier will ich fierben. 

Wie, meine Tochter? fagte er; ſprich nicht alfo! 


47, Romeo und Giulietta. 3 


Komm heraus! Wenn ich auch jegt noch nicht weiß, 
was ich mit bir anfangen ſoll, fo bleibt dir doch immer 
offen, dich in einem frommen Klofter zu verfchließen und 
dafelbft immer Gott für dic und deinen verftorbenen 
Gemahl zu bitten, wenn er es nöthig hat. 

Die Frau aber antwortete: Mein Vater, ich verlange 
nicht8 mehr von euch, als die eine Güte, die ihr in Erin- 
nerung an die Xiebe, die ihr zu dem feligen hier (dabei 
wies fie auf Romeo) getragen, mir nicht verweigern 
werdet, nämlich daß ihr unfern Tod nie bekannt macht, 
damit unfere Leichname immer in diefem Grabe beifam- 
men bleiben können; und wenn je unfer Tod bekannt 
würde, fo bitte ich euch um jener eurer Kiebe zu Romeo 
willen, daß ihr. in unfer beider Namen unfern unglück⸗ 
lichen Bater bittet, denen, die bie Kiebe in dem gleichen 
Feuer verzehrt und zum gleichen Tode geführt bat, nicht 
zu erfchweren, in einem und bemfelben Grabe zu liegen. 

Damit wandte fie fich zu dem neben ihr liegenden 
Leichnam Romeo’s, beffen Haupt fie auf ein Kopfliffen 
gelegt hatte, das man mit ihr in der Gruft gelaffen, 
drüdte Ihm die Augen zu, babete fein kaltes Angeficht - 
mit Thränen und ſprach: Was foll ich ohne dich ferner 
am Leben thun, mein Gebietert Was bleibt mir fonft 
nach Dir zu erreichen übrig, als daß ich die im Tode 
folge? Gewiß nichts, damit von dir, von dem nur ber 
Tod mich trennen konnte, der Tod felbft mich nicht ewig 
trenne. 

Nachdem fie dies gefagt, ftellte fie fi, ihr großes 
Unglüd recht lebhaft vor die Seele, gedachte an den 
BDerluft ihres theuren Geliebten, faßte den feften Ent- 
ſchiuß, nicht länger zu leben, hielt Tange den Athem an 
fih und als fie ihn nicht mehr halten konnte, firömte 
fie ihn aus mit einem heftigen Schrei und fiel über den 
Leichnam tobt bin. Als Bruder Lorenzo merkte, baf 
bie Frau todt war, machte ihn das Mitleid ganz betreten 
und er wußte fich nicht zu rathen. Ihn und feinen 


36 ‚ Al 2uigi da Porto. 


Begleiter faßte ber Schmerz im innerftien . und fie be 
welnten herzlich bie geftorbenen Liebenden. Da kamen 
auf einmal die Leute bed Schultheifen dazu, welche einen 
Dieb verfolgten. Sie fanden beide weinend an ber Gruft, 
in welcher fie Licht erblidtn, und eilten faft alle herzu. 
Sie nahmen die Mönche in ihre Mitte und ſprachen: 
Mas macht ihr hier, ehrwürdige Herren, um biefe Stunde? 
Ubt ihr nicht eine Miffethat aus an biefem Grabe? 

As Bruder Lorenzo die Häfcher hörte und erkannte, 
hätte er todt umfinten mögen. Er ſprach aber zu ihnen: 
Komme mir Peiner zu nahe! ch bin nicht euer Dienft- ' 
mann. Wollt ihr etwas, fo verlangt es von ferne! 

Da fagte ihe Führer zu ihm: Wir wollen wiffen, 
weshalb ihr die Gruft der Cappelletti alfo eröffnet habt, 
wo erft vorgeftern ein Fräulein aus der Familie beige- 
fegt worden if. Wenn ich nicht euch, Bruder Lorenzo, 
als einen mwohlgefinnten Mann Eennte, fo würbe ich fagen, 
ihr ſeid hierhergekommen, um die Todten zu plündern. 

Die Mönche loͤſchten das Licht und antworteten: 
Was wir thun, das follft du nicht wiſſen, denn es gebt 
dich nichts an. on 

Sener verfegte: Allerdings, aber ich werde es dem 
Fürſten anzeigen. 

Bruder Lorenzo, den die Verzweiflung ruhig machte, 
entgegnete hierauf: Sag es immerhin! 

Damit ſchloß er das Begraͤbniß mit feinem Begleiter 
und ging in bie Kirche. Der Tag mar faft fehon ganz 
hell, als die Mönche fih von den Haͤſchern losmachten. 
Daher überbrachte einer der Iegtern alsbald einem ber 
Cappelletti die Nachricht, was mit diefen Mönchen vor- 
gefallen ſei; biefe wußten vieleicht wol auch, daß ber 
Bruder Lorenzo mit Romeo befreundet war, und wandten 
fi daher ſchnell an den Fürften mit der Bitte, er möge, 
wenn es nicht anders gehe, durch Gewalt aus dem Mönch 
berauszubringen ſuchen, mas er in ihrem Begräbniß zu 
ſuchen habe. Der Fürft ſtellte Wachen aus, daß der Diönch 


47. Romeo und Giulietta. 37 


nicht entweichen konnte, und ſchickte nach ihm. Er wurbe 
‚gewaltfam vor ihn geführt und ber Fürft fragte ihn: Was 
fuchtet ihr diefen Morgen. in bem Grabe ber Cappelletti? 
Sagt es uns, benn wir mollen es durchaus wiffen. 

Darauf antwortete der Mönch: Mein Fürft, ich will 
das euer Gnaden recht gerne fagen. Ich war der Beicht- 
‚vater der Tochter des Meffer Antonio Gappelletti, welche 
vor einigen Tagen auf fo unerwartete Weife geftorben ift, 
und da ich fie fehr liebte ald meine geiftlihe Tochter und 
mich nicht bei ihrer Leichenfeier einfinden Tonnte, ging 
ih Hin, um über ihr gewiffe Gebete zu fprechen, welche, 
wenn fie neun mal über einem Leichnam gefprochen werben, 
bie Seele von der Pein bes Fegefeuers erlöfen. Weil 
wenige dies wiffen und biefe Dinge verftchen, fagen bie 
Thoren, ich fei Hingegangen, um. die Todten zu berauben. 
Ich weiß nicht,. ob ich zu einer Räuberbande gehöre, wenn 
ich diefe Dinge thue. Mir genügt diefer geringe Mantel 
und diefer Strick, und ich würde von allen Schägen ber 
Lebenden zufammen kein bischen nehmen, gefchweige denn 
von ben ‚Kleidern zweier Todten. Sie thun nicht wohl, 
die mich auf ſolche Weiſe tabeln. 

Der FZürft hätte dies um ein Meines geglaubt, wenn 
nicht viele Mönche, welche dem Lorenzo übelwollten, als fie - 
hörten, daß man Bruder Korenzo auf dem Grabe gefun- 
den habe,. Zuft bekommen hätten, daffelbe zu öffnen. Sie 
machten ed auf und als fie den Leichnam des Liebhabere 
barin fanden, wurde es plöglich mit größtem Lärm bem 
Fürften, welcher noch mit dem Mönche fprach, gemelbet, 
wie in der Gruft der Cappelletti, an welcher der Bruber 
bei: Nacht betroffen worden fei, Romeo Montecchi tobt 
liege. Dies fchien allen faft unmöglich und das Erſtaunen 
- war allgemein. Ws der Bruder Lorenzo dies hörte und 
einfah, daß er num nicht mehr verfchweigen könne, was 
er fo gern verheblt. hätte, fiel er vor dem Fürften auf 
die Knie ‘und fagte: Verzeiht mir, mein Fürſt, wenn ich 
euer Gnaden auf euer Begehren eine Täufchung erwi⸗ 





38 XI. Zuigi da Porto. 


bert habe, denn es geſchah nicht aus Bosheit noch um 
Gewinnes willen, fondern um zwei armen geftorbenen 
Liebenden mein Wort zu halten. 
So machte er denn von bem ganzen Hergang einen 
kurzen Abriß und erzählte bie Gefchichte vor vielen Zeugen. 
Als Bartolomımeo della Scala dies hörte, konnte er ſich 
vor Mitleid der Thranen nicht enthalten, er begehrte 
ferbft die Leichen zu fehen und begab fich mit einer 
geoßen Menge Volks an das Grab. Er ließ die beiden 
Liebenden herausbringen in die Kirche von San Francesco 
und auf zwei Teppiche legen. Unterdeſſen kamen ihre 
Bäter auch in die Kirche, vergoffen Thränen über ihren 
geftorbenen Kindern und in doppelt regem Erbarmen 
fchloffen fie, obgleich bisher Feinde, fi in die Arme, 
ſodaß die lange Feindfchaft, die zwifchen ihnen und ihren 
Häufern beftanden, und welche nicht Bitten von Freunden 
noch Drohungen bes Fürften noch erlittener Schaden noch 
feibft die Zeit hatte auslöfchen können, durch den erbärm- 
lichen und Bläglichen Tod ber beiden Liebenden eine End- 
ſchaft erreichte. Es wurde ein fchönes Denkmal beſtellt, 
auf welches in wenigen Tagen die Urfache ihres Todes 
eingegraben werden ſollte, und ſo wurden die zwei Lie⸗ 
benden mit größter würdigſter Feierlichkeit unter den 
Thranen und dem Geleite des Fürſten, der Berwandten, 
ja der ganzen Stadt beigeſetzt. Dieſes klägliche Ende 
hatte die Liebe Romeo's und Giulietta's, wie ihr. gehört 
habt und wie mir es Pellegrino von Verona mittheilte. 
O du treue Kiebe, die du in den rauen vor alters 
walteteft, wohin bift du gefommen? In welcher Bruft 
berbergft du heutzutage? : Welche Frau würde es jego 
machen, wie bie treue Giulietta bei ber Leiche ihres Ge⸗ 
liebten? Wann wirb ber ſchoͤne Rome diefer Frau von 
den gewandteften Zungen aufhören gepsiefen zu werben? 
Wie viele gäbe es jegt, die den Geliebten nicht fo bald 
fterben fähen, als fie ſchon daran dächten, einen andern 
aufzufinden, geſchweige an feiner Seite zu flerben? Denn 


\ 


471. Romeo und Giulictta. 39 


wenn Ay ſehe, daß gegen alle Forderung ber Vernunft, 
zum Lohn für alle Treue und redliche Dienfte, manche 
Srauen ihre Liebhaber, bie fie fonft heiß geliebt, nicht 
aach⸗ Ebr ſchon nach einem Schlage des 
Geſchicks vergeſſen und verlaſſen, was ſoll man von ihnen 
erwarten, daß ſie nach dem Tode thun werden? Wehe 
den Liebhabern unſerer Zeit, die weder fuͤr lang erprobte 
treue Dienſte noch dadurch daß ſie den Tod für ihre 
Damen wagen, hoffen dürfen, daß dieſe mit ihnen ſterben 
moͤchten, vielmehr ſich überzeugt halten können, denſelben 
meiter hinaus nicht mehr theuer zu fein, als fo lange ſi fie 
rüftig für Befriedigung ihrer Debürfniffe zu wirken im 
Stande find! 


XH. Francesco Marie Molza. 


1489. 


48. Schlimmer und fohlimmer! 


In Parma einer fehr berühmten Stadt in ber Lom⸗ 
bardei lebte vor nicht gar langer Zeit ein Wollkrämpler 
Namens Gineſe, und weil er von Mantua abzuftammen - 
behauptete, gab man ihm den Beinamen der Mantuaner. 
Da fi biefer nun einfam fühlte und dabei im Verhältniß 
zu feines gleichen wohlhabend, entfchloß er ſich ein Weib 
zu nehmen, und da ihm eine Nachbarin gefiel, wußte er, 
obwol ſchon etwas bei Jahren, fo geſchickt um fie herum- 
zufcherwenzen, daß er feinen Wunſch erreichte. Er hei- 
rathete fie fo ſchnell wie möglich und führte fie heim mit 
ihrem Sohne, welcher Ghedino hieß und etwa achtzehn 
Jahre alt war; die Frau hatte benfelken von einem frü- 
beren Gatten. Der Mantuaner begann, um biefe feine 
Familie zu erhalten, mit dem Beibringen feiner Frau 
Handel zu treiben und war fo thätig, daß er bei feiner 
Gefchidlichkeit in feinem Handwerk ganz froh und heiter 
lebte und fi gute Zage machen konnte. Als er nun 
fah, daß es ihm in allen Stüden nah Wunſch ging, 
dachte er darauf, wenn ſich Gelegenheit böte, auch feinem 
Stiefſohn Ghedino ein Weib zu geben, dann Fönnten fie 
alles mit dem Beibringen von bdeffen Frau zufammen- 
werfen, ihren Wohlſtand bedeutend erhöhen und mit ber 
Zeit reich werben. Er rief ihn daher eines Tages beifeit 
und fprad zu ihm: Mein Sohn, wer heutzutage nicht 
Vermögen befigt, der gilt für ein Vieh, ber aber, ber 
etwas hat, gilt am meiften; darum ficht es jedermann 


4‘ 


48. Schlimmer und ſchlimmer! 41 


wohl an, nicht nur zu erhalten, was er hat, fondern 
auch, es fo viel al& möglich zu vermehren. Wie du fiehft, 
bift du jegt groß, und barum wäre es wohlgefhan, wenn 
du für dich und zugleich für unfer ganzes Haus forgteft, 
damit, wenn ich abgehe, du ohne fremde Hilfe allein im 
Stande bift, deine Angelegenheiten zu beforgen und dein 
Leben zu erhalten. Um dies zu erreichen, weiß ich feinen 
Weg, ber mir beffer gefiele, als daß bu dich dazu ver⸗ 
ftehft, ein Weib zu nehmen, und mit der Mitgift, welche 
dir zufließt, und der Unterftügung, welche ich andererfeits 
dir gewähre, wirft bu fehen, daß aldbann feiner deines 
gleichen hier beffer fteht, als du. Laß alfo diefe meine 
Worte Eingang bei dir finden und nimm den Rath an, 
ben ich die treulich veiche! 

Ghedino nahm es in Überlegung. und fagte, er fei 
ganz einverftanden, vorausgefegt, daß es mit Zuftim- 
mung von Monna Moneta (fo hieß feine Mutter) ge 
fchehe, denn es fei dies fein eigener Wunſch ah, Es 


waͤhrte daher nicht lange, fo nahm er ein ſehr ſchönes 


feifches und äußerſt Fräftiges Mädchen zur Frau, die 
vielleicht für fein Wefen nur allzurüftig war. Nach der 
Hochzeit war er forgfältigft bemüht, den Unterweifungen 
feines Stiefvaterd nachzukommen. Während er nun täglich 
in die Bude ging und es fich fauer werben ließ, geſchah 
ed, daß der Mantuaner dermaßen mit dem Weibe Ghe- 
dino's vertraut wurde, daß er dachte, wenn ihm diefer 


von feinen Gefshäften bei Tag abnehnte, fo dürfe er das 


junge Weib nicht unter ber Abwefenheit des Gatten leiden 
laffen; nahm fich daher vor, nach Leibesträften die Lüde 
auszufüllen, welche diefe feiner Meinung nach fühlen müſſe. 
Er übertrug ihm daher jeden Tag neue Geſchäfte und nö⸗ 
thigte ihn damit, fich möglichft lang aus dem Haufe ent⸗ 


« feent zu halten; namentlich veranlaßte er ihn morgens in 


aller Frühe aufjuftehen. Der Mantuaner trieb diefen 
Handel ſchon eine gute Weile, bis einer fam und dem 
Ghedino ind Ohr raunte: Ghedino, ich weiß nicht, wie 


42 | XII. Francesco Marin Molza. 


du di mohlfühlen kannſt, ba bu eime junge Frau haft. 
die fo ganz -frifh in dein Haus gelommen, und bu did) 
fo oft von ihr entfernft, zumal in der Zeit, welche bie 
Männer dem Bergnügen der Weiber widmen ſollen. 
Was würdeft du machen, wenn fie, am Morgen fo frübe 
von dir im Stich gelaffen ſich an einen wendet, ber ihr 
beſſer Geſellſchaft leiftet, als du? 

Bei alle dem fchöpfte der Strohkopf noch keinen Ber- 
dacht, fuhr vielmehr in der angegebenen Weiſe fort. und 
ließ dem Mantuaner allen Spielraum, das zu erreichen, 
was er fo, ſehnlich wünfchte, nämlich theils durch den be⸗ 
fländigen Arger, ben ihr ihr Mann verurfachte, theils 
durch die Bequemlichkeit und geſchickte Gelegenheit, welche 

er felbft ihr bot, das fchöne Weibchen feinen Wünfchen 
fügfam zu machen. So fiellte er fich denn auch einmal 
nad) ber zmifchen ihnen getroffenen Verabredung -gegen 
Monna Moneta ganz tieffinnig und nachdenklich und er- 
klärte, er müſſe in Gefchäften von großer Wichtigkeit 
ausgehen. Sobald er daher merkte, daß Ghebino auf- 
geftanden war, erhob er ſich von der Seite der Monna 
Moneta, welche nichts davon ahnte, und fchlich fich heim⸗ 
lid an die Seite der jungen Frau, welche in einem an- 
bern Zimmer nicht weit von dem ihrigen fohlief. Der 
Zufall wollte, daß an diefem Morgen Ghedino in der 
Eile ein paar Karbätfchen vergeffen hatte, welche er den 
Tag zuvor new gekauft, auch hatte er die alten nicht 
mitgenommen. Er bemerkte auch feine Vergehlichkeit erſt, 
als er mit leeren Händen an feiner Bude anfam. Er 
‚lief daher ſchnell zurück, offnete Die Hausthüre leife, Fam, 
ohne von einem Menfchen gehört zu werben, gerades 
Wegs an feine Stube, und trat ein, weil er ganz gut 
fie zu öffnen wußte und der thörichte Mantuaner nicht 
fo gefcheit geweſen war, fie auf eine Weiſe zu fchließen, 
bag man nicht öffnen konnte. Ohne fich zu rühren oder 
zu rufen fah er denn fo ar wie der Tag, welches Er- 
barmıen der Mantuaner mit feinen Weibe hatte, um 














48. Schlimmer und fhlimme! .— 43 


beren willen er den Ader der Monna Moneta zu pflügen 
unterließ, um einen fremden au bepflanzen, damit der 
jungen Frau die Langweile verginge. Es fchien ihm 
zwar nicht recht, fie zu flören, aber doch konnte er ſich 
nicht enthalten, einen großen Lärm zu machen. Während 
er nun mit dem Stiefvater ſich zanfte, öffnete das junge 
Weib, aus Furcht, das Wetter möchte ſich zumeift über 
ihr entladen, da fie fich nicht anders zu rathen wußte, 
‚ ein Senfter, welches auf die Straße ging, und da es 
nicht hoch war, fprang fie hinaus, mas auch ganz be- 
quem und ohne alle Verlegung von flatten ging. Sie 
machte fih daher auf und eilte von dannen. Kaum 
war fie jedoch einige Schritte gegangen, fo fuchte fie 
Schug in einem Nachbarhaus, welches eben offen ftand, 
denn fie meinte, der arme Schelm ihr Mann fei ihr 
immer auf den Ferfen. Sie wußte fonft nirgends bin 
und fuchte nur, fich fo tief innen als möglich zu ver- 
fieden. Da kam fie zufällig an die Thür eines Zim⸗ 
mers, in welchem ein gar artiger und heiterer Züngling 
ganz allein fchlief, welcher Galeazzo Garimberti hieß, 
ſchon feit mehreren Monaten ihr den Hof gemacht und 
auf alle Weife ihre Neigung -für ihn zu entzünden ge⸗ 
fucht Hatte, ohne je zu einem Ziele zu gelangen und 
wieder einigen Frieden zu erreichen. Es war ihm, als 
höre er Tritte wie von einem, welcher eilig läuft; er 
ftand fchnel auf, um zu fehen, was es fei, und kaum 
hatte er bie Thüre des Zimmers geöffnet, ald das junge 
Weib voll Angft und zitternd fi) ihm in die Arme 
warf. Der Jüngling erkannte fie gleich und da er fie 
fo im Hemd viel fhöner fah, als er fich hatte vorftellen 
können, und fih nicht denken Sonnte, was das heiße, 
nahm er fie, legte fie fanft auf das Bett und fragte fie 
mehrmals umfonft nach der Urfache ihres Kommens. 
Er meinte daher, es fei Zeit, fie mit etwas anderem, 
als mit Worten zu tröften, und da feine Glücksfahne 
fo hoch fand, feste er fih, ohne eim Wörtchen drüber 


44 XU. Francesco Maria Molza. 


zu verlieren, in den Befig beffen, was foeben dem Man- 
tuaner war fireitig gemacht worden. So fehr Ghedino 
mit feinem Stiefvater im Feuer war, bemerkte er doc), 
was fein Weib that; es faßte ihn daher das größte Mit- 
leid mit ihr und ohne weiter Zeit zu verlieren eilte er 
hinaus, um zu fehen, mas aus ihr geworden fei. Da 
er fie aber nicht auf der Straße fand, auch Feine andere 
Thür offen fah, ale die, in welche fie wirklich eingetreten 
war, folgte er ihr dahin nah, um zu erfunden, ob fie 
bier hereingefommen fei, denn er bildete ſich wohl ein, 
daß fie fo barfuß, wie fie war, und im Hemd nicht 


‚ „weit könne geflohen fein. Wie fie fam er auch an das 


Zimmer, fand die Thür unverfchloffen, trat ein und fand 
daB junge Paar beifammen. Ghebino war von biefem 
Anblick fo betäubt, daß er nicht wußte, ob er träume 
oder mache. Da er aber fein Unglüd fo Schlag auf _ 
Schlag kommen und fi fo unerfeglichen Schaben zu» 
fügen ſah, wo er fih am leichteften verleglich glaubte, 
wußte er gar nicht, was er anfangen folle, und floh . 
zurück, denn er fürchtete, wenn er fehrie ober der Sache 
das geringfte Hinderniß in den Weg legte, Fönnte nur 
ein noch größeres Argerniß daraus, erwachfen, da er jetzt 
fhon, indem er den erften verfcheucht, dem zweiten den 
Weg fo leicht geöffnet Habe. Er dachte alfo, er wolle 
unter Peiner Bedingung noch den dritten erwarten, ließ 
fie demnach allein und lief, foweit ihn feine Beine trugen. 
Garimberti aber hatte auf dem zarten Erdreich feine erfte 
Probe vollendet und da er nicht zum zweiten mal in 
feiner Aderarbeit geftört werben wollte, ſchloß er die 
Zimmerthüre, umarmte das junge Weib und bat und 
beſchwor fie fo lange, bis fie ihm zu feiner größten Er⸗ 
geglichkeit mittheilte, wie ed zugegangen, daß fie um 
dieſe Stunde und in ſolchem Aufzug ſich zu ihm begeben. 
Allmaͤlich kam fie wieder zur Ruhe, fie lachten, ſcherzten 
und fchalten auf die Karbätfchen, Flachſskanten, Hächeln 
und alle andern Werkzeuge bed Mannes und machten 


43, Schlimmer und fchlimmer!, 45 


in freier beiderfeitiger Cinftimmung noch mehrere Wett⸗ 
läufe zufammen. Ein. paar Tage darauf leitete Garim- 
berti es ein, daß alle fich wieder verföhnten und Frieden 
f&hloffen, nachdem er zuvor mit dem jungen Weibe die 
Abrede getroffen hatte, wie fie fonft zuſammenkommen 
könnten. 


II. Ginftiniano Reli. 


1490. 


49. Ginlio und Aurelio's Frau. 


Es find erft wenige Monate, daß in unferem Siena 
ein Jüngling von achtzehn bis neunzehn Jahren, ſehr 
Schöner Seftalt, edlem Blut und mit preißwürbigen Sitten 
gefhmüdt, Namens Giulio ſich in eine fehr ſchöne, ge- 
wandte und über bie Maßen reizende, nicht weniger 
fittfame als Tiebensmwürdige junge Frau heftig zu ver- 
lieben anfing. Won biefer Xiebe bewogen unterließ er 
nichts, was er meinte, daß ihr gefalle oder daß es ihm 
dienlih fein fonnte, um ihr Wohlgefallen zu erlangen. 
Diefe Liebſchaft war ſeine einzige Beſchaͤftigung, wie 
das häufig bei jungen Leuten geht; er widmete ſich dem 


Lautenſchlagen, Floͤtenſpielen, Hornblaſen, Singen und 


—2 


Tanzen. Es war kein Frühſtück, Hochzeit, Mahlzeit 
oder andere Zuſammenkunft, wo Iſabella hinkam, daß 
nicht Giulio alsbald auch hingegangen waͤre; ich geſchweige 
von der Maskenluſt, dem Limonenwerfen und Ausſtreuen 
wohlriechender Sachen, wie es unſere jungen Leute in 
der Faſchingszeit zu üben pflegen; aber es waren wenig 
Nächte, wo er ihr nicht eine Muſik oder ſonſt eine artige 
Unterhaltung zu ihrem großen Vergnügen zu hoͤren gab. 
Durch dieſe Kundgebungen merkte nicht blos ihr Gatte 
Aurelio Giulio's Liebe, ſondern dieſelbe war faſt allen 
jungen Leuten in Siena bekannt, weshalb auch häufig 
Aurelio mit ſeiner Iſabella darüber ſcherzte, in vollem 
Vertrauen auf die Keuſchheit und Treue ſeiner theuren 
Frau. Iſabella andererſeits war zwar aufs Beſte gefinnt, 


49. Siulio und Aurelio’s Frau. ‚MM 


theils wegen ihrer natürlichen guten Gemuthsart, theild 
wegen des liebevollen Betragend, das ihr Gatte ihr an- 
gebeihen ließ, aber dennoch misfiel es ihr nicht, fich von 
Giulio geliebt zu fehen, und betrachtete es gegenüber 
von andern Frauen als einen Vorzug, wiewol fie ſich 
ftellte, als kümmere fie ſich gar nicht darum, wie wir 
bad täglich fchöne Frauen können fo machen fehen; denn 
fo ſchön, reich, jung und ebel auch ihr Gemahl fein mag, 
fo fehr fie von ihm geliebt fein mögen, verfäumen ſie doch 
niemals, Alles ins Werk zu fegen, weshalb fie glauben 
von andern für fihön gehalten zu werden; und fo fhön 
fie auch die Natur mag hervorgebracht haben, fo beftreben 
fie fi ch doch künſtlich noch viel ſchöner zu erſcheinen; ja 
ſie würden ſich lieber arm und ſi ttenlos, als häßlich und 
alt nennen hören. Und fragt man eine ſolche, welche der⸗ 
gleichen Beſtrebungen verfolgen: Warum thuſt du das? 

Gleich antworten fie: Um meinem Mann zu gefallen. 
Wenn fie ihm aber ſchon gefallen, fo antworten fie:. 
Um fein Wohlgefallen zu erhalten. 

Und merken nicht, daf fie Vieles thun und treiben, 
was ihnen meit mehr misfällt, wie, daß fie fid) die Haare 
aus der Stirne raufen, hohe Schuhe tragen und der⸗ 
gleichen Dinge, welche die Schönheit eher beeinträchtigen, 
als erhöhen. Bei alle dem aber, um auf Giulio zurück⸗ 
zutehren, hatte er nie mehr, als einige ſeltene Liebes⸗ 
blide von ihr erhalten können. Er verfiel auf verfchie- 
dene Wege, um feine Liebe einem Ziel entgegenzuführen, 
wiewol er wenig Hoffnung babei hatte; aber ein Ver⸗ 
fahren gefiel ihm vorzugsweife und daran hielt er auch 
feft, nämlih ein gefälliges Weibchen zu ihr zu fchiden, 
um ihr auseinanberzufegen, wie er in Liebe für fie glühe. 
Er nahm fi) vor, bierbei keine Ausgabe zu ſcheuen. 
Da hörte es denn von einer gewiſſen Bonda, welche in 
Camollia wohnte, einer zu ähnlichen Leiſtungen feyr ge⸗ 
eigneten Perſon, denn fie hatte ihre Jugend im Dienſte 
der Liebe hingebracht und war nun aus Menſchenliebe 


AS XII. Giuſtiniano Reli. 


gern andern behilflich, die fie ebenfo hinbringen wollten; 
und fie hätte lieber die Meſſe nicht gehört, den Roſen⸗ 
franz nicht gebetet oder die Predigt verfäumt, als eine 
ihr aufgetragene Botſchaft eines Verliebten nicht beforgt, 
wiewol fie auch Fein Möonchskloſter einen ganzen Tag 
unbefucht läßt und wenig Veſpern gehalten werben, bie 
fie nicht gerne anhörte, wo fie denn immer die legte ift, 
welche die Kirche verläßt, um beffer zu bören und zu 
fehen, was diefer und jener junge Mann frricht und 
wen er ind Auge faßt und was Bafe fo und fo mit 
ihrer Nachbarin plaudert; mit allen bat fie zu thun, nie 
gehen ihr die Worte aus, immer weiß fie, was in der 
ganzen Stadt und in der Umgegend gefchieht. Dieſe 
alfo fuchte Giulio auf und fagte zu ihr: Mona Bonde, 
euer guter Ruf bat mich gelodt, gerne herzukommen 
und mid unter euren Schug zu ſtellen. Wie ihr wißt, 
ift es nun fo die Art der jungen Leute, daß fie verliebt 
find, und mein Unftern will, daß ich meine ganze Liebe 
auf ein Weib gerichtet habe, von der ich ohne eure Ver⸗ 
mittlung nie ein gutes Wort zu befommen hoffen Tann. 
Ihr allein alfo könnt mir helfen, in eure Hände lege 


ih mein Heil. Helft mir, ich bitte euch darum, und 


verfüge über mich, foweit ich vermag, über meine Habe 
und Perſon, denn ich bin nie undanfbar geweſen gegen 
folhe, die mir Wohlthaten erwiefen haben. Und weil 
ih eure Klugheit kenne, vertraue ich euch meine Liebe 
an, damit ihr fo gut feid und hingeht, mit Ifabella 
Aurelio's Frau zu ſprechen, wenn ihr fie kennt, und ihr, 
fo gut ihr immer könnt, mich empfehlt. 

Bonda fegte ſich darauf nieder und antwortete be- 
dachtig: Giulio, allerdings war es immer mein Beftreben, 
rechtichaffenen Männern Vergnügen zu verfchaffen, fomol 
wie ich jung war, ald auch jept, immer fo weit als Die 
Sittfamkeit zuließ. Aber fo wahr ber liebe Gott mir 
meine zwei Töchter erhalten möge, die der Stab meine, 
Alters find, ich babe ſolche Dinge nie gern gethan. 


4 35 


49. Giulio und Aurelio’s Frau. 49 


Und jegund‘ will ich die wenige Zeit, bie mir noch zu 
leben übrig bleibt, dazu anwenden, nach Ablaf zu gehen, 
Kirchen zu befuchen und Gott zu dienen. Gott weiß, 
daß ich vielmals um bergleichen bin angegangen worden, 
und um meine eigenen Töchter, denen ich aber niemals 
ein Wörtchen davon fagen mochte. Allerdings, wenn fie 
von felber fich einmal -einen Freund erbeutet haben, bald 
um "einen langen Schlafrod, bald um ein Paar Armel 
zu erhalten, da habe ich fie machen laſſen, denn ich 
meinestheild will nicht in der andern Welt barüber 
Rechenſchaft zu geben auf mich nehmen. Und ich fage 
dir, ich glaube, ich habe einen fo guten Willen, al nur 
irgend eine meines leihen. Du fagft mir, ob ich 
Aurelio und feine Frau kenne. Ei welche Frau oder 
Mädchen von zehn Jahren und drüber gibt es in dieſer 
Stadt, verheirathete oder unverheirathete, die ich nicht 
fenne? Es gibt wenige Häufer von Bürgern, wo ich 
nicht befannt wäre und aus⸗ und einginge wegen ber 
Spinnerei, die ich freibe, denn ich mag nicht, daß mir 
irgend fonft eine die Spindel aus der Hand nehme, 
Ich flide Hemden für Studenten, Kapuzen für Mönche, 
warte Nonnen auf; in der Sapienz und in der Stadt 
ift fein Stubent, der mich. nicht kennt, bei Sanct Franz, 
Sanıt Dominicus und Sanct Auguftin fein Mönkh, in 
deſſen Zelle ich nicht taufendb mal gewefen bin; von ben 
Nonnen fage ih nichts; benn ohne Dispens habe ich 
Einlaß in alle Kofler, mit Gottes Hilfe bin ih nun 
mehr überall befannt. Wiffe überdies, daß deine Mutter 
mic fo lieb gehabt hat, Daß ichs gar nicht fagen kann; 
und alle Gefchente, die fie deiner Schwefter Ginevra ge. 
geben, habe ich mit diefen Händen gefponnen. O wie 
viel Gutes habe ich von jener Frau genoffen, Gott habe 
fie felig! Aber feit fie tobt ift, da ihr Leine Frauen 
mehr im Haufe habt, mochte ich nicht mehr hinkommen, 
md ed wundert mich nicht, dag du dich daran nicht 
erinnerft oder darauf befinnft, denn vor drei Jahren 
Staliänifcher Novellenſchatz. IE, 3 


so XIII. Giuſtiniano Relli. 


warſt du noch ein Knabe, jetzt biſt du ein ſchöner Züng- 
ling geworben. Ei wie groß biſt du! Du gleichft bei- 
nem Großvater, der war der fchönfte junge Mann in 
Sima. Gott fegne dih, mein Sohn! Sa, ich wäre fehr 
ungerecht und müßte die empfangenen Wohlthaten ver- 
geffen Haben, wenn ich div nicht dienen möchte, foweit 
ih kann. Wiewol ed nicht mein Gewerbe ift, dir zu 
Liebe will ich mein Leben daran fegen, und ich fage dir 
fogar, daß, wenn du mid, felbft um meine eigene Töchter 
angegangen hätteft, hätte ich kaum nein fagen können, 
fo groß ift die Neigung und Xiebe, bie ich für dein Haus 
gehegt habe und noch hege. 

Diefer Schluß Bonda's hatte Giulio ganz erheitert, 
während er bisher fehr zweifelhaft geweſen war, bei feiner 
Unkenntniß folcher Xeute, welche Keufchheit predigen und 
denen boch Fein Verbrechen zw groß fiheint, wenn es 
überhaupt ein Verbrechen heißen Tann, verliebte junge 
Leute zu unterftügen. Ihre Reben gaben ihm alfo Muth 
und er eröffnete ihr ausführlicher feine Geſinnung; nach⸗ 
dem fie hiernach verabredet hatten, daß fie am folgenden 
Tage fie auffuchen folle, nahm er von ihr Abfchied. 
Am andern Tage kurz nah der Veſper, als Aurelio 
nicht zu Haufe war, verfügte fih Bonda zu Sfabella, 
trat ing Haus, erkundigte fi) nach der Hausfrau und 
ging ‚weiter in den Saal, wo bei ihrer Ankunft Sfabella, 
welche fie nicht kannte, micht wenig verwundert war, 
daß fie fo ohne Umftände ihr ind Haus komme. Daber 
fragte fie, was fie fuche. Bonda hatte feinen Faden 
zu Handtüchern zu verkaufen bei fih und antwortete, 
man habe ihr, gefagt, fie bedürfe welchen. Damit z0g 
fie aus dem Armel eine Beine Schachtel mit etwa vier 
Koth Faden zu einem Gulden das Loth hervor, zeigte es 
ihre, fing ein langes Geſpräch darüber an, fegte ihr aus- 
einander, wie nützlich es ſei, ſolche Handtücher zu machen, 
erzählte ihr, wie viele fie folche verkauft habe, flocht dann 
ein, wie fie mit ihrer ‚Mutter fei befreundet gewefen, 


zz, Ss zu z„ KU URR FAT 7 bu Ze 


49. Biulio und Aurelio's Kran. 51 


welche Gefaͤlligkeiten ſie von ihr empfangen babe and 
viel dergleichen Zeug. Darauf fügte ſie hinzu: O welch 
ein trauriges Leben iſt das doch heutzutage! Wie keck 
find die jungen Leute jetziger Zeit! Während ich ba in 
euer Haus ging, kam mir ein junger Menfch, ben ich 
nur dem Ramen nad tenne, er.beift Giulio, ber war 
fo frech mir zu fagen, ob ich ihn mit ins Haus nehmen 
wolle, er wolle unter meinen Rod ſchlüpfen. Gott ver⸗ 
damm' ihn! Seht, was das für artige Streiche ſind! 

Iſabella antwortete nichts hierauf, lächelte mur etwas, 
ließ fich aber nicht einfallen, worauf das alles abziele. 
Bonda faßte dadurch neuen Muth und fuhr fort: Gott 
erhalte euch! Ihr kommt mir fchöner vor, als je, und 
feid frifch und voll wie eine Rofe und doch noch fo jung! - 
Ich erinnere mich, wie von geftern her, daß euch eure 
Mutter in die Meſſe mitnahm und überall, wohin fie 
ging. Und was fagt ihr dazu, dag er auch noch fo 
* war mir zu ſagen: Empfehlt mich der Frau vom 

aufe! 

Und noch viel Anderes, was ich euch nicht fagen mag. 

Iſabella war ganz verwirrt; es machte ihr wohl 
Freude ‚ von Giulio ſprechen zu hören, da fie mußte, 
wie fehr er fie liebe, doch fürchtete fie mit diefer Frau 
davon zu reden, um keine Irrungen zu veranlaffen; fie 
traute ihr nicht und fchmählte am Ende Bonda mit 
fpröden Werten mit bem Beifügen, nie mehr in ihr 
Haus zu kommen. Bonda erwiderte, entfchuldigte ſich 
und ig nicht nad, Bis fie fie begütigt hatte, worauf 
fie mwegging mit dem Verſprechen wiederzukommen unb 


andern fhönern Faden mitzubringen. Gie ſuchte Giulio 


auf, erzählte ihm den ganzen Dergang und ſprach ihm 

zu, gutes Muthes zu fein ; denn es fei die Art aller 

Frauen, in folchen m immer abzufchlagen, fo germ 

fie auch weiten. Gr folle nur fie machen laſſen, in 

merigen Tagen werde fie ihn zufriebenftellen. Beil aber 

im ganzen Rande Soldaten feien, habe fie das Korn, 
3* 


32 XIII. Giuſtiniano Reli. 


das fie von einem Landmann im Arbiathale gekauft habe, 
nicht kommen laſſen koͤnnen, und er würde fie ſehr ver⸗ 
binden, wenn er ihr etwas Korn oder Mehl leihen wollte. 
Giulio, der ſchon fo weit zu leſen verſtand, ſagte, hieran, 
wie auch an Wein und Sonſtigem werde er es ihr nie 
fehlen laſſen, ſie ſolle nur allen ihren Fleiß anwenden, 
er werde ſie gewiß zufriedenſtellen. Sie verſprach ihm 
von Neuem und nur noch eindringlicher das Beſte, und 
nahm Abſchied voll Freude im Gedanken an das Mehl, 
das ſie gewonnen hatte. Giulio ſandte ihr an demſelben 
Abend einen Sack Mehl und ein Fäßchen Wein und 
erinnerte ſie an ihre Arbeit. Mona Bonda ging am 
folgenden Tag um dieſelbe Stunde zu Iſabella und 
brachte ihr gebleichten Zwirn und Borten zum Geſchenk 
und eine Flaſche ſehr wohlriechendes Geſichtswaſſer mit 
etwas Zwirn ähnlich wie ber frühere. Als fie kam, 
machte’ ihre Iſabella nicht eben das befte Geſicht; fie aber 
fagte- ganz heiter und Lächelnd: Madonna, ich babe feit 
geftern mich vielfach betrübt, wenn ich daran dachte, . 
wie ihr, um nichts, kann man faft fagen, euch erzürnt 
habt. Es ift fo meine Art, mit fo fchonen Frauen, 
wie ihr, immer zu plaudern, und ich würde mit euch 
um nichts zürnen, was ihr auch fagen wolltet. Ich bitte 
euch daher, macht es mit mir ebenfo, und feid verfidert, 
fobald ihr mich kennt, fo wird es euch nicht unangenehm 
fein, wenn ich euch manchmal befuche, denn ich Tann 
euh in Manchem helfen. Ic habe Geheimmittel, um 
Haare zu vertilgen, wo man will, fobaß fie nie wieder 
kommen. Ich kann Geſichtswaſſer machen von verfchie- 
dener Art, Hell wie Kryftall, und ich mache folhes, das 
bas Geſicht fchön und frifch erhält, wie ihr feib, anderes, 
das glänzen macht wie Elfenbein, wieber anderes, das 
die Hautrungeln zufammenzieht, was. ihr freilich nicht 
nöthig habt. Ich kann ſublimirtes Queckſilber bereiten, 
ich brauche einen Gratino oder fonft einen Apotheker 
bazu, was freiliäh nicht viel heißen will, denn das find 


49. Giulio und Aurelio's Frau. 33 


nur Schminken für die Unverſtaͤndigen. Und damit ihr 
mir glaubt, will ich's euch mit ber That beweifen, nicht 
allein mit Worten. 

Damit zog fie ein Flaͤſchchen hervor und gab es ihr 
in die Hand. 

Nehmt das, Sprach fie, als Andenken von mir! Es 
iſt das, von dem ich zuerft gefprochen habe. 

Darauf gab fie ihr den Zwirn und die Borten und 
fagte: Und das gehört auch euch; diefer Tage hat mirs 
eine Nonne von Santo Profpero gewiefen, mit der ich 
gut bekannt bin, aber ich brauche es nicht und wüßte 
es nicht beffer anzubringen, als bei euch. 

Iſabella betrachtete die Sachen, die ihr ausnehmend 
wohlgefielen, und die Alte hatte fie.fo mit Worten um- 
ſtrickt, daß fie ihr ‚nichts anderes zu erwibern wußte, als, 
daß fie nicht zornig fei und daß fie dieſe Sachen gern 
annehme. Sie dankte ihre und verficherte fie, fie bürfe 
ſich auf fie verlaffen. Sie rief die Magd, ließ ihr zwei 
Köslaide geben und fagte: Ihr müßt in dieſem Faſching 
mir zu Liebe die Bluttorten machen. 

Sie dachte nicht daran, wohin dieſe Freigebigkeit 
führen werde. Mutter Bonda kehrte zu ihrem Zwirn 
zurück und flocht dann ben Giulio ein mit ber Frage, 
ob es ihr Better fei, da er fo eifrig nach ihr fi er- 
Tundige. Iſabella antwortete nun allmälig und ſetzte 
auseinander, wie fehr fich Diejenigen verfündigen, bie 
ihren Ehemännern die Treue brechen, und fie würde 
fih lieber umbringen laffen, als daß fie fich Hierzu ver- 
ſtaͤnde. Bonda entgegnete darauf: Ihr ſprecht Hier für⸗ 
wahr ganz wie eine rechtſchaffene Frau und ich gehöre 
auch zu denen, die ‚hiervon nie ein Wort hören wollten. 
Aber wenn unfere Männer fo viel Rückſicht auf uns 
nähmen, wie fie e8 von und gegen fie verlangen, To 
wäre bad noch weit vernünftiger. Dagegen fehe ich, bie 
Frau mag fhön oder haͤßlich fein, wie fie cher mit Einer 
Hand, als mit Einer Frau ſich begnügen würden, und 


52 XIII. Siuftiniano Reli. 


das fie von einem Landmann im Arbiathale gekauft habe, 
nicht kommen laffen können, und er würde fie fehr ver- 
binden, wenn er ihr etwas Korn oder Mehl leihen wollte. 
Giulio, der ſchon fo weit zu leſen verfland, fagte, hieram 
wie auh an Wein unb Sonftigem werbe er es ihr nie 
fehlen Laffen, fie folle nur allen ihren‘ Fleiß anwenden, 
er werde fie gewiß zufriebenftellen. Sie verfprach ihm 
von Neuem und nur noch eindringlicher das Beſte, und 
nahm Abſchied voll Freude im Gedanken an das Meht, 
das fie gewonnen hatte. Biulio fandte ihr an demfelben 
Abend einen Sıd Mehl und ein Fäßchen Wein und 
erinnerte fie an ihre Arbeit. Mona Bonda ging am 
folgenden Tag um biefelbe Stunde zu Ifabella und 
brachte ihr gebleichten Zwirn und Borten zum Gefchent 
und eine Flaſche fehr wohlriechendes Geſichtswaſſer mit 
etwas Zwirn ähnlich wie der frühere. Als fie kam, 
machte ihre Iſabella nicht eben das befte Geſicht; fie aber 
ſagte ganz heiter und lächelnd: Madonna, ich babe feit 
geftern mich vielfach betrübt, wenn ich daran dachte, 
wie ihr, um nichts, kann man faft fagen, euch erzürmt 
habt. Es ift fo meine Art, mit fo fhonen Frauen, 
wie ihr, immer zu plaudern, und ich würde mit euch 
um nicht zürnen, was ihr auch fagen wollte. Ich bitte 
euch daher, macht es mit mir ebenfo, und feib verfichert, 
fobald ihr mich kennt, fo wirb es euch nicht unangenehm 
fein, wenn ich euch manchmal befuche, denn ich Tann 
euh in Manchen helfen. Ich babe Geheimmittel, um 
Haare zu vertilgen, wo man will, fobaß fie nie wieder 
kommen. Sch kann Gefichtsmaffer machen von verfchie- 
dener Art, hell wie Kruftall, und ich mache folches, das 
das Geſicht fhön und frifch erhält, wie ihr ſeid, anderes, 
das glänzen macht mie Elfenbein, wieder anderes, das 
bie Hautrunzeln zufammenziceht, was. ihr freilich nicht 
nöthig habt. Ich kann fublimirtes Queckſilber bereiten, 
ich brauche Leinen Gratino oder fonft einen Apotheker 
dazu, was freilich nicht viel heißen will, denn das find 


t 


4. Giulio und Aurelio's Frau. 33 


nur Schminken für die Unverfländigen. Und bamit ihr 
mir glaubt, will ich's euch mit der That bemeifen, nicht 
allein mit Worten. 

Damit zog fie ein Fläfhchen hervor und gab. e& ihr 
in die Hand. 

Nehmt das, Sprach fie, ald Andenken von mir! Es 

iſt das, von dem ich zuerfi gefprochen habe. 
Darauf gab fie ihr den Zwirn und die Borten und 
| fagte: Und das gehört auch euch; diefer Tage hat mirs 
eine Nonne von Santo Proſpero gewiefen, mit der ich 
gut bekannt bin, aber ‚ich brauche es nicht und wüßte 
ed nicht beffer anzubringen, als bei euch. 

Ifabella betrachtete die Sachen, die ihr ausnehmend 
wohlgefielen, und die Alte hatte fie-fo mit Worten um- 
ſtrickt, daß fie ihr nichts anderes zu erwidern wußte, ale, 
daß fie nicht zornig fei und daß fie Diefe Sachen gern 
annehme. Sie dankte ihr und verficherte fie, fie bürfe 
ſich auf ſie verlaſſen. Sie rief die Magd, ließ ihr zwei 
Käslaibe geben und ſagte: Ihre müßt in dieſem Faſching 
mir zu Liebe bie Bluttorten machen. 

Sie dachte nicht daran, wohin diefe Freigebigfeit 
führen werde. Mutter Bonda kehrte zu ihrem Zwirn 
zurück und flocht dann den Giulio ein mit der Frage, 
ob es ihr Vetter ſei, da er ſo eifrig nach ihr ſich er⸗ 
kundige. Iſabella antwortete nun allmälig ‚und ſetzte 
auseinander, wie fehr fich diejenigen verſündigen, die 
ihren Chemännern die Treue brechen, und fie würde 
ſich lieber umbringen laffen, als daß fie ſich Hierzu ver- 
ftände. Bonda entgegnete barauf: Ihr fprecht hier für- 


“ wahr ganz wie eine rechtſchaffene Frau und ich gehöre 


auch zu denen, die hiervon nie ein Wort hören wollten. 
Aber wenn unfere Männer fo viel Rückſicht auf ‚uns 
nähmen, wie fie ed von und gegen fie verlangen, fo 
wäre das noch weit vernünftiger. Dagegen fehe ich, bie 
Frau mag ſchön oder häßlich fein, wie fie eher mit Einer 
Hand, als mit Einer Frau fich begnügen würden, und 


34 AII. Giuſtiniano Relli. 


ſich den ganzen Tag bald mit ber Haushälterin, bald 
mit der Magd, bald mit der Pächterin und taufend 
andern Sudeldirnen einlaffen. Ja, was noch mehr ifl, 
am Abend rühmen ſich bie Männer deffen vor einander 
in den Schenken und das Gefeg erlaubt ihnen, daß fie 
hierüber nicht zur Nechenfchaft gezogen werden Tonnen, 
während die armen unglüdlichen Frauen, wenn fie fi 
nur ein paar Male am Fenfter zeigen, gleich in Aller 
Mund find. So mahr Gott Iebt, das ift eine Unge⸗ 
rechtigkeit; und wenn ich wieder jung würbe, ſo weiß 
ih gewiß, daß mir Fein Wunſch unbeffiedigt bleiben 
follte. Allerdings, da die Frauen fo großer Beſchämung 
ausgefegt find, thun fie wohl daran, mit Vorficht zu 
Werke zu gehen, mit Heimlichkeit und mit Leuten, die 
der Mühe werth find, wie eben jener junge Mann, von 
dem wir foeben fprachen. ch bin überzeugt, daß eine 
Frau, die es fo macht, mie ich gefagt habe, nur bazu 
beiträgt, die Sünden ihres Mannes in der andern Welt 
zu tilgen; denn wenn der Mann einmal feine Pflicht 
gegen bie Frau nicht einhält und die Frau fich ebenfalls 
verforgt, fo ift Mar, daß ſi e quitt ſind und ſo hat keines 
von beiden gefehlt. 

Iſabella konnte hierbei kaum das Lachen halten, ſtellte 
ſi ch jedoch äußerlich verwirrt und ſprach: Ihr redet, wie 
ein Magiſter der Theologie; aber es iſt doch lauter un⸗ 
verſtaͤndiges Zeug, Bonda! Ber es thun will, mag's 
thun; ich aber meines Theils bin entſchloſſen, ich will 
mit keinem Mann zu ſchaffen haben, als mit meinem 
Aurelio, und will auch nicht wiſſen, ob er mit andern 
Weibern zu ſchaffen hat. 

Bonda antwortete hierauf und Iſabella entgegnete 
wieder, bis endlich Bonda mit der Erklärung hervortrat, 
ſie gehe nicht hinweg, bis ſie ihr eine Antwort an Giulio 
aufgetragen babe, damit er fie nicht weiter belaͤſtige. 
Darauf verfegte Iſabella, als wollte fie fie zurechtweifen, 
fie folle ihm fagen, fie werde diefe Dinge nicht thum 


49. Siulio und. Aurelio’s Frau. 55 


ohne Erlaubniß ihres Gatten, und menn er fie ſprechen 
wolle, folle er zu einer Zeit zu ihr kommen, wenn Au⸗ 
relio zu Haufe fei, dann wolle fie ihn anhören, fonft 
nicht. Bonda meinte, dad fei Feine Antwort, die fie 
gebrauchen könne, und hielt an mit Bitten. Sfabella 
entließ fie aber und ging in ihre Kammer. Bonda Fehrte 
zu Giulio zurüd und verlangte von ihm vorerft zwei 
Ducaten, bie fie ausgegeben habe für Waffer, Zwirn 
und Borten, die fie feiner Iſabella gefchentt, und fagte 
ihm fodann, fie werde ihm etwas fagen, was ihn glüd- 
lich machen werde. Giulio griff in die Börfe und gab 
ihr zwei Goldducaten mit ber Bitte, ihm zu fagen, was 
fie ausgerichtet babe. Bonda berichtete fofort umftändlic, 
alle ihre Gefpräche mie Iſabella, flocht audy noch man⸗ 
ches aus dem Kopfe ein und fagte ihm dann den Schluß 
ihres Befuches. 

Und in wiefern, antwortete Giulio, wird mich das 
gludtih machen, wenn ih von ihrem Mann dazu Er» 
laubniß einholen fol? | 

& habe mir eine gute Art ausgebacht, fagte Bonda, 
wie du ins Haus kommen folift, und der Ehemann foll 
dich felbft zu ihr in Die Kammer bringen. Wenn bu 
bir aber dann nicht weiter zu helfen weißt, fo ift es 
deine Schuld. | 

Weiter will ich nicht, fagte Biulio. Sie erzählte ihm, 
was fie ausgedacht habe, und nun verabrebeten fie alles 
Erxforderlihe auf morgen. Um die Zeit des Jrühmahls 
hieß fie den Giulio ſich als Weib verkleiden nach Art 
einer Bäuerin, mit einem dicken Zuce auf dem Kopf, 
und darüber ein Knäuel Werg, einen filbernen Ring 
am Finger, einen NRoden an ber Seite, einen Korb am 
Arm und eine Alte hinter ſich, fo machte er fich auf 
den Weg nah der Strafe, die vom Shore herfam und 
auf Aureliv’d Haus zuführte. Als Fäme er zum Thore 
herein, trat er in Sfabella’$ Haus und ging hinauf in 
einen Saal, ohne zu rufen. Dort angelangt fing Giulio 


56 XIII. Giuftiniano Nelli. 


faſt weinend alſo zum Hausherrn zu ſprechen an: Ich 
flehe euch an, edler Herr, gewährt mir Sicherheit in 
eurem Hauſe! | 

Aurelio, in hohem Grade erftaunt, ſprach alfo: Ma- 
bonna, fürchtet euch nicht! Was habt ihr? 

Die Alte, welche ihn begleitete, übernahm das Wort, 
damit Giulio nicht erkannt werde. \ 

Edler Herr, fagte fie, wenn gleich diefe Frau ber 
Tracht nach eine Bäuerin zu fein fcheint, wie ich, foift 
fie dennoch von Abel und die Gemahlin von ... 

Hier nannte fie einen unferer Mitbürger, welcher feit 
ein paar Jahren von hier weggewejen mar. 

Mie ihe wißt, ift ihr Gatte auswärts und wünfchte, 
fie folle ebenfalls auf ihre Güter außer der Stadt kommen. 
Da nun aber auf Befehl der Achte angeordnet worden 
ift, daß kein Bürger oder Bürgerin die Stadt verlaffe, 
ift fie, um ihrem Mann zu gehorchen, auf den Einfall 
gefommen, diefe Kleidung anzulegen, um unerkannt zu 
bleiben. Sobald wir aber am Thore waren, fei ed, daß 
fie zu verlegen einherging oder mas für ein Unftern fonft 
über und waltete, die Wachen fingen an, fie fo feft ins 
Auge zu faffen, daß fie gut merkten, baf fie nicht vom 
Lande fei. Sa, einer von ihnen fagte zu ihr: Madonna, 
kehrt nur um und gebt euer Werg heim! Heut dürft 
ihre es nicht zum Spinnen tragen. Wenn ihr aber bei 
mir bleiben wollt, fo will ich euch nicht Werg, Tondern . 
Flache zu fpinnen geben. Wenn ich folche Pächterinnen 
hätte, die bebielte ich in Siena und ließe fie nicht auf 
bem Lande; meiner Treu, euer Geficht ift nicht der Art, 
als folltet ihe bei Bauern fchlafen. Darum bleibt ihr 
beffer in der Stadt. 

Wir antworteten nichts darauf, damit fie uns nicht 
beffer zu erkennen fuchen follten, kehrten eiligft um und 
find nun, ohne umzufehen, ob man uns nadeilt, bier 
in euer Haus geflüchtet, damit fie uns nicht erkennen, 
wenn wir nach) Hauſe gegangen wären und fie und nach⸗ 


49. Giulio und Aurelio’s Yrau. 57 


geſchickt und gefehen hätten, wohin wir gehen. Denn 
‚fonft Hätten fie die arme Frau zu taufend Ducaten ver- 
urtheilt, wie die Verordnung lautet. Wenn wir nun 
auch bier hereingefommen find, koͤnnt ihr ja jagen, wir . 
feien durch die Hinterthüre wieder hinaus und ihr habet 
und nicht gefehen; und es ift ja Bar, daß ihr Beine ſolche 
Frauen bei euch habt, die veranlaßt wären, in dieſer 
Weife Siena zu verlaffen. s 

Während die Alte dies ſprach, fand Giulio immer 
mit gefenktem Haupte da, that, als weinte er und hielt 
bald diefe, bald die andere Hand vor's Geficht, um nicht 
erfannt zu werben. Aurelio, ber ein Ehrenmann war, 
ließ fih von diefer Erzählung zu großem Mitleid rühren 
und befahl fogleih dem Burfehen, die Hausthüre zu 
ſchließen und niemanden ohne feine Erlaubniß zu öffnen. 

Madonna, fagte er, ed thut mir fehr leid, daß ihr 
auf fo unangenehme Weiſe berührt worden feid; bier 
aber dürft ihr ganz ohne Beforgniß fein. Ihr könnt fo 
lange bier bleiben, als wenn ihe meine eigene Schweſter 
wäret, und ich weiß niemand, ber euch hier aufjuchen 
würde. Ihre dürft daher nicht mehr weinen; niemand 
kennt euch; betrachtet euch bier ganz als zu Haufe! 
Iſabella wird nicht ermangeln, euch gute Geſellſchaft zu 
leiften. - 

Er wies hierauf feine Gattin an, in die Kammer 
zu gehen, ihn mitzunehmen und ihm alle mögliche Be: 
quemlichfeit zu verfchaffen, tröftete überdem die vermeint- 
liche rau, fo gut er konnte, und ging fodann hinweg 
und feinen Gefchäften nad. Iſabella trat mit der neu 
gebadenen Frau und mit der Alten in die Kammer und 
bat fie, fo gut fie konnte, fi es nicht mehr leid fein 
zu laſſen, fie fei jegt an einem Orte, wo fie ſich ficher 
nennen koͤnne. Die gute Alte wandte ſich, als es ihr 
Zeit fchien, zu Sfabella und zu ihrer Herrin und fagte: 
Madonna‘, es ift vielleicht beffer, wenn ich an das Klofter 
der heiligen Maria Magdalena gebe, um eurer Schweſter 

34% ' 





50 XIII. Giuſtiniano Relli. 


warſt du noch ein Knabe, jetzt biſt du ein ſchöner Jüng⸗ 
ling geworben. Ei wie groß biſt du! Du gleichſt dei⸗ 
nem Großvater, der war der ſchoͤnſte junge Mann in 
Siena. Gott ſegne dich, mein Sohn! Ja, ich waͤre ſehr 
ungerecht und müßte die empfangenen Wohlthaten ver⸗ 
geſſen haben, wenn ich dir nicht dienen möchte, ſoweit 
ich kann. Wiewol es nicht mein Gewerbe iſt, dir zu 
Liebe will ich mein Leben daran ſetzen, und ich ſage dir 
ſogar, daß, wenn du mich ſelbſt um meine eigene Töchter 
angegangen hätteft, hätte ich kaum nein ſagen können, 
fo groß ift die Neigung und Liebe, bie ich für dein Haus 
gehegt habe und noch hege. 

Diefer Schluß Bonda's hatte Giulio ganz erheitert, 
während er bisher fehr zweifelhaft gemefen war, bei feiner 
Unkenntniß folcher Leute, welche Keufchheit predigen und 
denen boch Fein Verbrechen zu groß fcheint, wenn es 
überhaupt ein Verbrechen heißen Tann, verliebte junge 
Leute zu unterftügen. Ihre Reden gaben ihm alfo Muth 
und er eröffnete ihr ausführlicher feine Gefinnung; nach⸗ 
dem fie hiernach verabredet hatten, daß fie am folgenden 
Tage fie auffuchen folle, nahm er von ihr Abfchied. 
Am andern Tage kurz nah der Veſper, als Aurelio 
nicht zu Haufe war, verfügte fih Bonda zu Sfabelle, 
trat ine Haus, erkundigte ſich nach der Hautfrau und 
ging ‚weiter in den Saal, wo bei ihrer Ankunft Sfabella, 
welche fie nicht Fannte, micht wenig verwundert war, 
daß fie fo ohne Umftände ihr ins Haus fomme. Daher 
fragte fie, mas fie ſuche. Bonda hatte feinen Faden 
zu Handtüchern zu verkaufen bei fi und antwortete, 
man habe ihr, gejagt, fie bedürfe welchen. Damit zog 
fie aus dem Armel eine Beine Schachtel mit etwa vier 
£oth Faden zu einem Gulden das Loth hervor, zeigte es 
ihe, fing ein langes Geſpraͤch darüber an, fegte ihr aus- - 
einander, wie nüglid es fei, foldhe Handtücher zu machen, 
erzählte ihr, wie viele fie ſolche verkauft habe, flocht dann 
ein, wie fie mit ihrer ‚Mutter fei befreundet gewefen, 








49. Giulio und Aurelio's Frau. 51 


weiche Gefaͤlligkeiten ſie von ihr empfangen babe And 
viel dergleichen Zeug. Darauf fügte ſie hinzu: O welch 
ein trauriges Leben iſt das doch heutzutage! Wie keck 
find die jungen Leute jegiger Zeit! Während ich ba in 
euer Haus ging, kam mir ein junger Menſch, ben idy 
nme dem Namen nad kenne, er. heißt Giulio, ber war 
fo frech mir zu fagen, ob ich ihm mit ins Haus nehmen 
wolle, er wolle unter meinen Nod ſchlüpfen. Gott ver⸗ 
damm' ihn! Seht, was das für artige Streiche ſind! 

Iſabella antwortete nichts hierauf, lächelte mır etwas, 
ließ fich aber nicht einfallen, worauf das alles abziele. 
Bonda faßte dadurch neuen Murh und fuhr fort: Gott 
erhalte euch! Ihr komme mir fchöner vor, als je, und 
feid friſch und voll wie eine Roſe und doch noch fo jung! 
Ich erinnere mid, wie von geftern her, daß euch eure 
Mutter in die Meffe mitnahm und überall, wohin fie 
sing. Und was fagt ihr dazu, daß er auch noch fo 
tel war mir zu fagen: Empfehlt mich der Frau vom 
Haufe! 

Und noch viel Anberes, was ich euch nicht fagen mag. 

Iſabella war ganz verwirrt; es machte ihr wohl 
Freude ‚ von Giulio ſprechen zu hören, ba fie mußte, 
wie fehr er fie liebe, doc, fürchtete fie mit diefer Frau 
davon zu reden, um keine Irrungen zu veranlaffen; fie 
traute ihr nicht und fchmählte am Ende Bonda mit 
fpröden Worten mit bem Beifügen, nie mehr in ihr 
Haus zu kommen. Bonda erwiderte, entfchuldigte ſich 
und ließ nicht nad, Bis fie fie begütigt hatte, worauf 
fie wegging mit dem Verſprechen wiederzukommen und 
andern ſchoͤnern Faden mitzubringen. Sie ſuchte Giulio 
auf, erzählte ihm dem ganzen Hergang und ſprach ihm 
zu, gutes Muthes zu. fein ; denn es ſei die Art aller 
Frauen, in ſolchen * immer abzufchlagen, ſo gern 
ſie auch wollten. Er ſolle nur ſie machen laſſen, in 
wenigen Tagen werde fie ihn zufriedenſtellen. Weil aber 
im ganzen Lande Soldaten feien, habe fie das Korn, 

3* 








52 XI. Giuftiniano Reli. 


das fie von eimem Landmann im Urbiathale gekauft habe, 
nicht kommen laffen können, und er würde fie ſehr ver- 
binden, wenn er ihr etwas Korn ober Mehl leihen wollte. 
Giulio, ber ſchon fo weit zu lefen verfland, fagte, hieran, 
wie auch an Wein und Sonftigem werde er: es ihr nie 
fehlen laſſen, fie folle nur allen ihren‘ Fleiß anwenden, 
er werde fie gewiß zuftiebenftellen. Sie verfpracdh ihm 
von Neuem und nur noch eindringlicher das Beſte, und 
nahm Abfchied voll Freude im Gedanken an das Mehl, 
das fie gemonnen hatte. Giulio fandte ihr an demſelben 
Abend einen Sad Mehl und ein Fäßchen Wein und 
erinnerte fie an ihre Arbeit. Mona Bonda ging am 
folgenden Tag um biefelbe Stunde zu Ifabella und 
brachte ihr gebleichten Zwirn und Borten zum Gefchent 
und eine Flaſche fehr mwohlriechendes Geſichtswaſſer mit 
etwas Zwirn ähnlich wie ber frühere. ALS fie kam, 
machte ihr Ifabella nicht eben das befte Geficht; fie aber 
fagte- ganz heiter und lächelnd: Madonna, ich habe feit 
geftern mich vielfach betrübt, wenn ich daran dachte, . 
wie ihre, um nichts, kann man faft fagen, euch erzürnt 
habt. Es ift fo meine Art, mit fo ſchönen Frauen, 
wie ihr, immer zu plaudern, und ich würde mit euch 
um nichts zürnen, was ihr auch fagen wollte. Ich bitte 
euch daher, macht ed mit mir ebenfo, und feib verfichert, 
fobald ihr mich Eennt, fo wird es euch nicht unangenehm 
fein, wenn ich euch manchmal befuche, denn ih Tann 
euch in Manchem helfen. Ich habe Geheimmittel, um 
Haare zu vertilgen, wo man will, fobaß fie nie wieder- 
fommen. Ich kann Geſichtswaſſer machen von verfchie- 
dener Urt, hell wie Kruftall, und ich mache folches, das 
das Geficht ſchoͤn und frifch erhält, mie ihr feib, anderes, 
das glänzen macht wie Elfenbein, mieber anderes, das 
die Hautrunzeln zufammenzicht, was. ihr freilich nicht 
nöthig Habt. Ich kann fuhlimirtes Queckſilber bereiten, 
ich brauche Leinen Gratino oder fonft einen Apotheker 
bazu, was freilich nicht viel heißen will, denn das find 


f 


49. Giulio und Aurelio’s Grau. 2 53 


nur Schminken für die Unverfländigen. Und damit ihr 
mir glaubt, will ich’8 euch mit der That beweifen, nicht 
allein mit Worten. 

Damit zog fie ein Fläfchchen hervor und gab. ee ihr 
in die Hanb. 

Nehmt das, ſprach fie, als Andenken von mir! Es 
. it das, von. dem ich zuerft gefprochen habe. 

Darauf gab fie ihr den Zwirn und die Borten und 
fagte: Und das gehört auch euch; dieſer Tage hat mirs 
eine Nonne von Santo Profpero gewiefen, mit ber ich 
gut bekannt bin, aber ‚ich brauche es nicht und wüßte 
es nicht beffer anzubringen, als bei euch. 

Iſabella betrachtete die Sachen, die ihr ausnehmend 
wohlgefielen, und die Alte hatte fie.fo mit Worten um- 
ſtrickt, daß fie ihe nichts anderes zu erwidern wußte, als, 
daß fie nicht zornig fei und daß fie diefe Sachen gern 
annehme. Sie dankte ihr und verficherte fie, fie dürfe 
ſich auf fie verlaffen. Sie rief die Magd, ließ ihr zwei 
Käslaibe geben und ſagte: Ihr müßt in dieſem Faſching 
mir zu Liebe die Bluttorten machen. 

Sie dachte nicht daran, wohin dieſe Freigebigkeit 
führen werde. Mutter Bonda kehrte zu ihrem Zwirn 
zurück und flocht dann den Giulio ein mit der Frage, 
ob es ihr Vetter ſei, da er ſo eifrig nach ihr ſich er⸗ 
kundige. Iſabella antwortete nun allmälig und ſetzte 
auseinander, wie fehr fich diejenigen ' verfünbdigen, die 
ihren Chemännern die Treue brechen, und fie würde 
fih lieber umbringen laffen, als daß fie fich Hierzu ver- 
ftände. Bonda entgegnete darauf: Ihr ſprecht hier für- 
wahr ganz wie eine rechtſchaffene Frau und ich gehöre 
auch zu denen, die hiervon nie ein Wort hören wollten. 
Aber wenn unſere Männer fo viel Rückſicht auf uns 
nähmen, wie fie es von und gegen fie verlangen, To 
wäre das noch weit vernünftiger. Dagegen ſehe id, bie 
Frau mag ſchön oder haßlich fein, wie fie cher mit Einer 
Hand, ale mit Einer Frau fi begnügen würden, und 





534 XIH. Giuftiniano Relli. 


fi den. ganzen Tag bald mit ber Haushalterin, bald 
mit ber Magd, bald mit der Pächterin und taufend 
andern Subeldirnen einlaffen. Ja, was noch mehr ifl, 
am Abend rühmen ſich die Männer deſſen vor einander 
in ben Schenken und das Gefeg erlaubt ihnen, daß fie 
hierüber nicht zur Rechenſchaft gezogen werden können, 
während die armen unglüdlihen Frauen, wenn fie fi 
nur ein paar Male am Fenſter zeigen, gleich in Aller 
Mund find. So wahr Gott Iebt, das ift eine Unge⸗ 
rechtigkeit; und wenn ich wieder jung würde, .fo weiß 
ih gewiß, daß mir kein Wunſch unbefkiedigt bleiben 
follte. Allerdings, da die Frauen fo großer Beſchaͤmung 
ausgefegt find, thun fie wohl daran, mit Vorficht zu 
Werke zu gehen, mit Heimlichkeit und mit Leuten, bie 
der Mühe werth find, wie eben jener junge Mann, von 
dem wir foeben fprachen. Ich bin überzeugt, daß eine 
Frau, die es fo macht, wie ich gefagt habe, nur bazu 
beiträgt, die Sünden ihres Mannes in ber andern Welt 
zu tilgen; denn wenn ber Mann einmal feine Pflicht 
gegen die Frau nicht einhält und die Frau fich ebenfalls 
verforgt, fo ift Mar, daß fie quite find und fo hat keines 
von beiden gefehlt. 

Iſabella konnte hierbei kaum das Lachen halten, ftelite 
fich jedoch äußerlich verwirrt und ſprach: Ihr redet, wie 
ein Magifter der Theologie; aber es iſt doch lauter un⸗ 
verftändiges Zeug, Bonda! Mer es thus will, mag's 
thun; ich aber meines Theils bin entfchloffen, ich will 
mit keinem Mann zu fehaffen haben, als mit meinem 
Aurelio, und will auch nicht wiffen, ob er mit andern 
Weibern zu fchaffen hat. 

Bonda antwortete hierauf und Iſabella entgegnete 
wieder, bis endlich Bonda mit ber Erklärung hervortrat, 
fie gehe nicht hinweg, bis fie ihr eine Antwort an Giulio 
aufgetragen babe, damit er fie nicht weiter beläflige. 
Darauf verfegte Iſabella, als wollte fie fie zurechtweifen, 
fie folle ihm fagen, fie werde diefe Dinge nicht thum 


49. Siulio und. Aurelio's Frau. 55 


ohne Erlaubniß ihres Gatten, und wenn er fie ſprechen 
wolle, folle er zu einer Zeit zu ihr tommen, wenn Au⸗ 
relio zu Haufe fei, dann wolle fie ihn anhören, fonft 
nicht. Bonda meinte, das fei keine Antwort, die fie 
gebrauchen könne, und hielt an mit Bitten. Iſabella 
entließ fie aber und ging in ihre Kammer. Bonda kehrte 
zu Giulio zurück und verlangte von ihm vorerſt zwei 
Ducaten, die ſie ausgegeben habe für Waſſer, Zwirn 
und Borten, die ſie ſeiner Iſabella geſchenkt, und ſagte 
ihm ſodann, ſie werde ihm etwas ſagen, was ihn glück⸗ 
lich machen werde. Giulio griff in die Börfe und gab 
ihr zwei Goldducaten mit der Bitte, ihm zu fagen, mas 
fie ausgerichtet Habe. Bonda berichtete fofort umſtaͤndlich 
alle ihre Gefpräche mit Iſabella, flecht au noch man⸗ 
ches aus dem Kopfe ein und fagte ihm dann den Schluß 
ihres Beſuches. 

Und in wiefern, antwortete Giulio, wird mich das 
glücklich machen, wenn id) von ihrem Mann dazu Er- 
laubniß einholen fol? | 

Ich habe mir eine gute Art ausgedacht, fagte Bonda, 
wie du ind Haus kommen follft, und der Ehemann foll 
dich felbft zu ihr in die Kammer bringen. Wenn bu 
bir aber dann nicht weiter zu helfen weißt, fo iſt «6 
deine Schuld. 

Weiter will ich nicht, fagte Giulio. Sie erzählte ihm, 
was fie ausgedacht habe, und nun verabrebeten fie alles 
Erforderlihe auf morgen. Um die Zeit des Frühmahls 
hieß fie den Giulio ſich als Weib verkleiden nach Art 
einer Bäuerin, mit einem dien Tuche auf dem Kopf, 
und darüber ein Knäuel Werg, einen filbernen Ring 
am Finger, einen Noden an der Seite, einen Korb am 
Arm und eine Alte hinter fih, fo machte er fih auf 
den Weg nach der Straße, die vom Thore herfam und 
auf. Aureliv’d Haus zuführte. : Als käme er zum Thore 
herein, . trat er in Iſabella's Haus und ging hinauf in 
einen Saal, ohne zu rufen. Dort angelange fing Giulio 


56 XIN. Siuftiniano Reli. 


faft weinend alfo zum Hausheren zu fprehen an: Ih 
fiehe euch an, ebler Herr, gewährt mir Sicherheit in 
eurem Haufe! | 

Aurelio, in hohem Grade erftaunt, ſprach alfo: Ma- 
donna, fürchtet euch nicht! Was habt ihr? 

Die Alte, welche ihn begleitete, übernahm bas Wort, 
damit Giulio nicht erfannt werde. \ 

Edler Herr, fagte fie, wenn gleich biefe Frau der 
Tracht nach eine Bäuerin zu fein fcheint, wie ich, fo ift 
fie dennoch) von Adel und die Gemahlin von ... 

Hier nannte fie einen unferer Mitbürger, welcher feit 
ein paar Jahren von hier weggewefen war. 

Wie ihr wißt, ift ihr Gatte auswärts und wünfchte, 
fie folle ebenfall® auf ihre Güter außer der Stadt fommen. 
Da nun aber auf Befehl der Achte angeorbnnet worden 
ift, daß Fein Bürger oder Bürgerin die Stadt verlaffe, 
ift fie, um ihrem Mann zu gehorchen, auf den Einfall 
gefommen, diefe Kleidung anzulegen, um unerkannt zu 
bleiben. Sobald wir aber am Thore waren, fei es, daß 
fie zu verlegen einherging oder was für ein Unftern fonft 
über uns waltete, die Wachen fingen an, fie fo feft ins 
Auge zu faffen, daß fie gut merften, daß fie nicht vom 
Sande fei. Ja, einer von ihnen fagte zu ihr: Madonna, 
kehrt nur um und gebt euer Werg heim! Heut dürft 
ihre es nicht zum Spinnen tragen. Wenn ihr aber bei 
mir bleiben wollt, fo will ih euch nicht Werg, Tondern . 
Flachs zu fpinnen geben. Wenn ich folche Wächterinnen 
hätte, die behielte ich in Siena und ließe fie nicht auf 
dem Lande; meiner Treu, euer Geficht ift nicht der Art, 
als folltet ihe bei Bauern fchlafen. Darum bleibt ihr 
beffer in der Stadt. 

Wir antworteten nichts darauf, damit fie uns nicht 
beſſer zu erkennen fuchen follten, kehrten eiligft um und 
find nun, ohne umzufehen, ob man uns nadeilt, hier 
in euer Haus geflüchtet, damit fie uns nicht erfennen, 
wenn wir nad) Haufe gegangen wären und fie und nach⸗ 





49. Giulio und Aurelio's Frau. 57 


gefchiddt und gefehen hätten, wohin wir geben. Denn 
- ‚fonft Hätten fie die arme Frau zu taufend Ducaten ver- 
. urtheilt, wie die Verordnung lautet. Wenn wir nun 
auch bier hereingefommen find, Tönnt ihr ja fagen, wir . 
feien durch die Hinterthüre wieder hinaus und ihr habet 
und nicht gefehen; und es ift ja Bar, daß ihr keine ſolche 
Frauen bei euch habt, bie veranlaßt wären, in diefer 
Weiſe Siena zu verlaffen. n 

Während die Alte dies fprach, ftand Giulio immer 
mit gefenttem Haupte ba, that, als weinte er und hielt 
bald diefe, bald die andere Hand vor's Geficht, um nicht 
. erfannt zu werben. Yurelio, ber ein Ehrenmann war, 
ließ fih von diefer Erzählung zu großem Mitleid rühren 
und befahl fogleih dem Burſchen, die Hausthüre zu 
fihliegen und niemanden ohne feine Erlaubniß zu öffnen. 

Madonna, fagte er, ed thut mir fehr leid, daß ihr 
auf fo unangenehme Weife berührt worden feid; bier 
aber dürft ihr ganz ohne Beforgnif fein. Ihr Eönnt fo 
lange hier bleiben, als wenn ihr meine eigene Schweiter 
wäret, und ich weiß niemand, der euch hier auffuchen 
würde. Ihe dürft daher nicht mehr meinen; niemand 
kennt euch; betrachtet euch bier ganz als zu Haufe! 
a wird nicht ermangeln, euch gute Geſellſchaft zu 
leiſten 

Er wies hierauf ſeine Gattin an, in die Kammer 
zu geben, ihn mitzunehmen und ihm alle mögliche Be⸗ 
quemlichkeit zu verfchaffen, tröftete überdem die vermeint- 
liche Frau, fo gut er konnte, und ging fodann hinweg 
und feinen Gefchäften nad. Ifabella trat mit der neu 
gebadenen Frau und mit der Alten in die Kammer und 
bat fie, fo gut fie konnte, fi es nicht mehr leid fein 
zu laffen, fie fei jegt an einem Orte, wo fie fich ficher 
nennen Tonne. Die gute Alte wandte fih, als ed ihr 
Zeit ſchien, zu Sfabella und zu ihrer Herrin und fagte: 
Madonna‘, ed ift vielleicht beffer, wenn ich an das Klofter 
der heiligen Maria Magdalena gehe, um eurer - Schweſter 

3* 


66 XIV. Luigi Alamanni. 


Mahlzeit wurden nach Landesfitte in den reichſten Ge⸗ 
fäaͤßen GSranatäpfel aufgetragen, melde in jener Gegend 
ſehr fchön wachſen, um damit den Mund von bem- ver« 
fchiedenen rüdbleibenden Gefhmad der vielen Speifen 
zu reinigen. Der Graf hatte auch einige davon genom- 
men und zufällig war ihm einer aus der Hand entwifcht, 
was er alsbald bemerkte, und, wie er felbft hernady und 
viele andere, welche es gefehen hatten, verficherte, faßte 
er, um bie Leichtigkeit und Gewandtheit feiner Hand zu 
zeigen, denfelben fehr gefchickt auf, noch ehe er den Boden 
berührt hatte, und führte ihn zum Mund. Die junge 
- Braut, fei es, daß das Schidfal fie dazu genöthigt, oder 
dag wirklich die Handlung an fich ihr eines vornehmen 
Mannes unmürdig fehien, Zurz fie war darüber in ihrem 
Herzen fehr beunruhigt und ftellte bei fich felbft im Stil- 
len folgende Überlegung an: Da haben wird nun, was 
ih fo oft habe fagen Hören und zwar von Leuten, bie 
wohl ein Urtheil darüber hatten, daß die Catalonier bie 
filzigften, dürftigſten Menfchen des Abendlandes find. 
Ih habe zwar an bdiefem manche Eigenfchaften gefehen, 
die nicht für Gatalonien paſſen; doc, könnte es mol fein, 
daß er fich deshalb ſelbſt Zwang anthut, wie es Leute 
machen, welche andere zu täufchen fuchen, ein alter ge⸗ 
meiner Brauch in Catalonien. Es verräth aber einen 
armen Berftand, wenn man nicht wenigftens auf furze 
Zeit fich in das Betragen und die Worte eines Wadern 
hüllen kann, bis man feinen Plan zum Ziele geführt hat- 
und zu feiner Natur zurückkehren darf. Aber ber Geiz, 
die Mutter und Amme aller. Lafter, foll eben, wie ich 
von einem meiner Lehrer weiß, die verborgene Eigen- 
thümlichkeit haben, daß er ſich auch von dem geübteften 
Heuchler nicht verbergen läßt. Denn ber, defien Wefen 
fo befhaffen ift, ärgert fih nicht nur, wenn er felbſt 
das feinige ausgeben muß, fondern auch wenn er feine 
Feinde ihre Reichthümer allzufreigebig austheilen fieht, 
und fühlt Darüber größeren Unmuth, als ein Verfchwender, 


50. Die Gräfin von Zouloufe. 67 


wenn er fehen müßte, mie man ihm all feine Habe auf 
der Welt, geſchweige die eines andern, in widerrechtlichen. 
Befig nahme. Iſt der Graf von der Art, was foll dann _ 
aus mir werden? Und ganz ficher muß ich ihn für einen 
folchen halten, wenn ich denke, daß, wer im höchften Uber- 
fluß mit einer Frucht des: andern geizt, wol in der Noth 
noch weit geiziger fein wird mit feinem eigenen Golde. 
Gibt es ein größeres Elend für ein edles hochherziges 
Mädchen, als einen reichen und geizigen Gemahl zu bes 
tommen? Solche Frauen werden fich felbft zur Laft und 
fommen zur Verzweiflung, andern aber find fie ein Ge- 
genftand des Spottes und Hohne. Die Götter verhüten, 
daß mir died widerfahre! Ich will lieber bis zw ben 
ſpäteſten Tagen meines Alter auf diefe Art leben, als 
mit ihm leben in beftändiger Qual und Reue über meinen 
Unverfiand. Mein alter Vater mag fagen, was er will! 
Ich meiß recht wohl, wie thöricht einer ift, der ſich durch 
fremde Bitten bewegen läßt, fich felbft zu ſchaden. 

Mit dem Entfchluffe, durchaus dieſe Handlungsweife 
zu befolgen, fegte fie ihren Gedanken ein Ziel, und ale 
alle Feftlichkeiten vorüber waren, verabfchiedete fich der 
Graf von Zouloufe von dem Batalonier, nahm feine 
Tochter bei der Hand und ging mit ihr hinweg in fein 
Gemach. Hier befragte er fie unter ben väterlichften 
Ermahnungen um ihre MWillendmeinung, worauf fie ganz 
entfchloffen und heftig ermiberte, lieber wolle fie immer 
unverheirathet bleiben, wie jegt, als einen Gemahl haben, 
der. ihrem Weſen fo fehr entgegen fei. Als der alte 
Vater died hörte, der ganz das Gegentheil vermuthet 
hatte, war er im höchſten Grade befrübt. Er hatte ge 
hofft, dadurch das Glück und den Frieden des ganzen 
Landes zu befeftigen, und nun Eonnte es leicht kommen, 
daß von neuem endlofe Vermüftung und allgemeine Fehde - 
für fie alle daraus erwuchs. Er befrägte feine Tochter 
um ihren Grund, und als er ihn vernommen, konnte er 
nicht umhin über diefe Geringfügigfeit zu lachen, fuchte 





68 XIV. Luigi Alamanni. 


auch auf alle mögliche Weiſe fie davon abzubringen, aber 
es war alles umfonft, denn ihr letztes Wort blieb die 
entfchiebenfte Antwort, wenn fie merke, daß ihr gegen 
das ihrer Mutter geleiftete Verſprechen Gewalt angethan 
werben folle, fo werde fie Fieber mit eigener Hand 'fich 
das Leben und damit die ihr bevorftehende Unluft nehmen, 
als ihre Zuftimmung geben. Der alte Graf erinnerte 
ſich des feiner verftorbenen Frau gegebenen Verſprechens 
und warb ebenfo bewegt von zärtlicher Sorge um feine 
Tochter; daher antwortete er faft weinend nur folgendes: 
Wenn dein Entfchlug fo feft ift, ‚fo zu handeln, fo ge 
fhehe es! Erwarte von mir feine andere Gewalt, als 
die, welche du dir felbft anthuft! 

Darauf verließ er das Gemach und mit den ehren- 
voliften Entfchuldigungen, bie er erfinnen konnte, und 
mit den Höflihflen Worten, die er wußte, nachdem er 
auseinanbergefegt,‘ wie befhaffen in ber Regel der Sinn 
der Frauen fei und ber Mädchen infonderheit, und wie 
fie felöft auf ihrem Schaden am hartnädigften beharren, 
that er zulegt dem Grafen von Barcelona zu wiflen, fie 
gebe zu diefer Eheverbindung durchaus ihre Einwilligung 
nicht. Diefe Worte waren verlegender als die fchärfften 
Pfeile für des Cataloniers Herz und verwundeten ed um 
fo fehmerzlicher, je weniger er von diefer Seite gefürchtet 
hatte und je näher er ſich der Erfüllung feiner Wünfche 
glaubte. Nichts. deftoweniger verbarg er feinen geheimen 
Groll und Schmerz in feinee Bruft, lächelte bitter und 
meinte, es fei dies nicht ber erſte Unfall, der wie ihm, 
fo auch höheren als er fchon. begegnet, woburd eine 
Hoffnung fehlgefchlagen. Da es nun fo fei, fo gedenke 
er, wenn er es genehmige, ben Tag barauf nah Bar⸗ 
celona zurüdzufehren; zur Vergütung der auf der Her⸗ 
reiſe erlittenen Beſchwerden wünfche er aber wenigftens 
zu erfahren, was denn vorzüglich feine Tochter Mis- 
fälliges an ihm gefunden habe, um für die Zukunft feine 
Sehler zu beffern. Der Alte fchämte ſich eben fo fehr,- 





0. Die Gräfin von Toulouſe. 69 


die Wahrheit zu leugnen, als fie zu fagen; body offen« 
barte. er fie endlih, da er nicht anders konnte. Der 
Catalonier konnte es nicht ohne Lachen hören und ant- 
wortete: Faͤllt es mir wieder einmal ein, auf die Braut- 
fhau zu geben, fo wähle ich dazu gewiß die Jahreszeit, 
wo bie Granatäpfel noch nicht reif find, denn fie haben 
„ mih um eine Gemahlin gebracht, wie die Cered um 
eine Tochter. - 

Er fügte noch Lobeserhebungen auf des Grafen Treue 
und Liebe gegen feine Gattin und Tochter bei, vermöge 
welcher er ihr nicht Gewalt anthun wolle, und verficherte, 
er dürfe darum nicht an der Aufrichtigkeit des unter 
ihnen zu Stande gekommenen Friebend- und Freund- 
fhaftsverhältniffes zweifeln. Darauf ging er auf andere 
Geſpräche über und brachte fo, freilich ohne großes Ver⸗ 
gnügen, den erfien Tag bin. Am nädjftfolgenden nahm 
er, feinen innerlichen Groll gegen das Fräulein verber- 
gend, fcheinbar ganz freundlichen Abfchied von ihr ſowie 
von den übrigen und trat in ben größtmöglichen Tage- 
märfchen den Rückweg nach Gatalonien an. Sobald er 
über die Grenzen feines eigenen Gebietes getreten war, 
entließ er fein anfehnliches Gefolge unter dem Borwand, 
er wolle zu einem heiligen Andachtsorte einige Meilen 
vom Wege abſeits gehen, worunter fi) viele unfer Liebe 
rau von Monferrato dachten. Und ba man bei folchen 
Wallfahrten allen mweltlihen Prunt und Glanz ablegen 
"muß, wollte er nur zwei feiner treueften Freunde bei 
fih behalten, um fein Gelübde mit möglichfter Demuth 
und frommem Eifer zu erfüllen. Sobald aber die an- 
dern alle fich entfernt hatten, und er mit ben beiden - 
alten Vertrauten feiner Geheimniſſe allein war, entdeckte 
er ihnen erft vollig feine Abſicht, fie ließen ihre Pferbe 
zurüd und machten fi zu Fuß wieder rückwaͤrts auf 
den Weg nach Zouloufe, nachdem fie alle fi in Klei⸗ 
bung, Haltung und Geftalt gegen früher ganz verändert 
"Hatten. Der Graf Hatte fih als Juwelenhaͤndler ver- 

6 


70 XIV. Swigi Alamanni. 


mummt und trug ein Käftchen an dem Arme, wie man 
ſolche täglih in Paris umbertragen fieht und in ganz 
Frankreich, ja auch in Italien, und worin man unzählige 
und mannidhfaltige Dinge zur Schau trägt, welche dann 
in ben Häufern den Edelfrauen und den. vornehmen Herren 
angeboten werden, mit denen fie fie) ohne Weiteres be- 
kannt mahen. Er taufte daher viele Kleinode und Gold- 
arbeiten von großem Werth und einige andere Gattungen 
feiner Waaren, füllte damit feine Kifte und mifchte 
darunter auch ein paar von feinen ſchönen Edelſteinen, 
deren er viele von ber größten Schönheit mitgebracht hatte, 
um fie feiner Braut zu ſchenken, fobalb fie die Seinige 
geworden wäre; bie vom höchſten Werthe aber that er 
nicht dazu, um nicht durch den allzugroßen Reichthum 
in der Gegend erkannt zu werben. Er fchor fih den 
Bart, den man damals in Catalonien zu tragen pflegte, 
und ging ganz allein nach Zouloufe hinein in der feiten 
Hoffnung, dies müſſe das fiherfte Mittel fein, das ihm 
das Geſchick gelaffen habe, um feine Geliebte noch einmal 
fehen und ſprechen zu können. So ging er vom Morgen 
bis zum Abend in der Stadt umher, feine Waaren an 
diefen und jenen verfaufend, wie es der Zufall gab; 
vorzugsmweife aber kam er oft in die Nähe des Palaftes, 
welchen der Graf von Languedoc bewohnte, um die Ge⸗ 
legenheit zu erfpäben, wo er wenigftens einmal mit der- 
fenigen fprechen Bönnte, welche ſowohl wegen bes [pätern 
Unwillens als durch die frühere Xiebe feine Gedanken 
unaufhörlich befchäftigte. Und es dauerte nicht lange, 
bis er eines Abende nach einem fehr heißen Tage bie 
fhöne Tochter in weißem Anzug auf das Anmutbigfte 
auf dem Thore figen fah in großer Geſellſchaft von den 
ebelften Frauen des Landes. Ganz zitternd grüßte er fie 
bemütbhig und fragte ob es einer der Frauen gefällig fei, 
etwas zu kaufen von feinen Sachen, wobei er-bie Güte 
feiner Waaren und bie Billigkeit der Preiſe herausſtrich. 
Die Gräfin und die Edelfrauen verfhmähten, wie es 


\ 0. Die Gräfin von Zouloufe. 71 


Zandesfitte ift, das Anerbieten nicht, riefen ihn zu fich, 
fragten ihn, was er habe, und flanden rings um ihn her. 
Ale fammt und fonders ergriffen die eine diefen, bie 
andere jenen Gegenftand, und befragten und beflürmten 
"ihn bergeftalt, daß er, welcher überhaupt nicht die größte 
Erfahrung in diefem Gefchäft Hatte, gar nicht mehr wußte, 
was und wen er antworten folle. Er wendete fich baher 
mit feinen Worten immer an die Gräfin und 309 fich 
mit den ihm vorgelegten Fragen fo gut als möglich aus 
der Schlinge. Nachdem er einige von feinen Sachen, 
die ihnen am beften gefielen, ziemlich wohlfeil an fie vers 
Taufe hatte, ging er hinweg, da ihn die Veſperzeit fort- 
trieb. Er unterhielt diefen Handel lange Zeit, faft jeben 
Tag fand er fich bei derfelben Gefellfchaft ein und war 
bald fo befannt mit all ben Mädchen geworden, daß es 
ihnen großes Vergnügen machte, mit ihm zu plaudern, 
um welches Glück ihn alle feine Handwerksgenoſſen nicht 
wenig beneideten, bie immer von allen abgemwiefen wurden, 
da diefe fagten: Wir wollen unferem Navarrefen treu 
bleiben. | 

Aus Navarra nämlich hatte er.zu fommen vorgegeben, - 
da er die Sprache nicht fo in feiner Gemalt. hatte, um 
für einen Franzofen zu gelten, und feine fpanifche Ab» 
kunft nicht bekennen mochte. Nach einigen Tagen paßte 
ber Graf den rechten Augenblid ab, wo er, ohne von 
andern gehört zu werden, einer der Kammerfrauen ber 
Gräfin, welche wie ihm fchien am meiften von ihr geliebt 
und ihr zugethban war und welcher er bereits bei feinem 
Handel eine‘ Gefälligkeit erwieſen hatte, fagen Tonmte, 
er habe in der Nähe eines der ſchönſten und Fräftigften 
Kleinode, die man je auf der Welt gefehen: oder gehört; 
er trage es aber nicht fo offen im Land umher, aus 
Furcht, ed möchte ihm geraubt werden, und es fei ihm 
fo heuer, daß er es für fein Leben ſelbſt nicht hingeben 
würde. Ohne noch etwas hinzuzuſetzen, ſchwieg er Damit 
und ging kurz darauf hinweg. Der Kammerfrau fchien 








12 AIV. Zuigi Alamanni. 


jede Stunde taufend Jahre zu währen, bis fie ihrer Ge-- 
bieterin mittheilen konnte, was fie von dem Navarrefen 
gehört hatte. Als Aun die Zeit zum Schlafengehen ges 
fommen war, erzählte fie ihr, während fie ihr beim Aus- 
ziehen behilflich war, von der Schönheit und Kraft des 
wunderbaren Juwels, fügte au, mie ed immer folcher 
Leute Art ift, noch etwas mehr als die Wahrheit hinzu, 
und fchloß damit, wenn fie die Gräfin wäre, fo würde 
fie gewiß Weg und Mittel finden, daß das Stleinod ficher 
in ihren DBefig gelangte, wenn gleich der Kaufmann den 
Entfchluß Habe laut werben laffen, es nicht zu verkaufen. 

Es gibt für alles, fagte fie, ein Mittel, außer für 
ben Tod. 

