Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
;cr
ä3S f '5
3
23 r i
ITALISCHE
LANDESKUNDE
VON
HEINBIGH NISSEN
ERSTER BAin)
LAND UND LEUTE
{f
y
\
\
BERLIN
WEIDMANN8CHE BÜCHHANDLUNG
1883
Ea^amg iv roic xoXoooucol^ f(n^oig ov xo xa^' ixaaxov axQißhq
^fuv, iHa TOlq xa^oXov ngoaixofiev imkkov d xaXfSi xo okov, oi^ro^c
vmitotg Set noifta&ai ttpf xqIoiv, xoXoaaov^la yaQ ric xoi mrtri^
gteyila ^^iifvaa nwg ix€i x€d tä oAa.
StnlMD
WILHELM HENZEN
IN BOM
IIS DANKBAREB ERINNEBÜNa
ZUGEEIGNET
INHALT
EINLEITUNG
Die Quellen
Seit»
1. Die helleiüsche GoloDisation 2
2. Das fünfte Jahrhundert 6
3. Der Hellenismna 9
4. Polyhios und seine Schule 12
5. Strabo 15
6. Die römische litterator 17
7. Hül&bücher der Praxis 22
8. Landkarten 27
9. Geographische Gompendien 33
10. Die Denkmäler 37
11. Die neueren Darstellungen 47
KAPITEL I
n'ame und Grensen
1. Ursprung des Namens 68
2. Wanderung des Namens 63
3. Der italische Bund ... - 67
4. Die Alpengrenxe 73
5. Italien unter den Kaisem 81
KAPITEL U
Das Keer
1. Die Adria 89
2. Das sidlische Meer 94
3. Das tyrrhenische Meer 97
4. Meeresströmungen 101
5. Salinen 107
6. Fischerei 109
7. Die SecTölker 114
yi Inhalt.
Seite
8. Die Kriegsniirine 123
9. Die Schiffahrt 129
10. NatnrgenullB 133
KAPITEL in
Die Alpen
1. Namen 137
2. Anadehnang 141
3. NiederaehUge 144
4. Einzelne Ahachnitte 146
5. Wegehan 160
6. Stralaen nach Gallien 155
7. Stralaen nach Raetien 160
S. Stralaen nach Dlyrien' 164
9. Wrtachart 167
10. Naturgefühl 171
KAPITEL IV
Das Foland
1. Entatehong 176
2. Die Seen 179
3. Der Polauf 163
4. Einzelfiflaae 191
5. Uebersicht der Flfiase 196
6. Die Marschen 199
7. Die Lagunen 202
8. Die Deiche 208
9. Die Gan&le 212
KAPITEL V
Der Appennin
1. Name 217
2. Bau 219
3. VegeUÜon 223
4. Nordappennin 228
5. Mittelappennin 235
6. Südappennin 239
7. Bruttinm 244
KAPITEL \l
Der Valkanismas
1. Thätige Vulkane 250
2. Etrurien und Latium 254
hhtlt vn
8«ito
3. GampaBieD 263
4. Sicilien 272
ft. YidkaAiisehe Efscheinangeii 276
6. Erdbeben 283
7. HdiDog und Senkung 238
KAPITEL vn
Die Appenninflünne
1. Die Tbätigkeit des Wassers 294
2. Die nosse des Nordens 302
3. Der Tiber 308
4. Die Latiner Kflste 324
5. Liris und Voltnrnus 828
6. Gro/sgriechenland 334
7. Die adriatiscben Flüsse 337
8. Uebersichi der Appenninflfisse 342
KAPITEL HD
Die Inseln
1. Sidlien 345
2. Sardinien 353
3. Gorsica 362
4. Kleine Inseln 366
KAPITEL IX
Dan Klima
1. Allgemeiner Gbarakter 374
3. Die Hauptsonen 377
3. Die Winde 3gQ
4. Die NiederseblSge 39q
5. Die Temperatur 394
6. Aenderungen des Klima 396
7. Das Naturleben 4Q2
8. Die Malaria 416
KAPITEL X
Die Vegetation
1. Die Kflstenflora 421
2. Der Wald • . 429
3. Die Aedimatisation 436
4. Die Gerealien 444
-T -J-—
vra
Inhalt
Beite
5. Die Baomzucht 450
6. Der Gartenbau 456
7. Die Landschaft 460
1. D
2. D
3. D
4. D
5. D
6. D
7. »
8. D
9. D
10. D
11. D
KAPITEL XI
Die VolksBt&mme
e Ligurer 468
e Gallier 474
e Raeter 483
e Veneter 488
e Etruaker 493
e Umbrer 502
e MittelsUunme 508
c Osker '. 522
e Japyger 539
e InselTölker 546
Latinisimng 552
REGISTER 558
EINLEITUNG.
Die Quellen.
Wie Italien zur ROnieraeit aussah, soll in diesem Handbuch be*
schrieben werden. Der erste Band versucht ein Gesammtbild des
Landes zu entwerfen; der zweite wird die Städtekunde enthalten.
Die Aufgabe das Verstdndnifs des classischen Altertums zu fördern
und weiteren Kreisen zu vermitteln hat dieser Theil der Weidmann-
sehen Sammlung mit den übrigen gemeinsam ; aber die Lösung der
Aufgabe raufs auf wesentlich anderen Wegen erstrebt werden. Die
Darstellung des antiken Staats, der antiken Religion, des antiken
Privatlebens ruht auf der Ueberlieferung und trägt einen rein histo-
rischen Charakter. Die Landeskunde ruht auf einer Grundlage, die
dem Bereich der Altertumsforschung entrückt ist, auf den Ergeb-
nissen der modernen Naturwissenschaft. Es ist ja noch immer das-
selbe Land, dessen Reize Vergil besungen, dessen Geschichte Livius
erzählt hat. Die physischen Verhältnisse, welche seine Eigenart be-
stimmen, Bodengestaltung Gliederung Klima haben seit Jahrtausenden
keine oder verschwindend geringfügige Aenderungen erlitten. Die
vielseitige rastlose Arbeit der Neuzeit hat ihr Verständnifs in einem
Umfang und einer Tiefe erschlössen, wovon frühere Epochen rieh
nicht träumen liefsen. Unsere Karten breiten vor den Blicken einen
Schatz von Belehrung als Gemeingut aus, den zu sammeln auch der
fleifsigste antike Chorograph aufser Stande gewesen wäre. Während
kein Forscher daran denkt das geistige Leben des Altertums in
gleichem Sinne erfassen zu können wie die Zeitgenossen, während
er an ihrer Hand mühsam nachzuempfinden, Staat und Gesellschaft
zu begreifen trachtet, ist jeder Laie über den Schauplatz, auf dem
jene Entwicklung sich vollzogen, von vornherein besser und gründ-
licher unterrichtet. Es föllt heutigen Tages Niemand mehr ein
auf das gereifte Wissen der Gegenwart Verzicht leisten, die Länder
Killen, Itel. Landeikud«. I. 1
2 Einleitung. Die Quellen.
der alten Welt durch Anhäufung gelehrter Citate veranschaulichen
zu wollen. Das Wort Seneca's pretium aperae quo nuttum maius est
nasse naturam wird allseitig beherzigt. Die Methode vergleichender
Betrachtung, weiche in Deutschland zumal durch Carl Ritter und
Oscar Peschel ausgebildet worden ist, geniefst bei Philologen
ebenso unumwundener Anerkennung wie bei den berufenen Ver-
tretern der Erdkunde. Immerhin hat ihre Anwendung von philo-
logischer Seite her mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wir
benutzen die Ergebnisse der modernen Forschung ledigUch zu dem
Zweck die Vergangenheit zu erläutern: da hält es schwer eine be-
friedigende Auswahl des hierfür geeigneten Stoffes zu treff'en, noch
schwerer den ausgewählten Stoff* seiner Bestimmung anzupassen und
in schicklicher Weise mit der historischen Ueberliefening zu ver-
binden. Ueber letztere wird ausführUcher zu handeln sein. Die
Gegenwart liefert unserer Schilderung Rahmen und Hintergrund;
es hängt von den jeweiligen Nachrichten d« h. vielfoch vom Zufall
ab, ob und inwieweit derselbe ausgefüllt werden kann. Mit dem
Mafs einer heutigen Darstellung gemessen, ist die antike Chorographie
unsagbar arm und mufe sieh damit trösten, dab sie vor der Ver-
suchung über einer verwirrenden Masse von Einzelheiten den all-
gemeinen Zusammenhang zu vergessen eben durch ihre Armut be-
wahrt bleibt. Die litterarischen Zeugnisse wie die erhaltenen Denk-
mäler erstrecken sich über den ganzen Zeitraum von den AnHingeQ
geschichtlichen Lebens bis zur Völkerwanderung, gehören indessen
vorwiegend den späteren Perioden an. Erst als die gesammte Ent-
wicklung des Altertums zum Abschlufs gelangt und der eintretende
Stillstand zugleich die drohende Auflösung ankündigt, erst mit der
Monarchie beginnen unsere Quellen reichlich zu fliefsen. Eine Ueber-
sieht über den Umfang und den Wert der Ueberliefening dient dazu
die Grenzen aufzudecken, an welche die italische Landeskunde gebun-
den ist
§ 1. Die hellenische Colonisation.
Die Geographie ist eine spätgeborne Tochter der Cultur. Handel
und Krieg, die beiden Factoren, welche vor allem das geographische
Wissen fördern, reichen bis in die ältesten Zeiten hinauf. Bereits
im 14. Jahrhundert v. Chr. sind italische Abenteurer ausgesegelt
uro das ferne Nilland zu plündern; um 1100 v. Chr. haben die
Phoenizier Gades im silberreichen Spanien gegründet, die erste Stadt
I 1. Die helleniscbe Colonisation. 8
auf europäischem Boden, deren Erbaaung glaubhaft bezeugt wird. Die
lenntnifs der Seewege, der Hafen und Handelsplätze pflanzt sich
oiQndlich durch eine lange Reihe von Geschlechtern fort, betör der
Versuch gemacht sie schriftlich festzuhalten und damit die Möglichkeit
geboten wird sie theoretisch zu verwerten. Der Verlust der phoenizi-
scben Litteratur bedingt es , dafs wir die ersten Nachrichten über Ita-
lien den Hellenen verdanken. Aber auch für die Folge schöpfen wir
bei ihnen die reifste Belehrung. Auf den Entdeckungen der Vor-
ganger fufsend, wufsten die Hellenen den Zufall unter die Regel, die
Erfahrung unter die Herrschaft des Gesetzes zu beugen. Von allen
Vdlkern des Altertums besafsen sie allein die geistige Weite um den
kosmischen Zusammenhang zwischen Natur und Menschheit zu ahnen
und zu begründen. Wie der Name griechisch, ist die Geographie unter
fiotmäfsigkeit der Römer immerdar eine griechische Wissenschaft ge-
blieben.
Die See vermittelt den grofsen Verkehr. Deshalb werden die
Kosten zuerst bekannt, bleibt die Kunde lange auf sie beschränkt ohne
in das Innere vordringen zu können. Dem Auge des Seefahrers ent-
zieht sich der Bau der Continente: er sieht nur einzelne Theile ohne
Verbindung unter einander hervorragen, wird durch die sinnliche An-
schauung unwillkürlich dazu verleitet in seiner Vorstellung die Land-
massen in eine Inselwelt aufzulösen. Unter dieser Gestalt erscheint
Europa in jener ehrwürdigen Völkertafel, welche den Stand des Erd-
wissens, wie es sich durch die Fahrten der Phoenizier etwa um 1100
V. Chr. gebildet hatte, darlegt, i) Unter dieser Gestalt erscheint Scan-
dinavien, nachdem die römische Eroberung den geographischen Hori-
zont bis zum Polarkreis hinauf erweitert halte. ^) Als Inselgruppe spie-
gelt sich auch Italien in den ältesten Denkmälern griechischer Littera-
tur, den Gedichten Homers und Hesiods ab. Homer galt den Alten
als Begründer der Brdkunde. In der That nimmt dieselbe von ihm ihren
1) Genesis 10,4: »Die Kinder von Javan sind diese: Elisa (Sicilien ?) Tharais
(Spinien) Kithim (Kypros) nnd Dodanim (Rliodos). Von diesen sind ausge-
breitet die Inseln der Heiden in ihren Landern, jegliche nach ihrer Sprache
Geschlechtem nnd Leuten. ** Vgl. Kiepert, aher die geograph. Stellung der nörd-
lichen lünder in der phdn.-hebr. Erdkunde, Monatsber. d. BerL Akad. 1859. S. 191 fg.
2) Plinius N. H. lY 96 : sinus Codanus refertus insuHs quarum elarittima
9tt Seanäinmna ine&npertae magnÜHdinü .... eb. 104 sunt qui et aüat
prodant, .Seaiufia« (Skaane) Dumnam (Dynnesoe) Fergoi (Bergen) mawimam-
que omnium Nerigon (Norge) 9X qua in Thylm notn^efirr; Tgl. Mela III
31. 64. Ptolemaeos II 11, 33, VBI 6.
1*
4 EinleitQiig. Die Qaellen.
Ausgang. Aber ein geographisches System , eine klare Anschauung
der Mittelmeerwelt ist ihm von Gelehrten des Altertums wie der Neu-
zeit mit grofsem Unrecht zugeschrieben worden. Die Irrfahrten der
homerischen Helden sind Nachklänge an die Erzählungen kohner Ge-
sellen, die Gewinn suchend und Abenteuer, die sicheren Pfade der
Heimat verlassen, den Meereswogen ihr GlUck vertraut hatten. Unver-
ständlich, wunderbar lauteten die Berichte der Heimgekehrten; denn
fremdartig und so ganz anders war ihnen alles draufsen erschienen
und seltsame Dinge hatten sie vernommen. Daraus schuf die geschäf-
tige Phantasie eines einzig begabten Volkes jene Ueblichen Märchen,
an denen sich seither der Menschen Herz erfreut hat Des Mafsstabs
von Raum und Zeit spottend, lassen sie doch erkennen, wie der helle-
nische Verkehr sich ausbreitete und damit der Bestand des Wissens
mehrte. Die Odysseelieder, welche die frühste Kunde italischer Gegen-
den verbringen, mögen dem 7. und 8. Jahrhundert, der Epoche der
grofsen Golonisation angehören. Sie nennen das Volk der Sikeler und
das Land Sikania ^), Skylla und Charybdis in der Strafse von Messina s),
die Ziegeninsel d. h. eine der Aegaten an der NWSpitze Siciliens, die
äolische Inselgruppe zwischen diesem und dem Festland.^) Auf letzte-
rem wird, von zweifelhaften Namen abgesehen, mit Aia, der Insel der
Kirke deutlich das inselarlig aus den pontinischen Sümpfen aufstei-
gende und vielleicht überhaupt erst in historischen Zeiten landfest ge-
wordene Vorgebirge Circeji bezeichnet 4) Hiermit hat der Dichter die
äufserste Grenze seiner Kenntnifs erreicht, da er das Weltmeer und
1) Sklavenhandel ig SmeXovg XX 383, XmU? rifro^ ^^IV 211. 366. 389,
Zuiayln XXIV 307. Auch der Name der Heliosinsel Bgiycocin X1 107, XU 127,
XIX 275 scheint misverstanden aus Tgtyaxgia „Dreispitz", eine Bezeichnnng
die Sicilien früh in der Schiffertradition erhalten hahen mag (Strabo VI 265,
zuerst nachweisbar Thokyd. VI 2): daü» die Insel unbewohnt sein soll Xn 351,
beweist nur dafo die Kenntnifo des Dichters sich in nebelhaften Umrissen bewegt.
2) Vgl. Kap. n 4.
3) Die Liparischen Inseln wurden von den Alten nach Aeolos benannt
(Thuk. ni 88 a. a.). Die Gruppe' zählt 7 gröfaere und eine Anzahl kleinerer
Inseln. In artiger Weise ist dieselbe in dem Hause des Aeolos X 1 fg. perso-
nifidrt, so dafs der Vater mit seinen 6 Söhnen die gröGMren, die Mutter mit
den 6 Töchtern die kleineren jenen yermahlten Inseln darstellen vgl. Kap. VI 1. 4.
4) Die Sage yon den Sirenen ist am Golf yon Neapel localisirt, am Avemer
See in der Nähe von Kyme der Eingang in die Unterwelt. Ob unter Tkfiicii
I 183 (dazu Strabo VI 255) das brettische Tempsa zu verstehen sei, ist sehr
zweifelhaft. Ueber Girc^i vgl Theophrast bist, plant. V 8, 3, Plin. N. H. lU
58, Varro bei Serv. Verg. Aen. HI 386, Procop bell. Goth. I 11, Kap. Vin4.
§. 1. Die hellenische Golonisation. 5
das in ewiger Nacht begrabene Land der Kimmerier folgen bfst. In
die italische Scenerie der Irrfahrten des Odysseus hat er femer fremd-
artige Zage bunt verwebt, die theils auf das Schwarze Meer, theils auf
die oeeanischen Entdeckungen der Phoenizier hinweisen. Die Gedichte
Hesiod's verraten die zunehmende Vertrautheit mit dem Westen i):
sie erwähnen den Aetna, Ortygia die Statte von Syrakus, das Volk der
Ligurer. Wenn indessen nach der Theogonie Odysseus mit des Helios
Tochter Kirke den Agrios und Latinos zeugt, „welche in weiter Ferne
im Winkel der heiligen Inseln über die Tyrsener herrschen,^^ so er-
sieht man, dafs ihr Verfasser zwar von Latinem und Etruskem gehört,
aber der alten Schiffervorstellung sich noch nicht entschlagen , noch
nicht begriffen hat, dafs Italien ein einheitliches Festland sei.
Wahrend des heroischen Zeitalters suchten die Hellenen im
Westen das Wunderland , das ihre Einbildungskraft mit allen Reizen
und Schätzen ausstattete. Die Thatsache, dafs der unermefsliche Reich-
tum phoenizischer Kaufherren dorther stammte, auf der Gewinnung
des spanischen Silbers, des brittischen Zinns, des deutschen Bernsteins
berohte, giebt eine einfache Erklärung fUr diftse Geistesrichtung an
die Hand. Seit dem 8. Jahrhundert haben die Hellenen einen Theil
des Welthandels an sich gerissen, eine Reihe machtvoll aufblühender
Städte an den italischen und sicilischen Küsten gegründet, ja letztere
ein halbes Jahrtausend hindurch beherrscht. Bis auf die Perserkriege
imd den Aufschwung Athens haben die Colonien das Mutterland nicht
nur an Wolstand sondern auch an geistiger Regsamkeit übertroffen.
Wenn man ihre bahnbrechenden Leistungen in Mathematik und Natur-
wissenschaft, in Philosophie und Geschichtschreibung überschlägt,
drangt sich unwillküriich die Frage auf, wie es gekommen , dafs sie
sich so wenig um ihre neue Heimat bekümmert, so dürftiges Licht über
deren Natur und Bewohner verbreitet haben. Allerdings sind nur ge-
ringe Bruchstücke der in den Colonien verfafsten Geschichtsbücher
auf uns gelangt; aber der Sammelfleifs von Gelehrten der Kaiserzeit
hat sie doch hinreichend durchstöbert und ausgebeutet , um uns ein
Unheil über den Inhalt zu ermöglichen. Es ist klar, die Berichte über
die Vorzeit Italiens lassen sich nicht von weitem denjenigen an die
Seite stellen, welche uns über die deutsche Vorzeit bei Caesar Plinius
Tacitus erhalten sind. Die Erwägung, dafs beide Gruppen durch die
Aufklärung eines halben Jahrtausend von einander getrennt sind, läfst
1) Stnbo I 23, Vn 300, Theog. 1011 fg.
6 fimldtiing. Die QveUeii.
UDS Ober deo Grund dieser Sachlage aichl im Zweifel sein. Seit den
Freiheitskriegen haben die Hellenen zwar allmälich gelernt die Wirk-
lichkeit als solche aufzufassen und ihre Beobachtungen in die Form
nüchterner Prosa einzukleiden. Aber die mythische Tradition lastete
schwer auf den Gemtttern, und wenn auch Thukydides die Darstellung
der zeitgenossischen Ereignisse innerhalb der griechischen Welt auf
das Wirken realer Kräfte zurückführte, so flüchtete die Dichtung als-
bald in das unbekannte Gebiet der Barbaren , um hier von der fort-
schreitenden Kenntnifs und der fortschreitenden Kritik in immer wei-
tere Fernen gescheucht zu werden. Damit sind die Hellenen in der
Periode ihrer nationalen Blüte aufser Stande gewesen das italische
Land und Volk objecti? zu schildern, weil sie, im Wunderglauben be-
fangen, in Märchen und Fabeln redeten. Sodann fehlte zwischen Ein-
gebornen und Eingewanderten der grofse Gegensatz in Sitte und An-
schauung, der die Hellenen vom Orient, die Römer vom Germanentum
schied. Weder die griechischen Städte noch die italischen Gemeinden
waren unter sich zu einer festen Einheit verbunden, der wechselsei-
tige Ausgleich zwischen beiden ging unmerklich von statten , als ver-
stünde er sich von selbst. Und als endlich Italien die Herrschaft der
Hellenen stürzte, hatte es bereits ihre Gultur, ihre wichtigsten Le-
bensformen sich angeeignet. Dazu kam an dritter Stelle die Ausschliefs-
lichkeit, welche einer jeden Bildung innewohnt. Wir hegen eine an-
geborne Scheu unser Gedächtnifs mit fremdartigen Namen zu belasten,
Lautgebilde in den Mund zu nehmen , die demselben nicht zusagen.
Die Alten trieben die Enthaltsamkeit unendlich viel weiter: daher rührt
der Mangel an antiken Benennungen, der sich dem Chorographen so
oft und so schmerzlich fühlbar macht. 0 Nach diesen Vorbemerkungen
wenden wir uns den einzelnen Gewährsmännern zu.
§ 2. Das fünfte Jahrhundert.
Auf Homer den Dichter liefsen die Alten als zweiten Geographen
den Philosophen Anaximandros aus Milet folgen, der wahrscheinlich
nach phoenizischen Vorbildern unter den Hellenen zuei*st eine Erd-
karte entwarf. Die Verdienste der ältesten Philosophie sind hoch an-
zuschlagen: es gereicht der Schule desPythagoras zum unvergänglichen
Ruhm 1 dafs sie die grofse Wahrheit von der Kugelgestalt der Erde
1) Vgl. die charakteristischen Aeorserungen über die Anführung unbekann-
ter Namen bei Polybios lU 36, Strabo UI 155, XVI 777.
§ 2. Dm fOfifte Jahrhaadert 7
Jibrfauiiderte lang dogmatisch gelehrt hat, bevor Aristoteles und seine
Nachfolger sie durch exacte Beweise erhärteten. Indessen fand das
geographische Studium erst durch die neu erstandene Geschichtschrei-
iNing seine eigentliche Förderung ; denn die Naturwissenschaft Ter-
harrte im Altertum auf einer zu niedrigen Stufe, um den historischen
Charakter der Underkunde jemals verdrängen zu kOnnen. Fortan er-
scheinen Geographie und Geschichte als Zwillingsschwestern , die be-
deutenden Geographen sind Historiker und sondern die Resultate ihrer
Forschung mehr aus äufseren als aus inneren Gründen. So derjenige,
den die Alten als dritten Geographen zählten: Hekataeos,ein viel-
gereister angesehener Staatsmann von Milet (ca. 550 — 480). Er ver-
besserte die Karte des Anaximandros und erläuterte sie durch eine
Erdbeschreibung (yrjg neqlodog) in zwei Büchern. Die überlieferten
Fragmente gehören freilich dieser Schrift nicht an, da sie augenschein-
lich aus einer jüngeren , wenn auch relativ (Hlhen Periode stammen.
Dazu stimmt dafs schon alexandrinische Gelehrte die Aechtheit be-
stritten. Wir sind aufser Stande zu entscheiden, ob das Origmalwerk
gänzlich verschollen oder durch eine Bearbeitung umgestaltet worden
war, dürfen aber diese Quelle nur mit Vorsicht benutzen.^) Die nach
Hekataeos Vorgang verfafsten Chroniken zogen , wie die Fragmente
des Hellanikos und Pherekydes beweisen, auch den Westen in den
Kreis ihrer Darstellung. In den Colonien selbst ward die Grün-
dungsgeschichte unter vielfacher Rücksichtnahme auf ältere Landes-
geschichte eingehend behandelt. Den Anfang mit einer xrlaig ^Irallag
und einer sicilischen Chronik SixeXixd macht Hippys von Rhegion
ein Zeitgenosse der Perserkriege. ^) Etwas näher sind wir über An-
tioc hos von Syrakus unterrichtet, der gleichfalls die Besiedlung Ita-
liens erzählte und die Geschichte Siciliens bis zum Jahr 424 hinunter
führte. >) Sein Werk ist für die Späteren (Thukydides Ephoros? Aristo-
1) Ueber die vob Kallimaehos ca. 280 v. Chr. erhobenen Zweifel und die
ganze Frage der Aechtheit vgl. Müller Fragm. bist Graec. I praef. 12 fg. Die im
Wörterbuch des Stephanos erhaltenen Fragmente bringen aus Westeuropa eine
Fülle von Namen bei, welche mit der Unwissenheit Herodots sich kaum ver-
einigen laCst. In den auf Italien bezüglichen Fragmenten 28— 5S weist auf
jüngere Zeit : die Erwähnung von Gapaa (fr. 27 vgl. Uv. IV 37, Diod. ku 31),
die Ausdehnung des Namens Ilalien auf Gampanien (Kap. I 2 fr. 27. 29), dieEi^
wihnung von Adria (Kap. U 1 fr. 58), die frühe Verbreitung des Haushuhns am
Po (Kap. X 3).
2) Müller, fragm. bist Graec. II 13.
3) Müller, fragm. hist. Graec I (praef. 45) 181.
8 EiDleitung. Die Quellen.
toteles Dionys Strabo) eine Fundgrube gewesen, aus der sie ihre wert*
vollsten Nachrichten über italische Vorzeit holten. Die Anftihrungen
bekunden eine treuherzige Sprache, einen naiv kindlichen Sinn. Der
Besitz dieses Werks wttrde für die Kenntnifs der westhellenischen Welt
ungefähr dieselbe Bedeutung beanspruchen, die der Besitz Herodots
für die Kenntnife des Mutterlandes einnimmt; und wenn man bedenkt,
wie farblos und verzeichnet das Bild ist, welches die Bearbeiter Hero-
dots uns von der glorreichsten Epoche ihres Volkes entfalten , wird
man den richtigen Mafsstab gewinnen um den Verlust der ältesten
Sammlung italischer Sagen zu würdigen.
In der allgemeinen Bildung des 5. Jahrhunderts tritt die Geo-
graphie noch ganz zurück. Der niedrige Stand des Erdwissens hat zum
guten Theil jene Züge nach Aegypten und Sicilien verschuldet, welche
das Hark Athens verzehrten. Wir lernen denselben aus dem bedeu-
tendsten Denkmal der Perikleischen Zeit, der Geschichte Herodot's
anschaulich kennen. Der Verfasser (ca. 484 — 424) war weiter in der
Welt herumgekommen als irgend ein Vertreter der damaligen Geistes-
blüte von Hellas, von Sicilien bis tief nach Asien hinein, von den Step-
pen Südrufslands bis zum Wendekreis in OberSgypten. Er ist ein feiner
Beobachter, für fremde Cultur wie für die Sitten unciviUsirter Stämme
empfänglich. Er hat in Thurioi auf italischem Boden gelebt und ge-
schrieben. Was nun weifs Herodot von dem Lande, in welchem er das
Büif errecht erwarb? Von einigen wichtigen Bruchstücken aus der
Geschichte der Westhellenen abgesehen , kennt er die gi*ofsen einge-
hörnen Volkerschaften: Sikeler Japyger Tyrrhener Umbrer Veneter
Ligurer, die Landschaften Italien und Oenotrien, aber von allem nur
die Namen. Die einzige Erzählung von italischen Dingen betrifit die
in Lydien eingeholte Kunde von der dorther erfolgten Einwanderung
der Etrusker: eine der unglücklichsten Fabeleien, die je aufgezeichnet
worden sind. Noch seitsanier mutet uns seine Unwissenheit in physi-
kalischer Beziehung an. Zwar bewährt Herodot auch auf diesem Ge-
biet einen achtungswerten Scharfsinn, indem er GrundbegrifTe der gel-
tenden Weltanschauung wie die Lehre von der Dreitheilung der Erd-
feste und dem allumfassenden Okeanos ablehnt, nur den eigenen Augen
und zuverlässigen Gewährsmännern Glauben schenken will. Allein
seine Erfahrung hat die Eindrücke der Jugend nicht zu verwischen
vermocht. Er bleibt Seemann, gleich den meisten seiner Landsleute
mit allem Sein und Denken an die See geknüpft. Gebirge sind filr ihn
nicht vorhanden, von ihrer Bedeutung für Natur und Geschichte fehlt
§ 2. Das füDAe Jahrhandcrt. 9
ihm jegliche Ahnung. Dagegen huldigt er jener weitverbreileten Lehre,
wdche in den Flüssen die Bildner der Erde erkennen will. Das sicht-
bare ond doch so geheimnibTolle Walten der Flüsse mufste den Volks-
geist Ton allem Anfang an tiefer ergreifen als dies mit anderen Natur-
kräften der Fall war. An ihren Ufern entstand die Cultur, das ganze
Altertum hat sich von den Anschauungen , die am Nil und Euphrat
wonelten, nie völlig los machen können. Herodot hatte diese ältesten
Sitze menschlicher Gesittung, hatte das pontische Stromland hesucht
Er übertrug sein Wissen von bekannten auf die ihm unbekannten
Gegenden und schuf damit eines der seltsamsten Theoreme, welche
die Geschichte der Erdkunde vermeldet^) Zwei grofse Flüsse bedin-
gen nach ihm die Gestalt von Europa und Libyen, zwischen denselben
findet ein vollkommener Parallelismus statt. Ister und Nil entspringen
beide im äulsersten Westen, theilen ostwärts fliefsend ihre Gontinente
in zwei Hälften, eine äufsere unbewohnte, eine innere bewohnte, ver-
ändern alsdann ihren Lauf in rechtem Winkel abbiegend und münden
schliefsHch in einem Delta unter demselben Meridian aus. Dazu gesellt
sich als dritter Weltflufs im Osten der Asien und Europa trennende
Araxes, den Herodot nur nach Hörensagen kennt, und der in Wirk-
lichkeit sich als reines Hirngespinnst erweist. Die Quelle des Ister liegt
angeblich bei der Stadt Pyrene im Keltenland ; aus dem Lande ober-
halb der pmber flielsen nordwärts der Alpis und Karpis in ihn ein.
Dergestalt erwähnt der vielgereiste Mann von den grofsen Gebirgs-
zügen Sttdeuropa*s einzig den Haemos, macht die Pyrenäen zu einer
Stadt, die Alpen und Karpathen zu Flüssen, indem er vorschnell die
Eigenart der pontischen Gegenden auf das ganze Europa überträgt.
Aber es hiefse einem liebenswürdigen und klugen Schriftsteller bitteres
Unrecht thun, wollte man die Unwissenheit seines Zeitalters ihm allein
in Rechnung bringen« 2)
§3. Der Hellenismus.
Das 70 Meilen breite insellose Heer, welches den Peloponnes
von Sicilien scheidet, entrückte die Westhellenen dem Gesichtskreis
1) 11 33, lY 40. 49, 1 202 ; die Unkenotnirs des Hochgebirgs tritt aach n 22
stark zu Tage.
2) Wenn Thukydides VI 90 Alkibiades den Spartanern sagen i§rst, die
Athener hatten nach Unterwerfung des Westens viele Barbaren in Sold neh-
men woUen: nal Ißtf^at Mal aXlovs rAv Mi oftoloyovftipo99 vvv ßa^fßdqtov
fiaxt/unarcvs, so war dem Verfasser entweder kein anderer Yolksname ge-
laofig oder nur dieser bei den Hörern als bekannt Torausinsetzen.
10 EinieiUing. Die Qaellen.
des Mutterlandes; wies ihnen eine besondere Bahn der politischen Ent-
Wickelung an, die nur in vereinzeUen grofsen Krisen mit der von der
ganzen Nation beschriebenen zusammenfiel. Seit dem Zug der Athener
gegen Syrakus ward die Verbindung enger; Dionys, der mächtigste
hellenische Herrscher seiner Zeit, fafste an der Adria festen Fufs; der
Verfall der Freistaaten fand einen, wenn auch bescheidenen Ersatz
durch die Blüte der Wissenschaft. Den geographischen Fortschritt des
4. Jahrhunderts lernen wir aus dem Periplus des sogenannten
Sk ylax von Karyanda kennen. 1) DiePeriplen dienen für Seereisen
denselben Zwecken wie die Itinerarien auf dem Festland ($ 7). Es sind
Verzeichnisse der Entfernungen von Hafen zu Hafen, nach einem Mit-
teldurchschnitt der Falirzeit berechnet, die sich bei Schiffern des Mit-
telmeers in Ermangelung von Seekarten bis in die Neuzeit im Gebrauch
erhalten haben. Die erwähnte Küstenbeschreibung trSgt den Namen
des alten Skylax mit Unrecht, da sie vielmehr unter Philipp von Make-
donien etwa um 340 abgefafst ist. Sie giebt die Küsten von der Rhone-
bis zur Pomündung in reinlichen Umrissen wieder, läfst aber einen
Arm der Donau in die Adria münden: ein klarer Beweis, dafs die Kunde
die Nordspitze dieses Meeres noch nicht erreicht hatte. Der Gleich-
klang der Namen, des Flusses Istros mit dem Volk der istrischen Halb-
insel genügte um eine so verzerrte Vorstellung zu erzeugen, die bei
den griechischen Geographen (noch bei Hipparchos) bis auf Polybios
sich behauptet hat, ja sogar bei römischen Schriftstellern herumspukt >)
Die Anordnung der Pcriplen ist auch von fortlaufenden Beschreibun-
gen eingehalten worden und hat sich in der Litteratur von Hekataeos
bis Mela und Plinius grofser Beliebtheit erfreut. Der bedeutendste Ge-
schichtschreiber der hellenistischen Epoche, Ephoros (schliefst 340)
hat sie gleichfalls zu Grunde gelegt. ') Wie Ephoros zuerst die grie-
chische Geschichte als ein Ganzes auf und zusammen gefafst hat, kennt
er das von seinen Volksgenossen bewohnte Gebiet hesser als irgend ein
Vorgänger. Besondere Sorgfalt widmet er den Colonien und ist für
die bezüglichen Abschnitte von Strabo fleifsig benutzt worden.^) Ferner
t) Geograph! Graeci minores rec. Garolus Müllerus 2 voll. Paris 1855.
61. — Eine Fragmentsammiung griechiseher und römischer Geographen, die
bis jetzt vermifst wird, ist von Carl Frick in Aassicht gestellt.
2) Skylax 20, de roirab. aase. 105, Diodor IV 56, Strabo 1 46. 57, VII 317,
PyaiusIU127, Mela II 57.
3) Strabo VIII 334 ovtos rj net^aUtf fux^ xifwfutfos ivr§v&$v noUhtu
trpf o^X^f ^BfiOPiMov T« T^ &ttXarrav x^Pütv n^s ras xonoy^cupUitJg»
4) Polybios IX 1, derselbe bei Strabo X 465 vgl. unten S. 17.
§. 8. Der HeUenitmus. 11
hat das um 90 t. Chr. verfaTste für uns nicht unwichtige Lehrgedicht,
d» ßdflchlicb dem Skymnos von Chios beigelegt wird, ihm aurser
der Anordnung vielfachen Stoff entlehnt ^) Man darf das gefeierte
Werk nicht überschätzen : der antiken Forschung blieb es versagt
altertOmhch zu denken, sich in die Empflndungs- und Ausdrucksweise
rergangener Jahrhunderte einzuleben. Der schale Rationalismus, mit
dem Ephoros die Poesie der Vorfahren in Prosa umsetzte, ihre Sagen
und Msrchen deutete, liefert dafür ein um so sprechenderes Zeugnifs,
als er der herrschenden Aufklärung stets mustergültig erschienen ist.
Durch Alexander den Grofsen ward das Wissen der Hellenen in
ungeahnter Weise bereichert Gleichzeitig hatte Pytheas seine kühne
Entdeckungsreise nach der Nordsee unternommen und hatte die Mathe-
matik die Erkenntnüs von der Gestalt der Erde dauernd gesichert
Unter solchen Voraussetzungen konnte der Ausbau der Erdkunde als
einer systematischen Wissenschaft erfolgen, der dem Eratosthenes
(blüht 228) verdankt wird. Freilich war das Interesse dieser glanzen-
den Forschung von Italien abgewandt Alexander und seine Nach-
folger hatten den Orient erschlossen, jenes abgesonderte Staatensystem
geschaffen, welches das östliche Becken des Mittelmeers umsäumte.
Jedem Gebildeten waren die Bestandtheile desselben vertraut; sein
Blick reichte bis nach Indien, hin, dessen Bekanntschaft durch die
Handelsverbindungen der Ptolemaeer wach gehalten wurde. Jetzo gab
der ferne Osten das Wunderland ab, das die Phantasie erregte, wie
ehemals in den Zeiten der grofsen Colonisation der Westen gethan, als
ionische Schiffe ausliefen die kostbaren Metallscbätze zu suchen und
das Monopol der Phoenizier zu brechen. Mit der Kunde von Europa
geht es erstaunUch langsam vorwärts. Auf das machtvoll aufstrebende
Rom ward die Aufmeriiisamkeit erst durch den gallischen Brand hin-
gelenkt: sie heifst einem Zeitgenossen des Aristoteles „eine hellenische
Stadt dort irgendwo am grofsen Meer belegen''.^) Zwar besitzt Theo-
phrast genauere Nachrichten.^) Aber noch Eratosthenes macht keinen
Unterschied zwischen Iberien und Gallien , hat keine Nachricht von
den Alpen, läfst einen Arm der Donau sich in die Adria ergielsen.
Eratosthenes kannte Aethiopien und Indien wenn nicht besser, min-
destens ebensogut als Mittel- und Westeuropa. Es bedurfte ei^er
1) Mfiller, geogr. gr. mio. I praef. 78.
2) Herakleides Pontikos bei Plot. Gam. 22.
3) Plinius DI 57 primtu exUmorum aUqua de Romanis äiiigentius icripnt.
12 Einleitung. Die Qnellen.
durchgreifenden Umwälzung um dies zu ändern und den Westen in
den Kreis hellenischen Wissens zu ziehen. Der Krieg des Pyrrhos, die
Unterwerfung der italischen Griechen machte den Anfang. Die gleich-
zeitige Geschichtschreibung Terbreitete einiges Licht. Ihr angesehen-
ster Vertreter ist Timaeos von Tauromenion (gest. um 260), der die
Weltbegebenheiten vom Standpunct seiner Heimat Sicilien darzustellen
unternahm. Die gewählte Aufgabe brachte es mit sich, dafs er über
die Westländer eigehend berichten mufste. Allein seine Meldung stQtzt
sich nicht auf Autopsie und dieser abergläubische schrullenhafte BQ-
cherwurm, der 50 Jahre lang nicht aus Athen heraus kam, war zu an-
deren Dingen eher berufen als zum Geographen. 0
§4. Polybios und seine Schule.
Der Kampf um die Weltherrschaft vollzog sich zwischen Rom und
Karthago , ohne dafs man im Osten eine klare Vorstellung von seiner
Tragweite gehabt hätte Da stürzte zu Anfang des 2. Jahrhunderts
(las hellenistische Staatensystem vor dem Andrang der Römer zusam-
men wie ein Kartenhaus, welches ein mutwilliger Knabe umwirft. Der
Schwerpunct der Weltgeschichte verschob sich nach Westen an die
Ufer des Tiber. Das Land , das bisher an der Grenze des geschicht-
lichen Lebens gelegen , ward nunmehr in dessen Mitte gerückt, das
weite Gebiet, welches punische Eifersucht so lange gehütet hatte, ftlr
den Wissenstrieb hellenischer Forscher geoCTnet Die neue Zeit voll
begriffen, ihren Forderungen in geographischer wie bistorischer Hin-
sicht genügt zu haben ist das Verdienst des Polybios von Megalo-
polis (208 — 127). Ein wechselvolles Leben hatte ihn von den Küsten
der Atlantis bis tief nach Asien herein , von den Alpen bis Cap Verde
herumgeworfen. Er ist vielleicht einer der grofsten Reisenden, die das
Altertum hervorgebracht, und hat ohne Uebertreibung doppelt und
dreimal so viel von der Welt gesehen als der wander- und redelustige
Vater der Geschichte. Er ist Kritiker vom Scheitel bis zur Sohle. Wäh-
rend die Erzähler bis dabin die Fernen mit luftigen Phantasiegebilden
belebten, halb gläubig, halb den Gaumen des lesenden Publicums zu
kitzeln beflissen — selbst Männer wie Herodot und Pytheas sind davon
erftlllt, von den Ausschweifungen eines Theopomp und der Alexander-
romane zu schweigen — , erkannte sein nüchterner Geist allenthalben
dieselben realen prosaischen Verhältnisse. Für die Schöpfungen dich-
t) Polybios Xn 25 hHalUch.
§. 4. PolybioB und seine Schale. 13
teoder Phantasie blieb auf dem weiten Erdenrund, das er durcbwan-
dal, kein Raiun Obrig. Seine Haltung erinnert an einen Zeitgenossen
ood Geistesverwandten, den groben Hipparchos, den Begründer der
f^echischen Astronomie. Polybios tritt in den schärfsten Gegensatz
iiir herrschenden Richtung. „Es schickt sich nicht für unsere Zeit
— erklart er IV 40 — in Betreff unbekannter Gegenden das Zeugnifs
TOD Dichtern und Märchenschreibern anzurufen, wie meine Vorgänger
meistentheUs gethan ; man mufs mit eignen Augen schauen und durch
Autopsie das Vertrauen des Lesers gewionen.^^ Polybios hat das west-
liche Mittelmeerbecken, Italien Gallien Spanien Nordafrica in den Be-
reich der heUenischen Litteratur eingeführt. Von seiner Hand rührt
die älteste Beschreibung her, welche Italien von den Alpen bis zur
Südspitze als eine zusammenhängende Einheit, als ein selbständiges
Glied der bewohnten Erde hinstellt. Der Verfasser hatte eine siebzehn-
jährige Verbannung benutzt um dasselbe von einem Ende bis zum an-
deren kennen zu lernen.^) Seine Stärke ruht nicht in der Förderung
der allgemeinen Probleme der Erdkunde, sondern in der Behandlung
der historischen Landeskunde. Die chorographischeD Schilderungen,
welche er seinem Geschichtswerk einverleibt hat, können als wahre
Muster gellen : sie sind klar, bestimmt, auf das wesentliche gerichtet,
von einer groben Auffassung getragen. Auf die Anhäufung von un-
bekannten barbarischen Namen verzichtet er mehr als uns lieb ist
(S. 6 A.), geht von bekanntem aus um deutliche Vorstellungen zu er-
wecken, wählt einfache Formen zur Versin ulichung. Als Beispiel sei
auf den Abschnitt über die Poebene (II 14— 17) hingewiesen: es wird
schwer halten das Verliältnifs der Ebene zu den Alpen einer-, der Ap-
penninhalbinsel andererseits mit geringeren Mitteln so anschaulich zu
machen; Boden Wirtschaft Cultur, alles wird mit wenigen markigen
Strichen gezeichnet Der Segen eigner Anschauung tritt bei diesem
Schriflsteller einleuchtend zu Tage. Als er in hohem Alter an die Aus-
arbeitung ging, hat ihn freilich das Gedächtnifs oftmals getrogen und
die Vorlage seiner Quellen verwirrt. Die Ortskunde seiner hellenischen
Heimat bdierrscht er mit ganz anderer Sicherheit als diejenige von
Italien Spanien und solchen bis dahin unerforschten Ländern. Hier
stöfst man auf zahlreiche Fehler im Einzelnen, welche unsere Karten
1) Bestimmt bezeugt ist die Ueberacbreitaog der Alpen UI 48, der Besuch
des laciDisehen Yorgebirgs UI 33, die mehrmalige Anwesenheit im episephy-
rischen Locri XII 5, Streifereien in der römischen Gampagna XXXI 22, XXXH 15.
14 Einldtang. Die Quellen.
ohne weiteres aufdecken: immerhin erleidet der Gesammtwert seiner
topographischen Gemälde auch so keinen Eintrag, wenn man den
Mafsstab ihres Jahrhunderts anlegt.
Polybios hatte der Wunder- und Fabelsucht den Krieg erklärt. Sie
auszurotten vermochte er nicht, aber seine Lehre und sein Vorbild
übten doch die mächtigste Wirkung auf die Nachfolger aus. Unter
ihnen ist zu nennen Artemidoros aus Ephesos (blüht 100 v. Chr.),
der nach ausgedehnten Reisen eine Geographie in 11 Büchern schrieb.
Dieselbe ist verloren gegangen ebenso wie ein im 4. oder 5. Jahrhun-
dert durch Markianos von Herakleia gemachter Auszug, i) Strabo hat
das Werk für die Küstenbeschreibung zu Grunde gelegt, auch Plinins
dasselbe benutzt. Aufser vielen anderen Schriften hatderin sullaniscber
Zeit zu Rom lebende, aus Milet gebürtige Freigelassene Cornelius
Alexander mit dem Beinamen Polyhistor Yrailexcr in 5 Büchern ver-
fafst, welche die Urzeit des Landes aus hebraeischen und anderen Tra-
ditionen des Orients zu bereichern suchen.^) Es genügt mit einem
Worte dieser weit verbreiteten Tendenz der Gelehrten zu gedenken,
welche die älteste Geschichte unter dem Schutt ihrer Erfindungen und
Vermutungen rettungslos begraben hat. Eine erfreulichere Erschei-
nung bietet Poseidonios aus Apamea, der in Rhodos lehrte und zu
Pompeius Cicero wie anderen hervorragenden Römern nahe Bezidinn-
gen unterhielt (etwa 130 — 46).^) Er hat die Geschichte des Polybios
fortgesetzt und gleich seinem Heister ausgedehnte Reisen in West^
europa unternommen. Wenn er diesen an Vielseitigkeit weit über-
trifft , hat er ihn doch weder als Historiker noch als Chorograph er-
reicht. Seine Verdienste um die Erdkunde ruhen eher in seinen syste*
matischen Arbeiten , wie er denn namentlich das grofse Problem der
Erdmessung nach Eratosthenes von neuem aufnahm. AlsGhorographen
lernen wir Poseidonios ans Strabo kennen , der manche Nachrichten
über den Westen, über Spanien Gallien die Alpen Italien ihm entlehnt
hat. Die Begründung der Monarchie durch Augustus verursachte einen
neuen Aufschwung der Geschichtsforschung und -Schreibung, zeitigte
die abschliefsenden Werke, welche den Untergang des Altertums über-
dauerten. Eines derselben , die Geographie Strabo's mufe hier nüher
besprochen werden.
1) Maller, geogr. min. I p. 574, praef. p. 130. Stiehle, Philolog. XI p. 193—244.
2) maller, fragm. bist. Graec. Ill 230.
3) MfiUer, fragm. bist. Graec III 245; Toepelmann, de Posidonto Rhodio
renim scriptore, Bonn 1867.
I 5. Strabo. 16
§ 5. Strabo.
Strabo ist für uns der wichtigste Vertreter antiker Landeskunde. 0
Geboren um 60 v. Chr. zu Amaseia am Iris, der Metropole von Pontos,
einer angesehenen Familie entstammt, hat er die Schulen der bedeu-
tendsten Peripatetiker besucht, an den Sitzen der Weltwissenschaft zu
Alezandria und Rom, an letzterem lange Jahre gelebt, endlich nach
dem löblichen Brauch griechischer Historiker sich tttchtig umgesehen.
Ueber die Ausdehnung seiner Reisen urtheilt er selbst zu überschwftng-
lieh (II 117): sie beschranken sich auf 44--240 N. Br. 28— 66<> 0. L.
und kommen nicht denjenigen Herodots, geschweige denjenigen des
Polybios gleich. Von planmäßigen Forschungsreisen für seine Geo-
graphie kann keine Rede sein. Aus eigner Anschauung kennt er bei^
spielsweise von Griechenland nur die Ueberlandroute Ober den Isthmus
Ton Rorinth, von Italien nur die Route Brundisium — Rom sowie die
campanischen Häfen und die etrurische Küste. Das Vorgebirge von
Populonia ist der äufserste Punct, den er nach Norden und Westen
erreicht hat (II 117, V 223). Strabo hat die Geschichte des Polybios
fortgesetzt und sodann als Ei^anzung dieses Werks die Geographie in
17 BOcliern hinzugefügt Er schrieb letztere in hohem Greisenalter
als angehender Achtziger zu Rom: die Abfassung, yermutlich auch die
fortlaufende Veröffentlichung der einzelnen BOcher beginnt 18 n. Chr.
Obwol die gesammte Erdkunde in ihnen behandelt ist, verfolgt diese
Darstellung andere Ziele, als die Systematiker Eratosthenes Hipparchos
Marines und Ptolemaeos sich gesteckt haben : sie erstrebt weder Voll-
ständigkeit, noch eine trockene Aufzahlung von Namen und Daten,
will den Leser belehren und zugleich angenehm unterhalten. Strabo
sucht die grofsen Verhaltnisse zur Anschauung zu bringen und geht
sogar so weit fremde Namen lediglich deshalb zu verschweigen , weil
ihr Misklang sein Ohr beleidigt (S. 6 A.). Demgemafs hat er den Stoff
mit Sorgfalt ausgewählt^ in geschmackvoller Form wieder gegeben. Er
hat seine Aufgabe gelöst ein anmutiges Werk zu liefern, für uns das
Hauptwerk alter Lander- und Völkerkunde. Wie die Zeitgenossen das«
selbe geschätzt, lafst sich freilich nicht sagen, da es selten, gar nicht
in den Sammlungen des Plinius, citirt wird. Dagegen genofs es bei
den Byzantinern hohen Ansehens, ward von diesen fleifsig gelesen und
1) Ausgaben von Kramer Berlin 1844 fg. und Meineke Leipzig 1866, treff-
liche Uebersetznng von Grorekard Berlin 183t fg.
16 Einleituog. Die Qaellen.
ausgezogen. Seiüen Ruhm verdankt Strabo vor allem dem Umstand,
dafs er eine bedeutende Entwicklung beschliefsend, das beste aus den
vorhandenen Darstellungen sich aneignen konnte; denn aus eigener
Wahrnehmung oder mündlichen Berichten hat er vergleichsweise we«
nig, v^eitaus das meiste aus schriftlichen Quellen geschöpft Der Reich-
tum an feinsinnigen Bemerkungen, die geföllige Art des Vortrags lassen
fast vergessen , dafs der Verfasser seinen Gegenstand nur zum Theil
beherrscht. Wenn Oberhaupt in der Erdkunde beide Seiten mensch-
lichen Wissens, das mathematisch^physikalische vrie das historische
zum Ausdruck gelangen sollen, so wird je nach Begabung und Neigung
bald die eine, bald die andere Seite vorwiegen. Strabo schreibt durch-
aus als Historiker. In den beiden ersten Büchern, welche den allge-
meinen Theil enthalten, bewegt er sich auf fremdem Felde. Denselben
Mangel an Kenntnissen wie in den mathematisch-physikalischen Dis-
ciplinen verrät er auch in Betreff der beschreibenden Naturwissen-
schaften. Wiewol er selbst ihnen eine Stelle in der Erdkunde einräumt,
wiewol Aristoteles und Theophrast die Pflanzen- und Thiergeographie
angebaut hatten , bringt er Ober Fauna und Flora nur spttrliche und
dürftige Notizen bei. Ferner giebt seine historische Bildung, sein histo-
risches Urtheil oft schweren Anstofs. Die Bewundeiiing Homers, in
der ihm Eratosthenes und Polybios mit bösem Beispiel vorangegangen,
steigen sich zur Vergötterung, vielfach zur Narrheit Während eine
halsbrechende Interpretation dem altionischen Sänger alle möglichen
Kenntnisse und Entdeckungen beilegt, begegnet umgekehrt am un-
rechten Ort die Skepsis. Die Kunde des Orients hat gegen frühere
Jahrhunderte abgenommen, da die Verschiebung des politischen Schwer*
puncts auch das geographische Interesse verrückt hatte. Strabo's ganze
Weltanschauung wurzelt in der Gegenwart: gleich Polybios und Posei-
donios stellt er sich auf den Boden der vollendeten Thatsachen, be-
grOfst die Errichtung der Monarchie mit wahi*er Begeisterung. Hier-
aus erklärt sich, warum den einzelnen Abschnitten ein ganz verschie-
denartiger Wert zukommt. Die Beschreibung Griechenlands (Buch
VIU — X) ist mit unglaublicher Verkehrtheil einem Gommentar zum
Schiffskatalog der llias entlehnt; die Beschreibung Italiens verdunkelt
mit ihrem hellen Glanz das gesammlc übrige Werk. Hier hat Strabo
die besten griechischen Quellen ausgebeutet, gelegentUch auch jenen
zarten Schmelz aufgetragen (V 222 fg. 234 fg. 242 fg.), den allein die
Erfahrung des Augenzeugen der Feder zu leihen vermag. Das vierte
Buch umfafst Gallien Brittannien und die Alpen: für den Norden ist
i 6. Die römische Litteraiar. 17
Cienr, ftlr das oarbonensische Gallien und die Alpen Polybios benutzt
Das fdnfte Buch umfafst Ober- und Hittelitalien , das sechste Unter-
Italien sammt den Insehi Sicilien Sardinien Corsica: in jenem begeg-
aeo Polybios und Poseidonios, in dem von Griechen besiedelten Ge-
biet Altere Gewähi-smänner, namentlich Timaeos, daneben Antiocbos
und Ephoros, endlich hier wie allenthalben sonst Artemidor für die
Kosten. Strabo hat beibuflg auch die römische Litteralur herange-
zogen und Fabius Caesar Asinius Pollio nebst einer anonymen Choro-
graphie t) citirt. Aber er hält wenig von derselben (III 166) und hat
das reiche von Agrippa und Augustus beschaffte Material nicht ver-
wertet Inunerhin ist die historische Kritik bezüglich seiner Forschung
zu Ergebnissen gekingt, die ihm alle Ehre machen. 2) Unseren Heistern
der vergleichenden Erdkunde ist er mehr als irgend ein anderer Schrift-
steller des Altertums ans Herz gewachsen. C. Ritter erklärt 3): „noch
kein neuerer Geograph hat bei seiner Beschreibung ItaUens die grob-
artige Darstellung erreicht, die uns Strabo von dieser Halbinsel giebt.'^
§6. Die römische Litteratur.
Die Eingebomen , heifst es , wissen am besten woher der Wind
weht Insofern darf man erwarten, dafs reichere und reinere Quellen
fQr die Kunde Altitaliens in der einheimischen Litteratur fliefsen als
in der fremden. Das Sprichwort trifft indefs auf den vorliegenden Fall
nur in bedingtem Sinn zu: die Eingebornen haben tfaeils im eigenen
Lande überhaupt nicht Bescheid gevrufst, theils nicht der Mühe wert
erachtet davon zu reden. Die befremdende Thatsache, dab von den
beiden Schauplätzen classischer Geschichte der räumlich entrücktere
1) D. h. eine Karte oder ein Verzeichnis der Distenzen Y 224. 25, VI 261.
66. 77. 85. Am nächsten wQrde es auf den ersten Blick liegen sie mit der Welt*
karte des Augustus zu identificiren: allein die Angaben stimmen nicht zu PH-
nius und beschranken sich andererseits auf Italien, dessen Regioneneintheilung
Töllig ignorirt wird. Es gab auch andere derartige Arbeiten Aber dies Land
▼gl. ( 8 and 9. Ferner ist zu beachten, dafs Strabo weder die maritimen Ent-
decknngen im Norden noch die neuen Ortsbestimmungen seiner Zeit benutzt,
überhaupt mit den Fortschritten der Erkenntnis durchaus nicht Schritt hält.
2) G. Hunrath, die QueUenStrabo's im sechsten Buch, Gassei 1879. B. Niese,
ApoUodor's Gommentar zum Schiffskatalog als Quelle Strabo's, Rhein. Museum
XXXn267fg. Derselbe, Beitrage zur Biographie Strabo's, Hermes Xm 33 fg.
3) Geschichte der Erdkunde und der Entdeckungen, Vortesungen heraus-
gegeben von Daniel, Berlin 1861, S. 118; vgl. 0. Peschel, Geschichte der Erd*
kaode, München 18ß5, S. 70.
Niff«a, ItftL LaadMkiiBd«. I. 2
18 Einleitnng. Die QnelleD.
wissenschaftlich genauer erforscht und besser bekannt ist als das dem
Übrigen Europa so nahe und so eng verwachsene Italien , wird vor-
nehmlich durch die verschiedene Stellung erklärt, welche Hellenen
und Römer zur eigenen Heimat eingenommen haben. Die GrOfse des
einen Volks wurzelte in seiner Freiheit, die Gröfse des anderen in sei-
ner Einheit Die italischen Stämme sind sammt und sonders von einer
einzigen weltgebietenden Stadt aufgesogen worden , neben der Stadt
kam das Land nicht zur gebührenden Geltung. Eine Umwälzung ohne
Gleichen , die sich von den Gracchen bis auf Augustus über ein volles
Jahrhundert erstreckt, hat unter dem Alten gründlich aufgeräumt. Die
geistigen Erzeugnisse der ehemaligen Culturträger, der Etrusker und
Osker, sind verschollen, die frühlateinischen Schriftwerke, welche land-
schaftlichen Schwung und urwüchsige Kraft atmeten, sind bis auf dürf-
tige Bruchstücke verloren. Es ist wesentlich die römische Weltlitteratur
mit ihrem durch die Weltherrschaft bedingten Typus, die uns verblieb.
In der Epoche des verfallenden Freistaats entstanden, vermag sie nicht
in den tiefen Strom des Volkslebens zu tauchen, treibt mit den Schaum-
wirbeln auf der Oberfläche dahin. Sie beschränkt sich auf Hauptstadt
und Gesellschaft in einem Grade , für den die französische Litteratur
der Neuzeit nur einen annähernden Vergleich bietet. Wol begreifen
wir, dafs Niemand darauf verfallen ist eine Reisebeschreibung zu lie-
fern wie diejenige des Pausanias: das reiche in üppiger Blüte stehende
Italien lockte keinen Touristen unter Denkmälern und Trümmern über
die Vergänglichkeit irdischer Gröfse nachzusinnen. Wol begreifen wir,
dafs Niemand daran gedacht hat eine Sammlung von Stadtbildern zu
veranstalten, wie sie aus Hellas erhalten: seitdem von den Alpen bis
zum Sund von Messina gleiches Recht, gleiche Sprache und Sitte
herrschte , fehlte mit der Selbständigkeit zugleich der hauptsächliche
Reiz, der örtlichen Besonderheiten nachzugehen getrieben hätte. Und
doch wies dies ausgedehnte Land eine Fülle bedeutsamer Gegensätze
auf, barg unter der einförmigen Hülle des Neuen ehrwürdige Zeugen
verflossener Zeiten in hinreichender Anzahl um die Aufmerksamkeit
des Forschers zu fesseln. Ein Gemälde mit den vorhandenen Mitteln
entworfen, hätte, meint man, seinem Urheber besseren Dank bei den
Mitlebenden verdient und hätte ihm unter allen Umständen besseren
Ruhm bei der Nachwelt gesichert als jene hohle Rhetorik und jene
hohle Selbstbespiegelung, von welcher der Zufall so viele Proben frei-
giebig bewahrt hat. Nicht als ob der Vergangenheit ihre angeborne
Macht über die Gemüter der damaligen Menschen versagt hätte. Aber
I 6. Di« römische Uttenitnr. 19
wer sich ibrhiDgab, ward unwiderstehlich Ton dem Zauberi>ann des
IVamens Rom fortgerissen. Rom hat hervorragende Antiquare in Menge
^hlt, Italien keinen einzigen.
Freilich kann man im Zweifel sein, ob der politische Gesichtskreis
bestimmender gewirkt habe oder das Verhilltnifs der Römer zur Natur
Oberhaupt. Wenn man die Summe der aus Hellas und der aus Italien
inderLitteratur überiieferten Ortsbezeichnungen neben einander hftlt,
zeigt sich ein überraschender Ausfall zu Ungunsten des letzteren.
Beide Länder waren von Gebirgen erfüllt, der Gott der Höhe ward in
den Alpen und im Appennin mit gleicher Inbrunst verehrt als im Pe-
loponnes und ThessaUen , Berg und Thal Quell und Bach führten im
Munde von Hirten und Bauern ihre eigenen Namen hier wie dort
Der seltene Gebrauch, den die Schriftsteller von diesen machen, rührt
von der Abneigung der Rhetorik gegen alles Besondere, vielleicht mehr
noch von ihrer Gleichgültigkeit gegen die freie Natur her. Der National-
charakter, wie wir ihn historisch kennen, sei es nach ursprünglichen
Anlagen, sei es durch den Gang der Ereignisse gemodelt, bekundet ein
erschreckend nüchternes Gepräge. Für die Freude an Wald und Jagd,
das Schweifen im wilden Hag, das Erkhmmen ragender Berge, für alles
was ritterliche Nationen wie Hellenen und Kelten entzückt hat, ging
dem Römer, der heimischer Art treu blieb, Sinn und Verständnifs ab.
Auf wissenschafaichem Gebiet fehlte ihm die Empfönglichkeit fttr alles
was von dem gemeinen Nutzen des Tages seitab lag: in Mathematik
und Astronomie, in Philosophie und Naturforschung hat dies Volk
keinen einzigen bedeutenden Vertreter aufeuweisen. Das Ndmliche
gilt von der Erdkunde. Wer erwehrt sich eines Lächelns , wenn er
liest, wie der Mann, den man als Schöpfer der römischen Weltlitteratur
ansehen kann, wie Cicero eine Zeit lang sich in dem Traume gewiegt
hat, mit seiner gewandten Feder in der Mufse weniger Monate die
Kränze des Eratosthenes und Hipparchos erringen zu können 7^) Wer
erwehrt sich eines Lächelns, wenn er bemerkt, dafs derjenige Schrift-
steller, in dem das nationale Pathos seinen vollendetsten Ausdruck ge*
funden, dafs Tacitus die einfache Wahrheit von der Kugelgestalt der
Erde noch nicht begriffen hat, obschon sie seit vier Jahrhunderten zum
Gemeingut der Bildung gehörte ? ^) Mit gemischten Gefühlen nehmen
wir das grofse Werk in die Hand, durch welches P 1 i n i u s die Litteratur
1) Cicero an Atliens II, 6 und 7.
2) Tac. Germ. 45.
2*
20 Einleitiing. Die QaeUen.
der Römer um eine Encycloptfdie der Naturwissenschaften bereichert
hat Unbekümmert um die gegen derartige Studien herrschende Ab«
neigung hatte der wackere Patriot mit unermüdlichem Fleifs seinen
Stoff aus 2000 Bänden zusammengetragen , derart für Erdkunde wie
für Naturkunde überhaupt den wertvollsten Schatz hinterlassen, den
die lateinische Sprache besitzt. Aber den Namen eines Forschers, der
mit eigenen Augen zu schauen versteht, seinen gesunden Menschen-
verstand keiner alten Scharteke zum Opfer bringt, vermögen wir dem
gelehrten Sammler nicht zuzuerkennen. Es klingt schier unglaublich,
welche kindliche Vorstellungen dieser vielgereiste Soldat in Betreff
seiner nächsten Umgebung hegte. Am Fufs der Alpen aufgewachsen
erklärt er, einige Gipfel ragten 50 Millien 10 deutsche Meilen in die
Luft, überschätzt also ihre Höhe sechszehnfach; und doch hatte der
ihm bekannte Dikaearch vierthalb hundert Jahre zuvor Berge messen
gelehrt, vernünftige Ansichten über ihre relative Erhebung entwickelt.
Ab Admiral der in Misenum stationirten Flotte hat Plinius sein Leben
beschlossen: seine Befilhigung filr solchen Posten erscheint in bedenk-
lichem Licht , wenn er allen Ernstes berichtet , König Pyrrhos und
später Marcus Varro hätten die Meerenge von Otranto überbrücken
wollen , wären auch blos durch anderweitige Obliegenheiten von der
Ausführung ihres Vorhabens abgehalten worden; die Breite der Enge
beziffert der Admiral selbst auf 10 deutsche Meilen, i)
Die reichste Ausbeute wird man bei den GeBchichtschreibern
suchen. Um von SicUien und Grofsgriechenland zu schweigen, wissen
wir, dafs Chroniken in den Städten Campaniens Latiums Etruriens
Venetiens verfabt worden sind. 2) Auch macht der alte Cato, der zu-
erst lateinische Prosa für geschichtliche Darstellung in Anwendung
brachte , einen viel versprechenden Anfang dem allgemein nationalen
Standpunct gerecht zu werden , als er die Aufzeichnungen der römi-
schen Pontifices bei Seite schob und dafür zwei Bücher den Anfängen
der italischen Stämme und Städte widmete. Späterhin hat die antiqua-
rische Forschung, die in M. V a r r o ihr Haupt feiert, es nicht verschmäht
aus denselben Quellen zu schöpfen. Obwol der Einflufs des griechi-
schen Rationalismus und der griechischen Fabelei sich selten verleug*
1) Fflr die ganze Charakteristik vgl N. H. praef. 1. 13. 17. XXn 15. II 16t
m 101.
2) Kyme MflUer fragm. bist. Graec. IV 434; oskiaehe Daelle Featos p. 158
M. vgl. MfiUer a. 0. DI 102; Ardea Varro RR. II 11 ; Praeneate SoUn U 9; aocto-
rea Taaci Kaiser Glandioa' Rede f. Gall.; PaUviam Uv. X 2.
{ 6. Die römisclie Litterttar. 21
net, ist doch auf diesen Wegen manclie italisclie Volkssage , manclie
loode vom Brauch der AHvordem auf die Nachwelt gerettet worden.
Aber leider ist das kostbare Gut arg verstreut und durch viele achtlose
Hände gegangen. Leider fand das Beispiel Cato's keine Nachahmer:
die römische Geschichte ward aus den Banden der Stadtchronik nicht
losgerissen. Immerhin auch in dieser engen Fassung bot der Stoff, der
Kampf der Stamme um die Obraacht, der Weltkrieg gegen Karthago,
die Unterwerfung der Kelten den Bearbeitern Anlafs genug sich um
die Entvricklung des ganzen Landes zu kümmern. In wie weit dies
gesdiehen ist, lassen die umfangreichen Annalen des Livius, welche
die Geschichte der Republik abgeschlossen haben , deutlich erkennen.
Der Verfasser übertraf Goelius Antipater, Valerius Antias, Claudius
Quadrigarius, Licinius Macer und wie die Vorgänger sonst noch heifsen,
nicht nur an Geschmack, sondern auch an Unbefangenheit und Kritik.
Die Misgunst warf ihm Kleinstadterei vor und sicherlich hat kein Werk
Ton ähnlicher Ausdehnung das seine an innerem Gehalt erreicht. Wenn
wir nach ihm die gesammte römische Geschichtscbreibung beurtheilen,
wird der Mafsstab eher zu hoch als zu niedrig gegriffen sein. Wie lautet
denn das Urtheil? Von der Forderung der Hellenen topographische Stu-
dien zu treiben, von der jedem Erzähler auferlegten Pflicht den Schau-
platz der Begebenheiten aus eigener Anschauung zu schildern ist hier
nirgends die Rede. Wir mögen den hauptstädtischen Pflastertretern
ihre lächerliche Unwissenheit bezüglich des Auslands zu gute halten.
Wir verzeihen diesen Schönrednern, dafs sie sich nicht der schwierigen,
oflmals undankbaren Mühe unterzogen haben die Lage so vieler Ort-
schaften, welche in den ältesten Kriegsberichten genannt, in der Folge
zerstört und vergessen waren , festzustellen. UnverzeihUch bleibt die
Gedankenlosigkeit, mit der sie die denkwürdigsten Züge einer histo-
risch hellen Zeit in tiefes Dunkel einhüllten. Ich rede nicht von dem
Alpenübergang Hannibals, dessen Bestimmung Livius so gründlich mis-
langen. Zehnmal schlimmer ist es, dafs er dem argen Valerius Antias
trauend, den grofsen Karthager auf seinem Marsch von Capua gen Rom
gleich einem Irrlicht im Sumpfe hin und hertanzen läfst. Keine Auf-
gabe hätte einen patriotisch fühlenden Schriftsteller mehr anlocken
sollen als der Nachweis, wie der italische Norden von dem launischen
Stamm und seiner Cultur allmälich erobert worden ist. In der vierten
und fünften Dekade sind viele Seiten mit angeblichen über Ligurer
und Gallier erfochtenen Siegen angefüllt. Aber diese armseligen Be-
richte stechen schreiend ab gegen die nebenher laufende aus Polybios
22 Einleitong. Die Qaellen.
geschöpfte Erzählung, welche die in Griechenland und Asien spielen-
den Ereignisse mit sonniger Klarheit vorführt; dafs der Sohn des Po-
lands den Abstand nicht bemerkt, oder wenn er ihn bemerkte, nicht
auszugleichen gewufst hat, scheint uns eine ebenso lehrreiche ab be-
trübende Wahrnehmung.^)
Wir können hier abbrechen. In der mit Augustus anhebenden
Friedensperiode schrumpfte das geschichtliche Interesse zusammen und
beschränkte sich in noch höherem Grade auf den Sitz der Regierung
als bisher der Fall gewesen war. Von Polybios bis Strabo sind es
also Fremde, welche uns das Verständnifs AltitaUens eröffnen. Durch
ihre Anweisung geschult, werden wir im Stande sein das Erz vom tau-
ben Gestein zu unterscheiden, die wertvollen Fundgruben, welche die
römische Litteratur noch birgt , aufzudecken und auszunutzen. Den
letzteren mufs eine gesonderte Betrachtung gewidmet werden.
§7. Hülfsbücher der Praxis.
So wenig einzelne Römer als Forscher und Entdecker geleistet,
so sehr hat der Staat bewufst und unbewufst die Erdkunde gefördert.
Seine Waffen machten den Westen des Mittelmeers, den Norden Euro-
pa's bekannt; seine Anziehungskraft wirkte nach allen Richtungen so
weit und nachhaltig, dafs durch Handel und Verkehr eine Fülle von
Erdwissen aufgespeichert werden konnte , die früheren Epochen un-
geahnt, erst mit der Neuzeit überboten werden sollte. Innerhalb seiner
Grenzen hat der Staat die Landeskunde mit einer Fürsorge gepflegt,
die nur im Reich der Pharaonen und Ptolemäer ein würdiges Vorbild
fand. Von wissenschaftlichen Beweggründen ward er dabei selbstver-
ständlich nicht geleitet. Wenn hellenische Fürsten ihre Gelehrten mit
den reichsten Mitteln ausrüsteten um die Höhe der Berge oder den
Umfang der Erdkugel zu bestimmen , so sucht man nach ähnlichen
Unternehmungen von Seiten der Römer vergebens. Dem römischen
Machthaber mochte es wenig frommen zu erfahren wie grofs die Erde
und wie bedeutend ihre Erhebungen ; aber welche Frist eine Truppe
1) Belege für diese tod den Neoeren nicht genügend gewürdigte Sach-
lage habe ich beigebracht Krit. Unters, üb. d. Qoellen d. Liv., Berlin 1863,
p. 104; Rhein. Mus. XXV 30. Der Marsch gegen Rom XXVI 1->11 ist meines
Erachtens aus Antias geschöpft, schlimm besonders c. 9. Die Verwirrung beim
Alpenübergang (vgl. Kap. 111 6) XXI 31, dazu Weissenbom, und 38. üebrigens
ist es mit den topographischen Daten, welche Goelius beizufügen liebt, auch
mislich bestellt.
f 7. Hfllfsbücher der PNxis. 23
zur üeberschreitung des Gebirges brauchte, wie viel Morgen bebauten
Ackers eio Stadtgebiet umfarste, welchen Ertrag Wald und Weide ge-
wlhrie, dergleichen Fragen gehörten für ihn seit undenklichen Zeiten
zum ABC einer guten Geschäftsführung. Von dem statistischen und
chorographischen Material, welches durch öffentUche Veranstaltung be-
schafit worden ist, ward ein bedeutender Theil allgemeiner Benutzung
preisgegeben und steht in wichtigen Ueberresten noch zu unserer Ver-
Agung.
Wie billig beginne ich mit den Itinerarien. Auf den Kunst-
strafsen der Romer ruhte ihre militärische Herrschaft, der sichere Gang
ihrer Verwaltung, die Schnelligkeit ihres Verkehrs. Dieselben bildeten
zugleich und bilden die Grundlage chorographischer Forschung. Zum
GlQck sind wir über das Strafsennetz sowol durch monumentale als
durch litterarische Zeugnisse vortrefflich unterrichtet Von den letzte-
ren ist hier allein zu handeln. Es ward oben (S. 18) bemerkt, dafs
keine Reisebeschreibungen von Altitalien verfafst worden sind: poe-
tische Schilderungen wie die Reise des Horaz nach Brundisium und
die Rüste nfahrt des Rutilius Namatianus können , so anmutig und be-
lehrend sie auch sind, als solche nicht gelten. Dagegen hat es an Reise-
handbüchern nicht gefehlt. Die öffentUche Sicherheit, welche die Mo-
narchie begründete, der zunehmende Wolstand, die Centralisation der
Regierung erfüllten die Strafsen mit einem Leben , wie solches Italien
bis auf das 19. Jahrhundert selten wieder gesehen hat. Die Benutzung
der kaiserlichen Post stand zwar nur wenigen Bevorzugten frei, aber
durch Fuhrmannsgilden war für den gewöhnlichen Reisenden auf den
Hauptrouten ausreichend gesorgt. Somit hatte Jedermann allen Anlafs
sich im voraus über die Namen der Stationen und die Länge der Posten
zu unterrichten , damit er Quartier und Vetturin und Preise weislich
bestellte. Den gewünschten Dienst leisteten die Itinerarien d. h. Ver-
zeichnisse der Poststationen und ihrer Entfernungen von einander,
den heutigen Cursbüchern vergleichbar. Wie allgemein sich ihr Ge-
brauch eingebürgert hatte, lehren vier silberne Becher, welche 1852
in dem Schwefelbad von Vicarello {Aqtuie ApoUinares) am See von
Bracciano (lacus S<d>aimtat) mit zahllosen anderen Votivgaben aus der
Quelle ans Licht gefordert wurden. In der Form von Meilensteinen
enthalten dieselben sämmtliche Stationen und Distanzen von Gades
nach Rom eingravirt (Ueberschrift üinerarium a Gades Romam oder
ab Gades usque Roma itinerare u. ähnlich) , sind also augenscheinlich
an ersterem Ort gefertigt, von Gadilanern als Reisebecher verwandt
24 Einleilong. Die Quellen.
und scbliefslich nach Beendigung einer Cur den heilbringenden Nym-
phen zum Dank dargebracht worden. Sie sind zu verschiedenen Zeiten
gearbeitet und können annähernd vom Anfang bis zum Ausgang des
3. Jahrhunderts n. Chr. gesetzt werden. i) Handschriftlich sind ver-
schiedene Itinerarien fortgepflanzt. Das itinerarium provindamtn An-
tonini Augusti enthält ein nach den Provinzen geordnetes Verzeichnifs
der Strafsen und Stationen des ganzen Reichs. Nach der Ueberschrift
Mt die Ausgabe unter einen der Antonine und ist wahrscheinlich auf
Caracalla zurückzuführen. Indefs sind Nachträge beigefügt und gehört
die erhaltene Redaction einer etwas späteren Periode, nämlich der Re-
gierung Diocletians an. 2) Angehängt ist das itinerarium tnaritimum,
die Entfernungen zur See von Hafen zu Hafen verzeichnend. Es be-
steht aus verschiedenartigen Stücken und ist unvollständig. Sodann
besitzen wir die Reiseroute eines christlichen Pilgers von
Bordeaux nach Jerusalem und zurück über Rom nach Mailand vom
J. 333. Sie enthält eine Beschreibung der heiligen Stätten, doch
auch bei profanen Orten vereinzelte Notizen Ober Merkwürdigkeiten,
welche darlegen, dafs aus diesen Stationsverzeichnissen möglicherweise
Reisebttcher im modernen Sinne hätten hervorgehen können. Endlich
bleibt noch das wichtigste, die sog. tabula Peutingeriana zu erwähnen
übrig. Gerade wie wir neben unseren Cursbücbern Eisenbahn- und
Postkarten brauchen, bedienten sich die Römer bildlicher Darstellung
zum gleichen Zweck: die itineraria picta boten den Vorzug vor den
adnotata das Terrain zu berücksichtigen. ^j Ein solches itinerarium
pictum ist uns ib dem genannten Werk erhalten , nach einer älteren
Vorlage 1265 zu Colmar gezeichnet und colorirt^) Die Zeichnung
1) Drei Becher sind von Henzen Rhein. Mus. X (1853) p. 20 fg., dazu ein
vierter von Garracci dissertazioni archeologiche , Roma 1864, p. 160 fg. ver-
öffentlicht worden. Aus formalen Gründen, besonders dem zunehmenden Ver-
fall der Endungen einerseits, aus den im L4iuf der Route vorgenommenen Aen-
derungen andererseits Ufst sich das relative Alter der Inschriften bestimmen:
N. 1 — 3 sind älter, N. 4 jünger als das itinerarium Antonini. Sie lassen sich
aaf eine alte gute Vorlage zurückführen. Die sprachliche den üebergang zv
den romanischen Sprachen anbahnende Verwilderung bestätigt den provinzialen
Ursprung.
2) Vetera Romanonim itineraria cum notis var. ed. P.Wesseling, Amstel
1735. Itinerarium Antonini Aug. et Hierosolymitanum ex libris mss. edd. Pir-
they et Finder, Berol. 1848.
3) Ausführlich dargelegt von Vegetius 111 6.
4) Es gelangte nach seiner Entdeckung 1507 in den Besitz des Augsburger
Patriziers Peutinger — daher der Name — später nach Wien. Erste Ausgabe
§ 7. HfllfsbOcher der Praxis. 25
mmmt 1 1 Blätter (dazu eines verloren) ein , die an einander gereiht
eine RoUe von ungefiihr 21 Fnfs Lunge bei 1 Fufs Hohe ergeben.
Mtflrlich mursten bei einem derartigen Verhflltnifs die Länder in
Dord-sadlicher Richtung zusammen gequetscht, in west-östlicher ver-
llDgert werden. Der Verfasser hat auch gar nicht daran gedacht die
Umrisse getreu festzuhalten noch etwa an irgend eine berühmte oder
unberOhmte Wandkarte sich angelehnt, sondern lediglich ein Verfahren
eingeschlagen , zu dem das Obliche Rollenformat der antiken Bücher
nötigte, sobald bequeme Handlichkeit erzielt werden sollte. Aufser
den Stationen und ihren Entfernungen konnten Flüsse und Gebirge
eingetragen, die verschiedene Art der Ortschaften bezeichnet, der Zu*
sammenhang der auslaufenden StraTsen übersichtlich angegeben wer-
den. Demnach enthält die Reisekarte viel reicheres Detail als die oben
besprochenen Itinerarien : die Redaction wird unter die Regierung des
Alexander Severus 230 n. Chr. oder früher um die Mitte des zweiten
Jahrhunderts verlegt, i)
An zweiter Stelle verdienen die Schriften der römischen
Feldmesser^) erwähnt zu werden. Seitdem Niebuhrs geniale For-
schung von diesem „verschlossenen Räthselbuch^ ausgegangen, ist
dessen Bedeutung für das Verständnifs des römischen Staats und seiner
Religion allgemein anerkannt. Auch in der Landeskunde gebührt ihm
ein hervorragender Platz. Die Anlage einer italischen Stadt, die Ver-
theilung von Grund und Boden innerhalb wie aufserhalb der Mauer,
der Zug der Strafsen, die Scheidung von Privat- und Gemeinland, von
Acker und Weide, alles ward auf gewisse einfache altgeheiligte Grund-
sätze zurückgeführt, auf Vorschriften , die ebensowol als ein Ausflufs
der Religion wie der Politik — denn beides f^Ut hier untrennbar
zusammen — aufgefafst werden können. Wenn wir uns ein Bild
des Altertums mit seinen Städten und Territorien zu veranschau-
lichen suchen, so werden wir allein durch das Studium der Feldmesser
befähigt die Ruinen pragmatisch zu deuten, die vereinzelten Ueberreste
altrömischer Flurtheilung als solche zu erkennen. Die Kunst welche
die Elemente von Geometrie Jurisprudenz und Theologie in so eigen-
dorch Herrn v. Scheyb, Wien 1753, spater Mannert, Leipzig 1824, Prachtaus-
gabe und Facnmile mit aasfQhrlicheni Gommentar E. Desjardina, Paris 186S — 71.
1) Fr. Philippi, de tabula Peutiogeriana, Boonae 1876.
2) Die Schriften der Rom. Feldmeaser herausgeg. u. erläutert von Blume
Laehmann u. Rudorff, I.B., Texte (von Lachmannu). Zeichnunge n, Berlin 1848,
2. B. Erläuterungen, Berlin 1852.
26 Einleitung. Die Qoellen.
tOmlicher Weise mit einander verbunden auf die praktischen Aufgaben
des Tages übertrug, ist allem Anschein nach zuerst von den Etniskern
theoretisch behandelt worden. Seit Augustus haben Männer in an-
gesehenster Stellung wie z. B. Frontin, der dreimal unter Domitian
Nerva und Traian das Consulat bekleidete, einzelne Materien aus der-
selben erörtert. Dagegen ruht ihre praktische Uebung in den Händen
einer eigenen Zunft, welche die vorhandene Litteratur gesammelt und
benutzt hat Aus ihren Kreisen sind namentlich für Schulzwecke Aus-
züge veranstaltet worden, die bis in das Mittelalter hinein im Gebrauch
verblieben. Die erhaltene Sammlung umschliefst gar verschiedenartige
Bestandtheile: neben den wertvollen Bruchstücken eines Frontin, Hy-
gin und Siculus Flaccus (unter Traian, letzterer vielleicht etwas später)
ziemUch unerhebliche Schulcommentare des vierten und fünften Jahr-
hunderts. Der Text wird durch eine Reihe von Figuren erläutert, in
denen gleichfalls neben zahllosen Spielereien viel Beachtenswürdiges
sich findet. Als topographische Quelle sind besonders die Auszüge zu
bezeichnen, welche unter dem Namen libri coloniarum citirt zu werdea
pflegen. Lückenhaft und vielfach entstellt wie sie sind , entstammen
sie doch einem grofsen Werk, welches eine Uebersicht über sämmtliche
vom römischen Staat in Italien vorgenommene Vermessungen nach
den im römischen Archiv vorhandenen Grundrissen aufstellte. So wer-
den wir über Limitation Befestigung Wegeservitute und ähnliche Dinge
bei ungefähr 120 Städten unterrichtet und begrüfsen diese einsilbigen
abgelegenen Notizen mit aufrichtigem Dank , da uns so wenig andere
Zeugen von dem Leben der Kleinstädte Kunde verbringen.
In Betreff einer anderen Hauptseite des römischen Altertums ge-
währen die Schriften über Landwirtschaft^) befriedigende
Auskunft. Seit Alters wurde der Landbau als diejenige Beschäftigung
betrachtet, welche einzig und allein dem römischen Bürger geziemte.
Bereits der alte Cato, der Mann welcher dem nationalen Charakter den
schärfsten Ausdruck verliehen , hat den Gegenstand in einem uns er-
haltenen Buch bearbeitet. Nach der Zerstörung Karthago's liefs der
Senat das punischeWerk des Mago ins lateinische übersetzen und gab
damit von Staatswegen Antrieb zu weiteren Behandlungen. Um von
den verlornen ganz zu schweigen, besitzen wir noch die drei von Varro
37 V. Chr. im achtzigsten Lebensjahr verfafsten Bücher, die Georgica
Vergils (30 v. Chr.) , die zwölf Bücher des Columella (ca. 62 n. Chr.),
1) Scriptores rei rusticae illostravit Schneider, 4 tom, Lips. 1793 — 96.
|8. Landkarten. 27
ejNBidi aus dem vierten Jahrhundert vierzehn Bttcber von Palladius.
Der Stoff brachte es mit sich, dais die Verfasser im Leben standen und
mi das Leben zurückgriffen. Insofern gewahren sie wichtige Auf-
schlflsse zur Aufhellung antiker Volkswirtschaft. Das Nämliche gilt
roo den Schriften aus anderen Gebieten der Praxis, die sämmtUch an-
zoftlhren keinen Sinn hätte.
§ 8. Landkarten.
Von jeder öfifentlichen Vermessung, bei der Anlage einer Colonie
und derVertheilung von Staatsländereien wurde eine Karte aufgenom-
men und in zwei Exemplaren ausgefertigt : das eine in Erz um in der
betreffenden Stadt zur allgemeinen Kunde ausgestellt zu werden ; das
zweite auf Leinwand wanderte als Originalurkunde in das römische
Staatsarchiv. 1) Das schätzbare Material, welches dergestalt hier ange-
häuft wurde, ist höchstens zur Zeichnung von Stadtplänen benutzt
worden. Von solchen kennen wir den zu Anfang des dritten Jahrhun-
derts in Marmor eingegrabenen Stadtplan von Rom, dessen Trüm-
mer trotz ihrer heillosen Verstümmelung eine Vorstellung von derglei-
chen Arbeiten gewähren. Er ist in dem grofsen Mafsstab von ungefähr
1 : 300 gehalten und ruht auf den Vermessungen des Agrippa und
Vespasian.^) Wenn selbst bei einem so eng umgrenzten Gebiet grobe
Fehler nicht vermieden werden konnten , so waren geodätische Auf-
nahmen für allgemeinere Darstellungen vollends unbrauchbar. Anders
verhielt es sich mit der Ausmessung der Heerstrafsen , durch welche
der Kartographie eine ungeahnte Fülle zuverlässiger Daten zur Ver-
fflgung gestellt wurde. Die Römer hielten bei ihren Strafsenzügen
s^er Unbequemlichkeiten ungeachtet wenn irgend möglich die kürzeste
Linie zwischen den zu verbindenden Ortschaften ein. Die Entfernung
derselben von einander war durch die Strafsenlinie ungleich genauer
bestimmt als durch blofse Schätzungen über die Länge des zurück-
gelegten Weges, aufweiche man bisher angewiesen gewesen war; denn
die Schätzungen von Reisenden , mögen diese sich nun auf eine zu
Wasser oder auf eine zu Lande zurückgelegte Strecke beziehen, fielen
uod fallen erfahrungsmäfsig zu hoch aus. Die Strafsen sind vermutlich
^on vorn herein ausgemessen , auch frühzeitig mit Meilensteinen —
deren aus dem J. 187 v, Chr. erhalten sind — versehen worden. Po-
1) Rudorii; Gromatische Insütutioaeo p. 405 (im 2. B. der Feldmesser).
2) Forma urbis Romae regionum Xmi ed. H. Jordan, Berol. 1874, fol.
28 EinleitQog. Die Qndlen.
lybios hat zuerst diese Angaben wissenschaflKcfa verwertet und e. B.
eine Messung der Ostseite Italiens von der Sttdspitze Apuliens bis
Aquileia angefahrt 1) Für die Folgezeit werden sie von allen bedeuten-
den Kartendarstellern zu Grunde gelegt. Die Leistungen , welche mit
derartigen Mitteln erzielt wurden, dürfen billiger Weise nicht nach den
heutigen Ansprüchen beurtheilt werden: mit denjenigen der Vorgänger
verglichen, offenbaren sie einen bewundernswürdigen Fortschritt.
Der Grad von Treue, welchen ein antikes Kartengemalde erreichen
konnte, hing von der grOfseren oder geringeren Anzahl astronomischer
Ortsbestimmungen ab, die dem Zeichner zu Gebote stand. Freilich kam
der eine Hauptfactor, die Bestimmung der astronomischen Lange über-
haupt nicht in Betracht; denn wenn auch die Alten über die Metho-
den um solche zu ermitteln vollständig im Klaren waren, konnten sie
doch die Forderungen der Theorie in der Praxis nicht zur Ausführung
bringen, theils weil ihren Instrumenten die nötige Schärfe abging,
theils weil eine zweckmäfsige Theilung und Organisation der Arbeit
in verschiedenen Ländern nicht durchführbar war. Die westöstliche
Entfernung ward deshalb empirisch von ihnen abgeleitet, durch Com-
bination von Periplen , Wegemafsen und Angaben von Reisenden zu
finden gesucht Natürlich gab ein so rohes Verfahren recht unvoll-
kommene Resultate : so wird selbst in den genauesten Messungen die
grofse Axe des Mittelmeers 3 — 5 ^ zu lang angesetzt Aus dem näm-
lichen Grunde fiel die Bestimmung des Erdumfangs unbefriedigend
aus, wurde von einigen Forschern (Eratosthenes) der Breitengrad Vß
zu grols , von anderen (Poseidonios Marines Ptolemaeos) </« zu klein
gerechnet. Wenn man endlich noch erwägt, dafe das Problem eine
Kugelfläche in die Ebene zu übertragen schwierig und vieler Lösungen
fähig, dafs eine richtige Projection erst von Ptolemaeos wirklich ange-
wandt worden ist, so begreift man, warum die Umrisse antiker Karten
von der Wahrheit weit abweichen mufeten. Dafs sie nicht eine völlig
verzerrte Gestalt annahmen , ward allein durch die relativ genaue Er-
mittelung der geographischen Breiten verhütet. Seitdem die Erkennt-
nifs, dafs die Erde eine Kugel sei, in der Wissenschaft durchgedrungen
war, machte es keine sonderliche Mühe die Polhöhe eines Ortes fest-
zustellen. Man mafs um Mittag zur Zeit der Nachtgleiche (wenn die
Sonne im Meridian und im Aequator steht) den Winkel, den die Spitze
1) Bei Strabo VI 285, die Rechnong nach MiUien lifst keine andere Den-
tung zu; Tgl. Pol. 111 39.
f 8. LaiidkarteD. 29
des Gnomoiis mit der Spitze des Schatteng bildet, erhielt dadurch su*
giekh den Hohenwinkel der Sonne d. h. den Abstand des fragliehen
Ortes ?om Aequator. Der gefundene Wert ist nur um einen halben
Durchmesser der Sonne oder um etwa 16 Bogenminuten zu klein; aber
dieser Fehler wird von den Alten , sei es dafs sie seiner nicht gewahr
wunlen, sei es dafs sie ihn für unerheblich hielten, stets vernachlflssigt.
Schon P y t h e a s hatte auf solchem Wege die Polhöhe seiner Vaterstadt
Massaha (43<> 17' 52^0 zu 43<^ 5' bestimmt Aber dem Eratosthe-
nes, welcher die Strafse von Messina nicht nur mit dem 5^ westliche-
ren Karthago durch denselben Meridian verband , sondern auch auf
den Hauptparallelkreis von 36® legte, also 2^ nach Süden verrückte,
lagen keine Beobachtungen aus Italien vor. Dagegen hat Hipp arch
richtig Syrakus (37<^ 40 zu 36 <^ 55' angesetzt und seinen sechsten
Parallelkreia mit einer Tageslfinge von 15 Stunden oder 41 <^ 9' richtig
zwischen Rom und Neapel gezogen, i) Die zunehmende Verbreitung
und Vervollkommnung der Sonnenuhren mufste einen mächtigen An-
trieb zu genauen Breitenbestimmungen geben. Es ist zwar bekannt,
dafs die für eine 4<^ südlicher belegene Stadt Siciliens entworfene Uhr
auf dem romischen Forum ein Jahrhundert lang in Gebrauch blieb
und erst 164 v. Chr. durch eine besser construirte ersetzt ward.^ In-
dessen ward ein so kindlicher Standpunct durch das Eindringen hel-
lenischer Bildung völlig überwunden und die Astronomen ermittelten
die Tageslänge und Polhohe Roms mit zutreffender Scharfe.^) Dies
geschah auch für andere Städte Italiens und wird ausdrücklich bezeugt
für Taren tAncona und Atria am Po.^) Möglicher Weise hat die Kalender-
1) Nach Stnbo 11 134. Die Bestimmaog von Syrakus ist unter Berück-
sichUguDg der constanten Fehlergröfse sogar viel genauer als diejenige des
Ptolemaeos m 4 p. 195, 5 Wilb. auf 37® 15' und mag wol von Archimedes her-
rühren.
2) Ideler, Handb. d. Ghron. n 7 fg.
3) Der längste Tag zu Born mals \b^ 6', die griechische Quelle des PU-
mos VI 217 n 182 bestioimte ihn auf Ib^ & 40'', Nigidius auf 151" 12'. Rom
Hegt 41® 53' 52", Ptolemaeos setzt es 41® 40'.
4) Vitmy (schrieb nach 16 y. Chr.) IX 8, 1 kennt das Verhältnifs von 6no-
BOD vnd Schatten für Rom und Tarent. LeUtere Stadt (40® 31') liegt bei
Ptolemaeos annähernd richtig 40®. Die beiden anderen Orte führt Plinius
Ü 182 VI 218 nach älteren griechischen Quellen an. Jedoch hat er das arge
Versehen begangen Ancona nördlich vom 45® zu setzen : man verstehe an der
ersten Stelle deBit statt nqterett und bringt damit alles in Ordnung. Ancona
(43® 380 liegt bei Ptolemaeos annähernd richtig 43® 40'. Das unbestimmte
Venetia kann füglich durch Atria oder die dortige Pomflndung ersetzt werden.
80 EinidtaDg. Die Quellen.
reform sowie die neue Ordnung der Verwaltung, welche Caesar und
Augustus einführten, diese Arbeiten nicht blos begünstigt, sondern
auch zum Abschlufs gebracht
Kartenbilder sind in Rom frühzeitig angefertigt worden , z. B,
174 ▼. Chr. von der Insel Sardinien für den Tempel der Matuta; An-
gesichts einer Karte von Italien läfst der alte Varro sein erstes Gespräch
über den Landbau abhalten.^) Aber die Monarchie wufste auf diesem
wie auf anderen Feldern die alte Zeit völlig zu verdunkeln. Einer ihrer
Gründer, Marcus Agrippa hatte die Ergebnisse der zahllosen
Strafsenbauten und Vermessungen bearbeitet, um auf Grund derselben
eine grofse Weltkarte in einer zu erbauenden Porticus anzubringen.
Nach seinem 13 v. Chr. erfolgten Tode hat die Schwester das ViTerk
begonnen , der Kaiser in den letzten Lebensjahren zu Ende geführt.
Es wird nicht bezeugt, versteht sich indessen von selbst, dafs die Für-
sten ein Denkmal ihres Ruhmes haben stiften wollen: was an den
Pforten des Mausoleums in Worten zu lesen, war hier im Bilde zu
schauen , wie die Fürsten die Herrschaft des römischen Volkes nach
allen Richtungen erweitert, wie sie die Könige und Nationen an der
Welt Enden unter Roms Majestät gebeugt hatten. Es wird ausdrück-
lich bezeugt und versteht sich ohnehin von selbst, dafs das geogra-
phische Wissen und Können der ganzen Epoche seinen Ausdruck in der
Schöpfung gefunden hat^ Von einem arUs depichu, einer Wand-
karte in Antun , welche wahrscheinlich diesem Original entlehnt war,
heifst es in einer späteren Beschreibung^), dafs sie alle Länder und
Meere, Quellen Lauf Mündungen der Flüsse, Buchten und Meerengen,
Lage und Entfernung sämmtlicher Städte und zwar alles mit beige-
schriebenem Namen enthalten hätte. Die Karte wurde durch einen
chorographisch- statistischen Commentar erläutert, weicher die Mafse
der einzelnen Länder und Meere angab, die Völkerschaften und Städte
Es ist bemerkenswert, dafs alle Beobachtungen aaf Städte mit griechischer
Bevölkerung hinweisen.