Durch diefee Anpreifen und Ermuntern entzündete 
fie ſolche Begierde in dem jungen Mädchen, daß diefe 
die ganze Nacht hindurch an nichts anderes dachte, und 
in, ihren Träumen nichts anderes fah, als eben diefes 
Zunel; und am Morgen, als ed kaum Tag geworben 
war, beauftragte fie die Kammerfrau, —* den Na- 
varrefen aufzufuchen und ihn fo lange in ihrem Namen 
zu bitten und zu beſchwoͤren, bis er fich beftimmen laffe, 
das Kleinod zu verkaufen; wenn dies jeboch ſich nicht 
ausführen Laffe, fo folle fie e8 wenigftens dahin zu bringen 
fuchen, daß fie es fehen dürfe; vielleicht vermindere fich 
durch den Anblick der Werth, den fie ihm nad dem 
Hörenfagen beilege, und es werde damit auch ihre Sehn⸗ 
fucht nad feinem Befige herabgeflimmt. Die Kammter- 
frau begab fi alfo zu dem Navarrefen und erzählte 
ihm alles, worüber er äußerft erfreut war und von vorn 
anfing, ihr auseinanberzufegen, wie er dem Kleinod den 
allerhöchften Werth beilege. Und wenn er es Tages zu- 
vor fehr gepriefen hatte, fo bob er es nun vollends 
bis in den Himmel, indem er unter taufend Schwüren 
von neuem verfiherte, er würde eher, als das Jumel, 
fein Leben hinſchenken; doch fei er aus Freundlichkeit 
und Gefälligkeit gegen fie es wohl zufrieden, fie es ſehen 


50. Die Gräfin von Zouloufe. 13 


zu laffen, vorausgefegt, daß fonft niemand, als die beiden 
Zrauen anmefend feien, wenn er ed hinbringe. Da bie 
Kammerfrau mehr zu erreichen nicht vermochte, nahm 
fie wenigſtens dies an. Sie verabredete mit ihm, zu 
welcher Stunde es heute gefchehen folle, kehrte fobann 
zur Gräfin zurück und erzählte ihr alles. Zur feftge- 
fepten Zeit kam der Navarrefe mit dem von ihnen er- 
fehnten fehönen Kleinod. Es war dies ein- fpigiger Dia- 
mant von fo aufßerordentlicher Größe und von fo feltener 
und fhöner Geftalt, daß mol nie etwas Ahnliches gefehen 
worden if. Der Stein war in den Befig bed alten 
Grafen von Barcelona gekommen durch einige catalonifche 
. Seeräuber, welche auf ihren Streifzügen über die Meer- 
enge von Gibraltar hinaus gegen die Infel Madera hin- 
gelangten und ihn dort einigen Normannen abnahmen, 
welche aus gleichem Grunde in jenes Meer gefommen 
waren; fchwächer als die Katalonen wurden fie von diefen 
aller ihrer Beute beraubt und gefangen genommen. Diefer 
Stein fol nachher lange Zeit im Befig des Königs von 
Neapel gewefen fein, jegt aber dem Großtürken gehören, 
welcher ihn höher achtet, als alle feine andern zufammen, 
"deren boch unzählige find. Als er nun hingefommen war, 
begann er mit der bekannten fpanifchen Wichtigkeit und 
taufend Vorreden fein Jumel zu preifen, ehe er es vor» 
zeigte, und betheuerte ihr bei feiner Meblichkeit, er fchäge 
gerade feine Schönheit von allem am wenigften, denn 
feine Kraft fei noch weit mehr werth; darauf machte er 
. feine Gefälligkeit geltend, ſagte, jemand anders hätte ihn 
nicht dazu gebracht, und fchloß endlich damit, daß er ihr 
‚ben Stein zeigte, unter dem Beifügen jedoch, daß er ihr 
fonft nichts geſtatten könne, ald blos den Anblid. Die 
Gräfin hielt das unvergleichlihe Kleinod in der Hand. 
Se genauer fie es betrachtete, defto fchöner Fam es ihr 
vor, wie ed auch wirklich war, und eine unmwiberftehliche 
Sehnfucht entzündete fich in ihr, es zu dem ihrigen zu 
machen, da fie fonft nicht leben könne; doch beftete fie 

Staliänifcher Novellenfchag. IL. 4 | 





74 XIV. Luigi Alamanni. 


darauf ihre fehmachtenden Blicke ohne es allzu deutlich 
merken zu laffen. Darauf bat fie den Navarrefen, ihr 
zu fagen, welche geheime Eigenfchaft denn das Kleinod 
befige. Nachdem er fich ein wenig geweigert hatte, ant- 
wortete er endlich, boch wie mit innerem Widerſtreben: 
Gnädiges Fräulein, wenn einer im Zweifel ift, mas er 
in einer Sache befchließen foll, bie ihm nahe geht, und 
er ſchaut hinein, fo fieht er, wenn es zu feinem Vor⸗ 
theil ausſchlagen fol, diefen Stein fo hell werden, als 
wären bie Sonnenftrablen darin verborgen; wo nicht, fo 
wird er dunkler als eine mondlofe Nacht. Es Haben 
fhon einige behaupten mollen, dies fei ber Stein der 
Weifen, den viele umfonft gefucht haben, wiewol andere 
meinen, er fei mehr ein Werk ber Alchimie, als ber 
Natur. Auch fehlte es nicht an folchen, welche fagten, 
er babe Alerander dem großen gehört, und dieſer habe 
fih ohne benfelben nie dem Kriegsglüd anvertraut; ſo⸗ 
dann fei er in den Beſitz Julius Cäfars gelommen, 
und duch bie Kraft diefed Steines haben beide für 
unüberwindlih gegolten, wie ihr oftmals gehört haben 
werdet. 

Nach diefen Worten padte er feinen Edelſtein wieder 
ein und nahm Abſchied. Die Gräfin blieb mit ihrer 
Kammerfrau allein und rief zu wiederholten Malen: 
Wer wäre glüllicher als ih, wenn ich ein fo Föftliches 
und fo feltenes Ding befäße, und es ganz nach Bequem- 
lichkeit tragen und befchauen dürfte? Würde ich in der 
Folge einmal, wie neuli vom Grafen von Barcelona, 
zur Ehe verlangt, welcher Vortheil wäre es für mich, 
wenn ich untrüglihen Nat von meinem Edelſtein er- 
bielte! , . 

Nach diefen Überlegungen bat fie zulegt ihre theure 
Kammerfrau, ihe zu Lieb wieder zu dem Navarrefen zu 
gehen, und «8 dahin zu bringen, daß er den Stein an 
fie verkaufe und zwar um einen Preis, den er felbft 
nach Belieben beftimmen möge. Die Kammerfrau, wiewol 








— —— — — — — 


— — — — — 


50. Die Gräfin von Toulouſe. 5 


ihre Hoffnung gering war, ging doch hin und das erfie 
und zweite Mal umfonft und mit der abfchläglicden Weis 
fung, daß er nie mehr wagen würde, das Juwel irgend 
jemand auf der Welt zu zeigen, gefchmeige es zu ver- 
kaufen. Das dritte Mal aber fchien es dem Navarrefen‘ 
doch Zeit, zu dem Punkte zu gelangen, den er am erften 
Tag fchon beabfichtigt hatte. Ex ſprach daher: Liebe Frau, 
da eure dringenden Bitten und die Schönheit und Anmuth 
eurer Gebieterin endlich meinen Willen gebrochen und mich 
zu dem Entſchluß bewogen haben, eines fo theuren Kleinods 
mic, zu entfchlagen, fo geht Hin und antwortet ihr, ich 
wolle es ihr ganz ficher geben, wenn fie mir flatt der 
Bezahlung geftatte, eine einzige Nacht fo vertraut bei ihr 
zu ruhen, ald wäre ich ihr Gemahl. Will fie dies nicht 
thun, fo fagt ihr, daß weber Geld noch fonft eine Be⸗ 
lohnung mich je dahin bringen werde, auf mein Eigen- 
thum zu verzichten; fie möge fich alsdann ihre Luſt ver- 
gehen laſſen und mir nit länger mit Bitten beſchwerlich 
fallen. 

Die Kammerfrau hinterbrachte ihrer Gebieterin diefen 
Beſchluß und fügte hinzu, wenn fie fih dazu nicht ver- 
ftehen wolle, fo fei fie felbft nicht gemeint, weitere Worte 
und Schritte in diefer Sache zu verlieren, denn fie fei 
überzeugt, es führe zu nichts. Die Gräfin erzürnte fich 
über biefe Worte aufs Außerſte. Cie hielt ihre Ehre für 
ſchwer gekraͤnkt und drohte mit heftigen Reden der zucht- 
lofen Verwegenheit desjenigen, deſſen Worte ihre Keufch- 
beit und Würde zw verlegen ſich erdreiftet, fehalt aber 
auch die Kammerfrau, daß fie ihm nicht nachdrücklichſt 
bedeutet habe, wie fchlecht es für einen feined Gleichen 
fih zieme, ſolche Heben gegen fie zu führen. Die 
Kammerfrau lächelte ein wenig und exwiberte: Madame, 
als ich das erſte Mal zu ihm geſchickt wurde, meinte ich, 
meine Pflicht fei, euch und ihm alles auszurichten, was 
mir von ber andern Seite aufgetragen werde, unb ich 
hätte mie nicht zu deuten gewußt, welchen Theil bes 

| 4* 








76 XIV. Luigi Alamanni. 


Auftrages ich tadeln oder. verfehweigen ſolle. Seid ihr 
nun unzufrieden mit dem, was ich euch berichtet habe, 
fo ift das eure Schuld, daß ihr mich nicht erinnert habt, 
für den Fall, daß er mir ſolche Dinge auftrage, folle ich 
ihn ausfchelten und euch nichts davon fagen. Übrigens, 
wenn ihre mir diefe Auflage gemacht hättet, würde ich 
die ganze Sendung jemand anderem überlaffen haben, 
benn wegen billiger Dinge Fönnte ich nie jemand tadeln, 
geichweige ftrafen. Unfer Herr Gott läßt fih auch un⸗ 
gerechte Wünfche wie gerechte vortragen, von Guten wie 
von Boͤſen, erhört aber freilich nur jene, wenn es ihm 
gut dünkt, und diefe nicht. Ich konnte daher nicht wiffen, 
dag ihre höher gehalten fein wollt, ald er. Womit bat 
euch ber Navazrefe beleidigt? Wißt ihr nicht, dag man 
das Fragen überall in der Welt umfonft hatt Ihr feid 
noch zu jung und wißt noch nicht recht das Gute und 
Böfe zu unterfcheiden. Wären eure Haare fo weiß, wie 
die meinigen, fo würdet ihr anders fprehen. Man muf 
allerdings oft fo fagen; aber wo und zu wem? Weder 
bier, noch zu mir, noch zu den rauen, bie euch ergeben 
find, fondern zu Männern und zu fremden Frauen, die 
euch, wenn fie euch auch nicht glauben, menigftens für 
Aug halten und für eine Frau, melde ſich auf unfere 
Kunft, das heißt. das Heucheln wohl verfieht. Mir, 
die ich euch ganz ergeben bin und nichts anderes auf 
der Welt habe, was mir theuer ift, kommt nicht fo! 
Ich weiß recht wohl, daß die größte Ehre und das größte 
Vergnügen, das man den Frauen machen kann, darin 
befteht, daß man fie um dasjenige bittet, ohne was wir 
ein Tag ohne Licht, ein Meer ohne Wellen wären. Sch 
entfchuldige euch mit eurem zarten Alter, und habe des- 
halb mit eurem Zorn Geduld. Wir wollen zu etwas 
anderem übergehen! Aber das fage ih noch, wenn ihr 
den Navarrefen auf eine kluge Weife befriedigt, fo be⸗ 
fommt ihr den Cdelftein eigen, und mir fheint, ihr 
tämet auf diefe Art mwohlfeil zu. Was zum Teufel könnt 











om — — —, — — — 


un 22 u wa wi. — — — 2— 


50. Die Graͤfin von Toulouſe. 7 


ihr ihm denn Geringeres geben, als ihn mit einer Münze 
bezahlen, von der uns, je mehr wir geben, um fo mehr 
zu geben übrig bleibt? Die Sünde in Betracht zu ziehen, 
das mollen wir den Betfchmweftern und den alten Mütter- 
chen überlaffen, die fonft nichts zu thun haben; für junge 
Mädchen aber ift das nichts, die noch taufend Jahre Zeit 


haben, um ihre Fehler gegen ihren Herrn Gott zu be- 


reuen. Und jenen muß man auc) noch zu bedenken geben, 
daß fie dazu weder Gelegenheit noch Begierde haben und 
nicht darum angegangen werden. Um die Ehre zu ver- 
lieren, muß die Sache befannt werben; thun mir «6 
daher im Geheimen, fo geht die Ehre nicht verloren. 
Ih fage euch meine Anficht wie eine Mutter, und ihr 
mögt dann das thun, was ihr für das Befte: haltet. 
Aber das gebe ich euch zu bedenken, daß ich um fo viel 
weifer, als älter bin. Es thut mir fehr leid, daß ihr 
nicht meinen Willen und Verſtand habt, oder ich nicht 
eure Reize, Schönheit und Stand, von welchen drei 
Porzügen euch jeboch von jegt‘ über vierzig Jahre auch 
zwei fehlen werden, und der dritte, was wird er euch 
helfen, als daß er euch größere Pein und Laft bereitet? 
Diefer Juwelier, wenn er auch ein Heiner Kaufmann ift, 
erinnert mich doch in Geficht, Gedanken, Betragen und 
in allem weit mehr an einen Edelmann als an feinen 
Beruf. Wenn ihr ihn daher nicht nehmt, fo habt ihr 
zwar vielleicht nach eurem Gefchmad gehandelt, aber 
nicht gethan was ihr folltet. 

Mit diefen und vielen andern Worten beflürmte bie 
alte Kammerfrau das junge Mädchen, fügte fo viele an- 
dere Gründe hinzu und fing fo oft von neuem an, bis 
die Gräfin faft ganz müde, fo hart und fauer es fie 
ankam, nach langem Wermweigern, Streiten und Nach- 
benfen am Ende zu ihr fagte: Nun fo geh und thue, 
was dir gut fcheint! Weranftalte es aber fo, daß es 
nicht. mehr, ald eine Nacht wird und daß biefe fo fpät 
anfängt, daß ich nicht viel Unluft davon zu tragen habe 


18 XIV. £yigi Alamanni. 


und du micht viel Gefahr; denn wenn du dir einmal 
etwas in den Kopf gefegt haft, fo muß man ſich dazu 
bequemen oder wird man beiner Wiberwärtigkeiten nicht 
eher 108. 

Die Kammerfrau erwiderte darauf nichts mehr, fuchte 
aber, fobald fie konnte, den Navarreſen auf und verab- 
redete mit ihm, daß er ſich in der folgenden Nacht genau 
um die Zeit der Frühmeſſe an einer Hinterthüre des Gar- 
tens einfinden, was fie ihm genau befchrieb, und ben 
Edelftein mitbringen folle. Und fo geſchah es. Als ihr 
in der Nacht der Navarrefe den Ebdelftein gegeben hatte, 
fagte er zu ihr, er habe noch einige andere von nicht 
geringerem Werthe, die er ihr um benfelben Preis über- 
liefern wolle, wenn es ihr recht fei. Da die Kammer⸗ 
frau diefen Antrag gehört hatte, feste fie ihrer Gebie⸗ 
terin unaufhörich zu, machte ihr bemerklih, daß, was 
einmal gefchehen fei, Dadurch nicht fchlimmer werde, wenn 
e6 öfter gefchehe, und daß einmal eben fo viel fei als 
viermal. Sie wußte ed auch fo gut anzugreifen, daß 
fie außer jenem großen Diamant noch einen fehr fhönen 
Rubin gewann und einen Smaragd, von welchen ber 
Ravarrefe behauptete, ber eine habe ſchützende Kraft gegen 
das Gift, der andere gegen bie Pet, welche fortwährend 
in Languedoc haufet, fo Eräftig auch Sanct Rochus von 
Monpellier gegen fie antämpft. Aber wie es meiftens 
gefhieht, daß man gerade das findet, was man am 
wenigften fucht, fo begab es fih, daß einige Wochen 
barauf die Gräfin ſich zu ihrem äußerften Grame ſchwanger 
fühlte. Sie berathfchlagte fogleich über ihren Zuftand 
mit ihrer Kammerfrau, welche fie ermunterte, Geduld 
und Muth zu haben, und fagte, man müffe e8 geheim 
halten, es finde ſich ſchon für alles ein Auskunftsmittel; 
fie fei nicht die erfle und dürfe auch nicht fürchten, bie 
legte zu fein, die nad einem folchen Unfall noch als 
Jungfrau verheirathet werde. Wenn dies ein Grund 
. wäre, ber jeber, welche biefes Schickſal gehabt, die Haare 


50. Die Gräfin von Zouloufe. 79 


ausfallen machte, fo müßten die meiften rauen auf der 
Welt eine Perrücke tragen Da ermachte aber in der 
Gräfin alfer Adel und alle Größe der Gefinnung, melde 
Shen ihre Geburt mit fich brachte, und fie antwoztete: 
Mögen andere immerhin thun, was ihnen das Beſte 
dünkt! Mic, aber foll Gott davor bewahren, daß ich, 
nachdem ich den erſten Fehltritt nun einmal zu begehen 
unfiug genug gewefen bin, benfelben mit einem zweiten 
zuzudecken ſuche! Ich werde nimmermehr einem Manne 
angehören, ben ich durch Rügen und Meineide in dem 
Wahn erhalten müßte, er befige etwas, was ich ihm doch 
nicht gebe. Die Buße, das ift mein Wille, falle auf 
ben Sünder und die Frucht ernte der, der ben Saamen 
freute. Ich bin deinem Rathe feither leider nur zu fehr 
gefolgt. Verſchone mich deshalb ferner damit, wenn bu 
mich nicht beleidigen willft, und bring mir den Navar⸗ 
refen hierher! Wenn ich mich auch einmal fo tief ernie- 
drigt habe, mi ihm Hinzugeben, fo will ich jest groß 
genug fein, mic, feinem zweiten betrügerifch aufzubürden. 
Ih bin durchaus entfchloffen, den Weg zu verfolgen, 
auf welchen mich das Schickſal, deine verkehrten Einflü- 
fterungen und meine Unvorfichtigkeit geführt haben. 

Die Kammerfrau, ald fie die Entfchloffenheit ihrer 
Gebieterin erkannte, und oft vergeblich verfucht hatte, 
fie davon abzubringen, führte ihr endlich den Navarrefen 
herbei. Diefer hatte, vielleicht weil er die Grafin oft 
geſehen, bemerkt, daß fie in Farbe und Gefichtszügen ' 
verändert und magerer geworden war, und dba er ben 
Grund wohl wiffen konnte, auch fich zu Erreichung dieſes 
Zweckes alle Mühe gegeben hatte, war er gar bald auf 
die wahre Urſache ihres Übelbefindens verfallen. Wiewoi 
vom Schmerz gebeugt empfing fie ihn dennoch, ohne auch 
nur eine Thräne zu vergießen, mit ſtarkem Geifte, nicht 
wie ein jumges fchwaches Mädchen, fondern wie ein er« 
fahrenes kräftiges Weib, und fagte zu ihm: Mein Freund, 
diemeil dein Glück und mein Unglüd, deine Klugheit und. 


80 XIV. Luigi Alamanni. 


meine Unvorfichtigkeit mich bahin gebracht haben, daß ich 
hochgeboren, wenn ich nicht Bott und die Menſchen be- 
teügen will, eines Juweliers Weib werben, und du der 
Namenlofe der Batte einer Grafentochter werden mußt, 
fo bitte ich dich, du wolleſt mich nicht verfioßen und dich 
entfchliegen, mich völlig als die deinige hinzunehmen. 
Ich fühle mic ſchwanger von dir und gedenfe auf feine 
Weiſe hier zu bleiben, um andern Kummer und Argerniß, 
mir felbft aber Schmerz und Schande zu verurfachen. 
Ih bin vielmehr bereit, mit bir zu ziehen unb durch 
ein bürftiges Leben lieber in einem einzigen Theile dieſem 
armen fündigen Körper wehe zu thun, als bei leiblicher 
Behaglichkeit taufend mal in einer Stunde meine Seele 
und die ‚Seele vieler anderer mit mir zu Eränten. Nichte 
dich alfo ein, bag wir morgen, ehe die Nacht herankommt, 
von bier geflohen find! Ich nehme deine und überdies 
viele andere van meinen eigenen Juwelen mit, bazu 
einiges Geld, und fo wollen wir hinmwegziehen und uns 
fo gut wir können gegen ben Hunger fihügen, bis ich 
Deateife, warum die Sterne mich in dieſe Welt gefegt 
haben. 

Der Graf von Barcelona (jegt. wollen wir ihn nicht 
mehr den Navarrefen nennen), wie überaus erfreut er 
auch hierüber war, da er ja gar nichts anderes wünſchte, 
fo überlegte er doch, wenn er wirklich der geweſen wäre, 
für den fie ihn hielt, wie weit einen oft das Scidfal 
führen fann, wie viel Gewalt der Himmel über ung hat, 
und wie oft e8 vorkommt und wie leicht es ift, die Frauen, 
obſchon fie fich für äußerſt Kiftig halten, zumal aber junge 
Mädchen zu betrügen; da überfam ihn ein ſolches Mit- 
leiden mit ihr, daß er nahe daran war, trog all feiner 
Mannheit und um eines andern willen das zu thun, 
was fie, als Weib, um fich felbft zu thun verfchmähte, 
nämlich zu weinen. Er bededte das Geſicht, verbarg 


feine Gemüthsbewegung und fagte in großer innerlicher 


Bewegung: Edles Fräulein, ich bin ein niedriger armer 


— -—_ — — — — zz 


50. Die Gräfin von Toulouſe. 81 


Handelsmann, wie ihr ja gar wohl bemerkt haben könnt; 
aber trotzdem iſt mein Sinn immer darauf geſtanden, 


unbeweibt zu leben und zu. fterben. Darum bitte ich 


euch, fallet mir nicht zu Laft und ſtürzt euch nicht felbft 
in diefes Misgeſchick! 

Er hätte gerne noch weiter gefprochen; aber fein Mit 
leid mit ihr und der Wunfch, fie ganz zu befigen, fowie 
die Beforgniß, ed möchte fie Neue ankommen, fchloffen 
ihm den Mund. Sie antwortete ihm: Mein Freund, 
ich will dir nichts mehr fagen, als daß du bedenken mögeft, 
dag das Glück dem gefegnetften Dienfchen auf diefer Welt 
in feinem ganzen Leben nicht mehr als eine folche Gele- 
genheit bieten kann, wie fie jegt dir mein Misgefchid 
und dein guter Stern bereitet. Sieh wohl zu, daß das 
Glück fi) nicht über deinen Unverftand erzürne, wenn 
bu ein Juwelenkrämer die Hand einer Gattin verfchmähen 
willft, welche. vor nicht langer Zeit die Bewerbung des 
Grafen von Barcelona zurückgewieſen hat. 

Diefe legten Worte fachten wieder etwas den alten 
Groll im Herzen des Grafen an und trieben fein Ge 
müth zur rohen Rache an. Ohne fernere Weigerung 
erklärte cr demnach, da es fo ihr Wunſch fei, füge er 
fih in jeden ihrer Befehle; fie müffe ſich aber gefaßt 
machen, in allen Dingen zu leben wie feine Frau und 
nicht wie die Tochter ihres Waters, mit ihm ohne Bes 
gleitung und zu Fuß wandern, wie fein Stand und feine 
alte Gewohnheit es erforbere, namentlich auch, um defto 
beſſer ben Gefahren zu entgehen, welchen ſich ein Mann 
ausfegt, der eines Grafen Tochter aus ihrem Haufe ent- 
führe, um fie in frembe Länder zu bringen. Ungekannt 
und ohne ihrer Verabredung gemäß mit irgend jemand 
zu fprechen, außer mit ber Kammerfrau, welche weinend 
zurüdblieb, gingen fie in Pilgertracht, ald wollten fie den 
heiligen Jakob in Galizien befuchen, in ber nächften Nacht 
von binnen. Ein gewaltiger Aufruhr entſtand in Zouloufe 


und im ganzen Lande, ald das Geſchehene befannt wurde. 


4*% 





83 XIV. Luigi Alamanni. 


Da aber kein Menfch die Wahrheit ahnen konnte, glaubten 
manche, fie möge, plöglich von Gott getrieben, in irgend 
ein heilige Nonnenklofter geflohen fein ; denn feit der Zeit, 
da. fie fi ſchwanger fühlte, Hatte fie größere Frömmigkeit 
ale früher bewiefen und, fo viel fie konnte, jede Geſell⸗ 
ſchaft gemieden; fo konnte man alfe leicht auf jenen Ge⸗ 
danken kommen; und die zurückgebliebene Kammerfrau, 
welche allein barum mußte, brachte eine fo wohl aufge 
ftugte Gefchichte zu Markte und fiellte ſich zugleich als 
bintergangen und hoͤchſt unzufrieden über das Ganze, 
baf fie alle überzeugte, die Sache verhalte fi ſo. Theils 
wegen ber Hoffnung, welche man hieraus fchöpfte, theils 
weil die Flüchtigen in kurzer Zeit iiber die Grenzen von 
Languedoc hinaus waren, wurden fie nicht wieder aufge 
funden, wiewol man ihnen eifrig nachſpürte. Es würde 
zu weitläufig fein, alle die mühenollen langen Prüfungen 
zu nennen, welche ber verliebte frohe Graf feine betrübte 
und unzufriedene Gattin unterwegs beftehen ließ. Früher- 
bin ungewohnt, das ganze Jahr über nur vierzig Schritte 
zu Buß zu machen, wo fie ſich dann auf die vornehmften 
Eheleute ihres Hofes flügte, und Dies nur zur —— 
Zeit, die man finden konnte, war fie jetzt genöthigt, unter 

ber beifefien Juliusfonne auf fcharfen Steinen einherzu- 
gehen, gedrückt bereits von ber Bürbe ihres Leibes, alle 
mögliche Mühſal ertragend, wie nur das ärmfte Gefchöpf, 
das auf Erden wandelt. Der Graf Iub fie nur dann 
und mann, fo oft es nothwendig war, zur Buße ein, 
aber mit fo rauben Worten, unb trieb fie darauf in fo 
unböflihem Ton zum Weitergehen an, baf ber geringfie 
Befehl für den Leib der Seele die größte Kränkung be- 
reitete. Mit dem Tag aber, an welchem fie Touloufe 
verlaffen hatten, war fie darauf gefaßt, jeben Dohn bed 
Geſchicks gelaffen zu tragen. So ging es ihr unterwegs; 
in dem Gaftbaufe fobann, wo fie einigermaßen hoffen 
Tonnte, bei Nacht von den Befchiwerben des Tages aus- 
zuruben, fand, da biefe Gegend nad fpanifcher Bitte 





50. Die Grafin von Tonloufe. 83 


nur mit den erbärmlichften Herbergen verfehen ift, und 
weil wie es fcheint der Graf ed um fich zu rächen darauf 
anlegte, die arme junge Frau fo fchlechtes Unterfommen, 
dag man es nicht Ruhe fondern Mühfel auf Mühſal 


heißen tonnte. Endlich, nach mehreren Tagen kamen fie 


nach Barcelona und fanden bafelbft feine Begleiter wieder, 
welhe an bemfelben Tage wie fie von Zouloufe abge- 
gangen waren, aber in größeren Zagereifen den Weg 
zurüdgelegt hatten. Er bezog mit feiner Frau eines der 
ärmlichften und am fchlechteften ausgeftatteten Gaſthäuſer 
ber Stadt, in welchem jedoch eine brave und fromme 
Frau die Wirtbfchaft führte, wiewol es deren dort wenige 
gibt, welche nicht lieber ber Taufe als bem Weiberver- 
kaufe entfagten. Er fchlief hier mit ihr die erſte Nacht 
und brachte auch den ganzen folgenden Tag bafelbft zu; 
am nächften Abend jedoch beredete er fie, er habe in der 
Stabt ein Gefchäft und er Tonne unmöglich anders als 
die Nacht über bei ihre fein, da er bei Tag ganz von 
feinen übrigen Angelegenheiten in Anfpruch genommen fei. 
Er fagte, fie folle mit der Alten bier im Haufe ihre 
Arbeiten theilen; dadurch Tonne fie ihren Binlänglichen 
Unterhalt verbienen; denn er fei nicht gemeint ihretwegen 
eines feiner Kleinode zu verkaufen noch auch bas Geld 
aufzuzehren; vielmehr, wie er ſtets durch feine Betrieb⸗ 
famteit etwas erübrige, fo wünfche er, daß auch fie es 
halte, wenn ed ihr daran gelegen fei, im rieden mit 
ihm zu leben. Die unglüdtiche Gräfin feufzte in ihrem 
Herzen ſchwer, als fie fich erinnerte, wie vielen Leuten 
ihr Vater zu leben gab, während fie fi nun in Um⸗ 
ftände verfegt finde, wo fie genöthigt fei, ihren Lebens⸗ 
unterhalt mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Doc 
antwortete fie mit heiterer Miene, fie wolle es thun. 
Der Graf verließ fie, ging im Pilgergewande nach fei- 
nee Wohnung, wo er längft vermißt und faft für ver- 
Ioren gehalten worben war, nun aber ganz unerwartet 
zurückgekehrt von feinen Eltern mit inniger Freude em⸗ 


‘ 


54 XIV. Luigi Alamanni. 


pfangen wurde; denn feine Pilgerfahrt hatte fi um 
viele Wochen gegen feine frühere Angabe verlängert. 
Der freubige Graf blieb fo den ganzen Tag in feſtlichem 
Genuffe bei feinen Freunden und Hofleuten, ermangelte 
aber nicht, in dee Nacht heimlich in der frühen Tracht 
die Gräfin aufzufuchen und bei ihr zu ſchlafen, legte ihr 
auch beftändig neue Laften und ärmliche Gefchäfte auf 
und ermahnte fie, in der Küche und im Zimmer ber 
guten Wirthin immer dienftwillig und bereit zu fein. Sa, 
noch nicht zufrieden mit dem auf fie gewälzten Schimpf 
beſchloß er, fie noch weiter in Verfuchung und Schmach 
zu führen. Darum fagte er eined Nachts zu ihr: Ich 
gedenke morgen einem Rauchhändler meinem Freunde in 
der Bude eines Schneiders eine Trinkpartie zu geben, 
wozu ih nun Brot kaufen müßte, welches doch hier zu 
Lande fehr theuer if. Weil ed mir nun zu fauer an⸗ 
kommt, fo viel Geld auszugeben, fo ift mir eingefallen, 
du follft morgen früh, wenn die Wirthin das Brot ge- 
baden, und bu fie dabei unterftügt haft, dich anftellen, 
ed fei dir etwas hinuntergefallen, menn du damit zum 
Dfen zurückkehrſt, und vier davon in deine Tafche unter 
dem Unterrock verfteden und fie mir aufheben. Zwei 
oder drei Stunden nad) dem Morgeneffen will ich fie 
abholen. 

Der hochherzigen Gräfin erſchien diefe Zumuthung 
über alle Maßen erniedrigend und fie würde fie nicht 
für Ernft genommen haben, hätte fie nicht vorhes fo 
vieles über die fchmugige Armfeligkeit der Spanier und 
Ravarrefen reden gehört. Sobald fie aber dachte, er 
fcherze keineswegs, fo bat fie ihn aufs Demüthigfte, er 
möge fie dody nicht zwingen, fo etwas zu thun. 

Darauf verfegte er ganz zornig: Iſt es dir noch nicht 
aus dem Sinn, daß du die Tochter des Grafen von Tou⸗ 
loufe biſt? Habe ich dir nicht am erften Tage, wo wir 
von dort weggingen, gefagt, und von dir das Verfprechen 
erhalten, du wolleſt alles andere vergeffen und nur im 


zn zn mE- wa (u „| — vn — — — -— 
v 


za Ga 37 mn mp Ten 


50. Die Gräfin von Toulouſe. 85 


Gedächtniß behalten, daß du das arme Weib des Na- 
varrefen ſeieſt. Darum fage ich bir nochmals, wenn du 
im Frieden mit mir leben willft, fo mußt du bich ent- 
Schließen, dies zu thun und mas ich dir fonft noch befehle; 


‚oder ih laſſe dich allen und gehe anderömo meinem 


Glücke nad). 

Sie war genöthigt, es ihm zu verfprechen und vol 
brachte am andern Morgen genau fein Geheiß. Der 
Graf ritt jeden Abend durch die Stadt fpazieren. Heute 
hatte er nun mit einem der beiden, welche mit ihm in 
Touloufe waren, und welcher in einem entfernten Ver⸗ 
wandtfchaftsverhäffniffe zu ihm ftand, alles verabrebet, 
was weiter zu thun wäre. Er Fam an der ärmlichen 
Derberge feiner Srau vorüber und ergriff eine Veran- 
Laffung ftille zu halten. Da näherte fih, wie ihm früher 
war befohlen worden, jener, während fie warteten, der 
Frau, welche zufällig mit der Gräfin an ber Küchenthür 
vermweilte, und fagte zu ihr: Wer ift das Mädchen bier 
neben euch, liebe Frau? 

Die Wirthin antwortete ihm, wer fie fei und wann 
und wie fie zu ihr gekommen. 

Ei, fagte der Edelmann, ihr feht doch aus, als lebtet 
ihr. fchon Yang genug in der Welt und ‚habt nod) nichts 
darin gelernt! Diefes Mädchen fieht mir’ aus, ald wäre 
fie das fchlaufte böfefte Geſchöpf, das ich je gefehen; 
und wenn ihr nicht Achtung gebt, fo fliehlt fie euch noch 
alles, was ihr habt. 

Die Alte leugnete died und ertheilte ihr das größte 
Lob. Darum fagte der Edelmann zu ihr: Ich will, ehe 
ih von hier weggehe, machen, daß ihr euch mit eigenen 
Augen von der Wahrheit meiner Behauptung überzeuget. 
Seid fo gut und hebt. ihr ein wenig vorn die Röde auf 
und fihaut ihr in die Zafche, die fie darunter hat, fo 
werdet ihr etwas darin finden, was euch beweifen wird, 
daß ich nicht umſonſt fieben Jahre in Toledo Nekromantie 
ftudirt habe. - 





86 XIV. Luigi Alamanni. 


Als er Miene machte, felbft den Beweis zu führen, 
unterfichte bie gute Frau, mehr um ihm zu gehorchen, 
als weil ſie irgend einen Berbacht hegte, ihr bie Taſche, 
wo fie bie vier Brote verftedt fand. Sie war darüber 
äußerft verwundert, entfehuldigte aber doch freundlich bie 
Fremde vor dem Ritter, welcher, nachdem er noch etwas 
darüber gelacht und gefpottet hatte, von dannen ritt. 
Es laͤßt ſich nicht befchreiben, wie fehr bie bebauerns- 
werthe Gräfin fich betrübte und fchämte. Sie ſank faft 
vor Schmerz zu Boden, ſich vor einer fo edeln Geſell⸗ 
fhaft wegen einer fo niebrigen Handlung verhöhnt zu 
ſehen. Als fie darauf von der Wirthin mit mütterlicher 
Milde zurechtgewiefen wurde, bat fie fie faft unter Thraͤnen 
um Verzeihung und verfprach ihr, nie wieder ähnliche 
Fehltritte ſich zu erlauben, verfchiwieg jedoch dabei immer, 
wer fie zu biefer Handlung beflimmt hatte. Der Graf 
fagte ihr in der folgenden Nacht, er habe die Brote 
nicht beburft, ftellte fich aber fehr unzufrieden mit der 
ihr zu Theil gewordenen Beſchämung, indem er ihr vor» 
warf, fie fei felbft an allem fchuld, da fie die Sache 
ungerne und ungefchidt angegriffen babe. Die Gräfin 
von Gatalonien, feine Mutter, hatte damals einige koſt⸗ 
bare Arbeiten bei einem Künftler beftellt, welche fie einem 
Gelũbde gemäß einer Anbachtsftätte in Barcelona ſchenken 
wollte. Unter andern Dingen waren dabei viele Perlen, 
aus welchen man Bilder und Thiere nähen fellte, wie 
man dergleichen Dinge jegt täglich fiehe. Als ber Graf 
dies betrachtete, fiel ihm plöglich ein, er koͤnne dadurch 
von Neuem feine Gattin befhimpfen. Gr fagte zu feiner 
Mutter, er kenne eine arme Franzöfın, welche fehr geübt 
fei in dergleichen Arbeiten, er wolle fie für dem folgenden 
Zag zu ihre beftellen, denn ex wiffe, wo fie wohne. In 
der Nacht fagte er es zu feiner Frau und befahl ihr, 
ohne Weigern und bei Strafe feiner Ungnabe fo viel als 
möglich von den Perlen zu fichlen. Die Arme wiber- 
ſetzte fi) zwar unter Thraͤnen lange, theil wegen ber 








50. Die Gräfin von Toulouſe. 87 


eben erſt erlittemnen Schmach mit dem Brote, theild um 
nicht das Haus deſſen betreten zu müſſen, beffen Wer⸗ 
bung fie neun Monate früher auf eine beleidigende Weife 
abgewiefen hatte, und wo fie daher gar leicht hätte er- 
kannt werden können. Doch naͤch zahllofen und rohen 
Drohungen des Grafen verftand fie fich endlich dazu, es 
zu thun; und zu befto größerer Sicherheit verabrebeten 
fie, fie folle die Perlen in den Mund nehmen und unter 
der Zunge verbergen; denn wenn fie auch nur wenige 
von bdenfelben, die alle fehr ſchön und von großem Werth 
waren, nehme, fo müffe der Gewinn doch immer fehr 

groß werden. Gleich am andern Morgen wurde fie von 
der Mutter des ‚Grafen befchäftigt, und ihre Betragen 
und Benehmen gefiel fo fehr der Mutter wie allen, bie 
fie fahen, daß niemand anderd glaubte, als fie fei wirf- 
lich eine vornehme Frau, wie fie ed auch war, auch, ab» 
gefehen davon, daß fie in allen Arbeiten, welche einer 
Edelfrau ziemen, fi ſehr gewandt und gelehrt zeigte, 
wie nur irgend eine. Sie felbft kümmerte ſich wenig 
um die Worte der andern; vielmehr ging ihr jeber ihrer 
Zobfprüche Mie ein ſcharfes Meſſer durch ihre Seele. 
Sie gedachte nur ihres Auftrages; ſchon hatte fie drei 
der allerfchönften Perlen unter die Zunge gebracht, als 
eben der Ritter, welcher ihren Brotdiebſtahl verrieth, 
auf des Grafen Befehl in das Zimmer trat und fi 
gegen die Srafın fehr verwundert äußerte, daß fie einem 
ſolchen Weibe Zutritt in ihrem Haufe verftatte. Er er- 
zählte ihr fodann, was er früher mit dem Brote gefehen 
babe, und offenbarte ihr endlih auch, was. fie ihr hier 
entwendet. Der Unglüdlichen verurfachte diefe Entdeckung 
um fo mehr Scham und Betrübniß, je edler dee Ort, 
je werthvoller der Gegenftand und je vornehmer die Perfon 
war, an welcher fie ihn verübt hatte. Die andere aber 
maß alle Schuld ihrer Armuth bei, entlieh fie jeboch 
ehrenvoll von ihrer Arbeit. Nunmehr glaubte der zür⸗ 
nende Graf für. die von feiner Frau erhaltene Beleidigung 


1 





88 XIV. Luigi Alamanni. 


genügende Rache geübt und ihr Worurtheil gegen ihn ge- 
hörig beftraft zu haben; denn er hatte nun das Bewußt⸗ 
fein, daß fie etwas viel Niedrigeres begangen habe, ale 
er, indem er den Kern eines Granatapfels aufgehoben. 
Auch bemerkte er, daß die Zeit ihrer Entbindung heran⸗ 
nahe, und fo gab er denn jedes weitere Verlangen, fie 
zu tränfen, auf und dachte hinfort nur auf feine Freude 
und ihre Zufriedenheit. Er erzählte alfo feinen Eltern 
alles, fagte, fie fei buch Verführung und nit durch 
Habſucht dahingebracht worden, bei ihm zu fehlafen, be- 
richtete fofort, wie viel Schmah, Qual und Verdruß 
er ihr bereitet habe zum Lohn für ihren Fall und ſchloß 
endlih damit, daß er beabfichtige, wenn fie es geneh⸗ 
migen, diefelbe am folgenden Tag als Tochter des Grafen 
von Touloufe und als feine Gemahlin heimzuführen. Die 
Eitern des Grafen waren hierüber ebenfo erfreut, als fie 
frühere durch die Kunde von dem Bruch ber beabfichtigten 
Bermandtichaft betrübt worden waren; und ohne die Ur- 
ſache zu fagen wurde Befehl zu einem koftbaren Feftmahle 
gegeben. Der Graf fagte in ber Nacht vor dem angeorb- 
neten Feſte zu feiner Frau: Morgen begeht man im 
Haufe des Grafen diefes Landes ein großes Hochzeitfeft, 
denn fein Sohn hat die altefte Tochter des Könige von 
Aragon geheirathet, eine ber reizendften und fchönften 
Srauen, die man feit langer Zeit gefehen; er darf Gott 
recht danken, daß du ihn ausgefchlagen haft, denn bier 
ift er, was Berwandtfchaft, Reichthum und Schönheit 
anbelangt, weit beffer gefahren. 

Hier konnte die Gräfin einen flüchtigen Seufzer nicht 
unterbrüden, indem fie zurückdachte, wer fie einft gewefen 
und wer fie jest war. 

Morgen, fuhr ber Graf fort, ift allgemeiner Fefttag, 
wo man nicht arbeitet. Da du alfo nichts anderes zu 
tbun haft, fo denke ich, du gehft zum Zeitvertreib mit 
diefer guten Frau hin, denn fo allein würbeft du bier 
Langeweile haben. Zugleich wirft du darauf. Acht haben, 





— — — — — — — 


50. Die Graͤfin von Toulouſe. 89 


ob nicht drinnen etwas iſt, was man, ohne daß jemand 
es merkt, ſtehlen koͤnnte. Du biſt ein Weib und wenn 
man dich daher auch ertappt, ſo kann dir doch nichts 
geſchehen, als ein wenig Schande, die bald vorbeigeht 
und welche zu ertragen der Arme ſeine Seele gewöhnen 
muß. | 

Schien e8 der Gräfin vorher hart, bas andere zu 
tbun, fo Fam ihr diefes Gebot nun ganz unerträglich 
vor, und hatte fie jenes durch Bitten und Entfchuldi« 
gungen von fich abzumenden gefucht, ſo betheuerte fie jegt 
mit Thränen und der jammervollften Klage, lieber fterben 
zu wollen, als fich dazu zu verftehen. Der Graf aber, 
welcher damit den Beſchluß machen wollte, zwang ihr 
mit noch weit heftigen Drohungen und herbern Worten, 
als früher, das DVerfprechen ab, feinem Willen nachzu⸗ 
fommen. Der Frau vom Haufe hatte er feinen ganzen 
Plan heimlich eröffnet ‚und ihr angegeben, .um welde 
Stunde, wie und wohin fie am folgenden Morgen zu 
gehen habe. Nach diefen Vorbereitungen kehrte er nach 
dem Schloffe zurüd. Am andern Tage fanden fich die 
vornehmften Nitter und Die ebeiften Frauen von Barce⸗ 
Ilona zur beftimmten Stunde ein um an dem Gaftmahle 
Theil zu nehmen, und erheiterten, ehe bie Zifche gedeckt 
waren, mit anmuthigen Gefprächen und muntern Tänzen 
die fürftlihe Wohnung. Die alte Wirthin führte nach 
der Meifung des Grafen fait mit Gewalt die Grafın hin, 
etwa eine Stunde vor dem Gaſtmahl. Sobald ſie unter 
andern ſehr armen Leuten verſteckt im Saale erſchienen 
war, ſchritt der Graf feſtlich gekleidet ganz ſtrahlend vor 
Freude auf ſie zu und ſagte laut, ſodaß er von allen 
konnte verſtanden werden: Willkommen, edle Gräfin, 
mein geliebtes Weib! Es iſt endlich an der Zeit, daß 
aus eurem navarreſiſchen Juwelenhaͤndler der Graf von 
Barcelona und aus euch der armen Pilgerin die Tochter 
und Gemahlin eines Grafen wird. 

Ganz aus der Faffung gebracht und ebenſo voll Ver⸗ 





90° XIV. Luigi Alamanni. 


wunderung. als Scham über dieſe Worte blickte ſie umher, 
ob nicht an jemand neben ihr dieſe Worte ſich richten. 
Bald aber erkannte ſie an Stimme und Bewegungen, 
wer es war und was er ſagte, verſtunmnte aber unent⸗ 
ſchloſſen, was ſie zu thun habe. Der Graf fuhr fort 
und ſagte: Edle Frau, wenn das, daß ihr mich ohne 
Recht und Billigkeit verſchmäht habt, mich etwas grau⸗ 
ſam gegen euch gemacht hat, und vielleicht mehr, als 
ihr für ſchicklich erachtet, ſo meine ich doch, wenn ihr 
Liebe gefühlt haͤttet wie ich und waͤret fo willkürlich be⸗ 
leidigt worden, ich müßte auf einen Punkt, in eurem 
Herzen Mitleid für alles finden, geſchweige Vergebung. 
Aber bei der Hoheit und dem Seelenadel, den ich in 
eurem niedern Stande mehr kennen gelernt habe, als 
ich ihn in eurer Erhebung auszufinden wußte, bitte ich 
euch, wie ich eure frühern Beleidigungen verzeihe, ihr 
mir die meinige in meiner Rache vergebet; und ſo möge 
es euch in Gegenwart meines Vaters und meiner Mutter 
und aller der hier anweſenden Herren und Frauen gefallen, 
mir in Barcelona das zu geben, was ihr mir in Tou⸗ 
loufe genommen habt, ich aber durch meine Lift euch 
wieber ftahl. ‘ 

Die Gräfin gewann ihren verlorenen Muth wieder 
und ermwiberte mit feſter Stimme und verſtaͤndigem fitt- 
famen Ausfehen, nicht wie ein armes Krämerweib, fon- 
dern wie eine Fürftin alfo: Es ift mir in der That lieb, 
mein Gebieter, heute zu erfahren, wie viel größer mein 
Glück geweſen ift, als mein Verſtand, da ich fehe, daf 

ihe ihr feid und nicht der, den ich mir vorftellte. Euch 
bie gegen mich geübte Grauſamkeiten verzeihen wird mir 
um fo viel leichter werden, als es euch geweien ift, je 
mehr immer bie Mache gerechter ift, als die Beleidigung. 
Indem ich euch hier ſchenke oder, richtiger zu fprechen, 
beftätige, was ih euch anderswo genommen, folge ich 
um fo mehr meinem innerften Triebe, je geringer für 
mich die Ehre, je unwürdiger bie Haltung und je nie- 


— — — - — — — — m ne — oO vr on OH OH A SE 1 eb —— 


50. Die Gräfin von Toulouſe. 91 


driger die Zeugen waren, in deren Gegenwart. die Schen- 
kung in Toulouſe geſchah, die nun in Barcelona bekraͤf⸗ 
tigt werden ſoll. Ich bin daher bereit, euch anzugehören 
oder auch nicht, denn ich wünſche nur eurem Willen Ge⸗ 


‚ nüge zu thun und dem Wohlnehmen eures Herrn Vaters 


und eurer Frau Mutter nachzukommen, deren Edelmuth 
ih um Verzeihung bitte für die euch zugefügten Belei⸗ 


‚digungen und die ic immer ehren und lieben werbe, 


wie nur eine Tochter Fann. 

Sie würbe noch weiter gefprochen haben, wenn nicht 
die Thränen des alten Grafen und der Gräfin, bie laute 
Theilnahbme und die Freudenrufe der Umftehenden fie 
unferbrochen hätten. Man führte fie daher hinweg, 309 
ihe die ärmlichen Kleider aus und hüllte fie in Tönigliche 
Gervande. Als darauf das glänzende Feft vorüber war, 
wurde alles dem Grafen von Toulouſe angezeigt, die 
Verbindung von ihm mit ber größten kaum erwarteten 
Freude beftätigt ſammt der früher verabredeten Mitgift 
und Freundfchaft, und bie alte ammerfrau , welche den 
ganzen Handel vermittelt hatte, kam in größere Gunft, 
als je. Die Gräfin gebar nad kurzer Zeit einen fehr 
fhönen Knaben und nad, demfelben mit der Zeit viele 
andere Söhne und Töchter und lebte fehr lange zufrieden 
mit ihrem Manne, vom ganzen Rande fortwährend geliebt 
und hochgeachtet. 

Diefe Gefchichte ift mit allen Einzelheiten ausführlich 
erzählt in ben Chroniken beider Graffchaften und ich über- 
laffe dem Gejchmade eines jeben Leſers, zu entfcheiden, 
ob daran fouloufifche Keufchheit oder catalonifche Höflichkeit 


mehr zu bewundern ift. 





XV. Lodovico Carbone. 


1500. 


51. Dante's Ferftreutheit. 


(Gamba's Bibliogr. S. 75.) 


Danti Adigieri der florentinifche Dichter war fehr 
gewandt in Antworten, denn er war ein tiefer Denker. 
Eines Tages, als er die Meffe hörte, fei es, daß er irgend 
einer feinen Phantafıe allzufehr nachhing, oder vielleicht 
vorfäglich, um feine Feinde zum Beſten zu haben, Eniete 
er nicht nieder und lüpfte die Kapuge nicht, ald man 
ben Leib Chrifti emporhielt. Seine Neiber, und deren 
hatte er viele, denn er war ein rechtichaffener Mann, 
liefen alsbald zum Biſchof und verklagten Danti als 
Keper, der dem Sacrament die fchuldige Ehrfurcht ver» 
fagt habe. Der Bifchof ließ Meffer Danti rufen, hielt 
ihm feine Handlungsweife vor und fragte ihn, was er 
gethban habe, während man die Hoftie emporbielt. 

Fürmahr, antwortete er, ich war mit meinem Geiite 
fo bei Gott, daß ich mich nicht erinnere, welche Gebaͤrde 
mein Leib machte. Die böfen Menfchen aber, welche 
Seele und Augen mehr auf mid) gerichtet hatten, ale 
auf Gott, können es euch ja fagn. Wären fie mit 
ihren Gedanken bei Gott geweien, fo hätten fie nicht 
darauf geachtet, mas ich thue. 

Der Bifhof nahm die Entfchuldigung an und er- 
fannte Danti als einen weifen Mann, und hielt dieſe 
Neider für große Eifel. 





XVI. Benvenuto Eellini. 


1500. - 


52. Die Rietung deb Diamants. 


(Nov. 3. Taſſt 3, 281.) 


Diamanten jeder Art muß man mit der Sorgfalt 
behandeln, welche die Ehre des Meiſters und der Werth 
des Juwels erfordert. In der Arbeit ſelbſt läßt ſich große 
Kunſt anbringen, wie einem die verſchiedenen Arten von 
Geſchmuck dazu Gelegenheit bieten. Um nun auf ein 
bemerkenswerthes ſprechendes Beiſpiel zu kommen, muß 
ich wieder von dem großen Diamant reden, welchen ich 
dem Papſte Paul faßte und den ich nur zu nieten hatte, 
denn der Ring war ſchon vorhanden; ich hatte Raffaello*), 
Suafparri und Gaio gebeten, mir zmei Tage Zeit zu 
laſſen, während deren ich mit ben vorerwähnten Zinten 
alle möglichen Verſuche machte, wie fie vielleicht je ein 
Menſch bei folhem Anlaß anftellte; fo gelang es mir 
durch große Anftrengung eine Zufammenfegung zu er 
reihen, welche auf den befagten Diamant beffer wirkte, 
als die des Meifters Miliano Targhetta. Und als ic 
mich vollfommen überzeugte, einen fo bewundernswür⸗ 
digen Mann übertroffen zu haben, machte ich: mic 
wiederum mit um fo größerem Eifer daran, um zu 
verfuhhen, ob ih nun mic felber übertreffen könne; 
denn, wie gefagt, die Behandlung dieſes Diamants 
war bie ſchwerſte, die man fi) auf der Welt vorftellen 
Tonnte, weil er gar zu fein war, und die Kunft des 
Juweliers beftand darin, ihn auf der Zinte zu befe- 
ftigen, nicht mit dem Spiegelhen, von weldem fpäter 


) Raffaello del Moro. Bgl. Gellini’s Leben I, 201 bei Taſſi. 





- 


94 XVI. Benvenuto Cellini. 


die Rede fein wird.*) Als ich mit mir zufrieden war, 
ließ ich drei alte Juweliere rufen, und hatte, bis fie 
kamen, alle meine Zinten in Orbnung gebracht. Die 
drei befagten Männer kamen in meine Bube und ber 
anmaßende Gaio war ber erfte, ber hereinkam. Als er 
nun alle die fehönen Zurüftungen fah, bie ich. machte, 
um ben Diamant in ihrer Gegenwart zu nieten, fchüt- 
telte er fogleich den Kopf und winkte mit den Händen. 
Dann fing er fein Gefchwäg an und ſprach: Benvenuto, 
das find lauter Lappereien und Rarrenspoffen. Hole bie 
Zinte des Meifters Miliano und damit wollen wir nieten. 
Bring uns nicht um unfere Zeit, denn dieſe ift uns 
koſtbar bei den vielen Arbeiten, bie mir der Papſt auf: 
getragen bat. | 

Der obengenannte Raffaello fah, daß ich in bie er- 
ſchrecklichſte Wuth geriet, und als ein rechtfchaffener 
Mann, wie er war, und von befonnenerem Alter, fing 
er an, bie fchönften und freundlichften und gewichtigften 
Worte zu reden, die eine Zunge hervorbringen kann; 
fodag er mir Zeit gab, den erfchredfichen Zorn, ber mir 
gefommen mar, verbampfen zu laffen. Der andere, 


Meiſter Guafparri, gleichfalls von römifcher Abkunft, 


begann, um jenes große Vieh zu bändigen, zu plaudern 
und fagte allerlei ungefchidtes Zeug, denn er war nicht 
fonderlich gewandt in der Rede. Ich aber wandte mich, 
als ich meinen Zorn einigermaßen gebändigt fah, zu den 
drei Männern und ſprach: Der Gott der Natur hat dem 
Menfchen in Übung feiner Stimme vier Arten verliehen 
und das find folgende: Die erfte nennt man bie Rede, 
fie ift die Sache der Vernunft und geht ben Dingen auf 
den Grund; bie zweite pflegt man das Sprechen zu 
nennen, das bezieht fich auf fehöne und mwadere Worte, 
bie einer mit ben andern wechfelt, wenn fie aud nicht 


*) Darunter verfteht man ein Stückchen Kruftallglas, das auf 
einer Seite beftriden und unten in den Kaften eines Juwels 
gelegt wird. 


92. Die Nietung des Diamants. 95 


gerade tief greifen; das dritte iſt das Plaudern, wenn 
man leichtfertiges Zeug vorbringt, das zwar manchmal 
unterhaltend iſt und niemals beleidigt; das vierte aber 
iſt das Geſchwätz, und dad kommt von Leuten, welche 
nichts verſtehen, und dabei doch ſich anſtellen, als wüßten 
ſie wunder was. So will ich denn mit euch reden, liebe 
Herren, und euch meine Gründe ſagen. In der That, 
Meifter Raffaello bat hier fon, fehr fchön gefprochen. 
Meifter Guafparri hat zu unferer Beluftigung uns einiges 
vorgeplaudert, wenn gleich feine Worte nicht zu unferer 
Sache gehören. Gaio aber hat wader darauf los gefchwagt, 
fo widerlih als nur möglih. Weil indeß fein Geſchwätz 
nichts geradezu Beleidigendes hatte, konnte ich mich nicht 
entfchließen, mich darüber zu erzürnen. So habe ich es 
denn fo hingehen laffen. Nun bitte ich euch aber, daß 
ihr mich den Diamant fo jegt vor euch nieten laffet, und 
wenn mein Kitt nicht beffer ift, als ber des Meifters 
Miliano, fo kann ich ja hernach biefen anwenden und 
zeige wenigſtens, bag ich bereit bin, zu lernen. 
Nachdem ich ausgeredet hatte, fing der Dummkopf 
von Gaio an und fpradh: So bin ich alfo ein Schwäger? 
Der brave Raffaello aber brachte es durch feine freund- 
lihen Worte dahin, daß das Vieh ein bischen flille ward, 
und fo beganıf ich mit meinen obengenannten Kitten ben 
befogten Diamanten zu Bitten. . Raffaello und Guafparri 
fhauten fehr aufmerffam zu, wie ich den befagten Dia- 
manten fittete. Und zwar kittete ich ihn zuerft mit meinem 
Kitte, welcher fi) fo gut ausnahm, daß fie im Zmeifel 
waren, ob ich nicht den Kitt des Miliano übertroffen 
babe, und mic, fehr . anerfennend lobten. Da wandte 
ſich NRaffaclo zu Gaio und fagte: Gaio, da feht den 
Kitt des Benvenuto! Wenn er nicht ben des Miliano 
übertroffen bat, fo ift er ihm doch ganz nahe gefommen. 
Darum ift ed immer gut, junge Leute zu ermuthigen, 
denen es Ernſt ift, ihre Sachen gut zu machen, wie wir 
bei Benvenuto fehen. 


96 XVI. Benvenuto Eellini. 


. Dann wandte ich mich zu ihnen, dankte dem Raffaello 
für feine freunblihen Worte und fagte zu ihnen: Zur 
weitern Probe will ih nun, ihr lieben Freunde, meinen 
Kitt wegnehmen und vor euren Augen wollen wir dann 
den des Meifters Miliano anlegen. Alsdann läßt ſich 
beffer beurtheilen, auf welchem Kitte ber Diamant beffer 

Ih nahm alfo fogleih meinen Kitt weg und legte 
den von Meifter Miliano an, worauf Naffaello und 
Guaſparri erflärten, der Diamant nehme fich beffer aus 
auf biefem meinen Kitte, als auf dem Miliano's. Go 
wünſchten denn alle drei einflimmig, baß ich ihn auf 
meinen Kitt zurudbringe und zwar fchnell, ehe die Erin- 
nerung des Anblicks vergehe. In Folge biefer Auffor⸗ 
derung brachte ich den Stein gleich wieder auf meinen 
Kitt zurück, gab ihn ihnen in die Hand und alle drei 
waren einverſtanden. Der erſte war Gaio, deſſen Efels- 
geſicht ſich ganz aufheiterte und der äußerſt freundlich 
zu mir ſagte, ich ſei ein Ehrenmann, ein ganzer Kopf; 
er ſehe, daß ich den Diamant mit dem kräftigen Kitte 
noch einmal fo gut gefaßt habe, als Meifter Miliano, 
was er, fi nimmermehr ald möglich gebacht hätte. Nach 
dieſer Außerung trat ich ihnen ein bischen keck entgegen, 
aber doch fo beicheiden, daß bie Kedheit nicht auffiel, 
und fagte zu ihnen: Lieben Meiſter, dieweil ihr mir fo 
viel kraͤftigen Much einflößt, aus welchem doch jedes 
rechte Gut entfpringt, möchte ih euch bitten, daß es 
euch gefällig wäre, meine Richter zu fein, denn dieweil 
ihr fagt, daß ih Miliano übertroffen habe, mögt ihr 
nun auch urtheilen, ob ich im Stande fein werde, mid) 
felbft zu übertreffen. Darum wartet auf mich ein halbes 
BViertelftundchen! 

Ichh ließ fie fofort allein und ging auf eine Gallerie, 
wo ich Alles, was ich thun wollte, in Orbnung gebracht 
hatte. Worin das beftand, werde ich fogleich fagenz ich 
habe es übrigens fonft niemanden gewiefen. Bet dieſem 


52. Die Nietung des Diamants. 97 


Diamant erwarb es mir die größte Ehre, wiewol die 
Sache nicht bei allen andern Diamanten gelingt, noch 
ohne Nachdenken und Erfahrung, wie ich ſie hatte. Ich 
nahm nämlich ein Körnchen von jenem Kitt, gerade in 
der rechten Groͤße, forgfältig gereinigt von allem Unſau⸗ 
bern, ſodaß es fo fauber und Elar wurde, wie man fidh 
irgend denken kann; und mit größter Genauigkeit brei- 
tete ich, nachdem ih den Diamant hinreichend gefäu- 
bert hatte, ihn darauf aus bei einem gelinden Feuer. 
Dann lieg ich es abkühlen, hielt ihn aber immer feft 
zwifchen den Zänglein, die man zum Kitten gebraucht. 
AS nun, wie gefagt, der reine Kitt über dem Diamant 
trocken und alt geworben war, hatte ich ſchon meine 
ſchwarze Tinte bereit, fie war ganz dünn und mit einer 
gemäßigten Wärme breitete ich fie fachte über den klaren 
Kitt aus, der den Diamant überzog. Sie entſprach 
auch dem Waſſer des Diamants ſo gut, daß man meinte, 
er ſei gerade ſo dick und Alles gehöre und verſtehe ſich 
ſo von ſelbſt. Als das geſchehen war, lief ich hinunter 
und gab ihn dem Meiſter Raffaello in die Hand. Er 
aber geberdete ſich darüber, als wäre ein wahres Wunder 
gefchehen. Die beiden andern, Guafparri und Gaio, er- 
ftaunten nicht minder und lobten mich unmaͤßig. Gaio 
aber warb fo demüthig, daß er mich um Verzeihung bat. 
Endlich. fagten alle Drei unwillkürlich: Um diefen Dia⸗ 
mant zahlte man zwölftauſend Thaler, jegt aber ift er 
wol zwanzigtaufend werth. 

Sie prieſen meine Hände glücklich und ſchieden von 
mir als gute Freunde in beſtem Vernehmen. 


2 


Staliänifcher Novellenſchatz. II. | 5 





XVII. Antonio Srancesco Grazzini 
genannt der Lasca. 


1503. 


| 


9. Ein Schwank Lorenzo Mediei's. 


(3, 10.) 


Lorenzo der alte von Medici war ohne Widerrede 
gewiß einer, wo nicht der erſte der allervortrefflichfien 
Männer, nicht nur ber felbft tugendhaften, fondern auch 
der die Tugend liebenden und belohnenden, die da jemals 
in der Welt gefeiert wurden. Zu feiner Zeit nun be- 
fand fih in Florenz ein Arzt Namens Meifter Manente 
vom Kicchfpiel Sanct Stephan, ber mehr durch die Er« 
fahrung, als Durch Wiffenfchaft gelehrt worden, und wenn 
auch in der That fehr kurzweilig und fpaßhaft, doch fo 
anmaßlich und unverfchämt war, daß man es gar nicht 
mit ihm aushalten konnte. So liebte er unter Anderem 
auch über die Maßen den Wein; er gab fih für einen 
großen Weinkenner und Weinfchmeder aus und pflegte 
fi oftmals, ohne eingeladen zu fein, bei dem Erlauchten 
einzufinden. Diefem wurde aber feine Zudringlichkeit und 
Unverfhämtheit allmälig fo zum Efel und Überdruß, daß 
er ihn nicht mehr vor Augen fehen mochte und fih im 
Stillen vornahm, ihm einen recht auffallenden Streich 
zu fpielen, um fich feiner auf eine Weile und vieleicht 
für immer zu entledigen. Er hatte nun eines Abends 


53. Ein Schwank Lorenzo Mediti's. 90 


vernommen, daß Meiſter Manente in dem Wirthshauſe 
zu den Affen ſich ſo übernommen habe, daß er nicht 
mehr auf den Füßen ſtehen konnte und der Wirth, als 
er ſeine Gaſtſtube geſchloſſen, ihn durch die Kellner unter 
beiden Armen hinausführen oder beſſer hinaustragen laſſen 
mußte, nachdem ihn ſeine Geſellſchafter verlaſſen. Er 
wurde nun auf eine große Bank vor die Bude bei Sanct 
Martin niedergelegt, und dort ſchlief er ſo feſt ein, daß 
ihn die Bombarden nicht aufgeweckt haͤtten, und ſchnarchte 
wie ein Ratz. Dies ſchien dem Fürſten die erwünſchteſte 
Zeit für feinen Plan. Er that, als habe er nicht gehört, 
was jener ſprach, der von ihm berichtete, und fei mit 
Anderem befchäftigt, ftellte ſich, als wolle er zu Bette 
gehen, denn ed mar doch fchon ziemlich ſpät; übrigens 
bedurfte feine Natur wenig Schlaf und ed war immer 
fhon Mitternacht, ehe er zur Ruhe fam. Nun ließ er 
insgeheim zwei ganz zuverläffige Diener rufen und trug 
ihnen auf, was fie zu thun haben. Die Diener gingen 
fodann mit verhülltem Gefihte und unerkannt aus dem 
Dalafte und nach Lorenzo's Auftrage nach Sanct Martin, 
wo fie auf die zuvor angegebene Weiſe Meifter Manente 
ſchlafend fanden. Ste ergriffen ihn, far und rüflig 
wie fie waren, ftellten ihn aufreht auf bie Erbe und 
vermummten ihn gleichfalls. Dann fchritten fie mit ihm, 
indem fie ihn faft in der Schwebe trugen, von dannen. 
As der vom Meine wie vom Schlafe betäubte Arzt 


"fühlte, daß er hinweggeführt wurbe, glaubte er ficher, 


die Wirthöjungen oder feine Zechbrüder und Freunde 
bringen ihn nach Haufe; fo überließ er fih, fchläfrig 
und betrunfen, wie nur einer fein konnte, gebuldig ber 
fremden Willkür. Die Diener drehten ſich mit ihm eine 
Meile in Florenz umher, kamen zulegt in den Palafl 
der Medici, und traten vorfichtig, um von niemanden 
bemerkt zu werden, durch eine Dinterthüre in ben Hof, 
wo fie den Erlauchten ganz allein fanden, ber fie mit 
unaußfprechlicher Heiterkeit erwartete. Sie fliegen die 
5* 





100 XVII. Untonio Francesco Grazzini. 


erften Treppen miteinander empor in einen Zwilchenftod 
inmitten bes Hauſes und begaben fi in ein ganz ge⸗ 
heimes Zimmer. Dort legten fie Meifter Manente auf 
Lorenzo's Befehl auf ein aufgefchütteltes Federbett und 
leideten ihn ganz leiſe aus bis aufs Hemde, ſodaß er es 
kaum fpürte. Cs fah nun aus, wie man einen Todten 
auszieht. Sie nahmen alle feine Kleider mit und ließen 
ihn liegen hinter wohlverfchloffener Thüre. — Der Präd- 
tige befahl feinen Dienern nochmals reinen Mund zu 
halten, bob die Kleider des Arztes auf und ſchickte fo- 
gleich nach dem Poſſenreißer Monaco aus, welcher beffer, 
als irgend jemand in ber Welt alle Perfonen in der Rebe 
nachmachen konnte. Sobald diefer vor ihm erfchien, führte 
ihn Lorenzo in fein Schlafzimmer, entließ feine Diener 
zur Ruhe und fegte dem Monaco auseinander, was er 
von ihm ausgeführt wünfche, worauf er felbft mohlgemuth 
zu Bette ging Monaco nahm alle Kleider des Arztes 
zufammen, fchlich fich heimlich nach dem Haufe zurüd, 
309 die feinigen aus und kleidete fich von Kopf bis zu 
Fuß in erſtere; worauf er fih, ohne jemand ein Wort 
zu fagen, entfernte und, als ſchon überall die Frühmette 
geläutet wurbe, nad) dem Haufe Meifter Manente’s ging, 
welcher damals in der Grabengaffe wohnte. Da es 
September war, hatte er feine Familie aufs Land nad 
Mugello geſchickt, namlich feine Frau, ein Knäbchen und 
die Magd, er feibft war allein in Florenz geblieben und 
kam nur Nachts zum Schlafen nah Haufe, denn er 
fpeifte immer im Gaſthauſe mit Gefellfchaft oder im 
Haufe feiner Freunde. Sowie nun der ald Meifter Ma⸗ 
nente verkleidete Monaco bei deffen Haufe angekommen 
war, holte er den Schlüffel aus dee Tafche, ſchloß ohne 
Beſchwerde bie Thüre auf, verfchloß fie wieder hinter ſich 
und legte fi munter und guter Dinge darüber, dem 
Erlauchten dienftlih zu fein und zu gleicher Zeit den Arzt 
zu prellen, zu Bette. Indeſſen kam der Tag. Als 
Monaco bis zur dritten Stunde nah Sonnenaufgang 





mn — — — — — — — — — 


53. Ein Schwank Lorenzo Medici’. 101 


gefchlafen hatte, fprang er von feinem Lager auf, 309 
die Kleider des Arztes an und einen langen Hausrod 
über das Wams, fegte fich einen großen Hut auf den 
Kopf und rief des Arztes Stinime nachahmend von dem 
nach dem Hofe zu gehenden Fenfter aus einer feiner Nach» 
barinnen zu, er fühle ſich ein menig unpaß, er habe 
etwas Schmerzen am Halfe, den er fih wohlweislich 
mit Werg und Fettwolle ummidelt hatte. Die Stadt 
Florenz ftand eben damals im Verdachte, von der Peſt 
angeſteckt zu fein, die bereits in einigen Häufern in ben 
legten Tagen fich gezeigt hatte. Die Nachbarin erkun- 
digte fich daher erſt vorfichtig, was er von ihr fordere. 
Monaco bat fie um ein Paar frifche Eier und um ein. 
wenig Feuer und empfahl fi ihr. Dann’ ftellte ex ſich 
mit Worten und Geberden, als könne er nicht mehr auf- 
recht bleiben, und entfernte fih vom Fenfter. Die gute 
Frau holte Eier und Feuer herbei, rief ihrem Nachbar 
mehrmals und that, ihm zu wiffen, daß fte ihm beides 
vor die Thüre nad) der Straße ftellen werde, und voll» 
brachte es. Dreift, als ob er Meiſter Manente wäre, 
ging Monaco, mit feinem fangen Hausrocke bekleidet 
und mit dem großen in die Augen gebrüdten Hute be- 
beit, an den Eingang, nahm die Eier und das ‚Feuer 
auf und ſchlich damit ins Haus zurüd, wie wenn er 
fih nicht mehr auf den Beinen erhalten könnte; und 
den Hals hatte er dabei über und über verbunden, ſodaß 
ihn alle Nachbarn, die ihn fahen, zu ihrem Leidweſen 
ſchon ganz mit Peftbeulen bededt glaubten. — Das Ges 
ruht von diefem Vorfalle verbreitete fich plöglich in der 
Stadt und z0g denn auch einen Bruder von Meifter 
Manente's Frau, welcher ein Goldfchmied Namens Nicco- 
lajo war, im Fluge herbei, um ſich zu erkundigen, wie 
die Sache ſtehe. Er pochte an die Thüre, pochte aber- 
mals, erhielt aber Feine Antwort, meil Monaco feine 
guten Gründe hatte, nicht darauf zu hören. Hingegen 
beftätigte ihm bie ganze Nachbarfchaft, daß der Arzt 





102 XVII. Antonio Franceſco Grazzini. 


ohne Zweifel die. Peſt babe. In diefem Augenblid ritt 
Lorenzo wie von ungefähr in Gefellfchaft vieler Edelleute 
die Strafe entlang und fragte, als er bier Leute bei- 
fammenftehen fah, was das bedeute. Der Goldſchmied 
antwortete, man befürchte fehr, Meifter Manente möchte 
von ber Peſt angeftedt fein. Der Erlauchte fprah, es 
werde wohlgetban fein, dem Kranken einen Waͤrter bei- 
zugeben, und ließ dem Niccolajo eröffnen, er folle in fei= 
nem Namen nah Santa Maria Nuova gehen und fich 
für Meffere einen tüchtigen und erfahrenen Mann geben 
laffen. Der Goldſchmied machte fich eiligft auf den Weg, 
richtete dem Spitalverwalter feinen Auftrag aus und er⸗ 
hielt fofort einen Wärter, den Lorenzo bereits in fein 
Geheimniß gezogen und -zu dem, was er zu thun habe, 
abgerichtet hatte. Lorenzo der erlauchte, war indeſſen 
ab und zugeritten und ermartete fie an der Ede der 
Alterheiligenftraße ; dann rite er ihnen entgegen, that, 
ale fchließe er den Miethvertrag mit dem Wärter ab, 
und empfahl ihm Meifter Manente auf das Dringendfte. 
Er ließ ihn ins Haus treten, nachdem er die Thüre 
duch einen Schloffer hatte öffnen laſſen. Nach einer 
Meinen Weile trat ber Wärter an das Kenfter und rief 
heraus, der Arzt babe eine Peftbeule am Halfe fo groß 
wie eine Pfirfche, er könne fih nicht vom Bette erheben 
und liege halbtodt da, er werde ihm jedoch alle mög- 
liche Hilfe leiften. Lorenzo beauftragte den Goldfchmied, 
für ihn und den Kranken Speife herbeisufchaffen, ließ 
das Peſtzeichen an das Haus befefligen und ritt feines 
Wegs, indem er in Worten und Geberden nun reges 
Mitleid mit dem Arzte an den Tag legte. Der Kranken⸗ 
wärter ging zum Monaco hinein, der vor Luft und Lachen 
faft berften wollte. Der Goldfehmieb brachte Effen in 
Menge, im Haufe felbft fanden fie Pöckelfleiſch und zapften 
ein Fäßchen trefflihen Wein an und hielten fo für den 
Abend einen wahrbaft päpftlihen Schmaus. — Unter: 
beffen hatte Meifter Manente die Nacht und den folgenden 





53. Ein Schwank Lorenzo Medici’s. 103 


Tag ununterbrochen geichlafen und mußte, als er fih bei 
feinem Erwachen im Bett und im Dunkeln wieberfand, 
fich nicht zu befinnen, mo er fei, zu Haufe ober anderswo. 
Bei ſich ſelbſt darüber nachdenkend erinnerte er ſich endlich, 
wie er in den Affen zuletzt mit Burchiello, mit dem 
Succia und mit dem Makler Biondo getrunken hatte, 
darauf eingeſchlafen und nach ſeinem Dafürhalten nach 
Hauſe gebracht worden war. Er ſprang aus dem Bette, 
taſtete vorſichtig nach einem Fenſter rings umher, fand 
aber keines, wo er glaubte, es müſſe eines ſein; ſo tappte 
er denn fort, bis er die Thüre eines Abtritts fand. Dort 
entleerte er die Flüſſigkeit, wozu es ihn ſehr drängte, und 
verrichtete ſeine Nothdurft, drehte ſich dann wieder in 
dem Gemache umher und kehrte endlich voll Angſt und 
Erſtaunens in das Bette zuruͤck, denn er wußte gar nicht 
mehr, ob er in diefer oder in ber andern Welt lebte. 
Er durchlief in feinem Gedachtniffe Alles, was ihm be⸗ 
gegnet war, von Neuem; ba ihm aber allmälig der Hunger 
zu fommen anfing, fühlte er fich "mehrmals verfucht zu 
rufen. Doc hielt ihn die Angft zurüd, er ſchwieg und 
wartete ruhig zu, was aus ihm werden follte. — Lorenzo 
hatte unterdeffen bereitd die Anordnung zu weiterer Durch⸗ 
führung. feines Planes getroffen, er ſteckte heimlich die 
beiden Diener in weiße Mönchöfutten, die bis auf den 
Boden reichten und fegte ihnen einen großen Kopf auf 
nad) Art derer in ber Knechtegaſſe, welche ausſehen als 
lachten fie, folche fegte er ihnen aufs Haupt ober eigentlich 
auf die Schultern auf; die Köpfe wie die Mönchskutten 
nahm er aus der Kleiderfammer, worin unzählige andere 
der verfchiedenften Gattung ſich befanden, und ebenfo 
Masten, welche zum Zafching gebient hatten; einer hatte 
ein bloßes Schwert in der rechten Hand und in der linken 
eine große weiße brennende Kerze; der andere trug zwei 
Flaſchen guten Wein bei fi) und in ein Tuch gemwidelt 
zwei Paare Brot und zwei die kalte Kapaunen, ein 
Stück Kalbsbraten und Obft nad) Maßgabe der Jahreszeit. 





104 XV. Antonio Francesſco Grazzini. 


So mußten fie leife in das Zimmer treten, in welchem 
der Arzt eingefchloffen lag. Da nun die Kammer von 
außen verfchloffen wurbe, fehoben fie mit großem Ungeftum 
den Riegel weg, riffen die Thüre auf, traten ein und 
verſchloſſen plöglih den Eingang Hinter fih. Der mit 
dem Schwerte und der Fadel ftellte fih hart an die 
Thüre, damit der Arzt nicht etwa hinlaufe und fie öffne. 
Als Meifter Manente die Thüre berühren und den Riegel 
wegfhieben hörte, fchauderte er zufammen und fegte fich 
im Bette auf; als er aber die feltfam gekleideten Geftalten 
eintreten und in der Hand des einen ein Schwert bligen 
fa, wurde er von ſolchem Staunen und Entfegen über- 
mannt, daß ihm der Schrei, den er ausſtoßen mollte, 
in feinem Munde erftarb und er in Zodesangft wie feft- 
geimurzelt erwartete, was mit ihm gefchehen folle. Gleich 
darauf aber fah er, daß der andere, welcher die Eßwaaren 
trug, das Zuch auf einem dem Bette gegenüberliegenden 
Tiſche ausbreitete und ſodann Brot, Fleifch, Wein, Flafchen 
und die übrigen Lederbiffen darauf ftellte und ihm mit 
einem Winte_bebeutete zuzugreifen. Der Arzt, der den 
Hunger leibhaftig vor fi) gefehen, ftand nunmehr ſtracks 
auf und fuhr im Hemde und ohne Unterkleider, wie er 
war, auf die Lebensmittel los; jener aber zeigte ihm auf 
einen Schlafrod und ein Paar Pantoffeln, bie auf einem 
Ruhebette lagen und bebeutete ihm beides anzulegen, 
worauf Meifter Manente dann mit dem beften Appetite 
von der Welt ſich über das Effen hermadıte. Mit Bliges- 
fchnelle öffneten nun die beiden Geftalten die Tchüre, 
glitten aus dem Gemach, ſchoben den Riegel vor und 
ließen jenen ohne Licht zurück. Sodann zogen fie fich 
aus und erftatteten dem Erlauchten ausführlihen Bericht. 
Meifter Manente fand feinen Mund audy in der Duntel- 
beit mit feinen Sapaunen und dem Kalbebraten, trank 
aus der Flafche und lüpfte ganz erflaunlich, indem er 
bei fi felbft fprah: Es geht mir bach nicht gar zu 
Ihlimm. Sei es wie es will, fo viel weiß ih, wenn 


* 


53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 105 


fieden muß, fo will ich heute nicht mit leerem Magen 
erben. 

Er legte bie Uberbleidfel feiner Mahlzeit, fo gut es 
gehen wollte, in das Tiſchtuch zufammen und kehrte in 
fein Bett zurüd, wobei es ihm doch feltfam bedauchte, 
fo allein im Dunkeln zu fein, ohne zu wiffen, wo und . 
wie und von wem er hierhergebracht worden und wann 
er von hier loskommen werde, Doc wenn er fidh der 
lachenden Garnevalsmasten erinnerte, fo mußte er auch 
lachen, denn das ſchmackhafte Effen war ihm ganz recht 
—** und er lobte vornehmlich den guten Wein, von 
welchem er nicht viel weniger, als eine Flaſche, ausge⸗ 
ſtochen hatte. Des feſten Glaubens, es ſei Alles nur ein 
von ſeinen guten Freunden angelegter Schwank, überließ 
er ſich der Hoffnung, über lang oder kurz das Licht des 
Tages wieder zu erblicken, und in dieſen angenehmen 
Vorſtellungen verſank er in Schlaf. — Am Morgen 
trat der Krankenwaͤrter bei Zeiten an das Fenſter und 
rief offen den Nachbarsleuten und dem Goldfchmied zu, 
der Meifter habe die Nacht über Teidlich gefchlafen, die 
Deitbeule komme heraus, er unterftüge ihn mit Mehl⸗ 
umfchlägen und babe bie befte Hoffnung. Als es nun 
Abend wurde, fand der Erlauchte zur Fortfegung feines 
Scherzes die befte Gelegenheit und ein Vorfall kam ihm 
zu Statten, worauf er dem Monaco und dem SKranfen- 
wärter zu wiffen thun Tieß, was fie zu thun hatten. Es 
war nämlich an diefem Tage um die dritte Morgenfiunde 
ein Roßkamm, ber ſich Franciofino nannte, indem er auf 
dem Plag von Santa Maria Novella ein Pferd zuritt 
und galoppiren ließ, mit ihm geftürzt und hatte durch 
einen mir nicht näher befannten Umftand dabei den Hals 
gebrochen, während das Pferd nicht den mindeften Schaden 
nahm. Die Keute eilten hinzu, um ihm aufltehen zu 
helfen, fanden aber, daß er bereits das Bewußtſein ver- 
Ioren hatte. Man nahm ihn daher auf und trug ihn 
in das nahegelegene Hofpital von San Pagolo; dort 

_ 5*8* 


106 XVI. Untonio Franceseo Grazzini. 


3098 man ihn aus, um zu fehen, ob man ihn’ wieder 
zum Leben bringen könne, fand ihn aber tobt und 
das Genid gebrochen. Daher machte man bie wenigen 
Kleider, die er auf bem Leibe gehabt, zu Geld, und 
einige Freunde übergaben ihn als Fremden den Brü- 
dern von Santa Maria Novella, um ihn nach ber 
Defper zu beerdigen. Diefe brachten ihn in eines der 
Gräber außen unter der Treppe, ber Hauptthüre der 
Kirche gegenüber. Monaco und fein Gefellfchafter hat⸗ 
ten von ber Willensmeinung Lorenzo's Kunde erhalten: 
um das Ave Maria trat ber Wärter an bad Fenfter 
und rief, der Arzt habe einen fo bebenklihen Anfall 
befommen, daß er alle Hoffnung aufgebe; die Peſt⸗ 
beule verenge ihm bergeftalt ben Hals, daß er kaum 
zu Athem kommen Tönne, gefchmweige denn zu reden 
im Stande fei. Deshalb erfchten der Goldfhmieb am 
Haufe und wünfchte, feinen Schwager doch noch ein 
Teftament machen zu laffen. Der Wörter gab ihm 
aber zu bedenken, daß dies jegt doch nicht wohl thun- 
lich fe, und fo wurden fie einig, den Kranken des 
andern Morgens, wenn er ſich bis dahin nicht gebeflert 
babe, beichten und communiciren und feinen legten Willen 
auffegen zu laffen. Indeſſen kam die Naht, und ale 
zwei Drittheile derfelben vorüber waren, gingen Die zwei 
Diener heimlih im Auftrage des Erlauchten Auf den 
Kichhof von Santa Maria Novella, nahmen den Fran⸗ 
ciofino aus dem Grabe, in das er kurz zuvor gebracht 
worden war, und trugen ihn auf dem Rüden in die 
Grabenftraße in das Haus des Meifter Manente. Monaco 
und der Wärter harrten an ber Thüre, nahmen ihn ftille 
ab und brachten ihn hinein, die Stallinechte aber ent- 
fernten fich wieder, ohne von jemand gefehen worden zu 
fein. Monaco und ber Wärter machten ein großes Feuer 
auf, tranken mader und machten dem Zodten ein Kleid 
von fchöner neuer Leinwand. Sodann verbanden fie 
ihm den Hals mit gefalbtem Werg, machten ihm durch 


um m — — — 


53. Ein Schwank Lorenzo Medici's 107 


Draufichlagen ein geſchwollenes biaues Geſicht und legten 
ihn ausgeſtreckt auf einen Tiſch im Erdgefchoffe nieder. 
Auch fegten fie ihm ein großes Baret auf, welches 
Meifter Manente an Oftern zu tragen pflegte, bedediten 
ihn über und über mit Pomeranzenblättern und gingen 
fchlafen. Der Tag aber war nicht fo bald erfchienen, 
ale ber Wärter unter Thränen der Nachbarichaft und 
den Borübergehenden fund that, wie Meifter Manente 
gegen Tages Anbrud aus diefem irdifchen Leben bahin- 
gefchieden fei. Die Nachricht verbreitete ſich augenblid- 
lich durch ganz Florenz; ald daher der Goldſchmied es 
vernommen, lief er eilends hin und vernahm von dem 
Wärter den ganzen Hergang umftänblich; und da nun 
feine andere Hilfe war, befchloffen fie, ihn am Abend 
zu beftatten. Der Goldfchmied ließ es dem Gefund- 
heitdsamte anzeigen und fo warteten fie bis dreiund⸗ 
zwanzig Uhr d. i. eine Stunde vor Sonnenuntergang, 
nachdem fie auch bie Brüder von Santa Maria Novella 
unb die Priefter von San Pagolo benachrichtigt hatten, 
bi8 zu der feftgefegten Zeit jeder an feinem Plage 
war. Mönche und Weltgeiftliche zogen ein Stud Weges 
voraus, dann kamen die Peſtleichentraͤger in ziemlicher 
Entfernung und nahmen. aud dem Unterflod des Hauſes 
ben Noßkamm Franciofino an Statt des Arztes Meifter 
Manente, wofür fie ihn unzweifelhaft hielten, ſowie alle 
bie ihn fahen, obgleich allgemein behauptet wurde, er fe 
ſehr entſtellt; man dachte aber, das komme von Der 
Krankheit, und einer fagte zum andern: Sieh .doch zu, 
wie der Flecken im Gefichte hat. Es bat ihm doch xecht 
mitgeipielt, das muß ich fagen. 

Die Mönche und Priefter ſchritten nun fingend in 


‚bie Kirche, um die heiligen Gebräude zu vollziehen, bie 


Träger aber warfen in das erfie Grab, das fie an ber 
Treppe fanden, kopfüber den Todten hinab, verfchloffen 
es fo ſchnell als möglich wieder und gingen an ihre Ge⸗ 


ſchäfte zurück. Dem ganzen Leichenbegängniffe hatten aus 





108 „ XV. Antonio Francesco Grazzini. 


der Ferne Tauſende zugefehen, bie fi; die Nafen zuhielten, 
an Effig, ‚Blumen und Kräuter rohen unb die fefte 
innerliche Überzeugung nährten, daß Meifter Manente 
vor ihren Augen zur Erbe beftattet worden fi. Seine 
Geſtalt war auch um fo leichter nachzuahmen, weil dazu⸗ 
mal jedermann mit gefchorenem Barte ging, und ba man 
die Reiche aus feinem Hauſe heraustommen fah und mit 
dem Hute, der ihm das halbe Geficht bedeckte, zweifelte 
niemand an der Sache. Als nun ber Todte aus dem 
Haufe entfernt und beerdigt war, empfahl ber Goldſchmied 
das Haus und bie Habe dem Wärter und ging bin, 
um ihm ein Nachteſſen zu fehiden, und zwar ein gutes, 
damit er mit um fo größerem Eifer und Liebe feine 
Schuldigkeit thue. Dann fandte er einen Eilboten an 
feine Schwefter mit der Nachricht, ihr Mann fei fchon 
geftorben und begraben, fie möge alfo nicht nach Florenz 
kommen, fonbern ihm und feiner, Beforgung Haus und 
Eigenthum allein übergeben, im Übrigen fi tröften und 
zufrieden leben, um nur auf die Erziehung ihres Söhn⸗ 
leins Bedacht zu nehmen. — Beim Anbruch der Nacht 
und nachdem fih Monaco mit Speife und Trank gütlich 
gethban, wobei er fih fehr in Acht nahm, nicht gefehen 
zu werden, ließ er den Diener allein und ſchlich -fich 
ganz leiſe nah Haufe. Am folgenden Tage befuchte 
er Lorenzo; fie. lachten miteinander über den Streid, 
der ihnen fo wunderbar gelungen war, unb trafen bie 
fernern Anordnungen, um ihn zu Ende zu führen. So 
gingen vier bis ſechs Zage bin, während welcher indeß - 
nit verfäumt worden war dem Arzte Morgend und 
Abends reichlihes Effen zu ſchicken durch die zwei Ver⸗ 
Peideten mit den großen immer auf gleiche Weife lachen⸗ 
ben Köpfen. Eines Morgens nun, vier Stunden vor 
Tag wurde auf Antrag bes Erlauchten das Zimmer von 
ben zwei Großköpfen geöffnet und der Arzt zum Auf- 
fiehen bewogen. Durch Geberden nöthigten fie ihn ein 
Kamifol von rothem Wollenzeug und ebenfo ein Paar 


⁊ 


% 


53. Ein. Schwan Lorenzo Medici's. 108 


lange Hofen nach Matrofenart aus demfelben Stoffe an- 
zuziehen und eine griechifche Mütze aufzufegen, legten ihm 
ſodann Hanbfchellen an, warfen ihm den Regenmantel 
über den Kopf und widelten ihn darein, ſodaß er keinen 
Stich mehr ſah. In diefer Vermummung führten fie 
ihn aus dem Zimmer und geleiteten ihn in den Hof; 
er war aber fo bekümmert und voll Herzensangft, daß 
er zitterte, als hätte er das Fieber. Dann hoben fie ihn 
auf und legten ihn in eine Sänfte, Welche von zwei fehr 
rüftigen Maulthieren getragen und fo gut verfchloffen 
wurde, daß von innen nicht geöffnet werben Eonnte. Nun 
ging es auf und bavon nach dem Sreuzthore, die zwei 
Stallfnechte in ihrer gewöhnlichen Tracht machten die 
Zugführer; bei ihrer Ankunft wurde das Thor plöglich 
geöffnet und fie zogen Iuflig ihres Weges weiter. Meifter 
Manente fühlte ſich getragen, ohne zu wiffen, von wen 
und wohin, weshalb er in Angft und großem Erftaunen 
war. Als er aber fpäter, fobald e8 Tag ward, die Stimme 
ber Landleute und den Trott der Thiere vernahm, war 
er im Zweifel, ob er träume, doch nahm er ſich vor, 
gutes Muth zu fein und fprach ſich felber tröftend zu. 
Die Diener aber redeten nichts, was man hören Tonnte, 
und gingen weiter, ruhten aus und aßen, wenn ed ihnen 
gelegen war, und richteten fich fo ein, daß fie gerade um 
Mitternacht in der Einfiedelei von Camaldoli ankamen. 
Der Guardian empfing fie freundlich an der Pforte, ließ 
die Sänfte ein und begab fich mit ihnen, nachdem fie 
die Maulthiere in den Stall gebracht, durd) fein Zimmer 
in ein kleines Nebengemach und von dort durch eine 
Schreibftube in einen Beinen Saal, wo ber Guardian 
das Fenfter hatte vermauern laſſen und das mit einem 
Heinen Bette, einem Tiſche und Schemel, auch, einem 

amine und einer andern Nothmwendigkeit verfehen war. 
Das Zimmerchen ging auf einen fehr hohen einfamen 


. Abhang, wohin fi) weder Menfchen noch Thiere jemals 


verirrten; ed war an dem entlegenften Theile des Klofters. 





l 
iR um 









- 33. Ein Schwank Lorenzo Mediti's. 11 


auf den obern Boden gegangen, hatten ganz leife einen 
Backſtein ausgehoben und durch bie Offnung alles Ein- 
Zelne, was unten vorging, genau gefehen. Dann gingen 
fie dahin, wo bie Knechte ‚waren, welche ſich auszogen 
und jenen bie Kleider nebft den andern Giebenfachen 
übergaben. Sodann afen biefe und erfrifchten ſich 
und da fie ganz mübe und fhlaftrunfen waren, gingen 
—fie zur Ruhe. Des andern Morgens aber nachdem bie 
: Knete ausgefdlafen und ihr Frühſtück eingenommen 
: hatten, ermahnten fie nochmals den Guardian und die 
— Laienbrüder, wenn fie dem Gefangenen Morgens und 
- Abends feine Lebensmittel bringen, ja genau immer bie- 
— felben Gebräuche zu beobachten, dann nahmen fie Abfchieb 
. und traten mit ihrer Sänfte den Rückweg an nad) Flor 
-: zenz, wo fie dem Erlauchten zu feiner großen Freude 
- und Erheiterung ausführlich über alles Einzelne Bericht 
abftatteten. — Unterdefien hatte der Krankenwärter feine 
Peſtwache beendigt, war, von dem Goldfchmieb bezahlt, 
nah Santa Maria Nuova zurückgekehrt und hatte Haus 
und Habe Manente’s jenem wieder übergeben. Meifter 
Manente's Gattin Fam in Witwenkleidern nach Florenz 
zurück; fie betrauerte mit ihrem Soͤhnchen und ihrer Magd 
_ einige Zeit den Tod des Gatten und lebte in ziemlicher 
Behaglichkeit. — Die- Laienbrüder brachten jeden Abend 
— und jeden Morgen, wie fie es gefehen hatten, zu gewiffen 
Stunden dem Arzte zu effen, und biefer befchäftigte fich, 
da er nichts Beſſeres zu thun wußte, mit nichts anderem, 
als feinen Bauch zu füllen und zu fehlafen, und fah nie« 
mals Licht, als wenn jene ihm bie Nahrung brachten. 
Er konnte ſich nicht vorftellen, wo er war, noch wer 
feine Diener waren, er fürchtete in irgend ein verzau · 
= bertes Schloß gerathen zu fein. So that er nichts, als 
= effen und trinken in Fuͤlle und träumen 
- wachte, Zuftflöffer bauen. — Um biefi 
fi, daß Lorenzo, wegen fehr wichtiger 
des Staats und ber ftäbtifchen Verwaltur 


112 XVH. Antonio Francesco Grazzini. 


fih entfernen mußte; es dauerte ein Paar Monate, bie 
er zurũckkam, und hernach war er wieber mit höchſt brin- 
genden Ungelegenheiten befhäftige, ſodaß er einige Zeit 
gar nicht mehr an Meifter Manente dachte, bis er eines 
Tages zufällig einen der Camaldolenſer Mönche vorüber- 
reiten fah, welche die Gefchäfte des Kloſters beforgen. 
Da fiel ihm denn plöglih der Arzt ein. Der Erlauchte 
ließ den Moͤnch rufen und gab ihm, da er von ihm hörte, 
er gehe am naͤchſten Morgen nad der Einftebelei zurüd, 
einen Brief, mit dem Auftrage, ihn in feinem Namen 
dem Guardian zuzuftellen. Der Mond übernahm das 
Schreiben ehrfurchtsvoll und verſprach, es richtig zu be- 
ftellen, was er feiner Zeit und feines Ortes that. — 
Es war bis dahin mancherlei Neues vorgefallen. Zuerft 
hatte fi) Manente's Weib nad, fechömonatliher Witmen- 
ſchaft abermals verheirathet an einen Goldſchmied Michela- 
gnolo, den Genoſſen ihres Bruders Niccolajo, welcher ihr 
fehr dazu zugefprochen, ja fie inftändig gebeten hatte, 
weil dadurch dann der Gefellfchaftsvertrag auf zehn Jahre 
befeftige wurde. Darauf war .Niccolajo zu ihr ins Haus 
gezogen und mit dem Vormunde eins geworben, die Er- 
ziehung bes Knaben zu beforgen. Won dem Dausgerätbe 
hatte er ein Inventar aufnehmen laffen und führte ein 
Leben voller Freude mit feiner Brigida, fo hieß die Frau, 
welche fich bereits von ihm fchwanger fühlte. — Der 
Guardian hatte wohl gehört, daß der Erlauchte verreift 
fei; da er ihm aber Leine andern Verhaltungebefehle zu- 
gefandt, folgte er der bisherigen Ordnung; und da Meifter 
Manente, ale die Kälte eintrat, fich fehr unbehaglich fühlte, 
verfahb er ihn mit Kohlen, von denen er durch die ihm 
aufwartenden Großkoͤpfe einige Säde hintragen und in 
einen Winkel des Gemachs werfen lief. Dann wurde 
ihm das Kamin angezündet und er mit Pantoffeln und Klei- 
bern zum Anziehen und für das Bett verfehen. Ferner 
ließ er die Dede oben durchbrechen und ihm ein Lämpchen 
berabhängen, welches Tag und Nacht brennend unter- 


33. Ein Schwank Lorenzo Medici’s. 113 


halten wurde, ſodaß es ihm das Zimmer einigermaßen 
erhellte. So unterſchied der Arzt .wenigftens, was er aß, 
und fah, was er that; und um einigermaßen die Unbe- 
tannten zu belohnen, welche ihm diefen Vortheil zu⸗ 
wandten, fang er manchmal feine Zrinklieder, die er am 
. feuchten Tiſche einft mit feinen Zechbrübern zu fingen 
pflegte, und dichtete manchmal aus dem Ötegreife; und 
da er eine fhöne Stimme und eine gute Ausfprache hatte, 
fagte er oftmald Stangen her aus Lorenzo's neu erfchie- 
nenen Liebeswäldern, womit er ben Laienbrübern und 
dem Guardian, bie ihn allein hören konnten, das größte 
Vergnügen bereitete. Auf diefe Weife vertrieb er fich die 
Zeit, fo gut er konnte, und hatte die Hoffnung faft ganz 
aufgegeben, jemals wieder dad Sonnenlicht zu ſchauen. — 
Indeſſen kam der, welcher dem Pater Guardian den Brief 
des Erlauchten überbrachte, woraus er den Willen und 
die Anordnung Lorenzo’s vollftändig erfuhr; er befahl den 
Laienbrüdern defjelbigen Tages, in ber folgenden Nacht 
zwei bis drei Stunden vor Tag ihn hinmwegzuführen, und 
fagte ihnen, wie und wohin und in weldem Zuſtande 
fie ihn verlaffen follten. Als es nun Zeit war, Bleideten 
fih Ddiefe in ber gewohnten Weile an, gingen zu dem 
Arzte, hießen ihn aufftehen und brachten ihn mit Ge- 
berden dahin, ſich in Matrofentracht anzuziehen. Dann 
legten fie ihm die Handfchellen und einen fchlechten Mantel 
an mit einer Kapuze, die bis aufs Kinn ging und führten 
ihn hinweg. Diesmal dachte Meifter Manente, das Ziel 
feines Lebens fei gekommen, er babe nun den legten Biffen 
Brot gegeffen. Uber die Maßen betrübt, ließ er fich, 
um nicht noch ſchlimmer anzukommen, von jenen führen, 
welche zwei Stunden ober noch länger ſtark gingen über 
Stock und Stein immer weiter, bis fie in die Nähe von 
Dernia kamen, wo fie den Arzt an den Stamm einer 
fehr hohen Zanne in einem tiefen Thale mit Zaunrüben 
anbanden, ihm fobann den Mantel und die Handfchellen 
abnahmen und ben Hut tief in die Augen drüdten. 


112 XVH. Antonio Francesco Grazzini. 


fich entfernen mußte; es dauerte ein Paar Mo 
er zurückkam, und hernach war er wieder mit hi 
genden Angelegenheiten befchäftige, ſodaß er ei 
gar nicht mehr an Meifter Manente dachte, bi 
Tages zufällig einen der Camaldolenfer Mönde * 
reiten fah, welche die Gefchäfte bes Kloſters 
Da fiel ihm denn plöglich der Arzt ein. Der '- 
ließ den Mönch rufen und gab ihm, da er von IF” 
er gehe am nächften Morgen nach ber Einft ee 
einen Brief, mit dem Auftrage, ihn in feiner 
dem Guardian zuzuftellen. Der Mönch über 
Schreiben ehrfurchtsvoll und verſprach, es richtke 
ſtellen, was er feiner Zeit und feines Ortes 
Es mar bis dahin mancherlei Neues vorgefallen “= 
hatte fi) Manente's Weib nad, fechdmonatliher “ - . 
ſchaft abermals verheirathet an einen Goldfchmieb = 
gnolo, den Genoſſen ihres Bruders Niccolajo, mw - 
fehr dazu zugefprochen, ja fie inftändig gebete- - 
weil dadurch dann der Gefellfchaftsvertrag aufer —- — 
befeftigt wurde. Darauf war .‚Niccolajo zu ihr traz-..- 
gezogen und mit dem Vormunde eins geworden - u. 
ziehung bes Knaben zu beforgen. Von dem Hau . 
hatte er ein Inventar aufnehmen laſſen und fr - _.. 
Leben voller Freude mit feiner Brigida, fo hieß 
welche fich bereits von ihm fehmanger fühlte. ... 
Guardian hatte wohl gehört, daß ber Air dl ” 
fei; da er ihm aber keine andern Verhaltungeber: 
gefandt, folgte er der bisherigen Ordnung; und Dada, | 
Manente. als die Kälte eintrat, fich fehr unbehagliun „— — _ 
verfah er ihn mit Kohlen, von denen er buch 
aufwartenden Großkoͤpfe einige Säde hintrage — 
einen Winkel des Gemachs werfen lief. Dann T 
ihm das Kamin angezündet und er mit Pantoffelneam. .,  _ 
bern zum Anziehen und für das Bett verfehen. «., _ 
ließ er die Dede, Aercen und ihm ein =, 
berabhännem - d Nacht BE 


N a 


N 






53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 113 


halten mwurbe, ſodaß es ihm das Zimmer einigermaßen 
erhellt. _ So unterfchied der Arzt wenigſtens, was er af, 
und fah, was er that; und um einigermaßen die Unbe- 
Tannten zu belohnen, welche ihm diefen Wortheil zu⸗ 
wandten, fang er manchmal feine Zrinflieder, die er am 
. feuchten Tiſche einft mit feinen Zechbrüdern zu fingen 
pflegte, und dichtete manchmal aus dem Stegreife; und 
da er eine fchöne Stimme und eine gute Ausfprache hatte, 
fagte er oftmals Stanzen her aus Lorenzo’8 neu erſchie⸗ 
nenen Liebeswäldern, womit er ben Laienbrübern. und 
dem Guardian, die ihn allein hören konnten, das größte 
Vergnügen bereitete. Auf diefe Weife vertrieb er fich die 
Zeit, fo gut er konnte, und hatte die Hoffnung faft ganz 
aufgegeben, jemals wieder dad Sonnenlicht zu fhauen. — 
Indeffen kam der, welcher dem Pater Guardian den Brief 
des Erlauchten überbrachte, woraus er den Willen und 
bie Anordnung Lorenzo’s vollftändig erfuhr; er befahl den 
Zaienbrüdern defjelbigen Tages, in der folgenden Nacht 
zwei bis drei Stunden vor Tag ihn hinwegzuführen, und 
fagte ihnen, wie und wohin und in welchem Zuftande 
fie ihn verlaffen follten. Als es nun Zeit war, kleideten 
fih diefe in der ‘gewohnten Weife an, gingen zu dem 
Arzte, hießen ihn aufftehen und brachten ihn mit Ge 
berden dahin, ſich in Matrofentracht anzuziehen. Dann 
legten fie ihm die Handfchellen und einen fchlechten Mantel 
an mit einer Kapuze, die bis aufs Kinn ging und führten 
ihn hinweg. Diesmal dachte Meifter Manente, das Ziel 
feines Lebens fei gekommen, er habe nun den legten Biffen 
Drot gegeffen. Uber die Maßen betrübt, ließ er fich, 
um nicht noch fchlimmer anzufommen, von jenen führen, 
welche zwei Stunden oder noch länger ſtark gingen über 
Stock und Stein immer weiter, bis fie in die Nähe von 
Dernia kamen, wo fie den Arzt an den Stamm einer 
fehr hohen Zanne in einem tiefen Thale mit Zaunrüben 
anbanden, ihm fodann den Mantel und die Hanbdfchellen 
abnahmen und den Hut tief in bie Augen drüdten. 


114 XVU. Antonio Franceſco Grazzini. 


So ließen fie ihn an den Baum gebunden und flohen 
mit Windeseile von bannen und auf dem kürzeften Wege, 
wiewol fie ihre Fadel ausgelöfht hatten, zurück nad 
Camaldoli, ohne dag jemand fie bemerkt hatte. — Allein 
geblieben und nur ſchlaff und los gebunden fpigte Meifter 
Manente eine Zeit lang in ängftlicher Beforgniß die Ohren, 
und da er nicht das mindefte Geräufch mehr um fich hörte, 
fing er allmälig an, die Hände an ſich zu ziehen, indem 
er fich von feinen leichten Feffeln ohne Schwierigfeit be⸗ 
freite. Ebenſo fchob er den Hut vor feinen Augen hin- 
weg, flug fie empor und erblickte zwiſchen den Bäumen 
hindurch ein Stüd des geftirnten Himmeld, woraus er 
fih zu feiner größten Freude und Verwunderung über: 
zeugte, im Freien und außer dem Kerker zu fein. Er 
ließ bie Augen umherfchweifen und fchaute genauer aus, 
‚benn ſchon begann es Tag zu werden. Da ſah er bie 
Tonnen um ſich her und das Gras unter feinen Füßen: 
fo bielt er fi, überzeugt, in einem Walde zu fein. Er 
erwartete inbeffen noch immer etwas Neues und Unge 
wöhnliches und blieb daher ftil und regungslos auf fei- 
nem Plage fiehen, und hatte kaum den Muth zu athmen, 
um nur nicht gehört zu werden, denn er meinte nod) 
fortwährend, die lachenden Larven fih auf ber Haube 
zu ſehen, wie fie-ihm wieder bie Handfeffeln anlegen 
und ihn von dannen führen wollen. Erſt als es heller 
lihtee Tag um ihn ward, die Sonne mit ihren leuch⸗ 
tenden Strahlen ſchon jedes Dunkel ducchdrang und er 
weber Menfchen noch Thiere in feiner Umgebung fab, 
faßte er das Herz, auf einem fchmalen Fußpfade bie 
fleile Anhöhe vor fih emporzuflimmen, um aus Die 
fem Thale wegzulommen, und war nun endlich feiner 
Sache gewiß, wieder in die Welt eingetreten zu fein. 
Er war nit über eine Viertelmeile weit gegangen, fo 
hatte er den Gipfel des Berges erreicht und kam auf 
eine fehr befuchte Straße, auf welcher er.einen Fuhr⸗ 
mann einherfommen fah mit drei mit Getraide befabenen 


- 


} 





53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 115 


Mauleſeln. Er ging ihm raſch entgegen und fragte ihn 
nach der Gegend und wie der Ort heiße, an welchem er 
ſich befinde. Der Mauleſeltreiber antwortete raſch, es 
ſei die Vernia, und fügte hinzu: Was Teufels biſt du 
blind? Siehſt du nicht dort San Francesco? 

Dabei wies er auf die Kirche, welche am Berge ſtand 
und nicht viel über zwei Armbruſtſchußweiten von ihnen 
weg Ing. Meiſter Manente dankte ihm, fühlte ſich nun 
fogleich wieder in der Gegend zu Haufe, die er mit feinen 
Freunden öfters zum Vergnügen befucht hatte, und pries 
und lobte Gott, indem er die Hände zum Himmel empor« 
bob und fi) wie neugeboren fühlte. Er fchlug den Weg 
zur Rechten ein und ging in feinem rothen Fifcheranzuge 
ftrads auf das Klofter zu, wo er frühzeitig ankam und 
einen Mailänder Edelmann antraf, der in Gefellfchaft 
eined andern Mailänders mit Pferden und Dienern aus 
Florenz gefommen war, um diefen heiligen Ort zu be- 
fuhen, an welchem der andächtige San Francesco Buße 
gethban hatte. Am vergangenen Abende aber hatte er 
ausgleitend fih den Fuß aufgefchlagen und verrenkt und 
fodann durch eine zugetretene Erkältung ſich in der Nacht 
eine Gefchwulft und folche Schmerzen zugezogen, daß er 
fih am Morgen weder regen noch die geringfte Berüh⸗ 
rung biefes Gliedes ertragen konnte, fobaß er ſich ge⸗ 
zwungen fab, das Bere zu hüten. Auf Anrathen der 
Mönche wollte er eben nach Bibbiena fchiden, um einen 
Arzt kommen zu laffen, als Meifter Manente mit einem 
Gruße vor fie trat und nachdem er ſich die Urfache des 
Ubels des Edelmanns hatte fagen laſſen, die Brüder ver- 
fiherte, fie haben nicht nöthig, anderwärts nach Arzten 
auszufenden, denn er getraue fih, den Edelmann in einer 
halben Biertelftunde von feinen Schmerzen zu befreien und 
bis zum andern Morgen gänzlich wiederherzuftellen. — 
Wenn auch Meifter Manente für einen Arzt in einem 
jeltfamen Aufzuge erſchien, fo flößte fein Äußeres wie feine 
Rede dem Mailänder dennoch Vertrauen ein. Er ließ 


106 XVII. Antonio Francesco Grazzini. 


309 man ihn aus, um zu fehen, ob man ihn’ wieder 
zum Leben bringen Zönne, fand ihn aber todt und 
das Genick gebrochen. Daher machte man bie wenigen 
Kleider, die er auf dem Leibe gehabt, zu Geld, und 
einige Freunde übergaben ihn als Fremden den Brü⸗ 
dern von Santa Maria Novelle, um ihn nach Der 
Veſper zu beerdigen. Diefe brachten ihn in eines der 
Gräber außen unter der Treppe, der Hauptthüre ber 

Kirche gegenüber. Monaco und fein Gefellfchafter hat⸗ 
ten von der MWillensmeinung Lorenzo's Kunde erhalten: 
um das Ave Maria trat der Wärter an das Fenfker 
und rief, der Arzt habe einen fo bebenklichen Anfall 
befommen, daß er alle Hoffnung aufgebe; die Peft- 
beule verenge ihm bergeftalt den Hals, daß er kaum 
zu Athem kommen könne, gefchweige denn zu reden 
im Stande fei. Deshalb erſchien der Goldfchmied am 
Haufe und wünfchte, feinen Schwager doch noch ein 
Teftament machen zu laffen. Der Wärter gab ihm 
aber zu bedenken, daß dies jegt doch nicht wohl fhun- 
lich fei, und fo wurden .fie einig, den Kranken bes 
andern Morgens, wenn er ſich bis dahin nicht gebefiert . 
habe, beidhten und communiciren und feinen legten Willen 
auffegen zu laffen. Indeſſen kam die Naht, und ale 
zwei Drittheile derfelben vorüber waren, gingen bie zwei 
Diener heimlich im Auftrage des Erlauchten Auf ben 
Kirchhof von Santa Maria Novella, nahmen den Fran» 
ciofino aus dem Grabe, in das er kurz zuvor gebracht 
worden mar, und trugen ihn auf dem Rüden in die 
Grabenftraße in das Haus des Meifter Manente. Monaco 
und der Wärter harrten an der Thüre, nahmen ihn ftille 
ab und brachten ihn hinein, die Stallfnechte aber ent⸗ 
fernten ſich wieder, ohne von jemand gefehen worden zu 
fein. Monaco und ber Wärter machten ein großes Feuer 
auf,: tranken mader und machten bem Todten ein Kleid 
von fchöner neuer Leinwand. Sodann verbanden fie 
ihm den Hals mit gefalbtem Werg, machten ihm durch 








53. Ein Schwank Lorenzo Medici's 107 


Draufichlagen ein geſchwollenes blaues Geſicht und legten 
ihn ausgeſtreckt auf einen Tiſch im Erdgeſchoſſe nieder. 
Auch ſetzten ſie ihm ein großes Baret auf, welches 
Meiſter Manente an Oſtern zu tragen pflegte, bedeckten 
ihn über und über mit Pomeranzenblättern und gingen 
ſchlafen. Der Tag aber war nicht ſo bald erſchienen, 
als ber Waͤrter unter Thränen der Nachbarſchaft und 
den Vorübergehenden kund that, wie Meiſter Manente 
gegen Tages Anbruch aus dieſem irdiſchen Leben dahin⸗ 
geſchieden ſei. Die Nachricht verbreitete ſich augenblick⸗ 
lich durch ganz Florenz; als daher der Goldſchmied es 
vernommen, lief er eilends hin und vernahm von dem 
Waͤrter den ganzen Hergang umſtändlich; und da nun 
keine andere Hilfe war, beſchloſſen ſie, ihn am Abend 
zu beſtatten. Der Goldſchmied ließ ed dem Geſund⸗ 
heitsamte anzeigen und ſo warteten ſie bis dreiund⸗ 
zwanzig Uhr d. i. eine Stunde vor Sonnenuntergang, 
nachdem fie auch die Brüder von Santa Maria Novella 
und die Prieſter von San Pagolo benachrichtigt hatten, 
bis zu der feſtgeſetzten Zeit jeder an ſeinem Platze 
war. Mönche und Weltgeiſtliche zogen ein Stück Weges 
voraus, dann kamen die Peſtleichentraͤger in ziemlicher 
Entfernung ımd nahmen. aus dem Unterflod des Haufes 
den NRoßkamm Franciofino an Statt des Arztes Meifter 
Manente, wofür fie ihn unzweifelhaft hielten, fowie alle 
die ihn fahen, obgleich allgemein behauptet wurde, er fei 
ſehr entſtellt; man dachte aber, das komme von der 
Krankheit, und einer fagte zum andern: Sieh doch zu, 
wie der Flecken im Gefichte hat. .E& hat ihm doch recht 
mitgefpielt, dad muß ich fagen. 

Die Mönche und Priefter fchritten nun fingend in 


‚die Kirche, um die heiligen Gebräuche zu vollziehen, bie 


Träger aber warfen in das erfie Grab, das fie an ber 
Treppe fanden, Topfüber den Todten hinab, verfchloffen 
ed fo fchnell als möglich wieder und gingen an ihre Ger 


ſchäfte zurück. Dem ganzen Leichenbegängniffe hatten aus 


⸗⸗⸗ 


118 xVn. Antonio Francesco Grazzini 


ſchrift der des Meiſters Manente gleichſehe, ja genau 
dieſelbe ſei, wußte aber freilich auch gewiß, daß dieſer 
todt ſei, und wußte ſomit ebenſo gewiß, daß das Schrei⸗ 


ben von jemand anders herrühren müſſe, und das müſſe 


ein rechter Gauner fein, ber die Frau auf eine fo umer⸗ 
hörte Weiſe zu überliften gedente. Der Inhalt des Briefe 
war nämlidh folgender: er thue feiner gelichten Gattin 
hiermit zu wiffen, baß er nach mannidfaltigen und felt: 
famen Scidfaln und nachdem er länger ald ein Jahr 
in ſteter Todesangft eingefperrt gehalten worden, enblid 
wie duch ein Wunder Gottes aller Gefahr entronnen 


fei, wie er ihr mündlich alles umftänblich erzählen werte; 
gegenwärtig befehränte er fi) darauf, ihr zu fagen, baf 
er frifh und gefund auf ihrem Landgute angelomme 


fei, und fie zu bitten, dies in Florenz; überall befannt 
zu machen, ihm fein Maulthier, feinen Rod, Megen- 
mantel, bie großen Stiefel und den Hut hinauszufenden 
und benr neuen Pächter Fund zu thun, daß er als Meifter 
Manente ihr Ehegatte fein Gebieter fei, damit er ihm 
fein Haus eröffne, um die Nacht über bequem zu ruhen 
und am andern Morgen zeitig nady Florenz zu kommen 
und fie zu tröften. — Michelagnolo fehrieb nun voll 
Gift und Galle im Namen feiner Frau einen Brief, 
der Hände und Füße hatte, und drohte ihm, mofern et 
nicht ungefäumt feines Weges ziehe, felbft zu ihm hinaus⸗ 
zukommen, um ihn tüchtig abzuprügeln oder ihm den 
Büttel über den Hals zu fhiden. Zudem gab er dem 
Bauernjungen noch den mündlichen Auftrag an feinen 
Bater mit, den fremden Abenteurer zum Henker zu jagen. 
Der Junge ging eilig nad feinem Dorfe und Michel 
agnolo kehrte in feine Werkftatt zurück, Brigida aber blieb 
in fchmerzliher Verwunberung befangen zu Haufe — 
Deffelben Morgens Iuftwandelte Meifter Manente nad 
bem Vogelherde, etwa drei Meilen von feinem Gute, 
gab ſich aber dem Wirthe, der fein Freund mar, nicht 
zu erfennen, fondern gab fi für einen Albanefen aus; 








53. Ein Schwanf Lorenzo. Medici's. | 119 


er fpeifte luſtig und wohlgemuth mit ihm zu Mittag 
und ſchlenderte am Abend in der beſten Stimmung nach 
Haufe, wo er in der feſten Überzeugung, als Herr aner⸗ 
fannt und empfangen zu werden, fich fchon vorgefegt 
hatte, einem Paar Kapphähnen die Hälfe umdrehen, zu 
laffen, bie er am Morgen hatte mit den Schnäbeln auf 
der Tenne herumpiden ſehen. — Er war kaum in bie 
Nähe feiner Wohnung gelangt, als ihm der bereits zurüde 
getehrte Knabe entgegengelaufen fam und mit einem fauern 
Geſichte, ohne nur einen Büdling zu machen, den Brief, 
der ohne Aufſchrift und Siegel war, einhänbdigte. Hier⸗ 
über verwunderte fich Meifter Manente glei von vorn 
herein und es betrübte ihn; ja, es däuchte ihn ber Anfang 
zu einem traurigen Ende. Als er ihn aber feiner ganzen 
Länge nad) durdhlefen hatte, gerieth er vor Staunen und 
Schmerz fo außer fih, daß er weder todt noch lebendig 
fhien. Mittlerweile kam auch der alte. Bauer hinzu, 
dem ber Sohn bereitö feine mündliche Botſchaft ausge 
richtet hatte, und fagte ihm mit dürren Worten, er möge 
ſich nach einer andern Herberge für die Nacht umfehen, 
da fein Herr ihm befohlen habe, ihm unverzüglid) bie 
Thüre zu weifen. Wie empfindlich es den armen Meifter 
Manente auch kränken mußte, ſich alfo von demjenigen 
aus feinem Eigenthum verwiefen zu fehen, von dem er 
nach der Ankunft des DBriefes als Gebieter anerkannt 
zu werben hoffte, fo ermwiderte er ihm Doch gefaßt und 
jfanftmüthig, er werde gehen. Er geriet beinahe auf 
die Vermuthung, daß er ein anderer geworden fein möge 
oder daß es mehr als einen Meifter Manente auf ber 
Welt geben müſſe, und fragte den Landmann um den 
Namen feined Heren. Er empfing die Antwort, es fei 
der Goldfhmied Michelagnolo und feine Frau ſei Mona 
Brigida. Der Arzt erkundigte fich ferner, ob biefe 
Mona Brigida fchon früher verheiratet geweſen fei und 
ob fie Kinder babe. 

Ja, antwortete ihm der Bauer, fie hatte früher 


120 XVII. Antonio Francesco Grazzini. 


einen Arzt, der, wie ich Höre, Meifter Manente hief 
und ihr, als er an ber Peſt flarb, ein Söhnlein Na- 
mens Sandrino binterlaffen hat. 

Weh mir, fiel ihm der Arzt in bie Rebe, was fagft 
du mir da? 

Dann fing er an, ihn nach allen Umfländen auszu- 
forfhen. Der Pächter bedeutete ihm aber, er wiffe fonft 
nichts zu fagen, er fei von Cafentino gebürtig und habe 
erft feit dem Auguſt das Gut bezogen. Entſchloſſen, 
fih nicht weiter zw erkennen zu geben, ſchied Meifter 
Manente, da es noch zwei volle Stunden Tag blieb, 
von dem Bauersmann und begab ſich unverzüglich auf 
ben Heimweg nach Florenz, in der Meinung, feine Frau 
und Derwandten müffen in einem feltfamen Irrthume 
befangen ihn für todt gehalten haben und eben auf dieſt 
Weiſe zu ihren folgefhweren Schritten verleitet worden 
fein, denn er Fannte den Goldfchmied, ben Genoffen 
feines Schwagers recht wohl. Unter taufenderlei Ge 
banken rüftig zufchreitend langte er noch fpät Abends im 
Wirthshaus zum Mühlftein, eine Meile von der Stabt, 
an; er kehrte bafelbft ein, aß nur ein Paar weichgefottene 
Eier und legte ſich zu Bette, wo er fih hin⸗ und her⸗ 
wälzte, ohne auch nur ein Auge fchließen zu können. 
Des andern Morgens ſtand er bei Zeit auf, bezahlte 
den Wirth, ſchlich ganz fachte nach Florenz und. betrat 
die Stadt in ber oben erzählten Verkleidung, fobaß er 
von niemand erfannt wurde, wiewol er viele feiner Be⸗ 
kannten und Freunde auf, der Straße traf. Er durch⸗ 
wanderte die halbe Stabt und gelangte endlich auf bie 
Grabengaffe, wo er eben feine Frau und den Knaben 
von der Meſſe heimkehrend ins Haus treten fah. Cr 
war verfichert, daß fie ihn gefehen hatte, und doch machte 
fie kein Zeichen, daß fie ihn kenne; deshalb änderte er 
mit einem Male feinen Entſchluß und anftatt fie anzu⸗ 
reden ging er nah Santa Eroce, um feinen Beichtvater 
Meifter Sebaftiano aufzufuchen, denn er bachte, er müßte 





53. Ein Schwank Lorenzo Medici’e. 121 


en guter Mittelsmann werden, um feine Anerfennung 
von Seiten feiner Frau einzuleiten; er wollte ihm Alles 
anvertrauen, was ihm begegnet war, und fich mit ihm 
berathen; ald er aber im Kloſter nach ihm fragte, erhielt 
er zur Antwort, er fei nach Bologna übergefiedelt; in 
Verzweiflung darüber wußte er gar nicht, was er be 
ginnen folte. Er lief umber, über den Plag, über den 
Neumarkt, den Altmarft, er traf unter andern Belannten 
und Freunden den Makler Biondo, den Zrommeljchläger 
Geo, den Meifter Zenobi della Barba, den Sattler Xeo- 
nardo und Fam zulegt halb von Sinnen, wie er fah, 
daß er fortwährend von feinem Cinzigen wiedererfannt 
ward. Nun war ed aber ſchon Mittageffengzeit geworden, 
da ging er in die Affen, mo Amadore, einft fein innigfter 
Freund, Wein fchenfte. Diefen erfuchte er, ihm beim 
Efien Geſellſchaft zu leiften, was er auch that. Am 
Schluffe des Effens fagte Amadore zu ihm, er meine 
ihn fonft ſchon gefehen zu haben, könne fich aber nicht 
darauf befinnen wo. WMeifter Manente antwortete, es 
fönne fehr leicht gefchehen fein, da er lange Zeit in Flo⸗ 
venz bei Meifter Agoftino in der Baderei am Plage 
Padella gewohnt habe, mohin er jegt auch von Livorno 
‚urüdkehre, da er der Waſſerfahrten überbrüfig fei. 
Während fo ein Wort das andere gab, beendigten fie 
ihre Mahlzeit, und ohne fich zu erkennen zu geben be 
friedigte Meifter Manente den Wirth, ging höchſt befüm- 
mert und erflaunt, daf jener ihn nicht wiedererfannt habe, 
hinweg; mit dem feften Vorfage, unter allen Umftänden 
vor Nacht noch mit feinem Weibe zu reden. Er ſchlen⸗ 
derte deshalb fo lange in der Stadt umher, bis ihm 
die fhillihe Stunde gekommen zu fein fohien, nämlich 
bis zu dreiundswanzig ein halb Uhr. Da klopfte er 
zwei mal ſtark an die Thüre. Die Frau ſah heraus, 
wer es fei. Da antwortete der Arzt: Ich bin’s, meine 
liebe Brigida! Mach’ auf! 

Und wer feid ihr denn? fragte jene weiter. — Meiſter 

Italtänifcher Novellenfchäg. II. 6 


122 XVII. Antonio Francesco Grazzini. 


Manente, um nicht laut fprechen zu müflen, daß bie 
ganze Rachbarfchaft es hörte, gab zur Antwort: Komm 
herab, dann ſollſt du's hören. 

Brigida hörte Meifter Manente's Stimme, fah fein 
wohlbekanntes Angefiht, erinnerte fich des Briefes und 
wollte daher nicht berunterfommen, da fie irgend ein 
unheimliches Greigniß befürchtete. 

Sagt mir nur von unten, rief fie ihm daher zu, 
wer ihr ſeid und was ihr fuchet. 

Siehſt du es denn nicht? antwortete der Arzt. Sch 
bin Meifter Manente, dein echter und rechtmäßiger Ehe 
gatte; dich fuche ich, du bift meine Frau. 

Meifter Manente mein erftr Mann könnt ihr nid 
wohl fein, weil der tobt und begraben ift, fagte bie 
Frau. 

Wie, Brigida? fragte ber Arzt, todt? Ich bin noch 
nicht geftorben. 

Dann fügte er bei: Sei dod fo gut und mach mir 
auf! Kennft du mich nicht, mein holdes Herz? Bin id 
denn fo fehr entſtellt? Mach mir doch auf, ich bitte dich, 
und du follft ſehen, daß ich lebe. 

Ei mas, fuhr Brigida fort, ihr feid wohl auch der 
Schelm, ber mir geftern früh den Brief gefchrieben. 
Schert euch in Gottes Namen fort, denn wehe euc, 
wenn euch mein Mann bier betrifft. 

Es waren inbeffen viele Keute aus Neugier vor dem 
Haufe zufammengelaufen und ein Nachbar nach dem an- 
dern zeigte fih am Fenſter und gab fein Theil dazu. 
Mona Doroten die Betfchwefter, weiche Brigiden gerade 
gegenüber wohnte, hatte Alles von Anfang an mit an- 
gehört und fagte: Nimm bi in Acht, meine Tochter, 
das ift gewiß der Geift deines Meifters Manente, der 
bier umgeht, um feine Sünden abzubüfen. Er gleicht 
ihm volllommen an Ausfehen und Sprahe. Rufe ihm 
ein wenig, frage ihn und beſchwöre ihn, ob er etwas 
von dir will. 


53. Ein Schwant Lorenzo Mebici's. 123 


Brigida glaubte halb und ya und fing an mit 
tlägliher Stimme zu rufen: D du arme Gedle, Haft 
du vielleicht etwas auf dem Gewiſſen? Willſt du ein 
Todtenamt? Haft du noch ein Gelübde zu erfüllen? 
Sprih es nur aus, was du wilft, gebenebeite Seele, 
und geh mit. Gott! 

Wie Meifter Manente dies hörte, kam ihm faft die 
Luft zu lachen an. Er fagte immer, er lebe, fie folle 
ihm nur aufmachen und er werde fie ſchon vergemwiffern. 
Sie fuhr aber nichts defto weniger fort, ihn zu fragen, 
ob er des heiligen Ghirigoro verlange, befreuzte fi, und 
auch Madonna Dorotea fprah: D du Gott befohlene 
Seele, wenn du im Fegefeuer bift, fo fag’ es frei heraus, 
denn deine gute Frau wird für dich das Jubiläum mit- 
machen und didy erlöfen. 

Dazu fchlug fie ellenlange Kreuze umd rief jeden 
Augenblid: Requiescat in pace! 

So fingen denn alle umher an fi zu bekreuzen, 
beiſeit zu treten und grimmige Geſichter zu ſchneiden, 
denn ſchon hatte ſich ein ſtarkes Gedränge von Volt 
verfammelt. Als nun ber Arzt fah, daß Brigida ihm 
nicht mehr zuhoͤrte, fondern in Gemeinfchaft mit ber 
Betſchweſter fortwährend ſich befreuzte und finnlofes Zeug 
ſchwatzte, befchloß er wegzugehen, da der Auflauf wuchs 
und er fürchten mußte, fich fonft noch einen fchlimmen 
Sande! zuzuziehen. Er fchlug alfo ohne meitered die 

Straße nah Santa Maria Novella mit ſtarken Schritten 
ein; die ihm entgegenftehende Maffe ftob unter mächtigem 
Kreuzfchlagen und Gefchrei anseinander, nicht anders, 
ald wenn fie wirklich einen Zodten hätten wieder aufer- 
ftehen fehen. Meifter Manente wandte ſich daher dahin, - 
mo jept die Laſtträger flehen, von bort ging er weiter 
durch die Mohrengaffe, und eilte dann halbumfchauend 
durch die Gäßchen dort, da es fchon etwas dunkel war, 
faft Taufend; bald erreichte er fo den Dreifaltigfeitsplag, 
von dort ging er durch Portaroffa nad den Affen, 

6* 





124 XVII. Antonio Brancesco Grazzini. 


immer umfchauend, ob die Volksmenge ihn erreiche, und 
fehr misgeftimmt; nun blieb ihm fein ander Mittel, als 
am nächften Morgen hinzugeben und feine Zuflucht zum 
päpftlichen Vicar zu nehmen. Da er jedod, vorher noch 
den Verſuch machen wollte, ob ihn auch Burdiello fein 
vertrautefter Freund und Biondo nicht wiedererfennen 
würden, fo fagte er zu Amadore, indem er ihm Geld 
in die Hand drüdte, daß er, wenn es irgend fein könne, 
gern noch bdenfelben Abend dem Burchiello und dem 
Matter Biondo in feiner Gefellfchaft ein Nachteffen geben 
möchte. 

Ei, das wird fchon angehen, ermiberte der Wirth; 
laßt mich nur machen! 

Er traf in der Küche die nöthigen Anordnungen, 
nahm feinen Mantel um und ging nad San Giovanni, 
wo er den Biondo fand, den er gleich mit fih nahm, 
indem er ihm fagte, daß er diefen Abend in Gefellfchaft 
eines Fremden und des Burchiello bei ihm fpeifen folle. 
Den Burdiello trafen fie im Haufe und Laden zum 
Garbo und es bedurfte bei ihm nicht vieler Worte, um 
ihn zu gewinnen; denn fomwie er hörte, daß es freie 
Zeche gebe, wandelte ihn al&bald noch größere Kuft an, 
als die beiden felbfl. Sie trafen demnah um ein Uhr 
nad) Sonnenuntergang alle in den Affen zufammen; es 
mochte damals im October fein, nahe um Allerheiligen. 
Gleich beim erften Anblick und zumal als er ihn reden 
hörte, meinte Burchiello Meifter Manente zu erkennen. 
Diefer empfing den Burchiello mit der größten Höflichkeit, 
er fagte ihm, wie er, von feinem Rufe für ihn einge- 
nommen, feinen andern Weg gefunden habe, ihn kennen 
zu lernen, ale daß er den Wirth gebeten Habe, ihn zum 
Nachteffen einzuladen und aud) den luftigen Zecher Biondo 
feinen guten Freund zur Gefellfchaft zu ziehen. Burchiello 
fagte ihm großen Dank und fie fegten fi in einem be- 
fonders für fie zugerichteten Nebenzimmer zu Tiſch, wo 
fie in Erwartung einiger fetten Zauben und Krammets- 


53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 125 


vögel, mie fie die Jahreszeit bot, verfchiedene Gefpräche 
begannen, in melden Meifter Manente fie mit einen 
Märchen über fein Leben und den Grund feines Hierher- 
kommens bewirthete. Burchiello hatte bereits dem Biondo 
geſagt, daß ihm eine ſolche Ähnlichkeit zwiſchen zwei Men⸗ 
ſchen noch nie vorgekommen ſei, wie ſeine und Meiſter 
Manente's. 

Wenn ich nicht ganz gewiß wüßte, fügte er hinzu, 
daß er geſtorben iſt, ſo würde ich ſagen, es könne fein 
anderer fein, als er. 

Der Biondo pflichtete ihm in Allem bei. Unterweilen 


war Alles zugerüftet und der Wirth ließ Salat, Brot 


— 


und zwei Flaſchen funkelnden Wein auftragen. Sie ließen 


nun die Gefprädhe ruhen und fingen an zu effen. Bur- 
chiello und Amadore faßen an der Wand, Biondo und 
Meifter Manente ihnen gegenüber. Während des Effens 
behielt Burchiello den Arzt innmerdar im Auge. Beim 
erften Trunk fah er ihn Meifter Manente’8 Gebrauch) 
üben, welcher immer zwei Gläfer Wein auf einmal hinter 
dem Salat zu leeren pflegte und hernach jedesmal Waſſer 
zugof. Dies fegte ihn in großes Erftaunen. Als fodann 
bie Zauben und die Krammetsvögel auf den Tiſch kamen 
und ber Fremde ihnen gleich die Köpfe abriß und fie 
auffpeifte, weil ihm der Kopf der liebfte Biffen von jedem 
Thiere war, fo war er drauf und dran loszuplagen, hielt 
jedoch noch länger an, um feiner Sache gewiffer zu werben. 
Nun kam der Nachtifch: ed waren Birnen, Sancolom>» 
baner Zrauben und vortrefflicher Ziegenkäfe; und jept 
wurde er feiner Sache ganz gewiß; denn als ber Arzt 
Birnen und Trauben gegeffen hatte, befchloß er die Mahl⸗ 
zeit, ohne den Käfe zu berühren, fo fehr ihn audy die 
andern lobten; Käſe af er aber nie und er war ihm fo 
zuwider und zum Ekel, daß er lieber feine Hände ge 
geffen hätte. Burchiello wußte dies am befien. Da er 
nun ganz überzeugt war, nahm er ihm lachend die linke 
Hand, fireifte ihm den Wamsärmel ein wenig hinauf 


126 XVIL Antonio Francesco Grazzini. 


und erfannte ſcharf am Yulfe ein Muttermahl mit Wild⸗ 
fyweinsborften, worauf er mit lauter Stimme ausrief: 
Du bift Meifter Manente, du kannſt dich nicht mehr 
länger verbergen. 

Damit fiel er ihm um den Hals, umarmte und 
füßte ihn. Biondo und der Wirth waren voll” Ent- 
fegen zurüdgefahren und erwarteten ängftlih, was ber 
Fremde fagen würde. 

Du allein, Burchiello, antwortete er, haft mich unter 
allen meinen Freunden und Verwandten noch erkannt. 
Freilich bin ich Meifter Manente, wie du fagft, und bin 
niemals geftorben, wie mein Weib und ganz Florenz zu 
glauben fcheint. 

Sene beiden wurden bleich wie Afche; Amabore be- 
kreuzte fih, Biondo wollte fchreiend bavonlaufen und 
fie fürchteten fi vor ihm, mie wenn Gefpenfter und 
Todte vom Grabe erflünden. Burchiello aber redete 
ihnen zu. 

Fürchtet euch nicht, fagte er, rührt ihn nur an, 
betaftet ihn! Die Geifter und Todten haben weder 
Fleiſch noch Bein, wie diefer da, den ihr ja mit euren 
Augen habt effen und trinken fehen. 

Meister Manente fagte auch: Ich lebe, zweifelt und 
forgt nicht, meine Brüder, ich habe noch nicht den Tod 
geſchmeckt. Seid nur fo gut und hört mid an, ich will 
euch eine der wunderbarſten Gefchichten mittheilen, Die 
man je gebört. hat, feit die Sonne fcheint. 

So brachte er es mit Hilfe Burchiello’s endlich dahin, 
daß der Wirch und der Makler Biondo fi ein wenig 
berubigten. Sie riefen die Aufwärter herein, liefen außer 
dem Wein und Fenchel Alles abdecken, ſchickten fie zum 
Effen hinweg mit dem Bedeuten, andere nicht wieber 
zu kommen, als wenn Burchiello befehle, und fchloffen 
bie Thüre ab, morauf fie mit Aufmerkfamteit und Neu- 
aierbe Laufchten, was fie nun Geltfames zu bören be- 





33. Ein Schwank Lorengo Medict’s. 127 


fommen werden. Und nun begann Meifter Manente 
feine Erzählung von dem Augenblide an, wo er ſchla⸗ 
fend auf der Bank gelaffen murbe, und berichtete in 
befter Ordnung Alles, was ihm bis heute begegnet war, 
fobaß fie mehrmals ihre Verwunderung äußern und laut 
lachen mußten. Sobald er aber mit feinen Mittheilungen 
zu Ende war, fiel Burchiello, ein ganz feiner Kopf, 
plöglich ein und ſprach: Das ift ein Streich von Lorenzo 
dem erlauchten. ’ 

Die andern fegten fich zwar allefamımt dem entgegen 
und behaupteten, es fei durch Hererei, Bannung und 
Bezauberung bahingelommen. Burdiello aber beharrte 
auf feiner Meinung und fuhr fort: Es kennt nicht ein 
jeder diefen wunderlichen Kopf. Wißt ihr nicht, daß er 
Alles, was er einmal begonnen hat, zu Stande bringt, 
dag er fih in feinen Planen nimmermehr täufcht und 
verrechnet, daß ihn keine Luft ankommt, die er nicht 
büßt? Und es ift ein verteufeltes Ding, ed mit einem 
zu :thun zu haben, der Berftand, Macht und Willen 
bat. | | ' 

Segen Meifter Manente gewendet fegte er hinzu: 
Ich habe es mir immer gedacht, daß er bir einmal einen 
ſolchen Streich fpielen werbe ſchon von der Stunde an, 
wo du zu Careggi mit ihm aus dem Gtegreife reimteft 
und did, fo unartig gegen ihn betrugft. Meifter Ma- 
nente, Fürften find Fürften und machen es unferes Glei« 
chen oftmald fo, wenn wir mit ihnen auf du und du 
ftehen wollen. 

Der Arzt entfchuldigte fi) mit der Behauptung, die 
Mufen haben überall ein freiere® Wort, und wußte noch 
hundert Gründe für ſich anzuführen. Betrachtete er aber 
die Sache an ſich felbft und Burchiello's Worte dazu, 
fo fonnte er doch nicht alle Zweifel in feiner Seele unter- 
drüden und mußte jenem bis auf einen gewiffen Grad 
Slauben ſchenken. Als fie nun aber eine gute Weile 
über die Angelegenheiten bes Meifter Manente hin⸗ und 


128 XV. Antonio Francesco Grazzini. 


hergeſprochen hatten, ließ diefer auch von ihnen fih aus- 
führlih erzählen, was bei ber Peft fih zugetragen und 
wie es mit bem Menſchen gewefen, der an feiner Statt 
tobt und mit einer Peftbeule am Hals aus feinem Haufe 
getragen worden fei. (Er vermochte ſich hierüber gar nicht 
zu beruhigen und auch die andern zerbradhen fi umfonft 
den Kopf, felbft Burchiello wußte keinen Ausweg zu finden. 
Am Ende aber wurde es fpät und Meifter Manente bat 
fie nun um ihre Anſicht und um ihren Rath, wie er 
fi) aus diefer Verlegenheit ziehen möge, da es ihm doch 
allzu hart vorfam, Gut und Blut zugleich verlieren zu 
follen. Nachdem aber vielerlei Mittel und Wege zufam- 
men erwogen waren, wurden fie einig, daß der Arzt fi 
an ben Biſchof menden folle. Zulegt nahmen fie von 
einander Abfchied und Meifter Manente ging mit Bur- 
chiello heim, meil die andern feinethalb ihrer Sache doch 
nicht recht gewiß waren und immer noch ein heimliches 
Grauen vor ihm verfpürten. — Unterbeffen war Michel⸗ 
agnolo nah Haufe zurüdigefehrt und hatte von Brigida 
einen umftändlihen Bericht erhalten über Alles, was fich 
vor ihrer Thüre ereignet hatte, wobei fie ihn verficherte, 
fie hätte darauf fehmören mögen, fie höre die Stimme 
und fehe das Geſicht Meifter Manente’s, was mit ber 
Meinung der Donna Dorotea zufammentreffe, daß es 
feine arme Seele fei, die durch irgend ein frommes Werk 
aus dem Fegefeuer erlöft fein wolle. 

Was fafelft du da, dumme Gans, verfegte Michel⸗ 
agnolo, von armer Seele und Fegefeur? Es ift ein 
Schelm und lifliger Betrüger und bu thatft wohl daran, 
ibm nicht aufzumachen. 

Dennody verwunderte er fi) außerordentlich und konnte 
nicht begreifen, zu welchem Ende der Menſch dies begon- 
nen babe und worauf es dabei abgefehen fei; indeß ließ 
er fich nichts weniger dabei einfallen, als daß Meifter 
Manente wieder von den Todten erftanden oder daß er 
noch am Leben fei, fondern hoffte vielmehr, der Beutel- 





53. Ein Schwanf Lorenzo Medici. 129 


fohneider werde nad) diefem erſten misglücdten Verſuche 
nicht mieder zum Vorſchein kommen. — Des andern 
Morgens hieß Burchiello feinen Freund bei Zeiten’ auf- 
ftehen, ließ ihm vor Allem. den Kopf wafchen, den Bart 
nah der Sitte der Zeit ſcheeren und kleidete ihn dann 
von Kopf bis zu Fuß in eine Kleidung von ihm, Die 
ibm auch fo gut faß, als ob fie für ihn gemacht worden 
wäre. Dann ging er mit ihm aus, um ihn fehen und 
von den Leuten wiedererfennen zu laffen, fie gingen nach 
Santa Maria mit der Blume, nad) der Berkündigungs- 
ficche, auf den Altmarkt, auf den Neumarkt, auf den 
Platz, alles Volk fah ihn, viele erkannten ihn und redeten 
ihn fogar an, weil durch den Mund des Biondo und 
ded Amadore die Zeitung, daß er noch lebe und Weib 
und Eigenthum zurüdfordere, allgemein verbreitet worden 
wer. Ja, Niccolajo und Michelagnolo hatten ihn gefehen 
und ed kam ihnen in der That vor, er fei ed; doch da 
fie feines Todes gewiß waren, tröfteten fie fich wieder, 
er fünne ed unmöglicd, fein. Auf die Nachricht, daß er 
bei dem Bisthum klagbar werden molle, bereiteten fie 
fih zur Gegenwehr, gingen zum Peftamte, in die Sa- 
criftei von Santa Maria Novella megen des. Zodten- 
buche, zu dem Apotheker, der die Kerzen geliefert, zu 
den Zodtengräbern und in die Nahbarfchaft umher und 
ließen fich beurfunden, daß Meifter Manente in feinem 
Zeufe an der Peſt umgefommen und beerdigt worden fei. 

iefer Vorfall machte in Florenz das allergrößte Auf: 
ſehen und viele, welche den Keichnam hatten in die Gruft 
verfenten ſehen, wußten gar nicht mehr, woran fie waren, 
und fahen die außerordentlichften Dinge fommen. — 
Meifter Manente begab fid) nach Tiſche in Burchiello’s 
Begleitung auf die bifchofliche Nefidenz und trug dem. 
Vicarius den ganzen Handel vor, in deffen Folge er fein 
Weib wiedererftattet haben wollte. Der Vicarius, welchem 
die Sache höchft wunderbar vorkam, ließ, um der Sache 
auf den Grund zu fommen, die Gegenpartei vorbefcheiden, 

6** 


130 XVII. Antonio Francesco Grazzini. 


und ald er dann auch Niccolajo’s und Michelagnolo’s 
Gründe vernommen und fo viele giftige Zeugniffe und 
Ausfagen glaubwürdiger Männer binlänglih ermogen 
hatte, fchmwindelte ihm vollends vor Verwirrung. Da 
nun bei diefer Angelegenheit ein Zodter im Spiele war 
und von Feiner ber beiden Parteien herausgebracht wer- 
den konnte, wer es geweſen und wie er in das Daus 
des Arztes gerathen fei, mar er überzeugt, es fei Dabei 
ein Mord vorgefallen, und machte davon im Stillen bie 
Anzeige bei den Achten, welche fogleich ihre Häfcher hin⸗ 
fandten. Diefe trafen die Parteien noch im Streite an, 
nahmen fie mit Ausnahme Burchiello’8 fämmtlich in 
Berhaft und führten fie zu bem Büttel ab. — Am 
nädften Morgen, fobald die Gerichte verfammelt waren, 
verhörten fie zuerft den Meifter Manente, nachdent fie 
ihn mit ber härteften Folter bedroht hatten, wenn er 
ihnen nicht die Wahrheit ſage. Meifter Manente begann 
baber von vorn und erzählte der Meihe nach bis zum 
Schluffe Alles, mas ihm begegnet war, fodaß alle mehr 
wie einmal zum Lachen gebracht wurden. Darauf ſchickten 
fie ihn in feine Haft zurüd und ließen Niccolajo fommen, 
weicher ihnen ganz der Wahrheit gemäß Alles, was er 
wußte, erzählte. Michelagnolo gab das gleiche Zeugnif 
ab und zur Belräftigung ihrer Ausfagen brachten beide 
die Urkunden vor, in voller Überzeugung, daß der Zodte 
der Meifter Manente gewefen fei. Als nun die Achte 
vernahmen, daß ein Spitaldiener dagewefen fei, um ben 
Kranken zu pflegen und das Haus von der Anftedung 
zu reinigen, bachten fie vielleicht das Trum zu diefem 
verwidelten Knaul duch ihn zu finden, fchidten daher 
wirklich einen Aufwärter in aller Eile nah Santı Maria 
Nuova, um ihn zu holen. Sie hörten aber bald von 
demfelben @erichtödiener, ber Wärter habe in Händeln 
einen Kameraden mit einer Scheere im Geſicht ver⸗ 
wundet, fei aus Furcht vor Strafe davongelaufen und 
. man babe feitdem nicht wieder erfahren, mas aus ihm 


— — — — —— — — 


59. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 131 


geworden fi. So waren fie alfo fo klug mie zuvor. 
Man fieht, wie glüdlih die ganze Geſchichte angelegt 


war. Die Achte ließen nunmehr die Parteien in das 


Gefängniß zurüdbringen und befahlen ihren Beamten, 
die Urkunden genau zu prüfen und auf alle mögliche 
Weife zu unterfuchen, ob Meifter Manente die Wahrheit 
gefagt habe. Diefe berichteten nach zmei oder drei Tagen, 
es haben alle die Mahrheit gefagt, zum äußerſten Mis- 
fallen und Erftaunen des Gerichte. — Nunmehr begab 
ſich Burchiello, um Meifter Manente beizuftehen, zu 
einem der wichtigften Herren biefer Obrigkeit, der zu—⸗ 
gleich fein und Manente's großer Freund war, und 
machte ihm bemerklich, das Ganze fei nichts anderes als 
ein Anfchlag bes erlauchten Lorenzo, ber ed gewiß nur 
erfonnen habe, um mit dem Arzte feinen Spaß zu treiben, 
gab ihm auch den Grund und die muthmaßliche Veran- 
loffung dazu an, indem er feine Anficht fo gut unter- 
ftügte, daß er ihn zu feiner Meinung befehrte und fie 
beide auf den Schluß kamen, auf keine andere Reife, 
als durch Lorenzo fei in Florenz etwas der Art möglich. 


. Er fprach daher eines Morgens in der Sigung von diefer 


Angelegenheit und fagte, es heine ihm, es märe gut, 
darüber an den Erlauchten zu fhreiben, melcher fich da- 
mals zu Poggio aufbielt, den ganzen verwidelten und 
bedenklihen Handel ihm vorzutragen und die Entfchei- 
dung feinem Ermeſſen anheimzuftellen. Die übrigen 
Mitglieder des Nathes billigten diefes Gutachten höchlich 
mit dem Beifügen, daß fie nicht allein dem Erlauchten 
ein großes Vergnügen dadurch bereiten würden, fondern 
daß er auch gerade der befte Richter für folcherlei Fälle 
fi. Es warb alfo einftimmig dem Kanzler der Auftrag 
gegeben, einen vollfländigen Bericht von dem derma⸗ 
ligen Stande der Seiner Magnificenz anheimzuftellenden 
Sache abzufaffen, und fobald dies gefhehen war, am 
nämlichen Tage noch ſchickte man das Schreiben an ihn 
fort. Die Gefangenen wurden vorgeführt und empfingen 


132 XVII. Untonio Francesco Grazzini. 


ben Beſcheid, bei Etrafe des Galgens nicht auf bundert 
Schritte der Grabenftraße nahe zu kommen, noch mit 
Brigida zu fprechen, bis der Rechtshandel gefchlichtet fei, 
weichen fie an den Erlauchten verwiefen haben und ber 
bald in die Stadt zurückkehren werde. Darauf gab man 
ihnen ihre Freiheit wieder, und fie gingen ein jebes mit 
bee Hoffnung von bannen, die Entfcheidbung zu ihren 
Gunſten ausfallen zu fehen. Ganz Florenz; war indeffen 
voll von biefer erflaunlichen Begebenheit, Brigida war 
aber befonders verftiimmt und befümmert und fie meinte 
den Ausgang gar nicht erleben zu können. Meifter 
Manente 309 fürs Erſte zu Burdiello und fing wieder 
an Kranke zu befuchen, die Goldfchmiebe aber arbeiteten 
in ihrer Werkſtätte. — Als der Erlauchte die Zufchrift 
ber Achte empfing, mußte er fo erftaunlich darüber lachen, 
daß er ſich gar nicht zu faffen wußte; denn es fam ihm 
vor, der ganze Spaß habe eine taufend mal fchönere und 
Iuftigere Wendung genommen, als man ſich nur immer hätte 
voraus denken können. Acht bis zehn Tage darauf kehrte 
er nach Florenz zurüd und noch an demfelben Tage ging 
Meifter Manente zu ihm, wurde jedod) nicht vorgelaffen; 
das Gleiche war den Goldſchmieden begegnet. Am fol- 
genden Tage Fam Meifter Manente wieder und fand ihn 
gerade bei Tiſch, foeben war das Frühmahl vollendet. 
Das Herz hüpfte dem Erlauchten vor Freude, als er 
fam, dennoch gab er äußerlich Erftaunen und Mistrauen 
fund. 

Meifter Manente, rief er laut, ich glaubte nicht, 
dich je wiederzufehen, denn man hatte mich für gemiß 
berichtet, bu feieft tobt; und freilich bin ich nody immer 
nicht volltommen überzeugt, ob du es felber bift oder 
ein anderer oder ob du ein phantaftifches Zauberbild vor - 
dir haft. 

„Der Arzt verficherte ihn, er fei niemals geftorben, 
fondern immer noch derfelbige, der er vormals geweſen, 
und wollte näher. treten, um fi auf die Knie niederzu- 





93. Ein Schwan? Lorenzo Mebici’s. 133 


laſſen und ihm die Hand zu küffen. Der Erlauchte aber 
ſprach: Halt dich fern! Es genüge dir für jegt, daß, 
wenn du wieder ber echte, lebendige Meifter Manente bift, 
du mir willkommen bift, aber mo nicht, keineswegs! 

Der Arzt wollte nun anfangen feine Gefchichte vor- 
zutragen, Lorenzo aber fagte ihm, es fei dazu gegen 
wärtig nicht Zeit. 

Diefen Abend, fügte er hinzu, nad) vierundzwanzig 
Uhr erwarte ich dich in meinem Gemade, um deine 
Gründe zu hören. 

Zugleich that er ihm kund, daß auch feine Gegner 
fi) dort einfinden werden. — Meifter Manente dantte 
ihm für feine Gnade, 309 fich ehrerbietig zurüd und ging 
nach Haufe, wo er dem Burchiello den ganzen Vorfall 
berichtete. Diefer mußte im Stillen lachen und dachte: 
Sch weiß es ja wohl, daß die Sache an den rechten 
Mann gekommen if. Dem Erlauchten glüdt alles nach 
feinem Wunfch, er hat jeden Sonntag Oftern. 

Doc; konnte er keineswegs vorausfehen, welche Wen- 
dung die Sache noch nehmen werde. — Inzwiſchen war 
e8 Abend geworden und die Goldfchmiede hatten fich er- 
haltener Weifung zufolge bereits eingeftellt und ergingen 
fih in der Galerie, in Erwartung, gerufen zu werden, 
als Meifter Manente ebenfalls erfchien. Seine Ankunft 
ward ſogleich Lorenzo gemeldet und er begab ſich in 
Gefellfchaft mehrerer Bürger und Edeln von Florenz, 
die allefammt Bekannte und Freunde des Arztes waren, 
in feinen Saal, mo er zuerft ben Niccolajo und dann 
den Michelagnolo und fpäter beide zufammen vorführen 
ließ, ihre Auseinanderfegungen anhörte, die Urkunden 
einfah und ſich im höchften Grade verwundert Außerte. 
Zulegt traten fie ab und es erjchien Meifter Manente, 
‚welcher von Anfang an in fihönfter Orbnung ihnen ganz 
der Wahrheit gemäß erzählte, was ihm begegnet war, 
ohne etwas ab» oder zuzuthun. Darüber waren alle, 
die es mit dem Erlauchten anhörten, Außerft verwundert 


134 XV. Antonio Francesco Grazzini. 


unb mußten entfeglich lachen, und konnten mit Gelächter 
und Erſtaunen gar nicht zu Enbe kommen; fonbern 
nachdem Lorenzo ben Meifter Manente die Sache mehr- 
mals hatte wiederholen laffen, befahl er bie Goldſchmiede 
hereinzurufen, und das gab für eine Weile bie allerfchönfte 
und ergöglichfte Kurzweil, bie er Zeit feines Lebens ge- 
habt hatte, denn nun fagten ſich die Erhigten im Aus» 
bruche ihrer Xeidenfchaft die derbften Grobheiten. Darüber 
fam aud der Vicarius herbei, weldhen der Erlauchte 
hatte rufen laffen, und nachdem ihm alle Anmefenden 
ihre Ehrfurcht bezeugt hatten, nahm er feinen Plag an 
der Seite Lorenzo's ein und diefer fuhr alfo fort: Mein 
Herr Vicar, da ich weiß, daß ihr von ben Streitigkeiten, 
welche diefe ehrenwerthen Männer miteinander führen, 
bereitd durch eigenes Verhor in Kenntniß gefegt worden 
feid, fo will ich auf nichts anderem als darauf gegen 
euch beruhen, wie mir ald dem von den hochanfehnlichen 
Herren Achten in biefer Sache erwählten Richter zunächft 
obliegt, zu erforfchen, ob ber echte Meifter Manente 
jemals geftorben und alfo diefer bier vor uns ſtehende 
nicht etwa ein bezaubertes Trugbild oder gar ein höllt- 
ſches Weſen ift, welche Entfcheibung denn unzweifelhaft 
von eurem Amte zu erwarten fteht. 

Auf welche Art und Weife das? antwortete der Vicar. 

Ih werde es euch eröffnen, fuhr Lorenzo fort und 
fügte: Indem ihr ihn von einigen frommen Brüdern, 
welche Teufel austreiben, beſchwören laffet, indem man 
ihm Reliquien gegen die Beherung auflegt. 

Ihr habt wohl gefprochen, antwortete der Herr Vicar; 
gebt mir feche bis acht Tage Zeit, meine Vorbereitungen 
zu treffen, und wenn er alddann den Hammer aushält, fo 
wird man mit Sicherheit annehmen können, daß er lebt 
und der rechte iſt. 

Meifter Manente gab fih Mühe zum Worte zu 
fommen, allein der Erlauchte bekräftigte die Anfichten 
des Vicars, erflärte, baf er fein Urtheil von bem Erfolge 


53. Ein Schwank Lorehzo Medici’s. 135 


der Beſchwörung abhängig machen werde, ftand auf und 
entließ die Sigung, indem er fich mit den ihn begleitenden 
Edelleuten zum Nachteſſen entfernte, wobei über dieſen 
ſeltſamen Vorfall ungemein viel gelacht und geſcherzt 
wurde. — Des andern Tages machte der Vicar, ein 
guter und frommer Chriſt und eine ehrliche geiſtliche 
Haut, im ganzen Erzbisthum bekannt, daß alle Prieſter 
und Mönche, welche Reliquien beſitzen, die ſich zum 
Austreiben von Teufeln und Beſchwoͤrung von Geſpen⸗ 
ſtern eignen, ſelbige bei Strafe ſeines Unwillens binnen 
ſechs Tagen nach Florenz in die Kirche Santa Maria 
maggiore bringen ſollen. Im ganzen Lande ſprach man 
nun von nichts anderem, als von dieſer Neuigkeit und 
den Goldſchmieden wie Meiſter Manente däuchte es eine 
Ewigkeit, bis fie aus der Sache losfämen. Lorenzo hatte 
unterdefien den alten Nepo von Galatrona, einen be- 
rühmten Herenmeifter und Zauberer jener Zeit, nad) Flo: 
venz fommen lafjen, unterrichtete ihn von dem, was er 
zu thun habe, und behielt ihn im Palafte, um fich feiner 
bei fchilichee Zeit und Gelegenheit zu bedienen. Don ' 
Stadt und Land war in Santa Maria maggiore eine 
ganz erftaunliche Menge von Reliquien zufammengebracht 
worden. Am feftgefegten Zage erfchien Meifter Manente, 
man erwartete nur noch den Vicar, welcher auch nad) 
der Veſper, begleitet von vielleicht breißig der angefehenften 
Geiftlihen von Florenz, erfchien, mitten in der Kirche 


auf dem für ihn zubereiteten Sige Plag nahm, Meifter 


Manente vortreten und niederfnien lief. Zwei Mönche 
von San Marco fangen über ihm Evangelien, Palmen, 
Hymnen, Gebete, befprengten ihn mit Weihmaffer, beräu- 
cherten ihn mit Weihrauch. Priefter und Mönche ließen 
ihn ihre Reliquien berühren, aber Alles war umfonft, 
der Arzt veränderte fich nicht im Mindeften, fondern 
bewies vielmehr allen feine Ehrfurcht, dankte Gott und 
flebte den Vicar um feine Erlöfung an. — Die Kirche 
mar voll und gedrängt in allen Eden, denn alle erwar- 





4 


136 XVU. Antonio Francesco Grazzini. 


teten Wunderdinge, als ein feifter Mönch, von Balom- 
brofa kommend, jung, rüftig und ein erBlärter Zeufels- 
banner, fich vorbrängte und rief: Laßt mich ein wenig 
fhaffen! Ich will euch bald fagen, ob er befeffen ift 
oder nicht. 

Er band ihm bie Hände feft, hängte ihm nochmals 
Sanct Philipps Mäntelhen um die Schultern und fing 
an ihn zu befragen und zu befchwören. Der Arzt ant- 
mwortete zwar immerfort ganz wie ſichs gehörte, da in- 
deſſen bei diefer Befchwörung der Bruder Dinge fagte, 
welche Steine hätten zum Laden bewegen müffen, fo 
wollte Meifter Manente's Unglüd, daß er den Mund 
zu einem halben Lächeln verzog. Da brach urplöglid 
der Mönch gegen ihn los: Segt hab’ ich ihn. 

Er gab ihm zwei Maulfchellen aus dem Salz und 
rief: Ja, ja, bu bift ein Feind Gottes und du follfi 
mir auf alle Weife weichen. 

Schien auch dem Meifter Manente der Spaß bier 
ein wenig zu weit zu geben, fo ſprach er doch feiner- 
feitd gefaßt: Beſchwöre du fo viel du willſt! 

Der dide Mönch aber ſtieß ihm unablaffig mit der 
Fauſt auf die Bruft und in die Seiten und fihrie fort- 
während: Ei du böfer Geift, dir zum Troge ſollſt du 
heraus. 

Der Arzt Eonnte fih blos mit der Zunge wehren 
und fchrie daher: Wie, du verrätberifcher Pfaffe, ift das 
eine Art mit ehrlichen Leuten umzugehen? Schämſt du 
dich nicht, du Faullenzer, du Saufaus, meines Gleichen 
fo zu fohlagen? Beim Leib des Herrn! ich räche mich 
noch dafür. 

Als der Mönd ihn fo Läftern hörte, machte er fich 
erft recht über ihn her, warf ihn zu Boden, feste ihm 
bie. Füße auf den Leib, padte ihn an ber Kehle und würde 
ihn ficherlich erwürgt haben, hätte ihn Meifter Manente 
nicht um Gottes willen gebeten. Darauf ließ denn ber 
Herr Bruder von ihm ab, weil er glaubte, ber böfe 


53. Ein Schwan Lorenzo Medici's. 137 


Geift wolle heraus, und fing an, ihn zu fragen: Welches 
Zeichen gibft du mir? 

Jetzt gab Monaco, welcher auf Anordnung des Er- 
lauchten mit Nepo in die Kirche gefommen war und fich 
unter das Volk gemifcht hatte, diefem zu. verftehen, der 
rechte Augenblid fei da. Da ſchrie Nepo plöglich mit 
lauter Stimme: Aus dem Weg, aus dem Weg, ihr 
ehrlichen Leute, laßt mich hindurch! Ich komme mit 
dem Vicar zu reden und ihm die Mahrheit zu ent- 
hüllen. 
Bei dieſem Geſchrei und ſolchen Reden richtete jeder 
ſeinen Blick auf den Sprechenden, es war eine große 
Geſtalt, ſchön, ſchlank, mit olivenfarbiger, faſt brauner 
Hautfarbe, kahlem Kopf, feinem magern Geſicht, brau⸗ 
nem und bis auf die Bruſt herabhängendem Barte und 
groben ſeltſamen Kleidern, ſodaß alle in Verwunderung 
geriethen und aus Angſt ihm gerne Bahn machten; ſo 
drang er bis zum Vicar vor und forderte die Entfernung 
des Mönches vom Meiſter Manente, welcher ihn als 
ſeinen Erwecker vom Tode betrachtete. Dann fuhr er 
alſo fort: Damit nach Gottes Willen die Wahrheit Allen 
kund werde, ſo wißt, daß Meiſter Manente allerdings 
niemals geſtorben iſt, ſondern daß Alles, was ihm be⸗ 
gegnet iſt, durch Zauberei und Teufelskünſte auf mein 
Anſtiften geſchah. Ich bin Nepo von Galatrona und 
kann durch meine Teufelskünſte Alles vollbringen, was 
mir gefällt und gutdünkt. Ich war es, der ihn, mäh- 
rend er in San Martino fchlief, von Teufeln in ein 
Zauberfchloß bringen lieg und genau in der Weiſe, wie 
ihr von ihm gehört habt, dafelbft fo lange gefangen hielt, 
bis ich ihn endlidy eines Morgens in der Dämmerung 
im Walde von Vernia wieder in Freiheit fegte. Ich 
ftedte einen Kobold in eine aus Luft gefchaffene, ihm 
ähnliche Geftalt, ließ ihn darin als Meifter Manente 
ſcheinbar an ber Peft erkrankten und am Ende fterben 
und veranlafte feine VBeerdigung, woraus denn - alles 


138 XV. Antonio Francesco Grazzini. 


Ubrige entflanden ift, wie ihre wiffet. Und biefes alles 
babe ich vollbracht, um durch ſolche Verhoͤhnung an 
Meifter Manente eine Beleidigung zu rächen, die mir 
bereinft im Kirchiprengel von Sanct Stephan fein Water 
antbat, dem ich fie felbft nicht wieder vergelten Eonnte, 
weil er jederzeit ein Amulet bei fi trug, auf dem das 
Gebet des Heiligen Cyprianus gefchrieben ftand. Und 
bamit ihre euch von der Wahrhaftigkeit diefer meiner 
Worte überzeugt, fo geht jept Hin und öffnet die Gruft, 
worin ber vorgebliche Arzt beftattet wurde. Findet ihr 
darin nicht die offenbarfte Beftätigung meiner Ausſagen, 
fo mögt ihr mich für einen Lügner und Betrüger halten 
und mir den Kopf abfchlagen. 

Der Bicar und alle andern hatten mit gefpannter 
Aufmerkfamteit den Reben bes Mannes zugehört. Meiſter 
Manente glühte vor Grimm, ſchaute ihn aber doch ganz 
ängftlich und wie trunten und fchlafbetäubt an und alles 
Bolt gaffte ihn mit offenem Munde an. Um nun biefe 
Sache voͤllig aufzuklären und zu fehen, wie es mit diefer 
verwidelten Geſchichte fich verhalte, befahl der WBicar 
zweien Mönden von San Marco und zweien vom bei- 
ligen Kreuz, fchnell hinzugeben und die geweihte Grab- 
flätte zu unterfuchen. Sie fegten fich fogleih in Bewe⸗ 
gung und viele andere Mönche und Priefter und Laien 
in großer Zahl liefen hinter ihnen her. Nepo blieb in 
der Kirche bei dem Vicar und Meifter Manente zurück, 
welche fich halb vor ihm fürchteten, ſodaß fie nicht wagten, 
ihm feſt ine Geſicht zu fehen, denn fie beforgten, wie 
überhaupt die Mehrzahl der Anweſenden, es ſei ein zweiter 
Simon Magus oder ein neuer Malagigi. Indeſſen waren 
die Möndye mit ihrem Gefolge auf dem Kirchhofe von 
Santa Maria novella angelangt und hatten den Sacriftan 
berbeigerufen und fi von ihm das Grabmal zeigen laffen, 
worin man glaubte, daß der Leichnam des Arztes beige 
fegt worden fe. — Am nämlichen Morgen eine Stunde 
vor Taa hatte Monaco im Auftrag des Erlauchten eine 


8° 


53. Ein Schwank Lorenzo Medici’s. 139 


pechſchwarze Taube, die ganz ausgezeichnet raſch flog, 
von Gareggi gebracht. Sie wußte ihren Schlag fo gut 
wiederzufinden, daß fie. fchon von Arezzo und von Pifa 
zurüdgefommen war. Diefe hatte er mit großer Bor: 
fiht, daß er von niemand bemerkt werde, in das Grab 
verfchloffen, welches er genau kannte und nachher wieder 


fo gut zumachte, daß es in zehn Jahren nicht geöffnet - 


worden zu fein fehien. Der oben gefagte Sacriftan fegte 
nun den Hafen an, hob die Platte auf und öffnete in 
Gegenwart vieler Hundert Menſchen den Dede. Da 
fhoß nun die Zaube, welche man Kohle hieß, nachdem 
fie mehrere Stunden im Dunkel zugebradht, nichts auf- 
gepidt und das Zageslicht nicht erblidt hatte, in pfeil» 
fhnellem Fluge aufwärts aus der Gruft hervor und ftieg 
ſichtlich himmelan und fo Hoch, bis fie Kareggi erblidte. 
Dann wandte fie fich feitwärts in diefer Richtung bin ' 
und langte in weniger ald einer halben Biertelftunde 
bofelbft an. Alle Umftehenden waren darüber fo fehr 
mit DVermunderung und Schreden erfüllt, daß fie auf- 
und davonliefen und fchrien: Jeſus, erbarme dich! 

Der Sacriftan fiel aus Angſt rücklings zu Boden 
und der Stein flülpte über ihn bin, fodaß er fich ben 
Schenkel zerquetichte und viele Tage und Wochen Frank 
daran darniederlag. Die Mönche und ein großer Theil 
des Volkes liefen wieber nad) Santa Maria maggiore 
und riefen: Ein Wunder, ein WBunber! 

Der eine fagte, es fei ein Geift herausgefahren in 
Form eines Eichhörnchens, es habe aber Flügel gehabt; 
der andere, es ſei eine Schlange geweſen, welche Feuer 
gefpieen; ein dritter mollte, es ſei ein Teufel gewefen in 
Geftalt einer Fledermaus; die meiften aber behaupteten, 
den Anblid eines Teufelchens gehabt zu haben; ja, einer 
fagte, er habe ganz genau die Hörnchen und die Gänfe- 
füge wahrgenommen. In Santa Maria maggiore, wo 
der Vicar und Meifter Manente und eine ungeheuere 
Menge Volks wartete. kam nun faft in vollem Laufe 


‘ 


140 XV. Antonio Francesco Grazzini. 


eine Schaar GBeiftlihe und Laien an, welche alle cin: 
flimmig 'riefen: Ein Wunder, ein under! 

Alles ſtieß und drängte fih um fie herum, um das 
Wahre an der Sache zu vernehmen, und fo benügte 
Nepo den entfiandenen Tumult, um fi unbemerkt und 
von Monaco und den Stallknechten gededt einen Meg 
durch das Gedränge bis vor die Kirche zu bahnen, wo 
ein raſcher Gaul feiner wartete, auf dem er, wie ihm 
befohlen war, eiligft nach Haufe zurüdritt. — Sobald 
fih der Vicar von den Brüdern den Dergang hatte aus- 
führlich erzählen laſſen, blidte er flaunend und etwas 
beftürzt umher, ob er des Nepo nicht anficdytig würde; 
und als er ihn nicht mehr erblidte, begann er dann zu 
rufen, man folle ihn fuchen und feſtnehmen, weil er 
diefen wahrhaftigen Hegenmeifter, Zauberer und ZTeufels- 
banner verbrennen zu laſſen beabfichtige. Nepo warb in- 
deſſen nirgends aufgefunden und man glaubte allgemein, 
er babe ſich durch Zauberkünfte unfichtbar gemacht; ſodaß 
der Vicar aus dieſem Grunde Priefter und Mönche ins- 
gefamme mit dem Bedeuten entließ, ihre Reliquien wieder 
nach Haufe zu tragen, und in Gefelfhaft Meifter Ma: 
nente's nad dem Palafte ging, um den Erlauchten zu 
fprechen. Burchiello hatte mit einigen vertrauten Freunden 
aus einiger Entfernung Alles mit angefehen und beobachtet 
und fo gelacht, daß ihm die Kinnladen fehmerzten, zumal 
ale der dide Pfaffe den Meifter Manente. fo gewaltig 
durchprügelte. Die beiden verbündeten Goldarbeiter waren 
zu ihrem großen Misbehagen und Erftaunen ebenfalls bei 
dem ganzen Hergang gegenwärtig geweſen und als fie 
den Bicar nach dem Palaſte gehen fahen, machten fie 
ſich hinter ihm drein auch dahin auf den Weg, um zu 
ſehen, wie doch aus dieſem Labyrinthe hervorzukommen 
möglich werden möchte. Der Erlauchte hatte von Zeit 
zu Zeit genau über alles Einzelne Bericht erhalten und 
konnte mit einigen Edelleuten und ſeinen nächſten Freunden 
nicht ſatt werden, zu lachen, als er hoͤrte, der Vicar 


33. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 141 


fomme mit ihm zu reden. Diefer trat fogleich mit dem 
Ausrufe herein, er nehme ben Beiftand der Häfcher in 
Anfprudh, um den Nepo von Galatrona einfangen zu 
laffen. Lorenzo ftellte fich befremdet, ließ fich Alles noch 
einmal erzählen und fprach: Mein Herr Vicar, ich bitte, 
fchreiten mir nur facht voran in Allem, was den Nepo 
betrifft. Aber was fagt ihre zu Meifter Manente? 

Ich fage, antwortete der Vicar, es unterliegt gar 
feinem Zweifel mehr, daB er es leibhaftig ift und nie⸗ 
mals den Tod gefchmedt hat. 

Nun denn, fprach der’ Erlauchte, fo will ich das Ur⸗ 
theil fällen, damit diefe armen Menfchen endlich einmal 
aus ihrer Bedraͤngniß erlöft werden. 

Er lieg Niccolajo und Michelagnolo, welche er in 
der Menge bemerkt hatte, vor fich führen, vermochte fie 
in Gegenwart des Picard und vieler ausgezeichneter und 
bedeutender Männer, den Meifter Manente zu umarmen 
und zu küſſen und Frieden mit ihm zu fchliefen. Als 
fie fih nun gegenfeitig entfchuldigten und den ganzen 
Handel Nepo in die Schuhe fehoben, that endlich der 
Erlauchte folgenden Spruch: Michelagnolo folle am fol- 
genden Zage alle Sachen, die er in Meifter Manente’s 
Haus gebraht, daraus fortichaffen, Brigida dagegen nur 
mit vier Hemden, einem Node und einem Mieder fich 
in die Wohnung ihres Bruders begeben und dort ihr 
Mocenbette abwarten; nach ihrer Niederkunft folle es 
Michelagnolo überlaffen bleiben, ob er das Kind nehmen 
wolle oder nicht; wolle er es nicht, fo könne es der Arzt 
zu fi nehmen; verfchmähe es auch diefer, fo möge man 
es in das Findelhaus geben; die Koften des Mochenbettes 
trage Michelagnolo; Meifter Manente könne in fein Haus 
zu feinem Söhnlein zurückkehren und müſſe Brigida, fo- 
bald fie entbunden fei, wieder bei fih aufnehmen und 
fo gut behandeln, wie zuvor. Diefer Urtheilsfpruch gefiel 
allgemein und jeder, dem er zu Ohren fam, pries barob 
den Erlauchten. Die Goldarbeiter und der Arzt danften 


142 XVII Antonio Francesco Graszini. 


ibm böchlih und gingen wohlgemuth von bannen. An 
bemfelben Abend fpeiften fie eintraͤchtiglich miteinander 
bei Brigida in Geſellſchaft Burchiello's, in deſſen Hauſe 
ſodann der Arzt die Nacht zubrachte. — Der Herr Bicar 
war bei dem Grlauchten zurüdgeblieben und drang von 
Neuem darauf, den Nepo einzufangen, um ibn verbren- 
nen zu laffen. Lorenzo ftellte ihm aber vor, es würde 
beſſer fein, fih ruhig zu verhalten, meil, wenn man 
auch den Verſuch mache, es doc, vielleicht nicht gelinge 
bei einem Manne, dem taufend Mittel und Wege zu 
Gebote ftehen, zu entfliehen und feine Verfolger zu narren, 
indem er ſich unfichtbar made, als Vogel Davonfliege, 
zur Schlange werde und dergleihen, da einmal unfer 
Herrgott jenem Haufe von Galatrona diefe Gewalt zu 
einem von Menfhen nicht gekannten Zwecke verliehen 
habe; dann Taufe man aber auch die größte Gefahr, 
denn wenn Nepo bie böfe Abſicht ſehe oder bemerke, 
könnte er ſie ſtumm machen, einem: die Augen verdrehen, 
den Mund ſchief ziehen, die Glieder laͤhmen oder ſonſt 
ein bösartiges Übel anhängen. Der Bicar, der, mie-fchon 
— von gutherziger weicher Gemüthsart war, fiel auf 
ſolche Vorſtellungen leicht der Meinung Lorenzo's bei, 
entfchuldigte feinen Eifer damit, daß er der Sache nicht 
fo reiflih nachgedacht habe, und erflärte endlich ein für 
allemal, daß er ferner nicht mehr davon zu reden ent- 
ſchloſſen ſei. Mit diefem Worfage verließ er den Er- 
lauchten nicht ohne ftarke Beforgniß wegen eines etwaigen 
böfen Ubels, ging nad, feiner Wohnung zurüd und er- 
wähnte Nepo’s in feinem ganzen Leben nicht mehr weder 
in Butem noch in Böſem. Am folgenden Tage nahm 
Michelagnolo aus Meiſter Manente's Haufe alle feine 
Habfeligkeiten weg, Brigida begab fi in base Haus 
ihres Bruders, fodaf der Arzt fein voriges Beſitzthum 
ungehindert antreten fonnte und noch am nämlichen Tage 
wieder mit feinem Söhnchen zufammenmwohnte, das ihm 
ein ganz unermwarteter Fund erfhien. In biefer Zeit 


53. Ein Schwank Lorenzo Medici's. 143 


ward in Florenz von nichts anderem gefprochen, als von 
diefem Ereigniß und vorzüglich Nepo erntete dabei große 
Ehre und unfhägbaren Ruf, zumal beim gemeinen Volke, 
und wurde für einen großen Schwarzkünftler gehalten. 
Meifter Manente glaubte fteif und feit, daß die Sache 
fich fo verhalte, mie Nepo erzählt hatte, und pflegte in 
ber Folge oft gefprächsweife zu fagen: Die Birne, bie 
der Vater ift, verfchlägt manchmal noch dem Bohne 
die Zähne. 

Died wurde von. da an zum Sprichwort, das noch 
jetzt üblich iſt. Der ehrliche Mann ließ ſich auch in 
feinem Glauben durch nichts irre machen, trotzdem, daß 
nicht nur Burchiello, ſondern auch ſogar der Erlauchte, 
Monaco und die Stallknechte im Verlaufe der Zeit den 
ganzen Scherz erzählten, wie er ſich verhielt. Er war 
vielmehr fo verfchlichtert, daß er ſich viele Gebete des 
heiligen Cyprian kaufte, die er beftändig auf dem Leibe an 
fi trug und aud Frau Brigida tragen lieh. Brigida 
nun gebar, als ihre Zeit erfüllt war, ein Knäblein, das 
Michelagnolo zu fi) nahm und bis in fein zehntes Jahr 
auferzog. Als dem Kinde in diefem Alter der Vater 
ftarb, machten ed die Seinigen zu einem Möndlein in 
Santa Maria novella, wo es in der Folge fehr gelehrt 
ward und zu einem großen Prediger erwuchs, den die 
Leute um feiner fcharflinnigen Einfälle und anmuthigen 
Scherze willen Bruder Grübler nannten. Meifter Ma- 
nnente erfreute fich mit ſeinet Brigida eines fteten Zu⸗ 
wachſes an Wohiftand und Nachkommenſchaft, und feierte, 
fo lange er lebte, alljährlich das Feſt des Sanct Eyprian, 
dem er immerbar mit befonderer Verehrung zugethan 
blieb. 


XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio. 


1504. 


54. Perſiſche Graufamfeit. 


(3, 2.) 


Sulmone König von Perſien war der mädhtigfte der 
Könige und wie ich öfters fagen hörte, war er nidt 
minder graufam, als tapfer. Er hatte viele Söhne und 
Töchter von Selina feiner Gemahlin, einem Weibe vom 
beftien Adel, aber von der verdorbenften Gefinnung. 
Sulmone hatte fie mit feinem älteften Sohne umgebradt, 
weil er fie in unfeufhem Umgang überraſchte. Von al 
feinen Kindern war ihm am Ende nur noch eine Tochtet 
übrig, Orbecche mit Namen. WIE fie in das heiraths⸗ 
fähige Alter fam, ward fie wegen ihrer ausnehmenden 
Schönheit von vielen geliebt. Dem Water felbft war fie 
theurer, als fein Leben, und es fchien, er habe alle feine 
Hoffnungen auf fie vereinigt. Dem Mädchen gefiel nichts, 
fo bedeutend es war, worin ihr nicht ihr Vater vollftändig 
nachgegeben hätte. Dies ward häufig Veranlaffung,, die 
Grauſamkeit des Waters beträchtlich zu mildern, ſodaß 
oftmals der Beängftigte Sicherheit, der Beleidigte Genug 
thuung erhielt. Nun begab es fih, daß ein junger Mann 
aus Armenien, Namens Oronte, an den Hof diefes Kü- 
nigs fam, welcher zwar von einem König und einer Königin 
abftammte, aber von feiner Mutter, die ihn im Geheimen 
empfangen hatte, in einer Kifte ins Meer geworfen und, 
als er in die Hände des Königs von Armenien fam, in 
niedrigem Stande erzogen worden war. Der Jüngling 
war fehr fchön, mit liebenswircdigem Betragen geſchmückt 


54. Perſiſche Sraufamkeit. 145 


und vol fo großer Zugenden, daß, wer ihn genauer 
betrachtete, den fcheinbar aus niedrigftem Stamme her- 
fommenden durchaus für würdig erklärte, der Sohr 
eines Königs zu fein. Diefer alfo fam an den Hof 
Sulmone’s; die Landesfprache war ihm aufs Genauefte 
betannt, er befreundete fi) mit vielen Baronen des 
Hofes und wies fih im Ritterweſen vor dem König fo 
aus, daß er geruhte, ihn in feine Dienfte zu nehmen, 
wo es ihm gelang in weniger als drei Jahren fo fehr 
in Wertbfchägung und Anerkennung bei dem König zu 
wachfen, wie nur irgend einer, der ihm theuer war. 
Diefes Verhältniß war vielen Altern und edlen Dienern 
läftig und unerträglih. Auch fehlte es nicht an folchen, 
die bei Drbecche fich, beſchwerten und fie zu bewegen fuchten, 
fi) bei ihrem Vater zu befchweren und ihm zu bedeuten, 
es fei feiner und ihres langen Dienfies nicht würdig, 
Daß ihnen ein Mann vorgezogen werde, ber nicht nur 
fremd fei, fondern, fo viel man wiffe, dem niedrigften 
Stande angehöre. Die Tochter that, fobald fich Gele- 
genheit gab, dem Vater die Klagen feiner Hofleute zu 
wiffen. 

Liebe Tochter, fagte er zu ihr, nunmehr erkenne ich, 
wie ein Menfch mehr werth ift, ald ber andere, und 
weiß unter taufend einen auszuwählen, der diefe taufend 
zufammen aufwiegt. Darum, wenn ich Oronte hochhalte 
(denn fo heißt der junge Mann), fo thue ichs, weil er 
es verdient. Mich kümmerts babei nicht, daß er von 
niedriger Abkunft ift, denn fein Geift und feine Tugenden 
zeigen ihn nicht allein über fein 2008 erhaben, fondern 
würdig, der Sohn des größten Königs zu fein. Darum 
mögen fi ch meine Leute befchweren, ſo viel ſie wollen, 
ſie ſind im Unrecht. 

Orbecche glaubte den Worten des Vaters mehr als 
nöthig war, ſie lobte ihn darüber, daß er den Wuͤrdigen 
ſo gut zu belohnen wiſſe, und ging weg mit einer ſo 
heftigen Neigung im Herzen, wie nur je ein Weib für 

Italianiſcher Novellenſchatz. II. 7 


146 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


einen jungen Mann fühlen konnte. Alle ihre Gebanken 
gingen auf ihn und fie achtete auf nichts anderes, als 
daß fie DOronte zu Geſicht befomme, denn obwol er lange 
am Hofe ihres Vaters gewefen war, hatte ihn Orbecche 
doch noch nicht gefehen, da es in jenen Zeiten Sitte bei 
den Perſern war, daß die Fremden nicht dahin kamen, 
wo ihre Frauen waren. Wenige Zage barauf rief Sul⸗ 
mone den Dronte zu fih und er gab ihm eine fehr 
fhone Perle von größtem Wertge mit den Worten: 
Bring dies meiner Tochter und fage ihr, daß ich ihr 
damit ein Geſchenk mache. 

Der König that die aus keinem andern Grunde (er 
dachte freilich nicht an bad, was daraus entfliehen könnte), 
als danıit die Zochter erkenne, mit welchem Rechte er ihn 
hochfchäge und ihr angepriefen babe. Uronte, bereit, dem 
Befehle des Königs zu gehorchen, begab ſich nach den 
Bemächern Orbecche's und übergab ihr mit paffenden 
Worten und größter Anmuth das Geſchenk ihres Vaters. 
Die Jungfrau nahm es mit Anftand bin und fprach zu 
ihm, das Geſchenk fei fehr ſchön und ihr fehr angenehm, 
dba ed von dem König ihrem Vater fomme; daß er es 
ihr aber buch einen Mann, wie er fei, geſchickt Habe, 
mache ihr daſſelbe noch viel mwerthooller, denn fon feit 
langer Zeit habe fie den Wunſch gebabt, ihn zu fehen 
und zu bören. Go kamen fie denn von einem auf das 
andere, und wie wir es bei vertraulichen Gefprächen gehen 


ſehen, bielten fie fich lange beifammen auf; enblidy nahm 


der Jüngling Abſchied und - kehrte zu feinem Gebieter 
zurück. Uber wiewol er wegging, blieb doch fein Bild 
fo feft in Orbecche's Herzen, daß fie auch den Entfernten 
fo gegenwärtig hatte, al& wenn er Tag und Nacht vor 
ihre geftanden wäre. Sie erwog die Gigenfchaften des 
Sünglings in ihrem Gemüthe und ihr daͤuchte, fo viel 
auch ihr Vater zu feinem Lobe vorgebracht hatte, fei er 
doch allzufarg geweſen in feinem Preife, fo viel mehr 
ergab ſich ihre ſchon aus dem eriten Geſpraͤche, das fie 


54. Perſiſche Grauſamkeit. 147 


mit' ihm hatte. Während ihr daher anfangs der Name 


Dronte zuwider war wegen des Neides, den die Hofleute 
auch bei ihr erwedt hatten, war ihr nunmehr nur das 
Geſpräch theuer, in welhem Dronte's gebacht wurbe. 
Indem fie nun diefen Gedanken nachhing, kam ihr Vater 
zu ihr, auf geheimem Wege, wie gewöhnlich, Drbecche 
bieß ihn ehrerbietig willlommen und dankte ihm für das 
Geſchenk, das er ihr überfandt hatte. Nachdem fie einige 
Zeit mit einander gefprochen hatten, fragte der König 
Drbeche: Und wie gefiel dir Dronte, meine Tochter? 
Meinft du, er verdiene, von mir gefchägt zu werden? 

Er ſcheint mir, antwortete fie, jeder Ehre würdig, 
aber es fcheint mir auch, wenn ich das ehrerbietig be 
merken darf, dag ihr um feinetwillen die andern nicht- 
geringfchägen dürft. 

Sie fagte dies, damit ber Vater nicht merke, daß 
fie ihren Sinn auf ihn gelentt habe, und er ihr nicht 
den Weg abfchneide, ihre MWünfche zu erfüllen, für den 
Fall, daß er etwas merkte. Nach einigen andern Ge- 
fprächen kehrte der König in feine Gemächer zurüd. 
Auch bei andern Gelegenheiten unterließ er nicht, Dronte 
manchmal an feine Tochter zu ſchicken; es fchien, tie er 
ihm alle Reichbangelegenheiten überließ, habe er ihm auch) 
feine Tochter anvertraut. Als nun Dronte häufiger zu 
der Jungfrau am, als fonft, faßte er fie allmälig ge- 
nauer ind Auge.und entbrannte fo in Xiebe für fie, daß 
er fih ganz von ihr verzehrt fühlte... Und wie er Dr- 
becchen der erſte Ritter der Melt däuchte, fo war Dr- 
becche ihm als das wunderbarfte Gefchöpf erfchienen, das 
ein fterbliches Auge fehen konnte. Der Arme verliebte 
fih in fein Unglück und wünfchte nichts anderes, als 
fortwährend ihre wunderbare Schönheit betrachten au 
können. Dft ſchalt er auf fein Schilfal, das ihn nicht 
in einen Stand gefept habe, wo er hätte hoffen dürfen, 
in den Befig einer fo feltenen Frau zu fommen. Aber 
bei alle dem gab er niemals ein Zeichen, woraus bie 

7% 


148 XVII. Giovannı Battifta Giraldi Eintio. 


Frau oder fonft jemand feine Wünſche erkennen konnte. 
Nun begab es fich, als er eines Tages bei der Jungfrau 
in ihrem Gemache war und fie aufmerffam betrachtete, 
daß er in ihr einige Merkmale eines liebentbrannten Her⸗ 
zens gewahrte. Daher fuchte er ihr auf geſchickte Weiſe 
zu verftehen zu geben, wenn fie für ihn glühe, fo brenne 
er für fie. Diefe Liebe dauerte auf beiden Seiten gan; 
ftille fort und quälte fie um fo mehr, je brennender ein 
verborgenes Feuer ift, als ein offenes. Als nun bie 
Sachen zwiſchen den beiden LKiebenden auf diefem Punkte 
angelangt waren, fühlte fi die Jungfrau, die bei der 
Schwäche der weiblihen Natur weniger über fi) Meifter 
ward, in der Rage, daß fie nothwendig Dronte ihr Ber- 
langen offenbaren oder fterben mußte. Als fie einft mit 
ihm zufammen war, fing fie, hoch erröthend von edlem 
Schamgefühl, mit leifer Stimme alfo zu fprehen an: 
Dronte, wenn das Schickſal dir karg geweſen ift mit 
feinen Gaben, fo bat die Tugend, um die Schmad 
Fortunas gut zu machen, dich mit fo großen und aus— 
gezeichneten Zierden überfchüttet, daß, wenn dir Die eine 
Armuth und niedrigen Stand befchieden, die andere dich 
durch ihre Geſchenke zum erfien Ritter diefes Hofes er- 
hoben bat, der wol unter den jegt in dee Welt befte- 
henden nicht der am mindeften würdige if. Dieb ift der 
Grund, warum du den Augen meines Föniglichen Vaters, 
obwol ein Fremdling und einem feindlichen Volle ange 
hörig, würdig gefchienen haft, allen Baronen und Herren 
diefes Hofes und mit vollem echte vorgezogen zu werben, 
und ebenfo muß auch ich Dich mehr als alle andere Men⸗ 
fchen lieben, weil du allein mir würbig fcheinft (und ich 
glaube, nicht ohne den Willen der unfterblihen Götter), 
daß du der Herr und Meifter meines Lebens werdeſt. 
Darum, wenn mir fhon nicht paffend erfchien, daß ich 
als junges unerfahrenese Mädchen aus fo hohem Ge- 
fchlechte, wie das meinige ift, dir Bitten vortragen foll, 
habe ich doch, überwältigt von unermeßlicher Liebe, wie 








54. Perſiſche Grauſamkeit. 149 


ich ſie für dich fühle, und da ich anderswie meine Ge⸗ 
ſinnung dir nicht mittheilen kann, für beſſer gehalten, 
einen meiner weniger würdigen Weg zur Kundthuung 
meiner Sehnſucht zu verſuchen, um rechtmäßig die deinige 
zu werden, als mid von bir gefrennt fchmachtend zu ver- 
zehren. Wiſſe alfo, feit mein Vater dich zu mir fandte 
mit diefer Perle (fie hing nämlih an ihrem Halfe), bis 
zu diefem Augenblid habe ich dich fo innig geliebt, daß 
ich nicht weiß, wie meine Kräfte binreihen, um bis auf 
diefe Stunde einer ſolchen Glut zu widerfichen. Wenn 
nun das aufrichtige Bekenntniß meiner Liebe gegen dic) 
fo viel bei dir vermag, als bei mir deine ausgezeichneten 
Vorzüge vermochten, fo zweifle ich nicht, daß du dich 
nicht geneigt finden laffeft, zuzuftimmen, daß wir beide, 
durch das Band der Ehe verknüpft, unfer Leben gemeinfam 
Binbringen mögen. Ich fehe wohl ein, daß dies meinem 
Dater nicht erwünſcht fein wird, dba er nicht auf das 
achtet, worauf er achten follte, fondern geleitet vom Geiz 
und der eiteln Meinung des Poöbels fich dahin neigen 
wird, wohin ihn Habfücht und Ehrgeiz blindlings führen. 
Bei alle dem aber fcheint mir muß diefe Sache niemand 
angelegener fein, als mir felbft, und ich will lieber, daß 
mein Vater. fi) über mich befchwere, wenn ich mir einen 
tugendhaften Ritter erwählt habe, als daß ich mich über 
ihn befchweren muß, wenn er mich einem gäbe, der mir 
nicht angenehm wäre, wie das ohne allen Zweifel der 
Fall fein würde. Und ich hoffe, mit der Zeit, wenn er 
fiebt, daß ich meinen Gemahl doch nicht ganz ungefchidt 
gewählt habe, und wenn die Sache nicht mehr unge- 
fhehen gemacht werden fann, wirb er auch zufrieden fein, 
dich zum Eidam und mich zur Tochter zu befommen. 
Und wenn audy das Schidfal mir fo fehr entgegen wäre, 
was ich nicht glaube, daß eines von beiden gefchehen müßte, 
entweder die Gnade bed Vaters fammt dem Throne ver- 
lieren oder dich, verlieren, fo will ich lieber mit dir, der 
du jedes Kaiſerthums werth bift, ohne Thron leben, als 


150 XVII. Giovanni Battifta Siraldi Eintio. 


mit einem andern noch fo großen König, der vielleicht 
- würdiger wäre beherrfcht zu werden, als zu berrfchen. 
Ich wünſche nur, daß biefer mein Gedanke auch in bir 
fo mächtig fei, als deine Zrefflichkeit mir verfpricht, daß 
er fein werde. 

Nah diefen Worten harrte fie auf die Antwort 
Dronte's. Sobald Drbeche nur zu ſprechen angefangen 
hatte, zogen taufend Gedanken durch Dronte's Seele. 
Einerfeit8 309 ihn die Treue, die er feinem Herrn zu 
bilten fhuldig war, und bie Liebe des Herrn zu ihm, 
von dieſer Sache ab. Andererfeits aber war die Liebe 
der Jungfrau ein fo heiß eindringender Sporn für fein 
Herz, der ihn alles andere vergeffen und das Werthvollſte 
geringer fchägen machte, ald fie Daran bielt er feft, 
ee fammelte fih und ſprach: Königliche Jungfrau, nad) 
dem ihr mehr vermöge eurer unendlien Huld, als 
wegen irgend welches Berdienftes von meiner Seite, wiewol 
ihr anderer Meinung feid, mid) fo hoch erhoben habt, daß 
ihe mich zu eurem Gemahl erwählet, fo kann ich nicht 
anders, al6 euren Wünfchen entfprechen. Allerdings würde 
e6 mir zu großer Befriedigung gereichen, wenn die Bei- 
flimmung des Königs eures Vaters und meines Gebieters 
dazu zu erlangen wäre. Allein da ich bie Möglichkeit 
bavon nicht einfehe und ihr ebenfo wenig, fo fol doch 
meinerfeits, fomme auch, was mag, ber Erfüllung eures 
Derlangens Fein Hinderniß im Mege ſtehen. Ich Hoffe 
auf die Gnade der unfterblihen Götter, daß unfere Liebe, 
wie fie durch die Vermittelung eures Vaters einen glüd- 
lihen Anfang genommen hat, fo auch ein glüdliches Ende 
nehmen werde. 