1) Uv. XU 28 Varro RR. I 2, 1 vgl. Vitruv Vm 2, 6 Properz V 3, 37 Sueton
Dom. 10.
2) Plin. in 17 Agrippam qtddem in tania viri diHgenHa praeterque in
hoc opere eura, cum orbem terrarum orH tpeetandum proponiurut eisei,
errasMß quis credat ei cum eo divam Augugtum? is namque eonphxam emn
partiewn ex» desHnaiiane et cammeniariiM M. Agrippae a eorare eiue in-
ehoatam peregit,
3) Enmenii or. pro restaur. scolia (Pan. Lat IV) 20 und 21. Aehnlich be-
schreibt Strabo 11 120 die antiken Karten überhaupt; vgl. die A. 1 angeführten
SteUen und Plin. VI 139.
I 8. Undkarten. 81
nach ihrer yerschiedenariigen Rechtstellung, die Städte vielfach in
aipliabetischer Reihenfolge aufiführte , endlich allerlei Notizen geogra*
phscfaer und ethnographischer Art zur Belebung des trockenen Stoffes
beifOgte. Diese Aufzeichnungen des Agrippa wurden erst 25 Jahr nach
seinem Ableben TerOffentlicht und deshalb hat der kaiserliche Heraus-
geber mancherlei Aenderungen und Zusätze vorgenommen, welche die
veränderte Zeitlage forderte. <) So ist es gekommen, dafs der Name
des eigentlichen Urhebers in den Schatten gestellt, dafs am Ausgang
des Altertums die Vermessung und Beschreibung des Erdkreises wie
so viele andere Dinge dem grofsen Augustus zugeschrieben wurde. ^)
In der That mufs dies als die wichtigste Leistung gelten, welche die
Erdkunde seit Eratosthenes aufzuweisen hatte. Zwar hat Strabo sich
nicht bewogen gefunden auf seine alten Tage umzulernen noch aus
der dargebotenen Hasse von Namen und Zahlen nennenswerten Nutzen
zu schöpfen gewulst. Dagegen liegen uns umfassende Auszüge bei
Plinius vor und was die gröfste Tragweite hatte, dem Ptoleroaeos war
damit eine Hauptquelle für sein Epoche machendes Werk eröffnet.
Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. hat Claudius
Ptolemaeos^) die bisherigen Leistungen, alles was phönizischer
Handel, hellenische Wissenschaft und römische Macht zur Erforschung
1) Die Porticas mit der Weltkarte war 7 v. Chr. noch uoferUg (Dio LV S),
Die Zeit der YeröffentUchaog von Agrippa's Gonunentarien ergiebt sich ans
der Regiooeneintheilung Italiens, welche 14 n. Chr. fallt (Kap. I 5). Das beider-
seitige Verbal tniCs von Agrippa als Verfasser and Augustus als Herausgeber
vird von Plinius in 17 bestimmt gekennzeichnet. Für Italien muiste Plinius
den letzteren allein nennen IQ 46. 49. 63, weil Agrippa mit dieser Eintheilung
nichts zu thun hatte. Dab die dUeriptio JtaHae in das ^rtfvtarttfiii imperii d. h.
die eigenhändig geschriebene Rechenschaftsablage des Kaisers (Suet 101 Tacit.
Ad. lU Dio L VI 33) nicht hineingehört, liegt auf der Hand. Auch wird der
Kenner der Zeitgeschichte es billigen, dals ich die Grabschrift, welche Augustus
14 n. Chr. au£ieichnete, nicht aber halb und ganz barbarische Quellen zur Er-
läuterung seiner chorographischen Thitigkeit verwandt habe.
2) Isidor V 36, 4; divisio orbis 1, cosmographia lulii Gaesaris in Geographi
latioi minores collegit A. Riese, Heilbronn 1878.
3) Gianda Ptolemaei geographiae libri octo , graece et latine ed. Wilberg
(B. 2—6 mit Grashofs Unterstützung), Essen 1838—45. Diese verhaltnifsm&fsig
beste Ausgabe enth&It nur die ersten 6 Bflcher und hat die den Text beglei-
tenden Karten, welche dem Agathodaemon einem alexandrinischen Grammatiker
des 5. Jahrhunderts zugeschrieben werden, nicht berficksichtigt. Eine kritische
Ansgabe mit volistindigem Apparat ist von Gari Mfiller in Aussicht gestellt.
IKe Lösung dieser gewaltigen Aufgabe wird erst eine sichere Unterlage ffir
die Geschichte der antiken Erdkunde schaffen.
32 Einleitung. Die Quellen.
der Erdoberfläche beigesteuert, zu einem Gesammtbild vereinigt Das
historische Interesse, welches die Feder Strabo's führte, war langst
erloschen; in Karten ward das reifste Wissen des Altertums zusammen-
gefafst. Noch länger als auf dem Gebiet der Himmelskunde hat Ptole-
raaeos auf diesem Gebiet die Herrschaft behauptet: seine Karten bil-
deten die Grundlage der modernen, wurden erst im 16. Jahrhundert
verbessert, erst im 18. voUig beseitigt. Die Hauptfehler derselben ent-
springen aus den oben berührten Ursachen, dafs der Zeichner keine
astronomischen Längen zur Verfügung hatte und den Erdumfang V«
zu klein annahm. Auf dem sechsten Blatt von Europa ist Italien mit
Corsica, auf dem siebenten Sardinien und Sicilien dargestellt. Für
ItaUen (HI 1) werden 340, für Corsica (III 2) 52, für Sardinien (III 3)
62, für Sicilien (III 4) 109 Puncte, meist Städte, doch auch Vorgebirge
Inseln Flufsmündungen Berge, nach ihrer geographischen Länge und
Breite bis auf 5 Minuten genau aufgeführt. Dafs die Längen sämmtlich
auf blofser Combination beruhen, braucht kaum wiederholt zu werden.
Auch von den Breiten gilt durchweg dasselbe. Wenn Ptolemaeos Cor-
sica (430—410 21' n. Br.) zu 41»— 39« 20' und Sardinien (41» 16'—
380 52') zu 390 10' — 350 30' anseUt, so hat er handgreiflich keine
einzige auf diesen beiden Inseln beobachtete Polhöhe gekannt. Für
das Festland und Sicilien lagen ihm zwar Bestimmungen , doch nur in
geringer Zahl vor. Dieselbe scheint auf folgende beschränkt werden
zu müssen:
Massalia (43 0 18') nach Pytheas 43^5' wird gleichgesetzt Micaea
(430 40')
Rom (410 53' 52'') bestimmt 41 0 40' (S. 29 A, 3)
Neapel (40051') = Parthenopeinsel 40o 45' (S. 29) 0
Rhegium(380 6')380 15'
Thurii (39041') 39o 30'
Tarent (40o 310 40o (S. 29 A. 4)
Ancona (430 38') 43o 40' (S. 29 A. 4)
Atria (4504') Pomünduog 44o 30' (S. 29 A. 4)
Syrakus (3704') 37o 15' (S. 29 A. 1).
Es leuchtet ein dafs mit so wenigen sicheren Daten nicht mehr erreicht
werden konnte als von Ptolemaeos erreicht worden ist. Aber es ver-
1) Ptolemaeos selbst setzt Neapel irrig 41® 10'; aber unter Parthenope
wird die alte dem Hipparch bekanate Bestiromang zu yerstehen sein. Von den
übrigen Städten Gampaniens stimmt die angegebene Polhöhe nirgends zu einer
Messung.
I 9. Geographische Gompendien. 88
dient aDe Anerkennung, dals die wirkliche Gestalt des Landes bereits in
den HanptzOgen erkennbar entgegentritt Polybios (II 14) hatte sie
ab Dreieck bezeichnet, dessen Basis die Alpen, dessen Ostseite die
Adria, dessen Südwestseite das tyrrhenische Heer darstellen sollen.
Strabo (V 210) bekämpft die Annahme und will die Figur lieber durch
ein Viereck ersetzen. Seit den Arbeiten Agrippa's weirs man, dafs
Italien nach Süden in zwei Spitzen ausläuft wie ein Halbmond oder
der Schild einer Amazone nach der von Plinius (III 43) gebrauchten
Vergleichung. Seine nordsüdliche Ausdehnung wird von Ptolemaeos
ganz befriedigend durch den 45. und 38. Breitengrad umschrieben,
dabei jedoch das Poland nicht weit genug nach Norden und die apu-
fische Halbinsel (39^ 470 über einen Grad nach Süden 38® 45' hin-
ausgezogen. Viel weniger ist die Bestimmung der westOstlichen Ab-
stände gelungen: die 11 Grade welche Otranto vom Var entfernt ist,
werden auf 15 erhöht und wenn man auch eine Reduction der zu klei-
nen Grade (6 — 5) auf 12V3^ vornimmt, bleibt das Ergebnifs immer
noch um 1 Vs^ zu grois. Dies hängt mit dem häfslichsten Misgriff zu-
sammen, welcher die ptolemaeischen Karten entstellt, dafs nämlich die
Längenaxe des Mittehneers (41 ^ 410 zu 62^ angesetzt wird, was einen
um die Hälfte und nach der Reduction auf 51^ 40' noch immer einen
um ein Viertel zu hohen Betrag giebt. SiciUen ist minder geglückt als
das Festland: man sieht dafs der Verfasser von römischen Quellen oder
wenn man will von Quellen aus römischer Zeit abhängig war, welche
TOD der ganzen Insel nur eme astronomisch gesicherte Position bei-
brachten. So konnte er in den Wahn verfallen, dafs er die Westspitze
Lilybaeon (37<^ 480 ^^ nahezu 2 Grad nach 36^ verrückte und die
Kttste von hier bis zum Vorgebirge Pachynos statt südöstlich rein östlich
streichen liefs. Damit war das schlanke Dreieck der alten Trinakria in
ein plumpes Trapez umgewandelt. Ueberbaupt erscheinen die Umrisse
antiker Landkarten ungemein schwerfällig: der Zeichner deutet die
Buchten wol an, hat aber von der bildnerischen Kraft des Meeres keine
Ahnung. Es hat der gewaltigen Arbeit der Neuzeit bedurft, bevor die
FormenfUUe und Formenschönheit der Natur erfafst und wiederge-
geben werden konnte.
§9. Geographische Compendien.
Die Absicht Cicero's der römischen Litteratur ein Handbuch der
Erdkunde zu schenken (S. 19) ist von anderen Zeitgenossen (Nepos
Varro) bethätigt worden. Das Vordringen Caesars im Norden weckte
Niii«B, ItaL Laadwkud«. J. 3
84 EinleitDDg. Die Qaellen«
das ethnographische Interesse , die Politik des Augustus forderte eine
ganze Reihe von Darstellungen aus dem Gebiet der Länder^ und Völker-
kunde ans Licht. Jedoch meint Strabo (III 166), dafs die Römer sidi
darauf beschränkten ohne wesentliche Zuthaten ihren Stoff von den
Hellenen zu entlehnen. Dies Urteil wird durch das ftlteste uns erhal-
tene Werk, den kurzen Abrifs, welchen der Spanier Pomponius
Mela in den Tierziger Jahren n. Chr. verfafste, nicht Lügen gestraft
Die Spukgestalten, mit denen eine kindliche Einbiklung bei Herodot
und Timaeos die Grenzen der Welt erfdUt hatte, feiern hier ihre Auf-
erstehung. Italien ist dem Verfasser eigentlich zu bekannt um davon
zu reden : nichtsdestoweniger tischt er den Unsinn von der dem Po
gegenüber liegenden Mündung des Ister in die Adria auf (S. 10) und
begeht Flüchtigkeiten aller Art. Die lebhafte , gelegentlich anmutige
Darstellung darf den Leser über die sachlichen Mangel nicht täuschen. ^)
Eine Quelle ersten Ranges besitzen wir dagegen in den vier Büchern
der Encyclopädie des P 1 i n i u s (III— VI) 2), welche eine Uebersicbt der
Erdkunde enthalten, und zwar deshalb weil die Commentarien des
Agrippa und Augustus zu Grunde gelegt sind. Namentlich in Betreff
Italiens lassen die eigenen Worte des Verfassers keinem Zweifel Raum. 3)
Die Beschreibung dieses Landes (III 38 — 138) besteht aus vier ver-
schiedenartigen Bestand theilen. Wir unterscheiden erstens dem Ver*
fasser eigentümliche Schilderungen : so die Einleitung (38 — 43) Tiber
(53—55) Campanien (60—62) Rom (65—67) Po (117—122) Alpen
(133 — 138); zweitens behalt er seine dem Lauf der Küste sich an-
schmiegende Anordnung auch in diesem Abschnitt bei und benutzt
mehrere Küstenbeschreibungen und Karten ; drittens verwebt er eine
Masse einzelner Notizen , welche aus ungefähr 20 Schriftstellern , be-
sonders Cato und Varro, geschöpft sind ; endlich entlehnt er den Grund-
stock der Beschreibung des Augustus für das Binnenland. Der Kaiser
1) Pomponii Melae de chorogrtphia libri tres ed. G.Parthey, Befol. 1867.
UbS de ftaUa magis q^ia ordo eseigii quam quia momirari eget, pauea
dicentur: nota sunt omnia.
2) G. PliDÜ Secandi naturalis historia rec. B. Dellefsen, 6 voll. Berol.
1866 fg.
3) in 46 nunc ambiium eius urbisque enumerabimus, qua in re praefari
neeessarium est auetorem nos divom Avgustum secuturos discripHonemque
ab eo faetam Itatiae totius in regianes Xly sed ordine eo qui Uiorum iraetu
fiet urbium -quidem vieinitates oratione utique praepropera servari non posse,
itaque interiore exin parte digesHonem in Utteras eiusdem nos secuturos,
cohniarum meniione signata qua* ille in eo prodidit numero.
} 9. Geographische CenpendieD. 85
hatte 14 n. Chr. Kum Zweck der Besteuemog ItaUen in 11 Regtonen
eiagetheilt : nach ihnen waren die einzelnen Bezirke d. h. die Gemein-
den mit SelbatrerwalUing in der Reihenfolge des Alphabeta aufgeführt^
darunter die 46 von ihm selbst als Triunmm und Herrseher angeleg-
ten Colonien in dieser Eigenschaft ausdrOdilich hervorgehoben, i) Pli«
ahis wiederholt die Verzeichnisse unter Weglassung der bei dem
KOstenlauf bereits namhaft gemachten Städte') sowie unter Verktirzung
der gebrauchten ofBciellen Bezeichnungsweise. ^) Ungeachtet dieser
Aenderongen und ungeachtet mancher Entstellungen, welche die Flüch-
tigkeit des Plinius oder seiner Abschreiber verschuldet hat, vermögen
wir docb die ursprüngliche Fassung und damit eine unschätzbare Ur-
kunde herzustellen, welche den einzigen vollständigen Ueberblick über
die Städte des Landes aufserdem aber den Bestand einer bestimmten
Epoche aus denkbar bester Quelle darbietet.
Von den Spateren bleibt wenig zu sagen. Seit Plinius hat kein
Römer umfassende oder selbständige Studien über allgemeine Erd-
kunde gemacht. Dessen grofses Werk bildete flQr die nächsten Jahr-
hunderte die Fundgrube, aus welcher der Stoff geholt und in be-
quemere den Bedürfnissen des Tages entsprechende Form umgegossen
wurde. Wie es scheint, hat ein Schriftsteller aus der Zeit des Hadrian
oder Antoninus die chorographischen Abschnitte herausgehoben und
mit Zusätzen aus Mela und einigen anderen Autoren versehen. Dies
Handbuch ward von Julius Solious (ca. 218 n. Chr.) ausgeschrie-
ben, dessen CoUectaneen oder Polyhistor zu drei Vierteln auf Plinius
1) Die SchrifteD des Balbns, welche die wiehiigste Quelle für die SUdtr
▼efzeichnisse onserer FeldmessereammluDg (S. 26) abgegeben haben, führten
den GegenaUnd naher ana; vgl. über regionnm p. 229, 12 258, 2; 239, 15 402, 8.
2) Ans Versehen werden Städte doppelt nach d^r Kflstenbeachreibnng und
dem Katalog anfgefQhrt: ao 62 NuoeHa — 63 AlfaUmi^ 100 Ba9ta ^ 105 Ba-^
tteMm, t03 Larinum «- 106 Larinatei, 104 j^ffi » 105 Arpam. ScUimaer
ist es, wenn Städte wegen einer Dittographie anagefallen sind Yiit 59 Fundi
oeben lacu» Funäanusj 111 Firmum neben CMteUum Firmanarum.
3) Die Gemeinden waren fortlaufend als mMtnieipium oder colonia mit dem
Genetiy des EthnilKons bezeichnet. Um Raum su sparen stellt lÜnius die
sammUichen Golooien Toran, Tergifst aber s. B. nachdem er MAVemuia ge-
nannt, 105 renuiini zu streichen. Die Municipien giebt er in der Regel durch
den NominaÜT des Ethmkons im Katalog wieder, bisweilea durch das Neutrum
des A^ecÜT« 52 [wntnie^pHm] Bariamtm 63 [munidpitim] CaUimm, Die ur-
sprüngliche Bezeichnung tritt z. B. entgegen 52 Praeffciura Claudia Forachdi^
[tiuium] 129 eaUmia Pola fuac nvne JHHa* iulia. Anlserhalb des Katalogs,
io der Rüstenbeschreibung und sonst wird der übliche Stadtaame gebraucht
3*
36 Einleitang. Die Qoellen.
zurückgehen.^) Die Schriften aus der Epoche des Verfalk und des be-
ginnenden Mittelalters werden immer magerer und ergeben, Ton ihrem
culturhistorischen Interesse abgesehen, für uns wesentlich nur in Be-
treff der einreibenden Verschiebung der Namen Aufschlub. An Karten
lehnen sich an die dmemuraSio pramnciarwn und die dwitio arbü
terrarum sowie die cotmographia luUi Honorit ein Heft aus der Schule
des genannten Magister.^ Einen Abriis der Erdkunde fügt 0 rosius
seiner um 417 geschriebenen Chronik ein. Aus Honorius und Orosius
mit einigen Zuthaten über Italien ist die Kosmographie des sog. Ae-
thicus geschöpft. Weit bedeutender ist die nach einem griechischen
Original aus der Mitte des vierten Jahrhunderts übersetzte easpogitio
totius mundi et gentium.^) Dem Plinius und Solinus ist der AbriCs bei
MartianusCapella (Italien VI 636—650) entnommen. Ein alpha-
betisches Verzeichnifs der bei bekannten Dichtern vorkommenden
Ortsnamen liefert Vibius Sequester. Trotz seines barbarischen
CSharakters besitzt der sog. geographus Ravmnas, welcher eine im sie-
benten Jahrhundert zu Ravenna verfafste griechische Kosmographie
übersetzt hat, für uns eine gewisse Bedeutung, weil seine Nachrichten
über Italien zum Theil einer Karte oder einem Itinerar etwa des drit-
ten Jahrhunderts angehören.^)
Unter den griechischen Schulbüchern hat die Periegese des Di o-
nysios die weiteste Verbreitung gehabt. Sie beschreibt die Erde in
1187 Hexametern und 'ist nach älteren und jüngeren Quellen bunt
durch einander wahrscheinlich unter Domitians Regierung abgefabt.
Sie wurde im vierten Jahrhundert von Avienus, um 500 von Priscian
frei übersetzt und fleifsig commentirt. Aufser älteren Schollen ist der
ausführliche und brauchbare Commentar des Eustathios aus dem zwölf-
ten Jahrhundert erhalten, i^) Ferner besitzen wir einen Abrifs der Erd-
künde von Agathemeros, welcher den Artemidor vielfach benutzt,
desgleichen von einem ungenannten Verfasser, der aus Ptolemaeos
1) G. lalii Solini collectanea renim memorabilium recogn. Mommseo,
Berol. 1864.
2) Diese kleinen Schriften finden sich in der S. 31 A. 2 angefahrten Samm-
lung von Riese vereinigt.
3) Bei Riese und bei Mflller geogr. gr. min. 11 513.
4) Ravennatis anonymi cosmographta et Guidonis [1119 in Piu] geogra-
phica edd. Finder et Parthey, Berol. 1860.
5) Das gesammte Material bei Mflller geogr. gr. min. D ; ebenso die beiden
folgenden Schriften.
} 10. Die Denkmaler. 87
nod anderen Geographen geschöpft hat. Endlich ist noch das grofse
Wörterbuch zu erwähnen, welches etwa im sechsten Jahrhundert Ste-
pbanosvon Byzanz unter dem Titel ^£^<xa in 60 Büchern ver-
öfleDtlichte : ein alphabetisches Verzeichnifs von Ländern Völkern
Städten mit vielen historischen Bemerkungen aus einer Menge von
Schriftstellern — 300 werden genannt — zusammen getragen. Leider
ist davon nur der gegen 700 gemachte Auszug des Hermolaos erhalten,
der ziemlich dürftig und ungleich gearbeitet erscheint: n^ P, 2 (zum
Theil) geben blofse Namen, X, V, ii beftiedigen am meisten, i)
§ 10. Die Denkmäler.
Wenn die Natur Italiens sich gleich geblieben ist jetzt wie vor
zweitausend Jahren , so hat sein geschichtliches Leben desto gröfsere
Umwälzungen erfahren. Die nächste Aufgabe der Landeskunde ist
darauf gerichtet die Topographie festzustellen , Lage Ausdehnung Ge-
schichte Charakter der antiken Städte und Ortschaften zu ermitteln.
Die Bedingungen, welchen Städte ihre Entstehung und Blüte wie auch
ihren Niedergang verdanken , haben im Lauf der Zeiten gewechselt.
Beim Aufdämmern italischer Geschichte, im classischen Mittelalter, wie
man wol sagen daff, sind sie vor allen Dingen Festungen. Die unauf-
hörliche Fehde zwingt Schutz und Sicherheit zu suchen : eine feste
Höhenlage, die den Angriff erschwert und die Vertheidigung erleichtert,
gilt als oberstes Erfordernifs ftlr eine städtische Ansiedlung. Der Ver-
kehr allein , welcher an die Flüsse und Meeresbuchten gefesselt ist,
treibt dazu auf den natürlichen Schutz zu verzichten und ihn durch
gesteigerte^ Anstrengungen künstlich zu ersetzen. Auf den nämlichen
Standpunct ist das christlich-germanische Mittelalter, welches den Ord-
nungen des heutigen ItaUen vorausgeht, im Wesentlichen zurück-
gekehrt. Dazwischen liegt eine total verschiedenartige Entwicklung.
Nach dem hannibalischen Kriege und dem Erwerb der Weltherrschaft
lassen die Städte ihre Mauern verfallen , legen den Festungscharakter
ab, hebt die längste Friedensperiode an, deren das Land jemals ge-
nossen hat. Ein halbes Jahrtausend hindurch ward es von keinem
auswärtigen Feind betreten, den inneren Kämpfen machte die Monar-
chie ein Ende. Der Reichtum, den der eigene Boden erzeugte, den
die unterworfenen Nationen . mehrten , hat sich in jenen gewaltigen
1) Rec. A.Meineke, Berol. 1850. Niese de Stephan! Byzantii auctoribus
Kiel 1873.
88 Einkitii^. Die OoeUea.
Anlage« geSubeit, deren Trttimner der Landechafl ihr eigentttmliches
historisches GeprSge verleihen. Die Hasse derselben gehört der Jünge-
ren Epoche nadi der Besi^fung Karthago's, vorndunUch der Kaiseraeit
an. Indefe fehlt es nicht an Zeugen aus der alten kriegerischen Ver-
gangenheit: wir begegnen Bauten, welche die Namen römischer Könige
tragen , Meisterwerken altgriechiscber Kunst, etraskischen campani-
schen apulaschen GrUberschätzen ; mk Eifer spürt die Forschung un-
serer Tage den Deberresten einer Cukurstufe nach , auf welcher die
Metalle noch nicht in den gewöhnlichen Gebrauch Übergegangen waren.
Auf die Unterscheidung der verschiedenen Epochen^ die EinfQgung
der Denkmäler in dieselben richtet die Topographie ihr Augenmerk
mit besonderer Sorgfalt. Solche Aufgabe Wd durch den Uebelstand
erschwert, dafs die monumentale und die litterarische Ueberlieferung
selten zusammen klingen , da die eine redet wo die andere schweigt.
Die Namen jener Pfahldörfer in der Aemilia sind verschollen. Wir
fragen vergebens, wie so manche Stadt, welche nach Ausweis ihrer
Monumente, während sie frei und unabhängig war, machtvoll geblüht,
denn eigentlich in den Annalen geheifsen hat Umgekehrt, ward be-
reits gelegentlich erwähnt (S. 21), wissen wir einen grofsen Theil der
in der frühsten Kriegsgeschichte vorkommenden Ortsnamen nicht mehr
auf der Karte unterzubringen. Der Umschwung der Zeiten mufste den
Mitlebenden viel fühlbarer als uns sich aufdrängen: Cato weifs von
verschwundenen Städten zu melden , Plinius zählt 53 Gemeinden aus
Altlatium auf, die spurlos zu Grunde gegangen waren. Eine moderne
Darstellung des Landes kann nicht von der Epoche nationaler Blüte
ausgehen, als die Stämme mit einander um die Herrschaft rangen ; sie
hat von der Epoche materieller Blüte, die um den Preis der Freiheit
erkauft ward , von der Kaiserzeit auszugehen. Durch Augustus wird
Italien bis an seine natürlichen Grenzen vorgerückt , werden die ab-
schliefsenden Ordnungen getroffen , deren Wirkungen fast bis in die
Gegenwart hinabreichen. Auf das augustische Italien Beziehen sich
die ausfuhrlichen Berichte von Strabo und Plinius, die Itinerarien,
die Hasse der Monumente. Die auf dieser gesicherten Unterlage
ruhende Kenntnifs vermittelt allein die Kenntnifs der republikanischen
Zeit und vergönnt hie und da einen Einblick in das Werdegrauen zu
thun, in dem die Sage schallet.
Eine Vergleichung des heutigen Italien mit dem des Augustus
lehrt alsbald, dafs die grofsen Städte der Gegenwart mit Ausnahme
von Venedig und Livorno bereits im Altertum vorhanden waren uad
} 10. Di^ Deakmüer. 39
mil den durch die Lautgesetze der italieuMchen Sprache bedingten
Acodeningen noch jetzt die alten Namen tragen. Von der Gesammt»
zahl autonomer Städte dagegen , welche dag ofiQcielle Verzeichnib bei
Piinins enthält, ist reichlich die Hälfte zerstört oder durch neuere
Gründungen ?erdrängt Der Heif ang läfst sich leicht erkUüren. Wie
bei einem erstarrenden Körper das Leben aus den GUedern entflieht«
während das Herz noch schlfigt, so hat bei der allgemeinen Auflösung
im 5. 6. 7. Jahriiundert die Bevölkerung sich in die Hauptstädte zu-
sammen gedrangt. Zwar theilten auch unter diesen viele das Los der
Eroberung und Zerstörung : aber die günstige Lage lockte stets neue
Ansiedler heran und rettete ihren Bestand; denn es giebt viele Orte
wo der Verkehr gebieterisch eine Stadt fordert und solche gewisser
Marsen elementar von selbst schafft Anders mit den mittleren und
iüeinen Landstädten. Während der zunehmenden Entvölkerung am
Ende des römischen Reichs sterben manche derselben völlig aus,
Menschenarmut und ungenügender Anbau des Bodens hat namentlich
in den Ebenen zur Folge, dafs bösartige Fieber Jahraus Jahrein die
Gegend heimsuchen. So trieb das Fieber den Rest der Bewohner fort in
gesundere Landstriche, Als neues Motiv kam die Rücksicht auf persön-
liche Sicherheit hinzu. Die offenen Verkehrsstädte der Kaiserzeit bie-
ten in den Stürmen der Völkerwanderung, den Fehden des Hittelalters
keinen Schutz. Statt ihn mühvoll aufzurichten, verläfst man die Ebene,
sucht die Höhe auf, erbaut eine Burg, kehrt zu den Anfängen zurück,
von denen die Stadtgeschichte ausgegangen war : ein neuer Kreislauf
beginnt. Die Umwandlung des antiken in das mittelalterhche Italien
erfolgt weder plötzlich noch unvermittelt ; es sind nicht die Barbaren,
wie eine naive Betrachtung der Vergangenheit annimmt, welche in
das schöne Land einbrachen um keinen Stein auf dem anderen zu
lassen. Der Uebergang vollzieht sich langsam und allmäUcb : der Zahn
der Zeit, die Wirkung vieler Jahrhunderte hat die stolzen Schöpfungen
des Römertums umgestürzt.
Am Wenigsten haben diejenigen gelitten , welche das Mittelalter
hindurch in Gebrauch büeben. So sind die verwitterten Ringmauern
vieler Bergstädte nach langer Vernachlässigung unerwartet durch das
herrschende Faustrecht wieder zu Ehren gekommen. Einzelne Brücken
entgingen der Zerstörung. Und wenn auch Schutt das Pflaster ver-
deckte, Uefs sich der Zug der Strafsen selbst nicht verwischen. Tun-
nels und Abzugscanäle leisteten und leisten ohne Unterbrechung ihren
Dienst Ferner hat die Kirche ihren schützenden Arm über manche
40 Emldtiing. Die Qaelien.
Tempel ausgebreitet, deren Inhaber sie durch ein Bild des geoffen-
barten Gottes ersetzte. Dies ist jedoch nur ein Bnichtheil des ehe-
maligen Bestandes. Als die Kirche die Hinterlassenschaft ihrer Vor*
gängerin antrat, hatte sie dieselbe den Zwecken des christlichen Cultus
anzupassen und hielt es in vielen Fällen ftlr ratsam die abgöttischen
Gedanken, welche im Herzen der Menschen an die baufälligen Heiden-
tempel anknüpften, durch Abreifsen und Errichtung eines neuen wür-
digen Gotteshauses zu bannen. Derart sind die altcbristlichen Kirchen
theils auf dem Grund und Boden , theils mit den Werkstücken der
Heidengötter erbaut worden. Ihre Zahl ist höchst ansehnlich und allen
Wandlungen durch Feuer und Umbau, allen Entstellungen des neuern-
den Geschmacks zum Trotz bleibt ihr Alter und ihre Beziehung auf
das Altertum in der Regel unverkennbar. Endlich den Rest der Tempel
liefs man ab Steinbruch bei Seite und gab ihn der langsamen Zerstö-
rung preis. Das nämliche geschah mit jenen grofsartigen Anlagen,
welche eine überfeinerte Civilisation zum gemeinen Nützen wie zum
gemeinen Zeitvertreib in überschwänglichem Umfang ans Licht ge-
rufen hatte. Für Wasserleitungen Basiliken Thermen Theater und
Amphitheater hatte das Mittelalter keine Verwendung. Wenn von den
letzteren verhältnifsmäfsig viele Ueberreste vorhanden sind, wird dies
durch den Umstand erklärt, dafs sie als Burgen und Gastelle einge-
richtet wurden. Nach dem Gesagten ist die Zahl der unversehrt erhal-
tenen Bauwerke gering und verschwindet ganz neben der Masse der
Ruinen. Beide sind über die verschiedenen Landschaften gar ungleich
vertheilt. Man kann ihr häufiges oder seltenes Vorkommen hauptsäch-
lich aus drei Ursachen ableiten. Erstens besitzen Städte und Gegen-
den, welche im Altertum die üppigste Blüte entfalteten, einen gröfse-
ren Vorrat an Denkmälern als solche welche eine niedrige Stufe des
Wolstands und der Bildung einnahmen. Deshalb sind römische Denk-
mäler in der Nähe der Hauptstadt sowie in Gampanien am dichtesten,
in den abgelegenen und verkümmerten Landschaften des Südens am
dünnsten gesäet. Zweitens wird die Erhaltung in früh verödeten
Gegenden befördert, in wol bestellten und wol bevölkerten gefährdet
Die Monumente gehen vornehmlich zu Grunde, weil man die Steine
zu anderen Zwecken nutzt, aus der Marmorbekleidung Kalk brennt.
Sodann behindern sie den Städter und Ackersmann bei seinen Ver-
richtungen, werden deshalb absichtlich weggeräumt An menschen-
leeren Orten haben sie allein die Angriffe von Wind und Wetter und
der organischen Natur auszuhalten: das Material lockt Niemanden, es
f 10. Die DeDkmiler. 41
VeOen weit fortschaffen lohnt nicht, für den Bedarf der Einheimischen
B( Qbergenng da. Dieser Gesichtspunct kommt wesentlich in Betracht
um den grOfsereu Ruinenreichtum Hittelitaliens gegenüber dem Nor-
den zn erklären. Drittens hängt die Erhaltung von der Beschaffenheit
des Materials ab. Der Marmor ward zum Schmuck der Kirchen ver-
wandt oder in den Kalköfen zu Mörtel verwandelt Die Eisenklam-
mem, welche die Quadern verbanden , lieferten einen geschätzten Ar-
tikel ftlr eine Epoche, in welcher der Bergbau vollständig stockte. In
den Polanden^ welche keinen Haustein besitzen, gewann jeder Mauer-
stein einen anderswo unbekannten Wert Umgekehrt ist die Erhal-
tung so vieler uralter Polygonalmauern im Appennin daraus zu erklären,
dais das Material fOr Neubauten unbrauchbar und damit absolut wert-
los ist Dies sind die wichtigsten Gesichtspuncle, welche hinsichtlich
der Verbreitung der Denkmäler sich aufstellen lassen. Die Alten bau-
ten mit einem Ueberschufs an Kraft, als ob sie ihren Werken ewige
Dauer bestimmt hätten. Wo des Menschen Hand sie unberührt liefs,
ist das Gefage ihrer mächtigen Quadern unverrückt geblieben, hat ihr
unverwüstlicher Mörtel sich nicht gelockert Die Zerstörung hat wenn
man will überhaupt keinen Anfang, da sie den Fortschritt der Cultur
unzertrennlich geleitet Der Frieden reifst die Schranken nieder, die
das Faustrecht errichtet, das elterliche Haus wird den Kindern zu enge
und so geht es weiter von Geschlecht zu Geschlecht Aber am Ausgang
des Altertums wird das Erbe der Vorfahren nicht in der bisherigen
Weise verwaltet und vermehrt; es wird angegriffen und langsam auf-
gezehrt. Zu Anfang des sechsten Jahrhunderts liefert Cassiodor von
dem allgemeinen Verfall anschauliche Schilderungen. 0 Das Uebel ist
ärger geworden, und man kann sich nicht darüber wundern, dafs die
mittelalterliche Barbarei so wenig, weit eher, dafs sie noch so viel von
dem Glanz der Vorzeit verschont hat. Auch in den helleren Jahrhun-
derten, welche nachfolgten, hat das Zerstörungswerk niemals geniht
Zwar haben einzelneStädte schon frühzeitig Vorkehrungen getroffen
ihre bedeutenden Denkmäler vor völligem Untergang zu schützen.
Doch ist es erst dem historischen Sinn der Gegenwart gelungen wei-
teren Kreisen die Pflichten der Pietät gegen die Vergangenheit einzu-
1) Var. m 9. 10 Verfall in Ravenna, III 31 X 30 in Rom, m 49 in GaU-
nea, IV 18. 34 Plfinderung der Gräber, Vffl 29. 30 Verfall in Parma, Vm 31 in
Brottiam, Vm 32 in Syrakus, XU 18. 19 der Via Flaminia. Ueber die Zer-
fttönmgagesehichte von Rom vgl. Jordan Top. I 1,60 — 68. Weitere Relege
wird der zweite Rand in Menge liefern.
42 EiDleilung. Die Quelleo.
schärfen und das Bewufetsein solcher Pflichten bei den Regierenden
wachzurufen.
Eine erhöhte Bedeutung gewinnen die Denkmäler durch die In-
schriften, die sie tragen. Ihr Wert wird geschmälert wo solche fehlen;
denn kein Scharfsinn und keine Gelehrsamkeit kann das uriiundliche
Zeugnifs des geschriebenen Wortes ersetzen. In der That nimmt die
Inschriftenforschung auf dem Gebiet des Altertums annähernd dieselbe
Stelle ein wie die Urkundenforschung für den Historiker der Neuzeit.
Aus dieser Quelle fliefst unsere einzige Kenntnifs der Sprachen, wetebe
durch das Idiom der Römer verdrflngt worden sind. Die in unserem
Jahrhundert mit reichstem Erfolg betriebene Ausbeutung der Nekro-
polen hat über Kunst und Handel, Sitte und Glauben des vorrömischen
Italien vielfache Aufschlüsse gewahrt, die in der Folge (Kap. XI) be-
sprochen werden sollen. Daneben steht der Ertrag für Topographie
zurück , einmal weil Ortsangaben verhältnifsmäfsig selten begegnen,
sodann weil eine gleichzeitige einheimische Litteratur fehlt um die In-
schriften zu erläutern. Beide Misstflnde fallen bezüglich der lateinischen
Schriftdenkmäler fort. Wenige derselben reichen in die kriegerische
Vorzeit hinauf, nach der karthagischen Not nimmt die Zahl langsam
zu , mit der Errichtung der Monarchie beginnt ihr massenhaftes Auf-
treten. Schon früher amtlich eingeführt, hat die lateinische Schrift-
sprache nunmehr das ganze Land bis auf ein paar Griechenstädte er-
obert. Wir kennen etwa 60—70 000 Denkmäler derselben und jedes
Jahr, fast kann man sagen, jeden Tag entsteigen dem Erdboden neue.
Meistens sind es Grabsteine, welche das Andenken recht gleichgültiger
Personen wach rufen. Am Ausgang der Republik hat die Sitte die
Todten an den Landstrafsen zu bestatten und durch ein sichtbares
Monument zu ehren allgemeinen Eingang gefunden. Derart dienen
diese Friedhöfe einmal um den Lauf der Strafsen genau festzustellen.
Und wenn auch die Leichensteine vielfach, wie nicht anders sein kann,
Namen und Altersangaben melden, die an sich jeder Bedeutung ent-
behren, so vermag eine zusammenfassende Behandlung ihnen wichtige
Belehrung zu entnehmen , wie denn ihr häufiges oder seltenes Vor-
kommen auf den Culturstand der betreflenden Landschaft sichere
Schlüsse ziehen läfst Sodann werden sie oft gesprächiger, nennen
nicht blos Namen und Alter, sondern zugleich die Stelle, welche der
Verstorbene im Leben eingenommen hatte. Manche zerstörte und
verschollene Stadt hat durch derartigen Hinweis ermittelt werden
können. Ueberhaupt besitzen die Inschriften für historische Landes-
} tO. Die Deoknller. 48
konde eiBea unscfaftUbaren Wert: sie verbreiteo Licht ttber die reli-
|iteB politisclien socialen ZustAnde, lehren die landschaftlicheo Götter
ood ihreo Dienst, die BeamteQ uod Stande, die Gewerke und Genossen-
ichaflen, die Bauten und Lustbarkeiten kennen, führen kurz gesagt
aunitt^Ibar in das tägliche Leben der Städte ein.
Seit deoi Anfang des sechszehnten Jahrhunderts sind öffentliche
und private Samndungen angelegt worden, welche der Vernichtung
dieser kostbaren Steine aUmälich Einhalt geboten haben* Bereits vor-
her war der Anfang gemacht die Steine abzuschreiben und damit zum
Gemeingut der Wissenschaft zu machen. An dem fröhlichen Auf-
schwung d«r antiquarischen Studien gebührt den Germanen ein her-
vorragender Antheil: nicht blos die ersten, auch die bedeutendsten
inschriftenwerke sind diesseits der Alpen erschienen (Smetius, Leyden
1588; Gruter, Heidelberg 1603). Die Religionskriege, welche den
Norden zerfleischten, lösten das Band, das ihn zu gemeinsamer Arbeit
mit dem Süden vereinigte ; hüben zieht sich das Allertumsstudium auf
die Litteratur, drüben auf die Monumente zurück; die Epigraphik
wird für zwei Jahrhunderte eine italienische Wissenschaft. Das Mate-
rial wudis fortwährend an und fand einzelne begabte Bearbeiter, ward
aach in neuen Sammelwerken zur allgemeinen Kenntnifs gebracht
(Fabretti, Rom 1702; Muratori, Mailand 1739 fg.). Allein wenn man
ein allgemeines Urtheil fällen soll, wenn man die unglaublichen
Falachungen auf Stein und leider auch auf Papier, die Unwissenheit
und Vertrauensseligkeit, die Akrisie und Zerfahrenheit, welche sich
auf diesem Gebiet breit machten, ins Auge fafst, so drängt sich unwiU-
korlich auch hier die Wahrnehmung auf, welch giftiger Mehlthau mit
der kirchlichen Reaction die farbenprächtige Blüte der Renaissance
befallen hatte. Dals dieser Wissenszweig nicht völlig versumpfte, ward
durch die redliche Arbeit von wirklichen Gelehrten, an denen es Italien
nie gefehlt hat, verhütet. Unter diesen haben Gaetan o Marini und
sein Schüler Bartolommeo Borghesi (gest. 1860) die Epigra-
phik am meisten gefördert Letzterem sollte von auswärts der wirk-
same Beistand kommen, den er in seinem geknechteten Vaterland
schmerzlich vermifste. Durch Winckelmann waren die alten so lange
unterbrochenen Beziehungen zwischen Nord und Süd wieder ange-
knüpft, durch die Stiftung des Archäologischen Instituts in Rom ge-
festigt worden. Freilich die Gunst der herrschenden Zeitströmung
kam den lateinischen Inschriften vorab nicht zu Gute. Diese gehörten
<)er Epoche des nationalen Verfalls an und gewährten für jenes grofse
44 Einleitung. Die Quellen.
Römertum der Vorzeit, welches Nie buh rs schöpferische DivinatioD
hervorgezaubert hatte, scheinbar keinerlei Ertrag. Das Land dessen
Vergangenheit er zu neuem Leben erweckte, hat der Meister Öfter im
Bilde seiner Vorstellung als mit sehenden Augen angeschaut. Noch
als preursischer Gesandter in Rom konnte er leugnen i), dafs „es einem
ehrlichen Menschen anzusinnen wäre, in den zahllosen und zerstreu-
ten lateinischen Inschriften bewandert zu sein ". Schon ein Jahrhun-
dert zuvor war die Notwendigkeit einer zusammenfassenden auf kri-
tischen Grundlagen ruhenden Sammlung anerkannt worden. Viele
Gelehrte, Franzosen und Italiener, Dänen und Deutsche haben nach
und mit einander den Plan in Angriff genommen, die Akademien und
Regierungen demselben ihre Gunst zugewandt. Aber man kam Ober
Vorsätze und Anfönge nicht hinaus, bis die Thatkraft eines Mannes an
die Reinigung des Augiasstalls erfolgreiche Hand anlegte. >) Seitdem
Tb. JMommsen die Epigraphik in den Hittelpunct der römischen
Altertumsstudien gerückt hat, ist das Ziel, dem die Landeskunde zu-
streben mufs, geklärt, die dahin führende Bahn geebnet worden.
Die Vergangenheit Italiens kann weder aus der Litteratur ohne
Unterstützung der Denkmäler, noch weniger durch Betrachtung der
Denkmäler ohne Kenntnifs der Litteratur erschlossen werden: die
philologische Geschichtschreibung Niebubrs, die archäologische Ge-
schichtschreibung Micali's mulsten innerlich verbunden und ausge-
glichen werden , wie Mommsen durch seine glänzende Darstellung er-
reicht hat. Damit sind die Kriterien bereits angedeutet, welche als
Richtschnur für die Topographie zu gelten haben. Wir dürfen die
Lage einer Stadt nicht eher als gesichert ansehen , bis solche durch
Monumente erhärtet ist. Das Dasein von Ruinen schlechthin giebt die
geforderte Gewähr nicht, da dieselben oftmals Dörfern und Villen an-
gehören, mit nichten also dazu berechtigen ihnen auf gut Glück einen
herrenlosen antiken Namen anzuhängen. Vielmehr reicht die inschrift-
liche Beglaubigung allein aus um eine Frage über allen Zweifel zu er-
beben: sie ist für annähernd 300 von den 443 Gemeinden, welche
Augustus anerkannte, gegeben. Indessen darf dieser Grundsatz nicht
mit unerbittlicher Strenge zur Anwendung gebracht werden. In eini-
gen durch Tradition und Monumente gesicherten Städten versagen die
1) 1821 Kleine Schriften I 341.
2) Inscriptiones regni Neapolitani ed. Th. Mommsen, Lipsiae 1852, fol-
vgl. W. Henzen, die lateinische Epigraphik und ihre gegenwärtigen Zustande»
Kieler Monatoschrift 1853.
( 10. Die Denkmller. 45
luchriften aiu Zofidligkeiten, die theils auf locale Sitte und Armut im
Abertum, theils auf wiederholte Zerstörung, theils auf Achtlosigkeit
der Neuzeit zurttckzuftthren sind« Nach diesen Gesichtspuncten läfst
sich der Gemeindekatalog des Kaisers Augustus in drei Abtheilungen
leriegen. Die erste umfa&t die erhaltenen und monumental gesicher-
ten Stftdte. Hierher gehören die grofsen (S. 38) und eine Anzahl sehr
alter Städte, die vermöge ihrer Festigkeit allen Stttrmen Trotz boten.
An einzelnen hat die Zeit scheinbar kaum gerüttelt Andere sind zu
Ddrfem zusammen geschmolzen, deren Verwahrlosung gegen die Vor-
zeit grell absticht Noch andere haben die antiken mit mittelalterlichen
Benennungen vertauscht, seit der neuesten Aera sich indefs meist eines
besseren besonnen und ihren Heiligen den Laufpafs gegeben um zu
den stolzen Erinnerungen des Heidentums zurückzukehren. In dieser
ersten Klasse ist ungefähr die Hälfte des augustischen Verzeichnisses
einbegriffen. Die zweite enthält ein Drittel desselben : die zerstörten
und monumental gesicherten Städte. Oftmals ist eine neue Gründung
unter gleichem Namen in der Nähe entstanden. Oder die Lage ist
durch Denkmäler und Tradition unzweideutig gekennzeichnet: In-
schriften und Bauglieder finden sich in den umliegenden Gehöften
verstreut, der Boden birgt Trümmer und Fundstücke aller Art, na-
mentlich auch Münzen. Die Münzfunde haben für den Topographen
einen zi^nlich beschränkten Wert, dienen aber immerhin dazu eine
untere Zeitgrenze für die Dauer der Ansiedlung zu gewinnen. Ein
eigentümlicher poetischer Reiz hegt auf diesen veriassenen Stätten.
Der Regel nach hält ein ehrwürdiges Gotteshaus, in welchem etwa
sonntäglich Messe gelesen wird, das Andenken der Vergangenheit wach:
ein rühmliches Zeugnifs für die Pietät^ mit der die katholische Kirche
ihren Cultus pflegt, zugleich ein klarer Beweis dafs diese Ortschaften
erst nach Einführung des Christentums verödet sind. Als letztes Fünftel
bleiben die Städte unsicherer Lage übrig. Sie sind unseren Blicken
entschwunden theils wegen ihrer Kleinheit theils wegen ihres frühen
Untergangs. Mit ihren Namen haben manche nach Willkür geschaltet;
doch wird unsere Kenntnifs durch glückliche Entdeckungen zwar
langsam aber stetig erweitert. Endlich sind auch eine Anzahl t;tct und
mi, Ortschaften ohne Stadtrecht , ihrer Lage nach bestimmt und tra-
gen zur Belebung der Karte von Altitalien bei.
Seit der Renaissance hat sich die Beschäftigung mit den Alter-
tttmem über das ganze Land bis in die abgelegensten Winkel hinein
verbreitet Es giebt kaum eine Ortschaft von einer gewissen Vergangen-
46 EiDleitnng. Die QaeUen.
heit, die nicht ihren Geschichtachreiber oder gar eine Reihe Ton sei*
chen aufzuweisen hätte. Mag das Nest auch noch so weltvergessen
sein, es birgt regeknäfsig einen sog. Gelehrten {dotto dd paese) in sei-
nen Mauern , der des freiwilligen Amtes wartet über dem Ruhm der
Heimat zu wachen. Dergestalt ist im Lauf von drei Jahrtiunderten eine
umfangreiche sowol gedruckte als handschriftlich erhaltene Municipal-
litteratur angewachsen, die selten über die engeren Grenzen der Land-
schaft, geschweige denn ins Ausland dringt. Einzelne Werke leuchten
wie Perlen aus dem Schlamme hervor, aber der Perlen sind wenig und
es kostet Ueberwindung nach ihnen zu suchen. Dafs Jemand aus dem
Gepräge eines in seinem Dorfe aufgefundenen römischen As denSchlufs
zieht, Noah habe hier eine Stadt gegründet, dafs ein Anderer eine Dar-
stellung von Amazonenkämpfen für ein Denkmal des Raubes der Sabt-
nerinnen ausgiebt, ist eine unschuldige Probe municipaler Gelehrsam-
keit. Wenn dagegen die Verfasser ihre eigenen Träume als uralte Tra-
ditionen hinstellen, von Ruinen schwindeln, die es nie gegeben hat,
Inschriften erfinden und fälschen , wenn um die Heimal des Properz
ein Kampf entbrennt wie weiland um den blinden Homer, wenn die
päpstliche Unfehlbarkeit angerufen wird um den Lauf des Rubicon zu
ermitteln, wenn der jeweilige Minister darüber befinden soll, ob ein
bei Plinius und Ptolemaeos stehender Name der einen Gemeinde zu-
kommt oder ihrer nachbarlichen Rivalin, wenn antiquarische Kreuz-
spinnen noch im Licht der Gegenwart ihre Fäden ziehen — dann fühlt
man sich versucht des Tacitus Urtheil über das laeivm antiquüatäm
Graecorutn gmus auf dessen eigene Nachfahren zu übertragen. Und
doch ist es ein Funke ächten Bürgersinns und Bürgerstolzes, der unter
dieser Asche fortglimmt: den wackern Männern, welche ihn gehegt,
welche unter dem Schmutz ihrer Umgebung, unter dem Mttssiggang
ihrer Standesgenossen den Glauben an die Vorzeit heilig gehalten haben,
gebührt die Achtung und Anerkennung glücklicherer Geschlechter.
Die topographische Ausbeute aus diesen Municipalgeschichten ist im
Verhaltnifs zu ihrem Umfang gering: sie wird durch den Uebelstand
beeinträchtigt, dafs die Schreiber im engsten Bann des heimatlichen
Gesichtskreises befangen , das Thatsächliche als bekannt zu übergehen
pflegen. Vergleichsweise selten ist die Localgeschichle von einem
freieren Standpuncl aus behandelt worden. Was in solchem Falle die
geistige Klarheit und Feinheit, um welche wir die Romanen beneiden,
zu leisten vermocht, hat das Beispiel von Carlo Promis aus Turin
(1808 — 73) gezeigt. Es ist höchlichst zu bedauern dals dieser als
} 11. Die neueren Dantelloogen. 47
PHriot und Forscher gleich hervorragende Mann auf eine Gesammt-
(hnteiliing italischer Städtekunde ?erzichtet hatte, i)
§11. Die neueren Darstellungen.
Aus der Karolingerzeit werden noch Karten erwähnt und sind
tborographische Uebersichten Yon Italien Yorhanden.') Dann schwin-
det die Nachwirkung der antiken Tradition dahin , bis der Rückschlag
der Kreuzzflge das Herannahen einer neuen Zeit ankündigt.') Das
Volk welches zuerst das moderne Bewufstsein ausgebildet hat, giebt in
der Wissenschaft den Ton an : die Italiener beherrschen die Erdkunde
Tom 13. bis in das 16. Jahrhundert 4) Bereits 1119 stellt Guido von
Pisa aus der ravennatischen Kosmographie (S. 36) Solin und Paulus
(A. 2) eine rohe Beschreibung Italiens zusammen. Die ältesten erhal-
tenen Karten, welche bis gegen Anfang des 14. Jahrhunderts hinauf
reichen, überraschen durch die Treue, mit der die Umrisse des Mittel-
meers wiedergegeben sind. Die wissenschaftliche Darstellung ist erst
im vorigen Jahrhundert zu der gleichen Genauigkeit vorgedrungen,
wekhe jene Seefahrer aus Genua und Venedig mit den Mitteln der
Empirie erzielt hatten. Insofern veranlafste, wenn man will, die grie-
chische Geographie einen zeitweiligen Rückschritt. Ptolemaeos
hatte der arabischen Wissenschaft als Führer gedient und übernahm
roit seinem Bekanntwerden im Abendland auch hier ohne weiteres die
Leitung. Ins Lateinische 1410 übersetzt, 1475 zu Vicenza, 1478 zu
Uhn gedruckt, erlebte er im folgenden Jahrhundert 21 Ausgaben, von
denen 16 auf Deutschland kommen. Seine Bestimmungen wurden
nunmehr allgemein zu Grunde gelegt, und es trat der sonderbare Fall
ein , dafs diejenigen Erdräume den Zeichnern am besten gelangen , in
denen sie durch die Vorschriften des Meisters am wenigsten einge-
schnürt waren, z.B. Deutschland ungleich viel besser als Italien. Einige
1) Vgl. die Gedächtnirsrede von R. Schöne, Archäolog. Zeitung XXX VI
(1877).
2) Papst Zaeharias ISrst 741 im Tricliniam des Lateran eine dneripHo
orMs Urrarum malen Hb. pontif. 18. Ueber die Karten Karls des Groben
Bohird Tita 33. Bescbreibnng Italiens bei Panhis bist. Langobard. II 15 — 24
und der allere von diesem benutzte catalogus pr&vinciarum liaHae (u. A. im
Anhang zur kleinen Ausgabe des Paulus, Hannover 1878, abgedruckt).
3) 0. Pescbel, Geschichte der Erdkunde, Manchen 1865, 2. Aufl. 1877.
VWien de Saint-Martin, histoire de la g^ographie, Paris 1873.
4) 0. Pescbel, Abhandlungen zur Erd- und Völkerkunde beransgeg. von
Löwenberg, Neue Folge, Leipzig 1878, p. 111 fg.
48 Einleitoog. Die Qaellen.
neue BreitenbestimmuDgen wurden allerdings gemacht, doch in ge-
ringer Zahl und mit Fehlern bis 10 Minuten (Rom nach Regiomontan
420 2' statt 410 54'). Was dagegen die GrOfse der Grade betriffi, so
tappte man bis auf die Erdmessung von Snellius (1617) und was die
Bestimmung der Lfingen betrifft, bis auf die gleichzeitigen Arbeiten
Keplers in dem nämlichen Dunkel herum, in dem' Ptolemaeos und seine
Vorgänger sich bewegt hatten. Unter den italienischen Kartenzeich-
nern, die wir aus Alberti oder Ortelius ') kennen lernen, verdient Ja-
copo Castaldo aus Piemont (1543) eine ehrende Erwähnung, wäh-
rend der Neapolitaner PirroLigorio seine allen Inschriftkundigen
sattsam bekannte geile Phantasie spielen läfst. ^) BeiGirolamoRus-
celli (1561) findet PescheP) für die Breiten einen mittleren Fehler
von 00 47^ der aber bis 1 ^25' wächst, fQr die Längen einen bis 6® 21'
anwachsenden Fehler. Derselbe Gewährsmann constatirt einen bedeu-
tenden Fortschritt bei A n to n i 0 Ma gi n i aus Padua (1596) und doch
läfst auch noch Magini das Land von Nizza bis Otranto 14V2O statt
110 14' sich erstrecken. Immerhin schien es nicht ausreichend die
Irrtamer des Ptolemaeos zu wiederholen : man fügte neue und zwar
Irrtümer bedenklichster Art hinzu. Ich weifs nicht welcher Schöngeist
auf den geschmacklosen Einfall geraten ist Italien nicht mehr mit einem
ausgereckten Eichblatt wie Plinius oder dem Rückgrat eines Fisches
wie Biondo, sondern mit einem menschlichen Bein zu vergleichen.
Alberti (1550) führt das seitdem typisch gewordene Bild in aller Breite
aus. Das Bild hatte zur Folge, dafs man das Knochengerüst des Fufses
auf den Bau des Gebirgs übertrug, den Appennin sich gabeln und einen
Arm in die vermeintliche Ferse d. h. die aus niedrigen Tertiärhügeln
bestehende apulische Halbinsel auslaufen liefs, ferner, da der Garganus
den Sporn am Stiefel — eine Variation des ursprünglichen Themas,
schon bei Cluver — darstellen sollte , diesen getrennten Gebii^gsstock
mit der Hauptkette in Verbindung setzte. Der ganze Mythus, den die
1) Theatram orbis terraram, AotTerpiae 1570. lieber die älteren Plane
TOD Rom unterrichtet man sich bei de Rossi, Piante iconograficbe e prospet-
tiche di Roma anterior! al secolo XVI, R. 1879. PlSne von anderen St&dten
Italiens in Sebastian Münsters Gosmographey, Basel 1544 (lateinisch 1560): ich
benütze eine Ausgabe von 1578.
2) Das Gleichnirs Biondo's (S. 49 Anm. 1) entstellend zeichnet er das Süd-
ende des Landes als Schwanzflosse, erfindet eine Insel der Kalypso and ähn-
liche Scherze.
3) Geschichte der Erdkunde p. 371 nach Espositioni di Girolamo Rnseelli
con XXXVI nuove tavole, Venetia 1561.
§ 11. Die neueren Darstdlnngen. 49
Aeheren nicht kennen, der aber auf den Quverscben Karten (1624)
scboD voll ausgereift begegnet, hat unheilvoll gewirkt und dämmert in
vielen Köpfen noch jetzt fort.^ Wenn demnach den Darstellern eine
richtige Anschauung von den horizontalen Umrissen des Landes ab-
ging, 80 ist selbstverständlich auch keine solche in Betreff der senk-
rechten Erhebung zu erwarten. Man sucht vergebens bei Cluver und
seinen Vorgängern nach Angaben über die Gestaltung des Terrains
oder die Höhe der Gipfel. Die Zeichnung der Gebirge ist regellos und
hat den Beschauem mit Recht den Eindruck von verstreuten Maul-
winfshflgeln hervorgerufen. Es befremdet nicht bei Sebastian Münster
Ton einer Erhebung von 2 — 3 deutschen Meilen zu lesen, hat doch
der berühmte Riccioli (1672) Gipfel von 10 — 15 Meilen Höhe für
möglich gebalten. Erst um 1700 beginnen wirkliche Hohenmessungen.
Doch genug: es ist klar dafs die historische Beschreibung des Landes
in den bedeutenden Werken des 15. bis 17. Jahrhunderts der erfor-
derlichen (diysikalischen Grundlage entbehrte.
Die Denkmäler ergriffen die Gemüter im neuen Italien mit un-
widerstehlicher Gewalt. Petrarca trug sich mit geographischen Plänen.^)
Ausgeführt wurden dieselben erst durch Flavio Biondo aus Forli
(1388 — 1463), der unter vier Pontificaten das päpstliche Sectetariat
bekleidete.') Bevor der treffliche Gelehrte sein grofses Geschichtswerk
vom Verfall des römischen Reichs bis auf die Gegenwart vollendet
hatte, veröffentlichte er 1445 die Roma ifutaurata, die erste wissen-
schaftliche Topographie der Stadt 4), sodann 1453 die Italia iüuUraia,
die erste wissenschaftliche Chorographie des Landes, der wir seit dem
Altertum begegnen. Eine lange Reihe von Jahren hatte er auf die
Arbeit verwandt, viele G^enden selbst bereist, viele Nachrichten von
gelehrten Freunden und von Eingebornen eingezogen« Er äufsert ge-
legentlich^), dafs Niemand seit Augustus und Plinius an eine solche
1) Plio. in 43 est ergo foUo maxume quemo adsimilaia mulio proeeri-
£a(e ttmpHor quam latitudine, Blondus p.294 (opp. Basil. 1531) habet ItaUa
dortum et eeu in pücibus esse videmus a capite in tnfimam partem spinae
fermam jipennimtm, Alberti p. 4 (1588), Cluver p. 24.
2) G. Voigt, Die Wiederbelebung des dasrisehcn Aitertlnims I' p. 158;
Borckhardt, Die Gnltor der RenaissaDce in Italien H* p. 16 A.
3) Alfred Masios, Flavio Bioodo, sein Leben ond seine Werke, Diss.
Uipsig 1879.
4) Um 1471 znerst gedruckt und mehrfach wiederholt üeber den Wert
Jbrdan Top. 1 1 p. 77.
5) In einem Brief von 1443 bei Voigt II> p. 514.
!!!■••«, lUL LaadMltuid«. I« 4
50 £mleitiiDg. Die Qodicn.
Aufgabe HaDd angelegt habe. Sie ward auch nicht zu Ende geführt:
ab Biondo sich 1453 zur Veröffentlichung entachlob, fehlten von den
18 Regionen, in welche er das Land einUieilte, die yier südlichsten
(Lucanien Bruttium Otranto Calabrien) und sind später nicht nach-
geholt worden. Als Vorbild wählt er PUnius und beschreibt die Gegen-
wart unter steter Rücksichtnahme auf die antike und mitteUlterUche
Geschichte 9 ohne dafs Vollständigkeit in der einen oder anderen Be-
ziehung erstrebt wäre. Als erster Versuch verdiente dieser schlichte
verständige Abrifs vollkommen den Beifall, welchen ihm die Zeit-
genossen entgegen brachten. Er ward 1474 zuerst gedruckt, mehrfach
im Original wie in italienischer Uebersetzung wiederholt.!) Kurz vor-
her waren PUnius 1469, der lateinische Strabo sowie Heia 1471, So-
linus 1473 in die Presse gewandert. Leider begann gar bald das Un-
kraut unter dem Weizen zu wuchern.
Der Stolz des Mittelalters auf die Heiligen und deren Reliquieo
hatte in der Renaissance weltlichen Ansprüchen den Platz geräumt.
Biondo verzeichnet bei jedem Ort sorgfältig die jetzigen wie die früheren
Bertlhmtheiten: die Topographie dient ihm zugleich als Ruhmeshalle.
Die Eifersucht der Städte erhielt damit eine neue Ringbahn eröffnet:
jede will es der anderen zuvorthun an Alter Denkmälern und grofsen
Hännern, jede will wenn nicht älter, mindestens ebenso alt sein als
Rom. Es hiefse der Falschmünzerbande zu viel Ehre erweisen, wollten
wir ihrem Treiben eine ausführliche Besprechung widmen. Aber der
Name des frechsten Betrügers, des Dominikaners AnniovonViterbo
(gest. 1 502 in Rom), des Erklärers von Berosus Xenophon Fabius Pictor
Gato und anderen selbstverfertigten Schriftstellern, des Entdeckers der
fabelhaftesten Steinschriften gehört allerdings hierher; denn fehlte es
auch nicht an Gelehrten, welche den Mönch nach seinem wahren Wert
würdigten, so pflegt in solchen Fällen die Masse der Glaubensseligen
zu überwiegen. Durch die municipale Ruhmsucht und Fälschung ward
die italienische Topographie vergiftet Dies offenbart sich weniger in
der Encyclopaedie des Raphael von Vol terra (1505)^), deren
ersten Theil eine Kosmographie d. h. eine Uebersicht der Länder und
ihrer Geschichte ausmacht, um so mehr in der ausführlichen und ein-
1) Erste Ausgabe Rom 1474, dann Verona 1478, in der Gesammtaosgabe
Basel 1531 und sonst. Mit der Roma inst zusammen übersetzt von Lodo
FaiiDO Venedig 1542 und mehrfach aufgelegt.
2) Raphaelis Volaterrani commentariorom arbaoorum libri XXXVUI o. 0.
Roma (?) 1505, neue Ausgabe 1003. Das 4. 5. 6. Buch enthalten Italien.
§11. Die neoeren Dantdlangen. 51
fliülsraGhen DarstelloDg TOD Leandro Alberti aus Bologna (gest.
1556). 0 Der Verfasser, zuletzt Generalinquisitor in seiner Vaterstadt,
gehorte demselben Orden wie Annio an und hatte in jungen Jahren
roUer Ehrfurcht die Schatze seines gefeierten Mitbruders mit eignen
Augen schauen dürfen. Er hat von diesen Offenbarungen weidlicheu
Gebrauch gemacht und ihnen in der Hunicipallitteratur Bürgerrecht
verschafft Das Biondo an Umfang und Reichhaltigkeit 5 — 6 mal über-
treffende , mit Yielen Karten ausgestattete Werk gewann ein grofses
Publicum: sein wissenschaftliches Ansehen war mit dem Auftreten
Clufers dahin.
Die unmittelbare Verbindung des Altertums mit der Gegenwart,
welche den Studien in Italien ihre eigentümliche Frische verlieh aber
auch jedes tiefere Eindringen unmöglich machte, löste sich diesseit
der Alpen von selbst Abraham Oertel vollzog die heilsame Tren-
nung auf dem Gebiet der Erdkunde, liefs auf den ersten modernen
(1570) den ersten antiken Atlas sowie das erste Wörterbuch alter 6eo~
graphie (1587) folgen. 2) Man wird schwerlich fehl gehen, wenn man
das wisseDSchaftlidie Verdienst dieses Schrittes nicht dem genannten
Geschäftsmann, sondern unserem grofsen Gerhard Mercator beimifst
Wie dem auch sei, so geschah der Ausbau alter Länderkunde, ihre me-
thodische Begründung durch Philipp Cluver (geb. 1580 zuDanzig,
gest 1623 zu Leyden). Dem Jüngling wies Scaliger seine Lebensauf-
gabe an, der er bis an sein vorzeitiges Ende treu blieb. Eine friedlose
Wanderacbaft führte ihn in Europa umher, zweimal hat er Italien und
SidUen zu Fufs durchmessen.^) Die Ruhmeshalle der Humanisten und
die mittelalterliche Tradition fanden vor diesen Augen keine Gnade,
aber mit eisernem Fleils hat er die gesaramte antike Litteratur durch-
gearbeitet, die Inschriften berücksichtigt und das chorographische Ma-
terial in unttbertroffener VoUsUfndigkeit gesammelt Gegen die Versu-
chungen kirchlicher Würdenträger war der gläubige Protestant gefeit
Ob die Fälschung auf Marmor oder Pergament, in der Form von In-
1) DeacrittioDe di tatU lUlia, Visegia 1660. 4. nod ebd. Isole apparte-
nesü alla Ilalia in mehreren ADflagen, ieh benntie eine solche von 1678.
2) Theatri orbis terrarum (S. 48 A. 1) parergon siTe veteris geographiae
Itlmlae commentariis geographicia et historids illostratae; dasn einTbetanrus
SeograpbicQS, Antverpiae 1687 und nebrfach wiederholt
3) Den harten Lebeoakampf des Mannes sehildert die GedachtniGirede von
I^iel Heinaiua Orationom ediUo nova, Lagd. Bat 1642, p. 148 fg. vgl. dia
Vorrede znr Sieilia antiqna.
4*
52 EiDleitnof. Die Qaellen.
Schriften oder von ErzähluDgen auftrat, gleichviel sie prallte ab. Es
ist wahrhaft erquickend zu lesen, wie der mutige Niederdeutsche den
ganzen fadenscheinigen Plunder von Aeneas und Evander, die rOmi«
sehen nicht minder als die albanischen Könige über Bord wirft. So
hat er seiner Zeit vorauseilend der historischen Kritik eine Stätte be-
reitet. Seine Absicht die europäischen Lflnder des römischen Reichs
sämmtlich zu behandeln ward durch den Tod vereitelt; aber die Voll-
endung wenn auch nicht den Druck seines Hauptwerks zu erleben blieb
ihm vergönnt. 1) Die Italia mUiqua ist seitdem die Grundlage aller cho-
rographischen Forschung gewesen. Auf die Schwächen ward bereits
früher (S. 49) aufmerksam gemacht. Cluvers Angaben über Entfer-
nungen sind unbrauchbar, da er dem Herkommen des sechszehnten
Jahrhunderts folgend, die altrdmische Millie Vs zu grofs, 60 statt 75 Hil-
lien auf den Grad rechnet. 2) Da er es femer unternahm die antiken
Ortsnamen möglichst vollständig auf den Karten unterzubringen , so
mufsten willkürliche Ansätze in Menge unterlaufen. Ueberhaupt fielen
bei einer Arbeit ähnlichen Umfangs die verschiedenen Theile ungleich
aus, waren Irrtümer und Hisgrifle im Einzelnen nicht zu vermeiden:
nur Schade dafs dieselben durch das Gewicht des Namens ein kanoni-
sches Ansehen gewannen und gedankenlos aus einem Buch in das an-
dere hinübergeschleppt wurden. Eine Menge solcher Irrtümer wurden
von einem Zuhörer und Begleiter Quvers auf seiner zweiten italieni-
sdien Reise, einem Gelehrten der mehr zu leisten versprach, als er
wirklich geleistet, von Lucas Holste aus Hamburg') in seinem Hand-
exemplar verbessert. Diese später veröffentlichten Randbemerkungen
bilden eine wichtige Ergänzung des Hauptwerks.^) Seitdem ist für
italische Chorographie in zusammenhängender Darstellung wenig Er-
hebliches hervorgebracht worden, da den Deutschen die Fühlung mit
dem Lande und seinen Denkmälern , den Italienern die Kenntnifs der
1) Italia anliqaa, Logd. Bat 1624, fol. 1338 Seiten; Heinsius besorgte
die Ausgabe. Sicilia aniiqna, com minoribas iosulis ei adiaceotibas, item Sar-
dinia Corsica ebd. 1619, fol. 510 Seiten.
2) Introdoctio in anirersalem geographiam tarn veterem qaam Dovam Hb. I
cap. 7, 2, Lngd. Bat. 1629. S nod öfter; ieh beoutie eine Amaterdamer Aus-
gabe von 1697.
3) Geb. 1596, convertirte 1627 su Paria aus denselben BeweggrOnden wie
später Winckelmann, ward Sekretär des Gardinais Barberini, starb 1661 als Vor-
steher der vatikanischen Bibliothek.
4) Lneae Holstenii annotatioaes geographieae, Rons 1666. 4. Ton Card.
Barberini herausgegeben.
{11. Die neuereD Dantellungen. 53
alteo namenüich der griechischen Litteratur verloren ging. Um so be«
deutender waren die Fortschritte, welche die physikalische Erforschung
des Landes seither gemacht hat.
In der Entwicklang der Erdkunde hebt um die Mitte des sieb*
zehnten Jahrhunderts ein neuer Abschnitt an: es galt die ausgedehnten
Eroberungen wissenschaftlich zu befestigen, auf das Zeitalter der Ent*
deckungen folgte das Zeitalter der Messungen. Wie langsam es damit
gegangen, mag die Notiz veranschaulichen, dals um 1753 aus Deutsch-
land nur von 22 Orten die Breiten und nur von ein paar die Langen
astronomisch bestimmt waren. Es gereicht den Franzosen zum ewigen
Ruhm , dafs sie das Material herangeschafit um GrOtse und Gestalt der
Erde zu ermitteln, dafs sie im eignen Lande das Muster und Vorbild
aller geodätischen Aufnahmen gegeben haben. Auf Grund solcher Auf-
nahmen konnte endlich mit der durch eine so hinge Tradition gehei-
ligten Herrschaft desPtolemaeos gebrochen werden. Durch Guillaume
Delisle erhielt das MHtehneer 1725 seine wirklichen Züge zurück.
Der treffliche Zeichner ward von einem noch grOfseren abgeldst, von
Jean Baptiste Bourguignon d'Anville (geb. 1697, gest 1782
zu Paris als Geograph des Königs). Danviile hat auch ein Handbuch
der ahen Geographie ^) verfafst, aber da er kein Griechisch verstand,
niufste er sich eng an unseren gelehrten und verdienten Landsmann
Cellarius anschliefsen.^) Vielmehr ruht seine Bedeutung durchaus
in der Kartographie. Kaum 200 Ortsbestimmungen standen auf der
ganzen Erdoberfläche zu seiner Verfügung: aber mit glänzender Divi-
nation wufste er aus Itinerarien und ähnlichen Quellen die richtigen
Umrisse der Länder zu gewinnen. Seine Karten zur alten Geographie
sind erst vor wenig Jahrzehnten durch bessere ersetzt worden.')
Inzwischen hat sich der Umfang des Erdwissens unendlich erweitert,
die Genauigkeit unendlich verschärft. Während die Alten sich auf die
wagrechte Gliederung beschränkten, haben wir seit Humboldt die Wich-
tigkeit der senkrechten Gliederung daneben kennen gelernt, wissen
unsere Kartenzeichner aufserdem die klimatischen Zonen, die Verbrei-
1) Geographie ancieone abrtgie 8 lom. Paris 176S.
2) Christoph Keller geb. 1638 zu Schmalkaldcn, gest 1707 su Halle: No-
ütia orbis aotiqui s. Geographia plenior ab ortn reram pnblicamm ad Goa-
suntinomm tempora orbIs teiraram fadem declarans 2 voll. Ups. 1701 und
mehrfach aufgel^.
3) Atlas anttqons Danvfllianas maior. Paris 1768 fol. 12 Blatt, von vielen
nachgcstoehen and ansgebeatet.
54 Einleitmig. Die OaeUen«
tung der Pflanzen und Thiere, die yerschiedensten Aeufserungen der
Coltur auf ihren Gemälden auszudrücken. Auch für Italien ist die
Grundlage, deren Cluver entbehrte, in wtlnschenswerter Sicherheit
vollendet Seit 1821 begann der piemontesiache Geoeralstab mit der
Aufnahme des festlflndiachen Königreichs, Alberto della Marmora fügte
mit eigener Arbeit und auf eigene Kosten die Insel Sardinien hinzu
(1845). Die Oesterreicher besorgten das übrige Oberitalien* und den
Kirchenstaat, die Franzosen Corsica. Endlich haben auch die neapoli-
tanischen Provinzen aufgehört eine terra incognita zu sein wie zu
Biondo's Zeiten, nachdem der italienische Generalstab die ungenügende
Karte Sicifiens von Smyth (1826) und die noch mangelhaftere Karte des
Festlands von Rizzi Zannoni (1808) durch Leistungen, die auf der Hohe
der Gegenwart stehen, ersetzt hat (1862 — 78). Desgleichen verdanken
wir der österreichischen und italienischen Marine wertvolle Aufschlüsse
Ober die angrenzenden Meere. Da im Verlauf unsei^er Darstellung auf
die genannten Arbeiten zurückgegriffen werden mufs, finden nur
einige Uebersichlsblfltter hier einen Platz, i) Die historische Forschung
hat mit diesem gewaltigen Aufschwung nicht Schritt gehalten. Die
ganze Lage der Altertumsstudien wird durch die Thatsache beleuchtet,
dafs ihre Ergebnisse noch nicht einen bildlichen Ausdruck empfangen
haben, dals ein Atlas antiquus von Italien vermifst wird, den wir seit
40 Jahren von Hellas besitzen. 2) Es steht zu hoffen, dab die veqüngte
1) Der catalogo del corpo di stato maggiore eDthalt ein reichhaltiges
Versetchnib von den kartographischen Arbeiten dieses Jahrhunderts. Die
oesterreichische Generalstabskarte (1 : 86 400) ist auüBerdem vielfach von den
einseinen Provinzen nachgestochen worden. Uebersichten:
carU dei Regi Stati (die altpiemontesischen Provinzen) 1 61. 1 : 500 000. 1853.
tarta corografica dell* Italia snperiore e centrale 6 Bl. 1 : 600 000. 1865.
carta itineraria delle provinee meridionali 4 Bl. 1 : 640 000. 1867.
Gern, Italien 12 BL 1 : 576 000 und 8 Bl. 1:864 000. Wien 1862 fg.
fi. Kiepert, Specialkarte von Ober- und Mittel-Italien 1 Bl. 1 : 800 000. Berlin 1860.
Ders., Spedalkarte von Mittel-Italien mit Berficksichtignng des Alterthnms 4BI.
t: 250 000. Berlin 1881.
Ders^ Nene Generalkarte von Unter -Italien mit den Inseln SicUien nnd Sar-
dinien 2 Bl. 1 : 800 000 Beriin 1882.
G. Mayr, Alpenatlas mil Sapplementen Blatt 4—11 1 : 450 000. Gottia 1870 nnd
aas anderen Jahren.
F. Bohnert, Italien 1 BL 1:2000 000. Stuttgart 1879.
2) H. Kiepert, AÜas antiquus, zwölf Karten zur Altan Geachichta, Beriin,
zuerst 1859, seitdem in 5. Anfl. o. J. Genauer von dem8eU>eB die su CIL. V
und IRN entworfenen Karten. — Spruner-Menke Atlas ant. Gotha 1865.
I tl. Die neueren DanteUiingen. 55
>aü<Ni ihren alten Ehrenplatz unter den Pflegern der Erdkunde ein-
Dehfflen und wie «e bereits eine Reihe vorzüglicher Arbeiten zur Hei-
fflatskunde geliefert, auch diese Ehrenschuld gegen ihre Vergangenheit
einlösen werde. ^)
Cluver und DanviUe befolgten den Grundsatz von der Gegenwart
auszugehen, der in der Thai für eine Ghorographie die einzige Berech-
tigung hatte. AUein dabei kMu die antike Geographie zu kurz , ward
die Entwicklung der Ansichten der Alten vom Kosmos verkümmert
Auch reichte die historische Kritik namentlich des letztgenannten nicht
aus, die Zeitalter wurden nicht streng geschieden, reine Mythen und
Fabeln neben Namen der historischen Periode eingetragen. Dagegen
erhob sich eine erfolgreiche Reaction, eingeleitet durch Fröret in Paris
(1688—1749) und durchgeführt durch J. H. Vofs (1751—1826). Die
Arbeiten dieser Schule haben die Geschichte der alten Erdkunde als
solche begründet und nach vielen Seiten hin aufgehellt. Aber indem
sie das philologische Princip den Schriftsteller nur aus sich selbst zu
erklären auf die Landeskunde übertrug, von der Gegenwart nichts
wissen wollte, verlor sie den Boden unter den Füfsen. Als ob die zu-
fällig erhaltenen Nachrichten einen inneren Zusammenbang aufwiesen,
als ob die Anhäufung der bei Strabo Heia Plinius u. s. w. vorkommen-
den Namen einen anderen Wert hätte als den einer Vorarbeit I Man
wird an den idealen Zug unserer aufblühenden Philologie, ihre Begei-
sterung für die Anfänge, ihren Widerwillen gegen den Universalstaat
erinnern müssen, um die Erscheinung gerecht zu beurtheilen. Freilich
sind die Anhänger von Vofs unwillkürlich in die verpönten Bahnen
Cluvers und Danville's wieder eingelenkt und es gereicht dies den bezüg-
1) Hier sei anf die grofse Eneyclopaedle Italia verwiesen, welche der
Mulinder Buchhändler Vallardi seit 1867 berausgiebt: die erste Abthei-
long enthält ein dizionario corografico bis jetzt (R) in 6 B. von A. Amati,
die zweite Einzelwerke über Nator nnd Geschichte, die dritte einen grotiMn
AUm.
Aelieren Datums Znccagni-Orlandini, Corografla fisica storica e statistica,
dell' Italia e delle sne isole, 15 Binde, Firenze 1846.
Eine anziehende auf grflndlichen Studien ruhende Darstellung in Nou-
^elle Geographie universelle par Elis^e Recks, vol. I VEurope niridlonale
Paris 1876.
BalM, Geografla dlUlia, Milano 1845.
Marmoechi, Geografia fiaica d'ltalia, lUUa 1850. politica, ebd. 1851.
Alfeo Pozzi, ritalia sotto i vaij suoi aspetti fisico polltico ed economico,
Miltno 1868.
56 Eiideitiing. Die Quellen.
liehen Abschnitten bei Ma n n e r 1 0 und Forbiger^) entschieden zum
VortheiL Indessen kommen die gröfseren Darstellungen ^ dem Wert
einzelner Specialforschungen nUM gleich. Die mächtige Anziehung
C. Ritters hat sich innerhalb der philologischen Kreise soweit Griechen-
land in Frage kam , langst geltend gemacht und schöne Erfolge gezei-
tigt. Auf Italien ist die Betrachtungsweise der modernen Wissenschaft
zuerst in dem gediegenen Lehrbuch von Heinrich Kiepert ange-
wandt worden.^)
1) Koorid MsDDert (1756 — 1834), Geographie der Griechen und Römer,
tO Tb. in 14 Bänden, NQrnberg Landshat und Leipzig 178S— 1827; der 9. Band
behandelt Italien.
2) Albert Forbiger, Handbuch der alten Geographie, 3 Binde, Leipzig
1842—48; Italien mit den Inseln III p. 488—832.
3) Eine liste Teralteter Lehrbücher nnd Karten bei Forbiger I 4S7^490.
Femer
Gramer, a geographica! and historical descriplion of ancient Italy, 2 voL,
Oxford 1826.
Niebuhr, Vortr&ge fiber alte Lander- und Völkerkunde herausg. von bler, Ber-
Un 1851, p. 319-602.
W. Smith, Dictionary of Greek and Roman geography .by vtrioua writers,
2 vol., London 1856, 2. ed. 1870.
4) Lehrbuch der alten Geographie, Berlin 1878, p. 371—477.
KAPITEL L
Name und Frenzen.
Die Karte von Europa lehrt uns dafs Italien wie wenig andere
Länder einheitlich gebaut und scharf umgrenzt seL Sebastian Münster
erinnert den Leser : „Du magst auch aufs Anschauwung diser Tafel
halie erkennen , das es nit vergebens zU solcher grosser Herrlichkeit
kommen ist, angesehen das sein läger ist von natur also wol bewart,
das man an keinem ohrt darein kommen mag ohne grosse müh vnd
arbeit. Die Möre gehn darumb^ gleich als grosse mcchtige Gräben vmb
ein grosse Statt, vnn aufT dem Rucken hat es für ein vnzerbrechliche
Maur, das grofs vnnd hoch Schneegebirg.^ In der gedankenreichen Be-
trachtung, welche die Ursachen entwickelt die Roms GrOfse herbeige-
fQhrt, nennt Strabo^) diesen Umstand an erster Stelle. Der einheitliche
Bau Italiens begünstigte die Errichtung eines allumfassenden Staats-
wesens, seine centrale Lage innerhalb des Miltelmeergebiets bestimmte
es zum Sitz der Weltherrschaft. Indessen zugleich hatte die Natur den
Siegespreis an vielhundertjährigen Kampf und Arbeit geknüpft. In der
Mitte gelegen bot Italien den Wandervülkern der Urzeit das lockendste
Ziel, und weder Schneegebirg noch Heer hat die ziehenden Schaaren
dauernd Besitz zu ergreifen verhindert Nach und nach haben 6 oder
7, vielleicht noch mehr verschiedene Volkerfamilien festen Fufs ge-
faxt: kein Land unseres Erdtheils hat eine ähnUche Mannichfaltigkeit
aufzuweisen gehabt. In diesem Umstand war der Gang seiner Ge-
schichte vorgezeichnet, den ein Hinweis auf Griechenland erläutern
mag. Die Sage kennt die Hellenen bereits als einheitliche Nation.
Jedenfalls ist während der grofsen Colonisation der Gegensalz gegen
die Fremde wie auch das nationale Bewufstsein ausgebildet worden,
welches auf Gleichheit der AbsfanuDung und Sprache, auf Gemeinschaft
1) VI 286.
58 Kap. I. Nine ood tireosen.
von Religion und Sitte sich stützte. i) Die idealen Mächte, welche die
Entwicklung von Hellas in herzerfreuender Weise geleitet, haben dies-
seit der Adria ihre Geltung eingebüfst. Hier giebt es wol landschaft-
liche Verbände, keinen nationalen Verband. Der nächste Nachbar
heifst peregrinus sogut wie der Asiate und Spanier. Von schüchternen
Ansätzen abgesehen ^ , ist kein Schriftsteller je darauf verfallen durch
einen mythischen Stammbaum die Einheit der italischen Völkerschaften
erhärten zu wollen. In den Bürgerheeren , welche gegen Hannibal
fochten , herrschte dasselbe Sprachengewirr, das zur Kaiserzeit in den
Festungen am Rhein und an der Donau ertönte. Zu den gleichen Göt-
tern beteten Bürger und Bundesgenossen nur im Lager und am Mor-
gen der Schlacht. Endlich die Uebereinstimmung der Sitte war auf die
gemeinsame Zucht und den gemeinsamen Dienst in Waffen beschränkt.
Durch Krieg und ausschließlich durch Krieg ist das was wir römische
oder italische Nation zu nennen pflegen, zusammengeschweifst worden.
Die letztere Bezeichnung ist streng genommen misbräuchlich. Das
Bürgerrecht der Stadt Rom bedingt die nationale Zugehörigkeit und
bindet sich auf die Dauer nicht an die natürlichen Schranken, welche
die Staatskunst zu wiederholten Malen ihm zu setzen versucht hat
Von einem politischen Begriff Italien kann deshalb im Altertum nur
in vorübergehendem Sinne die Rede sein : die letzten von uns durch-
lebten Jahrzehnte haben ihn überhaupt erst in die Erscheinung gerufen.
Dagegen der geographische Begriff, wie er noch jetzt gilt, hat sich be-
reits vor mehr als zwei Jahrtausenden festgesetzt. Wann und wie dies
geschah, welche Vorstellungen man zu verschiedenen Zeiten mit dem
Namen verbunden hat, soll im Folgenden dargelegt werden.
§ 1. Ursprung des Namens.
Von den Stämmen , welche im Umkreis der tyrrhenischen See
sefshaft geworden sind, tauchen auf aegyptischen Denkmälern des vier-
zehnten Jahrhunderts v. Chr. die Sarden Sikeler und Etnisker auf.')
Als sodann die Hellenen ihre Städte gründeten, ward ihnen der Name
1) Wie die Athener erklären bei Herodot VIII 144 rb 'EXXf^utot^ iov
ofMLifthv rt Kai 6/t6yXafaffor, ual &tcav IS^fiaxa tb MOiva Kcd d'vcUu ^&ta
rs 6ftot^onüL; rar n^Bcra^ yeviff&ai ^ idipmiovt ovm ar «v ix0**
2) Hierher g«bört, wenn Vergil Aen. Vü 178 den italns unter die Almen
des Latinns zählt, die Ableitung der Veneter von Troia n. a.
3) Vgl. Kap. U 7.
1 1. UrsproDg des Nament. 59
der Sikeler, wie Homer zeigt (S. 4), in minderem Grad« derjenige der
entfernter wohnenden Sikaner gelSuflg. Hesiod kannte auch Festlands-
sttnune: Latiner Etruaker Ligurer. Aber die Erkenntnils von dem Zu-
sammenhang des Festlands oder das Bedürfnifs dasselbe durch einen
Eigennamen zu unterscheiden hat sich auf lange hinaus weder den
Eingebomen selbst noch den fremden Ansiedlern aufgedrängt. Einem
der letzteren , dem Dichter Stesichoros aus Himera heifst es um 606
T.Chr. unbestimmt 'Eafre^to Abendland und so hiefs es auch anderen
seiner *Landsleute^): die Bezeichnung entspricht genau derjenigen,
welche unser Erdtheil im Hunde der Phoenizier fahrte und ja scbliefs-
lieh bdialten hat. Dafs der Name Hesperien nicht hängen blieb, hatte
in der Geschichte der griechischen Colonisation seinen Grund. Von
dem campanischen Golf bis an die apulische Halbinsel war die KUste
Ton einem Städtekranz umrahmt, der in älteren Jahrbunderlen das
Mutterland wie die Gründungen auf Sicilien an Macht und Wolstand
weit überstrahlte. Im Gefilde von Sybaris trug der Weizen hundert-
Mtige Frucht, der grofse Verkehr lief vom Westen nach looien ohne
das Mutterland zu berühren, diese Geldprotzen blickten verächtlich auf
die mit Armut behaftete Heimat herab. ^) Ansiedler verschiedener
Stämme wohnten hier einander benachbart, das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit fand in dem alle umfassenden nationalen Namen seinen
Aiisdrucli, aber prahlend bezeichneten sie das eroberte Land als das
grofse iq fieyaXtj 'EXXag '), um es vor den bescheidenen Verhältnissen
der heimischen Volksgenossen auszuzeichnen. Was diesen glänzenden
Aufschwung befördert, ja geradezu ermöglicht hatte, war neben der
angebomen Thatkraft der Golonisten der niedere Culturstand, den
sie bei den Eingebomen antrafen. Wir werden an unser Mittelalter
1) Nach der iiischen Tafel Ufst Stesichoros hierhin den Aeneas lUBwaa-
dem. Sp&ter ward der Name auf Spanien flbertragen. Den ilteren Gebrauch
bezeugen Dien. Hai. 1 35 Verg. Aen. I 530 n. a. Man wolle nicht vergessen,
dafs die ältere Zeit nur 2 (Tag- und Nachtseite), Aeschylos nierst die Unter-
scheidung Ton 4 Weltgegenden kennt
2) In den Colonien wird der Ausspruch Herod. YD \QI2 aa%ekoiMnen aoa
ti ^SXXaSi Ttevlij fikv aiel xore aiw^o^^ avvsau. Engste Verbindung
zwischen Sybaris und Milet Her. VI 21, Tarent und Knidos DI 138; Phokacer
im Westen 1 163 u.a. Fruchtbarkeit Sophokles Ant 1118 PUn.XVllI65 Vairo
RR. 144.
3) PoL n 39 Strab. VI 258 Scymn. 303 Plin. HI 42. 95, seit den Perser-
Iviegen au&er Gebrauch daher in der erhaltenen Littcfatur nicht ttaehwcisbar,
• 12.
60 Kap. L Name und Grenxen.
V
erinnert wenn eine Beschreibung des früheren Sicifien lautet i): .die
Sikaner wohnten ehedem in Dörfern, auf den steilsten Hügeln lagen
die Burgen der Seeräuber wegen ; denn sie waren nicht der Herrschaft
eines gemeinsamen Königs untergeordnet, sondern auf jeder Burg safs
ein Dynast; so lebten sie vom Ertrag des Landes ohne Handel und
Schiffahrt.^ Der Brennpunct westhellenischen Verkehrs fiel in die
schmale Seestrafse, welche das tyrrhenische Becken mit dem östlichen
Mittelmeer in Verbindung setite: unter den phantastischen Gestalten
der ScyUa und Charybdis hat der Dichter loniens sie besungen. Einem
Strom vergleichbar, trennt der 30 km lange 3 — 14 km breite Sund
die beiderseitigen Gestade: er trennt und knüpft sie eng an einander.
Die Alten erkannten den ursprünglichen Zusammenhang der Land-
massen und meinten ein Erdbeben habe ihn zerrissen. Daher nannten
sie die hier erbaute Hauptstadt !Z^^iov Bruch Rife.') Ein Rheginer
Hippys (S.7) war es, der nach dem in Asien gegebenen Beispiel daran
ging alte Sagen und Geschichten aufzuzeichnen ein Henschenaiter oder
mehr, bevor man im Mutterland an dergleichen dachte. s) Von ihm,
also etwa von 500 v.Chr:an können wir in der Litteratur den Sprach-
gebrauch verfolgen, welcher Insel und Festland durch die uns vertrau-
ten Benennungen unterscheidet Vorläufig jedoch ist unter dem Namen
Italien nur ein kleines Stück einbegriffen. Es reicht bis zu dem Isth-
mus zwischen den Buchten von Terina und Scylacium , welcher auf
eine Breite von 31 km eingeengt und auf eine Höhe von 250 m er-
niedrigt, wie ein loser Faden die Sfldspitze mit dem Hauptland verbin-
det, so dafs der Plan hat entstehen können ihn durch eine Mauer ab-
zusperren, ja sogar einen Canal hindurchzuleitcn.^) Mithin umfafst
in seiner ältesten Anwendung der Name ein Gebiet von ungefähr
120 deutschen Quadratmeilen : noch im ersten Drittel des fünften Jahr-
hunderts erstreckt er sich nicht weiter.^)
Das angegebene Datum 500 v. Chr. darf nicht als obere Zeitgrenze
1) Diod. V 6 nach Timaeoa vgl. nein Tenplum p. 114, Berlin 1869. *
2) Kap. U 2.
3) Die frahe Blflte der Gegend wird durch den UnsUnd bestätigt, dafs
die erste schriftliche Geaetigebnng der HeUeoen nach Lokroi Episephyrioi ge-
hört Strab. VI 269; anch das in deDselben geographischen Bereich fallende
Katana erhielt solche nicht viel später.
4) Kap. V 7.
5) AntiochoB bei Dioo. Hai. I 35 Strab. VI 254. Wenn Themistokles eine
Tochter Sybaris, eine andere Italia Uiifte (Plnt. 32), so kann er IBgUch jene
Stadt nicht unter den Landesnamen mit einbefalst haben. Wenn Hekataeoc
§ 1. Ureprung des Namens. 61
rentanden werden. Das Wort gehört einer Epoche an, in weicher das
anlaotende Digamroa nicht blos gesprochen sondern auch in ionischer
Schrift, der sich die ältesten Prosaiker sämmtlich bedienten, geschrie-
ben wurde: es hiers damals FiraiUa, so las noch Helianikos von Lesbos,
ein älterer Zeitgenosse HerodotsJ) In der That deutet alles auf ein
weit höheres Alter hin. Wie die Lander diesseit und jenseit des Faro
stets im lebhaftesten Austausch gestanden haben, konnten die hier sefs-
haften Griechen gar nicht umhin die Sitze der Nachbarn von den eige*
Den durch einen besonderen Namen zu unterscheiden. Wenn im Osten
der altbekannte Name der Sikeler häufig auf das Festland mit übertragen
wurde >), so war solches an Ort und Stelle auf die Dauer unmöglich.
Man kann auch nicht wol anders annehmen , ab dafs in beiden Fällen
nach demselben Princip verfahren worden ist. Da aber die Insel mit
ihren barbarischen wie hellenischen Bewohnern ^) nach dem mächtig-
sten eingebornen Stamm benannt worden ist, so mufs das Festland
nach einem dort ansässigen Stamm der Fivakol benannt gewesen sein.
Zwar die abweichenden Erklärungen der Alten ^) lehren alsbald , da&
die Deutung nicht ohne weiteres gegeben war: während die Sikeler
in der Ueberlieferung historischer Zeiten genug von sich reden ge-
macht haben, hören wir von Italem gar nichts. Das Verschwinden der
Italer, welches der Neigung der Alten zum FabuKren Thor und Thür
Öffnete, darf freilich nicht befremden. In den ältesten Jahrhunderten
trat das Heilenentum mit ungleich gröfserer Macht auf dem Festhind
ab auf der Insel hervor: z. B.. hatte Sybaris vier Völkerschaften und
ir, 21. 29 M. Capoa und Gapri nach Italien verlegt haben soll, so ist dies ein
Beweis ffir die spätere Ueberarbeitung des Werks (S. 7),
1) DioD. Hai. 1 35, bestätigt durch die oskische Aufschrift der Socialmünzen
Titelio » Italia und Serrius s. Verg. Aen. Vm 328.