Die Jungfrau war hocherfreut über diefe Worte und 
dachte nun die Sache nicht weiter zu verzögern. Sie rief 
daher ihre Amme Tamaile und eine nicht minder liebe- 
volle als vertraute Kammerfrau herein, wandte ſich an 
bie Götter, welche nach perſiſchem Glauben die Obhut 
über die Ehe haben, übergab Dronte einen fehr koſtbaren 


54. Perfifhe Grauſamkeit. 14351 


Ring und ‚verlobte ſich fo mit ihm in Gegenwart der. 
zwei Frauen. Sodann fchidte fie diefelben aus dem Ge 
mache und nad) taufend zärtlihen Küſſen fliegen fie zu 
Dette und pflüdten die Frucht ihrer heißen Liebe. Ge 
dauerte aber nicht lange, fo mifchte das auf das Glück 
dee Menfchen neidiſche Schidfal fo viel Bitterfeit unter 
den Honig. ihrer Wonne, daß in Vergleich mit dem 
Schmerz, der darauf folgte, die Freude und Zufriedenheit 
gar nichts war. Denn Selino ber einzige Sohn des 
Königs der Partber ließ Sulmone um die Hand feiner 
Tochter bitten. Er befchloß, fie ihm ohne weiteres zu 
geben, rief baher Orbecche zu fich und fagte zu ihr, nach 
vielen Zärtlichteiten, mit frohem Angefiht: Es ift nun- 
mehr Zeit, meine Tochter, bie ich über Alles liebe, daß 
ih den Troſt von die empfange, ben ich fo lange fchon 
gewünfcht habe. Ich bin um deine Hand gebeten worden 
von Selino dem einzigen Sohne des Partherfönigs, einem 
fhönen und anmuthigen Jüngling vom höchften Stande, 
und babe befchloffen,, ihn dir zum Gemahl zu geben. 
Ich war verfichert, daß du meinem Willen nicht wider 
ftreben, vielmehr mit dem Manne zufrieden fein werbeft, 
der mir zu deinem Beſten der, geeignetfte fcheint, und 
habe ihm dich zugefagt in voller Überzeugung, dag du mit 
ihm aͤußerſt glücklich wirft leben können. Ä 

Der jungen Frau war es bei diefen Worten zu Mutbe, 
als ftehe man ihr ein fpigiges Meffer durch das Herz. 
Sie verhehlte jedoch, fo gut fie konnte, ihre Bedrängniß 
und fagte zu ihrem Water, die Liebe, die fie für ihn 
empfinde und bie ſtets ihren Willen nad) dem feinigen 
gelenkt babe, gebe ihr nun fo viel Muth, daß fie diefem . 
feinem Begehren nicht willfahren koönne, nicht als wollte 
fie ihm in irgend etwas widerfireben, was ihm gefalle, 
oder als wollte fie ihm die Macht und Gewalt abftreiten, 
die er als der liebevolle Vater, der er ihr ſtets geweſen, 
über fie zu üben berechtigt fei, fondern weil fie ganz 
ficher, fobald.fie von ihm fich trennen würde, ſterben müßte. 


152 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


«Ihre legten Worte waren von fo vielen heißen Thränen 
begleitet (welche freilich nicht aus kindlicher Liebe ent- 
fanden, wiewol fie fie mit biefem Vorwande fließen ließ, 
fondern aus ber Betrachtung ihres Unglüds), daß fie 
nicht weiter reden konnte. Sulmone war der, Meinung, 
dies fei lauter Kiebe zu ihm, und lobte daher im Stillen 
fehr ihre freundlihe Gefinnung. Er Lüfte. fie zärtlich 
auf die Stirne und tröftete fie, fo gut er konnte. Er 
fagte zu ihr, fie fei nicht geboren, um immer bei ihm 
zu fein. Er gebe ihr vier bis ſechs Zage Zeit, um die 
Sache zu bedenken, denn wenn fie reiflich überlege, was 
zu ihrem Frommen diene, fei ex verfichert, fie werde den 
beften Entfchlug faffen. Mit diefen Worten fhidte er 
fie in ihre Zimmer zurüd. Sie war nicht fo bald da⸗ 
felbft angelangt, als fie ihre theure Amme zu fich rufen 
ließ und ihr unter taufend Thränen und Seufjern mit- 
theilte, was ihre Vater zu ihr gefagt hatte, worauf fie 
fie bat, ihr treulih zu rathen. Die Amme tröftete fie 
fo gut fie konnte. Dronte fam dazu und als er den 
Grund davon hörte, that er, obmwol er den bitterfien 
Schmerz; fühlte, als fei fein Gefiht heiter. Er gab ihr 
einen Kuß, nahm fie in den Arm und fprah: Trocknet 
die Augen von biefen Thränen! Die find des königlichen 
Herzens nicht würdig, das ihr mir zeigtet, als ihr die 
meine wurbet. Nehmt wieder eure Seelengröße an und 
fürchtet nicht, daß es uns hier mehr an Rath gebrechen 
werde, als fonft der Fall war. Wir werden, liebes Herz, 
wie wir es fonft gewefen find, fo auch jegt über das 
feindliche Gefchi die Oberhand behalten. 

Nachdem er fo die junge Frau getröftet- hatte, begab 
fi Oronte zu Sulmone, getrieben von ben fcharfen Pfeilen 
des bitterften Schmerzes. Sobald Sulmone Öronte an- 
fihtig wurbe, erzählte er ihm das, was er auch feiner 
Tochter gefagt hatte, ſowie die von ihr gegebene Antwort. 
Er wußte, daß Dronte nicht nur ſchön, fondern audy ein 
gewandter Redner war, und befahl ihm daher, zu feiner 


⁊ 


34. Perfifche Graufamkeit. 153 


Tochter zu gehen und ihr diefe Findifchen Anfichten aus 
dem Kopfe treiben zu helfen. Er folle ihr auseinander- 
fegen, daß die Mädchen nicht geboren find, um bei ihren 
Vätern zu bleiben, fondern um Männer zu nehmen. 
Oronte zeigte fih ganz bereitwillig, ed auszuführen. Er 
kehrte zu Orbecche zurüd und fagte ihr, was ihr Water 
ihm aufgetragen habe. Sie verabredeten unter fich die 
Antwort, Dronte begab fich wieder zu dem König und 
fagte, er habe feinen Auftrag an Orbecche beftellt; fie 
babe fich fehr verwundert, daß ihr Water meine, fremde 
Worte müffen bei ihr mehr Gewicht haben, ale feine 
eigenen; nach langer Unterredung habe fie ihn aber be- 
auftragt, ihm zu fagen, wenn bie Eindliche Xiebe, die fte 
für ihren Vater fühle, ſich dem nicht mwiderfege, fo wolle 
fie fuchen, fi feinem Wunfche zu bequemen; er glaube 
ganz gewiß, fie werde am Ende thun, was ihm recht fei. 
Unterdeffen begab es fich, daß mehrere Zumulte, welche 
in einigen Städten des Reichs entfianden waren, Eul- 
mone nöthigten, ſich von der Königsftadt Sufa, mo 
er fih aufhielt, auf acht. bis zchn Tage zu entfernen. 
Beim Abfchied übertrug er Oronte die Zügel des Regi— 
ments und des Hofes. So hatten Dronte und Orbecche 


‚Zeit, in ihrer unglüdlichen Lage die gehörige Vorforge 


zu treffen, und fie entfchloffen fich beide nach Armenien 
zu gehen. Nachdem fie mit der größtmöglichen Gemandt- 
beit alle Bebürfniffe für die Neife in Ordnung gebracht 
und von den Kleinodien des Königs, was ihnen am beften 
gefiel und den höchften Werth hatte, zu ſich genommen, 
thaten fie, als wollten fie zu ihrer Unterhaltung auf ein 
fehr liebliches und heiteres, funfzehn Meilen von der Stadt 
entfernte® Landgut gehen, wo die Prinzeſſin oft mit 
ihrer Amme,. einigen ihrer Frauen und dem ihr von 
ihrem Vater zugewiefenen Hofgefolge fich zu vergnügen 
pflegte. - Dort angelangt nahmen fie eines Abende fechs 
der beiten Pferde, wie fie fie für ihren Plan am paffendften 
glaubten. Dronte und feine Frau nebft zweien ihrer vertraute: 
7+% 


154 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio. 


ſten Diener, welche gleichfalls aus Armenien waren und 
benen bie Obhut über die Pferde übertragen wurde, ſetzten 
fi darauf, ferner die Amme und bie Zofe, welche bei 
ber Bermählung anweſend geweſen waren, und machten 
ſich auf einfamen Wegen fchnellftens auf nach Armenien. 
Am Meere angelangt, wo ſchon ein leichter Schnellfegler 
für fie in Bereitſchaft gefegt war, gingen fie unter Segel, 
ſtachen in die hohe See und ruhten nicht eher, als bis 
fie in Armenien waren. Die Nacht ihrer Abreife und 
mehr als bie Hälfte des andern Tages ging bin, ohne 
dag jemand merkte, daß fie nicht mehr dort waren. 
Beide Gemaͤcher waren verfchloffen und fo wagte nie 
mand, fi zu rühren. Als man endlich hineinging und 
niemand fand, als man in den Stall fam und fah, 
daß keine Pferde, keine Stallknechte dort waren, kam 
man auf die Vermuthung, in Folge einer vom König 
angelangten geheimen Weiſung haben fie fi, ohne jemand 
eine Andeutung zu geben, in ber Nacht nad) ber Stadt 
zurüdverfügt. Die zurüdgelaffenen machten fi daher 
fhnel auf den Weg und langten Abends in ber Haupt: 
ade an. As fie fie auch nie hier fanden, merkten 
fie Dronte'6 Teufhung. Alle waren der Anficht, es 
gefhehe dem König ganz Recht, ba er fih viel ehe 
einem Fremden, dem Feindesland Angehörigen, als ſei⸗ 
nen eigenen Leuten habe anvertrauen wollen. Sie fandten 
ſogleich einige Pferde ab, um in eiligem Marfche den 
Fliehenden zu folgen, die Nachfependen wurden beauf- 
tragt, jene gefangen nach der Stadt zu führen, wenn 
fie fie wiederfinden würden, und fogleih wurde bem 
König von bem Vorfalle Meldung erftattet. Die Nad- 
sicht ſchmerzte ihn fo tief, daß er nahe daran war, todt 
zu Boden zu finten; bald fchalt er auf Dronte's Zreu- 
bruch, bald auf den Leichtfinn und die heuchleriſche An- 
hänglichkeie feiner Tochter; nachdem er ſich lange geärgert 
hatte, faßte er ſich endlih und ergab ſich gänzlich ben 
Nachegedanken, und in diefer zornigen Stimmung kehrte 





.= u. „a "wm .. — 


— — 
— 


— 
_—— 8 


—- m 7. 


“2 2. 


“a. ur “ar DS 


=. 


we X, = va —8 


Ri 


54, Perfifche Grauſamkeit. 155 


er nach Suſa zurück. Sobald er erfuhr, daß bie Pferde, 
die ihnen nachgefandt waren, fie nicht haben erreichen 
törmen, beſchloß er, trog der zwifchen ihm und dem König 
von Armenien beftehenden graujamen Feindſchaft, Ge- 
fandte an ihn zu fchiden, um fie ausgeliefert zu erhalten. 
Er ließ ihm fagen, er bitte ihn, .eine folche empörende 
Unbill nicht zu begünftigen; die Könige ſtehen zwar in 
feindlichen Verhältniffen, aber doch ſchicke es fich nicht, 
daf fie in Dingen, welche die Ehre unb den Nutzen der 
Krone und des Löniglichen Blutes betreffen, zumal wenn 
ignen kein Wortheil daraus erwachſe, die Verräther bi 
günftigen; denn gefhähe das, fo würde man die Könige 
nicht höher achten, als irgemb fonft einen gemeinen Mann, 
und das gäbe Hinterliftigen reichlichen Stoff, unter dem 
Schein der Treue bald biefen bald jenen nach Belieben 
zu beleidigen; fo wären bie Könige in ihren Schlöffern 
weniger ficher unter ihren Dienern, ald Die Reifenden 
im Walde unter Räubern; und da er überzeugt fei, 
daß bei ihm @erechtigkeit weit mehr vermöge, als jede 
andere Rüdficht, fo bitte er ihn um Dronte und die 
Tochter, damit er an der Thorheit und Bosheit biefer 
und an bem Berrathe des erftern die ihrer Schuld an⸗ 
gemieffene Rache nehme. Endlich ließ er ihm fagen, er 
folle nicht vergeffen, daß durch ein verbrecherifches Weib 
und einen Verräther einft ganz Afien in Verwirrung 
gebracht und Zroja zerftört worden fei. Settin (fo hieß 
der König von Armenien) mar ein kluger Mann und 
fühlte im Stillen große Freude, daß vom einem feiner 
Leute feinem Dauptfeinde ein ſolcher Spuk gefpielt wer- 
den war. Daher gab er den Gefandten zur Antwort: 


-Menn ich die Sache, die ihr mir vortragt, als fie mir 


zuerft zu Ohren kam, fo angefehen hätte, wie fie nach 
ber Beſchwerde eures Königs erfcheint, fo würde ich 
Dronte wicht, wie jept gefchehen ift, meinen Schutz zu- 
gefichert haben, fondern entweber hätte ich ihn aus mei- 
nem Reiche vertrieben ober In Rückſichtsnahme anf feine 


156 XVIH. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


Ehre und meine Pflicht, woran er mich erinnert, ihm 
die Flüchtigen nah Suſa geſchickt haben, um bort die 
gebührende Strafe zu empfangen. Ich beurtheilte aber 
die Sache anders, ale euer König fie jegt anfiebt, und. 
bin daher genöthigt, ihm das Wort zu halten, das ich 
ihm damals zur Sicherung feines Lebens und feiner Frau 
gegeben habe, und kann euch fomit auch die Perfonen 
nicht ausliefern, bie ihr im Namen eure Königs von 
mir verlangt. Und da ich recht geurtheilt habe, zeigt bie 
Sache felbit; denn wer, der bei gefundem Bewußtſein tft, 
wird eine folche von einem jungen Manne aus Übermaß 
der Liebe begangene, und eines andern Ehre nicht ver- 
legende Handlung Berrath nennen, und meinen, fie ver- 
diene blutigen graufamen Zod? Gemiß, glaube ih, nie- 
mand. Verrath wäre ed gewefen, wenn Oronte Das 
Mädchen genothzüchtigt und ſchwanger am Hofe zurüd. 
gelaffen hätte, ohne fie zur Frau zu nehmen, und bas 
hätte die fchwerfte Strafe verdient. Allein da er fie 
geheirathet hat, fehe ich in der Sache blos einen Fehler 
der Kiebe, der mir cher Verzeihung, ald Strafe zu ver- 
dienen fcheint. Wenn vielleiht euer König einwendete, 
die Weife, in welcher er fie zur Frau genommen, madye 
alles Anſtändige unanfländig, fo fage ich, das ift ein 
fhmwacher unhaltbarer Grund, denn weiß er nicht, Daß 
die Kraft ber Liebe größer ift, als alle menfchliche Ge⸗ 
walt, und daß man beim Beſitz der Dinge, zu welchen 
fie das Herz eines andern nicht nur einlädt, fondern 
zwingt, wenn es ihr beliebt, die Mittel ergreifen muß, 
die einem bie Xiebe felbft anbietet? Es darf ihm nicht 
verwunderlich fcheinen (äußerlich betrachtet menigfteng, 
denn vielleicht könnte ed wol anders fein), daß ein Mann 
von gemeinem Stande eine Tochter von ihm zum Weibe 
genommen, denn alte und neue Zeiten fönnen ihm reichlich 
Zeugniß dafür ablegen, daß viele Jungfrauen von könig- 
lihem Geblüte mit Männern geringeren Standes weit 
glüdlicher gelebt haben, als andere mit Söhnen ber 





54. Perfifche Grauſamkeit. .157 


maͤchtigſten Könige. Außerdem find erhabene Sefinnungen 
und wahrhaft Zönigliche Tugenden dasjenige, was einen 
Menfchen der Herrfchaft würdig erfcheinen laffen muß, 
nicht Reichthum oder Stand. Und wenn auch Sulmone 
denkt, Macht und SKönigreiche machen einen zum König, 
fo fagt ihm in meinem Namen, er folle ſich nicht über 
ddbjenige befchmeren, was er, wenn er nur will, leicht 
abftellen kann. Er hat nur ein einziges Kind, dieſe 
Tochter, die billigerweife nach ihm den Thron erbt; fein 
Schwiegerfohn wird alfo fo mächtig, als er ihn machen 
mil. Ob aber Dronte bes Thrones würdig und fähig 
ift oder nicht, darüber brauche ich Fein weiteres Zeugniß, 
als fein eigenes, das er ihm, fo lang er bei ihm lebte 
ertheilt bat, indem er ihn in der Verwaltung des Staates 
immer allen andern vorzog. Und ich halte es für beffer, 
er nimmt einen Schwiegerfohn, der die Herrfchaft von 
ihm befommen zu haben fich bewußt ift, als wenn er 
einen andern gewählt hätte, der (wie ihm vielleicht hätte 
begegnen konnen, wenn er fein Sind bem König der 
Parther zur Schwiegertochter gegeben hätte) ber ihm 
“ feinen Thron genommen hätte. Ich fehäge darum feine 
Tochter um fo mehr, die er fo heftig tadelt, daß fie lieber 
einen Mann zum Gatten nehmen wollte, der durch fie 
König würde, als einen, der fie aus einer Königin zus 
Sklavin machte, wenn fie feine Frau geworben wäre. 
Mögen es die unfterblihen Götter fügen, daß meiner 
Tochter fein fchlimmeres Loos zufalle, denn ich würbe 
mich, wenn mir dieſer Fall begegrrete, nicht nur nicht 
beffagen, fondern fie eben fo fehr loben, al& ich jegt bie 
feinige lobe. Ich fage euch, wenn ich einen Mann wie 
Dronte in meinem Haufe hätte, welchem Volke und 
‚welchem . Stande er. auch angehören möchte, ich würde 
nicht warten, bis meine Zochter ihn heimlich zum Manne 
‚nähme, fondern würde ihr ihn bereitwillig offen zur Ehe 
geben und es .für eine befondere mir vom Himmel zuge 
swiefene Gnade erachten, wenn er ihr einen folhen Gemahl 


158 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


befchert hätte. Aber wie es mir ſcheint, daß Sulmone 
fih Glück zu wünſchen habe zu einem ſolchen Ereigniß, 
fo habe ich mich zu beflagen, daß nicht an allen Höfen 
Männer wie Dronte fih finden. Um alfo mit meiner 
Erklärung zum Schluffe zu kommen, möge ihr eurem 
König fagen, daß er den Zorn fahren laffe und die An: 
gelegenheit ruhig betrachte; denn wenn er fie mit ber 
Sefinnung anfieht, wie es ſich gehört, fo wird er fid 
nicht über mich befchweren, daß ich feinen Schwiegerfohn 
und feine Tochter fo freunblid aufgenommen habe, wie 
es geichehen ift, fondern wird mich viel mehr loben, als 
ſich felbft, der aus einem fo geringfügigen Anlaß der 
Mörder feines Schwiegerfohnes umd feiner Tochter werden 
will, die mit ihren Zugenden jeden auch noch fo großen 
Fehltritt als unzureichend für die geringfie Strafe hin⸗ 
fielen würden. Und wenn er auch die Vernunft bei ihm 
feine Stätte finden laffen und darum fein Reich in fei- 
aem Zorn und Aufwallung in Verwirrung dringen will, 
fo muß id; das ihm anbeimgeben, da ich nicht fürchte, 
daß er mich aus bem Haufe treiben wird, denn weine 
Macht ift Gott fei Dank fo groß, daß fie leicht feine 
Angriffe, wie die jedes andern Königs aushalten Fann, 
wie er durch lange Erfahrung fich überzeugt haben mag. 
Und wenn das Schidfal mir beftimmt haben follte, daß 
ich für ein fo löblichee Werk aus dem Haufe gejagt würde, 
fo halte ich es für meit weniger ſchlimm, meinen Thron 
zu verlieren, ald mein Wort zu brechen. 

Hier fchwieg ex und die Gefandten wurden entlaffen. 
Als fie vor ihren König kamen, fegten fie ihm außein- 
ander, was Settin zu ihmen gefagt hatte, und daß na- 
mentlic das Wort, das er dem Dronte gegeben, ihn 
abhalte, die Flüchtigen aussuliefern. Dies erhöhte nad, 
sar fehr den Zorn Sulmone's und zulegt ſprach er: 
Weis diefer Settin wicht, daß die Treue zum Verbrechen 
wird, wenn fie die Schlechtigkeit ber Leute fügt und 
hegt? Sei dem aber, wie igm wolle, es wird mir nicht 


54. Perſiſche Graufamteit. 159 


an Mitteln fehlen, mich trog Settin über dieſer Unbill 
zu rächen. 

Er ließ fogleich Oronte und feine Tochter und alle 
Kinder, die aus ihrer Ehe entfpringen würben, in ben 
Bann thun und verfprach denen nicht nur Geſchenke, 
fondern ganze Herrfchaften, die fie ihm lebendig oder tobt 
in die Hände liefern würden. So groß aber auch bie 
Hoffnung des Lohnes war, fo wollte doch niemand babei 
fein Glück verfuchen, theils meil Dronte es in perfön- 
licher Zapferkeit mit jedem andern Ritter aufnehmen 
fonnte und für fih und feine Gattin wohl auf der Hut 
war, theils auch, weil fie den König Settin fürchteten, 
welcher die empfindlichften Strafen jedem androhte, welcher 
einen Gedanken daran zu haben die Frechheit hätte. In 
Zeit von neun Sahren wurden Dronte von Orbecche zwei 
Söhne geboren, welche Dronte gerne mit ihrem Groß—⸗ 
vater ausgeföhnt hätte; er Tieß daher feinen Weg unver- 
fuiht, um Sulmone’d Herz zum Erbarmen zu bewegen, 
aber alles war umfonft. Am Hofe war ein hochbetagter 
Greis von ehrwürdigem Anfehen Namens Maleche, deffen 
Mathe ald dem eines weifen Mannes und geliebten Betters 
(er war der Sohn von Sulmone's Bateröbruber) der 
König fehr viel vertraute. Diefer hegte großes Mitleid 
mit Orbeche und mar fehr unangenehm berührt von dem 
Haſſe, womit ihr Vater fie verfolgte; deswegen verfäumte 
er nicht, jedes Mittel ins Werk zu fegen, um jenen Haß 
in die frühere Liebe zu verwandeln. Er bat daher eines 
Tages den König fo eindringlid, und brachte fo gemichtige 
Gründe vor, daB es fchien, als laffe er fich überreden. 
Und es dauerte nicht lange, fo fchidte er eben dieſen 
Maleche als Überbringer des Friedens an Orbecche und 
Dronte; außer ben Beglaubigungs- und BVerfiherungs- 
ſchreiben, die mit ſeiner eigenen Hand geſchrieben und 
mit dem geheimſten koͤniglichen Siegel bekräftigt waren, 
überſandte er Orbecche einen ſehr koſtbaren Ring, mit 
dem er einſt ſich ſeiner Gattin anverlobt hatte, und 


160 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


Dronte als ſeinem Rachfolger auf dem Throne über⸗ 
ſchickte er einen koniglichen Scepter vom feinſten Golde, 
geſchmückt mit den koſtbarſten Steinen. Maleche begab 
ſich mit den Briefen und Geſchenken an Settin's Hof 
und wurde bort mit Freuden bewilllommt nicht nur von 
beiden Gatten, fondern vom König ſelbſt. Maleche ſuchte 
die Gatten zu überreden, beide mit ihren Kindern zu 
Sulmone zurückzukehren, wie er fie eingeladen batte. 
ber Settin war klug und fah das Unglüd vorher, das 
baraus entfichen konnte. Er fagte zu Dronte: Ich möchtt 
nicht, daß bu auf biefe Worte hin von ‚hier weggingeft, 
denn Könige, zumal graufame, wie Sulmone, vergeben | 
nicht fo leicht Beleidigungen und du fönnteft davon em 
glänzendes Beifpiel für jeden abgeben. 

Oronte meinte aber, Sulmone fönne ihm nicht um 
treu werden. Gr nahm daher mit Maleche Urlaub vom 
“önig, ließ Gemahlin und Kinder in Armenien un 
begab fih nach Perſien. Sulmone empfing ihn bafelbfi 
mit dem gefchminkten Anfehen einer erheuchelten Höflid- 
feit, unter welcher er aber dennody das Herz eines Tie 
gers barg. Er zeigte ſich eine Zeit lang fehr freundlid 
und verbrachte immer einen großen Theil des Tages mit 
ihm unter beitern Gefpräden. In biefer Zeit ftarb einer, 
der bie Herrfchaft über einige einträgliche Städte de 
Reiches hatte; Sulmone fagte daher zu Dronte, er wolle 
ihm dieſe Würde übertragen; und als er fü ch dazu bereit 
ertlärte, fagte der König, er thäte ihm einen großen 
Gefallen, wenn er vor feinem Abgang eigenhändig an 
feine Frau fchreiben wollte, fie folle mit ihren Kindern 
in Maleche's Geleite, den er ihr entgegenfenben wollte, 
und mit ebrenvollem Gefolge zurückkommen, denn bie 
Sehnfucht verzehre ihn, feine geliebte Tochter wiederzu- 
fehen und feine Enkel zu umarmen. Und als fpräde 
der Derräther aufrichtig, ließ er bei den legten Worten 
feinen Yugen einige Thränen entfirömen. Dronte fchrieb 
den Brief, übergab ihn Sulmone und fchidte fich an, 








54. Perfifche Graufamkeit. 161 


am folgenden Morgen feine Reife anzutreten. Der König 
aber ließ ihn in der Nacht noch zu fich rufen unter dem 
Vorwand, mit ihm über einige wichtige Angelegenheiten 
fprechen zu wollen, da ihm plöglich unerwartete Radh- 
richten zugekommen feien. Als Dronte das Begehren 
des Königs vernahm, begab er fich unverweilt zu ihm. . 
Kaum aber hatte er den Fuß über die Schwelle des 
königlichen Gemaches gefegt, ale er von zwei Burfchen, - 
die der graufame König wie zwei Schäferhunde auf die 
Lauer geftellt hatte, unbarmhberzig ergriffen wurde mit den 
Morten: Verräther, du bift bes Todes! 

Sogleich Fam auch Sulmone herbei. Sobald Oronte 
ihn erblidte, wandte er fich zu ihm mit firengem Blide 
und fprah: So halten Könige Wort in deinem Lande, 
Sulmone? Doc ich hoffe, die Rache, die ich nicht üben 
fann, wird der oberfte Gott an meiner Stelle in einem 
Mafe übernehmen, daß man die Kunde bis zu den Tiefen 
der Unterwelt vernehmen wird. Da bin ich, Verräther, 
beendige dein Unternehmen! | 

Sulmone antwortete nichts, als: So halten Perfiens 
Könige Wort den Schurken. 

Bei diefen Worten warf er ihm ein Tuch um den 
Hals, die beiden andern hielten ihn feft, er erbroffelte 

ihn mit eigenen Händen, fihlug ihm fodann den Kopf 
vom Rumpfe und ließ den Xeib durch die beiden Ban« 
diten dahin werfen, mo die Leichname vieler andern von 
ihm auf gleiche Weife Ermordeter geworfen worben waren. 
Am Morgen früh fagte er, um feinen Verdacht über das 
Vorgefallene zu ermweden, er babe in der Nacht Dronte 
eilig in einem fehr wichtigen Gefchäfte weggefandt. Gleich 
nachher ſchickte der verruchte Vater Malehe an feine 
Tochter mit den Briefen ihres Gatten und fügte noch 
eigene hinzu, voll von zärtlicher, wiewol erheuchelter Liebe. 
Die Tochter glaubte Maleche ihrem Oheim, fowie ben 
Briefen ihres Gatten und benen_ bes Vaters und die 
Unglüdliche machte fi auf den Weg. Kurz nad dem 


162 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


fhauderhaften Untergang Oronte's kam fie zugleich mit 
ihren Meinen Göhnen zu dem rohen Vater. Alle drei 
wurden von ihm anfcheinend aufs Liebevollfte aufgenom- 
men; nach einigen Tagen aber, als ihm der Augenblick 
geeignet fchien, fagte er zu feiner Tochter, es fei jetzt 
. nicht mehr an der Zeit, daß die Knaben bei den Frauen 
bleiben, er wolle fie in feine Gemächer nehmen, damit 
fie, unter Baronen erwachſend, fih an das königliche 
Leben gewöhnen. Orbecche zeigte fi) bamit ganz einver- 
ftanden und übergab fie ihm willig. Als Sulmone bie 
Jungen bei ſich hatte, fehloß er ſich mit ihnen in das 
nämliche Zimmer ein, in welchem er einige Tage zuvor 
ihren Vater umgebracht hatte. Dort fehlachtete der Ber 
suchte fie wie unfchuldige Laͤmmer mit ſcharfen Meffern 
bin. Dann nahm er drei filberne Beden, die er zu 
biefem Zwecke hatte bereiten laffen, und legte in eine 
ben blutigen Kopf Dronte’s, den er aufgehoben, in bie 
andern die zwei Kinder mit den Meſſern in der Kehle. 
Die drei Becken ftellte er auf einen Tiſch, bedeckte fie 
mit carmoſinrothem Zendel, veinigte fih vom Blute, 
von dem er ganz gebadet war, und ließ fobann feine 
Tochter zu fi) rufen. Als fie in das königliche Gemad 
getreten war, verfchloß er, als wollte er insgeheim mit 
ihr reden, bie Thüre, wie er auch fonft gethan Hatte, 
damit niemand hereinlommen könne. 

Meine Tochter, bub er darauf an, feit du "Dronte's 
Battin geworden bift, was nun, wenn ich mich nidt 
täufche, nicht viel weniger als zehn Jahre fein mögen, 
babe ih außer dem Ringe, den Maleche dir brachte, 
dir gar Bein Geſchenk gemacht, das, foviel mir fcheint, 
meiner Gefinnung gegen dich entfprochen hätte. Wenn 
es bir alfo genehm ift, will ich dir jegt ein Geſchenk 
maden, an dem du leicht erkennen mägft, wie fehr mit 
jest das gefällt, was mir bisher fo fehr misfallen hat. 

Die arme Frau, welche die Worte des gottlofen Ba- 
tere nicht verfland, antwortete ihm, fie brauche Heine 





, 94. Perfifche Grauſamkeit. 163 


größeren Zeichen feiner väterlichen Zärtlichkeit abzuwarten, 
als bie, die fie fchon "bekommen habe, und fie fei immer 
mit ihm zufrieden gewefen, doch nehme fie Alles freudig 
an, was ihm gefällig fei, ihr zu geben. Nachdem fie 
diefe Reben gemechfelt hatten, nahın Sulmone feine Tochter 
bei der Hand und führte fie in das Zimmer, wo ihre 
Kieblinge lagen. Er hob die Dede von Oronte's Haupt 
und den Leichen der Kinder und zeigte ihre das ſchau⸗ 
derhafte Schaufpiel, das Hinter diefem Worhange lag, 
mit den Worten: Dies ift das Geſchenk, das ich dir 
anbiete, wie du es verdient haſt. 

Wie glaubt ihr wol, theure Frauen, daß es hier ber 
unglüdlihen Orbeche ums Herz fein mochte? Welche 
Bedrängniß, welcher Grimm mußte fie befallen? Die 
Unglüdiiche fühlte fi bei einem fo entfeglichen Anblid 
alle Sinne vergehen, fie erblaßte und war auf dem Punkte 
todt niederzufinten. Doc faßte fie fih, die Verzweiflung 
gab ihr Kraft, fie wandte die Augen zu ihren Söhnen, 
welche noch nicht ganz geftorben waren, fondern ſich noch 
etwas frümmten und deren Blut noch aus den Wunden 
firömte, von dort fehmweifte ihr thranender Blick auf das 
gefhändete Haupt ihres theuren Gatten, fie drängte Die 
Thränen nach dem Herzen zurüd und verfchloß den Weh- 
fohrei in der Bruſt. Dann wandte fie ſich mit ſtrengem 
Blicke gegen den harten Water und fprach zu ihm: Hart 
über alles Maß ift es für mich, meine Söhne in diefem 
Zuftande zu fehen, der nicht nur andere, fondern euch 
feibft zum Erbarmen bewegen könnte Was aber mehr 
als Alles meinen Schmerz; erhöhen würde, wäre das, 
daß fie von euch, von dem fie nicht diefes, fondern Ehre 
und Größe hoffen durften, in den Zuftand geführt wurben, 
in dem ihr mir fie jegt zeigt, wenn das Unrechte meiner 
Handlungsmeife, für welche ich keinen andern Lohn, als 
diefen, erwarten durfte, mich nicht dazu brächte, mit 
geduldigem Gemüthe zu ertragen, was euch beliebt hat, 
meinen Söhnen und meinem Gatten anzuthun. Aber 


164 XVIU. Giovanni Battifla Giraldi Eintio. 


da ih, wenn ich die Schwere meines Vergehens betradhtr, 
nicht verdient babe, daß ihr midy fchonender behandelt, 
als meinen Mann und meine Kinder, da ich ja den erften 
Anlaß zu eurem Misfallen gegeben babe, fo bitte ich euch, 
daß ihr mit meinem Blute bie Madel gänzlich abwafchet, 
die ich dem Löniglichen Blute und dem ehrwürdigen Namen 
meines Vaters zugefügt babe, indem ich ohne eure Ein- 
willigung den Mann zum Gatten nahm, deffen Haupt 
jegt fo ſchauderhaft ſich meinen Blicken darbietet. 

Nach diefen Worten zog fie das Meffer aus der Kehle 
ihres älteften Sohnes, ber noch nicht ganz geftorben war 
und nun den legten Jammerlaut ausftöhnte. Dieſer Eläg- 
lihe Ton entflammte noch mehr die traurige Frau zur 
Ausführung ihres Vorhabens. Sie that, als wolle ſie 
ihm das Meffer in die Hand geben, damit er fie um- 
bringe, und näherte ſich Sulmone Zu fpät fühlte er 
Rührung, als er fie um nichts anderes bitten ſah, als 
um ben Tod, und vermutbete, bie Angft vor ihm, da fie 
fih bier allein mit ibm fehe, gebe ihr diefe Worte in 
den Munb. 

Sei ruhig, meine Zochter, ſprach er mit heiterem 
Geficht, ich will nicht, daß du fterbeft, vielmehr wünſche 
ih dein Zeben, um di mit einem deiner würdigen Gatten 
verbinden zu können. 

Er trat zu ihr und wollte ihr feine Arme um den 
Hals fchlingen, die Tochter benugte den Augenblid, Zom 
und Schmerz verlieh ihr Muth, Verzweiflung gab ihr 
Feftigkeit, und mit aller ihr zu Gebot ftehenden Kraft 
ſtach fie. ihm das Meffer unter der linken Bruft in den 
Leib. Sie mwühlte damit bin und ber und 309 es nict 
eher wieder heraus, bis der Graufame tobt niederfiel. 
Als fie ihn daliegen fah, z0g fie ihm das Meffer aus 
bee Bruft, nahm es in die Hand und rief, zu ihm 
gewandt: Genieß, genieß nun, Verräther, die Frucht 
deiner Schandthaten und deiner Wortbrüchigkeit! Es 
waͤre in der That ſehr ſchlimm geweſen, wenn du nicht 


54. Perfiihe Sraufamkeit. | 165 


durch bie Hand derer hätteſt umkommen müffen , die du 
mit dem Tode der Söhne und des Gatten, in denen fie 
lebte, umgebracht haft. Du haft in ihrem Blute ben 
graufamen Durft, den du darnach hatteſt, geſättigt und 
ich habe mich gleichfalls geſättigt in dem deinigen, aber 
mit gerechterer Urſache. Doch was haͤlt mich ab, daß 
ich mit dem andern Meſſer ... 


Bei diefen Worten zog fie dem andern Sohne das 


Meſſer aus der Kehle. 

Daß ich dih mit dem andern Meffer nochmals er⸗ 
ſteche, obſchon du todt biſt, da du mir meinen lieben 
Sohn erdolcht haſt? Soll ich nicht, für beide Rache 


nehmend, dich gleichſam mit doppeltem Tode umbringen? 


Bei dieſen Worten ſtach ſie das Eiſen bis an das 
Heft in Sulmone's Kehle. Sie wandte ſich dann zu 
den ermordeten Söhnen und zu dem todten Haupte ihres 
Gatten, erhob ihre Stimme zur Klage, öffnete ihre Augen 
den Thränen und fing alfo an zu fprehen: Ach, ih Un- 
glüdliche, wie traurig und unheilvoll war der Tag, da du, 
Dronte, mein Gemahl. geworden bift, und nicht minder 
unbeilvoll diejenigen, an denen ich euch, meine Kinder, 
geboren habe. Der allerunglüdlichfte aber ift der, an 
dem ich euch in fo jämmerlicher Geftalt fehe. 


So warf fie ſich meinend ganz über den abgefchla- 


genen Kopf hin, küßte ihn bald da bald dort auf das 
Zärtlichfte und fuhr alfo fort: Ha, du vielgeliebtes Haupt, 
verwünfcht fei ber noch in feinem Tode, der mich dich fo 
wiederfehen läßt, wie ich dich jegt fehe.. Warum kannſt 
du, füßeftes Haupt, nicht fo viel Leben’ gewinnen, daß du 
jegt deiner fummervollen unglüdlichen Gattin, bie dich 
mit fo viel Sehnfucht anruft, ein Wort erwidern kannſt? 
Warum finde ich dich nicht wenigftens in dem Zuftande 
wieder, daß ich auf diefem Munde den legten Hauch mit 
meinen Lippen erhaſche? 

Von dem Haupte wandte ſie ſich zu den Kindern, bald 
dieſen, bald jenen der Knaben umarmend und füffend. 


166 XVII. Siovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


Ach, rief fie, ihr treuen Stügen meines Lebens, 
Herzen meines Herzens, ihr echte Abbilder meines theuern 
Gatten, was barf ich noch hoffen in diefem Leben, nad 
bem ihr mir genommen feib, von denen mein Leben und 
alle meine Hoffnungen abhingen? Weh mir Einfältigen, 
baf ich den Worten eures erbarmungslofen Dheims ver: 
traut babe! Warum ließ ich mich nicht eher felbft er 
bolchen, ließ mir nicht den Bufen öffnen, ehe ich mid 
den Bänden des Graufamen überlieferte? Welcher milde 
Löwe, welcher herzlofe Tieger konnte ein größeres Blut⸗ 
bab anrichten, als ihr, ale das, das er angerichtet hat! 
Aber freut euch, unfchuldige Seelen, freut euch, daf 
‘auch er durch einen feiner Grauſamkeit gebührenden Tod 
darniederliegt, er durch den ihr fo ungebübrlich Binge 
firedt worden feid, von den Händen, die euch hätten 


fügen follen, mit denfelben Meſſern, womit er euch 


getödtet bat, nach Verdienſt ermordet. 

Dann wandte fie ſich nochmals zu dem abgefchlagenen 
Haupte und ſprach folgende Worte: Mir war nur das 
eine noch übrig, dir, mein Gemahl, wie meinen Söhnen 
das Todtenopfer zu bringen; mit dem Blute des Ber- 
räther6 habe ich es gethan. Es wird mir Weiteres ver- 
fagt, da er ſchon tode iſt; aber bei all dem wird mir 
‚mein Unglüd nicht verfagen, fo viel an mir liegt dieſen 
Opferdienft zu Ende zu bringen. 

Indem fie dies fagte, ging fie zu der Leiche ihres 


Baters bin, ſchnitt ihr den Kopf ab, nahm ihn blutig 


wie er war, und trug ihn zu dem Kopfe Oronte’& 

Her, Oronte, fprad fie weinend, bietet die beine 
Frau das Haupt befien bar, der dir das beine genom- 
men bat. 


Nachdem fie das geſprochen, legte fie die beiden Söhne 


und das Haupt des Gatten zufammen, warf fich wie todt 
über fie und ſprach: Meine Söhne und du, mein theurer 
Gemahl, nunmehr ift meine Pflicht gegen euch vollfländig 
erfüllt. Weiter ift mir nicht übrig, als daß ich wid 


54. Perſiſche Graufamkeit. 167 


an euch anfchliege, damit, wenn ihr mir auch in diefem 
Zeben entriffen werdet, ich euch im andern für immer 
wiederfinde. Darum, meine Söhne und du mein theurer 
Gemahl, deren Geifter vielleicht auf mein Schreien herab- 
gefommen durch dieſe Orte ziehen und der von mir ge 
ubten Rache fich erfreuen, empfangt diefe Seele, die nun 
vollftändig bereit ift, euch zu folgen. 

Sie faßte mit ſtarker Hand das Meffer, mit melden 
fie dem Pater den Kopf abgefchniften hatte, ſtach ſich 
daſſelbe bis zum Heft in den Bufen und fiel todt über 
das Haupt ihres Gemahld und über ihre ermordeten 
Kinder bin. Schon war bie Stimme der jungen Frau 
zu den Ohren vieler im Palaſte anmwefender gedrungen. 
Da fie aber den König fürdhteten, deffen große Grau- 
ſamkeit jeder kannte, wagte niemand fich zu rühren. Alle 
waren zwar verfichert, dag er die Tochter mishandeln 
werde; da aber das Gefchrei des armen Weibes aufhörte 
und Alles ftille wurde, befchloffen fie endlich am Abend 
zu fehen, was es fei. Als fie ein- und zweimal an die 
Zhüre gepocht hatten und niemand antwortete, warfen 
fie fie ein; da fahen fie nun das jämmerliche Schaufpiel, 
von dem wir fprachen, und waren erfüllt von unfäglichem 
Schauder. Nachdem Alle viele Xhränen vergoffen hatten, 
namentlid, die Amme und die Zofe, die mit Orbecche in 
der Hoffnung, glüdlih mit ihr leben zu dürfen, zurüd- 
getehrt waren, legten fie die Keichen der Söhne und der 
Mutter nebft dem Haupte des Dronte unter allgemeiner 
Zrauer des ganzen Volkes zufammen in Ein Grab. Den 
Leib Sulmone's ließen fie begraben, mo die andern Könige 
begraben waren, indem ihm alle einftimmig feine unglaub- 
lihe Grauſamkeit vorwarfen. So ˖ nahm die Liebe der 
beiden ein unglückliches Ende, det rohe König aber fand 
für feine Graufamteit und feinen Tireubrudy verdiente 
Züchtigung. 





- 


168 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


5. Rinieri und Cicilia. 
(2, 5.) 2 


Amola warb einft von eigenen Herren regiert, jegt 
gehört es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten 
ein Edelmann Namens Horatio, der mit Glücksgütern 
reichlich verfehen und durch feine Artigfeit in der ganzen 
Stadt beliebt war. Wiewol er nun im Außern milde 
fhien, fo zeigte er ſich doch, fobald ihm eine Unbill 
wiberfuhr, fo entieglich, daß er feinen Zorn den Belei- 
diger ſchwer fühlen ließ. Diefer hatte nur eine einzige 
‚Tochter, Namens Cicilia, und diefe war zu foldher Schöf- 
beit ermachfen, daß bie Imoleſen glaubten, fie fei die 
fhönfte Zungfrau des Landes. Der Ruf ihrer wunber- 
baren Schönheit verbreitete fich über alle Gauen der Ro- 
magna und kam auch einem Sünglinge in Fort Namens 
Ninieri zu Ohren, der nicht weniger fihön mar unter 
den Jünglingen, als Cicilia unter den Jungfrauen. Wie 
- jehr ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausge- 
ftattet hatte, fo karg war das Glüd gegen ihn gewefen 
im Bergleich mit dem Vermögen Meffere Horatio's. Der 
Jüngling nahm fich fo fehr die Schönheit des Mädchens 
zu Herzen, obmwol er fie nie geſehen hatte, daß .er fühlte, 
es Eofte ihn das Leben. Alle, die von dort kamen, 
fragte er, ob fie Cicilia gefehen haben und ob fie wirk⸗ 
ih fo fchön fei. Jeder, ber fo glüdlich geweſen war, 
fie zu fehen (denn nur felten ließ fie der Vater irgendwo 
ſich zeigen), berichtete ihm, fie fei zum Verwundern fchon; 
darum befchloß er, nach Imola zu gehen, um fie zu fehen. 
Als er in die Stabt fam, fragte er nach dem Haufe 
Meſſere Hpratio’s, ging dahin und fing an fich auf die 
Lauer zu ftellen, ob er die Jungfrau zu fehen befomme. 
Da aber bei der Geburt des Mädchens bie Mutfer ge 
ſtorben war, hielt, wie gefagt, Meffere Horatio fie unter 


[2 











59. Rinieri und Eicilia. 169 


fo firenger Obhut, daß fie nie einen Fuß vor das Haus 
fegte außer zur Meſſe ımd unter dem Geleite der ehr⸗ 
barften rauen aus ihrer Verwandtfchaft, weshalb er 
Zage lang fi umfonft bemühte, bis es ihm gelang, fie 
zu Geficht zu befommen. . Der Jüngling unterließ aber 
darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte 
fih damit, da er nicht weiter Tonnte, wenigftens Die 
Mauern zu betrachten, welche eine fo große Schönheit 
in fi fchloffen. Dem Haufe ihres Vaters gegenüber 
wohnte ein Duftlrämer, der eine alte Frau hatte, bie 
gewöhnlich in der Bude fand. Rinieri trat hinein und 
that, als wollte er etwas kaufen, und als dies auch 
wirffich geichehen war, ließ er fich mit der Alten, welche 
Naftagia hieß, in ein Gefpräc, ein und fragte fie freundlich, 
was für Frauen in diefer Straße wohnen. Naftagia ant- 
wortete ihm fogleich, es feien viele bafelbft, und unter 
andern eine, die ihrer Bude gegenüber wohne, die fei 
wie ein Engel des Himmels. 

Aber, fügte fie hinzu, der Vater bat fie fo fireng 
unter der Hut, dag man fie nur höchft felten fiebt. 

Während fie nun fo miteinander fprachen, begab es 
fih, daß Eicilia, indem fie von einem Zimmer ins an- 
dere ging, fih ein wenig am. Fenfter zeigte. Sie fah 
die Duftkrämerin, grüßte fie und diefe erwiderte den 
Gruß. Bei diefem Grufe erblidte Rinieri, welcher ſchon 
aufgeftanden war, die Jungfrau. Er zog das Barett ab 
und machte ihe eine Verbeugung. Bei diefer Geberde 
gefiel er dem Mädchen, ſodaß auch fein Bild fich ihrem 
Herzen fo wirkfam einprägte, daß fie, begierig ihn zu 
fehen, nicht aufhören Tonnte, mit Naftagia zu reben. 
Es kam aber ihre alte Muhme dazu, welche fie ins 
Haus zurüdtief und ihr drohte, wenn fie fie wieder am 
Fenſter finde, werde fie es ihrem Water fagen und fie 
dafür züchtigen laffen. Beim Anblid der Jungfrau 
meinte Ninieri, Alles, was er von ihr gehört hatte, fei 
nur ein Traun gemefen neben der Wahrheit, und das 

Staliänifcher Novellenſchatz. II. 8 





168 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio. 


55. Rinieri und Cicilia. 


(2, 8.) 


Imola ward einſt von eigenen Herren regiert, jetzt 
gehoͤrt es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten 
ein Edelmann Namens Horatio, der mit Glücksgütern 
reichlich verſehen und durch ſeine Artigkeit in der ganzen 
Stadt beliebt war. Wiewol er nun im Außern milde 
ſchien, ſo zeigte er ſich doch, ſobald ihm eine Unbill 
widerfuhr, fo entſetzlich, daß er feinen Zorn den Belei- 
diger ſchwer fühlen ließ. Diefer hatte nur eine einzige 
‚Tochter, Namens Cicilia, und dieſe war zu foldher Schön⸗ 
heit erwachfen, daß die Imoleſen glaubten, fie fei die 
fhönfte Jungfrau des Landes. Der Ruf ihrer munder- 
baren Schönheit verbreitete fich über alle Gauen ber Ro- 
magna und kam auch einem Sünglinge in Forli Namens 
Rinieri zu Ohren, der nicht weniger ſchön mar unter 
den Sünglingen, als Cicilia unter ben Jungfrauen. Wie 
- -fehr ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausge⸗ 
ftattet hatte, fo karg war das Glück gegen ihn gewefen 
im Bergleich mit dem Vermögen Meffere Horatio’s. Der 
Jüngling nahm fich fo fehr die Schönheit des Mädchens 
zu Herzen, obmwol er fie nie geſehen hatte, daß er fühlte, 
es koſte ihn das Leben. Alle, die von dort famen, 
fragte er, ob fie Cicilia gefehen haben und ob fie wirf- 
ich fo fchon fei. Jeder, der fo glüdlich geweſen war, 
fie zu ſehen (denn nur felten ließ fie der Vater irgenbwo 
ſich zeigen), berichtete ihm, fie fei zum Verwundern ſchön; 
darum befchloß er, nach Imola zu gehen, um fie zu fehen. 
Als er in die Stadt fam, fragte er nach dem Haufe 
Meſſere Horatio's, ging dahin und fing an fich auf die 
Lauer zu ftellen, ob er die Jungfrau zu fehen befomme. 
Da aber bei der Geburt des Mädchens die Mutfer ge: 
ftorben war, hielt, wie gefagt, Meffere Horatio fie unter 


55. Rinieri und Citilia. 169 


fo firenger Obhut, daß fie nie einen Fuß vor das Haus 
fegte außer zur Meffe ımd unter dem Geleite der ehr- 
barften rauen aus ihrer Verwandtfchaft, weshalb er 
Tage lang fidy umfonft bemühte, bis es ihm gelang, fie 
zu Geſicht zu bekommen. . Der Jüngling unterließ aber 
darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte 
fih damit, da er nicht weiter konnte, wenigftens - die 
Mauern zu betrachten, welche eine fo große Schönheit 
in fich fchloffen. Dem Haufe ihres Waters gegenüber 
wohnte ein Duftlrämer, der eine alte Frau hatte, bie 
gewöhnlich in der Bude fland. Rinieri trat hinein und 
that, als wollte er etwas Faufen, und als dies auch 
wirklich gefchehen war, ließ er fi) mit der Alten, welche 
Naftagia hieß, in ein Gefpräc ein und fragte fie freundlich, 
was für Frauen in diefer Straße wohnen. Naftagia ant- 
wortete ihm fogleich, es feien viele bafelbft, und unter 
andern eine, die ihrer Bude gegenüber wohne, die fei 
wie ein Engel des Himmels. 

Aber, fügte fie hinzu, der Vater Hat fie fo ftreng 
unter ber Hut, bag man fie nur höchft felten fieht. 

Mährend fie nun fo miteinander fprachen, begab es 
fih, daß Eicilia, indem fie von einem Zimmer ins an- 
dere ging, fih ein wenig am Fenſter zeigte. Sie fah 
die Duftkrämerin, grüßte fie und diefe erwiderte den 
Gruß. Bei diefem Gruße erblidte Rinieri, welcher ſchon 
aufgeftanden war, die Jungfrau. Er 309 bas Barett ab 
und machte ihre eine DVerbeugung. Bei biefer Geberde 
gefiel er dem Mädchen, fobaß auch fein Bild fich ihrem 
Herzen fo wirkfam einprägte, daß fie, begierig ihn zu 
fehen, nicht aufhören konnte, mit Naftagia zu reben. 
Es kam aber ihre alte Muhme dazu, welche fie ins 
Haus zurüdrief und ihr drohte, wenn fie fie wieder am 
Fenſter finde, werde fie es ihrem Vater fagen und fie 
dafür züchtigen laffen. Beim Anblid der Jungfrau 
meinte Rinieri, Alles, was er von ihr gehört hatte, fei 
nur ein Traum geweſen neben der Wahrheit, und bas 

Staliänifcher Novellenſchatz. IT. 8 


168 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


55. Niniert und Cicilia. 


(3, 5.) 


Amola warb einft von eigenen Herren regiert, jest 
gehört es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten 
ein Edelmann Namens Horatio, der mit Glücksgütern 
reichlich verfehen und durch feine Wrtigkeit in der ganzen 
Stadt beliebt war. Wiewol er nun im Außern milde 
fhien, fo zeigte er fi doch, fobald ihm eine Unbil 
widerfuhr, fo entieglich, daß er feinen Zorn ben Belei⸗ 
diger fchwer fühlen ließ. Diefer hatte nur eine einzige 
Tochter, Namens Cicilia, und diefe war zu folder Schöf: 
beit erwachſen, daß die Imolefen glaubten, fie fei bie 
fhönfte Jungfrau des Landes. Der Ruf ihrer munder 
baren Schönheit verbreitete ſich über alle Bauen der Ro 
magna und fam auch einem SJünglinge in Forlt Namens 
Rinieri zu Ohren, ber nicht weniger ſchoͤn war unter 
den Jünglingen, als Cicilia unter ben Jungfrauen. Wie 
- jeher ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausge: 
ftattet hatte, fo karg war das Glück gegen ihn geweſen 
im Bergleich mit dem Vermögen Meffere Horatio's. Der 
Jüngling nahm fich fo fehr die Schönheit des Mädchens 
zu Herzen, obwol er fie nie ‚gefehen hatte, daß er fühlte, 
es koſte ihn das Leben. Wlle, bie von dort kamen, 
fragte er, ob fie Cicilia gefehen haben und ob fie wirk⸗ 
lich fo ſchön fei. Jeder, der fo glüdlich geweſen war, 
fie zu fehen (denn nur felten ließ fie der Vater irgendwo 
fih zeigen), berichtete ihm, fie fei zum Verwundern ſchön; 
darum befchloß er, nach Imola zu geben, um fie zu fehen. 
Als er in die Stadt kam, fragte er nah dem Haufe 
Meffere Hpratio’s, ging dahin und fing an fich auf die 
Lauer zu ftellen, ob er die Jungfrau zu fehen bekomme. 
Da aber bei der Geburt des Mädchens bie Mutter ge 
ftorben war, hielt, wie gefagt, Meffere Horatio fie unter 


55. Rinieri und Cieilia. 169 


fo ftrenger Obhut, daß fie nie einen Fuß vor das Haus 
fegte außer zur Meſſe und unter dem Geleite der ehr- 
barften Frauen aus ihrer Verwandtſchaft, weshalb er 
Tage lang ſich umfonft bemühte, bis ed ihm gelang, fie 
zu Geficht zu bekommen. . Der Jüngling unterließ aber 
darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte 
fih damit, da er nicht weiter konnte, wenigftens die 
»Mauern zu betrachten, melde eine fo große Schönheit 
in fich fchloffen. Dem Haufe ihres Vaters gegemüber 
wohnte ein Duftlrämer, der eine alte Frau hatte, bie 
gewöhnlich in der Bude ſtand. Rinieri trat hinein und 
that, als wollte er etwas Faufen, und als dies auch 
wirklich gefchehen mar, ließ er ſich mit der Alten, welche 
Naftagia hieß, in ein Geſpräch ein und fragte fie freundlich, 
was für Frauen in diefer Straße wohnen. Naftagia ant- 
wortete ihm fogleih, es feien viele dafelbft, und unter 
andern eine, bie ihrer Bude gegenüber wohne, die fei 
wie ein Engel des Himmels. 
Aber, fügte fie hinzu, der Water hat fie fo ſtreng 
unter der Hut, dag man fie nur hödhft felten fieht. 
Während fie nun fo miteinander ſprachen, begab es 
fh, daß Eicilia, indem fie von einem Zimmer ins an- 
dere ging, fi ein wenig am. Senfter zeigte. Sie fah 
die Duftkramerin, grüßte fie und dieſe erwiderte den 
Gruß. Bei diefem Gruße erblidte Rinieri, welcher ſchon 
aufgeftanden war, die Jungfrau. Er 309 bas Barett ab 
und machte ihr eine Verbeugung. Bei biefer Geberde 
gefiel er dem Mädchen, ſodaß auch fein Bild fi ihrem 
Herzen fo wirkſam einprägte, daß fie, begierig ihn zu 
fehen, nicht aufhören Tonnte, mit Naſtagia zu reden. 
Es kam aber ihre alte Muhme dazu, welche fie ins 
Haus zurüdrief und ihr drohte, wenn fie fie wieder am 
Fenſter finde, werde fie es ihrem Vater fagen und fie 
dafür züchtigen laſſen. Beim Anblid der Jungfrau 
meinte Rinieri, Alles, was er von ihr gehört hatte, fei 
nur ein Traum gemefen neben ber Wahrheit, und Das 
Italiäniſcher Novellenſchatz. IT. 8 


170 XVIIL Giovanni Battifla Giraldi Eintio. 


Bewer wucht in ihm fo an, bap er ganz zur Summe 
wurde. Nie war es ihm fo leid, arm geboren zus fein, 


Meſſere Horatio gleich wäre, wäre Citilia feine Gemahlin 
geworben. Die Duftkrämerin flanb auf ſehr vertrauten 
Fan mit jenen Frauen und fie mit ihr, denn es ver 

g keine Boche, wo nicht Raflagia in ihr Haus kam 
oder fie in das Haus Naftagia’s, wohin fie auch manchmal 
Cicilia mitbrachten. So kam die Alte in Meſſere He 
tatio’6 Haus und fing an, mit ber Jungfrau zutraulich 
zu plaudern. Diefe fragte fie alsbald, wer ber Jüng⸗ 
ling fei, den fie im ihrem Laben gefehen babe. Sie ant- 
wortete, fie wiſſe nicht, wer es fei, doch komme er iht 
ſehr artig und gebilbet vor. 

Es iſt unmöglich, antwortete Cicilia, daß mit fe 
großer Schönheit nicht jeder Borzug verbunden fein ſollte 

Naſtagia verwunderte fich über diefe ihre Rede um 
fragte fie: Wie hat er euch gefallen? 

&o fehr, entgegnete fie, wie nur irgend einer, da 
ich jemals gefehen babe, und es wird mir ſehr lieb fein, 
wenn er öfters wieder binfommt. Erkundigt euch, wer 
er ift, und thut es mir zu wiſſen. 

Die gute Alte verſprach es ihr und ging nach Hauke. 
Gleich als Hätte fie ihr ins Herz gefehen, erfannte fı 
deutlih, daß fie in den jungen Mann verliebt war, un? 
ſah daraus, daß manchmal ein Blick beim erften Be 
gegnen, verbunden mit einem entfprechenden Wehen, mehr 
Kraft hat, als fonft eine lange anhaltende Dienſtbarkeit 
Als Rinieri zu Mittag gegeſſen hatte, kehrte er in die 
Bude zurück und NRaftagia brachte nun ihre Fragen an, 
wer er fei unb woher er fomme. Der Jüngling ant: 
wortete, er fei Rinieri Chelini aus For. Um die Ur- 
fache feines Hierherkommens befragt, fagte er: Madonna 
ih will und kann die Wahrheit nicht verbergen. Das 
Gerücht hat mir den Ruf der großen Schönheit biefer 

eurer Nachbarin bi6 nach Forli getragen, fobaß ich mich 


55. Rinieri und Cicilia. 171 


gedrungen fühlte, meine Heimat und all bas Meinige 
zu verlaffen und hierher zu eilen, um mit Augen jene 
Schönheit zu ſehen, die ich fon lange Zeit nach den 
Meben anderer im Geifte angefhaut Habe. Ich Habe fie 
auch bei ihrem erſten Erxfcheinen fo gefunden, daß, wenn 
ich fie früher liebte, ich jetzt fie anbete. 

In der That, entgegnete Naftagia, ich glaube, ihr 
habt eure Liebe nicht ſchlecht angebracht, denn ich bin 
ber Anſicht, wenn ihr für Cicilia glühet, fo fleht fie für 
euch in voller Lohe. - 

Ninieri war dies fehr angenehm und er bat fie, ihm 
zu fagen, wie fie. das wiſſe. Naſtagia erzählte ihm nun, 
was die Jungfrau geingt und wie dringend fie fie ge 
beten hatte, fie möge ihr ausführlihen Bericht über ihn 
verfhaffen. Rinieri bat fie Hierauf dringend, fie möge 
diefe feine Liebe begümfligen, er werde fich gegen fie fo 
balten, daß fie nicht bereuen folle, daß fie fih für ihn 
bemüht habe; eine Schande könne ihr daraus nicht er- 
wacfen, denn er liebe dad Mädchen nur, um fie zur 
Frau zu nehmen. Bei diefen Worten gab er ihr einen 
gar zierlihen Ring mit zwei ineinander verfehlungenen 
Händen mit dem Auftrag, ihn der Jungfrau als Ge- 
ſchenk anzubieten und ihr zu fagen, mit diefem Ringe 
fhide er ihr fein Herz. Dabei ſchenkte er der Botin 
einige Kleinigkeiten und verfprach ihr veichliche Geſchenke, 
wenn es ihm etwa gelinge, die Jungfrau zur Gattin zu 
befommen, worin fein höchfter Wunſch läge. Die gute 
Frau verfprach ihm ihre ganze Mitwirkung, fagte ihm 
übrigens, da jene einſt das ganze Vermögen ihres Va⸗ 
ters erbe, fo verlangen viele fie zur Frau, dennoch habe 
er noch bei feinem feine Einwilligung gegeben, beun feine 
Abſicht fei, fie nur mit einem Manne zu verbinden, der 
ihm an Vermögen gleichtomme; ans dieſem Grunde fcheine 
es ihr faft unmöglich, daf er jemals feinen Zweck erreiche. 

Nichts ift her Liebe unmöglich, antwortefe Rinieri; 
ich bitte euch nur, daß ihr bei eurer Mitwirkung nichts 

8* 


172 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


verfäumet, fo werdet ihr fehen, daß Amor fie für mid 
aufgehoben hat. 

Naftagia wartete eine ſchickliche Zeit ab, um ihren 
Plan auszuführen, und ging nun zu’ Giclia. Und fie 
erblickte fie nicht fo bald, als fie fragte, ob fie den jungen 
Mann gefehen habe. Sie antwortete ihr, fie habe ihn 
gefehen und fogar mit ihm gefprochen. Sie habe ge- 
funden, daß, wenn er ihr gefalle, fie nicht minder ihm 
gefalle, und er fei, vom Rufe ihrer Schönheit angezogen, 
von Korli nach Imola gefommen, um fie zu fehen und 
ihr zu beweifen, wie fehr er fie liebe. 

Und Bin ich denn, fragte fie, bin ich denn fo fchon, 
Naftagia, daß die Männer auf den Ruf meiner Schoͤn⸗ 
heit bin ſich in mich verlieben ? 

Freilich, afftwortete Naftagia, und ich kann euch noch 
weiter fagen, baß er mit mit von eurer Schönheit und 
von ber großen Kiebe gefprochen, die er zu euch hegt, und 
mich erfucht hat, ihn euch zu empfehlen und euch zu 
bitten, ibn fo herzlich zu lieben, als er euch liebt. Auch 
hat er mir ein Geſchenk gegeben, das ih euch in feinem 
Namen überreichen fol. 

Und was benn? fragte das Mädchen. 

Es ift das hHoldefte Ringchen, antwortete jene, das 
ihr je gefehen habt. 

Wie, ein Ring? entgegnete Cicilia. Was fol ich 
denn bamit anfangen? 

Nichts anderes, antwortete Naftagia, als ba ihr ihn 
als Pfand des Zieles anfehet, um deffen willen er euch liebt. 

Und mas ift diefes Ziel? fragte fie. 

Euh zur Frau zu befommen, war die Antivort, 
wenn es euch nicht unlieb wäre. 

Keineswegs, antwortete Cicilia, vielmehr äußerſt Lieb; 
wenn es aber auch wahr ift,; daß er mich liebt, wie du 
fagft, fo kann ich ihm doch nicht verfprechen, um mas 
er mich bittet. Aber wo ift der Ring, von dem du fagfl, 
daß er fo Hold anzufchauen fei? 


55. Rinieri und Cicilia. 173 


Hier habt ihr ihn, antwortete Naftagia, und er hat 
mir gefagt, daß er euch damit fein Herz fchide. 

Bei diefen Worten lächelte das Mädchen, nahm ben 
Ring in die Hand und lobte ihn fehr, indem er ein 
Zeichen der Treue an fich trug. 

Wie mache ichs nun aber, fragte fie, indem fie ihn 
an den Finger fledte, um ihn tragen zu können? 

Ihr müßt, antwortete Naftagia, den, ber ihn euch 
ſchickt, zum Manne nehmen. 

Märe nur, entgegnete fie, mein Vater bamit fo zu⸗ 
frieden, wie ich es wäre. 

Sie behielt den Ring und übergab ihr ein hübſches 
Paar Handſchuhe, um fie dem Jüuͤngling zu überbringen 
als Gegengabe für das ihr geſchickte Geſchenk und zum 
Zeichen, daß fie ihn fo aufrichtig liebe, Als er fie. Na- 
ftagia brachte dem jungen Manne diefe Kunde und gab 
- ihm zugleich die Handfchuhe, welches Geſchenk ihm große 
Freude machte. Er meinte nun, es fehle jegt nichtd mehr 
zur Erfüllung feinee Wünfche, als dag er Cicilia's Vater 
beftimme, fie ihm zur Frau zu geben. Er verfuchte dazu 
alle möglichen Wege, aber Alles war umfonft wegen feines 
im Vergleich zu Meſſere Horatio's Reichthum geringen 
Vermögens. Waͤhrend nun die Liebe zwiſchen den beiden 
jungen Leuten auf dieſe Weiſe fortging, fand Rinieri 
Gelegenheit, ein Feſt zu beſuchen, bei welchem auch Ci⸗ 
cilia anweſend war. Er tanzte mit und am Ende des 
Fackeltanzes fügte es ſich ſo glücklich, daß beim Wechſel 
der Orte und Perſonen, wie das bei einem ſolchen Tanze 
gewöhnlich it, Rinieri Cicilia bei der Hand faßte; er 
drückte fie .feft und fie die feinige. 

Mein Leben, flüfterte ihr der Jüngling zu, ich brenne. 

Und fie gab ihm zur Antwort: Und ich bin ſchon 
verbrannt, Rinieri, und faft nichts mehr, als Aſche. 

Als der Tanz aus war, nahm der Jüngling Urlaub 
und fprach zu ihr: Ich laſſe mein Herz in euren Händen. 

Und fie zu ihm? Und ich meine Seele. 





174 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio. 


Weiter Eonnten fie fih nichts fagen und fehieben von 
einander, beiber Herzen aber warn vol ber glühendſten 
Flammen. — WE Rinieri fah, daß Cicilia's Vater ihren 
beiderfeitigen Wünfchen entgegenfland, gebachte ex durch 
Vermittelung Naftagia’s feinen Zweck zu erreichen. Als 
er eines Tages mit ihr ſprach, fagte er zu ihr: Naftagia, 
ich fehe, wie genau ihr mit Cicilia bekannt feib und wie 
fie fih mit ihren Frauen in dieſem euren Garten ergeht. 

Bei dem Haufe des Duftkrämers mar nämlich ein 
war Eleiner, aber body wol ber fhönfte Garten in gan; 

mola. 

Ich weiß, fuhr Rinieri fort, daß wenn ihr wollt, ihr 
mir leicht Gelegenheit verfchaffen könnt, Cicilia zu ber 
rathen und mich ihrer Liebe zu freuen. Darum bitte 
ih euch, habt doch Erbarmen mit mir, und wenn alles 
Anbere mir widerfirebt, laßt ihr mich nie ganz zu 
Grunde gehen, da ihr fo geſchickt und ohne Nachtheil 
helfen Eönnt. 

Naſtagia war nicht von Stahl, fie wünfchte Die Lieb⸗ 
ſchaft, wie fie fie eingeleitet hatte, auch zu Ende zu führen, 
und fagte, fie wolle e8 gerne thun, wenn bie Jungfrau 
damit einverftanden fei. 

Daran zweifle ih nicht, fagte Rinieri, da fie mich 
fo feurig liebt, wie ih weiß, und wenn ihr bie Mittlerin 
macht, daß fie fih auf eine fo ehrenhaft bezwedte Sache 
einlaffen wird. 

Die gute Alte verfprach ihm wieberholt ihre Dienfte, 
ging zu ber Jungfrau und fagte ihr, was ihr Ninieri 
aufgetragen hatte. Cicilia war ſchon völlig mit ihrem 
Liebhaber ein Weſen geworben, fie antwortete daher, 
wofern fie nur ihre Ehre dabei unverlegt bewahren wolle, 
fei fie bereit, zu thun, was ihr gefalle. Naſtagia Fehrte 
alfo zu Rinieri zurück und bewies ihm, daß Cicilia ganz 
bereit fe, ihn zum Manne zu nehmen, weshalb fie unter 
ſich forgfltig verabredeten, was zu thun ſei. Nach einigen 

Tagen ließ die Muhme, melche das Maͤdchen unter ihrer 





an Em .— ww zn — 


55. Rinieri und Eicilia. 175 


Obhut Hatte, der Duftkrämerin fagen, fie wolle morgen 
mit ihrem Mäbchen in ihren Garten fommen. Daher 
ordnete Naſtagia mit den Liebenden die Feier der Ver⸗ 
mäblung an. Die Frauen famen in das Haus der guten 
Alten und raten in den Garten; während nun Cicilia 
Blumen pflüdte, an welchen der Ort fehr reich war, 
ließen fich die beiden Alten in ein Gefpräc ein über ihre 
Einkäufe, über Leinwand und Spinnerei. Unter anderem 
fagte Naftagia zu ber andern, fie wolle ihr eine bewun- 
dernswürdige Weberei zeigen, welche eine ihrer Töchter 
außer dem Haufe mache, wenn fie jemand hätte, der fie 
ihr holte. Die Frau fagte: Wir wollen meine Magd 
darnach ſchicken. 

Cicilia, ſchon von Allem zum voraus unterrichtet, 
ſagte: Ach nein, Muhme, ſchickt nicht hin! Wenn es 
euch recht iſt, möchte ich lieber, wir gingen nach Hauſe, 
denn es überfällt mich ein ſolcher Schlaf, daß ich die 
Augen kaum offen halten kann. 

Ei, fagte Naftagia, Gott fei Dank, ich habe auch 
Plaͤtze zum Schlafen in meinem Haufe. 

Dann wandte fie fich zu der Magd und fagte: Geh, 
wohin dich die Frau ſendet! Cicilia wird ſchon eine 
Ruheſtaͤtte finden. 

Die Magd ging hin, Naflagia aber nahm die Jung- 
frau bei der Hand und führte fie fammt der Muhme 
in ein Zimmer, legte fie aufs Bette, fchloß die Fenſter 
und endlih au bie Thüre und gab ber Muhme des 
Mädchens den Schlüffel. Sodann gingen beide in den 
Garten und erwarteten die Magd, welche das Gewebe 
holen ſollte. Die gute Alte hatte kurz, ehe bie Frauen 
kamen, Rinieri in jener Kammer verborgen. Sobald 
er nun feine Cicilia hineingefchloffen hörte, kam er aus 
feinem Derfted hervor, ging an das Bette, nahm die 
Geliebte in ben Arm, preßte fie feſt an feine Bruft 
und gab ihr Tauſende von Küffen und ebenfo fie ihm. 
Nach vielen  gegenfeitigen Liebkoſungen vermählte fich 


176 XVIH. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


Rinieri mit ihe und auf die Verfiherung des ehelichen 
Bundes pflüdte er zu großer Wonne beider die erfehnte 
Frucht ihrer Liebe, ja fie hatten fo viel Muße, daß fie 
fih mehrmals von neuem ihrer Wonne bingeben Eonnten. 
Unterdeffen war nämlich die Magd eingetroffen und durch 
Naſtagia's Gefchiclichkeit Famen beide Frauen in ein lan- 
ges Gefpräc, über die Weberei. Schon war ed mehr als 
Abend geworden, da fhien es Cicilia's Muhme, es fei 
nun Zeit, ſich nach Haufe zurüdzuziehen. “Sie ging mit 
Naftagia an bas Zimmer, wo Rinieri ſich in fein Verſteck 
zurüdgezogen hatte, und fie öffneten Thüre und Fenfter. 
Das Mädchen fehlief, denn nach der ausgeftandenen Er- 
müdung hatte fie wol Grund dazu, die Muhme weckte 
fie und ſprach: Willft du, Schlafhaube, den ganzen Tag 
verfchlafen? Es ift Zeit, daß wir nach Haufe gehen. 

Cicilia rieb ſich die Augen, fand auf und kehrte, 
viel heiterer, als fie gefommen war, nach Haufe. Unter- 
deſſen mar Meſſere Horatio zu Ohren gekommen, was 
auf dem zuvor erwähnten Balle zwiſchen den beiden Lie⸗ 
benden vorgefallen war. Daher faßte er den feſten Ent» 
ſchluß, daß ſeine Tochter nirgends hin mehr weder allein 
noch in Begleitung gehen dürfe, und befahl, freilich zu 
ſpät, daß fie in feinem Zimmer ſchlafe. Nur allein vor 
Naſtagia hütete er ſich nicht, durch deren Vermittelung 
Cicilia von einer Jungfrau zur Frau geworden war; 
denn das Schickſal fcheint zu ‚wollen, dag man fih in 
folhen Fällen vor jedermann in Acht nimmt, nur vor 
benen nicht, wo ed am nöthigfien wäre. Die beiden 
Liebenden waren über die neuen Befchräntungen unfäglich 
betrübt und ba fie fi den Weg abgefchnitten fahen, 
zufammenzutommen, brachte den Bekümmerten nur das 
noch einigen Troſt, dag Naftagia Botfchaften hin⸗ unb 
hertrug. Kaum aber war ein Monat verfloffen, ſeit 
Ninieri die Zuſammenkunft mit Eicilia gehabt hatte, 
ba fing ihr an die Epluft zu vergehen und fie fühlte 
Übelkeiten, was fie Naftagia mittheilte. 


— 


55. Rinieri und Cieilia. 177 


Meine Tochter, fagte diefe, ihr werdet wol ſchwanger 
fein. Ä 

Das fürchte ich auch, antwortete fie; und fo bin ich 
das unglüdlichfte Gefchöpf, das je mit einem Manne 
zu thun Hatte, denn wenn das mein Water merkt, fo 
wird er mich ganz gewiß ums Leben bringen; auch märe 
es leicht möglich, daß er Rinieri ermorbete, denn ich weiß, 
wie weit fein Zorn geht, wenn er beleidigt ift. 

Naftagia tröftete Das Mädchen, ging weg und be- 
richtete Alles Rinieri, welcher fich ſchnell befann, feine 
Frau in feine Heimat fortzunehmen. Bis er aber ver- 
ſchiedene Vorkehrungen getroffen hatte, welche ihm nöthig 
fhienen, um fie fiher dahin zu bringen, gingen einige Mo- 
nate vorüber und ihr Water merkte untermitteld, Daß 
Cicilia ſchwanger war. Er war darüber fo betrübt, als 
man nur über ein heftiged Unglüd fein kann. Doc, 
verfchloß er fein Leid in fich, wollte auch nicht wiffen, 
von wem fie ſchwanger war, und fein ganzes Trachten 
ging darauf, fie ums Leben zu bringen. Doch beichloß 
er, nicht ſelbſt fich mit ihrem Blute die Hände befleden 
zu wollen. Er rief einen gewiffen Maltrova, feinen alten . 
Diener, deffen er fich bediente, um denjenigen den Tod 
zu geben, die ihn beleidigt hatten. Er entdedte ihm 
feinen Plan und brachte ihn mit leichter Mühe dazu, 
Gicilia zu ermorden; dann aber folle er fo weit weggehen, 
dad man in Imola nichts mehr von ihm erfahre. Er 
verfprach ihm dafür fo viel Geld, daß er genug hätte, 
um überall davon leben zu können. Nachdem die Sache 
unter ihnen abgefchloffen und die Art der Ausführung 
verabredet war, führte Horatio Cicilia aufs Land unter 
dem Vorwand, einen Ausflug zur Erholung zu machen. 
Nachdem er einige Tage mit erheuchelter Heiterkeit dort 
gewefen war, Fam eines Abends der verruchte Maltrova 
mit feiner Gattin, die nicht minder gottlos war, ald er. 
Sie kamen in Meſſer Horatio’d Haus und thaten, als 
fommen fie ganz unverfehens an und wollen ihre Pferde 

| 8*4 


178 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


etwas ausruhen Laffen, welche ben Wagen zogen, auf 
dem feine Frau mit einigen Habfeligkeiten faß. Der 
Berräther ward fammt feinem Weibe von Cieilia mit 
bem heiterften Gefichte empfangen; Meffere Horatio war 
nämlich gerade abweſend, ba er, um ben Unmuth zu zer⸗ 
flreuen, der ihm das Herz beflemmte, mit einem Sperber 
auf bie Wachteljagb gegangen war. Als er nach Haufe 
fam und ben Henker anfichtig wurbe, hieß er ihn will» 
fommen, es war fchon fpät, man fepte fi zu Zifche 
und über dem Effen fragte Meffere Horatio, wo ihre 
Reife Hingehe. Die Alte antwortete, fie wollen ein Paar 
Hochzeiten von Verwandten mitmachen, welche in Maffa 
gefeiert werben. Cicilia wid gerne ben Biden ihres 
Daters aus in Beſorgniß, ee möchte merken, was er 
Thon laͤngſt gemerkt hatte. Daher fagte fie bei biefer 
Mittheilung: Wie gerne ginge ich mit dahin, wenn es 
mein Vater erlaubte. 

Und warum follte er e8 nicht zugeben? fagte bie Alte. 

Weil, antwortete Meffere Horatio, vorfäglich feinen 
eigentlichen höchſten Wunſch verbergend, weil meine Tochter 
gar nicht gewohnt ift, umberzureifen. 

Ei, fagte die gottlofe Alte, bie in ben ganzen Plan 
eingeweiht war, mollt ihre, Meſſere, daß das Mädchen 
wie eine Nonne immer im Haufe ſich vergrabet Ber- 
gönnt ihr doch auch je und je eine anftändige Zerfireuung ! 
Der Drt, wohin wir gehen, ift nicht weit, der Weg gut 
und ungefährlich, die Jahreszeit Läbt zu Vergnügungen 
ein, bei ben Hochzeiten werden viele adelige Fräulein fein, 
wie Cicilia, und ich will fchon über fie machen unb ihr 
Geſellſchaft Leiften, als wäre es mein eigen Kind. Daher 
bitte ich euch, mir zu erlauben, daß fie mit mir Fommt 
und mit meinen Manne, wir haben fie ja von Kindheit 
auf fhon gepflegt und gewartet. 

Meffere Horatio that noch immer, alt ſei er nicht 
einverſtanben, und die unglückliche Cicilia, welche nicht 

dwußte, was das für Folgen haben werde, um was fie 





55. Rinieri und Cicilia. 179 


fo einfaͤltig bat, beflürmte ihren Vater unablaͤſſig, ihr 
die Erlaubniß zu. ertheilen. So bat alſo einerfeits die 
Tode, anbererfeits die bofe Alte, und die andern, die 

m Haufe waren, und am Ende ftellte er fich zufrieden. 
Im Morgen ließ Meſſere Horatio Cicilia ein carmofin- 
rothes Zendelkleid anziehen und übergab fie Maltrova 
und dem gottlofen Weibe auf ihren Wagen. Meſſere 
Horatio that, als wollte er feiner Tochter noch eine alte 
Frau zur Geſelſſchaft mitgeben; die andere aber ſprach: 
Ihr habt wenig Zutrauen zu mir, Meſſere, daß ihr meint, 
ſie brauche noch ein anderes Geleite, wenn ich bei ihr bin. 
Sollte ich etwa nicht verſtehen, fie zu bedienen? 

Der Vater fchien fih auf diefe Worte der Gottlofen 
zu beruhigen, das unglückliche Fräulein meinte eine Lufl- 
reife anzutreten und machte fidy auf den Weg mit folchen, 
die fie zum Tode führten. Maltrova fihlug den Weg 
gegen Ravenna ein und als fie In einen bichten Wald 
famen, that er, als fei ein Holz am Wagen gebrochen, 
und fagte zu feinem Weihe unb der jungen Frau, fie 
follen ausfteigen, damit er bie zerbrochene Stange wieder 
in Ordnung bringe. Die zwei Frauen fliegen ab und 
als Cicilia auf dem Boden ſtand, nahm fie Maltrova 
beim Arme und fprach: Empfiehl deine Seele Gott, denn 
bier mußt du durch meine Hand ſterben. 

Die junge Frau war bei diefen Worten halb todt 
und fing an laut zu weinen und zu fchreien. 

Ah, Maltrova, fagte fie, find das bie Hochzeiten, 
zu benen du mich führen will? Behandelt man fo 
Frauen meines Gleichen? 

Ja, antwortete der Verruchte, fo behandelt man 
Weiber, bie ohne Rückſicht auf die Ehre ihrer Familien 
tbun, was bu gethan haft, fchnödes Weib! Hier fol 
beine Hochzeit gefeiert werben, wie es ſich für dich ge⸗ 


Aus dieſen Worten erkannte die Unglüdfice, daß 
der Vater ihren ſehleritt bemerkt und fie deshalb dieſe 


1838 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio. 


Manne übergeben babe, daß er fie umbringe. Deffen- 
ungeachtet warf fich die Unglüdliche vor Maltrova auf 
die Knie und ſprach weinend zu ihm: Ich leugne nicht, 
gefehlt zu Haben; aber nichts deſto weniger habe ich ja 
dich niemals beleidigt. und bir eine Schmach angethan, 
wofür du Dich rächen müßteſt. Ach, wenn du nicht mit 
mir Erbarmen haben willft, fo habe wenigſtens Mitleid 
mit dem unglüdlichen Gefchöpfe, bas ich unter dem Herzen 
trage. Gib nicht außer mir auch ihm ben Tob, das noch 
nichts verbroden hat, ja noch gar nicht geboren ift. 

Dann fand fie auf und wandte fi an bie grau- 
fame Alte. 

Ach, meine Mutter, ſprach fie, ich bitte euch, erlaubt 
doch nicht, daß ich von eurem Gatten, dem ich immer, 
wie ihr wißt, nur Freude machte, fo grauſam hingemordet 
werde! 

Die mitleidslofe Alte fagte nichts anderes zu ihr, ale: 
Wenn bein Vater fich deiner nicht erbarmt hat, wie willft 
du, daß wir es follen? Sterben mußt du, darum Hab 
.Acht, nicht mit dem Leib auch die Seele zu verlieren! 

Da nahm fie Maltrova bei den Haaren und hob das 
Schwert auf, um ihr den Kopf abzufchlagen. Während 
er aber ausholte, faßte die Alte, in der in bas Erbarmen 
Platz gegriffen Hatte, doch das Mitleid mit dem jungen 
Weihe, fie bielt den Arm des Gatten auf und ſprach 
zu der unglüdlichen Cicilia: Wenn du uns verfprichft, 
fo weit wegzugehen, daß dich niemand kennt und nie 
jemand. fagt, daß du noch am Leben bift, fo will ich dir 
das Leben ſchenken. 

Cicilia meinte, es fei eine Stimme vom Himmel in 
ihre Ohren gedrungen, fie verfprach es ihre und ſchwur 
ihr bei Gott, es fo zu machen. Da bewog bie Alte 
ihren Gatten, wiewol mit Mühe, fie nicht umzubringen. 
Man nahm ihr nun ben Rod von Zendel und alle 
Zieraten ab, welche ihre edle Abkunft andeuten konnten, 
nd ließ fie im bloßen Hemde. Da fohenkte ihr die Alte 


D 








55. Rinieri und Cicilia. 181 


einen ſchlechten fehr vertragenen Unterrock von ihr, welchen ” 


fie anlegte. Malteova ließ fie im Walde allein, ftieg .auf 
feinen Wagen und fuhr weiter fammt ben Kleidern der 
unglüdlichen jungen Frau und Allem, was Meffere Ho- 
ratio ihm zu feinem Zwede gegeben hatte. Aber kaum 
hatte er fih von Cicilia zehn Meilen weit entfernt, als 
eine NRäuberbande fie überfiel und ihm und feiner Frau 
den verdienten Tod gaben; und mit Cicilia's Kleid nah⸗ 
men fie ihnen Alles, was fie von Meffere Horatio be- 
kommen hatten und was ſich auf mehr als vier Tauſend 
Gulden in Gold belief. Aber die göttliche Gerechtigkeit 
fügte es, daß auch fie bald hernach den Lohn für ihre 
verbrecherifhen Thaten befamen, denn fie begegneten dem 
Dolizeimeifter von Ravenna, der mit einer ſtarken Schaar 
ausgezogen war, fie gefangen nahm und vor ben Richter 
“führte, wo fie nach geleiftetem Geſtaͤndniß ihrer Morb- 
thaten bie gebührende Strafe fanden. Die unglüdliche 
Cicilia Hatte eingenäht in einen Gürtel, ben fie imter 
dem Hemde auf dem bloßen Leibe trug, ein Paar hun- 
bert Goldgulden und einige Kleinode, denn ba fie mit 
Rinieri von ihrem Vaterhauſe fliehen wollte, hatte fie 
ſchon angefangen, werthuolle Sachen zufammenzufuchen, 
um fie mit fi zu nehmen. Sie zog daher zwei Paar 
Goldgulden heraus und ging fo lange burch den Wald 
weiter, bis fie den Weg nad dem Meere fand. Sie 
flieg in eine Barke, welche gegen Loretto ging und ließ 
ſich nad dem Hafen von Ricanati führen. Dort fand 
- fie ein frommes und ehrbares altes Weiblein, mit ber 
fie ihre armfelige Lebensweife theilte; fie hieß Iſabella 
von Narne. Zwei Tage darauf fing Meffere Horatio an, 
fih zu verwundern, daß Cicilia nicht zurückkehre. Er 
ſchickte einen feiner Leute nach Maffa, wohin Maltrova 
geſagt Hatte, daß fie auf die Hochzeit gehen wollen. - Der 
Diener kehrte zurück und meldete, er fei nicht nur nicht 
dorthin gegangen, ſondern es fei dort gar Feine große 
Hochzeit gefeiert worden. Als Meffere Horatio bies hörte, 


% 


' — 


182 XV. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


fing er an zu ſchreien und zu wehklagen und ben größten 
Schmerz; zu heucheln und ſich und fein Unglüd zu ver- 
fluchen, das ihn verleitet habe, feine Tochter einem ſolchen 
Manne und Weibe anzuvertrauen. Ex ſchickte Reitende 
nach allen Seiten, um zu ſehen, ob man nicht eine Spur 
von Maltrova finden könne Alle Leute in der Stadt 
bejammerten mit ihm einen fo unerflärlihen Vorfall, 
wunberten fich aber umter fi, daß Meſſer Horatio fich 
diefem Manne in einer Sache von folcher Wichtigkeit 
anvertraut habe. Man mußte darüber nichts anderes zu 
fagen, als, nachdem Meſſere Horatio mit Hilfe diefes 
Menſchen andern taufendfah Schmach angethan, habe 
Bott endlich diefen Vorfall geftattet, um zu zeigen, daß 
aus böfer Handlungsmeife und aus dem Umgang mit 
Böfen weiter nichts zu ernten ift, als Böſes. Die Leute, 
die ausgegangen waren, um Maltrova zu fuchen, kehrten 
zurüd und fagten, er fei gar nirgends zu finden, fie 
haben aber gehört, ini Hafen von Ravenna fei ein Schiff 
.von Kaufleuten, die nach Dtronto gejegelt fein, um 
von dort nach Gonftantinopel zu fahren; fie halten es 
für fiher, daß er mit biefem Schiffe entflohen fei und 
Sicilia dem Großtürken bringe, indem er denke, da fie 
fo ſchön fei, einen großen Gewinn daraus zu ziehen. 
Meflere Horatio ſchickte nach Otronto und erfuhr, das 
Schiff fei ſchon über acht Zage weggefahren. Nun ftellte 
er fi als ben unglüdlichfien Vater, der ba lebe (obwol 
ich glaube, daß fein Schmerz; nicht ganz nur Verftellung 
war), und trauerte tief. Während dies in Imola vorfiek, 
gebar Cicilia im Haufe der guten Alten einen wunbder- 
fhönen Knaben, dem fie ben Namen Kinieri beilegte, 
um duch den Namen ihres Kindes die Sehnſucht um 
ihren Gemahl zu ‚lindern, welche fie verzehrte und bem 
fie ſich doch nicht zur entbedien wagte theild wegen bed 
Eides, ben fie Maltrona hatte ſchwören müffen, wm 

nice wider Gott zu fünbigen, theils weil fie fürchtete, 
es Tönnte ihrem Water zu Obren kommen, und er würbe 





Te Se U U — — — —— 


35. Rinieri und Cicilia. 183 


dann ſie beide umbringen laſſen, nachdem ſie ſchon einmal 
ſeine Grauſamkeit erprobt hatte. Cicilia's Schickſal ward 
in der ganzen Romagna bekannt und kam auch zu Ri⸗ 
nieri's Ohren, welcher hoͤchſt betrübt darüber nach Imola 
ging und von Naſtagia zu erfahren ſuchte, was an der 
Sache ſei. Als er nun kein Mittel ſah, Cicilia wieder⸗ 
zufinden, nahm er den Dolch, den er an der Seite trug, 
und wollte ſich erſtechen. Naſtagia aber gab es nicht zu 
und überredete ihn, ſeine Frau aufzuſuchen, denn ſie ſei 
verſichert, wenn er eifrig ſuche, werde er ſie finden und 
einſt noch glücklich mit ihr zuſammen leben. Rinieri er⸗ 
griff dieſen Rath und ging, ohne weiteres Merkmal an- 
zugeben, nachdem er erkundet hatte, welchen Weg Mal- 
trova eingefchlagen habe, nach dieſer Richtung bin. Nach⸗ 
dem er lange gefucht, fand er einen Schäferfnaben, wel⸗ 
cher fagte,, er babe gefehen, wie einer eine junge Frau 
umbringen wollte, bie er auf dem Wagen gehabt, unb 
er glaube auch, er habe fie umgebracht, denn er habe 
fie fpäter nicht mehr geſehen. Auf diefe Kunde war 
Rinieri fo betrübt, daß es nicht zu fagen ill. Als er 
weiter ging, fand er einen andern, ber ihm fagte, ber 
Mann auf dem Wagen fei nebft einem alten Weibe von 
Mäubern umgebracht worden, eine junge Frau habe er 
aber nicht bei fich gehabt. Rinieri dachte, nun brauche 
er nicht weiter zu gehen, benn er war nun überzeugt, 
dag nach der Ausfage des Hirtenfnaben feine Geliebte 
todt fei. Er wollte daher nad) Imola zurückkehren unb 
fi) auf bemfelben Bette den Tod geben, auf welchem 
fie ihre Vereinigung gefeiert hatten. Aber fiehe da, 
während er biefen Gedanken nachbing, fah er einen 


.. Mann kommen, welder bas Kleid anhatte, das Cieilia 


trug, als Maltrova fie umbringen wollte. Rinieri er- 
fannte es fogleich für baffelbe, welches das Fräulein auch 
an dem Zage frug, wo er und fie ein Paar wurden. 
Er fragte ihn freundlich, wo er es herhabe, und erhielt 
zur Antwort, er habe es in Ravenna in einem Juden⸗ 


184 VI. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


laden gekauft. Rinieri bat ihn, mit ihm nach Ravenna 
zurüdzulommen, umb er war es zuftieben. Sie gingen 
beide nady der Stadt, der Fremde führte ihn dahin, wo 
er das Kleid gekauft Hatte, und Rinieri erfuhr von dem 
Juden, es habe einigen Räubern gehört, die in Ravenna 
gehenkt worben fein. Rinieri begab fi zu ben Ridh- 
tern und ben Rotaren bes Amtes, erforfchte, was fie 
bei den Räubern gefunden und von ihnen erfahren Haben, 
und biefe zeigten ihm denn unter Anderem einen Brief, 
welchen fie Maltrova nebft einer Gelbfumme abgenommen. 
Er hatte denfelben gleich, nachdem er Cicilia verlaffen, 
gefchrieben, um ihn dem erften vertrauten Boten zu über- 
geben, ben er fände; er benadhrichtigte darin Meſſere 
Horatio, daß er feinem Auftrage gemäß feine Tochter 
umgebracht babe. Rinieri nahm ben Brief und faufte 
das Kleid zurück, mit bem feften Entſchluß Rache zu 
nehmen für bie Frau, die er wie fein Leben liebte. Er 
begab fi baher zu dem Präfidenten ber Romagna, 
welcher gerade in Gervia war, überreichte ihm den Brief 
und bat, ihm Gerechtigkeit nicht zu verfagen. Dem 
Präfidenten war ber Borfall mit Gicilia bereits gemeldet 
werben unb er hegte bei fich bie Überzeugung, daß ber 
Bater um das ihr sugefloßene Schickſal ſicher wiffen 
müſſe. Us er daher den Brief 1, verfügte er fich 
alsbald nah Imola und ließ in ber folgenden Nacht 
Meffere Horatio verhaften und ins Gefängniß fegen. 
Am Morgen ließ er ihn vorführen und fragte ihn, was 
aus feiner Tochter geworden fe. Bei diefer Frage ging 
ihm ein Stich durchs Herz. Doch machte er, ſo gut er 
konnte, ein heiteres Geſicht und ſagte, er wiſſe nicht 
mehr davon, als die ganze Stadt. In dieſem Augen⸗ 
blide trat Riniert unvermuthet hinter einem Bette hervor, 
wo ihn ber Prafibent hatte verbergen laſſen, trat Meffere 
Horatio entgegen und zeigte ihm Cicilia's Kleid mit den 
Borten: Ha, alter Schurke, kennſt du biefes Kleid? 
Übergabft du nicht dem Maltrova deine Tochter in biefem 








Rn %e mn wa mu vn. "m * — — 


FR X cv zz vr. ww 0-. 


55. Rinieri und Cicilia. 185 


Aufzuge, damit .er fie umbringe? Gabft du ihm nicht 
fo und fo viel Goldgulden und Kleinodien? 

Er war nämlich vom Amte in Ravenna vollftändig 
unterrichtet, weil die Räuber befannt hatten, welche Hab- 
feligkeiten dem Maltrova abgenommen worden waren. 

Sabft du fie ihm nicht, damit er dies ausführe? 
sent du biefen Brief, gottlofer Menfch! 

Bei diefen Worten zeigte er ihm Maltrova's Brief. 

Lied ihn und du wirft fehen, graufamer Mann, daß 
der verruchte Henker dein Verlangen erfüllt hat. 

Der arme Alte las den Brief, fah das Kleid und 
da er fich fo bis ins Einzelne den Hergang vorerzählen 
hörte, wußte ex nicht, was er antworten follte, und fand 
wie verfteinert, denn er konnte ſich gar nicht erflären, 
wie dieſer Menſch das alles wiſſe. Da nun der Präft- 
bent ſah, daß er in biefem Grabe allen Muth verloren 
hatte, hielt er ihn mit Überzeugung für fchuldig und 
ſprach zu ihm: Behandeln Väter ihre Töchter fo, Meffere 
Horatio® Aber ihr follt fo dafür geftraft werden, daß 
es euch jammern foll. 

Der arme Schelm antwortete: Sa, fo machen es bie 
Väter, wenn fie die Schmach nicht ertragen können, Die 
ihre Töchter der Familie anthun, indem fie fih Männern 
bingeben, die nicht ihre Gatten find. 

Darauf erwiderte Rinieri: Nur ihrem Gatten hatte 
ſich Cicilia bingegeben, Berruchter, von ihm mar fie 
ſchwanger, fonft von Zeinem; und biefer bin ih. Aber 
ich danke Gott, daß deine Züchtigung dich erwartet; und 
nit mit einem Tode allein follteft du geftraft werden, 
fondern mit zweien, wenn du zweimal fterben könnteſt, 
da du mit einem Male die Tochter und ben unfchuldigen 
Enkel ums Leben gebracht haft. 

Da fprach Meffere Horatio zu Rinieri: Hätte ich 
dich nur früher, als jegt gekannt, fo hätteſt du nicht 
Zeit gefunden, mich anzuflagen; jegt aber fterbe ich nur 
darum ungerne, weil du am Leben bleibft; dir aber ge= 


186 XVII. Giovanni Battifta Biraldi Eintic. 


bührte eine weit größere Strafe, als mir, weil bu die 
erfte Urfache des ganzen Unheils bifl. Unb der Herr 
Praͤſident Handelt unrecht, wenn er dich nicht züchtigt 
und dich lehrt, den Bätern freie Hand zu laffen in Ver⸗ 
heirathung ihrer Töchter. 

Die Ehen find frei, Meflere Horatio, antwortete der 
Praͤſident, und wenn die Töchter fi) nach ihrem Wunſche 
verheirathen, darf man fie deshalb nicht umbringen. 