2) Steph. Bys. Thokyd. VI 2 Pol. Xn 5.
3) JSiXBloq davon StxtUa davon JSurfAioini^; nach der Hellenisimng fillt
die von Thnkydides beobachtete ünterscheiduDg der Sikeler und Sikeiioten
fort (schon bei Plato).
4) Helianikos bei Dien. HaL I 35 Varro RR. 11 5 erklärt TUIia als Rinder-
Und und bringt es mit der Heraklesfabel in Verbindung. Alle alten und un-
verdächtigen Zeugen (Antiochos Helianikos ApoUodor Festus p. 106 u. a.) leiten
das Wort aus der Sprache der Eingebornen ab: erst der Unverstand des Timaeos
hat ihm einen altgriechiachen Urapmng zuacbreiben wollen (Gell. N. A. XI 1
Vuro a. 0. eb. U 1 LL. V 96 Serv. V. Aen. 1 533). Aber war das Wort ein
italisches, so können die Griechen unmöglich den Namen aufgebracht haben,
va damit den Rinderreichtum des Landes lu beseiehnen, wie Timaeos Piso
Vuro wollen, vgl. Templum p. 109.
62 Kap. L Name und Grenzen.
25 Gaue der Eingebornen dauernd unterworfen. Die geograpUsehe
Lage verstärkte die Widerstandskraft der Insulaner und doch ersehe-
nen auch sie im vierten Jahrhundert vollständig hellenisirt Was^un-
der^ wenn ein auf den vierten Theil des Raumes beschränkter Stamm
der fremden Cultur ein oder zweihundert Jahre früher zum Opfer ge-
faUen, wenn Italer Moi^eten und Choner verschwunden sind ohne
Spuren in der historischen Ueberlieferung zu hinterlassen? hat doch
die Sage ihr Andenken gerettet. Der alte Antiochos von Syrakus er-
zählt: ein weiser und guter König, Italos geheifsen, habe dem Land
und Volk seinen Namen verliehen, ein gro&es Reich gegründet, Acker-
bau und Gesittung in demselben verbreitet i) Dieser Heros Eponymos
ist nun augenscheinlich von einem Volk abgeleitet wie Hellen Achaeos
Ion Siculus Oenotrus Latinus u. s. w. und damit die ehemalige Exi-
stenz des Volkes zweifeUos verbürgt. 2) Ob dasselbe die ganze Sod-
spitze eingenommen oder ihren Besitz mit anderen Völkern getheilt
hat, wäre bei dem Stand unseres Wissens eine müssige Frage.
Keiner der Stämme , deren Thaten die Augen der Welt auf sich
gelenkt und den Griffel des Geschichtsehreibers beschäftigt haben,
ward der Ehre theilhaftig sem Andenken mit dem Lande au verschwi-
stern. Eine früh verschollene Völkerschaft wurde verewigt, weil sie
der griechischen Cultur zuerst erbg. In der That sind die Griechea
es gewesen, wie im Folgenden gezeigt werden soll, welche die weitere
Ausdehnung des anfiinglich so kleinen Bezirks, in dem der Name zu
Hause war, bewirkten. Jedoch ist es höchst merkwürdig, weldi uralte
nationale Vorstellungen in dem von den Fremden aufgenommenen
Worte verkörpert waren. Die Bedeutung desselben ist sehr durchsich-
tig und deshalb auch den Alten geläufig'): FiTalog ist lateinisch vi-
iulus umbriscb vitlu d. h. der junge Stier, das Stierkalb. Dies erinnert
an den allgemeinen Hergang der Völkerwanderungen auf der Appennin-
halbinsel. Wenn die Heimat nicht länger ihre sämmtlichen Bewohner
zu ernähren vermochte , stiefs sie die Jugend aus ihrem Verband aus,
den Göttern ein ver saerum einen heiligen Lenz darbringend. Wie die
Bienenbrut ausschwärmt, weil der Stock die Menge nicht mehr fafet,
1) Dion. Hai. I 12. 35. 73 Strab. VI 254 Aristot. Pol. VH 9, 2.
2) YrecAoc davon ^ItaXla davon jTra^UaiTf/c i»ch derselben Gleichang wie
S. 61 A. 3. Da zu Antiochos Zeit onabhingige ^ItaXöl nicht mehr vorkamea,
braucht er die Form *ItaXli^ig gerade wie Saee^wrai spiter die h^lenisirten
Eingebomen beseichnet Diod. V 6.
3) Niebnhr R. 6. I 16, mein Templum p. 13t. 154.
§ 2. Waadenng des Namens. 63
so mufs die aasgestofsene Jagend ihr Heil in der Fremde suchen^ mit
den Waffen eine Wohnstatt erstreiten. Die Sage meldet, daTs die Gott-
hdt sich ihrer erbarmt. Mars schickt seine Boten die Vertriebenen zu
oeoeD Sitzen zu geleiten. Ein Stier fahrte die Samniten, ein Wolf die
llirpioer, ein ^»eeht die Picenter: jener gab der Stadt Bovianam, Wolf
und Specht den Volkern selbst ihre Namen. Wir werden nicht fehl
gehen, wenn wir die Stierlinge der brettischen Halbinsel dem näm*
Uchen Gedankenkreise anreihen and von einem heiligen Lenz der Vor-
zeit erklaren. Darin bestärkt ans die Wendung der Sage, welche den
Italos alle Gesittung und staatliche Ordnung einrichten läfst; denn der
Schöpfung des Staats geht nach antikem Glauben das wilde Fanstrecht
Toraus. Der Stier ist ein Sinnbild des Gottes und nach ihren Göttern
ist die tiberwiegende Mehrzahl italischer Volker benannt i) Die Nie-
buhrsche Annahme, als ob Itali die Gesammtheit der oskischen Stamme
in ähnlicher Weise bezeichnet hatte me^'EkXtjveg die ganze Nation,
entbehrt der Begrandung.^) Aber allerdings mufste das Wort in den
Ohren der Eingebomen einen guten Klang haben. Der Stier nimmt
in dem Glauben der italischen Vorzeit eine ausgezeichnete Stellung
ein : als unentbehrlicher Genosse des Menschen für die Bestellung des
Bodens wie für die Portschaffung der Habe wird er geradezu ab Ver-
treter von Ackerbau StädtegrOndung und Cuitur aufgefalkt. Insofern
hat eine schone Fügung dem Lande nicht einen gleichgültigen son-
dern einen Namen bescheert, der seinen Ansprüchen, theilweise auch
seinen Verdiensten in der Weltgeschichte einen angemessenen Aus-
druck yerleiht.
§ 2. Wanderung des Namens.
Die Blüte der Griechenstfldte auf der brettischen Halbinsel welkte
rasch: innere Zwietracht nachbarliche Eifersucht versengten sie. 3) Der
GliDZ von Sybaris erschien wie ein Märchen , seitdem die Stadt vom
Erdboden vertilgt war.^) Von der grofsen Hellas war es stille gewor-
1) Mar-si Mamert-ioi Pic-entes Hirp-ini Vest-ini Sab-ini u. s. w.
2) Die einzigen schwachen Spuren der Verbreituns des Namens Hefern die
Ortonamen YitelUa in Utium, Italinm in Apnlien? Diod. XX 26 and Sicilien
Diod. XXIY 6.
3) Die Vertreibung der Pyihagoreer und die Zerslörung von Sybaris stehen
chronologisch nicht fest. Indessen f&llt der Niedergang der Italioten vor den
Zog des Xences, da ihre BCilfe gegen letzteren gar nicht in Betracht konint.
4) Schon Aristophanes Wespen 1260. 1427 bringt sybariütehe Geschichten:
die gröbere Masse, die man Athen. XII 5 19 fg. liest, sind später erfunden.
64 Kap. t. Name und Grenzen.
den : jeoseil der Meerenge hatte Gelon eine gewaltige Monarchie ge-
stiftet und in der Heimat ging das attische Reich in all seiner Macht
und Herrlichkeit auf. Währenddem zerfleischten die Parteien der Fest-
landstädte sich gegenseitig in wilder Erbitterung: die meisten helle-
nischen Staaten schickten Gesandte um dem wahnwitzigen Toben Ein-
halt zu gebieten und erreichten endlich dafs Krotoniaten Sybariten
und Kauloniaten einen Bund mit einander schlössen.^) Die wieder-
holten Versuche Ton Syrakus ganz Sicilien unter seiner Führung zu
vereinigen wirkten auf das Festland im gleichen Sinne zurück; die
Brüderschaft der Pythagoreer, welche nach ihrer Unterdrückung im
Geheimen fortlebte, arbeitete auf die gegenseitige Annäherung der Ge-
meinden hin.^) Aus diesen Zeitströmungen erklärt sich, dals man nach
einem gemeinsamen Namen aussah und dafs um die Mitte des fünften
Jahrhunderts der Begriff Italien über die gesammte brettische Halb-
insel ausgedehnt wird. Antiochos begrenzt ihn durch den Flufs Laos
im Norden und das Gebiet von Metapont im Osten : Tarent ist nicht
mitbefafst, sondern liegt in lapygien.^) Er versteht also unter Italien
ein Gebiet von ungefilhr 350 d. Quadratmeilen, dreimal so grob als
der ursprüngliche Umfang gewesen war. Der kleine Küstenflufs Laos,
welcher dasselbe von Oenotrien, nach späterem Sprachgebrauch Brut-
tium von Lucanien schied, bezeichnet in der That eine Naturgrenze;
denn hier nimmt der Appennin sein Ende und das Urgebirg seinen An-
fang.«) Dagegen würde an der Ostseite die Küstenebene von Sybaris
den geologischen Abschnitt bilden. Rechnet man diese dem Süden zu,
so bleibt es der Willkür oder politischen Erwägungen überlassen , wo
der Küstensaum am Tarentiner Golf durch eine Grenzlinie geschnitten
werden soll. Antiochos hat mit Fug und Recht Tarent ausgeschlossen ;
denn diese Stadt stand den Verwicklungen der westlichen Nachbarn
abseits und gravitirte nach Osten nach Apulien zu , die Eingebornen
aber gehörten einer anderen Vülkerfamilie als die Sikeler und die Be-
wohner der brettischen Halbinsel an. So triftig derartige Erwägungen
im Westen erscheinen mochten, so wenig konnten sie auf Ver-
ständnifs im Mutterland rechnen. Für die geographische Anschauung
stellt der Tarentiner Golf eine natürliche Einheit dar : schon Herodot
1) Pol. n 39.
2) Vgl« Aristot. Meteor. I d, 2 de eaelo II 13, 1.
3) Antiochos bei Dion. Hai. I 35 Strab. VI 254 ArisU Pol. VU 9, 2; der-
selbe Spnchgebrtach Thac. VII 33.
4) Kap. V 7.
§ 2. WanderuDf des Namens. M
und Sophokles lassen ItalieD vom iapygischen Vorgebirge bis zur sici-
Uschen Meerenge sich erstrecken, i) Der politische Gegensatz, welcher
eich dorch den Alteren Dionys zwischen Festland und Insel ausbildete,
mufete den Gebrauch Terallgemeinern Tarent als das Haupt der ver-
bündeten Freistädte unter den Gesammtnamen einzuschliefsen. Seit
Ausgang des fOnften Jahrhunderts bedeutet also ^Irakla das Land der
Hellenen am Tarentiner Golf, ^IrahcjTai^lraXinol avdfegdie in dem-
selben ansässigen Hellenen.^) Sein Inhalt beziffert sich nach einer
ungefiihren Schätzung, die hier allein statthaft ist, auf etwa 500 Qua-
dratmeilen. An der durch den Flufs Laos bestimmten Grenze wird
von allen Schriilstellern dieser Zeit fest gehalten : Hyele oder Velia
liegt ihnen ungeachtet seiner berühmten Philosophenschule in Oeno-
trien.^ Für das nicht griechische unabhängige Land fehlt eine allge-
mein übliche Bezeichnung. Man wählt hierfür Stamronamen, am häu-
figsten den der seemächtigen Etrusker Tv^Qrjvla ^), doch auch den der
Osker'OTTfxij^) und Ausoner Avaovla.^)
Am Ausgang des fünften Jahrhunderts beginnt die erfolgreiche
Reaction des Binnenlands gegen die Küste: die Eingebornen wollen
selber Meister sein , die Fremdherrschaft der Griechen nicht länger
dulden. Unter vielen Wechselßillen zieht sich der Kampf hin. Das
ehrwürdige Kyme ßillt schon 418, Neapel und Poseidonia müssen
samnitische Schaaren in ihren Mauern aufnehmen, im Bunde mit dem
Tyrannen Dionys brechen die Lucaner eine Stadt nach der andern.
Doch kamen die Streiter einander auch näher, die Osker erwiesen sich
hr griechische Cullur empfänglicher als irgend ein anderer Stamm der
Halbinsel, das Philhellenentum ergriff Unteritalien mit gleicher Stärke
wie Sicilien. Das Verhältnifs erhielt eine mythische Sanction, wie die
Alten sie liebten , indem die Eingebomen auf den gleichen Ursprung
1) Herod. I 24. 94 m t36 IV 15; Sophokles im Triptolemos nach Dien.
1 n y%\. Plin. XVin 65.
2) Plat. Gorg. 493 A xofitpbg avifQ, laiog Sixilog uq ^ ^xaXixoq, *Ixa*
hmtai bei Herodot Plato u. a. oft, ^IxaUtt Isokr. lY 169 Scymn. (Ephoros) 330.
3) Herod. I 167 Soph. bei Dien. Hai. I 12 Plin. UI 85.
4) Herod. I 163 VI 22 Eorip. Med. 1359 Plat. Tim. 25 B. Dion. Hah I 29
ApoUodor bibl. H 5, 10 Seymn. 134 Theopomp. fr. 222 M. Aristozenos fr. 90
Theophnst bist pl. V 8, 3 K 16, 6. Böckh, Staatshaushaltung HI 459.
5) Aristoteles bei Dion. Hai. 1 72 Thuc. VI 4 vgl. Cato p* 77 Jordan*
6) Dion. Hai. I 35: nicht in der altgriechischen, sondern der alexandrini-
KheD Litteratur, Lykophron Alex. 593. 702. 1355, daher bei den angosteischen
Kehtem hiufig Tgl. ausonisches Meer Kap. II 2.
KiiitB, Ital. lAad«8lcBs4«. I. 5
66 Kap. L Name und Grcnxen.
wie die Fremden zurückgeführt und für Abkömmlinge der Spartaner
eriibri wurden. ^) Daraus ergab sich von selbst, dafs der Name Italiea
etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts seine bisherige Beschrän-
kung auf das den Hellenen unterthänige Land verlor und bis an den
Busen von Poseidonia vorgerückt wurde. 2) Im Inneren lafst sich das
Gebiet nicht genau umschreiben: aber wenn wir es soweit rechnen,
als die einheimische Sprache nur mit griechischem Alphabet geschrie-
ben worden ist, so können wir es annähernd zu 1000 Quadratmeilen
ansetzen. Reichlich ein Menschenalter später fügt Theophrast Cam-
panien hinzu, setzt aber Latium in ausdrücklichen Gegensatz zu dieser
Bezeichnung.^) Mittlerweile nahmen die Eroberungen Roms einen
schnelleren Verlauf. Im Jahr 306 schliefst es mit Karthago ein Bttnd-
nifs ab: dieses verpflichtet sich nicht in Italien d. h. im hellenischen
Süden, jenes nicht aufSicilien zu interveniren.^) Das Hellenentum
war von den beiden gröfsten Mächten des westlichen Meerbeckens in
die Mitte genommen und lief Gefahr völlig erdrückt zu werden. Im
Verein mit den hellenisirten Oskern und Sikelern hat es unter König
Pyrrhos' Leitung eine verzweifelte Anstrengung gemacht beide Gegner
abzuschütteln und die nationale Unabhängigkeit zu retten. Mit dem
Fall von Tarent 272 ist die römische Herrschaft über das Festland voll-
endet. Ein Schriftsteller dieser Epoche rückt Italien bis zum Vorge-
birge der Circo vor ^); aber der beste Kenner des Vi^estens Timaeos
schliefst den ganzen Norden der Halbinsel ausdrücklich von dieser Be-
nennung aus.^) Um den Ausbruch der punischen Kriege versteht man
demnach unter Italien den Süden, soweit hellenische und oskische
Sprache und Cultur sich erstrecken d. h. ein Gebiet von ungefihr
1300 Quadratmeilen.
Gegen das Ende des vierten Jahrhunderts trat Rom in den Kreis
1) Dion. Hai. U 49 Flut. Rom. 16 Nam. t Serv. V Aeo. Vm 638 n. a.
fliiu die nflehterne Bemerkang voo Stnbo V 250 Scxit 4k xal TuQavtlvwv
likiüiUL tovx' fhai, xoXaxfvovtwv ifjMQOvq »al idya ^wafiivovQ av^^
nov^ 9cal Sfia iSoueuovfiivaw,
2) Die Grenze wird bezeugt von Dion. Hai. I 73 Strab. V 209.
3) Theophr. fr. 159 (Athen. H 41) bist. pl. V 8, 1 vgl. IV 5, 6.
4) PoLm 26 awSfjxtti xa»' ac f^i ^Pmfiolövq ßkv in^XBif^ai SiXtXiäi
inaatiQ, Ka^ij^avlovq $''lxtOdttqi vgl.Liv.XXl 10 «etf Twrmäo id mHUHä
non abMünueramus ex foedere (Fleckeisen« Jabrb. 1867, p. 325 fg.).
5) De nirab. aase 78 Lykos von Rhegion?
6) De mirab. ansc. 85. 93. 94. 95. 102. 103.
§ 3. Der iUliiche Bund. 67
der cmlisirten Staaten der damaligen Welt ein.^) Seine Beziehungen
lum Hellenen tum haben im Verlauf seinerfortschreitenden Eroberungs-
politik mehrfach gewechselt Anfilnglich mit Tarent gegen die Sam-
Biten verbandet, schlofs es mit Karthago zur Knechtung der Hellenen
einen Vertrag. König Pyrrhos als Abkömmling des Achilleus zog gegen
die Römer als Nachkommen der Troianer zu Felde. Aber den Krieg
gegen Karthago, den Erzfeind des hellenischen Namens, führten diese
ab Vorkämpfer von Hellas. Von dem ersten punischen Krieg her da-
tirt das römische Philhellenentum. Durch das Dogma von der troia*
oiscben Abstammung erhielt dasselbe einen mythischen Ausdruck. In
der Gegenwart aber wurde der Unterschied von Herren und Unter-
thanen verwischt, indem man den Landesnamen aber das gesammte
festländische Bundesgebiet Roms ausdehnte. Nach dem Frieden von
241 darf Karthago in Italien keine Werbungen vornehmen, worunter
ohne Frage die ganze Halbinsel zu verstehen ist.') Somit umfafst das
Wort jetzt ein Gebiet von annähernd 2500 Quadratmeilen , doppelt so
grofs wie der hellenisirte Söden. Der Name bewahrt noch immer den
Klang, den er bisher im Munde der Hellenen gehabt hatte: er bezeich-
net einerseits das Festland im Unterschied von der Insel Sicilien , an-
dererseits den Bereich der Civilisation im Gegensatz zu den nördlichen
Barbaren. Die Furcht vor den Kelten war es, welche die Gemeinden
der Halbinsel zur willigen Unterordnung unter Rom trieb.') Der Kampf
gegen die Kelten täUi mit dem zweiten grolsen Krieg gegen Karthago
lusammen. Nach dessen siegreicher Beendigung war Rom Herrin des
Hittehneers geworden und die Grenze Italiens bis an die Alpen vorge-
rflcku Bevor wir diesen Hergang näher verfolgen, ist es notwendig
einen Bück auf die Verfassung zu werfen, welche die Appenninhalbinsel
IQ einem politischen Ganzen vereinigte.
§3. Der italische Bund.
Als geographischer Begriff um das Festland von Sicilien zu unter-
scheiden war der Name bei den Hellenen in Aufnahme gekommen.
IHese Grundbedeutung behielt er im Munde der Römer bei : die terra
1) Vertrag mit Rhodos ca. 307 nach PoL XXX 5. Belege für die nach-
folgenden Saue habe ich beigebracht in Fleekeiiens Jahrbflchern 1666,
P. 375 fg.
2) Appian Lib. 5 Zonar. Vlü 17.
3) Pol. n 23, 13.
5*
68 Kap. I. Name und Greozen.
ItaUa befafst den ager Romanus das Stadtgebiet von Rom ^) und stellt
das Inland dar. Was jenseit des Meeres liegt, mag es nun unterthSniges
verbündetes befreundetes Gebiet sein , mag es selbst das BQrgerrecbt
Roms besitzen, ist nichts desto weniger Ausland. An diesem unver-
brüchlichen Grundsatz ist bis auf Diocletian ein halbes Jahrtausend
hindurch nicht gerüttelt worden. Dem Landesnamen entspricht von
Hause aus kein Volksname. Das Staatsrecht unterscheidet drei Kate-
gorien unter den Bewohnern der terra Italia: römische Bürger Latiner
und Bundesgenossen.^) Die beiden erstgenannten standen durch
gleiche Sprache und gleiches Recht in engerer Gemeinschaft; aber zu
den Bundesgenossen gehörten Etrusker Umbrer Picenter Osker Mes-
sapierVolsker, um von den kleineren Stämmen zu schweigen, und ein
Reisender im dritten Jahrhundert hatte ein halbes Dutzend Sprachen
oder mehr kennen müssen, auf dafs er aller Orten von Jedermann ver-
standen ward. Zu einem politischen Ganzen war diese Masse theils
gutwillig theils durch Gewalt verschmolzen worden. Von den moder-
nen Vorstellungen freilich, welche mit den Vi^orten Bund und Bundes-
verfassung verknüpft zu werden pflegen, ist hier durchaus abzusehen ;
denn die einzelnen Bundesglieder sind nicht gegenseitig unter einan-
der, sondern jedes einzelne für sich Rom verpflichtet.^) Die Verfassung
beruht also auf etwa 150 Verträgen, welche zwischen Rom und den
Städten zu verschiedenen Zeiten vereinbart worden waren. Die Be-
dingungen haben sehr geschwankt, aber gewisse Hauptsätze fanden
sich in allen wiederholt. Das Bündnifs, welches Spurius Cassius 493
mit den Latinem abschlofs, ist als Muster zu Grunde gelegt worden.
Es hebt an: „Friede soll sein zwischen beiden Theilen, solange Him-
mel und Erde bestehen bleiben; sie sollen Feinden keinerlei Vorschub
leisten , sondern mit aller Macht dem angegriffenen Theil zu WXiVt
kommen und gleiches Anrecht auf die Kriegsbeute haben, alle Streitig-
keiten auf dem Vi^ege Rechtens schlichten.^ Die Form des gleichen
1) Liv. XXVn 5 patres extra Romanum agrum — eum autem in JtaUa
terminari — negabant dietatarem diei posse,
2) So der SenatsbeschlaCs über die Baccbanalien vom J. 186 ClLli9ffne
qiUs eeivis Romanus neve nominus Latini neve socium quisquam (die letzt-
genannten heiTsen in derselben Urkunde foederatei); das Ackergesetz vom J. 11t
GL I 200 c 21 und 50 pivis Romanus soeiumve nominisve Latini, quibus ex
formula togatorum miUtes in terra Jtaiia inperare soieni; vgL Weissettborn
zu Ut. XXU 50, 6.
3) Der italische Band unter Roms Hegemonie, staatsrechtliche und stati-
stische Forschungen von Julius Beloch, Leipzig 1880.
§ 3. Der italische Band. 69
Bflndnisses, welche hier begegnet, ist nicht die gewöhnliche : die Mehr-
zahl der Bundesgenossen ist zur unbedingten Heeresfolge verpflichtet.
Den Umfang ihrer Leistungen besümnit die Bundesmatrikel (ex for-
nmU)* Die Vertretung nach Aufsen, die Schlichtung innerer Streitig-
keiten, die Führung im Felde ^ die Sorge für die Aufirechthaltung des
Landfriedens liegt der Vormacht ob. Aber von all diesen Rechten,
welche unmittelbar sich aus der Kriegshoheit ergeben, abgesehen, hat
Rom die Selbständigkeit und Souverdnetät der Bundesglieder nicht an-
getastet. Eine Karte von Italien nach den politischen Verhältnissen
des dritten und zweiten Jahrhunderts v. Chr. entworfen, wttrde ebenso
buntscheckig ausschauen wie ein Bild unseres Vaterlandes Tor dem
Reichsdeputationshauptschlufs von 1803. Das römische Gebiet umfafst
etwa ein Viertel und nimmt vorwiegend die Mitte des Landes ein, dazu
kommen aber anderswo zerstreute Parzellen und aufserdem findet zwi-
schen VoUbüi^er- und Halbbttrgergemeinden ein bedeutsamer Unter-
schied statt Ferner liegen an den strategischen Knotenpuncten etwa
30 latinische Festungen , zu denen ungefähr ein Zwölftel des Areals
gehört. Endlich zerfällt die Bundesgenossenschaft, zwei Drittel des
ganzen Landes, in mehr als 100 souveräne Staaten : in einzelnen Land-
schaften wie z. B. Umbrien ist die Zersplitterung überaus grofs und
manche Territorien bezifferten sich nur auf 1 — 2 Quadratmeilen. Aber
mochte der Verkehr durch Zoll- und Rechtsschranken ebenso gehemmt
sein wie im heiligen römischen Reich deutscher Nation , mochte die
hier vorhandene nationale Einheit dort fehlen, in der Hauptsache war
das antike VorbiM der modernen Copie unendlich überlegen. Die mili-
Uirische Einheit war rücksichtslos bis in ihre äufsersten Consequenzen
durchgeführt: die Contingente der Bundesstädte waren gleich bewaff-
net und organisirt, wurden von römischen StabsofBzieren befehligt.
Und wie das Land im Krieg durch seine Annee als ein einiges Ganzes
vertreten ist, so wirkt der nämliche Gedanke auch in Friedenszeiten fort
Krieg und Frieden {dami müiiiaeque) sind nach alter Anschauung
räumlich geschiedene Begriffe. 0 Der Naturzustand des Krieges gilt
ttberalU wo er nicht durch ausdrückliche Satzung aufgehoben ist Im
Frieden herrscht Gesetz und Recht, im Krieg Gewalt Dort ist der
Bürger sein eigener Herr (domtmct), hier zu blindem Gehorsam ver-
ptUditet, dem Willen seines Feldherm rückhaltslos überantwortet Die
1) Vgl. meine Aasffihrangen in Sybels Historiseher Zeitschrift N. F. Vm
4171g.
70 Kap* ^ Name und Grenxen.
BuQdesvertrSge garantirten sdniinüichen Theilnehmern den Frieden
und sofern kein tumuUus decretirt, d. h. sofern weder ein Aufserer
Feind noch Aufruhr im Lande ist, wird das Versprechen treulich ge-
währleistet Im gewohnlichen Lauf der Dinge kommt das imperium,
die absolute militärische Gewalt, innertialb des Bundesgebiets nicht zur
Anwendung, kann kein mobiles Heer, keine auf den Namen eines Ein-
zelnen vereidigte Truppe sich hier aufhalten. Bezeichnend dafür ist
das Verfahren bei der Bildung einer Armee: die Pflichtigen Bürger
und Bundesgenossen stellen sich nämlich zum angegebenen Termin
in einer Grenzfestung, werden jenseit der Grenze formirt und nach
beendigtem Feldzug jenseit der Grenze entlassen. Das Vorrecht tob
einem stehenden Heer verschont zu bleiben ist dem Lande späterhin
auch von der Monarchie belassen worden: erst am Ausgang des zwei-
ten Jahrhunderts n. Chr. hat Septimius Severus Legionen nach Itaiiea
verlegt. Das BOndnifs, welches alle Staaten der Halbinsel mit Rom
verband, hat zur Folge, dafs den Bundesgenossen im OflentUchen Ver-
kehr eine gemeinsame Kleiderordnung eingeschärft war. UrsprOng-
lich hatte die Toga als einziges Kleidungsstück sowol im Krieg ab im
Frieden gedient Später, vermutlich seit der Vollendung des italiscfaen
Bundes , war ein besonderes Kriegskleid {Bogum) eingeführt worden.
Das bunte Sagum trägt der Soldat im Felde; es mufs von jedem wehr-
haft Freien angelegt werden, sobald ein Tumult d. h. ein plötzlicher
Notstand proclamirt ist und damit das Imperium zur Geltung gelangt
In gewöhnUchen Friedenszeiten dagegen trägt der wehrhafte Freie die
heile Toga, die so sehr als italisches Nationalkleid betrachtet wird, dafs
sie die einzige auch offlcieli anerkannte Bezeichnung abgiebt um säoomt-
liche Heergenossen als die Togaträger (togaü) zusammen zu fassen.
Die Toga unterscheidet sich nur durch den Schnitt von der weiten Ge-
wandung, welche den Griechen und Orientalen, überhaupt der antiken
Cultur eigentttmUch war, bildet aber den ecbroflsten Gegensatz zu der
bei Kelten und anderen nordischen Barbaren üblichen Tradit der
Hosen. Das Gebiet, in welchem mit der Toga zugleich der Friede
herrscht, ist genau umschrieben. Es stufst nicht unmittelbar an das
hosentragende Feindesland und deckt sich nicht mit der italischen
Heergenossenschalt Vielmehr wird ein breiter Streifen abgesondert,
dessen Bewohner die ständige Wacht halten und die Sicherheit des
Grenzfriedens verhüllen. i) Die Grenzlinie, welche um die Bfitte des
1) Ganz ähnlich sind in der Lagerordnnng die Veliten aufserhalb derTe^
f 3. Der itaÜKhe Bund. 71
dritten Jahrhunderts gezogen wurde <), yermOgen wir nur unTollkom*
men nachzuweisen. Sie wird Ostlich vom Appennin durch den Fluls
Aesis wenig oherbalb Ancona's bestimmt, der auch nach der Einthei-
lang des Augustus die fünfte Region von der sechsten trennte 3); west-
lich ?om Appennin durch den Lauf des Amus. Zwischen dem Hafen
von Vdterra {vada VokUerrana) und demjenigen von Pisa an der Arno-
mttndung (pinius Piaainu) verzeichnet die Peutingersche Tafel eine
Poststation ad Fmet , der Name lebt fort in dem Flüfschen Fine und
der alten Kirche S. Maria ad Finem : wahrscheinUch hat sich in dem-
selben das Andenken der alten Landesgrenze erhalten. Die mehrfach
erwähnte pravineia Pi$ae gestattet keinen Zweifel, dafs diese von den
Ligorern oft bedrängte Stadt aufserhalb derselben lag. Halbwegs zwi-
schen Arezso und Florenz treffen wir wieder eine Station ad Finei am
Arno, jetzt S. Giovanni, an. Wie aber zwischen dieser Station und dem
Aesis die Grenze ging, ob sie namentlich die wichtige Festung Arre-
tium ein- oder ausschlofs, lafst sich nicht mit Gewifdieit sagen. Nur
dies ist klar, dab der nördlichste Theil von Etrurien, einige umbrische
Bergstämme sowie die den Kelten entrissene senonlsche Mark nicht
vä dem befriedeten Gebiet zahlten. Man mufs deshalb dessen Ausdeh-
nung auf ungefiihr 2300 Quadratmeilen beschränken.
Aus dem gemeinsamen Heerdienst ist im Lauf der Zeiten ein ge-
wisses Nationalgeftlhl entsprungen. Die römische Politik hat gern an
dasselbe appellirt, wo ihre Zwecke dem Ausland gegenüber es forder-
ten.') Aber an einer alle Heergenossen umfassenden Benennung fehlt
es durchaus. Natürlich nahm die fahrende Gemeinde wenn nicht aus-
flchlie&lich so doch in erster Linie den Siegesruhm ftlr sich in An-
spruch. Daher ist in den lateinisch wie griechisch geschriebenen
Kriegsberichten immer nur von Romem die Rede. Es wurde von
rdm^chen Ohren gar übel vermerkt, wenn Fremde den Namen Lati-
ner an die Stelle setzten. 4) Immerhin mufeten die Schranken, welche
daheim zwischen Staaten und Stämmen theils die Natur der Verhält-
«ehanzung postirt und haften mit ihrem Leben gegen jeden nichUichen
TJeberfall.
1) Vermotlich steht die Sehilefsiing der römischen Tribos 241 damit in
Zusammenhang.
2) Stnbo V 227.
3) Liv. XXm 5.
4) Wie in dem Epigramm auf den Sieg von Kynoskephalae 197 geschah
nach Plut. Flam. 9 : Alrtoläv Sfitf^ivreQ im ' iiproc «fd^ 4atlvmv, &Sg lYrac
72 Kap. 1. Name und Grenzen.
nisse tbeils die berechnende Politik Roms aufgerichtet hatte , im Aus-
land allmälich sinken. Wenn Italia ihrer aller Mutter war i), lag es
äuTserst nahe die Sdhne mit deren Namen zu rufen, gleichwie die Gne*
chen Yon Peloponnesiern Sikelioten Italioten u. s. w. redeten, auch
ihrerseits einen neuen Volksnamen der /tobet zu schaffen. Die ersten
bekannten Aeufserungen in diesem Sinne gehen auf das Haus der Sei-
pionen zurück, das sich einerseits durch seine Vorliebe für griechische
Bildung hervorthat, andererseits seine Beziehungen zu den italischen
Bundesgenossen eifrig pflegte. Africanus gründete 205 in Spanien
für seine Veteranen die Stadt Italica ; seinem Bruder errichteten 193
Italicei auf Sicilien eine Ehrenstatue. 2) Die Benennung fand Eingang
und wurde im Ausland gleichmäfsig auf Römer Latiner und Bundes-
genossen ausgedehnt, wie denn namentUch die Kaufleute so heifsen.')
Daheim und im Munde des Römers bedeutete sie indessen vorwiegend
die zurückgesetzte Hasse der Bevölkerung, nämUch die Bundesgenos-
sen.^) Das Uebergewicht der letzteren wurde durch die Richtung,
welche die römische Politik seit dem hannibalischen Krieg einhielt,
immer mehr ausgeglichen und in Folge dessen wandelte sich die früher
billige und gerechte Behandlung in brutale Willkür und Gewalt um.
Lange Jahre haben die Bundesgenossen geduldet, durch gütliche Vor-
stellung und Bitte die Aufnahme in den Bürgerverband zu erlangen
gehofft Endlich im J.91 ergriffen sie die Waffen unter dem Schlacht-
ruf/roAa: so nannten sie das in den Abruzzen gegründete Trutz-Rom,
sich selbst ItaUci, Die von ihnen geschlagenen Münzen tragen die os-
kische Aufschrift Vitelio oder die lateinische Italia und zeigen mehrfach
den Stier als Wappen thier des Landes: eine derselben stellt dar, wie
der italische Stier die am Boden liegende römische Wölfin mit den
Hörnern spiefst^) Durch Ströme von Blut hindurch ward das Ziel er-
1) So kämpfen die Soldaten fflr Italien nach den ergreifenden Worten des
Tiberius Gracehus Flut. 9.
2) Appian Ib. 38 CIL. I 533. 546.
3) CIL. I 595. 596. 203, 19. Pol. U 8, 2 XXXVl 7, 5. Diod.V 26, 3. Sali. Jag.
47. 26. Femer wird die Reiterei so genannt, die grörseren Theils von den
Bundesgenossen gestellt wnrde, Pol. XIV 8, 6 XV 9, 8; selten das Fnlsvolkwie
SalL Jag. 671 Den geographischen Gegensatz gegen Sicilien drückt der Name
ans OL I 55t Diod. XXXIV 2, 27 fg.
4) Cie. de harusp. resp. 19 Sali. Jug. 40.
ft) Der Stier ist nicht Symbol der Samniten, wie man behauptet bat, son-
dtn der Italiker insgesammt, da er sich auf Mflnaen mit der Beischrift Vitelio
findet: Tgl. dps Verzeichnirs in Mommsens Rom. Mfinzwesen N. 216 d. e. f 217
a. e. f 218 und als Gegenstück 258.
§ 4. Die Alpengrenae. 73
reicht: Das iulische GeseU von 90 und das plauüsch-papirische Gesetz
Ton 89 gestanden Latinern und Bundesgenossen das römische Bürger-
recht zu. Damit ward gleiches Recht und gleiche Sprache im ganzen
Umfang des Bundes eingeführt, der mittelalterliche Zuschnitt der
Appenninhalbinsel den grofsen Verhältnissen eines Einheitsstaates an-
genähert Rom und Italien sind seitdem his auf unsere Tage hinab
nur selten einander auf dem Schlachtfeld gegenüber getreten. Eine
bald darauf geprägte Münze giebt der beiderseitigen Stellung einen an-
sprechenden Ausdruck : sie zeigt auf dem Avers die Köpfe des Bonos
mit Lorbeerkranz und der Virtus mit Helm, auf dem Revers Italia mit
dem Füllhorn und Mercurstab , Roma mit umgegürtetem Schwert, das
Scepter in der Hand, den Fufs auf der Erdkugel, beide die Hände zur
Versöhnung reichend. i)
§4. Die Alpengrenze.
Die Grenze welche das Meer dem Lande gesteckt, hat sich unaus-
löschlich den Gemütern eingedrückt. Eine ähnliche Naturschranke
ward erst fern im Norden durch das Schneegebirge geboten. Mit zäher
Aasdauer hat die römische Volkspartei demselben zugestrebt: der rö-
mische Bauer verlangte Acker und Weinberg für seine darbenden Rin-
der und zwang die Regierung immer weiter erobernd vorzudringen.
Der Name Italien hat im zweiten Jahrhundert v. Chr. eine doppelte Be-
deutung: im rechtlichen Sinne des Worts bezeichnet er das befriedete
Bundesland, wo das Gesetz waltet, im Gegensatz zur prornneia, wo das
hnperium gebietet; im geographischen Sinne des Worts bezeichnet er
das ganze Festland bis an die Alpen. Der letztere Sprachgebrauch,
den wir bei Polybios antreffen, ist nicht etwa dem erleuchteten Blick
eines griechischen Geographen beizumessen. Auch der alte Cato be-
handelt die Alpen als natürliche Grenze Italiens und berücksichtigt in
seiner Darstellung der Anfänge die Stämme der Pogegend ebensogut
wie diejenigen der Halbinsel. 2) Bei dem Friedensschlu£9 mit Karthago
201 vrird diesem auferlegt in Ligurien und Gallien keine Werbungen
anzustellen; also betrachtet sich der römische Staat als Herrn des Nor-
dens.') In der That kann es nicht zweifelhaft sein, dafe diese An-
1) Mommsen Rom. Mfinzwesen N. 285.
2) Servins Verg. Aen. X 13 Mpe* . . . secundum Catonem et Liviian muri
9iee iuebmtur ItaUam vgLPoLm54 Liv.XXla5; Cato beiVarro RB.U4,11;
fr. 55, 8 85, 11 Jordan. Liv. XXXIX 54.
3) Appian Lib. 54.
74 Kap. I. Name und GrenzeD.
spräche ein Menschenalter oder hoher hinaufreichen. Bereits 285
wurden die Senonen aus dem Küstenstrich nördlich vom Aesis Tertrie-
ben , zu seiner Behauptung die Bürgercolonie Sena Gallica und 269
die latinische Colonie Ariminum gegründet Die BOmer suchen sich
zunächst der Kttste zu bemächtigen , um wie sie es firQher mit Erfolg
gegen Samnium gethan , das Binnenland einzuengen und allmSdich zu
erdrücken. Der Anschlufs derVeneter im Mündungsgebiet der Alpen-
ströme hat wesentlich zum GeUngen dieser Politik beigetragen. Nach
den grofsen Kämpfen der Jahre 225 — 222 wird die Polinie erreicht
und durch Anlage der starken Festungen Placentia und Cremona 218
gesichert. Der Einfall Hannibals unterbrach den Fortgang der Coloni-
sation. Der karthagische Feldherr hat den Krieg als Bflcher und Führer
der Kelten eröffnet und ist hauptsächlich daran gescheitert, dafsdas
uncivilisirte dünn bevölkerte Poland der Volkskraft der Halbinsel ent-
fernt nicht gleich kam. Es war ein ähnlicher Gegensatz, wie er sich
zwischen dem Osten unseres Vaterlandes, den ehemals slayischen Pro-
vinzen und dem alten CuUurboden am Bhein offenbart. Eine städtische
Entwicklung war im Norden nicht vorhanden. Dichte Waldungen be-
deckten Ebene und Gebirg. Das Land welches gegenwärtig den Sei-
denbau und die höchsten Formen der Bodennutzung pflegt, züchtete
im zweiten Jahrhundert v. Chr. Schweine und versah mit diesem Ar-
tikel den Weltmarkt, nahm also höchstena eine wirtschaftliche Stufe
ein wie heutigen Tages die Tiefebene der unteren Donau. Nach der
P^iederlage Hannibals war es dem stärkeren Nachbar rettungslos ver-
fallen. Doch hat dieser sich nicht überstürzt die Beute zu ergreifen.
Der Norden dient vorläufig als Manöverfeld, auf dem die aUjährUch
aufgebotenen Bundesheere einige Monate üben und wolfeile Lorbeeren
pflücken können. Zu diesem Behuf ist derselbe in zwei Bezirke ein-
getheüt: einen westlichen pravincia LigureB oder nach der Haupt-
festung prooineia Pisae ^) genannt, einen östlichen nach demselben Ge-
sichtspunct pravmda Galb'a oder iirimtfiKifi 2) genannt. Im Gefolge
der Legionen schreitet die Latinisirung rüstig voran. Bereits 181 wird
die Colonie Aquileia an den Fufs der Ostalpen vorgeschoben ; jedoch
ist die Hauptthätigkeit der südlich vom Po gelegenen LandeshäUte zu-
gewandt, in welcher Colonien 189 in Booonia, 184 in Pisaurum, 183
in Parma und Mutina, 177 in Luna aufser zahlreichen Marktflecken
1) Liv. XXXIV 55 XXXVin 35 XXXIX 20. 32. 38. 45 XL 35 XU 14 XUI
1. 10 XLY16.
2) Liv. XX Vm 38. 46 XXIX 5 XXX VIU 42 XL t8.
f 4. Die Alpengrenicii. 75
angelegt werden. Dem htinischen Stamm und der römischen Vor-
naciit erwuchs hier eine ansehnliche VersUIrkung; denn die verbOn*
deten Gemeinden treten gänzlich zurück, die keltischen und ligurischen
Stamme werden den romischen Städten unterstellt und damit fUr eine
rasche Verschmelzung mit der herrschenden Nation vorbereitet. Jen-
seit des Po hatte das einheimische Element an dem Gebirge einen na-
tQrüchen RQckhalt. Die Regierung der Republik hat sich darauf be-
schrankt nach langen Kämpfen die Küstenstralse für die Verbindung
mit Spanien flrei zu halten, aber nicht daran gedacht die übrigen Alpen-
passe in ihre Gewalt zu bringen. Von Seiten des Staates sind nur ver-
einzelt Städte gegründet worden wie 124 Dertona, 100 Eporedia. Im
Uebrigen war das transpadanische Gebiet im zweiten Jahrhundert frei-
willigen Ansiedlem und Abenteurern Oberlassen. Der Hergang erin-
nert lebhaft an verwandte Erscheinungen der Gegenwart Der italische
Bauer, der den Wald rodete, den Sumpf austrocknete, gegen die Ver-
heerungen der Flüsse Deiche aufwarf, hat das Land durch seine Arbeit
geadelt. Ab Vortrab der Civilisation drang allerlei Volk in die Beiige
um nach den Goldschätzen des jungfräulichen Bodens zu suchen. In
diesen gesetzlosen Grenzstrichen hatte die Majestät des römischen Na-
mens keine Geltung, schützte allein die eigene Kraft. Die Barbaren
stiegen von ihren Bergen herab die Gehöfte und Dörfer des Flachlands
ZH überfallen. Schaudernd erzahlte man sich, dab sie den ganzen
Bfannstamm in den eroberten Ortschaften auszurotten pflegten , ohne
den lallenden Knaben oder die Frucht in der Mutter Scbofs zu ver-
schonen.^) Trieben sie es gar zu arg, dann rückte ein römisches Heer
ans und übte Vergeltung. Aber wie weit man davon entfernt war Wan-
del zu schaffen , zeigt die Zerstöiiing von Comum 94 und die Zerstö-
rung von Tergeste 52.^)
Dies Colonistenland, dessen Umfang rund auf 1500 Quadratmeilen
veranschlagt werden kann, erhielt durch den Bundesgenossenkrieg
eine wesentlich andere Stellung. ') Das Gesetz des Consuls L. Julius
Caesar vom J. 90 gewahrte den treu gebliebenen Bundesgenossen das
Büi^errecht namentlich den Latinern , also auch den grofsen latini-
schen Städten des Nordens Ariminum Bononia Placentia Cremona und
Aquileia. Das gleich darauffolgende Gesetz der Volkstribunen M. Plan-
tius Silvanus und C. Papirius Garbo von 89 gewahrte dieselbe Wolthat
t) Strabo IV 206 Dio LIV 22.
2) Strabo V 213 Gaes. b. Call. VDI 24.
3) MommteD, Hermes XVI 29 Msrqnardt, R5m. Staatsverw. I 59.
76 Kap. L Name und Grenzen.
allen in Italien d. h. innerhalb der befriedeten Bundesgrenzen domici-
lirten Bundesgenossen, hatte mithin auf den Norden keinen Bezug.
Dagegen sind die Verhältnisse desselben durch ein in eben diesem J. 89
eingebrachtes Gesetz des Consuls Cn. Pompeius Strabo geregelt wor-
den. 0 Zum Abschlufs gelangten die verschiedenen Mafsnahmen unter
der Dictatur SuUa's 81. Die bisherige Uebung, nach welcher die rö-
mischen Hagistrate im selben Amtsjabr auf civilem wie auf roiUtäri-
schem Gebiet thätig gewesen waren, ward völlig beseitigt, so dafs beide
Functionen fortan zeitlich getrennt auf zwei Jahre erstreckt wurden.
Daraus ergab sich die Notwendigkeit das Colonistenland in eine eigene
Provinz mit einem ständigen Statthalter umzuwandeln, während bisher
die ordentUchen Beamten, Consuln oder Praetoren, nach Erledigung
ihrer Geschäfte in Rom je nach Gelegenheit und Gutdtlnken auf ein
paar Monate in dasselbe ausgesandt worden waren. Derart wurde ein
rechtlicher Gegensatz zwischen Alt- und Neuitalien, Stamm- und Colo-
nistenland wiederum fizirt, der den natürlichen und historischen Ver-
hältnissen entsprach , deshalb auch noch Jahrhunderte lang nachwir-
ken sollte. Zunächst wurde die Grenze zwischen beiden Hälften neu
regulirt Sulla schob dieselbe an der Ostseite des Appennin vom Aesis
bis an den Rubicon wenige Millien nördlich von Ariminum vor 2): mit
Stolz nahmen die Bewohner des ehemaligen ager GalUcus (S. 74) seit-
dem den italischen Namen für sich in Anspruch.^ Ob eine entspre-
chende Erweiterung im Westen stattgefunden habe, wissen wir nicht:
auf alle Fälle gehört Arretium fortan zu Italien (S. 71), das nördlich
vom Arno belegene Luca zur Provinz. Damit ist das befriedete Gebiet
auf ungefähr 2400 Quadratmeilen gewachsen. Jenseit der Grenze be-
findet sich die provmcia Gaüia dierior oder GaUia dsalfma^ wie sie
zum Unterschied vom transalpinischen Gallien heifst, die zwar geogra-
phisch zu Italien gerechnet wird, aber rechtlich hinter diesem zurück-
1) Mommsen, Hermea IV 112.
2) Die Verschiebung ohne Angabe des Zeitpnncts und des Urhebers be-
zeugt Strabo V 217. Die von Mommsen Rom. Gesch. D^ 361 aufgestellte Be-
ziehung auf Sulla ist mit Recht allgemein angenommen worden. Sie ergieht
sich namentlich aas der Thatsache, dab Sulla das alte Königsrecht das Pome-
rinm zu erweitem flbte vgL Seneca de brevit vit 13 SuUam uäimum Rth
manorum protuUue pomoerium, quod nunquam provindaH sed ItaHeo agro
adquitito proferrt motu apud antiquos fuit
3) Dies lehrt der Sprachgebrauch von Vitrav ans Fanum (schrieb nach
16 v.Chr.): er setzt Italia in Gegensatz zu EtrarialI6,&, ton Poland Vlü 2, 6,
zu Campania Vm 3, 17, za den Alpen VIII 3, 20.
f 4. Die Alpengrenzen. 77
steht. Die südlichen Landschaften diesseit des Po besafsen mit Aus-
nahme Ton Ravenna und des Küstenstrichs an der Adria durchweg das
BUi^rrecht Sie standen aber unter der monarchischen Gewalt des
Statthalters, der nicht nur die einzelnen GemeindeTerwaltungen beauf-
sichtigte, sondern auch die höhere Gerichtsbarkeit in ihnen ausübte.
In wie weit und ob er überhaupt einer Appellation an die Volksgerichte
in Rom Folge zu geben brauchte, wird nicht überliefert. i) Nördlich
vom Po hatten unseres Wissens nur Cremona und Aquileia das Bürger-
recht erlangt. Im Uebrigen war das Land 89 in eine yerhältnifsmäfsig
geringe Anzahl von Stadtbezirken getheilt und diese mit dem latini-
schen Recht bedacht worden. Die barbarischen Gaue namentlich im
Gebirg wurden zu den Städten hinzugeschlagen in der Weise, dafs sie
nicht als Bürger sondern als zinspflichtige Unterthanen zu ihnen ge-
hörten. Aus solchem Verfahren erklärt sich die ungleich höhere Be-
deutung und Lebenskraft, welche in den folgenden Jahrhunderten die
oberitalischen vor den zahllosen zur Selbstverwaltung vielfach ihrer
Kleinheit wegen unfähigen Städten der Halbinsel auszeichnet. Aber
vorläufig empfanden diese jungen aufstrebenden Gemeinden ihre Zu-
rücksetzung bitter und waren bereit zu jedem Angriff auf die snlla-
nische Verfassung hülfreiche Hand zu bieten. Auf die Transpadaner
gestützt, hat Caesar sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen. Nach-
dem er sie während seiner Statthalterschaft (58 — 50) schon factisch
als römische Bürger behandelt hatte, liefs er zwei Monate nach seinem
Einrücken in die Halbinsel am 11. März 49 durch das roscische Gesetz
ihnen formell dieses Recht zuerkennen. Zu einer entsprechenden Er-*
Weiterung der Grenze fehlte dem vielbeschäftigten Herrscher die Zeit:
er betrachtete den Var als Grenzflufs Italiens im Westen >), den kleinen
Rttstenflufs Formio, jetzt Risano, 6 Millien unterhalb Tergeste's ab
Grenze gegen die istrische Halbinsel'); zur Unterwerfung der Alpen«
Stämme war er noch nicht gelangt Es lag in seinem Pkin den Norden
dem Stammland vollkommen gleich zu stellen und in der That regelt
eine erhaltene Gerichtsordnung für denselben die Competenz zvrischen
t) Caes. b. GaU. 1 54 V 1. 2 VOI 23 Sueton 30.
2) Dies geht sehr deatlich aus dem V^fahren bei der Gapitolation von
Ilerda hervor b. eiv. I 86. 87.
3) PUn. in 127 Formio amnis . . . anUetts au/fAa» IUlUob termüius; auch
HirüoB b. Gall. YUi 24 rechnet Tergette xur GaUia togaU. Wenn dagegen Mela
1157 es zu myricn rechnet, so fallt dies bei seinen veralteten Quellen nicht
ins Gewicht (S. 34).
78 Kap. 1. Ntme und Grenzen.
der hauptsUdtiscben und der municipalen Rechtspflege. 0 ^^ in ^^'
sen Jahren aufgekommene und bald wieder vergessene Benennung
GaUia togaia giebt diesem Gedanken einen sprachlichen Ausdruck.^)
Endlich ward wegen ihres Besorgnifs erregenden militärischen Ueber-
gewichts die Provinz als solche nach der Schlacht bei Philippi Ende 42
oder Anfang 41 formeil aufgehoben.^) Indessen hat die schwierige
Aufgabe die Nordgrenze abzustecken und zu sichern noch mehr als
fünf Jahrzehnte bis zu ihrer Lösung erfordert.
Aus freiem Entschlufs hat die römische Politik nicht an eine Er-
oberung der Alpen gedacht: dazu war der in Aussicht stehende Gewinn
zu gering, die Mtlhe zu grofs. Die Notwendigkeit mit den transalpini-
schen Besitzungen eine rasche und gesicherte Verbindung zu unter-
halten hat sie dazu gezwungen. Wahrend der Republik suchte man
auf gütlichem Wege die Bergstamme zu Brückenbauten und Wegebes-
serungen zu veranlassen. Jedoch mag der Zustand der Pässe vieles zu
wünschen gelassen haben , und schUnuner als der Weg war die anf
demselben drohende Gefahr. Die Anwohner erhoben von den Reisen-
den nicht blos einen Durchgangszoll, sondern raubten sie bei passen-
der Gelegenheit vollständig aus. Sie trieben ihre Keckheit soweit, Cae-
sars Kriegskasse zu plündern und römischen Truppenkörpern die
Strafse vor der Nase zu sperren.^) Derartiger Unfug, welchen der ver-
fallende Freistaat geduldet hatte, war mit den Ordnungen der Monar-
chie unvereinbar. Augustus hat die ganze erste Hälfte seiner Regierung
dagegen angekämpft und zunächst die Westalpen, welche den Verkehr
mit Gallien beherrschten, in seine Gewalt gebracht, indem er 25 v. Chr.
den Stamm der Salasser im Thal der Dora Baltea mit Stumpf und Stiel
ausrotten liefs, ferner zur Deckung der Strafsen über den Grofsen und
Kleinen Bernhard die Festung AugMta Praetorw Aosta gründete. So-
dann wurde 15 v. Chr. der nördliche Alpengürtel von den Stiefsöhnen
des Kaisers Tiberius und Drusus bezwungen. Kurz vorher im J. 16
war auch der Osten zur Ruhe verwiesen worden. Ein im J. 7 oder 6
1) Appian b. civ. V 3, CIL. I 205 Hermes XVI 24.
2) Hirtins (nicht Gaenr selbst) VIU 24. 52 Cicero Phil. Vm 27 (im Monde
«es AntODiQB, sonst nicht) Die XLVI 55 XLYIU 12 MeU fi 59.
3) Appisn V 3. 22 III 30 Die XLYIH 12. — Dafs ein Proconsol 14 v. Chr.
in Mailand Recht spricht (Sneton de ^nmm. et ihet. 30 p. 126 Betifefscheid),
eiklirt sich einfach ans dem damaligen Krieg gegen die Raeter, der die Yer-
kttndignng des Kriegsrechts in den anliegenden Stftdten veranlaist haben wird.
4) Strabo IV 203. 205 Gaes. b. Gall.ni 1.
i 4. Die AlpengrenxeD. 79
T. Chr. errichtetes Siegesdenkmal feiert den Kaiser , weil unter seiner
FtthruDg und seinen Auspicien alle Alpenstflmme vom tyrrhenisehen
bis lum adriatischen Meer unter die Herrschaft des römischen Volkes
gebeugt worden seien. 0 Indessen begreift man dafs von der Erthei<-
long des Bürgerrechts an diese Barbaren Torläuflg keine Rede sein
konnte, desgleichen dafs manche Districte eine stehende Besatzung
heischten. Daher rührt es dafs die von Augustus gezogene politische
Grenze mit der natürlichen Grenze Italiens keineswegs zusammen fiel.
Die natürliche Grenze ist im ganzen Umfang durch die Wasserscheide
und den Kamm der Hauptkette deutlich gekennzeichnet und läfst nur
am West- und Ostende Zweifeln Raum, wo der Abschnitt gegen Gallien
auf der einen , gegen Illyrien auf der andern Seite gemacht werden
soll. Setzen wir ihn mit den italienischen Geographen bei dem Var
und dem Golf von Quamero (stntis FlatuUieus) an, so ergieht sich eine
reichlich 200 d. Meilen (1541 km) lange Linie, welche einen Flächen-
inhalt von annähernd 5000 Quadratmeilen einschliefst. Aber davon
entfallen 1176 Quadratmeilen auf das Gebirge und die Linie am Fufs
desselben gemessen, sinkt auf 150 Meilen herab. Aehnlich wie die
Römer bei ihren Landvertheilungen mit dem letzten vollen Quadrat
abschlössen und den Rest als formlosen Grenzstreifen (ager arcifinM)
UBvermessen lieben, sind sie auch im Grofsen bei der Absteckung der
Grenzen Italiens verfahren , haben weite Bergdistricte unter der Ver-
waltung von kaiserhchen Hausbeamten aufseriialb derselben gelassen
oder benachbarten Städten zur Unterthänigkeit überantwortet. Im
Einzelnen läuft die von Augustus gezogene Linie an den Hauptpuncten
folgender Mafsen. Am Westende hielt er den Absichten Caesars (S. 77)
entsprechend an der Mündung des Var fest.') Aber wenig oberhalb
der Mündung erstreckt sich landeinwärts an beiden Seiten des Flusses
bis an den M. Viso und den Oberlauf des Po die frovinda Alpium Mo-
rttuNoncm, welche militärisch besetzt und verwaltet, die Abhänge und
Tbäler des Gebirgs bis nahe an Cuneo von der Rechts- und Zolleinheit
Italiens ausschliefst.') Daran stofst im Norden die unter einem ein-
heimischen Fürsten stehende Provinz der Alpes Coltiae, deren Haupt-
ort Segtcsto Susa bildet Turin ist die letzte italische Stadt, welche von
der Grenze nur 16 Million abUegt.^) Ueber das Bergland zwischen
1) PliD. m 136 GILV 7817 mit Momnuens Commeatar.
2) Strabo IV 178. 184 V 209 PUd. m 31 fg. Mommsen OL. V p. 902.
3) Strabo IV 203 GILV p. 903.
4)CIL.Vp.8U.
80 Kap. I. Ntme und Grensen.
Dora Riparia und Dora Ballea fehlen genauere Nachrichten. Dagegen
reicht die Feldmark von Aosta im Thal der letzteren bis auf die Pafs-
hohen des Grofsen und Kleinen Bernhard, i) Jenseit im heutigen Sa-
voyen und Wallis finden sich wieder kleine Alpenprovinzen. Vom M.
Blanc ab scheidet der Kamm der Hauptkette Italien von der zu Raetien
gehörenden vaOü Pomina, dem obern Rhonethal. 2) Wir wissen femer
dafs das bis an den Septimer und Malojapafs reichende Pregell oder
Mairathai dem Gebiet der Stadt Comum zugetheilt war'), auch dafs
das Gebiet von Bergomum sich weit in die Alpen hinein erstreckte. <)
Hier wohnten euganeische Stämme, die, wie im Allgemeinen bezeugt
und mehrfach im Einzelnen nachweisbar ist, den italischen Municipien
unterstellt waren. ^) Die Grenze gegen Raetien durchschneidet die
vallis Venostica, den Vintschgau wahrscheinUch bei Partschins wenig
oberhalb Meran , sodann das Eisackthal bei dem bekannten Engpafe
Klausen unterhalb Brixen, derart den grOfsten Theil des heutigen Sfld-
tirol zu Italien schlagend.^) Weiter reicht das Gebiet von lulium Cor-
ntciim sicher bis auf die Höhe des M. Croce, der Wasserscheide zwi-
schen Tagliamento und Drau.*^) Auch in Betreff Triests ist bekannt,
dafs Augustus demselben Bergstämme zugewiesen hatte, d) Endlich
wird der kleinere östliche Theil der istrischen Halbinsel von der Grenze
ausgeschlossen , da diese durch den Flufs Arsia und den tief eindrin-
genden Busen, in welchen der Flufs ausmündet, bestinmit wird.^ Im
Einzelnen bleibt ihr Gang auf langen Strecken unsicher; deshalb hat
eine genaue Berechnung des Flächeninhalts keinen Sinn. Wenn wir
denselben zu 4600 Quadratmeilen anschlagen , kann der begangene
Fehler nicht von Gewicht sein. Was bedeutete diese Grenze in der
Kaiserzeit? welche Aenderungen hat sie erlitten?
1) PliD.m43 CIL.V p.757.
2) Mommsen CIL. 111 p. 707 Eph. epigr. lY p. 516.
3) GIL.V p. 559.
4) Plin. XXXIV 2.
5) Plio. III 133 verso deinde ItaHam peetore Alpium Latini iuris Eu^a-
neae gentes, quarum oppida XXXIIII enumerat Cato, ex iU Triumpüim
[Ytl Trompia GILT p. 515] venalis cttm agrU suis populut, dein Camuni
[Val Gamonica GIL.V p. 519] eanpluresqw iimiiei ftniiimis aUrtbuU mum-
eipiis. Vgl. CIL V p. 512. 557.
6) CIL. m p. 707 y p. 530.
7) GOL V 1862.
8) GlL.y532,2 p. 53.
9) Plin. m 44. 129. 132. 150 Strabo V 209. 215 VQ 314.
f 5. Itoliea «Dter dea KilMni. 81
§5. Italien unter den Kaisern.
Als TriomTir hat der jnnge Octavianus Ende 42 oder Anfong 41
T. Qir. die EinYerfeibiu^; des Poknds in Italien erwirkt (S. 78). Kurz
Tor seinem Tode 14 n. äir. hat der alte Kaiser bei dem letsten Gensns,
den er in Gemeinschaft mit seinem Hitregenten und Sohn Tiberios
Teranstaltete 9 die oben beschriebene Grenze endgiltig festgesetzt t)
Diese mehr ab ein halbes Jriirbundert umfassende Periode, welche die
Regelung erforderte, bezeichnet den aUmilichen Uebergang von den
Ordniingen des Freistaats zur Monarchie. Mit der neuen Grenze erhalt
Italien eine neue Eintheilung in elf Regionen , welche zwar den vor-
handenen historischen Verhalloissen Redmnng trug, aber auch dessen
Gkicbslellnng mit den Provinzen vorbereitete.^) Die Höhe der Ent«
wickhmg war erreicht, und me der Wanderer vom Gipfel den Anstieg
und Abstieg gleichmftftig ttberschaut, so erkennen wir im Wirken des
Augustus den Abschlofs der Republik neben dem drohenden Verfall der
Monarchie. Einstweilen jedoch hat das Land ein paar Jahrhunderte lang
dieSegnnngen seiner schöpferischen Weisheit genossen, und darum lohnt
es der Mohe die Vorrechte ins Auge zu fassen , durch welche dasselbe
vor allen anderen Ländern des Erdkreises ausgezeichnet ward.') Das
1) Man hit nicht beachtet dafo diei Datum von StraboVO 314 angegeben
wird: fi^x^ Uolaq ^latQtx^q nokem^ n^i^ayov ol vvv ^yefioveg rovq
t^Q *ItaXlaq o^ovg. Ans den Worten folgt, daCs Tiberius, unter welchem der
Verfasser schrieb, an der Absteckung der Grenze betheiligt war. Ferner ist
es nach Plinins sicher dafs solche bei Lebzeiten des Angustus vorgenommen
wurde. Sie nnifs demnach in 13 oder 14 v. Chr. fallen, als Tiberius die
weaenÜicbBlen BefugniaBe des Priacipats fibertrag en worden waren DioLVI 28
YelL n 121 Suet. Tib. 21. Gleichseitig faUt die Regioneneintheilung lUliens,
welche die Resulirung der Grenze voraussetzt Sie bildet den ersten Schritt
zur Einführung der ProTinzialverfassong, womit ja der Kaiser den Römern da-
mals drohte. Bio berichtet ansdrÜckUch von einer allgemeinen Katasterauf-
nahBM. Die Gommentarien des Agrippa, wekhe vom Kaiser erginzt und be-
richtigt, damals veröffentlicht wurden, enthielten die litterarisehe Erlänterang
zu dem nicht fOr die Oeffentlichkeit bestimmten breviarium imperii (S.31 A. 1).
Nach dem am 11. Mai abgehaltenen Lustrum hat Augustus sein Haus bestdlt:
die nach dem 27. Juni verfafste Grabschrift atmet die heitere Ruhe und Be-
iriedignng, welche die Lösung der letzten Schwierigkeiten hervorrufen mufste
▼gl. S. 83 A. 1.
2) Bio LR 22 xal fiij ^avfiiayq d xccl r^v *IraXlav roiavra fti^Tj vbT-
futl 001 naQaivm' noXkri re yag xal TtoXvav^Qtonog oioa ddvvccTog ioriv
vno wv iv r^ aorei er(>;i^ovra;v xaXwQ SiotxsToB^ai.
3) Plin. m 39 terra omnium ierranim alumna eadem et parent eqs,
Hiften, Ital. LandMlniiid«. I. 6
82 Kap. I. Marne und Grenzen.
Geheimnifs der augustischen Politik lag in dem Umstand beschlossen
dafs sie jeden Bruch mit der Vergangenheit ängstlich vermied. Wenn
die alte Republik ihren Verbündeten vor allen Dingen den Landfrieden
gewährleistet hatte (S. 70), so übernimmt nunmehr das Imperium die
nämliche Bürgschaft gegenüber der Republik. In dem ganzen 4600
Quadratmeilen grofsen Gebiet steht keine bewaffnete Macht auGser der
Ehrenwache des Kaisers, welche aas italischen Freiwilligen recrutirt,
und den gleichfalls zum unmittelbaren Dienst bestimmten Flotten von
Misenum und Ravenna. Ja dies Gebiet ist im gewöhnlichen Lauf der
Dinge von militärischer Aushebung völlig befreit und wird nur bei
einer den Staat geHArdenden Notlage herangezogen. So hat das Im-
perium dem Lande die Kriegslast abgenommen, freilich damit auch
seine Widerstandskraft geraubt: die ganze Landgrenze ist von einer
Reihe kaiserlicher Hausprovinzen umsäumt, deren Truppen unverweilt
einrücken und jeden Aufruhr im Keim ersticken können. i) An diesem
Verhängnifs war nicht zu rüttehi. Indefs nachdem das italische Volk
seine Selbstbestimmung unrettbar eingebüfst, geno£s es noch vieler
beneideter Vorzüge. Hierzu gehört die Communalfreiheit, welche inner-
halb des öffentlichen Rechts den 443 Gemeinwesen , in die das Land
zerfiel, einen weiten von keinem Beamtentum eingeengten Spielraum
für bürgerlichen Sinn und Tüchtigkeit offen heis. Hierzu gdiört der
eximirte Gerichtsstand : die niedere Gerichtsbarkeit verbleibt den Städten,
aber die Criminal- und wichtigen Civilsachen kommen vor das Forum
der hauptstädtischen Magistrale, nicht vor einen unumschränkten Statt-
halter. Hierzu gehört die Steuerfreiheit: aller Grund und Boden des
römischen Reichs mufs steuern, Italien bleibt frei und ist lediglich in-
directen Abgaben unterworfen. 2) Als Inland bildet es ein abgesondertes
Zollgebiet: die Senatoren, die Mitglieder des Reichsrats, müssen inner-
halb desselben angesessen sein, dürfen die Grenze nur mit kaiserlicher
Erlaubnifs überschreiten. Derart hat das Bürgerrecht in Italien einen
ungleich höheren Wert als in den Provinzen : hier sitzt der römisdie
Bürger als freier Mann auf eigenem Grund und Boden , dort ist er
blofser Nutzniefser eines fremden Herrn, des Kaisers oder des Staats.']
1) Herodian n U, 5. Mommsen Eph. ep. lY 520. Besatzung der Seealpeo
Tac Bist, n 14 GIL.y p. 903, der cotlischen Alpen SueL Tib. 37 aL.Vp. 809.
2) Leider sind wir über die Handelspolitik zu wenig nnlerrichtet, um die
Begönstigungen , die sie Italien auf Kosten der Provinzen zuwandte, kurz an-
geben zu können: aber wir erfahren z. B. dafs der einträgliche Handel mit
'Wurzelreben ein Monopol Italiens bildete vgl. Kap. X 5.
3) Gaius U 7. 21 vgl. Puchta Institutionen I" 223.
§ 5. Italien unter den Kaisern. 88
Daraos erklärt sich wie der Name Italieus, der noch in Cicero's Munde
geriogachatzig klang (S. 72)^ durch seinen Gegensatz zum prowneialü
mit der Monarchie zu Ehren kommt 0, immer mehr steigt und scbliefs-
lieh nach der Ausdehnung des Bürgerrechts Qber das ganze Reich dem
Namen liomoiws den Rang abgewinnt. 2)
Augustus hatte seiner Verfassung eine ewige Dauer zu yerleihen
gedacht. Das Land erwies sich aufser Stande die ihm eingeräumte
Hohe zu behaupten : die innere Geschichte der nächsten drei Jahrhun-
derte dreht sidi um das Abbröckeln der überkommenen Freiheiten,
am die Unterordnung Italiens unter das Imperium oder die absolute
Monarchie. Der Verfall tritt natiu^emafs zuerst in den obern Schieb*
ten der Gesellschaft zu Tage. Die Grofsen Siciliens sodann des narbo-
oensischeo Galliens gekingen in den Senat, die Pafsfreiheit wird auf
diese beiden Provinzen ausgedehnt.') Die Ertheilung des Wahlrechts
(mhonomm) an andere gallische Gemeinden stiefs 48 auf Widerspruch^),
aber fünfzig Jahre spater bestieg bereits ein Spanier den Thron. Wie
ein Ofen der immer neue Nahrung fordert, yerzehrte die weltbeherr-
schende Roma die Volkskraft mit erstaunlicher Schnelligkeit. Die Zeit-
genossen sprachen von der Müdigkeit des Staats, die junger Stützen
bedurfte.^) Die erste Aeufserung der Altersschwäche Italiens erkennen
wir in den milden Stiftungen, durch welche Nerva und seine Nachfolger
die Bevölkerung zu heben versuchten. Mit Hadrian beginnt die Aus-
bildung jener Bureaukratie, welche die Selbstverwaltung schlielslich
Tollständig erdrücken sollte.<^) Zuerst geht der privilegirte Gerichts-
stand verloren, indem der gröfsere Theil des Landes in 4 Sprengel mit
1) Wie ehedem die BandesgeDossen (S. 72) sind es nachher die Golonisten-
landschaflen gewesen, welche den Namen Italien mit Vorliebe im Munde führten.
Dem Beispiel der senonischen Mark (S.76 A.3) folgte bald darauf das Poland:
Gatull 1, 5 Vergtl (S. 58 A. 2) u. a. Den Gegensatz Ton Italien und den Pro-
vinzen betont Aognstus mon. Ane. e. 10. 16. 21. 26. 28. 32. Kaiser Claudios
fragt im J. 48 2, b non littHeus senaior provindaU potior est? Plin. Ep. IX
23,2. Von den Griechen wird seit Strabo (V 210) 'iraXtektig häufig gleich
^PwfiaTog gesetzt z. 6. bei Appian. Dafs die Litleratnr insofern sie einen stadtr
römischen Charakter trägt, einem derartigen Gebrauch nicht huldigt, versteht
sich Ton selbst
2) Z. B. Cod. Theod.y 8 IX 1, 13 fl 16, 2.
3) Auf Gallien erst 49 n.Chr. Tac An.XU 23, auf Sidlien schon 29 ▼. Chr.(?)
Bio LH 42 Tgl. Tac. An.Vl 14.
4) Tac. An. XI 23 fg. mit den Bronzetafeln von Lyon.
5) Plin. U 18 Tac. An. XI 24 fesso imperio stthvmtum est
6) Harquardt, SlaatsTerwaltnng 1 72 fg. 510 fg.
6*
84 Kap. I. Name und Gfenien.
eamularet oder fundtct an d^ Spitze eingeordnet wird. Auch die
Selbstyerwahung wird durch die Eingriffe von aufeerordentlichen Co-
inigsaren {earrectar , ekOm ai corrifmdum tUOum ItaUa$) weflentlich
beschrankt. Länger bleibt die Militarfreiheit bewahrt: ein constitu-
tioneller Kaiser wie Marc Aurel erschien selber und duldete seine Sol-
daten nur im Bürgerkleide in Italien zu erscheinen.^) Schon einHen-
schenalter darauf 193 verlegte Septimius Severus barbarische Legioneo
ins Land und bildete seine gewaltige Garde nicht aus verweiclilichteD
Italern, sondern aus den Veteranen der Greniprovinzen. Die im Alter-
tum häufig wiederholte Erfahrung dafs die Civilisatiou den Menschen
feig macht, begegnet auch hier: mit den Söhnen des Pokinds hatte
einst Caesar Gallien unterworfen, nach Ausweis ibrer Grabschriftea
haben sie in den Anfingen unserer Zeitrechnung den Rhein bewacht,
unter Drusus und C^rmanicus die Kraft Deutschlands herausgefordert;
aber als der Andrang der Barbaren dazu nötigte die Ck>nscription wie-
der ins Leben zu rufen, pflegten die italischen Rekruten sieh den Dau-
men abzuhacken um dem Dienst zu entrinnen. >) Mit der reinen Des-
potie, welche Diocletian durchführte, hörte endlich auch die Steuerfrei-
heit auf: seit 292 wurde Italien gleich den Provinzen zur Grundsteuer
herangezogen, von welcher es seit der Schlacht von Pydna, die 168
V. Chr. die Weltherrschaft besiegelte, befreit gewesen war.') Von seinen
Vorrechten war ihm jetzt allein der Glanz der Vergangenheit gebheben,
den Constantin durch die Gründung von Neu-Rom am Bosporus ver-
gebens zu verdunkeln wagte.
Die absolute Monarchie hat die Grenzen des Augustus aufgeh(ri>en
und dem Namen Italien verschiedenartige veränderte Bedeutungen bei-
gelegt. 4) Diocletian theilte 292 das Reich in 4Theile, die eigenen Herr-
schern und eigenen praetorischen Praefecten unterstellt wurden. Nach
Beseitigung seiner Nebenbuhler behielt Constantin die Einrichtung
bei. Die italische Praefectur mit der Hauptstadt Hailand zerfällt in
3Dioecesen: Italien d.h. das durch die Alpenprovinzen und die Inseln
erweiterte Land , das westliche lUyrien d. h. den gröfsern Theii des
rechten Donauufers, endlich AfHca von der grofsen Syrte bis^Marocco.
In dieser weitesten Ausdehnung umfafet das Wort ein Gebiet von etwa
1) Inl. Gapitol. 27.
2) Ammian XV 12, 3 Cod. Theod. VII 13, 4 dazu Gothofredus.
3) Marqaardt, StaatSTerwaUoiig ü 217.
4) Gothofredus top. Cod. Tbeod. p. 405 (Logdoni 1665) Bdcking Not Dtg.
140* 440* Mommsen, Feldmesser 198 fg. Harqnardt, Staatsverwaltong 1 80 ff.
§ &. ItftUen unter den Kaisero. 85
18000 QuadraUneilen und wird vereinzelt in gesetzlichen Erlassen auf
dasselbe angewandt ohne jedoch weiteren Eingang zu finden. Mit der
Stiftung des Vandalenreicbs 429 war die Praefectur ohnehin aufgelöst.
Ausführlicher haben wir von zwei anderen Bedeutungen zu handeln«
die sich im Ausgang des Altertums an den Namen knüpfen. Zunächst
bat Diocletian die Landgrenze den Verhaltnissen der Zeit angepafst.
Die kleinen Alpenprovinzen « welche die berechnende Klugheit des
Aagustus eingeschoben (S. 82), hatten langst ihre Bestimmung erfüllt.
Sie wurden daher aufgetheüt und die Wasserscheide als Grenze zwi*
sehen Gallien und Italkn angenommen. 0 Die Grenze buft von der
Mündung des Var auf der KammhObe der cottischen graischen poeni-
oiflchen Alpen bis zum St. Gottbard hin , indem das Wallis zu Gallien
geschlagen wird. Nun aber springt sie das obere Rheinthal einsctüiebend
bis an den Bodensee und weiter bis an die Donau vor. Die Provinz
Raetien d.h. die (totliche Schweiz, das westliche Tirol und Bayern west-
lich vom Inn, ein Gebiet von etwa 800 Quadratmeilen, wurde nSlmUch
nit Italien vereinigt Dadurch wurden die 11 Regionen des Augustus
um 3 vermehrt: die Aljfe$ Coitiae, die Raetia frima mit der Hauptstadt
Chu*, die Aasto meunda mit der Hauptstadt Augsburg. Aufserdem hat
Diocletian mit der durch tausendjährige Tradition befestigten Anschau-
ong, welche das Meer als unttbersteigbare Schranke betrachtete, ge-
brochen and die von Natur zugehdrigen Inseln Corma Sardinien Sici«
lien der italischen Dioecese hinzugefügt. Somit betragt deren Umfeng
aahezu 7000 Quadratmeilen. Diese Eintheilung hat auf die geogra-
phische Anschauung nachhaltig eingewirkt: sie wird noch von Paulus
Diaconus im 8. Jahrhundert zu Grunde gelegt. Allein im Mittelalter
drang das germanische Element bis auf den Kamm, ja bis an den süd-
lichen Fufe des Gebirges vor. Mit dem Erwachen des modernen National-
gefühls etwa seit Dante 2) ist man zu den Vorstellungen classiscber
Zeiten zurückgekehrt die Alpen als Grenzwall und Volkerscheide an-
zosehen. Die Zugehörigkeit der Inseln zum Festland ist durch ihre
wechselnden Schicksale in Mittelalter und Neuzeit oftmals und für
lange Zeiträume in Frage gestellt gewesen und erst von der modernen
AufTassung unbedenklich bejaht worden. Auf den nflmlichen Urheber,
welcher die Ausdehnung des Namens herbeiführte, geht freilich auch
dessen Beschränkung zurück. Das Band welches seit 49 v. Chr. zwi-
1) MommseB CIL. Y p. 810.
2) hfeniolXll4 XX 61.
86 Kap. I. Ntme und Grenzea.
sehen Nord und Süd , zwischen Colonisten- und Stammland geknüpft
war, wurde nach vierthalbhundert Jahren wieder gelöst. Jenes bewahrt
die Bezeichnung Italia, welche es einst mit Stolz sich angeeignet hatte
(S. 83 A. 1) und merkwürdig genug haftet der Name, der von der äufser-
sten Südspitze der Halhinsel ausgegangen war, in den schwankenden
politischen Bildungen des Mittelalters bis in unser Jahrhundert hinab
am Poland , speciell der Lombardei. Dessen Hauptstadt Mediolanum
war 286 von einem der Theilkaiser Maximianus zu seiner Residenz
erhoben worden und blieb auch in der Folge Sitz des mcarius Italiae.
Da die nördlichen Landschaften ftlr die kaiserliche Hofhaltung {annona)
steuern mufsten, heifsen sie auch regio annonaria im Gegensatz zu den
urbicarioi oder suhurbicartM regionesy welche nach Rom steuern und
unter dem vicarius urhis stehen. Der mailandische Sprengel oder Ita-
lien im politischen Sinn des Worts reicht von der Donau bis an Macra
und RiÄicon, später bis Aesis, und stellt ein Gebiet von ungefähr
3500 Quadralmeilen dar. Der römische Sprengel enthalt die Halbinsel
mit den drei Inseln, von denen indessen Sardinien und Corsica ca. 439
an die Vandalen verloren gingen und nach ihrer Rückeroberung mit
Africa vereinigt wurden. Er hat einen Schatten der aUen Privilegien
langer bewahrt, als die Nordhälfte, wie ihm z. B. gelegentlich Freiheit
von der Rekrutenstellung eingeräumt wird.^ Im Uebrigen liegt es
aufserhalb unserer Aufgabe auf die bedeutsamen kirchlichen und poli-
tischen Gegensätze einzugehen , welche an diese diocletianische Tbei-
lung anknüpfen. Eine Geschichte des Namens Italien in Mittelalter
und Neuzeit würde eine erwünschte Ergänzung zu der hier versuchten
Darstellung abgeben. Drücken wir diese Darstellung in wenig Zahlen
aus, so umfafst Italien
A als geographischer Begriff
500 V. Chr. ein Gebiet von 120 Quadratmeilen
n 350
450
W
400 (440)
' «
350
n
280
n
240
»1
200
w
50 (15)
♦»
290
n.
1850
1»
n n ^ <n
»1 W 91 «1
n n fj n
n r> ^ n
n n n n
W W •• 11
^ ^ n ^
?• w 91 n
n n n n
500
1000
1300
2500
4000
5000
7000
6105
1) GoUiofredus zum Cod. Th. XI 16, 12.
§ 5. Italieo anter den Kaisern« 87
B ab politischer Begriff
260 V. Chr. ein Gebiet yod 2300 Quadratmeilen
81 99 91
Vi
»i
„ 2400
»
49 „ „
»
w
„ 4000?
ff
14 n. „
n
n
„ 4600
»
286 „ f,
n
»
„ 3500
ff
[292 „ „
»
ff
„18000
»
1812 „ „
«
»
„ 1520
»
1870 „ „
j» ■
»
„ 5382
»
]
KAPITEL II.
Bas Meer.
Italien ist von Natur in die Mitte des Meeres gerückt: seine Be-
wohner haben sich auf demselben so früh wie irgend ein abendländi-
sches Volk getummelt y sind die nautischen Lehrmeister der Neuzeit
geworden« Auch Rom ist bald nach seiner Gründung in Beziehung
zum Meer getreten, hat später die gröfsten Seekriege geführt, von denen
die geschichtliche UeberUeferung zu melden weifs, hat ein Reich ge-
stiftet, dessen Theile einzig und allein zu Wasser erreichbar waren, das
daher die Seeherrschaft zur notwendigen Voraussetzung hatte. Trotz
alledem sind die Römer niemals auf dem Wasser heimisch geworden,
bekunden vielmehr für ihre hier zu lösenden Aufgaben äufserst geringe
Anlagen.^) Schon die Sprache deutet dies an. Während die Hellenen
je nach Umständen der See sachliches (ro niXctyog) oder männliches
(o TTorrog), in der Regel aber wie der Erde weibliches Geschlecht (ij
d-aXaaaa, aXg) verleihen , kommt bei den Römern ausschliefslich die
neutrale Bildung vor {aequ^, matt, Mlum, altum, auch pelagus). Die
von jenen am häufigsten gebrauchte Bezeichnung d-aXaaaa ist von
der Bewegung entlehnt, wogegen das lateinische mart mit nwr$ ver-
wandt, auf die Zerstörung alles Lebens hinweist.^ Die See erfüllt das
hellenische Land und die hellenische Geschichte mit ihrem kräftigen
Hauch, giebt dem Dasein Gesetze, beherrscht Glauben und Denken bis
zu dem Grade dafs sie als Ursprung aller Dinge aufgefafst werden
konnte. Von einer Dichtung und Mythologie , von einer Speculation,
welche dem Meer eine auch nur entfernter Mafsen ähnliche Bedeutung
zuschriebe , fehlt bei den Römern jegliche Spur. Es gilt ihnen weder
als heilige Salzflut, noch als willige Nährmutter, noch als Mittlerin des
Verkehrs, es gilt lediglich als Grenze des bewohnten Landes. In dem
altnationalen Gottesdienst geschieht seiner nur in negativem Sinne
Erwähnung: was die heimische Erde beflecken könnte, wird dem frcm-
1) NachdrflckUch hervorgehoben Pol. I 37.
2) Gartias, GrundzOge der griechischen Etymologie^ p. 310. 619.
Kap. n. Das Meer. § 1. Die Adria. 89
den anholden Element ttberantwortet Eine höbe Wahrscheinlichkeit
spricht für die Annahme, dab Etmaker Vobker Ligurer und andere
Koateavolker, auf denen die maritime Stellung Italiens beruhte, sich
zu wesentlich verschiedenen Anschauungen bekannt haben. Allein der
latinische Stamm « welcher den Charakter der gesammten Nation be-
stimmt, hat ihm zugleich ein bäuerliches unseemännisches Gepräge
aufgedrückt. Indem wir daran gehen das maritime Leben des Altertums
zu schildern , schien es geraten diese Bemerkung vcNrauszuschicken. ^
§ 1. Die Adria.
Bis auf Diocletian bildete das Meer die Grenze (S. 85). Genauer
genommen waren es zwei Meere, welche nach uralter Anschauung das
italische Land umfafsten. Das zu seinen Hiupten liegende nannte der
Römer mart styenim Nordsee, das zu seinen Fttfsen liegende matt in-
ftrum Sodsee.^ Aehnlich unterscheidet der Bewohner der cimbrischen
Halbinsel Ost- und Westsee, welch letztere im übrigen Deutschland
Nordsee heilst. Nd^en den einheimischen haben aber fremde Namen
das Bürgerrecht erlangt und jene schliefslich verdrängt. Wie die Römer
die meisten nautischen Ausdrücke den Griechen entlehnten, so zeigen
sie anch in der Namengebung dieselbe Abhängigkeit von ihren Yor-
gängem. In der griechischen Litteratur heifst das Meer, welches die
griechische Halbinsel von der italischen scheidet, bei den Schriftstellern
des ftlnften Jahrhunderts v.Chr. 6 ^loviog^ 'loviog Ttovtog xohtog Tto-
fog^), seltener ^lovla ^alaaaa und akgJ) Ungeföhr ein Menschen-
alter später — zuerst bei Lysias — kommt der Name 6 ^Adqlag, Iddgl-
ag yuohtog in Gebrauch.^) In beiden Fällen hält man durchaus am
1) W. H. Smyth, the Mediterranean , a memoir physical historical and
nantieü, London 1854; frei bearbeitet von C. Bdttger, das Mittelmeer, eine
DaratelliiDg seiner physischen Geographie nebst geographischen, historischen
and nautischen Untersnchunsen , Leipzig 1859. Noch immer das Hauptwerk,
wenn gleich vielfach veraltet : die Tiefenangaben sind, wie das zn. gehen pflegt,
weitaus an hoch gegriffen.
2) Plaut Men. 296 Cicero, de or. Hl 69 ad Ali IX 5, 1 19, 3 yti%. Georg,
tt 158 Aen. YHI 149 Uv. Y 33 Plin. HI 132, in offlcieller Sprache eh. 136, XIV
67 Heia U 58 Justin XX 1, 7 Sneton praU p. 242 Reiffersch. Aug. 49«
3) Aesch. Prom. 840 Eurip. Tro. 225 Pboen. 208 (vgl. Hippel. 736) Herod.
VI 121 VH 20 IX 92 Thuk. I 24 VI 30 Hellanikos b^ Dien. Hai. 1 10. 28.
4) Pindar. Pyth. 3, 121 Nem. 4, 86 7, 95.
5) Lys. XXXU 25 fr. 1, 4 Isokr. V 21 B5ckh, StaaUh. HI 462 IHod. lY 56 o. a.
Btb die von Stephanos v. Byianz dem Hekataeos beigelegte Erwähnung —
90 Kap. IL Das Meer.
männlichen Geschlecht fest, wie es der Wildheit dieses Meeres mit den
übrigen Abschnitten der Mittellandsee verglichen entspricht. Um die
Mitte des vierten Jahrhunderts wird in der Küstenbeschreibung des
Skylax die jüngere Bezeichnung als gleichbedeutend mit der älteren
hingestellt ^ Dann aber tritt ein aufßilliges Schwanken zu Tage. Die
Linie nämlich zwischen dem akrokeraunischen Vorgebirge und der
messapischen Halbinsel, welche die kürzeste Verbindung zwischen bei-
den Ländern bildet, wird als Meeresgrenze angenommen, wofür sie in
der That von Natur bestimmt ist. 2) Der von ihr nach Norden sich er-
streckende Meerestheil heifst Adrias, der südliche lonios.^) Oder aber
der lonios gilt nur als ein Abschnitt des Adrias und dient nebenher
um das südliche Stück am akrokeraunischen Vorgebirge von der
gröfscren NordhäUle zu unterscheiden.^) Besonders haftet dieser Name
an der Ueberfahrt von Ilalien nach Griechenland^) Die römischen
Schriftsteller haben beide Benennungen aufgenommen, vorwiegend
jedoch nur die jüngere gebraucht.^) Es sieht wie ein gesuchter Archa-
ismus aus, wenn einige Griechen der Kaiserzeit den Ausdruck Adrias
meiden ; denn im Volksbewubtsein hat er alle Unterscheidungen der-
art verdrängt, dafs er für das gesammte Meer, welches die Ostküsten
Italiens und Siciliens bespült, verwandt und bis nach Malta und Kreta
hin erstreckt wird.'O Freilich verschwindet trotzdem lonios .keines-
fr. 58 M. — nicht einer lonischeD Erdbeschreibung entstammen kann, wurde
bereits S. 7 A. 1 bemerkt Der Sprachgebnuch in fr. 59—61 schwankt.
1) § 27 rb Sh avto 'AS^iag iaxl xal ^oviog vgl. 14. Dion. Per. 92.
2) Pol. Vn 19, 2 Strab. VII 317 Mela U 67 Plln. lU 100.
3) Mela 117 Plin. 10150 IV9rg. Tac. Ann.U53 ebenso bei Kosmographen
der christlichen Zeit, deren Sprachgebrauch jedoch ganz inconsequent ist
4) Strab. n 123 VI 259. 281 Vnsnfg. Ebenso Polybios.
5) o T* 'loviog noQoq xcd xara ti owsxhg 6 xata tov 'ASglav xok-
Ttog Pol. n 14, 4 V 110, 2; Agath. Geogr. 3, 8 Diod. XIH 3, 3 XV 13, 1 XVI 5, 3
Pind. Nem. 4, 86 u. A.
6) Adrianum mare Gic. in Pis. 93 ad Att X 7, Augustus mon. Anc c. 26
Vitruv U 9, 14 1 0, 1 , 'ASpiavri ^aXarta Dion. Hai. 1 2 II 49 ; Adria Seneca Ep. 89, 20
nat quaest III 29, 7 Tac Ann. XV 34 Bist 10 42 Mela und Dichter; »inus Adri-
aUeiaUy,X2; gewöhnlich mare Adriaiieumj darnach rj *ASQiarixi] 9iiXatxa
Strab. IV 204 Plut Garn. 40; dichterisch Adriaeum Verg. Aen. XI405 Ov.Hai.
125. "- loniu» zuerst Gatull84, 11.
7) loseph. viU 3 Pausan. V 25, 3 VIH 54, 3 Apostelgesch. 27, 27 Philostr.
imag. n 16 Ptol. IIl 1, 1 fg. Prokop. I p. 372 Dind. Servius V. Aen. XI 540 Oros. I
2,90. — Plntarch Lueian Appian Dio Herodian brauchen lonios, wo bei Po-
lybios und Strabo Adrias stehen würde.
S 1. Die Adria. 91
weg8 ganz und wird nach wie vor auf den südlichen Theil des adriati-
sehen Busens von der messapischen Mflndung bis zum Garganus oder
bis Ravenna bezogen J) Aus dem Gesagten erhellt, dafs die Alten zu
einem festen allgemeingültigen Sprachgdirauch nicht gelangt sind, und
wenn man sich in der Neuzeit gewöhnt hat das Heer sfidlich von den
Engen ab ionisches zu benennen , so befindet man sich damit zwar in
Einklang mit unsichem römischen Schriftsteilem, aber in Widerspruch
gegen die besten Autoritäten der clasaschen Zeit Die wechselnde
Namengebung erklärt sich aus der Geschichte der Schiffahrt in diesen
Gewässern. Bis an die Nordspitze sind die Hellenen erst in römischer
Zeit vorgedrungen (S. 10). Dagegen führte seit Alters eine belebte See-
strabe über die Enge von Otranto, auf welcher sich der ganze Verkehr
zwischen dem Mutteiiand und seinen westlichen Colonien zusammen
drängte. Den Namen lonios leiteten die Alten von den Wanderungen
der lo her oder erdichteten nach jenem einfachen Auskunftsmittel, das
ihnen nie versagte, irgend einen gleichnamigen Heros zur Erklärung. 2)
ihn auf die Farbe zu bezidien „das veilchenfaurbene dunkle^, wie Homer
das vom Wind aufgewühlte Meer bezeichnet, würde in sachlicher Hin-
sicht um so annehmbarer erscheinen, als es den Slaven noch jetzt das
Blaue Meer heilst, ist aber grammatisch nicht wol statthaft, s) Die Her-
kunft des jüngeren Namens Adrias dagegen unterliegt keinem Zweifel:
die Römer leiten ihn von der Stadt Atria an der Pomündung ab und
erkennen darin ein Zeugnib von der ehemaligen Macht und Gröfse
der Etrusker.^) In den ältesten Erwähnungen bedeutet er freilich
weder See noch Stadt, sondern das Land der Veneter ^), vereinzelt auch
einen Fluls, den Po oder einen Arm desselben ^): allein in derselben
i) Ptol. in 1 darch seine falsche Anschauung von der Axendrehnng Italiens
bestimmt; Prokop n p. 79 Dind. Veget IV 32 Pausan. VI 14, 13 Amm. XV 4, 6;
bei 0ro8. 1 2, 58 in der jetit flblichen Anwendung.
2) Aesch. ProuL 840 Apollodor 11 1, 3 SchoL Pind. Pyth. 3, 120 EusUth z.
Dion. Per. 92 Senrios V. Aen. m 211 Ammian XXU 8, 13 Appian b. dv. II 39.
3) nowog loeid^g n. XI 298 Od. V 56 XI 107.^ Die SUmmsilbe von iovtog
ist nur bei den Tragikern kurz, daher nicht von lov vlola^ noch weniger Ton
laFovsg abzuleiten.
4) Ut. V33 Strab. V 214 Instin. XX 1, 9 Plin. ID 120. Als Namensform ffir
SUdt und Einwohner steht AMa Atriales fest CIL. Vp. 220; die Aspiration
in den Handschriften wird fibrigens durch mon. Aue. c 26 gestfltst.
5) Her. 1163 IV 33 V9 Theophr. bist plant I V 5, 6 ; Polybios sagt stets o
Mtra tov *A8Qlav xohtog; IHodor XVI 5, 3 ^ ne^ riv ^ASglav ^Xarra; Eurip.
Hippel. 736 USgifiv^ axr^. Als Stadt ist es vieileicht zu fassen Plut Dion. 11.