Nach diefen Worten ließ er Meſſere Horatio wieder 
ins Gefängnif bringen unter forgfältige Bewachung und 
zeigte dem Papfte an, wie die Sache ſtehe. Dieſer ſchrieb 
ihm zurüd, er folle ihm ihn nach Rom fchiden. Der 
Drafident ſchickte ihn bin, der Papft ließ ihn fogleich 
verhören unb fand ihn zweier Tode fhuldig, darum wurde 
er verurtheilt, geköpft zu werden, nicht fowol, um ihn 
für die Ausführung bes Todes zu beftrafen, als weil er 
jenen Mörber mit Geld zu einer fo verbrecherifchen That 
bewogen hatte, damit er ein abfchrediend Beifpiel würbe 
für die Welt und zeigte, welche Strafe diejenigen ver- 
dienen, bie ſolche Böſewichte zum Morde anderer, nament- 
lich der eigenen Angehörigen mit Mingender Münze Dingen. 
Meffere Horatio war, wie wir geſagt haben, in feiner 
Heimat ein Mann von edlem Haufe und großem Ver⸗ 
mögen; beshalb Hatte er auch einen weiten Ruf, und er 
war nicht fo bald zum Tode verurtheilt, als ſich das 
Gerücht davon da⸗ und borthin verbreitete. So kam «8 
auch nach Recanati zu Cicilia's Ohren, Diefe Nachricht 
berührte fie ſchmerzlich, und fo fehr fie Rinieti liebte, 
fo Börte fie doch mit großem Misfallen, daß er es ge- 
weien fei, der ihren Vater zum Tode gebracht babe. 
Sie beſchloß daher, ihn zu retten, unb meinte, den Eid, 
den fie dem Maltrova habe leiſten müffen, ſich nicht zu 
offenbaren, dürfe fie unter ſolchen Umftänden wol brechen 
und fie fönne das thun, ohne Gott zu verlegen. Daher 
nahm fie Abſchied von der guten Alten, machte fi) mit 
ihrem Söhnchen auf den Weg und langte gerade an 








55. Rinieri und Cicilia. 187 


dem Tage in Rom an, wo Meffere Horatio zur Nicht» 
ftätte geführt wurde. As Cicilia auf den Platz Fam, 
wo das Zobesurtheil vollzogen werben follte, und ben 
Henker fah mit dem Schwert in der Hand, bereit ihm 
den Kopf abzufchlagen, da drängte fie fich gewaltig Durch 
das Volk und fing an zu fchreien, was fie fonnte: Halt 
ein mit deinem Schwert, halt ein mit deinem Schwert, 
Scherge! Der mwadere Mann hat den Zod nicht ver- 
dient, denn fie lebt fammet ihrem Kinde, um derenmwillen 
er zu diefem graufamen Tode verurtheilt wurde. 

Alles anweſende Volk wandte feine Blicke nad) dieſem 
Schreien und fah die junge Frau mit dem Knäblein im 
Arme, das war das fchönfte Kind, das je ein flerbliches 
Auge erblidte, und wegen des Mitleids, das alle mit 
Meſſere Horatio hatten, ließ man bie Hinrichtung nicht 
vollziehen, denn man dachte, es Tonne die Tochter bes 
Edelmanns fein. Cicilia kam mit ihrem Söhnchen im 
Arme auf das Schafott, wo der Unglüdliche Eniete mit 
auf den Rüden gebundenen Händen, den töbtlichen Schlag 
erwartend. Sie fiel ihrem Vater um den Hals und rief: 
Ach, liebfter Vater, feht hier eure unglüdliche Tochter, 
die Gott fei Dank noch lebt und die euch in fo großer 
Noth auch das Leben bringt, gänzlich vergeffend, daß ihr 
fie dem verruchten Maltrova übergeben habt, um fie zu 
ermorden. Seht hier bei ihr euren Enkel, um defien- 
willen euch auch mit ein fo fehlimmes Loos getroffen hat. 
Verzeiht mir, lieber Vater, wenn ich euch beleidigt habe, 
und nehmt von mir euer Leben an! 

Bei diefen Worten fühlte ſich ihre Vater feine Em- 
pfindungen fo das Herz beflemmen, daß er keine Sylbe 
hervorbrachte. Er weinte vor Rührung und hätte feine 
Tochter gerne umarmt und ihr das liebe Kind abgenommen, 
wenn dem Armen nicht bie Hände gebunden geiwefen wären. 
Rinieri, welcher dabei war, um dem Schwiegervater ben 
Kopf abfchlagen zu fehen, und feine Frau lebendig und 
mit dem wunderſchoͤnen Söhnlein auf ben Armen erblickte, 


188 XVIN. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


erkannte fie fogleih. Wie naͤrriſch lief er auf fie zu, 
umarmte fie vor allem Volk nebft dem Kinde und auch 
fie umarmte ihn. Daraus erkannte denn jedermann, daß 
es die Tochter des Meffere Horatio und daß der Jüng- 
ling ihr Gatte war. So kamen aus Freude und Mit- 
gefühl allen die Thränen in bie Augen. Der Gerichts- 
hauptmann that dem Papfte den Vorfall zu wiſſen, der 
denn höchlich verwundert Meffere Horatio und bie andern 
vor fih führen, ſich alles Einzelne genau erzählen ließ 
und Gott Iobte, daß bie junge Frau fo zeitig eingetroffen 
fi. Er tadelte die Tochter, daß fie ohne Wiffen ihres 
Vaters ſich vermählt habe, und Meffere Horatio, daß 
er barum fie hatte ans Meffer liefern wollen. Am fol- 
genden Tag aber ließ er ein Boftbares Mahl bereiten und 
die umter den zwei Liebenden heimlich gefchloffene Ehe 
von neuem in feiner Anweſenheit feierlich einfegnen nach 
vorgängiger Zuftimmung bes Vaters. Diefer lief feiner 
Tochter und feinem Enkel all fein Vermögen ald Erbgut 
und ging, ber Welt fatt, in ein Mönchskloſter, wo er 
fein Leben fromm beſchloß. Rinieri aber Iebte mit Cicilia 
fortwährend in glüdlicher Eintracht und beide dankten 
Gott, daß er fie nad folder Bekümmerniß für fo große 
Wonne aufgeſpart. 


56. Delio und Dafne. 


. 1.) 


In der Stadt Ferrara, die zwar vielen andern 
Städten Italiens an Alter, keiner einzigen aber an in- 
nerem Werthe und Berühmtheit nachſteht, theild wegen 
der Milde und Gerechtigkeit ihrer Beherrſcher, theils 
wegen der Schönheit ihrer Lage, der Pracht ihrer Palafte, 


56. Delio und Dafne. 189 


der Fruchtbarkeit des Landes, der Tugenden und Fähig- 
feiten der audgezeichneten Geifter, bie in ihr blühten, 
Iebte ein Jüngling Namens Delio, von ebler Familie 
und von guter Erziehung, ber, als er kaum fieben Jahre 
alt war, anfing, in dem Haufe eines Meffer Gianni 
Mazzo, das ber Wohnung feines Vaters fehräg gegen- 
über lag, vertraut aus⸗ und einzugehen. Es hatte diefer 
Edelmann eine reizende anmuthige Tochter, von vierzehn 
Jahren, die, ich weiß nicht, ob wegen ihres eigentlichen 
Namens, ober wegen der befondern Meize, die man an 
ihr wahrnahm, von ihren Hausgenofien und der ganzen 
Nahbarfchaft Dafne genannt wurde. So oft nun Delio 
mit diefer Jungfrau ſprach, fcherzte fie mit ihm, ange. 
fehen, daß er ein fehr artiger Knabe war, liebkoſte ihn 
nad Mäbdchenweife und fragte ihn um dies und das. 
Delio, der noch in zu frühem Alter ſtand, um das Feuer 
ber Liebe in feiner Bruft aufzunehmen, blieb aber doch 
immer gern bei ihr, fcherzte gerne mit ihr, und wenn 
es einmal vorkam, daß bie Jungfrau ihn in die Arme 
nahm, fo meinte er eines Vorſchmacks der Himmels⸗ 
freuden theilhaftig zu fein. Während folchergeftalt diefer 
Liebeshandel feinen Fortgang hatte, wuchs Delio zu dem 
Alter von vierzehn Jahren heran, und ward aus dem 
.tindifhen Wohlgefallen, das er an Dafne und ihrer 
Gegenwart empfand, in feinem Herzen allmälig eine fo 
ftarfe Leidenfchaft, daB es vor Frankhafter Sehnſucht 
nirgends mehr Ruhe fand, als bei ihr. Er liebte und 
befuchte fie häufiger und heftiger, ald zuvor, und Dafne 
ging es ebenfo, denn fie war für ihn entbrannt, fo gut 
als er für fie. Die beiden jungen Leute hielten nun 
zwar das Feuer in ihrer Bruſt verfchloffen, aber doch 
merkten ed die beiberfeitigen Eltern. Deshalb wurde das 
Mädchen von den Ihrigen forgfältiger, als bisher, gehüter, 
Delio aber fortan verboten, fie zu befuchen; und dies ge- 
ſchah nicht allein von Seiten des Mädchens, fondern auch 
von Seiten Delio’s. Denn fo wie Delio's Eltern fürch 


56. Delio und Dafne. 191 


fein Befinden merklich befferten. Er ließ fich von feinem 
Heinen Bruder Schreibzeug reichen, und dankte fo gut er 
fonnte in einem zärtlichen Briefe, den er mit zitternder 
Hand ſchrieb, dem Mädchen aufrichtig dafür, daß fie 
duch ihren Gruß und das Geſchenk diefer fehönen Blu» 
men ihn wieder zum Leben geweckt babe; und in Erman- 
gelung eined zuverläffigeren Boten gab er ben Brief eben 
wieder dem Kinde zur Beftellung an das Mädchen. Er 
batte dem Kleinen allerbings eingefchärft, den Brief nie- 
manden zu übergeben, als ihr." Das Schidfal wollte 
aber Delio auch in diefen geringen Troſt fein Gift mifchen, 
denn das unbefangene Kind trat zu dem Mädchen in das 
Zimmer, . worin fie mit ihrer Mutter ſaß, hielt ihr den 
Heinen Zettel bin und fagte: Nehmt, das fendet euch 
mein Bruder. 

Die Jungfrau ward an ber Geite ihrer Mutter 
feuerroth im Gefiht und wollte den Brief nicht nehmen. 
Als die Mutter dies fah, nahm fie ihn, las ihn, und 
da fie fah, woher er kam und was fein Inhalt war, 
erhob fie einen großen Lärm gegen ihre Tochter, zerriß 
ihn in deren Gegenwart, fchalt den Knaben, der ihn ihr 
gebracht hatte, heftig aus und hätte ihn beinahe mit . 
Schlägen fortgejagt. Der Eleine Knabe lief zu feinem 
Bruder zurüd, fagte ihm indefien kein Wort von dem 
erlittenen Ungemach, weil ihn feine erfte Unachtfamteit 
behutfam gemacht hatte, Feine zweite zu begeben, und 
binterbrachte ihm im Gegentheile, Dafne habe den Brief 
mit Zreuben empfangen und empfehle fich feinem An- 
denken. Uber diefe Nachricht war Delio fo ſehr erfreut, 
daß er in kurzem feine Gefundheit wiebergewann. Und 
von dem Verlangen getrieben, die Sungfrau, in der feine 
Seele lebte, wieberzufehen, ließ er fich feine völlige Her⸗ 
ſtellung felbft fo angelegen fein, daß er in wenigen Tagen 
im Stande war, auszugehen und zu fpähen, ob er feine 
Geliebte erblicke. Indem er nun nach diefem Troſte firebte, 
fiehe da kam von Dafne abgefandt ihre Amme auf ihn zu 


1923 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


und erzäblte ibm, was durch die Unbebachtfamkeit bes 
Knaben vorgefallen fei und wie Dafne aus diefem Grunde 
in fo ftrengem Gewahrſam gehalten werde, daß fie noch 
nicht einmal fo viele Freiheit gehabt habe, die Feder zu 
ergreifen, um ihm ihre Betrübniß fchriftlich zu ſchildern. 
Es läßt ſich nicht fagen, wie empfindlich ben Züngling 
diefe Botſchaft traf. Da ihm jeder perfönliche Umgang 
mit feiner Geliebten benommen blieb, fo verabrebete er 
mit ber Amme, ihr zu fchreiben und fich brieflih das 
mitzutheilen, was fie bei der Hut, unter welcher bie 
Jungfrau fland, einander nicht erzählen konnten. In⸗ 
dem fie nun fo in geheimem brieflihen Verkehr ihre 
Liebesglutben hegten, ging eine geraume Zeit hin; und 
bei fo großem Misgeſchick ſchien es ihnen eine große 
Erquickung in ihrer Qual, wenn fie Briefe von einanber 
lefen durften. Unterbefien hatte Meffer Gianni bie voll- 
ftändige Gewißheit erlangt, Delio's Vater hege durchaus 
nicht die Abſicht, Dafne mit feinem Sohne zu verhei- - 
rathen. Da diefe nun bereits einundzwanzig Jahre alt 
geworden war, befchloß er, fie fogleich einem andern zur 
Frau zu geben. Er ſprach daher hierüber mit feiner Tochter 
und fegte ihr mit vielen Gründen auseinander, fie könne 
unmöglich länger fo bleiben, wie fie fei; er habe ihr ſchon 
einen ihrer würbigen Gatten auserfehen. Vater und Tochter 
hatten über diefen Gegenftand ein langes Zwiegefprädh, 
bei deffen Ende das Mädchen dem Vater die Bitte vor- 
trug, er möge ihr geflatten, noch eine Zeit lang bei ihm 
zu bleiben. Er erwiderte ihr aber, fie fei nicht dazu ge⸗ 
boren, ihr ganzes Leben im elterlichen Haufe zuzubringen, 
und bei reiflihem Nachdenken, werbe fie gewiß einfehen, 
daß er blos auf ihr eigenes Beſte Bebacht nehme. So 
verließ ihn Dafne, das Herz mit bitterem Leidweſen er- 
füllt, und, fuchte ihre Amme auf, bei der fie fidh heftig 
über die Außerungen ihres Waters beklagte. Die Amme 
tröftete fie fo gut fie vermochte, indem fie ihr den Nach 
gab, in einem warmen und liebevollen Briefe Delio alles 





56, Delio und Dafne. 193 


mitzutheilen, was ihr Water gefagt hatte. Und fo ſchrieb 


fie ihm denn und bat ihn inftändig, da fie all ihr Glück 
auf ihn fege, möge er nicht zugeben, daß fie, um auf 
immer alle Freude zu verlieren, in die Hände eines an⸗ 
‚dern Tomme, was, wenn er fie liebe, wie er ihr immer 
verfichert habe, ihm nur zum größten Leidweſen gereichen 
müßte. Die Amme überbrachte dem Jüngling den Brief 
und fügte zu Dafne's feurigen Worten noch felbft alles 
Dasjenige hinzu, was ihr geeignet fchien, das Gemüth 
des Jünglings zu bewegen, auf die ehrbaren Wünfche 
Dafne’s, die fie gefäugt und auferzogen hatte, einzugehen. 
Doch bedurfte es dazu nicht vieler Worte, denn Delio 
war nur allzufehr eben dazu geneigt. Er las den Brief 
der Geliebten, hörte die Worte ber Amme an und er- 
widerte, Dafne fei feine Seele, ohne fie gebe es für ihn 
fein Gut auf Erden, und er hätte wol gewünfcht, daß 
ed dem Himmel gefallen haben möge, daß auch fein 
Vater fo gefinnt fei, denn er würde dann nicht gewartet 
haben, bis ihm von ihre Briefe und Botfchaften zuge 
fommen wären, die ihn: dazu ermunterten, wornach über 
Alles in der Welt feine Sehnfucht ftehe. Da die Dinge 
nun aber gegenwärtig fo weit gelommen feien, wie er 
fie erblidde, fo werde er nicht unterlaffen, alles Mögliche 
zur Erfüllung ihrer beiderfeitigen Wünfche zu thun. Die 
Amme hatte ihn auch kaum verlaffen, als der tief nieder 
geſchlagene Delio einen feiner Verwandten, der bei feinem 
Bater in großem Anſehen ftand, in fein Vertrauen 309 
und ihn bat, allen feinen Einfluß bei feinem Vater auf 
zubieten, daß, nachdem er fi Dafne zur Ruhe feines 
Lebens ermählt, derfelbe ihn nicht ihrer beraube, denn er 
würde fein Leben lang dadurch unglücklich werden. Der 


wackere Mann empfand Mitleid mit dem ZJüngling und 


ging. zu dem Vater, dem er mit aller möglichen Ein⸗ 
dringlichkeit auseinanderfegte, mas ihm Delio ſelbſt vor- 
geftellt Hatte, und alle Gründe zu bedenken gab, bie 
er für dienlih erachtete, um die Wünſche des Sohnes 
Italianiſcher Novellenſchatz. 1. 9 


es 


nichſten Witten, die er wußte, um feine Wunſche durch⸗ 
zufegen. Der Bater hörte ihm ganz freundlich zu und 
nachdem jener fertig war, begann er mit halb finflerem 
halb heiterem Gefichte alfo: Lieber Sohn, ich habe fehr 
wohl deine Wünſche verftanden; fie würden bir aber nicht 
fo verfhändig vorkommen, wie du jett meinft, wäre bir 
erſt eine weitere Einſicht in die Folgen gegoͤnnt, weiche 
biefe deine jugendliche Lüſternheit zulegt nach fich ziehen 
muß, und die gerade das Gegenteil beffen find, mas 
die als dein höchſtes Wohl erfcheinen mag. Denn ab- 
gefehen. davon, daß bein gegenwärtiges Miter vielmehr 
ein Eindifches, als ein zur Che taugliches zu nenncn iſt, 
und daß deine bereits aufs Beſte eingeleiteten Studien, 
zu einem glücklichen Ausgange gefördert, bir einen guten 
Muf verfhaffen und eine Frau von ganz anderem Stande 
verdienen Tonnen, als du jegt verlangſt, gehe ich zu 





56. Defio und Dafne. 195 


deiner Äußerung über, biefe Jungfrau fei deine Ruhe 
und Zufriedenheit, fo muß ih dir fagen, mwofern bem 
alfo wäre, folltsft du gewiß und wahrhaftig nicht nöthig 
haben, mich mit Bitten zu beftürmen, daß ich fie dir 
zur Frau gebe. Uber eben weil ich klar fehe, mas beine 
thörichte Begierde dich nicht. fehen läßt, weil fie dir das 
Auge bes Geiſtes geblendet hat, erkläre ich bir, erkoͤreſt 
du Dafne zu beinem Weibe, .fo wäre es eben nichts 
anderes, als trauteft du dir eine ewige Plagean. Deun 
betrachten wir zuvörderſt die Beſchaffenheit dieſer Jung⸗ 
frau, ſo iſt es ein hoͤchſt unnatürlicher und ungewöhn- 
kicher Fall, daß du dich in Kiebe zu ihr entzünden mochteft, 
während du faum bein funfzehntes Jahr erreicht Haft, 
fie aber eind weniger als zweiundzwanzig alt iſt; fobaf 
bei dem erften Sohne, ben fie bir gebären würbe, ganz 
unzweifelhaft der Umſtand einträte, daß fie vielmehr deiner 
Mutter, ald deiner Gattin ähnlich fähe; und wenn fie 
gar erft mehr als Ein Kind von dir hätte, würde fie fo 
weit werden, daß fie dir felbft unkenntlich würde und 
mit der nächſten Zeit nach der Sättigung deiner jugend» 
lichen Lüfte dir fürwahr fo läftig fiele, daß du fie ungern 
dir entgegenfonmen fähelt. Ich felbft, mein lieber Sohn, 
nahm in meinem fünfundoierzigften Sabre deine Mutter 
zur Frau, die damals noch nicht in ihrem arhtzehnten 
Jahre fand, und mir will es ſcheinen, ich habe bies zur 
rechten Zeit gethan und als wäre fie eben alt genug für 
mid. Run bedenke du wohl, mas aus bir merben würde, 
wenn bu in diefem beinem zarten Alter diefes Mädchen 
nähmeft. Nächſtdem nimmt man eine Frau zur Mube 
und Bequemlichkeit des Hausweſens; du weißt nun, wie 
wenig Dafne deiner Mutter behagt und mohlgefällt, und 
begreifft leicht, daß von zwei umvermeiblihen Dingen 
nothwendig eines gefchehen müßte, märe fie deine Frau: 
entweder gäbe es zwiſchen Schnur und Schwiegermutter 
ſtets Mishelligkeiten und’ Zwift, eine Sade, bie in bem 
zwiſchen deiner Mutter und mir obwaltenden Frieden 
9% 


186 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio. 


bührte eine weit größere Strafe, als mir, weil bu bie 
erfie Urfache des ganzen Unheil bifl. Und der Herr 
Präfident handelt unrecht, wenn er bich nicht züchtigt 
und dich Iehrt, ben Bätern freie Hand zu laſſen in Ver⸗ 
heirathung ihrer Töchter. 

Die Ehen find frei, Meſſere Horatio, antwortete der 
Praͤſident, und wenn die Töchter fich nach ihrem Wunfche 
verheiratben, darf man fie deshalb nicht umbringen. 

Nach diefen Worten ließ er Meſſere Horatio wieder 
ins Gefängnif bringen unter forsfältige Bewachung und 
zeigte dem Papfte an, wie die Sache fiehe. Diefer fchrieb 
ihm zurüd, er folle ihm ihn nach Rom fchiden. Der 
Drafident ſchickte ihn bin, der Papſt ließ ihn fogleich 
verhören unb fand ihn zweier Tode ſchuldig, darum wurde 
er verurtheilt, geföpft zu werben, nicht fowol, um ihn 
für die Ausführung bes Tobes zu beftrafen, als weil er 
jenen Mörder mit Geld zu einer fo verbrecherifchen That 
bewogen hatte, damit er ein abfchreddend Beifpiel würde 
für die Welt und zeigte, welche Strafe diejenigen ver- 
dienen, bie ſolche Bofewichte zum Morde anderer, nament- 
lich der eigenen Angehörigen mit klingender Münze bingen. 
Mefjere Horatio war, wie wir gefagt haben, in feiner 
Heimat ein Mann von edlem Haufe und großem Ver⸗ 
mögen; beshalb hatte er auch einen weiten Ruf, und er 
war nicht fo bald zum Tode verurtheilt, als ſich das 
Gerücht davon da= und dorthin verbreitete. So kam es 
auch nach Recanati zu Cicilia's Ohren. Diefe Nachricht - 
berührte fie fchmerzlih, und fo fehr fie Minieri liebte, 
fo börte fie doch mit großem Misfallen, daß er es ge- 
weien fei, ber ihren Mater zum Tode gebracht habe. 
Sie beſchloß daher, ihn zu retten, und meinte, den Eib, 
ben fie bem Maltrova habe leiſten müffen, ſich nicht zu 
offenbaren, dürfe fie unter folchen Umftänden wol brechen 
und fie könne das thun, ohne Gott zu verlegen. Daher 
nahm fie Abſchied von der guten Alten, machte ſich mit 
ihrem Söhnchen auf den Weg und langte gerade an 


55. Rinieri und Cicilia. 187 


bem Tage in Rom an, mo Meſſere Horatio zur Richt 
ftätte geführt wurde. Als Cicilia auf ben Platz kam, 
wo das Todesurtheil vollzogen werden ſollte, und den 
Henker ſah mit dem Schwert in der Hand, bereit ihm 
den Kopf abzuſchlagen, ba drängte fie ſich gewaltig durch 
das Volt und fing an zu fihreien, was fie fonnte: Halt 
ein mit deinem Schwert, halt ein mit beinem Schwert, 
Scherge! Der mwadere Mann hat den Zob nicht ver- 
dient, denn fie lebt fammt ihrem Kinde, um berenwillen 
er zu diefem graufamen Tode verurtheilt wurde. 

Alles anmefende Volt wandte feine Blicke nad; diefem 
Schreien und fah die junge Frau mit dem Snäblein im 
Arme, das war das fchönfte Kind, das je ein fterbliches 
Auge erblidte, und wegen bes Mitleibs, das alle mit 
Meſſere Horatio hatten, ließ man die Hinrichtung nicht 
vollziehen, denn man dachte, es Tonne bie Tochter bes 
Edelmanns fein. Cicilia fam mit ihrem Söhnden im 
Arme auf das Schafott, mo ber Unglüdliche Eniete mit 
auf ben Rüden gebundenen Händen, ben töbtlichen Schlag 
erwartend. Sie fiel ihrem Vater um ben Hals und rief: 
Ah, liebfter Vater, feht bier eure unglückliche Zochter, 
die Gott fei Dank noch lebt und die euch in fo großer 
Noth auch das Leben bringt, gänzlich vergeſſend, daß ihr 
fie dem verruchten Maltrova übergeben habt, um fie zu 
ermorden. Seht hier bei ihr euren Enkel, um deſſen⸗ 
willen euch auch mit ein fo fchlimmes Loos getroffen hat. 
Verzeiht mir, lieber Vater, wenn ich euch beleidigt habe, 
und nehmt von mir euer Leben an! 

Bei diefen Worten fühlte fih ihr Vater feine Em- 
pfindungen fo das Herz beflemmen, baf er keine Syibe 
hervorbrachte. Er weinte vor Rührung und hätte feine 
Tochter gerne umarmt und ihr das liebe Kind abgenommen, 
wenn dem Armen nicht die Hände gebunden geweſen wären. 
Ninieri, welcher dabei war, um dem Schwiegervater ben 
Kopf abfchlagen zu fehen, und feine Frau lebendig und 
mit dem munderfhönen Söhnlein auf den Armen erblickte, 


198 xVIIL Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


Zeit ſuchte eine ſchwere grauſame Peſt nicht nur die 
Stadt Ferrara, ſondern ganz Italien heim, und ed er» 
folgte aus ihre an allen Orten unter den Menfchen eine 
fo große Sterblichkeit, daß es ein Graus und Entfegen 
war, in ben von Kranken und unfeligen Leichen ganz 
überfüllten Städten zu fein. Auch Meffere Chriſtofano's 
Haus blieb damals von ber verberblichen Seuche nicht 
unverfhont, und obgleih er fi auf das Land begab 
und alle Borkehrungen und Arzeneien anmandte zur 
Heilung ber Kranken und Bewahrung der Gefunden, 
vermochte er doch weber ſich noch feine Frau noch alle 
feine Kinder vom Tode zu errettn. Auch Delio wurde 
von der Krankheit ergriffen, aber kam durch Gottes 
Gnade glücklich davon. Wie er nun eben nad Ferrara 
zurückkehrte und an das Thor der Stadt gelommen war, 
erblidte ex Dafne’s Pe bie er ſogleich befragte, wie 
es um ihre Herrin fl 

2) web, Delio, uf fie, e8 geht fo gar fihlimm mit 
ihr, daß es mir das Herz zerbricht. Die Peftilenz ift 
in ihrem Hauſe ausgebrochen, ihr Wann ift entflohen 
und bat fie ganz allein und hilflos zurüdgelaffen. 

Auf diefe Worte warf ber von Mitleid mit ber Fran 
tief ergriffene Jüngling alle Rüdfiht auf Todesgefahr 
beifet, die er felbft mit feiner Familie jüngft erft über- 
fanden hatte, und ebenfo ben Gchauber vor den Todes⸗ 
fällen der Seinigen, die er mit angefehen, Dafne's Er⸗ 
rettung ging ihm feiner eigenen und allem Anbdern vor 
und er eilte an ihr Haus. Nachdem er an die Thyüre 
gehiopft, erſchien Dafne, welche allein im Haufe war, 

und meinte, wie fie Delio wahrnahm, einen 
Engel des Himmels zu fehen, der gefandt fei, ihr im 
ihrem Elende hilfreich beizuſtehen. Vom Fenſter aus 
ſprach ſie weinend zu ihm: Es iſt ſo gekommen, Delio, 
wie ich immer meinte, daß es kommen mäfje, wenn ich 
wicht dich zum Manu erhielte, daß ich naͤmlich die elen⸗ 
defte unglüdlichfte Frau geworden bin, bie auf Erben lebt. 





56. Delio und Dafne. 209 


Denn ich Arme erfahre jegt zu meinem unfäglichen Schmerz, 
daß es noch anderer Dinge bedarf, als Ringe und goldener 
Ketten, um die Gattin dem Gatten in Liebe zu verbinden. 
Sobald mein Mann die Gewißheit erfehen hatte, baf 
fein Haus von der Krankheit angeftedit war, floh er von 
dannen, und ließ mich hier ohne Hoffnung auf Unterflügung 
unter Zod und Graus allein. 

Hierauf erwiderte ihr Delio, von unfäglidem Mit: 
leid ergriffen: So lange ich lebe, Dafne, fol man nicht 
fagen, daß ihr verlaffen geweſen ſeid; benn das Schiefal 
bat mich mehr, als mir lieb ift, gelehrt, Mitleid mit den 
Bedrängten zu haben, und fo follt ihr denn auch von 
mir Alles erhalten, was ihr braucht. 

Dafne dankte ihm und legte ihm vor Allem ihre 
Ehre ans Herz. Er gab ihr, darauf fein Wort, das er 
noch mit einem Eide bekräftigte, und bat fie, ihm ihre 
Thüre zu öffnen, damit er zu ihr hinauflommen könne. 

Ih will nit, fagte Dafne, daß du heraufkommſt, 
ih komme vielmehr zu dir hinab. 

Bei diefen Worten zog fie das Geil und machte die 
Thüre auf, Delio trat in die Hausflur und bie Unglück⸗ 
liche fing an die Treppen herunterzufteigen. Doch weld 
ein Unfall, der auch das haͤrteſte Herz rühren Fönnte, 
begab fih da! Die unglüdliche Dafne hatte faft ſchon 
die unterfte Treppenſtufe erreicht, als eine Ohnmacht fie 
anmwandelte. Ob ihr bie plögliche. Freude über den Anr 
blick Delio's, der in ihrer größten Noth zu ihrer Hilfe 
herbeieilte, die Adern erweitert und alles Blut nad ihrem 
Derzen gedrängt, oder ob ein Funke ber Peft ihre edleren 
Zebenötheile in der Aufregung ihres Blutes mit größerer 
Gewalt ergriffen haben mochte, bleibt ungewiß: wie tobt 
fan? fie bin und konnte fich nicht bewegen. Als Delid 
Died bemerkte, ging er ihr mit offenen Armen entgegen 
und fagte zu ihr: O weh, meine theuerfle Seele, was 
ift mit euch? 

Dafne, deren Geift faft ſchon ihren Körper verlaffen 


300 XVII Giovanni Battiſta Gitaldi Eintio. 


hatte, antwortete nichts; aber fie wendete ihre vom Tode 
gebrochenen Augen nad) ihm, als flehte fie mit jammer« 
vollem Blide um Hilfe Delio legte fie auf ein Bett 
nieder, das in einer Stube im Erdgefchoffe ftand, Löfte 
ihr vorn das Kleid auf, jammerte und weinte bitterlich 
und verfuchte die ſchon entflohenen Lebensgeifter zu ihrem 
Dienfte zurüdzurufen. Als er ſich aber am Ende über- 
zeugen mußte, baß fie tobt fei, forengten Wehklagen 
gewaltfam feine Zunge und er rief aus, indem er ihren 
Körper feft mit feinen Armen umſchloß: Welch über- 
graufans Geſchick, Dafne, zwingt mich jegt, ba ich dem 

de dich zu entreißen hoffte, dich tobt in meine Arme 
fallen zu ſehen? Warum hat mich der Himmel für 
ſolche Unglüdfeligkeit erhalten? Warum hat er mid 
nicht lieber mit den Meinigen zugleich fterben lafſen? 
Barum laͤßt er mich dich alfo vor mir fehen, wie ich 
Dich jegt ſehe? 

Er umarnıte fie und brüdte fie an fi und Eonnte 
nicht aufhören zu meinen und zu Magen. Zulegt jedoch 
ermannte er ſich aus feinem Schmerz und fprah: Da 
ih nun, mein füßes Herz, nichts mehr für di zu thun 
fähig bin, fo Liegt mir in diefem Außerfien nur noch die 
legte Pflicht gegen dich nach Kräften zu erfüllen ob; ich 
will forgen, daß diefe Glieder, einft die würbige Herberge 
beiner edeln Seele eine fo würbige Beftattung finden, als 
die gegenwärtigen Zeitumftände irgend geftatten, eine an« 
gemeffene Ehrenbezeugung aber behalte ich mir für beffere 

erhältniffe vor. 

Nah biefen Worten Eleidete er die Geliebte in ein 
ſchneeweißes Gewand, und da er in einem Fenfter einen 
Ah mit blühenden rothen Nelken hatte ftehen fehen, 
brach er zwei der fchönften ab, und ftedte fie der Ge- 
florbenen an ben Bufen mit ben Worten: Nimm dieſe 
Blumen, meine Freundin, an beine einft fo fehone wie 
getreue Bruft, zum Zeugniß des herben Andentens, das 
mir, fo lange ich lebe, von bir bleiben fol. 





57. Dee Mohr von Benedig. 201 


Hiernach ließ er fie vorläufig in einem ganz ausge 
pichten Sarge beerdigen, bis die Verhältniffe ihm ge- 
flatten würden, fie wieder audgraben zu laſſen. Nach 
Berlauf eines Jahres aber lieh er fie dem Kaſten ent- 
nehmen und in die Gruft feiner Ahnen beifegen, mohin 
auch er dereinft feinen Leib beftattet haben wollte, damit 
bis zum jüngften Tage feine Gebeine mit den ihrigen 
vereinigt blieben und auf den Pofaunenruf des Engels 
neues Fleiſch annähmen und in unauflöslicher Gemein- 
fhaft der Seligkeit des Himmels ſich erfreuten. Wun- 
derbar genug waren bie beiden Nelken, die Delio an 
den Buſen Dafne's geſteckt hatte, unter dem Staube 
und unter dem Gebeine, das er aus dem Sarge hob, 
fo frifh und blühend geblieben, wie damals, als er fie 
dahin brachte. Als Delio die bemerkte, nahm er fie 
- hinweg und erhielt ihnen ihr Anfehen fo lange es mög- 
ih war; darnach legte ex fie zu feinen theuerften Sachen, 
“und darunter verwahrt er fie noch jegt, fomwie das un- 
verlöfchliche Bild feiner innig geliebten Dafne ewig frifch 

in feinem Herzen lebt. 


— — — — — 


57. Der Mohr von Venedig. 


(3, 7.) 


In Venedig lebte vor Zeiten ein fehr tapferer Mohr, 
deffen flreitbarer Arm fomol, als die große Klugheit und 
GSeifteögegenwart, die er in Kriegsfachen bewieſen hatte, 
ihn den Herren jener Stadt fehr werth machten, die 
immer in Belohnung vorzüglicher Handlungen alle Re- 
publiten der Welt übertroffen hat. Nun begab es ſich, 
dag ein tugendreiches Fräulein von wunderbarer Schön- 


heit, Disdemona genannt, nicht von weiblichen Begierden, 
- 9** 


pp} XVII. Siovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


fondern von den Tugenden dieſes Mohren angezogen warb, 
fih in ihn zu verlieben, während er, von der Schönheit 
und der edein Gefinnung der Dame befiegt, gleichfalls 
für fie entbrannte. Die Liebe war ihnen fo günftig, daß 
fie ſich beide durch die Ehe verbanden, obgleich die Eitern 
bes Fraͤuleins alle ihre Kräfte aufboten, um fie zu ver⸗ 
mögen, einen andern Dann zu nehmen; und fo lange 
fie in Venedig blieben, lebten fie beide in folher Ein- 
tracht und Zufriedenheit zufammen, daß nie auch nur 
ein unzärtliches Wort unter ihnen vorfiel. Unterbeffen 
geſchah es, daß die Herren von Venedig ihre Kriege- 
mannfchaft ablöften, die fie in Cypern zu halten pflegen, 
und den Mohren zum Anführer bes Heeres wählten, 
welches fie dahin ſchickten. So vergnügt diefer audy über 
die ihm gewordene Ehre war, denn eine Ehrenftelle diefer 
Art wird gewöhnlich nur Männern übertragen, bie fidh 
duch Adel, Tapferkeit, Treue und ausgezeichnete Ver⸗ 
dienfte empfehlen, fo verminderte doch ber Gedanke an 
die Länge und Befchwerlichkeit der Reife, welche feine 
Disdemona fcheuen möchte, biefe Freude um kein Ge- 
ringed. Sie aber, die außer dem Mohren fein Glüd 
auf der Welt kannte und über die Achtung, die eine fo 
mächtige und edle Republik ihrem Mann bezeugte, fehr 
erfreut war, konnte die Stunde kaum erwarten, in ber 
ihr Gemahl mit feinen Leuten die Reife antreten und 
fie ihn auf einen fo ehrenvollen Poften begleiten würde; 
aber es betrübte fie fehr, ihren Gatten misftimmt zu 
fehben. Da ihr die Urfache unbekannt war, fprady fie 
eined Tages bei Tifche zu ihm: Wie kommt es, daß ihr 
fo ſchwermüthig feid, da euch doch der Staat ein fo 
ehrenvolle® Amt übertragen hat? Ä 

Der Mohr antwortete Disdemonen: Die Liebe zu 
die trübt die Freude über die Ehre, die mir gefchieht, 
denn ich fehe, daß nothwendig eins von zwei Dingen 
gefchehen muß, entweder daß ich dich mit mir den Ge- 
fahren des Meeres ausfege, oder daß ich dich, in Venedig 


57. Der Mohr von Venedig. 208 


zurüdfaffe, um bir diefe Unannehmlichleit zu erfparen. 
Das erfte würde mir fehr ſchwer anfonımen, weil jedes 
Leiden, das dir widerführe, und jede Gefahr, die wir 
zu überfiehen hätten, mir ben äußerſten Kummer verur 
fachen würde; das andere, dich hier zu laffen, würde 
mich mir felbft unerträglic machen, weil ich von dir 
ſcheidend zugleich von meinem Leben ſchiede. 

Als Disdemona ihn ſo reden hoͤrte, ſprach fie: Ei, 
lieber Mann, was ſind das für Gedanken, die euch durch 
den Sinn gehen? Wie könnt ihr euch ſolcher Dinge halb 
beunruhigen? Ich folge euch gern aller Wege, wohin 
ihr geht, und müßte ich im Hemd durchs Feuer gehen, 
ſowie ich jegt mit euch in einem ſichern wohl bewahrten 
Schiffe durchs Maffer gehen fol. Gibt es dabei auch 
Gefahren und Leiden, fo werde ich fie freudig mit euch 
theilen und ich würde mich für fehr wenig von euch ge⸗ 
liebt halten, wolltet ihr mich nicht mit euch über das 
Meer führen und mih in Venedig laſſen, als ob ich 
mich hier ſicherer glaubte, als wenn ich mit euch dieſelbe 
Gefahr beſtehe. Darum ſchickt euch von meinetwegen nur 
mit all der Heiterkeit zur Reiſe an, welche euer jetziger 
hoher Rang verdient! 

Hierauf ſchlang der hocherfreute Mohr die Arme um 
ben Hals der Gattin und ſagte zu ihr mit einem zärt⸗ 
lichen Kuffe: Gott erhalte und lange in fo liebevollen 
Einverftändniß, meine theure Gattin! 

Bald darauf. vollendete ex feine Zurüſtungen, beachte 
alles zur Reife in Ordnung, und beflieg mit feiner Ge 
mahlin und feinen Leuten bie Galeere, die Die Segel 
aufzog und in See flach, worauf fie denn bei volllommen 
ruhigem Waffer nach Eypern gelangten. In feinem: Ge⸗ 
folge hatte er einen Fähndrich von ſehr ſchönem Außen, 
wenn auch von der ruchlofeften Sinnesart, bie je ein 
Menfch auf der Welt haben konnte. Er war bei Dem 
Mohren fehr beliebt, weil diefer nicht® von. feiner Bo8- 
heit ahnte; denn fo nieberträchtig fein Herz war, fo mußte 


204 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio. 


er boch die Niederträchtigkeit, die fein Inneres beherbergte, 
fo hinter hochtrabenden gleisnerifchen Worten und feiner 
Schönheit zu verbergen, daß er von außen einem Hektor 
oder Achilles gleichſah. Diefer Nichtswürdige hatte auch 
feine ſchöne und fittfame junge Frau mit fih nah Cy⸗ 
pern gebracht, die als Staliänerin von der Gemahlin des 
Mohren fehr geliebt wurde und bie meifte Zeit des Tages 
bei ihr zubrachte. Ferner war in bem Gefolge bed Mohren 
ein Rottenführer, welchen berfelbe fehr werth hielt. Er 
kam fehr häufig in das Haus des Mohren und aß mit 
ihm und feiner Gemahlin, welche, da fie ihn bei ihrem 
Gemahl fo fehr in Gunft fah, ihm gleichfalls Beweiſe 
bes größten Wohlmwollens gab, unb bie war dem Mohren 
ſehr erwünfcht. Der verruchte Faͤhndrich nun, aller Treue 
gegen feine Gattin und aller Freundfchaft, Treue und 
Pflicht gegen den Mohren vergeffend, verliebte fich leiden» - 
fhaftlih in Disdemona, und richtete all fein Sinnen 
und Zrachten darauf, fich ihrer Reize zu erfreuen, wie- 
wol er nicht den Much hatte, fich gegen fie zu erklären, 
weil er beforgte, der Mohr werde ihn auf der Stelle 
töbdten, fobald er die Sache merke. Er beftrebte fich daher 
vielfach, fo heimlich er konnte, ber Dame feine Liebe zu 
verftehen zu geben; ihr Gemüth war: aber einzig nur 
bem Mohren zugewandt und wußte weder etwas von 
bem Faͤhndrich, noch von einem andern, und alle feine 
Verſuche, fie in ihn verliebt zu machen, blieben wir- 
kungslos. Gr bildete ſich daher ein, die Schuld davon 
fet, daß fie für ben Rottenführer entbrannt fei, und 
nahm ſich vor, ihn aus ihren Augen zu entfernen; aber 
er blieb dabei nicht fichen, fondern verwandelte feine 
Liebe zu der Dame in ben bitterfien Haß und gab fich 
ale Mühe, ein Mittel zu finden, wie er den Rotten⸗ 
führer umbringen und, wenn er ſelbſt die Dame nicht 
genießen folle, auch. ben Mohren verhindern Tonne, fie zu 
genießen. Nachdem er zu biefem Ende mehrere Buben- 
füde und Schurkenſtreiche überlegt, beſchloß er endlich, 








57. Der Mohr von Benebig. 25 


fie bei ihrem Gemahl bed Ehebruches anzuflagen und 
ben Rottenführer als den Ehebrecher zu bezeichnen. Da 
ihm aber die zärtliche Kiebe des Mohren gegen Disbe- 
mona und feine Freundfchaft gegen den Rottenführer be 
kannt war, fo fah er wohl ein, es werde unmöglich fein, 
ihm das eine oder das andere einzureden, wenn er ihn 
nicht durch feine Lift betrüge. Er nahm ſich daher vor, 
es abzuwarten, bis Zeit und Gelegenheit ihm den Weg 
zu einem fo verbrecherifchen Unternehmen eröffnen würde. 
Es waͤhrte nicht lange, fo entfegte der Mohr den Rotten- 
führer feiner Stelle, weil er gegen seinen Soldaten auf 
der Wache ben Degen gezogen und ihn verwundet hatte. 
Disdemona, der bies fehr leid that, verfuchte oft, ihren 
Gemahl mit dem Rottenführer auszufühnen. Um diefe 
Zeit fagte der Mohr zu dem verrätherifchen Fähndrich, 
feine . Gemahlin laſſe ihm fo feine Ruhe wegen bes 
Rottenführers, daß er fürchte, er müffe ihn zulegt wieder 
in feine Stelle einfegen. Dies fah ber Bofewicht fogleich 
als einen Wink an, feinen binterliftigen Plan auszu- 
führen und fagte: Disdemona "hat vielleicht Urfache, dies 
gern zu fehen. 

Und welche? fragte der Mohr. 

Ich möchte nicht gern Mann und Frau entzweien, 
antwortete ber Faͤhndrich; aber ihr dürft nur die Augen 
aufthun, um es felbft zu bemerken. 

Weiter wollte der Fähndrich nicht gehen, fo fehr der 
Mohr auch in ihn drang, fich näher zu erklären. Aber 
feine Worte ließen einen fo fcharfen Dorn in der Bruft 
des Mohren zurüd, daß er ganz trübfinnig wurde und 
an nichts dachte, ald mas die Worte bed Fähndrichs 
wol zu bebeuten haben möchten. Als es baher feine 
Gattin eines Tages von neuem verfuchte, feinen Zorn 
gegen ben Rottenführer zu befänftigen, indem fie ihn bat, 
er möchte doch die treuen Dienfte und die Freundfchaft 
fo vieler Jahre nicht um eines Heinen Verſehens willen, 
vergeffen, zumal da der Mottenführer mit dem verwun⸗ 


26 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


deten Soldaten wieder ausgeföhnt ſei, gerieth der Mehr 
in heftigen Zorn und ſprach: Es iſt doch auffallend, 
Disdemona, daß du ſo viel Antheil an dem Manne 
nimmſt. Er iſt doch weder dein Bruder noch dein An⸗ 
verwandter, daß er dir ſo ſehr am Herzen liegen ſollte. 

Ganz demüthig und liebreich antwortete die Dame: 
Ihr werdet mir hoffentlich deshalb nicht zürnen. Ich 
babe dazu feinen andern Beweggrund, ale daß es mir 
leid chut, euch eines fo theuren Freundes beraubt zu 
feben, wie der Rottenführer nady eurem eigenen Zeugniß 
euch geweſen if. Er bat doch keinen fo ſchweren Fehler 
begangen, daß ihr ihm deshalb fo fehr zurnen dürftet. 
Aber ihr Mohren feid fo higiger Natur, daß jede Kleinig- 
keit euch zu Zorn und Rache reist. 

Über diefe Worte noch mehr erzürnt antwortete ber 
Mohr: Das könnte wol noch mander erfahren, der es 
nicht dachte. Ich will die Beleidigungen, die man mir 
zufügt, rächen, bis ich gefättigt bin mit Rache. 

Die Dame erfchrat heftig bei dieſen Worten, und 
da fi e ihren Gemahl gegen feine Gewohnheit wider ſich 
erzürnt fah, fagte fie mit vieler Demuth: Nur die befte 
Abſicht hat mich bemogen, mit euch hiervon zu fprechen; 
um euch aber nicht ferner wider mid) zu erzürnen, will 
ih nie mehr ein Wort davon reden. 

Da der Mohr fah, wie feine Gemahlin von neuem 
fih zu Gunften des Rottenführers verwandt hatte, über- 
zeugte er fich, die Worte, die er vom Yähndrich ver- 
nommen, Zönnen nichtE anderes bedeutet haben, als daß 
Disdemona den Nottenführer liebe. Er begab fi alfo 
ganz trübſinnig zu jenem Schurken, und fing an, in ihn 
zu dringen, daß er fich deutlicher erflären möge. Der 
nach dem Verderben des unglüdlihen Weibes trachtende 
Faͤhndrich ftellte fi zuerſt an, nichts fagen zu wollen, 
was ihm misfallen könnte, ſprach aber am Ende, wie 
von feinen Bitten überwältigt, zu dem Mohren alfo: 
Ih kann nicht leugnen, daß ich, mie leid es mir auch 


97. Der Mohr von Venedig. 207 


thut, euch etwas zu fagen babe, bad euch überaus un- 
angenehm fein muß; aber da ihr nun einmal verlangt, 
Daß ich reden foll, und da mich die Sorge um eure als 
meined Gebieterd Ehre felbft dazu antreibt, fo will ich 
jegt eurer Forderung und meiner Pflicht Genüge thun. 
Ihr müßt alſo wiffen, dag eure Gemahlin aus feinem 
andern Grunde ſich die Ungnade, in welcher der Rotten- 
führer bei euch fteht, fo zu Herzen nimmt, als weil fie, 
fo oft .er in euer Haus —5* ſich mit ihm vergnügt, 
denn ſie iſt eurer Schwärze bereits überdrüßig. 

Dieſe Worte ſchnitten dem Mohren bis in die Wurzel 
ſeines Herzens ein; aber um noch mehr zu erfahren, und 
wiewol er bei dem Argwohn, der ſchon vorher in ſeiner 
Seele erweckt mar, den Worten des Fahndrichs durchaus 
Glauben beimaß, brach er doch finfterblidend in bie Worte 
aus: Ich weiß nicht, was mich abhält, dir dieſe freche 
Zunge -ausreißen zu laffen, die fich unterfängt, meine 
Gemahlin einer ſolchen Schmady zu bezichtigen. 

Der Faͤhndrich entgegnete: Ich erwartete für meinen 
Liebesdienft Eeinen andern Kohn von euch, mein Haupt 
mann! Aber da mic, meine Pflicht und der Eifer für 
eure Ehre einmal fo weit geführt hat, fo betheuere ich 
euch wiederholt, daß die Sache ſich fo verhält, wie ihr 
gehört habt, und wenn das fchlaue Weib euch durch den 
Anfchein ihrer Liebe zu euch die Augen fo verkleibt hat, 
daß ihr bis jegt nicht gefehen habt, was ihr doch hättet 
fehen follen, fo ift ed darum nicht minder wahr, was 
ih euch fage; denn der Rottenführer felber hat ed mir 
gefagt, weil es ihm feheinen mochte, daß feine Glüd- 
feligkeit keine vollkommene fei, wenn er nicht jemand in 
die Mitwiffenfchaft derfelben ziehe, 

Er fügte hinzu: Hätte ih nicht euren Zorn gefürchtet, 
fo würde ich ihm, als er mir dies fagte, feinen verdienten 
Lohn gegeben und ihn getödtet haben. Da mir aber die 
Mittheilung einer Sache, die euch doch mehr als irgend 
jemand fonft angeht, einen fo übeln Lohn eingetragen, 


> 





208 XVI. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


muß ich bereuen, nicht ftilfgefchwiegen zu haben, wo dann 
ich mir wenigſtens nicht eure Ungnabe zugezogen hätte. 

Der Mohr verfegte ihm in voller Hige: Überzeugft 
du mich nicht durch meinen eigenen Augenfchein von der 
Wahrheit deiner Angaben, fo fei verfichert, daß bu zu 
der Erkenntniß kommen follft, bu wareft beſſer ftumm 
geboren. _ 

Diefe Überzeugung hätte ich euch leicht verfchaffen 
tönnen, fügte der Böfewicht hinzu, fo lange er noch euer 
Hausfreund war; fegt aber, da ihr ihn ohne Noth viel- 
mehr au® einer ganz geringfügigen Urfache verjagt habt, 
geht das nicht fo bequem; denn wenn ich auch der An- 
fiht bin, daß er fortwährend Disdemona genießt, fo oft 
ihr ihm Gelegenheit dazu gebt, fo fängt er es doch jept 
ficherlich feiner, al® vorher an, da er meiß, daß ihr ihn 
jegt haft, was früher nicht der Fall war. Aber deffen- 
ungeachtet gebe ich die Hoffnung noch nicht auf, euch 
durch ben Augenfchein zu beweifen, mas ihr mir nicht 
glauben wollt. 

Nah diefen Worten fchieden fie voneinander. Der 
unglüdlihe Mohr ging nad Haufe, wie von bem fchärfe 
ften Pfeil getroffen, und erharrte den Tag, an weldyem 
ihm ber Faͤhndrich das zeigen follte, was ihn für immer 
unglüdtih machen mußte. Aber ebenfo unruhig war ber 
verwünfchte Faͤhndrich über der Keufchheit, welche, wie 
ee wohl wußte, Disdemona beobachtete, und bei der es 
ihm unmöglich fihien, einen Weg zu finden, um dem 
Mohren feine falfhe Angabe zu erhärten. In feinen 
Gedanken fich vielfältig damit befchäftigend verfiel ber 
Verleumder auf eine ganz unerhörte Bosheit. Die Gattin 
des Mohren Fam, wie fehon gefagt, oft zu der Gattin 
bes Fähndrichs ins Haus und brachte einen guten Theil 
des Tages bei ihr zu. Da nun der Fähndrich bemerkte, 
daß fie um dieſe Zeit ein Schnupftuch trug, das ihr, 

wie ex wußte, ber Mohr gefchenkt hatte, das aͤußerſt fein 
auf maurifche Weiſe gearbeitet war und von der Dante 


57. Der Mohr von Benedig. 209 


wie von dem Mohren fehr werth gehalten wurbe, fo bil 
dete fich bei ihm der Vorfag aus, ihr dieſes Tuch heim⸗ 
li, zu entwenden und mittelft deffelben fie ins Verderben 
zu flürzen. Er Hatte ein Zöchterchen von brei Jahren, 
das Disdemona fehr liebte. Dies nahm er, als die un- 
glüdliche Dame eines Tages in das Haus biefes Böfe 
wichts Fam, auf den Arm und fegte es ihr auf den 
Schooß. Disdemona nahm es und drüdte es an ihre 
Bruſt. Indeß nahm ihr der Betrüger, der fich vortrefflich 
aufs Zafchenfpielen verftand, das Taſchentuch fo geſchickt 
vom Gürtel, daß fie nicht das Geringfte davon bemerkte, 
und ging voller Freuden von ihr hinweg. Disdemona, 
die Davon nichts ahnte, ging nach) Haufe und vermifte, da 
fie mit andern Gedanken befchäftigt war, das Schnupfe 
tuch nit. Einige Tage nachher aber, da fie es fuchte 
und nicht fand, war fie fehr in Furcht, der Mohr möchte, 
wie er öfter that, barnad) fragen. Der gottlofe Fähndrich 
erjah fi) indeß eine gelegene Zeit, ging zu dem Rotten- 
führer und Tieß mit verfchmigter Bosheit das Schnupftuch 
zu Haͤupten feined Bettes zurüd, was der Rottenführer 
‚ erft am folgenden Morgen bemerkte, denn als er vom 
Bett aufftand, trat er mit dem Fuß auf das Schnupfe 
tu, das zur Erde gefallen war. Er erkannte es als 
das Eigenthum Disdemona’s, ohne begreifen zu Zönnen, 
wie es in fein Haus gekommen fei, unb befchloß es ihr 
zurüdzugeben. Er wartete, bis der Mohr ausgegangen 
war, begab fih an die Hinterthüre des Haufes und 
Hopfte an. Aber das Glüd, das fich mit dem Fähndricy 
zum Verderben der Armen verſchworen zu haben ſchien, 
wollte es, daß der Mohr in demſelben Augenblicke wieder 
nad) Haus kam. Da er nun an ber Thüre klopfen hörte, 
trat er an das Penfter und rief heftig erzumt: Wer 
Hopft da? 

Als der Rottenführer die Stimme des Mohren ver⸗ 
nahm, fürchtete er, er möchte herabkommen, um ihn zu 
verderben, und ergriff die Flucht, ohne zu antworten. 


3% XVII. Giovanni Battiſta Giraldi intio. 


Dee Mohr flieg die Treppe hinab und öffnete die Thüre. 
As er aber auf die Straße trat und. ihn fudhte, fand 
er ihn nicht mehr. Er ging alfo voller Wuth ind Haus 
zurück und fragte feine Gattin, wer unten geklopft habe. 
Sie antwortete, ber Wahrheit gemäß, fie wiſſe es nicht. 

Mich däuchte aber, fagte der Mohr, ed mar der Rotten- 
führer. 

Ich meines Theile, antwortete fie, weiß nicht, ob er 
ed war oder wer fonft. 

Der Mohr hielt feine Wuth zurüd, obgleid, er vor 
Zorn glühte, und wollte nicht eher etwas unternehmen, 
bis er mit dem Fähndrich gefprochen, zu dem er fi 
fchleunigft begab, ihm den Vorfall erzählte und die Bitte 
binzufügte, den NRottenführer fo genau als möglich Darüber 
auszuforfchen. Uber einen ihm fo willkommenen Vorfall 
höchft erfreut, verſprach ihm der Kähndrich, es auszuführen. 
Darauf ſprach er eines Tages mit dem Rottenführer an 
einem Orte, wo der Mohr zugegen war und ihrer Unter 
redung zufehen konnte. Gr fprach mit ihm über taufend 
Dinge, aber mit feiner Sylbe von Disbemona, flug 
das hellfte Selächter auf, ſtellte fich fehr verwundert und 
geberbete fih mit Haupt und Händen wie einer, dem 
unerhörte Dinge erzählt werden. Sobald der Mohr ſah, 
daß fie von einander gegangen waren, begab fi der Mohr 
zu dem Fähndrich, um zu hören, was ihm jener gefagt 
babe. Diefer ließ fich erſt lange bitten und fprach dann 
endlich: Er bat mir nicht das Geringſte verhehlt und 
geftanden, daß er eurer Gemahlin genoffen habe, fo ‚oft 
ige ihnen durch eure Abweſenheit dazu Gelegenheit ge 
geben habt. Das legte mal, da er bei ihre war, hat fie 
ihm jenes Nastuch gefchentt, welches ihr bei eurer Ver 
mählung ihr gegeben habt. 

Der Mohr dankte dem Fähndrich und war nun über 
zeugt, wenn es ſich finde, daß fie das Schnupftuc nicht 
mehr befige, fo fei kein Zweifel mehr, daß alles wahr fei, 
was der Fähndrich ihm gefagt habe. Er verlangte daher 


57. Dee Mohr von Benedig. 211 


eined Tages, da er fich nach Tiſche in mancherlei Ge⸗ 
fpräche mit feinee Gattin eingelaffen hatte, das Schnupfe 
tuch zu fehen. Die Unglüdliche, welche biefe Frage längft 
gefürchtet hatte, wurde darüber feuerroth im Geficht und 
lief um ihr Erröthen zu verbergen, das der Mohr jedoch 
wohl bemerkt hatte, an ihren Schrein, wo fie that als 
ſuche fie ed. Nach langem Suchen fprach fie endlich: 
Ich weiß nicht, wie ich es heut nicht PN en fann. Hättet 
ihr es vielleicht gehabt? 

Wenn ich es gehabt hätte, fagte er, warum würde 
ich Dich darüber befragen? Aber fuche doc, noch einmal 
genauer nach! 

Indem er jegt von ihr ging, war fein Sinnen nur 
darauf gerichtet, wie er feine Frau und zugleich den 
Rottenführer tödten könne, ohne ihres Mordes befchuldigt 
zu werden. Er dachte Zag und Nacht an nichts anderes 
und feine Frau konnte nicht umhin zu bemerken, daß er 
nicht mehr wie fonft gegen fie war. Sie fagte vielmals 
zu ihm: Was habt ihr nur, das euch fo verfiört? Ehe 
mals waret ihr der aufgewedkefte und nunmehr feid ihr 
ber fhwermüthigfte Mann von ber Welt. 

Der Mohr erfann darauf verfchiedenartige Antworten, 
aber feine einzige genügte ihr; und wiewol fte mußte, 
daß kein Vergehen von ihrer Seite diefe Stimmung des 
Mohren veranlaft haben koͤnne, fo fürchtete fie doch, 
gerade durch ihre große Zärtlichkeit, ihm zur Laſt gefallen 
au fein. Sie fagte einigemal zu der Gattin bes Faͤhndrichs: 
Sc weiß nicht, was ich von dem Mohren denken foll. 
Er pflegte fonft ganz Liebe zu mir zu fein, und ift jegt, 
ich weiß nicht, feit wie viel Tagen, ein ganz anderer ges 
worden. Ich fürchte fehr, ich werde den Mädchen ein 
warnendes Beifpiel werden, ſich nicht gegen den Willen 
der Ihrigen zu vermählen, und die italiänifchen Frauen 
werden von. mir lernen können, daß man fich nicht zu 
Männern gefellen fol, welche Natur, Himmel und Lebent- 
weife von uns abfondern. Da ich nun aber weiß, daß 





312 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


der Mohr ein vertrauter Freund eures Gatten ift und 
ihm feine Angelegenheiten mittheilt, fo erfuche ich euch, 
wenn ihr irgend etwas von ihm hörtet, bas mir zu wiffen 
nüglich wäre, mir eure Hilfe damit nicht zu verfagen. 

Sie vergoß, während fie dieſe Worte ſprach, bie bit- 
terften Thränen; die Gattin bes Faͤhndrichs aber, welche 
alles wußte, da fie ihr Mann ale Vermittlerin des Mordes 
bee Dame hatte gebrauchen wollen, wiewol fie fich mit 
allen Kräften dagegen gefträubt, wagte aus Furcht vor 
isrem Gatten ihr nichts von alle dem zu verrathben. Nur 
foviel fagte fie: Sorget ja, daß ihr eurem Gatten Feinen 
Grund zum Argwohn gebt, und fucht ihm eure Liebe 
und Treue auf alle Weiſe zu bethätigen! 

u thue ich, fprach Disdemona, aber es hilft mir 
nichts. 

Der Mohr ſtrebte mittlerweile ſich immermehr von 
dem zu überzeugen, was er doch ſo gar nicht zu finden 
wünſchte, und bat ben Fahndrich, es zu bewirken, daß 
er das Schnupftuh im Befig des Mottenführers fehen 
könne. Dem Böſewicht war dies freilich eine ſchwierige 
Aufgabe, indeffen verfprach er fein Möglichftes zu thun, 
um ihn zu befriedigen. Der Nottenführer hatte ein 
Srauenzimmer bei fih im Haufe, welches am Stick⸗ 
rahmen ungemein feine Stepparbeiten machte. Als diefe 
das Tüchelchen fah und hörte, es gehöre der Gattin bes 
Mohren an und folle ihr zurüdigegeben werben, begann 
fie fih, ehe es fortlam, ein ähnliches darnach zu ver- 
fertigen. In dieſer Arbeit begriffen fah fie einft der 
Fahndrich am Fenſter figen und bemerkte zugleich, daß 
fie damit jedem Vorübergehenden auf der Strafe fihtbar 
ſei. Er zeigte dies daher dem Mohren, welcher fih nun 
vollkommen überzeugt bielt, daß feine durchaus Feufche 
Frau wirklich eine Ghebrecherin fei. Er befchloß alfo 
mit dem Fähndrich, fie und ben Mottenführer umzu⸗ 
bringen, und indem ſich beide beriethen, wie dies anzu⸗ 
gehen fei, bat ihn der Mohr, den Mord bes Rotten⸗ 


57. Der Mohr von Venedig. 213 


führers auf fich zu nehmen, wogegen er ihm auf ewige 
Zeiten verpflichtet zu bieiben verſprach. Der Fähndrich 
weigerte fi) zwar, diefe That zu begehen, weil fie, wie 
er fagte, fehr ſchwierig und gefährlich ware, da ber 
Rottenführer nicht minder gewandt als tapfer fei. Nach» 
dem ihn aber der Mohr lange gebeten und er ihm viel 
Geld gegeben hatte, brachte er ihn endlich zu der Zufage, 
er wolle fein Glück verfuchen. Als fie diefe Verabredung 
getroffen hatten, kam ‘der Rottenführer eines Abends aus 
dem Haufe einer Buhlerin, bei welcher ex fich zu ver⸗ 
gnügen pflegte, und der FZähndrich benügte die Dunkel⸗ 
beit, fchlich fi) mit gezogenem Schwerte an ihn heran 
und richtete ihm einen Hieb nach) den Beinen, um ihn 
zu Sal zu bringen. Der Zufall fügte es, daß er ihm 
den rechten Schenkel entzwei ſchlug, ſodaß der Unglüdliche 
nieberflürzte, worauf der Fähndrich berbeieilte, um ihm 
ben Garaus zu machen. Aber der Rottenführer, der 
Herzhaftigkeit genug befaß, und an Blut und Tod ge- 
wohnt war, zog das Schwert und fuchte fih, fo ſchwer 
verwundet er auch war, zu vertheidigen, wobei er mit 
lauter Stimme fchrie: Man bringt mich um. 

Als daher der Faͤhndrich Leute herzulaufen hörte und 
einige Soldaten, die in der Nähe ihr Quartier hatten, 
ergriff ex, um nicht erwifcht zu werben, die Flucht, brebte 
fih aber plöglih um und ftellte fi, als komme er auch 
auf den Lärm herbeigelaufen. Er mifchte ſich unter die 
übrigen und da er das Bein entzwei fah, fo fchloß er, 
daß der Mottenführer, ob er gleich noch nicht todt war, 
Doch ganz gewiß an dem Schlage fterben werde, und 
obwol er darüber fehr froh war, fo bezeugte er body dem 
Mottenführer fo viel Mitleid, als ob er fein Leiblicher 
Bruder gewefen wäre. Den andern Morgen verbreitete 
fih die Sache durch die ganze Stadt und kam auch zu 
den Ohren Disdemona's, und fie, bie fehr liebreich war 
und nicht ahnte, daß dies fchlimme Folgen für fie haben 
koͤnne, zeigte fich fehmerzlich betrübt über diefen Vorfall. 


214 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 

Der Mohr legte ihr dies ſehr übel aus, ging wieber zu 
den Fahndrich und ſagte zu ihm: Denke nur, die Närrin 
von meiner Frau ift über den Unfall bes Rottenführers 
fo betrübt, daß fie faft von Sinnen kommt. 

Und wie konntet ihe euch das anders vorftellen, ver⸗ 
fegte der Fähndrich, da er ihre Seele mar? 

Ihre Seele, ha! entgegnete der Mohr. Ich will ihr 
fon die Seele aus dem Leibe reifen. Sch würde mich 
für keinen Daun halten, wenn id, biefe Schändliche nicht 
aus der Welt ſchaffte? 

Sie berathfchlagten hierauf, ob fie Disbemona mit 
Gift oder Dolch umbringen folten, aber feines von beiden 
ſchien ihnen thunlich. 

Da faͤllt mir ein, ſagte der Fähndrich, wie ihr euch 
Genugthuung verſchaffen könnt, ohne daß euch der ge⸗ 
ringſte Verdacht trifft. Nämlich das Haus, worin ihr 
wohnt, iſt alt und die Decke eurer Kammer voller Ritzen. 
Ich denke alſo, wir ſchlügen Disdemona mit einem mit 
Sand gefüllten Strumpfe ſo lange, bis ſie ſtürbe, damit 
man keine Spur, daß ſie geſchlagen worden, an ihr 
wahrnimmt; und wenn fie dann tobt iſt, werfen wir 
einen Theil ber Dede auf fie herab und zerfchlagen ihr 
den Kopf, als hätte ein herabgefallener Balken fie zer⸗ 
ſchmettert und getöbtet. Auf dieſe Weiſe wird niemand 
Berbacht auf euch werfen und jebermann ihren Tod einem 
Men Zußzu zuſchreiben. 

Mohren gefiel der grauſame Rath. Er paßte 
alſo ie y ab, bie ihm am gelegenften ſchien, und da er 
eines Nachts mit ihr im Bette lag, machte der Faͤhndrich, 
ben ex vorher in ein Kabine, das an bie Kammer ſtieß, 
verborgen Hatte, plöglich der Verabredung gemäß in bem 
Cabinet ein Geraͤuſch. Der Mohr hörte es fogleich und 
fagte zu feiner Gattin: Haft bu das Geraͤuſch gehört? 

Ja wohl Habe ichs gehört, entgegnete fie. - - 

&o ſteh auf, verfegte der Mehr, und fieh, was es 
ſein mag! 





' 


57. Der Mohr von Venedig. 215 


Die ungludliche Disbemona fand auf und fobald 

fie ſich dem Cabinete näherte, trat ber Faͤhndrich heraus 
und gab ihr ſtark und kräftig, wie er war, einen fo 
seaufamen Schlag mit dem Sad voll Sand über ben 
Rückgrat, daß fie plöglich zur Erbe fiel und kaum noch 
zu athmen vermochte. Doch mit der wenigen Stimme, 
die ihr noch blieb, rief fie den Mohren um Hilfe an. 
Diefer fprang Aus dem Bette und ſprach: Das ift der 
Lohn, du zuchlofes Weib, für deine Untrene. So bes 
handelt man bie Weiber, die unter dem Schein der zärt- 
lichſten Liebe gegen ihre Männer ihnen Hörner auffegen- 

Wie die unglüdliche Frau bied hörte und ihr Ende 
nahen. fühlte, denn der Fähndrich hatte ihr noch einen 
Streich verfegt, fo rief fie zum Zeugen ihrer Unfchuld, 
du ihr auf Erden Fein Recht widerfahren folle, die himm⸗ 
liſche Gerechtigkeit an umd flehte zu Gott, ihr beizuſtehen, 
indem ber ruchlofe Fähndrich fie mit dem dritten Streiche 
völlig töbtete. Darauf legten bie beiben fie in das Bett, 
zerfchlugen ihr das Haupt und riſſen, wie fie zuvor aus⸗ 
gemacht hatten, die Stubendede ein. Sodann hub ber 
Mohr an, um Hilfe zu rufen, ba das Haus einfalle, 
bis die Nachbarn auf feinen Ruf berbeiftürzten und bei 
Unterſucheng des Bettes das arme Weib unter ben Balken 
erfchlagen fanden. Die Trauer bierubee mar allgemein 
wegen der Vorzüge der Dame, und fo wurde Disdemona 
am folgenden Zag unter den Klagen ber ganzen Ein- 
wohuerfchaft zur Erbe befkattet. Der gerechte Gott aber, 
welcher die Hergen der Menfchen durchſchaut, wollte nicht, 
daß eine fo unerhörte Schandthat der ihr gebährenden 
Strafe ermangeln folle. Denn dee Mohr hatte feine 
Gattin mehr als das Licht feiner Augen geliebt und von 
ber Stunde an, da er fich ihrer beraubt fah, überkam 
ihn eine folge Sehnſucht nach ihr, daß er wie außer 
ſich felbft geriet) und fie allerwärts in feiner Wohnung 
fuchte.. Ja, indem er bebachte, daß er durch die Schuld 
bes Fähndrichs mit feiner Battin allen Reiz des Lebens 


! 





916 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


und fich felber verloren habe, wurde ihm der Böſewicht 
fo in ber Seele verhaßt, daß er ihn nicht mehr anfehen 
tonnte und ihn wol gar auf offener Strafe umgebracht 
haben würde, hätte er nicht vor ber unbeftechlihen Ge⸗ 
rechtigfeit dev Herren von Venedig Scheu getragen. Da 
er nun fo etwas nicht wohl mit Sicherheit vollbringen 
fonnte, fo entzog er ihm die Fahne, und fließ ihn aus 
feinem Gefolge, woher eine fo heftige Feindſchaft zwifchen 
beiden entfprang, wie man fie fich nicht ärger denken 
tönnte. Der Fähndrich, ber garfliger war als alle Ber- 
brecher, richtete alle feine Gedanken barauf, dem Mohren 
zu fchaden, und da er bereinft den Rottenführer antraf, 
der wieberhergeftellt war und flatt feines abgehauenen 
Beine mit einem hölzernen einherging, fagte er zu ihm: 
Die Zeit ift gekommen, ba bu dich für bein abgehauenes 
Bein rächen kannſt; und wenn du mit mir nad) Venedig 
kommen willft, fo werde ich dir fagen, wer ber Ber 
brecher ift, denn bier habe ich aus manderlei Rüdfichten 
dazu nicht den Muth. Ich will es bir aber dort vor 
Gericht bezeugen. 

Der Rottenführer, welcher fo fchwer beleidigt war, 
ohne zu wiſſen warum, dankte dem Faähndrich und ging 
mit ihm nach Venedig. Sobald fie bort angelangt waren, 
fagte er ihm, der Mohr fei es, der ihm das Bein ab- 
gehauen, weil diefer fidy in den Kopf gefegt, ex habe bei 
Disdemona gefchlafen, und aus demfelben Grunde habe 
er dieſe getöbtet und nachher ausgefchrien, die eingefallene 
Stubendecke habe fie erfchlagen. Sobald ber Rottenführer 
biefe Nachricht erhalten hatte, verklagte er den Mohren 
bei der Regierung wegen feines abgehauenen Beines und 
wegen der Ermordung der Dame und ftellte als Zeugen 
ben Zähndri vor Gericht, welcher ausfagte, das eine 
wie das andere fei wahr, benn ber Mohr habe ihm alles 
mitgetheilt und ihn zuerſt felbft überreden wollen, beibe 
Verbrechen für ihn zu begehen, und nachdem er aus 
thieriſcher Eiferfucht, die er ſich in ben Kopf gefegt, fein 





— — —  - 


58. Die Witwe von Fondi. 217 


Weib gemorbet, habe er ihm anvertraut, auf welche Weife 
er diefe That zu Stande gebracht. Als die Herren von 
Venedig vernahmen, welche Graufamkeit der Barbar gegen 
eine ihrer Mitbürgerinnen begangen babe, ließen fie den 
Mohren in Cypern verhaften und nach Venedig bringen, 
wo fie ihn durch vielerlei Martern zu zwingen fuchten, 
die Wahrheit einzugeftehen. Aber die Kraft feiner Seele 
half ihm alle Marter befiegen und die That mit folcher 
Hartmädigkeit leugnen, daß nichts aus ihm herauszu- 
bringen war. Obgleich er aber durch feine Standhaftig- 
feit dem Tod entging, fo ward er doch nach Tanger 
Gefangenschaft zu Tebenslänglicher Verbannung verurtheilt, 
in welcher er zulegt von den Verwandten feiner Frau, 
wie er es verdiente, umgebracht wurde. Der Fähndrid) 
fehrte nach feiner Heimat zurüd, und da er von feiner 
Gemüthsart nicht laffen fonnte, fo befchuldigte er einen 
feiner Gefährten, er babe ihn verleiten wollen, einen 
Edelmann, ber fein Feind gewefen, ums Leben au bringen. 
Der Angeklagte ward hierauf ergriffen und auf die Folter 
gebracht, und da er die Anklage leugnete, fo ward der 
Fähndrich ebenfalls auf die Folter gefpannt und fo heftig 
gemartert, daß ihm die Eingemweide zerfprangen. Als er 
daher aus dem Gefängniffe entlaffen und nad Haufe 
gebracht wurde, verfchied er elendiglih. So rächte Gott 
die Unfchuld Disdemona’sd; und den ganzen Hergang er- 
zählte die Frau des Fähndrichs, die nun alles wußte, 
nachdem er, wie ich euch erzählt habe, ums Leben ges 
fommen mar. 


58. Die Witwe von Fondi. 


(6, 6.) 


An Fondi, einer der Familie Colonna gehörigen Stadt, 
lebte dereinft eine verwitwete Edelfrau Namens Livia, 
welche einen einzigen fehr artigen und wohlerzogenen Sohn 

Staliänifcher Novellenſchatz. I. 10 


218 xVIII. Giovanni Battifta Gitaldi Eintio. 


batte, den die Mutter über alles in ber Welt liebte. 
Diefer Züngling verliebte ſich in eine der Frauen, welche 
zuchtlos andern ihren Körper preis geben, er befam über 
fie mit einem andern Edelmann Streit, fie felbft nach 
Art von ihres Gleichen liebte weber den einen noch den 
andern, außer infofern fie dachte, dem einen vortheilbafter 
ald dem andern die Haut abziehen zu konnen. So be- 
gegnete denn das Unglüd, daß die beiden Maͤnner vor 
der Thüre jener Buhlerin zu den Dolchen griffen und 
miteinander in Streit geriethen; leider wurde der Sohn 
der Witwe durch einen Stich unter ber linken Bruſt ver- 
wundet, der Stih drang fo tief ein, baf er ihm das 
Herz berührte und er plöglich todt niederfiel. Der Mörder 
ſah die Schergen des Schultheißen auf fich zueilen, um 
fih feiner zu bemächtigen; er verfuchte, ſchnellfüßig, wie 
ee war, ſich durch die Flucht zu retten, fand in feinem 
Zaufe die Thüre der Mutter des getödteten Jünglings 
offen und trat zitternd umd zagend vor Livia mit den 
‚Worten: Erbarmt euch meiner, Mabonna, und verbergt 
mich vor den Schergen des Schultheißen, die hinter mir 
beein find, um mich zum Tode abzuführen. 

Die gute Frau, zu der die Nachricht von ihres Sohnes 
Ermordung noch nicht gedrungen war, fühlte fih von 
tiefem Mitleid ergriffen mit dem Unglücklichen, forfchte 
nicht lange nach dem Grunde, weshalb er ben Tod fürchte, 
und ſprach: Sei verfichert, daf du in meinem: Haufe fo 
wohl geborgen fein follft, wie mein eigenes Kind. 

Darauf verbarg fie den Jüngling an einem Drte, 
den fie für fiher halten zu dürfen glaubte — Während 
fie nun in Angſt und Sorge war, bie Häfcher möchten 
in das Haus kommen und nad dem jungen Manne 
fuchen, brachte man ihren erfchlagenen Sohn einher unter 
allgemeinen Trauerbezeugungen von der ganzen Nachbar- 
ſchaft. Als die arme Mutter ihren Sohn tobt ſah, be- 
gann die Ziefbetrübte laut gen Himmel zu fhreien, fie 
rang bie Hände, zerkragte ſich das Geſicht, rief ihren 


“ 


58, Die Witwe von Fondi 219 


Sohn bei Namen und fprah: O Stipione (die war 
der Name bes Todten), kaum noch bift du von mir 
geſchieden, und mie ganz anderd wirft du nun zu mir 
zurüdgebraht! Weffen war die grauſame Hand, bie 
mid) dir fo elendiglich geraubt hat? In welchem un- 
feligen Augenblide mufteft du, mein Sohn, aus dem 
Haufe gehen und beine trauernde Mutter verlaffen? 
Wehe mir, die ich faft das mir bevorſtehende Unglüd 
ahnte und bis an bie Thüre dich begleitend dich nicht 
auszugehen bat! O daß ich mit dir gegangen wäre! 
Ich würbe dich gegen die ruchlofe Hand vertheidigt haben, 
bie mir bein Leben nahm. D hätteft bu deiner Mutter 
gefolgt, fo würdeſt du nod am Leben und ich nicht das 
betrübtefte Weib auf Erben fein. Du, mein Sohn, haft 
alle meine Ruhe und Zufriedenheit mit dir hinwegge⸗ 
nommen, und mic in ben tieflten Abgrund der Trauer 
geftürgt, der auf Erden einen menfchlichen Geiſt umfan- 
gen Tann. Wohin foll ich nunmehr noch, meine Hoff- 
nungen richten? Wer foll nunmehr die Stüge meines 
binfälligen Alters fein, da du mir fo grauſam entriffen 
biſt? Warum habe ich den Böſewicht, der dich mir 
getöbtet hat, nicht in meinen Händen, um durch feinen 
Tod fire den beinigen bie Rache zu nehmen, die ich dir 
als deine Hutter fhuldig bin, bie dich, liebſter Sohn 
verloren hat! 

Unter folgen und ähnlichen Klagen teodnete fie das 
Blut der Wunde mit ihren aufgelöften Haaren und 
wufch fie mit ihren heißen Thränen, fobaß nicht nur 
das Haus, fondern die ganze Strafe von ihrem Jammer⸗ 
gefchrei ertönte; dabei wünfchte fie nichts fehnlicher, als 
daß ber Mörder erwiſcht und vom Henker in Stüde 
geriffen werde. — Die Häfcher hatten bereits Anzeige 
erhalten, daß Scipione's Mörder in das Haus der Mutter 
bes Todten geflohen fei, und während fie die Leiche ihres 
: Sohnes in den Armen hielt, traten fie zu dee Frau und 
fagten: Wir haben gehört, daß der Ubeltbäter in deinem 

10* 


220 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


Hauſe ſich verſteckt hat. Liefere uns ihn aus, damit wir 
ihm die gerechte Strafe für ſein Vergehen angedeihen 
laſſen und dich durch eine Rache für deines Sohnes Tod 
befriedigen koͤnnen. 

Von ihrem Schmerze hingenommen erwiderte Livia 
fein Wort und bekümmerte ſich mit dem Todten beſchäf⸗ 
tigt überhaupt nit um das, mas um fie ber verging 
und gefpeochen mwurbe. Die Diener der Gerechtigkeit 
traten daher ind Haus, fuchten viel umher und fanden 
zulegt den Mörder, welcher bereits den Lärmı gehöxt hatte, 
der bei den Nahforfhungen nad) ihm entitand, und voll 
Zobesangft zitterte und bebte. Sie ergriffen ihn, banden 
ihm die Hände und fagten: Du Miflethäter, die gött« 
liche Gerechtigkeit bat es gefügt, daß bu gerade in das 
Haus ber Frau gekommen bift, der du ihren geliebten . 
Sohn erfchlagen haft. 

Dann fchleppten fie den Gebundenen vor Livia. 

Sieh hier, Frau, den Mörder, fprachen fi. Morgen 
wirft due ihm den Kohn ertheilen fehen, welchen er ver- 
bient. 

Livia fah nun, daß es derfelbe Jüngling war, dem 
fie ihren Schug zugefagt hatte, und wurde mit einem 
Male vom hHeftigften Zorn und vom erbarmendfin Mit 
leid ergriffen; zu jenem fpornte fie der Anblic der Leiche 
ihres Sohnes, wobei fie fehnlich wünfchte, den Mörder 
deffelben zum Tode geführt zu fehen, zu dieſem bie Be⸗ 
trachtung des Misgeſchicks des Jünglings, der fich eben 
in das Haus derjenigen geflüchtet hatte, die er am ängſt⸗ 
lichften hätte meiden follen. Außerdem bewog fie aber ihr 
ihm gegebenes Wort, ihn fo ficher zu hüten, als ob es 
ihr Sohn wäre, zu dem chriftlihen Verlangen, ihm zu 
vergeben und ihn vom Verderben zu erretten. Sobald 
der Jüngling ſich im biefe Lage gebracht fah, daß er 
feinen Tod für ganz ficher hielt, warf er ſich vor Livia 
auf die Kniee nieder und fprach zu ihr mit Thränen in 
den Augen: Madonna, da mein Unftern gewollt Bat, 


58. Die Witwe von Fondi. 221 


daß ich ftatt Diefes Land zu verlaffen, um mid, zu flüchten, 
oder, wenn mir das nicht möglich geworden wäre, mich 
in der Stadt felbft an taufend Drte zu begeben, wo ich 
ſicher geweſen wäre, ich gerade in euer Haus gelommen 
bin, die mich nicht nur nicht erretten darf, da ich der 
Mörder eures Sohnes geworben bin, fondern die ein 
Recht hat mir alles Schlimme anzumünfcyen, wie nur 
irgend einem Todfeinde, fo bitte ich euch in diefer meiner 
Außerfien Noth, mir wenigftens die Gnade zu ermweifen, 
mir meinen Fehltritt zu vergeben, nicht, um der Strafe 
bes begangenen Mordes zu entgehen, welche ich euch mit 
Recht in Anſpruch nehmen fehe, bie ich, wie ich felbft 
erfenne, wohl verdiene und zu welcher mich meine Führer, 
die mich in Verhaft genommen, nun bringen werben, fon- 
dern um doch wenigftend beim Zode den Troſt mit ins 
andere Leben zu nehmen, von euch Vergebung meiner 
Berirrung erlangt zu haben; und nicht ohne Grund 
nenne ich ed DVerirrung, denn nicht mit meinem Vorfag, 
fondern durch Zufall ift diefer Süngling geftorben, deffen 
Tod ihr nun beweinet, und ebenfo konnte er mich um⸗ 
bringen, wie das Schickſal nun gefügt hat, daß ich ihn 
umgebracht habe, was mich aufs tieffte fchmerzt, nicht 
allein weil ich jegt felbft den Tod drohend vor mir fehe, 
fondern megen bed Schmerzes, ben ich, mie ich fehe, 
‚ euch bereitet habe, die mir fo liebevoll fich zu meinem 
Schuge bereit erklärt hat; und wenn ich jegt mit meinem 
Tode eurem Sohne das Xeben wieder gewinnen könnte, 
fo würde ich ihn fehr gerne übernehmen, ja bier vor 
euren Augen würde ich mir ihn felbft geben, nicht um 
‚ mid) der Hand der Gerechtigkeit zu entreißen, in welcher 
ih jegt bin, fondern um nad), beftem Vermögen euch 
zufrieden zu ſtellen; oder vermörhte ich die Gefege des 
Blutes und der Natur umftoßend mid im euren Sohn 
zu verwandeln, und euch zu bewegen, meine Mutter zu 
werden, ich würde gewiß ebenfo liebreich und gehorfam 
gegen euch fein, als wenn ihr mic, geboren hätte. Da 


2322 XVIH. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


ich aber dies nicht zu leiflen vermag und fehe, daß es 
umfonft wäre, euch zu bitten, ihr follt mich zu euerm 
Sohne annehmen, ba ihr den, den: ihr geboren, tobt vor 
euch feht, der euch mich nicht als euren Sohn, fondern 
old euren Feind betrachten laßt, Dank fei es meinem 
Unftern, fo tehre ich zu meiner erſten Bitte zurück und 
erfuche euch von neuem, mir zur Erleichterung meines 
Elends zu verzeihen; ich flehe darum nicht um meinet« 
willen, fondern bei ber Liebe, die ihr für euren Sohn 
gehabt, und bei dem Worte, das ihr mir gegeben, ale 
ihe mich in euer Haus fo liebevoll aufnahme. Gemwährt 
es mir, daß im Gedanken, dies von eurer Güte erlangt 
- zu haben, mir ber Tod weniger ſchwer wird, ben ih 
vor euren Augen fehe. 

Diefe Worte rührten fogar die Schergen, welche fonft 
an Graufamkeit gewöhnt find, zum Mitleid mit dem 
armen Manne, gefchweige das weiche Herz ber trauern- 
den Mutter. Wiewol fie ihren getödteten Sohn noch in 
den Armen hielt, fo wandte fie fih doch mit folgenden 
Worten an ben Züngling: Ich glaube nicht, daß es auf 
Erden einen fchärferen Schmerz gibt noch geben kann, 
als den ich empfunden und noch empfinde um ben Tod 
bed von dir graufam erſtochenen Sohnes, den ich Bier 
febe; denn er war mir ber befte und gehorfamfte Sohn, 
ben je eine Mutter geboren. DBetrachtete ich blos den 
großen Verluſt, ben ich buch dich erlitten, und ben 
unglaublihen Kummer, von dem du mich erfüllt fichft, 
fo würde ich es nicht nur nicht über mich gewinnen, bir 
zu vergeben, fondern ich müßte wünſchen, dich fo blutig 
geftraft zu fehen, wie es die Befchaffenheit des began- 
genen Verbrechens verdiente. Da es aber Gottes Wille 
gemwefen ift, dag du, der mein Haus wie das eines Zobd- 
feindes hätte fliehen follen, hereingelommen bift, um Ret- 
fung zu fuchen, und ich dich, als wäre ich deine Mutter, 
bier aufgenommen und bir mein Wort verpfändet habe, 
dich zu retten, fo muß ih annehmen, es fer dies auf 


58. Die Witwe von Fondi. 223 


eine geheime Fügung der unfterblichen Götter gefchehen, 
welche meine Gefinnung auf die Probe ftellen und fehen 
wollten, ob ich auch zu ber Zahl derjenigen Frauen ge 
höre, welche von Natur nach Nacye verlangen, und fo weiß 
ih dir fo zw vergeben, wie andere Rache zu nehmen 
verftehen würden. Da es nur durd einen Zufall ge- 
fhehen ift, daß ich meines Sohnes beraubt worden bin, 
und nicht dein Wille die Schuld träge, fo foll auch in 
mir die Gnade die Oberhand erhalten über die Nacheluft, 
die mich mit fehärfftem Stachel zu deinem Xode treibt, 
ih will jept die Gefege der Natur und die Vorfchriften 
des Blutes überwinden, die dir fo unüberwindlich ſcheinen: 
und wenn bu von mir Vergebung begehrft, um diefen 
Troft mit ins andere Leben nehmen au fönnen, fo ge 
währe ich ihn dir gerne fo, daß bu in diefem Leben noch 
meiner Gnade Dich zu erfreuen habeft: und nicht allein 
vergebe ich dir die Verirrung, die du unüberlegt begangen, 
bereitwillig, fondern da du es zufrieden bift, mein Sohn 
zu fein und dich mir als folchen anbieteft, fo nehme ich 
dich auf biefe Weiſe an und werde dich immer nicht 
minder hoch halten, als den, ben ich unter dem Herzen 
getragen unb welcher hier im Tode dein Bruder gewor⸗ 
den if. Bleib bier, um zu erkennen, wie Großes bu 
von mir erlangt haft, und werde mir, wie diefer mir 
ein gehorfamer und liebender Sohn war, ebenfo und halt 
mich ald Mutter fortan, wie ich dich immer wie einen 
Sohn halten werde, fo können wir beide glüdlich leben. 

Mit dieſen Worten umarmte fie den Jüngling und 
nahm ihn zum Sohn an. Diefe That der Milde er- 
füllte alle Umſtehenden mit Rührung und Erftaunen. 
Die Schergen aber, fo fehr auch felbft diefer Auswurf 
der Menſchen fi) über diefe Handlung des Erbarmens 
wunberte, wollten doch nicht unterlaffen, den Gefangenen 
vor den Schultheißen zu führen. Es half nichts, daß 
die Witwe vorftellte, dab das Unrecht ja ihr gefchehen fei 
und wenn fie dem Mörder verzeibe, fo dürfe ſich nie 





224 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


manb weiter um das, was ihr begegnet fei, bekümmern, 
als fie felbft. Sie führten alfo den Süngling zum Ge 
richtsvogte ab, und er rief ihr noch fcheidend zu: Meine 
Mutter, da ihre mich ald euren Sohn angenommen habt, 
vertheidige mich mütterlich ! 

Durch diefe Worte wurbe fie fo innig gerührt, daß 
fie den Leichnam ihres Sohnes mit einem ſchwarzen Tuche 
bededite und dem armen Sünder bis ins Gerichtshaus 
folgte. 

Meffere, fagte fie zum, Schultheifen, es kommt euch 
nicht mehr zu eure Gewalt gegen biefen Gefangenen an- 
zuwenden, benn ich, die Mutter des Jünglings, den er 
erſchlagen hak, babe ihm verziehen und ihn an Kindes 
Statt angenommen. Ich wünfche ebenfo herzlich fein 
Wohlergehen, wie das meines leiblihen Sohnes, und 
erfuche euch nicht weiter gegen ihn zu verfahren. 

Der ſehr firenge Richter, dem ber harte Buchftabe 
des Gefeged mehr galt, als die Milde der Frau, erwi⸗ 
derte ihr aber: Livia, wenn ihr dem Mörder verziehen 
und ihn zum Sohn angenommen, fo habt ihr wohlgethan 
und einen giltigen Beweis eures edeln Sinnes abgelegt. 
Aber es hat ihm um deffen willen noch keineswegs das 
Recht verziehen und ich kann durchaus nicht umhin, ihn 
für etwas anderes, als für einen Mörder zu halten, wenn 
ich die Gerechtigkeit aufrecht erhalten will, zu deren Schuge 
ich aufgeftellt bin: ich darf nicht unterlaffen, ihm den Tod 
zuzuerfennen. 

Er befahl hierauf, ihn ins Gefängniß zu führen und 
ihm am folgenden Zag den Kopf abzufchlagen. 

Ah, Meifere, fprach die Witwe ferner zu ihm, thut 
mir doch nicht mit eurer firengen Gerechtigkeit die Unge- 
rechtigkeit an, mich boppelt elend zu madhen! Ein un- 
vorhergefehener Unfall gab mir Veranlaffung, den Tod 
eines Sohnes zu beweinen, den ich der Natur verdanke, 
und ihr wollt mit Vorbedacht durch eure Härte mich den 
Tod diefes andern bemweinen machen, der durch die freie 


58, Die Witwe von Fondi. 395 


Wahl mein eigen geworben ift! So hätte ich mich weit 
mehr über euch zu beklagen, wenn ihr das thäter, als 
über den, der mir meinen erften Sohn umgebracht hat. 

Diefe Worte machten jedoch keineswegs auf das Ge- 
müth des Nichterd Eindrud, vielmehr zeigte er fich ent- 
fhloffen, der vollen Strenge des Gefeges freien Lauf zu 
laffen, um den ihm von feinen Obern aufgelegten Pflichten 
Genüge zu thun. 8 befanden fi gerade bamals in 
Fondi Herr Profpero Colonna, ein ebenfo mohlmollender 
und menfchenfreundlicher, als Hochfinniger und kraftvoller 
Hear. Sowie nun Livia von feiner Anmwefenheit Kunde 
erhielt, ging fie zu ihm und ſprach zu ihm zuverſichtlich: 
O gnädiger Herr, feid mir doc, auch fo huldvoll günftig, 
wie der Name Profpero, den ihr führt, mich vertrauen 
läßt, daß ihr fein werdet. Da euch die göftlihe Gnade 
Macht und Gewalt über Gefege und Richter gegeben hat, 
um ihre Härte und noch vielmehr eure eigenen Befehle 
zu mildern und beide auf das Maß der Billigkeit zurüd- 
zuführen, fo bitte ic euch um Gnade für meinen un- 
gludlihen Sohn, den euer Schultheiß zur Enthauptung 
verurtheilt bat. Weder meine Bitten noch angeführten 
Gründe haben ihn zu bewegen vermocht, Milde zu üben, 
und fo werde ich bald feinen Tod beweinen müffen, wo⸗ 
fern mir nicht eure Barmherzigkeit Troſt verleiht in meiner 
Bedrangnif. 

Hierauf erzählte fie dem: edeln Herrn Alles, was vor- 
“gegangen war. Der Grundherr ftaunte über das Wunder, 
welches die Gnade in dem Gemüthe diefes Weibes bes 
wirkt hatte, welche uneingeden? des Todes ihres Sohnes 
feinen Mörder an Sohnes Statt angenommen. Daher 
ſprach er, als er ihre Seelengröße fah, mit echt römi- 
fhem Sinne: Deine milde GSefinnung, Weib, foll die 
Strenge des Gefeges und die Beftimmtheit unferer Aufträge 
beugen, und da bu fo hochherzig und tugendhaft gehan- 
delt haft, fo fchenfe ich dir den Sohn deiner Wahl, dem 
zwar der Schultheiß von Nechtöwegen den Tod zuer- 

10 ** 


236 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


faunt bat, dem aber meine Gnade bas Leben ferner 
ften will. 

Er ließ hierauf auch den Züngling felbft vorführen 
und erklärte ihm: Dein Vergehen würbe dem Urtheil 
des Schultheißen gemäß den Tod verdienen; doch der 
Edelmuth, womit dir diefe Witwe ihres Sohnes Mord 
vergilt, während bu ihr fo großen Anlaß gegeben batteft 
zu dem Wunfce, dich todt zu fehen, verdient, daß ich 
dich ihre lebendig überlaffe. Ich thue dies gern ihe zu 
Gefallen und damit fie die Frucht ihrer Großmuth ge- 
nieße. Bedenke du, wie fehr du ihr verpflichtet bift, 
und bezeuge dich immer gegen fie fo, wie ihre außer- 
ordentliche Güte verdient, wodurch fie fi um fo mehr 
erhaben über ihre Gefchlecht gezeigt hat, als die von bir 
erlittene Beleidigung fie nicht beftimmen Tonnte, dir 
gnädig zu fein. 

Der Züngling fagte dem Herrn den tiefften Dank 
dafür, daß er ihm das Leben gejchenkt, und verfprady 
ihm, fich immerdar fo aufzuführen, daß bie Witwe ebenfo 
wie er felbft Urſache haben, fortwährend mit ber von 
ihm geübten Dankbarkeit zufrieden zu fen. — Bon 
ihrem hochfinnigen Gebieter entlaffen gingen fie fofort 
nad Haufe, bereiteten dem Todten ein ſtattliches chren- 
volles Begräbnig und lebten in Eintracht zufammen. 
Nach einigen Jahren fühlte die Witwe das Ende ihres 
Lebens herannahen. Che fie ihren Geift aufgab, lies fie 
‚den Süngling rufen, welchem fie den Namen ihres ver» 
ftorbenen Sohnes beigelegt hatte, reichte ihm die Hand 
und ſprach: Scipione, ed ift nunmehr der legte Abfchnitt 
meines Lebenslaufs eingetreten; ich fühle mich dem Tode 
nahe, vor weichem ich als vor der der ganzen Menjchheit 
nothwendigen und allgemeinen Beſtimmung an fich felbft 
feine Scheu trage. Wohl aber ſchmerzt e8 mich, daß 
ih bei meinem Scheiden aus diefem Leben mich auch 
von dir trennen muß, mit dem ich fo gern einen viel 
längeren Zeitraum vereint geblieben wäre, als das Schickſal 


58. Die Witwe von Fondi. 227 


mir gonnt. Da es indeffen die Naturnothwendigkeit fo 
erheifcht und nicht anders zuläßt, fo will ih, Scipione, 
gleichwie ich mich im Leben dir als Liebreihe Mutter 
erwiefen habe, daß du mich auch als eine folche im Tode 
erkennt, und habe dich demgemaß in meinem Zeftamente 
sum Haupterben eingefegt. Ich bitte dich bei dem Wohl⸗ 
wollen, daß ich bir von dem Augenblicke an bethätigte, 
als ich dich wie meinen Sohn ‚empfing „ und bir feinen 
Namen beilegte, und bei der innigen lbereinftimmung, 
die zwifchen uns beftand, fo lange unfer gemeinfchaft- 
liches Leben dauerte, daß du mein Andenken immerbar 
lebendig in dir erhaͤltſt. Wofern ich dieſe Hoffnung mit 
mir nehmen kann, wird es mir, wiewol ich dich ver- 
laffen muß, doch nicht anders fein, als lebte ich noch 
bei dir. 

Scipione konnte nad) diefer Anrede die Thränen nicht 
zurückhalten und erwibderte: Mir ift e8 nicht minder fchmerz- 
haft, als euch, meine theuerfte Mutter, uns durch ben Tod 
von einander gefchieden zu fehen, und ich würbe mich über: 
glücklich ſchätzen, wenn ich dies durch irgend ein Mittel 
abzumenden müßte, ebenfo wie ich mich höchſt unglüdlich 
fühle, wenn ich fehe, daß es nicht in meiner Macht fteht. 
Da euch denn aber die verhängnißvolle Stunde fo bald 
ſchlagen foll, fo will ich doch in Gedanken unabläffıg bei 
eurem feligen Geifte im Himmel weilen, gleichwie ich 
euch gegenwärtig hier vor Augen ſtehe. Darum fürchtet 
nicht, daß euer Gedächtniß je in meinem Sinne erfterben 
werde, fo lange mein Leben währt, dem ich eine ewige 
Dauer wünfchen möchte, nur damit bad Andenken eures 
Namens ewig in mir lebe. 

Ich glaube, es wird gefchehen, erwiderte die Frau; 
fie ließ fi) von ihm die rechte Hand reichen, brüdte fie 
ihm feſt als Zeichen ber Treue, zog ihn zu einem feu- 
rigen Kuffe zu fi) heran und nahm dann von Ecipione 
den legten Abfchied. 

Mein Sohn, ſprach fie, die himmlifche Gnade Laffe 


2328 XxVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


es dir wohlergehen und ſegne Alles, was du hienieden 
thuſt; dies iſt mein inbrünſtiges Gebet. 

Nach dieſen Worten endete ſie ihr Leben zum groͤßten 
Leidweſen ihres Sohnes. Er ließ ſie ehrenvoll in ein 
Grab von weißem Marmor begraben und auf daſſelbe 
Verſe einhauen, welche die edle Milde der Frau und 
ſeine Trauer um ihren Tod ausführlich ausſprachen. 


59. Filippo Sala und ſein Herr. 


(6, 7.) 


Filippo Sala ein edler ferrariſcher Bürger war von 
Natur mit fhönem Äußern, ſehr einnehmendem Geſchick 
zur Unterhaltung, Rede und Verhandlung ausgeſtattet, 
und auch ſonſt war das Glück nicht karg mit ſeinen 
Gaben gegen ihn geweſen; denn durch Erbſchaften, welche 
ihm von ſeinem Vater, ſowie von andern Verwandten 
zufielen, erlangte er einen anſtaͤndigen Reichthum. Wenn 
nun dieſer Reichthum jedem andern haͤtte genügen können, 
der nicht über ſeine Kräfte hinausgeſtrebt, ſo gab er, 
obwol ein geborner Bürger, ſich doch das Anſehen eines 
großen Herrn und fing unbedachtſamer Weiſe an, große 
Summen in Spiel, Kleidern, Pferden, Jagden, auf die 
er fi zu Lande wie mit Falten gründlich verftand, zu 
verſchwenden, und dehnte feine Liebeshändel fo weit aus, 
bag er ın furzer Zeit Alles ausgegeben hatte, was er 
befaß, und in Armuth verfunten war. Er pflegte oft 
nach Venedig zu kommen, das einen Überfluß an leicht- 
fertigen für Geld erkäuflihen Frauen befigt; dort lebte 
er mit vielen von ihnen dußerft vertraut, er bezahlte 
und ſchenkte reichlich, als wäre er ein großer Fürft, fein 
Außeres war fehr einnehmend, er konnte fingen, fpiefte 


59. Filippo Sala und fein Herr. 229 


verfchiebene Inftrumente, beſonders die Laute, fehr ge- 
ſchickt, und erwarb ſich folche Beliebtheit bei derartigen 
Frauen, daß feine war, die nicht gewünfcht hätte, fich 
ihn zu ergeben, um feiner ritterlihen Freigebigkeit theil- 
baftig zu werden und ſich feiner Anmuth zu erfreuen. 
Da gefchah es, daß eine biefer Dirnen, bie in ihrem 
ſchändlichen Gewerbe eined großen Rufes genof, für 
Filippo fo heftig entbrannte, daß ihr gar nicht wohl 
war, als fo lange fie in feiner Gefellfhaft vermeilte, 
und auch er verliebte fich in ihre außerordentlihe Schön- 
heit dergeftalt, daß er auch, als er nicht mehr viel zu 
verfcehwenden hatte, nicht unterließ, fein Verlangen nach 
ihr zu befriedigen und durch Gefchente ihre Liebe zu 
nähren. Als es nun aber mit feinem Vermögen ganz 
zu Ende war, fchied er, ehe die Frau feinen Verluſt 
bemerkte, unter einem guten Vorwande von ihr, binter- 
lieg ihre jedoch eine Menge von Berfpreehungen und 
namentlich die, Daß er in wenigen Zagen mieder zu ihr 
zurüdtehren werde. Als er nach Ferrara fam und ihm 
nun nichts übrig geblieben war von feiner reichlichen Ver⸗ 
fchwendung, als der Verdruß, hielt er ſich ärmlich zu 
Haufe. Doc hatte er die ihm angeborene Eeelengröße 
keineswegs eingebüßt und er ertrug feine gedrückten Ver⸗ 
bhältniffe mit eben der hohen Gefinnung, womit er feine 
Reichthümer durchzubringen mußte, und trog dem, daß 
er Alles verloren hatte, glaubte er doch in feinen Ge- 
danken noch auf filbernen Gefäßen Faſanen, Rebhühner, 
Hafen und andere Lederbiffen zu verfpeifen, gleich als 
ob er fie in der That noch in fo reicher Menge, wie 
vordem befeffen hätte, da er fie zu bezahlen im Stande 
war. Ebenſo pflegte er es mit feiner Kleidung und 
andern Bebürfniffen des Lebens zu halten, an denen es 
ihm gebrach. Wie große Noth er aber auch litt und 
wie viele Edelleute ihm auch aus Mitleib mit feiner 
Armuth ihre Unterftügung anboten, fo wollte er doch 
durchaus nicht das Mindefte von ihnen annehmen, fon» 


- 230 XVIH. Giovanni Battiſta Siralbi Eintio. 


dern behauptete, er Tonne ebenſowol ihnen Geſchenke 
geben, als fie ihm. Es Lebt in Ferrara der Graf Paolo 
Goftabili, nicht weniger freigebig und edel gefinnt, als 
fih bei feinem großen Reichthum ſchickt; dieſer als ein 
Freund Eräftiger Menfchen fühlte fich von Filippo’s Feftig- 
teit, feiner Anmuth in der Unterhaltung, feiner Gefchid- 
lichkeit in Gefchäften- und andern feiner obengenannten 
Eigenfhaften, welche jedem großen Fürſten theuer fein 
müffen, fo angezogen, daß er ihn ind Haus nahm, nicht 
als Diener, fondern als lieben Freund, und alle feine 
Bedürfniffe mit freigebigfter Hand befriedigte, fobaß er 
fagen Eonnte, er babe in biefem edeln Haufe, was er 
wünfche. — Derweil nun Filippo’s Schilfal diefe Wen- 
dung genommen hatte, erwartete bie obenerwähnte Buh⸗ 
lerin in Venedig fehnfüchtig feine ihr zugefagte Rückkehr; 
und da fie Monate ja vielleicht Jahre verftreichen fah, 
ohne daß er zu ihr kam, fürchtete fie von ihm vergeffen 
und verfchmäht zu fein, und da fie weder Brief noch 
Borfchaft von ihm erhielt, befchloß fie, getrieben vom 
fharfen Stachel ber Liebe, welche Filippo's Liebens⸗ 
würbigkeit und ritterlich freigebiges Weſen in ihr ent- 
zündet hatte, nach vielem Beſinnen, nad Ferrara zu 
geben, um ihn aufsufuchen, denn fie meinte, er fige in 
demfelben Reichtum, mo er reichlich fpenden und geben 
könne, wie er es in Denebig feiner Zeit geübt habe. 
Sie ſchickte alfo einen Diener nach Ferrara voraus, um 
eine Wohnung auf einige Tage zu miethen; dann lief 
fie eine Barke für ſich zurecht machen, beftieg fie in 
Gefellfehaft ihrer Dienerinnen und fuhr nach Ferrara ab. 
Als fie ſich bei ihrer Ankunft nach einem Heren Filippo 
Sala erkundigte, fand fie keine Spur von ihm auf, 
weil die Armuth, worin er verfunlen war, feinen Ramen 
faft in gänzliche Vergeffenheit begraben hatte; außerdem 
ließ er fih in Venedig Herr Filippo nennen, während 
er in Ferrara nur unter dem Namen $ilippino oder 
Dhilippchen bekannte war und ihm niemand ben Titel 


59. Filippo Sala und fein Herr. 23 


Here gab, den er fich durch feine Freigebigfeit in Venedig 
erworben hatte. — Die Frau bereute nun faft, die Reife 
unternommen zu haben um feinetwillen. Während fie 
nun fo darüber nachdachte, erblidte fie zufällig einen ber 
Gefährten Filippo’s, der In Venedig gleichfalls ihre Be⸗ 
kanntſchaft gemacht hatte. Sie rief ihn zu fich und fragte 
nady Heren Filippo. Er kannte feine Verhältniffe genau, 
antwortete ihr aber vorfichtig, er habe ihn ſchon geraume 
Zeit nicht gefehen, weil er in bedeutenden Gefchäften feines 
Herrn zu thun gehabt habe, halte aber dafür, daß es ihm 
wohlergehe. Auf diefen Beſcheid konnte die Frau noch in 
der Hoffnung beharren, ihn in guten Umftänden wieder⸗ 
zufinden und mit ihrem Beſuche in Ferrara ihm nicht 
ungelegen zu kommen. 

Seid doch ſo gut, ſagte ſie, zu ihm zu gehen und 
ihm zu ſagen, ich ſei, von meiner großen Liebe zu ihm 
angetrieben, nach Ferrara gekommen, um ihn zu ſehen, 
und veranlaft ihn mich zu befuchen! Ihr könntet mir 
feinen größeren Gefallen und Freundlichkeit erzeigen, als 
damit. 

Filippo's Freund antwortete ihr, ſobald er ihn ſehe, 
wolle er mit Vergnügen ſich dieſes Auftrages entledigen. 
Er nahm von ihr Abſchied und begab ſich ſogleich zu 
Filippo, um es ihm zu melden. 

Du weißt woi nicht, ſagte er, daß die wohl Bekannte 
nach Ferrara gekommen iſt und dich eifrig aufſucht. Ich 
fürchte, ſie erlangt am Ende Kunde von deinen jetzigen 
Umſtänden und geht unzufrieden mit dir und mit den 
geringen Ehren, in denen du ſtehſt, nach Venedig zurück, 
und während du dort ſeither für einen großen Herrn 
gegolten, gibt man dir am Ende einen von dem jetzt 
erworbenen fehr verfchiedenen Namen. 

Diefe Worte gingen Filippo durchs Herz und er 
fragte feinen Freund, wie er zu diefer Nachricht gekom⸗ 
men fei. Der Freund erzählte alles, was zwiſchen ihm 
und der Burtifane befprochen worden fei und was er zu ı 


232 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


feinen Gunſten gefagt habe, und Filippo bankte ihm 
vielmals, fo behutfam gegen fie fich ausgebrüdt zu haben, 
ward aber ganz betrübt und niedergefchlagen, als er nach 
diefem Gefpräche bebachte, wie er doch auf feine Weiſe 
auch niche im Geringften im Stande fei, dem Rufe zu 
genügen, den er fich in Venedig erworben und in dem 
ihn jener neuerdings gegen die Frau beftätigt Hatte. Der 
Straf, der gewohnt gewefen war, ihn heiter und aufge 
räumt zu fehen und nun mit Einem Male biefe unend- 
liche Schwermuth an ihm entdedte, ber zufolge Scherz 
und Spaß und alle gute Laune und Heiterkeit von ihm 
gewichen und vertrieben war, fagte zu ihm: Was haft 
du, Filippo? Was wandelt dich fo plöglih an, das 
dich fo außer bir felbft bringt und dich fo ganz anders 
erfcheinen läßt, als du warſt? Wo ift deine Munterfeit 
und bein fröhliches Wefen bin? 

Filippo fannte zwar ben Grafen als einen freigebigen 
großmüthigen Herrn; «8 fehien ihm jedoch unmäßig viel 
‚dazu zu gehören, der hohen Meinung, welche jenes Weib 

in Venedig von ihm gefaßt hatte, zu genügen, fodaß er 
nicht wagte, feinem Befchüger die Urfache feiner Betrübniß 
zu entdeden. 

Graf, antwortete er daher, der Grund bes mid) be- 
drüdenden Kummers liegt allzu tief, und dba ich weiß, 
wenn ich ihn -ausfpräche, würdet ihr um meinetwillen 
betrübt werden, fo ſchweige ih, um euch nicht zu belä- 
fligen, und ertrage ein Übel, dem nicht abzuhelfen ift, 
für mid allein. 

Hierauf ſprach der Graf mit fehr wohlmollendem Ge- 
fihte: Ei, Filippo, fo lange wir noch leben und athmen, 
gibt es in allen Dingen Rath und Hilfe. Berbirg mir 
die Urfache deiner Schwermuth nicht! . Vielleicht ift das, 
was du als fo unrettbar aufgibft, doch nicht fo ganz 
verloren, wie du glaubft, und du ſiehſt wol deine hoff- 
nungslofe Niedergefchlagenheit noch in völlige Genüge über- 
gehen. Gage es mir, ich bitte dich. Wenn es Etwas ift, 


59. Filippo Gala und fein Herr. 233 


worin ih dir mit Allem, mas mir zu Gebote ſteht, helfen 
Tann, fo follft du mich fo bereit finden, es zu thun, als 
wenn e8 für mich felber wäre. 

Diefe Worte erwedkten in Filippo große Hoffnungen, 
er Tonne au in feiner Armuth die ſchöne Venezianerin 

glauben machen, der Titel Herr gebühre ihm in Ferrara 
gut, als er ihn in Venedig erworben hatte. 

Herr Graf, ſagte er daher zu dem Grafen, waͤhrend 
mir das Schickſal noch laͤchelte, liebte ich in Venedig eine 
ſehr ſchöne feine Curtiſane und zu meinem Glück oder 
Unglück entbrannte auch ſie in ſolcher Leidenſchaft gegen 
mich, daß ſie alle andern verſchmaͤhend, welchen ſie vorher 
gefällig geweſen war, ihr ganzes Sinnen und Trachten 
ausſchließlich auf mich allein richtete und daß ich der 
Beſitzer dieſer ſeltenen Schönheit wurde, die jeden mit 
Bewunderung erfüllte, für alle die zu grenzenloſem Neide, 
die ſich früher von ihr für beſonders begünſtigt erachteten. 
Dieſe Liebſchaft hielt aus, ſo lange als mein Beutel, 
nicht etwa, als ob ſie mich nun weniger hochgefchägt 
hätte, fondern weil ich mich in ber Unmoglichkeit ſah, 
längere Zeit auf demſelben Fuße, wie ſeither, mit ihr 
zu leben. Ich hielt es demnach für gerathener, mich 
von ihr zu entfernen, und ſie in der von mir gefaßten 
Meinung‘ zu laſſen, als länger bei ihr zu bleiben, das 
Anfehen zu verlieren, das ich bei ihr gewonnen, und 
am Ende unter großer Schmacd ben andern zum Ge- 
lächter zu werden, bie fie um meinetwillen verlaffen hatte. 
Ich feste daher Verfprehungen an die Stelle, mo ich 
mit Thaten nicht ausreichte, fchügte ein unvorhergefehenes 
wichtiges Ereigniß vor, das mich nach Ferrara zurückrufe, 
und trennte mich von ihr. Die Augen flanden ihr voll 
Thränen, als ich von ihr Abfchied nahm, und als fie 
mich das legte mal umarmte, bat fie mich, unfere baldige 
Wiedervereinigung nicht zu verzögern. ch ging nur mit 
dem innigften Misvergnügen von ihr fort, und wenn ich 
außer dem vergeubdeten noch weiteres Vermögen gehabt 


334 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


hatte, fo ſchwoͤre ih euch bei meiner Ehre, ich würbe 
es zu Gelb, gemacht haben und Hingegangen fein, 

fie noch ferner zu genießen. Aber mein Schidfal Wolke, 
daß ich ſchon meinen legten Heller mit ihr durchgebracht 
hatte. Ich meinte nun längft von ihr vergefien zu fein 
und fie benfe nicht mehr an mich, ſiehe da kommt fie 
nah Ferrara und fpürt mir eifrig nah. Nun fürchte 
ich fehr, fie möge mich finden und für ben armgemor- 
denen Edelmann erkennen, ber ih bin, wenigftend der 
That, ob auch nicht bem Geifte nach, und das erregt 
mir unendliches Leidweſen; denn ich ſehe klar, daß der 
Ruf, den mic mein früheres Leben bis hierher erhalten 
bat, mir nunmehr von meinem jegigen ganz entriffen 
wird, und meine Armuth ſelbſt die ich ſtets muthvoll 
ertragen habe, iſt mie nie ſo laͤſtig geweſen, als jetzt, 
wo ich mir die Mittel fehlen ſehe, dieſe nach meinem 
Wunſche und nach dem Berdienſte ihrer Handlungsweiſe 
zu ehren, indem ſie herkommt, mich aufzuſuchen. 

Der Graf, deſſen Sinn nicht dahin ging, Schaͤtze 
aufzuhaͤufen, wie Diejenigen zu thun pflegen, bie ihren 
Reichthum nicht befigen, ſondern vielmehr von ihm wie 
Sklaven in der Weiſe befeflen werden, baß fie Teinen 
Heller für ſich ſelbft, geſchweige denn für andere auszu- 
geben wagen, fagte, als er bie ihm von Filippo erzählte 
Geſchichte vernommen hatte: Wie nun, Filippo, haft du 
fo wenig Vertrauen zu mir, daß bu nicht glaubft, ich 
werde bir das Unrecht vergüten, das bir dein fchlimmes 
Geſchick anthut? Sei gutes Muth, denn es ift mein 
Wille, daß, wenn dich diefes Weib in Venedig für einen 
Herrn gehalten hat, fie dich in Ferrara für einen König 
halten ſoll. Die Meinigen find, wie bu weißt, in Vice 
novo und ich bin hier mit acht oder zehn Dienern, Pferden, 
Magen und allen Dingen, bie nur irgend von Nöthen 
fein würden, irgend einer großen Dame die fehuldigen 
Ehren anzuthun. Mein Haus fommt allem, mas barin 
ift, fei- für zehn Tage dein! Hole beine Geliebte mit 


59. Filippo Gala und fein Herr. 355 


meinem Hofwagen zu bie ab. Sch Laffe die alle diefe 
Diener auf diefe Zeit zu Befehl und gehe die wenigen 
Tage aufs Land. Du magft indeffen in meinem Haufe 
gebahren, wie bu von mir vorausfegen würdeſt, daß ich 
thäte, um ein zärtlich geliebtes Weib ehrenvoll darin zu 
empfangen. 

Filippo fühlte fi) durch die Worte des Grafen voll- 
fommen getröftet, ſchämte ſich jedoch, zuzugeben, daß der 
Graf fein Haus verlaffe und ihm ganz einräume, und 
on fo ganz über das Haus und was barin war ſchalten 
affe. 


€ 

Eure Gefälligkeit gegen mich, fagte er zu dem Grafen, 
iſt mir zwar theuer und ich konnte von eurer Grofmuth 
nichts anderes erwarten; aber da ich nicht durch An⸗ 
nahme eured mir gütigft gemachten Anerbietens, während . 
ih meine Achtung vor andern zu erhalten fuche, nicht 
mich euch gegenüber in ein nachtheiliges Licht fegen möchte, 
kann ic) diefes Erbieten nicht in feinem ganzen Umfange 
annehmen. Es genügt mir, mit einer oder zwei- Abend- 
mahlzeiten diefe meine Geliebte ehrenvoll zu empfangen 
und fie anfländig auszuftatten, um nach Venedig zurüd. 
. zufehren; das Weitere will ich mit Worten abmachen 
und bin gewiß, fie wird zufrieden mwegreifen. 

Der Graf, beffen Großmuth den Umfang feiner Reich- 
thümer noch überfteigt, ließ ſich durch —28 — Worte 
nicht von ſeinem Plane abbringen. 

Filippo, ſagte er, wenn du auch, wie du mir geſagt 
haſt, zufrieden mwäreft, fo wäre doch ich noch nicht zu⸗ 
frieden, da ich fonft nicht das Bewußtſein hätte, für 
einen Freund Alles gethan zu haben, was ich in ähn- 
lichem Kalle um meinetwillen thäte. Darum bleibe es 
dabei, und wenn es dir zu viel fcheint für deine Be⸗ 
fheidenheit, fo fcheint es mie noch viel zu wenig für bag, - 
was ich einem Freunde wie bu zu thun verpflichtet Bin. 

Nachdem er dies gefprochen, rief er alle feine Diener 
vor ſich und fagte zu ihnen: Ich laffe in meinem Palafte 


256 XVII. Giovanni Battifta Siraldi Eintio. 


auf zehn Tage Filippo als unumfchränkten Gebieter über 
das Haus und Alles, was barin ift, zurüd, und es ift 
mein Wille, daß ihre ihm gehorchet und dienet, nicht an« 
ders, als wenn ich es felbft wäre. In biefer Zeit fagt 
ihr ber Frau, welche er hierher bringt, das Haus und 
was darinnen ift, gehöre Filippo; und wer von euch hierin 
mir zuwider handelt, bat meine Ungnade zu gewärtigen. 

Dann fafte er Filippo's Hand. 

Du wirft, fagte er zu ihm, ihnen befehlen, was bir 
erforderlich fcheint, um dieſe beine Frau bier in Ferrara 
zu ehren und fie nach Venedig zurüdyubringen, fo ehren- 
voll, als dir zweckmaͤßig ſcheint; und diefe meine Leute 
follen deinen Befehlen aufs Bereitwilligfte gehorchen, wie 
wenn ich felbft die Befehle ertheilte, 

Filippo wollte durchaus fo viel nicht annehmen, aber 
der Graf geftattete Feine fernere Widerrede, lieb ihn im 
Defig von Allem und begab ſich auf das Land. Filippo 
zog nun bie vornehmften Kleider an, die ber Graf befaß, 
beftieg das fchönfte Neitpferb mit reichem Geſchirr und 
ſuchte mit vier Reitknechten feine Geliebte auf, melde 
ihm, als fie ihn erblidte, mit offenen Armen entgegen- 
eilte. 

Ad, Herr Filippo, rief fie, wie habt ihr es fo lange 
Tonnen anftehen Tafien, ohne mich zu befuhen! Euer 
langes Ausbleiben bat mic auf die Vermuthung gebracht, 
ihr Tiebet mich nicht mehr. Fürwahr, wenn ihr das Feuer 
ber Liebe fo fehr gefühlt hättet, wie ich es fühle, fo hättet 
ihr gegenüber von mir das gethan, was ihr feht, daß ich 
gegenüber von euch getban habe. Ich konnte die Be- 
drängnig bes Wartens nicht länger mehr aushalten unb 
babe mich genöthigt gefehen, euch endlich aufzufuchen, 
während doch eure unbeftreitbare Schulbigkeit war, daß 
ihr eurem DVerfprechen gemäß, zu mir famet. 

Laſſen wir, fagte Filippo, die Beſchwerden beifeit, 
liebes Herz, und denken nunmehr an bie Freude, da ihr 
jegt bier ſeid. 


% 


59. Filippo Sala und fein Herr. 237 


Er brachte fodann diefelbe Ausrede vor, bie ſchon 
fein Freund gegen fie geäußert hatte. 

Nur das eine, fagte er, will ich zu meiner Ent 
fhuldigung anführen, daß ich im Dienfte meines Herrn 
in fehr wichtigen Angelegenheiten befchäftigt war; er hält 
mich fortwährend in Arbeit und läßt mich faum Athem 
fchöpfen. Wenn ich aber auch nicht nad) Venedig ge⸗ 
fommen bin, fo ift doch mein Herz immer bei euch ge⸗ 
wefen und ich habe fortwährend gemünfcht, ed möge fich 
mir eine Gelegenheit bieten, wo ich mit dem Wohlnehmen 
meines Fürften abtommen könnte, um euch aufzufuchen. 
Da ich aber dies nicht thun konnte, bin ich euch um fo 
dankbarer für die mir bethärigte Liebe, indem ihr mid) 
bier aufjuchte. So angenehm mir aber auch dies ift, 
fo kann ich dennoch nicht umhin, mich deshalb fehr über 
“euch zu beſchweren, daß ihr bei eurer Ankunft in Ferrara 
in eine Mietbwohnung gezogen feid, ftatt bei mir felbit 
in meinem Palaſte abzufteigen. Ich komme aber eudy 
aufzufuchen, fobald ich von eurem Hierfein vernommen, 
um euch abzuholen aus diefem Haufe und in das eurige 
zu bringen, denn der Palaft, in welchem ich wohne, foll 
ebenfo gut der eure fein, wie er mir gehört. 

Damit wandte er ſich zu einem der Diener und fagte: 
Geh fehnell und Taf meinem Wagen rüften und herbringen, 
daß wir Madonna in den Palaft führen. 

Während der Diener hineilte, blieb Filippo bei ber 
"Frau in fügen Gefprächen, bis der Wagen fam. Als 
dies gefchah, flieg fie mie ihren Frauen hinein und fuhr 
begleitet von Filippo in den Palafl. Als fie diefen ſah, 
ber vielleicht feines Gleichen nicht in der Stadt hat, denn 
er fieht eher wie das Schloß eines großen Fürften aus, 
ald wie das eines Edelmanns, als fie in die Gemächer 
trat und alle mit den reichften Tüchern behangen und 
mit reichen und fehr fchönen Betten außdgeftattet fah, 
bachte fie, der habe wol mit Recht in Venedig ben Titel 
Herr geführt, Wenn nun bie Eſſensſtunde Fam, fo fland 


28 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


immer Morgens und Abends ber Tiſch voll ber beften 
Speifen und köſtlichſten Weine, es waren Diener umber, 
welche alle ein fo anftändiges Ausfehen hatten, daß fie 
lauter Herren fhienen. Dies Alles fegte fie in Erſtaunen. 
Auf folhe Weife ging es ſechs Tage fort. Endlich be» 
gehrte fie nach Venedig zurüdzufehren und fagte eines 
Abende nach dem Effen: Herr Filippo, ich bin lange 
von Haufe meggewefen; mit der Zeit, mo ih euch ge 
fucht Habe, mit ber, in weicher ich bei euch geweſen bin 
und mich bier aufgehalten babe, find zwölf Tage hinge⸗ 
gangen. Nachdem ich euch nun aber gefehen und zu 
meiner großen Freude einige Tage euren Umgang ge- 
noffen babe, will ich mit eurer Vergünftigung nad Be 
nedig zurückkehren; nicht als ob ich nicht wünfchte, mit 
euch mein ganzes Leben binzubringen, fonbern meil, wie 
euch die Angelegenheiten eures Fürften vollauf befchäftigen, 
fo auch meiner in Venedig Gefchäfte von nicht geringem 
Belange warten und mid dahin abrufen, da fie fonft 
einen ganz fhlimmen Bang nehmen möchten, wenn ich 
nicht dabei märe. 

Zilippo wollte nun die ganze Vollmacht ausüben, 
welche die Großmuth des Grafen ihm geftattet hatte. 

Liebe Seele, fagte er, es fcheint, ihr feid fo lange 
bei mir gewefen, daß es euch genügt, und mir ift es, 
ale wäret ihr erft geftern Abend bierhergefommen. &o 
wünſche ich denn, daß ihre wenigftens noch zehn Tage 
bei mir bleibet. 

Er fagte dies, weil er ſchon die Eile fah, womit die 
Frau fih zur Abreife rüftete und baher fiher war, daß 
fie einen fo langen Auffchub nicht annehmen würde. Er 
täufchte fich auch in diefem Gedanken nicht, denn fie fagte: 
Ich wünfchte ganz und auf immer hier bleiben zu können, 
wie ich euch ſchon fagte, aber die Verhäftmiffe zwingen 
mich wider meinen Willen zurückzukehren. Daram bitte 
ich euch, zufrieden zu fein und mich zu entlaffen. 

Silippo fpielte darüber den Berbrießlichen. 


59. Filippo Sala. und fein Herr. 280 


Ich werde glauben müſſen, ſagte er, daß ihr mich 
nicht im Ernſte liebt, wenn ihr euch nicht noch zehn 
Tage bei mir aufhalten mögt. 

Ich kann nicht, mein Herr, meiner Treu ich kann 
nicht, antwortete ſie; wenn ich ſo lange wegbleibe, ſo 
bin ich ſicher, daß alle meine Angelegenheiten in Venedig 
ſchief gingen. Ich weiß aber, daß ihr meinen Schaden 
nicht begehrt. | 

Keineswegs, antwortete er; und wenn ihr nicht noch 
zehn Tage bleiben wollt, fo bleibt wenigftens ſechs! 

Sie behauptete von neuem, es fei ihr unmöglich, 
und fo brachte er fie dahin, noch bie vier Tage zu 
bleiben, mit welchen fein Regiment ablief. So ging 
denn bie Lebensweife und die Bedienung in berfelben 
Ordnung und Überfülle fort, daß fie Filippo für nichts 
anderes, ald einen großen Herrn halten mußte. — Am 
Morgen ded zehnten Tages kam der Graf zurüd nad 
Ferrara, ließ Filippo zu fih rufen und ſprach: Nun, 
Filippo, wie ift die Sache abgelaufen? Haft du beiner 
Geliebten Ehre erwielen ? 

Fa, gnädiger Herr, antwortete er, Dank eurer Güte, 
und ich wollte ich hätte taufend Zungen und eine Stimme 
von Stahl um euch vollftändig und anhaltend danken zu 
können für fo große Gefälligfeit, für welche ich euch immer 
unendlich verbunden fein werde, fo lange ich lebe. 

Der Graf verfegte: Ich weiß nicht, ob du nicht viel⸗ 
leicht noch länger im Befige des Meinigen zu bleiben 
wünfcheft; fage mir's, du wirft feine Fehlbitte then. 

Nur zu lange, Herr Graf, habt ihr mid barin ge 
laffen, antwortete er, und ed war nahezu eine Unzart⸗ 
beit, daß ich geftattete, daß ihr fo lange aus eurem Haufe 
wegbliebet, um mich, ber ich euer Diener bin, eure Stelle 
darin einnehmen zu laffen. Überdies will bie Frau morgen 
früh ohnfehlbar nach Venedig zurückreiſen und ich habe 
ſie nur mit Mühe bis heute aufgehalten. 

Da ſie nun weggehen will, ſagte der Graf, möchteſt 


240 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


du ihre nicht gerne ein Geſchenk machen, damit fie dich 
im Andenken behalte? 

Menn ih nur fo viel hätte, Graf, fügte Filippo bei, 
als ich ihre zu geben wünſchte. Da ich aber fonft nichts 
babe, fo werde ich fie mit Verſprechungen befriedigen, 
fo gut ich kann. 

Ich wünſche aber, fagte der Graf, daß du fie mit 
einem Geſchenke entlaffeft, das der ihr gethanen Kund- 
gebung entſpricht. Darum nimm diefen Ring und ſchenke 
ihre ihn! 

Bei biefen Worten gab er ihm einen Foftbaren Dia- 
mant. Filippo wollte ihn durchaus nicht annehmen in 
der Überzeugung, daß ber Graf bis hierher nur allzuviel 
gethan habe und daß er ihm nicht noch weiter befehweren 
dürfe. Aber er war genöthigt, ihn boch anzunehmen, 
was denn feine Heiterkeit verdoppelte. Hierauf wollte ber 
Graf aud mit ibm nach Haufe gehen, um zu fehen, ob 
ber Ruhm der Schönheit, den Filippo der Frau zuerkannt, 
in ber That der Art fei, wie er geſchildert. Er trat in 
den Palaft, und Filippo that, als wäre es ein ihm be- 
freundeter Edelmann, ber ihn befuche. Er zeigte ihm 
die Frau und ließ fie ihm die Hand reihen. Da gedachte 
der Graf, Filippo habe noch wenig gefagt im Verhältniß 
zu dem, wie er es gefunden hatte, und konnte fich nicht 
fatt an ihre fehen. Filippo wußte, daß der Graf ein 
großer Verehrer von ſchönen Frauen war und keine Aus- 
gabe fcheute, um den Befig einer jeden zu erwerben, 
die ihm wünſchenswerth fchien. Er ftellte fi) daher vor, 
der Graf babe fich auch in dieſe Frau verliebt, und fagte 
zu ibm: Graf, fie ift weder meine Zochter, noch meine 
Frau, noch meine Schweiter, fondern ein Weib, das 
zwar nicht jedermann angehört, aber doch gegen vornehme 
Herten, bie nad ihr traten, nicht farg if. Da mir 
nun vorkommt, ihre Schönheit habe Eindrud auf euch 
gemacht, fo geftattet mir, wenn es euch recht ift, daß ich 
euch bei ihr Iafje; und damit ihr ungeflört mit ihr ſeid, 


Ä 


59. Filippo Sala und fein Herr. 241 


will ich mich von Haufe entfernen und ihr anbeuten, 
daß ich nichts dawider habe, wenn fie zu euch ‚halt, 
nicht als wollte ich auf biefe Weiſe eure Großmuth 
vergelten, welcher ich nicht im Geringſten es gleichthun 
koͤnnte, und wenn ich mein Leben für euch ließe, ſon⸗ 
dern ich möchte nur nicht für einen niedrigen Menſchen 
gelten und euch das verweigern, was ich ohne allen 
Nachtheil für mich euch zu eurer Genugthuung gewähren 
ann. 

Der Graf, der zu anderer Zeit und unter andern 
Umftänden den ihm angebotenen Befig der ſchönen Vene⸗ 
zianerin nicht nur mit Freuden angenommen, fondern 
felbft gerne um den höchſten Preis erkauft hätte, mollte 
doch nicht durch eine thörichte Luſt die Handlung der 
Edelmuth befledien, die er im Dienfte feines Freundes ' 
geübt hatte. Er fagte daher: Filippo, beine Geliebte ift 
weit fchöner, als du mir gefagt haft, und die Luft konnte 
mich wol bahin bringen, auf deinen Vorſchlag einzugehen. 
Behüte aber der Himmel, daß mic, ein lofes Feuer dazu 
verführe. Ich habe fie zur Genüge genofien, indem ich 
deiner LKeidenfchaft zu ihre Vorſchub leiftete, und wie du 
fie hierher gebracht haft als die deinige, fo führe fie auch 
als folche von binnen. 

Ohne weiter ein Wort hinzuzufügen, ging er aus 
feinem Haufe fort und ließ Filippo in Freiheit, alle nö⸗ 
thigen Vorkehrungen zur Abreife feiner Schönen zu treffen. 
Er brachte fie reichlich mit Lebensmitteln verfehen in ehren⸗ 
vollfter Begleitung zu Schiffe und gab ihr, als er mit 
ihr die Barke beftiegen hatte, den fchönen Ring, den ihm 
der Graf gefchentt, mit den Worten: Nehmt dies umd 
behaltet es zum Andenken an euren Filippo. 

Dann verabfchiedete er ſich zum legten Mal von ihr 
und verließ fie Außerft befriedigt mit ihm. AB in ber 
Folge öffentlich verlautete, was der Graf für feinen 
Freund gethan hatte, erachtete ihn jedermann für den 
alfervollfommenften Edelmann feines Landes, zählte ihn 

Italiänifcher Novellenſchatz. II. il 


243 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Cintio. 


unter bie wenigen, bie ihren Reichtbum dann wahrhaft 
zu befigen glauben, wenn fie ihn freigebig im Dienfte 
ihrer Freunde und Diener verwenden, und man wünfchte 
nur, daß in der Stadt unter den reichen Edelleuten viele, 
welche ihm glichen, gefunden würden. 


60. Ma für Map. 


(8, 5.) 


As Kaiſer Maximilian der große, dieſer feltene 
Spiegel ber Ritterlichkeit, Großmuth und hoher Gerech⸗ 
tigkeit, das römifche Reich mit fo vielem Glücke ber 
berefchte, fchicte er feine Diener aus, um die Provinzen 
zu verwalten, welche unter feinem Scepter blühten. So 
trug er unter andern die Statthalterfchaft über Inspruck 
dem Juriſte auf, einem Wanne, der fein Vertrauen und 
- feine Liebe befaß. Che diefer dahin abging, ſprach der 
Kaifer zu ihm: Juriſte, ich habe, feit du in meinen 
Dienften ſtehſt, eine fo günftige Meinung von dir ge 
faßt, daß ich befchloffen Habe, dir die Verwaltung einer 
fo edeln Stadt wie Insptud zu übertragen. Über ihre 
Verweſung hätte ich dir vielerlei Dinge anzuempfehlen, 
ih faffe aber alled in die eine Anmweifung zuſammen, 
daß bu bie Gerechtigkeit unverleglih handhaben mögeft, 
foßlteft du auch gegen mich felber, der ich dein Herr bin, 
zw entfcheiben haben. Wiſſe nämlich, daß ich Dir alle 
andern Fehltritte, die du aus Unkenntniß oder auch aus 
Nacläffigkeit begehen könnteſt (obgleich es mein Wille ift, 
daß bu auch diefe nach allen Kräften vermeideft), vergeben 
koͤnnte, aber für ein Vergehen wider die Gerechtigkeit 
würbeft bu niemals bei mir Vergebung finden. Fuͤhlſt 
du nun vielleicht, daß du nicht alfo biſt, wie ich dich 





60. Map für Maß. ' 243 


wünfche, denn ein Menſch ift nicht zu allem gut, fo 
enthalte dich, biefe Würde anzunehmen, und bleib lieber 
bier am Hof in beinen gewohnten Befchäftigungen, in 
denen du mir werth bift, denn indem ich dich zum Statt⸗ 
halter dieſer Stadt mache, babe ich Dir eine Gnade er 
wiefen, die ich nur mit großem Widerwillen und aus 
Rechtsgefühl dann zurücknehmen müßte, wenn bi bie 
Gerechtigkeit verlegteft. | | 
| ‚Hier ſchwieg der Kaifer fill, und Juriſte, der fih 
viel weniger felbft Tannte, als über das ihm zuertheilte 
Amt erfreut war, dankte feinem Gebieter für fein huld⸗ 
reiches Andenken und fagte zu ihm, er fühle fi, zwar 
fhon duch fich felbft zur Ausübung der Gerechtigkeit 
angetrieben, er werde fie aber nun um fo firenger beob» 
achten, da feine Worte ihm als Fackel dienen müffen, 
die ihm auf dem Wege der Erfüllung feiner Pflichten 
vorleuchte. Er wolle fih Mühe geben, fein Amt fo zu 
verwalten, daß feine Majeftät nur Veranlaffung haben 
werde, ihn zu loben. Der Kaifer nahm Juriſte's Worte 
vohlgefällig auf und fagte: Gewiß werde ich nur Urfache 
haben, dich zu loben, wenn deine Handlungen fo gut 
ausfallen, als deine Worte. 
Er ließ ihm darauf den ſchon ausgefertigten Beftal- 
Iungsbrief einhändigen und entließ ihn nach feinem Be⸗ 
fimmungsort. Juriſte begann die Stabt mit Umficht 
und Eifer zu beberrfchen, ließ es fich fehe wichtig und 
angelegen fein, überall die Wage gerade zu halten, 
ebenfowol in ben Gerichten als bei Bertheilung von 
Amtern, in Belohnung der Tugend und Beftrafung bes 
Laſters. Und lange Zeit gewann er durch ſolche Mäfi- 
gung bie größte Gunſt feines Herrn und erwarb fich 
die Liebe des ganzen Volkes, ſodaß er in der That wäre 
glüdlich zu preifen gewefen, wenn er feine Amtsführung 
auf diefe Weiſe fortgefegt hätte. Da geſchah es jeboch, 
daß ein Züngling Namens Vico einer jungen Bürgerin 
aus Insprud Gewalt anthat und deshalb bei Juriſte 
11* 


244 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


angeflagt wurde. Diefer ließ ihn ˖alsbald feſtnehmen, 
brachte ihn zum Geftändnif, daß er die Jungfrau ger 
nothzuchtige habe, und verurtbeilte ihn nad dem Gefeg 
jener Stadt, welches dahin lautet, daß einem Schuldigen 
dieſer Urt der Kopf abzufchlagen fei, felbft wenn er ge- 
neigt wäre, bie Entehrte zu heirathen. Der Jüngling 
hatte eine Schwefter, eine Jungfrau von nicht über acht« 
sehn Jahren, die mit einer ungemeinen Schönheit aus- 
geftattet war und in ihrer Mebe wie in ihrem ganzen 
Auftreten einen füßen Liebreiz fund gab, den ihre jung» 
fräuliche Reinheit noch erhöhte. Epitia, fo mar ihr Name, 
wurde von dem bitterften Schmerze durchdrungen, als fie 
das Todesurtheil ihres Bruders vernahm, und befchloß, 
fie wolle fehen, ob fie wo nicht den Bruder freimachen, 
fo doch feine Strafe mildern könne. Sie hatte zugleich 
mit ihrem Bruder den Unterricht eines alten Mannes 
genofien, den ihr Vater ind Haus genommen hatte, um 
fie beide in der Philofophie zu untermeifen, von welcher 
freilich ihe Bruder einen guten Gebrauch gemacht hatte. 
Sie ging alfo zw Juriſte und bat ihn Erbarmen mit 
ihrem Bruder zu haben, wegen feines zarten Alters 
(denn er war noch nicht über fechzehn Jahre alt), das 
ihn entfchuldbar mache, wegen feiner geringen Erfahrung 
und wegen des heftigen Triebes, womit die Liebe ihn 
aufgeftachelt. Sie fegte ihm auseinander, wie es die 
Anſicht der größten Weiſen fei, daß der Ehebruch, ber 
aus Drang ber Leidenfchaft begangen werde und nicht 
darum, um den Gatten der Frau zu beichimpfen, gerin- 
gere Strafe verdiene, als wenn man ihn aus beleibi- 
ender Abficht verübe; daffelbe gelte von dem Kalle ihres 
Bruders, welcher nicht um zu befchimpfen, fondern von 
glühender Liebe gedrängt, das getban habe, um beöwillen 
er verurtheilt worden fei; überdies wolle er ja fein Ver⸗ 
gehen im Wefentlihen dadurch wieder gut machen, daß 
er das Mädchen zu heirathen geneigt fei; wenn aud) 
Das Geſetz vorfchreibe, daß dies Jungfernſchaͤndern nichts 


6%. Maß für Maß. | 245 


helfen folle, fo koͤnne ja er als ein Huger Mann diefe 
Strenge mildern, welche eher ein Unrecht als Gerechtig- 
£eit in fich fchließe, denn er fei ja vermöge der vom 
Kaifer ihm übertragenen Gewalt das lebendige Gefeg, 
und fie ſei der Anficht, daß feine Majeftät ihm folche 
Gewalt dazu verliehen habe, daß er fich bei aller Unparteis 
lichkeit lieber gnädig als hart erweife; und wenn je in 
einem Kalle Milde anwendbar fei, fo fei dies bei Der- 
gehen der Liebe, vorzüglich dann, wenn bie Ehre der 
Geſchwächten gerettet werde, wie dies hier bei ihrem 
Bruder der Fall fei, welcher volllommen bereit fei, fie 
zur Frau zu nehmen; fie glaube, jenes Gefeg fei mehr 
der Abfchredung wegen gegeben, als um es in Vollzug 
zu fegen, denn es dünke fie graufam, ein Vergehen mit 
dem Zode zu flrafen, das zur Genugthuung des gefränkten 
Theils auf ehrenvolle und gottgefällige Weile wieder gut 
gemacht werben künne Mit diefen und vielen andern 
Gründen fuchte fie den Jurifte zu überreden, baf er dem 
Verbrecher verzeihe. Juriſte, deſſen Ohr bie füße Stimme 
und Nede der Epitia eben fo fehr ergegte, als ihre feltene 
Schönheit feinen Augen wohlgefiel, konnte ſich nicht fatt 
an ihr hören und fehen und veranlaßte fie, ihm ihre 
Gegenvorftellungen noch einmal zu wieberholen. Die 
Jungfrau, welche dies als ein gutes Zeichen anfah, fagte 
daſſelbe noch einmal und noch viel eindringlicher, als 
zuvor. Die Anmuth, womit Epitia fprach, und der 
Sauber ihrer Schönheit entwaffnete ihn völlig. Don 
heftigem Sinnenreiz ergriffen kam er auf den Gedanken, 
fi deffelben Verbrechens an ihr fehuldig zu machen, 
um deffen willen er Vico zum Tode verurtheilt hatte. 
Epitia, fprach er zu ihr, beine Bitten haben es dei⸗ 
nem Bruder ausgewirkt, da die Vollziehung des Urtheils, 
nach welchem er fihon morgen den Kopf verlieren follte, 
fo lange verfchoben bleiben foll, bis ich die Gründe er- 
wogen habe, bie du mir vorgetragen haft. Wenn ich 
fie fo befchaffen finde, daß ich dir deinen Bruder frei- 


346 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


geben Tann, fo gebe ich die ihn um fo Lieber zurück, 
als es mic fehmerzen würde, ihn zum Tode führen zu 
feben um ber Gtrenge des Geſetzes willen, das eine 
folche Härte beflimmt. 

Diele Worte gaben Epitien frohe Hoffnung; fie dankte 
ibm vielmals, daß er fi ihr fo gnädig erwieſen habe, 
und betheuerte ‚ihm ewig dafür verpflichtet bleiben zu 
wollen, denn fie erwartete, er werbe fich in Befreiung 
ihres Bruders ebenfo gefällig finden laſſen, als ex fi in 
BVertagung bes Endziels feines Lebens gefällig. erwieſen 
hatte. Sie fügte hinzu, fie bege das feftefte Bertrauen, 
das, was fie gefprochen, werde ihn bei näherer Erwaͤ⸗ 
gung beftimmen, ihren WBunf dur Freilafſung ihres 
Bruders ganz zu erfüllen; worauf er erwiberte, er werbe 
ihre Gründe erwägen und wenn er es ohne Beleidigung der 
Gerechtigkeit thun könne, nicht ermangeln, ihrem Wunſch zu 
willfahren. Mit der ſchönſten Hoffnung verließ ihn Epitia, 
begab fi * zu ihrem Bruder und erzaͤhlte ihm ausführlich, 
welchen Schritt fie bei Juriſte gethan und welche Hoff- 

nungen ſie aus ſeinen Außerungen entnehmen zu dürfen 
glaube. In ſo bedraͤngter Lage vernahm Vico dies mit 
Freuden, bat ſie, nicht abzulaſſen, ſeine Befreiung nach⸗ 
zuſuchen und bie Schweſter gelobte ihm ihre nachdrück⸗ 
lichſte Verwendung. Juriſte, dem ſich die Geſtalt des 
Mädchens in die Seele geprägt hatte, dachte in feiner 
Züfternbeit nur darauf, Epitiens zu genießen unb er- 
wartete daher mit Ungeduld ihre MWiederkunft. Epitia 
ließ drei Tage vergehen und erichien darauf mwieber bei 
Jurifte mit der befcheibenen Frage, mas er befchloffen 
babe. Sobald Juriſte fie erblickte, fühlte er fih ganz 
Feuer und Flammen und ſprach: Sei mir willlommen, 
fchönes Mädchen! Ich habe nicht ermangelt, die Gründe, 
womit bu beinen ‚Bruder gegen mich vertheidigteft, indeß 
nochmals zu erwägen, ja, ich habe fogar deren neue auf⸗ 
gefucht, um dich zufrieden zu fiellen. Aber leiber babe 
ich mich überzeugen müflen, baf ihm alles nur den Tod 





6. Maß für Maß. 247 


zufpricht, da nach dem allgemeinen Geſetze kein Menſch, 
der nicht ohne Vorwiſſen, fondern nur aus Unsiffenheit 
fündige, Entfhuldigung finden Tann; denn er hätte wiſſen 
ſollen, was alle Menſchen ohne Unterſchied wiſſen müſſen, 
um rechtlich zu leben, und wer aus einer ſolchen Unwiſſen⸗ 
heit fehlt, verdient weder Entſchuldigung noch Mitleid. 
Dein Bruder iſt in dieſem Falle; er mußte wiſſen, daß 
das Geſet einem Jungfrauenſchänder den Tod zuerkennt; 
ee muß alfo fterben und ich kann ihn von Rechtéswegen 
feine Gnade angebeihen laſſen. Allerdings mwünfchte ich 
die zu Gefallen alles mögliche zu thun, und wenn du 
daher, da du deinen Bruder fo fehr liebft, dich dazu 
verftehen wollteft, dich mir zu ergeben, fo wäre ich gern 
bereit, ihm das Leben zu fchenten und fein Todesurtheil 
in eine mildere Strafe zu verwandeln. 

‚ Epitien flieg auf diefe Worte das Blut ins Geficht 
und fie fagte zu ihm: Das Leben meines Brubers ift 
mir allerdings viel werth, aber weit theurer ift mir doch 
meine Ehre, und ich wollte meinen Bruder lieber mit 
dem Veriuſte meines Lebens, als mit bem meiner Ehre 
erretten. Darum fieht ab von biefem eurem unehrbaren 
Gedanken! Kann ich aber auf andere Weife, als ba» 
durch, daß ich mic, euch hingebe, meinem Bruder das 
Leben retten, fo werde ich bas gerne thun. 

Einen andern Weg, fagte Juriſte, gibt es nicht, als 
ben ich dir bezeichnet Habe. Auch follteft du Dich nicht 
fo fpröbe gegen mich bemweifen, da es fich leicht fügen 
könnte, daß ich dich in Folge unſerer erſten Zufammen- 
fünfte zu meiner Frau erföre. 

Ich will meine Ehre nicht in Gefahr bringen, erwi⸗ 
derte Epitia. 

Wie fo in Gefahr? fragte Juriſte. Vielleicht bift 
du fo befhaffer, daß du dir nicht vorſtellſt, es werde 
gut gehen. Denke hübfch darüber nah! Ich erwarte 
beine Antwort morgen. 

Die Antwort gebe.ich euch auf der Stelle, erwiberte 


248 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


fie, denn wenn ihre mich nicht zur Frau nehmt, da ihr 
doch wollt, daß bie Befreiung meines Bruders hiervon 
abhängen fol, fo ift alles in den Wind gefproihen. 

Jurifte verfegte nochmals, fie folle die Sache erwägen 
und ihm morgen ihren Entfchluß zu wiffen thun, wobei 
fie auch reiflich überlegen möge, wer er fei, welche Macht 
er bier zu Lande befige und wie nüglich er nicht nur ihr 
werden könne, fondern jebem, dem er mohlmolle, denn er 
babe bier Recht und Gewalt in Händen. Epitia ging 
hoͤchſt beftürzt von ihm zu ihrem Bruder, dem fie hinter- 
brachte, was zwifchen ihr und Juriſte vorgefallen, und 
ſchloß damit, fie wolle ihre Ehre nicht verlieren, um ihm 
das Leben zu retten. Sie bat ihn unter Thraͤnen ſich 
vorzubereiten, das Loos geduldig hinzunehmen, das ihm 
das Verhängniß ober fein ungünftiger Zufall bereite. 
Da begann Vico plöglich heftig zu weinen und feine 
Schwefter zu bitten, fie möge ihn nicht fterben lafien, 
da fie doch ‘auf bie von Jurifte vorgefchlagene Weife ihn 
befreien könne. 

Willſt du denn, Epitia, ſprach er, mir das Henker⸗ 
beil am Halfe und den Kopf von diefem Körper ab« 
Schlagen fehen, den berfelbe Keib, wie bich, getragen, 
berfelbe Vater erzeugt bat? Willſt du mich, der bisher 
mit dir aufgewachfen ift und denfelben Unterricht mit 
bir genofien hat, vom Henker zu Boden geworfen fehen? 
D meine Schwefter, laß die Stimme der Natur, des 
Blutes und ber Liebe, die ſtets zwiſchen uns waltete, 
Dich bewegen, mich, da es ja in deinen Kräften fteht, 
von einem fo jämmerlichen und fchändlichen Ende zu bee 
freien. Ich habe gefehlt, ich geftehe es; du, Schweſter, 
Die meine Fehler wieder gut machen kann, fei nicht arg 
mit deiner Hilfe! Hat dir Jurifte gefagt, daß er dich 
zur Frau nehmen könne, warum willft du es nicht für 
möglih halten, daß es gefhehet Du bift fehr fchön, 
mit allen Meizen begabt, womit die Natur eine Edelfrau 
fhmüden kann; du bift von guter Kamilie und anmuthig, 


60. Maß für Maß. 249 


befigeft eine wunderlieblihe Art dich auszubrüden, lauter 
Vorzüge, welche dich fammt und fonders dem Kaiſer der 
ganzen Welt, gefchiweige den Juriſte, wünfchenswerth 
machen müſſen. Du haft alfo nicht Grund, zu fürchten, 
dag Jurifte anftehen werde, dich zum Weibe zu nehmen 


. und fo ift deine Ehre gefichert und zugleich deines Bru⸗ 


ders Leben gerettet. 

Dico meinte bei diefen Worten, und mit ihm weinte 
Epitia, welche Vico umarmt hielt und nicht eher wieder 
losließ, bis fie von den Thränen des Bruders gerührt 
ihm verfprach, fich feinem Mathe gemäß dem Surifte 
hinzugeben, wenn diefer ihm das Leben fchente und fie 
in der Hoffnung befeftige, daß er fie zum Weib nehme. 
Als dies unter ihnen befchloffen war, begab fich die 
Jungfrau am folgenden Tage zu Juriſte und fagte ihm, 
die Ausficht, welche er ihr eröffnet habe, nad) den erften 
Zufammentünften fein Weib zu werden, und der Wunfd, 
den Bruder nicht nur vom Tode, fondern von aller Strafe, 
die er durch fein Vergehen verwirft haben könne, zu be 
freien, haben fie zu dem Entfchluß gebracht, fi) ganz 
feiner Willkür zu überlaffen; aus beiden Nüdfichten fei 


“fie alfo bereit, fi ihm hinzugeben; vor allem aber be- 


ftehe fie darauf, daß er ihr das Leben und die Freiheit 
ihres Bruders verfpreche. Juriſte hielt fi) für den glück⸗ 
lichften der Menfchen, daß er eines fo ſchönen und reis 
zenden Mädchens geniegen folle, und fagte ihr, er made 
ihr jegt diefelben Hoffnungen, die er ihre neulich gemacht 
habe und der Bruder folle ihre den Morgen nad, der 
Beimohnung freigegeben werden. Nachdem fie zufammen 
zu Nacht gefpeift, begaben ſich Surifte und. Epitia zu 
Bett, wo der Niederträchtige ſich volllommen an dem 
Mädchen erfättigte. Ehe er fi aber mit der Jungfrau 
zur Ruhe begeben, hatte er, flatt Vico freizwiaffen, Be⸗ 
fehl gegeben, ihn fogleich zu enthaupten. Das Mädchen 
konnte vor Begierde, ihren Bruder frei zu fehen, das Er- 


fcheinen des Tages kaum erwarten, und nie hatte ihr 
11** 


250 XVII. Giodanni Battiſta Giraldi Eintio. 


die Sonne fo fäumig gefchienen, den Tag heraufzuführen, 
ale in dieſer Nahk Als es heil wurde, entwand ſich 
Epitia den Armen bes Jurifte und bat ihn mit ben zaͤrt⸗ 
lichſten Worten, daß er die Hoffnung, bie er ihr gegeben, 
fie zum Weibe zu nehmen, erfüllen und vor allem ihr 
den Bruder frei zufchiden möge. Er antwortete ihr, ex 
babe in ihrer Umarmung volle Freude genoſſen und fehe 
alfo gern, wenn fie die Hoffnung nähre, die er ihr ge⸗ 
geben habe; den Bruder werde er ihr ins Haus ſchicken. 
Nach diefen Worten ließ er den Gefangenwärter kommen 
und ſprach: Geh in ben Kerker und hole ben Bruber 
dieſer Frau und bring ihn in ihre Wohnung! 

Als Epitia dies hörte, begab fie fich voller Freuden 
nad Haufe und erwartete ihren Bruder. Der Kerker- 
meifter ließ den Leichnam des Vico auf eine Bahre heben, 
legte ihm das Haupt unter die Füße, fpreitete ein ſchwarzes 
Zub darüber und ließ ihn nad Epitia's Haufe tragen; 
er ſelbſt fchritt dem Zuge vorauf. Da fie ind Haus 
traten, ließ er das Mädchen rufen und ſprach: Dies ift 
euer Bruder, weichen euch der Herr Statthalter aus dem 
Sefängniß freigibt. 

Mit diefen Worten ließ er das Tuch wegziehen und 
zeigte ihr den Bruder in dem Zuſtande, wie ihr ver⸗ 
nommen habt. Kaum möchte eine Zunge im Stande 
fein, es auszufprechen, oder ein menfchlihes Gemüth, 
es zu faſſen, welcher Schmerz und welcher Schreden 
über Epitia kam, indem fie jegt ihren Bruder auf dieſe 
Weiſe getödtet erblidte, den fie erwartet hatte, mit froh⸗ 
lockendem Herzen fobald als lebend und frei von jeder 
Dein begrüßen zu koͤnnen, und gewiß nehmt auch, ihr, 
meine Damen, an, daß der Schmerz der Unglüdlicyen 
fo groß war, daß er jebe Art von Entfegen übertraf. 
Dennoch verfchloß fie alles in ihrem Herzen, und wo 
jedes andere Weib gemeint und gefchrien haben würde, 
blieb fie, welche von der Philoſophie gelernt hatte, wie 
der menfchliche Geiſt in jeber Rage befchaffen fein müſſe, 


60. Maß für Maß. | 251 


ſcheinbar ruhig und zufrieden. Sie fagte zu dem Kerker⸗ 
meifter: Hinterbring deinem und meinem Seren wieder, 
dag ich meinen Bruder annehme, fowie es ihm gefallen 
ut, ihn mir zu fenden, und daß es mir, da er meinen 

len nicht babe thun wollen, recht fei, ben feinigen 
erfüllt zu haben, den ich zu dem meinen mache, infofern 
ich glauben will, er babe an dem, mas er gethan, eben 
recht gehabt. Empfiehl mich ihm mit der Verficherung, 
daß ich zu jeder Zeit bereit fei, ihm zu dienen! 

Der Kerkermeifter meldete Juriſte Wort für Bert, 
was Epitia ihm für ihn aufgetragen, und berichtete ihm, 
daß fie bei dem entfeglichen Anblicke auch nicht das min- 
defte Zeichen von Unmuth ‘habe blicken laſſen. Surifte 
freute fi, al8 er das hörte, in feinem Innern fehr, und 
ward der Meinung, das Mädchen möchte ihm mel nach 
wie vor ihren Beſitz geftatten, als wenn fie feine Frau 
wäre und er ihr Wico lebendig zurüdgegeben hätte. 
Sowie der Kerfermeifter fort war, hub Epitia an, über 
ihren tobten Bruder bitterlich zu meinen und lange und 
fchmerzliche Klage zu erheben. Sie verwünfchte Juriſte's 
Grauſamkeit und ihre eigene Einfalt, daß fie fich ihm 
vor ber Befreiung ihres Bruders ergeben. Nachdem fie 
lange geweint, ließ fie den Leichnam zur Erbe beftatten 
und 309 ſich darauf felbft in ihre einfame Kammer zurück, 
wo fie, von gerechtem Unmillen erregt, zu ſich fagte: 
Alfo willft du es ruhig dulden, Epitia, daß diefer Schurke 
dir deine Ehre geraubt und er dir dafür den Bruder 
lebend freizugeben verfprochen, darnach aber ihn dir fobt 
in fo jämmerlicher Berunftaltung dDargebracht bat? Willſt 
du e8 ruhig dulden, daß er ſich doppelten Betrugs, den 
ee an deiner Einfalt begangen, rühmen koͤnne, ohne daß 
er dafür von dir die gebührende Züchtigung erhält? 

Mit folhen Worten feuerte fie fih zur Nahe an 
und fagte weiter: Meine Einfalt hat diefem Böſewichte 
ben Weg gebahnt, das Ziel feiner fehändlichen Wünſche 
zu erreichen. Seine Lüfternbeit fol mir nun das Mittel 


252 XVII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio. 


zu meiner Nahe an die Hand geben; und wenn auch 
die Rache mir nicht dad Leben meines Bruders zurüdgibt, 
fo fol fie mir doch das Gemüth erleichtern helfen. 

Bei folder Aufregung beftärkte fie ſich in diefem 
Gedanken immer mehr und wartete nur darauf, daß 
Juriſte fie von neuem zu fich befcheiden laſſen werde, 
um bei ihre zu fchlafen. Für diefen Fall hatte fie be- 
ſchloſſen, heimlich ein Meffer mit fi zu nehmen und 
ihn wachend oder ſchlafend, fobald ſich die Gelegenheit 
dazu darböte, zu ermorden; ja, wenn es irgend moͤglich 
wäre, wollte fie ihm den Kopf abfchneiden, benfelben 
auf das Grab ihres Bruders tragen und feinem Schatten 
weihen. Nachher dachte fie der Sache freilich auch, wie⸗ 
ber reifliher nad) und fah ein, daß, wenn es ihr felbft 
gelänge, den Schuldigen zu töbten, doch mit ziemlicher 
Sicherheit anzunehmen fei, daß man fie ein ehrloſes 
Weib nennen und glauben werde, fie habe diefe That 
viel mehr aus Bosheit und Eiferfucht vollbracht, als weil 
er fo treulos an ihr gehandelt. Da ihr num- die große 
Gerechtigkeitstiebe des Kaifers wohl bekannt war, welcher 
fih damals zu Villaco aufbielt, fo beſchloß fie zu ihm 
zu gehen und fich bei feiner Majeftät über die Undank- 
barkeit und Ungerechtigkeit Juriſte's gegen fie zu beilagen, 
in der feften Überzeugung, der fo gnädige und gerechte 
Kaifer werde dem Böfewicht ben verdienten Lohn für 
feine Ungerechtigkeit und Undankbarkeit ertheilen. In 
Trauerkleider gehüllt trat fie heimlich und ohne Beglei- 
tung den Weg zu Marimilian an, bat um ein Gehör 
und als es ihr gemährt wurde, warf, fie fi ihm zu 
Füßen, und ſprach mit Elagender Stimme und der ganzen. 
Haltung einer tief Gebeugten: Grhabenfter Kaifer, es 
führt mich vor eure Majeftät der arge Verrath und die 
unglaubliche Ungerechtigkeit, welche Surifte, euer. aifer- 
lihen Majeſtaͤt Statthalter zu Insprud an mir verübt 
bat; ich habe die Hoffnung, ihr werdet die Gerechtigkeit, 
bie nie einem Unglüdlichen verfagt blieb, auch hier -auf 








m 


60: Maß für Map. 253 


eine Weife üben, daß biefer Zurifte, über den ich mid) 
des beifpiellofen Unrechts wegen, das er mir gethan hat, 
unermeßlich zu beklagen babe, nicht triumphiren dürfe, 
mich fo jämmerlich erwärgt zu haben: Entfchuldige euer 
Majeftät. diefed Wort, das, fo ſtark es auch fcheint, doch 
der graufamen und unerhörten Schande nicht gleichfommt, 
die mir diefer Bofewicht zugefügt, der ſich zugleich höchſt 
ungerecht und höchſt treulos an mir ermiefen hat. 
Hierauf erzählte fie den Kaifer unter vielen Thränen 
und Seufzern, wie Jurifte unter der Vorſpiegelung, fie 
ehelichen und ihr ihren Bruder freigeben zu mollen, ihr 


Magdthum geraubt und dann ihr den Bruder todt auf 


einer Bahre, das Haupt zu den Füßen, ins Haus 
geſandt habe. Alsdann ſtieß ſie einen ſo heftigen Schrei 
aus und ihre Augen floſſen fo reichlich von Thränen über, 
dag der Kaifer und alle Herren in der Umgebung feiner 
Majeftät vor Rührung und Mitleid wie verfteinert da- 
fanden. Aber obgleich) Maximilian fie feht bedauerte, 
und das eine Ohr: den Klagen Epitiens öffnete, welche 
er, nachdem fie ihre Anrede geendigt Hatte, fich erheben 
ließ, fo bielt er doch das anbere für Juriſte frei und 
fohifte die Dame zur Ruhe. Hierauf ließ er fogleih 
ZJurifte rufen und befahl dem Boten und alien Anwe⸗ 
fenden bei Verluft feiner Gnade dem Surifte fein Wort 
von dem, mas vorgefallen war, zu entdeden. Juriſte, 
der ſich eher alles andere gedacht hätte, als dag Epitia 
fih an den Kaifer gewandt habe, ftellte ſich ganz unbe» 
fangen ein, und. da ihn feine Majeftät vorlief, neigte 
er fi) und fragte, was er befehle. 

Gleich, fagte Marimilian, gleich wirft du es erfahren. 

Er ließ alsbald Epitia rufen. Als Jurifte fah, dag 
fi e bier fei, die er fich bemußt war tief gefränkt zu Haben, 
erſchrak er, vom Gewiſſen gefoltert, fo heftig, daß er von 
allen Lebensgeifiern verlaffen am ganzen Leibe zu zittern 
begann. Als Marimilian dies ſah, erkannte er, daß die 
Anflägerin nichts als die reine Wahrheit gefagt habe. 


254 XVII. Giovanni Battiſta Gireldi Gintio. 


Er wandte fi au ihm und fprach mit dee Strenge, bie 
feine Grauſamkeit verdient hatte: Vernimm, was dieſes 
Mädchen dir Schuld gibt! 

Dann befahl er Gpitien, ihre Klage vorzubringen. 
Diefe erzählte von neuem den ganzen Hergang unb 
wandte fi) zum Schlufſe nochmals mit der Bitte um 
Genugthuung an ben Kaifer. Als Juriſte bie Anklage 
vernommen, wollte er fie durch Schmeicheleien verföhnen 
und ſprach: Ich hätte nie geglaubt, daß ihr, bie ich fo 
herzlich liebe, vor feiner Majeftät meine Anklägerin wer- 
den Eönntet. 

Aber Marimilian duldete nicht, daß Jurifte dem Maͤd⸗ 
chen ſchönthue und ſprach: Es iſt hier nicht der Ort, den 
Berliebten zu fpielen; beantworte nur bie Klage, welche 
fie vorbringt! 

Jurifte mußte alfo biefe Xift fahren laffen, welche 
ihm hätte gefährlich werben können. 

Es ift wahr, ſprach er, daß ich ihren Bruder habe 
enthaupten laſſen, weil er eine Jungfrau entführt und 
gefehwächt hatte; aber das. habe ich gethan, um bie Heilig- 
keit der Gelege aufrecht zu erhalten und jene Gerechtigkeit 
zu üben, weldhe euer Majeftät mir fo ſehr eingefchärft 
hatte; denn ohne dieſe zu verlegen konnte ich ihn nicht 
am Leben laſſen. 

Hier fiel ibm Epitia ins Wort: Wenn du nun aber 
die Gerechtigkeit babei vor Augen hatteſt, wie kam es, 
daß dus mir doch fein Leben unter jener Bedingung zu 
fiherteft, und mir mit der Vorfpiegelung, mich zur Frau 
zu nehmen, mein Magbthum raubtefit Verdiente mein 
Bruder wegen feiner einen Berfündigung, die Strenge 

„ der Gerechtigkeit zu ſchmecken, fo verdienft du dies zwie⸗ 
fach mehr. 

Da ftand ihr Juriſte verſtummt gegenüber und ber 
Kaifer nahm zunächft das Wort. 

Meinft de, Zurifte, fagte er, es heiße Gerechtigkeit 
bewahren, wenn du ihr einen fo gefährlichen Stoß bei- 


0. Maß für Ma. 256 


bringſt, daß nicht viel zu ihrer völligen Ermorbung fehlt, 
wenn du den größten Verrath übft gegen diefes Mädchen, 
"wie nur je der gemeinfte Verbrecher gethan? Aber es 
foll die nicht fo leer ausgehen, das glaube mir! 

Zurifte fing nun an, um Gnade zu bitten und Epitia 
ihrerfeits, um Gerechtigkeit zu flehen. Maximilian ermog 
die Einfalt der Jungfrau und Juriſte's Bösartigkeit und 
überlegte, wie er der Ehre der Jungfrau und der Ge- 
vechtigkeit zugleich Genüge thun könne. Er befann fich, 
was zu thun fei, und befhloß, Juriſte folle Epitia hei⸗ 
rathen. Sie wollte darein nicht willigen, indem fie be 
hauptete, fie Tonne nicht erwarten, in der Ehe mit ihm 
etwas anderes als Mishandlungen und Verrath zu er- 
leben, aber Maximilian verlangte, da fie fich bei feinem 
Beichluß befriedige. Epitia wurde mit Jurifte vermählt 
und biefer meinte nun, alle Noth überftanden zu haben, 
aber es gefchah ganz anders; denn Marimilian entließ 
die Frau mit der Weifung in ihre Herberge zurückzu⸗ 
gehen, und mandte ſich dann zu dem zurüdgebliebenen 
Jurifte mit folgenden Worten: Was du verbrochen, ift 
zweierlei, eines nicht minder ſchwer, als das andere; 
erftend haft du diefe Jungfrau gefchändet und zwar auf 
fo betrüugliche Weife, daß man mit Recht fagen Tann, 
du habeft ihr Gewalt angethan; fodann haft bu wiber 
dein ihr gegebenes Wort ihren Bruder ums Leben ges 
bracht, der zwar allerdings den Tod verdient hat, dem 
du aber nichts deſto weniger, einmal auf dem Wege 
‚ ber Rechtöverlegung begriffen, ſchuldig warft, das feiner 
Scwefter gegebene Berfprechen zu halten, nachdem fie 
bich bei deiner zügellofen Lüfternheit zu der Zufage auf 
Ehrenmwort gebracht hatte, und nicht ftatt deſſen, wie 
du befohlen haft, nachdem du ihre Ehre geraubt, ihn 


ihe todt zugufenden, wie du getban. Da bu nun das 


erite Vergehen wieder gut gemacht haft, indem ich dich 
veranlaßt babe, die Gefchwächte zu heirathen, befehle ich 
zur Sühnung bed zweiten, daß dir ebenfalls der Kopf 


> 


356 XVVI. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


nanelhlagen werde, wie du ihn ihrem Bruder abſchlagen 
ließeft. 

Wie groß Juriſte's Betrübnif war, ald er ben Spruch 
des Kaifers vernommen, ift leichter fich zu denken, als aus⸗ 
führlich zu erzählen. Juriſte wurde daher ben Schergen 
übergeben, um am nädftfolgenden Morgen dem Urtheil 
gemäß hingerichtet zu werden. Juriſte war alfo ganz 
auf ben Tod gefaßt und erwartete nichts amberes, als 
fih in kurzem unter den Händen bes Henkers zu befinden. 
Unterdefien vernahm Epitia den Urtheildfprud, des Kai⸗ 
ferd, und fo erbittert fie vorher auch gegen Juriſte ge- 
weſen war, fo trug doch ihre natürliche Herzensgüte den 
Sieg davon. Sie meinte, es wäre ihrer unwürbig, wenn 
fie zugäbe, daß Zurifte, den fie einmal vom Kaifer als 
ihren Gatten angenommen, ums ihretwillen den Tod er- 
litte. Sie fürchtete, man werde ihr dies cher ald Rache» 
durft auslegen, denn als Berlangen nach Gerechtigkeit. 
Sie wandte daher all ihr Sinnen und Trachten auf bie 
Rettung des armen Verbrechers, begab ſich zu dem Kaifer 
und fagte zu ihm, nachdem es ihr geftattet war, zu reden, 
alfo: Erhabenfter Kaifer, die Ungerechtigkeit und ber Ver⸗ 
rath Jurifte'® an mir trieben mich an, gegen ihn bei euer 
Majeſtät Recht zu fuchen. Eurer großen Gerechtigkeit 
gemäß habt ihr ihn wegen zweier Verbrechen auf das aller- 
gerechtefte beftraft: für ben betrügerifchen Raub meiner 
Jungfräulichkeit durch den Befehl mid, zu ehelichen, für 
die Hinrichtung meines Bruders gegen das mir gegebene 
Wort durch feine Verurtheilung zum Tode. Wie ich aber, . 
bevor ich fein Weib geworben, darauf beftehen mußte, 
dag ener Majeftät ihn mit ber Todesſtrafe belege, welche 
Diefelbe gerechterweife über ihn verhängt hat, fo müßte 
ih mid) .jegt, nachdem es euch gefallen hat, mich mit 
dem heiligen Bande der Ehe an Jurifte zu knüpfen, für 
eine Pflichtvergeffene, Unmenfchliche, der ewigen Schande 
Preißgegebene halten, wenn ih in feinen Tod willigte. 
Unmöglich kann dies die Abficht euer Majeſtaͤt fein, welche 


- — — — — — — 


60. Maß für Maß. 257 


bei ſeiner Verurtheilung nur meine Ehre bezweckte. Da⸗ 
mit alſo, erhabenſter Kaiſer, die gute Abſicht euer Ma⸗ 
jeſtät ihr Ziel erreiche und meine Ehre unbefleckt bleibe, 
bitte ich euch demüthigſt und in tiefſter Ehrfurcht, nicht 
zuzugeben, daß das Schwert der Gerechtigkeit zufolge des 
Urtheils euer Majeftät das Band fo jämmerlich wieder 
auflöfe , duch welches diefelbe mich mit Juriſte zu vereie 
nigen gerubte; und wie das Urtheil euer Majeflät ihn 
zum unzweidentigen Beweis ihrer Gerechtigkeit mit dem 
Tode beſtrafte, fo möge es derſelben jegt gefallen, wie 
ih von neuem inbrünftiglich flehe, eure Zaiferliche Gnade 
an feiner Freigebung zu offenbaren, denn die bung 
der Gnade, erhabenfter Kaifer, ift für den, in deſſen 
Händen die Herrfchaft der Welt ruht, wie fie jegt in 
den euren würdiglich befchloffen ift, tein geringerer Ruhm, 
ale die Handhabung der Gerechtigkeit; denn wenn: diefe 
beweift, daß er die Laſter haft und mit der verdienten 
Strafe verfolgt, fo macht ihn jene den unfterblichen Göt⸗ 
tern ähnlich; und erlange ich biefe einzige Bitte von eurer 
Milde, fo werde ich für die an mir bemüthigfter Magd 
euer Majeftät gewirfte Handlung der Güte ewig mit. 
Andacht zu Gott flehen, daß er euer Mojeftät auf lange 
glükliche Jahre erhalten möge, damit ihr zur Wohlthat 
der Sterblichen und zu eurer eigenen Ehre und unfterb- 
lichem Ruhm bis in fpäte Seiten Gerechtigkeit und Gnade 
üben möget. 

Hiermit beſchloß Epitia ihre Anrede. Maximilian war 
erſtaunt, daß fie die von’ Jurifte empfangene ſchwere Un⸗ 
bill fchon vergeffen babe und mit fo vieler Wärme von 
ihm ſpreche. Solche Güte, wie er an biefer Dame er 
blidte, fhien es ihm wohl zu verdienen, daß er ihr den 
aus Gnade freigebe, den er um bed Rechts willen zum 
Tode verurtheilt. Er. ließ alfo den QJurifte in eben der 
Stunde, in welcher er erwartete, zum Tode geführt zu 
werden, vor fich bringen und fprach zu ihm: Verraͤther, 
die Güte Epitia's hat fo viel über mich vermocht, daß 


2358 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


ich bir, beffen Verruchtheit ben Tod bdeppelt verdient 
bätte, um ihretwillen das Leben ſchenke, und du foRft 
wiffen, daß du nur ihr beffen Erhaltung zu danken haft; 
mb da fie es zufrieden ift, mit dir zu leben, nachdem 
fie das Band an dich geknüpft bat, das dich auf meinen 
Befehl mit ihr verbindet, fo bin ich es auch zufrieden, 
daß du mit ihr lebeſt. Uber kommt es mir je zu Ohren, 
daß du fie anders, benn als eine liebevolle und groß⸗ 
mütbige Gattin behandelft, fo ſollſt du erfahren, in wel 
Unmillen ich darüber gerathe. 

Nach diefen Worten faßte ber Kaifer Epitiens Hand 
und übergab fie dem Juriſte, worauf fie und Juriſte mit 
ihr feiner Majeſtaͤt für die ihnen erwiefene Huld und Gnade 
ihren Dank ausfprachen. Juriſte aber ermog, welche Groß⸗ 
muth Spitia an ihm geübt habe, und hielt fie immer theuer 
und werth und fo Eonnte fie den Reſt ihrer Tage glücklich 
mit ihm verleben. 


— —— — — — — 


61. Die ungluͤckliche Mutter. 


(9, 3.) 


In Salerno lebte einft ein Dann Namens Marine, 
welcher von feiner liebenswürdigen Frau, welche Placida 
hieß, ein einziges Kind, einen Anaben hatte. Das Kind 
hatte kaum ein Alter von zwei Sahren erreicht, als ber 
Bater heftig erkrankte, und kein Arzneimittel wollte helfen, 
er mußte fterben. Als er fi nun dem Tode nahe ſah, 
rief er feiner Frau und bat fie, auch ben Knaben mitzu- 
bringen, welchem er den Namen Perpetus beigelegt hatte; 
diefee Name*) follte dem Kinde und ber ganzen Familie 


9 „Der Fortdauernde“ zu deutſch. 


61. Die unglüdtiche Mutter. ' 259 


eine gute Borbebeutung werben, baf in ihm bem Haufe 
fortdauernde unaufhörliche Freude erwachſe. Als die Frau 
mit ihrem Söhnchen ins Zimmer trat, erhob er fi, fo 
gut er Eonnte, im Bette, nahm die Mutter mit ber einen 
Hand und das Kind mit ber andern und fprach zu feiner 
Gattin: Placida, ich fehe meine legte Stunde vor Augen, 
und es ift Mar, daß ich nicht den Fleiß und die Sorgfalt 


-auf die Erziehung und Heranbildung diefes unferes Söhn⸗ 


Gens zu einem brauchbaren Manne verwenden kann, wie 
ih fo fehr wünſchte und worauf alle meine Gebanten 
gerichtet waren. Er hätte das in feinem zarten Alter 
ſehr nötbig, aber ich fehe, ich muß ihn ſchon in feinen 
erften Lebensjahren verlaffen, und dies würde mir ben 
Tod fehr verbittern, wenn ich nicht wüßte, daß beine 
Klugheit im Stande ift, reichlich zu ergänzen, was der 
unausweichliche Zwang der Natur mich nicht felbft aus⸗ 
führen läßt. Darum, meine theure Gattin, befehle ich 
dir diefes Kind, in welchem ich felbft gewiffermaßgen fort. 
zuleben meine, wiewol die legte Stunde mir bald bie 
Augen fchliegen wird, ich befehle ihn dir, fage ich, ganz 
in deine Hände und zu deiner Leitung und bitte dich bei 
dem ganz beſonderen guten Vernehmen, bas unfere Ver⸗ 
bindung feither fortwährend bezeichnet hat, daß du, wäh- 
rend du ihm bis jept für und für eine liebevolle Mutter 
gewefen bift, ihm von nun an Water und Mutter zu- 
gleich fein mögeft; und da es Gottes Wille ift, daß ich 
nicht länger bei dir bleibe, wünſche ich, daß du die Kiebe, 
die du mir zugewandt hätteft, wenn ich bis zu den grauen 
Haaren mit bir gelebt hätte, alle diefem Kinde zumenbeft 
und in ihm auch mich fortliebeft, wie, wenn ich mit dir 
Iebte. Wenn ich diefe Hoffnung mit ins andere Leben 
nehmen darf, fo wird mir der Tod nicht fchwer werden. 

Bei diefen Worten legte er die Hand des Kindes in 
die Hand der Mutter, fchlang feinen Arm um ihren Hals 
und fprach, indem er feine Lippen auf bie ihrigen drückte: 
Ih befehle dir ihn, meine theure Gattin, und laffe an 


260 VII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


meiner Statt bir dieſes theure Pfand als ficheres Zeugniß 
unferer beiderfeitigen Liebe. 

Er konnte diefe letzten Worte nicht audfprechen, ohne 
reichlihe Thränen zu vergießen, und Placida konnte nicht 
umbin, bie ihrigen mit denen ihres theuerften Gemahls zu 
vermifhen. Es wurde ihr ſchwer unter lauter Schluchzen 
zum Worte zu kommen und fo fprad) fie: Marino, bu 
nimmft den beften Theil von mir mit dir fort, indem 
due aus diefem Leben fcheibeft; benn mein Herz wird dich 
begleiten und bir verbunden bleiben mit jenem Bande, 
womit treuefte Liebe uns in dem Leben zufammengeßettet, 
das bu nunmehr zu verlaffen auf dem Punkte ſtehſt, 
um mic voll unglaublihen Schmerzes zurüdszulaffen. 
Ih wünfchte fehr, daß es Gott gefiele, daß zur gleichen 
Stunde mit bem deinigen auch mein Leben fein Endziel 
‚ erreichte. Aber nun bat er anders befchloffen, vielleicht, 
damit dieſes umfer Soͤhnlein nicht ohne Führer bleibe; 
und fo werde ich ihm denn die Fülle ber Liebe ganz 
zuwenden, welche bie Dutterliebe mich ihm zu widmen 
antreibt. Freilich hätte er zu feiner Erziehung und An- 
leitung zur Tugend Dich mehr, als mich, nöthig gehabt; 
aber ich will nun allen mir inwohnenden Geift und Eifer 
anwenden, bamit du nicht in der guten Meinung ge 
täufcht werdeft, die du von mir hegſt, und bamit biefes 
unſer Söhnlein, in welchem ich dein Bild abgebrüdt fehe, 
deinem Verlangen nachkomme und ein brauchbarer Mann 
werde. Ach tönnte ich nur, mein Gemahl, durch irgend 
ein Mittel, ja durch Vergießen meines eigenen Blutes 
dein Hinfcheiden von uns verhindern! Aber gewiß werde 
ih dich immer lieben in biefem unferm gemeinfhaftlichen 
Kinde, das du in meine Hand befohlen haft und befohlen 
haft in meine Treue, bie ich auch im Tode bir ebenfo 
fer bewahren werde, als ich fie dir im Leben bewahrt 
habe. 

Darauf ſchwieg fie unter Thränen, ihr Dann freute 

fi) der innigen Liebe feiner Gattin und Iobte fie fehr. 





61. Die unglüdlihe Mutter. 261 


Kurz darauf gab er wirklich feinen Geift auf zum un. 
fäglih großen Schmerze Placida's. Als ihr Mann todt 
war und fie ihn hatte ehrenvoll beftatten laſſen, verfehlte 
Placida nicht alles das auszuführen, was ihr nöthig fchien, 
um ihren Sohn gut zu erziehen; diefer war auch von 
Natur fehr Leicht zur Tugend zu lenken und feiner Mutter 
fo ſehr in Liebe zugethan, daß er von ihren Befehlen 
niemald abwich und in kurzem feinem Alter voraus war 
an Gelehrfamkeit, feinem Betragen und guten Sitten, 
worüber man in der ganzen Stadt fi) verwunderte und 
feine Mutter wegen ihrer Sorgfalt rühmte. Als ber 
Knabe zwölf Fahre alt war, wurde er von einem Fieber 
befallen, welches fich bald fo bald fo äußerte und die 
Arzte auf die Beſorgniß brachte, es möchte in eine 
Schwindfuht ausarten und am Ende ben Sinaben das 
Leben Eoften. Placida war darüber fo betrübt, daß fie ' 
fih nicht weniger vom Kummer verzehrte, als fie fühlte, 
dag das Fieber ihren Sohn verzehre, und unterließ nichts, 
was zur 3 erherfiellung des Jünglings dienen Fonnte. 
Auch die Arzte fparten feinen Fleiß, um zu verhindern, 
daß das Fieber in Mark und Bein eindringe und dann‘ 
wie ein verdecktes fchleichendes Feuer mit unbilliger Hige 
jene feuchte Naturgrundlage .des Lebens aufzehre. Sie 
bemühten fi daher, den Körper frifeh und feucht zu 
erhalten, um auf biefe Weiſe der Hige Einhalt zu thun 
und endli das Feuer ganz zu verlöfchen, welches die 
Lebenskräfte des armen jungen Menfchen vernugte. Sie 
verordneten ihm daher abgezogene Waffer, welche diefem 
Plane ihrer Heilart entforahen. Die Mutter hatte die 
Dbliegenheit, ihm jeden Morgen bei Sonnenaufgang eine 
gewiffe Latwerge mit Endivienwaffer vermifcht zu reichen, 
und wiewol es der Frau nicht an Dienern und Auf« 
wärtern fehlte, denn fie war fehr vornehm, fo wollte fie 
doch nicht, daß ein anderer, als fie, fich erlaube, dem 
Sohne das, was bie Arzte verordnet hatten, zu reichen; 
daher ftand fie denn immer mit Tagesanbruch auf, bes 


262 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


reitete den Trank und reichte ihn mit eigener Hand dem 
Kranken. Nun feht aber, wie fchlecht das ſchnöde Schidfal 
uns behandelt, wenn ed uns übel will und uns Wider 
wärtigfeit bereitet! Platida ftand noch in jugendlichen 
Alter, denn fie zählte noch nicht viel über dreißig Jahre, 
und wiewol fie durchaus fittfam lebte und feft entichloffen 
war, feinen Mann mehr zu nehmen, fo hielt fie doch 
darauf, die Schönheit zu bewahren, welche die Natur mit 
freigebiger Hand ihr bargereicht hatte. Ste gebrauchte 
daher Sublimatwaffer, um dad Geficht glänzend und rein 
zu erhalten und fich, fo gut fie konnte, zu wahren gegen 
die Runzeln, welche die Jahre bringen und die einem 
männlichen &efichte Ernſt und Würde verleihen, bem 
weiblichen aber die Lieblichkeit rauben. Diefe edle Frau 
hatte nun in einem Fläſchchen folches Waſſer, das fie zu 
diefem Zwecke verwendete und eine ihrer Frauen hatte es 
aufzuheben. Als nun eines Morgens Placida mit ihrem 
Putze fertig war, gab fie das Fläfchchen dem Mädchen, 
das fie bediente, mit dem Auftzage es an feinen Plag 
zurüdzuftellen. Als fie das Zimmer verließ, kam einer 
der Diener ihr entgegen, welcher ihr das Flaͤſchchen mit 
dem Enpdivienwaffer gab, das man zur Heilung des 
Kranken anwendete; das Mädchen hielt nun beide Fläfch- 
hen in der Hand, legte fobann das eine in die Büchſe, 
wohin das Sublimatwaifer gehörte, und gab das andere 
ihrer Gebieterin, welche es dahin ſtellte, wo dasjenige 
ftand, aus welchem fie das Waſſer für ihren Sohn 
nahm. Als num dee Morgen kam, fand Placiba auf 
und reichte mach ihrer Gewohnheit ihrem Sohne den 
Trank. Kaum hatte der Unglückliche denfelben eine Weile 
im Magen, fo empfand er die unfäglichiten Schmerzen, 
ed war ihm, als würden ihm die Eingeweide zerfreffen 
und er fühlte jenen Tod nahe. Darum fchidte bie 
Mutter plöglih zu den Arzten und erzählte ihnen bie 
feltfame Wirkung, welche heute der Trank hervorgebracht, 
ber doch bisher ihrem Sohne fo wohlthätig gewefen fei. 


61. Die unglückliche Mutter. 263 


Die Arzte vermunderten ſich und Tonnten fich nicht ein- 
bilden, wie das komme. Sie traten zu bem Kranken, 
beobachteten die Zufälle, die ihn quälten, und erkannten, 
daß Zeichen von Vergiftung vorlagen. 

Madonna, fagten fie daher zu der Mutter, euer 
Sohn hat nicht den Trank befommen, den er fonft zu 
nehmen pflegte, fondern flatt deſſen hat er ein äzendes 
Silo — das ihn verzehrt. 

Wie, Gift? rief Placida. Ih Unglückliche! Ihr 
täuſcht euch, ihr Herren, denn niemand, als ich, hat 
ihm den Trank gereicht, und ich habe ihm den gleichen 
gegeben, wie ſonſt immer. 

WVilielleicht, ſagten die Ärzte, haben die, die ihn ger 
holt haben, euch getäufcht und das Waſſer vergiftet. 

Sogleih murde der Diener gerufen, welcher fagte, 
er babe das, was ber Apotheker in die Flaſche gethan, 
ins Haus gebrachte ohne Trug und Taͤuſchung; ehe er 
- eine folge Schurkerei beginge, würde er fich lieber das 
Lehen genommen haben, denn er liebe ben Sohn des 
Haufes, wie fein eigenes Leben. Der Diener war ein 
rechtfchaffenee Menſch und galt dafür bei jedermann, 
weshalb man auch gern feinen Worten glaubte . Sie 
liegen den Apotheker rufen, welcher fagte, er habe das 
Waſſer verabreicht, ohne irgend etwas daran zu fälfchen. 
Die Arzte wollten fich jedoch fo gut ale möglich auf- 
Hören, wie ed mit der Sache ſich verhalte, und ließen 
fih das Fläfchehen mit dem Waſſer bringen, betupften 
fih den Finger damif und brachten ibn an die Zunge, 
wo fie dann bie töbtliche Schärfe empfanden, die das 
Waſſer in ſich ſchloß; fie fprachen daher zu der Mutter: 
Madonna, man hat euch getäufcht, dies ift fein Endinien- 
waſſer, fondern wirklich Gift. 

Nun betrachtete es die Frau genauer und erkannte, 
daß es ein Flaͤſchchen Sublimatwafler fei, das fie zur 
Erhaltung ihrer Schönheit anzuwenden pflegte. Nun 
fing fie an zu freien und zu jammern und fah, daß 


264 XVIH. Giovanni Battifta Giraldi Cintio. 


die Dienerin ſich in der Ahnlichkeit der Gefäße (demn 
fie fahen ſich beide fehr ähnlich) getäufcht hatte, da ber 
Diener ihr bie Flaſche mit dem Endivienwaſſer gab, 
während fie noch die andere in der Hand hatte; bier 
vertaufchte fie die beiden, ftellte die Arznei in die Büchfe 
und gab Placida das Gift. Sobald die Arzte dies be- 
merkten, ermangelten fie nicht, jedes mögliche Heilmittel 
für ihren unglüdlihen Sohn in Anwendung zu bringen; 
aber die tödtlihe Gewalt bes Gifts hatte fchon fo fehr 
um ſich gegriffen, dag alle Mittel umfonft waren und 
der Jüngling ftarb. Die arme Mutter im Bemußtfein, 
Gift ftatt Arznei dem Sohne gereicht zu haben, der ihr 
Gut, ihr Leben, ihr Herz war, fühlte ſich fo ſchmerzlich 
ergriffen, daß fie den todten Sohn umarmte und über 
ihn binfanf in folder Ohnmacht, dag man meinte, bas 
Leben fei ‚ganz von ihr gewichen. Da jedoch die gegen- 
wärtigen Arzte ihre Mittel anwandten, riefen fie ihre 
Lebensthätigkeit zurück, worüber die Frau ganz unzu⸗ 
frieden war und fich beklagte, daß fie fie nicht haben 
fterben und ihre Seele hinziehen laffen, um der ihres 
Sohnes nachzueilen. 

Aber, fagte fie, was der Schmerz nicht vermocht hat, 
foU meine Hand vollenden. 

Sie hatte ein Meffer in einer Scheide am Gürtel 
hängen, riß es heraus und wollte fi umbringen; aber 
die Anmefenden hielten fie zurüd. Das Leben war ihr 
jedoch verhaßt und darum nannte fie fie graufam, daß 
fie fie bei ſolchem Schmerze noch zum Leben zwingen. 
Sie verwünfchte das Schickſal, fie beklagte fih über die 
Fügung, bezichtigte die Sterne. und den Himmel der 
Graufamkeit und verlangte durchaus, daß ihr jene Die- 
nerin herbeigeholt werde, benn fie wolle fie eigenhändig 
erwürgen, da fie duch ihre Bahrläffigkeit ihren theuern 
Sohn in den Zod geftürzt und ihr einen fo herben Schmerz 
bereitet habe. Die Umftehenden fuchten fie zu überzeugen, 
es fei nur ein Verfehen, nicht böfe Abſicht geweſen und 


x 





64. Die unglüdliche Mutter.. 265 


das Mäbchen verdiene deshalb nicht den Tod. Da fie 
aber ihren Zorn nicht befchwichtigen konnte, begehrte fie, 
man folle fie den Händen der Gerechtigleit- übergeben, 
damit fie zum Tode verurtheilt würde. Nach einem 
gründlihen Verhöre fanden indeß die Richter, daß fie 
eber unvorfichtig, als ſchuldig fei, und fprachen fie von 
jeder Strafe frei. Dies war für Placida ein Barker 
Schlag, denn fie war nicht zufrieden mit dem, was das 
Recht verlangte, fondern ließ ſich einzig vom Zorn leiten 
und von der Wuth. Man nahm ihr daher das Mädchen 
aus dem Haufe und fie ging voll Trauer hinweg, denn 
fie war fich bewußt, durch ihre Unvorfichtigkeit. einen ber 
deutenden Unfall veranlaft zu haben. Als nun Placida 
fah, daß die frei ausgegangen war, die fie gerne zu. 
einem graufamen Ende gebracht gefehen hätte, war ihr 
auch der kleine Troſt entwunden, den fie aus dem Unter: 
Hang berjenigen zu ziehen hoffte, die fie als die Urſache 
des Todes ihres Sohnes anfah. Sie fehrte daher den 
ganzen Zorn wider fich felbft, fie zog in Betracht, daß 
alles das gefchehen fei zu Aufrehterhaltung ihrer Schön- 
heit, und zerfragte und verderbte fi, dermaßen ihr Ge- 
fiht, daß ihre bisher ſchönen Züge viel häßlicher wurden, 
als die des garftigften alten Weibes, das man je gefehen. 
Sie ſprach auch von nichts, als daß fie fich den Tod 
geben wolle. 

Nimmermehr, rief fie, werde ich, die Mörberin meines 
Sohnes, am Leben bleiben. Diefen Sohn hat fein Vater 
Perpetuo genannt, in der Meinung, er werde in langer 
Nachkommenſchaft fein eigenes Leben fortpflanzen. 

Und fortwährend weinte und feufzte fie. 

Du, Verpetuo, fagte fie, bleibft todt und die dich 


‚ umgebracht hat foll leben bleiben? Leben bleiben fol die, 


die dich von der Hand beines Vaters empfangen, um 
dich zur Tugend zu erziehen und zu ben Jahren. der Reife 
zu bringen! Und jegt hat fie dich getödtet? Nein, nein, 
das darf nicht fein. 