6) Steph. Bys. u. kJ(». angeblich nach Hekataeos fr. 58, vgl S. 89 A. 5,
92 Kap. IL Dm Heer.
Weise beieichDet Aegyptos bei Homer das Land und den Nil, bei den
Späteren Tartessos Flufs Stadt und Land. Die HeUeoen haben Ver-
bindungen mit demselben gehabt und von hier namentlich Bernstein
bezogen: indessen hörte dies im fttnften Jahrhundert livieder auf (Kap. IV
Einl.). Nun ist es gewifs nicht zuMlig dafs der Name fOr die See sich
erst seit der Periode Terbreitet, ab DionysI an jenen Kosten festen
FuÜB gefafst hatte. Die Gründung von Atria wird ihm geradezu bei-
gelegt ^)j und wiewol diese Nachricht der sicheren Beglaubigung ent-
behrt, so hat doch der hervorragendste Staatsmann des Tyrannen bei
seiner langen Anwesenheit am Po dauernde Werke geschaffen >), und
femer beweisen die zahlreichen Gräberfunde, dafs griechische Bildung
hier Eingang gefunden wie in keiner anderen Stadt des Nordens. Wir
lassen dahin gestellt, was der Stadtname bedeutet'), begreifen aber
vollständig, wie er auf das zwar schon bekannte doch erst im vierten
Jahrhundert nachhaltig erschlossene Meer übertragen werden und
durch griechische Vermittlung an die Romer gelangen konnte. Schliefs-
lich sei bemerkt, dafs einzelne Abschnitte desselben gelegentlich nach
den betreffenden Küstenländern apuUsch istrisch libumisch dalma-
tisch illyrisch benannt wurden.^)
Die Adria ^) in den oben umschriebenen Grenzen bis zum ^lonog
^OQog der Strafse von Hydnmium Otranto über 6 Breitengrade aus-
gedehnt, mifst 120 Meilen Länge, ca. 25 Meilen Breite und umfaist
eine Fläche von ca. 2400 Quadratmeilen Inhalt. Ehedem erstredite
sie sich noch weiter und bedeckte die ganze Poebene: die Schutt-
ablagerung der Alpen hat das Land vorgerückt und wirkt in diesem
Sinne noch fortwährend nach. Die Adria stellt sich als ein grofses
Längenthal dar, welches die gleichartigen Gebirgssysteme der griechi-
schen und italischen Halbinsel trennt. Und zwar liegt die tiefste Ein-
senkung durchaus an der Ostseite: 9 — 1100m in der Stralse von
Tbeopomp bei Strab. Vll 317, 'Ar^tavog PtoL lU 1, 26, Atrianonm pmlmdn
Plin. m 120.
1) Etym. M. u. 'A6^. hisUn. XX 1, 9 vgl. Holm, Gesch. Sic. U p. 134. 440.
2) über PhUistos PIoLDiod. 11 Plin. Dl 120.
3) Eine altertomliche Bildung von derselben Worsel ist atrium vgl. meine
Pomp. SUdienp. 628; ein Gebirge Dabnatiens !4d(Moy Strab. YU 315.
4) Tac Ann. UI 9 Hist lU 2 Her. Od. HI 24, 4.
5) vgL die General- und Knrskarte der oesterreichischen Marine, nach den
1867 — 73 mit den Italienern gemeinschaftlich angestellten Auihahmen im Mais-
slab 1 : 1 000 000 herausgegeben. Yerseicbnifii der Spedallitteratur bei Amatt,
diaionario corografico 1 98.
1 1. Die Adria. 98
Otranto, 10 — 1500 m vor der Küste von Cattaro und Ragusa (höchste
Tiefe 1590 m), weiter nördlieh vor der dahnatinischen Inselgruppe
60 — ^200 m, Yor Ancona nur 40 — 80 m; das nördlichste Stttck zwi-
schen den Pomflndungen und Istrien hat nirgends über 40 m, zwischen
Venedig und Triest Oher 24 m. Die Entwicklung der Kosten wird zu
1980 km angegeben und zwar 890 km von Cap Leuca bis zur Po-
mOodung, 243 km yom Po bis zum Golf von Quamero, 847 km für
die iUjrisdi-griechische Halbinsel. Vom Golf von Quamero aus zieht
sich am libumischen und dalmatischen Ufer durch mehr als zwei Brei-
tengrade ein Gortel von Felseninseln Terschiedenster GrOfse hin. Aber
diese zerrissenen Gestade fallen so schroff ab, dafs eine Flotte in der
Regel bis auf halbe Kabellänge ihnen nahen kann. Der ursprüngliche
Fehengrund ist nur durch einen dünnen Ueberzug ton Geschieben
yerfaüUt. Anders an der italischen Seite. Diese dacht sich allmtlhUch
ab, sodafs die Tiefe im Durchschnitt auf jede Seemeile (ca. 2 km) um
nicht mehr als einen Faden zunimmt und daft die Schiffe 6 — 8 km
Tom Lande Anker werfen müssen. Von Inselbildung — mit einziger
Ausnahme der insulae DiomedMe Tremitiinseln — ist nirgends die Rede.
Dagegen haben die Flüsse des Nordens einen Saum von Sandbänken
und Dünen vor ihren Mündungen aufgeschüttet und die abgeschnit-
tenen Meerestheile in träge Lagunen umgewandelt: ein sprechender
Gegensatz zu den tiefen Sunden und steQen Klippen lUyriens. Freilich
ist die renetische Küste das am meisten bevorzugte Stück der West-
seite , insofern sie ein weites und reiches Hinterland aufscbliefst. Viel
ungünstiger erscheint das Ergebnifs, wenn man die Bildung des appen-
ninischen Ufers mit dem gegenüber liegenden vergleicht Das eine
streicht einförmig und ganzrandig^ das andere verrät durch sein zer-
hacktes Aussehen, dafs es einen wahren Ueberflufs an trefilichen
Hafen aufzuweisen hat.^ Hüben fehlen solche auf einer Strecke von
100 deutschen Meilen gänzlich. Der Appennin schickt an 30 Ausläufer
aus, die gleich Rippen an der Centralkette ansetzen, gegen das Meer
hin sich allmälich verflachen, aber bis zum Garganus nirgends für
grofsere Ebenen Raum lassen. So entsteht eine lange Folge von paral-
lelen Querthälern und Küstenflüssen , deren Mündungen als Anker-
plätze für Fischerbarken ausreichen, für Seeschiffe unnahbar sind.
Nur an zwei Stellen wird die Einförmigkeit durch vorspringende Halb-
t) Strabo YIIS17 hebt den Gegensatt berror; Liv.X2 tmpwriwuü ItaKae
94 Kap. D. Das Meer.
inselD unterbrochen: durch Abs promunturmm Cunerum, an dem An-
cona liegt, und den massigen mam Gargamu. Ersteres bietet dne be-
suchte aber ungeschützte Rhede; am Pub des letzteren dehnen sich
seichte Lagunen , welche mit ihren Miasmen die Luft verpesten und
den Verkehr nicht anzulocken yermOgen. Im ftursersten Süden erst,
wo die apulische Halbinsel vom Stamm des Landes sich lOsl, werden
vorzügliche Hafen (Brundisium Hydrunium) angetroffen, die im Alter-
tum wie heut zu Tage den Anforderungen des Weltverkehrs genügten.
Aus diesen Umständen erhellt, warum die fruchtbare Küste lulieos
einer frühzeitigen maritimen Entwicklung nicht fidbig war. Das zer-
klüftete Gegengestade erwies sich trotz seiner Nahbarkeit hierfür noch
weniger geeignet; denn jene zahllosen Inseln, welche insgemein von
den HandelsvOlkem zunächst in Besitz genommen zu werden pflegten,
sind kahl und wasserarm, das Festland aber in seiner zerrissenen Wild-
heit ermangelt der natürlichen Gliederung und hat der Civilisation un-
übersteigbare Schranken entgegengestellt Hierzu kommt die Unbe-
ständigkeit des Wetters, die Helligkeit der Stürme, welche die Adria
jetzt wie ehedem in Verruf gebracht haben, i) Die Luftströmungen
werden von den Randgebirgen gleichwie in einem Schlauch gefangen
gehalten und gezwungen in der Axe des Meeres sich auszutoben. Na-
mentlich die gefürchtete Bora, welche über den niedrigen Karst in das
erwärmte Becken einfiillt, gehört zu den schlimmsten Plagen und be-
schränkt an manchen Plätzen die Schiffahrt auf wenige Sommermonate.
§2. Das Sicilische Meer.
Die Enge von Otranto oder — wie die Hellenen sagten — der
loniossund begrenzt die Adria im Süden. Das akrokeraunische auf
der einen, das Vorgebirge von Hydruntum auf der andern Seite rücken
einander so nahe dafs der Abstand beider Länder bis auf 63 km sinkt
und der antike Reisende in 5 Stunden hinüber gelangen konnte.')
Strabo giebt die Entfernung von Hydrus bis zur Insel Sason richtig
zu 50 Hillien an , während Plinius dasselbe Hafs bis zum Hafen von
Apollonia rechnet, was ungeßihr 10 Millien hinter der Wirklichkeit
zurückbleibt') Wenn der letztere hinzufügt schon zweimal sei das
Project aufgetaucht die Enge zu überbrücken , so wird der geneigte
1) Hör. Od. 1 3, 15. 33, 15 U 14, 14 III 9, 23 vgl. Kap. IX 3.
2) Cicero an Att. IV 21, 3. Der Regel nach ward viel mehr Zeit gebraucht
3) Slrab. VI 281 PIid. UI 100.
§ 2. Das Sicilische Meer. 95
Leser die Geduld bewaoäern , mit welcher der römische Admiral Sino
und Unsinn in seinen Colleclaneen zusanomen trug (S. 20). Durch die
Enge Ton Otranto steht die Adria mit dem grofsen Ostbecken der
Mittellandsee in Verbindung. Die einzelnen Abschnitte desselben lassen
sich schwerer umgrenzen; in Folge dessen findet ein vielfaches Schwan-
ken in der Benennung statt. Zunächst ist ein Meerestheil auszuson-
dern , dessen Gestalt sich einem Dreieck annfthert: die eine Seite,
80 Meilen lang, wird durch die italische und sicilische Küste nebst
Malta gebildet, die zweite 90 Meilen lange Seite durch Epirus, den Pelo-
ponnes und Kreta, die dritte 110 Meilen lange Seite Offnet frei auf das
insellose Meer, welches unterhalb des 35^ n. Br. an Africa hinzieht. Der
so umschriebene Abschnitt mit einem Inhalt von ungefilhr 4 — 5000 GM.
beiTsi bei den Griechen das siciUsche Meer to Smekixdv rcikayog 6
2iX€3Lix6g novxog mare Siculum ^), wird in alexandrinischer Zeit auch
wol nach den Ausonern oder Aurunkern to Avaoviov nikayog mare
Ausonium benannt. 3) Die römischen Geographen haben misbräuchlich
das mare lonmm hierher verlegt 3); die vulgare Anschauung der Kaiser-
zeit dehnte den Namen Adria Ober dieses ganze Gebiet aus.^) Die
Küsten desselben fallen rasch zu bedeutenden Tiefen ab: Ostlich von
Sicilien ergab das Senkblei in einem Abstand von 5 — 10 km 500 —
1000 Faden und 100 km von Gap Passero entfernt gar 2150 Faden.
Die Inseln sind mit guten Hufen (Malta Syrakus Messina) besser aus-
gestattet als das Festland mit seiner 648 km langen Küste. Der grofse
Busen von Tarent erinnert zwar in seiner Bildung an die einschnei-
denden, Land auflockernden und belebenden Golfe von Hellas; aber
nur die Stadt Tarent besitzt einen allen Anforderungen genügenden
Hafen und war dadurch ein Mittelpunct des Verkehrs geworden.^)
Zwei Wege führen aus dem sicilischen und dem Ostlichen Mittel-
1) Stets bei Polybios, fast immer bei Strabo, feroer u. a. Thuk. IV 53 VI 13
Xen. Oek. 20, 27 EratostheDes bei Plin. HI 75 Aristoteles de mundo III 3 met.
U 1 ; seltener bei Römern.
2) Strab. D 123. 128 V 233 VH 324; Polybios (?) bei Plin. lU 75. 95. 151
XIV 69 ; ans der erhaltenen griechischen Litteratur ist der Name nnr bei Lyko-
phron. Alex. 44 (vgl. S. 65 A. 6) nachweisbar.
3) Plin. nilOO IV 51 u. o. Desgleichen Mtla, durch das Schwanken des
griechischen Sprachgebrauchs verleitet Uebrigens ist Piinius selber incon-
seqaent.
4) Tgl. S. 90 A. 7.
5) Pol. X 1 dq xiXo(i aUfiivov slvui cvfißalvu rijv nXfVQav r^c ^Ira-
96 Kap. n. Di8 Meer.
meer überiiaupt in die Westhdfte desselben : der eine durch den Sund
von Hessina, der andere zwischen Sicilien und Afirica hindurch. Die
Meerenge wird gemeinhin nach der Insel 6 SixaJUxog Tto^fAog fr^tum
Sicidum, bisweilen auch ohne Beiwort durch ftaq&fwg fntvm bezeich-
net 0 Bei einer Lange von 30 km mibt sie am nördlichen Eingang
nur 3200 m und verbreitert sich allmälich: bei Messina 6100 m, bei
Reggio 11380 ro, am südlichen Ausgang 14160 m. 2) Die Tiefe am
nördlichen Eingang beträgt 131 , dann nur 51 , bei Messina wieder
190 Faden und wachst rasch auf 600 Faden. Die HeDenen haben be-
reits ausgesprochen, dais beide Länder ursprünglich zusammen hingen
und durch seismische oder neptuniscbe Mächte getrennt worden sind.
Sie verlidien dieser Erkenntnils einen sprachUchen Ausdruck, indera
sie ihre Pflanzstadt ah der italischen Küste 'Pijyiov Bruch Rifs nann-
ten.3) In der That wird die empirische Beobaditung, welche den
Schlub veranlafst hat, durch die völlig identische Zusammensetzung
der Gebirge hüben und drüben bestätigt Der Rifs kann auch mit den
Alten auf Erdbeben zurückgeführt werden, nur (Ult seine Entstehung
in die Tertiärzeit d. h. lange vor der Schöpfung des Menschen. Wahr-
scheinlicher Weise war es ursprünglich ein trockenes Thal ahnlidi wie
die Senke von Tiriolo zwischen den Buchten von Terina undScyllaeum,
welche die Südspitze Bruttiums landfest gemacht hat und sich nicht
über 250 m erhebt Die Wandlung des Thals in eine Meerenge ist sei
es durch Sinken des Landes, sei es durch Steigen des Meeres erfolgt
und hängt mit der groCsen Veränderung zusammen, wefche der Mittel-
landsee ihre jetzige Gestalt gegeben hat In der Gegenwart wird wieder
eine aufsteigende Bewegung dieser Küsten wahrgenommen ; zugleich
arbeiten die Abschwemmungen von den Bergen daran die Breite und
Tiefe der Enge zu vermindern.^)
Bei Liiybaeum erspäht das Auge, wenn die Luft klar ist, die Nord-
spitze Africa's, das pramonttnium Htrmamm Gap Bon. Die Entfernung
beträgt auf der kürzesten Linie 120 km. Das Profil des Meerbodens
lehrt, dafs ehedem die Vertheilung des Festen und Flüssigen eine andere
1) nach der Scylla mit nahe liegender Anspielang Plato ep. 7 p. 345 E Athen.
Vn p. 3tlf Gic pro Sest 18; frttum SieiUense Gie. nat deor.lll 10,24; ohne
Beiwort Thnk. IV 24 Gic an Att. II 1, 5 Gaes. b. dv. 1 29 Flor. 1 17, 9; fireiense
mare Gic an Att. X 7, 1.
2) Die Angaben bei Strab. VI 268 Plin. HI 86 sind in niedrig.
3) Aeschylos n. A. bei Strab. VI 258 Diod. IV 85 Plin. m 86.
4) Th. Fischer, Beitrage zur phys. Geogr. d. Mittelmeerl&nder p. 1^24.
§ 3. Dts Tyrrhenische Meer. 97
gewesen sein mufs. Zwischen dem südlichen Vorgebirge Siciliens und
der maltesischen Gruppe finden wir nirgends Aber 100 Faden: wie die
meisten Inseln, so sind auch diese früher landfest gewesen. Zwischen
Gap Boeo und Cap Bon sinkt das Lot an tiefster Stelle auf 248, in der
Regel nicht über 100 Faden: grofse Plateaus — wie die von AdmiraF
Smyth entdeckte und nach seinem Schiff benannte Adventure Bank —
erheben sich vom Meeresgrund bis 76 und weniger Faden; ja einzelne
Stellen messen nicht mehr als 7 und 8 Faden. ^) Die fossile Fauna
zwingt uns zu dem Schlüsse dafs Sicilien und AMca ebenso wie Sicilien
und Italien, wie Spanien und Mauretanien durch Landbrücken verbun-
den waren, wfthrend das östliche Mittelmeer durch die Syrten und 6i6
Sahara sich nach dem Ocean hin fortsetzte. Stufenförmig fiel die ita-
lische Landbrücke ab, insofern die Senke von Tiriolo 250 m über Heer,
die Enge von Messina 102 m, die Durchfahrt hei Cap Bon 496 m unter
Meer liegt. Seculare Hebungen und Senkungen scheinen den Zusam-
menhang zerrissen, die Trockenlegung der Sahara einerseits, den Ein-
bruch des Oceans durch die Säulen andererseits, endlich auch die Ver-
einigung des westlichen und Ostlichen Mittehneerbeckens bewirkt zu
haben. Es erschien in mehr als einer Hinsicht angemessen an diese
Vorgänge zu erinnern. Die getrennten Kreise, welche die Geschichte
von West und Ost beschrieben hat, sind durch die Natur vorgezeichnet:
ihr Verständnifs wird gefordert, wenn man sich eine Zeit vergegen-
wärtigt, wo räumliche Schranken zwischen beiden aufgerichtet waren.
Allerdings tritt die Scheidung auch jetzt deutlich nnd klar zu Tage : die
«eilische Enge und die Durchfahrt zwischen der Insel und Africa geben
scharfe Grenzen ab. Das westliche Becken wird zu 15350 DMeilen,
das östliche zu 24500 DMeilen FlächeninhaTt berechnet. Und wie dag
letztere an GrOfse jenes überragt, so haben sich auch reichere und
mannichfaltigere historische Bildungen an sein^en Ufern vollzogen.
§ 3. Das Tyrrhenische Meer.
Das Westbecken des Hittelmeers zerfallt in zwei ungleiche Theile,
welche durch die Inseln Corsica und Sardinien begrenzt sind. Der
kleinere Tbeil erhält durch die umgebenden Landmassen fast den Cha-
rakter einer Binnensee und besitzt annähernd die Gestalt eines recht-
1) Vielfach wird den Alten eine Kenntnirs dieser unterseeischen Verbin-
dung Zugeschrieben nach Strab. 149, wo es sich indefs um die Strafse von
Gibraltar handelt.
Hiiitn, ItaL LuidMkvBd«. I. 7
98 Kap. IL Dm Meer.
winkligen Dreiecks, dessen Hypotenuse durch die 1200 km lange
Kttste des italischen Festlands, dessen Katheten durch Corsica-Sardinien
und Sicilien dargestellt werden; der rechte Winkel dagegen ist durch-
stofsen und in einer Hündung von mehr als 30 Meilen Weite Offnet
«sich die Binnensee in der Richtung auf den Golf von Karthago. Sie
erstreckt sich vom 43 bis 38<^ n.Br. und bedeckt ungefähr eine Fiftche
von 3000 DMeilen. Der Römer benannte sie von seinem Standpunct
aus folgerichtig als mare inferum oder Südsee: was die Griechen durch
t' voTiov Ttikayog wiedergegeben haben sollen, i) Jedoch Iflfst sich
diese Uebersetzung in der erhaltenen Litteratur nicht nachweisen:
vielmehr heifst das Meer allgemein nach den seemachtigen Etruskem
TvQQTjVixog 7c6k7tog'^\ 6 TvQQfjvixog^), gewöhnlich TvQQtjvixfj ^o-
Xaaaa oder TvQQtjvixdv niiayog,^) Die Bezeichnung wird von der
lateinischen Sprache aufgenommen mare Tytrmum^ bei sorgßiltigen
Prosaikern indessen in mare Ttucum umgewandelt. <^) Die Dichter brau-
chen die vollklingende griechische Form häufig^^, die am Ausgang des
Altertums den Vorrang behauptet und in den modernen Sprachen Gel-
tung erlangt hat. Die tyrrhenische See bietet für die Entwicklung von
Handel und Schiffahrt im Ganzen genommen günstige Verhältnisse dar:
ein abgeschlossenes und doch nach allen Seiten offenes Gebiet mäfsiger
GrOfee, das weit minder von verderblichen Stürmen heimgesucht wird
als die Adria und in der Küstenbildung sie weit übertrifft. Letzteres
gilt nicht von den beiden Westinseln , welche dem italischen Festland
in gleicher Weise den Rücken zukehren wie dieses den Gestaden von
Hellas: der an der Rückseite hervortretende Mangel an Hflfen^) hat
ihre Isolirung befördert und zum Theil jene trostlose Rolle verschuldet,
zu der sie im Altertum verurtheilt waren. Dagegen ist die Nordseite
1) Plln. in 75 ab eo (LigutUco) ad SieiUam ifuulam TWetim, quod 99
Graecis aUi ßfotium alii TyrrenuMt e nostris plurumi inferum voeant,
2) Sophokles bei Dion. Hai. I 12 Hipparch bei Strabo II p. 92 Aristoxe-
no8 fr. 90.
3) Aristot Meteor. II 1.
4) Thnk. IV 24 Pol. II 14 n. a. Dionys Diodor Strabo PlaUrch u. s. w.
5) Das Fremdwort in Prosa Vitrnv n 10, 1 Plio. XXXVI 125 Ammian XY
10, 2 IXIX 6, 17 Feldmesser p. 62 Lachm. Ampel. 7, 3; bei den Kosmograpben
(Orosins Honorios Vibias n. s. w.) ansschliellBlich vorkommende Form.
6) Cicero bei Senrias V. Ecl. 1 , 58 Verg. Georg. 0 164 Aen. I 67 Hör. Od,
I 11, 6 n. A.
7) natura inpartuon marit Sen. Dial. XII 7, 8 von Gorsica ; in Betreff
Sardiniens vgl. Liv. XXX 39, Pausan. X 17, 10.
S 3. Das Tyrrhenische Meer. 99
Siciliens von Natnr reich bedacht und vollends vermag die adriatiache
Küste Italiens mit der tyrrhenischen keinen Vergleich auszahalten.
Während dort ein einförmiges unnahbares Gestade in langen unge-
brochnen Linien streicht, ist das Land hier belebt und gegliedert.
Freilich darf man keinen hellenischen Mafsstab anlegen wollen. Strabo
hebt mit Recht als charakteristisches Merkmal Italiens hervor, dafs es
nur wenige aber grofse und vortreffliche Hftfen besitzt, i) Italien kennt
nicht jene tief einschneidenden Buchten mit vorgelagerten Inseln und
zusammentretenden Vorgebirgen, welche in Hellas Land und Meer un-
lösbar verbinden. Seine Golfe dringen als Halbkreise oder als Kreis-
segmente flach ein und bleiben nach dem Meer zu offen: so die Golfe
von Genua Spezia Populonia Telamon Terracina Gaeta Neapel Salemo
Buientum Terina. Inseln, welche im aegaeischen Meer das Aufkom-
men der Schiffahrt so sehr erleichtert haben, finden sich nur an zwei
Puncten vor: der etnirische Archipel vor Mitteletrurien und durch eine
20 Meilen lange ganzrandige Küste davon getrennt die Ponzainseln
nebst der neapoUtanischen Gruppe vor Campanien. Allenfalls lassen
sich noch die aeolischen Inseln hinzufügen, welche dazu beitrugen den
Abstand zwischen Sicilien und dem Festland zu mildem. Dem steilen
Abfall der Gebirge entspricht die bedeutende Meerestiefe. Alle jene
Buchten sind für Schiffe gröfsten Kalibers zugänglich und gestatten
ihnen in unmittelbarer Nähe des Landes Anker zu werfen. Im süd-
östlichen Theil dieses Gebiets sinkt der Grund mehr als 1000 Faden.
Am Nordende des tyrrhenischen Meeres nimmt die Tiefe ab und
erreicht höchstens 100 Faden. Eine zwiefache Inselbrücke verbindet
hier Corsica mit dem 82 km entfernten Festland: OgUua Igilium vor
dem mans ArgerUarius und Planasia Iha vor dem Vorgebirge von Po-
pihma. Es unterUegt keinem Zweifel dafs beide ehedem zusammen
gehangen haben. Jenseit Capraria wächst die Tiefe wiederum bis auf
700 Faden, der niedrigsten Einsenkung zwischen Corsica und Genua.
Die unterseeische Bank , welche von Etrurien nach der Insel hioläuft,
begrenzt das tyrrhenische Meer im Norden. Und wenn wir nach phy-
sischen Gesichtspuncten den Ugurischen Busen von demselben abtren-
nen, so fordert die historische Betrachtung das gleiche Vorgehen. Zwar
kennt Polybios eine derartige Unterscheidung nicht, da er das tyrrhe-
nische Heer bis an den Fufs der Alpen ausdehnt^); auch besteht der-
1) Str. VI 2S6 xo aXlfievov xata to nliiatov xal tb xav^ Svxaq lifii-
vaq fnyaXovQ ehai xal dnvfuxaxovg,
2) n 16, 1 III 110, 9 XXXIV 10, 18.
7*
100 K«p. n. Da8 Meer.
8dtt>e Sprachgebrauch noch unter der Regierung des Augustus.^ Erst
unter seinen Nachfolgern ist vom AiyvOTiKOv ftilayog mare It^urti-
cum stwus Ltgtuiiau die Rede.^) Allein darin flulsert sich lediglidi die
Thatsache, dafs der Hecrestheil wie das hinterliegende Land bis dahin
der römischen Culturentwicklung fern gestanden hatte. Viele Jahr-
hunderte ^äter im Mittelalter ist ihm beschieden gewesen grolsartige
eigene Aufgaben zu lösen. Wegen der abgeschlossenen historischen Be-
ziehungen, welche sich an die beiden Meere knüpfen, geben wir ihnen
mit den Geographen der Kaiserzeit gesonderte Namen. Der ligurische
Busen ist von den Alten bflufig mit dem gallischen oder Golf von Lyon
verwechselt worden. Naturgemäfs ist die Grenze zwischen beiden bei
den iniulae Stoechades der Gruppe von Hy^res anzusetzen , wo die in
südwestlicher Richtung streichende Küste nach Norden umbiegt und
zugleich die Alpen ihren Anfang nehmen : so scheinen es auch die Rö-
mer aufgefafst zu haben.^) Den Inhalt des ligurischen Meeres schlitzen
wir auf 600 DMeilen ab. Den Reichtum der schmalen steil abfallen-
den Küste an guten Hftfen hebt schon die alte Beschreibung des Sky-
lax hervor.^) Sie mifst 344 km Ausdehnung.
Auf die übrigen Abschnitte des westlichen Mittelmeerbeckens
haben wir nicht näher einzugehen. Die tyrrhenische See steht durch
die Strafse von Bonifacio mit ihnen in directer Verbindung. Indessen
ist diese Durchfahrt im Altertum noch weniger benutzt worden als
gegenwärtig. Sie ist an schmälster Stelle 12 km breit und 40 Faden
tief: eine Menge von Inseln Klippen und Untiefen bekunden da(s der
ursprüngliche Zusammenhang Sardiniens und Corsica's durch den
Einbruch des Meeres zerrissen worden ist. Die Durchfahrt ward von
den Alten ohne speciellere Bestimmung als Canal Taq>Qog foua be-
zeichnet; im dritten Jahrhundert n. Chr. hat sie einen Beinamen frt-
tum GaUicum erhalten, der zu keiner weiteren Verbreitung gelangt ist.^)
Jenseit der Inseln erstreckt sich der Haupttheil des Westbeckens x6
SaQÖfpov oder Sa^Soviav TtiXayog [Sardoum mare],^) Man nahm an
1) Moo. Anc. c 26 Inschr. von Turbia Plin. III 136. Den Uebergang er-
läutert Livins, der XXX 19 die ligurische Kfiste unter den tinus Gaüieu» be-
Cifiii, nach anderen Annalisten XXVI 19 XXXIV 8 davon unterscheidet.
2) Strabo U 106. 122. 123. 128 Piin. lü 74. 80. 135 PtoL m 1, 3 Flor. I
41, 9 Agath. 3, 9 Dien. Per. 76 und Kosmographen.
3) Plin. ni 74. 79 XXXH 21 Gros. I 2, 28.
4) SkyL 4 (p. 18 M.) vergUchen mit Strabo III 159,
5) PUn. m 83 itin. Ant marit p. 495 Wess.
6) Eratosthenes bei Plin« m 75 Pol I 10. 42 U 14 lü 37. 41. 47 XXXIV 6
{ 4. MeeresströmiiDgeD. 101
es sei das tiefste aller Heere und messe 1000 Faden. 0 Da der Grund
bis 1500 Faden sinkt, so bleibt die Angabe von dem Vorwurf der
Oebertreibung frei; aber andererseits verkannten die Alten, dafs GrOfse
und Tiefe eines Meeres sieb gegenseitig bedingen, und haben in zwie-
facher Hinsicht das westliche Becken gegen das ihnen yertrautere Ost-
liche tlberschfltzt Sardinien stellte den Grenzbezirk dar, bis zu wel-
chem der geographische Horizont der Hellenen reichte : in Folge dessen
tauften sie das ganze Westmeer auf seinen Namen. Als aber dann
durch die romische Herrschaft die Kunde bis an den Ocean vorgerttckt
wurde, lag es nahe die einzelnen Abschnitte der See nach den Ländern
zu benennen , deren Küsten sie bespülte. So redet Polybios bereits
von x6 AißvMv ftikayog matt Libyeum oder i/hciim.^) Die ROmer
fügen das wuare GaUkuim^) im Norden und das mare Iberieum [Hispa-
man] oder Balearicum*) im Westen hinzu und meiden den Namen der
verrufenen Insel fast gftnzlich. Seinem Nimbus aus alter Zeit verdankt
er es allein , dafs die griechischen Gelehrten der Kaiserzeit ihn noch
in beschranktem Umfang verwenden.^) Am Ausgang des Altertums
tritt eine vollständige Verwilderung in der Benennung ein, so dafs die
Kosmographen das tyrrhenische Meer bis an die Säulen, zuweilen auch
Ober das Ostbecken bis nach Aegypten hin ausdehnen.
§4. Meeresströmungen.
Der uns geläufige Ausdruck Mittelmeer mare fnediterraneum taucht
zuerst im dritten Jahrhundert n. Chr. auf, findet aber viel später seine
Verbreitung. <^) Die Hellenen sagten im Gegensatz zum Weltmeer die
innere d. h. die innerhalb der Säulen befindliche See ij laco oder ij
ivrog -d'dXaaaa "^ und die Römer gaben dies vereinzelt durch mare
Apollod. I 9» 24 Skymn. 168. 196 Ayien. or. mar. 150; bei Herodot 1 166 scheint
der Name aacb den Norden des tyniieaiseheii Meeres an befassen.
1) Aristot Meteor, n 1 Poseidonios bei Sirabo I 54.
2) I 37.42 Diod.Y39 8trab. H 122 Sali Jugr. 18 PUn.Vl Mela n 123
n«r. I 18, 30.
3) Strab.U 128 PUn.m 74 Hmu GalUeus bei LIvins S. 100 A. 1.
4) Strab. n 122 Plin. m 14 IV 110 Flor. I 41,9 PtoLII 5 n. A. Bupamu
Otamnu Glandian 23, 8.
5) Strab. U 122 PtoL m 3, 1 Agatb. 2, 14 Dion. Per. 82. — fai Uteiniacher
Sprache inlaerat selten dimeiia. prov. 17 (p. 12 Riese) Oroa. I 2, 102.
6) Solin 22, 18 btdor Or.Xm 16 Gnido ▼. Pisa 118.
7) 4 ivTO^ "HgaxXilwp cvifiMv Bulaööa Aristot Met D 1 Dion. Hai. 1 3
UV 1 Plnt.Pomp. 25 Nik. 12 App. Mithr. 93; ^ iwhQ ^Xaaca IMod. IV 18
y
102 Kap. n. Das Meer.
imemum oder inte$tinum wieder, i) Indessen häufiger und geradezu in
der Eigenschaft eines Individualnamens brauchten sie die Bezeichnung
nostrum mare ^) : darin spricht sich die reiche Erfahrung aus , die sie
selber auf den Fluten des Oceans gesanunelt hatten. In der That y&r-
mochte eine Fahit an den zerrissenen Ufern der Bretagne oder über
die Watten der deutschen Küste die sehnsüchtige Erinnerung an die
heimische See wachzurufen ; der Contrast mufste den Südländern ein-
dringlich zu Gemüte führen, wie geMig und milde ihre See, wie un-
gleich geringer die Anforderungen, die sie an die Kühnheit und Aus-
dauer des Menschen stellte. Die heutige Wissenschaft drückt das beider-
seitige Verhältnifs in Zahlen und Daten aus. Zunächst erfreut sich das
Mittelmeer einer höheren Temperatur, als der Ocean bei gleicher Breite
und Tiefe aufweist. An der Oberfläche beträgt der Unterschied 1 bis
20 C, bei grofsen Tiefen 8— 10® C. Während nämlich die Wärme im
Mittelmeer mit der Tiefe alle 35 Faden um einen Grad abnimmt, so
bleibt sie von 100 Faden ab bis zu den grOfsten Tiefen constant auf
12,20 C. d. h. der mittleren Wintertemperatur, welche für das West-
becken berechnet worden ist. Dagegen sinkt im atlantischen Ocean
bei dieser Tiefe die Temperatur auf 2,5 — 4^ C. Namentlich im Winter
drängt sich die relative Wasserwärme dem Beobachter auf, wie denn
abgehärtete Fremde an manchen Orten den Genufs eines Seebades zu
keiner Jahreszeit sich zu versagen pflegen. Bei Sicilien beträgt das
Jahresmittel an der Oberfläche 19,07® d. h. 1,74® mehr als das der Luft
und zwar ist das Wasser im Herbst 2,73® im Winter 3,07 o, dagegen
im Frühling nur um 0,77 o und im Sommer um 0,40® wärmer. Für
die mittlere Adria wird 18,2 o als Jahresmittel angegeben, nach den
einzelnen Jahreszeiten 14,4® 15,6» 22,1 o 23® C^) Aus dem Gesagten
ergiebt sich , dafs die Verdunstung eine sehr beträchtliche sein mufs.
Strab. n 121 Plat. Alex. 68; ^ l<ra» Uhtaaa Pol. UI 39; ^df ^ ^kaaaa Her. I
1. 185 IV 39. 41.
1) mare intemum Plin.III 4. 31 Vl8 intesUnum Flor.O 13,76.
2) Mela I 1, 6 id omne qua venu quaque dispergitur uno vocabtüo No-
9trum mare diei($ir. Mela stehend, fernem. A. Sali. Jug. 17 fg. Gae8.b.Gai].Vl
Li¥.XXVl42 PUn.VI 142 TacAgric.24. — Plato Phaedon 113a braucht aUer-
dings den Ausdruck 17 nag' ^fuv ^Jiaaaa; aber das häufige ^ xa&* ijfmq
^Xaaaa bei Autoren der späteren Zeit ist klärlich auf römischen Einflufs
lurückzuffihrea : Pol 111 37 fg. Strab. 0 121 Ptol. II 5.
3) Die Angaben Aber Sicilien (Palermo) sind Fischer a. 0. p. 78 entnom-
men, aber die Adria (Lesina unter 43* 11' n. ßr.) dem Gompte rendu des 1875
zu Paris abgehaltenen geographischen Gongresses I p.83.
§ 4. MeereMtrftmuDgen. 103
Der Verlust, den das Mittelmeer alljährlich durch Sonne und Wind er-
leidet, ist einer Wasserschicht von mindestens 2 m Dicke gleich zu
achten. Hiervon wird etwa Vs m durch Regen, kaum V4 m durch die
Flösse ersetzt Den grofsen Ausfall trägt der durch die Säulen einströ-
mende Okeanos, in dem die Alten mit gutem Grund den Ernährer ihres
Meeres erblickten. ^) In grauer Vorzeit hatten die Phoenizier diese
merkwürdige Erscheinung kennen gelernt und ihre Kunde den Helle-
nen übermittelt Die Kunde hat die Weisen von Hellas Jahrhunderte
lang beschäftigt und wenn Thaies das Wasser als Urgrund aller Dinge
hinstellte, so wirkte in dieser AufTassung die folgenreichste Entdeckung
nach, welche von den Anwohnern des Hittelmeers überhaupt im Alter-
tum gemacht worden ist
Die hohe Temperatur hat den Reichtum vegetativen und anima-
lischen Lebens hervorgerufen , welcher das Hittelmeer vor nordischen
Gewässern auszeichnet Aufserdem hat sie den Verkehr des Menschen
mit dem fremden Element ungemein erleichtert. In der nämlichen
Richtung wirkte die Gleichförmigkeit im Niveau des Mittelmeers, die
sich in dem Fehlen gefährlicher Strömungen und periodischer Stö-
rungen äufsert Die gegen das Land andringende und von ihr zurück-
weichende Bewegung des Oceans, die sich wiederholt wie der Atemzug
eines lebenden Wesens, begründete nach Meinung der Alten den we-
sentlichsten Unterschied zwischen demOcean und der heimischen See. 2)
Die Erinnerung an das anmutige Spiel der Brandung, welches Italiens
Gestade unablässig erfüllt, erzeugte Angesichts unserer Watten in der
Seele des Römers eine Stimmung, die aus Mitleid und Abscheu ge-
mischt, das Dasein in solcher Natur als Strafe empfinden liefs.') Ebbe
und Flut waren dem Seemann des Mittelmeers eine so unbekannte
Erscheinung, dafs sie verschiedentlich grofse Flotten überrascht und
helles Entsetzen verbreitet haben. ^) Ihre Höhe pflegt ja auf Binnen-
1) Hom. n. XXI 195
ßadvQ^Ltao fifya a^ivo^ iixeavolo
ii ovnsQ nivTBq notafiol xal näaa &dXaaaa
xal näaai x^vai xal tpQBlaza fuxxQa vdovaiv
Tgl. n. XIV 201 AristMetlS.
2) Mela Anf. d. OH. finchs leitet mit dieser BetrachtoDg den Uebergang
zu den iafseren Lindern ein.
3) Plin. XVI 2 fg. als Augenzeuge mit wunderbarer Anschaulichkeit.
4) Arr. An. VI 19 Pol. 1 39 Gaes. b. Gall. IV 29 Tac Ann. 1 70. Den Gelehrten
wir die Kenntnis dnrch die Phoenizier abermittelt worden und Pytheas be-
reits mafs die Fluthöhe vgl. Plin. 021 2 fg.
104 Kap. n. Das Meer.
meeren so geriogfügig zu sein , dafs der Wechsel unbemerkt vorüber-
geht und nur auf dem Wege wissenschaftlicher Beobachtung ermittelt
werden kann. Nur wenige Gegenden machen hiervon eine Ausnahme
wie die Syrten und die venetischen Lagunen. ^) Jedem BesucherVene-
digs ist der regehnäisige Gang der Gezeiten aus eigener Anschauung
bekannt. Aber selbst hier übersteigt die gewöhnliche Flut kaum einen
halben Meter 2), während sie an der allantischen KUste Spaniens 4 m,
an der Themsemündung 6 m und gar im Canal von Bristol 12 — 15 m
mifst. Die Erklärung dieser Tbatsache liegt in dem Umstand, dafs die
ganze Fläche theils durch die umgebenden Landroassen theils durch
submarine Bänke (S. 97. 99) in eine Anzahl verschiedener Becken ab-
gesondert wird. Derselbe Umstand spricht von vornherein gegen eine
Theorie, welche seit dem vorigen Jahrhundert bis in die letzten Jahr-
zehnte allgemein angenommen war, gegen die Theorie dafs der durch
die Enge von Gibraltar einflutende Strom an der ganzen africanischen
Küste hin sich fortsetze, um an der Nordseite eine rückläufige Bewegung
einzuschlagen und derart einen Kreislauf um das gesammte Mittelmeer
zu beschreiben. In Wirklichkeit sind bisher nur locale Strömungen
ohne Zusammenhang unter einander beobachtet worden. Eine der-
artige Strömung läuft z. B. mit einer Geschwindigkeit, die selten 1 bis
2 km in der Stunde übersteigt, an der adriatischen Küste Italiens von
Nord nach Süd : sie wird durch Winde und locale Ursachen verschie-
den beeinflufst und kommt für die Schiffahrt kaum in Betracht
Dagegen treten in den Meerengen grOfsere Abweichungen von
der Regel zu Tage, aus denen Schwierigkeiten, auch wol Gefahren er-
wachsen. So kommt es vor, dafs Südweststürme die tyrrheniscbe See
um 4 m über ihren gewohnlichen Stand aufstauen und dadurch starke
Abflüsse verursachen , welche die Durchfahrt auf dem Canal zwischen
Sardinien und Corsica behindern. Ein näheres Interesse nimmt die
sicilische Enge in Anspruch, welche Homer mit ihren classischen
Schreckbildern ausgestattet hat. Den Anlafs zu dieser Erfindung gaben
die Erzählungen ionischer Seeleute her. 3) Aber eine in Wundern und
Härchen denkende und redende Zeit machte den Abstand zwischen
1) Herrorgehoben von StraboY212 Gassiodor Yar.XU 24 Procop.b.Goth.11
Die Syrten nennt Plin.V 26 vadoso ae reciproco mari dirog.
2) Für die Syzygien wird angegeben 0,85 m in der Lagune , 1 m in den
Hafen. Starme können die Flnt noch 1,5 m höher aufstauen.
3) Justin lY 1, 17 neque koe ab anUquU in duhedinem fabuiae ecnpotUum
sed metu et adnäraUtme tranteunUum.
S 4. MeeresströmungeD. 105
Wirklichkeit und Dichtung weiter, ab er ohnehin zu sein pflegt. An
dem Feben der S k y I la vermag der begeistertote Bewunderer des Dich*
ters Dichta Schreckhaftes zu entdecken. 0 Es ist ein steil abfallender
Gneüsfels mäfsiger Erhebung (100 m), an dessen Fub die Brandung um
keinen Zoll höher steigt oder wilder tobt als anderswo. Ob hier in
alten Tagen eine Seeburg errichtet war die Kauffahrer zu plündern,
oder auf welch andere Thatsachen das phantastische Gebilde zurück-
geht, wer mochte das erraten? 2) Dagegen Üifst sich ein realer Hinter-
grund für die Charybdis in der That nachweisen. Die Strömungen
iD der Enge sind unregelmftfsig und yielen Wechseln unterworfen,
entsprechen aber im Grofsen und Ganzen dem Gang von Flut und
Ebbe. Der durch sie veranlafste Niveauunterschied ist verschwindend
gering und steigt nur bei den Syzygien der Nachtgleichen (wenn
Sonne und Mond in grOfster Erdnahe vereint die stfiriiste Anziehungs-
kraft entfalten und Springfluten bewirken) bis ein drittel Meter. Die
Flut strömt von Süd nach Nord in der Mitte der Strafse mit einer Ge*
schwindigkeit von 3 — 8 km in der Stunde; sie wird jetzt rema nu»^
Umie genannt. Die Ebbe, welche die umgekehrte Richtung von Nord
nach Süd einhält, heifst rema icmdente. Sie lOsen sich alle 6 Stunden
ab. Der Wechsel war bereits dem Polybios bekannt, da er es für einen
Schreibfehler oder Irrtum erklärt, wenn Homer das Ungetüm dreimal
am Tage das Wasser einschlttrfen und ausspeien Ififst statt zweimal.
Neben der HauptstrOmung macht sich eine entgegengesetzte Seiten-
gtiomung an der Küste bemerkbar, bei Flut an der italischen, bei Ebbe
an der sicUiscben Seite. Durch den Zusammeustofs von Haupt- und
KOstenstrOmung entstehen Wasserwirbel (re/b/t), die dem unachtsamen
Seefahrer verhflngnifsvoll werden können. Wenn man hinzunimmt,
daCs Wind und Wetter in der Enge schnell umspringen und eine viel
grOfsere Mannichfaltigkeit der Erscheinungen hervorrufen , als hier in
Kurse beschrieben werden kann, wenn man Beispiebweise erwägt,
da& aus den Schluchten der einschliefsenden Gebirge bbweilen BOen
einfallen, welche ein Boot unter Segel unfehlbar zum Kentern bringen,
so Tersteht naan wie die Furcht der alten lonier berechtigt war und
ihren dichterischen Ausdruck in der Charybdis hat finden können. Die
1) Seoeca Ep. 79 , 1 Seyilam taxum esse et piidem non UrribiU naoi-
gantOniM opHme seio. Die homerisehe SchildeniDg Od. XII 73 fg. 230 fg. wird
naehgeahmt Verg. Aen. Dl 420 Ot. Met. XUI 730 Tib. lU 4, 89 o. A.
2) Stnb. I 20 Polybios bei dema. p. 24. Palaephatoa incred. 21 (Wester-
mano, mythogr. p. 285).
108 Kap. U. Das Meer.
qua mare terrem$ (Uelive oanaHlnu intrai
muläfidosque laeus parvula foua n'gat,
att übt flaf^antes admovit Sirius ignes,
cum pallent herbae^ cum sitit omni* ager:
tum cataractarum cUnubrü exchiditur aequor
ui fUßOS laiieei lorrida duret humnu,
eoncipiunl aerem naiiva coagula P/toebum
et gravis aestivo crusta calore coü ;
haud aliter quam cum glacie riget harridus Hister
grandiaque adstricto flumine plaustra vehiU
Noch immer wird die Ausbeute in grofsem Umfang betrieben : sie über-
steigt für das gesammte Mittelmeer eine Million Tonnen im Wert von
12 Millionen Franken im Jahr, wovon ein reichliches Viertel auf Italien
kommt. Man sieht nicht selten die Schiffe, welche Baubolz aus finni-
schen Wäldern gebracht haben , Seesalz als Rückfracht fttr ihre kalte
Heimat laden. Der Besitz dieses Gewürzes erschien den Alten Ton
ihrer Civilisation unzertrennlich, i) Wie wichtig dasselbe gewesen um
die schweifenden Stämme an die Scholle zu bannen, Handel und Ver-
kehr unter ihnen zu wecken, braucht im Einzelnen nicht ausgeführt
zu werden.^) Im gegebenen Zusammenhang genügt der Hinweis dar-
auf dafs Hellenen und Italiker in ihren Anfängen das Salz ausscfaliefs-
lich, später vorwiegend aus der See holten, dafs damit auch in dieser
bestimmten Richtung der Küste ihr Beruf vorgezeichnet war als Trä-
gerin der Cttltur dem Binnenland gegenüber zu dienen. Als die älteste
Strafse Italiens, von welcher wir Nachricht haben, ist die Yia Salaria
anzusehen, auf der die Sabiner ihren Bedarf von Rom aus anschafften.')
Wie die deutschen Stämme in frühen Jahrhunderten um den Ertrag
von Salzquellen Krieg führten, so hat auch der Gründer Roms die Sak-
wiesen an der Tibermündung den Etruskern abgewonnen.'*) Der Staat
selber nahm ihren Betrieb in die Hand und hat allezeit an dem Mono-
pol festgehalten, für welches in der That die gewichtigsten Rücksichten
sprachen. Privatpersonen konnten wol Salz für eigene Rechnung her-
stellen , aber solches nur durch Vermittlung der Staatspächter in den
Handel bringen.^) Von üffeutlicben Salinen zur ROmerzeit lassen sich
nachweisen: die von Rutilius beschriebene bei Yada YolaterTQUia; die
1) Plin. XXXI 88 ergo Hereule» vita kumanior sine saU non qtät dßgere.
2) Vgl. V. Hehn, das Salz, eine knlturhistorisehe Studie, Berlin 1873.
3) Plin. XXXI 89.
4) Ammian XXVIU 5, 11 Dien. Hai. U 55 HI 41.
5) Marqqardt, Rom. SUatsverw. ü p. 154. 271.
§ 6. Fischerei. 109
bdutütkU an der Tibermündung, noch jetzt in Betrieb i); AiemUnae
Bereukae bei Pompeji 2); die von Tarent, welches das feinste und
weibeste Korn lieferte ^) ; die bei Saiapia in Apulien , sie zeichnet sich
gegenwartig durch reichen Ertrag aus^); in den Lagunen Venetiens<»);
auf Sicilien bei Gela Agrigent und anderen Orten ^); endlich auf Sar*
dinien, wo wahrscheinlich die ergiebige Saline von Cagliari ausgebeutet
wurde,'')
§6. Fischerei,»)
Durch das Salz gelang es den unermefslichen Segen, welchen das
Meer zum Unterhalt des Menschen darbietet, nutzbar zu machen. Die
Faulnifs abwehrende Eigenschaft desselben gewahrte das Mittel um
den Ueberschufs des Fangs für knappe Zeiten aufzusparen , zu ver-
schicken und dabei zugleich schmackhaft zu erhalten , was alles durch
blofses Dörren nur unvollkommen erreicht wird. Die Alten haben denn
auch die Kunst des Pükelns zur höchsten Virtuosität gesteigert. Das
Hittelmeer läfst unsere nordischen Gewässer was den Reichtum seiner
Fauna betrifft, weit hinter sich. Man rechnet 444 Arten Fische (Ost-
see nur 100) und 850 Arten Weichthiere. Wer zum ersten Mal einen
italienischen Fischmarkt besucht, wird von der Mannichfaltigkeit der
Seekrebse -Schnecken -igeln -spinnen -muschehi -viünner -nesseln,
der Aktinien und Polypen und all jenes unter dem charakteristischen
Namen frutti di mare zusammengefafsten Gethicrs, für dessen Benen-
noog die deutsche Sprache versagt, einen Überraschenden Eindruck
mitnehmen. Freilich haben die Tiefseeuntersuchungen gezeigt, dafs
all dies Leben wesentlich auf die oberen Regionen des Meeres be-
schränkt ist. Für grofse Tiefen stellte sich mit dem Ocean verglichen
eine wahre Armut an Arten heraus. Der Grund dieser Erscheinung
ward in der Masse organischer Ueberreste gesucht, die von den Flüssen
1) An beiden FluTsafern, während die alte von den Vejentem umstrittene
am nördlichen Ufer lag Dion.Hal.n 55 11141 Liv.V45 VU 17. 19; König An-
cos mag eine zweite am südlichen hinzugefügt haben Liv. I 33 Plin. XXXI 89.
2) Go1um.X 135 GIL.IY128. 1611.
3) Plin. XXXI 73. 84-86.
4) It. Ant p. 314 Wess. tab. Peut
5) Gaaaiod. Var. XU 24.
6) Plin. XXXI 73. 79. 85.
7) Nach der Inschrift Rhein. Mus. XX (1865) p.3fg.
8) M. ländemanii, die Seefischereien in den J. 1869— 78, Gotha 1880, Er-
(^anngsheft N. 60 m Petermann's Mittheilungen^
110 Kap. n. Das Meer.
abgelagert den im Wasser enthalteneo Sauerstoff verzehrt und dafür
den Thieren schädlichen Kohlenstoff ausgeschieden haben. Auf die
Hasse organischer Uebcrreste hat man , nebenbei bemerict, die bhue
Färbung zurückführen wollen , durch welche das M ittehneer sich Ton
dem dunkleren Ocean unterscheidet. Wie dem auch sei, so erscheint
das Leben der höheren Regionen erstaunlich reich, und zwar stammt
die Mehrzahl der Arten aus dem atlantischen Ocean. Nur eine geringe
Minderzahl erinnert an den früheren Zusammenhang des mittelländi-
schen mit dem Roten Meer und seine noch weiter zurückliegende Er-
streckung nach Asien hinein. Da das Mittekneer in zoologischer Be-
ziehung keine selbständige Provinz sondern nur einen Bezirk des
Oceans darstellt, so nimmt die Zahl der Arten und die GrOfse der In-
dividuen ab, je weiter die Entfernung von dem alten Eingangsthor bei
Gibraltar ist. Durch dies Thor dringen noch immer eine Anzahl von
Seethieren ein, welche die mittelländischen Gewässer nur als Gäste
heimsuchen. So der gef^durliche Hai, der eine Länge von 8 m erreicht
und ab und zu durch sein Auftreten Schrecken unter der Küstenbevöl-
kerung verbreitet 1); seltener die grofsen 30 m und mehr messendeo
Cetaceen, der Wall- und Pottfisch sowie der unbeimUche Nordkaper
(arca). Obwol die fortschreitende Ausrottung dieser Meeresriesen die
Annahme begünstigt, dafs sie im Altertum häufiger vorkamen als gegen-
wärtig, so haben sie doch auch damals nicht zu den gewohnlichen Er-
scheinungen gebort 2)
Dagegen ein regelmälsiger gern gesehener Besucher war und ist
der Thunfisch (seomber tki^nus £.). In Schwärmen rückt dieser
ausgezeichnete Schwimmer im Frühling aus dem Ocean ein, dringt bis
in das Schwarze Meer vor, wo er laicht, und kehrt im Herbst wieder
zurück. Die Fischer behaupten , dafs er in drei getrennten nach den
Altersclassen geordneten Haufen zieht, und dafs der mittlere, welcher
seinen Weg durch das tyrrhenische Meer nimmt, aus den stärksten und
schwersten Exemplaren (2 — 5 m und darüber lang) zusammengesetzt
ist. Ihre Menge spottet jeder Zählung, Delphine und Schwertfische
lichten die gedrängten Reihen , viele Tausende werden des Menschen
Beute — das nächste Jahr wiederholen sich die Züge, ohne dals bis
in die Neuzeit hinab eine sichtliche Abnahme eingetreten wäre. Die
1) NeuerdiDgs seit der EröffDuig des Suesctnals soll der Hai ans dm
Indischen Ocean einwandern nnd sich mit reiraender Schnelligkeit Tennehren.
2) Plin.IX 12 fg. wo der Kampf mit einer Orea bei Ostia beschrieben wird.
§ 6. FSscherei. 111
berühmteste Fangstelle des Altertums war bei Byzanz , doch auch auf
den Vorgebirgen Italiens waren eigene Warten errichtet um die An-
kunft des begehrten Fremdlings rechtzeitig zu erspähen. ^) Die Heerde
wird in einen weiten durch Netze abgesperrten Raum gelockt, der ein
seitliches Ausweichen verwehrt und sich allmälich verengt , bis sie
schliefslich in der sog. Todtenkammer anlangt und einer allgemeinen
Metzelei zum Opfer filllt Gegenwärtig sind im Ganzen 48 Tonnaren
in Italien in Betrieb. Die Familie der Makrelen (icomber) , zu welcher
der Thunfisch gehört, ist in zahhreichen Arten vertreten. Dasselbe gilt
von den Dorschen (gadus) den Lippfischen (labrus) den Barschen (per-
ca) den Rochen (rata) den Butten (pleuronectes) den Meeräschen (mu-
gS) den Barben {eyprinfu) den Heringen {dupea), zu denen die be-
kannte Sardelle zählt, u. a. In der Meerenge von Messina wird der
Schwertfisch (onpAtas gladius) noch immer von kleinen Böten harpunirt,
die ein Mann rudert, während der andere das Eisen schleudert: gerade
so wie es Polybios beschrieben hat. Er wird oft gröfser als ein Delphin
und 8oU, was ganz glaubhaft klingt, mit seinem Schnabel Schiffsplan-
ken durchbohrt haben.^) Von der allgemeinen Verfolgung, welche
der Mensch ins Werk gesetzt hat, ward einzig und allein der zulelzt
erwähnte Meerbewohner ausgenommen. Von der Klugheit und Zu-
traulichkeit des Delphins wissen die Alten viele wunderbare und
TQhrende Geschichten zu erzählen. 3) Kein Seethier hat in gleichem
Mabe ihre künstlerische Phantasie beschäftigt und wer je das Mittel-
meer befahren , wird den Anreiz ihnen nachempfinden können. Ein
Trupp dieser munteren Gesellen giebt dem Schiff oft stundenlang das
Geleit: wie sie pfeilschnell vorbeischiefsen, sich überschlagen, in die
Luft springen, verkürzen sie dem Schiffer die Eintönigkeit des Weges
und scheuchen durch ihr lebensvolles Spiel das beengende Gefühl der
Verlassenheit fort. Die alte Freundschaft dauert bis auf die Gegenwart
hinab : so wenig der deutsche Bauer am Storch, vergreift sich der ita-
lienische Seemann am Delphin.^)
Der Fischreichtum des Hittelmeers hat an der Ernährung der
umwohnenden Völker den wesentlichsten Antheil. Ja man dürfte sich
1) StraboV 223. 225; über den Fang Philostr. imag. I 12. 13 vgl.PIin.IX
44. 47 fg. Pol. XXXIV 2 Hör. Sat. II 5, 44 Luc. Tim. 22.
2) Piin. IX 54 XXXD 15 Pol. XXXIV 3 (= Strab. 1 24).
3) PJm.IX24fg.
4) PUd. a. 0. 24 hominem non expavescii ut aUenum, obviam navigiü
venit, adhtdit exiuUafu, eerUtt etiam et quamvU plena praeterit vela»
112 Ktp. IL Di8 Meer
sogar yersucht fahlen , die unserem Binnenland zur Bezeichnung der
notwendigsten Lebensbedürfnisse geläuflge Redewendung Fleisch und
Brot far den Sttden umzukehren in Fisch und Brot. >) Die Erträge der
eigenen Meere reichen entfernt nicht aus, und z. B. das heutige Italien
fQhrt alljährlich für ca. 20 Millionen Franken Fische ein. Dem war
nicht immer so : im frühen Altertum scheint die Fleischnahrung bei
den Italikern weitaus überwogen zu haben und erst mit der fort-
schreitenden Cultur zurückgedrängt zu sein. Aehnlich ging es in Hel-
las: die homerischen Helden verstehen sich nur im Drang der Not dazu
Fische und Vögel anzurühren. Natürlicher Weise ist der Consum am
stärksten an der See selbst und deshalb sind auch die Griechen frühere
und stärkere Fischesser gewesen als die Italiker. Was Rom betrifft,
so war diese Speise schwerlich jemals unbekannt 2) und sind Fleisch-
und Fischmarkt schliefslich synonyme Worte geworden. Immerhin
haben die Griechen durch Einsalzen und Einkochen eine Verwertung
des Fanges im grofsen Stil und über weite Gebiete ermöglicht; sie
haben damit einen billigen Unterhalt für die Massen der Arbeiterbe-
Tölkerung recht eigentlich erschlossen. Ihre Industrie wie die Namen
der Hauptproducte wurden nach Italien und dem Westen übertragen.
Dahin gehören die verschiedenen Gattungen des Ta^ixog, ganz oder
halb gesalzener, auch wol getrockneter Fisch, ferner garum muria und
aUex d.h. eingekochte Saucen oder Fischextracte. Dieselben um-
fassen sowol die feinsten Delicatessen, für welche fabelhafte Preise ge-
zahlt wurden , als die gewöhnlichen Sorten , die man den Sklaven gab
ihren Brei zu würzen. s) Im Laufe des Mittelalters ist das partim aufser
Gebrauch gekommen : es heifst schwerlich zu viel behaupten , wenn
ihm für die antike Küche der Kaiserzeit die nämUche Bedeutung bei-
gelegt wird, die gegenwärtig in Deutschland dem Fleischextract zu-
kommt. Dagegen ward die griechische Kunst des Marinirens nach dem
Norden verpflanzt und hat den Segen unserer Meere ausbeuten lehren.
Freilich ist es damit ebenso langsam gegangen wie im Altertum. Die
italischen Fabrikate haben nur mühsam einen Weltruf erringen kön-
nen : im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung das partim von Pom-
peji und die muria von Thurii, im zweiten der gepökelte Fisch von
1) Die Zokost zum Brot S^fOV ohamium erhSU die specielle Bedeatuflgf
Fisch Athen. Vn 276 e.
2) Pilo. XXXII 20 pUeii marinoi in u$u ftiiue protintu a eondita Roma
aueUr €st Casrius ffemina,
3) Gato RR. 58; vgl. Marquardt, Privatleben der Römer n p. 420fg.
S 0. Fificherei. 113
Sardioien.i) Auch treten Fischerzttnfte weit weniger in den Inschrif-
ten der Kaiserzeit hervor, als man zu erwarten geneigt wäre. ^) Die
erhaltenen Nachrichten beziehen sich leider ausschliefslich auf den
mafslosen Tafelluxus, in dem die römischen Grofsen sich gefielen,
und die Prahlerei, mit der sie Tausende von Sesterzen für einen Dorsch
{gadus asellus) Meeraal {muraena Helena) Lippfisch (lahrus scarus) Meer-
barbe {muüus apogon) Steinbutte (pleuronectes maximus) oder was sonst
eben Mode war , wegwarfen. Gröfsere Beachtung verdient die That-
sache dafs sie auch künstlich Meerfische zu züchten wufsten^): ein
rühmliches Zeugnifs für die Virtuosität antiker Thierzüchtung, dem
wir nichts Aehnliches aus der Neuzeit an die Seite zu stellen wissen.
Unter den zahllosen Muscheln, die auf den Tisch gebracht wurden,
behauptete die Auster verdienter Mafsen den Vorrang. Die besten
BSnke Italiens fanden sich im Lucriner See und bei Brundisium: die
Anlage des ersten künstlichen Austernparks ist um den Anfang des
letzten Jahrhunderts v.Chr. erfolgt.^) Auch Hummer Krabben Polypen
Seeigel und alle jene Meeresfrüchte, deren S. 109 gedacht wurde, sind
durchweg von den Alten ebenso geschätzt worden wie von ihren Nach-
fahren. Endlich war ein Erwerbszweig, der heutigen Tages Tausende
von Bänden beschäftigt und dessen Jahresumsatz auf 16 Millionen
Franken geschätzt wird^ die Fischerei und Bearbeitung der Edelcoralle
dem Altertum nicht unbekannt, scheint jedoch zu keiner hervorragen-
den Bedeutung gelangt zu sein.^) Umgekehrt hat die Gewinnung des
Purpurs aufgehört, welche ehemals zu den einträglichsten Industrien
zählte. <^) Aus der Purpur- und Trompetenschnecke (jene heilst TtaQ-
(piguy Purpura y pelagia^ diese xij^t;^, bucinum, muresD) wurde durch
Zerstampfen Abkochen Mischen eine Fülle von Farbenuancen erzielt,
die unter dem Gesanuntnamen Purpur das ganze Altertum hindurch
hoch geschätzt zur Herstellung von Prachtgewändern dienten. Die
Huscheln wurden zuerst an der phoenizlschen Küste, später an vielen
Orten z.B. in den Golfen von Tarent und Baiae gefischt: in Tarent be-
stand zu Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. eine kaiserliche Färberei.'')
1) Plin. XXXI 94 OalenVI p. 728 Kftkn. CIL. IV 2574fg.
2) Piseieapi in Povip^i CIL. IV 826; ein CoUc«ium in Oatia WUm. 1727.
1737; in Pedum aL.Y 7850.
3) Plin. IX 170 Varro RR. III 17.
4) Plin. IX 168 XXXn 61 fg. Strab. V 245 Hör. Epod. 2, 49.
ft) Plin. XXXn 2t fg. 6) Marquardt, Privatleben II p. 49 1 fg.
7) Baiae Hör. Sat. II 4, 32; Tarent Plin. IX 137 Cod. Theod. X 20 Not.
Dign.49*.
H iBa«n, lUL Lu^Mkuide. I. 8
114 Kap. IL Das Meer.
S7. Die SeevOlker.
Die Vorgebirge Italiens und seiner Inseln sind mit malerischen
Wartthürmen gekrönt, welche zur Zeit Carls V zum Schutz gegen die
Barbaresken in zahlloser Menge erbaut wurden. In vielen Kirchen
hängen die Ketten, welche befreite Christensklaven zum Andenken
hierher gestiftet haben. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts waren
die neapolitanischen Gestade von Plünderung und Menschenraub be-
droht. Derart wird unser raschlebiges Geschlecht an die bedeutungs-
volle Thatsache erinnert, dafs die See weit länger friedlos geblieben
ist als das feste Land. Während seit Alters mächtige Hebel thätig sind
um die Fehde zwischen den einzelnen Gemeinden, zwischen dem ein-
zelnen Stamm und dessen Nachbarn zu beschränken, hOrt nach ältester
Anschauung auf dem Meer die sittliche Verpflichtung gegen den Lands-
mann und Mitmenschen auf. Alle Küsten - und Inselbewohner sind
von Hause aus dem Seeraub ergeben 0: in der Unsicherheit des Meeres,
welche die meisten Jahrhunderte antiker Geschichte kennzeichnet , ist
ein Hauptgrund für die langsame Verbreitung der Cultur zu suchen.
Immerhin zeigt uns die Piraterie die Volker bereits auf einer vor-
gerückten Bildungsstufe: es mufs unbestimmbare Zeiträume gedauert
haben, bevor sie überhaupt die Kenntnifs erlernten und den Mut fafsten
sich denWogen des fremden Elements anzuvertrauen. Die Fischerei
bat den Menschen hinaus gelockt: von ihr trägt Sidon die älteste uns
bekannte Seestadt den Namen, dasselbe Wort bezeichnet im Griechi-
schen den Fischer und den Seemann. Wie sich aus der Fischerei die
eigentliche Schiffahrt entwickelt, wird zum guten Theil von der räum-
lichen Gestaltung des Landes abhängen. Die Entwicklung wird durch
Steilküsten begünstigt, welche mit ihrem beschränkten Gebiet die an-
wachsende Bevölkenmg nur ungenügend ernähren können, daher
zwingen den Unterhalt aus der See zu holen. Die Schiffahrt nimmt
einen höheren Aufschwung, wenn dem Fischer in kenntlicher Ferne
Inseln winken und seinem wagenden Sinn ein erreichbares Ziel vor-
halten. Beide Bedingungen waren den Phoeniziern und Hellenen im
reichsten Mafse geboten und haben die frühe Blüte ihrer Schiffahrt
gezeitigt; anderen Völkern des Mittehneers waren sie versagt. Im Gan-
zen genommen gehört Italien trotz seiner bedeutenden Küstenlänge
(3325 km) nicht zu den durch Küstenbildung ausgezeichneten Ländern;
1) Thiicyd.l6 Hoin.0d.m7i Pol. 08, 8.
§ 7. Die Se«völker. 116
wol aber sind einzelne Theile in dieser Hinsicht yor den übrigen be-
Torzugt. Und zwar steht die gesammte Ost- sowie die Mitte der West-
küste hinter dem Süden und Nordwesten zurück. Am ligurischen
Busen ziehen mit steilem Abfall Alpen und Appennin hin, einen
schmalen Saum Landes einschliefsend, der treffliche Häfen aufweist
und dem die grofse Insel Corsica Torgelagert ist. Der Busen ist arm
an Fischen , weil die zur Ernährung derselben erforderlichen Algen
und niederen Gründe fehlen ^) : dadurch wurden die Fischer zu weiten
Fahrten nach ergiebigeren Gegenden gezwungen. Seit dem Mittelalter
hat die maritime Blüte Italiens hier ihren Hauptsitz aufgeschlagen; in-
dessen deutet auch die frühe Kunde der Hellenen von diesem Volk
(S. 5) darauf hin, dafs es schon zeitig auf dem Meer angetroffen wurde.
Noch günstiger lagen die Verhältnisse für das mittlere Etrurien,
insofern dasselbe Ueberflufs an Metallen, dem wichtigsten Material für
den Schiffsbau hatte, dabei dem Weltverkehr näher gerückt und zugleich
Ton Inseln eingefafst war. Diese Umstände haben wesentlich dazu bei-
getragen den Etruskern den Ruhm des eigentlichen Seevolks unter
den Bewohnern der Halbinsel zu verschaffen. Vom M. Argentarius ab
folgt die insel- und hafenlose Küste der latinischen Ebene, die von
dem grOfsten Flufs des Landes durchströmt, in der Mitte desselben be-
legen , von Natur zu einem Brennpunct des Verkehrs und der Politik
bestimmt war, aber niemals bis auf den heutigen Tag herab ein ur-
wüchsiges Seeleben zu erzeugen vermocht hat. Solches entfaltet sich
wieder, wo die pontinischen und neapolitanischen Inseln vor den Ge-
staden der Volsker und Campaner ausgebreitet erscheinen. Auf den
gesammten Süden vom Golf von Neapel bis nach der apulischen Halb-
insel hin übte SicDien eine starke Anziehung aus. Die Inselgruppen
vor Sicilien, die aegatischc im Westen, die aeolische im Norden, die
maltesische im Süden trugen zur Hebung der Schiffahrt bei. Auch
über den loniossund, wo bei hellem Wetter die akrokeraunischen Berge
sichtbar sind, mufste ein frühzeitiger Verkehr sich anspinnen, für den
es nicht an sicheren Belegen fehlt. Dagegen ward derselbe auf der
Adria ungemein erschwert: die italische Küste trat ganz zurück, nur
unter den Klippen Dalmatiens bildeten sich in ursprünglicher Wildheit
Seeleute aus, die ihre alterprobte Tüchtigkeit noch in der jüngsten
Gegenwart glänzend bewährt haben. Die Thatsache wird durch die
S. 93 gegebene Beschreibung hinlänglich erläutert.
1) mare senza pesce helfst es in einem bekannten toscanischen Sprieh-
wort von Genna.
116 Kap. IL Das Meer.
Die Anfange der Schiffahrt verlieren sich in der Urzeit.
Die aegyptiscben Denkmäler haben uns belehrt dafs sie ihren ersten
Aufschwung auf dem Roten Heer genommen und von der arabischen
an die syrische Kttste durch die wandernden Pirna oder Phoenizier,
wie wir nach der griechischen Namensform zu sagen pflegen, verpflanzt
worden ist.^) Die nllmlichen QueUen aeigen uifö das südliche Europa
in der letzten Hallte des zweiten Jahrtausends v. Chr. von Bewegungen
ergriiTen , denjenigen vergleichbar, welche während des germanischen
Hittelalters von dem Norden unseres Erdtheils ausgegangen sind. Wie ^
die Wikinger aus Nordland auf ihren denden offenen Fahrzeugen durch
den stürmischen Ocean gesegelt um die civilisirten Küsten zu brand-
schatzen, wie sie bis America gedrungen sind lange Jahrhunderte, be-
vor Columbus diesen Continent entdeckte, wie sie in Gallien eine glanz-
volle Herrschaft gegründet, so haben die Stämme „aus den Ländern
vom Nordmeer'^ nach der Bezeichnung des aegyptiscben Textes sich
an den Angriffen betheiligt, welche zu Ausgang des 14. Jahrhundertii
von den umwohnenden Barbaren gegen das alternde Pharaonenreich
gerichtet wurden. Unter den Hülfstruppen, welche die Libyer gegen
Henephta (1326--1306) ins Feld führen, begegnen Schardana, Scka-
kabcha, Tuncha, Akahuacha, durch den Zusatz „aus den Ländern vom
Nordmeer'^ ak Fremde, als Europäer oder Asiaten charakterisirt und
von der Hehrzahl der Aegyptologen mit Recht als Sardi, SicuU, Tund
(as 7«act, £cniscf), Aehaei gedeutet^) Unter dem Voi^gänger dieses
1) Joh. Dflmichen, die Flotte einer aegyptiscben Königin ans den 17. Jahr-
hundert T. Chr., Leipzig 1868.
2) Dumichen, historische. Inschriften II — 6; Vic. de Roog^, revue archeoL
1867; Ghabas, Müdes snr rantiquit^ historique, Paris 1873, p. 190 fg. n.A.
Den Widersprach von Brugsch, Gesch. Aeg. 577 and sonst, halte ich fdr sach-
lieh nnbegrfindet, wie denn die eigenen Dentangen dieses Gelehrten geraden
«nanoehmbar erscheinen. Max Doncker ist der Negation von Bmgsch gefolgt
and hat Gesch. d. Altert. I' 152 V27 «die xaversichtliche Hofinung" aasgespro-
chen, dafs die beschnittenen Akaiwascha Turscha and Sakalscha aus der das-
sischen Urgeschichte wieder Terschwinden möchten. Leider hat Dnncker ver-
absäumt sich darüber zu anterrichten , auf welche Gründe hin Brugsch diese
Völker als beschnitten dargestellt sein lllst. Bfimichen belehrt mich an dff
Hapd der aegyptiscben Texte dafo auch nicht der Schatten eines Grundes Ar
diese Behauptung erbracht worden sei: im Abschneiden der Phalli und Hände
getodteter Feinde haben nach den Beobachtung^en Dümichens die Aegypter keine
Gonsequenz erstrebt, sondern demselben Volk gegenüber bald das eine, bald
das andere Glied als Trophäe mitgenommen, TermutUch je nachdem «e die
Tapferkeit der Erschlagenen anerkennen wollten oder nicht Wenn aber di«
§7. Die SeeTölker. 117
Königs, Ramses U erscheint ein sardisches Soldnerccnrps in aegyp-
tischen Diensten. Von Seiten der griechisch-römischen Geschichts-
forschung wird kein Einspruch gegen diese Deutungen erhoben wer-
den , sobald die offenkundige Thatsache beheraigt wird , dafs die zu-
sammenhangende historische Ueberlieferung uns nur den AbscMuTs
des Altertums flbersehen tafet. Die lange Periode des Werdens, das
heUenische und italische Mittelalter entzieht sich unseren Blicken, weil
es aus der Tradition verschollen ist. Aber dafs es ein solches gegeben,
dafs die Vorfahren der Hellenen und Römer nicht als friedliche Hirten
ohne Kenntnifs von Waffen und Krieg gelebt haben, wie die sentimen-
tale Betrachtungsweise oft gemeint hat, braucht kaum hervorgehoben
zu werden. Uebrigens berichtet die alte Sage selbst von grofsen See-
zOgen , zu denen die Helden der verschiedenen heOeniscben Stamme
sich vereinigen, Iflfst die bekannte lydische Sage, welche Herodot rait-
theih, die Etrusker zu Schiff von Asien nach Italien auswandern. Und
wenn die Inschrift König Menephta's Freibeuter und Abenteurer euro-
päischer Herkunft über das Meer fahren lä&t um die Schatze des
Niltbals zu piflndern, so enthüllt sie den realen Hintergrund, welcher
von den Dichtem der Heldensage ausgeschmflckt und umgestaltet wor-
den ist.
Gleich den formlosen Gestalten des Chaos haben die Schaaren,
ivekhe die Küste aus ihrer flberschiefsenden Kraftfülle hinaus schickte,
in frühsten Tagen die Mittellandsee mit ihrem Treiben erfÜllL Die
Cnltur übernimmt es sie zu verscheuchen: unter rielen Wechself^llen
zieht sich der Kampf der Seemachte gegen die Piraterie durch die Ge-
schichte des Altertums hin. Der Ruhm , die tbalassische Weltepoche
eröffnet, die erste Seeherrschaft gegründet, die gröfsten Entdeckungen
gemacht, die Culturkeime am weitesten verbreitet zu haben gebührt
den Phoeniziern.i) Ohne Uebertreibung kann man das Mittelmeer
in der ersten Periode seiner Geschichte etwa von 1100 — 700 v. Chr.
einen phoenizischen Binnensee nennen. An den Abhangen des Libanon
fanden die Ansiedler eine einzige Gelegenheit die in der Heimat auf
dem Roten Heer erlernten Fertigkeiten zu üben und auszubilden. Die
geographische Lage zwischen den grofsen Culturreichen am Nil und
Argoment fortfallt, so wird den an die classischen Philologen gerichteten War-
nnngcn Jegtieher Boden entzogen.
1) Mela 1 65 ioihrt hawänum gemu et ad beUipaeUfue munia mcimium:
Utteroi et litterarum cpera* aUa»^ue eOam artet, maria navibus adire, elaste
eonftigere^ inperitare gentibus, regnum jtroeUumque eommenti.
118 Kap. n. Das Meer.
Euphrat bestimmte sie dazu den Verkehr beider zu vermittelD.i) Handel
wurde der Lebensnerv dieses Volkes, sein Name erhielt im Hunde der
Alten, der Hebraeer wie der Hellenen und Römer die Bedeutung Rauf-
mann. Früh bat es begonnen die Erzeugnisse der Barbarenländer sich
anzueignen. Seine Schiffe holen Getreide und Wein flür die volkreichen
Städte des Ostens, Töchter für die Harems der Grofsen, Wolle für die
Spinnereien, Muscheln für die Färbereien, Metalle für die Werkstätten.
Zur nachhaltigen Ausbeutung des Westens haben die Phoenizier in den
Gewässern festen Fufs gefafst und die Gestade des Hittelmeers mit ihren
Factoreien bedeckt. Vor allem bedeutsam war die Erschliefsung der
spanischen Bergwerke, des Silberlandes Tarsis. Es hat die Phoenizier
in ähnlicher Weise bereichert wie in der Neuzeit Peru die Spanier und
hat ihnen die Mittel gewährt das Silber zum Wertmetall der antiken
Cultur zu stempeln. Verschiedene Schriftsteller bezeugen, dafs der
Reichtum der Phoenizier und späterhin der Karthager auf dem Mono-
pol des Tarsish an dels beruhte. Die Fahrt von der syrischen nach
der andalusischen Küste erforderte nach griechischer Rechnung 80 Tage:
es ist von Wichtigkeit die Route, welche dabei innegehalten wurde,
festzustellen. Die Phoenizier hatten die Hellenen und Italikern ange-
borne Scheu das Land aus den Augen zu verlieren früh abgestreift,
fuhren getrost in die offene See , machten den unscheinbaren Polar-
stern ausfindig um bei Nacht die Weltgegenden zu bestimmen, nahmen
Tauben an Bord um aus der Richtung ihres Fluges die Lage des Lan-
des zu ermitteln. Von Kreta einem alten Sitz ihrer Herrschaft, welche
durch die Sage von Minos Ausdruck gefunden , segelten sie gerades
Weges nach dem 110 Meilen entfernten Malta. Die Bedeutung dieser
in der Mitte der Längenausdehnung des Meeres befindlichen Inselgruppe
ergiebt sich von selbst. 2) Die eine der Inseln Gozzo trägt noch jetzt
den Namen des yavkog oder phoenizischen Schiffes. An der langge-
streckten libyschen Küste waren schon im zweiten Jahrtausend v. Chr.
Stützpuncte besetzt Desgleichen wurde die Westspitze Siciliens sowie
die Südhälfte Sardiniens ipit äufserster Zähigkeit behauptet Wenn man
eine Linie von der Grofsen Syrte aus, wo später das Gebiet der Helle-
nen von Kyrene an das von Karthago stiefs, sich gezogen denkt nach
Malta, über die Westspitze Siciliens, die Südhälfte Sardiniens, die bale-
1) Für die folgenden Ausführungen ist die vortreffliche Darstellung von
Movers, die Phoenizier lU 1, Berlin 1856, zu Grunde gelegt; vgl. 0. Meltzer,
Geschichte der Karthager I, Berlin 1S79.
2) Klar charakterisirt von DiodorVl2.
§7. Die SeeTölker. 119
arischen Inseln nach dem Vorgebirge der Diana in Spanien , so be-
schreibt diese Linie die Grenze, innerhalb deren diePhoenizier während
der Blüte von Hellas unumschränkt geboten und ihr Handelsmonopol
mit rücksichtsloser Strenge wahrten. Alle Versuche der Hellenen die
Linie durch Colonisation zu durchbrechen sind mit Leichtigkeit abge-
wiesen worden; bis zur Demütigung Karthago's blieben die bezeich-
neten Länder und Heere unbekannt; die römischen Waffen haben sie
xuerst dem allgemeinen Verkehr und der Wissenschaft erschlossen.
Die Route Ton Gades über Malta nach Sidon und Tyros ist die älteste
und wichtigste Route des Weltverkehrs, von der die UeberKeferung
meldet Sie stellt zugleich die Richtung dar, welcher die Ausbreitung
des phoenizischen Stammes folgt. In ihrem Bereich sammelt derselbe
all seine Kraft; je weiter davon entfernt, desto schwächer erscheinen
die Spuren seines Wirkens. Vor Ankunft der Hellenen, berichtet Thu-
kydides, lagen auf den Vorgebirgen und Eilanden im ganzen Umkreis
Ton Sicilien Factoreien der Phoenizier, um mit den Eingebomen Han-
del zu treiben. Dagegen fehlt es für das Festland an ähnlichen Zeug-
nissen , lassen sich auch aus ältester Zeit keine derartigen Niederlas-
sungen mit Sicherheit nachweisen. Wenn bis auf die oceanische Ent-
wicklung der Gegenwart die vrichtigste Frage der Weltgeschichte sich
darum gedreht hat, ob Arier oder Semiten auf dem Mittelmeer Herren
sein soUten , so mag wol bereits in grauer Vorzeit der Kampf auf der
tynhenischen See entbrannt und zu Gunsten Jener entschieden wor-
den sein.
Als etwa um 1100 v. Chr. die Führung der phoenizischen Städte
Ton Sidon anf Tyros überging, entfaltete sich der Verkehr zu einer
Grolsartigkeit, die im Altertum nicht wieder erreicht worden ist. Von
Tyros heifst es bei Jesaias: „so doch ihre Kaufleute Fürsten sind und
ihre Krämer die Herrlichsten im Lande^, bei Zacharias: „sie sammelt
Silber wie Sand und Gold wie Kot auf der Gassen'^. Nach einem la-
teinischen Sprichwort waren die Heere ihr unterthan.^) Aber im Stillen
erwuchs der Heereskönigin die geiUirlichste Nebenbuhlerschaft. Wann
die hellenische Nation begonnen hat die heimischen Gewässer von den
Fremden zu säubern, ist nicht zu sagen. Sichere Beweise für deren
Ansässigkeit an Griechenlands Küsten sind in ziemlicher Zahl vorhan-
den ; doch ist bereits in den homerischen Liedern jede Erinnerung
1) Festos p. 355 Tyria maria Carf.IV4,20 Jesaias 23, 8 Zach. 9, 3 Ezech.
2?,3fg.
120 Kap. E Das Meer.
hiervon ausgelöscht. Um 1000 v. Chr. mOgen die ersten hellenischen
Heerhaufen an den asiatischen Gestaden festen Fufs gefafst haben;
Aihrhunderte verfloissen , bevor sie das ganze aegaeische Meer in ihre
6ev?a]t gebfacht hatten. Nicht lange nach dem Anfang der Olympiaden-
rechnung wird ihnen dies Gebiet zu enge ; sie überflflgeln die Phoeni-
zier durch Erfindung der Triere, reifsen die Macht in der Nordhälfte
der Mittellandsee an sich, die sie von den Pyrenäen bis zum Kaukasus
mit ihren Pflanzstddten erfüllen. Die Bekanntschaft der Hellenen
mit der Appenninhalbinsel reicht hoher hinauf: über den loniossund
war der Name eines epirotischen Stammes hinüber gedrungen und
hatte Eingang gefunden ; mit diesem bezeichnen die Latiner ihre öst-
lichen Nachbarn als Grat oder Graeci^ ohne den im achten Jahrhundert
aufkommenden gemeinsamen Nationalnamen Hellenen oder den Namen
eines historisch hervortretenden Stammes sich anzueignen, i) Viele
Jahre muli^ der Verkehr zwischen den beiden Ländern hin und her
gegangen sein, bevor der Sund von Geschwadern belebt wurde, welche
Auswanderer aus allen Gauen von Hellas an die Küsten der sikelischen
und tyrrhenischen See führten. Leider fehlt uns jeder Anhalt um die
Zahl der Auswanderer zu berechnen : wenn wir indessen annehmen,
dafs im Lauf der beiden nächsten Jahrhunderte etwa eine halbe Million
Hellenen im Westen Wohnsitze gesucht und gefunden , so dürfte die
Schätzung kaum zu hoch gegriffen sein. Sie fuhren in geordneten
Schaaren heran mit Waffengewalt die Eingebornen aus dem väterlichen
Erbe zu verdrängen oder in Leibeigenschaft zu zwingen , die phoeni-
zischen Händler aus ihren Pactoreien fortzuscheuchen.^) Die ersten
Ansiedlungen halten sich innerhalb der Meerespforte , welche aus den
sicilischen in die tyrrhenischen Gewässer führt, an den Ostküsten der
Insel (Naxos 735 Syrakus 734 Katane und Leontinoi 729 Megara Hy-
bla^a 728? Zankle 690?) und des Festlandes (Rhegion ca. 730 Sybaris
721 Kroton 710 Tarent 708 Lokroi Epizephyrioi 683), die das Gegen-
gestade zu Epirus und dem Peloponnes darstellen. Das sicilische Meer
ging seitdem in den Besitz der Griechen über und ist ihnen bis auf die
1) Aristot. Meteor. I 14, 22 u. A. Niese Herrn. XII 409 vergifst, dafs in der
Geschichte der NaiDengebung nichts gewöhnlicher vorgekommen als eine Nation
nach dem znn&chst wohnenden Stamm zn benennen. Und wer möchte im
Ernst glauben, dafs zwei im selben Gesichtskreis liegende Lander auf die An-
kunft der lonier gewartet hätten um einander kennen zu lernen?
2) Sehr merkwürdig das Fortlehen der Tradition bei den Sikelero, Diod.
XIY 88. Hauptquelle fCür die Golonisation Thuk. VI 2—5.
t 7. Die Seevölker. 121
römische Herrschaft Terblieben. Auch die Stidwestküste der Insel geriet
nach der Gründung von Gela 690 Selinunt630 KamariDa599 Akragas
581 in ihre Gev?alt. Dagegen trafen sie auf der tyrrhenischen See auf
einen Widerstand, den sie nicht zu bemeistern vermochten. An der
Nordküste Siciliens liegt das 648 gegründete Himera als einzige helle-
nische Stadt. Die Phoenizier, welche die übrigen Factoreien ohne
Kampf preisgegeben hatten, sammelten ihre Kraft in Sohint Panormos
nnd Motye, liefsen sich allen Anstrengungen zum Trotz diese trefflichen
Ausfallshäfen niemals entreifsen. In Italien hatten die lonier in einer
frühen nicht mehr bestimmbaren Periode am campanischen Golf Kyme,
von hier aus Dikaearchia und Neapel gegründet. Als sodann die Ststdte
am Tarentiner Golf aufblühten , haben dieselben ihre Macht über die
Wasserscheide hinüber ausgedehnt, eine Reihe von Pflanzungen jenseit
derselben angelegt (Poseidonia Elea Pyxous Laos Temese Terina Hip-
ponion). Dergestalt haben die Hellenen am östlichen Winkel des tyr-
rhenischen Meeres sowie auf der hier befindlichen nach Aeolos benann-
ten Inselgruppe sich eingenistet. Doch wohnten die Ansiedler sämmtlich
auf einem hart gefshrdeten Anfsenposten, dem Gesichtskreis des Mutter-
landes noch weiter entrückt, als mit ihren Brüdern am Pontos Euxinos
der Fall war. Allerdings hatte es geraume Zeit hindurch geschienen,
als ob das ganze westliche Meeresbecken unter die Botmäfsigkeit der
Griechen fallen sollte. Um 600 ward Massalia von den Phokäern er-
baut, bemächtigte sich der anliegenden Küsten und wnfste sie für alle
Folge zu behaupten. Um 537 stiftete ein Schwärm eben dieses kühnen
Seevolks ein Gemeinwesen zu Alalia auf Corsica , das Stammland der
Etnisker aus unmittelbarer Nähe bedrohend. Aber nach einer mOr*
derischen Seeschlacht, die gegen die verbündeten Karthager und Etnis-
ker verloren ward, müssen die Ansiedler die Insel 532 räumen. Die
Schlacht bezeichnet einen Wendepunct in der Geschichte des West-
meers : zwei Jahrhunderte hindurch waren die Hellenen in fortwähren-
der Ausbreitung begriffen gewesen , auf die Flut folgt Ebbe , in lang-
wierigen erbitterten Kämpfen wird die Kraft der hellenischen und
etruskischen Städte verzehrt, während Karthago in zielbewufstem Stre-
ben Stein auf Stein zu dem stolzen Bau seines Reiches hinzufügt.
Der Versuch das tyrrhenische Heer von Nord und Süd zu um-
spannen, zu einem hellenischen Binnenmeer zu machen, wie solches mit
den siciUschen Gewässern gelungen war, scheiterte an dem Waffen-
bündnifs der Etrusker und Karthager. Dasselbe blieb Jahrhunderte
lang bestehen. Hittelitalien unterhielt den regsten Verkehr mit der
122 Kap. n. Das Meer.
phoenizischen Hauptstadt. Rom schlofs bereits 509 v. Chr. einen Han-
delsvertrag mit ihr ab : die Latiner brauchen eine Anzahl von Namen,
die sie nicht durch griechische Vermittlung sondern direct aus dem
Punischen überkommen hatten , so den alteinheimischen Namen von
Tyros Sor oder 5ar, die Namen Afri, Karthago {Karthada, Ka(fxrjdwy).
Umgekehrt kennen die Griechen die wichtige Handelsstadt Caere nur
unter der punischen Bezeichnung Agylla (Rundstadt) : einer der beiden
Häfen von Caere hiefs Punicum und wurde sei es ausschliefslich sei
es vorwiegend von dieser Nation besucht. Unter den Seevölkern des
Altertums gebührt nach Phoeniziem und Hellenen der dritte Platz den
Etruskern.^ In der Ueberlieferung hat ihr Name einen üblen
Klang; denn Tyrrhener und Pirat bedeutete für den Griechen dasselbe
und tyrrhenische Fesseln waren sprichwörtlich geworden um das harte
Los anzudeuten, das die armen Gefangenen erwartete. Die schöne
Legende, welche der homerische Hymnos auf Dionysos zuerst erzählt,
läfst die Tyrrhener den jugendlichen Gott in Banden schlagen und zur
Strafe in Delphine verwandelt werden. Man wird nicht leicht eine an-
sprechendere Vergleichung finden : diese behenden Räuber erinnerten
an die Corsaren des Westens, von denen die griechischen Gewässer
noch zu Alexander des Grofsen Zeit zu leiden hatten* Für ihre nau-
tische Begabung zeugt der Umstand dafs die wichtigste Erfindung an-
tiker Seetaktik — sie ist in unseren Tagen wieder zu Ehren gelangt —
das Rammen mit dem Schiflschnabel ihnen zugeschrieben wird.^ Hit
einzelnen Griechenstädten wie Sybaris und Athen unterhielten sie
freundliche Beziehungen , mit den übrigen lebten sie auf beständigem
Kriegsfufs. Von beiden Seiten wurde die Piraterie als ehrliches Ge-
werbe angesehen. Nach der Bewältigung des ionischen Aufstand fuhr
ein Capitän aus Phokaea mit drei Schifl'en nach Sicilien um die Caperei
gegen Karthager und Etrusker zu betreiben.^) Die liparischen Inseln,
welche als Warten auf hoher See das weiteste Gesichtsfeld beherrsch-
ten , waren vorzüglich geeignet als Hauptsitz dieser Unternehmungen,
als wahre Corsarenburg zu dienen. ^) Unter den Gegnern auf dem
Festland thaten sich die Volsker von Antium durch ihre weiten bis
nach Asien ausgedehnten Fahrten hervor.^) Die Küsten konnten in
1) 0. Müller, Etrusker I S3fg. 187 fg. 279 fg.
2) Plin. Vü 209 nach einer griechischen Quelle.
3) Herod. VI 17.
4) Pausan. X II, 3 16, 7 Diod. Y 9 Strab.YI 275 Piat. Garn. 8.
5) Strab. V 232.
§ 8. Die Kriegsmarine. 123
der ganzen älteren Periode zu keinem Behagen und iieiner Sicherheit
gelangen. In den zwischen Rom und Karthago Tereinbarten Tractaten
wird sorgfältig das friedliche Verhalten der Schiffe gegenüber den bei-
derseitigen Bundesgenossen ausbedungen , daneben der Umfang der
FeindseUgkeiten, welcher den Karthagern gegen das unabhängige La-
tium frei stehen soll, genau umschrieben.^) Derart arbeitet die fort-
schreitende Cultur daran die Fehde zu beschränken. NamentUch hat
Syrakus, wenn es durch thatkräflige Herrscher Vormacht der West-
hellenen geworden war, die Seepolizei mit rücksichtsloser Strenge
geübt und z. B. unter Hieron und Dionys Razzias an den italischen
Küsten ingrofsem Stil veranstaltet Aber der unstäteGang seiner Ent-
wicklung machte es ihm unmöglich dauernde Abhülfe zu schaffen, die
tyrrhenische See blieb bis ins dritte Jahrhundert friedlos, ein Tummel-
platz für Freibeuter und Abenteurer aller Nationen. Endlich erhoben
sich über den Trümmern der griechischen und etruskisehen Hansa
zwei Weltmächte, die Seemacht Karthago und die Landmacht Rom.
§ 8. Die K]riegsmarine.
Um das Seeleben des Altertums richtig zu würdigen , wird man
▼on der Thatsache ausgehen müssen, dafs die nordischen Meere , auf
denen die Seevölker der Gegenwart ihre Erziehung vollendeten , un-
gleich höhere Anforderungen an den Menschen gestellt, ihren Zog-
hngen ein gröfseres Mafs von Mut und Ausdauer eingeflofst haben als
das Mittelmeer. 2) Die Ruhe und Gelassenheit, welche den nordischen
Seemann niemals verläfst, wh*d bei den dortigen Küstenfahrern ver-
mifst. Die klare Luft, der regehnäfsige Gang der Luftströmungen, der
Sommerpassat wie der Wechsel von Land- und Seewind haben sie ver-
wohnt. Der wilde Lärm, der von ihnen vollführt wird, sobald ein Un-
wetter droht, kann uns vergangene Zeiten veranschaulichen: in dem
heiteren Ebenmafs dieser sonnigen Welt wird der Mensch von jeder
Störung schwerer betroffen und giebt seinen Empfindungen lebhafte-
ren Ausdruck, als die Sitte höherer Breiten duldet. Sodann war weder
die Technik noch die Arbeitstheilung im Altertum so weit gediehen
wie heut zu Tage. Wenn der griechische Bauer sein Fortkommen nicht
länger im heimatlichen Dorf fand, vertauschte er ohne Schwierigkeit
1) Pol.m 22,6.11. 24, 4 fg.
2) Gaes. b. Gall. DI 9 longe aliam esse navigaüonem in e<mciuso mari
atfue in vasttsiimo atque apertissimo Oceano,
124 Kap. n. Das Meer.
Hacke und Pflug mit Netz und Ruder. Zwischen Land- und Seesoldaten
ward kein Unterschied gemacht. Eine Continentalmacht konnte erfor-
derlichen Falls in kurzer Frist sich in eine Seemacht umwandeln:
Kriegsflotten wurden in wenig Monaten erbaut und ausgerüstet. Frei-
lich ist damit nicht immer eine Wandlung des Volkscharakters Hand
in Hand gegangen , wie sie sich an dem Athen der Perserkriege voll-
zog, da Kimon die Zügel seines Bosses als Weihgeschenk auf der Barg
aufhing, um anzudeuten dafs jeder Bürger fortan seinen Platz an Bord
einer Triere zu suchen habe. Wol war Bom durch seine Lage dazu
berufen den Verkehr der centralitalischen Landschaften zu Termitteln,
hat unter der Begierung der Könige sich den Zugang zum Meer eröff-
net, führt das Vordertheil eines Schiffes als Gepräge auf seinen Münzen.
Aber den zweihundertjährigen Kampf, welcher mit der Unterwerfung
der Halbinsel endigte, hat es mit den Legionen durchgefochten — die
ein paar Mal erwähnten maritimen Unternehmungen kommen nicht
in Betracht — und eben in diesem Kampf wurden die Gnindzttge des
römischen Staatswesens ausgebildet. Der italische Bund, den es ge-
stiftet , vermochte eine halbe Million Streiter ins Feld zu stellen und
war zur See ohnmächtig: die Aeufserung der Karthager am Ausbruch
des ersten punischen Krieges, dafs die Bömer ohne ihre Erlaubnifs gar
nicht im Stande sein würden sich die Hände im Meer zu waschen,
kennzeichnet die damalige Sachlage trotz der Uebertreibung. Rom
hatte gemeint mit seinen Legionen Sicilien erobern und behaupten zu
können. Durch bittere Not ward es zu der Erkenntnifs gezwungen^
dafs allein die Herrschaft über das Meer ihm den Bang einer Weltmacht
zu verleihen vermöchte. Mit gewaltiger Thatkraft hat es das Ziel sich
gesteckt und das Ziel erreicht. Die seetüchtige KtSstenbevölkerung
Etniriens und des hellenisirten Südens mufste die Flotte bemannen,
durch Erfindung der Enterbrücke wurde die überlegene Taktik des
Feindes ausgeglichen, die Tapferkeit des Landsoldaten trug den Sieg
davon über die Gewandtheit des Matrosen und die Kunst des Steuer-
manns. Es ist die einzige nautische Erfindung, welche auf die Bömer
zurückgeführt wird: sie zeugt von einem durchaus unseemännischen
Geiste. Sie hat aber noch in den letzten Schlachten , welche gegen
Hellenen geliefert wurden, die alte von den Athenern ausgebildete
Seetaktik bemeistert, i) Derart hat Born die Herrschaft über das Meer
mit denselben Mitteln errungen, welche das Festland zu seinen Füfsen
1) Vgl. die anriehende Schildernng Gaes. b. dv. I 58 II 6.
§ 8. Die Krie^marine. 125
legten. Freilich ward der Preis mit entsetzlicbeo Opfern erkauft: Po-
seidon rächte sich für den Hohn , den die Bauerngenerale ihm spra-
chen ; im Verlauf des ersten puoischen Krieges sind 700 römische
Linienschiffe mit ein Viertel oder ein Drittel Million Besatzung grOfsten-
theils durch den Unverstand der Consuln eine Beute von Wind und
Wellen geworden. Aber der Preis war der Opfer nicht unwert: das
Hittelmeer ward durch sie ein römisches Binnenmeer und ist es bis
zum Einbruch der Araber fast ein Jahrtmisend lang gebUeben.
Die ganze Entwicklung, welche sich hier ?on den ersten Anzogen
an durch Altertum und Mittelalter bewegt hat, wird durch gewisse
äbereinstimmende Charakterzttge Ton der oceanischen Schiffahrt der
Neuzeit unterschieden. Man kann dieselben vornehmlich auf die Aua»
bildung der Ruderschiffahrt zurückführen: auf Ruderkraft beruht
das gesammte System der Kriegsmarine, für die Handelsflotte komjnt
dieser Factor gleichfalls wenn auch nur in zweiter Linie in Betracht i)
Daraus ergiebt sich zunächst dafs die Bemannung im Altertum die heu*
tige an Kopfzahl weit, oft um das sechsfache übertraf. Eine Triere
z. B. steht einem deutschen Kanonenboot zweiter Klasse, was GrOCse
und Bauart betrifft, so ziemlich gleich: letzteres hat 210 Tons Inhalt
60 Pferdekraft und 35 Mann Besatzung, erstere hatte 232 Tons 24
Pferdekraft aber 225 Mann Besatzung. Vergleichen wir einen Vier*
rüderer mit einem unserer Kanonenbüte erster Klasse, so stellt sich
das beiderseitige Verhältnifs folgender Mafsen dar: Tons Inhalt 300
und 365, Pferdekraft 80 und 32, Besatzung 40—50 und 300 Mann.
Ein Fünfruderer von der GrOlse unserer Glattdeckscorvetten zahlte bei
534 Tons und 42 Pferdekraft 375 Mann Besatzung. Einer Landratte
pflegt die Einrichtung an Bord eng und knapp zu erscheinen ; aber
was jetzt eine sparsame Ausnutzung des Raumes ist, würde ehedem
als verschwenderisch gegolten haben. Ein antikes Kriegsschiff macht
denselben Eindruck wie ein Fafs mit Pökelheringen: ob nordische
Theeijacken, auf einen Raum von 8 DFufs oder 0,8 D Meter zasam-
mengepfercht, im Stande wären Tage lang ihre Riemen zu ziehen, darf
mit allem Fug bezweifelt werden. Man wird sich daran erinnern dafs
der Südländer noch jetzt wie im Altertum auf die freie Bewegung sei-
ner Ellbogen in einer uns unfafsbaren Weise verzichtet; andererseits
wird ^ verständlidi, warum die Aken so oft ihre Reisen durch Lan-
1) Üie folgenden Angaben fnfsen avf den sorgfaltigen UnteiSHchusgen von
B. Graser de veteram re navali BeroL 1864, fortgesetzt durch Unters» Aber
das Seewesen der Alten Pldlologns m SuppL p. 134—284.
126 Kap. II. Bas Meer.
düngen zu unterbrechen pflegten: die physische Notwendigkeit die
Mannschaft dann und wann die Glieder strecken zu lassen zwang dazu.
Die consequente Ausbildung der Ruderkraft führte im Altertum zu
einer Verschiedenheit der Bauweise für Kriegs- und Handelszwecke,
die wir gegenwärtig nicht kennen. Die Beinamen lang und rund {vavg
ftiaxQa navis longa — tcXoIov OTQoyyvlov) deuten darauf hin.^) Bei
dem KaulTahrteischiir steht Breite zur Länge in dem Verbältnifs 1 : 4,
wie es auch bei den gewöhnlichen Seglern der Neuzeit üblich ist. Das
Kriegsschiff dagegen, welches äufserste Schnelligkeit erstrebt und
möglichst viel Ruderer anbringen mufs, ist ungefähr 8 Mal so lang als
breit d. h. ebenso schlank und scharf gebaut wie die in den letzten
Decennien in Aufnahme gekommenen Klipper und Schnellschiffe. ^)
Die Gegenwart ist nämlich um die Schnelligkeit zu steigern zu der
Bauweise der Allen zurückgekehrt, ähnlich wie die Dampfkraft die
Aufnahme des etruskischen Sporns in die neueste Seetaktik veranlafst
hat. Bei aller Uebereinstimmung zwischen Ruder- und Dampfschiff
liegt jedoch ein gewaUiger Abstand in der beiderseitigen Leistungs-
fähigkeit: wenn unsere Seekolosse 12 — 16 Knoten (22 — 29 km) in
der Stunde laufen, so haben jene es nicht viel über die Hälfte gebracht.
Immerhin haben die Alten in der Steigerung der Schnelligkeit bedeu-
tende Forlschritte gemacht. Sie begannen mit dem offenen , von 50
Ruderern in einer Reihe getriebenen Schiff; die Phoenizier pflegten
den Convois ihrer Gauloi oder Lastschiffe derartige Schnellsegler zur
Bedeckung mitzugeben und lange Zeit ist man hierbei stehen geblieben.
Diese Gattung hat die erste Seeschlacht in italischen Gewässern , von
der die Ueberlieferung weifs, geliefert, als 532 v. Chr. die Phokaeer
von Corsica durch die doppelte Uebermacht der Etnisker und Karthager
1) Isidor XIX 1 longae naves dictae eo quod iongiores sint ceteris,
2) leh fQge nach Grasen BestimmiiDgen die wichtigsten Dimensionen der
antiken Kriegsschiffe in Metern bei:
Dreimderer Viermdcrer FnnJradaier
Länge ohne Sporn 46,76 49,74 52,72
Breite in der Wasserlinie. . . 4,39 5,02 5,65
Breite mit der Schanzverkleidang 6,59 7,S4 9,09
Höhe des Schiffsraums. . . . 6,12 7,21 8,31
Tiefgang 2,67 3,14 3,61
Tragkraft in Tons 232Vt 365 534
Zahl der Raderer 174 240 310
Pferdekraft 24 32 42
Gesammte Besatzung . . . .225 300 375
f 8. Die Krieg^mariDe. 127
yerlrieben wurden. <) Im 5. und 4. Jahrhundert ist der Dreiruderer,
seit Dionys dem Aelteren der Fttnfruderer Gebieter des Mittelmeers.
Darin wich eben die antike Seetaktik von der modernen gänzlich
ab dals sie stets nur Schiffe gleichen Kalibers und Ausrüstung ver-
wandte. Der bunten Mannichfaltigkeit heutiger Flotten gegenüber be-
sals ein derartiges System unleugbare Vortheile. Es wiederholt das
Princip des Landkriegs, der auch während der nationalen Blüte streng
genommen auf gemischte Waffen Verzicht leistet. Wenn das Altertum
hinter der GrOfse und Wirksamkeit neuerer Schiffe weit zurückbleibt,
imponirt es um so mehr durch die Stärke seiner Flotten und die
Menschenmassen, die es ins Treffen führte. Bei Eknomos 256 v. Chr.
fochten — von Transportschiffen abgesehen — 330 römische gegen
350 karthagische Fünfruderer mit einer Besatzung von insgesammt
nahe an 300000 Mann^) : gegen solche Zahlen treten die berühmtesten
Seeschlachten der Neuzeit in den Schatten ; um die Tonnenzahl (über
360 000) zu erreichen, müfste man die Panzerschiffe aller Flotten der
Welt zusammen vereinigen und was die Besatzung betrifft, so würde
die genannte Ziffer aus den Mannschaften aller heutigen Kriegsflotten
nicht erreicht werden können. In der Vermehning der Ruderreihen
gingen die Alten immer weiter, so dafs sie sogar Sechszehn- und Vier-
zigniderer construirten. In der That gelang es dadurch fortwährend
die Schnelligkeit zu erhöhen, aber nur auf Kosten der Beweglich-
keit: solche Ungetüme wie wir sie jetzt und wie die Alten in der
Diadochenzeit sie bauten, gehorchen dem Steuer zu langsam und wen-
den zu schwerfällig. Der athenische Dreiruderer mit seinen drei Ma-
sten und seinen schlanken Formen mufs als das vollendete Kriegsfahr-
zeug des Altertums gelten. Auch kam dies System am Ausgang der
Republik wieder zu Ehren : bei Actium 31 v. Chr. in derjenigen Schlacht,
welche den Seekrieg grofsen Stils für eine vielhundertjährige Periode
abschliefst, erfochten die behenden Liburnerd. h. Zwei- und Drei-
niderer den glänzendsten Sieg Ober die aegyptischen Schiffskolosse
und bilden fortan den Hauptbestand der kaiserlichen Flotten.')
Seit der Eroberung Siciliens war Rom die grOfste Seemacht des
Mittelmeers: Hannibal hat seine Entwürfe auf den Landkrieg gerichtet,
kein anderer Staat das maritime Uebergewicht je ernstlich in Frage
gestellt. Aus dem Vorrang entsprang die Pflicht für die Sicherheit des
1) Herod. I 166.
2) Polyb. I 26.
3) Marqaardt Rom. SUatsverw.lI p.491 Veget IV 32 fg.
128 Kap. n. Das Meer.
Meeres Sorge zu tragen. Rom bat die Pflicht anerkannt, 229 eine ge-
waltige Rüstung nach der illyrischen Küste entsaadt um den Seeraub
auf der Adria zu unterdrücken , mit der nämlichen Ahsidit 123 die
Balearen, 102 Cilicien, 68 Kreta in Besitz genommen. An grofsarligen
Anstrengungen hat es nicht gemangelt, trotzdem blieb das Ergebnifs
hinter den bescheidensten Erwartungen zurück. Die Seepolizei zu
handhaben wie vormals Athen und Karthago gethan , erwies sich die
Republik aufser Stande; sie liefs ein Piratentum sich einnisten festigen
und ausbreiten, das mit tausend Schiflen die Wogen der Hittellandsee
durchfurchte, alle Küsten die italischen eingeschlossen brandschatzte.
Der Flottendienst war allezeit in Rom minder geehrt, um nicht zu
sagen verachtet; es hatte ihn von Anfang an nach Kräften auf die
Schultern der Bundesgenossen abgewälzt. Nach Vollendung der Welt-
berrschaft sab es davon ab eine eigene italische Flotte zu unterhalten
und begnügte sich die nötigen Schiffe von den verbündeten Städten
im Reich zu entbieten. Da aber das Reich in eine Reihe gesonderter
Aemter und Commandos zerfiel, so fehlte bei maritimen Unterneh-
mungen die Einheit des Plans und des Vorgehens. Die Provinzen gal-
ten nach anerkannter Rechtsanschauung als Landgüter des rümischen
Volks; nach einer Formel, welche dessen Ansprüche auf das Meer aus-
drücken konnte, sucht man in den Rechtsbüchern vergebens. Der-
gestrit wurden die berufenen Herren durch unberufene ersetzt In
vielen Küsten- und Inselbevölkerungen war der gewaltthäUge Sinn
entweder noch nicht erloschen odei* lebte von Neuem wieder auf ^ die
sociale Krisis, welche die Gesellschaft durchzuckte, der innere Hader
der die mächtige Bürgerschaft zerriis, verstärkte die Schaaren der
Friedlosen und Geächteten. Es konnte scheinen, als ob Rom den Gor-
saren ebenso wehrlos gegenüberstände wie zwei Jahrhunderte zuvor
den Karthagern. Die Verfassung bot kein Mittel um das ganze Mittel-
meer unter ein Commando zu vereinigen. A)s dessen Errichtupg durch
die Not der Zeit und die Kurzsichtigkeit der P,arteieu beschlossen war,
hatte der Freistaat einen bedeutungsvollen Schritt zur Monarchie ge-
than. Auf die Grofsadmirsdität hat Pompeius sein^ Steiluag über dem
j&esetz gegründet Und merkwürdiger Weise fiel auch zwischen Caesars
Erben die Entscheidung auf der See. Das Imperium hat die Sünden
der Republik vermieden, seinen Beruf, den Frieden zu gewährleisten
zu Wasser wie zu Lande erfüllt. Stehende Flotten, ein Geschwader in
Misenum für den Westen, ein anderes in Ravenna für den Osten haben
den Seeraub zwar nicht völlig aus der W«lt geschafft, aber doch als
S 9. Die Schiffahrt 139
offentücbes Uebel beseitigt. ^ Die bis dabin ungekannte Sicherheit des
Meeres hatte einen entsprechenden Aufschwung des Verkehrs im Ge-
folge, wie denn z. B. die Schifiahrt nach Indien wenige Jahre nach der
Annexion Aegyptens sich versechsfacht hatte. >) Gegen die barbarischen
Gewohnheiten des alten Strandrechts schritt die Gesetzgebung ein,
schirmte Leben und Habe des Schiffbrüchigen.^) Wenn die bezQg*
liehen Erlasse auf eine raubluslige Gesinnung der Strandleute hinzu*
weisen scheinen, wollen wir uns daran erinnern, dafs noch vor ein
paar Menschenaltem auf den Kanzeln friesischer Inseb um einen ge-
segneten Strand gebetet wurde. Alles in allem erwogen, hat das Mittel-
meer in keiner Epoche seiner dreitausencyahrigen Geschichte, die Ge-
genwart ausgenommen, so gefahrlos beschiflt werden können, niemals,
die Gegenwart eingerechnet, hat es ein so friedliches Aussehen zur
Schau getragen als unter der Herrschaft der Caesaren.
§9. Die Schiffahrt.
Der Spruch am Bremer Seemannshaus: navigare necesse est vivere
non est necesse deutet die Auffassung an, welche die Insassen mit ihrem
Beruf verbinden. Der Mangel von Compafs, Uhren, Seekarten und so
viel anderen Hülfsmitteln , über welche die Gegenwart verfügt, reicht
nicht aus um den niedrigen Stand der antiken Schiffahrt zu erklären.
Die Leistungen der Normannen beweisen, dafs alle Mängel der Technik
durch Mannesmut ersetzt werden können (S. 116). Die Alten beugten
sich vor der Allmacht der Natur, wo das heutige Pflicht- und Ehrgeftlhl
ihr zu trotzen gebietet. Der Gegensatz offenbart sich sofort in der z e i t -
liehen Beschränkung der mediterranen Schiffahrt. Sie dauerte
kaum länger als ein halbes Jahr: sobald die Herbstnachtgleiche heran-
nahte , kehrte der Seemann in den heimischen Hafen zurtlck, zog sein
Schiff aufs Land und schaute dem Toben der Winterstürme im Trock-
nen zu, bis der Frühling die einsame See wieder mit Segeln anfüllte.^)
1) Strabo U 118 und XVII 798.
2) Strabo m 144 n^ooeazi dik xal 17 vvv BUff^vri xwv kg0TfiQianf xara-
hf^ivtav, äaB^ ^ oifmaaa imag^Bi ^ifovoivrj xoZq n^i^Ofiivoii , ebenso
Plin. n 117. Vereinzelt kam noch Seeraub vor Seneca de ben. VII 15, 1 Gaaa.
Die XXXVI 20.
3) Dig.XLVII tit.9 de ineendio rtäna naufragio rate nave expu$nata$
Friedlander Sittengeachichte II* p. 12.
4) Liv.XXXI47 XXXVU9 und stehend in der Kriegsgeschichte; PhUo
icg. ad Gainm 548 M. Apostelge8cb.28, 11 Hör. Od. 14, 2.
Niit«n, ItftL LuaMkiimd«. I. 9
130 Kap. n. Das Meer.
Winterreisen werden zwar erwähnt, gelten aber fast als naturwidrig.^)
„Die Rauhheit und Wildheit des Meeres — helfet es in einem dem vier-
ten Jahrhundert n. Chr. angehörenden Narigationskalender^) — duldet
keine Schiffahrt das ganze Jahr hindurch; sondern einige Monate sind
daftlr am geeignetsten, andere zweifelhaft, in den übrigen ist sie durch
die Ordnungen der Natur untersagt. Vom 27. Mai bis 24. September
ist sie gefahrlos, von der Nachtgleiche bis 11. November unsicher, vom
11. November bis zum 10. März sind die Meere geschlossen. Denn
die Kürze des Tages, die Länge der Nacht, das dichte Gewölk, das
Rasen der Winde, mit Regen und Schneeschauern gepaart, vertreiben
nicht nur die Flotten aus der See sondern auch die Reisenden von
der Landstrafse.^^ Mit lärmenden Festen wird die Eröffnung wie der
Schlufs der Schiffahrt gefeiert: sie galten der Isis der Patronin des See-
manns. Aber auch nach dem Isisfest im März wenn der lockende Ge-
winn ihn hinausführt, bleibt das Meer gefährlich und der Admiral darf
seine Kriegsflotte nur mit äufserster Vorsicht den Wogen anvertrauen.
Sicherlich würden an unsern Küsten die gestrandeten Wracks seltener
antreiben, als leider der Fall ist, hätten die Unfallsregister nicht einen
mit diesen Schifl1)rüchen verbundeneu Jahresverlust von 4 — 5000
Menschenleben zu verzeichnen 3), wenn ähnliche Regeln für Canal und
Nordsee beobachtet würden. Aber welcher Capitän könnte heutigen
Tages eine Sprache zu führen wagen, wie wir soeben von einem Kriegs-
mann vernommen haben ? Der Aengstlichkeit, mit der die Alten min-
destens den dritten Theil des Jahres von der See fern blieben, entspricht
es dafs sie nur widerwillig das Land aus den Augen verloren, den
doppelten Umweg nicht scheuten um dasselbe ja in Sicht zu behalten.
Die nautischen Grundsätze haben sich seitdem in das gerade
Gegentheil verkehrt: für uns bietet die offene See die volle Sicherheit
und beginnt die Gefahr erst in Landnähe, die Alten flüchteten an Land
wenn der Sturm aufzog. Die Hauptrouten schlössen sich deshalb
eng an den Lauf der Küsten an. Von Griechenland nach Syrakus
wählte man nicht etwa den directen Weg durch das sicilische Heer,
t).Plin.II 125. Der Statthalter von Spanien kann 43 v. Chr. ^rst im April
Depeschen von Gades abschicken : nulla enim post hiemem fuit ante eum dient
navigaüo, Gic. Farn. X 33, 3.
2) Yegetius lY 39 ; über das Isisfest Mommsen CIL I p. 387. 405 Preiler
Rom. Myth.* p. 729.
3) Auf das Königreich Italien kommen nur ca. 100, davon verunglOcken
in italienischen Meeren nur ca. 40 (Annuario statistico ital. 11 p. 202) bei eioer
seefahrenden Bevölkerung von mehr als 200 000!
§ 9. Die Schiffahrt. 131
sondern fuhr zuerst nach Kerkyra hinauf, setzte alsdann nach der apu*
liscfaen Halbinsel über und beschrieb den grofsen Bogen des Tarentiner
Golfs immer der Küste folgend. 0 Nur zwingende Not konnte es für
die Hellenen rechtfertigen den directen Curs zu steuern. 2) Wollte Rom
eine Flotte in die östlichen Gewässer entsenden, so fuhr dieselbe zu-
erst nach Neapel, weiter nach Messina, von hier nordwärts nach dem
lacinischen Vorgebirge, dann allenfalls geradezu nach Kerkyra und
endlich am Peloponnes entlang nach Cap Malea.') Statt einen und
denselben Curs von Messina nach Malea (OSO) einzuhalten, wechselten
die Römer dreimal und fuhren nach einander NNO ONO SSO. Von
Rom nach Tarraco segelten sie nicht etwa in gerader Richtung durch
die Strafse von Bonifacio, sondern mafsen die volle Ausdehnung der
etniskischen ligurischen gallischen und spanischen Küste ab. 4) Frei-
lich mufs hinzugefügt werden, dafs die antiken Kriegsschiffe, auf
weiche unsere Nachrichten sich vorwiegend beziehen, ihres hohen
Bords wegen äufserst schlecht See hielten und — umgekehrt wie bei
uns — an Seetüchtigkeit durchweg hinter den grofsen KaufTahrern
zurückstanden.^)
In der Handelsmarine lebten die nautischen Traditionen fort,
welche die Phoenizier seit vielen Jahrhunderten angesammelt hatten ;
auf diese Kreise sind die bedeutenderen Leistungen zurückzuführen,
die aus römischer Zeit berichtet werden. Die Hauptlinie des damaligen
Welthandels lief zwischen Alexandria und Puteoli : grofse Convois, aus
l^tscbiffen und Schnellseglern für die lange Fahrt zusammengesetzt,
brachten Weizen Papier Glas aus Aegypten nebst den zahllosen Luxus-
artikeln aus Indien China und dem tropischen Africa, welche der
aiexandrinische Speditionshandel dem herrschenden Volke vermittelte.^)
Wichtige Verkehrslinien tiefen ferner von Puteoli nach Gades und
Karthago. Dagegen war Brundisium der Haupthafen für Personenver-
kehr, von demalle Orientreisenden nach Kerkyra oder Apollonia über-
setzten. Der Ausspruch des alten Cato er bereue bitterlich ein Schiff
bestiegen zu haben, wo er zu Lande habe reisen können, war nämlich
1) Thnk. I 36. 44 VI 44. 61 VU 26 Flut. Tim. 8 fg.
2) PlHt Dio 25.
3) Ut. XXXVI 42 XXXI 44 XLD 48.
4) Uv. XXVI 19 XXX 39 XXXIV 8.
5) Veget IV 38 procelUs namque et fhteHbtu Ubuma« gravitu fuam vi
hottium saepe perierunt,
6) FriedläDder SitteDgesch. D' p. 75 fg.
9»
182 Kap. n. Das Meer.
zum Glaubensartikel der römischen Gesellschaft erhoben worden: io
den klaglichsten Tonarten pflegte sie über die Tücke der See zu jam-
mern, i) In Folge dessen beschrankte sie sich durchaus auf die unrer-
meidlichen Ueberfahrten und schlug z. B. häufig Yon Gades oder Klein-
asien nach Rom den Landweg ein.^) In der Blütezeit von Hellas war
dies anders gewesen : die Lage der Wohnsitze brachte es von selbst mit
sich , dafs der Hellene für jede grörsere Reise ein Schiff besteigen
mufste. Eine Seereise im Altertum erheischte übrigens einen nach
unseren Vorstellungen ungebührlichen Zeitaufwand. Es wird zwar
Yon Fahrten erzählt, weiche der Schnelligkeit unserer Dampfer nahezu
gleichkommen. Aber aus dem Durchschnitt der widersprechenden An-
gaben stellt sich doch das Resultat heraus , dafs die antiken wie die
mittelalterlichen Schiffe langsamer segelten als die heutigen.^) Man
stimmt darin ttberein, schreibt ein Hydrograph um 400 n. Chr.^), dafs
ein Schiff mit günstigem Wind 700 Stadien (17 V2 Meilen) an einem
Tage zurücklegt, bei vorzüglicher Bauart auch wol 900 Stadien (22^3
Meilen), dagegen ein schlecht gebautes nur 500 (12 Vs Meilen). Die
Ueberfahrl von Brundisium nach Kerkyra erforderte in der Regel einen
Tag, die Reise von Ostia nach Puteoli 3, von Zakynthos nach Sicilien
— eine Strecke von kaum 70 Meilen — war Dion bei schwacher Brise
volle 13 Tage unterwegs.^) Im Ganzen jedoch scheinen die Alten weit
mehr Zeit an Land vertrödelt zu haben als auf See; denn statt gegen
contraren Wind aufzukreuzen pflegten sie den Umschlag in irgend
einem Nothafen abzuwarten. Die Wertschätzung der Zeit, welche das
Stichwort fQr das fieberhafte Treiben der modernen Welt abgiebt, blieb
ihnen ebenso unbekannt wie die feinere Theilung der Zeit, wenn auch
in beiden Richtungen ein Fortschritt wahrend der Friedensepoche der
1) Plnt. Gato mai. 9 Horaz Od. I 3. 28 Cicero Att. X 11, 4.
2) FOr Gades beweisen dies die vier Trinkbecher mit den itinerarien (S. 23);
f&r Asien vgi. Friedländer Sittengesch. 11* p. 15.
3) Aus den sclinellsien Fahrten, die Plinius XIX 3 aufzahlt, ist natfiriich
kein allgemeiner Schlafs zulässig. Eine abschlieüsende Untersuchung der wich-
tigen Frage fehlt Bredow, Unters. II p. 687 (nach Rennel) bestimmt die mitt-
lere Tagfahrt auf 9 Meilen. Movers, Phoeniaier Ol 1 p. 190, der das reichst«
Material zusammen gebracht, greift viel höher; leider ist das verheifsene Ga-
pitel über die Schiffahrt im mittellandisehen Meere durch den Tod des treff-
lichen Gelehrten uns Torenthalten geblieben. Friedlinder a. 0. p. 16 rechnft
die Durchsehnittsfahrt zu 25 Meilen.
4) Marctanus ▼. Heraklea Müller I p. 568.
5) Flut 25 Friedländer a. 0. p. 13.
i 10. NatargennlB. 188
Kaiser erkennbar ist. Unter den Kauffahrern finden wir die ver-
schiedensten Gattungen und GrOlsen von 12 bis 1575 Tons vertreten.
Die alezandrinischen Komsohiffe standen unseren heutigen Bark- oder
Vollschiffen an Tragkraft gleich. Aber im Grofsen und Ganzen wogen
der Küstenfahrt entsprechend wie die Jachten auf der Ostsee, auf dem
Mittefaneer die kleineren Schiffe vor. Und so ist es auch heutigen
Tags, wo die italienische Handelsmarine zu 10000 Segehi (V2 des gan-
len Mittelmeers) aber nur zu 1 Million Tons (^/s des ganzen Gebiets)
gerechnet wird, ihre Abstammung von offenen Booten haben die an-
tiken Kauffahrteischiffe nie verleugnet Die aufi^Iligste Erscheinung
an ihnen ist nSmlich dafs sie nur einen einzigen Mast und ursprüng-
lich an demselben nur ein einziges Raasegel führen^ Die Anhänger des
Alten schüttelten den Kopf über die Neuerung, welche etwa um den
Beginn unserer Zeitrechnung aufkam, Top- Vorder- und Achtersegel
hinzuzufügen, wie solche auf den dreimastigen Kriegsschiffen längst
üblich gewesen waren. 0 Von der Kriegsmarine stammen auch die
dreieckigen an einer langen Kuthe aufgerichteten Segel, die unter dem
Namen lateinische bekannt, zur eigentümlichen Staffage der Mittelland-
see geboren. Aber der Umstand dafs ein Schiff von 1575 Tons wie die
von Lucian beschriebene Isis nur einen einzigen Mast führte, der weitere
Umstand dafe es in den Hafen hinein und heraus gerudert werden
muiste, erscheint ausreichend um die Anschauung von der Schnellig-
keit und Segelfertigkeit sowie der Navigation des Altertums insgesammt
vor der übertriebenen Bewunderung, zu der philologische Betrach-
tungsweise so leicht verleitet wird, zu bewahren. 2)
•
§ 10. Naturgenufs.
Die Entwicklung des antiken Seewesens ruht auf den Phoeniziern
und Hellenen. Die meisten Ausdrücke der lateinischen Schiffersprache
sind Fremdwörter. Der einzigen nautischen Erfindung, welche den
Römern zugeschrieben wird, der Enterbrücke haben wir bereits ge-
dacht (S. 124). Das Verhältnifs, in welchem dies Volk zum Seeleben
stand, ist, soweit unsere Kunde reicht, unverändert geblieben. Wie
ihre Vorgänger in der Weltherrschaft, die Perser haben auch die Römer
in ihren festländischen Anschauungen und bäuerUchen Gewohnheiten
1) Plin. XIX 5.
2) Lac. nsTig. b Xen. Oecon. S, 12. Auf das Vollschiff von 260 Tons worden
regelmäbig 20 Ruderer gerechnet, Graser p. 46.
134 Kap. II. Das Meer.
beharrt. Immerhin mufste die eindringende Bildung ihren Einflufs
geltend machen. Aus den Gesängen Homers tönt es uns entgegen
wie Meeresrauschen, in der althellenischen Litteratur spiegelt sich die
Empfindung eines Seevolkes wieder. Was im freien Hellas die naive
und getreue Wiedergabe der Wirklichkeit gewesen war, erhielt durch
die Alexandriner eine bewufste Gestaltung. Sie schufen das sentimen-
tale Naturgeftthl, das Naturgefühl der Gebildeten , das sich als solches
von dem der Massen scheidet, und gaben ihm in der Dichtung wie der
neu erfundenen Landschaftsmalerei seinen künstlerischen Ausdruck.
Die Wirkung auf das bildungsbedürftige Rom liegt offen zu Tage. Wir
lesen schon bei Cicero vom StaatsschifiT und seinem Steuer, von Stürmen
und SchifiTbruch der Parteien, dem Wogen der Volksmenge, dem Hafen
und der Fahrt des Lebens, kurz alle jene erborgten Metaphern, die
gleich verschlissenen Münzen durch den langen Gebrauch in den abend-
ländischen Sprachen nachgerade unkenntlich geworden sind, i) Wie
die Naturpoesie von CatuUVergilHoraz nachgeahmt ward, wählten auch
die Zeitgenossen mit Vorliehe Landschaften zum Schmuck der Wände.
Da aber die Wunder des Hochgebirgs den Alten sich nicht erschlossen
hatten, nahm das Meer selbstverständlich ihr Hauptinteresse gefangen.-)
Dasselbe hat in der Sitte sich in beachtenswerter Weise geäufsert.
Es will allerdings nicht viel heifsen, dafs die Glücklichen, welche während
der Sonunermonate dem Glutofen der Grofsstadt zu entfliehen in der
Lage waren , auch Küstenorte zur Abhaltung ihrer Villeggiatur auf-
suchten^); denn Seebäder wurden und werden von den Anwohnero
des Mittelmeers minder geschätzt als im Norden der Fall ist Weit be-
deutsamer ist die Erscheinung dafs der Adel seit der Aufnahme hel-
lenischer Sitte nach dem Meer sich gedrängt hat. Man darf sagen, das
Gefühl für die Anmut und Erhabenheit des Meeres ging der römischen
Bildung in Fleisch und Blut über. Es bedarf gar nicht der Aeufserungen,
welche des Naturgenusses , den die Romer hier suchten und fanden,
ausdrücklich Erwähnung thun : die Trümmer ihrer Bauten reden eine
verständliche Sprache.^) Gewifs ist der Dichter in seinem Recht, wenn
1) Die Ausprägung dieser internationaleD Bildersprache verdiente 'eiDgehend
verfolgt zü werden. Die VergleichuDg des Volks mit dem Meer machte 189
v. Chr. im römischen Senat Eindmck und war damals noch nen Pol. XXI 3!
▼gl. XI 29, 9 Hnltsch. Dem Cicero und Livius ist es eine vulgaia nmüUudo
XXX VIII tO, 5 vgLXXVin 27, 11 Cic pro Gluent 138.
2) Heibig, Unters, über die campan. Wandmalerei, Leipiig 1873, p. 98 f^.
3) Friedländer U> p.53fg.
4) Friedlander II> p. 129 fg.
f 10. Naturgenars. 135
er den mafslosen Luxus schilt, der sich hier so wenig wie bei irgend
einem Thun und Treiben seiner Landsleute verleugnete.^) Aber es
war mehr als blofse Mode, was die Römer ans Meer fesselte und die
Gewaltigen alle vom älteren Scipio Africanus und seiner edlen Tochter
Cornelia bis auf Augustus Tiberius und deren Nachfolger an sich zog,
so oft ihre Kraft in dem schweren Ringen auf dem Forum zu Rom
erlahmt war. Sanfte Lüfte kühlten die erhitzte Stirn , leuchtende Far-
ben reizende Umrisse erquickten das Auge und der Anblick der un-
ermefelichen Fläche gab diesem zur Herrschaft gebomen Geschlecht
ein Gleichnifs des eignen Strebens. Wer heut zu Tage die verödeten
fieberschwangern Küsten Etruriens Latiums Campaniens durchstreift,
trifft auf Schritt und Tritt die Spuren einstiger Pracht an. Er wird
zugleich daran erinnert dafs die Freude, welche die alten Römer am
Meer empfanden, durch der Zeiten Ungunst bei ihren Nachkommen
TerkOmmert ist.
t) Horaz Od. H 18, 20 lU 1, 33 24, 3.
KAPITEL III.
Die Alpen.
Bis auf die neueWehepoehe, welche mit der Entdeckung America's
anhebt, ist das Mittelmeer der Träger europäischer Cuitur, ist Italien
der wichtigste Schauplatz europäischer Geschichte gewesen. Seine
centrale Lage hat das Land zu diesem hohen Berufe bestimmt. Sein
einheitlicher Bau beförderte die Schöpfung eines grofsen Staatswesens,
welches die Herrschaft über einen weiten Länderkreis zu erringen und
zu behaupten vermochte. Zugleich gewährte ihm sein Bau die beson-
dere Fähigkeit die Civilisation des Orients aufzunehmen, innerlich zu
verarbeiten , dem Norden unseres Erdtheils zu vermitteln. Denn da
Italien von den insularen Fortsetzungen (35^ 5O0 angerechnet bis zum
Kamm der Alpen (47^100 sich über mehr als 11 Breitengrade erstreckt,
umschliefst es bedeutende klimatische und physische Gegensätze, ver-
bindet die Eigentümlichkeiten Mitteleuropa's mit denjenigen von
Griechenland und Africa. Der langsame Fortschritt der Culturarbeit
brachte es mit sich, dafs an der Entwicklung, welche mit dem Namen
Roms bezeichnet wird, die verschiedenen Abschnitte des Landes in un-
gleichem Mafs betheiligt waren. Die breite Gebirgsmasse, die es vom
Stanun des Continents scheidet, ist von Natur zur Grenze bestinmit und
hat in der Geschichte meistens als Grenze gedient. Seit dem Anfang
des zweiten Jahrhunderts v. Chr. haben die Italiker sich gewohnt in
den Alpen ihre Mauer zu erkennen >): ein Gleichnifs jedem Beschauer
sich aufdrängend, der von einem Aussichtspunctder padanischen Ebene
aus die lange Reihe der Schneezinnen mit seinen Blicken verfolgt
Das Gleichnifs drückt die äufsere dem italischen Leben abgewandte
Stellung des Gebirges aus. Spät ward es den Alten bekannt, noch
1) So schon Gate nach Serv. Y. Aen. X 13 Alpet . . . quae seeundum CaUh
nem et Idvium muri viee tuebaniur ItaUam vgL liv. XXI 35 PoL lÜ 54 ; Cicero
de prov. cons. 34, in Pit . 81, Philipp.V 37, Plinins m 31 XII 5, HerodianVm 1, h,
hidor Or. XIY 8, 18.
I 1. Namen. 187
später TOD ihnen bezwungen. Ihre Auftnerkflamkeit konnte weder
durch die barbarischen Zustände , die hier in der Periode der Unab-
bSngigkeit herrschten, noch durch die Wald- und Weidewirtschaft,
die nach der Unterwerfung blühte, am wenigsten aber durch die Natur
selbst gefesselt werden. Das Interesse, welches die Alpen der romischen
BUdang einflofsten, beschränkte sich auf das Hindemifs, das sie dem
Verkehr in den Weg stellten , und dessen leichteste Ueberwindung.
Die Repubhk Terzichtete darauf die Verbindungen mit ihren westlichen
Provinzen durch Besitznahme zu sichern; als Augustus endhch die
lange VersSumnifs nachholte , hat er dennoch den gröfseren Theil der
Berglandschaften von Italien ausgeschlossen (S. 79). Im Lauf der
Zeiten wurden sie gänzlich romanisirt: aber erst unter Diocletian,al8der
Sitz der Regierung nach dem nahen Mailand Tonllckte , erfolgte die
Einverleibung (S. 85). Nach dem Gesagten (Mit eine nähere Beschrei-
bung aufeerhalb des Bereichs unserer Aufgabe: die Alpen gehen uns
nur an, insofern sie den Grenzsaum des italischen Landes darstellen
und die physische Beschaffenheit desselben rielfach bedingen, i)
§ 1. Namen.
Die Alpen werden gegenwärtig von den drei Hauptstämmen Eu-
ropa's, vornehmlich dem romanischen und germanischen bewohnt,
wÄrend die Slaven auf den östlichen Grenzstrich beschränkt sind.
Für das Altertum fehlen die mittel um Herkunft und Verwandtschaft
der namhaft gemachten Volkerschaften sicher zu bestimmen. Am
weitesten Terhrdtet erscheinen die Kelten; doch wird ihre Ein wande-
mngin einer Terhältnifsmäfsig jungen Epoche statt gefunden haben.
Durch sie wurden ältere Ansiedler wie die Ligurer in den Seealpen,
die Raeter in Graubilnden, die Eoganeer in Tirol, die Illyrier in den
Ostalpen Tordrängt und eingeengt Man kann unmöglich glauben, dafs
alle diese verschiedenartigen Stämme ein so ausgedehntes Gebiet ur-
sprünglich ttbereinstimmend benannt haben sollen. In der That sind
die Spuren individueller Namengebung nicht ganz verloscht Cluver
erkennt eine solche mit Recht in dem Worte Tauern — so heilst die
Kette zwischen Drau und Salzach noch jetzt und ihre einzelnen Ab-
1) Le Alpi che dagono Tltalia eonsiderate milltarmente, vom piemonte-
sischen GeoeralsUb, redigirt durch den Generalqvartlermeister Annibale di Sa-
inszo voi.I (einziger) ToriDo 1845. 8. mit Atlas. Litteratur bei Amati, disio-
Mrio I 232.
188 Kap. m. Die Alpen.
schnitte werden durch Bei Worte unterschieden, Krimmler-Velber-Hoch-
tauern u. s. w., gerade wie dies bei den Alpen geschieht — ; er bringt
es in Verbindung mit dem Volk der Tauridier, dem Taurusgebirge in
Kleinasien und weist seine keltische Herkunft nach.^ Eine andere
Spur darf in dem Worte ^Rrtai oder ^Pmala oQfj gesucht werden, mit
dem die Hellenen seit dem 7. Jahrhundert ein fabelhaftes Gebirge be-
zeichneten, jenseit dessen die glücUichen Hyperboreer wohnten.^)
Nach der Erweiterung des Erdwissens in römischer Zeit hielt es na-
türlich schwer für derartige Gebilde dichterischer Phantasieeinen schick-
lichen Platz ausfindig zu machen : der eine rückt sie in diesen , der
andere in jenen dunklen Winkel fort. Viele, darunter achtbare Zeu-
gen wollen sie in den Alpen wieder erkennen') und wirklich gewinnt
diese Ansicht an innerer Berechtigung, sobald man sich Tergegen-
wärtigt, dafs in der Epoche vor der makedonischen Herrschaft die Hel-
lenen im Westen ihr Wunderland suchten , welches die Vorstellung
mit allen Reizen und Glücksgütern ausstattete. Demnach mag jenem
Mythos von den Hyperboreern eine unbestimmte Kunde des central-
europäischen Gebirges zu Grunde liegen, mag der Name der Rhipen
aus irgend einer unbekannten Sprache stammen und den Hellenen
vom Schwarzen Meer her bekannt geworden sein; denn der Donau
folgend ist der Verkehr und die Kunde zuerst in das Innere unseres
Erdtheils vorgedrungen. Auch der Namei^^xvrea oQr] silva Hercynia
hat vielleicht einen Ähnlichen Weg genommen. Nach Aristoteles,
bei dem er zuerst begegnet^), „entspringen auf dem im Westen des
Keltenlandes gelegenen PyrenSiengebirg Ister und Tartessos, jener
durchfliefst ganz Europa und mündet in den Pontes, dieser mündet
aufserhalb der Säulen. Die meisten übrigen Flüsse fliefsen nordwärts
von den Arkynien, dem höchsten und ausgedehntesten Gebirg dortiger
Gegend. Am Nordpol jenseit des äufsersten Skythien liegen die sog.
Rhipen, über deren Gröfse die Berichte ganz fabelhaft klingen : von
hier sollen die meisten und nach dem Ister grüfsten Flüsse kommen.^
Ein jüngerer Bericht verlegt die Donauquelle auf die Arkynien und
1) Vindelicia et Noricam p. 5, Italia ant p. 319.
2) Häufig erwähnt (s. Pape, Wörterbuch s. v.), zuerst bei Alkman fr. 58
Bergk. Aeschylos fr. 66 Dind. versetzt sie nach NW., vgl. Zeuüi, die Deotacheo
und die Nachbarstämme p. 2fg.
3) Poaeidonioa bei Athen. VI p. 233 d za xe ndXai (ßkv^Pinma xakov/uva
oQTiy bW vaxeQOv ^kßax nQOoayoQev^ivxix ^ vvv Sh jUrua. Steph. Byz. s.
"^YneQßoQHoi u. A.
4) Meteor. I 13, 19.
f 1. Namen. 139
Caesar versteht unter diesem Namen den ganzen Nordabhang der Al-
pen Tom Rhein bis nach Dacien hin.^ Da der Wortstamm im Keltischen
Torbanden und Erhebung bedeutet, kann an seinem Gebrauch nicht
gezweifelt werden.^) Nach der Unterwerfung der Nordalpen ist der
Name beimaUos geworden, weil die ROmer die ihnen geläufige Bezeich-
nung auf beide Abhänge des Gebirgs übertrugen , und wird mitsammt
den sich an ihn knüpfenden Fabeln nach Belieben herumgeschoben :
an den Mittelrhein, den Niederrhein, nach Böhmen u. s. w.^) Wenn
die Hellenen also an den Küsten des Schwarzen Meeres Nachricht von
den mitteleuropäischen Gebirgen erhielten, waren sie doch weit ent-
fernt irgend ein deutliches BiU damit zu verbinden. Vielmehr hatte
das pontische Tiefland bei ihnendie Anschauung erweckt, dafs der ganze
Welttheilflachund eben sei. Der hierauf ruhenden wunderlichen Theorie
Herodots ward bereits gedacht (& 9). Ein Jahrhundert nach diesem
Reisenden hat Pytheas die deutsche Nordseeküste besucht. Er fand
in dem Mttndungsland von Rhein Ems Weser und Elbe das Gegen*
slOek zu dem allen Hellenen wolbekannten Stromland des Pontes, zog
denSchlufs dafs beide unmittelbar zusammen hingen, dafs die deutschen
Strome unter demselben Meridian sich ins Meer ergössen wie Donau
Dniepr und Don. Der Irrtum des Pytheas, durch den er das nördliche
Europa 30® zu weit nach Osten hin auszog, ist von der Wissenschaft
des Altertums nie völlig überwunden worden. Zunächst gab er der
altverbreiteten Vorstellung von der ebenen Beschaffenheit Europa's
neue Nahrung und begünstigte jenes Zerrbild von der Gabelung der
Dona\], welches wir bei den Begründern der systematischen Erdkunde
kennen gelernt haben (S. 10). Die Existenz der Alpen ward der ge-
bildeten Welt erst 218 durch den Uebergang Hannibals, der die Phan-
tasie seiner griechischen Begleiter mächtig erregte und zu märchen-
haften Dichtungen begeisterte, zum Bewufstsein gebracht Die genauere
Kenntnifs datirt erst von der Beschreibung des Polybios, der sie 151
V. Chr. wir wissen nicht auf welchem Pafs durchzogen hatte.
Seit dem Ausgang des dritten Jahrhunderts ist mithin durch die
römische Herrschaft der Name Alpen in Umlauf gekommen. Doch war
derselbe schon früher offenbar von Massalia aus an die Hellenen gelangt ;
denn dem Herodot fliefst sein Alpis oberhalb Umbriens und hierhin
1) De mirab. ausc 105 Gaes. b. Gall. VI 24. 25.
2) ZeuÜB, die Deatacfaen p. 2 fg.
3) Taclt Germ. 30 IMod.V 21. 32 Strab.Vn 292 Vell.O 106 Plin.lV80: tOO.
140 Kap. ID. Die Alpen.
▼erlegt auch das Rätselbuch des Lykophron das Gebirge SaJirtuu^)
Die Alten brauchen wie wir den Plural Alpe$ zur Bezeichnung der Ge-
sanuntkette, während sie den Singular auf das einzelne Bergjoch be-
schranken , ähnlich wie im Deutschen die Alp oder Alm die einzelne
Bergweide bedeutet 2) Das Wort wird aus dem lateinischen äOmB er-
klart und auf den weifsen Glanz der Schneedecke bezogen.') Nach
Anderen ist es den Kelten entlehnt, in deren Sprache es hohe Berge
bezeichne.^) Für die erste Deutung lassen sich mittelitalische Namen
wie Alba, die Bergstadt, Albula Alünid, der Bergstrom, als Beleg an-
ziehen. Allein die weite Verbreitung des Alpennamens im keltischen^),
deutschen, iberischen <^), liguriscben?) Sprachgebiet sowie sein frühes
Vorkommen schliefst den Gedanken aus, als ob er Yon den Römern
übertragen sein künne. Wir Terzichten darauf über die Verwandtschaft
der Wurzeln zu urtheilen^) und wollen nur nebenher erwähnen dab
die deutschen Ausdrücke der Alpenwirtschaft grofsentheils auf roma-
nischen Ursprung zurückgehen, also wol auch das Wort Alp oder Ahn
selbst. Was aber die hier bebandelte Frage betrifft, so kann es keinem
1) Alei. 1861 Tgl. S.9.
2) Im Lateinischen wird der Singnlar nur von Dichtern tnf das ganze Ge-
birge angewandt; in der Bedeutung Joch findet er sich an ein paar Stelleo
der Itinerarien, Liv. V 34, 8?, Sidon. Ep. V 16. Entsprecliend sagen die Griechen
aljilnsiQ taJÜJceiva Sqti xa^AXusun ta jiknuc Squ, yereinzelt (Appian Pto-
lemaeos) th %Xn€iov Bqoq, nur dicliterigch oder byzantinisch 17 TüXjtiq, Daraus
erhellt, dafs das Wort nrsprflnglich den Alten nnr in plnraliacher Form be-
kannt war, ans weleher sie dann einen Singnltr ableiteten; der umgekehrte
Hergang hat im Deutschen stattgefunden«
3) Festus ep. p. 4 M. album quod nos dieimua a Graeeo quod est ahpovt
est appellatum, Sabini tarnen alpum dixerunt, unde eredi potest nomen Al-
pium a candore rävium vodtaium.
4) Serrius V. Georg, in 474 (Aen. X 13 Isidor Or. XIY 8) GaUarum Ungua
aia mrnites Alpes voeantwr.
5) Strabo IV 202 VD 314 Albion Bergland?
6) Bei Prokop b. Goth. I 12 erstreckt sich Spanien ixQi' ii ^^iXneiq tag h
OQH toi nvQrpfal<p oSaag, ^AXneig Sh xaXeZv zf^v iv atevox^pitc SloSov oi
Tcevry iv^Qtorcoi vivofjUxaoi,
7) Alähtm Stadtname an der iignrisehen KOste vgL Strabo I¥ 202; üv.
XXVni 46 (Goelius) Ugures Alpini Smeo appidum Aipinum. In der noch
ablieben Benennung der Alpi Apuane bei Carrara, der Alpe di Succiso, della
Luna, di Mommio, Catenaia u. s. w., hat sich der weitere Gebrauch des Worte»
in ähnlicher Weise fortgepflanst wie bei der rauhen Alp in Schwaben. Er
war in dem ligurischen Appennin ehedem an Hause vgl. Kap.V 1.
8) Vgl. Grimm, D. Wdrteri». 1 p. 201. Curtius Etym.* p. 275.
§ 2. Aofdehiioiig. 141
Zweifel onteriiegeD, daC» der Name bei den Ligurern beimkch war und
von diesen zu ihren hellenischen Nachbarn im Westen, zu ihren ita-
lischen Nachbarn im Süden wanderte. Da ferner die ligurische Nation
in einer alteren Epoche über Europa weit verzweigt gewesen ist, so
sehdnt daraus das örtliche Auftreten des Namens in den verschieden-
sten Sprachgebieten einfach eriilärt zu werden. Die Beziehung auf
ewigen Schnee, weiche wir damit zu verbinden pflegen , ist ihm von
Hause aus ganzlich Aremd.
§ 2. Ausdehnung.
Man unterscheidet in den Alpen drei verschiedene Massen, die so-
wol durch ihre Erhebung als ihre geologische Formation von einander
abweichen. Mit dem Namen Hochalpen wird die über 2600 m hohe
vegetatiottslofie Centralkette bezeichnet. Sie besteht aus Urgestein, Gra-
nit Gneifs Serpentin, an das Kalkstein Sandstein Schiefer nach Art der
Jura- und Appenninbildungen anschliefsen. Wo die Steilheit der Wände
es nicht verhindert, ist sie durch einen Gürtel ewigen Schees von 2 bis
7 km Breite eingefafst. An diesen Kern lehnen sich die Mittelalpen an
von jüngerer Bildung und 1000 — 2600m Hübe: bei nacktem Scheitel
sind ihre Abhänge mit Wald und Weide bedeckt. Endlich die Voralpen
oder das Hügelland, welches als Terrasse dem Fufs der Berge vorge-
lagert ist und den Uebergang zur Ebene vermittelt sowol seiner Bil-
dung als seiner Erbebung nach, die zu 500 — 1000 m gerechnet wird;
Getreidebau und Baumzucht dringen hierher bereits vor. Die Alpen
stellen das Stammgebirge unseres Continents dar. Uire geognpstische
Znsanunensetzungvne ihr Aufsteigen über die Linie des ewigen Schnees
scheiden sie zwar von den anschliefsenden Gebii*gen deuüich ab. In-
dessen lassen sich nur zum Theil scharfe Grenzen zwischen dem Stamm-
gebirge und seinen Ausläufern ziehen. Es ist nicht möglich genau zu
sagen, wo die Seealpen aufhören und der Appennin anfängt. In Folge
dessen schwanken die Ansätze : man hat den Appennin bei den Quellen
der beiden Bormida oder bei denjenigen des Tanaro sich abzweigen
lassen. Ein besserer Einschnitt wird am M. deUo Schiavo bei Vada
SiAatia Savona gemacht: diese von Saluzzo getroffene Bestimmung
weicht nur unerheblich von dem seit dem Altertum üblichen Ansatz
ab, nach welchem bei der 21 km weiter östlich befindlichen Ein-
senkung des Col deU'Altare oder di Cadibona der Abschnitt gesucht
wird.*) Im Osten dagegen, wo die Alpen sich fächerförmig ausbreiten
1) D. Bmtus an Gioero fam. XI 13, 2 Strabo IV 202 vgl. Kap.V 2.
142 Kap. m. IHe Alpen.
und gegen das Tiefland der Donau verflachen, steht die südliche Kette
mit dem System der griechischen Halbinsel in Verbindung. Pomponios
Heia nimmt keinen Anstand sie ttber Thracien hin auszudehnen ^);
jedoch hat diese Auffassung weder im Altertum noch in der Neuzeit
Anhänger gefunden. Uebereinstimmend läfst man die Alpengrenze
mit derjenigen Italiens zusammenfallen und setzt solche beim stntis
Fhmaticus dem Golf von Quamero an.* Wenn endlich nach Norden
Jura und Schwarzwald von Strabo dem Centralgebirge hinzugerechnet
wird 3) , so beruht dies lediglich auf ungenügender Kenntnifs. Eine
Reihe von Seen vom Leman bis zum Chiemsee zeigt in die Augen fal-
lend seine Ausdehnung nach dieser Richtung hin an. Desgleichen bieten
die Donau von der Innmündung bis in die Nahe Wien 's, das pannonische
Tiefland im Osten, der Unterlauf der Rhone im Westen, das Pothal im
Süden durchgreifende Naturgrenzen dar. Das so umschriebene Gebirge
liegt ungefähr zwischen 43 und 48® n. Dr., 22 und 34 <^ o. L. Es streicht
im Allgemeinen von NO. nach SW. und nur an seinem WEnde direct
vonN. nachS. Ungleich den Pyrenäen oder dem Kaukasus, die eine ein-
zige eng geschlossene Kette bilden, dehnt es sich über eine ansehnliche
Breite aus und umfafst getrennte Gebirgsstöcke und Ketten , zwischen
denen bedeutende Thäler sich lagern. Wenn man die Alpen als eine
Halbinsel betrachtet, so liegt es nahe ihren Bau mit dem des Appennins
zu vergleichen. In beiden Systemen triflt die höchste Erhebung nicht
auf die Mitte, sondern auf den Rand ; sie fallen das eine nach der Po-
ebene, das andere nach der adriatischen Küste schroff und steil ab;
sie dachen sich das eine gegen Frankreich und Deutschland , das an-
dere gegen das tuskische Meer allmSlich ab. Die Römer pflegten die
Alpen als die Mauer ihres Landes zu bezeichnen (S. 136): das Bild ist
in der Neuzeit oft wiederholt worden (S. 57). In Wirklichkeit jedoch
hat diese Mauer weit mehr dazu beigetragen dieltaliker gegen das übrige
Europa abzusperren und im Bann des Mittelmeers festzuhalten, als dafe
sie den Andrang nordischer Barbaren abzuwehren veiteocht hätte. Den
Grund dieser Erscheinung erkennen wir im Bau des Gebirges ausge-
sprochen. Seine mannichfaltige Gliederung, die zahlreichen Längeo-
und Querthäler schliefsen es in einem Mafse auf, das die absolute Er-
hebung kaum erwarten liefse. Allein es ist von aufsen her viel zu-
gänglicher als vom Pothal. Lange Flufsläufe führten die Nordländer
1) II 73 tisque in Thraeiam penetranL
2) IV 207.
§ 3. Ansdehnang^. 143
stufeDweise in das Innere der Berge und auf die Höhe der Pässe: als
allgemeine Regel gilt aber der Satz, dafs der Uebergang um so leich-
ter, je länger der Thaleinschnitt, um so schwieriger, je kürzer der
Einschnitt ist. An der italischen Seite fehlen die Längenthäler fast
ganz, der Wechsel zwischen Hoch- und Tiefland ist unvermittelt, der
Anstieg steil und mühsam t) : Beispielshalber langt der Po nach einem
Oberlauf von 34 km in der Ebene an und hat auf dieser kurzen Strecke
1600 m Fall, während dieselbe Neigung des Rheins bis zum Bodensee
sich auf eine Entfernung von 148 km vertheilt.
Die Alpen umziehen Italien in einem grofsen Bogen , als dessen
Abschlufs gegen den Appennin der Monte dello Schiavo bei Savona,
im Osten der Bittoray bei Fiume angesetzt werden. Die Länge des
ßogens beträgt auf der Kammhöhe gemessen 1541 km (208 M.), am
Fufse des Gebirges gemessen 1110 km (150 M.), die grOfste Breiten-
ausdehnung 172km (23 M.). Man unterscheidet drei Hauptabschnitte:
West- Central- und Ost-Alpen. Der erste 453 km (61 M.) lang reicht
vom Appennin bis zum M. Blanc und hält eine nördliche Richtung inne.
Die Centralalpen streichen nach NO. vom M. Blanc bis zur Dreiherrn-
spitze in den Hohen Tauern , 654 km (89 M.) lang und die höchsten
Gipfel zählend. Die Ostalpen mit 434 km (59 M.) Länge enden am
Golf von Quarnero. Von dem Stamm des Gebirges laufen 78 Zweige
aus, zum Theil mit bedeutenden Erhebungen (über 4000 m): 31 vom
westlichen, 34 vom mittleren, 13 vom östlichen Abschnitt aus. Nach
der Berechnung des piemontesischen Generalstabs bedeckt die ge-
sammte Masse eine Fläche von 114 564 D km (2083 DM.) Inhalt, von
welcher auf die italische Seite 64 692 Dkm (1 176 D M.), auf die Aufsen-
seite 49872 Dkm (907 DM.) entfallen. «) Nicht weniger als 36 Thäler
dringen von ItaUen her in das Gebirge ein und sind von Flufsläufen
eingenommen. Aber ihre Ausdehnung ist verhältnifsmäfsig gering, da
sie senkrecht auf der Axe des Gebirges stehen und hierin liegt der
wesentUche Unterschied zur Thalbildung der Aufsenseite. Von der
ganzen Zahl laufen nur zwei als Längenthäler der Hauptkette parallel :
das Thal der Salasser von Aosta und das von der Adda durchflossene
Veitlin.
1) Li V. XXI 35 pleraque Jlpium ab Italia Heut brmnora ita arrectiora sunt.
2) Im weiteren Sinne gefaüst, also die nördlichen yoralp«n eingerechnet,
uBfafst das ganze System 4200 QMeilen.
144 Kap. m. Die Alpen.
§3. Niederschläge.!)
Aus der Tfaalbildung ergiebt sich, dafs die Entwicklung der Flüsse
an der Südseite hinter denen der Nordseite zurückstehen mufs. Nichts-
destoweniger besitzen jene einen Wasserreichtum und eine Beständig-
keit , die im Appennin und im Mittelmeergebiet überhaupt nicht vor-
kommt Ersteren verdanken sie den mächtigen Niederschlägen, welche
die Alpen empfangen. Wenn die mit der Feuchtigkeit des Oceans be-
ladenen Wolken von Süden her am (kbirge anlangen und dasselbe zu
überschreiten suchen, so kühlen sie sich beim Aufsteigen ab und sind
genötigt einen grofsen Theil ihres Gehaltes in der Form von Nieder-
schlägen von sich zu geben. Die Masse der Niederschläge mufs an der
italienischen gröfser sein als an der Nordseite, weil jene im Luv, diese
im Lee oder — wie man zu sagen pflegt — im Regenschatlen liegt
Wenn man sich daran erinnert, dafs Gebirge weit mehr Regen an sich
ziehen als Ebenen , ferner dafs die Regenmenge mit der Erhebung
wächst, so wird man die Thatsache alsbald verstehen, dafs und warum
der Südabhang der Alpen zu den regenreichsten Gegenden der Erde
gehört Einige Ziflern mögen dies veranschaulichen. Die mittlere jähr-
liche Regenhöhe^) in Millimetern ausgedrückt beträgt für: London 490,
Paris 579, Berlin 574, Brocken 1242, Wien 574, München 809, Salz-
burg 1098, Einsiedeln 1653, St Bernhard 1252, Bernhardin 2564,
Stilfserjoch 2312, Lugano 1618, Tolmezzo am Tagliamento 2435,
Raibl in Kärnthen 2055, Mailand 966, Rom 800 mm. Sie ist mithin
in den Südalpen drei bis viermal gröfser als in der norddeutschen
Ebene und zwei bis dreimal gröfser als auf der Appenninhalbinsel.
Was zweitens die Beständigkeit der Alpenflüsse betrifft, so rührt solche
von dem Umstand her , dafs ein bedeutender Theil der Niederschläge
in der Gestalt von Schnee erfolgt. An der Südseite der Alpen nimmt
die Jahrestemperatur für je 100 m Erhebung um 0,68^ C. ab (NSeite
nur 0,55^) und zwar im Sommer doppelt so rasch als im Winter (Juni
0,70<^ Januar December 0,33<>). In den höchsten Regionen über 3000 m
föllt deshalb gar kein Regen, in den mittleren und unteren Regionen
senkt sich die Schneedecke im Winter tief herab und weicht vor der
FrühUngssonne wieder zurück. Die Grenze, bis zu welcher der Schnee
1) Hann, Hochstetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde, Prag* 1875.
2) Man veretehi damnter die Höhe, welche das atmosphärische Wasser
erreichen wfirde, falls es weder abflösse noch verdunstete. In anderem Zu-
sammenhang kommen wir Kap. IX auf den Gegenstand snrfick.
§ 3. NiederechJagft. 145
auch im Sommer sieb behavplet, läuft in den West- und Centralalpen
bei 2700 m, in den Ostalpen bei 2800 m. Bei einer Höbe von 3600 m
erleidet der Scbnee keine merkliebe Veränderung. Unterhalb dieser
Linie wird er zum Firn verdichtet, indem er durch die Sonnenstrahlen
an der Oberfläche schmilzt aber Nachts viriedergefriert. Der Hochschnee
wie der Firnschnee würden ins Endlose anwachsen, wenn sie nicht
dem Gesetz der Schwere gehorchend nach abwärts drängten. In zwie-
facher Weise gelangen diese Massen nach der Tiefe um in Wasser ver-
wandelt den Kreislauf des Flüssigen von neuem zu beginnen. Entweder
treffen sie in ihrem langsamen Vorrücken am Rand eines Abhangs an
und stürzen denselben als Verderben bringende Lawinen herab. Oder
bei sanfterer Neigung häuft sich der Firn in den weilen Mulden und
Senkungen an, welche die Anfänge der Hochgebirgsthäler bezeichnen,
und zwängt sich in die Thalrinnen: je weiter abwärts desto gröfser der
Druck, desto gröfser auch die Wirkung, welche das Schmelzen und
Gefrieren bei wechselnden Temperaturen hervorbringt, bis schliefslich
der Schnee in das krystallhelle Eis des Gletschers umgewandelt ist.
Die Gletscher fliefsen langsam (höchstens 1 — 200 m im Jahr) zu Thal,
soweit die zunehmende Wärme es gestattet, d. h. bis zu derjenigen
Grenze, wo das Abschmelzen dem Vorrücken das Gleichgewicht hält.
An dieser Grenze, welche für die Alpen im Mittel bei 1740 m angesetzt
wird, verwandelt sich der Gletscher in einen Bach. Das Gebiet, welches
mit ewigem Schnee bedeckt ist, umfafst mindestens 60 D Meilen und
die Zahl der Gletscher beträgt reichlich 2000. Ihre Verbreitung hängt
von der geologischen Beschaffenheit ab, insofern das centrale Urgebirge
mit seinen weiten Mulden und geneigten Gehängen die Ansammlung
von Schnee und die Bildung von Gletschern begünstigt, die vorgelagerten
Kalkzonen dagegen durch ihre Steilheit und Zerklüftung beides er-
schweren. Die Schneeregion ist deshalb vorwiegend auf die Central-
kette beschränkt. Man kann die Stelle, die sie im Haushalt der Natur
einnimmt, mit derjenigen einer Vorratskammer vergleichen. Sie spei-
chert die Feuchtigkeit der kalten Monate auf, um im Sommer das
dürstende Land zu tränken. Der Bodenreichtum der padanischen Ebene
ist geradezu durch die Wasserzufuhr bedingt, welche die Alpenflüsse
ihr aus der Schneeregion übermitteln. ^ Dieselbe kann so grofs sein,
weil ein aufserordentlich geringer Procentsatz durch Verdunstung ver-
1) DieWassennenge, welche die Alpengletscher an einem warmen Sommer-
Uge an ihre Bäche abliefern, ist auf 4200 Mill. Kubikfufa berechnet worden.
NissAD, Itel. lABiMlnina«. I. 10
146 Kap. m. IHe Alpeo.
loren geht: so entspricht der Abflufs des Tessin einer Regenschicht die
sein gesammtes Gebiet 2in hoch bedeckt; beider Adda 1,32m Mincio
1,19 m Oglio 1,235 m Po 0,781 m, aber Tiber nur 0,551 m.
§4. Einzelne Abschnitte.
Die Ausdehnung der Alpenkette ist von den Alten allmälich er-
kannt, erst nach den Eroberungen des Augustus 15 v. Chr. vollständig
übersehen worden. Während Polybios sie mit 55 Meilen viel zu niedrig^),
Coelius Antipater mit 200 zu hoch geschätzt hatte , trifTt Plinius das
richtige, indem er ihre Länge vom Varbis zur Arsia auf 149, ihregrOfste
Breite auf 20, die Mittelbreite auf 14 Meilen bestimmt 2) Mit der zu-
nehmenden Kenntnifs mufste sich das Bedttrfnifs fühlbar machen die
einzelnen Abschnitte durch Beiworte zu unterscheiden, die theils den Na-
men der betreffenden Bergstämme theils anderen Umständen entlehnt
wurden. Obwol nirgends von einer scharfen Begrenzung die Rede sein
kann, so hat man doch mit gutem Grund diese Bezeichnungen in der
Neuzeit beibehahen ; denn sie eignen sich recht gut um die verschie-
denen Theile, in welche die Entwicklung des Systems zerfallt, von ein-
ander zu sondern. Wir folgen daher dem herkömmlichen Sprachgebrauch
in unserer Uebersicht und zerlegen demgemäfs die Westalpen, die
wie bemerkt das westliche Drittel der Gesammtkette bilden , in drei
Unterabtheilungen. Die erste vom Appennin bei Savona bis zum M.
Viso heifst man Alpes marititnae oder Seealpen. S) Sie ist 194 km lang
und überschreitet die Schneegrenze erst in geraumer Entfernung vom
Meeresufer Cima dei Gelas 3180 m, M. Inciastraia 2971 m, Gran Rubren
3369 m. Plinius nennt den mons Co^fito, an dem der Var entspringt^):
jetzt heifst man ihn Camaion oder Camaleone. Pie zweite 190 km lange
Strecke vom M. Viso bis zum Gran Paradiso wird Alpes Cottiae oder
Cottianae benannt. Der Name^) schreibt sich von dem KeltenfQrsten
Cottius her, der als Praefect des Augustus seine Herrschaft über 14
Bergstämme behauptete : unter Nero ward das Fürstentum eingezogen
und in eine Provinz verwandelt. Von allen Schneehäuptern stand
1) Bei Sirabon lYSOO zu 2200 Stadien.
2) m 132 Tgl. S. 143.
3) Die Bezeichnung zuerst bei Plio. VIII 140 XIV 41 XXI 114, später im
allgemeinen Gebrauch. Die Bezeichnung ligurische Alpen bei Dioscorides I 7
U 10 steht vereinzelt.
4) m 35.
5) Er erscheint zuerst bei Tacitus Bist. I 61 IV 68.
§ 4. Einzelne Abschnitte. 147
keins bei den Alten in gleichem Ansehen wie der Mons Vegulus oder
M. Viso. Sie hielten ihn für den höchsten Gipfel der Alpen und liefsen
in solchem Glaubenden Po aus seinem Schofs hervorquellen. i) Frei-
lich kann er sich an absoluter Erhebung (3840 m) mit vielen anderen
Bergriesen nicht messen ; auch ist es blofses Herkommen , wenn man
den König der Flüsse an ihm entspringen lafst, da andere Quellarme
mit gleichem oder gröl^erem Recht als Anfang desselben bezeichnet
werden dürfen. Jedoch ward ihm die Auszeichnung nicht unverdient
zu theil : seine majestätische Pyramide , die erst vor wenig Jahren er-
stiegen worden ist, ragt einsam aus der ganten Kette empor und be-
herrscht weit und breit das Gesichtsfeld der ligurischen Ebene. Aufser-
dem wird der Mons Mairona, Mont Gen^vre, namhaft gemacht 2) : nicht
wegen seiner Hohe, die nur gering ist (1865 m), sondern weil ein viel
betretener Weg aus Italien nach Gallien hinüber ftihrte. Die gewaltigen
Eisfelder des Gran Paradiso (4045 m), die weithin in die Augen fallen,
führen zum dritten 69 km langen Abschnitt, den Alpes Graiae. Die
Deutung des Wortes ist nicht bekannt: die Alten haben es mit der ihnen
eigenen Sucht zu fabuliren gleich Graeeae gesetzt und von den Wan-
derungen des Hercules hergeleitet. 3) Und zwar soll der Gott über den
nums Gratus oder per Alpes Graiasi.h. den Kleinen S. Bernhard (2192 m)
gegangen sein.^) Der Pafs führt in das Thal der Thuille hinab, welches
im Norden vom Monte Cramont (2734 m) eingefafst wird. Man iden-
tificirt diesen Namen mit dem Cremanis iugumj über welches Coelius
Antipater den Hannibal ziehen läist.^)
Die Centralalpen rechneten wirvom Mont Blanc bis zur Drei-
hermspitze mit 654 km (89 Meilen) Länge. Der erste vom Mont Blanc
bis Monte Rosa reichende, 1 10 km lange Abschnitt wird Alpes Penninae
oder correcter nach der allein beglaubigten Form Poeninae benannt.
Mit den Puniern und dem Uebergang Hannibals, wie die Alten insge-
t) Plio. III 117; Yergil. Aen.X 708 erwähnt ihn als pini/er; vgl. Strabo
IV 203.
2) Ammian Marc XY 10, 6. Itin. Hier. p. 556 Wess.
3) Nepos Hann. 3. Varro bei Servias V. Aen. X 13. Plin. IH 123. 134.
Nach dem Volk der Ceutronet in Savoyen braucht Plinius XI 240 einmal auch
die Bezeichnung Ceuironicae Alpet,
4) Die erste Namensform Tacit. Hist. IV 68; der Singular in Alpe Graia
findet sich auf der Peuünger sehen Tafel. Die inschriftlich vorkommenden
Alpet Atreeüanae (Orelii 2223. 3SS8) sowie die A. Ceutronicae bei Plin. XI
240 sind andere Bezeichnungen dieses Abschnitts CIL. V p. 757.
5) Nach Uvius XXI 38.
10*
148 Kap. ID. Die Aipen.
mein annahmeD, hat das Wort nichts eu schaffen : Livius hebt bereits
hervor dafe auf der PafshOhe ein Gott Poeninm von den BMgstflmmen
verehrt ward, und zahhreiche demselben dargebniphte Voüvgaben und
•tafein sind auf der Hohe des Grolsen S. Bernhard gefunden worden, i)
Da der Gott auf den Inschriften htppiter Poenmus heifst, so scheint in
der von den Anwohnern gebrauchten Benennung Mont Joux, die übri-
gens auch für den Kleinen Bernhard vorkommt, ein für das Mittelalter
bezeugtes motu lovis sich fortgepflanzt zu haben. Das Gebirge wird hier
von den Thfliern der Rhone {vdUü Pomma) und Dora Baltea einge-
schnürt; an dieser schmälsten Strecke ist aber die Eruptionskraft am
stärksten aufgetreten uncl hat die mächtigsten Ertiebungen bewirkt.
Auf den Montblanc (4804 m) folgt il Gigante (4206 m), Gran Combin
(4305 m) und nach der Einsenkung des Bernhardpasses (2491 ro) der
M. Cervin oder das Matterhorn (4522 m) mit seinem spitzen Zahn, end-
lich der siebengipflige Monte Rosa (4636 m). Aber weder der letzt-
genannte, der von so vielen Puncten der lombardischen Ebene aus
sichtbar bleibt, noch irgend ein anderer dieser Berge hat die Aufmerk-
samkeit in dem Mafse auf sich gelenkt, dafs sein antiker Name erhalten
worden wäre. Für den nächsten 192 km langen Abschnitt vom Honte
Rosa bis zum S. Bernardino pflegt man die Bezeichnung Alpes Lepw^
tiae^ die nach dem Bergvolk der Lepontier gewählt ist, anzuwenden.
Dieselbe ist jedoch zu verbannen , da sie durch keinerlei Zeugnifs des
Altertums gestützt wird. Ein Specialname fehlt: die Alten begriffen die
ganze Kette, die vom Wallis ab durch Graubünden und Tirol hinzieht^
unter der allgemeinen Benennung Alpes Raettcae,^) Nach dem Monte
Rosa nimmt die Gipfel und KammhOhe ab; in beiden Beziehungen wird
der südliche Zug von dem nördlichen der Berner Alpen weit flbertroffeo.
Der Stock des St. Gotlhard (Paishöhe 2075 m) , an dem Rhone, Reufs,
Rhein und Tessin entspringen , bildet einen Knotenpunct für die ver-
schiedenen Verzweigungen des Gebirges. C^wöhnUchwirdauf denGott-
hard der von Strabo und Ptolemaeus erwähnte Adula bezogen, an wel-
chen beide die Quelle des Rheins, der erstere auch diejenige der Adda
versetzen. Man darf an dieser Annahme festhalten, da der auf Euphonie
bedachte Schriftsteller, durch den Gleichklang von Berg und Fluls be-
trogen, offenbar Tessin und Adda mit einander verwechselt hat.^) Der
1) Ut. XXI 38 CIL y 6866 fg.
2) Horaz Od. 174, 17. Tacit. Germ. 1.
3) 'ASovag und UdovAac; die NoUi wird dreimal wiederholt IV 192. 204.
V213. Ptol.119,5. in 1,1.
§ 4. Eunelne Abschnitte. 149
Abschnitt yom Bernhardin bis zar Dreiherrnspitze mifst 352 km. Der
Pafs ttber den Bernhardin liegt 2063 m, der über den Splügen 2117 m
hoch. Nordlich von der Adda steigt die Beminakette bis 4052 m auf.
Der obere Lauf der Etsch scheidet die Ortlergruppe (3905 m) von den
Oetzthaler Alpen (Wildspitze 3776 m). Jenseit des niedrigen Brenner-
passes (1362 ro) bei der Dreiherrnspitze (3499 ni)wird das Ende der Cen-
tralalpen angesetzt Die Hauptkette der Centralalpen entsendet nach
Süden 13 Ausläufer, welche durch die Flufsthdler abgegrenzt sind.
Dieselben fallen ziemlich schroff ab u nd erreichen nicht selten die Schnee-
linie. Eine Reihe von Seen, vom Orta bis zum Gardasee, welche gleich
tiefen Fjorden in das Gebirge einschneiden , zeichnen den Debergang
vom Hoch- zum TieHand in charakteristischer Weise aus. Der Mangel
antiker Benennungen macht sich hier wiederum fühlbar: wir haben le-
dighch den Namen Alpes Tridentinae anzuführen, welcher, neben Alpes
Raeticae gebraucht, im Allgemeinen das Gebirge Südtirols umfafst. t)
Die Ost alpen breiten sich fächerförmig aus, die Hauptkette Alpes
Nofieae oder Tauern (Grofsglockner 3797 m) streicht nach NO. , der
italische Grenzwall südlich von der Drau nach SO. In dem letzteren
wiegen eigentümliche Kalksteinbildungen vor, nur selten wird die
Schneelinie erreicht. Man unterscheidet zwei Abschnitte. Bis zu den
Quellen der Sau reichen die Krainer Alpen A. Cämicae 177 km lang,
nach dem Volk der Cbntt benannt. 2) Von hier beschreiben die Alpes
luliae^) einen Bogen von 257 km um den Golf von Triest herum bis
an den Busen von Quarnero. Wie das von Caesar oder Octavian ge-
gründete Forum Mit der Provinz den Namen Friaul verliehen , so ist
auch am Gebirge das Andenken des ersten Monarchen haften geblie-
ben und hat die ältere Bezeichnung Alpes Vetietae verdrängt. Die ju-
lischen Alpen oder Karstgebirge weichen von dem alpinen Gesammt-
charakter völlig ab : Kreide- und jüngere Formationen wiegen vor, die
Gipfel treten zurück , ausgedehnte Hochflächen streichen neben ein-
ander hin. Der höchste Gipfel Triglav oder Terglou mifst 2856 m, die
übrigen bedeutend weniger, der M. Bittoray 1383 m. „Die Ocra, schreibt
1) Pilo, m 121 Die UV 32 Flor. I 38, 11. Die Beschreibong Strabons IV
207 ist verwirft, die von ihm angeführten Bergnameo corrapt und mit einiger
Wahrscheinliebkeit nicht zu deuten.
2) Der Name PUb. 111 147, selbstverständlich nicht in der JeUt abUehca
Begrensoug.
S) Tadt. Bist ID 6 Itin. Hier. p.660 Amm. Marc. XXI 9, 4 fg. XXXI 16, 7
FenetoM appeUabat aniiquitas.
150 Kap. nL Die Alpen.
Strabo^), ist der niedrigste Theil der Alpen an der carnischen Grenze,
auf Frachtwagen werden die Waaren von Aquileia nach Nauportus hin-
über gebracht, um auf der Sau verschiflt zu werden.^ Man heifst den
Bergrücken jetzt Birnbaumer Wald ; die PafshOhe liegt 520 m. An keiner
Seite ist Italien so leicht zugänglich gewesen als von Osten.^)
§ 5. Wegebau.
Trotz ihrer grofsen Erhebuog gehören die Alpen zu den wegsam-
slen Gebirgen der Erde. Die Bodengestaltung hat sie dazu bestimmt.
Tiefe Thaleinschnitte dringen auflockernd vor und wo zwei Querthäler
von beiden Seiten her auf denselben Punct der Hauptkette stofsen,
sinkt der Kamm ein , und seine Hohe ermäfsigt sich bedeutend. An
solchen Stellen sind die von Natur vorgezeichneten Üebergänge, nameut-
lich wenn das Joch im Sommer schneefrei bleibt. Die mittlere Pafs-
höhe wird auf 2340 m berechnet, niedriger als für die Pyrenäen (2436 m),
so weit auch die letzteren rücksichtlich der Gipfel zurückstehen. Die
Lage der Alpen im Herzen Europa's brachte es mit sich, dafs die natUr-
Uchen Vortheile durch künstliche Nachhülfe unterstützt und gesteigert
wurden. Wie früh damit der Anfang gemacht worden sei, wird nie mit
annähernder Wahrscheinlichkeit sich ergründen lassen. Nach Livius
hätten von allen Sterblichen zuerst die Kelten um 600 v. Chr. die
Westalpen überschritten. 3) Indessen müssen Hunderte" um nicht zu
sagen Tausende von Jahren zuvor Völkerzüge auf dem Landweg in
ItaUen eingebrochen sein. Griechische Berichte, welche ungefähr bis
300 V. Chr. hinauf reichen, wissen von einer gebahnten Strafse, deren
Anlage dem Herakles zugeschrieben wird , auf der ein friedlicher Ver-
kehr von Italien nach Gallien Ligurien und Iberien sich bewegte; in
römischer Zeit verstand man darunter oft fälschlich die Strafse über
den Kleinen Bernhard, da vielmehr an die Küste zu denken ist.^) Hero-
dot vernahm in Delos von Weihgeschenken der Hyperboreer, die durch
das Skythenland nach der Adria, weiter über Dodona und Euboea nach
1) IV 207 vgl. PtoL ni 1, 1.
2) Paul. hisL Lang. II 9 ItaUa , . , ab oeeiduo ei aquilouB iugis Alpw^t
tte eireumeluditur vi niii per angtutoe memtus ei per ntmma iuga mofäum
non possil habere introUumf ab orientali vero parte, qua Parmaniae een-
itmgitur^ et largiua patentem et planisnmum habet ingrenum,
3) Ut. V 34^ 6.
4) De mirab. aiuc. 85 Diod. IV 19 (nach Timaeos?) Li¥.XXI4t,7 Veig.
Aen. VI 830 Sil. Ital. UI 513 Ammian XV 10, 9.
§ 5. Wegebau. 151
Deios gelangten: in der That mufs der Bernstein aus der Ostsee in der
älteren Periode hellenischer Cultur auf dem Wege des Landhandels in
bedeutenden Massen an die Pomttndung gelangt sein.^) Die Funde von
etruskischen Inschriften Münzen Broncegerflt aller Art, die in und jen-
seit der Alpen gemadit wurden, lehren uns einen mit dem Norden be-
triebenen schwunghaften Handel kennen , der um Jahrhunderte älter
sein mag als die Herrschaft der Romer. >) Freilich wäre es voreilig zu
folgern dafs derselbe bereits zur Anlage geebneter oder gar fahrbarer
SU'aben über die Joche geführt hätte. Soknge die Bergeantone ihre
Freiheit behaupteten, konnte von einem kunstmäfsigen Wegebau
nicht die Rede sein. Die Pässe befanden sich in demselben primitiven
Zustande, wie er noch heutzutage in zahllosen Gegenden des Hoch-
lands angetroffen wird. Die Wasserrinne giebt dem Wanderer die
einzuhaltende Richtung; wenn das diesseitige Ufer gangbar zu sein
auAört, führt ein roher Steg aus einigen Baumstämmen auf das jen*
seitige hinüber; an schroffen Felshängen, wo jeder Tritt erwogen sein
will, an schaurigen Abgründen aus denen das Tosen des Wildbachs
betäubend empordringt, geht's vorbei. Droben auf dem Kamm ein
Labyrinth von SteiogerOU Schneefeldern und Sumpflachen, durch
welches das spähende Auge an Stangen oder künstlich geschichteten
Steinhaufen den richtigen Pfad erkennt Wenn aber die freundlichen
Zeichen vom Sturm umgestürzt oder vom Schnee verweht sind , dann
bedarf der Fremde eines kundigen Eingebomen , der ihn von Thal
I« Thal durch die Wildnifs geleitet Derartige Nalurstrafsen reichen
noch immer aus um den Verkehr vieler Thäler unter einander zu ver-
mitteln und werden an Markttagen von ganzen Caravanen , Mensch
und Vieh begangen. Zur Sommerszeit gelangen sie gefahrlos nach hüben
und drüben. Wenn die Nächte lang werden und das Wetter unbestän-
dig, verlieren Manche im Nebel und Schnee elend ihr Leben. Allein
der Sohn der Berge pflegt dem Tod öfter und kaltblütiger ins Antlitz
zu schauen ab der Städter. Er glaubt genug gethan zu haben, wenn
erden fortgeschwemmten Steg neu herstellt, die umgestürzten Weg-
stangen wieder aufrichtet, allenfalls noch eine Steinhütte erbaut um
als Zuflucht zu dienen beim Schneesturm. Im Uebrigen bleibt der
Weg rauh steil gefahrvoll, wie ihn die Vorfahren belassen hatten:
1) Her.IY33 vgl. Heibig, osservMioni soprt il commercio dell' ambro, in
Atti dell* Aecademia dei lincei I 1877.
2) Hermann Genthe, über den etroskischen Tauschhandel nach dem Norden,
Frankfurt a. M. 1874.
152 Kap. DL Die Alpen.
i>ur ein mSchtiger Astrieb von Aufisen vermöchte Wandel su gchaffen.
Die anschauliche Schilderung, welche von Hannibate Alpenmarsch er-
halten ist, lehrt uns dafs der Verkehr zwischen den dies- und jensei-
tigen Kelten nicht ausgereicht hatte um eine sidiere geordnete Ver-
bindung auf den Jochen hervorzurufen. Wir können es den Südländern
kaum verargen , wenn ihrer Phantasie die Hindernisse so riesengrofs
sich aufthürmten, dafs sie einen Gott oder Göttersohn dem karthagischen
Feldherrn die Wege weisen lassen mufsten.^) Durch die Ausdehnung
der römischen Herrschaft über Spanien und Südfrankreich ward die
Zugänglichkeit der Alpen ungemein befördert Die Beiigstämme wurden
veranbfst Brücken zu schlagen und Felsen zu sprengen um die Pässe
practicabel zu machen für den Marsch der Legionen und den gestei-
gerten Zuzug der Kaufleute. ^) Massenhaft drängte die siegreiche Nation
zur Ausbeutung des Nordens vor. Für die Lebhaftigkeit des Verkehrs
spricht unter anderem der Umstand, dafs in der ersten Hälfte des zwei-
ten Jahrhunderts Wirtshäuser an den oberitalischen Strafsen angetroffen
wurden oder der Umstand dafs sofort nach der Unterwerfung von
Gallia Narbonensis die Römer alle Geldgeschäfte an sich rissen. 3) Der
kleine Krieg welcher zwischen den Bergstämmen und der vorrückenden
CuHur entbrannte und je nachdem die römische Regierung kraftvoll
einschritt oder unthätig zuschaute, bald erlosch bald hell aufloderte
(S. 75. 78), hat reichlich anderthalb Jahrhunderte gedauert, bis endlich
Augustus die Alpen unterwarf und dem Verkehr dauernd erschloDs.
Mit dem J. 15 v. Chr. hebt eine neue Epoche in der Geschichte
der Alpen an. Eifrig hat der Kaiser den Bau von Kunststrafsen geför-
dert Sein Beispiel wurde für die Nachfolger bestimmend und erst die
Neuzeit hat die Leistungen der Römer in den Schatten gestellt „Es
scheint — heifst es in einer Würdigung derselben^) — , dafs die rö-
mischen Ingenieure in der Anlage der Straben mit grofser Umsiebt
zu Werke gingen, dafs sie den Berg, über welchen sie dieselbe zu führen
hatten, genau studirten, namentlich auch die Gewässer die Stürme und
die besonderen „Lauoen der Berge^ erforschten, die jedem eigentüm-
lich sind, und eine Richtung aufsuchten , wo die Schwierigkeiten ge-
1) Die PolemUi des Polybios in 47fg. ist gegen Gesehichtschreiber aus Hao-
nibals Umgebung gerichtet vgl. Gic. Div. I 24, 49 Liv. XXI 22.
2) Strabo IV 205. 203. Caeaar b. GalL m 1.
3) Pol. II 15,5 Gic. pro Fonteio 5, 11.
4) H. Meyer, die römischen Alpenatraben in der Seh weis p. 129, in Mil-
theilnngen der antiquarischen Gesellschaft XIII, Zürich 1858 — 61.
§ 5. W€ge1>in. 158
riog«r, die Gefahren leichter überwunden werden konnten. Sie wählten
fllrden Bau der Strafse immer, wo es nur irgend möglich war, die
Sonnenseite des Berges, weil dieselbe wärmer und trockener ist, damit
im Winter eine geringere Schneemasse sich anhäufe und die Strafse
im Frohling schneller vom Eise befreit werde. Nicht minder bemüht
waren sie jene Bergstellen zu umgehen, wo grofse Schneehaufen zu-
sammengeweht werden und oft zu 20 — 30 Fufs Höhe sich aufthürmen,
oder wo Lawinen oder Deberschwemmungcn den Weg öfter bedrohen.
Nach dem Unheil der Sachverständigen sind überhaupt diese Strafsen
mit solcher Vorsicht ausgeführt, dafs sie auch jetzt noch in der schlim-
men Jahreszeit, im Winter vorzugsweise, benutzt werden und Viele
bedauern, das die neuen Strafsen so oft die frühere Richtung verlassen
haben. Die Römer haben sich daher in diesen Alpenthälern ein schönes
Denkmal gestiftet, das immer noch fortlebt und ihren Ruhm nicht
untergeben läfst.^ Aus den Ueberresten erhellt ferner dafs diese Wege-
bauten mit möglichster Sparsamkeit ausgeführt sind. Um die Kosten zu
beschränken, pflegten die Römer überhaupt den besteinten Fahrdamm
auf eine Breite einzuengen, welche unseren heutigen Gewohnheiten
durchaus widerspricht. Bei einigen Alpenstrafsen beträgt sie nur 1,50 m,
bei anderen höchstens 3,50 m, im Mittel 10' röm.«» 2,96 m d. h. kaum
die Hälfte des in der Ebene üblichen Mafses. Die modernen Ingenieure
haben gleichfalls ihren Anlagen im Hochgebirg nur die halbe Breite der
Chausseen des Flachlands verliehen ; aber mag der Raum auch noch
so knapp bemessen sein, so mufs er doch ausreichen dafs zwei Wagen
einander ausweichen können. Dies war im Altertum nicht der Fall
und viele dieser Römerstrafsen sind deshalb von Hause aus nicht be-
fahren worden. In wie weit sie mit Gallerien und anderen Schutzvor-
richtungen ausgerüstet waren , läfst sich nicht sagen. An Post- und
Zuflucbtshäusem, nötigenfalls auch an militärischer Bewachung, fehlte
es auf den Hauptrouten nicht. Immerhin stimmt es zu den erhaltenen
Resten , wenn Strabo den Wegebau des Augustus mit folgenden Wor-
ten charakterisirt <) : „nach Ausrottung der Räuber hat der Kaiser so
viel an ihm lag die Strafsen hergesteUt. Freilich war es nicht möglich
überall die Natur zu zwingen , wo an der einen Seite des Weges steile
Felswände aufsteigen, an der anderen tiefe Abgründe gähnen, so dafs
ein geringer Fehltritt unvermeidliches Verderben durch den Sturz in
1) IV S04. Herodian Vffl 1 , 6 attvamol yag eiai xuQonolfßoi , futi
noXXov xafJUxTOv xoi<; nikui ^Ixakmxaiq el^yacfiivoi.
154 Kap. HL Die Alpen.
bodenlose Schlünde mit sich bringt. So schmal ist gelegentlich der
Weg, dafs Fursgänger und fremde Saumthiere vom Schwindel erfafst
werden : die einheimischen Saumthiere tragen Lasten sicher hinüber.
Dies läfst sich indessen so wenig abstellen wie das plötzliche Herab-
kommen von Lawinen, die eine ganze Gesellschaft packen und in den
Abgrund schleudern können.'^ Aus den nämlichen Sparsamkeitsrflck-
sichten, welche die Schmalheit der Römerstrafsen veranlafsten, eriüKrt
sich auch ihre auffallende Steilheit. Die Römer pflegten ihren Zug-
thieren unglaubliche Anstrengungen zuzumuten, um ja von der geraden
Linie nicht abweichen zu müssen. Diesem allgemeinen Grundsatz sind
sie in den Alpen treu geblieben: Beispielshalber erstieg die antike
Strafse den Malojapafs (1811 m) in 3 Curven, die spätere brauchte
deren 9, die heutige gar 22. Dergestalt sind die Wege immer bequemer
aber dafür um so länger geworden. Begreiflicher Weise war von dem
Comfort , mit dem der verwöhnte Tourist der Gegenwart aus seinem
Landauer die Berge betrachtet, in früheren Zeiten keine Rede. Aber
überhaupt mufs der Wagenverkehr auf den Alpenpässen im Altertum
ziemlich beschränkt gewesen sein. Man brauchte nicht nur Vorspann
um das Fuhrwerk hinauf zu schleppen ; im Frühling wenn die Straise
nafs und schlüpfrig war, wurden die Ochsen auch hinten angespannt,
um dasselbe langsam herabgleiten zu lassen. 0 Zudem beschränkte sieb
seine Verwendung auf wenige Monate; der Schlitten, welcher jetzt von
November bis Mai an die Stelle tritt, war weder den Alten bekannt
noch im 11. Jahi*hundert bei den Aelplem im Gebrauch. So sehr die
Gefahren einer Winterreise gewürdigt wurden^), erlitt der Verkehr
dennoch keine längere Unterbrechung. Gerade wie auch heutigen
Tages geschieht, wurden im Winter Stangen aufgepflanzt, um dem Wan-
derer den richtigen Weg zu weisen und ihn vor Abgründen zu warnen.
Ja selbst wenn die Wegestangen durch Schneefall oder Thauwetter
verschwunden und alles von einer trügerischen Schneedecke gleich-
mäfsig verhüllt war, wurde derUebergang mit Führern gewagt s) lind
nicht blos einzelne Reisende sondern ganze Truppenkörper z. B. zwei
1) AmmianXV 10, 4 malt dies beifiglich des M. Gen^vre ans.
2) Eagippioa vita S. Severini (Mon. Germ, bist Anctorea antiqniaauni toL I)
c29 beschreibt sie.
3) Anschaulich Ammian XV 10, 5 vgl. 8, 18. Interessante Parallele giebt
Lamberts Schildemng Yom Uebergang Heinrichs lY über den M. Genis Jan. 1077
sowie die Sehildemng in der Chronik von St. Trond eines Uebergangs Aber den
Gr. Bernhard Jan. 1129 (bei Oehlmann Ol 255).
§ 6. StraÜMD nach GalUen. 155
LegioDen Caesars beim Ausbruch des Bürgerkriegs 49 ?. Chr. oder
die Rheinarmee 69 n. Chr. haben den Alpenmarsch in schlechtester
Jabresieit ohne viel Aufhebens bewerksteUigt.!) Immerhin erregt es
weit mehr Erstaunen bei dem späteren Zustand der Strafsen und den
Schwierigkeiten der Verpflegung, dafs die deutschen Reiterheere des
Mittelalters oft genug die nämliche Leistung wiederholten.^)
§6. StraTsen nach Gallien.
Die Zahl der von den Römern benutzten resp. ausgebauten Alpen-
ptae läfst sich nicht genau ermitteln , da die Utterarischen Zeugnisse
einerseits zu unbestimmt lauten, da andererseits die monumentale
Forschung das Alter einer einzelnen Strafse nicht immer mit voller
Sicherheit zu bestimmen vermag. Während der Republik war die Auf-
merksamkeit fast ausschliefslich den Verbindungen mit Gallien und
Spanien zugewandt und deshalb sind wir über den westlichen Abschnitt
besser unterrichtet als über den mittleren und Ostlichen. Polybios^)
kannte vier practicable Pässe: durch die Seealpen, durch das Land der
Tauriner (M. Cenis), durch das der Salasser (Kleiner Bernhard), durch
Raetien (Brenner?). Varro vermehrt die Ziffer um zwei, indem er nach
einer übrigens verwirrten Angabe für die Westalpen allein fünf nanr-
haft macht. ^) Eine besondere Schwierigkeit verursacht die Deutung von
Hann ibals U ebergang. Den Zeitgenossen erschien er als ein Wun-
der^); die späteren Annalisten haben den karthagischen Marschbericht
mit Namen von Oertlichkeiten ausgestattet, so weit ihr Wissen reichte.®)
Allein ihre geographische Anschauung erwies sich dabei um nichts
verläfslicher als an anderen Puncten : sie erzeugte ein Labyrinth von
Widersprüchen^ die in der Neuzeit sich in einer fast unübersehbaren
Menge von Abhandlungen fortgepflanzt haben. Es ist nicht unsere
Sache in diese weitschichtige Streitfirage des Näheren einzugehen ; doch
1) Tadt Bist I 70 und das Aber den Grofsen Bernhard, dessen Ueber-
sehreitong durch Napoleon im Mai 1800 (freilich mit Artillerie) von der Neu-
zeit so sehr gefeiert worden ist
2) Oehlmann, die Alpenpässe im Mittelalter, im Jahrbuch f. Schweiz. Ge-
schichte Ol lY Zflrich 1878. 79.
3) Nach Strabo IV 209.
4) Bei Servius V. Aen. X 13.
5) Plin. XXXYI 2 in poriento prope maiores habuere Alpu ab Hannibale
exsuperatas,
6) Die bei Polybios Ifl 50—55 Livius XXI 32—37 Torliegende Darstellung
geht mittelbar auf einen in Hannibals Dienst schreibenden Hellenen zurOck,
der Yon barbarischen Namen sehr sparsam Gebrauch machte Tgl. S. 6.