Staliänifcher Novellenfchag. II 12 





262 XVIII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


reitete ben Trank und reichte ihn mit eigener Hand bem 
Kranken. Run feht aber, wie ſchlecht das ſchnöde Schickſal 
uns behandelt, wenn es uns übel will und uns Biber 
wärtigfeit bereitet! Platida ſtand noch in jugenblichem 
Alter, denn fie zählte noch nicht viel über dreißig Jahre, 
und wiewol fie durchaus fittfam lebte und feft entichloffen 
war, feinen Mann mehr zu nehmen, fo hielt fie doch 
darauf, die Schönheit zu bewahren, welche die Natur mit 
freigebiger Hand ihre bdargereicht hatte." Ste gebrauchte 
daher Sublimatwafler, um das Geficht glänzend und rein 
zu erhalten und ſich, fo gut fie fonnte, zu wahren gegen 
die Rungeln, weldhe die Jahre bringen und bie einem 
maͤnnlichen Geſichte Ernſt und Würde verleihen, bem 
weiblichen aber bie Lieblichteit vauben. Diefe edle Frau 
hatte nun in einem Fläfchchen ſolches Waſſer, das fie zu 
diefem Zwecke verwendete und eine ihrer Frauen hatte es 
aufzuheben. Als nun eines Morgens Placida mit ihren 
Putze fertig war, gab fie das Flaͤſchchen dem Mäbchen, 
das fie bediente, mit bem Auftrage es an feinen Plag 
zurückzuſtellen. Als fie das Zimmer verließ, kam einer 
der Diener ihr entgegen, welcher ihr das Flaͤſchchen mit 
dem Endivienwaſſer gab, das man zur Heilung bes 
Kranken anmwendete; das Mädchen hielt nun beide Flaͤſch⸗ 
hen in der Hand, legte ſodann das eine in die Büchfe, 
wohin das Sublimatwaſſer gehörte, und gab das andere 
ihrer Gebieterin, welche es dahin ſtellte, mo dasjenige 
ftand, aus welchen fie das Waſſer für ihren Sohn 
nabm. Us num der Morgen kam, ſtand Maciba auf 
und reichte mach ihrer Gewohnheit ihrem Sohne ben 
Trank, Kaum hatte ber Unglückliche denfelben eine Weile 
im Magen, fo empfand er die unfäglichften Schmerzen, 
es war ihm, als würden ihm die Eingeweide zerfreffen 
und er fühlte feinen Tod nahe. Darum fchidte bie 
Mutter plöglih zu den Arzten und erzählte ihnen bie 
feltfame Wirkung, welche heute der Trank hervorgebracht, 
ber doch bisher ihrem Sohne fo wohlthätig gewefen fei. 


61. Die unglüdlihe Mutter. 263 


Die Arzte verwunderten fih und konnten fich nicht ein- 
bilden, wie das komme. Sie traten zu dem Kranken, 
beobachteten die Zufälle, die ihn quälten, und erkannten, 
dag Zeichen von Vergiftung vorlagen. 

Madonna, fagten fie daber zu ber Mutter, euer 
Sohn Hat nicht den Trank bekommen, den er fonft zu 
nehmen pflegte, fondern ſtatt deſſen bat er ein äzendes 
Gift verfchludt, das ihn verzehrt. 

Wie,. Gift? rief Placida. Ih Unglückliche! Ihr 
täufcht euch, ihre Herren, denn niemand, als ich, hat 
ihm den Trank gereicht, und ich habe ihm den gleichen 
gegeben, wie fonft immer. _ 

Vielleicht, fagten die Arzte, haben die, bie ihn ge- 
holt haben, euch getäufcht und das Waſſer vergiftet. 

Sogleich wurde der Diener gerufen, welcder fagte, 
er babe das, was der Apotheker in die Flaſche gethan, 
"ins. Haus gebracht ohne Trug und Täufchung; che er 
eine ſolche Schurkerei beginge, würde er fich lieber das 
Lehen genommen haben, denn er liebe ben Sohn des 
Haufes, wie fein eigenes Leben. Der Diener war ein 
rechtfchaffeneer Menfh und galt dafür bei jedermann, 
weshalb man auch gern feinen Werten glaubte . Sie 
liegen den Apotheker rufen, welcher fagte, er habe das 
Waffer verabreicht, ohne irgend etwas daran zu fälfchen. 
Die Arzte wollten ſich jedoch fo gut als möglich auf- 
klären, wie ed mit der Sache ſich verhalte, und ließen 
fih das Flaͤſchchen mit dem Waffer bringen, betupften 
fih den Finger damif und brachten ihn an die Zunge, 
wo fie dann die tödtliche Schärfe empfanden, die das 
Waſſer in fich ſchloß; fie fprachen daher zu der Mutter: 
Madonna, man hat eucdy getäufcht, dies ift fein Endivien- 
waffer, fondern wirtlih Gift. 

Nun betrachtete ed die Frau genauer und erkannte, 
dag es ein Fläfhchen Sublimatwafler fei, das fie zur 
Erhaltung ihrer Schönheit anzuwenden pflegte. Nun 
fing fie an zu freien und zu jammern und fah, daß 


284 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


die Dienerin fih in der Ahnlichkeit der Gefäße (denn 
fie ſahen fich beide fehr ähnlich) getäufcht hatte, da ber 
Diener ihre die Flaſche mit dem Endivienwaſſer gab, 
während fie noch die anbere in der Hand hatte; bier 
vertaufchte fie die beiden, ftellte die Arznei in die Büchfe 
und gab Placida das Gift. Sobald bie Ärzte dieß be» 
merkten, ermangelten fie nicht, jedes mögliche Heilmittel 
für ihren unglüdlihen Sohn in Anwendung zu bringen; 
aber die tödtlihe Gewalt bes Gifts hatte fchon fo fehr 
um ſich gegriffen, daß alle Mittel umfonft waren und 
der Züngling farb. Die arme Mutter im Bewußtfein, 
Gift ftatt Arznei dem Sohne gereicht zu haben, der ihre 
Gut, ihr Leben, ihr Herz war, fühlte fi) fo ſchmerzlich 
ergriffen, daß fie den todten Sohn umarmte und über 
on binfant in folder Ohnmacht, daß man meinte, bas 

Leben fei ‚ganz von ihr gewichen. Da jedoch die gegen- 
wärtigen Arzte ihre Mittel anmwandten, riefen fie ihre 
Lebensthätigfeit zurüd, worüber die Frau ganz unzu⸗ 
frieden war und ſich beklagte, daß fie fie nicht haben 
fterben und ihre Seele binziehen Laffen, um der ihres 
Sohnes nachzueilen. 

Aber, fagte fie, was der Schmerz nicht vermocht hat, 
foU meine Hand vollenden. 

Sie Hatte ein Meffer in einer Scheide am Gürtel 
hängen, riß es heraus und wollte fi umbringen; aber 
Die Anweſenden hielten fie zurüd. Das Leben war ihr 
jedoch verhaßt und darum nannte fie fie graufam, daß 
fie fie bei ſolchem Schmerze noch zum Leben zwingen. 
Sie verwünfchte das Schickſal, fie beklagte fih über bie 
—* „ bezichtigte die Sterne und den Himmel der 

Grauſamkeit und verlangte durchaus, daß ihr jene Die- 
nerin herbeigeholt werde, denn fie wolle fie eigenhändig 
erwürgen, ba fie durch ihre Fahrlaͤſſi gkeit ihren theuern 
Sohn in den Tod geftürzt und ihr einen fo hetben Schmerz 
bereitet habe. Die Umftehenden fuchten fie zu überzeugen, 
es fei nur ein Derfehen, nicht böfe Abſicht geweſen und 


D) 





’ 


61. Die unglückliche Mutter.. 2365 


das Mädchen verdiene deshalb nicht den Tod. Da fie 
aber ihren Zorn nicht befchwichtigen konnte, begehrte fie, 
man folle fie den Händen der Gerechtigkeit übergeben, 
damit fie zum Tode verurtheilt würde. Nach einem 
gründlihen Verhöre fanden indeß die Richter, daß fie 
eher unvorfichtig, als fehuldig fei, und fprachen fie von 
jeder Strafe frei. Dies war für Placida ein harter 
Schlag, denn fie war nicht zufrieden mit dem, was das 
Recht verlangte, fondern ließ ſich einzig vom Zorn leiten 
und von ber Wuth. Man nahm ihr daher das Mädchen 
aus dem Haufe und fie ging voll Trauer hinweg, denn 
fie war fich bewußt, durch ihre Unvorfichtigkeit einen be- 
deutenben Unfall veranlaft zu haben. Als nun Placida 
ſah, daß die frei ausgegangen war, die fie gerne zu. 
einem graufamen Ende gebracht gefehen hätte, war ihr 
auch ber kleine Troſt entwunben, den fie aus dem Unter: 
gang berjenigen zu ziehen hoffte, die fie als die Urfache 
des Todes ihres Sohnes anfah. Sie Fehrte daher den 
ganzen Zorn wider fich felbft, fie zog in Betracht, daß 
alles das gefchehen fei zu Aufrechterhaltung ihrer Schön- 
heit, und zerfragte und verderbte fi, dermaßen ihr Ge- 
ficht, daß ihre bisher fchonen Züge viel häßlicher wurden, 
als die des garftigften alten Weibes, das man je gefehen. 
Sie ſprach auch von nichts, als daß fie fih den Tod 
geben wolle. 

Nimmermehr, rief fie, werde ich, bie Mörbderin meines 
Sohnes, am Leben bleiben. Diefen Sohn hat fein Vater 
Perpetuo genannt, in der Meinung, er werde in langer 
Nachkommenſchaft fein eigenes Leben fortpflangen. 

Und fortwährend weinte und feufzte fie. 

Du, Verpetuo, fagte fie, bleibft todt und die dich 


‚ umgebracht hat ſoll leben bleiben? Leben bleiben foll die, 


die dich von der Hand deines Vaters empfangen, um 
dich zur Tugend zu erziehen und zu den Jahren. der Reife 
zu bfingen! Und jegt hat fie dich getöbtet? Nein, nein, 
das darf nicht fein. 

Staliänifcher Novellenfchag. II. 12 


2366 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


Dann bat fie die, welche fie bewachten, daß fie fich 
nichts Leides thue, fie mögen iht den Tod geben. Als 
fie aber kein Mittel mußte, fich das Leben zu nehmen, 


verfiel fie endlich darauf, nicht mehr zu effen und zu | 


teinten. Ihre Wärter mußten ihr mit Gewalt den Mund 
öffnen und Flüffigkeiten hinuntergießen, um fie am Leben 
zu erhalten. Doch war die Gewalt ihres Schmerzes fo 
groß, daß fie ganz verrüdt wurde; während ihrer Ber- 
rücktheit, welche ihr jebe vernünftige Überlegung raubte, 
führte fie fortwährend den Namen ihres Sohnes im 
Munde, und in diefem Zuſtande ftarb fie nach einigen 
Jahren. Man darf diefe Verrücktheit als ein Glück für 
fie betrachten, da fie ihr das Bewußtfein des Unglüde- 
fall entzog, welcher ein Herz von Stein und Eifen, 
gefhweige das Herz einer fo liebenden Mutter, wie 
Placida ihrem Sohne war, hätte mit Jammer erfüllen 
müſſen. 


62. Taͤuſchung und Treue, 


(9, 7.) 


In Mantua der edeln Stadt der Lombardei, die 
durch ihre Lage und Annehmlichkeit, fowie Durch die feine 
Bildung ihrer Beherrſcher und ihrer Einwohner berühmt 
iſt, der Stadt, welcher weit größere Ehre der göttliche 
Genius Virgils verfhafft, .ald Denus, der Sohn des 
Mantus, von dem fie den Namen erhielt, in Mantua 
lebte vor kurzem eine fehr artige und höflihe Jungfrau 
Namens Nonna, welhe auf das Glühendfte in einen 
Edelmann Namens Pantheone verliebt war. Aber ob- 
wol die Jungfrau fehr fon, in der Blüthe ihres Alters 
und unter den Sittſamen die fittfamfte war, fo gäft fie 
doch für arm und er für reich, und obwol er ihre Liebe 


623. Zäufchung und Treue. 287 
zu ihm kannte, fchlug er doch, weil er mußte, daß ber 
Zwed ihrer Liebe nicht auf Wolluft, fondern einzig 
darauf ging, ihn zum Manne zu befommen, es nicht 
hoch an, von ihr geliebt zu werden, fondern verachtete 
fie fo fehr, daß er niemand hören wollte, der ihm von 
ihr ſprach, was der Jungfrau unerträglichen Aummer 
bereitete. Bei alle dem aber ließ fie die Hoffnung nicht 
finten, fondern dachte, ba fie ihn zu einem guten Zwecke 
liebe, müſſe ihr Gott den Weg zeihen, um das erfehnte 
Ziel ihrer Liebe zu erreichen. Pantheone war aber in 
ein anderes Mädchen verliebt Namens Kipera, welche 
gerade fo ihn verfchmähte, wie er Nonna verfchmähte. 
Sie wollte zwar nicht den Anfchein haben, als fei er 
ide zumider, und wenn er fie grüßte, fo grüßte fie ihn 
wieder; aber fie wollte nie eine Botfchaft von ihm an⸗ 
nehmen noch aud ihm bie Gunft bezeugen, daß er felbft 
nur eim Wörtchen mit ihr fprechen konnte. Wiewol er 
bei ihrem Vater um fie angehalten, hatte er doch Feine 
Antwort befommen, die ihm gefallen hätte. Denn ba 
der Vater wußte, daß das Mädchen ſich nicht dazu ver- 
fiehe, ihn zu erhören, und wußte, daß die Frauen, bie 
ſich verheirathen follen, einen Mann bekommen müffen, 
der mehr ihnen zufchlägt, als ihrem Water und ihrer 
Mutter oder fonft jemand, ber für fie zu forgen hat, 
ba ja fie auch ihr Lebtage mir dem Manne leben müffen, 
ſuchte er die Ausflucht, er wolle feine Tochter noch gar 
nicht verheirathen; wenn er fie aber irgend einem Manne 
in der Stadt zu geben hätte, würde er nicht anftehen, 
fie ihm zu geben. Mit diefen und ähnlichen Antworten 
fertigte er die ab, bie mit ihm davon fprachen. Dies 
fonnte jedoch die Liebe zu ihr in Pantheone nicht min» 
dern. Andererſeits wandte auch Nonna, obwol fie ſich 
von ihm verſchmaͤht fah, ihre Liebe auf keinen andern, 
ale auf ihn. Während die Sachen fo fanden, Fam 
Nonna die Liebe zu Ohren, die Pantheone für Lipera 
hegte und daß diefe ihn gar nicht liebe; darum kam ihr 

12* 


268 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


oft und viel der Wunſch, ſich in jene verwandeln zu 
Tonnen. Da fie aber einfah, daf dies unmüglich war, 
fing fie an, bei fi) zu überlegen, ob fie ein Mittel finden 
Tonne, Pantheone fo zu täufchen, daß fie fich felbft die 
Liebe zuwenden könnte, die er für jene andere fühlte. 
Es fiel ihr aber nichts ein, womit fie ihren Zweck zu 
erreichen hoffen durfte. Sie dachte, wenn fie nur mit 
ihm fprechen koͤnnte, würde fie ihm fo eindringlich be- 
weifen, wie fehr fie ihn liebe, das er fich ſchaͤmen müßte, 
fie nicht hochzufchägen und fie mit Gegenliebe zu belohnen. 
Wie fehr fie aber auch ihren Kopf damit anftrengen mochte, 
es wollte ihr nie gelingen, fo wenig Pantheone die Gunft 
zu Theil wurde, mit der andern fprechen zu fönnen. Das 
Glück aber, das Nonna’s Liebe fo begünftigen wollte, daß 
fie ein erfehntes Ziel erreichen durfte, Tieß aller menfchli- 
hen Berechnung entgegen einen Fall eintreten, ber Nonna 
zur höchften Befriedigung gereichen follte. Pantheone hatte 
nämlich einen Brief an Lipera gefchrieben, in welchem er 
fie bat, feine treue Liebe anerkennen zu wollen und ihm 
geneigte Gehör zu gönnen; biefen übergab er einer Frau, 
welche viel in ba6 Haus des Mädchens kam, an das er 
gerichtet war, und fagte zu ihr: Da, nimm biefen Brief 
und bring ihn ber Dame, bie, wie du weißt von mir über 
Alles in der Welt geliebt ifl. 

Er harte fich ihrer nämlich ſchon öfters in dieſem 
Liebeshandel als Mittelsperfon bedient. 

Begleite das Schreiben mit den Worten, bie: bir 
geeignet fcheinen, um fie zu beftimmen, baß fie mir Ant⸗ 
wort gebe. Denn wenn ich das durch deine Vermitte⸗ 
lung erreiche, fo werde ich dir fo reichlich lohnen, daß es 
dich nicht reuen foll, mir gedient zu haben. 

Meſa (fo hieß fie) nahm den Brief, verfprach ihm, 
feinen Auftrag zu beftellen, und ging weg. Da fie aber 
aus früheren Erfahrungen mohl wußte, wie fehr Lipera - 
ihn haſſe, und daß es in ben Wind gerebet wäre, wollte 
man fie zu dem zu beflimmen fuchen, mas Pantheone 





62. Täuſchung und Treue. 269 


verlangte, fo bejchloß fie, Pantheone zu fagen, fie habe 
zwar den Brief überbracht, allein die Jungfrau habe 
trog aller Worte und Bitten ihn gar nicht annehmen 
wollen. Diefelbe Frau war nun fehr genau befannt-mit 
Nonna, denn ba biefe ihre Freundfchaft mit Pantheone 
kannte, hatte fie fie auch mehrfach als Vermittlerin ge- 
braucht, um ihn zur Gegenliebe zu flimmen. Sie ging, 
nun zu ihre und erzählte ihr, was fie mit dem ihr zur 
Beftellung übergebenen Briefe anfangen wolle. 

Ich unglüdlliche, fagte Nonna meinend, was traf 
doch mich für ein herbes Loos, daß ich, obwol ich Die» 
ſem Mann mit folher Treue und Liebe zugethan bin, 
nie die Gunft erreichen kann, ihm ein Wörtchen zu fagen; 
und er müht ſich vergebens, von einer geliebt zu werben, . 
bie ihn doch haft und die darum ebenfo von ihm gehaft 
zu werden verdient, als fie von mir gehaßt wird, denn 
in ihr ift das Ende der Liebe meines Geliebten. 

Bei diefen Worten wandte fie ſich zu Mefa und bat 
fie, ihr den Brief zu zeigen und fie ihn lefen zu laffen. 
Die gute Frau gewährte es ihr und gab ihr ihn. 

Ab, ſprach fie, als fie ihn gelefen hatte, warum 
bat der Himmel nicht gewollt, daß er diefen Brief mir 
ſchickte? Ich würbe mich damit für das glüdlichte Weib 
auf Erben halten. - 

Als Mefa dies hörte, fagte fie zu ihr: Da ich ihn 
euch gebracht habe, fo feht es an, als habe er ihn euch 
geſchickt; ihr könnt euch fo felbft täufchen und feid dann 
auch glücklich. 

Das wäre nicht anders, entgegnete Mefa, ale wachend 
träumen und von der Luft leben ohne Hoffnung, dem 
Ziel meiner Wünſche näher zu rüden. 

Indem Nonna fo ſprach und meinte, rührte Mitleid 
mit dem Mädchen das Herz Meſa's. Sie wandte all 
ihre Dichten und Trachten darauf und firengte all ihren 
Berftand an, um fie zu befriedigen; und wiewol ihr für 
jegt nichts Paffendes einfiel, fo dachte fie doch, es werbe 


270 XVIII. Giovanni Battifla Giraldi Eintio. 


fih mit ber Zeit ein Mittel finden. Daher fuchte fie 
das Mädchen zu tröften und fagte zu ihr: Und was 
meintet ihr, wenn biefer Brief euch nicht allein mit 
Hoffnung erfüllte, fondern mir auch noch die Mittel an 
bie Hand gäbe, eure Wünſche wirklich zu befriedigen? 

Und wie follte das gefchehen? fragte Nonna. 

Ich will euch fagen, was mir eingefallen ift. Ich 
meine, nachdem ſich einmal diefe Gelegenheit euch ge- 
boten hat, folltet ihr euer Glück benügen und denken, 
dies fei einzig nach der Fügung der unfterblichen Götter 
gefchehen, welche eure ehrbaren Beftrebungen Pantheone 
zum Mann zu bekommen, begünftigen wollen. Damit 
nun dies erfolge, follt ihr flatt des von ihm geliebten 
Fräuleins in der Urt, wie es euch am beften ſcheint, 
ihm antworten, ich bringe ihm den Brief und er iſt in 
der Meinung, er komme von ſeiner Geliebten, befriedigt. 
Er wird antworten, ich bringe euch die Antwort, und 
es könnte geſchehen, wenn er immer ſchreibt und ihr 
antwortet, würde ſich leicht ein Zwiſchenfall einſtellen, 
der euch auf immer glücklich machen könnte. 

Weh mir, ſagte Nonna, wie ſchlimm iſt es doch, 
Meſa, dergleichen Dinge zu erſinnen, und wie wenig 
Werth haben ſie, wenn man ſie ſich nur vorſtellt! Aber 
wenn ich auch auf die Taͤuſchung, die du mir vorſchlaͤgſt, 
eingehe, was wird die Folge davon ſein, als daß ich klar 
erkenne, daß er jene andere liebt und mic, geringſchaͤtt, 
daß ich Schatten umarmen darf, während fie Pantheone 
ans Herz brüdt? Und wenn ich das je fehen müßte, 
fo würde e8 mir den herbſten Schmerz bereiten. 

Was meint ihr aber, verfegte Mefa, wenn euch Bott 
dadurch zeigen wollte, daß er ber Urheber ber Gnaden 
und derjenige ift, ber alle Wunder in der Welt thut 
und der auf uns unbekannten Wegen Haß in Liebe zu 
verwandeln weiß? Ich bitte euch, thut, was ich fage, 
benn ich erwarte davon nur Gutes. Mein Herz hat 
mir nie zu etwas gerathen, das nicht am Ende irgend- 


62. Zaufchung und Treue. 271 


wie gut ausgegangen wäre. Schreibt ihm nur, zeigt 
ihm unter der Maske der andern eure Liebe und ſagt 
ihm, die firenge Aufliht, unter der euch der Water 
halte, Laffe euch nicht die Mittel finden, mit Bequem- 
lichkeit mit euch zu fprechen; fobald ſich aber die Gele- 
genheit biefe, werdet ihr fie ihm fund thun, dba ihr nicht 
minder ſehnlich wünfcher, mit ihm zu fprechen, als er 
mit euch; unterdeffen bittet ihr ihn, feine Liebe zu euch 
mit der Zreue fortzufegen, womit ihr an ihm hanget. 
Habt ihr ihm das gefchrieben, fo überlaffen wir es dem 
Schidfal, den guten Anfang weiter zu leiten und einem 
guten Ziele zuzuführen. 

Nonna war zwar der Meinung, der Vorfchlag der 
guten Alten könne zu nichts führen; dennoch fchrieb fie 
den Brief in der Weife, wie Mefa erfonnen hatte, und 
diefe überbrachte ihn Pantheone, welcher in ber Meinung, 
er komme von feiner Geliebten, der Botin taufend Dank 
fagte und ihr noch überdies ein reichliches Geſchenk machte. 
Pol Wonne antwortete er auf den Brief, Nonna fchrieb 
auf die Antwort wieder und gab ihm auf Meſa's Rath 
Hoffnung, nit nur, daß er mit ihr werde fprechen 
können, fondern auch, daß fie ihm ihre höchfte Gunft 
gewähren wolle, fobald ſich Gelegenheit zeige, wofern er 
fie zur Frau nehmen würde. Pantheone zitterte vor 
Freuden über diefe Nachricht, es wurden bin und ber - 
noch mehrere Briefe gewechfelt und fo kamen bie Feſt⸗ 
lichkeiten des Garnevald heran. Männer und Frauen 
fingen an, fi zu verkleiden und maskirt Feſte zu be- 
fuhen. Als Pantheone Lies ſah, welcher von Nonna 
unter dem Namen Lipera’8 Briefe voll der unbefchränf- 
teften Anerbietungen und Verſprechungen erhalten hatte, 
fagte er zu Mefa, welche den Betrug zu Nonna’s Gunften 
leitete: Wenn meine Geliebte die Verfprechungen, bie fie 
mir gegeben, zur Ausführung bringen wollte, fo ift jegt 
die Zeit da, wo fie mich felig machen könnte. 

Und was wollt ihr, fragte die Alte, dag fie thue! 


372 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


Was ich wollte, daß fie thue? verfegte er. Sie foll 
fih maskiren und fo irgend wohin kommen, wo ich Die 
Frucht meiner Kiebe genießen Pönnte, die fie fich fo ver- 
langend zeigt mir zu übergeben. 

Ich weiß nicht, fepte Meſa hinzu, ob ihre Water es 
zugeben wird, daß fie fi eine Maske macht, denn ich 
weiß, er ift eiferfüchtig fogar auf die Ragen, die ihm 
duchs Haus laufen. Aber gefegt auch, daß fie dies 
von ihrem Water erhielte, was ich kaum glauben kann, 
glaubt ihr, daß fie fih fo euren Händen anvertrauen 
werde, ohne ihrer Ehre ficher zu fein? Das würde fie 
nicht thun, fo fehr fie euch liebt, und ich würde ihr 
auch dazu nie zureden, denn ich weiß, daß ihr jungen 
Leute, ſobald ihr euer Gelüſte gefättigt Habt, euch nicht 
mehr um die Frauen kümmert, die euch zu Willen ge- 
weien find, als wenn ihr fie gar nie gefehen hättet. 
Mit der Begattung erlifcht eure Liebe und bie Sehn- 
ſucht nach ihnen: ich bin nicht erft von geflern her, 
Dantheone, um nicht die Natur ber jungen Leute all- 
mälig zu kennen. 

Das werde ich nicht hun, fiel er ihr ein, vielmehr 
verfpreche ich bei meinem Worte, wie ich wünfche, fie 
fortwährend zur Frau zu haben, werde ich mich nicht vor 
dem Eheverlöbniß mit ihr vereinigen, und ic wünfche, daf 
- ihre dies immer, überall und vor jedermann bezeugen mögt. 

Da ihr fo gefinne feid, ſprach fie, könnte es nur 
gut fein, wenn ihr an fie fehriebet und fie baͤtet, euch 
ihr Derfprechen zu erfüllen, indem ihr ihr zeigt, daß fie 
es jegt bei Gelegenheit des Faſchings Leicht ausführen 
konnte; babei gebt ihr Ihe denn Sicherheit in Betreff 
ihrer Ehre, wie ihr mir foeben auseinandergefegt habt; 
dann will ich zu ihrer und eurer Befriedigung die Sache 
verfuchen, und vielleicht werde ich mich nicht umfonft 
bemühen und euch beide glüdlich machen, da ich fehe, 
daß die Liebe biefes Mädchens zu euch und eure Kiebe 
zu ihr fo groß iſt. 


62. Taͤuſchung und Treue. 275 


Pantheone war nicht faul die Feber zu ergreifen und 
einen Brief zu fihreiben voll Liebesglut; den gab er der 
Frau, daf fie ihn feiner Geliebten überliefere.. Sobald 
fie den Brief in Händen hatte, ging fie alsbald zu Nonne, 
bändigte ihr ihn ein und fie las ihn. 

Was fehe ich, ſprach fie, als fie damit fertig war, 
aus dieſem Briefe anderes, als daß Pantheone eine 
andere liebt und fich um midy nichts befümmert, daß er 
wünfcht, ſich mit jener zu vereinigen und mich beifeit 
zu laffen? Welchen Troſt kann mir das Feuer bereiten, 
das hierinnen verfihloffen ift, und die Treue, die er ver⸗ 
fpricht, wenn er von einem andern Feuer glüht und bie 
Treue einer andern, als mir, zugefagt ift® Sch weiß 
hieraus nicht zu entnehmen, als Kummer und die fichere 
Berzweiflung an dem, mas ich mit folcher Hingebung 
fo lange gewünfcht habe. 

Hier fing fie an jämmerlich zu weinen. Mefa, melche 
bereits ihre Plane mit ihr entworfen hatte, fprach zu ihr: 
Nonne, wenn ihr euch meinem Rathe fügen wollt, fo 
fagt mir mein Herz, daß ich euch fo heiter machen werde, 
als ihr jegt traurig und kummervoll feid. 

Und wie willft du das je bewerkftelligen, fragte jene, 
wenn alle meine Freude davon abhängt, Pantheone zum 
Mann zu befommen, und er der Gatte einer andern 
werden will? 

‚Gerade, fagte fie, will ich, daß er euer Gatte werde. 

Und wie ſoll das geſchehen? fragte Nonna. 

Folgendermaßen, antwortete jene. Pantheone hat bis 
jetzt geglaubt und glaubt noch immer, das Mädchen, das 
er liebt, habe allezeit auf ſeine Briefe geantwortet, ich 
babe dieſen Glauben zu euern Gunſten ſtets in euch ge- 
nährt in Erwartung, daß bie Zeit euer und mein Ver⸗ 
langen auf eine ehrenhafte Weiſe erfüllen werde; denn 
mein Verlangen geht nad) eurer Zufriedenheit, gerade als 
wäret ihre meine Zochter. Und mir feheine nun, es fei 
das eingetroffen, was. ic zu eurem Beſten feit dem 

12* * 


774 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Gintio. 


Beginn dieſer Unternehmung im Auge hatte. Ihr ſeht, 
wie ſehr Pantheone wünſcht, mit dieſem Mädchen zu⸗ 
ſammen zu fen. Run follt ihr ſtatt ihrer zu mir kommen, 
und ich will machen, daß Pantheone fi) mit euch ver» 
bindet, in der Meinung, bei feiner Freundin zu liegen. 

Als Ronna dies hörte, flieg ihr das Bedenken auf, 
die Alte könnte mie diefer Lift fie Pantheone preisgeben 
und dann, nachdem er befriedigt wäre, fich nicht weiter 
darum kümmern, ob fie mit Schande. bebedit bleibe; 
darum fagte fie: Ich weiß recht wohl, Meſa, wenn ich 
nicht für meine Ehre hätte forgen unb mich Pantheone 
hingeben wollen, fo hätte ich weder beine noch fonft 
jemanbes Bermittelung nöthig gehabt, um mit ihm zu⸗ 
fanmen zu kommen; aber wie das früher nicht meine 
Abſicht war, fo begehre ich es auch jegt feineswegs; 
beshalb kann ich mich auf deinen Vorſchlag nicht ein- 
laſſen und du follteft glühen vor Scham, mir ihn anzu- 
bringen, denn ich fehe nicht, was mir anders daraus 
entfpringen Zönnte, als Schande ohne irgenb weichem 
Bortheil, und unter biefer Bedingung möchte ich nicht 
mit Jupiter felbft mich vereinigen, geſchweige mit Pan- 
theone; lieber will ich, daß bie Flammen, von welchen ich 
glühe, mich elendiglich verzehren, als daß ich das thue. 

Ihr Habt euch, antwortete jene, gleich das Schlimmfte 
eingebildet, was Bier möglicher Weiſe geſchehen könnte. 
Glaubt ihr wol, Ronna, daß ich fo gottlos wäre, euch 
ſchandbar mit ihm zu’ verfuppelnt Da kennt ihr mid 
ſchlecht, Nonne, wenn ihr eine ſolche Meinung von mir 
habt. Gin ehrembafter Zweck treibt mich zu dieſem Unter 
nehmen, nicht eure Schande; und darum, wenn es euch 
recht ift, die Sache einzugeben, bie ich euch vorgefchlagen 
habe, fo foll er nicht bei euch liegen, ohne daß er euch 
zur rau nimmt, ehe er euch anrührt. 

Eine größere Gnade, entgegnete Ronna, könnte mir 
feeilih der Himmel nicht befcheren, und wenn dies ge 
ſchehen fol, fo werde ich dir unendlich verbunden fein 








62. Taͤuſchung und Treue. 275 


und du wirft mich niemals fatt fehen, dir eine fo große 
Wohlthat zu vergelten. 

Es wird gefchehen, fagte die Frau, und ich werde 
mich hinlänglich ‚belohnt erachten, wenn ich euch voll- 
ftändig befriedigt fehe. 

Wie foll das aber gefhehen? fragte Nonna. 

Sobald e8 Zeit ift, mill ich euch bemeifen, daß ich 
euch liebe und daß vom erften Briefe an, den ich euch 
brachte, bis zum legten ich an nichts anderes gedacht 
habe, als daß ihr das erfehnte Ziel eurer Liebe erreichen 
möget. Darum müßt ihr ihm auf diefen Brief erwibern, 
er folle nur Allem glauben, was ich ihm als Antwort 
"vermelde; denn ihr und ich haben miteinander befchloffen, 
was zur Ausführung diefee Angelegenheit erforderlich fei. 

Nonna that, wie bie Frau verlangte. Diefe nahm 
den Brief, begab fi zu Pantheone, ber fie mit der 
größten Sehnſucht von der Welt erwartete, und über-. 
reichte ihm den Brief. Als er darin nur ein Beglau- 
bigungsfchreiben für fie fah, fragte er fie, was geſchehen 
und was in ber Sache angeordnet fei. Die Frau fagte: 
Pantheone, ich; babe ein folches Feuer im Herzen eurer 
Geliebten erwedt, daß, wenn nicht die Rüdfiht auf ihren 
Vater fie abgehalten hätte, fie mit mir zu euch gefommen 
wäre; aber bie große Furcht vor ihm, deffen Wefen hart 
und furchtbar ift und der fie in befländiger Angft erhält, 
ließ es ihr nicht zu. Ich wollte indeß nicht unterlaffen, 
Alles zu verfuchen, was mir geeignet ſchien, euch zufrieden 
zu fielen; daher fagte ich zu ihr: Und warum maskirt 
ihr euch nicht und kommt in mein Haus? Ich werde 
Pantheone Hinbeftellen und ohne daß euer Vater etwas 
davon erfährt, könnt ihr euch eurer Liebe freuen. 

Sie antwortete mir aber fogleih: Wie fol ich mich 
denn masliren? Mein Bater würde nimmermehr zu- 
geben, daß ich auch nur zu. Haufe eine Maske auffeste, 
geſchweige daß ich damit audginge. Ihr wißt ja, daß 
feit meine Mutter geftorben ift, er fein Auge mehr von 


276 XVIN. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


mir läßt und, wenn er audgeht, mich fo in feine Zimmer 
verfchließt, daß ich feinen Fuß hinausfegen kann. 

Als ich dies hörte, fagte ich zu ihr: Und wenn ich 
euern Vater dazu brächte, daß er es erlaubt, würdet ihr 
euch dann nicht maskiren und würdet ihr nicht mit mir 
fommen? 

Darauf antwortete fie: Von ganzem Herzen gerne. 

Als ich fo die Einwilligung des Mädchens hatte, 
habe ich mich bei dem Water dafür verwandt, daß er 
erlaube, daß fie ſich maskire und morgen ein Paar 
Stunden mit mir fomme Ich muß fie alfo morgen 
abholen und werde fie in eure Arme führen, aber nur 
mit dem Beding, daß ihr, ehe ihr fie berührt, euch mit 
ihr verlobt und fie auf der Stelle für eure Frau erklärt. 

Ih glaube nicht, holde Frauen, daß eines Menfchen 
Sinn die Freude faffen kann, die Pantheone nunmehr 
fühlte. Er fegnete taufend mal den Tag, da er in das 
Mädchen ſich verliebt habe, taufend und aber taufend mal 
die Liebe, die ibm Mefa zugeführt als Vermittlerin dieſes 
Verkehrs. Er konnte nicht fatt werden, ber Alten zu 
liebfofen und den Dienft zu loben, ben fie ihm erwiefen. 
Am folgenden Tage ging das gute Weib zu Nonna und 
meldete ihr, mas fie mit Pantheone verhandelt hatte. 

Niemals, fügte fie hinzu, hat Pantheone mit Lipera 
gefprochen, die euch fo fehr verhaßt ift, auch hat er nie 
mals mit euch gefprochen; eure Perfon gleicht volllommen 
ber feiner Geliebten, und wenn ihr das Geficht bededt 
habt, fo fehlt zur Täuſchung nichts mehr, ald die Augen; 
bafür aber hat die Natur geforgt, denn bie eurigen find 
eben fo ſchwarz und lebendig, als Lipera fie hat, und 
fönnen bie Meinung, daß fie es fei, eher bekräftigen, 

"ale ſchwaͤchen. Wollte er auch aber etwa, während er 
bei euch ift, die Maske abnehmen, wie es gefchehen konnte, 
fo müßt ihr euch dem widerfegen, indem ihr euch, wie 
euch am beften fcheint, ausrebet, fo aber, ald wäre Ki- 

pera's Vater der eurige. ° 


62. Taͤuſchung und Treue. 277 


Nonna war mit alle dem einverftanden. 

Aber, fagte fie, gefept, daß alles, wie bu ed aus⸗ 
gefonnen haft, ein glüdliches Ende nehme, zulegt muß 
"ja doch der Betrug an den Tag fommen, und wenn das 
gejchieht, was fol alsdann aus mir werden? 

Werde, ſprach Meſa, mas da will! Er bat euch 
einmal zur Frau genommen und muß euch behalten auch 
gegen feinen Willen; ich werde beftändig zu euren Gunften 
Beugniß ablegen. Es gefchieht dann nur, was dem alten 
Patriarchen wibderfuhr, der um Rachel gedient hatte, aber 
Lea zum Weibe befam. ch will aber hoffen, wie Gott 
bort geholfen hat, jo wird er auch hier nad) feinem Er⸗ 
barmen alle Hinderniſſe hinwegräumen. 

Als Nonna hörte, was Meſa zu ihr geſagt und was 
fie erfonnen hatte, bat fie Gott um feinen Beiftand: 
Sie zog ein Nonnenkleid an, nahm eine Maske vor und 
vermummte fich das Geſicht mit Binden und Schleiern, 
wie wir e8 Nonnen machen fehen. Daher war die Maske 
nicht leicht vom Geficht abzunehmen, wenn man nicht 
den ganzen verwidelten Sopfpug in Unordnung bringen 
wollte. Sie machte fih alfo mit der Frau auf den Weg 
nach ihrer Wohnung... Bald. darauf fam auch Pantheone 
und als er das Mädchen dort fah, glaubte er, es fei 
Lipera, und wollte ihr die Arme um den Hals fchlingen. 
Sie aber drängte ihn fanft zurüd und ſprach: Pantheone, 
die abfonderliche Liebe, die ich für euch fühle, hat mich 
hergeleitet, und ich erkenne wohl, daß ich hierin gegen 
meinen Vater ein großes Unrecht begehe, indem ich fo 
ohne feine Zuftimmung zu euch komme. Aber meine 
Liebe zu euch war mächtiger, als die Ehrerbietung, die 
ih meinem Vater fchuldig wäre. Doc da mich bie 
Liebe hierzu gezwungen hat, ihm ſolches Unrecht zu thun, 
ſo möchte ich ihm nicht noch ein zweites weit größeres 
zufügen ‚nämlich, dag ich mic, euch hingäbe mit Verluft 
meiner Ehre, fo meinen guten Namen verlöre und ben 
Glanz meines Blutes verdunfelte. Che daher. etwas 


“ 


2778 xvVIl. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


* Weiteres zwiſchen uns erfolgt, verlange ih, daß ihr mich 


heirathet und mich zu eurer Gattin nehmt; dann bin ich 
volllommen bereit, euch au Willen zu fein. 

Yantheone heftete feinen Blick auf die Augen des 
Mädchens und er fand fie denen gleich, aus melden 
ihm Fackeln unb Pfeile ber Liebe zugeflogen waren, er 
vernahm den holden Ton ihrer Stimme, der bei Ronna 
bewunbernswürdig war, und durch die Kebhaftigkeit der 
Blide und die Süfigkeit der Rede war er ganz in bie 
Gewalt der Jungfrau gefangen, bie er für feine Geliebte 
hielt. 

Auch ich, verfegte er daher, bin in feiner andern 
Abſicht hergekommen, als um euch zum Weibe zu nehmen, 
unb ich will eudy das_fogleich bemeifen. 

Er hatte zwei der fchönften Ringe mitgebracht, durch 
diefe verlobte er ‚fi mit ihr und nahm fie zur Frau. 
Dann wollte er ihr die Maske abnehmen und fich zu 
ihr legen. Ronna aber fprah: Thut das nicht, mein 
Gemahl, denn mein Bater hat mich mit eigener Hand 
fo angezogen und mir gefagt, er „habe mir beim Befe⸗ 
fligen ber Maske und beim AJurechtlegen der Binden 
und Schleier darüber ein Zeichen gemacht, das ich nicht 
fenne; wüßte ich, worin es beſteht, fo hätte ich nicht 
gervartet, bis ihr mir die Maske abzieht, fondern ich 
hätte fie felbft abgenommen, um beflo ungesmungener 
eure Liebe genießen zu können. Wenn ich ihm aber 
meinen Kopfpug nicht wieder gerade fo nad Hauſe 
bringe, wie er mir ihn angemacht bat, fo werde ich 
unglüdlich ; ficherlich könnte ich, wenn ich die Maske 
abnähme, das Zeichen leicht verderben, und menn das 
wäre, würde ich Gefahr laufen, daß er mic umbrächte, 


denn ich weiß, wie beftig er if. Wollt ihr daher jept 


bei mir fein, fo wie ich bin, wohlen, ich bin ganz die 
eure; feid ihre aber damit nicht zufrieden, fo bitte ich 
euch, bringt mich nicht durch Ablegen meiner Maske in 
Gefahr, ums Leben zu kommen. Wenn ed euch, viel- 





62. Zäufchung und Treue. 279 


leicht nicht geftele, auf diefe Weife mit mir zufammen 
au fein, fo laßt mich für jest! Es wird fehon eine Zeit 
tommen, mo wir mit größerer Sicherheit unfere Verei⸗ 
nigung fchließen formen, als es jegt gefchähe, wenn ic) 
mich maskirt mit euch verbaͤnde. 

Pantheone glühte fo von Sehnſucht nach der Frau, 
daß er nicht nur in dieſem Aufzuge, fondern felbft wenn 
fie ganz mit Waffen bededt geweſen wäre, nicht unter- 
laffen hätte, fich ihr zu nahen. Er umarmte fie daher 
und fagte tadelnd: Wie, ich fol euch laſſen? Nimmer⸗ 
‚mehr wird Pantheone das thun. 

Er legte fie nun auf ein fehr bequemes im Zimmer 
fiehendes Bette und verband ſich mit ihr in leidenſchaft⸗ 
licher Hingebung zu unendlicher Wonne von beiden, denn 
Dantheone glaubte, bei Kipera zu fein, Nonna aber fah 
ihre Liebe an einem ehrenvollen Ziele angelangt. Nach⸗ 
dem fie ſich lange Zeit miteinander vergnügt hatten, trat 
bie gute Frau, melche das Spiel geleitet hatte, vor und 
fagte zu dem jungen Manne: Pantheone, bei diefer Sache 
muß man tlüglich verfahren, damit nicht eure Freude ſich 
in das gräulichfte Argerniß auflöfe. Da ihr alſo ficher 
feid, daß diefe junge Frau niemand, ald euch angehören 
fann und ihr ben Befig eurer Liebe angetreten habt, fo 
bleibe uns nur noch übrig, ihren Water zu der Einwil- 
ligung zu beftimmen, daß ihr ſicher fein Schwiegerfohn 
feid und bleibt. Da jedoch hierzu Zeit erforderlich ift, 
müßt ihr euch begnügen, euch in dem Verhältniß zu 
begegnen, wie früher, ehe ihr euch einander ergeben habt; 
denn wenn ber Vater etwas merkte, fo wären wir, die 
junge Frau und ich, übel angeführt. Ihr wißt, wie. 
euch Zipera ſchon zuvor gefagt hat, wie heftig er ift; 
darum bitte ich euch, geht auf das ein, was ich euch 
fage, damit wir allmälig und ohne Gefahr für einen von 
uns feine Einwilligung erlangen können, und ich werbe 
euch zur Mittelöperfon dienen, um auch dies, wie ich das 
Bisherige geleitet babe, einem guten Ziele zuzuführen. 


) 


W0 XVIII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


Dem jungen Manne fiel das ſchwer, doch da ſich 
mit Meſa's Worten Nonna's Bitten vereinigten, ſagte er: 
Nachdem mir Gott die Gnade erzeigt hat, mit euch zu⸗ 
ſammen zu kommen, Lipera, will ich nicht, daß dieſes 
unſer Beiſammenſein eine andere Frucht trage, als Freude. 
Damit wir alfo in gutem Einvernehmen mit eurem Bater 
uns froh und ruhig genießen fonnen, will ih, ba ich 
gerade in Rom einen Rechtsſtreit von nicht geringer 
Wichtigkeit Habe, mich indeffen dorthin verfügen, denn 
bier koͤnnte ich es nicht aushalten, ohne zu euch zu 
tommen oder ohne daß ihr zu mir kaͤmet. In der Zwi⸗ 
ſchenzeit mag biefe unfere gemeinfchaftliche Freundin, Die 
uns bereit fo viel Glück bereitet hat, das librige zu 
bem Ende führen, das wir erwarten. 

Das will ich thun, ſprach Meſa, und bie beiden 
Gatten überließen fi) neuen Umarmungen, wobei Pan- 
theone ftet6 eifrigft Rüdfihe nahm, den Kopfpug feiner 
jungen Frau zu fihonen, aus dem bereitd angeführten 
Grunde. Mefa aber brängte Nonna durch die Bemer- 
tung, der DBater babe fie ihr auf zwei Stunden anver- 
traut, jegt aber feien mehr als drei vorüber. 

Ad, fagte fie zu Pantheone, lieber Herr, die Tren- 
nung von euch fällt mir aͤußerſt fchwer; doc da mid 
die fefigefepte Zeit zu meinem Vater zurückruft, bitte ich 
euch, zu geftatten, daß ich mid) entferne. 

Diefer Abſchied Fällt mir nicht minder ſchwer, fügte 
Pantheone hinzu, als euch; doch da es denn fo fein muß, 
fo geht bin, mein Leben! Morgen reife ih nach Rom. 
Zum Abſchied laſſe ih euch mein Her, zum Pfande 
zurüd. Und was gebt ihr mir mit auf den Weg? 

Die Eeele, fagte Nonna, und wo ihr mweilet, wird 
fie euch beftändige treue Geſellſchaft leiten. 

Nach diefen Worten küßte Pantheone die Maske rechts 
und links, die Liebenden trennten fi und Nonna kehrte 
nad) Haufe. Pantheone machte fi) am folgenden Tag auf 
den Weg und ging nach Rom. Nonna blieb voll von 


62. Taͤuſchung und Treue. 281 


großer unbefchreiblicher Wonne zurück. Nur das machte 
ſie einigermaßen beforgt, daß fie nicht wußte, mie es 
werden würde, wenn. Pantheone die Täufchung einfehe, 
was doch früher oder fpäter gefchehen. müffe, ob fie. nicht 
ganz in Ungunft bei ihm falle, theild weil er ſich nun 
alle Hoffnung geraubt ehe, nachdem er fie zum Meibe 
genommen, ſich je mit feiner Geliebten verbinden zu 
fönnen, theil® meil fie arm und dies bisher die Haupt⸗ 
urfache geweſen fei, daß er fich nie hatte beftimmen laffen, 
fie zu lieben, denn Mefa hatte ihr oftmals gefagt: Nonna, 
eure Schönheit und eure Armuth ift fchuld, dat Pan- 
theone fich nicht dazu verfieht, euch zu lieben; denn ba 
ihr fo außerordentlich ſchön feid, fürchtet er, bie Liebe 
für euch Zönnte ihn drängen, euch arm wie ihre feid zur 
Frau zu nehmen. 

Da ed aber, wie ich glaube, vom Schickfal beſtimmt 
iſt, daß dieſe Ehe zu Stande kommen ſoll, ſo traf auch 
der Himmiel Vorſorge gegen jede Unordnung, die fie 
irgendwie hätte ſtören können. Denn. ein Bruder von 
Nonna’d Vater, welcher fehr reich war und das Mädchen 
fehr lieb hatte, ftarb, und da er Feine näheren Ber: 
wandten hatte, als fie, Binterließ ‘er ihr fein ganzes 
-Bermögen, das über zehntaufend Goldgulden betrug. 
Lipera's Water aber gab noch im Laufe des angeführten 
Garnevals feine Tochter einem ferrarifchen Edelmann zur 
Frau, diefee brachte fie nad Beendigung des Carnevals 
nach Ferrara. ALS dies Pantheone hörte, nachdem er 
faum einen Monat in Rom gewefen war, fühlte er fich 
tief betrübt, er Tieß plöglich alle Gefchäfte im Stih und - 
kam nad) Mantua. Er fuchte bie Frau auf, welche feine 
Heirath eingeleitet hatte, und beklagte ſich bitter über das 
Borgefallene. Sie fand aber gleich Ausflüchte und fagte, 
fie habe es an nichts fehlen laffen und alle möglichen 
Mittel bei Vater und Tochter angewandt, um die neue 
Permählung zu verhindern, aber er habe durchaus fich 
nicht dazu verftehen wollen, zu erlauben, baß fie einem 


282 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


andern angehöre, als dem, bem er fie fchon feit geraumer 
Zeit zugefagt hatte; der jungen Frau habe fie gefagt, 
fie habe fih ihm zur Gattin gegeben und könne fich 
baber nicht mit einem andern vermählen; fie habe ihr 
aber geantwortet, nur mit großem Schmerze werde fie 
bie Frau eines andern, als Pantheone’s, und fie fei auf 
dem Punkte geflanden, ihrem Vater das dem Pantheone 
gegebene Wort anzuführen, fie babe fi aber mit ihrem 
Beichtiger darüber berathen und biefer habe ihr gefagt, 
ba keine kirchlichen Feierlichkeiten babei ftattgefunden haben, 
gelte die Ehe nicht, und aus biefem Grunde habe fie den 
Zorn ihres Vaters nicht ohne Nugen gegen fie aufregen 
wollen, fich alfo bamit einverftanden erklärt, deffen Gattin 
zu werden, bem ihr Vater fie übergeben habe. Pantheone 
war fehr betrübt über diefe Mittheilungen und wollte fein 
Mittel unverfucht laffen, diejenige zurücdzubelommen, mit 
weicher er die Ehe vollzogen zu haben glaubte. Aber 
Mefa fagte zu ibm: Ich will nicht unterlaffen, euch meine 
Meinung zu fagen; thut hernach, was euch lieb ift und 
was euch angemeffen ſcheint. Ihr habt das Mädchen 
genoffen und nachdem ihr ihre Blume gepflücdt, ift fie 
in eines andern Hand übergegangen. Das muß euch, 
wie mich dünkt, eher Freude machen, als daß ihr num 
fie dem wieder nehmen wollt, der fie feither genoffen hat. 
Dies koͤnnte euch nur zur Schande gereichen, denn jeber- 
mann würde euch, um es gerade herauszufagen, für einen 
Hörmerträger halten, und es könnte leicht fommen, daß 
der, ber jest das junge Weib befigt, fie euch ohne Wider- 
rede zurüdgäbe, um mit einer andern in die Ehe zu 
treten. Darum, wenn ich ihr wäre, ließe ich dem Waſſer 
feinen Lauf und würde mich nad einer neuen Frau um⸗ 
ſehen, da ja bei der erften die Kirche ihren Segen noch nicht 
ertheilt hat, fie ſomit auch nicht wirklich eure Frau war. 
Thut ihre das, fo konnt ihe immer über jenen lachen, 
der eure erfte zur Frau genommen, nachdem ihre zuerft 
ihr beigewohnt, gerade wie er über euch lachen würde, 


62. Taͤuſchung und Treue. 283 


wenn ihr fuchtet, fie ihm zu entreißen und als eure Frau 
zu behalten. Es fehlt hier zu Lande nicht an Frauen, 
die für euch paſſen. Da ift unter andern die Nonne, 
bie euch bekanntlich liebt und die euch eine würdige 
Gattin wäre. Jetzt hat fie auch dur den Tod ihres 
Oheims ein fo großes Vermögen geerbt, daß fie eine 
ganz andere Mitgift euch zubrächte, als ihre von ber 
andern befommen hättet, und wenn euch etma mehr Die 
Schönheit beſtimmen foll, eine Frau zu nehmen, als der 
Reichthum, fo ift Nonna nicht minder fehön als irgend 
eine im Lande. Sch glaube daher, ihr thut wohl, bie 
andere jenem, der fie einmal hat, zu laffen, und Nonna 
zw beirathen, mit ber ihr vielleicht viel zufriedener und 
bequemer leben werdet, ald mit der andern der Fall ge 
weſen wäre. 

Die Worte der Alten blieben nicht ohne Wirkung 
bei Pantheone. Er zog namentlicd, in Betracht, daß 
Lipera, bei welcher ex gefchlafen zu haben glaubte, ihm 
doch nicht mehr ohne Schande für ihn angehören fönne, 
und entfchloß fih, Nonna zu nehmen, fobald er fi 
überzeugt hätte, baf wegen Mangels der kirchlichen Feier 
bei feiner Vermählung mit Lipera ſie nicht wirklich feine 
Frau geworben fei. Als er nun fand, daß bie beften 
Gewährsmänner ber Anficht waren, daß folhe heimlich 


‚gefchloffene Eheverträge Leine Giltigkeit haben, nahm er 


Nonna zum Weibe. Es dauerte aber nicht lange, fo 
hielt er fich für den unglüdlichften und beteogenften Dann, 
ber je ſich mit einem Weibe eingelaffen hätte. Nonna 
war nämlich von ihren erften Berührungen, die fie unter - 
frembem Namen mit Pantheone gehabt hatte, ſchwanger 
geworden, was Pantheone zwei Monate nach feiner wirk⸗ 
lichen Verheirathung bemerkte. Der Kummer über diefe 
Mahrnehmung ließ ihn nicht Ruhe noch Raft finden und 
oft fprach er bei fih: Seht doch wie ich Schafstopf mir 
felbee Hörner angefegt habe, indem ich dieſe zum Weibe 
nahm, die ſchon ſchwanger in mein Bett gekommen ift. 


284 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Cintio. 


Ganz ſchwermüthig ſann er fortwährend auf Mittel, 
fih von dem Weibe loszumachen, und oft hatte er ge 
radezu im Sinne, fie ohne Weiteres zu verlaffen. Freilich 
ſah er wohl ein, daß dies nicht das rechte Mittel war, 
um zu maden, daß fie nicht mehr feine Frau wäre; er 
kam daher auf einen viel graufameren Plan und bedachte, 
wie er ihr das Leben nehmen wollte, da er mußte, daß 
nichts, als der Tod, den Knoten Iöfen könne, mit 
bem er zu feinem Unheil an Nonna gefeffelt zu fein 
wähnte. 

Bon fo läftigen Gedanken gepeinigt verwünfchte er 
fein Geſchick und Mefa, die ihn an eine ſolche Klippe 
geführt, um baran zu fcheitern. Als Ronna dies merkte 
und wußte, mit meld großer Mitgift fie ihren Gatten 
erkauft hatte, befchloß fie, ihm zu entdedien, was zwifchen 
ihr und ihm durch Bermittelung ber guten Alten vor- 
gefallen war. Sie erzählte ihm ‚daher in einer Stunbe, 
die ihr geeignet fehlen, wie fie von ihm ſchwanger fe, 
entgüllte ihm vollftändig das Verfahren, wodurch fie auf 
Mefa’s Rath feine Frau zu werben gefucht habe, und 
zeigte ihm die Ringe, die er ihr zur Verlobung gegeben. 
Als Pantheone die Wahrheit ihrer Erzählung einfah, 
erkannte er, wie groß die Liebe Nonna’s zu ihm gemefen 
und wie fehr fie verdiene von ihm geliebt zu werben. 
Er verwandelte den Argwohn, ben er gefaßt hatte, in 
die anhänglichfte Liebe und freute fich, baf fie Durch folche 
Täuſchung feine Gattin geworben fei. Auch Mefa erntete 
Lob dafür, daß fie, um die Sache zu Ende zu führen, 
ihm eine folche Falle gelegt habe. Er lebte glüdlich mit 
Nonna und hielt Mefa beftändig werth dafür, daß fie 
ihn. mit Nonna zufammengebracht hatte. 





63. Ein Gottesurtheit. 285 


63. Ein Gottesurtheil. | 


(10, 7.) 


Sn Agina ber vornehmften Infel der Cykladen lebte 
um die Zeit, wo diefelbe mit Athen um die Herrſchaft 
auf dem Meere vwetteiferte, eine junge Frau von fehr 
vornehmer Abkunft Namend Eupia. Sie mar aufer- 
ordentlich fchön, fehr wohlmollend und reizend 'und von 
fo einnehmendem Betragen, daß fie bei jedermann beliebt 
war. Sie war an einen Mann verheirathet, welcher fich 
ganz dem Handel und der Kaufmannfchaft widmete und 
Eupoleo hieß. Seine Gefchäfte hielten ihn meift von 
der Stadt entfernt. Einft war er nach Euböa, dem 
heutigen Negroponte, gegangen, um gewiffe Unterneh- 
mungen zu machen, bie ihn auf einige Monate dafelbft 
feffelten. Unterdeffen kam ein fehr vornehmer Ritter aus 
Athen nad) Agina und wohnte zu feiner Unterhaltung 
in der Stadt, die dbenfelben Namen wie die Infel führte. 
Hier fiel ihm Eupia ins Auge und er entbrannte fo ſehr 
für fie, daß er feine Gedanken auf nichts anderes wandte, 
als wie er ihre Liebe gewinnen und die legten Früchte 
derfelben fi) aneignen fonne; und ba bie junge Frau 
von vornehmem Stande und, wie gefagt, fehr artig und 
höflich war, mwurbe in Agina kein Feſt noch Gaſtmahl 
gefeiert, wozu fie nicht gerufen worden wäre, und ebenfo 
wurde dazu der milde und erlauchte Ritter geladen, welcher 
Eleuterio hieß. Bei einem folchen Fefte tanzte Eleuterio 
mit Eupia. Dies fchien ihm die paflendfte Zeit, um 
der jungen Frau feine Liebe zu entdeden, wegen .ber 
Freiheit, womit Männer und Frauen fich beim Tanze 
die Hände geben und ungeftört fprechen dürfen; fo fagte 
er denn, indem er fie bei der Hand bielt: Eupia, eure 
feltene Schönheit, dergleichen ich nie fonft gejehen zu 
haben: glaube, nicht allein hier fondern in ganz Griechen- 


286 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


land, bat mich fo fehr für euch entzündet und ich habe 
fie fo mädtig in meinem Derzen empfunden, daß ic 
euh zur Herrin meiner Seele und meines Lebens und 
ohnehin aller meiner Habe, die übrigens nicht gering ifl, 
gemacht habe. Und da ich euch ebenfo höflich, als ſchön 
fah, bin ich auch zu der Überzeugung gefommen, meine 
Liebe auf eine durchaus freundliche Dame gewendet zu 
haben, und diefe Anficht ließ mich Hoffen, daß, wenn 
ihr von edlem Gemüthe feid und ber Adel der Liebe dient, 
ihr geneigt fein werdet, mir ebenfo eure Liebe zuzuge- 
ſtehen, wie id gan, mit all meinem Geſchick mid 
eurer Willkür zu Befehl ſtelle. Darum bitte ich euch 
bei ber Schönheit, die mich zu eurem Knechte gemacht 
und mein Lehen und Sterben in eure Hand gelegt hat, 
und bei eurer Höflichkeit, aus der ich große Hoffnung 
gefchöpft, und bei diefer meiner inbrünftigen Liebe zu euch, 
daß es euch gefallen möge, daß ich euch liebe, und daß 
e8 euch ferner gefallen möge, daß ihr mich liebet und 
mie gewähret, was eine fehöne gütige Frau einem auf. 
richtigen treuen Liebhaber gewähren fol; und wenn ich 
diefe Gunſt von euch erlange, wie ich fie erlangen follte, 
fo werde ich es fo betrachten, als habe ich von euch das 
Leben empfangen, das ich ganz ficher in wenigen Tagen 
laffen müßte, wenn ich eure Liebe entbehren follte. 

Hier ſchwieg er, drüdte aber immer die weiche zarte 
Hand der jungen Frau in ber feinigen unb erwartete 
bie Antwort. Ihre Züge verriethen ebenfo viel Güte, 
ale würdigen Stolz, und fie fpra zu ihm: Wie ich es 
nie zugeben wollte, Daß euch jemand irgend einmal mit 
Recht für ungefällig halten dürfte, ebenfo wollte ich, 
dag mir nie jemand ein anderes Zeugniß geben könne, 
als das der Ehrbarkeit und Treue. Der erftere Umftand 
macht, daß alle Gefälligkeiten, bie ein edler @eift ohne 
Nachtheil für feine Ehre von einer ehrbaren Frau errei- 
hen kann, euch von mir zu Theil werben follen, nicht 
aber ber Zweck, aus dem ihr, wie mir fcheint, mich zu 


63. Ein Gottesurtheil. 2387 


lieben angebt. Denn die zweite der genannten Eigen⸗ 
fchaften, die Keufchheit und Treue verlangt, daß ich mich 
dem Manne rein und treu erhalte, mit bem ed dem 
Himmel gefallen hat, daß ich in Gemeinfchaft lebe; und 
gerade fo würde ich mich auch euch erhalten, wenn ich 
eure Gattin wäre, wie ich die Eupoleo’3 bin; und wenn 
ih anders handelte, fo würde ich glauben, gerade jene 
angeblihe Schönheit an mir zu befleden, welche ihr fo 
fehr zu erheben euch bemüht und um deren willen ihr 
mid) zu lieben behauptet. Während ihr mich jegt ihret- 
wegen liebt, müßtet ihre, wenn ihr mich unkeuſch er- 
fändet, mich als garflig und verächtlihh auf den Tod 
baffen. Wenn ihr aber wollt, daß ich fo fchön bleibe, 
wie ihr meint, daß ich fei, und darum glaube, daß ihr 
mich liebet, und verlangt, daß ich euch liebe, fo bitte 
ih euch, lenkt eure Gedanken auf etwas anderes, als 
Daß ihr mich gegen meine Ehre verfuchet; denn wenn 
ihre bei diefem Worfage bebarret, fo fage ich euch zum 
voraus, dag ich euch nicht allein nicht glauben werde, 
daß ihr mich Tiebet, fondern ich werde euch für einen 
ſehr fchlechten Freund, ja für meinen Feind anfehen. 
Wie died demnach dad erfte Mal gemefen ift, daß ich - 
euch angehört babe, fo fol es auch das legte fein; nicht 
allein werde ich euch nicht anhören, wenn ihr mit mir . 
reden wollt, fondern auch nie auf eine Seite fehen, mo 
ich denken könnte, daß mir euer Anblick begegne. 

Nach diefen Worten ging auch der Ball zu Ende, 
Eleutherio fah zwar, daß Eupia’s Gedanken ben feinigen 
fehr entgegenftanden, dennoch aber wollte er nichts zu 
verfischen unterlaffen, wozu fi ihm günftige Gelegenheit 
bot und mas er für geeignet hielt, um den Sinn ber 
jungen Frau nad feinem Wunſche zu flimmen. Er 
fparte deshalb weder an Borfchaften noch an Geſchenken: 
von biefen aber wollte Eupia nie auch nur das geringfte 
annehmen; von jenen aber wollte fie gleich von Anfang an 
Seine hören, die von biefer Sache ſprach. Nach einigen 


|] 
288 XVIM. Giovanni Battifta Siraldi Eintio. 


Tagen hatte jedoch Gleutherio eine Nachbarin gewonnen, 
welche viel in Eupia’s Haus kam, ihr zu fagen, da ihr 
Gatte abweiend fei, folle fie ſich nicht fo fpröbe zeigen, 
einem andern Manne anzugehören, um nicht ihre Jugend 
einzubüßen; wenn ihr Gemahl mehr auf feine, Handel 
ſchaft fehe, als auf feine Frau, fo müffe auch fie mehr 
Rückſicht auf fi nehmen, als auf ihn. Eupia gerieth 
aber in ſolchen Zorn über diefe Reben, baf fie die Nach⸗ 
barin gar nicht mehr in ihr Haus laffen wollte, und 
als fie zulegt von ihr Abfchied nahm, fagte fie: Du 
kannſt Eleutherio fagen, daß ich, ehe ih Empoleo zum 
Manne nahm, wohl wußte, daß er Kaufmann fei und 
daß ‘er mir nicht beftändig zur Seite bleiben Tonne. 
Wenn er aber auch weit von mir entfernt ift, fo bin 
ich nichts defto weniger mit meinen Gedanken ihm be 
fländig nahe, und dies ift ber Grund, weshalb ich die 
Frucht meiner Jugend pflüde, nicht, wie er meint, ver- 
liere. Den Beweis für unfere gegenfeitige Liebe mag 
Folgendes liefern. Vor einiger Zeit war er zwei volle 
Jahre abweſend, wir beobachteten die Stunden und bie 
Minuten, wo wir an einander dachten, und brachten fie 
in ein Berzeihniß; da ergab ſich denn, daß wir beide 
um dieſelbe Zeit ‚ an bemfelben Tage, in bemfelben 
Augenblide uns im Geifte und in füßer Erinnerung, die 
wir einander bewahrten, zufammenfanden und, wiewol 
leiblich getrennt, und ganz nahe famen, uns im Geifte 
umarmten und im Gedaͤchtniß gatteten, gerade ald wären 
wir beifammen. Auf diefe Weiſe habe ich von jeher die 
Frucht der Jugend geerntet und ernte fie noch, die ich 
nad Eleutherio 6 Meinung verliere bei der Entfernung 
von meinem Gatten. Deshalb möge er für die Zukunft 
unterlaffen, mich zu beläftigen, denn er ift mir wirklich 
—* befchwerlich, er pflügt das Geſtade und fäet in den 


Rach ſo vielen Angriffen auf die Frau verzweifelte 
Eleutherio gänzlih, je etwas bei ihr zu erreichen, was 





63. Ein Gottesurtheil. 289 


dee Ehre zumibderliefe. Aber feht, welche Gewalt die 
Schönheit einer keuſchen Frau auf ein edles freies Ge- 
müth hat. Wiewol Efeutherio in Eupia eine andere 
Gefinnung zu finden wünfchte, ale wirklich der Fall war, 
fo gefiel ihm doch fo ausnehmend der feſte Vorfag” der 
jungen Stau, ihrem Gatten Treue zu bewahren und fich 
feufch zu erhalten, daß er, als er auf den Tod erfrankte, 
feinen Bruber, welcher gekommen war, ihn in der Krank⸗ 
heit zu pflegen, al& er fein Ende nahe fühlte, zu fich 
rief und zu ihm fagte, er habe Eupia auf das Glühendfte 
geliebt und alle Mittel bei ihr angewandt, um fie zu 
bewegen, ihm ihre Liebe zu ſchenken, habe fie aber immer 
weit entfernt. von jedem wollüftigen unehrbaren Gedanken 
gefunden, und weder Bitten noch Gefchenfe noch Bot⸗ 
fhaften noch fonft etwas habe fie von ihrem feften 
Entichluffe abdringen können; er wolle nun zeigen, daß er 
als Ritter eben diefe Ehrbarkeit Tenne, die ex an Eupia 
gefehen habe, und münfche daher daß fie nicht allein 
das erhalte, was er ihr gegeben haben würde, menn fie 
feinen wollüftigen Wünfchen- Gehör gefchenft, hätte, fon- 
dern außerdem Alles, was er fonft noch in Agina befige, 
was etwa fechötaufend Thaler werth war; für fein übriges 
Vermögen fegte er feinen Bruder zum Gefammterben ein, 
bat ihn jedoch in Kalle feined Todes gegen eine fo feufche 
Frau diefen feinen legten Willen zu vollziehen. Der Bruder 
verfpradh ihm, ganz getreulic, auszuführen, was er fo groß- 
müthig angeordnet habe. Er ließ alfo den Notar und bie 
Zeugen fommen und verfügte, was alles nady feinem Tode 
geſchehen folle. Ex feierte in feinem Zeftamente höchlich 
die Keufchheit und Treue Eupia’d gegen ihren Gatten. 
Nachdem das Teſtament fertig war, ftarb er. Der Bruder 
wollte feinem gegebenen Worte nicht umfreu werben, den- 
noch fürchtete er, Eupia möchte von allem, was er ihr 
anbiete, gar nichts annehmen wollen, fo keuſch hatte fie 
ihm Eleutherio gefchildert. Er ließ daher einen Bruder 
ber jungen Frau zu fich rufen und erzählte ihm, was 
Italiänifcher Novellenfchag. II. 13 


290 XVII. Giovanni Battiſta Biraldi Gintio. 


er an Eupia für einen Auftrag babe, und forderte ihn 
zu der Gefälligkeit auf, feine Schweſter zu bewegen, das 
von dem todten Eleutherio als Pfand ihrer Sittfamkeit 
in Empfang zu nehmen, was fie, fo lange er gelebt hatte, 
nie als Zeugniß feiner Liebe zu ihr Hatte annehmen wollen. 
Der Bruder ging zu ber Schwefter und fuchte fie durch 
viele Gründe zu bewegen, anzunehmen, was ihr bie 
firenge Hut ihrer Ehre zum Gewinn bereitet habe, in- 
dem er fagte, fie habe in wenigen Monaten ihrem Mann 
durch ihre Ehrbarkeit einen weit größeren Erwerb einge- 
bracht, als er durch die Bemühungen vieler Jahre in 
der Handelſchaft zu thun im Stande gemefen fü. Eupia, 
vor Allem auf ihre Ehre bedacht, ſprach zu iheem Bruder, 
weicher Efippe hieß: Du weißt, mein Beuber, welchen 
Nachtheil es einer ehrbaren Frau bringen kann, ihrem 
Batten Argwohn einzuflößen, und welch ein unbebeuten- 
der Umſtand oft in den Männern bie Eiferfucht wecken 
kann, welche eine wahrhaft töbtlihe Peſt ift für liebenbe 
Seelen, wenn fie irgendwie bei ihnen @ingaug findet. 
Darum möchte ich nicht, daß die Geſchenke, bie ich ven 
GEleutherio nie habe annehmen wollen, fo lange er lebte, 
um dem keinen Argwohn gegen mich einzuflößen, gegen- 
über von bem ich mich von jedem Verdachte fern halten 
muß, daß biefe Geſchenke, wenn ich fie jegt nach feinem 
Tode annähme, mid in das verfallen machten, was ich 
immerdar zu fliehen fuchte, und diefer Nugen mir zum 
großen Nachtheil gereichte bei meinem Manne. Dei: 
wegen bin ich ber Anſicht, lieber nichts von bem anzu- 
nehmen, was er mir hinterlafien bat. 

Ihr Bruder entgegnete ihr, es fei eine Thorheit, aus 
eitier Furcht eine Gelegenheit diefer Art vorübergehen zu 
laffen; wenn ihr Mann da wäre, fo mürbe biefer gewiß 
fih kein Gewiffen daraus machen; darum folle fie nicht 
von ber Hand meifen, was ihre Ehrbarkeit und ihr Glück 
ihr dargeboten habe. Und wenn je in bas Gemürh ihres 
Gatten ein Verdacht Eingang finden follte, von beffen 


63. Ein Sottesurtheil. 291 


Möglichkeit er fih übrigens keineswegs überzeugen könne, 
fo würde das der Fall fein, ob fie die Gefchente annehme 
oder nicht; denn wenn er höre, und er werde es. hören, 
dag Eleutherio fie ihm durch fein Teſtament hinterlaffen 
habe, fo würde derfelbe Argwohn in feine Seele kommen. 
Er ermunterte fie deshalb von neuem, die Gefchente 
anzunehmen; denn, wenn auch je ein fchlimmer Gedanke 
in bie Seele ihres Gatten käme, würde ed nicht an Mit- 
tein fehlen, fie ihm zu nehmen. Es wurbe viel gefprochen 
von ihr und von ihm, am Ende aber gab Eupia dem 
Anbringen ihres Bruders nah. Es dauerte nicht lange, 
fo fam. ihr Gatte nach Haus und wurde von ihr mit 
großer Zärtlichkeit und Liebe willkommen geheifen und 
ebenfo nahm fie ihn auf. Da er aber das Haus auf 
andere Weife gefchmüdt fah, als er es verlaffen hatte, 
fragte er Eupia um den Grund diefer Veränderung; 
fie fagte ihm, mas vorgefallen fei, und zeigte ihm, mas 
ihr Eleutherio durch fein Teftament binterfaffen, mit 
dem Beifügen, er habe dies verfügt zum klaren Zeugnif 
ihrer großen Sittfamteit. | 

Nein, rief Empoleo erzürnt, er hat es Dir hinter: 
Iaffen, böfes Weib, zum offenbarften Zeichen deines Ehe⸗ 
bruchs. Meinſt du, ich fer ein Kind und werde bie 
Thorheiten glauben, die du dir erfonnen haft? Als ob 
ih nicht wüßte, daß die Männer ihr Eigenthum nicht 
fo wegwerfen, ohne zu miffen wie. Aber ich werde dich 


züchtigen für deine Xhorheit und Dir zeigen, baf bie 


Meiber ihren Gatten auch treu fein müffen, wenn fie 
fern von ihnen find. 

Eupia wollte ihre Gründe vorbringen, um ihm biefe 
fchlimme Anficht auszureden. Empoleo aber glühend vor 
Zorn fiel ihr ins Wort. 

Bift du noch fo frech, fagte er, mit mir zu reden? 

Bei diefen Worten griff er nach dem Dolce, den 
er an der Seite trug, und wollte fie umbringen. Die 
Frau floh in ihrem Schreden, fo fehnell fie Eonnte von 

13* 


233 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


ihm und ging in das Haus des Bruders, zu bem fie 
weinend ſprach: Es ift genau eingetroffen, Efippo, was 
ich vermuthet habe, daß gefchehen werde, wenn ich das 
annähme, was mir Eleutherio zurüdgelafien. Lieber 
Bruder, daß ich mehr deinen Willen that, als ben mei- 
nigen, bat mich in bie ſchlimmſte Lage verfegt, und ich 
kann wol fagen, daß ich zu meinem Unheil diefen Mann 
gefehen habe, denn tobt und lebendig mußte er mir Mühſal 
bereiten. 

Dann erzählte fie ihm in tiefer Bekümmerniß, daß 
Empoleo fie habe umbringen und feinerlei Gründe an- 
hören wollen, die fie ihm zu Gunſten der Wahrheit und 
ihrer Ehre babe vorbringen mögen. Efippo empfand 
darüber das größte Misvergnügen. Doc fuchte er feine 
Schweiter zu tröften. 

Die erften Aufwallungen, fagte er, haben die Leute 
nicht in der Gewalt. 

Der Zorn, meinte er, habe Empoleo über die rechten 
Schranken geführt; fobald er fich etwas beruhigt habe, 
wolle er mit ihm reden und ihn auf andere Gedanken 
bringen. Er ließ biefen und den folgenden Tag vorüber- 
gehen, damit die Vernunft bei Empoleo Plag greifen 
fonne, und dann fuchte ihn Efippo wieder auf und fagte, 
was ihm geeignet ſchien, um ihn von der Mahrheit zu 
überzeugen, wobei er ihn namentlich verficherte, er felbft 
babe Eupia veranlaft, das Vermächtniß anzunehmen, fie 
für fich Habe e8 durchaus nicht nehmen wollen aus Beforgniß, 
es möchte das gefchehen, was fein unbegründeter Zorn 
wirklich bewahrheitet habe, da er in die Treue und Ehr- 
barkeit feiner Frau nicht das gebührende Vertrauen fee. 
Empoleo wollte ſich aber hierdurch keineswegs beruhigen. 

Wie hätte fie, fagte er, fih nicht fcheuen follen, das 
Vermaͤchtniß anzunehmen, da fie mußte, daß dies ein 
Zeugniß ihrer Uhkeufhheit wart Und ihr hättet fie nicht 
nur nicht veranlaffen follen, es zu nehmen, fondern es. 
war eure Pflicht, ihr die Züchtigung zu ertheilen, bie 


63. Ein Gottesurtheil. 293 


eine böfe treuloſe Gattin verdiente. Aber was ihr habt 
thun wollen, das werde id, thun; feid deffen verfichert! 

Efippo war jung, rüftig und in Waffen geübt. Als 
er daher fah, daß kein Vernunftgrund bei diefem unver- 
nünftigen Menfchen Pag griff, ſprach er, erhigt von 
den verwunderlihen Reben feines Schwagers: Es thut 
mir fehr leid, daB du nicht der Mann bift, um did 
mit mir in den Waffen zu meffen, denn fonft würde 
ih dir mit dem Schwert in der Hand zeigen, daß bu 
keine Vernunft Eennft und daß, wenn bu meine Schwefter 
des Ehebruchs zeibft, du dich von der Wahrheit trennft, 
und daß eine falſche Meinung, die dir den Sinn befangen 
hält, dich das echte nicht fehen läßt. Wenn du aber 
deinen Sinn nicht änderft und in hartnädiger Thorheit 
Eupia und mit ihre unferem ganzen Haufe diefen Fleden 
anhängen willft, fo wirft du machen, daß ich alle Rück⸗ 
fichten beifeit werfe und dir bemeife, daß nicht fie, fon» 
dern du verdienft, für diefe deine Narrheit gezüchtigt zu 
werden. 

Als Empoleo ſeinen Schwager ſo entrüſtet ſah und 
wohl wußte, daß er nicht im Stande ſei, mit ihm ſich 
auf Waffenkampf einzulaſſen, wagte er nicht, ihm eine 
Sylbe zu antworten, aus Furcht, es koͤnnte ihm übel 
bekommen, und er entfernte ſich von ihm, fo gut er 
tonnte. Empoleo hatte aber einen Bruder, Areio mit 
Namen, der war ein junger Mann und ein Träftiger 
und muthiger Krieger. Diefem erzählte er, mas zwifchen 
ihm und Efippo vorgefallen war. Als er das hörte, 
befchloß er, den Kampf zu wagen, nicht nur zur Ver: 
theidigung feines Bruders, fondern auch, im Vertrauen 
auf feine Verficherung , zum Beweiſe, daß feine Schmä- 
gerin eine Chebrecherin fei. Unterdefien begab ſich Em- 
poleo zu dem Richter, der über Ehebrüche zu erkennen hatte, 
und den Frauen, welche fich folche Fehltritte zu Schulden 
fommen ließen, bie empfindlichfien Strafen zuerfannte. 
Bei diefem verklagte er feine Frau und fagte, die Reich- 


294 XVII. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


thümer, Die fie empfangen habe, feien ein offenbares 
Zeugniß für die Sünde der Frau, und fie verdiene des⸗ 
bald die Strafe, welche die Gefege einem folchen Ver⸗ 
brechen androhen. Der Richter lieh Eupia rufen, weiche, 
als fie die Beichuldigung hörte, welche ihr Mann über 
fie angebracht hatte, weinenb zu dem Wichter fagte: 
D Herr, ich habe niemals meinen Gatten bintergangen, 
denn auf ihn allein gingen ftet# alle meine Gedanken 
aus, niemals dachte ich, vor euch gerufen zu werden aus 
einem folchen Grunde. Da es aber meinem Gatten ge- 
fallen hat, dies zu thun, fo ertläre ih, bag, wenn bei 
diefer Sache ein Fehler gemacht wurde, fo fällt ex nicht 
mir zur Laſt; die erfie Urfache ift die Natur, die mich 
fo ſchuf, daß die Schönheit, bie fie mir verlieh, Eleu⸗ 
therio reizte, mich zu lieben, ohne daß er je von mir 
etwas empfangen hätte, woraus er den Schluß ziehen 
tonnte, von mir geliebt zu werden. Die zweite Urfache 
ift mein Gatte, indem er fi von mir entferne hat und 
damit Eleutherio auf die Anficht brachte, ich fei vom Feuer 
der fleifchlihen Luft getrieben, und er könne mich dadurch 
bewegen, ihm zu Willen zu fein, fo lange mein Gatte 
abmefend- wäre. Der britte Schuldige in ber Sache ift 

Eleutherio, weicher von mir dachte, was man von einer 
ebhrbaren und treuen Frau nie denken ſollte. Mir jelbft 
aber ift keine Verirrung zur Laft zu legen, wenn man 
mir nicht etwa zur Sünde anrechnen will, daf ich ſtand⸗ 
haft blieb in der graufamen Schlacht, die mir Eleutherio 
mit Boten, Gefchenten und Sendungen lieferte, während 
er für Alles, was er thun mochte, von mir auch nicht 
einen Blick erreichen konnte, der ihm Hoffnung gegeben 
hätte, ich fage nicht, feine Wünfche erfüllt zu fehen, 
fondern nicht einmal, daß ih ihm einen freundlichen 
Blick zuwenden werde. Died können die Vermittlerinnen 
beweifen, welche er bemügte, um mir Gefchente und 
Botſchaften zu überbringen, und bie ich, als meine Tod⸗ 
feindinnen, immer mit Scheltwerten von mir gejagt habe, 





63. Ein Gottesurtheil. 295 


ohne ihre Bitten zu hören oder Gefchente anzunehmen. 
Und wenn er mir im Tode die Geſchenke hinterlaffen bat, 
weiche meinem Dann eine fchlimme Meinung von mir 
beigebracht haben, fo kann ich: dies nur dem Glück oder 
Unglück zufchreiben; dem Glüde, 'infofern ihn dies ver- 


anlaft hat, in demfelben XZeftamente, in welchem er. 


mir fie vermachte, ein mumwundenes Zeugniß meiner 
Ehrbarkeit abzutegen, und infofern mein Gatte dadurch 
bereichert worden ift; meinem Unglüde, weil ganz unver- 
dientermaßen Empoleo davon Anlaß genommen hat, mic 
für ehrvergeffen zu halten und deshalb vor euch zu ver 
Magen. Möge midy nur Gott durch feine Gnade und 
Barmherzigkeit fo gewiß wieder in die Gunft meines 
Gatten zurüdführen, ale ich nichts von allem, was mir 
Eleutherio vermacht, annehmen wollte. Aber mein Bruder 
Efippo war der Meinung, ed wäre eine wahre Thorheit, 
ein ſolches Glück nicht anzuerkennen und ſich anzueignen, 
und beftimmte mich gegen memen Willen, alled angu- 


nehmen, was Eleutherio zu meinen Gunften verfügt hatte. 


Habe ich hierin einen Fehler begangen, fo rührte er nicht 
von mir ber, fondern von meinem Bruder, der immer 
Tiebevol für mich geforgt und mid) Empoleo zur Gattin 
gegeben hat. Hätte er auf alles diefes Rückſicht ger 
nommen, fo würde ee mich nur für keuſch gehalten und 
dad freundlich und in gutem. Sinne aufgenommen haben, 
womit ihn meine CEhrbarkeit und fein Glüd verbunden 
mit der Kreigebigkeit des verftorbenen Ritters bereichert 
bat. Hier ift das Teſtament, durch welches er glänzendes 
Zeugniß ablegt für meine Ehrbarkeit, indem er darthut, 
daß einzig hierdurch er bewogen wurde, mir eine fo glän- 
zenbe Urkunde zu geben; hier find die Mittelöperfonen, 
welche euch fagen werben, wie fie mich immer gefunden 
haben; hier iſt mein Bruder, der euch fein Wort geben 
wird, daß er mich veranlaft hat, anzunehmen, was id) 
nicht annehmen wollte, lauter Umflände, die fammt und 
fonders meinem . Manne jeden böſen Gedanken hätten 


® 


206 XVIU. Giovanni Battifta Giraldi Eintio. 


benehmen müfjen, wenn er fie hätte überlegen wollen. 
Aber da er doch gethan hat, was er nicht hätte thun 
folen, und mich vor euch lud, fo vertraue ich zu eurer 
Weisheit und Gerechtigkeit, daf ihr mich aus ben ange» 
führten Gründen von der weiteren Verfolgung, bie mir 
fo unverdientermaßen zur Laſt fällt, und ebenfo von dieſer 
ungeredhten Verleumdung freifprecht ‚ und ich boffe Euer 
Gnaden werde mid durch einen gerechten Spruch meinem 
Gatten als das zu erkennen geben, was ich in Wahr · 
heit bin. 

Hier ſchwieg die Unglückliche unter Thränen. Nach 
bem Eupia alſo geſprochen hatte, fragte der Richter 
Eupoleo, was er dagegen einzuwenden babe, und er. 
ſprach zu ihm alsbald: Alle von diefer Frau zu ihrer 
Rechtfertigung angeführten Gründe fprechen gegen fie 
und zu meinen Gunſten. Was die Schönheit anbetrifft, 
deren fie die Natur anklagt, fo fage ich, daf, wenn fie 
bie Sittfamkeit im Bunde mit fi) behalten Hätte, wie 
die Natur fie ihr verliehen, fo hätte fie ſi ch vielmehr 
fpröde, als ſchamlos gezeigt, und wenn fie in der That 
und in ihrem Außern fo geweſen wäre, wie fie jegt 
durch ihr Geſchwaͤt fih dafür ausgeben will, fo hätte fie 
jedem Manne vorweg alle Hoffnung abgefchnitten, fie zu 
verfuchen, fo kühn und frech er auch hätte fein mögen; 
denn es ift fein Mann fo alles Verſtandes baar, daß er, 
nachbem er ſich von einer reinen Frau beftimmt abge 
wieſen ficht, nicht unterließe, fie zu beläftigen. Auch 
meine Entfernung hätte niemand Anlaß geben können, 
ſich zu erdreiften, fie au verfuchen oder ihr Botfchaften 
und Gefchente zu fehiden. Berner die Frauen, welche 
bei der Sache die Vermittlerinnen gemacht haben, be 
weifen ihre Schuld, denn nur ſchlechte Weiber Hätten 
ſich erfühnt, zu einer Frau von Ehre hinzugeben, und 
biefe wären alfo nicht zu ihr gekommen, menn fie fie als 
keuſch gekannt hätten, bie fih nun für bie Keufchheit 
felbft ausgeben möchte. Darum barf man glauben, baf 


63. Ein GSottesurtheit. 397 


fie fehr mohl gewußt haben, daf fie ihnen felbft den Weg 
‚öffnete, um die Borfchaften an fie zu beftellen und ihnen 
die Gefchenke zu geben. Daß fie fie zuerft ausgefchlagen, 
fpäter aber doch angenommen hat, was ihr Buhle ihr 
in feinem Xeftamente vermacht hatte, um nach feinem 
Tode ihr anzugehören, beweift, daß fie fo miteinander 
übereingefommen waren, um durch diefen Kunftgriff den 
Ehebruch zu verftedden und dann, er möchte leben oder 
nicht, auf einmal zu erhalten, was er ihr zu verfchie- 
denen Zeiten gefchictt hatte. Ich weiß nur zu gut, ba 
bei ausjchweifenden Weibern, wie diefes, die Habfucht 
die Mutter des Ehebruchs iſt. Wenn er im Teſtamente 
gejagt hat, er hinterlaffe es ihr zum Zeugniß ihrer Sitt- 
famteit, fo bat er hierin als braver Ritter gehandelt, 
denn es ift eines Mannes, der die Gunft einer Frau 
genießt, durchaus unmürdig, fie, nachdem fie ihn erhört 
bat, in den Ruf der Unkeufchheit zu bringen. Aber mo 
wäre der Thor, ber einem Manne, der im Verbachte des 
Ehebruchs fteht, fogleich glauben möchte, daß biejenige 
fittfam fei, die um feinetmwillen als Ehebrecherin verklagt 
wird? Wenn fie behauptet, ihr Bruder habe fie ge- 


zwungen, das Vermächtniß anzunehmen, fo fieht man 


deutlich, daß fie genöthigt worden ift, weil fie es gewollt 
hat; und wenn man ihr zulegt Alles ind Haus ge- 
bracht hat, fo zeigt dies ihre Einwilligung; da ich aber 
hierüber mit ihrem Bruder hinlänglich gefprochen habe, 
fo werde ich mich nicht weiter in Gerede darüber ver- 
breiten. Es bleibt mir nur übrig, euch zu beweifen, 
daß ed mehr, als wahr ift, daß, wenn eine Frau einmal 
die Schranken der Scham überfchritten hat, fie ſichs zur 
Ehre rechnet, auch offen als ſchamlos erfannt zu werben. 
Die Ehrloſe hat es über fi) gewonnen, bier in eurer 
Gegenwart, wo fie in Anbetracht ihrer Schuld und ber 
ihr gebührenden Strafe hätte verftummen‘ follen, zu 
Aufern, ich follte mich freuen über den Zuwachs meiner 
Habe, den mir ihr Ehebruc ind Haus geführt, als wäre 
1 3** 


298 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


ich einer von denen, die, wenn fie nur ihr Haus gefüllt 
finden, fich nichts darum kümmern, Hörner an der Stirne 
zu tragen. Gottloſes Weib, das du bift, meinft du ich 
folle mi freuen, mich fo ſchmachvoll bereichert zu ſehen? 
Weist du nicht, daß alles Gold und Edelgeſtein, das ich 
auf diefem Wege bekäme, mir nur wie lauter Koth und 
Geſtank vorkäme? Aber ich wundere mid nicht, Herr 
Nichter, wenn dieſe Gottloſe, die für fittfam gehalten 
werden will, während fie doch das Zeugniß ihres Ehe- 
bruchs bei fich hat, ſich nicht ſchäͤnt zu fagen, ich follte 
mich darüber freuen; denn wenn fie nicht fo alle Scham 
abgelegt hätte, fo müßte fie fich fo fchämen, daß fie lieber 
todt, als mit einer folhen Schmach bedeckt lebendig fein 
wollte. Darum bitte ich euch, ihren fchlimm angelegten 
Lügen kein Gehör zu leihen und nicht zu ermangeln, 
ihr mit Hilfe der Gerechtigkeit den Lohn zu ertheilen, 
den fie für ihre böfe gottlofe Handlungsweiſe verbient. 
Nachdem der Michter beide angehört hatte, wollte er 
ſich Zeit nehmen, um zu überlegen, was er in diefem 
Balle nah dem Rechte thun müſſe. Er entließ daher 
die beiden Theile, beendigte den Streit und zog fich zurüd, 
um reiflich ben feltfamen Fall zu betrachten, der ihm fo 
zweifelhaft entgegengetreten war, daß er unter den gege- 
benen Umftänden felbft nicht wußte, auf welche Seite 
er ſich neigen ſollte. Da erfchien Areio und fagte zu 
Efippo, er babe nicht wohlgethan, feinen Bruder ale 
Betrüger barzuftellen, er habe nicht die Wahrheit gefagt, 
indem er jene offenbare Ehebrecherin für ehrbar ausgeben 
wollte, As Efippo ſich auf dieſe Weife beleidigt fah, 
fagte er ſogleich, er wolle ihm mit allen beliebigen Waffen 
(vorausgefegt, dag Mitter fie im Kampfe gebrauchen 
können) beweifen, daß feine Behauptung vollfommen 
wahr fe. Ein Wort gab das andere, wie es bei der- 
gleichen Händeln zu gehen pflegt, und am Ende kamen 
fie zu dem Schluffe, die Waffen entfcheiden zu laſſen. 
As der beftimmte Tag kam, erfchien Areio als der 


63. Ein Gottesurtheil. 299 


Schuldige und Efippo ald Kläger auf dem Kampfplage, 
den ihm Efippo in einer berühmten Stadt von Salamis 
vorgefchlagen, und ben er als rechtlich und ficher ange⸗ 
nommen hatte. Areio hatte befchloffen, zu Pferde zu 
tämpfen, und er jchidte ihm eine vollftändige Waffen- 
rüftung zu, der Delm aber bedeckte nur das Geficht von 
den Augen abwärts und ber obere Theil bes Kopfes blieb 
ganz unbebedt, was zwar Efippo nicht gefiel, da ed ganz 
‚gegen Kriegsgebrauch und Ordnung ber Nitterfchaft ver- 
flieg, er aber doch hinnahm, da er fehen wollte, worauf 
der ganze Handel binauslaufe. Zulegt fchidte er ihm 
einen Degen und einen Schild. So fliegen denn beide 
zu Pferd. Das Pferd des Areio war faft drei Spannen 
höher, ale gewöhnliche Pferde und außerdem fo gewöhnt, 
daß, wenn ber Ritter die Zügel im Munde hielt, er es, 
ebenfo gut leitete, als ein anderer mit der Hand. So 
blieb ihm die linke Hand frei, um den Kopf mit dem 
‚Schilde zu dedien, und die rechte zum Schlägen. Efippo 
Dagegen mußte fein Pferd mit ber linken Hand leiten 
und konnte fich feined Schildes gar nicht bedienen; des⸗ 
halb blieb der Kopf unbefhügt und konnte von jedem 
Schlage des Feindes gefährlich) getroffen werden. Ale 
er dies bemerkte, weigerte er fich, auf diefe Weile zu 
fämpfen, indem er fagte, das feien feine ritterlichen 
Waffen und man pflege im Kriege nicht die Pferde auf 
folhe Weife zu lenken und zu führen. Gr berief fich 
auf ben Kampfrichter, wo der Schuldige für ſich anführte, 
wie im allgemeinen Kriege Liften und ein Sieg durch 
Gewandtheit und Schlauheit ebenſo, wie durch Tapferkeit, 
ja ſogar der Sieg mit Hinterhalt geſtattet ſei und das Über- 
winden für löblich gelte, fo müffe e8 auch erlaubt "und 
geftattet fein in einem Kampfe der wegen eines Privat« 
kampfes zmwifchen zweien flattfinden. Seine Gründe wur- 
den jedoch nicht angenommen, denn der Michter fagte, 
in den allgemeinen Kriegen gefchehe das, weil man nicht 
ein Heer dem andern gleich machen, noch das eine vor 


300 XVII. Giovanni Battiſta Giraldi Eintio. 


den Nachſtellungen bes andern bewahren könne, wiewol 
Alerander der große ‚weder durch Binterhalt noch durch 
Betrug noch durch Lbervortheilung in ber Nacht noch 
duch irgend ein gelegenes Mittel fämpfen wollte; fon- 
dern einzig durch feine Tapferkeit und bie feiner zwar 
menigen, aber muthvollen und klugen Soldaten über- 
wanden fie die zahllofe Menge der Kriger Yfiens, und 
darum wurden zu feiner Zeit feine Siege gepriefen und 
werden es werden, fo lange ber Bau diefer Welt, ber 
fteht. Cinzeltämpfe aber, die nach gemeinfchaftlicher Über- 
eintunft von den Parteien verfucht werden, und mit 
Genehmbaltung der FZürften, werden an einem fichern 
Drte veranftaltet, wo feine Furcht vor Gewalt oder 
Hinterhalten flattfinde, und fie werden erlaubt, damit 
ohne Vortheil des einen oder bed andern Waffen ohne 
Hinterlift, wie fie muthvollen Rittern ziemen, ange- 
wandte werden. Darum, fagte er ferner, dürfe man 
nicht mit ſolchen Sophiftereien fommen, und jeder Ritter, 
der fi) weigere, mit einem zu kämpfen, der ſolche 
Waffen auf den Kampfplatz bringe, wie Areio gethan 
habe, handle als ein ehrlicher Krieger, ſowie ſich anderer⸗ 
ſeits der ſehr wenig ehre, der mit ſolchen Kunſtgriffen 
bei Zweikämpfen vorſchreiten wolle, und vielmehr ſich 
als Feigling, denn als muthig erweife; und wenn aud) 
mit ungewöhnlichen Waffen gelämpft werden folle, was 
er nicht zugebe, fo müffe der, ber fie wähle, dem 
Gegner menigftens zmei Monate zuvor Kenntnif ge- 
ben, damit, wenn er fie annehme, er fi darin üben 
und dem Kampfe gewachfen werden könne. So wurde 
befchloffen, eine andere Waffengattung für diefes Gefecht 
zu mählen. Als Areio ſah, daß nicht erfolge war, was 
er fish erfonnen hatte, und er nicht ber Feigheit befchulbdigt 
werben wollte, befchloß er zu Fuß zu kämpfen, halb be 
waffnet auf der Vorderfeite, mit der Sturmhaube, in 
ber linken Hand den Schild, in der rechten ein Schwert. 
Serner wurde ausgemacht, wenn das Schwert zerbreche, 











63. Ein Gottesurtheil. 301 


fo folle es ausgetaufcht und dafür ein frifches gegeben 
werben. Auf diefe Weife gerüftet traten die beiden Ritter 
einander gegenüber, nad, einigen Schlägen zerbrach das 
Schwert des Areio und fogleich gebot der Kampfrichter 
Stillftand, bis ihm ein anderes gegeben wurde. Die 
Ritter fochten dann weiter, Efippo bradıte feinem Gegner 
einen Stoß bei, er dedte ihn mit dem Schilde; der Stoß 
war aber fo heftig, daß. fi) das Schwert. umbog, wie 
ein Schießbogen, wodurch es zum Kampfe unnüg und 
zum Pariren wenig geeignet geworden war. Deshalb - 
verlangte er, man folle ihm das Schmert austaufchen. 
Areio widerfegte fich diefem Begehren, denn das Schwert: 
fei nicht zerbrochen, wie es in der Ubereinkunft laute, 
Efippo dagegen behauptete, man müffe ihm ein anderes 
geben, denn das feinige fei fo frumm, als wenn es ge= 
brohen wäre. Die Übereinkunft fei auch nur darum 
getroffen worben, weil ein zerbrochener Degen nicht mehr 
paffend fei zum Kampfe, und unbrauchbar fei auch der 
feinige geworden, welcher fo gebogen fei, dag man ihn 
nicht mehr anmenden könne; deswegen fei es bderfelbe 
Fall, wie, wenn er zerbrochen wäre. Während die beie 
den Ritter vor dem Kampfherrn fanden, welcher aus 
dem angegebenen Grunde das Gefecht unterbrochen hatte, 
erfchien auf dem Kampfplage ein greifer Dann von ehr» 
würdigem Anſehen, trat vor den Richter, machte ihm 
eine Verbeugung 'und ſprach: Herr, ich habe den Grund 
diefes Gefechtes gehört. Wie mir fcheint, find diefe beiden 
Ritter im Streit über die Sittfamkeit einer Frau, bie 
von ihrem Gatten als ehrvergeffen angeklagt wird; eimer 
von ihnen nimmt die Partei der angefchuldigten Frau, 
der andere ift ihr Gegner, urd es find bei der Obrigkeit, 
wo der Ehemann feine Frau belangt bat, folche Zeichen 
für beide Theile vorhanden, daß die Sache rechtlich höchſt 
zmeifelhaft bleibt; und wenn man ſich auch im Zweifels⸗ 
fall zu Gunften der Frau ausfprechen müßte, fo würde 
man bamit doch den Verdacht nicht aus der Seele des 


302 XVIII. Giovanni Battifte Giraldi Eintio. 


Satten entfernen, und berfelbe Fall wäre es, wenn ber 
Vertheidiger der Frau uber den andern der beiden Ritter 
den Sieg davontrüge. Darum babe ih mich auf ein 
Mittel befonnen, wobei die Ritter keinen Anlaß mehr 
haben, zu tämpfen, und es fich durch fichern Beweis 
herausftellen muß (mas weder bei dem Spruche des 
Richters noch bei der Kampfprobe des Ritters der Fall 
wäre), ob bie Zrau keuſch oder eine Ehebrecherin ift, 
und fomit, ob fie Lob oder Strafe verdient. Das Mittel 
ift folgendes. Bei Korinth befindet fich ein dem Neptun 
geweihter Tempel, worin unter dem Hauptaltar eine Kleine 
dem Portunus gewibmete Kapelle ſteht, deſſen Bildniß 
dort ausgehauen ift in ganz grünem Marmor, fobaf 
man meint, es fei ber feinfte Smaragd. Dahin führt 
man, wenn fonft Beweife fehlen, diejenigen, die irgend 
eines Vergebene fehuldig gehalten werden, unb vor ber 
Thüre des Zempeld lege man einen Eid ab über die 
beftrittene Sache; dann wird der Schwörende in den 
Tempel geführt und muß zu bem Gögenbilde hinunter- 
fteigen. Dat er falfch gefchiworen, fo wird alsbald, wenn 
er vor dem Bilde ſteht, dafjelbe ſchwarz und er verliert fo 
ſehr die Befinnung, daß er den Weg aus diefem Drte 
heraus nicht mehr findet. Dies ift das ficherfte Zeichen 
feiner Schuld und darum wird er geftraft für das erfte 
Vergehen und für den Meineid. Wenn aber der Ange 
Hagte recht geichworen bat, fo wird das Bildnif glän- 
zend hell und der mit Unrecht Beſchuldigte findet fogleich 

"den Ausgang. Um alfo dieſen ftreitigen Punkt aufzu- 
tlären, der an fich fo zweifelhaft ift und den, wie gefagt, 
weder ber Spruch des Richters noch der Sieg oder Verluft 
der Ritter vollftändig ind Licht fegen konnte, fcheint mir, 
muß man bie angellagte Frau zu diefer Probe führen; 
dann werden die Gründe wegfallen, das bürgerliche Ge⸗ 
richt zu bebelligen oder biefe Ritter zum Zweikampfe zu 
veranlaffen. Iſt die Frau rein, fo bleibe fie in Gunft 
bei ihrem Gatten; ift es vieleicht anders, fo wird fie 





63. Ein Gottesurtheit. 303 


J 


‚als Ehebrecherin verurtheilt und dem Feuer: übergeben, 


wie das Gefeg mit Mecht verordnet. 