156 Kap.m. Die Alpen.
wird man eine kurze OrienUrung über den Stand derselben an diesem
Orte erwarten. 1) Im Wesentlichen handelt es sich um die yitc PSsse
über den Grofsen und Kleinen St. Bernhard, den M. Cenis und M. Ge-
n^vre, von denen die beiden ersten bei den Salassem im Thal der
Dora Baltea , die beiden letiten bei den Taurinern im Thal der Dora
Riparia ausmünden. Für den Grorsen Bernhard entschied sich die vul-
gäre Tradition der späteren Republik, für den Kleinen Bernhard Coe-
lius Antipater (um 120 v. Chr.), für den M. Gen^vre Livius. Der älteste
und competenteste Zeuge Polybios denkt an den H. Cenis; denn seine
Beschreibung des Marsches kann nur auf diesen Pafs bezogen werden,
zumal da es feststeht, dafs er den Abstieg Hannibals bei den Taurinern
erfolgen läfst.^) Von dem Grofsen Bernhard oder Poeninus kann im
Ernste überhaupt nicht die Rede sein: wenn der Gleichklang des Na-
mens die Vorstellung zu erzeugen genügte , der Berg sei vom Ueber*
gang der Punier benannt worden, so ist dies nur ein Beweis für das
Ansehen, welches die Volksetymologie bei antiken Schriftstellern genofs.
Eine Erwägung der militärischen Lage lehrt dafs auch an den Kleinen
Bernhard , für den gewichtige Stimmen in der Neuzeit sich erhoben
haben, nicht gedacht werden darf. Denn es steht nach allen Zeugnissen
fest , dafs der erste Offensivstofs der Karthager gegen Turin gerichtet
war und solches hätte für eine aus dem Thal von Aosta debouchirende
Armee unter den obwaltenden Verhältnissen nicht den mindesten
Sinn gehabt. Was drittens den M. Gen^vre betrifft, welchen Livius
im Auge hat, so leidet seine DarsteOung an so starken geographischen
Widersprüchen, dafs ihr einem älteren und zuverlässigen Gewährs-
mann wie Polybios gegenüber keinerlei Gewicht beizulegen ist. Es
scheint in der That, dafs dieser in der Folge am meisten benutzte Pafs
erst 77 v. Chr. durch Pompeius den Rümem erschlossen wurde. ^) Wir
beginnen unsere Uebersicht der Alpenstrafsen im Südwesten :
1) Vgl. Ukert Geogr. d. Gr. u. R. 11 2 p. 559 fg. Linke, die GontroTerse
über Hannibals Alpenübergang, Diss. Breslau 1873.
2) Strabon IV 209 Liv. XXI 3S.
3) Er schreibt an den Senat Sali. fr. 4 (p. 118 Jordan): ho»H$que in eer-
vieibuM iam Italiae agentU ab AlpHnu in Hispaniam submovi. per eas übt
aliud atque Hanmbal nobis opportunius pätefeci. Die Gemeinsamkeit des
Ausgangsthals für M. Cenis und M. Gen^vre pafst zu dem gewählten Aosdnick
▼ortrefflich vgl. Appian b. cit. 1 109. Freilich hat sich ein Kenner der Alpen
wie der verstorbene Carl Neumann (Das Zeitalter der Panischen Kriege, Breslao
1883, p. 294) für den M. Gen^vre entschieden, aber ist dabei von einer nicht
§ 6. StrafBen naeh Gallien. 157
1. per i/pei martWimas die bequemste Verbiiidung, da m zwischen
Nina und Hentone nur eine Höhe von ca. 600 m zu übersteigen bat.
Sie Iluft an der Kttste hin von Genua aus über Savo und Vada Sabatia
Sdirona^ Alkingaumtm XlbengB^ AUnfUmilmm Ventimiglia, nach Gerne*
nehtm Cimella oder Cimiez und Nicaea Nizza, setzt sich von hier durch
Gallien fort Dies ist die alte den Hellenen bekannte Strafse des He-
rakles, dessen Name im porfiis HereuUs Monoeä Monaco fortlebte : die
älteste Aipenstrafse, die zur Kunde der ciassischen Völker gelangte
und von ihnen begangen ward (S. 150). Die Römer haben achtzig Jahr
wahrende Kampfe mit den Ligurem geführt, um diesen Durchgang
sieh zu sichern, und schliefslich erreicht, dafe eine neutrale Zone von
1500 Schritt Breite Iflngs des Weges abgesteckt wurde, i) Jedoch ward
die Strafse erst 13 v. Chr. chaussirt und erhielt nach ihrem Erbauer
den Namen via JuUa AuguUa^) Die Entfernung von Savona bis zum
Var dem GrenzfluTs Italiens wird zu 93 Hillien gerechnet. Auf der
Pafshöbe {Alpe mcmma), weithin über Land und Meer sichtbar, erhob
sich das dem Kaiser für die Unterwerfung der Alpenstämme im J. 7
oder 6 v. Chr. von Staatswegen errichtete Siegesdenkmal, die Tropaea
iü^MsTt, von dem Reste sich erhalten und dessen Name im heutigen
Turbia sich fortgepflanzt hat. — Aus dem Thal der Stura führt ein be-
quemer von Mai bis October schneefreier Pafs über den CoUe della
Maddalena oder deil' Argentera (2019 m) in das Thal des Ubaye. In-
dessen ist nicht bekannt, ob dieser und andere Uebergänge aus dem
Qnellgebiet des Po, die bedeutend höher liegen (2500 — 3000 m), von
den Alten benutzt wurden. Dagegen fllhrt eine wichtige Strafse
2. per Alpes Coitia$ über den M. Gen^vre. Die Pabhöhe beträgt
nur 1865 m und ist von Mai bis September ohne Schnee. Zu diesen
Vortbeilen, welche die niedrige Einsenkung vor den meisten anderen
Pässen darbot, kam weiter die günstige Lage hinzu, indem hier der
directe nächste Weg zwischen dem Polhai und Südfrankreich lief. 3)
Es ward oben bemerkt, dafs Pompeius allem Anschein nach zuerst 77
V. Chr. mit einem römischen Heer ihn zurück gelegt hat Caesar mufste
nitreffenden WOrdigiiog der Qaellen ausgegangen. Dafo an den Kleinen Bern*
kard gar nicht gedacht werden kann, wie besonders von englischer Seite ge-
schieht, bat Neiunann überzeugend nachgewiesen.
1) Strabon rV203; Pompeius hat noch hier kämpfen mflssen Gaes. b. civ.1 35.
2) cm V p. 828. 953.
3) Caesar paasirt ihn bei der Eröffnung des gallischen Kriegs und bezeich-
net ihn I 10 qua proximvm iter in uUeriorem GalHam per Mpes erat.
158 Kap. DI. Die Alpen.
im J. 58 den Durchzug erkämpfen. Der schon erwähnte Keltenfttrst
Cottius, welcher sich dem Augustus unterwarf, hat dann die Strafse
kunstmäfsig ausgebaut. In der Kaiserzeit ward sie stark benutzt'):
diesem Umstand wird es zuzuschreiben sein, dafs mit kaiserlichem Na-
men versehene Meilensteine vorkommen , mithin der Imperator selbst
ihre Herstellung besorgt hat. 2) Sie folgt derDora Riparia und erreicht
40 Millien von Turin den Hauptort des cottischen FQrstentums Segu$io
Susa (503 m) wo das Andenken des Cottius in einem Ehrenbogen fort-
lebt, den er 9/8 v. Chr. seinem kaiserlichen Herrn geweiht hatte. Als-
dann steigt sie und langt nach 16 Millien bei der Station ad Mortis Oulx
(1071 m) an. Von hier werden 12 Millien bis zur Höhe des mans Mo-
trona (1865 m) gerechnet, an dem die Drueniia Durance entspringt;
der Abstieg nach Brigantio Brian^on (1306 m) zu 6, weiter nach Ebu-
rodunum Embrun (854 m) 35 Millien. Der Schwierigkeiten und Be-
schwerden, welche die Reise im Frühling und Winter nach der anschau-
lichen Schilderung Ammians verursachte, haben wir bereits S. 154
gedacht.
3. über den M. Cenis führt die Strafse von Susa in NW Rich-
tung direct auf das Joch hinauf, dessen geräumige Einsattelung einen
kleinen See birgt. Die PafshOhe beträgt 2064 m und ist von Mai bis
September schneefrei. Der Anstieg von der französischen Seite aus
dem Thal des Are, eines Nebenflusses der Is^re, ist minder steil als auf
der italienischen: der Ausgangspunct Lanslebourgliegt 1434 m, Susa
503 m. Wir haben bemerkt, dafs Hannibal diesen Weg einschlug. Seit
der Eröffnung des M. Gen^vre scheint er selten benutzt worden zu sein:
wenigstens wird er nirgends ausdrücklich erwähnt. Dagegen gewann
er im frühen Mittelalter jenem wieder den Rang ab und Ludwig der
Fromme veranlafste zum Besten der Reisenden die Gründung eines
Hospiz auf der Höhe.
4. per Alpes Graias über den Kleinen Bernhard führte eine
Fahrstrafse aus dem Thal der Dora Baltea in das der Isöre nach Vienne
und Lyon. Der Pafs ist 2192 m hoch und von Mai bis September
schneefrei. Die Tradition , welche ihn in den Tagen der Vorzeit von
Hercules beschritten sein liefs, deutet auf das Alter des Verkehrs bin
und erhält in solcher Hinsicht unter anderem dadurch eine monumen-
tale Bestätigung, dafs auf dem Joch ein keltischer Steinkreis, ein sog.
1) Ammian XV 10, 8 via media et conpendiaria magisque eelebris,
2) CIL. Vp. 809 fg. 952.
S 0. StraüieD nach Gallien. 159
Kromlech sich befindet, das einzige Denkmal dieser Gattung, welches
bisher auf italischem Boden nachgewiesen worden ist. ^) Auch aus ro-
mischer Zeit sind verschiedene Ruinen vorhanden. Während seiner
Statthalterschaft scheint Caesar den Pafs öfters benutzt zu haben, über-
schritt ihn namentlich beim Ausbruch des Bürgerkriegs. 2) Indessen
dauerte die Unsicherheit auf der ganzen Route fort , bis Augustus 25
V. Chr. den Stamm der Salasser durch Varro' Murena ausrotten liefs.
Alshald ward die Strafse kunstmäfsig ausgebaut und zu ihrer Deck-
ung die mit 3000 Colonisten belegte Festung Aosta gegründet.
Dem Lauf der Dora folgend von Epareüa Ivrea (234 m) aus erreicht
die Strafse nach 56 Millien ÄuguBta Praetoria Sakusorum (598 m). Von
hier bis Arebrigium Derby (ca. 900 m) werden 25 und bis Äriolica la
Taile weitere 16 Millien gerechnet, endlich 6 um auf die Höhe in Alpe
Grtm zu gelangen. Vom Joch senkt sich die Strafse in das Thal der
Isara Is^re nach dem 12 MiUien entfernten Bergitrum Bourg S. Mau-
rice (881 m), dann 9 Millien Axifna Aime (758 m), 10 Millien Daran-
tnia Moutia^s en Tarantaise (588 m) und setzte sich nach den Reise-
büchern über Genf bis Strafsburg fort. 3) Wie aus den mitgetheilten
Hohenangaben hervorgeht, ist der Anstieg der allgemeinen Regel wider-
sprechend auf der italischen Seite bequemer als auf der gallischen. Der
Fahrdamm stellt sich nach den zahlreichen Ueberresten im Mittel auf
2,98 m »» 10^ röm. Breite.
5. per Alpes Poeninas über den Grofsen Bernhard lief zu
Strabons Zeiten nur ein Saumpfad. „Nach Lyon — schreibt er^) —
führen durch das Gebiet der Salasser zwei Strafsen : eine längere fahr-
bare durch das Land der Ceutronen, eine steile schmale unfahrbare,
aber kurze über den Poeninus.^ Der alte Cult dieses Gottes auf dem
Joch wie die Häufigkeit etruskischer Funde läfst allerdings vermuten,
dals dasselbe früh besucht ward ; auch schickte Caesar 55 v. Chr. eine
Heeresabtheilung aus, um die Kaufleute gegen die Erpressungen der
Bergbewohner in Schutz zu nehmen.^) Die Römer haben die Strafse
1) C Promis, le aDlichitä di Aosta p. 120, der Aber diese und die folgende
Strafse genao berichtet; vgl. Genthe a.D. p. 68.
2) Nach der Schilderung Petrons 122 v. 144fg., die aber nicht auf Autopsie
beruht
3) lt. Ant. p. 350 CIL. V p. 765.
4) IV 208 und ebenso p. 205.
h) LiT. XX] 38 Gaea. b. Call. DI 1 iter per Alpet quo magno cum perieulo
nagnisque cum portoriit mereatores ire consuerant, paiefieri voMat Genthe
«.0. p.69.
I 160 Kap. lU. Die Alpen.
ausgebaut und mit Meilensteinen sowie mit SchutzhXusern verseben:
in den Reisebttcbern gilt sie als die Hauptstrafse zwischen Mailand und
Mainz. Indessen erscheint es doch zweifelhaft, ob dieselbe in spitaren
Jahrhunderten für Wagenverkehr eingerichtet worden ist; denn ihre
Breite mifst auf der schweizerischen Seite nicht mehr als 1,60 m.^) In
der That hat sie eine aufserordentliche Steigung zu überwinden, indem
von Aosta (598 m) auf die PafshOhe (2491 m) nur 25 Millien und die-
selbe Entfernung von hier bis Ododurus Martigny im Rhonethal (495m)
gerechnet wurden. Ferner ist das Joch nur im Hochsonuner (Juli
August) schneefrei , der kleine See auf demselben bleibt acht Monate
des Jahres hindurch gefroren. Die Schrecken des Gebirgs traten dem
Wanderer hier in ungleich verstärktem Mafse entgegen als auf den
übrigen Pässen : daraus erklärt sich auch die Masse von Weihgeschen-
ken an den Gott desselben , welche nirgends anderswo sich wieder-
holen. Seit 962 steht auf der Pafshöhe das Hospiz des heil. Bernhard,
dessen Insassen Augustiner Chorherren in dieser höchsten Winter-
wohnung der Alpen in einem Klima, wie es Polargegcnden eignet, das
ganze Jahr ausharren im Dienst ihres hohen Berufs den Reisenden Ob-
dach zu bieten und thatkräfügen Beistand, wenn sie im Schnee und
Unwetter verirrt sind. Unweit des Klosters stand noch im 11. Jahr-
hundert der Tempel desPoeninus. Und wie der heutige Reisende, wenn
er dankerfüllten Herzens Abschied nimmt, nicht vergifst eine Gabe in
den Opferstock nieder zu legen , so pflegten auch die Alten dem Gott
des Berges ein Gelübde für glückliche Wegfahrt darzubringen und zam
Zeugnifs dessen ein Erztäfelchen im Tempel aufzuhängen. Nach die-
sen Votivtafeln, von denen einige dreifsig aufgefunden sind, gehört
die HälAe der Weihenden dem Soldatenstand an : die verschiedenen
Chargen, die verschiedenen Truppen theile, die in den Rheinfestungen
gamisonirten, sind darunter vertreten. Der Ruf des Berges in der Kaiser-
zeit reichte so weit, dafs Ptolemaeus auf seiner Karte den kleinen See
eintrug und irrtttmUch die Duria aus ihm entspringen liefs.^)
§7. Strafsen nach Raetien.
Wenn die Römer in den Alpen die Mauer ihres Landes erblicken,
haben sie doch Jahrhunderte lang gezögert sich in deren Besitz zu
t) Meyer a. 0. p. 122. 124, der die erhaltenen Reste beschreibt. Promis
a. 0. p. 123 ern^hnt ein im Felsen ansgehanenes Stflck Ton 3,66 m Breite.
2) ffl 1 p. 176 Wilb.
S 7. StnfMD nach Raetien. 1$1
setzen. Die Scheu des Südens vor der fremdartigen Natur des Hoch-
gebirgs findet darin einen meriiwflrdigen Ausdruck. Die römischen
Legionen haben alles Land bis an den Rhein unterworfen, haben Vor-
stofse gemacht nach Germanien hinein und über den Canal nach Brit-
tanien, ohne dafs die Freiheit der Bergeantone ernstlich gefährdet
worden wäre. Seit undenklichen Zeiten hatten die Händler über den
Brenner und andere zugängliche Joche etruskisches Metallgerät zu den
nordischen Barbaren geschafft. Jedoch blieben diese Gegenden unbe-
kannt: als Caesar den Hercynischen Wald beschrieb, der sich südlich
der Donau in einer Länge von 60 und einer Breite von 9 Tagereisen
erstrecken sollte, fehlte ihm die Anschauung dafs er damit die nörd-
liche Abdachung der ihm von Süden her wolvertrauten Alpenkette be-
zeichue (S. 139). Auch seit der Unterwerfung, nachdem Augustus die
Reichsgrenze 15 v. Chr. an die Donau vorgerückt hatte, geschieht ihrer
selten Erwähnung. Raetien wurde gewisser Maisen als Festungsglacis
betrachtet, war für eine städtische Entwicklung in der Art Galliens
entfernt nicht reif. In Folge dessen schweigt die Ueberlieferung und
redet erst als das Land seine Dienste als Glacis zu leisten hatte, als die
Germanen ihre unablässigen Stürme auf die Festung begannen. Seine
Bedeutung für die Sicherheit Italiens ward durch die Einverleibung,
welche Diocletian vollzog, förmlich anerkannt (S. 85). Aus dem Ge-
sagten erklärt sich, warum wir über die raetischen Strafsen weit dürf-
tiger unterrichtet sind als über die gallischen, erklärt sich ferner, warum
manche Pässe, die im Mittelalter stark benutzt wurden, von den Römern
nicht begangen oder wenigstens nicht ausgebaut zu sein scheinen. Wir
fahren in unserer Aufzählung fort:
6. über den Simplen (2020 m) führt ein von Hai bis Septem-
ber schneefreier Pafs aus dem Thal der in den Lago Maggiore mün-
denden Toce in das obere Rhonethal hinüber. Kein Schriftsteller
erwähnt denselben : aber eine <Aerhalb Vogogna in den Felsen einge-
hauene Inschrift meldet von einem 196 n. Chr. unternommenen
Wegebau. 1) Zwar ist hier nur von einer verhältnifsmäfsig kurzen
Strecke die Rede: indessen spricht eine grolse Wahrscheinlichkeit
fttr die Annahme, dafs die Strafse sich über den Simplen fortsetzte
und diese bequeme Verbindung zwischen dem Wallis und Mailand
in der späteren Kaiserzeit practicabel gemacht ward.
Das Thal des Tessin gabelt sich in mehrere Arme: der westliche
1) OL Y S649> die natirang steht nur amiahenid fest
Hiis«ii, ItaL LandMkukd«. I. 11
162 Kap. in. Die Alpen.
Hauptarm wird durch den St. Gotthard (2111 m, Juni bis September
schneefrei) von der Reufs, der mittlere durch den Lukmanier (1917 m)
vom Vorderrhein geschieden. Es fehlt an sicheren Anzeichen, dafe
diese beiden Pflsse den Römern bekannt gewesen seien: ein Pilgerweg
tlber den Gotthard wird erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts er-
wähnt, der Lukmanier ward bereits von irischen Glaubensboten be-
gangen. Der Ausbau des Gotthard ist seiner überaus günstigen Lage
unerachtet offenbar deshalb unterlassen worden, weil er grofse Schwie-
rigkeiten bot und auf den wilden See der Waldstätte ausmündete.
Beide Pässe waren im Mittelalter viel benutzt Dagegen läuft aus dem
Ostlich abzweigenden Val Mesocco eine Römerstrafse
7. über den St. Bernhardin oder Vogelberg in das Rhein wald-
thal. Der Pafs liegt 2063 m und ist von Juni bis September schneefrei.
Die alte Strafse ca. 1,80 m breit ist auf grofsen Strecken eriialten und
wird bei schlechter Jahreszeit der jetzigen vorgezogen, i) Sie ging von
Bilitio Bellinzona aus und mündete in Curia Chur; die Entfernung
beträgt gegenwärtig 123 km. Auf kürzerem Wege gelangte man von
Mailand nach Chur über den Comersee und
8. über den Splüg en. Das Joch, von Juni bis September ohne
Schnee, mifst 2117 m. Nach dem Reisebuch lief hier eine Poststrafee
zwischen Brigantia Bregenz am Bodensee und Como resp. Mailand.
Das Joch enthielt die Station cuneus aureus. Gegenwärtig werden von
Chur bis Clavmna Chiavenna 94 km gezählt: wenn also das Reisebuch
diese Strecke zu 75 Million (111 km) ansetzt, so müssen arge Fehler
in der Ueberlieferung stecken. Freilich ist es bisher nicht gelungen
den Gang der Strafse und die erwähnten Poststationen auf der italie-
nischen Seite bestimmt zu fixiren. An der Nordseite ist der Fahrdamm
in einer Breite von 1,60 — 1,80 m (5 — 60 streckenweise gut erhalten.
9. Ober den Septimer, 23 11 m von Juli bis September schnee-
frei. Chiavenna (317 m) liegt am Vereinigungspunct zweier Thäler,
des NNW streichenden Jakobsthals, von dem die Strafse über den Splfl-
gen ausläuft, und des NO streichenden Thais der Maira , das von dem
Stamm der Bergaki bewohnt war und danach Val Bregaglia, Bregell
oder Bergell heifst. Aus letzterem führen zwei Pässe nach Graubttnden
hinüber: der Septimer und Julier. Jener ist bedeutend schwieriger,
aber 2 — 3 Stunden kürzer: daraus wird es zu erklären sein, dafs er,
jetzt verlassen, im Mittelalter viel benutzt ward. Reste einer ca. 1,50 m
I) Meyer a.O. p. t39 vgL Ammian XV 4, 1 Gregor v. Tours X 3.
S 7. Straften nach Raetien. 103
(4—50 breiten steilen Strafee sind erhalten, deren Erbauung mit Wahr-
scheinlichkeit den Römern zugeschrieben wird. Wichtiger für die Alten
war der zweite Pafs
10. Ober den Julier. Derselbe liegt 2287 m, ist aber den La-
winen weniger ausgesetzt und geht früher auf als die anderen Pässe
der schweizerischen Alpen (durchschnittlich am 10. Mai). Aus diesem
Grund haben die Römer eine Fahrstrafse über denselben angelegt, die
erste, welcher wir seit dem Kleinen Bernhard wieder begegnen. Zwar
weist sie nur eine Breite von ca. 2,50 m auf; indessen lassen die in den
Steindamm tief eingedrückten Geleise keinen Zweifel zu, dafs sich hier
wirklich ein Wagenverkehr bewegt hat Das Reisebuch verzeichnet
eine Poststrafee von Mailand über Como und Chur nach Bregenz am
Bodensee. Ske folgte dem von der Maira durchströmten Bregell und
erstieg am Ende desselben, wahrend die Septimerstrafse links abzweigte,
die Hochfläche des Maloja (1811 m, mit 25. April schneefrei) und trat
damit in das Engadin oder Oberinnthal. Nachdem sie die Seen von
Sils (1797 m) und Silvaplana (1816 m) passirt, wendet sie sich west-
wärts den Julier hinauf, auf dessen Höhe eine zertrümmerte Sftule von
den Römern Zeugnifs ablegt Dann senkt sie sich in das Oberhalb-
stein nach dem Dorfe Stalla oder Bivio (1776 m) — letzteres offenbar
bwium , weil die Septimer und Julierstrafse hier zusammen stofsen —
weiter nach Tineiio Tinzen (1289 m) und Curia Chur (590 m). Die
Entfernung von dieser Stadt bis Chiavenna beträgt 140 km; die Angaben
des Reisebuchs sind corrupt. Aus dem von der Adda durchströmten
VeKIin führt der Berninapafs(2334 m) in das Engadin, das Stilfser Joch
(2757 m) in den Vintschgau. Wir besitzen keinen Anhalt dafür dafs
eines der beiden von den Römern begangen worden sei. Die Richtung
der nächsten Strafsen ist durch den Lauf der Etsch bedingt, welche
auflockernd in die Gebirgsmasse eindringt und die Wasserscheide weit
nach Norden vorschiebt. Den beiden Hauptarmen entsprechend kom-
men zwei Uebergange in Betracht; nämlich zunächst
11. über die Reschen-Scheideck (1493 m, Juni bis Septem-
ber schneefrei). Nach der Unterwerfung der Alpenstämme 15 v. Chr.
legte Drusus in NW Richtung eine Strafse quer durch das Gebirge an,
die 350 fifiUien lang Po und Donau mit einander in Verbindung setzen
sollte. Sein Sohn Kaiser Qaudius hat dieselbe in den J. 46. 47 v. Chr.
chaussirt und ihr den Namen via Claudia Augmta verliehen. <) AUinum
1) Unsere Kunde von derselben verdanken vir allein zwei MeOensteinen,
11*
164 Kap. ffi. Die AlpeiL
war ihr Ausgangspunct; von dort lief sie über OpUergmm Odeno,
Feltria Feltre durch die Val Sugana, das Thal von An»uguii% nach Tri-
dentum. Das Reisebuch rechnet von Oderzo bis Trient 110 Miilien.
Weiter folgte sie dem Lauf der Etach und langte jenseit der Rescben-
Scheideck im Innthal an. Von hier scheint sie sich nach Bregenz fort-
gesetzt zu haben. Bekannter ist der zweite Pafs
12. über den Brenner 1367 m. Zwischen den Oetzthaler und
Zillerthaler Alpen, wo die SiU, ein Nebenflub des Inn und der /Mrptu
Eisach entspringen , sinkt der Kamm des Gebirges ein und biMet da-
durch einen der bequemsten zugleich auch directesten Uebergtfnge von
Italien nach Deutschland. Nach den zahlreichen etruskisdien Funden
ist derselbe seit uralters her im Gebrauch gewesen. Die Römer haben
eine Hauptstrafse von dem Hittelpunct der Provinz Raetien , von in-
gugta Vindelicorum Augsburg nach Verona hinüber geleitet, deren An-
lage auf die Zeit der Unterwerfung zurückzuführen ist Nach Ausweis
der Meilensteine haben die Kaiser seit Diodetian eifrig ihre Ausbesse-
rung betrieben. 1) Das Reisebuch rechnet die Entfernung zu 272 Miilien.
Von Verona (51 m) bis Trient (218 m) 60 MiUien, von hier 80 über
Sublmno Sehen bei Klausen (511 m) bis Vipkenum Sterzing (947 m),
dann über Matreium Matrei (988 m) und das Joch 36 bis VeUideM
Willen bei Innsbruck (583 m). Von Wilten erreichte die Strafae über
Parthanum Partenkirchen nach 96. Million Augsburg. Im Mittelalter
ward sie vorzugsweise bei den Römerzttgen eingeschlagen: von 144
Alpenübergängen deutscher Könige , Hin- und Rückreise gerechnet,
entfallen 66 auf den Brenner. Schon 1480 wurde sie nach langer Ver-
nachlässigung für Wagenverkehr wieder hergestellt.
§8. Strafsen nach Illyrien.
Im Nordosten grenzte Italien an die Provinzen Noricum Pannonieo
und Dalmatien, deren Unterwerfung von Kaiser Augustus bewirkt wurde.
Der Kürze wegen befassen wir dieselben unter dem Gesammtnameo
IHyrien, der mit einzelnen Schwankungen den Alten zur Bezeichnung
der Länder zwischen Donau und Haemos einer«, Adria und Pontes
andererseits diente, auch nach der Reichseintheilung Diocletians Nori-
cum (Kärnthen Salzburg Theile von Oesterreich) einscUors. In der
That hat die Natur die ethnische und politische Scheidung angedeutet
von denen der eine 6—7 MiUien Ton Feltre nach Belluno zu, der andere bei
Rabland oberhalb Meran gefunden ist s.GILV p.93S itin. Ant. p. 280.
1) CIL. ni p. 735 V p. 947 itin. Ant p. 275.
i 8. StrtfteD nach Dlyrien. 165
OestKch Toni 30. Meridian , der ungefthr mit der Grenze von Raetien
und Noricum zusammen teilt, ändert sich der Bau der Alpen. Während
im Westen eine einzige Hanptkette, in der Mitte zwar mehrere aber
wesentlieh in gleicher Richtung streichende Ketten sich finden, breitet
sich nunmehr die Geblrgsmasse über einen Bogen von 3 Breitengraden
aus und entsendet nach Osten wie ein Fächer sich <^nenddrei ansehn-
liche Flüsse, die dem pannonischen Tiefland zueMen. Daraus folgt zu«
gleich dafe die Einschnitte, welche die Strafeen aufnehmen, nicht mehr
senkrecht zu der Axe des Gebirges stehen , sondern dafs der Verkehr
dem Lauf der Flüsse entsprechend nach Osten gewiesen ist. Wenn die
Kammhühe auch bedeutend sinkt, sind die nach Norden führenden
Straften zu grofsen Umwegen gezwungen, um die wiederholte Steigung
zu vermeiden. Beherrschende Pässe im Sinne der West- und Central-
alpen fallen hier fort Immerbin ist der Austritt aus Italien durch den
Lauf des Tagliamento und Isonzo bestimmt und darnach ergeben sich
folgende Strafsen:*
13. über M. Croce und die Flecken 1371 m. Aus dem oberen
Thal des TfUaventui Tagliamento fährten zwei Romerstrafsen hinüber
nach Noricum. Die westliche erstieg von luUum CarmcHm ZugUo aus
den H. Croce(1371m), führte über die Pleckenalp (1257 m} hinab nach
loRcncffi Mauthen im Thal der Gail und gelangte aufwärts über den
KüiBcfaachpafs (1014 m) nach Oberdrauburg an der Drau. Durch das
Pusterthal setzte sie sich der heutigen Eisenbahn entsprechend über
Äguontum Lienz , littcmmm Innichen , die Wasserscheide bei Toblach
(1204 m), Sabatwn S. Lorenzen fort, um in die Brennerroute unterhalb
Stening einzumünden. Das Reisebuch rechnet von Aquileia bis Witten
21 5 Hillien. Einige auf der JochbOhe in den Felsen gehauene Inschriften
melden von Wegebauten aus dem J. 373 n. Chr., während der eben
dort gemachte Fund einer etruskischen Inschrift von dem hohen Alter
des VeriLebrs Zengnifs ablegt. >)
14. über den Saifnitz oder Tarvispafs 783 m, Mai bis Sep-
tember schneefrei. Aus dem Thal des Tagliamento zweigt östUch eine
Strafae ab , dem Lauf des Fella folgend durch Pontebba und Pontafel,
bis sie bei dem Dorf Saifnitz die Wasserscheide zwischen dem Adria-
tiscben und Schwarzen Meer erreicht. Dann senkt sie sich nach Tarvis
hinunter und läuft nach Varunum nördlich von Klagenfurt fort. Sie
wird von den Itinerarien verzeichnet. Und obwol es bisher nicht ge-
1) CIL. m p. 590 y p. 176 iiiD. Ant. p. 279.
166 Kap. m. Die Alpen.
luDgen ist die Stationen bestimmt zu localisiren, so lassen doch die In-
schriftenfünde über das Alter der Strafse keinen Zweifel zu, der auch
die Richtung von Natur vorgeschrieben war.^)
15. inAlpelulia über die Ocra Birnbaumer Waid 520m, Ton
April bis November schneefrei. Wir haben bereits S. 149 die Notiz aus
Strabo angefahrt, welche den lebhaften Verkehr der Liastwagen zwischen
Aquileia und Nauporius Oberlaibach vermeldet. Die Entfernung von
ersterer Stadt bis Bmona Laibach ¥drd zu 76 Million angegeben. Die
Strafse überschritt den SotUhu Isonzo , folgte dem Liauf des flwoim
Frigidus Wippach, langte jenseit des Jochs bei der Station Longaiicum
Loitsch an und setzte sich über Oberlaibach nach Laibach fort. 2)
16. quer durch die istrische Halbinsel führte endlich eine Post-
strafse von Aquileia nach Tanatica bei Fiume am Golf von Quarnero.
Der Abstand betrug 76 MiUien ; für die Pafshöhe fehlen nSlhere Angaben,
doch kann sie einige hundert Meter nicht übersteigen.
Nach dieser Uebersicht entfallen auf die Westalpen 4, darunter 3
fahrbare Strafsen; auf die Centralalpen vom M. Blanc bis zu den Tauero
8, darunter mindestens 2 (JuUer und Brenner) fahrbar; auf die Ost-
alpen 4, von denen die beiden letzten sicher fahrbar waren. Es kann
mit allem Fug bezweifelt werden , ob die Alpen in ihrer Gesanuntheit
zu irgend welcher Zeit bis auf das Ende des vorigen Jahrhunderts hinab
in gleichem Mafse erschlossen und zuganglich gewesen sind wie unter
der Herrschaft der römischen Kaiser. Das Mittelalter hat allerdings
einige neue Pässe eröffnet; aber es dauerte bis ins 13^ Jahrhundert,
bevor ein für das westUche Deutschland so überaus bequem gelegener
Pafs wie der Gotthard von Wanderern und Saumtbieren aufgesucht
wurde. Im Uebrigen hielt man sich an die von den Römern gebahnten
Wege, ohne sie wenn es nötig war auszubessern. Durch Verwahriosung
gerieten dieselben in eine Beschaffenheit, welche an den Gebrauch von
Wagen gar nicht denken liefs. Wir lesen vom Brenner dafs es 1480
hier Strecken gab, weiche der Reisende das Pferd am Zügel unter ud-
süglicher Anstrengung mit Angst und Zittern überwinden mufste, andere
Strecken, welche der schmelzende Schnee FrühUngs in einen reilsen-
den Giefsbach umgewandelt hatte. Die römischen Posthäuser waren
längst verschwunden, zahllose Zollschranken und Wegesperren an deren
Stelle getreten. Von Norddeutschland bis Rom brauchte man 70 Tage
1) GH. m p. 589 V p. 169. 936.
2) GIL.m p. 483. 572 V p. 75. 167. 935.
S 9. Wirtschaf L 167
und legte im Durchschnitt 4 d. Meilen des Tags zurück: etwa ein Fünf-
tel der Schnelligkeit, die sich im Altertum mit Mietsfuhrwerk erreichen
liefs, ein Fttnfundzwanzigstel der Schnelligkeit , die der eilig Reisende
gegenwärtig erreicht. Der Anfang der modernen Verkehrsepoche in
den Alpen reicht nicht yiel über ein Jahrhundert zurück. Eine Fahr-
straTse modernen Stils ward 1772 über den Brenner gelegt, dieSimplon-
strafse Napoleons I 1806 vollendet. Dann sind alle jene grofsartigen
Wegebauten gefolgt, welche vor Jahrzehnten als Wunder der Kühnheit
angestaunt, bereits verödet zu verfallen und dem Gedächtnifs des heu-
tigen Geschlechts zu entschwinden beginnen, seitdem 5 Schienenwege
die Eingeweide der Berge durchbohrend die Trennung Italiens vom
übrigen Europa aufgehoben haben. Als der piemontesische General-
stab 1840 sein Werk über die Alpen veröffentlichte, zählte er nicht
weniger als 25 Haupt- 98 fahrbare Nebenstrafsen nebst 121 Saum-
pfaden auf, welche die Verzweigungen des Gebirgs durchzieheu. Der
Abstand dieser Zahlen von den oben aus dem Altertum erbrachten er-
klärt zum guten Theil die Wandlung des Naturgefühls, welche sich in
der Gegenwart bezüglich der Alpen vollzogen hat. Der letzte Abschnitt
wird solches näher ausführen.
§9. Wirtschaft
Naturgaben, welche ihrer Seltenheit wegen als Kostbarkeiten ge-
schätzt werden, locken den Menschen aus dem Bereich der Civilisation
in die Wildnifs hinaus. Der Goldgräber hat dem Ackerbauer in Cali-
fornien und Australien, der Diamantengräber in Südafrica die Stätte
bereitet. Die nämliche Erscheinung begegnet im Altertum. Was die
Südländer zuerst zu massenhaftem Eindringen in die fremdartige ihren
Gefahlen widerstrebende Gebii^welt veranlafst hat, war das Gold.
Viele Alpenflflsse sind goldhaltig und werden noch jetzt in Piemont
ausgebeutet, obwol der Ertrag die aufgewandte Mühe nicht lohnt. Ehe-
dem harrte der Reichtum den die Natur aufgespeichert, seines Besitzers.
So wurden um die Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. in der Ge-
gend von Klagenftirt Goldfelder von seltener Ergiebigkeit entdeckt.
Die Schicht lag 2' unter der Oberfläche, hatte eine Mächtigkeit von 15'
und enthielt in nahezu gediegenem Zustand Körner von der Gröfse einer
Bohne. Die Italiker strömten herbei und erzielten im Lauf von zwei
Monaten einen derartigen Gewinn , dafs der Preis des Goldes in ganz
Italien um ein Drittel herunter ging. Schliefslich jagten die Ein-
gebornen die fremden Mitbewerber zum Land heraus. Auch bei den
168 Kap. in. Die Alpen.
Salassern an der Dora Baltea stand die Goldwascherei in BlQte und
fahrte zu unaufhörlichen Streitigkeiten mit den Bewohnern der Ebene. 0
Die Kelten genossen ob solchen Segens bei den Alten eines aufser-
ordentlichen Rufes und haben in der That, wie ihre umfassende
Goldprägung beweist, unter demselben gründlich aufgeräumt Seit der
Eroberung fuhren die Römer fort den verborgenen Schätzen der Alpen
mit Eifer nachzuspüren. MarmorbrQche werden erwähnt*); mancher-
lei Spuren bekunden, dafs auf Eisen Kupfer und andere Metalle gebaut
worden ist. Besonders begehrt waren Bergkrystalle, aus unzugänglichen
Felsspalten hervorgeholt, zu denen die Suchenden an Stricken sieb
herunter liefsen.^) Im Grofsen und Ganzen betrachtet, war jedoch und
ist der Mineralreichtum unbedeutend , kamen die Alpen in dieser Be-
ziehung vielen anderen Provinzen nicht gleich.
Nachhaltigeren Gewinn wufsten die ROmer aus der Bestellung des
Bodens zu ziehen und bewährten sich hier wie aller Orten als Meister
des Landbaus. Unter dem Schutz römischer Festungen nimmt der
Winzer und Gärtner vom Thal und Gelände Besitz: unter Augustus hat
der raetische Wein bereits den Ehrenplatz an der kaiserlichen Tafel
erobert.^) Es scheint ja als ob die Traube in ihren nördlichsten
Lagen die dufügste Blume entwickelt, und so gewann das Gewächs der
Alpen einen Vorrang, den es in der Folge an unseren deutschen Rhein
hat abtreten müssen. Um den Anfang unserer Zeitrechnung bedecken
sich die Ufer der lombardischen Seen mit Villen, entfaltet die Vcgeta*
tion jene märchenhafte Pracht, welche durch ihren Contrast zu der im
Rücken drohenden EiswOste bei dem Besucher doppeltes Entzücken
hervorruft. Derart hat sich die Cultur des Südens am Fufs der Alpen
rasch eingebürgert: ihrem weiteren Vordringen gebot das Klima halt.
Allerdings trug die Landschaft im Altertum wesentlich andere Züge,
als sie mit ihren zahllosen aus allen Erdtheilen eingeführten Cultur-
pflanzen dem Auge gegenwärtig darbietet. Auch wissen wir nicht, welche
Ausdehnung der Gartenbau in der Kaiserzeit gewonnen hat. Immer-
hin können die heutigen Höhengrenzen eine ungefähre Vorstetlang
von den Vegetationszonen gewähren, welche die Alten auf ihren
Reisen nach Gallien und Noricum zu durchschreiten hatten. Bis 200 m
1) StrabolV20S (nach Polybios) 205.
2) Plin. XXXVI 2.
3) PHd. XXXVn 23. 27 nach eigener Erkundung.
4) Suet. Aug. 77 Verg. Georg. 11 96 Gol. RR. in 2 Plin. XIV 16. 26. 41. 67.
S 9. Wirtschaft. 169
steigt die immargrOoe Eiche {quercu9 tter), der Johannisbrotbauin (eero*
tmia $ib*qua) nnd in der Nfthe des Meeres sowie an einigen Seen durch
besondere Vorkehrungen geschtltzt der Citronen- und Pomeranzen-
banm (eHms mediea eeita und citrus aurantium amamtn). Unter den
gleichen Ausnahmeverblltnissen findet sich der Oelbaum (o/ea europaea)
bis 500m. Weinstoek {oiti$mnifera\ Maulbeerbaum (inon»aIAa), Weifs-
vnd Zitterpappel (foptcAcs dlba^ pofuhii iremuh) reichen bis 700 m;
WaUnnfs {iughns regia) und Kastanie (eastanea vesea) bis 950 m ; die
Lamberts- (lombardische) Nurs (caryluBaveHana) bis 1 100 m ; die Stein-
eiche {ijuereHi rofntr) bis 1200 m. Mit einer Erhebung von 700 m
nimmt die im grofsen Stil betriebene Baumzucht ihr Ende; der Ge-
treidebau erstreckt sich ungefähr bis 1000 m aufwärts. Dann folgt
Laubwald bis zu 1600 m: und zwar Buchsbaum {buxu$ iempervirens)^
Esche ifraxinus exceisiin) , Vogelbeerbaum (sorhus aueuparia) , Stech-
palme {Hex aquifolium)y Hainbuche (earpinusbetulue), Ulme («AiitMcam-
pestrie) bis 1400 m, Erle (alnusghuinoea) und Eibenbaum (taxusbuecaia)
bis 1500 m, endlich Ahorn (aeer eampestre und aeer peeudoplatanus)
nebst Buche (/a^^s^/iHirtM) bis 1600 m. Noch höher hinauf, bis 1800 m,
geht die Birke (betnla Mo), um endlich den Nadelhölzern die alleinige
Herrschaft zu überlassen. Unter den verschiedenen Arten derselben
erreichen die Kiefer oder Föhre (pinus stfoes/m), die Arve (piwus
cembra)^ die Krummholzkiefer (pinus tnugho)^ die Fichte oder Rottanne
{pinus abies) 1900 m, dagegen die Edeltanne (pinus picea) und die
Utrche (pinus Utrix) 2100 m. Nunmehr weicht der Baumwuchs nie-
drigem Gestrtlpp, die Alpenrose (rhododendrtm ferrugineum) schmückt
die Halden. Aber allmäiich macht die Grasdecke den Moosen und
Flechten Phitz , die zur vegetationslosen Schneeregion hinUberleiten.
Die gröfste Veränderung hat das Hochland durch Rodung des
Waldes erlitten. Es zeichnet sich ja noch immer durch den stolzen
Wuchs seiner Tannen aus. Aber Baumriesen wie das Altertum sie
schaute, kommen dem heutigen Geschlecht nicht mehr zu Gesicht. Un-
ter Tiberius' Regierung ward ein aus den raetischen Alpen stammender
Balken in Rom ausgestellt, der bei 2' gleichmäfsiger Dicke 120' lang
war (0,60X36 m).^) Nach einer Berechnung aus dem J. 1840 betrug
die Waldfläche an der italienischen Seite nahezu ein Fünftel des Ge-
sammtareals 12047 Okm, davon 3887 Dkm Hochwald; docti mufs sie
im Altertum eine viel gröfsere Ausdehnung eingenommen haben. „Wäh-
l)inin.xyil90.
170 Kap. m. Die Alpen«
rend die Gipfel und Kflmme, schreibt Polybios^), ganz baumlos und
kahl sind, da der Schnee unablässig Sommers und Winters liegen bleibt,
tragen beide Abhänge Wälder und Gebüsch und sind durchaus bewohn-
bar.^ Seit der Eroberung beginnt die Cultur ihren Vernichtungskrieg
gegen den Urwald. Das weitverzweigte Flulssystem erleichterte den
Angriff. Die Stämme wurden nach den Lagimenstädten Altinum Atria
Ravenna hinunter geflofst, die auf Pfahhrosten erbaut wie Amsterdam
oder Venedig Unmassen verschlangen. 2) Von hier wurden sie auch nach
Rom verschifft, dessen Bedarf wegen der ewigen Brände und Neubau-
ten nach immer neuen Bezugsquellen ausschauen hiefe. Wo aber in
den Bergen die örtUche Lage die Ausfuhr der Stämme verbot, da arbei-
tete die Theerscbwälerei an der Verminderung des Bestandes: Theer
Pech und Kienfackeln gehörten zu den wichtigsten Handelsartikeln der
Alpen. •'^) Mit dem Urwald sind auch so manche Bewohner desselben ver-
schwunden. Polybios lernte noch wie es scheint den Elch auf der ita-
lischen Seite kennen, von dem Caesar erst aus dem Hercynischen
Wald am Nordabhang erfuhr.^) Unbestimmt ist auch von wilden Pferden
und Rindern die Rede.^) Plinius erwähnt Rehe Gemsen Steinbocke
Schneehasen Murmellhiere, allerlei Federwild wie Schneehtlhner Berg-
dohlen Wasserraben. ^} Indessen hatten die Römer zu wenig Freude an
der Jagd um uns ein ausreichendes Bild von der damaligen Alpen-
fauna zu hinterlassen.
Neben der Waldwirtschaft trat die Viehzucht selbstverständ-
lich in den Vordergrund. "0 Der Rinderschlag fiel durch sein kleines
unscheinbares Aussehen auf, zeichnete sich aber dafür durch reichen
Milchertrag aus.^) Der Alpenkäse erlangte schon damals Ruf: einer
der besten Kaiser die je auf dem Thron gesessen, Antoninus Pius fand
seinen Tod, weil er im siebenzigsten Jahr ihm zu eifrig zusprach. >) Es
ist merkwürdig, wie schnell der Romanismus diese nordischen Lebens-
formen und diese abgelegenen Thäler ergriffen hat: unter Gaudios
1) m55,9 Herodian Vm 1 , 6 {rj 'IzaXla) axinszai 6h vkatg öaaslmfxal
nvxvatg Plin. XXXI 43.
2) VitruvDO, 16 PHn.XVI66. 190.
3) Strabo IV 207.
4) Pol. bei Strabo IV 208 Gaea. VI 27.
5) Strabo IV 207.
6) Plin.Vini32.214.217 X56.133fg.
7) Glandlan b. Get. 319 nulla Lyaei poeula, rara Ceres,
8) PUn.Vni 179.
9 lul. Gapit 12 vgl. Strabo IV 207 Plin. XI 240 Galen VI p. 697 KOiiD.
f 10. Natargeftthl. 171
dritogen sich die Aelpler uDrechtmäfsiger Weise in die Reihen der kai-
serlichen Garde wie in späteren Jahrhunderten die Schweizer um den
Stohl von St. Peter. 0 Die Herrschaft des romanischen Idioms labt
äch noch heutigen Tages im deutschen Sprachgebiet nachweisen:
manche Ausdrücke der Sennerei^ populäre Pflanzennamen, ein Drittel
aller Namen von Almen in Deutschtirol verraten romanischen Ur-
sprung.^) Alle diejenigen Zttge welche nach unserer Anschauung diese
Wirtschaft kennzeichnen, die dürftige Verpflegung, das harte Lager,
der Schmutz, den der Wanderer in einer Sennhütte {Alpina eata) an-
trifft, das Schellengeläut, das Alphorn, der Jodler lassen sich aus dem
Altertum bellen. ^) Der Ack erbau mufste sich den beschränkenden
Bedingungen des Bodens und Klimas anbequemen: ein besonderer
Pflug war in Gebrauch^), Dreimonatsweizen ^) wurde gebaut sowie
Ro(^en, von dem PUnius in den verächtlichsten Ausdrücken redet.®)
Endlich zeugt die Ausfuhr von Wachs und Honig in vorromischer Zeit
TOD der alten Blüte der Bienenzucht.'^)
§ 10. Naturgefühl.
Der Wechsel von langen harten Wintern und kurzen vergänglichen
Sommern giebt dem Leben in den Alpen sein eigentümliches Gepräge.
Oder wie ein Engadiner sich ausdrückt^) : „wir haben nur drei Jahres*
Zeiten, einen soliden langen Winter von Mitte November bis Ende
April, einen Frühling bis Ende August und einen zwei einhalb Monate
langen Herbst — der Sommer mit den reifen Gaben der Ceres und
den Hundstagen fehlf Die Ordnung der Jahreszeiten, an welche das
Sem und Denken des Altertums gebunden war, verkehile sich hier in
1) aLV5050, 31.
2) Jang, RomaniBche Landschaften des Römischen Reiches, Innabraek 1881,
p. 427.
3) Glandian b. Get. 350 fg. Acta Sanctonun zum 29. Mai p. 38fg. vgl.
JoDg a. 0. 425. Die Bedeutung der Nonsberger Märtyreracten scheint mir doch
in Tirol überschätzt zu werden. Aus den erbaulichen Erzählungen wie drei
Missionare 397 von fanatischen Bauern umgebracht wurden, „eine alpine
Bauemidylle, wie sie in römischer Zeit sich abgespielt hat' herauszulesen
vennag ich nichL
4) Phn. XYlü 172.
5) Plin. XVni 69. 240.
6) XVni 141 mit Spelt zur Polenta vermischt et tarnen Hc quoque ingra-
veniri est
7) Strtbo IV 207.
8) Dr. Ludwig in DenUche Rundschau XVI 460.
172 Kap. DI. Die Alpen.
das Gegenlheil. Wol haben die Römer in den Thfliern nach Kräften
sich hXusUch einzurichten gesucht, niemals mit der nordischen Natur
sich ausgesöhnt. Im Gegensatz zu den heutigen Touristen welche An-
gesichts der grOnen blumigen Matten, der frischen lebendigen Wasser
ganz vergessen , wie eng und dumpf das Dasein dem Bergbewohner
vergeht , welch schweren Kampf er mit seiner Umgebung zu kämpfen
hat, heben die AHen nur die unholde Kehrseite des Bildes hervor. Sie
betonen dafs Bacchus und Ceres ihre Gaben versagen. Sie wissen
dafs die Leute durch Kröpfe entstellt sind und führen diese Krankheit
auf das Trinkwasser zurück. 0 Sie malen die Gefabren, welche dem
Wanderer auf den Hochpflssen drohen, mit grellen Farben. „Viele,
singt der Dichter^), als ob sie das AntHtz der Gorgo geschaut, erstarrten
vor Kalte, viele versanken in tiefen Schnee, oftmab verschlang der weifee
Abgrund Wagen und Gespanne, bisweilen auch stürzte der Berg durch
einen Eisrutsch plötzlich zusammen und der Boden versagte, von feuch-
ten Südwinden unterhöhlt.^ Aus freien Stücken suchte Niemand diese
Einöde auf und auch beherzte Manner, die ihr Weg hinüber führte,
Soldaten wie Kaufleute, wappneten das Herz gegen die Schrecken durch
Gehlbde an die Gottheit (S. 160). Die ganze antike wie mittelalteriiche
Litteratur betrachtet die Wildnifs der Alpen mit Unlust oder Grauen.^)
Livius der am Fufs derselben geboren war , giebt den Eindruck den
Neulinge aus dem Süden empfanden, in folgenden Worten wieder^):
„Obwol die Fama, welche unbekannte Dinge stark zu übertreibeD
pflegt, sie vorbereitet hatte, so wurden sie doch von neuem Schreckea
ergriffen, als sie aus der Nahe die Höhe der Berge erblickten, den fast
zum Himmel reichenden Schnee, die unformlichen Hütten an den Fels-
wänden , die durch Kalte verkümmerten Schafe und Binder, die unge-
schorenen verwahrlosten Menschen, die ganze lebende und leblose
Natur von Frost starrend und alles Andere, wodurch das Auge mehr ver-
letzt wird als das Ohr.^ Es wäre die Aufgabe der Forschung gewesen
diese verstandliche Abneigung zu überwinden : indessen dafür fehlte
dem Homer jegliche Anlage (S. 18 fg. 22). Wenn ein hellenischer Fürst
über Italien geherrscht hatte, würden unsere Berichte über die Alpea
1) luv. Sat. 13, 162 piü ktmidum guitur näraiur in Alpibtu? Vitrov VID
3, 20 PliD. XXXVn 44.
2) Glaadian b. Get 340 fg.
3) L. Friedlinder, über die Entstehang and Entwicklang des GefBhls ßr
das Romantische in der Natur, Leipzig 1873; vgl. Oeblmann a. 0. III, 171
4) Bei Gelegenheit von Hannibalt Uebergang XXI 32.
f 10. NatargefühL 173
minder einsilbig geklungen haben. So aber beschranken sich die Be-
richte auf die Joche, welche die Heerstrafeen aufnahmen, bleiben stumm
wie das Grab in Betreff aller jener Gipfel, deren Namen uns schon auf
der Schulbank geläufig werden, bringen über ihre Erhebung heillosen
Uosion Tor (S. 20). Freilich war die ganze Weltbildung, welche die
Hellenen gestaltet haben, im Bann des Heeres und der Ströme befangen.
Von Herodot bis auf Pausanias wird man die Namen Nil und Donau
wol hundertmal häufiger antreffen als den der Alpen. Erst die moderne
Naturforschung hat das Verständnifs des Gebirgs erschlossen. Es ist
ja noch kein Jahrhundert her, dafs Saussure den Hont Blanc bestie-
gen hat, und nicht viel länger dafs dem civiUsirten Menschen der Sinn
ftlr die Erhabeabeit in der ?btur aufzugehen begann. Hand in Hand
mit der Anlage zAUoser bequemer Strafsen , der Steigerung des Ver-
kehrs, dem Fortschritt der Forschung sind die Alpen in den Brenn-
punct des landschaftlichen Interesses von Eiuropa gerückt Die kind-
lidie Furcht, mit welcher Altertum und Mittelalter vor ihnen zurück-
schauderten, schreckt uns nicht länger seitdem wir keine blinden
Natnrkräfte kennen , sondern auch in der Einöde von einem gesetz-
mäfsigen Walten uns umgeben wissen. Von einem Einfluß der Alpen
auf das geistige Leben kann deshalb erst für die jüngste Zeit gesprochen
werden. In den voraufliegenden Jahrtausenden stellten sie lediglich
die grofse Schranke dar, welche Nord und Süd trennt, beiden eigene
Bahnen der Entwicklung angewiesen hat.
KAPITEL IV.
Das Poland.
Den glücklichen Ausdruck Strabons, welcher Siciiien fttr eine
Zugabe (Tt^oa&iJKri) Italiens erkUtrt, hat Ritter auf die Poebene Über-
tragen und dieselbe als Gegenstück zu jener maritimen die continentale
Zugabe der Appenninhalbinsel benannt.^) In physischer wie histori-
scher Hinsicht vermitteln beide den Uebergang, das eine nach Griechen-
land und Nordafrica, das andere nach dem Inneren unseres Gontinents.
Wie die nach drei Weltgegenden schauende Insel in Mitten des Meeres
den gewiesenen Kampq[>reis der SeeTOlker darstellte, so haben um den
Besitz der am Fufs der Alpen hingelagerten Ebene Nord und Sud in
alter und neuer Zeit gerungen. Von beiden ist sie durch Gebirgswälle
geschieden, und obgleich der Appennin entfernt nicht dieselbe Bedeu-
tung als Volkergrenze wie die Alpen hat, so fehlt doch ein Band, wel-
ches Halbinsel und Poland natürlich mit einander verbände. Die grofse
Lebensader des letzteren fliefst nach Osten , die natürlichen Verkehrs-
wege laufen nach dieser Richtung und sind erst künstlich nach Süden
abgelenkt worden. Demgemafs hat auch die älteste Berührung mit der
Cultur im Osten an der Küste statt gefunden. Nach einer SchifTer-
sage beanspruchten die Phokaeer aus Kleinasien den Ruhm wie den
übrigen Westen so auch das Adriasland entdeckt zu haben.') Von hier
holten sie den hochgeschätzten Bernstein, der den langen Weg von der
baltischen Küste vermittelst Tauschhandels von Volk zu Volk zurück-
gelegt hatte. In der kindlichen Weise früherer Jahrhunderte wurde der
Verkehr durch die Legende von Phaethon und dem Bemsteinflufs Eri-
danos ausgedrückt, s) Die Schwierigkeit der Fahrt auf der von Stürmen
(S. 94) und Piraten heimgesuchten See hat den Verkehr ungemein behin-
1) Europa^'p. 311, Vorlesungen herausgegeben von Daniel, Berlin 1863.
Strabo VI 286.
2) Her. 1163; tiber den Sprachgebrauch S. 91.
3) Ueber den Bernstein s. Helbig a. S. 151 A. 1 a. 0.
§ 1. EntstchQDg. 175
dert: damit mag es zusammen hängen, dafs das leuchtende Harz in der
Blütezeit hellenischer Kunst keinerlei Verwendung findet und viel von
seinem ehemaligen Ansehen eingebttfst zu haben scheint. Bei den
Sfhriltstellem des fünften Jahrhunderts verschwimmt das Bernstein-
land in derselben duftigen Ferne wie das Silberland TartessosJ) Zu
Anfang des nächsten Jahrhunderts nimmt der hellenische Handel nach
den Pomflndungen einen neuen Aufschwung: er gilt für ebenso reich
an Gewinn als reich an Gefahr, und laut einer ertialtenen Urkunde
beabsichtigen die Athener 324 zu seinem Schutz eine Stadt an der
adriatischen Kttste zu gründen, wie vordem Syrakus Ancona gegründet
hatte. 2) Je mehr die Hellenen aus der tyrrhenischen See durch Kar-
thager und Italiker verdrängt wurden, desto eifriger verdoppelten sie
ihre Anstrengungen um an der Adria das Verlorne zurück zu erobern.
Die Politik des Dionys und Agathokles hat dies Ziel vor Augen. Von
einem erfolglosen Versuch des spartanischen Königs Kleonymos 301 bei
Padua sich festzusetzen meldet die Tradition dieser Stadt. s) Wenn die
hellenische Colonisation in der Periode der nationalen Kraft sich auf
Venetien geworfen , so hätte sie wol Fufs fassen und der Geschichte
Europa's eine andere Wendung geben mögen. Aber damals war ihr
Strom an dem adriatischen Winkel vorbei nach Westen gerichtet und
erachOpfte sich jetzt in der Bewältigung des Ostens: der Welthandel
folgte der grofsen Axe des Mittelmeers und konnte nur in Nebenarmen
nordwärts abzweigen. Immerhin haben die Hellenen die Cultur an die
Pomttndungen verpflanzt, einen Gegensatz zwischen der civilisirten
Kflste und dem zurückgebliebenen Binnenland hervorgerufen, der be-
deutsam in die Geschichte eingriff. Als die Kelten 390 v. Chr. auf den
Trünunem Roms lagerten und im Herzen der Halbinsel sich einzunisten
drohten, war es ein Einfall der Veneier, welcher Latium vom Unter-
gang rettete. In allen Wechselten des mebrhunderljährigen Kampfes,
den Italien gegen die nordischen Eindringlinge führte, haben die Ve-
neter sich als die wertvollsten Bundesgenossen bewährt, durch ihren
Beistand die Eroberung des Pothals ermöglicht.
Die continentale Hälfte Italiens erscheint in ganz anderem Sinne
eine Zugabe der Appenninhalbinsel zu sein als Sicilien. Sie überragt
letzteres an Ausdehnung (2400 D Meilen) um mehr als das vierfache,
kommt der Halbinsel (2600 D Meilen) nahezu gleich und läfst solche
1) Her. in ii5 vgl. |3 Anfang.
2) Bdckb, Staatshauskaltnng DI 457 fg.
3) Liv. X 2.
176 ' Kap. IV. Das Poland.
aji Fruchtbarkeit weit hinter sich. Durch den Erwerb Siciliens trat
Rom in die Reihen der grofsen Seemächte des Mittehneers ein; durch
die Colonisation des Polands wuchs es an den Stamm unseres Erdtheils
unauflöslich an, ward im vollen Umfang des Worts eine europäische
Macht Wie der Januskopf auf seinen Münzen bat Roms Politik immer-
dar dieses doppelte Gesicht gezeigt Ritter bestreitet dem Poland den
italischen Ciiarakter. In einer derartigen Behauptung äufsert sich der
Einflufs einer Vergangenheit, welche diesseit der Alpen nicht minder
drückend lastete als jenseit, welche die heiligen Rechte der Nationen
einer künunerlichen Staatskunst zum Opfer brachte. Es ist richtig dals
das Poland der Halbinsel als eine natürliche Einheit gegenüber steht,
dafs die natürliche Hauptstadt desselben Mailand in unseren Tagen wie
oftmals seit Diocletian erfolgreich mit Rom wetteifert Aber wer konnte
verkennen, dais beide Theile durch me mehr als zweitausendjährige
Geschichte so innig verbunden sind als der deutsche Osten mit dem
Westen irgend sein kann? Das Colonistenland am Fufs der Alpen bat
nicht nur die welterobernden Legionen Caesars und Augusts gestellt,
auch der lateinischen Lilteratur eine Anzahl ihrer höchsten Zierden
— Catull Vergil Livius die beiden Plinius — , hat nach langer Spaltung
und Knechtschaft die Schöpfung des neuen Italiens erkämpft. Die phy-
sische Reschaffenheit desselben soll im Folgenden geschildert werden J)
§ 1. Entstehung.
Es ist ein Flufsland in der umfassendsten Bedeutung des Worts:
den Flüssen verdankt es seine Entstehung, den unerschöpflichen Reich-
tum seines Bodens, die hohe Blüte seiner Cultur ; der Lauf des Wassers
greift hier vielseitiger und tiefer in das Leben ein als anderswo. Wer
von einem Kirchthurm oder einem anderen hochgelegenen Puncteaos
Umschau hält, sieht ringsum eine weite Fläche, die sich gegen die ein-
1) Zu Grunde gelegt sind die Schriften des berühmten Hydrauliken
E. Lombardini, besonders dessen Beiträge in den notizie natural! e dTÜi so
la Lombardia von G. Gattaneo, Milano 1844, herausgegeben. Ders. della cod-
disione idrauKea della pianura snbapennina fra TEnza ed il Panaro, Mil. 1865.
Ders. atudi idrologici e storid sopra il gfande estaario Adriatico, i fiomi che
vi confluiscono e principalmente gli Ultimi tronehi del Po. Blil. 1868. 4.
L. Debartolomeis, oro-idrografia deir Italia, Milano in dem Sammelwerk I'Italia
das Vallardi herausgiebt, ist namentlich § 3—5 benutzt; endlich die anzieheode
Darstellung von l^Usie Reclus, l'Europe m^ridionale p. 31 7 fg., Bameotlicb f 1
und 2. Die Gröfsenangaben sind nach den neaesten Berechnangeo des stati-
stischen Bureaus (mitgetheilt im Annnario statistico 1881) revidirt worden.
§ 1. EnUtehoBg. 177
faxenden Gebirgsketten der Alpen und des Appennin bestimmt ab-
hebt Ibr Inhalt betrügt ungefähr 42600 Dkm (775 O Meilen), den
dritten Theil der für die gesammte Nordhälfte angenommenen GrOfse«
Die Fläche hat eine doppelte Neigung: einmal senkt sie sich von W
nach 0 dem Meer zu, zweitens faltet sie sich ?on N nach S und von S
nach N der Mitte zu« Die Bodengestaltung wird durch die Thatsache
erklärt dafs diese Ebene einstens ein Busen der Adria gewesen ist Da-
mals hing die Appenninhalbinsel nur an dem schmalen Band der See-
alpen mit dem Continent zusammen. Tiefe Fjorde drangen zungen-
artig in die Steilküste ein ; sie haben sich seitdem in Süfswasserseen
umgewandelt. Die Entstehung der italienischen Seebecken läfst nur
im angegebnen Sinne eine beflriedigende Erklärung zu ; ja man will
sogar in ihrer Fauna ein Zeugnifs für jene Metamorphose gefunden
haben« 0 Die Fjordbildung setzt die Mitwirkung gefrornen Wassers
voraus und eignet deshalb höheren Breiten. In der That mub in der
Periode, von der wir reden, am Südabhang der Alpen ein Klima ge-
herrscht haben, das an das heutige Klima Grünlands gemahnt Gletscher
von einer Ausdehnung, fUr welche nur die Polargegenden Analogien
bieten, ergossen sich in das Meer hinab. Die Moränen, die sie fortge-
schleppt, gestatten ihren Lauf genau zu verfolgen und zu umgrenzen. >)
Aber am deutlichsten offenbart sich die physische Geschichte des grofsen
Tieflands aus der Zusammensetzung des Bodens selbst. Er besteht
überall aus Schichten von Thon Lehm Sand Kies Geröll, dergleichen
die Flüsse ablagern, wenn sie in Landseen oder bei ihrer Mündung ins
Meer zur Ruhe kommen. Und zwar ist das Geschiebe in der Nähe des
Po und des Meeres feiner, in der Nähe des Gebirges grüber: wie denn
auch die Felder am Po ganz lehmig, am Fufs der Alpen sandig und
voller Steine sind. Unter dieser Aufschüttung hat man stellenweise
in der Tiefe von 20 m Bildungen angetroffen, die den Einflufs des Meer-
wassers deutlich bekunden. Ueber die Mächtigkeit der Schuttmassen
im Allgemeinen läist sich nichts Bestimmtes sagen; denn die Boh-
rungen haben nirgends gewachsenen Felsgrund erreicht Wollte man
annehmen dab Alpen und Appennin unterhalb der sichtbaren Ebene
sich mit demselben Winkel abdachen wie oberhalb, so würde der Fels-
1) Vgl. 0. Peschel, Die FJordbildungen ia Neue Probleae der YergleicbeQ-
den Erdkunde, Leipz. 1870, p. 19.
2) Antonio Stoppani, Tera neozoica ossia descrizione dei terrent glaciali
c delle antiebe alloviom ditalia, Milano 1880, zweiter Thell der Geolegfa
ditalia in der oft erwalmteB Eneydopaedie.
HiiitB, Itat LudadnukU. I. 11
178 Kap. IV. Das Poland.
gnind in der tiefsten Einsenkung bei 1260 m unter der OberflXche
zu suchen sein. So unsicher auch diese Ziffer erscheint, so massenhaft
ist doch auf alle Fälle der Schutt von den Bergen herabgekommeo,
mit dem die Giefsbäche Gletscher und Lawinen das padanische Meer
ausfüllten. Femer leuchtet sofort ein, dafs die Alpen die weitaus
grofsere Hälfte jener Schuttmassen geliefert haben. Daraus folgt dafs
die niedrigste Einsenkung, welche Tom Polauf eingenommen wird,
nicht der räumlichen MitteÜinie entsprechen kann, sondern nach Süden
Torgeschoben in mehrerer Nähe des Appennins sich halten mufs.
Polybios beschreibt die Ebene als ein Dreieck , dessen Basis vom
Meer, dessen Schenkel, der kürzere Ton den Alpen , der längere vom
Appennin dargestellt werden. Das Bild, welches unsere Karten wieder-
geben, erinnert nur von weitem an eine so einfache geometrische Fi-
gur. Es weist verschlungene Umrisse und innerhalb derselben eine
reiche Abwechslung von Anhöhen und Niederungen auf. Verschiedene
Ursachen haben dazu beigetragen die Einförmigkeit des Tieflands zu
durchbrechen. Jenes vorwelttiche Meer umspülte Inseln und Vorge-
birge. In die erstere Kategorie gehören die tertiären Hügel von Mont-
f errat und Asti östlich von Turin, die 5 — 700 m hoch vom Po in grofsem
Bogen umflossen und durch das Thal des Tanaro von der Hauptkette
geschieden sind ; hierher gehören die Euganeischen Hügel (577 m) süd-
lich von Padua und manche vereinzelte Kuppen , die abgesondert vor
dem Gebirgsstock liegen. Andere Erhebungen, die aus der Ebene auf-
steigen, sind möglicher Weise auf ehemalige Untiefen und Sandbänke
zu beziehen, falls das Zurückweichen des Meeres mit einer säcularen
Hebung Hand in Hand ging. Auch die Gletscher haben bedeutsam auf
die Plastik des Landes eingewirkt. Die abgestofsenen Eisschollen ver-
streuten hausgrofse Steinblöcke über den Meeresgrund; durch die
Moränen wurden Hügelketten gebildet, die an Höhe dem Subappennin
gleichkommen. Vom Isonzo in den Kärntner bis zum Tanaro in den
Ligurischen Alpen findet sich kein Thal, das nicht Spuren solcher Thä-
tigkeit aufzuweisen hätte. Die Gröfse dieser Gletscher hing von der
Ausdehnung und Höhe der Gebirgsmassen ab, deren Schnee durch sie
abflofs. Sie war deshalb im östlichen Theil der Alpen geringer als in
dem mittleren und westlichen. Die Graischen und Poeninischen Alpen
vom Gran Paradiso bis zum Monte Rosa entsandten einen Gletscher
von 130 km Länge, dessen Ende in der Ebene unterhalb Ivrea durch
einen Halbkreis von Schutthügeln bezeichnet wird^ die 330 m ja sogar
650 mdas heutige Thal der Dora Baltea überragen. Die Kette vom
ar
% 2. Die Seen. 179
zum Stilfser Joch entsandte den Zwiliingsgletscher von
. ^a, der in mannichfacher Verzwei^ng die Vorberge um-
'l^^ *'en des Langen-Luganer und Comer Sees ausfüllend«
*:i^ m 150 und 190 km erreichte. Hiergegen tritt der
Hscher des Oglio zurück und doch messen seine
.^ lohe. Unter allen der gröfete war der Gletscher
^ '^ Oetzthaler Femern bis zu seiner Endmoräne
%
'ber nahezu 280 km erstreckte.
^, ^. ^ • Die Seen.
*^ V-
^chläge arbeiten unablässig daran alle
'^ '^^ ^ auszugleichen. Die Kräfte welche vor
^^y uefen Spalte zwischen Alpen und Appennin
fVerk noch immer fort. Wir sehen die venetische
^digem Vorrücken begriffen: die Flüsse vermindern
.ü Schlamm die Tiefe vor den Mündungen, Wind und Wellen
.cu eine Düne auf, die seichte Lagune, die sie absperrt, wird durch
weitere Ablagerungen in einen Sumpf, dieser zuletzt in Festland ver-
wandelt Die Veränderungen welche hier in historischen Zeiten ein-
getreten sind, sollen späterhin erwogen werden. Ein Hinweis an dieser
Stelle genügt um die Thatsache zu erläutern , dafs auch von der Küste
entfernt die Einebnung und Austrocknung der Sumpf- und Seebecken
beständige Fortschritte gemacht hat. Vor allem lenkt der Gürtel Ueb-
iicher Seen, der den Abhang der Alpen schmückt, unsere Aufmerksam-
keit auf sich. Jene senkrecht oder unter steilen Winkeln gabelförmig
in das Gebirge eindringenden Schluchten sind entstanden , als dieses
sich hob; denn durch die Spannung ward notwendig der Zusammen-
bang der aufsteigenden Schichten zerrissen. Die Gletscher welche als-
dann die Spalten in Besitz nahmen, verhüteten deren Ansftlllung durch
den Schutt der umgebenden Gehänge und erweiterten sie: derartige
EisstrOme zeigen stets das Bestreben ihr Bette zu verliefen oder nach
einem geläuflgen Gleicbnifs auszupflügen. Durch solche Vorgänge
erhielt die padanische Steilküste ihre zerrissenen und zerfetzten Um-
risse, die zum Vergleich mit arktischen und antarktischen Erdräumen
auifordern. Zwei Umstände bestätigen die Erklärung der lombardischen
Seen als ehemaliger Fjorde: einmal der Umstand dafs ihr Grund ver-
schiedentlich unter den jetzigen Meeresspiegel sinkt, zweitens der Um-
stand dafs ihre grOfste Tiefe sich in der Mitte, nicht am Ausgang be-
findet Als nämlich die Temperatur Europa's stieg und die geologische
12*
180
Kap. iV. Dm Poltnd.
Periode , die wir die Eiszeit heUsen , von der gegenwUrtigen abgelöst
ward, mufsten die Gletscher sich zurück ziehen und verstopften mit
ihrem Geröll die Verbindung zwischen den Fjorden und dem Meer:
durch ihre Ablagerungen ward auch das Endstück der Fjorde erhöht,
wahrend der Mittelabschnitt davon unberührt blieb und die anfäng-
lichen Formen getreuer bewahrte. Durch die Milderung des Klima
wurden die Eisströme schliefslich in die oberen Alpenregionen verbannt
und die tiefen Aushöhlungen, welche sie bis dahin veiiittllt hatten, vom
Süfswasser eingenommen. Ihre Nachfolger die Flüsse sind eifrig be-
müht diese Seebecken auszufüllen und haben damit auch in historischen
Zeiten bemerkenswerte Veränderungen hervorgebracht. Der gegen-
wartige Bestand der gröfseren Seen wird folgender Mafsen berechnet <):
Lago
Mittlere
Mittlere
Mitteltiefe
Gröfste
Ännähero-
Oberfläche
Meereshöhe
Tiefe.
der Inhalt
Qkm
m
.
m
lOILOBUka
di Orta
14
342
150(?)
250 (?)
2100
Verbano
200
195
210
800
44000
di Varese
16
235
10
26
160
di Lugano
49
272
150
161
7200
Lario
156
199
247
588
35000
Sebino
60
192
150
298
9000
di Idro
14
378
122(?)
Benaco
361
69
150 (?)
294 (?)
45000(7)
Seit dem Altertum bat sich ihr Umfang wie ihre Tiefe bedeutend
vermindert. Auf der Reise nach Graubünden ward der Larius ehedem
von Como bis Summui locus Samolaco in der Ausdehnung von 60 Mil-
lion 89 km — wie herkömmlich aber um den dritten Theil zu hoch
angenommen wurde — befahren. >) Jetzt betrügt die Länge des Sees
nur 48 km, da die Adda mit ihrem Schutt die nördliche Spitze abge-
schnitten und zu einem selbständigen See, Lago di Mezzola gemacht,
ferner die Maira ein grofses Stück desselben ausgefüllt hat Noch im
17. Jahrhundert war die Verbindung zwischen beiden nicht vollstän-
dig aufgehoben , während der trennende Landrücken nachgerade auf
t) Nach Reclat p. 329 mit Gorrectucen nach dem Anonario ; die alteren
Aogaben bei Lombardini weichen davon merklich ab.
1) It Ant p. 279 Üb. Peat. Gassiodor Ttr. XI 14. Gate bei Sern»
V. Georg. II 159.
§ 2. IMe Seen. 181
4 km Breite angewachsen ist, der Ort Samolaco aber im Binnenland
16 km vom Anfang des Larius entfernt liegt Die Tiefenmessung hat
ergeben, dafs der Seeboden in dem nördlichen und östlichen Arm
dortb die Ablagerungen der Adda ganz eingeebnet ist, dagegen in dem
?0D Flüssen unberührten Arm von Como ansehnliche Niveauunter-
schiede aufweist. Freilich bleibt die grObte Tiefe volle 150 m über
der Einsenkung, welche nach dem Profil der Randgebirge Ursprung-
lieh vorauszusetzen ist Aehnlich ergeht es dem Lago Maggiore. Im
Lauf des Mittelalters ist der Tessin um mehrere Kilometer vorgerückt
und die Maggia hat schon ihr Delta so weit vorgeschoben dafs sie in
absehbarer Frist die Nordspitze, den Golf von Locamo in gleicher
Weise abtrennen wird, wie dies am Comersee geschehen. Derselbe
Fall ist an dem westlichen Arm mit den Borromeischen Inseln bereits
eingetreten: er umfafste ehedem den kleinen See von Mergozzo, den
die Toce und Strona mit ihren Anschwemmungen eingeschlossen und
zur Ausfüllung bestimmt haben. Wenn man auf die alten Wasser-
nuffken aus vorhistorischen Epochen zurückgreift, so standen einst
alle diese Seen der Orta Maggiore Varese Comabbio Monate Biandrone
Lugano Como nebst denjenigen der Brianza in Zusammenhang. Die
Gletschennorftnen verhinderten diesen abgesperrten von Sunden und
Inseln erfüllten Meerestheil der zurückweichenden Bewegung der Adria
zu folgen. Er konnte erst abffiefeen, nachdem die Strome ihre Betten
100 m und tiefer in die Schuttwjllle hinein genagt hatten, und ward
dann allmfllich auf die Einsenkungen beschränkt, die wir jetzt vor uns
sehen. So enthüllt der Naturforscher, der uns durch den Garten der
Londlrardei geleitet, die Verganjgenheit dieser sonnigen Ufer unseren
Blicken. Er zeigt sie in Eis und Schnee gehüllt dafs das Auge — wie
es dem Polarreisenden zu gehen pflegt — nicht zu unterscheiden ver-
mag was Festland was Meer. Er führt uns als zweites Bild einen rie-
sigen Landsee vor, der den Fangarmen eines Polypen vergleichbar mit
seinen Sunden die Inseln und Vorgebirge umklanunert. Er belehrt
uns endlich Angesichts der verpestenden Sümpfe, welche der Gegen-
wart angehören, dals der Kampf zwischen Festem und Flüssigem un-
UBterbrochen fortdauert und wol seinen Schauplatz nicht aber seine
Formen ändert
Sämmtliche Seebecken sind im Rückgang begriffen : um so stärker
je grolser die Zuflüsse die sie empfangen. Der Benacus überragt die
übrigen an Flächenraum lediglich deshalb so weit, weil er nur von
einem beschränkten Quellgebiet gespeist wird. Manche sind im Lauf
182 Kap. IV. Das Poland.
der Zeiten verschwunden. Südlich von dem Gebirgsdreieck , welches
die beiden Arme des Larius umfassen ^ lag ein vom Lambro durch-
strömter See, der an Ausdehnung dem Luganer wenig nachgegeben
haben mag: Plinius nennt ihn EufiUs und steUt ihn mit Larius Vor-
banus Benaciu Sehimu zusammen.^) Seit dem Mittelalter ist er ausge-
trocknet und nur eine Reihe kleiner Becken, der Lago Montorfano
Alserio Pusiano Segrino Annone (?) verraten sein Mheres Dasein. Wo
die Dorn Baltea bei Ivrea aus ihrem engen Thal heraustritt, mQndete
sie ehedem in einen See , der von den oben erwähnten Moränen ein-
geschlossen war und mehrere Quadratmeilen bedeckte: Reste dessel-
ben sind der kleine Lago di Candia im SW und der Lago di Viverone
bei Azeglio im NO. Nachdem der Flufs ein tiefes Bette durch den
südlichen Wall hindurch gegraben , hat er das Becken nach und nach
entleert. Früher flofs er ostwärts durch den Lago di Viverone und
hat erst im 14. Jahrhundert die südUche Richtung eingeschlagen. Der
locus Clisius welchen die Peutingersche Tafel verzeichnet, ist mit eini*
gem Grund auf diesen See gedeutet worden. Von vielen anderen Seen
sind Dur Sümpfe und Moore übrig geblieben. Die venetischen Alpen
haben keinen mehr aufzuweisen, das Flachland nur diejenigen um
Mantua, die auch langst ausgetrocknet wären , wenn man sie nicht im
Mittelalter aus fortificatorischen Rücksichten künstlich gestaut hatte.
Auch die Kette von Seen, welche die Adda in ihrem Unterlauf von Lecco
ab ehedem durchflob, sind theils sehr eingeengt theils ganz beseitigt
worden.^) Der erzielte Gewinn an Acker- und Wiesenland hat auch
Nachtheile im Gefolge gehabt. Sehen wir von dem Ertrag der Fischerei,
dem günstigen Einflufs auf das Klima, dem landschaftlichen Schmuck,
den die Alpenseen gewähren, ganz ab, so liegt ihre Bedeutung forden
Haushalt der Natur in dem Umstand ausgesprochen dafs sie die Ebene
vor Ueberschwemmung schützen. Wenn die Herbstregen in tropischer
Fülle fallen , walzen sich ungeheure Wassermassen von den Beiden
herab. Dann steigen der Larius an 4 m, der Verbanus an 7 m über den
gewöhnlichen Stand und treten aus ihren Ufern. Dadurch zügeln sie
den Ungestüm des Wassers, indem z. B. der Larius einen Zuflufs bis
2000 Cubikmeter in der Secunde empfangt aber nur 804 von sich giebt,
und retten das Tiefland vor dem drohenden Verderben. Umgekehrt ia
1) m 131.
2) Bei Grema finden sich ausgedehnte MoorgrOnde mit reichen Quellei;
aber der angebliche Lago Gerondo, den man nach mittelalterlichen Qaellea
hierher verlegt, hat nicht extstirt s. Lombardini notizie p. 144.
§ 3. Der Polauf. 183
der Zeil der Dürre sichern sie den Flttssen einen constanten Lauf und
leisten damit der Cultor unschätzbare Dienste. Die Wichtigkeit dieses
Factors in der einen wie der anderen Hinsicht wird im Fortgang un-
serer Betrachtung deutlicher zu Tage treten. Wir fassen zunächst das
Fluissystem in seiner Gesammtheit ins Auge.
§ 3. Der Polauf.
Der Name des Po lautete in ligurischer Sprache Bodincus oder
Bodenau d. h. der grundlose: in der That kann er mit 2 — 3 m gewöhn-
licher Tiefe bereits oberhalb Turins nicht mehr durchschritten werden,
aulser durch unsichere Furten, deren sich noch bis zum Lambro hin-
unter finden. Die Römer haben ihr Padus den Kelten oder wahrschein-
lich den Venetern entlehnt. Die erstere Bezeichnung scheint am Ober-
lauf, die letztere am Unterlauf verbreitet gewesen zu sein.^ EndUch
ist ans der hellenischen Dichtung noch der Name ^^idavog Eridanus
an ihm haften geblieben: im äufsersten Westen, meldet die Sage, khig-
ten die Schwestern über Phaethons Sturz und wurden in Schwarz-
pappeln verwandelt, ihre Thränen rannen in den Strom hinab und
ergaben das leuchtende Harz, den Bernstein. 2) Die Volksmeinung Uefs
den Strom in das nördliche Meer münden.^) Da aber die Griechen den
in ältester Zeit hochgeschätzten Schmuck sowol von Massalia als von
Atria bezogen, so flofs in ihrer Vorstellung die Kunde vom Po und von
der Rhone mit jenem mythischen Bernsteinstroro zusammen. Aeschy-
los dachte an die Rhone, Euripides an den Po oder man fabelte von
einem Zusammenhang beider.^) Der völligen Unklarheit entspricht es,
dafs der einheimische Name erst durch die Römer verbreitet wurde.
Polybios ist der älteste unter den erhaltenen Gewährsmännern , der
einen der Wirklichkeit entsprechenden Bericht überliefert Vergil
nennt den Po rex fluviorum und Strabo erklärt ihn für den gröfsten
1) Pol. n 16, 12. PliD. III 122. Die aufgestellte Ansicht ergiebt sich aus
der Nachricht des Metrodoros von Skepsis bei Plinius und erhält ihre Bestä-
tigung darch die Stadtenamen BodineonutgUM bei Industria^ Patavium jetzt
Padova sowie üaSoa (Fadua Gatnll 95, 7) und Padma als Mandungsarm und
Lagune. IMe Deutung quoniam circa foniem arbor multa nt picea, quales
GalHce voeeniur padi, hoc nomen accepisse ist unglaublich und hängt wol
mit der Phaethonslegende zusammen.
2) Vgl. MQllenhoff, Deutsche Altertumskunde I p. 218 fg.
3) Herod. ID 115 Ovid Met. U 323 Pausan. I 3, 5. — Unbestimmt die älteste
Erwähnung Hea. Theog. 338.
4) Plin. XXXVn 32 Eurip. Hippol. 735 und mehr MflUenhoff a. 0.
184 Kap. IV. Das Poland.
Fiufs Europa's nach der Donau. >) Mflssen wir letzteres auch ab einen
Irrtum zurOckweisen , so liegt demselhen doch die richtige Vorstellung
▼on dem erstaunlichen Wasserreichtum des Stromes zu Grunde, der
bei der halben Länge doch dem Rhein an Mächtigkeit gleich kommt
oder gar ihn noch übertriflft. Den Grund hierfür giebt in seiner sach-
kundigen Beschreibung Plinius an, indem er hervorhebt, dafs kein an-
derer Flufs auf so kurzem Lauf eine ähnliche Menge von Zuflüssen
aufnimmt Lombardini berechnet sein Gebiet bis Pontelagoscoro auf
69382 D km (1261 D Meilen), wovon auf die Ebene 28326 Dkm
(515 DM.) und auf das Gebirge 41056 Dkm (746 DM.) kommen. Die
Ziffer wtlrde sich bedeutend höher stellen, wenn man die in sein M ün-
dungsdelta einfallenden und mit seinen Nebenarmen sidi veiiiindenden
Flüsse hinzuzahlte. In regelmäfsigem Lauf von West nach Ost durch-
mifst er unter dem 45. Grad n. Br. das Tiefland und theilt es in eine
diesseitige und jenseitige HaUte. Davon ist die letzere weitaus grttlser
und bedeutender, weil der Flufs aus dem S. 178 angegebenen Grande
sich in der Nähe des Appennins hält; erst jenseit Parma's, wo das Ge-
birge eine SO Richtung annimmt, wird die Ebene des südlichen Ufers
ausgedehnt. Die Entfernung von der Quelle bis zur Mündung betragt
ca. 500 km (67 M.), die gesammle Lange einschliefslich der Krüm-
mungen 672 km (90 Vi M.). Ein Oberlauf ist kaum vorhanden. Der
Po stellt sich vielmehr als die Rinne dar, auf welche der Meerbusen
beschrankt ist, der einst Alpen und Appennin von einander trennte.
Die einfallenden Gewässer verleihen ihm erst Ansehen und Bedeutung.
Er gehört nicht zu den bekannten und gefeierten Strömen, wol aber
zu denjenigen , die von Seiten der Wissenschafl ein besonderes Inter-
esse beanspruchen.
Er entspringt bei 1952 m Meereshöhe auf einem sumpfigen Hoch-
thal, Piano del Re, am Fufsdes 3840 m hohen Motu Vemlus oder Monte
Viso. Diese von den Alten getroffene Bestimmung (S. 147) ist seither
nicht bestritten worden und wir lassen dahin gestellt, ob nicht die Vraita
oder noch eher die auf dem Col Maurin entspringende Maira als wah-
rer Ausgang des grofsen Flusses angesehen werden müfste. Auf der
kurzen Strecke von 34 km bis zur Brücke von Revello hat der Po nicht
weniger als 1600 m Fall und tritt in die Ebene hinaus, so dafe hier
bereits die Grenze zwischen Ober- und Mittellauf zu statuiren ist Pli-
nius berichtet, dafs die Quelle im Sommer Mittags versiegt sowie dafs
t) Verg. Georg. I 482. Sbrab. IV 104.
f 3. Der PoUuf. 185
der Strom eine Zeit lang unterirdisch fliebt und dann im Gebiet Ton
AriMi Yihi wieder sichtbar wird.^) Dies ist theilweise richtig, theil-
weise ungenau ausgedruckt: im Sommer ist so wenig Wasser vorhan-
den , dals solches beim Eintritt in die Ebene zur Irrigation der Felder
abgeleitet wird oder auch im Sande sich yerliert derart dafs das Bette
in der That eine Strecke trocken liegt. Wahrend der Oberlauf nach
Osten gerichtet war, wendet sich der Mittellauf nach Norden und be-
schreibt einen Halbkreis um das ligurische Hügelland. Durch die Ab-
flösse der Cottischen und Seealpen Terstflrkt langt der Po nach 98 km
bngem Lauf bei Augutta Taurmarum^ dem heutigen Turin an, wo er
den Ihcrto, Dora Riparia oder kleine Dora, aufnimmt. Die Dora ent*
springt auf dem Afofis Mainma M. Gen^vre [auf der entgegengesetzten
Seite die Dnuntia Durance] und durchströmt das Thal ron Segusio
Susa; ihre Lange betragt 125 km, ihr Gebiet 1231 Dkm (22 DM.) wo-
von nur 60 auf ebenes Terrain entfallen , ihr mittlerer Abflufs 56,8
Gobikmeter in der Secunde. Im Altertum wird dieser Flufs durch kein
Beiwort von der grofseren Dora Baltea unterschieden. Der Name scheint
der keltischen Sprache zu entstammen.
Bei Turin ist der Po 160 m breit. Er hat hier bereits eine Meeres-
hohe Ton 137,40 m erreicht, die Neigung betragt 0,48:1000. Die
Sfura führt ihm die Gewässer der drei Alpenthaler zwischen Roche
Melon und Monte Levanna zu. Sie hat 70 km Lange , ein Gebiet von
960 Dkm (17 DM.), davon 199 Dkm eben, und einen mittleren Ab-
Onfs von 40 Cubikmeter. Es folgt der Orgu$ Orco aus dem Thal von
Locana nördlich vom Monte Levanna, 75 km lang, mit einem Gebiet
von 1254 Dkm (23 DM.) — ein Drittel eben — und einem Gehalt von
46 Cubikmeter. Weit bedeutender ist der Duria die Dora Baltea. Sie
durchströmt das Land der Salasser, das Thal von Aosta, AuguOa Prüe-
Unia Sakusarum^ welches die höchsten Gipfel der Alpen vom Gran
Paradiso (4045 m) bis zum Mont Blanc (4804 m) und von hier zum
Monte Rosa (4636 ro) einfassen. Sie entsteht aus der Vereinigung von
zwei Bachen am Fufs des Mont Blanc und empftlngt den Beinamen
Baltea nach der Aufnahme des vom Matterhom herkommenden Buttier,
die bei Aosta erfolgt^) Sie ist 160 km lang und im unteren Theil bei
Mpwedia Ivrea 50— 60m breit. Ihr Gebiet umfafet 4322 Dkm (79 DM.)
und zwar 499 Dkm (9 D M.) in der Ebene. Wahrend der mittlere Ab-
t) Pilo, n 229 mit?, darnach Solin 2, 25 Mart. Gapella VI 640.
2) Ueber die irrige Angabe des Ptolemaeos in Betreff der Quelle vgl. S. 160,
über den lacns Gliaiin S. 182.
186 Kap. IV. Du Poland.
flufs 215 Cubikmeter in der Secunde beträgt, kann er bis auf 2000
steigen d« h. ebensoviel wie bei den höchsten Ueberschwenimungen
des Tiber gemessen worden ist Der starke Fall macht es unmOgUch
den Strom anders als mit FlOfsen zu befahren.
Von der Mündung der Dora Riparia bis zu derjenigen der Baltea
hat der Po 43,5 km durchmessen und eine Breite von 250 m bei 2,80 m
Tiefe erreicht. Bei der geringen Neigung liebt er es sich zu winden und
zu theilen, zahlreiche Werder einschliefsend. Auf der nächsten 52 km
langen Strecke bis zur Einmündung der Sesia ermäbigt sich das Ge-
fälle auf 0,42 : 1000. Der Sesües Sesia entspringt am Monte Rosa,
fliefst an VerceUae Vercelli vorbei und ergiefst sich nach einem Lauf
von 138 km (18 M.) in den Po. Die Ausdehnung seines Gebiets beträgt
2920 Dkm (53 DM.), davon 1670 Dkm (30 DM.) Fbchland; der
AbQufs 77,5 Cubikmeter, bei Hochwasser bis auf 1350 anschwellend.
Der Po nimmt jetzt eine sttdliche Richtung an, kehrt jedoch schon bei
Yd^entia Valenza zur Ostlichen zuillck. Er empfängt 34 km von der
Sesia entfernt, seinen bedeutendsten Zuflufs von der rechten Seite, den
Tanarus Tanaro. Derselbe kommt von den Seealpen unweit des (}ol
di Tenda her , fliefst an PoUentia Polenza , Alka Pampeia Alba , Hasia
Asti vorüber und erreicht mit seinen vielen Windungen eine Länge
von 276 km (37^/2 M.). Unter den Nebenflüssen verdient die 109 km
lange Stura di Demonte erwähnt zu werden: sie entspringt auf den
Seealpen und mündet von links her bei Polenza. Vom Appennin kom-
men die beiden Bormida, die sich oberhalb Äquae Statidlae Acqui ver-
einigen und oberhalb Alessandria in den Tanaro einfallen. Dieser Strom
beherrscht eine Ausdehnung von 7984 Dkm (145 DM.), vier Sieben-
tel Gebirg, drei Siebentel Flachland. Vermöge der geringeren Erhebung
steht er hinter den nördlichen Zuflüssen des Po an Wassermenge weit
zurück: er giebt im Mittel 133 und bei Hochwasser bis 1700 Cubik-
meter in der Secunde von sich. Seine Mündung liegt nicht mehr als
82 m über Meer. Der bekannte Satz, dafs Wasserläufe nur mit Wider-
streben, durch die Bodensenkung gezwungen sich vereinigen, wird
hierin anschaulicher Weise erläutert; denn auf einer Strecke von 12km
verbinden sich Po und Tanaro, trennen sich, vertauschen gegenseitig
das Bette. Wenn das Niveau bei Hochwasser um 17,5 m steigt, be-
decken sie gelegentlich eine Breite von 10 km: dann verändern sie
auch regelmäfsig ihr Bette. Hier mündet zugleich die 85 km bnge Scn-
via ein, die oberhalb Genua entspringt : ihr Gebiet beträgt 1092 D km
(20 DM.), ihr Volumen 21, bei Hochwasser 400 Cubikmeter.
I 3. Der Polauf. 187
Von der MQnduog des Tanaro bis zu derjenigen des Ticino rech-
net man 74 km mit 0,355 : 1000 Fall. Der Ticinus, der mächtigste
unter allen NebenflQssen des Po, entspringt am S. Gotthard 2144 m
über Meer. Nach einem Lauf von 85 km tritt er in den loetis Verbanui
Lage Haggiore ein und durchströmt ihn seiner ganzen Länge nach.
Der Lago Maggiore liegt 195 m ttber Meer, ist 64,6 km lang, im Mittel
3 km breit und hat einen mittleren Flächeninhalt von 200 O km. Die
grO&te Tiefe sinkt auf 800 m. Seine Gestalt erinnert noch an jene
Urzeit, als hier ein Fjord des lombardischen Meeres in die Steilküste
einschnitt. Er dient als Sanunelbecken für die Gewässer der sog. Le-
pontischen Alpen vom Monte Rosa bis zum Gotthard. Namentlich er-
gießt sich von Westen her in ihn die 83 km lange Toce aus dem Thal
Ton Ossola, in welche auch der kleine See von Orta (14 Dkm) seinen
Abflufs findet. Von Osten her empfängt er die Abflüsse des locus Ce-
resius Lago di Lugano (49 Dkm) sowie der kleinen Seen von Varese
Ü6 Dkm) und Comabbio (4 Dkm). Vom See bis zum Po hat der Ticino
noch 99 km {W/t M.) zurückzulegen. Anftlnglich strömt er bei star-
kem Fall (2,2 und 1,9 : 1000) ungestüm dabin, mäfsigt alsdann seine
Eile (1,3 : 1000) und langt in gemessener Bewegung bei Ticinum Pa-
via an, um sich bald darauf mit dem Po zu vereinigen. Diesem Charak-
ter entspricht es, dafs die Breite von 64 m auf 100, 120, schliefslich
131 ni anwächst, wie auch die Tiefe von 1,3 m auf 2,5 m zunimmt. Der
niedrigste Wasserstand während der Dürre mifst 0,75 — 1,6 m. Die
Schiffahrt hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, doch können
Dampfer und Lastschiffe von 720 Centner Tragkraft auf dem ganzen
Unterlauf verkehren. In militärischer Hinsicht bietet derselbe eine
wichtige Vertheidigungslinie gegen einen von Westen anrückenden
Feind und wird deshaU» in den Kämpfen des Altertums wie der Neu-
zeit häufig genannt. Die Gesammtlänge des Ticinus stellt i^ich auf
248 km (33 M.), sein Gebiet auf 7228 Dkm (131 DM.), davon 762 km
(14 DM.) Flachland. Der mittlere Abflufs in der Secunde beträgt 411
Cubikmeter und steigt bei Hochwasser bis auf 5400 : ohne die tem-
perirende Wirkung, die das Becken des Langensees ausübt, würde
die Lombardei in einen grofsen Sumpf verwandelt werden.
Von der Tessinmündung beginnt der Unterlauf des Po, der
kaum seines Gleichen findet. Er windet sich und umfafst zahlreiche
mit Gebüsch bewachsene Werder. Die trägen Fluten werden schliefs-
tich nur durch die unter spitzem Winkel einfallenden, lebhafteren
Alpenstrome vorwärts getrieben. Bis zur Addamündung sind 87,25 km
188 Kap. IV. Du PoUnd.
mit 0,28 bis 0,24:1000 Fall, einer Breite von 445 — 530m und
einer Mitteltiefe von 2 — 4,75 m. Unterwegs empfängt der Po den
zwischen den beiden Armen des CSomer Sees entspringenden 116 km
langen Lambnu Lambro (S. 182), vom Appennin her kurz vor Phuen-
tiä die Trdria. Dieser reifsende Bach ist nur 115 km lang und ent-
wässert ein Becken von 1014 Okm (18 DM.), zu neun Zehntd Ge«
birgsland. Aber sein Kiesbette dehnt sich flber eine Breite von 12 —
1400 m und wahrend der mittlere Abflnfs 26 Cubikmeter nicht Über-
schreitet, wächst er bei Hochwasser bis zu 1000 und die Tiefe des
Baches bis auf 5 m. Solche Ueberschwemmong dauert in der Begel
24 Stunden. — Die Quellen des Äddua Adda hegen in den Baetischea
Alpen in geringer Entfernung von denjenigen des Inn und der Etsch.
Er durchströmt mit starkem Fall in westlicher Bichtung das Veltlin
und langt nach 128 km im C!omer See an. Durch seine Schuttabbge-
rungen hat er die Nordspitze desselben abgetrennt, die jetzt als Lago
di Mezzola einen Fiifchenraum von 8 Dkm einnimmt (S. 180). Der Uh
€U$ Larius liegt 199 m über Meer, hat 48 km Lfinge bei 1940 m mitt-
lerer Breite, 588 m gröbter Tiefe und 156 Dkm (3 DM.) Inhalt
Ungefilhr in der Mitte spaltet er sich in zwei Arme: an dem westlicheo
liegt die Stadt Comum, an dem Ostlichen Lecco; aus letzterem fiieist
die Adda ab. Ihr Unterlauf bis zum Po ist 100 km (14 M.) lang. Der-
selbe ist in seiner ganzen Ausdehnung schiffbar, von Lodi abwärts für
Barken von 900 Centner Tragkraft, und kann nur an wenigen Stellen
durchwatet werden. Der mittlere Abflufs des Sees beträgt 186 Cubik-
meter in der Secunde. Derselbe wächst bei der Einmündung in den
Po auf 244 Cubikmeter, indem die Adda den 67 km langen Brembo
und den 1 10 km langen Sarms Serie aufnimmt Ihre Breite schwankt
zwischen 70 und 150 m, bei Hochwasser am unteren Ende bis 500 m
wachsend; die mittlere Tiefe von 2*— 2,50 m sinkt kaum bei äufserster
Darre bis auf 1 m herab. Das Becken der Adda wird auf 5889 Dkm
(107 DM.) berechnet, wovon ein Viertel 1403 Dkm (25 V2 DM.) auf
die Ebene ftllt Hierzu kommt Brembo mit 885 D km und Serie
mit 1215 Dkm, so dafs das gesanunte Gebiet sich auf 7989 Dkm
(145 D M.) stellt Die Ueberschwemmungen werden durch den Corner
See gemildert derart dafs der gröfste Abfluls nur 827 Cubikmeter be-
trägt (S. 182).
Von der Adda bis zum Oglio legt der Po 96 km zurück. Er bat
4,5 m Tiefe, 0,19 bis 0,14 : 1000 Neigung und bei Cremona910m
Breite. Die letztere wectedt stark in Folge der unablässigen Strom-
i 3. Der Polauf. 189
spaltungeD: bei der Taromttnduog mifst der Hauptarm 1516 m, weiter
Dor 474 m, bei Guastalla 1326 m. Von Cremona ab begionea die fort-
hnfenden rieatgen Deiche, welche die anliegendeii Landacbaften gegen
seine verheerenden Fluten schtltzen und bewohnbar machen. Ober-
halb dieser Stadt sind sie nur stellenweis erforderlich. Vom Appennin
empfängt der Po unter anderen Bächen den Tarus Taro, der 150 km
lang ein Gebiet von 2073 Dkm (38 OM.) — drei Viertel Bergland —
eatwtaerL Wie alle diese BergstrOme wird er durch die Herbstregen
lu gefiihrlicher Höhe angeschwellt: bei den etwa 22 Stunden dauern*
<ieD Ueberschwemmungen steigt sein mittlerer Abflufs von 42 auf 1200
Cttbikmeter in der Secunde. Von Cremona an hält der Po eine SO-
Richtung ein, wendet sich dann direct nach N um seinen gewöhnlichen
0 Lauf wieder anzunehmen. Bei der Beugung mündet der OUhu ein.
Ehedem bestand dieses Knie nicht, sondern der Po flofs weiter süd-
lich in mäandrischen Windungen an Gonzaga vorüber: das alte Bette
ist noch jetzt als Abzugsgraben (Po vecchio) vorhanden. — Der Ogho
durchströmt das Thal der Gtimtitifii Valle Camonica, welches durch den
facus Sebmus Lago d'Iseo fortgesetzt wird. Von den Quellen am Monte
Tonale bis zum See mifst man 81 km. Der Iseo See 192 m über Meer
ist 25 km lang, im Mittel 2,4 km breit, bis 300 m tief und bedeckt eine
Ffiche von 60 D km. Bei seinem Austritt fliefst der Oglio in einer
Breite von 130 — 160 m^ mit mälsiger C^schwindigkeit. Jedoch ist von
der 138 km langen Strecke bis zum Po nur das untere Drittel schiff-
bar. Hier wird er verstärkt durch die aus dem Thal der TrumpUm
Val Trompia kommende Mdla sowie den CUtis Chiese. Der letztere
entspringt auf dem Monte Adamello , durchfliefst das Thal der Sabim
Val Sabbia und den kleinen See von Uro (14 Gkm) und mündet unweit
des schlachtberühmten BeMaemn in den Oglio ein. Die gesammte
Länge des Ogho stellt sich auf 280 km , sein Becken auf 6641 D km
(121 QM.), davon 3426 Dkm Gebirgs- 3215 D km Flachland; der Ab-
flufs im Mitlei 137, b^ Hochwasser 550 Cubikmetcr in der Secunde.
Vom Oglio bis zum Mincio sind 28,7 km mit 0,125 : 1000 Fall.
Die Breite des Hauptarms vermindert sich auf 225 — 350 m; dagegen
hat er sein Bette bis 10 m Tiefe bei niedrigem und 12 m bei hohem
Wasserstand ausgegraben, i) Mit dem Minäui erhält er seinen letz-
ten Zoflufs von Norden. Unter diesem Namen verstand und versteht
man blos den Abfiuls aus dem Garda See , während der Oberlauf als
1) Pilo. 1II119 urgußiur aptarmm mok «f in pra/kiübim agiiur.
190 Kap. IV. Das Poland.
Sarca bezeichnet wird. Die Sarca entspringt aus den Gletschern des
Monte Adamello und erreicht nach 62 km Lauf den See. Der lacuB
Benacui ist der grorste unter den Alpenseen Italiens: 69 m Ober Meer
gelegen hat er 52 km Lange, 16,5 km höchste und 7 km mittlere
Breite, 294 m (?) höchste Tiefe und einen Flächeninhalt von 36 t D km
(6 V^ DM.). Vergil vergleicht sein Tohen mit der Brandung des Meeres.^)
Die bedeutende Wassermasse bewirkt, dafs der Mincio ein auffallend
constantes Volumen besitzt. Nach fUnfzehnjUhrigen Beobachtungen
schwankten die äufsersten Extreme nur zwischen 35 und 135 Cubik-
meiern. In den Monaten Februar März April hat er 0,63 — 0,68 m, in
den übrigen neun Monaten 0,78 — 1,18 m Tiefe. Der mittlere Abflufs
beträgt 77 Cubikmeter, das Gefälle 1,2 : 1000. Nach 41 km ermäfsigt
sich der Lauf und der Mincio bildet um Manlua drei Seen.^) Bei sei-
nem Austritt aus diesen ist er so träge und schilfbewachsen , dafs er
gegenwärtig nicht mehr beschifTl werden kann.^) Der gesammte Lauf
vom Garda See bis zum Po ist 84 km lang, von den Quellen der Sarca an
gerechnet 1 94 km. Sein Gebiet wird berechnet auf 2859 Q km (52 GM.),
wovon 815 Dkm (15 DM.) auf die Ebene, 2044 Dkm (36aM.) auf
das Gebirge entfallen. Von der Minciomttndung abwärts empfangt der
Po noch vom Appennin den Seda Secchia 157 km lang mit 2546 Dkm
(46 DM.) Gebiet — 1221 Dkm bergig 1325 Dkm flach — uud 42,5
Cubikmeter Gehalt, der bis 790 steigen kann. Hierauf den Panaro
97 km lang, der im oberen Lauf noch den antiken Namen Seukenna
bewahrt hat; sein Gebiet umfafst 2292 Dkm (42 DM.) — 1058 Dkm
Bergland 1234 Dkm Ebene —, sein Abflufs beträgt 37, bei Hoch-
wasser 690 Cubikmeter in der Secunde. Das letzte Stück seines Bettes
ist das ursprüngliche Bette des Po, welches sich nach Ferrara hin fort-
setzt, aber seit dem 16. Jahrhundert verstopft bt {PoaieOo oder Po di
Ferrara).
Der Po hat nur noch 0,08 : 1000 Fall. Er nimmt eine SO Rich-
tung und behielt dieselbe im Altertum und Mittelalter bis ungeflihr
1 150 n. Chr. bei. Damals aber, heifst es, durchstachen die Einwohner
von Ficarolo bei Stellata einem Puncto, der ca. 100 km von der jetzigea
HauptmUndung entfernt ist, heimtückischer Yfeise um ihren Nachbarn
1) Verg. Georg. II 160 tefue ftuetünu et fremitu adsurgen* Benaee mmino.
2) Sie waren wenn auch nicht gerade in ihrer jetxigen Gestalt, bereits im
Altertum vorhanden : Liv. XXIV 10 Catull. 17.
3) Verg. Georg. III 14 iardu ingmt ubi fiexUnu errat Mineiui et tenere
praetexii karunüne ripas; vgl. Aen. X 205. EcL 7, 13.
S 4. Einzelflfisse. 191
zu schaden die Deiche und in Folge dessen bildete sich ein neuer Ann
Po di Vmnia jetzt deSa Maestra. Bis zu diesem Ereignifs (rotta dt
Fkarolo) flofs der Po, nachdem er den Panaro und Ren« aufgenommen
hatte, südlich bei Ferrara vorbei und theilte sich erst bei dieser Stadt
in zwei Arme: einen linken Po di Yolano und einen rechten Po di
Primaro, welche die gro&e Lagune ?on Comacchio einschlössen. Die
Schottmassen, welche die Appenninbäche herabfahrten, haben das alte
Bette Yon Ferrara nach und nach versandet und seit 1577 hat der
Panaro eine rttckUlufige Bewegung eingeschlagen , so dafs sein Wasser
bei Stellata in den jetzigen Po einmündet. Der Po di Voiano , im 2.
Jahrhundert v. Chr. für die Schiffahrt der zugänglichste und später der
Hauptarm , ist jetzt nichts weiter als ein Abzugsgraben für die angren-
zenden Sümpfe. Das zweite alte Bette , di Primaro wird gegenwärtig
grofsen Theilsvom Reno eingenommen, der 1770 hinein geleitet wurde.
Dergestalt strömt die gesammte Wassermasse nunmehr in ORichtung
durch den Po di Venezia ab und schiebt ein mächtiges Delta ins Heer
hinaus. Da wir auf die bedeutenden Veränderungen , die hier einge-
treten sind, im Zusammenhang zurückkommen, so bleibt uns nur übrig
die Appenninbäche aufzuzählen , die früher entweder direct in den Po
oder doch in sein Mündungsgebiet einflössen.
§ 4. Einzelflüsse.
Der Renus entspringt auf dem Appennin oberhalb Pistoria Pistoia
uod tritt westlich von Bologna in die Ebene hinaus. Sein Gebiet im
Appennin umfafst 1387 Dkm (25 OH.). Die Unbeständigkeit, welche
alle Flüsse dieses Gebirges kennzeichnet , ist bei ihm auffallend grofs.
Der Abflufs kann auf 1 Cubikmeter in der Secunde sinken und wieder-
um 1500 übersteigen. Er hat seinen Schutt über eine Strecke von
30 km Breite ausgestreut und fliefst stellenweise 9 m über den um-
liegenden Feldern. Der Lauf hat demzufolge sehr gewechselt. Ehe-
dem verband er sich mit dem Panaro und mündete mit diesem vereint
in den Po von Ferrara ein , dessen Verstopfung er wesentlich veran-
lafst hat Die Bewohner der Aemilia, welche von seinen Ueberschwem-
muDgen schwer zu leiden haben, suchten auf den verschiedensten
^egen sich des unbequemen Gastes zu entledigen , konnten aber bei
dem Widerstreit communaler Interessen eine Einigung der Ansichten
bis auf den heutigen Tag nicht erzielen. Seit 1770 fliefst er wie ge-
sagt in dem alten Bett des Po di Primaro. Er nimmt 1. die Samoggia
mit dem Laoinius Lavino auf, ferner im Pöbelt eine Anzahl von Bächen,
192 Kap. IV. Das Poland.
deren antike Namen ttberliefert sind: den Idßx Idice östlich von Bo-
logna, den St&ma Sillaro, den bei Forum Comelit ImolaTorbdfliefsen-
den Vairemu Santemo , den 5ttiiitiM Senio. Das gesammte Gebiet des
Reno wird zu 4688 O km (85 D M.)* seine Länge zu 220 km angegeben.
Der Faventia Faenza berührende Änmno Loimone mttndet jetxt nach
einem Lauf von 100 km direct in die Adria ein. Ehedem fiel er in den
Mttndungsbereich des Po ebenso wie die jetzt südlich von Ra?enna
yereinigten früher getrennten Uti$ Montone und Bedem Ronco. End-
lich gehört der Sapü Sayio bei Cesena und der Tielbesprochene Grenz-
fluls Altitaliens der Jtti6teo Fiumicino hierher.
Nördlich vom Po fliefst der Tartartu Tartaro an Atria vorüber in
das Mündungsgebiet des ersteren ein : er entwässert die Niederungen
zwischen Po und Blincio auf der einen , der Etsch auf der anderen
Seite. — Der Ateiis oder Aikesis (auch wol Aiagi$y) Adige Etsch ist nach
dem Po der gröfste Flufs Italiens. Sein Gebiet wird zu 22400 0 km
(407 DM.) berechnet, wovon ungefähr 12000 Dkm auf das Gebirge
entfallen; seine Länge beträgt 410 km (56 M.). Nichts destoweniger
steht er an Wasserreichtum verhältnifsmäfsig weit hinter den Alpen-
zuflttssen des Po zurück. Der höchste Abflufs bei Radia übersteigt nicht
2500 Cubikmeter in der Secunde, während er für den Tessin 5400
beträgt ; der mittlere AbOufs wird zu 220 Cubikmeter berechnet Die
Ursache dieser Erscheinung wird darin zu suchen sein dab das Quell-
gebiet der Etsch vermöge seiner eingeschlossenen Lage geringere Nie-
derschläge empfangt als die vorgelagerten Rergketten, welche Adda
Oglio Chiese Sarca firenta und Piave speisen. Die Etsch entspringt
am Reschen bei 1447 m Höhe und durchfliefst die drei kleinen Seen,
die sich an diesem Uebergang(S. 163) finden. Sie durchmifst zuerst in
S dann in ORichtung die FoStt Yenostica Vintschgau, die Oetzthaler-
von der Orüergruppe trennend. Bei Meran , wo sie eine Breite von
10 — 20 m erreicht, wendet sie sich nach SO um in dem Thalkessel
von Bozen sich mit dem Eisack zu vereinigen. Dieser Fluls hieft im
Altertum liareus und theilte mit einer von Augustus unterworfenen
Völkerschaft denselben Namen.^) Er entspringt neben der Höhe des
Brenner ; die wichtige S. 164 beschriebene Stralse folgt seinem 75 km
1) M0ii$ Plio.m 121 krtioZvo^ Strab. lY 207 kriOiSv Plut Mar. 2S. Ptf
gewöhnliche Schreibong Athens scheint entstellt zu sein; Id der InKhri/tGIl
V 3348 ist sie nicht sieher verbfligt. Die Form kttcyig stfltzt sich nur nf ^i«
eorropte Beschreibong bei Strabo.
2) Zenfs, Die Deatschen and die Nachbarstamne p. 237.
I 4. EinzelflOsse. 193
langen Lauf. Nach seiner Aufnahme yerbreitert sich die Etsch auf
20—40 m und halt bis Verona eine SSW Richtung inne. Von r. mün-
det die Noce aus dem Thal der Änauni Val di Non ein , welches durch
den Tonale Pafs (1875 m) mit dem vom Oglio durchflossenen Val Ca-
monica (S. 189) in Verbindung steht. Bei Tridentum Trient, wo die
S. 163 erwähnte via Claudia Äugtuia durch das Suganathal nach Al-
tinnm abzweigte, ist der Flufs 80 m breit und 4 — 5 m tief. Dem star-
ken Fall — 1,3 : 1000 — entspricht die Geschwindigkeit: die Barken
fahren von Trient nach Verona (80 km) in 24 Stunden, brauchen aber
zu Berg 5 — 7 Tage. Die Schiffahrt ist ziemlich schwierig namentlich
in der Veroneser Klause, einer Enge 32 km vor gedachter Stadt, in der
die Felswände senkrecht auf beiden Seiten aufsteigen , so dafs kaum
für die Landstrafse Raum bleibt. Die Etsch hat hier durch den H. Baldo
sich in Urzeiten ein Bette hindurch genagt, während sie vordem in der
Gletscherpenode durch den Gardasee flofs (S. 179). In Verona bei
50 m Heereshöhe ist sie 112 m breit und 3 — 4 m tief. Nunmehr be-
ginnt der 156 km lange Unterlauf. Bis in die Nähe der Stadt schleppt
sie Kies und Rolbteine mit, weitere 67 km groben Sand, endUch Lehm
die letzte Strecke. Damit erhobt sie beständig das eigene Bette und
die angrenzenden Niederungen müssen gegen ihre Fluten kttnstlicli
geschotzt werden. Die Deiche beginnen 20 km unterhalb Verona.
Die Richtung des Unterlaufs bis Badia geht im Allgemeinen nach SO;
der Fall ermäbigt sich von 1 auf 0,2 : 1000. Die Etsch fliefst die
letzte Strecke von 90 km dem Po parallel, mit abnehmender Neigung
0,2 — 0,08 : 1000; beide schliefsen Sumpflandschaften — Yalli gram-
di Veroneii und Polesini di Rovigo — ein, sind durch Nebenarme und
Canäle verbunden und münden in einem gemeinschaftlichen Delta aus.
In der That sind sie einander in historischen Zeiten immer näher ge-
rückt Wie der Po von Süden nach Norden so ist die Etsch von Nor-
den nach Süden gewandert. Während sie gegenwärtig bei Albaredo
Ton SO nach S umbiegt, behielt sie ehedem die anftingliche Richtung
bei und flofs in der Nähe von Ätesle Este vorbei , dessen Name wahr-
scheinlich mit Äteiis zusammenhängt Man führt die Aendening im
Lauf auf die grofse Ueberschwemmung des J. 589 n. Chr. zurück. ^
Einige Jahrhunderte später zweigte sich bei Badia ein neuer Arm , der
Adigctto ab, an welchem Rovigo gegründet ward. Weiter westlich bei
Castaguaro brach der Flufs um die Mitte des 15. Jahrhunderts durch
1) Paul. Diac bist Lang. UI 23.
Hiti«B, itaL L«adwk«ad«. I. 13
194 Kap. rv. Dm PoliDd.
um das Bett des Tartarug eiDZunehoien : omd verwandte diesen Arm
a)s Abieiter bei gefilbrlichem Hocbwasaer, achleb ibn aber 1838. Erst
die systeinatisohen Deicbbauten der Neuzeit haben ferneren Abwei-
chungen ein Ziel gesetat
Von den vielen Gewflsaern , die in die Lagunen Venedigs sich «*-
gleisen, verdient der Bacdiiglione Erwähnung. Sein Gebiet in den
Alpen umfafst zwar nur 930 D km (17 DM.), empftngt aber sehr reich-
Uche Niederschläge, so dab er auf der 49 km langen Strecke zwischen
Vicenza und Padua Barken von 60—70 Tonnen Inhalt tragen kann.
Im Aherlum führte er wahrscheinlich den Namen ToguOHHt und mün-
dete in die Lagune von Chioggia. Jetzt ffiefst er mit der Brenta zu-
sammen weiter südUch aus. — Der Meduacus Brenta entspringt öst-
lich von Trient aus zwei Seen am oberen Ende des Thals von Amugum
Val Sugana^ welches er in OBichtung durchflielst. Nachdem er 1. den
Cismone angenommen, wendet er sich nach S und tritt bei Bassano
in die Ebene hinaus. Er fliefst nach SSO und wird halbwegs von Pa-
dua für Barken von 30 — 45 Tonnen schiffbar. Im Altertum berührte
er wie es scheint die Mauern dieser Stadt und mündete in die Lagune
von Malamocco, sei es dafs der Porto di Malamocco oder 3 km süd-
licher der jetzt verstopfte Porto Secco seine Verbindung mit dem Meer
herstellte. Ein Nebenarm ergofs sich mit der foita Ciadia in die La-
gune von Chioggia.^) Nach der Eroberung des Festlands haben die
Venezianer um ihre Lagunen vor den Ablagerungen des Flusses zu
sichern denselben in zwei Canfile abgeleitet und ihm mit dem Bacchig-
lione vereint bei Brondolo wenig oberhalb der Etsch eine neue Mün-
dung angewiesen. Der heutige Name Brenta ist bereits am Ausgang
des Altertums verbreitet. 2) — Am NEnde der venetischen Lagunen
bei Altinnm fliefst der Silü Sile ein , indem er sich gleichfalls in meh-
rere Arme theilt. Er ist nur 85 km hing, doch von Ton^tiitttm Trerifo
ab, das an seinem 1. Ufer liegt, für kleinere Barken zugänglich.
Unter den in die Lagunen von Concordia einmündenden Flüssen
ist der grOfste die Piave PUuns : sie ist 220 km lang und entwässert
ein regenreiches Gebiet von 4100 Dkm (74S'sDM.), wovon etwa
1) Uvios X 2 kennt nor einen Meduaeu$ und als Pataviner mofate er
Jedesfalls hierüber Bescheid wissen. Wenn Piinins HI 121 Meduaci duo er-
wähnt, 80 iat die im Text gegebene ErUirang die einfachste; anch dieZosiUe
der Reisekarte maior nnd mtnor sind in diesem Sinn allein zn verstehen (Tgl.
Po grand9 und PoateiiOy AdigB nnd Adigetto).
2) YenantioB Fort. misc. pro). Geog. Rst. IY 36 Brinta,- Tab. PenU BrinMa.
S 4. EinzelflAsse. \ 195
3000 O km auf das Gebirge kommen. Von ihren Quellen in den Car-
oischeB Alpen strOroi sie nach SW an BeUunum Belluno und FeUria
Fdtre vorbei, indem sie oberhalb der letzteren Stadt den reifsenden
Cordev^le aufnimmt In der Ebene angelangt scbUfgt sie die Richtung
nach SO ein. Sichere Anzeichen von bedeutenden Aenderungen ibree
Laufes liegen vor: doch läfst sich für die römische Zeit nur eine mit
Sicberheit nachweisen. Der Name des Flusses fehlt nämlich in der
Kastenbeschreibung des Plinius und taucht überhaupt zuerst im 7. Jahr-
hundert auf. 0 Dies erklärt sich nur durch die Annahme dafs er sich
vor seiner Ausmflndung entweder mit dem Sik oder mit der Li?enza,
möglicher Weise mit beiden vereinigte und unter ihren Namen einbe-
griffen ward. Verlassene Betten führen nach dem einen wie dem aiv-
deren hin und die Gabelung dieser Ströme ist ja eine gewöhnliche
Erscheinung« Der jetzige Ausfluls ist neueren Datums. Unter keinen
Umstanden aber konnte ein so bedeutendes Gewässer unbemerkt blei-
ben, wenn es eine eigene Mündung von seinen Nachbarn unabhängig
besessen hätte. — Die Liqueniia Livenza 115 km bng hat ein Gebiet
von 2690 Dkm (49 DM.) und einen mittleren Afaflufs von 100 Cur
bikmeter. Sie entspringt am Fufs der Alpen, empfängt aber von 1. aus
den inneren Thälern Zelline und Meduna , dann die kürzeren Sile und
Lemene. Das Gestein dieser Kalkgebirge verwittert leicht: daraus er-
klärt sich die ungeheuere Masse von GerOll welche die Flüsse herab-
führen und in gewaltigen Betten ausbreiten, in denen gelegentlich
kaum ein schmaler Wasserfaden bemerkt wird; so dehnen sich z. B.
die beiden erstgenannten Zelline und Meduna bei ihrer Vereinigung
oberhalb Pordenone Ober volle 6 km in der Breite aus. — Den gleichen
Charakter trägt der 170 km lange TiUaventus Tagliamento. Innerhalb
des Gebiifs (liefst er von W nach 0 und wird verstärkt durch den von
N kommenden But, dem die Strafse über den H. Croce (S. 165} folgt,
sowie von 0 her durch die Fella, der die Strafse über den Tarvispafs
folgt. In der Ebene beschreibt er einen flachen Bogen gegen W, des-
sen Sehne dem Meridian entspricht Er hat sein Kiesbette 'über ein
bis zwei Kilometer Breite und zu einer solchen Hohe aufgeschüttet,
dafs z. B. Codroipo ein lebhafter Ort an der Eisenbahn volle 9 m unter
dem tiefsten Stand desselben liegt. Unter solchen Umständen ist von
Schiffahrt keine Rede: auch das unterste Stück ist versandet und nur
für Bote zugänglich. Die Alluvionen haben das Aussehen der Gegend
1) Yenantius Fort. misc. prol. Paul. Diac. hi8t.LaDg. II 12.
13*
196 Kap. IV. Das Poland.
gründlich umgestaltet. Die Küstenbeschreibung des Plinius untei*schei-
det zwei Mündungsarme des Tagliamenio einen Haupt- und Nebenarm,
die mit Sicherheit nicht mehr nachgewiesen werden können. <) — Der
5!0it/tiis Isonzo ist 130 km lang mit einem Gebiet von 3200 Dkm. Die
Quelle liegt im Trentathal zwischen Hangert und Terglou derjenigen
der Save gegenüber. Der machtige Strom, der ihr entspringt, wird von
einem 90 km langen engen Thal eingeschlossen , das mit drei Win-
dungen von N nach S streicht. Wie er in die Ebene hinaustritt, wen-
det er sich SWwärts und nimmt unterhalb des pons Sonti^ wo die
Alpensirafse über den Birnbaumer Wald abzweigt (S. 166), den fluvm
Frigidus Wippach auf. Nachdem er ferner den mit Natüo Natisone
vereinigten Turrus Torre aufgenommen, biegt er nach S um und schiebt
sein Delta westlich vom Golf von Monfalcone vor. Die letzte Strecke
führt den Namen Sdobba. Der Forum lulium Cividale berührende
Natiso sowie der r. in ihn einOiefsende Tnrrus schleppen beide viel
Geröll mit sich und lagern es in breiten Betten ab. Im Altertum mün-
deten sie nicht in den Isonzo, sondern bespülten die Mauern Aquileia's
an der 0 Seite , das derart mit der Lagune und durch den Hafen von
Grado mit dem Meer in Verbindung stand. Wann die Aenderungen
des Laufes eingetreten, wird nicht berichtet.^)
§5. Uebersicht der Flüsse.
Nachdem wir die Zahl der Flüsse erschöpft haben, welche an der
physischen Bildung des Flachlands einen hervorragenden Antheil ge-
nommen und das geschichtliche Leben desselben bedingen, fügen wir
zum Schlufs eine Uebersicht der wichtigsten Daten , die Länge Gebiet
mittleren und höchsten Abflufs betrefTen , hinzu. Wenn auch diese
Angaben nur zum Theil auf exacten Beobachtungen, vielfach auf Com-
binaüon und Rechnung beruhen, deshalb in Zukunft voraussichtlich
berichtigt werden müssen, so besitzen doch annähernde Werte in Zah-
len den grofsen Vorzug dafs sie einen festen Mafsstab enthalten und
Vergleiche ermöglichen, welche durch die Bezeichnung grofs und kleio
1) ni 126 flumina et portus ReaHnum [Lemene, Porto di Falconera?]
TiUavenium tnaius [Porto di Baseleghef] minusque [Porto di Tagliamento?]
j4naxum [Porto Lignano?] quo Faramm [Stella?] defiuU^ AUa [Auaa].
2) Der ptnu SontU wird schon 235 n. Chr. erwähnt GIL.Y p. 75. 935 und
damit sind alle Hypothesen fiber die spite Entstehung dieses Flosses a. s. w.
hinfliUig. Dafs er von Plinins nicht erwähnt wird, deutet darauf hin dafs ihm
ein Hafen fehlte.
§ 5. Uebersicht der Flusse.
197
sich nimmermehr erreichen lassen. In diesem Sinne will die folgende
Tabelle verstanden sein. Sie zählt zuerst die linksseitigen Alpen-, dann
die rechtsseitigen Appenninzuflüsse des Po (den Tanaro eingeschlos-
sen) auf und fügt einige Notizen in Betreff der übrigen Flüsse des
Tieflands bei.
Länge
Po oberhalb
Turin
km
98
Dora Riparia 1 125
Stura
Orco
Dora Baltea
70
80
160
Sesia
138
Agogna
140
Ticino
Lambro
248
130
Gebiet
Mittlerer
Abflurs
in der
Secnnde
finispre-
cbende
Regen-
höhe
Dkm
Berg 2270
Ebene 2780
5050
Berg 1171
Ebene 60
1231
Berg 761
Ebene 199
960
Berg 840
Ebene 414
1254
Berg 3823
Ebene 499
4322
Berg 1250
Ebene 1670
2920
Berg 205
Ebene 1885
2190
Berg 6466
Ebene 762
7228
Berg 238
Ebene 3215
3453
Cabikm
108,96
30,66
215,26
62,50
15,03
77,53
5,12
15,06
20,18
411,00
7,14
22,51
29,65
1,514
0,347
139,62
56,21
0,60
0,869
1,514
0,315
56,81
38,05
1,99
1,456
1,514
0,315
40,04
42,00
4,14
1,315
1,577
0,315
46,14
210,27
4,99
1,160
1,735
0,315
1,671
1,577
0,284
0,837
0,788
0,252
0,290
2,000
0,946
0,221
0,271
Höchster
Abflufs
in d«r
Secnode
Otbikin
1250
500
400
1000
2000
1350
400
5400
500
198
Kap. IV. Da« Poland.
Länge
Adda
Oglio
Mincio
AlpenflQsse
inggesammt
Tanaro
Scrivia
Trebia
Taro
Parma
Secchia
97
Panaro
Appenninflttsse
insgesammti)
1) Die kleinen hier mcht
eingereclinet.
Gebiet
km
275
280
194
276
85
115
150
90
157
Okm
Beug
Eben
Berg
Ebene
Berg
Ebene
5826
2163
7989
8426
3215
6641
2044
815
2859
45910
Berg 4379
Ebene 3605
7984
Berg 641
Ebene 451
1092
Berg 916
Ebene 98
1014
Berg 1537
Ebene 546
2083
Berg 1256
Ebene 470
1726
Berg 1221
Ebene 1325
2546
Berg 1058
Ebene 1234
Mittlerer
Al>aiilii
in der
Seeande
CaUkB
244,33
136,84
67,45
6,52
73,97
1491,37
100,72
32,45
133,17
17,31
4,06
21,37
24,73
0,69
25,42
38,43
3,28
41,71
25,12
2,82
27,94
34,47
8,01
42,48
29,63
7,40
2292 37,03 0,510 690
23472 393,30 7000
aufgefOlirten FIfisse wie Gnrone Staffoia Tidone etc.
Entspre-
clwnde
Regen*
höhe
0,964
0,432
0,815
0,725
0,284
0,526
0,852
0,284
0,617
0,852
0,221
0,790
0,788
0,189
0,631
0,631
0,189
0,511
0,883
0,189
0,526
0,883
0,189
Höchster
Abflnb
Inder
SecDode
Oabita
827
550
150
14300
1700
400
1000
1200
400
790
1 6. Die Marseben.
199
Lange
Gebiet
Mittlerer
Abflnb
in der
Secunde
Entspre-
clieiiAe
Regen-
ItfilM
HöchBter
Abfluft
index
Secunde
Po bei Ponta^
km
Qkm
OabUn
•
m
Cabitat
iagoflcuro
672
69382
1735
0,781
7000
Reno
220
4688
95
1160
Etsch
410
22400
220
2500
BacchigUone
113
1600
78
770
Brenta
160
2300
130
«
1030
Piave
220
4100
60
3000
Li?eDza
115
2690
100
1000
Tagliameoto
170
2590
80
1500
Isonzo
130
3200
§ 6. Die Marschen.
Da3 MttnduDgs^biet dieser Flüsse, das sich auf einer Lange von
ca. 250 km vom Golf von Triest bis nach Rimini erstreckt, bildet eine
natürliche Einheit und erheischt als solche eine zusanunenhflngende
Darstellung. Ein Keiner Italiens^) schildert dasselbe in markigen Zu-
gen: „da empfängt uns tiefes Gelände, feuchter Dunst, ein Labyrinth
von Kanälen und Flufsarmen, ein unbeschränkter Horizont, die Region
der Fieber Moskitos und FrOsche. Land und Meer mengen sich; La-
gunen Sandbänke Lachen Sümpfe undurchdringliche Rohrdickichte
eingedämmte Wiesen überschwemmte Reisfelder dehnen sich meilen-
weit. Der Boden erst im Laufe der Jahrhunderte entstanden, anwach-
send fast vor unsern Augen, ist von Menschenhand in allen Richtungen
(luixhschnitten und umgestaltet, seine Wasser getheilt, zur Seite ge-
beugt, in neue Bahnen gedrängt, seine auftauchenden Hohenpuncte
alsbald von der Cultur besetzt und durch aufgeworfene Wälle verwahrt.
Dies sind die Niederlande Italiens, hier ist die Heimat der Wasserbau-
kunst, classischer Boden für Arbeit mit Grabscheit und Rieht wage seit
uralter Zeit, ja vor aller deutlichen Geschichte.'^ Und nachdem er die
Ueberschwemmungen und Aenderungen der Flufsläufe hervorgehoben,
Hihrt er fort: ,^der Mensch aber half nach oder hinderte, je nach seinen
Zwecken ; er überlistete oder zähmte das ftirchtbare gefahrvoll-heil-
1) Victor Hehn, Italien, Aniiohten nnd Strcifiiehter, St Petersburg 1867,
p- J. 11.
1
I
200 Kap. IV. Das Poland.
same Element, durchgrub und durchwühlte den schlammigen Boden
nach allen Seiten und fügte zu den Veränderungen durch rotte (Durch-
brüche) seine eigenen wolberechneten durch taglj (Durchschnitte).
Oft aber zeigten die Folgen dafs er sich geirrt, dafs ein neuer Arm,
den er geöffnet, eine neue Richtung, die er den Vf^assern gegeben, eine
Vereinigung oder Trennung derselben, die er unternommen, verderb-
lich statt heilsam wirkte, z. B. den Sand aufhäufte, wo die Schiffahrt
frei bleiben sollte : dann schlofs er künstlich die von ihm selbst geschaf-
fene Oeffnung wieder, gab dem Flusse seinen alten Weg oder einen
dritten neuen, um vielleicht nach Jahren, wenn die Umst£[nde oder die
Ansichten sich geändert, wieder zu jener verlassenen Wasserstrafse
zurückzukehren. Zwischen all diesen Flufsarmen aber laufen in allen
Richtungen, gerade und mäandrisch gekrümmt, zahllose Kanäle und
kleinere und gröfsere WasserfSlden in einem verworrenen Netz, von
beladeneo Schiffen und leichten Böten befahren , die aus der Ferne
gesehen oft wie über die grüne Wiese dahinzugleiten scheinen.^) Die
Werke der Wasserbaukunst in diesen Gegenden sind in der That von
einem Umfang, dafs man erstaunt wenn man sie überschlägt, und da(s
es schon den Alten, die noch kein Holland kannten , geläuflg war Ve-
netien mit Aegypten zu vergleichen.^
Die aufgezählten Flüsse sind sämmllich eifrige Landbauer. Das
Powasser enthält an festen Bestandtheilen i/'aoo seines Volmnens. Lom-
bardini berechnet den jährlichen Durchschnitt der Erdmassen , welche
der Po dem Meer zuführt, auf einige 40 Millionen Cubikmeter: sie
würden genügen um bei einer Tiefe von 4 m eine Insel von 1000 Hek-
taren oder 10 Dkm Flächeninhalt aufzuschütten. Wenn aber grofse
Ueberschwemmungen eintreten, übersteigt der Betrag die angegebene
Gröfse bedeutend ; z. B. führte das berühmte Hochwasser, welches vom
7. October 1839 bis zum 4. Januar 1840 anhielt, nicht weniger als
110 Millionen Cubikmeter Erde ins Meer hinaus. Gegenwärtig schiebt
der Po jedes Jahr seine Mündungen um 70 m vor und fügt seinem
Delta 113 Hektaren Land hinzu. In entsprechender Weise sind die
übrigen Flüsse thätig. Ihre Anschwemmung macht sich in geraumen
Abständen von den Mündungen noch fühlbar, so dafs z. B. die Küste
bei Ravenna in jedem Jahrhundert 230 m gewinnt. FaUs das Vor-
1) Gassiodor Var. XU 24 puiantur eminuM quasi per prata fnri^ cum
eorum eonUngit alveum non videri. Eine Grabschrift ans der Gegend unter-
halb Ferrara schlierst mit dem Grafs viatores et velaioree ealvete CIL. V 2402 :
ein Zeichen dafs die Wasserstrarse der Landstrafse hier gleichberechtigt war.
§ 6. Die Marschen. 201
lilckeo nach dem von der Neuzeit beobachteten Mafsstab andauern
sollte, 80 wird der Po schliefsUch die Nordspilze der Adria abschneiden
und ausfllUen , gerade wie die Adda dies mit dem Comer See gethan
bat Aliein die Land bildenden Kräfte werden durch Land zerstörende
Rrflfte in Schranken gehalten. Das gesammte Lagunengebiet von Aqui-
leia bis Ravenna — wie auch die gegenüber liegende Küste Istriens
und Dalmatiens — ist im Sinken begriffen. In der letztgenannten
Stadt wird die Senkung auf 15 Centimeter im Jahrhundert geschätzt.
Auf den Inseln Venedigs stiefs man auf römische Bauten , die unter
dem Spiegel der Lagune liegen , und bei Aquileia ist der Lido mit sei-
nen Inseln Y die noch im Mittelalter bewaldet und bevölkert waren,
grofsentheils vom Meer verschlungen worden. Wie lange dies Sinken
bereits anhält, mag die Thatsache veranschaulichen, dafs bei einer
Brannenbohrung in Venedig die Dicke der Anschwemmungsschicht auf
130 m festgestellt wurde. Es leuchtet ein dafs die aufbauende Thatig-
keil der Flüsse hierdurch wirksam bekämpft wird. Ueberhaupt aber
können die in den letzten Jahrhunderten gemachten Messungen nicht
obne Weiteres auf Mittelalter und Altertum übertragen werden. Viel-
mehr nimmt der Anwachs des Landes jetzt einen anderen und viel
schnelleren Fortgang als früher und zwar aus einem doppelten Grunde.
Erstens nämlich sind sämmtliche Wasserläufe in der Neuzeit nach ei-
nem bestimmten System eingedeicht und damit genötigt worden ihre
festen Bestandtheile ohne Abzug im Meer abzulagern , da sie ehedem
die anliegenden Niederungen und Lagunen erhöhten. Während ako
jetzt die Anschwemmung die Küste beständig vorrückt, äufserte sie
sich früher in der Verkleinerung der Lagunen. Zweitens hat die Masse
der Sehwemmstoffe wahrscheinlich eine bedeutende^ Vermehrung er-
fahren durch die sinnlose Ausrodung der Bergwälder. Die Fachleute
haben nachgewiesen dafs die Beständigkeit der Flufsiäufe abnimmt,
dafs die Extreme von Dürre und Hochflut immer weiter aus einander
gehen. Seitdem der Schutz des Waldes aufgebort, haben Regengüsse
und Wildwasser die Gehänge von ihrer Erddecke enlblofst und spülen
mehr Schutt zu Thal als in alten Zeiten ihnen möglich war. Nach dem
Gesagten ist klar, daCs die Umrisse der venetischen Küste im Altertum
von den heutigen abwichen. Um ein annäherndes Bild derselben zu
gewinnen, müssen wir von den Gesetzen ausgehen, welche die Gestal-
tung des Bodens bedingten.
202 Kap. IV. Das Poland.
I 7. Die L4igunen.
Die Flosse trageD ihre Seakstoffe ias M«er hinaus , das Meer bei
vorbemcheoden 0 und SO Winden sucht dieselben wieder auscuwer-
fen. Ferner lauft an der italischen Koste eine constante StrOmniig
Yon N nach S (S. 104). Das Zusammenwirkaa dieser drei Factoren
veninlabt die Bildung von Dflnen (lüns Lido) d. h. Landaungen , die
wenige Net«r Ober den Wasserspiegel aufsteigen und in wechselnder
Breite von 100—600 m das Gestade fortlaufend einfassen. Die DOnea
entstdien entweder am Rand des Festkndea oder in geraumer Ent-
fernung von demselben , wo der Widerstreit der Krilfte sieb gegensei-
tig aufhebt Im letzteren FaUe werden seichte Meerestheile (iUfcrc^-
Aovra MtQgimm pefas Lagune) abgeschnitten, die durch die Älhima
einmOndender Flflsse ihrer sicheren Ausmilulig enlgegengehen. Oeff-
nungen im Udo leiten das OberschOssige Wasser ab und TerstatleD
der Flut den Eintritt. Deqenige Theil der Lagune, welcher vom
Wechsel der Geseiten berührt wird , heilst lebende , der versumpfte
Theil, den die iflgliche Flut nicht n^elur erreicht, todte Lagune (JkgitM
mva 6 fl«er(a>. meine Inseln heben sich aus dar Fliehe ab und laden
den Fischer ein seine WohnstäUe hier auf^ischlagen. Gegenwärtig
sind noch vier getrennte Lagunengebiete vorhanden: das von A^uileia
zwischen Isonzo und TagUamento, das von Gaorle oder CoMorOa
zwischen TagUamento und Livenza, das von Venedig, welche Ober
600 Dkm einninnml, endlich das 300 Dhm grofiie von Comacchio
zwischen den ahen Armen des Po. Am Treuesten hat das Gebiet voa
Venedig seine frohere Gestalt bewahrt: aus der Beschreibung, welche
Livius von dem 801 v. Chr. gegen seine Vaterstadt gerichteten Raub-
zug des Kleonyinos giebt, treffen die hauptsächlichen Daten noch jetzt
vollkommen zu und man darf nur folgern , dpfs die lebende Li^ne
sich damals 4 km weiter landeinwärts erstreckte als gegen wäiligJ)
1) X 2 expariUs paueü qui Iqcü emplorarmü cum audiuet tenme prat'
ieniutn Uhu mm, quod trantgresnt stagna ab Urgo nnt, irrigua autihui
mariUmit^ agras kaud procul proxumos campeitres eemi, uUeriora eoUes
videri^ esse ostium ßuminü prasoUi, quo eircumagi naves in iteKonaM itdam
vidiumi — MeAtacu» amms erat. Die Griechen aegehi durch den Porto di
Melamocco ia die Lagune ein, ankern 17 Millien yqi^ Padnt ond landen 3 BTü-
lien oberhalb mit leichten Schiffen. In der That betragt die Entfernoog tod
Padna bis Logo am Rand des Festlands 21 km' » u MilUen, wihrend die
todte Lagune, welche fflr Dreirnderer unnahbar sein muCste, jetzt 9 kn, nr
Zeit des LitIus nur 3 Millien sich ausdehnte; vgl. Lombardini, Estnario p.23.
§ 7. Die LagimeD. 208
Die Erfaaltong der Lagune ward durch den Umstand begünstigt , dafs
keiae grofsen Flösae in dieselbe einmündeten , aber dodi überhaupt
mir durch die Fürsorge der venezianischen Regierang, die aUe Gewäs-
ser ängstlich fem hielt (S. 194), ermöglicht. In der That haben Brenta
und Bacehiglione , welche im 16. Jahrhundert nach der Lagune yon
BnmMum Brondolo abgeleitet wurden , diese vollständig ausgefllUt
und ihre Mündung um 2500 m vor dem Lido vorgeschoben. Zur Ro-
meneit reichten die Lagunen nördlich von Altinum bis südlich von
Ravenna: ihre Länge wird — etwas zu hoch — auf 120 Millien m>
180km angegeben. 1) Beide Städte, die Hauptplitze der Küste, liegen
jetzt im Binnenland und lagen damals auf Inseln gleich dem heutigen
Venedig auf Pfifhien eirbaut. Der Verkehr der Reisenden vom einen
zum anderen bediente sich der Wasserstrafse, ähnlich wie man vor dem
Bau der Eisenbahnen zu Schiff von Venedig nach Ferrara fuhr.<) Na-
tarlicher Weise bestand dieser grofse Kflstensee nicht aus einer ein-
zigen zusammenhängenden Wasserfläche, sondern zerfiel durch Land-
slreifen in eine Menge verschiedener Abschnitte. Nimmt man eine
Specialkarte dieser Allnvialgegenden zur Hand, so erinnert ihr Bild an
einen lockeren Schwamm mit weiten Poren. Die festen Landfasern
sind von Pfaifsläufen durchzogen ; denn der Flnfs beginnt immer damit
sich ein Bette aufzuschütten , beziehentlich durch seine Ablagerungen
hindurchzuwühlen. Sobald ihm dies zu beschwerlich wird, bricht er
seitlich durch und sucht einen neuen Weg, den er wieder fest macht.
Derart wird die Lagune mit einem Netz von schmalen Landbetten über-
spannt, in welchem Wasserlachen stehen bleiben — wie die Lagune
von Comacchio mit 1 — 2 m Durchschnittstiefe solche enthält — wenn
nicht grofse Ueberschwemmnngen ausgleichend einwirken und die
Lachen ausfüllen. Aber man erkennt noch jetzt in den schmalen Acker-
gründen, die »ch über den Wiesen der Niederungen erheben und
zahlreiche Dörfer tragen, die ehemaligen Flufsläufe wieder, während
dem oberflächlichen Blick alles eine gleichförmige Ebene zu sein
scheint.
Nach solchen Gesichtspuncten vermögen wir das Ausseben des
StnboV2t3 giebt die Fahrt vom Meer bis Padua zn 2bO Stadien — 46 km
an: was unter Btrfickalchtigimg der Krftmmungen des Fahrwissen gat stimmt.
1) PÜD. III 119 Padus ^ . . dedudus in flumina ei foua* inter Ra»ennam
Attinumque per CXX,
2) It Ant. p. 126 Ravenna . . . inde naviganiur eeptem maria AIH-
num utque.
204 Kap. lY. Das Poland.
Kttstenlandes zur Römerzeit wenn auch nicht im Einzelnen so doch in
den wichtigsten Zügen uns zu vergegenwärtigen. Der alte Lido von
Burano ab Altinum gegenüber bis nach Brondolo ist, wie oben ange-
deutet, unverändert erhalten. Von hier aus läfst sich sein weiterer
Verlauf im Binnenland mit Sicherheit verfolgen. Er berührt Cava-
nella an der Etsch, streicht 4 km Ostlich an Loreo vorbei und trifft den
Po della Haestra bei Taglio. Das Land ist hier um einige 20 km vor-
gerückt und zwar gehurt dieser Zuwachs fast ausschliefslicb der jüng-
sten Periode seit 1600 an. Südlich vom Po della Haestra theilt sich
die Düne in drei Zweige zum Zeugnils, wie die Landbildung nach und
nach fortgeschritten ist. Der westliche ist der älteste : er berührt Mes-
senzatica Morozzo Caldirolo , durchschneidet die Lagune von Comac-
chio und trifft den Po di Primaro bei S. Alberto. Dies Gestade liegt
hinter dem jetzigen 10 — 12 km zurück. Es setzt sich in der mit Pinien
bewaldeten Düne von Ravenna und Cervia bis nach Rimini hinunter
fort. Dergestalt streicht die Düne 160 km lang in regelmäCsiger Gurve
von Altinum bis Ariminum und kann im Wesentlichen als der Ufer-
rand des Altertums angesehen werden. Damit sind in den letzten an-
derthalb Jahrtausenden dem Heer annähernd 12 — 1500 Dkm abge-
wonnen worden. Die Ausfüllung der Lagunen steht hierzu in ent-
sprechendem Verhältnifs. Um den ehemaligen Umfang derselben zu
bestimmen stehen uns zwei Hülfsmittel zu Gebote. Das eine bieten
die Funde romischer Inschriften und Ueberreste dar, das andere die
Erhaltung der antiken Flurtheilung. Lombardini i) hat durch aufmerk-
sames Kartenstudium entdeckt, dafs die altrOmische Centurie von 200
Horgen »> 50,4 Hektaren in vielen Gemarkungen der Aemilia und
Venetiens als Grundlage der Feldeintheilung bis auf den heutigen Tag
sich fortgepflanzt hat. Er führt dieselbe auf die Assignationen des
2. [1.?] Jahrhunderts v.Chr. zurück und benutzt seine glückliche Ent-
deckung um die Ausdehnung des Ackerlandes und die annähernden
Grenzen von Sumpf und Lagune für die damalige Zeit zu ermitteln.
Er umschreibt die Lagune von Ravenna durch eine über Bagnarola
Pradozzi Bagnile Canuzzo Russi Bagnacavallo Fusignano nach S. Agata
und Massa Lombarda gezogene Linie. Der Po di Primaro trennte diese
Lagune von derjenigen von Comacchio; die letztere kann sich, wie
zahlreiche in dortiger Gegend gemachte Inschriitenfunde beweisen,
nicht viel weiter westwärts erstreckt haben als gegenwärtig. Sie wird
1) Ettuario Adriatico p. 58 fg. 74 fp.
§ 7. Die Lagunen. 205
im Norden eiogefafst vom Po di Volano, auf den die Lagune von Atria
folgte, jetzt Valli d'Ambrogio, von den Römern Septem maria genannt,
da sie nach dem Vorbild des Nil 7 HauptmOndungen des Flusses un-
terscheiden wollten. M Die Erörterung von Detailfragen gehört dem
zweiten Theil dieses Buches an; hier handelt es sich lediglich darum
die allgemeinen Grundzüge festzustellen.
Polybios macht nur zwei Arme namhaft, indem er die Gabelung
bei den sog. Trigaboli d. h. in der Nähe Ton Ferrara ansetzt; der
eine (Po di Primaro) beifst Padoa, der andere schiffbare Olana d.h.
Po di Volano; bei letzterer Mündung bietet ein geräumiger Küsten-
see (Valli di Comacchio) einen gesicherten Ankergrund dar. 2) Plinius
giebt eine ausführlichere Beschreibung: nach Ravenna wird der Po
durch den Canal des Augustus geleitet und heifst Padusa, ehedem
Mes$anieu8. Der innere Landstreifen der Lagune von Comacchio (zwi-
schen Valle del Mezzano und Valle Fossa di Porto) führt den Namen
Agosta und entspricht aller Wahrscheinlichkeit nach der fossa Äuffusta,
die derart nicht blos bis zum nächsten Arme reichte. Dies ist nämlich
die Hündung von Spina oder der EridanuSy in welche der Vatrenus
Santerno von Imola her einflofs. Wie die Alluvion im Mittelalter
Ravenna aus einer Hafen- zu einer Landstadt gemacht, so hatte sie im
Altertum das ehrwürdige Spina 90 Stadien — » 17 km vom Meer fort-
gerückt und in ein unscheinbares Dorf verwandelt^): man sucht es bei
Longastrino an der Valle del Mezzano. Zwei weitere Mündungen —
osiium Caprasiae und Sagis — sind in der Nähe von Comacchio zu
suchen. Die Karte lehrt dafs hier ansehnliche Wassermengen ihre
^enkstoffe angeschwemmt haben und zwar, da der Ort Comacchio be-
reits im 9. Jahrhundert erwähnt ^rd, in alter Zeit. Sie haben auf einer
Basis von 9 km ein Delta um den gleichen Betrag vorgeschoben. Das
ostium Caprasiae entspricht dem jetzt verlassenen Porto di Belocchio,
das ostium Sagis dem Porto di Magnavacca. Aus dem Sagis benannten
Arm führte die fossa Flavia nordwärts in die Lagune von Atria. Dieser
von den Etruskern angelegt«, von Kaiser Vespasian erneuerte Canal
(Argine Trebba?) durchschnitt zunächst den Volane, dessen Mündung
in der Nähe der seit dem 9. Jahrhundert blühenden Abtei Pomposa zu
suchen ist, und setzte sich (Canale di Mezzogoro?) nach Ariano zu fort.
Hier lief ein anderer Arm, der Po di Ariano oder di Goro, welcher die
1) Plin. ni 121 Heia 11 62 Herodian VOI 7, 1.
2) n 16 Plin. m 119 fg.
3) Strabo V 214.
206 Kap. IV. Dm Poland.
ausgeddiDtea Lagunen der Valli d'Ambrogio und di Goro im Norden
begrenzte. Derselbe mufs in einer firtthen Epoche bedeutend gewesen
sein; denn drei, wie oben bemerkt, oder gar yier alte Dünen finden
sich hier, jede ein paar Kilometer vor die nächste vorgerückt. Die Mün-
dung hiefs Carbanaria und war nach dem ZeugniC» des Plinius ver-
stopft. Der Po di Goro zweigt jetzt bei Papozze vom Po della Haestra
ab; sein alter Lauf scheint etwas südlicher mit dem Canal Naviglio und
Bianco zusanmien zu fallen. Jedoch bleibt es ungewifs, ob sein An-
fang bei Ferrara oder Ficarolo anzusetzen ist: Lombardini entscheidet
sich schliefslich für den letzteren Ort; indessen dürften die Berichte
über die rotta di Ficarolo im J. 1150 damit schwerlich zu vereinbaren
sein. Es ward schon S. 191 darauf hingewiesen dafs der jetzige Haupt-
arm mit seinen zahllosen Verästelungen , dem Po deUa DonzeUa delle
Tolle della Haestra di Levante erst seit jenem Durchbruch entstanden
ist Im Altertum setzte sich der Lido von Ariano bis Loreo ununter-
brochen fort, wo im Porto di Loreo oder Porto Viro die Hündung sich
befand, welche das alte Atria mit dem seinen Namen tragenden Meere
in Verbindung setzte. Der Wasserlauf, an dem die Stadt lag, ward von
den Alten entweder nach dieser oder als Tartarus^ jetzt gewöhnlich
Canal Bianco genannt. Es scheint übrigens Plinius zufolge eine dop-
pelte Mündung vorhanden gewesen zu sein : eine südliche, welche mit
Atria eine künstliche Verbindung herstellte, fossiones und eine nörd-
liche deren Abflub aus Togüonui Bacchiglione und Atetis Etsch ab-
zweigte, fossa PhilisHna oder Tartarus^) Der letztere Arm wird mit
dem Scolo Tartaro identisch sein, so dafs also der berühmte Geschicht-
schreiber von Syrakus (S. 92) in der ersten Hälfte des 4. Jahrhun-
derts V. Chr. einen Canal aus der Etsch in die Lagune von Alna ein-
geleitet zu haben scheint, dessen Wasserreichtum von Plinius bezeugt
wird und dessen Anschwemmungen auf der Karte deutlich zu Tage
treten. Der Hauptarm der Etsch dagegen ergob sich in die Lagune
von Brundiuhim Brondolo, welche in der Neuzeit durch die Brenta aus-
gefüllt worden ist (S. 203). In den Lagunen von Venedig macht Plinius
den porhu Äedro namhaft, der vielleicht mit demjenigen von Chioggia
identisch ist. Der letztere Name bewahrt das Andenken der foisa Clo-
dui, die in republikanischer Zeit — wir wissen nicht wann — gegra-
1) Die Worte des Plinius lauten nach den Handschriften: inde otUa plena
Carbonaria fossione» ae Philistina ^ quod alii Tartarum voeani, 9mnia «r
PMHstinae fouae abundaiione naseenüa, accedenUbiu j4ten ex Tridoitinii
AlpibuM et Togitono ex Patavinorttm agris.
§ 7. Die Lagunen. 207
beo ward. Den Meduaeui maiar erkennen wir im Porto di Malamocco,
den Meduaeus mmar im Porto Secco (?) wieder.
Dies ganze Gebiet ,. um dessen Besitz das feste und flüssige Ele-
ment mit einander ringen , hat eigentümliche Lebensformen hervor-
bringen müssen. Der Fischfang lockte den Menschen an die Ufer der
Seen und Ströme und Ton hier an die Lagunen. Wenn jene bereits
einen Reichtum aufzuweisen haben , so steigert sich der Reichtum in
der Nahe des Meeres in unglaublichem Grade. 0 Die weiten Flachen
innerhalb des Lido boten zahllosen Mengen Yon Meerbewohnem un-
gestörte Laicbgründe dar. Die Ausbeute dieser von der Natur geschaf-
fenen Fischbehälter, welche durch die leichte Gewinnung von Salz
begünstigt wurde, veranlafste die Besiedelung der Laguneninseln.
Cassiodor^) yergleicht die yenetischen Dörfer mit den Nestern von
Wasservögeln; während die Flut sie rings umspült, giebt die Ebbe sie
dem Festland zurück. Durch Weidengeflecht sind die Ufer gefestigt.
Alle leben von Fischen. Der Unterschied von Reich und Arm ist unbe-
kannt. Das Schifi* vertritt die Stelle der Hausthiere. In der Gemeinde
von Comacchio, welche über 5000 Seelen stark die Fischerei in den
Lagunen dieses Namens betreibt, sowie in anderen Fischerdörfern las-
sen sich noch jetzt manche Züge des skizzirten Bildes wieder finden.
Gegen Feinde, mochten sie nun von der Land- oder Seeseite kommen,
durch die Sümpfe geschützt, vollzog die geschichtliche Entwicklung
ihren stillen ungestörten Gang, der ihr durch die natürlichen Bedin-
gungen vorgezeichnet war. Die Fischerei führte zum Handel, aus den
Dörfern wurden Städte. In dem ersten Dämmerlicht, welches auf die
Vorzeit Italiens Mt, tauchen die berühmten Namen Atria und Spina
auf. Aber als die Wasserstrafsen beider Städte durch den Fortschritt
der ADavionen versandeten, ging ihre Blüte zur Kaiserzeit auf Altinum
und Ravenna über. Nach dem Verlauf einiger Jahrhunderte erlagen
auch sie den Naturgewalten und der Primat kam an Venedig, das macht-
voller ihn za behaupten wufste. Von allem Anbeginn hatte der Mensch
sich beider feindlicher Elemente zu erwehren : der Flut welche seine
Wohnstätte fortzureifsen drohte, der Erdmassen welche ihm seine
Wege versperrten. Deich- und Canalbau gehörte zu den notwendigen
Erfordernissen menschlichen Daseins.
1) Yerg. Aen. XI 457
piseosove amne Padtuaß
dant sonitum raud per stagna loquacia eyeni,
2) Yar. XU 24.
208 Kap. IV. Das Poland.
§8. Die Deiche.
Das Nämliche gilt von einem grorsen Theil des Binnenbods.
^Das ganze Land, sagt Strabo^), ist voll von Flossen und SOmpfen, be-
sonders Venetien.^ Er berichtet dafs die Niederungen südlich von
Placentia 109 v. Chr. durch Canäle trocken gelegt wurden. Aus deai
Mittelalter werden ähnliche Errungenschaften der Cultur verzeichnet.
Indessen bedarf es gar nicht der historischen Zeugnisse, ein Blick auf
die Karte genügt um die weite Ausdehnung der Sümpfe im Altertum
zu erkennen. Der reiche Stadtekranz, welcher Rhein und Rhone
schmückt, fehlt dem Po. Wenn der Po die natürliche Ader darzustel-
len scheint, durch welche das Leben des ganzen Landes aus- und ein-
strömt, so sind doch seine Ufer weder von grofsen Verkehrstrafsen
noch von Emporien eingefafst. Die Rümer haben ihre Festungen an
den strategisch beherrschenden Puncten angelegt. Aber die eigent-
lichen CuUurcentren sind dem Flufsnetz entrückt: ihre Blüte war nicht
durch ihr Verhältnifs zu der von W nach 0 gerichteten Axe des Po,
sondern durch ihr Verhältnifs zu der von N nach S gerichteten Haupt-
axe Italiens bestimmt. In der eigentlichen Periode des Städtebaus, dem
zweiten und ersten Jahrhundert v. Chr. werden vorzugsweise die höher
gelegenen Theile am Fufs der Gebirge in Besitz genommen. Von den
geschützten trockenen Strichen aus hat alsdann der Ackerbauer seinen
Krieg gegen die Ausschreitungen der Flüsse begonnen und bereits im
Altertum bedeutende Erfolge errungen. Plinius nennt den Po gravis
terrae, beschwerlich für das Land ; dasselbe läfst sich von allen diesen
Flüssen wiederholen. Der Grund liegt in der Ungleichheit ihres Was-
serstandes. Der Abflufs des Po istzeitweise bis auf 214 Cubikmeter
in der Secunde gesunken und bis auf 7000 gestiegen. Bei den übrigen
Strömen ist die Schwankung noch viel beträchtlicher. Der mittlere
Gehalt des Po stellt sich auf 1735 Cubikmeter, von denen 243 auf die
Appenninflüsse von der Scrivia bis zum Panaro, 607 auf die Alpeo-
flüsse Piemonts, 885 auf die durch Seebecken gemäisiglen lombar-
dischen Flüsse kommen. Die drei Factoren, deren Zusammenwirken den
grofsen Strom hervorbringt, verhalten sich demnach zu einander wie
14 : 35 : 5t. Zweimal im Jahr sinkt der Strom unter den mittleren
Wasserstand: Ende Juli und Anfang December, so dafs Januar und
August den niedrigsten Stand bezeichnen. Zweimal überschreitet er
das Mittel und erreicht seinen höchsten Stand im Mai und October.
1) V 212. 217.
§ 8. Die Bdche. 209
Die AppeDoinflttsse sind am wasserreichsten von October bis April und
liegen im Sommer trocken. Umgekehrt halten die Alpenflttsse im Win-
ter Yon December bis Mflrz das wenigste Wasser. Die erste Hochflut
des Po wird durch die Schneeschmelze herbeigefUhrt. Die Alten ver*
legten sie irrtümlicher Weise in die Hundstage i); denn der hohe Stand,
welchen Hai und Juni aufweisen, fidlt gerade beim Aufgang des Sirius
unter das Mittel, wenn gleich der August den Januar und Februar noch
überragt. Ihre gänzliche Unkenntnils von der Schneeregion hat offen-
bar die Vorstellung erzeugt, dafs es der höchsten Hitze bedürfe um
jene starren Massen in Flufs zu bringen. Bedeutender ist die zweite
Flut im Herbst, welche ihre Entstehung dem Eintritt der Regenzeit
verdankt. Es ward schon S. 144 bemerkt, dafs die Südalpen äufserst
starke NiederschUige empfangen ; auf den ungestümen Charakter der-
selben werden wir Kap. 1X4 zurückzukommen haben. Die Ungeheuern
Wassermassen, welche in Folge dieser tropischen Regengüsse sich die
Thäler hinabwfllzen, langen im Pobett nidit gleichzeitig an. Zuerst
treffen die Fluten des Appennin ein, an zweiter Stelle die der piemon-
tesischen Alpen , an letzter die durch Seen gezügelten lombardischen
Flasse. Hieraus erklärt sich einerseits dafs der höchste beobachtete
Abflufs des Po nur den dritten Theil des Wasserquantums umfafst, das
aus der Summirung der einzelnen Zuflüsse sich ergeben müfste. An-
dererseits erklärt sich die lange Dauer der Hochflut, die 5 — 20 Tage,
ja in einem aufserordentUchen Fall volle 89 Tage anhielt.
Da der Strom 6, 7, 8, ja mehr als 9 m über sein gewöhnliches
Niveau anschwillt, so bedürfen die umliegenden Niederungen um be-
wohnbar zu bleiben, des künstlichen Schutzes. Das Gebiet, welches
von seinen Ueherschwemmungen bedi'obt ist, umfafst gegenwärtig
12000 D km (218 DM.) und die Länge sämmtlicher Deiche übersteigt
1000 km. Der Hauptdeich (froldo) ist hoher als die höchste beobachtete
Flut^ auf der Krönung 8 m breit, durch einfache oder doppelte Wider-
lager verstärkt, an besonders exponirten Puncten auiserdem mit Fa-
schinen verkleidet. Die Hauptdeiche lassen dem Po stellenweise einen
Spielraum von 4—6 km, engen ihn aber in der Nähe der Mündungen
bis auf 3 — 500 m ein. Im ersteren Falle bleibt ein grofses Terrain
übrig, das durch niedrigere Deiche (golene) — unseren Sommer-
deichen an der Nordsee vergleichbar — gegen gewöhnliches Hochwas-
ser gesichert wird. Während des Mittelalters scheinen die Schutzbau-
1) Pol. n te, 9 Plin. m in. Richtig datirt Seneca nat. qaaesi. IV 2, 19.
Nissen, Itftl. lABdeakniid«. I. 14
210 Kap. IV. Dm Poknd.
ten verDachbssigt und in Verfall geraten zu sein : erst im 12. Jahr-
hundert wird ihrer wieder gedacht. Es unterliegt aber keinem Zweifel
dafs sie — wenn auch lange nicht in der heutigen Ausdehnung und
Vollkommenheit — bereits im Altertum yorhanden waren.
„Venetien, heifst es bei Strabo^), ist wie Unteraegypten von Gräben
und Dämmen durchzogen ; ein Theil ist ausgetrocknet und wird be-
stellt, ein anderer ist mit Vl^asser bedeckt. *^ Einen Deichbruch am Po
beschreibt die gleich anzuführende Schilderung Lucans, welche der un-
mittelbaren Gegenwart entlehnt sein könnte. So lange die Flttsse frei
über ihre Ufer traten, haben sie mit ihren Abbgerungen das umliegende
Land erhöht, aber auch versumpft. Als dasselbe durch Eindeichung
für den Ackerbau gewonnen worden, galt es durch unermüdliche Wach-
samkeit den Besitz zu behaupten. Wenn die Deichlasten nicht wären,
besagt ein ditmarsisches Sprichwort, so könnte der Bauer mit einem
silbernen Pflug pflügen. Gewöhnlich geschehen die Durchbrüche im
October und NoTember (nie im Januar) und werden durch Nachlässig-
keit yeranlafst, wenn man die Gänge des Maulwurfs bei Zeiten auf-
zuspüren und zu verstopfen verabsäumt hat. Von welchen Verhee-
rungen dieselben begleitet sind, mag ein Hinweis auf das Unglück des
J. 1872 vergegenwärtigen, als der Po das ganze Gebiet zwischen Sec-
chia und Meer überflutete und erst im Norden an den Deichen der
Etsch im Süden an denen des Reno seine Gewalt brach: eine Fläche
von 3000 D km Inhalt, welche zwei Jahr später noch nicht völlig wie-
der trocken gelegt war. Es ist wol möglich, dafs die fortschreitende
Entwaldung und die systematische Regelung der Wasserläufe die Höhe
der Flut in der Neuzeit gesteigert haben. Allein die Ueberschwem-
mung des Po bat so gut wie das Erdbeben zu den wiederkehrenden
Landplagen Altitaliens gehört. Beiläufig wird ihrer unter den Prodi-
gien 108 und 44 v. Chr. gedacht an erster Stelle mit dem Zusatz, daüs
viele Tausende ums Leben kamen. Etwas eingehendere Nachrichten
erhalten wir von der 589 v. Chr. über das ganze Land verbreiteten Not,
als das Wasser der Etsch die oberen Fenster von S. Zenone in Verona
erreichte. 2) Der mantuanische Dichter sagt vom Po Georg. IV 372:
quo non alius per pinguia. cuiia
in mare purpureum molentior efßuit amnU,
1) V 212 vgl. IMg. XLID 15, 1 Hpai flumimtm publicarum refieere munire
uUUenmum est und Cod. lust.VÜ 41.
2) Obseq. 40. 68 Gregor. Magn. dial. III 19 Paulos Histor. Lang, m 23.
§ 8. Die Deiche. 211
Und wo er den allgemeinen Aufruhr der Natur im Bürgerkrieg be*
schreibt, gedenkt er auch des heimatlichen Flusses Georg. I 481 :
prohat imano eoniorquma v$rtie9 HbMU
ßuviorum rex Eridanu* eamposque per omnet
cum Stabulis armenta iulit.
Von Lucan besitzen wir die anschauliche Schilderung i):
sie phno Padus ore iummis super mggere tutas
excurrit ripas ei totos coneuiü agros,
succubuit si qua teÜus cumulumque furentem
undarum non passa ruity tum flumine toto
transit et ignotos aperit sibi gurgite eampos,
iüos terra fugii dominas, Ms rura coUmis
aeeedurU donante Pado.
„Ganz so — fttgt Hehn hinzu *) — richtet sich noch jetzt der
Andrang des Hochwassers (cumuAis furens undarum) verhängnifsvoU
arbeitend, trichterförmig wühlend gegen den Fufs der Dämme: die
ADarmkanone erdröhnt, die Glocken läuten , reitende Wächter fliegen
hin und her, die ganze Bevölkerung im Umkreis der bedrohten Stelle
ist aur den Beinen , Faschinen und Säcke mit Sand werden unablässig
in die unterminirte Tiefe versenkt und mit Steinen und allem was zur
Hand ist, beschwert. Entweder rettet dann , wenn Sturm und Regen
bei Zeiten nachlassen, die Menschenhand die gartenähnlich angebauten,
mit Dörfern und Wohnstätten übersäten Fluren — oder der Strom ist
übermächtig, er sprengt die Fessel, die ihn bändigt, reifst den geöff-
neten Spalt augenansehnlich weiter und weiter und bedeckt verhee-
rend viele Quadratmeilen mit seinen trüben wirbelnden Wogen, Bäume
und Leichen umherspülend.^ Der Dichter hebt hervor, dafs der Flufs
nach einem Durchbruch sich ein neues Bett zu suchen pflegt. Auf ein-
zelne gröfsere Aenderungen des Laufes ist früher hingewiesen worden;
die kleineren sind viel zu zaUreich um eine Erwähnung zu gestatten*
nDer Po ist ein reifsendes Wasser — heifst es bei den Feldmessern 3)
— und strömt bisweilen mit solcher Gewalt, dafs er sein Bett wech-
selt und auf weite Strecken die Grundstücke so zu sagen auf das an-
dere Ufer hinüberträgt, oft auch Insehi bildet^ Wasserrechtliche
1) VI 272 Tgl. Enuod. carro. I 5.
2) Italien p. 9.
3) P. 17. 60. 82. 124 Lachm. RüdoriT, Grom. Instit p. 462. Vgl. Ennodias
Vit Epiph. p. 336 Harte! terrenum marginem guiosus Padmä gurgitis morsus
adrodit et flexuose serpens ßuvius largitur in conpendio aUerius quod furaiur
ab altera simulque fit hierum finiUmi aUena ealamitas,
14*
212 Kap. lY. Dts PoUnd.
Fragen spielten in Oberitalien eine grofse RoUe: die allganeinen
Rechtsgrundsfltze ttber Abtrieb und Anschutt wurden in einem auf den
Po bezüglichen Gutachten eines romischen Juristen dahin modificirt,
dafs der Eigentümer nur des allmfllichen Abtriebs verlustig geht, da-
gegen bei plötzlicher Aenderung des Laufes sein Besitzrecht mit Er-
folg verfechten darf. Man ersieht aus solchen Andeutungen , dafs der
Gegensatz der diesseitigen und jenseitigen FluDsanwohner im Altertum
ebenso scharf ausgeprfigt war wie in der Neuzeit Wie das Sprichwort
vita mia marte tua es ausdrückt, war der Gegensatz von Natur gegeben.
Ein Deicbbruch an dem einen Ufer befreite das gegenüber liegende
von der drohenden Gefahr. Das heimtückische Mittel um der eigenen
Sicherheit Willen die Schutzwehr der Nachbarn anzubohren ist ver-
schiedentlich versucht und auch wirklich angewandt worden. Deshalb
ward in füheren Zeiten der Po bei Hochwasser in fönnlichen Kriegs-
zustand versetzt, die Schiffahrt Nachts untersagt, jeder unberufen sich
nähernde Kahn mit Flintenschüssen empfangen. Und noch immer ha-
dern die Communen über die Regelung der Wasserläufe; selten mag die
Versöhnung widerstrebender Interessen schwerer fallen als auf diesem
Gebiet der Lebensfragen: eine Erfahrung die an allen Strömen sich
wiederholt.
§9. Die Canäle.
Das weitverzweigte Flufsnetz hat einen wichtigen Verkehr ins
Leben gerufen. Im Lagunengebiet nahm und nimmt die Verbindung
zu Wasser eine gröfsere Bedeutung in Anspruch als diejenige zu Lande
(S. 207). Das Gleiche läfst sich von den Alpenseen behaupten : unter
den vier Schiffergilden , deren Kenntnifs wir antiken Inschriften ver-
danken, gehören zwei dem Benacus, eine dem Larius, die letzte Atria
an.i) Ueberhaupt war hiermit fUr die Entwicklung ganz Norditaliens
ein bestimmender Factor gegeben, der die abgelegenen Theile dem Ein-
dringen der Cultur erschlols. Der Verkehr zvnschen Binnenland und
Küste geht naturgemäfs von der Flöfserei aus. Die Seestädte bezogen
ihr Baumaterial aus den Gebirgsforsten : das Material für den PfiaiU-
rost der die Ansiedlung trug, für die Häuser, die Schiffe, die Hafen-
und Canalanlagen. Ihre Existenz war an diese Zufuhren geknüpft,
ähnlich wie Holland auf die deutschen Wälder angewiesen ist All-
mälich ist die Nachfrage gewachsen, so dafs selbst Rom aus den Alpen
1) GILV 4017. 4990. 5296. 5911. 2315.
i 9. Die Gan&le. 213
Baumstämme bezog. 0 So dOrftig auch die erhaltenen Nachrichten
sind, kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dafs im Altertum
auf allen Strömen des Polands eine ausgedehnte FlOberei betrieben
ward. Femer darf man annehmen, dafs dies billige Transportmittel
für die Ausiühr der Erzeugnisse yon Ackerbau und Viehzucht ver-
wandt ward. In welchem Umfang dagegen die binnenlllndische Schiff-
fahrt sich aus der Flöfserei empor arbeitete, bleibt eine schwer zu
beantwortende Frage. Auf die Schwierigkeiten, welche die starke
Strömung der ungleiche Fall der unregehnflfsige Wasserstand der
Flüsse in ihrem Oberlauf bereiten, ist wiederholt aufmerksam ge-
macht worden. Was den Po betrifft, so liebt er es, seine Mllndungen
durch Barren zu yersperren; auch bringen die Appenninbäche mit
ihren Kiesabbgerungen bei dem EinfluCs häufige und wechselnde Un-
tiefen hervor. Polybios läfst den Po 50 d. Meilen aufwärts, Plinius noch
weiter von Turin ab schiffbar sein. 2) Der Unterlauf ward nicht selten
von Reisenden befahren , die in Placentia zu Schiff stiegen und von
hier in 48 Stunden nach Ravenna gelangten.^) Von Ticinum ebendort-
hin waren im sechsten Jahrhundert höchstens 5 Tage erforderUch.^)
Aber wie oben (S. 208) bemerkt, ein Verkehr in dem Sinne wie er den
Rhein belebt, hat sich auf dem itaUenischen Flusse nie bewegt noch
bewegen können.
Die Alten haben bereits zahlreiche Canäle gegraben und damit das
System eingeleitet das natürliche Flufsnetz durch ein künstliches zu
ersetzen.^) Die Freistädte des Mittelalters, Mailand an der Spitze, haben
seit dem 12. Jahrhundert das System ausgebildet zu einer Vollkommen-
heit, die in Europa ohne Gleichen dasteht Die Bewohner des Polands
wurden die Lehrmeister der modernen Cultur in allem was die Kunst
angeht den Lauf des Wassers zu regeln. Durch die Erfindung der
Kammerschleuse wufsten sie das verschiedene Niveau des Wassers aus-
zugleichen. Sie schufen ebenmäfsige Strafsen , deren glatter Spiegel
durch keine Stromlaune getrübt wird. Sie führten das kostbare Nafs
in grofsen und kleinen Leitungen nach allen Richtungen, das Land zu
speisen gleichwie den Körpertheilen durch Adern und Aederchen ihre
Nahrung übermittelt wird. Nach einem Anschlag umfafst das künstlich
1) VitniT n 9, 16 Plm. XVI 190 vgL S. 170.
2) Pol. n 16, 10 Plin.in 123. Primiüve Segel ans Binsen Plin. XVI 178.
3) $trab.V217 Plin. m 119.
4) Cassiodor Var. IV 45.
5) Von Placentia nach Parma Strab. V217.
214 Kap. rv. Das PoUnd.
bewässerte Gebiet gegenwärtig annähernd 12000 Dkm (218 DM) und
beträgt die über die Felder geleitete Wassermasse 1000 Cubikmeter in
der Secunde d. h. reichlich die Hälfte yon dem was der Po ins Meer
entsendet. Hieraus entspringt die unerschöpfliche Zeugungskrafl des
Bodens: es kommt in der Lombardei nicht selten vor dafe dlie Wiesen
achtmal im Jahr geschnitten werden. Die Irrigation war den Land-
wirten seit Homers Zeiten bekannt; der malerische Vers Vergils^) dm-
Ute tarn rivoi, pueril 8at prata biberunt führt uns vor Augen , dab sie
von den Alten im Pothal geübt wurde wie von ihren Nachfahren. Oben
an derDoraBaltea ist es nicht selten zu Kämpfen zwischen den Salassera
und den italischen dauern gekommen, weil jene bei der Goldwäscberei
das Wasser ableiteten, das diese zur Irrigation verwandten.^) Freilich
werden wir Angesichts der Gegenwart auch in dieser Hinsicht nur vob
AnfUngen reden dürfen. Die ROmer betraten am Po einen jungfräu-
lichen Boden; ihn zu bewältigen und in den Garten umzuwandeln, der
er heutigen Tages ist, hat es tausendjähriger Arbeit bedurft Während
dieser langen Entwicklung hat der Bfensch die alten Herren des Lan-
des die Flüsse immer mehr zu bemeistern und dienstbar zu machen
gelernt.
1) Ecl. 3, 111 vgl. Georg. I 269 Gato RR. 8. 9. 151.
2) Strabo IV 205.
KAPITEL V.
Der Appennln.
Ein Blick auf die Karte zeigt nns, wie das stille Waken tellurischer
Kräfte den Boden fUr die Entwicklung dee Altertums bereitet hat Unter
den drei Halbinseln Sttdeuropa's nimmt die italische nicht nur die
räumliche Mitte ein, ihr Bau und ihre Gliederung hält gleichfalls zwi-
schen zwei Extremen die Mitte und sichert dadurch ihre Ueberlegen*
beit über beide. Iberien ist von den drei Ländern das selbständigste
und einheitlichste, da es nur auf einer 58 Meilen langen Linie mit
dem Continent zusammenhängt und diese Grenze durch ein unweg-
sames Gebirge gesperrt ist. Die beiden anderen Halbinseln sind durch
Tiefebenen mit dem Stamm Ton Europa innig yerbunden. Aber während
die OstUche mit demselben so yoUig yerwächst, dafs man ohne Willkür
nicht sagen kann, wo die continentale Bildung yon der paeninsularen
abgdOst wird, erhftlt die mittlere nebst der ihr angehängten Tiefebene
durch die Alpen eine festnmachriebene Naturgrenze und damit auch
einen einheitlicheren Charakter. Freilich steht sie an Abgeschlossenheit
wie an Flächeninhalt hinter Iberien weit zurück. Allein nicht ohne
Grund hat man den Satz ausgesprochen, Aftica beginne an den Pyre-
näen. Diesem Welttheil angenähert, dem übrigen Europa durch seine
Lage entfremdet« erinnert Iberien auch in seiner Bauart an fremde For-
men. Nach dem Gleichnib eines spanischen Geographen ist es wie eine
grofse Festung, wie ein ungeheures Bollwerk gegen den Andrang des
Meeres aufgerichtet. Es bietet demselben eine mOghchst beschränkte
Angriffsfront dar, indem nur eine Meile Küste auf 22 Quadratmeilen
Flächeninhalt kommt. Und wie die Küste unbelebt ganzrandig yerläuft,
80 schwillt das Innere zu dürren einfonnigen Hochebenen an, die an
absoluter Erhebung ihres Gleichen in Europa nicht finden. Das Land
ist wie Italien dem Westen zugewandt: nach dieser Himmelsgegend
strömen seine HauptflOsse, und von seinen 492 Meilen langen Küsten
216 Kap.V. Der AppeDnin.
wird der grorsere Theil (304) vom Ocean bespült Insofern war es
recht eigentlich dazu berufen die oceanische Weltepoche einzuleiten.
An der Entwicklung des Altertums hat es nur als Grenzland theil-
genommen : eine höhere Aufgabe war ihm durch seine Lage und durch
seine natürliche Beschaffenheit gleichmäfsig versagt. Die Ostliche Halb-
insel ist den ältesten Cultursitzen am nächsten gerückt und leitet den
Uebergang von Europa nach Asien ein. Sie ist durchaus gegen Morgen
gerichtet: hierhin Offnen die Mehrzahl ihrer tief eindringenden Buch-
ten ; eine Menge kleiner Inseln führen wie Brücken von den euro-
päischen Gestaden hinüber zu denjenigen Kleinasiens und verbinden
beide zu einem unlösbaren Ganzen. Die Ostliche Halbinsel erweist
sich in allen Stücken als der Antipode der westlichen. Durch ihre sich
kreuzenden orographischen Hauptlinien wird eine erstaunliche Fülle
individueller Bildungen hervorgebracht, so dafs sie überhaupt das
reichste System gegliederter Halbinseln auf Erden darstellt. Die ROsten-
länge der ganzen Balkanhalbinsel (8300 Quadratmeilen) wird auf
663 Meilen berechnet: davon kommen auf den Süden, das eigentliche
Griechenland mit 2000 DM. 560 M., der Peloponnes hat bei 360 GM.
Flächeninhalt 130 M. Küste. Nirgends findet sich auf so kleinem
Raum eine gleiche Mannichfaltigkeit von Buchten Vorgebirgen Berg-
ketten Thälern Hoch- und Tiefebenen Inseln verschiedener Art bei-
sammen. Aber darüber geht die Einheit des Ganzen verloren: das
natürliche Centrum fehlt, nach dem die Theile gravitiren konnten.
Nur das Meer verbindet sie mit einander und deshalb trägt die geschicht-
liche Entwicklung einen maritimen Charakter. An den Versuchen eio
nationales alle umfassendes Staatswesen zu gründen hat sich das Volk,
welchem wir unsere heutige Civilisaüon vornehmlich danken, verblutet
Während die Einigung dem hellenischen Wesen und dem heUenischeo
Lande widerstrebt, vollzieht sie sich in Italien in einem Procefe, wie er
normaler nicht gedacht werden kann. Von der natürlichen Mitte aus-
gehend, gewinnt sie langsam Boden und entfaltet in ihrem Fortschritt
die unwiderstehliche und unerbittliche Sicherheit eines Naturgesetzes.
Die italische Halbinsel giebt kein Bindeglied mit einem fremden Welt-
theil ab wie die beiden anderen. Zwar rückt sie in ihren insularen
Fortsetzungen Africa nahe und hat in Krieg und Frieden die nach-
haltigste Einwirkung des africanischen Gegengestades an sich erfahren.
Aber sie ist seiner auf die Dauer stets Meister geworden und bat im
Unterschied von Spanien wie von Griechenland ihr rein europäisches
Wesen bewahrt. An Grofse steht sie hinter beiden zurück. An Gliede-
§ 1. Name. 217
ruBg ttbertrifit sie die iberische Halbinsel. Die KOstenlllDge Italiens vom
Var bis zur Arsia giebt Plinius^) ziemlich genau auf 2147 Millien
3174km an, man rechnet gegenwartig 3325 km; mithin verhalten
sich Umfang und Inhalt wie 1:11 gegen 1:22 für Iberien und 2:7
für Hellas. Das Verhflltnifs stellt sich noch günstiger, wenn die 2519 km
langen Kasten der Inseln berücksichtigt werden, nämlich 1:8; umge-
kehrt im Vergleich zu Hellas weit schlechter, da dessen Inselwelt aufs
höchste belebt ist, wahrend die italische nur wenige Individuen auf-
weist Im Hinblick auf die starren Massen Iberiens darf der Bau des
Landes schlank und zierlich heiben ; neben der aufgelösten Glieder-
fälle von Hellas erscheint er einförmig und einsartig. Sein Vorzug
vor beiden, der den Gang der Geschichte vorgezeichnet hat, ruht in
der zweckmäfsigen Anordnung von Hoch- und Tiefland. An dem
gröfsten Fluis, in Mitten der gröfsten Ebene der Halbinsel gelegen war
Rom von Natur zur Hauptstadt derselben und vermöge des Einheits-
drangs, der die gesammte Geschichte des Altertums erfüllt, zugleich
zur Hauptstadt der MittehneerUfnder bestimmt. In der nesiotischen
Weh von Hellas erstand eine Cultur so reich und erhaben wie das
ewige Meer, das ihr den Lebenshauch lieh. Die einförmige Bildung
Italiens beförderte die Schöpfung eines Grofsstaats. Unsere Beschreibung
zerßlllt in drei Theile , indem wir zuerst die appenninischen , alsdann
die vulkanischen Landschaften, endlich die Flufsthäler behandeln.
§ 1. Name.
Ein Gesammtname für das italische Gebirge ist in der alteren
griechischen Litteratur nicht vorhanden. Solcher findet sich zuerst
bei Polybios, auf den auch die erste deutliche Erwähnung der Alpen
zurückgeht. Doch soll der Appennin bereits von Pisander, der im
siebenten Jahrhundert die Thaten des Herakles besang, genannt wor-
den sein. 2) Die Zusammenstellung beider Gebirgssysteme hat es ver-
anlafet, dals die griechischen Schriftsteller neben dem Singular häufig
den Plural Appenninen brauchen^): eine Form die den Römern stets
1) m 44.
2) Stepb. Byz. unter kvciwiov p. 104 Mein.
3) "0 knewivoi: Pol. U 14, 10. 16, 1. 4. 17, 7. 24, 7. UI, 90, 7. 110, 9 Dion.
Per. 343 Diod.XlVll3; xa Jinewiva xaXovfieva S^ oderra !Aniwiva S^
Pol. n 14, 8. 16, 8 XXXm 11, 1 Dion. HaL 1 9. 14 UI44 Strtb.fl 128 IV 201
V 211. 12. 16. 19. 27. 28. 40 VI 283. 86 App. Bann. 8 b. civ. 1 117; ra 'Anhfviva
Strab. V 227 xo 'Aniwtvov S^oq Stnb. 11 128 VI 259 Procop b. Goth. IV 29 ; xo
'Ankwivov Strab. V 231.
218 Kap.V. Der Appennin.
unbekannt war. Das älteste Zengnirs in lateinischer Sprache gehört
dem J. 1 17 y. Chr. an : in dem Schiedsspruch zwischen der Stadt Genua
und der Dorfgemeinde der Viturier wird ein nums Apenmus mil dem
Beinamen Boplo angeführt, i) Dann erwähnt die Bauinschrift der Via
Salaria vom J. 115 die Chaussirung derselben per Äppmnmum d. h.
flber den Pafs zwischen den Flüssen Vehno und Tronto.^) Im indi-
viduellen Gebrauch wie bei Genua erscheint der Name auch in Velleia,
wo die Alimentartafel einen tnons oder fandm Apenninius verzeichnet^;
femer bei Iguvium, in dessen Nähe auf der Kammhöhe ein berühmter
Tempel des luppitw AfpetmiwM lag.^) Da ähnliche Spuren im Süden
der Halbinsel durchaus fehlen, so ersieht man, dals der Name bei den
nördlichen Stämmen zu Hause war. In der That wenden ihn die
älteren römischen Schriftsteller ausschliefsUch auf den Abschnitt des
Gebirges an, der das Land der Ligurer und Umbrer durchzog, auf
eine lange Strecke den Grenzwall Italiens während der Republik bil-
dete und zugleich die Nordsee oder Adria dem latinischen Gesichts-
kreis entrückte.^) Der Gebrauch des Singulars war den Römern durch
den natürlichen Gegensatz zwischen ihrer Ebene und dem Gebirg
nahe gelegt Die griechischen Geographen dehnten den Namen über
die gesammte Halbinsel aus^) und nach ihrem Vorgang ist es üblich
1) CIL. i 199, 18 bei der UmgreiuiaDg des GemeinlaDdes heilst es inds sur-
tum iugo recto in montem Apeninum quei vocatur Boplo; ihei ierminus ttat,
inde Apeninum iugo reeto in montem Tuledonem; ibei terminua ttat
2) Ephem. epigr. 11 p. 199.
3) Donat p. 441 in FeMate pago Flareio .... fttndos Graüanoe Afra-
nianos cum Apenrdno*
4) Or.-Henzen 1220. 5613 Ub.Peut. Treb. Pollio GUnd. 10 Vopiscos Fum 3
Glaudian 28, 504. Der gen oa tische Schiedspruch vermeidet die GonsoDanten-
gemination, wenn anch nicht conseqaent. Die Schreibang mit einfachem p
findet sich in der Inschrift Or. 1220 sowie der Alimentartafel ; dagegen pp in
der Bauinschrift der Via Salaria, Or.-Henzen 5613, femer in den Handschrifteo
guter Autoren durchweg, bei denen sie nur durch die WiUkür der Herausgeber
entfernt worden ist.
5) So namenUich die Annalen des LiviusVSS X 27 XXI 58 XXH 1 XXXIX 2
— XXXVI 15 stammt aus Polybios — ; nie erscheint der Name in der Kriegs-
geschichte des mittleren und südlichen Italiens. Desgleichen Cicero de Or.
m69 p. Mil. 26 p.Se8tl2 GatH 23 PhUipp.XU26; Flor. 08, 10; Tacbistfll
42 fg. ; Plin. £p. Y 6 ; Suet Gaea. 44 Vit 10.
6) Vielleicht zuerst Polybios, dessen nachtragliche Bemerkung fll 110, 9
der Appennin gebe die Wasserscheide für ganz Italien ab, deutlich bekundet,
dafs er sich mit dem geläufigen römischen Sprachgebrauch in keiner (Jebe^
einstimmung befindet
§ 2. Bau« 219
geworden den Appennin ab das Rückgrat Italiens aufzufassen. 0 In
der nrsprttngUchen Heimat dieses Namens treffen wir beachtenswerter
Weise auch denjenigen der Alpen in allgemeiner Verbreitung an: so
beifsen südlich von Parma in der Haoptkette eine Anuihl hervorragen-
der Gipfel, Alpe di Succiso A. di Mommio A. di Sillano A. di Cusna
A. di S. Pellegrino, im oberen Amothal eine Alpe Catenaia, bei Arezzo
A. di Poti, die Kette zwischen Magra und Serchio heilst Alpe Apuana
od^ Alpi Panie usw. Das Alter dieser Bezeichnungsweise labt sich
bis Lncan hinauf verfolgen, der über den Appennin vortrefflich unter-
richtet ist und trotzdem den Robicon auf den Alpen entspringen Iftbt.^)
Deshalb darf man nicht etwa an deutsche Einflüsse denken, wenn im
frühen Mittelalter dieser Gebirgszug Alpes Appmninae heifst') oder das
Ende des Appennin bei Ancona angesetzt wird.^i) Nach dem Gesagten
ist leicht verständUch, wie die Kenntnifs des Namens mit den Er-
oberungen der Römer im zweiten Jahrhundert v. Chr. sich verbreiten
konnte. Aller WahrscheinUchkeit nach gehört er dem ligurischen
Sprachgebiet an: gewöhnlich wird er mit dem keltischen Pen»: Berg-
spitze in Verbindung gebracht^)
§2. Bau.
Unser ältester Gewährsmann Polybios macht zwischen Seealpen
und Appennin keinen Unterschied und setzt den Anfang des letzteren
oberhalb Hassalia an. Aber schon bei seinem jüngeren Zeitgenossen
und Nachfolger Coelius Antipater wird die Riviera di Ponente den Alpen
zugewiesen.^) Und obwol Andere die Alpen erst bei Monaco beginnen
lieben, so ward doch allgemein die Grenze weiter östlich nach Vada
■^~-^— — ^— — .^.— «
1) Liv. XXXVl 15 (Dach Polybios) Appennini dorso ItaKa dividitur; Vitruv
D 6, 5 10, 1 Mela U 58 Plin. m 48 Lucan H 396 Pers. 1 95 Rutil. Nam. II 27 Clan-
en 28, 285.
2) 1 219 vgl. Glnver IL ant. p. 31.
3) Isidor XIV 8 Serv.V. Aen« X 13 Paul, hist Ung. H 18 (und seine im
7. Jahrb. zu Bobbio geschriebene Quelle, der eatalogu* provineiarum Italiae).
Die Gelehrsamkeit, welche den Namen Appennin von Hanmbals Alpenttbergang
herleitet, erregt allerdings starken Verdacht Aber nnverdichtig ist eine Be-
idchnung wie Aipü Bardonii (Bardi SW. von Parma) Paul. V 27 VI 58; vgl.
Agithias 111 der das M>irge zwischen Aenülia und Tusda Alpen nennt.
4) Vibius Seq. Appmmxmu ItaÜOB usque ad Ancanem parroetus,
5) Nach Strabo IV 207 führt ein Bergstock Tirols (Reschen?) den Namen
Appennin, doch ist die Beschreibung verwirrt
6) Dem gedachten Gewährsmann ist Liv. XXVIII 46 entnommen.