Diefer Vorfchlag gefiel dem Kampfrichter wohl, er ließ 
das Gefecht innehalten und ſchickte, ohne damit den Par⸗ 
teten vorzugreifen, Botfchafter an den Fürften von Agina 
und that es ihm zu wiffen. Diefer befahl die Frau an 
jene Stelle zu führen, unter Zuſtimmung bes Gatten, 
welcher mit ihr und mit den beibderfeitigen Verwandten 
ſich gleichfalls dahin begab; auch folgten die beiden Ritter. 
Als fie an der bezeichneten Stelle angelangt waren, wurde 
durch ben Priefter des Tempels nad) dem alten damals 
im Schmang gehenden Aberglauben der Frau der Eid vor- 
gehalten und fie ſchwur, daß fie ihre SKeufchheit nie ver⸗ 
legt habe. Dann wurde fie mit den andern, die ges 
fommen waren, diefe Probe zu fehen, vor das Bild 
des Portunus geführt, und die Frau war nicht fo bald 
eingetreten, als das Götzenbild einen ſolchen Schein ver- 
breitete, daß man meinte, bie Sonne fei vom Himmel 
geftiegen, um fie zu erleucyten. Der ganze Raum war 
vol von Licht und fogleich fand die keuſche Frau den 
Meg wieder heraus. Als die Umftehenden dies bemerkten, 
wurde fie für ganz fittfam gehalten und war daher ihren 
Gatten von neuem höchſt theuer. Aller Streit hörte 
auf und man lobte höchlich Eleutherio, der nach ritter⸗ 
licher Sitte ein fo ausgedehnte Zeugniß abgelegt Hatte von 
feiner Liebe zu Eupia und feiner innigen Freude über ihre 
Keufchheit, indem fie fo beftimmt feine Anträge zurüd- 
gewiefen hatte, um ihre Unbefcholtenheit zu bewahren. 


— an ne — — — 


XIX. Alefiandro Sozzini. 


1510. 


64. Die drei Blinden und daB Almofen. *) 


Scacazzone kam eines Abends ber ber Kirche ber 
Madonna del Poggio**) vorüber, trat hinein und be- 
merkte, daß niemand barin war, als drei Blinde. Als 
biefe jemand in ber Kirche hörten, fingen fie alle an um 
ein Almofen zu bitten. Scacazzone gewährte es ihnen, 
indem er alle drei miteinander alfo anredete: Sch bin 
verpflichtet, einen Goldducaten als Almofen zu geben, 
ih will ihn euch allen brei geben. 

Er fuhr fort: Da nehm! 

Alle drei ſtreckten die Hand aus, er gab ihn aber 
keinem. 

Wollt ihr meinem Rath folgen? fuhr er fort. Geht 
in die Schenke, und macht alle miteinander eine ordent⸗ 
liche Zeche. 

Waͤhrend er ſo ſprach, bildete ſich jeder von ihnen 
ein, einer der beiden andern Blinden habe den Gold⸗ 
ducaten erhalten, und fo faßten fie unter fi) den Be⸗ 
ſchluß, die vorgefchlagene Zehrung zu veranftalten und 
machten fi auf den Weg nah der Schenke Marchino’s 
in Diacceto, Scacazzone aber ging ihnen nad) und immer 
nah. Die drei traten in die Schenke und Scacazzone 
gab dem MWirthe einen Wink, ihnen fo wenig ald möglich 


: *).Eine aͤhnliche Geſchichte erzählt ein ar amaöfiihes Fabliau, 
bei Barbazan III, 3985 Le Grand d'Aufſy III, 
”) In Siena. 





64. Die drei Blinden und das Almofen. 305 


vorzufegen, denn er habe einen Scherz; mit ihnen vor 
und werde nachher ihre Zeche bezahlen, wenn fie gegeffen 
haben. Dann blieb er auf ber andern Seite von der 
Thüre, um zuzufchauen, worauf. der Scherz hinauslaufen ' 
werde. Die Blinden fegten ſich zu Tifche und der Wirth 
brachte ihnen eine reichliche Portion Salat zum Anfang 
eines fchlechten Nachteffens, dann trug er jedem einen 
Fleiſchklloß auf. AS fie damit fertig waren, fingen fie 
an, weitered Effen zu verlangen. 

Wir mollen und heute gütlih thun, fagten fie. 
Wirth, Halt uns gut! Wir haben einen Ducaten zu 
verzehren. 

Der Wirth brachte ihnen fofort noch weiß Gott was 


. für ein Geköch, erklärte aber, weiter Tonne er ihnen 


nichts reichen, fie mögen Geduld mit ihm haben; fobaß 
die Sache genau auf einen Zeftone fich belief. 

Verzeiht mir, fagte er nochmald. Wenn ihr auf 
biefe Weiſe in Gefellfchaft zu mir kommen wollt,. fo laßt 
es mich vorher mwiffen! Dann feid unbeforgt, ic) ver- 
fpreche euch, da follt ihr genug finden, um zu ſchwelgen. 

Als die Blinden das zuvorfommende Anerbieten des 
Mirthes hörten, berathfchlagten fie, ein ander Mal wieder 
herzukommen, und einer von ihnen fagte zu ihm: Wir 
wollen dir einen Goldducaten geben und damit den Xeftone 
auszahlen, den wir dir von heute Abend fchuldig find. 
Vom Übrigen bereite und morgen Abend ein Feſtmahl! 
Wir fommen dann wieder miteinander zu dir. 

Der Wirth antwortete alsbald: Ich mill es ſchon 
einrichten, daß ihr mit mir zufrieden ſeid. 

Dann aber fügte er hinzu: Gebt mir nur den Ducaten! 

Da fagte einer von den Blinden zu den beiden an⸗ 
bern: Wer ihn von euch bat, der gebe ihn: ber! 

Die zmei aber erwiderten einftimmig: Ic habe ihn 
nicht. 
Der erfte verfegte alsbald: Es muß doch einer von 
euch ihn haben, denn ich habe ihn nicht. 


306 XIX. Aleſſandro Sozzini. 


Die andern beiden dagegen ſagten: Im Gegentheil, 
du mußt ihn haben, wenn wir ihn nicht haben. Und du 
baft ihn auch, denm bu ftandeft zunächſt an ber Thür. 

Wenn ic, zunächſt an ber Thür mar, fo flandet ihr 
weiter vorm und mit euch hat der gefprochen, der uns 
den Ducaten gab. Ginem von euch Hat er ihn einge 
bändigt, mir nicht. 

Ha, du Berräther, fagte einer der beiden zu ihm, 
wir beide fanden nebeneinander, und wenn er ihn uns 
gegeben hätte, fo hätten wir es hörem müffen, wen von 
uns er ihn gegeben hätte. 

Ihr Schelme, fagte der erfte Blinde, ihr möchtet 
den Ducaten unter euch theilm und mir meinen Theil 
daran vorenthalten. 

Damit bob er feinen Stod auf und fing an bie 
andern zwei Blinden zu prügeln. Als fie die Schläge 
fühlten, fingen fie gleichfalls an, mit ihren Stöden zu 
bantieren und theilten blindlings bie heftigſten Streiche 
aus. Einer der beiden Freunde traf ungefchidter — 
den andern auf den Arm, ſodaß er ſchreien mußte und 
ausrief: Wer von euch mich geſchlagen hat, iſt ein 
Mörder. 

Damit ſuchte er ſich aus dem Gefecht zu entfernen und 
ſank zu Boden. Die beiden andern aber wurden hand⸗ 
gemein und gaben ſich blindlings Fauſiſchlaͤge. Scacaz⸗ 
zone indeſſen brachte den Mund faſt nicht mehr zuſammen 
vor Lachen. Da er aber ſah, daß aus Beranlaffung 
feines Betrugs diefe armen Schelme ſich fo gar übel zu- 
richteten, trat er zwifchen fie (denn, obgleich bei diefem 
wahrhaft blinden Lärm viele Leute zufammengelaufen 
waren, hatte er doch nicht zugegeben, daß jemand ſich 
in die Sache mifche, um fie zu trennen), richtete den 
zu Boden gefallenen Blinden auf und nahm die beiden 
andern an der Hand. Und ale hätte er nichts gewußt 
von ber Sache, fragte er bie Blinden nach dem Grunde 
ihres Streites und dieſe erzählten ihm benfelben. 


64. Die drei Blinden und das Almofen. 307 


Wahrſcheinlich, erwiderte er darauf, hat jener feinem 

von euch den Ducaten gegeben und nur fo gefagt, um 
ſich einen Spaß mit euch zu maden. 
Der Blinde, welcher ſich aufgerichtet hatte, erkannte 
den Sprechenden an der Stimme, er merkte, daß er 
ihnen verfprochen hatte, einen Ducaten zu geben, und 
fagte zu ihm in beftigem Zorn: Du haft uns fo zum 
Beten gehabt, Verräther! 

Scacazzone lachte einen Schocher und fagte zu ihm: 
Das mußt du nicht fagen. Ich bin jegt hier erfchienen, 
und will, daß ihr Arieden fchließt. 

Einer der Blinden antwortete: Der Friede wird ge⸗ 
f&loffen werden, wenn du dem Wirthe drei Giuli zahlen 
willft für das, was wir verzehrt haben auf Rechnung 
des Ducaten. | 

Scacazzone fagte: Ich bin es zufrieden. 

Und er gab dem Wirthe drei Giuli. 

Die Blinden gingen fort und fprachen unter fi: 
Es iſt ſchon gut, wir find doch nicht ganz im Schaden 
geblieben. 

Die Streiche aber, die fie fich gegeben hatten, be⸗ 
hielten fie, denn davon ließ fich nichts abthun. 


XX. Lionardo Bruni von Arezzo. 
1511. 


65. Antiochus und Stratontca. 


Es find noch nicht viele Jahre, daß ih mich in 
Sefelfchaft mehrerer edler Herren und Frauen auf dem 
Lande in der Nähe von Florenz befand. Es war dafelbft 
Mahlzeit und feftliher Empfang und man hatte ſich ſchon 
ziemlich Tange verfchiedentlidh unterhalten, da befchloß ber, 
der dafür zu forgen beauftragt war, um ben Frauen 
Erholung zu verfchaffen, fie follten ſich alle nach einer 
Meinen Wieſe begeben, welche zu bem Landgut gehörte, 
und zwar nicht umfangreich), aber fehr gut angelegt war 
und einen anmuthigen Aufenthaltsort abgab. Sie gingen 
dahin, Tießen ſich nieder und der Beſitzer des Landguts 
309 zur Unterhaltung der Frauen ein Buch hervor mit 
dem Titel „Hundert Novellen, verfaßt von dem fürtreff- 
fichften Dichter Johann Boccaccio.“ Ein heitere und 
fehr anmuthiges Fräulein aus der Gefellfhaft fchlug das 
Bud auf und fing an zu lefen. Zufällig ſtieß fie auf 
die Gefchichte von Gismonda der Tochter Tancred’s Fürften 
von Salerno, die fie mit fehr klarer und mwohlflingender 
Stimme las, und feffelte dadurch die Aufmerkſamkeit 
aller anmefenden. Es wurde ftill und man hörte und 
vernahm nur fie allein mit großer Begierde, und es wäre 
nicht möglich auszufprechen, wie fehr die herben Schickſale, 
die jene Gefchichte berichtet*), alle rührten, vornehmlich 


) Es ift die erfte Novelle des vierten Tags im Decamerone. 
Die UÜberfhrift gibt den Anhalt folgendermaßen an: Bancred, 
Zürft von Salerno, tödtet den Geliebten feiner Tochter und 
Ihidt ihr das Herz deffelben in einem goldenen Beder. Sie 
gießt vergiftetes Wafler darüber, trinkt es aus und ftirbt. 








«65. Antiohus und Stratonica. 309 


aber die leidenfchaftlichen kläglichen Worte, die über Guis- 
cardo’8 Herz gefprochen werden, das ihr der unglückliche 
trogige Vater überfchichte, fodann bei dem Zod der Tochter 
und beim Herbeieilen des Vaters, der fich ſchon einbil- 
dete, was fie gethan babe, und darüber betrubt war. 
Diele von den anmelenden Frauen vermochten nicht das 
Übergehen ihrer Augen zu verhehlen und die durch das 
Mitleid mit einem fo herben Falle hervorgelockten Thränen. 
Unter den Herren befand ſi ch dafelbft auch einer unſerer 
Mitbürger, deſſen Namen wir für jetzt verſchweigen, es 
iſt aber ein in griechiſcher und lateiniſcher Literatur ſehr 
bewanderter Mann, der den alten Geſchichten eifrig nach- 
forfcht. Er ſaß zufällig neben dem fchönen Fräulein, 
welches die Novelle: gelefen hatte. Da er nun aller 
Stimmung getrübt ſah, erzählte er, um Frobfinn und 
Heiterkeit wieder berzuftellen, eine andere Gefchichte faft 
entgegengefegten Inhalts von jener, und leitete fie fol- 
gendermafen ein: Es hat mir immer gefchienen, edle 
Frauen, als ob die alten Griechen an Menfchlichkeit und 
Edelfinn uns Jtaliäner meit übertroffen haben. Wie ich 
nun in der vorgelefenen Novelle von dem graufamen 
harten Herzen bed Fürften Zancred von Salerno hörte, 
der fich alles Troſtes und feine Tochter des Lebens be- 
raubte, fiel mir ald Gegenſtück eine Novelle oder viel- 
mehr Geichichte ein von einem griedhifchen Edeln ‚ ber 
viel menſchlicher und weiſer ald Zancred war, wie die 
Sache‘ felbft erweifen wird. Wiſſet nämlich, daß unter 
Alexanders des großen Nachfolgern auch ein Fürſt war 
von großem Anſehen und Macht, Namens Seleucus; 
derſelbe war König von Syrien. In ſeiner Jugend nahm 
er zur Frau eine Tochter des Königs Ptolemäus von 
Ägypten, mit Namen Cleopatra geheißen, von welder 
er in Eurzer Zeit einen Sohn befam Namens Antiocyus 
und überdies mehrere Tochter, welche für jegt nicht er- 
wähnt zu werden brauchen. Da begab es. fih nun, 
daß, als Antiochus ſchon vierzehn Jahre alt war, feine 


310 XX. Lionardo Bruni von Arezzo. 


Mutter Gleopatra in Folge einer Krankheit farb und 
fein Vater Seleucus ohne Frau blieb. Auf Antrieb 
und Zureden feiner Freunde nahm biefer jedoch eine 
zweite Frau, die Zochter des Königs Antipater von 
Macedonien, mit. Namen Stratonica geheißen, welche 
ec unter großem Pomp und Hochzeitfeierlichkeiten heim⸗ 
führte, und lebte mit ihr im größter Zufriebenheit. 
Stratonica war von Perfon ausnehmend ſchön und fo 
anmuthig und erheiternd im Umgang, daß es nicht zu 
fagen if. Sobald fie nun am Hofe ihres Gemahls ein- 
heimiſch wurde, hatte fie oftmals in freundliche Berüh- 
rung zu treten mit dem jungen Antiochus, fie fpielte 
mit ihm, ritt mit ihm aus und erzeugte fo, ohne es 
zu merken oder daran zu denken, in des Jünglings Ge- 
müth die Flamme ber glühendften Liebe, welche von 
Zag zu Tag mehr in hellen Brand auszufchlagen drohte. 
Der Jüngling war um diefe Zeit etwa achtzehn Jahre 
alt, aber fehr gefegt und hochherzig, und da er wohl 
einfah, daß feine Liebe in Rückſicht auf feinen Water 
unerlaubt war, bielt er fie fo geheim, daß er fie nie- 
mand mittheilte: Uber je verborgener die Flamme mar 
und je weniger ihr Linderung von außen wurde, um fo 
mehr wuchs, die Glut, die ihn im Grund des Herzens 
verzehrte, und es brauchte nur wenige Monate, fo ver- 
wandelte fich die Farbe feines Gefichts, und feine faum 
noch fo kräftige Geftalt war eingefallen und mager an- 
zufhauen, ſodaß ihn fein Water oft fragte, und aud 
anbere Leute, was er denn habe, und ob er fi wohl- 
fühle. Der Jüngling fchügte aber bald dies bald jenes 
vor und lenkte ihre Gedanken auf alles andere, ald auf 
die Wahrheit. Am Ende ließ er feinen Vater bitten, 
ihn von Haufe wegzuſchicken zum Oberbefehl des Heeres, 
indem er anführte, es würde ihm als einem Ritter das 
Tragen der Waffen und die Anftrengung des Kriegs⸗ 
dienſtes die Beſchwerden heben, welche ihm allzu große 
Muße und Ruhe verurfacht habe. Diefe Grunde bewogen 


- 


|. 
Ä 


65, Antiechus und Gtratonica. 311 


den Bater ihn zum Deere zu fenden, in gutem Geleit 
von alten im Waffenwerk mwohlgeübten Männern. Das 
Mittel wäre ficherlich vollkommen gut gewefen, wenn 
Antiochus feine Gedanken hätte dahin mitnehmen können, 
wohin er ging. Da aber fein Sinn durchaus auf dem 
Anblid der fchönen Frau haftete und, mit ihm befchäftige 
war, fönnen wir fagen, daß er fein Außeres, feinen Leib 
zum Heere trug, feine Seele aber bort blieb, wo bie 
fhöne Frau weilte. Obwol er beim Heere war, konnte 
er doch an nichts anderes, ale an feine Geliebte denken, 
im Traume meinte er nicht anders, als er fei bei ihr, 
und oft bemweinte er feine Thorheit, daß er fi von dem 
Anblick deffen entfernt babe, was ihn allein noch be- 
ruhigen konnte. So vergingen nicht zwei Monate, als 
er niebergefchlagen von feinen Gedanken in eine Krank: 
heit verfiel, bie ihn beſtändig ins Bett bannte. Er 
mußte Daher nach einigen Zagen auf einer Tragbahre 
nad Haufe gebracht werden zum großen Leidweſen aller 
feinem Water unterworfenen Völker. Sie hatten das 
größte Zutrauen und Hoffnung auf die Tüchtigkeit des 
Jünglingd und ermarteten von ihm eine volllommen 
gute Regierung nach feines Vaters Tode. Es wurden 
daher fogleich viele Arzte zufammenberufen, um ihm von 
der Krankheit, die ihn befallen hatte, zu befreien; aber 
fo fehr fie auch berühmt und gefeiert waren, fo fehr fie 
auch all. ihr Geſchick aufboten, fo fchafften fie ihm doch 
feine Abhilfe, denn die Wurzel feiner Krankheit war 
ihnen verborgen und ein Geheimnif und fo wirkten fie 
mit ihren Arzeneien nicht auf das daniedergeworfene Ge- 
müth, das vom tödtlichen Schlage der Liebe betioffen war, 
fondern fuchten den Körper zu heilen, der vom Gemüthe 
befiändig den Stoff der Krankheit überfam. Am Ende 
verzichtete man auf alle ärztliche Pflege und ed war 
niemand, der ein Mittel gegen eine fo verftedte Krank. 
beit anzugeben wußte. Unter andern war auch ein fehr 
verfiändiger und gelehrter Arzt bafelbft, Namens. Philippus. 


310 XX. Lionardo Bruni von Arezzo. 


Butter Gleopatra in Folge einer Krankheit farb und 
fen Vater Geleucus ohne Frau blieb. Auf Antrieb 
und Zureben feiner Freunde nahm biefer jedoch eine 
zweite Frau, die Tochter des Königs Antipater von 
Macedonien, mit Namen Gtratonica geheißen, welche 
er unter großem Pomp und Dedhzeitfeierlichkeiten heim⸗ 
führte, und lebte mit ihr in größter Zufriedenheit. 
Stratonica war von Perfon ausnehmend fchon und fo 
anmuthig und erheiternb im Umgang, daß es nicht zu 
fagen iſt. Sobald fie nun am Hofe ihres Gemahle ein- 
heimiſch wurde, hatte fie oftmals in freundliche Berüh⸗ 
rung zu treten mit dem jungen Antiochus, fie fpielte 
mit ihm, ritt mit ihm aus und erzeugte fo, ohne es 
zu merken oder daran zu denken, in bes Sünglinge Ge⸗ 
müth die Flamme ber glühendfien Liebe, welche von 
Tag zu Tag mehr in hellen Brand auszuſchlagen drohte. 
Der Jüngling war um diefe Zeit etwa achtzehn Jahre 
alt, aber fehr gefegt und hochherzig, und da er wohl 
einfah, daß feine Liebe in Ruͤckſicht auf feinen Bater 
unerlaubt war, hielt er fie fo geheim, daß er fie nie⸗ 
mand mittheilte. Uber je verborgener die Flamme war 
und je weniger ihr Linderung von außen wurde, um fo 
mehr wuchs ‚die Glut, die ihn im Grund des Herzens 
verzehrte, und es brauchte nur wenige Monate, fo ver- 
wandelte fich die Farbe feines Geſichts, und feine kaum 
noch fo kräftige Geftalt war eingefallen und mager an- 
zuſchauen, fodaß ihn fein Vater oft fragte, und auch 
anbere Leute, was er denn babe, und ob er fi wohl- 
fühle. Der Jüngling fchügte aber bald dies bald jenes 
vor und lenkte ihre Gedanken auf alles andere, ald auf 
die Wahrheit. Am Ende ließ er feinen Vater bitten, 
ihn von Haufe wegzufhiden zum Oberbefehl des Heeres, 
indem er anführte, es würbe ihm als einem Mitter das 
Tragen der Waffen und die Anftrengung bes Kriegs⸗ 
dienftes die Beſchwerden heben, welche ihm allzu große 
Muse und Ruhe verurfacht habe. Diefe Gründe bewogen 





- 


65. Antiochus und Stratonica. 311 


den Vater ihn zum Heere zu fenden, in gutem Geleit 
von alten im Waffenwerk wohlgeübten Männern. Das 
Mittel märe ficherlich volllommen gut gemefen, wenn 
Antiochus feine Gedanken hätte dahin mitnehmen können, 
wohin er ging. Da aber fein Sinn durchaus auf dem 
Anbli der fchönen Frau haftete und, mit ihm befchäftigt 
war, können wir fagen, daf er fein Außeres, feinen Leib 
zum Heere trug, feine Seele aber bort blieb, wo bie 
fchöne Frau weilte. Obwol er beim Heere war, konnte 
et doch an nichts anderes, als an feine Geliebte denken, 
im Traume meinte er nicht anders, als er fei bei ihr, 
und oft beweinte er feine Thorheit, daß er fich von dem 
Anblick deifen entfernt babe, was ihn allein noch be- 
ruhigen konnte. So vergingen nicht zwei Monate, als 
er niebergefchlagen von feinen Gedanken in eine Krank⸗ 
heit verfiel, die ihn befkändig ins Bett bannte. Er 
mußte daher nach einigen Zagen auf einer Tragbahre 
nach Haufe gebracht werben zum großen Leidweſen aller 
feinem Vater unterworfenen Völker. Sie hatten das 
größte Zutrauen und Hoffnung auf die Füchtigkeit- des 
Jünglings und ermarteten von ihm eine vollkommen 
gute Regierung nad, feines Vaters ode. Es wurden 
daher fogleich viele Arzte zufammenberufen, um ihn von 
ber Krankheit, bie ihn befallen hatte, zu befreien; aber 
fo fehr fie auch berühmte und gefeiert waren, fo fehr fie 
auch all. ihr Geſchick aufboten, fo fchafften fie ihm doch 
feine Abhilfe, denn die Wurzel feiner Krankheit war 
ihnen verborgen und ein Geheimnif und fo wirkten fie 
mit ihren Arzeneien nicht auf das baniedergemorfen: Ge⸗ 
müth, das vom tödtfichen Schlage ber Liebe bettoffen mar, 
fondern fuchten den Körper zu heilen, der vom Gemüthe 
beftändig den Stoff der Krankheit überfam. Am Ende 
verzichtete man auf alle ärztlihe Pflege und ed war 
niemand, ber ein Mittel gegen eine fo verftedte Krank: 
beit anzugeben wußte. Unter andern war auch ein fehr 


verfiänbiger und gelehrter Arzt bafelbft, Namens Philippus. 


312 XX. Lionardo Bruni von Arezzo. 


Es war der Arzt des Könige und Bürger ber Stadt, 
in welcher der König refidirte. Diefer gab fi alfe- er- 
denkliche Mühe, um der Krankheit des Jünglings auf 
die Spur zu kommen, und verfiel endlich auf den Ge- 
danken und Verdacht, es fei vielleicht ein Liebesleiden, 
während die andern Arzte der Anficht waren, er leide 
an Abzehrung oder Schwindfuht. Da nun Philippus 
diefen Gebanten hatte, hielt er fih ale ein gefchidter 
und thätiger Mann viel in dem Zimmer bes Franken 
Jünglings auf und beobachtete fleißig jede feiner Hand⸗ 
lungen. Er fagte zum Sönig, es fei zur Zerflreuung 
des Kranken erforderlih, dag die Königin umd andere 
Frauen des Hofes wenigftens. einmal täglich fommen 
und ihn beſuchen und ihn dabei zu unterhalten bemüht 
feien. Dies wurde dann von dem König fogleidy befohlen. 
Der Arzt fegte fi) unter irgend einem Vorwand auf 
das Bett neben den Süngling, hielt deffen linken Arm 
in der Hand und die Finger auf dem Puls, um zu 
feben, ob er durch biefes fchlau berechnete Mittet auf 
irgend eine Spur komme. Und wirklich brachte er fo 
die Krankheit des Jünglings heraus; denn als ihn viele 
ſehr fchöne und anmuthige Frauen des Hofes befuchten, 
fühlte er nie eine Anderung in bem niedergefchlagenen 
Pulſe des liebenden Jünglings, aber als die Königin 
hinkam, fühlte er in dem Pulfe ein wunderbares Prideln 
und lebendiges Pocen. Und als die Königin ſich neben 
den Jüngling niedergefegt hatte und ihn mit ihrer ge- 
wohnten Anmuth zu tröften anfing, ſchien der Puls ſich 
ganz zu beruhigen und in geregeltem Gange ſich zu be 
wegen. Als aber nach einigem Verweilen die Königin 
fih entfernte, war die Unruhe und Aufregung des Yulfes 
fo heftig, daß der Arzt das Außerfte befürchtete und der 
Kranke am Ende wie todt hinſank. Zugleich ſchaute der 
Arzt dem Jüngling ins Gefiht und fah, wie fich die 
Heiterkeit und Zufriedenheit in Trübfinn und Zraurigkeit 
verwandelte. Daraus erfah ber wadere Arzt mit voller 





65. Antiochus und Steatonica. 813 


Sicherheit, daß die Krankheit nichts anderes fei, als 
Liebesleiben, und daß die Königin e8 fei, um derenwillen 
er in fo gefährliche Krankheit gerathen. Aber nicht zu- 
frieden mit Einem Male wollte der weiſe Arzt die Probe 
zwei und breimal wiederholen, fand aber immer biefelben 
Zufälle. Da er nun die Sache für ausgemacht annahm, 
befchloß er mit dem Jüngling davon zu reden und ihm 
zu eröffnen, was er bemerkt habe. Cr erwartete dazu 
einen günftigen Augenblid, hieß jedermann ſich aus dem 
“Zimmer entfernen und fing alfo zu fprechen an: Ich 
glaubte, Antiochus, du habeſt ſolches Zutrauen zu mir, 
daß du nicht allein in aͤrztlicher Beziehung, da es ſich 
von der Rettung deines Lebens handelt, das in größter 
Gefahr ſchwebt, fondern auch in jeder andern geheimen 
oder öffentlichen Angelegenheit mir die Wahrheit nicht 
verhehleſt. Nun Habe ich aber erfahren, daß ich in fehr 
großem Irrthum war, und daß meine Treue vor deinem 
Angeficht nicht fo viel Gnade fich erworben hat. Darüber 
bin ich fehr betrüubt, wenn ih bedenke, daß die Sachen 
ganz anders flünden, wenn mir die Wahrheit nicht wäre 
verhehlt worden. In ber That weder meine Kunft noch 
deine Genefung kann dadurch gewinnen, daß du mich 
auf ſolche Art hintergehſt. Wiſſe demnach, daß bie 
Wurzel deiner Krankheit, die du aus Scham haft ver- 
hehlen wollen,. mir bekannt ift, und fo offenbar, dap . 
mir nicht entgeht, weder mas noch wer die Veranlaffung 
berfelben ift. Ich bin aud Fein fo ſtrenger Mann, daß 
ic nicht. wüßte, daß das jugendliche Alter den Zufällen 
der Liebe unterworfen ift und daß es nicht im unſerer 
Gewalt fteht, wen wir lieben wollen. Aber fei getroft, 
denn gewiß meine Arzneitunft wird noch ein Mittel. für ' 
diefe beine Krankheit ausfindig machen, und zwar nicht 
aus Pillen und Säften, fondern dadurch, daf ich den 
König deinen Vater dazu bringe, daß er lieber feiner 
Gattin entfagt, als feinen Sohn verliert. 

Während der Arzt alfo ſprach, brach ver "Süngling 

SItaliänifcher Novellenſchatz. II. 


314 XX. Lienardo Bruni von Arezzo. 


in fo beftiges Weinen aus, daß er fi gar nicht mehr 
ofen tonnte, und er bat ben Arzt mit Schluchzen und 
Seufzern, er möchte ihn ohne weitere Belaͤſtigung in 
Nuhe Reiben und ben Lauf feines ärmlichen Lebens ber 
Schließen laſſen. Darüber tabelte ihn der Arzt eruſtlich, 
indem er ihn auf den Schmerz hinwies, den fein Tod 
bem befümmerten Water verurfachen müßte, und auf das 
Leibweien, das die Völker feines ganyen Königreich fühlen 
würden, bie auf feine Vorzüge bie größte Hoffnung eines 
guten Regiments und ber Segnungen bes Friedens bauten. 
Der verfländige Arzt bewies ihm ferner, daß dies nichts 
jei, weshalb ee ben Tod wiünfchen müßte, zumal da ber 
Sache ja leicht abgeholfen werden könne, wie er denke 
und nad Der zuverfichtlichen Hoffnung, die er auf feinen 
Zuſpruch fegte. Nachdem er auf diefe Weife dem Jüng- 
ling zugeſprochen, ließ er ihn zu feinem gefchwächten 
Buftande paffende Speife nehmen und ging zum König, 
welcher, fobald er den Arzt anfichtig wurbe, nach feinem 
Sohn fragte und wie er fich befinde und welche Hoffnung 
er in Betreff feiner habe. Der Arzt fagte mit einiger 
Schüchternheit, er müfle im Geheimen mit ihm fprechen. 
Sie zogen fich daher in ein anderes Gemach zurüd, und 
als fie allein waren, fagte der Art: König, ich habe 
die Urfache der Krankheit deines Sohnes gefunden, nad 
„ ber wir fo lange umfonft geforfcht Haben. Aber wahrlich 
ich wollte wiel lieber, Die Sache wäre verborgen geblieben, 
da fich fein Mittel dagegen finden läßt. 

Wie, fagte der König, was für eine-große Sache 
ift denn Schuld, daß Leine Abhilfe möglich iſt, wenn 
man fie auch weiß? 

Allerdings, fagte der Arzt, es iſt feine Abhilfe möglich. 

Der König fragte weiter und wollte durchaus wiffen, 
was ſchuld fei. Da fagte der Arzt endlich: Die Leiden: 
ſchaft der Liebe, und der Gegenſtand feiner Wünfche ik 
meine Gattin; bie will ich aber für mic behalten, und 
eher würde ich alle Qualen erbufden, als fie ihm zuge⸗ 








65. Antiechus und Stratenica. 315 


ſtehen. Da ift alfo Feine Ahhilfe — — ohwol 6 weiß, 
daß er gexettet wäre, wenn er fie Haben könnte. 

Do ſprach ber König faſt weinend: O Philippus, 
willſt du fo graufam fein, daß bu mich einen ſolchen 
Sohn verlieren Fäßt um deiner Frau willen? Meinft du, 
wenn du biefe beine Gattin entläßt, Feine anbere ebenfo 
fhöne und ebenfo eble und angenehme als diefe finden 
zu Fönnen? Du weißt, daß Eheſcheidung aus achtharen 
Gründen und Urfachen möglich iſt, und um die gegen- 
wärtige Ehe aufzulöfen und ſtatt deffen eine andere ein- 
zugehen, gäbe es Feinen triftigeren Grund, als ben vor- 
liegenden. Ich erfuche dich daher und Bitte dich, bei dem 
Vertrauen, das ich auf dich fege, bei den Ehren und 
Wohlthaten, die du von mir empfangen, umd bie ich bir 
noch in höherem Maße zu übertragen und zu vermehren 
gebente, ich beſchwoͤre dich, daß du dich entſchließen mögeſt, 
mir dieſen Sohn zu erhalten als meine und des ganzem 
Reiches einzige Hoffnung, Denn wenn «8 dazu käme, 
daß er ftürbe, fo kannſt du dir wohl vorftellen, wie id 
feben und wie ich gegen bich gefinnt fein werde, und mit 
welchem Blicke dich meine Wugen betrachten können und 
mit welcher Miene du vor mir wirft erfcheinen mögen, 
nachdem du, um einem Weibe nicht zu entfagen, ba doch 
taufend andere und fchönere für did) zu finden wären, 
bie Veranlaſſung geweſen biſt, Daß mir ein folder Sohn 
ums ann kommt und daß mein Gemüth in einiger Trauer 
leben muß. 

Je mehr der König pprach, je mehr Gründe er an⸗ 
führte, um fo lieber hörte ihm der Arzt zu, denn er führte 
ja die triftigften Gründe gegen ſich feibft an. Nachdem 
daher der König feine Rebe heenbigt haste, ſah er ben 
Arzt feſt an, ob er wol geneigt fei, ihm beizuftimmen. 
Da antwortete ber Arzt alfo: D König, beine Gründe 
find der Art und fo eindringlich, daß ich nicht nur eine 
einzige mir über alles theure Frau, fombern zehn laſſen 
wollte, um beinen Sohn zu retten. Aber ich wende nun 

14* 


si6 XX. Lionarbo Bruni von Arezzo. 


dieſelben Gründe gegen dieſen, die bu gegen mich ange⸗ 
führe haft, indem ich dir die Wahrheit mittheile, daß 
dein Sohn feine andere Krankheit bat, als heftige Liebe, 
und daß die, zu ber er folche Leidenſchaft hegt, deine 
Gemahlin Stratonica ifl. Und wenn ich, der ich nicht 
bes Junglings Vater bin, zu feiner Rettung babe meine 
Frau entlaffen und mir eine andere ſuchen follen, fo mußt 
dis ale Vater zur Erhaltung beined eigenen Sohnes noch 
weit mehr daffelbe thun. 

Als der König diefes hörte, wurde er ganz betroffen 
und wollte vom Arzte wiffen, auf welche Art er das 
erfahren babe. Da er aber vernahm, daß bie Königin 
davon nichts wiffe und daß der Jüngling aus Scham 
und Ehrfurcht vor dem Vater lieber habe fterben: als 
die unerlaubte Begier offenbar werben laſſen wollen, 
ward er von Mitleid bewegt, und da er feine eigenen 
Gründe dem Arzt gegenüber nicht ‚widerrufen fonnte, 
faßte er den edeln Entfchluß, zur Erhaltung feines Sohnes 
feiner Gattin zu entfagen. Die Scheibung wurde daher 
vollzogen und mit fehönen menfchlihen Worten und mit 
heiteree Miene gab er die Frau dem Sohne und brüdkte 
beiden - feinen ernfllihen Willen aus, baf dies alfo ge- 
ſchehe. Es iſt kaum zu fagen, mie diefe paffende Arznei 
im Augenblick wirkte. Der Jüngling, der anfangs faft 
in bie dußerfie Verzweiflung gerathen war, faßte, fobald 
er die aufrichtige Zuftimmung feines Waters zu feinem 
höchften Wunſche erkannte, folhen Muth, daß er fich 
in wenigen Tagen ganz erholt. Er erhielt fodann feine 
Stratonica zur Frau und lebte mit ihr in höchfter Freude 
und Wonne, befam auch bald von ihre Kinder. Der 
Bater aber, der ben Sohn aus fo gefährlicher Krankheit 
errettet und in feinen Enkelchen die Nachfolge feinem 
Stamme gefichert fah, lebte höchft zufrieden und glüdlich 
und pries täglich feinen Entſchluß, wobei er beflänbig 
dem tüchtigen und Eugen Arzte dankte, ber mit feiner 
harffinnigen Berechnung einen fo wohlthätigen Erfolg 








65. Antiohus und Stratonica. 317 


erzielt hatte. Auf folche Weiſe alfo ſchaffte der menfch- 
liche edle Sinn bes griechifchen Fürften Abhilfe bei dem 
Unglück des Sohnes, rettete diefem das Leben und ficherte 
ſich felbft fortdauerndes Glück. Ganz das Gegentheil da⸗ 
von that unfer Landsmann Tangred, er raubte durch feine 
rohe Gefinnung der Tochter das Leben und fich felbft auf 
immer jebe Freude des Dafeins. 


XXI. Antonio Cornazzano. 


66. Franzofen und Italiaͤner. 


(Nach Gamba's Bibliogr. ©. 58 f.) 


Ein Mailänder Namens Pietro von Yufterla Fam 
als Gefandter an ben König von Frankreich im Auf- 
trage des Herzogs Francesco in einer dem Könige fehr 
widerlichen Angelegenheit. Da er nun hörte, daß ber 
König und alle Franzofen den Stallänern nicht eben viel 
Butes nachrühmten, befann er ſich auf eine Lift, um fie 
zum Schweigen zu bringen. Gr ſprach daher in meiner 
Gegenwart eine® Tages vor dem König von Frankreich 
fo viel Rühmliches über die Sranzofen, als ihm nur in den 
Sinn kam, er pries ihre Großmuth, Klugheit und alle 
möglichen Vorzüge, von welchen der Mebende felbft wohl 
wußte, Daß er dabei in feinen Hals. hinein Iog, denn die 
Franzoſen find alle unverfhämt und tollkühn. Endlich, 
als der König ihm genug und übergenug zugehört hatte, 
wandte er fi zu Pietro und ſprach: Monsyr Piero, 
vous dite vrai, che tout les Francois sone du bien; 
ma nous non povon pa ainsi dire di vous Taliani. 

Sogleich erwiderte Pietro: Ei freilich, erhabene Ma- 
jeftät, ihre könnt das und noch mehr. 

Wie fo fragte der König. 

Ihr lügt über die Staliäner, wie ich über die Fran⸗ 
zofen gelogen habe. 








66. Franzofen und Italiäner. . 319 


Diefes Wort ftopfte dem Sade das Maul, Der 
König that zwar, als lächele et darüber, aber ich bin 
überzeugt, das Lächeln ging ihm nicht fehr von Herzen 
und niemals fprach weder er noch fein Hof fortan 
Übles von den Staliänern, ſoweit wenigſtens uns zu 
Ohren gekommen iſt. 


XXI. Sebaſtiano Erizzo. 


1525. 


67. Die Tochter desß Kaiſerb von Conſtantinopel. 


(Tag 1, Nav. 1.) 

Wie ih einft in den alten Geſchichten der Kreter 
gelefen habe, lebte auf der Inſel Kreta, welche jept 
Candia Heißt, ein waderer und fehr edler junger Mann 
Namens Erafto, aus hohem Befchlechte ſtammend und 
von koͤniglichem Blute entfproffen, aber in Folge ber 
wechſelnden Bewegungen bes Schickſals, welche Die .welte 
lihen Dinge fo ploͤtzlich umdreht, in arme und Tlägliche 
Berhältniffe gefunten, welcher nunmehr fi der Handel⸗ 
fchaft ergab und mit einer Summe Geldes fi) von feinem 
Vaterland entfernte, ein Schiff beftieg, durch den Archipel 
fuhr und verfchiedene Inſeln dieſes Meeres berührte, welche, 
weil fie von der Natur gleichfam im Kreife her gelagert find, 
[don vor Alters den Namen Kykladen oder Kreisinfeln 
erhalten haben. Indem er fich alfo den Handelsgefchäften 
ergab, kaufte er auf diefen Inſeln verfchiedene Waaren, 
3098 dann weiter und gelangte nach Konftantinopel, einer 
fehr berühmten Hanbelsftabt, von wo er, nachdem er 
einige Geſchaͤfte gemacht, in fein Vaterland zurüdzutehren 
befchloß, um von ben eingelauften Gütern einigen Ge⸗ 
winn zu ziehen. Während er nun feine Sachen für feine 
Heimkehr ordnete, wollte er nach der allgemeinen Sitte 
der Fremden bie merfwürbigften Sachen jener Stabt fehen, 
und nachdem er Vieles in Augenfchein genommen, ging 
ee am Palafte des Kaiferd vorbei in einem wunberfchönen 





7. Die Tochter des Kaifers von Eonftantinopel. 321 


Garten voll verfchiedener Gebüfche und Pflanzen und 
anmuthiger Wiefen mit taufenderlei Blumen, da fiel ihm 
eine Zochter beffelben in die Augen mit Namen Filena, 
welche fchon erwachfen und mannbar war, ſodaß der Kaiſer 
ihre Vater wegen einer Vermählung mit dem König Wil 
heim von Sicilien unterhandelte. Sobald Erafto fie er- 
blidte, meinte er fie fet über alle Verdleichung ſchön 
und verliebte fich fo heftig in fie, daß er Tag und’ Nacht 
“ Teinen Genuß und Feine Ruhe hatte, wenn er fie nicht 
ſehen durfte Da nun der Garten, in welchen Erafto 
Filena erblickt Hatte und wo fie ihn gleichfalls fehen konnte, 
. ganz außerhalb des Palaftes fich befand und fie oftmals 
zu ihrem Vergnügen dorthin fam, war dem Eraſto das 
Glück in diefer Sache fo günftig, daß, als er wieder des 
Weges kam, der an dem Garten hinlief, in dem Augen- 
blick, wo der dem ſchoͤnen Fräulein in die Augen fiel, 
fie in Erwägung des Wefens und Betragens Erafto’s, 
welcher von fchöner Geftalt und edelm Anblid war, fich 
gleichfalls in Liebe zu ihm entzündete; und die Schritte 
wurden ihr fehr theuer, welche Erafto um fie zu fehen . 
eifrig und angelegentlih durch bdiefe Strafe machte. 
Während nun ber liebende Süngling fo weit war und 
die Liebesflammen in feinem DBufen verborgen hielt, 
jammerte er bei fich felbft und ſprach, als er nach Haus 
fam: O graufames, unerbittliches und kränkendes Ge— 
(hi, biſt du jept noch nicht zufrieden mit deinen 
Schlägen, die mich früherhin fo graufam gequält haben? 
Iſt es dir nicht genug, du neidifche Feindin jedes Glück— 
lichen, mein ganzes Wohlfein umgeftofen zu haben, in- 
dem du mic aus einer hohen und erhabenen Stellung 
perdrängteft und in bie tieffte Tiefe des Elends ftürzteft; 
biind mit deinem ungefuchten Rathe, indem du einige 
Zeit ganz die meinige warft, und taub meine traurigen 
Klagen über meine MWidermwärtigkeiten zurückweiſend haft 
du fo trügerifch, fo unverfühnlich dein Geſicht verändere? - 
Iſt e8 dir nicht genug, fage ich, fo lange Zeit meine 
14#% 


3232 XXI. Gebaftiano Erizzo. 


Feindin geweſen zu fein und mich allenthalben graufam 
zu verfolgen, daß du noch in dieſer legten Zeit, da ich 
eben in mein Vaterland zurückzukehren und bort mit 
meinem Eifer und meinen Bemühungen mich aus deinen 
Händen zu befreien gedachte, mich gewaltfam zurückhältſt 
und verlangft, daß ich leidig umlommet D glühende 
fehmeichlerifche* Kiebe, großmächtiger Despot der menfc- 
lihen Herzen, mir wollte es nicht zu inne, daß deine 
Pfeile ſich über die Unglüdlichen und Armen auch aus- 
dehnen dürfen und daß in befümmerten Herzen, die von 
kranken und ſchweren Gedanken belaftet find, eine Stätte 
für dich fein fol. Aber ich fehe und erkenne wehl, daß 
nicht leicht von deiner Gewalt ein lebender Menſch ſich 
losmachen kann und baf jeden noch fo feiten Vorfag 
deine Waffen durchdringen, da ich unglüdlicher Jüngling, 
ein wahrer Spiegel jedes Misgeſchicks, obſchon ich mir 
beflimmt vorgenommen, auf nichts anderes zu achten 
und mit fonft nichts die Zeit meiner Jugend auszufüllen, 
als einigen Gewinn zu machen, um mein Leben zu friften 
und mic, gegen die Armuth zu fohügen, welche Die Größe 
meiner Seele in feiner Weife gebuldig ertragen Tann, 
nunmehr durchbohrt von deinen Gefchoffen mitten auf 
dem Wege aufgehalten werbe. 

Auf diefe Weiſe beklagte fih Eraſto und als er 
weiter vernahm, daß der Kaiſer fchon befchloffen habe, 
die Tochter an jenen Fürſten zu vermählen, verfiel er 
in noch viel größere Betrübniß. Er befchloß, fich einige 
Zeit in Conſtantinopel aufzuhalten und befann fi), ge- 
trieben von glühendem Werlangen, das ihm das Herz 
entzündete, fo gut als möglich die erfauften Waaren 
wieder zu verwerthen und fie in Baar umzufegen, um 
feiner geliebten Filena folgen zu fönnen, wohin fie gehe. 
Der Kaifer ließ ein wohlausgerüftetes und mit einer zu 
jedem Dienfte geeigneten Mannfchaft wohlverfehenes Schiff 
bereit halten und gedachte Damit die geliebte Tochter ihrem 
Bräutigam zu überfenden. Eraſto hatte dies alles bis 








67. Die Tochter des Kaiſers bon Gonftantinopel. 323 


ins Einzelne in Erfahrung gebracht, er beſtach den Pa- 
teon des Schiffes mit zweihundert Goldgulden, damit er 
ihn unter die Zahl derer auswähle, welche zur Bewachung 
der Prinzeffin verorbnet wurden, um mit eigener Perſon 
und am geichen Orte ſeine theure Filena begleiten zu 
können. Er verſah fi) daher ganz gut mit Rüftungen 
und allem, was einem gut geſchmückten Soldaten ge- 
ziemt, und eines Morgens in ber Brühe fliegen fie an 
Bord, die Tochter bed Kaiſers mit großen Reichthümern . 
und Schmud, nebft ber ganzen Gefellfchaft, die zu die. 
ſem Zwecke verordnet wear, fie gingen mit gutem und 
günftigem Winde umter Segel, paflirten die Meerenge 
von Gallipoli, entfernten fi) von Romanien und famen 
nach und nach an den Infeln bed Archipels vorüber. 
Sobald Filena Erafto erblidt hatte, ftellte fie fich fein 
Vorhaben vor und kam mit ihm eines Nachts heimlich 
ins Gefpräch über ihr Liebesverhältnig. Aber fie waren 
faum etwas über die Inſel Palmofa hinaus gelangt, 
welche unter andern in dem befagten Meere liegt, als 
fie von einer ziemlichen Anzahl von Rennſchiffen von 
Korfaren angegriffen wurden. Als diefe das gut aus⸗ 
geftattete Schiff fahen, in welchem fie viel Gewinn und 
hinreichende Beute zu finden hofften, umzingelten fie es, 
befämpften es mit, aller Macht und- zwangen die Schiffd- 
feute wegen der Überzahl und Überlegenheit der Feinde 
den ungleihen Kampf zu verlaffen, fich zu ergeben und 
den Korfaren als Beute zu überliefern, indem fie bie 
Knechtſchaft dem Tode vorzogen. Die fhöne unglückliche 
Filena aber, als fie kein anderes Mittel für ihre Ret⸗ 
tung ſah und ihe nur die Wahl gegeben war zwiſchen 
den Tode und Eläglicher Gefangenfchaft, egeif einen 
Pack ihrer Eoftbarften Juwelen, band fie mit einer gol⸗ 
‚denen Kette um den Hals feft, faßte eine Kifte und 
ſtürzte fi) mit Erafto insg Meer. Er, der wie ein Fiſch 
ſchwamm, biele fie ‚fortwährend empor und rettete fie 
beide mannhaft vom Tode. Auf: der erften Infel, die 


324 xx. Gehaftiano Erige. 


fie erreichten (denn biefes ganze Meer ift befät mit 
unzähligen Infeln), ruhten fie aus, bie fchöne Filena 
legte männliche Tracht an. und am folgenden Tag fegten 
fie auf einer Heinen Barke über nad Samos, einer nicht 
fehr weit von Afien entfernten Inſel. &o hatte fie ihr 
günftiges Schickſal frei gemacht und gegen den Angriff 
der Feinde gefichert. Erafto und Filena fliegen von aller 
Gefahr entledigt and Land, wohnten in ber folgenden 
Naht in Smyrna und erreichten das Biel ihrer zärt- 
lihen Wünfche. Als Filena demnäcft fchwanger warb, 
kam fie auf verfchiebene neue Gedanken und entſchloß fich 
endlich nach Conftantinopel zurückzukehren und nach den 
Kraͤnkungen des Geſchicks zu verfuchen, ob fie beide mit 
Anwendung einiger Liſt noch in ruhigem und heiterem 
Zuftande leben können. Filena war nicht undankbar 
gegen die von Erafio empfangene Wohlthat, der ihr in 
fo großer Gefahr das Leben aus den Wellen des Meeres 
gerettet hatte, fie verpfändete ihm ihr Wort und ver⸗ 
fprah ihm, nie jemand anders als ihn zur Che zu 
nehmen. Als nun die Sachen fo ftanden und der Kaifer 
ihr Vater keine Nachricht erhielt von der Ankunft feiner 
Zochter bei ihrem Bräutigam, gerieth er in Beſorgniß 
und ſchickte einen Botichafter mit eigenhändigen Schreiben, 
um Kundfchaft über fie einzuziehen. Als diefer von Wil⸗ 
helm ihrem Bräutigam erfahren hatte, daß nie ein Schiff 
bei ihm von dort angelommen fei, kehrte er zum Kaifer 
zurück und überbrachte ihm die betrübte Kunde. Der 
Bater war ganz niebergefchlagen über ben Verluſt feiner 
Tochter, die Unruhe trieb ihn befländig um und er ver- 
ſank in eine unglaublihe Schwermuth. Unterbeffen ver- 
liefen Erafto und Filena Smyrna, fie wandten fid) von 
dort nach Natolien und Fanıen nach großen Meifebefchwer- 
lichkeiten und mannigfachem Aufenthalt nach Scutari, von 
wo fie über die Meerenge ſetzend in Conftantinopel an- 
famen. Da Filena in Männertraht auftrat und nie 
mand fie erfannte, behielt fie Erafto mehrere Tage in 











67. Die Tochter des Kaifers von Eonftantinopel, 325 


Conſtantinopel verborgen. In diefer Zeit erfann er einen 
neuen Betrug, gab fi) für einen reifenden Kaufmann 
aus und fchidte zu dem Kaifer, um ihm durch einen 
feiner Leute fagen zu laffen, es fei ein Kaufmann aus 
Morea hier angelommen, ber Seiner -Majeftät Nachricht 
von feiner Tochter bringen wolle. Der befümmerte Vater 
ließ ihn hierauf fogleich vor fi fommen und fragte ihn 
mit Thränen in den Augen, was an der Sache fei. 
Erafto erzählte ihm nun den ganzen Vorfall mit ber 
Wegnahme des Schiffes durch die SKorfaren, aber fügte 
bei, mie fie um taufend Goldgulden verfauft worben ſei 
an einen edeln Dann von erlauchtem Blute, der nun 
ihn als Botfchafter an Seine Majeftät fende, um feine 
Tochter zur Frau zu befommen. Er habe fie gekauft 
und die hohe Summe Geldes nicht gefpart, fondern fie - 
aus der harten Sklaverei der Korfaren und jedem andern 
Unglüd gefund und mohlbehalten errettet. Als der Vater 
die Kunde vernahm von dem Xeben Filena’s, freute er 
fi fo fehr, daß er antwortete, wenn jener Mann ihrer 
Derfon und ihres hohen Standes würdig fei, fo werbe 
er fie ihm gerne überlaffen, doch wünfche er ihn und fie 
zu fehen, die er ſchon viele Monate als todt bemeint 
habe. Erafto ließ nun wieder einen Monat verftreichen, 
bis er fie dem Vater zeigte, um fich den Schein zu geben, 
als fei fie von Ferne her gefommen. Als es ihm fodann 
Zeit fchien, flellte er fie in Frauenkleidern ihrem Vater 
vor. Sobald ber erfreute Vater feine Tochter fah, um 
armte er fie zärtlich, küßte fie auf die Stine und ließ 
fi) ihr ganzes Unglüd von ihr erzählen. Eraſto, dem 
es Zeit fchien, fein mwankelmüthiges Glück auf die Probe 
zu ftellen, fprach, da Filena ſchwieg, auf folgende Weiſe 
zum Kaifer: Es ift eine natürliche Sache, allgerechtefter 
Kaifer, Wohlthaten zu ſäen, um die Früchte davon zu 
ernten, und ernftlich getadelt wird der, welcher im Aner- 
kenntniß deſſen läfjig erfunden wird. Einen foldyen nennt 
man mit Recht nicht nur einen undankbaren Menfchen, 


396 XXI. Sebaſtiano Erizzo. 


und der Undank gilt für das verwerflichſte Laſter, fon- 
been auch einen gottlofen, einen Verleger aller Religion. 
Und wenn das fo ift, wie wir es in Wahrheit ſehen, 
weiches Gebächtniß, welches Verdienft, welche Vergeltung 
kann der Wohlthatıdeffen entfprechen, ber einen andern vom 
Tode zum Leben, von der Verzweiflung zur Hoffnung, 
von graufamer Sklaverei zur Freiheit rettet und in feinen 
früheren Zuftand, in welchem er fi mwohlfühlte, zurüd- 
führt? Der Mann, der deine Tochter von Sklaverei 
und Tod befreit hat, ift der, welcher jegt vor bir redet, 
er beißt Erafto, erlaucht durch Adel des Blutes, ent- 
fproffen aus bem erhabenen Stamme der fretifchen Könige, 
aber durch den Reid des Scidfals in Armuth geſunken 
und bierher gekommen, um in Conftantinopel Handels- 
gefhäfte zu treiben; als aber beine Tochter Filena au 
ihrem Verlobten reifen follte, faßte er den glüdlichen 
Entſchluß, fi) auf demfelben Schiffe einzufchiffen, welches 
fie wegzuführen beflimmt war, und mit einer Summe 
Geldes, die ihm eben verfügbar war, nach den Inſeln 
bes Archipels zu reifen. Nicht weit von der Infel Pal- 
mofa wurden wir, wie deine Tochter dir bereits erzählt 
bat, von Korfaren überfallen, welche das Schiff heftig 
angriffen und nahe baran waren, es zu erobern. Aus 
Furcht vor ber Sklaverei ftürzte ſich die unglüdliche Filena 
auf einer Kifte ind Meer; aus Mitleid mit ihre folgte 
ich ihr nach und bot ihr ſolchen Beiftand, daß wir von 
einer Inſel des Archipels zur andern überfegten und ich 
fie nach langer Zeit endlich wohl und gefund von aller 
Gefahr frei hierher nach Gonftantinopel brachte. Und 
wie Filma dankbar für die empfangene Wohlthat mir 

ihr Wort gegeben hat, meine Gattin werden zu wollen, ' 
fo hoffe ih von Dir, der ein gerechter Fürſt fein muß, 
ſchuldigermaßen die ſchon fo fehr ganz von Filena mir 
gewährte Gunſt erwarten zu dürfen. Und wenn ben 
Weiſen die Vernunft, den Barbaren die Nothwendigkeit, 
den Bölfern bie Sitte, den Thieren der Naturtrieb das 


67. Die Tochter des Kaifers von Gonftantinopel. 327 


Sefep vorfchreibt, alle ihre Kraft und Mittel auf die 
Erhaltung ihres Lebens zu verwenden, wenn id) deiner 
Tochter das Xeben erhalten habe, das fie zuerft von bir 
als ihrem früheften Urfprunge empfangen hat, fo mußt 
du als ihr Vater und die erfte Urfache ihres Lebens die 
Erhaltung deines Eigenthums dur mi um fo mehr 
als Berdienft anerkennen und nicht weniger vielleicht, 
als wenn ich dein eigenes Leben vom Tode errettet hätte, 
inſofern du ja das Fleiſch und Blut deiner Tochter als 
das deinige betrachten mußt. " 
Diefe - und andere gewichtige Gründe brachte Erafto 
dem Kaiſer vor, und nachdem er feine Worte geendet 
hatte, antwortete ihm ihr Vater, der ihm fehr aufmerkfam 
zugebört, er beabfichtige in Feiner Weiſe ihm undankbar 
zu fein für bie Errettung, welche durch feine Vermittelung 
Filenen zu Theil geworden; vielmehr, zumal er aus hohem 
öniglichen Geſchlechte ftamme, werde er vielleicht, wenn 
er fih etwas darüber befonnen habe, fie ihm als Ge- 
mahlin übergeben. Er behielt fih nun einige Tage Be 
denfzeit vor, um ihm zu antworten. Crafto wohnte von 
jegt an im Palafte des Kaiſers, Filena hatte den vierten 
Monat ihrer Schwangerfchaft vollendet, ihre Beleibtheit 
nahm täglich zu und als fie eines Tages in ihrem Ge- 
mache mit ihrem Vater ſich unterhielt, bemerkte er endlich 
diefe ihre Umftände. Darüber war er trauriger als je 
und fragte fie eines Morgens, woher die Schwangerfchaft 
rühre, die er an ihr bemerke. Filena leugnete und fchrieb 
alled der natürlichen Befchaffenheit ihres Leibes zu. Der 
Kaifer aber fihöpfte einen richtigen Verdacht, ließ Eraſto 
unvermuthet fefinehmen, brachte ihn auf die härteften 
Foltern, bie ein Menfch beftehen kann, und fo warb er 
gezwungen, am Ende die Wahrheit zu befennen. Er 
holte einen tiefen Seufzer und fing an zu feiner Der- 
theidigung mit dem Kaifer alfo zu fprechen: Ich leugne 
nicht, erbarmungsreicher Fürſt, daß ich durch mein Ver- 
gehen deinen Unmillen verdient habe; aber ich bin auch 


328 .. XXI. Sebaftiano Erizzo. 


überzeugt, daß du als ein kluger und milder Herr in 
Anbetracht der drei Punkte, namlih, mit wie großer 
Schönheit deine Tochter begabt, wie ſchwach bie Kraft 
der Jugend und wie fiher das Eheverfprechen ift, das 
mir Filena gegeben, in Rüdficht hierauf, fage ich, und 
da ich demüthig wegen der vergangenen Unbil um Ver⸗ 
zeihung bitte, nachdem du mich zum armen Schelm ge- 
macht, mich gerne loben wirft. Denn wenn bu dich für 
beleidigt erachteft dadurch, daß ich ohne deine Zuftimmung 
Filena erniedrigt babe, nachdem ich doch von ihr ein 
vollftändiges Cheverfprechen erhalten, das fie mir frei- 
willig, ohne Begehren von meiner Geite ertheilt bat 
und wodurch fie auch nicht geringer zu werden dachte, 
fo war meine ‚Sünde doch fo bedeutend nicht, da ich in 
Gegenwart Gottes mit ihr den Ehebund ſchloß, baf ich 
deiner DBegnadigung fo durchaus unmwürdig wäre. ch 
unterlaffe zu fagen, daß ich in Feiner Weiſe mich über- 
zeugen kann, bu werbeft mich, der ich beine Tochter von 
den Stürmen des Meeres und aus ſchnöder Sklaverei 
errettet habe, fo behandeln wollen, al& hätte ich unter 
den graufamften Qualen fie und alle deine Verwandten 
ums Leben gebrachte. Wäre es mir hiernach nicht befjer 
gemwefen, ich hätte deine Zochter ertrinten, fie den Fifchen 
zur Beute werden und an ben fpigigen Klippen zerichellen 
laffen, als daß ich fie frifch und gefund aus aller Gefahr 
erlöftet Wie könnte man je eine größere Grauſamkeit 
finden? Wo ein fo wildes erbarmungslofes Wefen, das . 
zum Lohn für die Lebensrettung einem andern einen grau- 
famen Zod gäbe? Nimmermehr kann ich glauben, daß 
ein fo harter Spruch von einem Menfchen ausgehen wird; 
denn es findet fich kein fo barbarifches, fo Aller Menfch- 
lichkeit entblößtes Volt, das zum Lohn für eine fo wich 
tige Wohlthat ſich fo ruchlos die Hände befledte; man 
würde einen folhen Menfchen eher für ein wildes Thier 
und für eine in menfchliche Geftalt gekleidete Iybifche 
Schlange halten. Wirft du dich über den Tod bes 














67. Die Tochter des Kaifers von Eonftantinopel. 329 


Mannes freuen, ber bir felber, der deinem Fleiſche bas 
Leben gerettet bat? Wird mein Blut beine Begierde 
und deine Augen fättigen? Und glaubft du nicht, daß 
du viel unglücklicher wäreft, wenn bu lebteft, als ich, 
wenn ich fo graufam gegen alle Vernunft, gegen das 
Geſetz der Natur und die Sitten der Menfchen fierben 
müßte? Ä 

Bis hierher Hatte Erafto mit traurigem und weinen- 
dem Gefichte mit dem Kaifer gefprochen, er warf. fich 
vor ihm nieder und flebte um Gnade, und er bereitete 
fi vor, in feiner Rede fortzufahren, als jener voll Zorns 
und glühenden Unmillens ihn unterbrach). 

Da wir, fagte der Kaifer, dich als Abkoͤmmling eines 
hohen Eoniglihen Stammes Eennen, hätten wir beiner 
Bitte um bie Hand Filena's gerne gewillfahrt, wenn bu 
nicht vor unferer Zuftimmung und vor der öffentlich vor 
aller Welt gefeierten Hochzeit ;unfere königliche Krone mit 
einem ſolchen Madel belegt und ihre Ehre befleckt hätteft. 
Nachdem bu aber einen fo großen Fehltritt gegen uns 
begangen und uns große Schande zugezogen, beabfichtigen 
wir, ein ftrenges Urtheil über dich und unfere Tochter 
ergeben zu laffen-und euch zum Zode zu verdammen. 

Nach diefen Worten befahl er, dem Drange feiner 
Leidenschaft folgend, einem feiner Getreueften, welcher 
lange Zeit unter feiner Leibwache gedient hatte, bie beiden 
gefangen zu fegen, und nach brei Tagen fie heimlich mit 
einem: Gewichte am Hals ind Meer zu werfen und - 
fie zu erfäufen. Wie groß hierüber die Verzweiflung - 
und ber Schmerz Eraſto's und Filena’s war, möge jeder 
fih felbft vorftellen. Die armen unglüdlichen jungen 
Leute hatten nun nur noch einen einzigen Ausweg: fie 
gedachten durch große Summen bie Wache zu beftechen, 
um auf dieſe Weife einem fo ſchmachvollen Tode zu ent- 
gehen. Filena gab dem Wächter am erften Abend zwei 
Juwelen vom hoͤchſten Werthe, welche fie unter andern 
von ihren früheren Verluſten noch übrig hatte, worauf 


ee beide in der folgenden Racht entweichen ließ. Als 
nım die Zeit kam, da er fein Henkeramt hätte vollzogen 
baben follen, fagte er zum SKaifer, er babe fie feinem 
Urthellsfpruche gemäß im Deere erfäuft. Nachdem fie fo 
bee Gefahr entronnen waren, vertaufchten Grafto und 
Filena ihren Anzug mit den gemeinften Kleidern; nad 
fo großer Roth; lächelte ihnen das Schickſal ſchmeichleriſch 
und nad fo heftigen und bebenklichen Schlägen des Ge⸗ 
ſchicks beftiegen fie unerkannt ein Pleines Fahrzeug, kamen 
vor die Meerenge von Gallipoli heraus nad, Tenedo, 
begaben fich dort auf ein ſicheres Fahrzeug und ſchifften 
in wenigen Tagen von einer Infel zur andern, bis fie 
gluͤcklich nach fo viel Leiden nach Kreta gelangten, wo⸗ 
felbft fie fortan ein ruhiges Leben führten und threr 
ſchwer erworbenen Liebe Früchte lange Zelt ungeflört 
genofien. Eraſto machte Filena unverweilt zu feiner 
Bemahlin, fie gebar ihm einen Sohn nad Verlauf ihrer 
Schwangerſchaft, welcher, fo viel man weiß, nach vielen 
Jahren durch feine Tugenden und feinen Reichthum König 
diefee Infel wurde. Hieraus kann man fehen, dag man 
- nicht fo jedes Übel dee Liebe zufchreiben muß, das wir 
vielmehr immer- felbft veranlaffen, fondern vielmehr nad 
Eraſto's Beiſpiel alles Gute. Er war aus armen und 
klaͤglichen Umſtaͤnden durch Filena zu Reichthum und Glück 
emporgeſtiegen. 


——— — — — 


68. Der Kaufmann aud Genua. 


(Xag 6, Mov. 36.) 


Wie ich ſchon öfter erzählen hörte, Ichte in Genua 
ein fehr reicher junger Kaufmann, Namens Giannotto. 
Er war viele Jahre lang von feiner Vaterſtadt entfernt 
geweſen, hatte verfehtebene Theile der Belt in Handels⸗ 


68. Der Kaufmann aus Genua. 331 


geſchaͤften durchzogen und wuͤnſchte nun, ſich zur Ruhe 
zu begeben und irgendwo feſtzuſetzen. Da kam er endlich 
nach Neapel, der edeln berühmten Stadt Italiens. Nach⸗ 
dem er einige Zeit dort verweilt hatte und noch immer 
dort verweilte, entweder weil ihm ſchien, ſeine Geſchaͤfte 
gedeihen ihm daſelbſt beſſer, als anderswo, oder ange⸗ 
sogen vorn der reizenden Lage der Stabt, begab es fich, 
daß fi ihm Gelegenheit zur Ehe bot mit einer Tochter 
eines neapolitanifchen Edelmanns. Gr überlegte, daß 
diefe Sache ihm in manden Rückſichten vortheilhaft 
werben koͤnne, und ergriff die Gelegenheit, weit fie ihm 
ehrenvoll und zu feinem Vorhaben paffend fihien. 

einer ſchoͤnen prachtvollen Hochzeit führte er das Mädchen, 
welches Leonora hieß, ale feine Braut heim. Er mochte 
fi hernach vielleicht ein Jahr in Neapel aufgehalten 
haben, ba fiel es ihm ein, nachbem er fo lange Zeit 
von feiner Heimat entfernt geweſen fei und durch feinem 
Handel und Fleiß ſich einiges Vermögen erworben habe, 
mit feiner Gattin nach Genua zurückzukehren. Giannotto's 
Einfall reifte zum Entſchluß. Er beftieg, als es ihm 
paſſende Zeit fchien, mit feiner Frau ein Schiff, worauf 
er feine Güter hatte laden laffen, verließ mit feiner Ge⸗ 
fellfehaft den Hafen von Neapel und fuhr auf Genua zu. 
Wie nun das launenhafte Schickſal oft gern die Vor⸗ 
haben der Menfchen durchkreust, fo wollte es, nachdem 
ee Giannotto bisher in allen feinen Unternehmungen 
günftig geweſen mar, daß die gegenwärtige einen ganz 
andern Ausgang nahm, ale er dachte. Denn eines 
Morgens mit Aufgang der Morgenröthe überfiel die 
Schiffenden bei Piombino ein großer heftiger Wind, das 
Meer begann zu fchiwellen und wogte allmälig im wüthend« 
ſten Sturm empor, der das Fahrzeug nach kurzem Kampf 
wider die Corfica gegenüberliegende Infel Caprara warf, 
an deffen hüglichtem Strande es fcheiterte und alle Mann⸗ 
ſchaft ertrant. Der unglüdliche, von feinem Geſchick in 
diefes aͤußerſte Elend gebrachte Giannotto Hammerte fich 


332 XXI. Sebaſtiano Erizzo. 


an ein Brett, das ihm der Zufall entgegenſtieß, und 
ſtürzte in das Meer. Von Wind und Wellen bald hierhin 
bald dahin geworfen, trieb er zuletzt auf der unfernen 
Infel Elba ans Land. Um nun auf Leonora zurückzu⸗ 
kommen, die unglückliche junge Frau hatte mit einer ihrer 
Mägde aus Furcht vor dem Waſſer das Schiff nicht ver- 
laffen, fondern erwartete auf dem Bintertheile deffelben 
jeden Augenblid ihren Untergang. Die Folge davon war, 
daß durch diefen Umftand ihr Gefchid ihr gerade zu Hilfe 
fam, und meber fie noch ihre Magd ertrant; denn das 
Schiff war auf eine Sandbank gerathen und rubte da⸗ 
ſelbſt feſt. Die beiden Frauen verbrachten die fürchter- 
lihe Nacht in fteter Todesangft. Doch legte ſich endlich 
Sturm und Ungemwitter und fie erblidten mit ber Morgen- 
röthe ein anderes Schiff, das von Corſica abgegangen 
war und auf fie zufegelte. Sobald es unfern von ihnen 
vorüberfuhr und Leonora es erblidte, gab fie alle mög- 
lichen Zeichen, und ſchrie und rief, je näher es Fam, fo 
lange mit ihrer Magd um Hilfe, bis die Seeleute auf 
merffam wurden und erkannten was vorgegangen mar. 
Sie zogen die Segel ein und fleuerten auf das geſchei⸗ 
terte Fahrzeug los. Durch Leonora’s Klagen und das 
Mitleid mit ihrer Gefahr gerührt nahmen fie beide Frauen 
zu fih an Bord und retteten dabei auch einige ihnen 
übriggebliebene Sachen von dem Verdeck des zertrüm⸗ 
merten Schiffes. Leonora hatte vorfichtiger Weife, da 
ihre fonflige Habe und die Waaren auf dem Schiffe 
foft alle ins Meer gefchleudert waren, vorher aus einer 
Heinen Kifte eine gute Summe Geldes zu fich geſteckt, 
gab aber deffen ungeachtet gegen die Seeleute des andern 
Schiffes vor, von Allem entblößt zu fein. Als nım 
Leonora auf das andere Schiff geftiegen war, begab es 
fi, daß ihre Schönheit und ihre Netze in zweien Rei⸗ 
fenden eine heftige Leibenfchaft entzundeten. Ohne dag 
einer vom andern wußte, beftürmten fie fie während ber 
Fahrt mehrmals um das Geichen? ihrer Liebe; Leonora 





68, Der Kaufmann aus Genua. 333 


aber bei ihrer Ehrbarkeit hielt fich immer gegen diefe 
MWünfche zurück und bezeugte ihre Abneigung dagegen. 
Doch dauerte ed nicht lange, bis fie von dieſer Verfuchung 
befreit wurde; denn als das Schiff in Livorno landete, 
fegte der Schiffsherr jene beiden Reifenden mit ihrem 
Gepaͤck and Land, Leonora aber, bie fich vorgenommen 
hatte, nach Genua zu gehen und dafelbft fich feftzufegen, 
wurde mit dem Schiffspatron über eine nicht unbebeu- 
tende Summe einig, die fie ihm verfprach, durch ihre 
Verwandte in Genua auszahlen zu laffen, und bewog 
ihn dadurch, weiter zu fahren, wohin fie ſich zu gehen 
vorgenommen hatte, in der Abficht dafelbft ihren Gemahl 
zu erwarten, wenn vielleicht das Glück ihm das Leben 
gerettet habe. Giannotto aber, den die Meereswogen 
an eine fichere Küfte getragen. hatten, war mie gefagt 
auf der Infel Elba geborgen und entfchloß fich nachher, 
nad) Piombino zu gehen. AU feiner Habe beraubt bis 
auf die Lappen, die er an ſich Hatte, und an nichts 
weniger denfend, als daß feine Frau am Leben fei, be- 
flog er fi) nah Ancona zu wenden. Und ale er nady 
vielen Zagereifen in fehr übelm Zuflande und elend da- 
felbft anlangte und fein Ausfommen zu finden fuchte, 
bot er ſich in dieſer Stadt als Diener an. Er ging 
bei einem Anconer Edelmann in Dienfte und brachte 
fih, fo gut er konnte, in deffen Haufe durch. Leonora 
war indefien in Genua angelangt, fie fragte bei vielen 
Leuten der Stadt nah Giannotto, aber kein einziger 
tonnte ihr über ihn Auskunft ertheilen, ja es fand ſich 
niemand, dem er nur befannt war, denn Giannotto war 
fhon gar jung von feiner Vaterftadt gefchieden und lange 
von Haufe weg gemwefen. Als daher Leonora nichte von 
ihrem Gemahl hörte, entſchloß fie fih, in Genua zu 
bleiben und zu warten, ob er nicht vielleicht komme. 
Und wenn fie ihn auch nicht kommen fehe, fei es wegen 
feines Todes oder eined andern ihm zugeftoßenen Unfalls, 
und keine Rachricht mehr von ihm erhalte, gedachte fig, 


3A xxIl, Sebaſtiano Erizzo. 


doch nicht wieder von hier weg zu gehen, ſondern als 
Wittwe den Reſt ihres Lebens bier zuzubringen. Und 
obwol ſie noch ſehr jung war (denn ſie hatte das zwan⸗ 
zigſte Jahr noch nicht erreicht), war doch die Liebe zu 
dem Gemahl in ihrem Herzen ſo ſtark, daß ſie ihn nicht, 
wie es viele Frauen machen, in der Entfernung vergaß, 
vielmehr ihm die Treue unverlegt bewahren wollte, wie 
es ihre Ehre ihr zu erfordern ſchien. Giannotto mar 
nun vielleicht zehn Sabre in den Dienften dieſes anconi- 
tanifchen Edelmanns, aber in einem niedrigen armfeligen 
Zuftande, jedoch wegen feiner guten und treuen Dienfte 
bei feinem Herrn fehr beliebt. Da er nun feine Habe 
verloren hatte und feft überzeugt war, feine Frau fei 
mit den andern in den Wellen umgelommen, meinte ex, 
in biefer feiner Betrübniß und ärmlichen Lage bleibe ihm 
ein anderer Troſt mehr übrig, befchloß daher, heimzu- 
ehren, um vor feinem Tode feine Vaterſtadt noch einmal 
zu fehen, nachdem er jept fünfundzwanzig Jahre lang 
von dort war entfernt gewefen. Bei feiner Abreife hatte 
er ein Paar Brüder dafelbft zurudgelaffen, von denen 
er zu wiffen miümfchte, was aus ihnen geworben fei und 
ob einer von ihnen noch lebe. Giannotto nahm baher 
von feinem Deren Urlaub, verlieh Ancona, und als ex 
nad vielen Tagereiſen endlich nah Genua kam, wurbe 
ee von niemand mehr erkannt; denn fein Ausſehen 
hatte fi gegen früher gar fehr verändert, weil er bärtig 
und alt geworben war. So ging er nun-auf das Haus 
feines Bater zu. Dort fand er von allen feinen Brü- 
dern, deren er vier gehabt hatte, nur noch einen einzigen 
am Leben und ohne Kinder, wohlbetagt und reich begütert. 
Als diefer Giannotto fah, ihn aber nicht von felbft er- 
kannte, gab fich der Fremde endlich zu erfennen. Die 
Freude und ben Jubel, den die Brüder empfanden, die 
feit vielen Jahren gar nichts von einander gehört hatten, 
möge ihr felbft beurtheilen. Die Umarmungen und Be⸗ 
willkommnungen wollten gar nicht aufhören und Gian⸗ 





63. Der Kaufmann aus Genua. 335 


notte erzählte fobann dem Bruder nad ber Reihe alle 
feine Verluſte von Anfang bis zu Ende. Leonora, melde 
ihren Gatten fo lange in Genua erwartet hatte, als biefer 
in Ancona als Diener lebte, war, ale fie fah, baf er 
nicht kam, der Meinung, Giannotto fei bei jenem Schiff- 
bruche umgelommen, und hatte nun feine Hoffnung mebr 
auf feine Rückkehr. Mit dem in dem Seeſturme geret- 
teten Gelde erhielt fie, da fie nur fehr geringe Ausgaben 
machte, ihr Leben. Da fie noch jung und fehr ſchön 
war, hatten einige Edelleute ber Stadt fie mit Ber- 
fuchungen verfolgt und die reichiten artigften Jünglinge 
um ihre Liebe gebuhblt; aber fie wollte fich nie auf etwas 
einlafien, was den guten Sitten zuwider war. Go hütete 
fie, fo viel an ihr war, ihre Sittfamfeit und ließ ſich 
Geber manche Unbehaglichleit gefallen, als daß fie irgend« 
wie ihre Ehre beeinträchtigt hätte. Da nun Giannotto 
in feinem Haufe mit feinem Bruder auf ganz ehren: . 
volle Weile fein Auskommen fand, weil diefer kinderlos 
mar und niemand hatte, der ihm näher ftand, gab Gian⸗ 
notto jeden Gedanken auf, nad Ancona zurüdzutehren. 
&o war er vielleicht ein Jahr. dort geweien, ohne daß 
er von feiner Frau, noch fie von ihm etwas wußte, ale 
das harte zürnende Schickſal, das Giannotto in vielen 
Dingen ſich fo feindfelig gezeigt und fo viele Klagen von 
feiner Seite fi zugezogen hatte, fein Benehmen gegen 
ihn veränderte und nad) fo vielen Stößen und Ummäl- 
sungen ſich ihn heiter und freundlich zeigte. (Eines Tages 
eing nämlich Giannotto ganz allein durch eine Straße, 
wo Lesnora's Zimmer ſich befand, da fah jene Magd, 
die mit ihr auf dem Schiffe geweſen war und fie nie 
verlaffen hatte, ihn am Haufe vworbeigehen. Sie faßte 
ihn feharf ins Auge, fie meinte ihn zu kennen, und be 
gann ſich des Giannotto zu erinnern, fo fehr er ſich auch 
gegen früher verändert hatte. Sie rief Daher fchnell ihre 
Bebieterin ans Fenſter und zeigte ihr ihn. Auch Leo⸗ 
nora erfannte den Gatten wieder, und von unfchägbarer 


338 XXII. Gebaſtiano Erizzo. 


Freude erfüllt ſchickte ſie ſogleich die Magd hinunter, 
um ihn zu fich in das Hans zu bringen, und flieg ſelbſt 
die Treppe hinab, um ihn im Flur zu erwarten. Wie 
nun @iannotto vor fie gelommen war, weinte Leonora 
vor großer Rührung und fing an, auf folgende Weife 
zu ihm zu reden: Mein Herr, ihr glaubt mir ficherlich, 
daß nur ein hochwichtiger Grund mic, bewogen hat, euch 
meine Magd nachzuſchicken, um euch zu mir zu befcheiden; 
ich glaube nämlich, ich wäre ander6 nicht wieder von euch 
erfannt worden. Aber fagt mir, ich bitte euch inftändig, 
ob ihr jemals in einer Lebensgefahr gewefen feid, in welcher 
ihr etwas euch Theures verloren habt, obwol euch felbft 
das Geſchick Heil und unverlegt aus jener Gefahr errettet 
bat. Wenn euch irgend ein folcher Unfall ins Gedaͤchtniß 
fommt, fo bitte ich euch, denkt nad, weichen Gegenftand 
{hr von ‚denen am fchmerzlichften vermiffet, den ihr bei 
diefee Gelegenheit verloren habt, und gebt es mir an! 
So werde ih euch dann auch fogleich bie Urſache fagen, 
weshalb ich euch fo dringend Habe zu mir einladen laſſen. 
Als Biannotto Leonora’s Worte gehört hatte, ant- 
wortete er ihr alfo: Edle Frau, ich erlitt in meinem 
bedrängten Leben nicht menige Unglüdsfälle und einige 
Abfchnitte deſſelben waren fo reich an Gefahren, daß ich 
nicht hoffen tonnte, ihnen mit dem Leben, zu entgehen, 
obgleich mir des Allmächtigen Gnade es dennody erhalten 
bat, er weiß, zu welchem Ende. Fragt ihr mich, ob 
ih etwas verloren babe, fo weiß jeder, der hier in meiner 
Baterftadt lebt und mid kennt, wie ich ſchon viele Jahre - 
von bier abgereift und in welchem Zuftande ich zurüd- 
gekehrt bin. - Verlangt ihr von mir zu wiſſen, ob unter 
den mir geraubten Gegenfländen (es waren fehe reiche 
Waaren, die ich im Schiffbruch einbüßte) ich auch etwas 
verloren babe, was mir befonderd. theuer war, fo ant- 
worte ih: Ja. Denn ich verlor etwas, in deſſen Ver⸗ 
gleich mir jede andere fehwere Herzenswunde leicht zu 
erdulden ſchien, meine Frau, die ich in eben dem Jahre 


68. Der Kaufmann aus Genua. 337 


erft in Neapel geheirathet hatte und die, wie meine 
Waaren im erzürnten Meere verfunten find, wie ich 
vermuthe, eine Beute der Fifche geworben ift. 

Wie Gianmotto den Berluft feiner Gattin erwähnte, 
flürzten Leonora die Thränen in ſolchem Ubermaße aus 
- den Augen, daß fie ihr jebe Empfindungstraft benahmen 
und fie bewußtlos zu ihres Mannes Füßen ſank. Als 
Giannotto dies merkte und vorher ſchon durch die Ein- 
ladung ber Frau etwas Verdacht gefchöpft hatte, wun⸗ 
derte er fich fehr über den Vorfall und fing an, fie ge 
nauer ind Auge zu faffen. Einige Gefichtögüge feiner 
Frau machten wieber in ibm auf und er erkannte nun 
plöglih, daß dies Leonora fei. Ohne weitere Beweife 
zu erwarten, fchlang er al&bald feine Arme um ihren 
Hals und fagte: D mein geliebtes Weib, wie vermochte 
ih zu ahnen, daß bei einem fo flürmifchen Meere, wo 
die erfahrenften muthigften Seeleute  ertrunfen waren, 
du allein mit dem Leben bavonfommen werbeft? Und 
wenn du auch dort davongefommen waͤreſt, mußte ich 
zweifeln, ob ber bittere Schmerz über unfer großes Un- 
glück dir das Leben gelaffen habe. 

Als Giannotto dies geſprochen hatte, erlaubte ihm 
die überftrömende Freude nicht, Weiteres Hervorzubringen. 
Vielmehr vergoß er heiße Thränen, er hielt Leonora feft 
in feinem Arm und beide blieben fo eine geraume Zeit 
vereinigt, ohne daß eins von beiden fprah. Und als 
Leonora’s Schwache Kebensgeifter allmälig wieder zur Thaͤtig⸗ 
keit zurückkamen und Giannotto's beklommenes Herz ſich 
erleichterte, bewillkommneten ſie ſich noch vielmals auf 
das Zaͤrtlichſte und brachten dieſen wie viele folgende 
Tage mit Lieblofungen und Mittheilungen ihrer beider 
feitigen fchmerzlihen Erlebniffe zu. Giannotto theilte 
fodann feinem Bruder die Begebenheit mit und führte 
mit feiner Zuftimmung fein getreues Weib in fein Haus. 
Nicht lange darauf farb der alte Iebensfatte Bruder ohne 
Kinder und hinterließ Siannotto mit feinem Sohn, den 

Italiänifcher Novellenfchag. II. 15 


ihm Leonora gefdyenkt hatte, als Erben all feines großen 
Bermögens. Sofort brachten fie froher und zufriebener 
als je den Reſt ihres Lebens miteinander hin. Hieraus 
kann man fchen, wie wanfelmüthig das Glück und das 
Leben der Menfchen ift und wie leicht ein jeber im Laufe 
der Jahre von einem Außerfien zum andern übergeben 
kann. Man fieht aber auch, wie groß die Treue diefer 
Frau gegen ihren Mann, wie groß ihre Keufchheit war, 
da fie in folcher Jugend fo fittfam bie ganze Blütezeit 
isrer Jahre verbracht hat, weshalb ſich ihre Seelenſtaͤrke 
der Entfagung ber Penelope des Alterthums gleichſtellt. 


XXI. Baldaffare Caſtiglione. 


1528, 


69. Der blinde Spieler. 


(Zirard. 1, 424.) 


Als ich einſt in Paglia übernachtete, traf es ſi hh, 
daß in derſelben Herberge, wo ich war, ſich noch drei 
andere Reiſende aufhielten, zwei von Piſtoja, der dritte 
von Prato. Nach dem Nachteſſen ſetzten ſie ſich, wie 
das ſo zu gehen pflegt, zum Spiele, und ſo dauerte es 
nicht lange, da hatte einer von den beiden Piſtojern ſeine 
Baarſchaft verloren und ſaß plutt und baar da ohne 
einen Heller im Beutel. Da fing er an in feiner Ber: 
zmeiflung heftige Blüche und Verwünſchungen auszuftoßen, 
und mit diefem fchlimmen Abenbdfegen legte er ſich fohlafen. 
Nachdem die andern zwei noch eine Weile fortgefpielt 
hatten, befchloffen fie, dem, der ins Bett. gegangen war, 
einen Spuk zu fpielen. Sobald fie daher merften, daß 
er fchlief, Löfchten fie die Kichter aus und verftedlten das 
Teuer; dann fingen fie an Jaut zu fprechen und einen - 
Dölenlärm aufzufchlagen, als kämen fie über dem Spiele, 
treit 

Du haſt hinuntergeſehen nach der Karte, rief der eine. 

Nein, ſprach der andere, du haſt nicht Farbe bekannt. 
Das Spiel gilt nicht. 

Dies und Ahnliches riefen ſie mit ſo lauter Stimme, 
daß der Schlafende erwachte. Und als er hörte, daß ſie 
ſpielten und ſprachen, als fähen fie die Karten, machte 
er die Augen ein wenig auf, und da er fein Kicht im 
Zummer fah, fagte er: Was Teufels fol das heißen, 
dag ihr die ganze Nacht durch fortfchreit. 


340 XXIII. Baldaflare Eaftiglione. 


Darauf drehte er ſich um, als wollte er gleich wieder 
weiter ſchlafen. Die zwei Gefellen aber gaben ihm meiter 
fein Gehör, fondern fuhren in ihrem Treiben fort, ſodaß 
jener noch beſſer aufwachte und fidy zu wundern anfing. 
Denn ba er kein Feuer noch fonft eine Helle fah, und 
fie doch fpielen und ftreiten hörte, fagte er: Wie könnt 
ihr denn die Karten fehen ohne Licht? 

Darauf fagte einer der beiden: Es fcheint, bu haft 
zu deinem Geld bin auch deine Augen verloren. Gichft 
du nicht, daß wir hier zwei Lichter haben ? 

Der, ber im Bette war, richtete fi) nun auf, ftemmte 
fih auf den Arm und rief faft zornig: Entweder bin ich 
betrunken ober blind, ober ihr macht laufen. - 

- Die zwei andern flunden nun auf und gingen vor- 
fihtig nah dem Bette zu, lachten und thaten, als 
glaubten fie, jener wolle fi) über fie luftig machen. 

Ich fage, fuhr er fort, ich fehe euch nicht, 

Am Ende thaten bie beiden, als kommen fie in hef- 
tiges Erſtaunen, und einer fprach zu dem andern; Ei weh, 
ich glaube faft, es ift ihm ernſt. Gib einmal das Licht 
her! Dann wollen wir fehen, ob ihm wirklich fein Ge 
ficht getrübt ift. 

Darauf nahm benn ber arme Schelm als gewiß an, 
daß er blind geworben fei, weinte laut und ſprach: O liebe 
Brüder, ih bin blind. | 

Da fing er gleich an, unfere liebe Frau von Loreto 
anzurufen und fie zu bitten, ihm bie Läfterungen und 
Berwünfchungen zu verzeihen, bie er über fie ausgeſtoßen, 
weil er fein Geld verloren hatte. Die zwei Gefellen trö- 
fteten ihn jeboch und fagten: Es ift nicht möglich, du mußt 
uns fehen. Das haft du bir nur fo in ben Kopf gefegt. 

Nein, nein, entgegnete jener, ich habe mir es nicht 
nur fo in ben Kopf gefegt. Ich fehe euch fo wenig, 
als wenn ich niemals Augen im Kopf gehabt hätte. 

j en Blick ift ja doch ganz heil, antworteten bie 
eiden. 


69. Der blinde Spieler. 341 


Sieh nur, ſprach einer zum andern, wie gut er die 
Augen aufmacht und wie ſchön fie find. Wer follte 
glauben, daß er nicht daraus fieht? 

Der arme Tropf weinte immer heftiger und flehte 
Gott um Erbarmen an. Am Ende fagten die beiden 
zu ihm: Thue ein Gelübde zu unferer lieben Frauen in 
Loreto baarfuß und nadt eine Pilgerfahrt zu thun, denn 


das ift das befte Mittel, das es gibt. Unterdeffen wollen 


wir nad) Wcquapendente und in die andern nahe ge« 
legenen Ortfchaften gehen und uns nad, einem Arzte um- 
ſehen; wir wollen dir es an nichts fehlen laſſen. 
Darauf Eniete der Unglüdliche fogleich im Bette nieder 
und that unter unendlichen Thränen und in bitterer Reue 
über feine gottesläfterlichen Neben ein feierliches Gelübde, 
nadt zu der heiligen Jungfrau nach Xoreto zu gehen und 
ihre ein Paar filberne Augen barzubringen, auch am 
Mittwoch kein Fleifh und am Freitag Feine Eier zu effen 
und mit Waffer und Brot jeden Samstag zu Ehren der 
heiligen Jungfrau zu faften, wenn fie ihm die Gnade 
erzeige, daß er fein Geſicht wiedererlange. Die beiden 
Gefellen gingen fodann in ein anderes Zimmer, zündeten 
ein Licht an und traten unter fehallendem Gelächter wider 
vor den armen Schelm, der, wiewol er fich frei fühlte 
von einer, wie fich denken laßt, nicht geringen Herzens⸗ 
angft, nicht nur nicht zu lachen, fondern nicht einmal 
zu fprechen vermochte, und bie zwei Gefellen ließen ihn 
auch jegt noch mit ihren Stichelreden nicht in Ruhe, 
fondern behaupteten, er müffe durchaus die Gelübde löfen, 
denn es fei ihm ja die erflehte Gnade zu Theil geworden. 


Drud von 3. A. Brockhaus jn Leipzig. 





— 
Fr 
DO ng 
— 
———— 


un Zune 
Kay WR .r 2 Se 34 


. 



















This book should be returned to 
the Library on or before the last date 
stamped below. 

A fine of five cents a day is incurred 
by retaining it beyond the specified 
time. 

Please return promptly.