220 Kap. V. Der Appennin.
SabiUia Savona gerückt J) Bei dieser Bestiminung ist auch die Neu-
zeit meist stehen geblieben und hat davon abgesehen sie wissenschaft-
lich zu begründen. Solches ist in der That unmöglich; denn je nach-
dem man das hauptsächliche Gewicht auf die Richtungsaxe des Gebirges
oder auf seine Erhebung oder auf seine geologische Beschaffenheit
legt, müssen abweichende Bestimmungen getroffen werden. Die S. 141
angeführte, welche die Grenze am Monte dello Schiavo fixirt, stütit
sich auf den Umstand dafs die Granitbildungen hier aufhören. Aber
ohne Zweifel bildet die Einsenkung des Col di Cadibona oder dell*
Altare (490 m), über welche im Altertum eine wichtige Verbindungs-
linie zwischen der Riviera und dem Poland lief, einen bequemer in die
Augen fallenden Abschnitt. Die Abweichung betragt nur 21 km und
f^llt bei solcher Greringftlgigkeit nicht ins Gewicht. Nehmen wir also
den Honte dello Schiave oder den Col di Cadibona als Ausgangspuoct,
so erstreckt sich das Gebirge bis zum promuniurhim Leucopetra uod
HercuÜs Cap dell' Armi und Spartivento auf einer Länge von un-
gefishr 1600 km. Von den Alpen unterscheidet es sich zunächst durch
seine geringere Erhebung: nirgends wird die Linie des ewigen Schnees
erreicht, die mittlere Höhe beträgt nur 1000 — 1800 m und der höchste
Gipfel (Gran Sasso d'Italia 2902 m) bleibt weit unter den Alpengipfehi.
Dem entsprechend fehlt die alpine Wildheit und Erhabenheit, die
Formen sind abgerundeter und werden leicht monoton. 2) Es fehlt der
Wasserreichtum, die zahllosen Rinnsale welche zur Sommerzeit in die
schweizerischen Thäler herabstürzen, das saftige Grün welches die
Bergmatten schmückt. Aschgrau ist die vorherrschende Farbe, eioe
spärliche Vegetation deckt die ausgedehnten Schutthalden, die Sennerei
des Nordens kann hier nur in bescheidenem Umfang gedeihen. Aber
auch die Schrecken und Gefahren des Hochgebirgs sind ungemein ab-
1) Vgl. S. 141. Wenn Strabo IV 201. 2 die Alpen bei Savona, den AppenniB
bei dem 260 Stadien entfernten Genua beginnen läfst, so seheint er iwiscfaeB
beiden eine grofee Einsenkung angenommen zu haben, die allerdinga vorhanden
ist aber nirgends nnter 450 m sinkt.
2) J. ILWestphal, der Italien mit offenen Augen durchwandert hatte wie
kein Zweiter vor oder nach ihm, klagt oft Ober den reizlosen unangenehmea
Eindruck, die Harslichkeit des Appennin (Spaziergang durch Kalabrien und Apoliea
von Justus Tommaaini, Konstanz 1828, p. 48. 59. 60. 269 usw.). GewUs hinter-
läfst die Landschaft von Samnium Apulien Lucanien eine recht langweilige
Erinnerung. Wenn dagegen Andere auf Kosten der Alpen den Appennin lob-
preisen, so ist dies eine jener Paradoxien, in denen der Cuitnrfanatismns sich
zu ergehen liebt.
S 2. Bau. 221
geschwächt, die Wasserscheide zwischen dem tyrrhenischen und adria*
tischen Meer hat niemals eine Volkerscheide werden können. Immer*
hin war die Geschichte der Halbinsel dwch den Bau des Gebirges
bestimmt Wie Griechenland gen Osten, so ist Italien gen Westen
gerichtet. Die höchste Erhebung des in Parallelketten streichenden
Appennin findet sich an der Ostseite, so dafs demselben nur ein schmaler
ungegliederter Küstensaum vorgelagert ist. Die grofsen Flüsse flieben
sämmtlich in das tyrrhenische Meer und erschUefsen die inneren
Gebirgsthaler seiner Einwirkung. Die Küste ist durch Buchten und
Inseln belebt und endlich hat der Vulkanismus an ihr jene reichen
gesegneten Ebenen geschaffen, welche die Trägerinnen der Cultur des
antiken Italiens gewesen sind. Wenn demnach die Westseite die in
jeder Hinsicht bevorzugte, recht eigentlich die Stirnseite des Landes
darstellt, so ist der Grund dieser inhaltsreichen Thatsache in der geo-
logischen Vergangenheit desselben zu suchen.
Von dem Haupt- und Stammgebirge unterscheidet man durch
den Namen Subappennin das demselben an beiden Seiten vor-
gelagerte HügeUand. Weit niedriger ist der Subappennin zugleich jün-
ger, indem er der Miocän- und Pliocflnzeit, die als Tertiär bezeichnet
wird, angehört. Die tertiären Bildungen, welche in breiten Massen bis
zu einer Höhe von ca 400 m den Gebirgskem einfassen und die inneren
Thäler durchsetzen, haben der Halbinsel im Wesenthchen ihre heutigen
Umrisse verliehen. Um ein banales Bild zu brauchen, verhält sich der
Subappennin zum Appennin wie das Fleisch zum Knochen. Auf das
Knochengerüst also haben wir unsere besondere Aufmerksamkeit zu
richten. Der Appennin besteht durchweg aus demselben heUgrauen
dichten versteinerungsarraen Kalksteingebüde, das in den Sttdalpen
häufig und im ganzen Umkreis des mittelländischen Meeres vorherr-
schend ist. Er birgt weder Metalle noch Kohlen. Die Ueberein-
stimmnng in der geognostischen Zusammensetzung bedingt den ge-
meinsamen einförmigen Charakter, welcher den Appenninlandschaften
eignet. Der Appenninkalk gehört der mesozoischen Periode oder
Secundärformation an: in der Hauptkette fehlen nicht nur die Ur-
gesteine der Alpen , sondern auch die älteren Scbiefermassen , welche
in den südlichen Kalkalpen gelegentlich zu Tage treten. 0 Die Haupt-
kette erscheint nicht als Urgebirge wie die Alpen, sondern nur als die
1) £.Sdfs, Aber den Bau der itatiemschen Halbiosel, SitzuDgsber. d. Wiener
Ak. Math. natw. Gl. LXV p. 217 fg.
222 Kap. V. Der AppenniD.
gefaltete Nebenzone eines solchen. Der Bau des Appennins wird daher
mit dem der Karpathen verglichen : in beiden Systemen ist nur eine
Nebenzone erhalten, während von der alteren Mittebone blofse Trttmmer
übrig geblieben sind. Aber diese Trümmer reichen hin um die Ge-
staltung einer früheren geologischen Periode zu Yergegenwartigen.
Primitive oder paläozoische Gebirgsarten treffen wir in den Apuaner
Alpen mit ihren unerschöpflichen Marmorschatzen an, in all jenen
Bergstocken und Inseln des westlichen Etruriens, die wegen ihres
dem eigentlichen Appennin unbekannten Metallreichtums als Gate na
Metallifera toscanisches Erzgebirge zusammengefalst zu werden
pflegen, in den Felseninseln Gircello und Gapri, in den Granitbildungen
der brettischen Halbinsel und dem peloritanischen Gebirge des nord-
ostlichen Siciliens. Diese Bruchstücke alterer Bildungen geben den
Schlub an die Hand dab die tektonische Hauptaxe Italiens in der
Tiefe des tyrrhenischen Meeres liegt Die Centralzone, welche viel-
leicht als wahre Fortsetzung der Alpen anzusehen ist, war von zwei
Nebenzonen eingefafst: die nordostliche steht uns im Appennin, ein
Theil der südwestlichen in Sicilien vor Augen. In diesem Zusammen-
hang verdient erwähnt zu werden, dafe Spuren einer sog. Eiszeit, wie
sie nördlich vom Po in so bedeutsamer Weise entgegen treten, wol im
Apuaner Gebirg, aber bisher nicht im Bereich des eigentlichen Appen-
nin nachgewiesen worden sind.^) Die adriatische Seite Italiens stellt
demnach die Aufsenseite, die tyrrhenische die Innenseite des ganzen
Systems dar. Jene ist späteren Ursprungs, diese verdankt ihre Gliede-
rung und plastische Schönheit den gewaltigen Umwälzungen, die an
ihr stattgefunden haben. Das Meer hat grofse Landmassen verschlungen;
nur durch die Annahme ungeheurer Zerspaltungen Abbruche Ver-
werfungen Einsenkungen vermag der Geolog die heutige Bodenbildung
zu erklären. Sodann ist in der Tertiärzeit eine lang andauernde be-
deutende Hebung gefolgt Längs dieser zertrümmerten Küste hat
endlich die vulkanische Thätigkeit ihren Hauptsitz aufgeschlagen und
den an das Meer verlorenen Grund und Boden wenigstens theilweise
zurück erobert Dergestalt hat der Kampf zwischen dem festen und
flüssigen Element auf das heftigste am Westrand Italiens getobt und
wir erkennen eine Bestätigung des Erfahrungssatzes, dafs diejenigen
Erdräume für menschliche Gesittung die grOfsten Vortheile darbieten.
1) Stoppani, l'era neozoica p. 127 fg. G. vom Rath, Zeitschr. d. deotscheo
geologischen Gesellschaft XYDI (1866) p. 499.
I 3. Vegetation. 228
welche Ton den beiden feindlichen Naiurmflchten am längsten und
nachhaltigsten umworben worden sind.
§ 3. Vegetation.
In der gedankenvollen Betrachtung, in welcher Strabo den Ein-
flufs der yielgestalteten Natur Europa's auf die menschliche Gesittung
darlegt, unterscheidet er zwischen gutem und schlechtem, friedlichem
und friedlosem Land, Ebene und Gebirg. Er hebt es als ein Verdienst
der Hellenen und Römer hervor, dafs sie auch im Gebirg Gesetz und
Ordnung eingebürgert hätten, meint aber im Uebrigen beide Gegen-
sätze seien darauf angewiesen einander zu ergänzen , die Tüchtigkeit
in Waffen die dem einen eignet neben dem Cultursegen des anderen. ^
Für das Verständnifs antiker Geschichte, zunächst der italischen läfst
sich kein fruchtbarerer Gesichtspunct aufstellen. Im Grofsen und Ganzen
erscheint die Halbinsel als ein Gebirgsland , da die Ebenen nur einen
verhältnifsmäfsig geringen Umfang einnehmen. Aber auf die Entwick-
lung des physischen und historischen Lebens übt die Nähe des Meeres
die bedeutsamste Wirkung aus. Während im nördlichen oder con-
tinentalen Italien Ebene und Gebirg die grofsen Naturgegensätze bilden,
so lauten deren Namen auf der Halbinsel Küste und Binnenland. Auf
diesen Gegensatz geht die Verschiedenheit von Klima Vegetation Cultur
zurück, welche in der politischen Geschichte einen so merkwürdigen
Ausdruck gefunden haL An der Küste ist der nordische Winter un-
bekannt, mit dem Eintritt der Herbstregen belebt sich die verdorrte
Flur und bietet den Heerden reichlichen Unterhalt, zu einer Zeit wo
der Appennin in Schnee gehüllt daliegt. Durch eine Höhenlinie von
ca. 500 m vnrd die immergrüne Flora , die eigentliche Culturflora des
Mittelmeers begrenzt ; die mittlere Jahrestemperatur nimmt mit ca 1 50 m
Erhebung um je einen Grad ab. Zu Anfang November oder schon im
October legt das Gebirg sein Winterkleid an und bewahrt dasselbe
5 — 8 Monate lang: im Mai und Juni trifft man noch bedeutende Schnee-
felder an, im Juli nur vereinzelt in hohen Lagen, im August und
September nur in wenigen geschützten Schluchten des Hochappennin.
1) Str. n 127 to fibv iv ry svöalftovi X'^Q^ ^^^ ionv eloip^aeov, zo ^
iv xy kircQa ftaxißov xal dvögueov, xal öSx^^^ rivag nag dkXi^Xav ei-
i^eolag xa yivtj xavxa' xa ßhv yaQ inixovgel xolq onXoiq, xa 6h xagnolq
xal xixvaiq xal i^d'onoUaiq. ipavegal öh xal al iS dXknXwv ßXdßai firi ini-
xov^vvxwV tx^i 6i XI nXsovixxijfia rj ßta x<ov xa dnXa ixovxwv, nXTjV
tl xiß nli^si xgaxoXxo.
224 Kap. Y. Der Appennin.
Die Hasse der Niederschlage erreicht die auf den Alpen fallenden
lange nicht, ist aber an sich betrachtlich. Wahrend die mittlere Regen*
hohe zu Rom 800 mm betragt, wird sie am Fufs des Appennin auf
1100 nun und für den Hochappennin auf 2400 mm berechnet. Wir
sahen S. 145, dafs die Schnee- und Eisfelder der Alpen den lieber*
schufs der Niederschläge für die Periode der Trockenheit aufspeichern.
In ahnlichem Sinne halt die Natur hier mit ihren Vorraten Haus, doch
bedient sie sich anderer Mittel. Wie alle Kalkgebirge leicht zerklüilen,
ist der Appennin mit zahlreichen unterirdischen Höhlen grofser Aus-
dehnung angefüllt, in denen gewaltige Wassermassen sich ansammeln,
die im Sommer abfliefsen. Solchen Quellen verdankt der Tiber den
verhaltnifsmafsig hohen Stand, den er in den regenlosen Monaten ein-
nimmt: nach angestellten Berechnungen stammen drei Viertel des
sommerlichen Abflusses daher und beträgt die im Jahr gelieferte Wasser-
menge 6300 Million Cubikmeter, annähernd so viel wie der Luganer
See fafst (S. 180). Derart zieht das kostbare Nafs sich in die Tiefe
zurück, die starke Einwirkung der Sonne dOrrt die Oberfläche des
Bodens aus, die Trockenheit giebt der Vegetation ihr eigentümliches
Gepräge. Kein Wanderer in den Alpen oder einem nördlicher gelegenen
Gebirge denkt an die Möglichkeit der Gefahr zu verschmachten : im
Appennin thut er wol daran über der Speise des Tranks nicht zu ver-
gessen; denn es kann ihm begegnen dafs er Tage lang keine Quelle
zu Gesicht bekommt, vielleicht von seinem Führer zu einem hohlen
Baum geleitet wird, in dessen Innerem Wasser sich angesanunelt hat,
um damit seinen Durst zu löschen. Da die Schneefelder fehlen, welche
in den heifsen Monaten die Gehänge der Alpen feucht und frisch er-
halten, ist der Graswuchs minder begünstigt und die Baumgrenze liegt
viel tiefer als man nach der geographischen Breite erwarten soUte.
Die Buche bildet im Appennin den Abschlufs der Waldregion, während
die Fichte vermifst wird, die in den Alpen noch 400 m höher aufsteigt,
lieber die Höhe der Vegetationszonen Italiens sind mir um-
fassende zuverlässige Angaben nicht bekannt. Schouw hat folgende
Mittelwerte aufgestellt 0 :
Immergrüne Region (0— 12OO0
Waldregion (1200— 6000')
Kastanien —3000'
1) Grisebach, Die VegeUtion der Erde I p. 352.
I 3. Vegetation.
225
—3500'
—6000'
£iche (quereus pedunculata)
Buche u. Edeltanoe (pinus picea)
Alpine RegioD (6000— 92000
Zur ErgflnzuDg können die ausfofarlichen aus SicUien vorliegen-
den Nachrichten dienen*), wobei wir von den mehrfach höheren Baum-
grenzen des Aetna absehen :
Johannisbrotbaum (ceratonia stUqua) 500 m
Granatapfel
(puniea granatum)
Pistazie
(piitacia vera)
Ricinus
(ridmu communis)
Oleander
(nerium ohander)
520 m
Dattelpalme
(phoenix daclyUfera)
590 m
Zwergpalme
(chamaerops kumilii)
600 m
Aurantiaceen
Wallnufs
(iuglans regia)
700 m
Pinie
(pinus pinea)
Aleppokiefer
(pinus hahpeneis)
Cypresse
(cupressus sempervirens)
Rohr
(arundo donax)
Opuntien
800 m
Kastanie
(castanea vesca)
400— 800 m
Oelbaum
(oha europaea)
900 m
Kirsche
(prunus ceraeus)
1000 m
Eibenbaum
(taams baccaia)
Korkeiche
(quereus suber)
Traubeneiche
(quereus robur)
Aloe
(agave americana)
Weizen
(triticum sativum)
1100m
>y einstock
(viiis üinifera)
Feige
(ficus carica)
Mannaesche
(fraxinus omus)
Baumheide
(eriea arbarea)
Lambertsnufs
(corylus avellana)
500—1 200 m
Ahorn
(acer campestre)
1300 m
Ephen
(hedera heUx)
1500 m
Steineiche
(quereus ilex)
1600 m
Buche
(fagus silvaiica)
e p.l43.
1000— 1700 m
1) Bei Fischer, Beitrag
Milien. IUI. LABdMkvBde
. I.
15
226 Kap.V. Der Appennin.
Zitterpappel (p&pulus trenmla) 500— 1 800 m
Lariciokiefer (pinus larieio) Aetna 1300 — 2050 m
Birke (bei^ alba) 1 600— 2100 m
Drei Haupüionen lassen «eh in dem Klima und der V^etation
der Halbinsel naoh ihrer verticalen Erhebung unterscheiden, deres
genauere Umschreibung allerdings eingehendere Untersuchangen, ab
bis jetzt vorliegen, voraussetst Die erste ist die immergrüne Seezooe,
in welcher nur ausnahmsweise Schnee filllt und nicht Unger als einige
Stunden liegen bleibt. Wegen der hohen Temperatur entwickelt sich
eine eigene Winterflora. Wo der sonmierlichen Dürre durch künst-
liche Bewässerung begegnet werden kann, ist die Fruchtbarkeit aufser-
ordentlich grofs. Diese Region schliefst die Ebenen Etruriens Latiums
Campaniens und Apuliens ein und umfafst ungefilhr den zehnten Theil
des Areals. Die zweite Region stellt das Hügelland von ca. 200 — 1000 in
Erhebung dar. Hierher gehören die inneren Thäler sowie die breit-
gelagerten Vorhohen, die den Stamm des Gebirges einfassen und
gewöhnlich als Subappennin bezeichnet werden. Man kann den Inhalt
etwa auf ein Drittel des gesanunten Areals veranschlagen. Die Winter-
kälte nimmt hier schon zu , doch gedeihen die wichtigsten Cultur-
gewächse des Altertums: der Oelbaum bis ca 500m (bei Nizza bis
7S0m), Weinstock und Weizen bis an 1000 m. In der dritten oder
Waldregion sinkt die mittlere Temperatur auf Null und darunter. Die
Vegetation ist für ihre Entfaltung auf die Sommermonate beschränkt
und trägt deshalb denselben Charakter wie in Hitteleuropa. Die Buche
bildet den Hauptbestand der sommergrünen Wälder. Die Blatten sind
zwar durch ihren Reichtum an Blumen und würzigen Kräutern aus-
gezeichnet, stehen aber im Graswuchs hinter den Alpen zurück. Der
Kalkfels verwittert weniger leicht zu fruchtbarem Humusboden als
andere Gesteinarten und aufserdem erleidet die Bewegung der Näbr-
stoff'e mit dem Versiegen des fliefsenden Wassers in der Dürre einen
Stillstand. Daraus erklärt sich dafs die Sennerei nicht wie im Norden
mit Rindvieh sondern mit Schafen und Ziegen betrieben wird, da das
Futter für jenes nicht ausreicht. Die Baumgrenze ist ungefilhr bei
2000 m zu ziehen. Doch hat die sinnlose Verwüstung des Waldes, tod
welcher später in anderem Zusammenhang zu handeln sein wird, die
ursprünglichen Verhältnisse verwischt und bedeutende Strecken in
eine Wüstenei umgewandelt, in der nur vereinzelte Stauden die Ein-
förmigkeit des nackten Felsbodens unterbrechen. In den Abruzzen
reichen die Weiden nur bis 1600 m, dann wird die Vegetation immer
§ 8. Vegetation. 227
spärlicher um mit 2000 m nahezu aufzuhören. Gegenwärtig schätzt
man das unproductive Gebiet des Königreichs Italien auf 2/^5, die
Weiden auf V^, die Wflider auf Vs des gesammten Areals. Für
das Altertom wird man von solchen Schätzungen absehen mtlssen.
Nur soviel steht fest, dafs die Wald- und Weidezone an Ausdehnung
die Culturzone Obertraf. Femer unterliegt es keinem Zweifel, dafs die
höchsten Gipfel und Kämme damals so wenig bewaldet waren als heut
zu Tage, sondern in ursprünglicher Nacktheit zum Himmel empor^
strebten. Von der damaligen Wildheit des Gebirges zeugen die spär-
lichen Nachrichten Aber die Thier weit. Zwar der im Altertum sehr
häufige Wolf 1) ist auch jetzt noch nicht ganz ausgerottet. Aber kein
im Walde schlafendes Kind ist der Gefahr ausgesetzt von Bären zer-
rissen zu werden wie der kleine Horaz^ und die wilden Ziegen des
Hochappennin, sei es dafs man darunter den Steinbock oder die Gemse
versteht, werden auch nicht mehr angetroffen. 3) Mit ungleichem Mafs
hat die Natur ihre Gaben dem Gebirge und der Küste zugetheiit und
die letztere weitaus in jeder Beziehung bevorzugt. Es könnte scheinen,
als ob sie die beiden Gegensätze auf einen friedlichen Austausch hin-
gewiesen hätte. Wenn das Gras auf der Ebene verdorrt, welche den
Winter hindurch die Heerden ernährt hatte, bieten die Bergmatten
genügenden Unterhalt; der Wechsel zwischen Sommer- und Winter-
weide, die Wanderung der Schafheerden von Apulien nach den
Abruzzen, welche im landschaftlichen Leben Italiens einen so charakte-
ristischen Zug abgiebt, wird bereits für die Römerzeit bezeugt* Strabo
hebt ab einen der Vorzüge des Landes die glückliche Verbindung von
Ebenen Hügeln und Bergen hervor. 4) Aber es hat vielhundertjähriger
Kämpfe bedurft, bevor die Gegensätze sich vertragen lernten, oder
richtiger bevor das Gebirge den Städten des Flachlands dienstbar
geworden war. Wer je aus dem beschneiten Hochland Samniums und
Lucaniens, wenn der Nordwind Mark und Bein erschütternd über die
Kämme fegt, an die sonnigen in ewigem Frühling grünenden Ufer
1) Hör. Od. I 17,9 22,9 Plin.Vffl80 Liv.X27 XXVHST XU 9 o.a.
2) Od. III 4, 18 Varro LL. VI! 40 Symm. Ep. X 13 und 15; bei den Thier-
kämpfen oft erwähnt. Unklar Galen VI p. 666 Kflbn.
3) Varro RR. II 1, 5 ; das heutige Vorkommen von Gemsen am Gransasso
scheint nicht sicher verbürgt.
4) VI 286 rmv yaQ jinevvlvwv oqwv öt' oXov tov fii^xov^ SiaTSta-
fihmv, i<p^ hcäregov Ä ro nXfvpov nsSta xal ysatXo^aQ xaXkixaQTCovq
(tTtokEinovTwv, ovöhv fiigog (tdx^q iaziv o fifj xal t<5v opslov aya^atv xal
Twv TTfdcmr anoXttvov rvyxavsi.
228 Kap. Y. Der Appennin.
der tyrrhenischen See hinabgestiegen ist, wird es begreiflich findeo
wie Aequer und Vobker Samniten Lucaner und wie sie immer heiisen
mögen die Stämme des Appennin, unablässig über die Ebene herfallen
Baubthieren gleich , welche Kälte und Hunger zum Angriff auf die
Gehöfte treibt. 0 Und wenn der Geschichtsfreund die denkwfirdigen
Kriege der römischen Republik an seinem Geiste hat yorQberzieben
lassen , dann wird er yielleicht in dem Brigantentum der Gegenwart
einen Nachhall derselben erkennen, den Widerstand welchen der freie
Sohn der Berge gegen die ihm auferzwungene Knechtschaft städtischer
Cultur leistet. Aber wie dem auch sei, so setzt das Verständniüs
römischer Geschichte unter allen Umständen ein genaues Eingehen auf
die GUederung des Gebirges voraus.
§ 4. Nordappennin.
Kein Schriftsteller des Altertums hat den Appennin näher be-
schrieben oder die Eigentümlichkeiten seines orographischen Baus
erörtert. 2) In Folge dessen ist für die Eintheilung und Namengebuog
der Neueren ein ziemlich weiter Spielraum offen gelassen. s) Den
natürlichen und historischen Bedingungen entsprechend ist man dahin
übereingekommen drei Hauptabschnitte, einen nördlichen mittleren
und südlichen zu unterscheiden. Auch über die Abgrenzung des mitt-
leren und südlichen Abschnitts kann füglich kein Zweifel herrschen:
die Grenze ist wenig unterhalb des 42^ n. Br. anzusetzen, da wo das
Kettengebirge sich zu einem Plateau , dem alten Samnium , zwischen
den Küstenebenen ApuUens und Campaniens ausbreitet; der Lauf des
Sangro raarkirt die Linie. Dagegen schwanken die Ansichten in Betreff
der Scheidung zwischen mittlerem und nördlichem Appennin. Schouw
sucht sie am Pafs von Pontremoli (zwischen Parma und Spezia) , weil
1) UviasIX 13 unter dem Jahr 318 v. Chr.: SamniU$ ea tempettaie in
monUbus vicatim habitantßs eampe$tria et maritima loea contempto eulUh
rum moUiore atque ut evenit fere loeis timili gerrere ipn mantani atque
agre$te9 depopulabantur. Derselbe schUdert XXI 58 ausführlich ein Unwetter
auf dem nördlichen Appennin, das Hannibal inr Umkehr zwang. Das Schnee-
treiben kostet alljährlich einigen Wanderern auf den Appenninpaasen das Leben.
2) Leider fehlt es auch in der Neuzeit an einer eigenen Monographie über
diesen Gegenstand.
3) Wenn Amati im Dizionario Gorograiico der Vallardi'schen Eneyclopadie
Ton einer Eintheilung überhaupt nichts wissen will, so hat er zwar theoretisch
betrachtet Recht, vergifst aber, dafs ohne dieselbe eine Uebersicht und Charak-
teristik der verschiedenen Abschnitte nicht gewonnen werden kann.
§ 4. Nordappennin. 229
die RichtuDgsaxe hier sich ändert und die Erhebung bedeutend steigt. 0
Die italienischen Geographen suchen sie am M. Fnmaiolo oder Gomero
bei den QueUen des Tiber und AHmimu Marecchia, wo ein nach Osten
vorspringender Ausläufer das Poland deßnitiT abschliefst. Aus histo-
rischen Gründen empfiehlt es sich die Grenze weiter nach Süden
herabzurücken. Der Aesis Esino bildete im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr.
die Nordgrenze Italiens; bis Sma €r(dlica läfst Polybios das Poland
sich erstrecken; Appennin hiefs das Gebirge, welches beide von ein-
ander trennte. Und da dieser Name im eigentlichen und populären
Gebrauch nur im Norden nachzuweisen ist, so werden wir altnationalen
Vorstellungen Rechnung tragen , wenn wir in der gedachten Gegend
einen Abschnitt annehmen. Vom physikalischen Standpunct aus wird
gegen einen solchen Ansatz kein Einwand erhoben werden. Vielmehr
pafst er auch in dieser Hinsicht recht gut; denn erstens ändert sich
die Richtungsaxe der Halbinsel bei dem Vorgebirge von Ancona und
wendet sich von SO nach SSO; femer gabelt sich hier die Hauptkette
und theilt sich in zwei bald in geringerer bald in gröfserer Entfernung
von einander streichende Arme. Wie an der Ostküste das pramun"
tnrmm Cunerum^ an dem Ancona liegt, so bezeichnet der mona Argen-
tmus an der Westküste, das letzte Glied des toscanischen Erzgebirges,
den Uebergang vom Norden der Halbinsel zur Mitte. Demnach rechnen
wir den nördlichen Appennin vom Col di Cadibona oder dell* Altare,
dem 490 m hohen Pafs, über den die wichtigste Verbindungsstrafse
zwischen dem Poland und der ligurischen Küste lief und von Vada
Sabatia einerseits nach Turin, andererseits nach Placentia führte, bis
zu dem Pafs zwischen Scheggia und Cäks Cagli, den die Hauptstrafse
zwischen Rom und dem Poland , die via Flatninia überschreitet. Auf
dieser ca. 400 km langen Strecke können wir drei Unterabtheilungen
absondern und nach ihren Bewohnern benennen, wenn auch die
natürlichen und ethnographischen Grenzen keineswegs genau zu-
sammen fallen. Der erste Einschnitt wird an den Quellen der Macra
durch den 1014m hohen, la Cisa benannten Pafs von Pontremoli ge-
bildet, der zweite an den Quellen des Tiber und AHminus, wo das Po-
land aufhört. Die darnach sich ergebenden drei Theile der Central-
kette sind ungefähr 160, 180, 60km lang und sollen als ligurischer,
toscanischer, umbrischer Appennin bezeichnet werden.
1) hl der orographisehen Einleitong seiDes Tablean du climat et de la
T^giUtion de IKalie, Gopenhague 1839.
230 Kap. Y. Der Appennin.
Def ligurische Appenniii als Fortsetzung der Seealpen be-
schreibt einen flachen von W nach 0 gerichteten Bogen um den iinu»
Liguiiicui oder Busen von Genua herum. Die genannte Stadt roarkirt
den SchlufssteiB des Bogens. Die Erhebung ist weit geringer als die
der Seealpen oder des Centralappennin. Die Gipfel übersteigen nur
selten 1000 m und wachsen erst am Ende beträchtlich, allwo M. Penna
1731m, M. Gottero 1665m, M. MoUnatico 1553m messen. Die mitt-
lere Höhe wird auf 8— 900 m geschätzt, die Pässe bleiben meist darunter.
Die wichtigsten sind: der mehrfach erwähnte Col di Cadibona 490m,
oberhalb Genua la Bocchetta 777 m und M. JovmUio CoUe dei Giovi
469 m — über letzteren führte die via Postumia von Genua nach
Libama Dertona und weiter nach Placentia — , endlich der 1014 m
hohe Pafs von Pontremoli, la Cisa benannt, welcher Parma mit dem
portus Lunae Golf von Spezia in Verbindung setzte. Der Abfall
des Gebirges nach dem Meer ist schroff und steil; an manchen
Orten beträgt der directe Abstand der Kammhöhe von der Küste
kaum 5 km. Derart erscheint hier eine Naturschranke aufgerichtet,
welche dem Poland den Verkehr mit der See überaus erschwert,
zugleich die gröfsten physischen und historischen Gegensätze hervor-
gebracht hat. Während der Reisende auf der ganzen Strecke von
Massalia bis Pisa überall gleiches Klima , gleiche Vegetation und
gleiche Lebensbedingungen antriflt, so glaubt er von Norden aus der
Poebene kommend ein fremdes Land zu betreten. Genua liegt nicht
mehr als 39 Bogenminuten südlich von Turin, hat aber eine 4,32^ C.
höhere Jahrestemperatur. Während das Poland in Klima und Vege-
tation den Uebergang vom Mittebneer nach dem europäischen Gontinent
einleitet, steht die Riviera in beiden Beziehungen auf einer analogen
Stufe wie Süditalien. Die Breite der Hauptkette ist an sich nicht erheb-
lich , aber an der Nordseite ist ihr ein ausgedehntes Hügelland vor-
gelagert, das sich bis an den Po erstreckt. Unter den Gipfeln desselben
ragen hervor: M. Antola 1597 m zwischen Scrivia und Trebia,
H. Nero 1698 m zwischen Agneto und Staffora, M. Penice 1458 m
zwischen Staffora und Trebia, M. Ragola 1713 m zwischen Nure und
Ceno, M. Carameto 1322m zwischen Arda und Ceno. In langen tief
eingerissenen Becken ergiefsen sich zahlreiche Flüsse und Bäche in
den Po, von denen die wichtigsten schon früher aufgezählt wurden.
An der Seeseite sind keine erwähnenswerten Wasserläufe mit Aus-
nahme der Maera Magra und ihres Nebenflusses Boades Vara. Die
Hagra bildete nach der Regionentheilung des Augustus die Grenze
§ 4. Nordappennin. 231
iwiscben Ligurien und EtrurieD. In der Thal hat die Natur hier eine
Scheidewand gezogen, welche den Zusammenhang des Küstenlandes
unterbricht, indem sie einen Bergzug vorsandte, der in den beiden
Vorgebirgen von Porto Venere und Punta Bianca ausUuit und zwischen
diesen Annen den portui £imae, den ausgezeichneten Hafen von
Spesia einschliefst.
Der toscanisehe Appennin ist bedeutend hoher als der
ligurische : die mittlere Erhebung wird auf 1 000 — 1 600 m veranschlagt
Die llauptkette zerfallt in vier durch Einsenkungen von einander ge*
trennte Gebirgsstöcke. Der erste begrenzt das Thal der Magra im
Osten; er wird eingefabt durch den Cisapafs, über den die Strafse
nach Parma, und den Pafs von Sassalbo, über den die Strafse nach
Reggio führt; er steigt im M. Orsaio auf 1852m, in der Alpe di Succiso
2020 m. Der zweite Stock begrenzt das Thal Auw Serchio und reicht
bis zu dem 1200 m hohen Pafs von Fiumalbo, den die Stralse zwischen
Hodena und Lucca Oberschreitet; er zählt unter seinen Gipfeln die
Alpe di Camporaghena 1999 m und Alpe diS. Pellegrino 1562 m. Ein
dritter Stock zwischen der Scultenna und den Quellen des Reno und
der Sieve enthält in dem 2167m hohen M* Cimone den höchsten Gipfel
des nordlichen Appennin; von Pistoia führt eine Strafse in das Thal
des Reno hinunter nach Bologna. Hieran schliefst sich viertens bis
zu den Tiberquellen ein ca 100 km langer Gebirgswall, der das Sieve-
und obere Arnothal einfalst. Er wird von zwei Pässen unterbrochen,
deren erster (la Futa975m) den Verkehr zwischen Florenz und Bologna,
der andere (der Pab von S. Godenzo oder S. Benedetto) den Verkehr
zwischen Florenz und Forli vermittelt. Die Erhebung nimmt ab: der
H. Falterona, an dem der Arno entspringt, mifst 1648m. An der
nordlichen Aufsenseite des toscanischen Appennin findet sich dieselbe
einförmige Bildung, welche zu den Eigentümlichkeiten des ganzen
Systems gehört. Parallele Ausläufer setzen unter rechten Winkeln an
das Stammgebirge an , die so entstehenden Qnerthälar sind von un-
beständigen Giefsbächen durchflössen. Am Fub des Gebirges zieht
sieb die via ÄMmilw in schnurgerader Richtung hin : als die romischen
Feldmesser sie z.u Anfong des zweiten Jahrhunderts v. Chr. absteckten,
mOgen sie eine seltene Freude über die Gestaltung des Terrains
empfunden haben, die ihrer Vorliebe für gerade Linien so sichtlich
entgegen kam. Einen völlig verschiedenen Anblick bietet die südliche
Innenseite des etruskischen Appennin dar. Die Hauptkette wird von
einer Seitenkette begleitet, die zum Theil einer älteren Formation an-
282 Kap. V. Der Appennin.
gehört. Dadurch entstehen Langenthtier, welche die EntwicUang
gröfserer Flüsse ermöglichen und damit zugleich die Ueberlegenheit
des Westens über den Osten Italiens begründen. Dem ersten Stock
des toscanischen Appennin, den wir ausschieden, entspricht das Seiten-
gebirge zwischen Vara und Magra, dem zweiten die hohe Kette der
Apuaner Alpen oder Alpi Panie, wie der Volksmund sie gewöhnlich
nennt. Die Bezeichnung Alpen tragen sie nicht mit Unrecht; denn
schroff steigen sie Tom Meeresstrand auf zu gröfserer Erhebung als
der gegenüber liegende Appennin besitzt, und faQen in derselben
Weise gegen die Garfagnana das Thal des Serchio ab. Die Passe
liegen ca 1300m hoch; von den Gipfeln mifst der Pizzo deir Uccello
1874 m, H. Pisanino 2050 m, Pania della Croce 1862 m. Wie durch
sein wildes malerisches Aussehen unterscheidet sich dies Küstengebirge
auch durch seine geologische Structur vom eigentlichen Appennin.
Es besteht aus krystallinischen Gesteinen und umschliefst jene uner-
schöpflichen unvergleichlichen Harmorschätze , denen das kaiserUcbe
Rom seinen Glanz verdankte und die noch gegenwartig zum gröfseren
Theil den Harkt der civilisirten Welt versorgen. ^) Südlich vom
Serchio wird es durch die 915 m ansteigenden Honti Pisani fortgesetzt.
Der von der Einmündung der Sieve an direct nach Westen gerichtete
Lauf des Arno macht einen Abschnitt: der Arno verhalt sich zum
Appennin gleichsam wie der Laufgraben zum Wall. Der zwischen
beiden gelegene Landstrich zerföllt in drei weite Thalbecken , welche
durch parallele Bergrücken abgegrenzt sind. Die eben erwähnten
Pisaner Berge scheiden die Küste von dem Thal der Pescia, der
M. Albano (575 m) das Thal der Pescia von dem des Ombrone, die
Berge des Hugello mit dem 979 m hohen M. Giovi das Thal des Om-
brone von dem der Sieve. Das letzte Stück des etruskischen Appennin
erhalt seine Gegenkette in dem Prato Magno (1580 m), der vom oberen
Arno in einer fast regelmafsigen Ellipse umflossen wird.
Bevor wir in der Beschreibung des Hauptgebirges fortfahren, ist
es notwendig auf das toscanische Hügelland einen Blick zu
werfen. Die tiefen Einsenkungen des Arno- und Chianathals (Pisa 3 m
Florenz 129m Arezzo 271m Trasimenus 258 m) stellen im Norden und
Osten deutlich ausgeprägte Grenzen dar. Der Besucher der Museen von
Arezzo oder Florenz wird überrascht durch ihren erstaunlichen Reicb-
1) Bei Garrara sind etwa 300 Bräche in Betrieb; die Ausbeute der Apoaner
Alpen ergab 1873 134 000 Tonnen im Wert von 12 300 000 Franken.
§ 4. Nordappennin. 233
tnm an Fossilien (Mastodon Elephant Rhinoceros Hippopotamos usw.
verschiedener Gattungen), die in den Thon- und Sandschichten dieser
Thälerzu Tage gefördert wurden. Die Funde lehren in anschaulichster
Weise, dars in einer verhältnirsmafsig jungen Zeitepoche hier lauter
Seen und Sümpfe bestanden haben. Jenseit der gedachten Niederung
erstreckt sich ein Hügelland von etwa 100 Ion Breite und bis 150 km
Länge. Es gehört der tertiären Bildung an und besteht aus Sand
lockerem Sandstein , darunter Mergel und Conglomeraten. Daneben
findet sich Kreide mit Serpentindurchbrüchen und namentlich an der
Kaste eine altere Formation, in der selbst gelegentlich Granit auftritt.
Die Yegetationsarmen Hohen erheben sich in einförmigen Kuppen von
40O~6OOm mittlerer Höhe, die Thaler sinken auf 1 50—200 m ein.
Man mufs davon Abstand nehmen eine regelmflfsige Anordnung der-
selben nachzuweisen. Die Wasserlaufe, bald der Richtungsaxe der
Halbinsel folgend, bald sie schneidend, durchziehen das Plateau nach
allen Seiten und bewirken dafs die Hflgelmasse als ein unlösbares
Gewirr erscheint. Als Knotenpunct derselben kann der kupferreiche
Poggio di Montieri (1051m) gelten, da er in Mitten der drei Flufs-
gebiete des Arno Ombrone und Cecina liegt. Zwar erhebt sich südlich
vom Ombrone der M. Amiata zu einer weit bedeutenderen Höhe
(1776 m); allein derselbe gehört bereits dem vulkanischen Gebiet
Centralitaliens an, worauf wir spater (Kap. VI 2) zurückkommen werden.
FQr die Dürftigkeit seines Bodens ist dem toscanischen Hügelland ein
Ersatz bescheert worden durch die unterirdischen Schatze, welche ihm
vor allen anderen Theilen Italiens eignen : Eisen in Fülle und vor*
züglicher Güte auf Elba , Kupfer bei Volterra und Hassa Marittima,
Boraxsaure, Alabaster, Salz- und andere Mineralquellen in grofser Zahl.
Man befafst die Berge, in denen sie sich finden, unter dem Namen
Antiappennin oder Erzgebirge (cafam mefafft/era), obwol jeder -aufsere
Zusammenbang zwischen ihnen fehlt. Dagegen aber zwingt ihre geo-
gnostische Uebereinstimmung , die sie einer alteren Bildung als dem
Appennin — der sog. Trias — zuweist, in ihnen Bruchstücke der
ursprünglichen zertrümmerten Hauptgebirgszone des Landes zu er-
kennen (S. 222). Unter den Höhen des Antiappennin erwähnen wir
den M. Capanna auf Elba 1018m, das Vorgebirge von Populonia 199m,
Poggio dt Montieri 1051m, M. Argentaro 637 m, M. Pagano auf
Giglio 495 m.
Als drittes Glied in der nördlichen Hauptkette betrachten wir den
unibrischen Appennin. VomM. Comero (1207m) an den Tiber-
234 Kap.y. Der Appetnin.
quellen bis zum PaTs von Scheggia auf einer Lange von ca« 60 km sich
erstreckend^ vermiUelt er den Uebergang zur centralen Anschwellung
der Halbinsel. An Höbe steht er hinter den etruskischen Pergen
zurück: Alpe della Luna, an welcher der Metaunis entspringt^ 1350m,
M. Nerone bei Cagli 1527 m. Eine Parallelkette desselben trennt das
obere Tiberthal von dem Arno- und Chianathal, sie enthält die Alpe di
Catenaia 1401 m, bei Cortona die Alpe di Sant' Egidio 1046 m. Ueber
den adriatischen Subappennin ist wenig zu sagen. Die ganzrandige
Küste schliefst sich der Hauptaxe des Gebirges eng an. Vom Meer aus
gesehen macht dasselbe den Eindruck einer vollkommenen und auf
die Dauer ermüdenden Regelmäfsigkeit. Gipfel reiht sich an Gipfel,
ein Auslaufer folgt dem andern, die Querthäler sind sämmtlich einander
parallel und Offnen in gleicher Weise auf den flachen Strand, der
Abfallswinkel ist allenthalben steil und von den Schneehauptern bis zu
den von der Flut umspülten Vorgebirgen sind die geologischen Schichlen
— Jura Kreide Terliarbildung •— stets übereinstimmend gelagert Auf
der 500 km langen Linie von Ariminum bis zum Garganus wird diese
Regelmafsigkeit an einer einzigen Stelle durchbrochen: durch das
572 m hohe fromu$Uurium Cunerum H. Conero, an dessen Nordseite
Ancona liegt. Dieser Stock , welcher sich so auflallend von den um-
gebenden Tertiarhügeln abhebt, besteht aus Jurakalk und hat einstmals
als Insel in dem pliocanen Meer gelegen. Mit gutem Grund lafst sich
hier die Grenze zwischen Norden und Mitte der Halbinsel ansetzen;
denn ihre Richtungsaxe wird fortan eine andere. Ansprechend be-
zeichnet Elis^e Reclus das adriatiscbe Küstenland als das natürUcbe
Gegenstück zum ligurischen : in beiden Fallen ein schmaler Küsten-
saum am Abhang des Appennin bogenförmig hinziehend, der Schluis-
stein des Bogens hier durch Ancona, dort durch Genua eingenommen,
das Gebiet der Picenter der Riviera di Ponente, die den Galliern ent-
rissene Mark der Riviera di Levante vergleichbar. Freilich sind die
Unterschiede ebensogrofs wie die beiderseitige Debereinstimmung:
von dem Umfang abgesehen, ist der ligurische Bogen nach Innen, der
picentiscbe nach Aufsen gewölbt, letzterer von allen Seiten weit weniger
geschützt, weit leichter zuganglich. In Folge dessen hat dies adriatiscbe
Küstenhind in verschiedenen Epochen als umstrittene Grenzmark ge-
golten und die ihm verbliebene Benennung Marken verleiht seiner
geographischen wie seiner historischen Stellung einen treflendeo
Ausdruck.
$ 5. Mittelappennin. 236
$5. Hittelappennin.
Oestlich vom Pars von Scbeggia erhebt sich der M. Catria 1701 m
hoch. Hier tbeilt sich die Hauptkelte uod beginnt der Central-
appennio. Seine Erhebung unterscheidet ihn ?on den übrigen Ab*
schnitten, dazu auch die Hannichfaltigkeit seiner Anordnung. Von den
Eiasenkungen, welche die Nebenflüsse des Tiber einnehmen, im Westen
begrenzt, erscheint er in ein unzusammenbängendes Gewirre von Hoch-
thdern getrennten Stocken seitlichen Ausläufern und Verbindungs-
ketten aufgelöst zu sein. Diese höchste Anschwellung der Halbinsel
mifst ungeßdir 200 km in der Länge bei 50 km mittlerer Breite. Im
Allgemeinen, kann man sagen, wird sie von zwei Hauptzügen eingefafst^
die sich am M. Catria trennen und südlich vom Fucinersee in der Hoch-
ebene des Piano di Cinque Miglia wieder vereinigen. Aber der östliche
Zug, welcher seiner Erhebung wie seiner geologischen Bildung nach
als die orographische Hauptlinie des Appennins anzusehen ist, wird an
nicht weniger als sechs Stellen von Flufsläufen durchbrochen. Ebenso-
wenig stellt der westliche Zug die Wasserscheide dar, indem er von
der Nera und ihren Nebenflüssen zerstückelt wird. Derart verleugnet
das italische Gebirge seinen Grundcharakter der Wegsamkeit auch dort
nicht, wo es die gröfsten Massen aufgcthürmt und der Erhaltung can-
tonalen Lebens den mächtigsten Vorschub geleistet hat. Die via Yakria,
wekhedie schmälste Stelle der Halbinsel durchzieht und die Mündungen
der beiden vornehmsten Ströme des Westens und Ostens, Tiber und
Aternus mit einander verbindet, hat nur östlich vom Fucinersee den
1016 m hoben Pafs über den mens Imms Forca Caruso zu über-
schreiten, nach dessen Bewältigung sie ebenmäfsig durch das vom
Hub gebahnte Felsenthor zwischen Gransasso und Haiella hinlaufend
die Adria erreicht. Die Pässe, auf denen die via Saknia von Rom nach
Picenum führt, bleiben unter einer Höhengrenze von 1500m. Der
CeDtralappennin zerfällt in zwei ungleiche Hälften : eine kleinere nörd-
liche, das umbrische Hochland, eine gröfsere südliche, das sabellische
Gebirgsviereck , für welches seit dem Mittelalter der Name Abruzzen
üblich geworden ist. Sie werden durch den TruentusTronio geschieden,
von dessen Quellgebiet aus ein hoher abschliefsender Querriegel nach
SW vorspringt.
Das umbrische Hochland wird von den beiden am H. Catria
sich trennenden Hauptzügen gebildet. Sie treten südwärts immer
weiter auseinander, so dafs die anfjlngliche Breite von ca. 20km auf
236 Kap. y. Der Appeniün.
mehr als das Doppelte wächst. Die Länge beträgt gegen 100 km. Die
Ostkette ist die höhere; doch hat sie erst an den Quellen der Teona
bedeutende Gipfel aufzuweisen. Hier erhebt sich die Gruppe der Hon-
tagna della Sibilla (Tetrica monsy) mit H. Regina 2332 m H. Sibilla
2286 m M. Vettere 2377 m M. Pretara 2476 m. Die Westkette über-
steigt nirgends 15 — 1600m. Das Hochland dazwischen, ganz von
Bergen erfQllt, hat keine gröfseren Ebenen aufzuweisen : die wichtigste
Stadt Nursia Norcia liegt 606 m^), Leonessa an der Cornia 980 m O.M.
Drei Strafsen durchkreuzen dasselbe : die erste von Fossato oberhalb
Tadmae Gualdo Tadino, der heuligen Eisenbahn entsprechend , fDhrt
in das Thal des Aesis Esino ; die zweite von Fvlgineum Foligno über
die Hochebene von Plesieae Pistia oder Colfiorito zu den Cameiia
Camerino und in das Thal des Chienti; die dritte von Norcia über einen
14 — 1500 m hohen Kamm an den Tronto. Das umbrische Hochland
wird wie gesagt im Westen von der Einsenkung begrenzt, welche
Clasius Chiascio Tinea Topino und Clitumnus Clitunno durch-
strömen. Jenseits derselben erstreckt sich bis zum Tiber das um-
brischeHügelland. Dieses zerfäUt in zwei Massen, welche durch
das städtereiche umbrische Thal von einander geschieden werden. In
der kleineren nördlichen Masse bezeichnet der H. Subasio bei Äsifium
Asisi die höchste Erhebung 1290 m; in der südlichen der M. Maitano
bei vicus Mortis Massa Martana 1095 m. Die letztere wird an der
SOSeite von dem unteren Lauf der Nera begrenzt, hängt aber zwischen
dem Thal von Interamna Terni und dem von Spoktium Spoleto durch
den Rücken des M. Somma — Pafshöhe ca. 700 m — gleichsam an
einem Isthmus mit der Hauptkette zusammen. Das 419 m hoch gelegene
Thal von Reate Rieti unterbricht den Zusammenhang der Ketten , ein
in SWRichtung verlaufender Querzug scheidet das umbrische Hoch-
land von den Abruzzen.
Das sabellische Gebirgsviereck ist einer riesigen Festung
vergleichbar im Herzen der Halbinsel aufgerichtet. Ringsum von hohen
Rergwällen umgeben ist es nur an vereinzelten SteUen zugänglich und
diese Zugänge lassen sich wie Thore ebenso leicht sperren ak öffnen.
1) Verg. Aen. Vn 713 ^ Tetrieae korrentit rupes moniemque Senertm
. . . eolunt; der Tetrica liegt nach Servioa in Picenum ond hat nach Vairo
RR. m, ft wilde Ziegen; SUias VÜI 419 bringt ihn mit Nonia in Verbindaag.
Alle diese Angaben treffen ungezwungen, wie schon Gluver sah, auf die ge^
nannte Gruppe zu.
2) FHgida ISurtia Verg. Aen. Vn 7 1 5.
§ 5. Mittdappennin. 237
Der nördliche Wall wird durch den mehrfach erwähnten Querzug ge-
bildet, der Yon Norcia aus bis an den Velino bei Rieti vorspringt Hier
an seinem Ende steigt der M. Terminillo 2213 m auf : jedem Besucher
Roms wol vertraut, da er das Gesichtsfeld der ewigen Stadt nach NO
abscbliefst. Der antike Name lautete vielleicht Gurgures.^) Der Velino
erschiielist das Innere der Abruzzen : bei Interocreum Antrodoco gabelt
sich die Strafse und führt einerseits hinüber nach Picenum, anderer-
seits nach der alten Sabinerstadt Amitemum. Im Osten finden sich die
höchsten Erhebungen des gesammten Appennin. Die Hauptkette be-
steht aus einer Reihe gesonderter Stöcke, die an Masse und Erhabenheit
mit einander wetteifern. Auf die Montagna della Sibilla folgt diesseit
des Tronto der Pizzo di Sevo 2545 m. Das Gebirge wird immer gewal-
tiger und großartiger. Bei den Quellen des Vomanus verändert es
seine Richtung mehr nach Osten und hier nun thürmt sich der höchste
Berg der Halbinsel der Gran Sasso d' Italia oder M. Corno — so heifst
er nach seinen beiden Hörnern — 2637 und 2921 m hoch auf. Der
Gipfel stürzt nach beiden Seiten an 1500 m senkrechter Erhebung
schroff ab, eine graue nackte, bis tief in den Sommer mit Schnee-
flecken bedeckte Steinmasse ; doch macht dieBesteigung keine Schwierig-
keit. An seinem westlichen Pulse lag Ämitemtim, nach Osten Inter-
amnium Hatria und Anna. Der antike Name ist nicht sicher überliefert:
es scheint dafs der ganze Gebirgszug zwischen Tronto und Atemo als
mans FueeUm bezeichnet wurde. ^) Der ostwärts gerichtete Stock des
Gran Sasso kehrt in stumpfem Winkel wieder nach Süden um und
setzt sich bis an den Aterno fort. Jenseit dieses Hauptstroms der Ost-
küste erhebt sidi als letzter Stock die Maiella : eine gewaltige Masse
▼OD 90 km Umfang und bis zu 2740 m Höhe. Sie ßiUt gen Westen
steil ab nach dem frischen Thal, in dem die Paelignerstädte Stdmo und
Carfinium (350 m) liegen. Die Kette, welche die Westseite des Gebirgs-
▼iereeks ausmacht, steht der eben beschriebenen an Höhe nach. Bei
Rieti beginnend lagert sie sich in breiter Masse hin und umschUefst eine
270 Dkm grolse Einsenkung, die der locus Fuänns (663m) zum Theil
einnahm. Nördlich von dem neuerdings ausgetrockneten Seebecken
steigt der bedeutendste unter diesen Bergen der M. Velino mit seinen
zwei edel geformten von Rom her sichtbaren Gipfeln 2487 m auf. Der
1) Nach Varro RR. 11 1 vgl. c. 8.
2) Derart läfst sich die Angabe des Silius Vin519, der dies Gebirge den
Vestinem zuweist, mit der Angabe Plin. m 109, nach welcher der y^veiu Velino
hier entspringt, zwanglos yereinigen Tgl. Varro RR. II 1,5.
238 Kap.y. Der Äppennin.
weiter östlicb folgende M. Sirente rnifst 2348 m, der von Aveia und
Aquila nach dem See führende Pafs 1 390 m. Der Liris bildet im Westen
die Grenze, der Atemus im Osten. Unterhalb des Sees wendet sich
das Gebirge ostwärts um mit den Fortsetzungen der Haiella zusammen-
zustofsen und die Südseite der Abruzzen abzuscbliefsen. Die Ver-
einigung erfolgt bei dem nach seiner Länge als Piano di Cinque Miglia
bezeichneten Sattel. Er ist 1300m hoch, die Strafse von AnßdeM
nach Sulmo^ aus Samnium in das Paelignerland führt hinober.
Mit den beiden Hauptketten , welche das sabeliische Viereck bil-
den , ist die Ausdehnung der Gebirgslandschaften Mittelitaliens noch
nicht erschöpft. Wir sehen dabei von dem vulkanischen Gebiet vor-
läufig ganz ab^ weil diesem seiner Wichtigkeit wegen eine eigene Be-
trachtung gewidmet werden mufs. Vom unteren Nar bei Namia und
Interamna bis zum Liris bei Fregeüae zieht sich ein etwa 140 km langes
Gebirge hin. Es wird durch den Austritt des Anio bei Ttbur in zwei an-
nähernd gleiche Hälften zerlegt, von denen die nördliche nach dem Volk
der Sabiner benannt wird , die südliche nach dem Volk der Hemiker
benannt werden mag. Die Sabinerberge erheben sich nirgends sn
grofsen Höhen : der bedeutendste Gipfel, der m^msLucretiHs M. Gennaro,
welcher die Aussichten Roms in so hervorragendem Mafse beherrscht,
rnifst nur 1268 m. Allein der scharf abgestufte Uebergang aus der
vulkanischen Ebene in den appenninischen Bereich erhöht für das
Auge ihr Ansehn erheblich. Der Tiber stellt ihre fest bestimmte
Grenze dar: nur ein vereinzelter Bergrücken der Sarade mit seinen
sechs Zacken 6S1 m steigt diesseit des Flusses aus der römischen Cam-
pagna inselartig empor. Die grofse mittelitalische Ebene setzt sieh
südwärts, nur durch eine niedrige Bodenanschwellung (350m) ge-
schieden , in dem Thal des Trerus Sacco fort. Zwischen Trerus und
dem oberen Liris streichen die Hern ik er berge, die südliche HaUte
des ganzen Zuges. Ihre Erhebung ist beträchtlicher und wächst an
den Lirisquellen, wo sie mit der Centralkette zusammenhängen , auf
mehr als 2000 m. Endlich läuft noch westlich vom Trerus eine viote
Parallelkette, dieVolskerberge, gewöhnlich Monti Lepini genannt. <)
Sie fallen gleichfalls wie die Sabinerberge schroff ab gegen den Küsten-
säum der pontinischen Sümpfe, springen alsdann in den Voi^gebirgen
von Tarracina und Cateta bis ans Meer und enden ca. 100 km lang am
unteren Liris. Das Vorgebirge von TeiTacina bildet den südlichen
1) Nach Golnm. X ISl Signia monie Lepino,
{ 6. Sadappennin. 289
Abschlufs der grofsen centralen Ebene der Halbinsel. An dem Kttsten-
pafs von lauiulae ist die militärische Grenze zwischen Mittel- und
Saditalien anzusetzen, mit welcher auch die klimatische sich deckt.
Die Gipfel der Volskerberge erreichen eine ansehnliche Hohe : M. Sem-
previsa bei Setia 1 535 m, M. Cacume SW vom Pnisino 1095 m,
M. Petrella N von Fofmiae 1533 m. Wie vor den Sabinerbergen der
Soracte findet sich ein in gleicher Weise losgelöstes GKed hier im
Mens Cirteiarum M. Circello 513 m, der von den Alten lange Zeit ftlr
eine Insel gehalten , in Wirklichkeit aus der Ferne dem Blick durch-
aus als solche sich darstellt und erst nachträglich durch Alluvionen
landfest geworden, wie dies auch mit dem M. Argentaro geschehen ist.
An der Grenze Mittelitaliens prägt sich der parallele Bau des Landes
zum letzten Mal und in nirgends sonst beobachteter Schärfe aus, um
in der Folge sich immer mehr zu verwischen. Zieht man vom Cap der
Circe eine Linie nach dem Gran Sasso, so durchschneidet dieselbe fünf
stufenförmig aufeinander folgende Einsenkungen nebst den einfassen-
den Bergzügen : sie läuft von der pontinischen Küstenebene über die
Volskerberge in das Thal des Trenis, Ober die Hernikerberge in das
Thal des Liris, über die Marserberge in das Fncinerbecken und gelangt
nach Ueberwindung des hohen Nordrandes an den Aternus und den
Fufs des genannten Hochgipfels. Die so stark hervortretende Ent-
wicklung von Langsthalern ermöglicht die Entstehung bedeutender
Flufsläufe und ruft damit denjenigen Factor ins Leben , welcher der
Mitte ihren Vorrang vor dem Norden wie dem Süden der Halbinsel
verschafft hat.
§6. Südappennin.
Von den bisher beschriebenen Theilen weicht der südliche
A p p e n n i n in mehrfacher Hinsicht ab. Einmal steht er an Erhebung
hinter der Mitte weit zurück , da selbst die höchsten Gipfel um mehr
als 500 m unter denjenigen der Abruzzen bleiben. Zweitens ändert
sich der Bau des Gebirges in bedeutsamer Weise: die regelmäfsige
GHedening in parallele Ketten hört auf und macht zunächst einer völlig
regellosen Anordnung, dann einer einzigen Kette Platz. Drittens
rückt der Appennin und mit ihm die Wasserscheide immer naher an
das tyrrhenische Meer, indem er die Richtung nach SSO, schliefslich
nach SSW einhält. Dadurch gewinnt die Physiognomie des Landes
ein neues Aussehen. Von verschiedenen Betrachtungen ausgehend
sind wir wiederholt daran erinnert worden, dafs Italien nach Westen
240 Kap. y. Der Appennin.
gerichtet, dafs die westliche seine Stirnseite sei. Für das erste Drittel
des unteren Appennin trifft dieser Satz wenn auch nicht in derselben
Stärke wie für den Norden der Halbinsel noch durchaus zu; denn der
Hauptflufs Samniums ergiefst sich in die tyrrhenische See und mit
€ampanien vermag sich die apulische Ebene, was natürUche Begabung
betrifft, entfernt nicht zu messen. Aber sobald man den Grebirgsrttcken
überschreitet, der Samniten und Campaner von den Lucanern scheidet,
verliert der Satz seine Geltung. Nach Südosten Öffnet sich jetzt das
Land und findet in dem tief eindringenden Busen von Tarent, der
seine Flüsse aufnimmt, ein natürliches Centrum, das auf die Umwohner
dieselbe Anziehungskraft ausübte wie das etruskische Meer auf den
Norden. Man kann den Gang der Geschichte in den natürlichen Be-
dingungen angedeutet sehen. Während Italien vermittelst der Poebene
mit dem Stamm des Gontinents eng verwachsen ist, breitet es seine
südlichen Glieder weit aus um die Einwirkung der Fremde voll aufzu-
nehmen. Die messapische lucanische brettische Küste nebst dem Osten
Siciliens verhält sich zu Epirus Akaroauien und dem Peloponnes wie
Gestade und Gegengestade. Die Natur begünstigte die Einwanderung
der Hellenen und ein halbes Jahrlausend hindurch blieben diese Land-
schaften der hellenischen Cultur unterworfen, deren Blüte und Verfall
sie theilten. Die Einigung IlaUens besiegelte das Schicksal dieser
anderen Lebensrichtungen zugewandten Aufsenlande und seitdem der
politische Schwerpunct in die Mitte der Halbinsel oder den Norden fiel
ist Grofsgriechenland der Vergessenheit und Verödung preisgegeben
gewesen. In um so hellerem Glänze erscheint die Zeit als es der Auf-
gabe lebte die fremde Civilisation im Westen einzubürgern. Und dafs
ihm solche Aufgabe ehemals übertragen werden konnte, daran erinnert
uns die veränderte Axenstellung des Appennin.
Wir unterscheiden drei Abschnitte, welche den alten Stamm-
grenzen ziemlich genau entsprechen und zwar als ersten das Hoch-
land von S a m n i u m. Der am Südrand des Fucinersees entspringende
und in die Adria mündende Sagrus Sangro umfliefst im Bogen die
Abruzzen und bildet mit seinem tief eingeschnittenen Thal ihre Grenze.
Jenseit derselben verändert das Gebirge seinen Charakter. Aus der
alpinen Groisarligkeit, welche den sabellischen Gauen eignet, gelangt
der Wanderer unter abgeflachte einförmige Kuppen, die nur vereinzelt
durch bedeutend hervorragende Gipfel unterbrochen werden und uin
reichlich 1000 m mittlerer Höhe hinler jenen zurückstehen. Statt der
gesetzmäfsigen Anordnung von Hebungen und Senkungen, welche den
§ 6. Südappenniii. 241
Norden und die Mitte der Halbinsel kennzeichnet, tritt er in ein Ge*-
wirre von Hügeln und Bergen , deren Vertheilung auf kein deutliches
Priocip zurückgeführt werden kann. Im Allgemeinen verrflt der Bau
des Gebirges ein gewisses Bestreben in QuerzUgen sich über die ganze
Breite der Halbinsel hin auszudehnen. Demgemftfs beschreibt die
Wasserscheide eine höchst verwickelte Linie und erleichtert die Niedrig-
keit der Pässe (Ariano 740 m) den Durchzug von einem Meer zum
andern. Die Thatsache dafs die Samniten auf die adriatische Küste
nicht minder als auf die tyrrhenische drückten , giebt diesem Verhalt-
oifs einen historischen Ausdrack. Ueberhaupt spiegelt die Natur der
Landschaft das ruhe- und gesetzlose Walten des Volkes wieder. Wir
müssen darauf verzichten sie in kurzen Zügen anschaulich zu schildern.
Den ganzen Lauf des Sangro begleitet ein Gebirgszug, der bei Aufidmß
im M. Meta seine höchste Erhebung 2240 m findet. Dieselbe bildet
zugleich einen Knotenpunct des samnitischen Appennin, da ihre Aus-
rufer das wichtigste Thal, das des Volturnus im Westen einfassen.
An der Ostseite dieses Flusses als zweiter Knotenpunct liegt der massige
Stock des Matese Tt/emua mong^ der im M. Miletto 2057 m ansteigt
und mit seinen elliptischen Rändern einen See bei 1007 m Hohe um-
schUefst. An der Nordseite des caudinischen Thals W von Benevent
bat der moita faiicnitia (1393 m) noch seinen antiken Namen bewahrt.
Aas der gegen Gampanien abfallenden Kette erwähnen wir den oft
genannten nwn$ Tifata bei Capua 202 m^ als einen der höchsten Gipfel
M. Vergine bei Abeüinum 1461 m. Während nach Westen sämmtliche
Gewäiflser zu einem einzigen Abflufs im Volturnus sich vereinigen,
bewahrt die adriatische Seite ihren bisherigen Charakter zahlreiche
aber dafflr um so kleinere Stromgebiete zu entwickeln. Auf den Sangro
folgen Triniui Trigno, Tifamtu Bifemo, Frento Fortore. Allein nun-
mehr hört die Uebereinstimmung, welche sich in der Bildung des
ganzen Küstenlandes von Ariminum abwärts offenbart, auf, da eine
nach Süden sich ausbreitende Ebene sich zwischen den Subappennin
und das Meer schiebt. Das Gebirge, welches vereinzelte Gipfel von
11 — 1200m aufzuweisen hat, filUt steil gegen das wellige Flachland
ab und es ist ein Irrtum, wenn unsere Karten von Ptolemaeos bis in
die Neuzeit herab einen sichtbaren Zusammenhang desselben mit dem
Gargtmtis verzeichnen. Vielmehr stellte letzterer in der pliocänen oder
jungtertiären Epoche, als das sandige Tiefland Apuiiens (TavoUere della
1) LiT. X 30.
VUi«m, itnl. LandMkaBd«. I. 16
242 Kap. V. Der Appennln.
Puglia) vom Meer bedeckt war, eine Issel dar wie sie die vorgescbobene
Tremitignippe noch jeut darstellt. Lagunen im Norden und Sttden,
der Flufslauf des Candelaro im Westen tragen daiu bei den Zugang lu
dem massigen Vorgebirge zu erschweren. 8eine höchste Spitie steigt
im M. Calvo 1055m auf. Die 3500 Dkm grobe Ebene wird in ihrem
südlichsten Theil vom Aufidut Ofanto durchflössen^ dem llngsten Fluft
der adrialischen Koste. Derselbe kann in ähnlicher Weise wie vorher
der Sangro dazu dienen einen neuen Abschnitt im Bau des Appennios
zu veranschaulichen.
Der Abschnitt wird durch einen in Absatzen die Breite der Halb*
insel durdistreichenden Querzug gebildet. Die Sodseite des Golfs von
Neapel einschliefsend beginnt er mit der Insel Capri (M. Solaro 585m)
und den mantm Surremmi der Halbinsel von Sorrent, die imli. S. Angelo
bei Stabiae sich 1443 m erhebt und setzt sich nach einer Einsenkuag
von ca 200 m zwischen Nucmia und SakmMm ostwSrts als geschlossene
Kette fort. Die Gipfel M. TermiDio (1782m) M. Cercetano (1842m)
H. Accelica (1657 m) M. Gervialto (1809 m) M. Marzano (1530 m)
M. S. Croce (1420 m) M. Caruso (1230 m) M. Toretta bei Femifia
(1070 m) werden nach Osten zu niedriger und erreichen scUiefsUch
nur eine müfsige Hohe. Die ganze Kette ist durch den Umstand aus-
gezeichnet^ dafs ihrem nördlichen Fufs Vulkane vorgelagert sind: an
dem einen Ende der Vesuv und das phlegraeische Gefilde, an dem
anderen der Vultur; auch der in der Mitte befindUche laimi Amip$a9iäM
bekundet durch seine starken Ausdünstungen von Kohlenstture und
Schwefelwasserstoff vulkanische Natur. Mit dem beschriebenen Querzug
beginnt der lucanische Appennin. Auch hier findet sich anHittg-
lieh dieselbe unregelmäfsige Anschwellung mit geringer Gipfelhöhe
(ca. 1200 m) wie in Samnium. Dann aber ballt sich das Gebirge im
Westen enger zusammen und streicht, dem Meer immer näher treteod,
mit seiner Hauptlinie in der Richtung des Meridians, während an der
Ostseite der Subappennin sich langsam abdacht. Freilich kommt es
weder zu einer eigentlichen Kammbildung noch zu Querthftlem und
unter rechtem Winkel anstofsenden Ausläufern. Das Hauptthal ist eioe
der Richtungsaxe folgende Einsenkuog, die vom Tana^ Negro durck-
flossen wird. An seiner Westseite liegt der mosu AUnmim M. Palenno
(1740 m).^) An seinem Sfldende wachsen die Gipfel und bei deo
Quellen des SiriB Sinni steigt der M. Sirino 1830 m auf. Der kleine
1) Veig. Georg. III 146 iUeibu$ virentem Albumtm,
§ 6. 8ad«ppeoniii. 248
KQMenflufB Laos wird schon in froher Zeit als Grenze zwischen dem
ursprttnglichen Italien und Oenotrien , dann zwischen Bruttium und
Lucanien genannt« Die politische Scheidung filUt mit der natürlichen
zoenmnen. Denn vom Laos ostwärts schiebt sich der 2270 m hohe
M. PoUino wie ein Qnerriegel vor, „die pralle Bergwand mit scharf-
kantigen pyramidenförmigen Gipfeln^^ ßllt in „mauerförmigen Ab-
stürzen^ ab und damit findet der Appennin wenig unterhalb des
40. Breitengrades im geologischen Sinne des Worts sein Ende. Die
230 Dkm grofse Ebene von Sybaris trennt die appenninischen von den
alteren Granitbildungen des brettischen Landes. Wahrscheinlich setzt
sich das Tertiär quer durch die Halbinsel von Meer zu Meer fort und
zeigt damit dafs die Trennung ursprünglich eine vollständige war. Die
Geographen des Altertums haben die beiden Halbinseln, in welche
Italien ausläuft, mit Hörnern verglichen, zu denen die dazvirischen ge-
legene grofsgriechische Küste die Stirn abgab, i) Aber keinem von
ihnen ist es je in den Sinn gekommen von einer Gabelung des Appen-
nins zu reden und hieraus die Gestalt des Landes zu erklären. Diese
Scbluisfolgerung ward von Neueren aus ihren Worten gezogen und
der schon von Cluver bekämpfte Irrtum schlug tiefe Wurzeln. Wer in
der gewöhnlichen Schulmeinuog befangen an den Busen von Tarent
gelangt, wird sich eines lebhaften Erstaunens nicht erwehren können,
wenn er (wie ein Fachmann sich ausdrückt ^) „die aufserordenlUche
Verschiedenheit in der orographischen und geologischen Gestaltung
der gegenüberliegenden Golfgestade^ hervortreten sieht. „Hier Hoch-
gebirge aus Granit undGneils, unzugängliche Schluchten, grofse Wälder
— dort eine niedere flache Terrasse von weifsem Kalkstein der Terliär-
und Kreideformation, eine kahle langweilige unabsehbare Ebene. '^ An
die apulische Ebene schliefst sich südlich vom Aufldus dasiapygische
Hügelland an, welches bis zur äufsersten Spitze dem Gap Leuca
nirgends viel über 500m hohe, durchgängig weit niedrigere Gipfel
aufweist. Die Züge welche den Rücken der Halbinsel ausmachen,
Murgie oder Serre genannt, gehören allerdings derselben Jura- und
Kreideformation wie der Appennin an. Aber sie hängen äufserlich mit
1) Mela U 58 (darnach Solio 2, 21) verum ubi longe abit, in duo comua
findiiur rupieitque altera Sieuhim pelagm aitero loräüm; Plin. III 95 a Lo-
erU JtaUae frans ineifii Magna Graeeia appeUata, in iria nnu$ reted&m
Aus9mi aiaW#.
2) G. Tom Rath^ ein Ausflug nach Galabrieo, Bonn 1871, p. 147. Ders.
in Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft XXV p. 150 fg.
16*
244 Kap. y. Der Appennin.
demselben ebensowenig zusammen wie der Garganus. Der grOÜBere
Tbeil des Landes ist junger Bildung. Dies erhellt nicht nur aus den
lebenden Formen sich annähernden Versteinerungen , sondern noch
mehr aus der dünnen oft kaum handhohen Ackerkrume, die den Fels-
boden bedeckt. Um die hier mit Eifer und Erfolg betriebene Olireii-
cultur zu ermöglichen , ist man häufig in der Lage fQr die Setzlinge
Locher au9 dem lebenden Felsen brechen und mit fruchtbarer Erde
ausfüllen zu müssen. Der Reisende wird gelegentlich an die aus-
gewaschenen tertiären Hügel Etruriens erinnert und zur VergleichuDg
mit dieser Landschaft aufgefordert werden. Die geographische l^age
hat ihr beiderseitiges Verhalten bestimmt: so nahe die eine dem
italischen Leben, so fern hat ihm die andere gestanden.
§ 7. Bruttium.
Die Geologen setzen das Ende des Appennin bei der Ebene von
Sybaris an. Der antike und der gewöhnliche Sprachgebrauch betrachtet
Sie brettische Halbinsel als letztes Glied desselben. Sie zerfallt in eine
grOfsere Nordhälfte und eine kleinere von Sicilien abhangige Südhälfte.
Sie besteht aus Gneifs und Granit Thonglinimerschiefer Thonschiefer
körnigem Kalkstein und anderen Felsarten , welche die Merkmale der
alpinen Mittelzone aufweisen. Das Urgestein bildet nur den schmalen
Kern, der in der Regel bis zur Höhe von 400 m von tertiären Massen
umschlossen ist. Für die historische Entwicklung des Landes war es
bedeutsam, dafs es Metalle und andere mineralische Schatze barg, die
dem Appennin fehlen. Wenn die Ausbeutung auch heute aufgehorl
hat, so zeigen doch die Schutthalden, dafs sie früher mit Eifer betrieben
wurde. Das Urgebirge bildet keine Kette wie der Kalkappennin,
sondern vereinzelte mehr oder weniger getrennte Stöcke. Hart an der
tyrrhenischen Küste streicht ein Rücken, der im M. Cocuzzo SW von
Cansentia Cosenza seine höchste Erhebung 1550m findet. Zwischen
den Quellen des Crathis Crati und des Crotalus Corace führt eine durch
den Lauf des Sabattis Savuto bezeichnete Verbindungsbrücke von dem
Küstenzug zu der grofsen Gebirgsinsel Sila. Diese wird im Norden
durch die Ebene von Sybaris, im Osten durch das Meer und die Ebene
von Croton, im Süden durch die Senke von Tiriolo, im Westen durch
Crati und Corace begrenzt. Da wo der Targines Tacina entspringt,
erhebt sich der höchste Gipfel 1889 m. „Die von den angegebenen
Grenzen umschlossenen 50 Quadratmeilen Waldgebirge — schreibt
§ 7. Brattimn. 245
TofflRath — biideD den unbetretensten Tbeil Italiens, ja eines der
DDbdaiiDtesten Gebiete Europa's. Von Süd West und Nord stellte
sieb uns das Gebirge als ein hoher Wall mit fast horizontaler Hohen^
linie und sanftem äursern Gehänge dar. Von dem Aufsenwalle ver-
zweigen sich nach innen mehrere Bergrücken, welche weite Thal-
Schäften einschlieisen. Diese durch schwer ttbersteigliche Höhen von
einander getrennten Becken öffnen sich in engen Schluchten, den
nossen einen Austritt lassend.^ Südlich von der Sila zwischen dem
smuM Terinaeus und ScykdnuB, den Golfen von Eufemia und Squillace
wird das Land auf eine Breite von 31km eingeschnürt und sinkt zu
einem sanft gewölbten Hflgehrücken von nur 250 m Erhebung ein.
Dieser bthmus, die Senke von Tiriolo hat verhaltnifsmäbig spät aus
den Fluten emportauchend die Südspitze Italiens landfest gemacht.
Am Ende der Tertiarzeit war letztere durch eine Meerenge von 15 km
Breite von der Sila geschieden, gerade wie sie noch jetzt durch die
sicilische Enge von dem peloritanischen Urgebirge geschieden ist. Man
begreift, wie der ältere Dionys den Plan fassen konnte den Isthmus
durch eine Befestigung völlig abzusperren. 0 Jenseit desselben folgt
in SSW Richtung ein ca 100 km langes plateauartig abgeflachtes
Granitgebirge, die Serra S. Bruno und der Aspromonte. Der Montalto,
die westliche Spitze des letzteren bei Rhegion steigt 1974 m an. „Der
Aspromonte mit einer Basis kaum kleiner als diejenige des Aetna, bildet
mit seinen breiten Terrassen und seiner majestätischen Wölbung einen
wQrdigen Abschlub der reichgestalteten italienischen Halbinsel.^ Keine
Landschaft Italiens hat im Lauf der Geschichte so wenig von ihrem
ursprünglichen Aussehen eingebttfst als Calabrien. Seit Alters war sie
bei den Griechen wegen ihres Bauholzes hochberühmt und Strabo läfst
den Silawald von Lokroi und Rhegion ab auf 700 Stadien 130 km Länge
sich erstrecken. 3) Da der Name Sila offenbar mit siha und vkrj iden-
tisch ist, so ist es sehr natürlich , dafs er zur Bezeichnung des ganzen
inneren Hochlands von Bruttium im Gegensatz zur hellenisirlen Küste
verwandt und mithin in viel weiterem Sinne als gegenwärtig gebraucht
wurde. Eine anschauliche Schilderung dieses Waldlandes wird gelegent-
J) Strabo VI 261 ; Flin. 10 95. Carl Ul. von Neapel wollte gar einen
Ctnal dorcfa den Rfieken graben lassen.
2) Str. VI 261 Plüi.in 74. Das Mafs ist fOr den Aspromonte, auf den es
belogen worden ist, su grofs, bis znr £bene von Sybaris zu klein: aber es
libt rieh gar nicht absehen, nach welchem Gesichtspanct die ganze Angabe
gemacht ist.
246 Kap- V. Der AppoiiÜD.
lieh seiner Unterwerfang unter Rom gegeben i): „die BreUier traUo
die Hälfte des Silagebirges ab, das voll ist von trefflickem Hob für
Hans- und Schiffsbau und jeden anderen Gebrauch. Himmdbohe
Tannen wachsen darin in Menge, Pappeln und hanreiebe Llrchen io
Menge, Buchen, Pichten, Eschen und gewaltige Eichen, von den durch-
fliefsenden Qudlen befruchtel, dazu all das dichtferwachsene Unter-
holz , das dem Gebirge Schatten spendet den gansen Tag lang. Die
Bestände in der Nähe des Meeres und der Flüsse werden an der Wurzel
gefällt und in ganzen Stämmen zu den nächsten Häfen binabgeachafft;
sie reichen aus un ganz Italien mit seinem nötigen Bedarf fiir die
Marine und den Hausbau zu versorgen. Das oberhalb der Kttste und
den FlQssen femstehende Hob wird in Stttcke gehauen und giebt
Ruder Stangen allerlei Werkzeug und Hausgerät, das dann von Men-
schen hinunter gelragen wird. Das meiste und harzreichste Hob aber
wird zum Theerschwälen verwandt und Heftert von allen bekannten
Arten das wobiechendste und sdfseste Pech, das sog. brettische. Aus
der Verpachtung dieser Wälder bezieht der römische Staat aiyähriich
grofse Einkaufte.^* Die Wälder der Säa sind noch immer meistentkeik
Domäne und dienen zur Ausrüstung und Unterhaltung der königbcheD
Flotte, fn den Lichtungen wird von Anfong Juni bis zum Schneefall
im October eine ausgedehnte WeidewirtachafI betrieben. Der Acker-
bau ist durch KUma und Bodenbeschaffenheit nahezu ausgeschlossen.^^
Diese Waldwildnifs hat der Cultor und ihren Gesetzen bb auf den
heutigen Tag getrotzt.*) Und es ist eine beachtenswerte Tbatsacbe
dafs derjenige Theil Italiens, welcher am flrtthsten der Einwirkung der
Civilisaiion ausgesetzt gewesen ist, am spätesten von ihr überwältigt
werden wird. Noch eine andere Beobachtung drängt sich hier auf.
Nirgends sonst sind die beiden Naturgegensätae, welche die Entwicklung
italischer Geschichte bedingen , so unvermittelt, auf so engem Raum,
so hart an einander gerückt ab in Grofsgriechenbnd: der Gegensatz
zwbchen einem rauhen Waldgebirge und einem ttberschwänglich ge-
1) Dion.Hai.XX15 Kiefsl.
2) Etwas trefflichen Flachs, etwas Weizen und Roggen seit der Saracenen-
zeit 975 einge fahrt; wichtiger die Kartoffel.
3) G. vom Rath in der angefahrten liebenswürdigen BesehretlHing seines
1871 unternommenen Ausflugs erzahlt, dafe derPrifect mit sichtlicher Genag*
thuung fOr die Sicherheit der Reisenden in der Sila Bürgschaft übemahai, in-
dem er ihnen nur 10 berittene Garabinieri mitgeben wollte, welche bei der
Jetligen Schwache des R&nberwesens ▼olikomaien genügen würden. Unsere
Landsleute verschoben daraufhin ihre Forschungsreise auf die Zukunft.
f 7. Brnttinm. 247
segneten Gestade. Ob auch die Fluren von Sybaris und Kroton und
den meisten anderen Griechenstädten gegenwärtig yersumpft verwildert
von Fieber und EinOde erfüllt sind, so genügt doch ein Hinweis auf
die Oppigen Frucbtgäirten von Reggio, um zu verstehen was die ganze
Kaste einst gewesen und was sie durch Arbeit und Verstand wieder
werden kann. Den Meerespfaden folgend, auf denen einst die Hellenen
von Ost nach West, aus der alten ih die neue Heimat gelangten, bleibt
der Jamflier der Gegenwart unseren Blicken verborgen, und indem
das Auge die herrlichen Profile des Landes an sich vorübergleiten läfst,
ruft e» zugleich die grofse Vergangenheit im Inneren wach. Der
Name Italia hat ursprünglich diesem südlichen Ausläufer allein an-
gehört , und in Wirklichkeit stellt die plastische Gestalt desselben ein
Ur- und Vorbild des Ganzen dar.
KAPITEL VI.
Der Tiilkanlsiiias.
In keinem Lande Europa's treten die geheimaifsvollen Mächte,
welche vom Erdinnern aus an der Cmgestaltung der Erdoberfläche
arbeiten, dem Betrachter anschaulicher und bedeutsamer entgegen ab
in Italien. Sie haben sich hier nicht darauf beschränkt Zeugnisse
ehemaliger Thäligkeit zu hinterlassen , welche nur der Forscher za
deuten versteht; sie wirken noch immer vor Jedermanns Augen sichtbar
fort und üben auf die Schicksale ganzer Landschaften den nachhaltigsteo
Einflufs aus. Wenn auch ihre heutigen Aeufserungen geringfügig er-
scheinen im Verhaltnifs zu den Umwälzungen, die sie in froheren
Epochen hei*vorgebracht , so wird doch für die Landeskunde der Reiz
der Betrachtung durch den Umstand erhobt, dals die physischen Ur-
sachen, denen der Boden seine Entstehung verdankt, zugleich das
historische Leben, den Charakter der Bewohner in eigentamlicher
Weise bedingen. Die Geologie belehrt uns daA Italien in verhältnifs-
mäfsig junger Zeit diejenige Gestalt angenommen hat, die uns Allen
von Kindheit an durch die Gemälde unserer Karten vertraut ist Weoo
das brettische Urgebirge bis zur mittleren Höhe von 400 m von einem
Mantel tertiärer Schichten umhallt ist (S. 244), so ergiebt sich hieraus
die Thatsache, dals das Land um den genannten Betrag seit der Teitiär-
zeit gehoben ist. Das Gleiche gilt von dem gesammten Appennin , ao
dessen aus Jura- und Kreidefurmen bestehenden Kern überall miocäoe
und pliocäne Bildungen anschliefsen. Endlich ist das Poland in der
geologischen Periode der Gegenwart dem Meer abgewonnen wordeo.
Dem Gewinn steht ein entsprechender Verlust gegenüber. Wir sahen
(S. 222) dafs das Urgebirge bis auf geringe Ueberbleibsel in der Tiefe
versunken ist, dafs die Westseite Italiens den Schauplatz ungeheurer
Katastrophen abgegeben hat. Aehnliche Vorgänge haben in Griechen-
land gespielt Die beiden Halbinseln, die so bestimmend in die Geschicle
unseres Weltlheils eingegnffen , lassen sich ihrer natürlichen Stellung
nach mit zwei Schwestern vergleichen, denen die Verschiedenheit der
Begabung getrennte Lebenswege angewiesen bat. Sie laufen von den
Alpen in der nämlichen Richtung aus , aber kehren übereinslimmend
f 1. Tbitige Volkane. 249
ddD adriatischeo Thal, das sie scheidet, den Rücken zu. Das griechische
Stammgebirge besteht aus wesentlich gleichen Kalkformationen wie
der Appennin, ist mithin wie dieser jüngeren Ursprungs. Dagegen
fioden sich am Ostrand der Halbinsel GebirgsstOcke mit krystallinischen
Gesteinen und Metallschjitzen , die einer alteren Periode angehören.
Dasselbe gilt von den Inseln. Das Aegaeische Meer bezeichnet ein
grobes Senkungsgebiet wie das Tyrrhenische, Asien und Griechenland
machten ehemab ein zusammenhängendes Ganzes aus, die Inseln sind
ak lelzle Trümmer der verschwundenen Landmassen übrig geblieben
ond geben in ihrer Anordnung die Streichung der verbindenden
Gebirgszüge wieder. In beiden Fällen hat die vulkanische Kraft ihre
Thitigkeit entfaltet und den erlittenen Verlust zu ersetzen gesucht
Von Lemnos bis zu dem jetzt noch nicht erloschenen Herd von Tbera
(Saotorin) hinunter in der ganzen Ausdehnung der Kykladen lassen
sich ihre Spuren verfolgen. Freilich hat sie nicht vermocht gestaltend
auf den Bau des griechischen Landes einzuwirken und beansprucht
keine nennenswerte Bedeutung im Leben desselben : alsErderschüUerer
galt den Hellenen der Meergott Poseidon , nicht Hephaestos der Gott
des Feuers. 0 Wenn man sich die Folgen ausmalt, welche die Ver-
wandlung des thermaischen saronischen oder eines anderen Busens der
Ostseite in eine fruchtbare Ebene nach Art der campanischen gehabt
haben würde, so möchte wol die Geschichte von Hellas ja vielleicht die
Geschichte von ganz Europa eine andere Bahn eingeschlagen haben.
Während die Natur aus dem Füllhorn ihrer Gaben Hellas die Mannich-
faltigkeit gewährte, die Einheit versagte, hat sie die ausonische Schwester
in umgekehrtem Sinne bedacht Sie liefs durch die Aufschüttung der
Vulkane zwei grolse Einbuchtungen des Appennin ausfüllen, erweiterte
das Festland um mehr als 150 d. Quadratmeilen, schuf der lang ge-
streckten Halbinsel eine behen*schende Mitte. Auf diesem späten Zu-
wachs haben sich die entscheidenden geschichtlichen Bildungen voll-
zogen, hier sind alle diejenigen Züge, welche die italienische vor anderen
Landschaften des Mittelmeers auszeichnen, am reinsten ausgeprägt.
Wir beginnen unsere Beschreibung mit einer allgemeinen Uebersicbt.'^)
1) Vgl. Preller, Gr. Mythologie I* p. 455.
2) Giovanni OmboDi, Geologia deir Italia, Milane 1869.
Geologia dltalia in 3 Abtheilongen von Negri Stoppani ond Mercalli,
Milano in der VaUardi'tcben Eneyclopadie.
O.Peschel, Physische Erdkunde heraosg. t. G. Leipoldt, Leipsig 1879,
I 201fg.
Bann Hochstetter and Pokorny, Allgemeine Erdkunde, Prag* 1875.
250 Kap. VI. Der Vnlkaniunvs.
§ 1. TbJitige Vulkane.
Die vulkanische Kraft in Italien hat seit dem Altertum abgenommen.
Wir zählen gegenwärtig nur vier thätige Vulkane, von denen je einer
dem Festland und Sicilien, zwei den fiparischen Inseln angehören. Die
Ziffer verdoppelt sich ungefähr für das Ahertum. Unter allen bat vor-
nehmlich der A et n a die Aufmerksamkeit der Hellenen auf sich gelenkt
als der höchste Berg der ihnen gemeinhin zu Gesicht kam, sodann
wegen der Furchtbarkeit seiner Ausbrüche. Zwar kann die Nachricht
dafs er die Sikaner in Urzeiten durch Lavaströme nach dem VITesten
der Insel verscheucht habe , nicht als ächte Voikssage sondern nur als
Vermutung eines Gelehrten gelten, i) Aber aus dem fünften Jahrhundert
sind 3 oder 4, aus dem vierten 1, dem zweiten 4, dem letzten v. Chr.
3 gröfsere Ausbrüche bezeugt^; ein in der Höbe von 2917m merk-
würdiger Weise erhahenes römisches Bauwerk (sog. torre M fUo$ofo)
beweist aufserdem dafs der Aetna damals nicht viel niedriger gewesen
sein kann als er heutigen Tags (3313 m) ist. Der nächste in ihrem
Bereich befindliche Feuerherd, die Gruppe der Liparen hat die
Hellenen gleichfalls lebhaft beschäftigt. Die wiederholten gewaltsamen
Aeufseningen desselben gaben den Anlafs die Inseln statt nach Aeolos
dem Herrn der Winde vielmehr nach Hephaestos oder Vulkan zu be-
nennen.') Die nördlichste derselben Stromboli StQoyyvXij setzt die
Arbeit noch immer fort freilich in harmloser Weise, indem der Kegel
(921m) in regelnfäfsigen Pausen von 5 — 10 Minuten Dampf Ascbe
und Steine ausstöfst. Von den Alten wird die Helligkeit der Flamme
hervorgehoben, deren Mächtigkeit aberLipara und Hiera nacbgesteHt.^
Das Feuer von Lipara, welches ehedem Nachts weithin leuchtete, ist
jetzt vollständig erloschen : es brannte noch in der römischen Kaiser-
zeit. ^) Auch das Centrum des ganzen Gebiets Volcano hat seit hundert
Jahren nur einmal,(1873) gröfsere Massen ausgeworfen und beschränkt
sich gewöhnlich wie der Stromboli darauf zu rauchen. Die 22 Dkm
haltende Insel ist in historischen Zeiten augewachsen. Sie hiefe des
Hellenen 'leQci als Sitz des Hephaestos: der Schein seiner Esse war in
der Ferne zu schauen , der Schall seines Hammers gar 500 Stadien
1) l)iod.V 6 und zwar des Timaeos der ja am Fall de« Aetna lo Htoie war.
2) Thoc. III 116 Holm Geschichte Sidliend 1 336; vgl. § 5 Ende.
3) Cic de nat deor. Ol 55 Piin. lU 92.
4) Strabo VI 276 Plin. Ifl 94 (Solin 6, 2) nach derselben Qttdle.
5) De mirab. aosc. 34. 37. 39 Sil. Ital. XIV 56.
I 1. Thitige Ynlkane. 251
weit Ternehmbar. 0 Durch ihreD Stein- und Aschenregen hat Uiera
eine Landbrttcke nach dem nördlich anstofeenden VolcaneUo auf-
gesebattet: nach Strabo'a Angabe war die Ari>eit ziemlich vorgeschritten,
iodcsaen noch nicht beendet^ Dies ist ?ermutlich die Insel, wriche
um 183 ▼. Chr. aus dem Heer anflauchte und sich dauernd erhielt^)
Eine andere Insel, welche nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden
kaaD, entstand 126 ▼. Chr. 4) Auch um 90 y. Chr. versetzte ein be-
deutender Ausbruch die römische Staatskirche in Aufregung.^) Aufiier
dem Hanptkrater waren zu Strabo's Zeit zwei kleinere auf Hiera thätig.
Das dritte vulkanische Gebiet an der Nordgrenze der hellenischen
Aosiedlungen liegend , bat tiefe Eindrücke in den Mythen und Ver-
stellongen der fremden Ankömmlinge hinterlassen. Der Vesuv, welcher
jetit den Charakter der ganzen Landschaft bestimmt und seit ISOO
Jahren die heftigsten Kundgebungen der verborgenen Kraft offenbart
bat, trat zeitweilig in den Hintergrund. Strabo beschreibt ihn als er-
loachen*): man nimmt gewöhnlich an dafs der Aschenkegel, der heute
diesen Namen führt, erst mit der Katastrophe, welche 79 n. Chr.
Herctttanum und Pompeji begrub, auf dem Sttdrand des allen Somma-
kraters sich aufgethttrmt habe. In Wiridichkeit läfst sich diese Annahme
nicht beweisen. Auch in der Neuzeit hat der Vesuv vor 1631 Jahr-
hunderte — wie Palmieri meint, seit 1139 — geruht und war ganz
bewachsen. Daher kann es nicht befremden dab eine fthnliche Ruhe-
pause in das Altertum fUlt; zudem wenn keine Berichte von früheren
Ausbrüchen überliefert sind , wird nicht aufser Acht zu lassen sein,
dafs die Umgebungen des Vesuv im oskischen Besitz sich befanden
und damit den Hellenen minder vertraut waren als die von ihnen selbst
bewohnte Nordseite des Golfs. Immerhin läfst bereits Timaeos das
pUegraeische Gefilde nach dem Vesuv benannt sein, der in alten
Zeiten Fenerströme ergossen habe wie der Aetna auf Sicilien.^) Es ist
nicht unwahrscheinlich dafs die ersten Griechen denselben in voller
Thatigkeit gesehen haben: man müfste sonst annehmen dafs die Aus-
bruche irgend eines anderen kleinen Kraters dortiger Gegend, deren
1) Thuc in 88 Kallias fr. 4 Mfiller II 383 vgl. Theophr. fr. 165.
3) Strab.Vf 275 mit aosfafarlicher Beschreiboog; Aelna 443.
3) OffOsiuB IV 20, 30 nach unbekannter Qoelle.
4) Stnb. VI 277 Plin. II 203 nach Poaeidonioa. Der Praetor Flaminia Ut
123 GonsuL
5) Plin. n 238.
6) Stnb. V 247 Aetna 426.
7) Bei Diodor IV 21 Tgl. V 71 Vitmvn6,2.
252 Ktp. VI. Der Vnlkanianiis.
übrigens 27 gesähh werden , den Mythus von den Gigantenkainpfett
erzeugt hatten. Während jener oben erwähnten lungeren Rohe des
VesuT hat die unterirdische Kraft weiter westlich einen Ausweg gesocbt,
1198 den einzig bekannten, indessen nicht sicher Tei*bttrgteii Lava-
ergurs der Solfaiara bei PozzuoU {forum Vuhani) bewirkt und 1538
am Avemer See den 139 m hohen Monte nuovo aufgeschüttet. Aehn-
lieh hat sie in den unserer Zeitrechnung voraufgehenden JaMiuBderfen
ihren Hauptsitz nach Ischia verlegt Ihr Toben vertrieb die ersten
hellenischen Colonisten, sodann ca. 470 v. Chr. eine syrakusische
Besatzung; im vierten Jahrhundert erfolgte ein so heftiger Ausbruch,
dafs selbst die Bewohner der festländischen Küste sich auf die Flucht
begaben. >) Der bis 792m aufsteigende E^omeo^ ETtwnevg hat das
ganze Altertum hindurch seine Thätigkeit fortgesetzt und unseres
Wissens 1301 n. Chr. beschlossen: dieser letzte Lavaergufs (Arso)
unterbricht als vegetationsloser Brandstreifen noch jetzt die lachende
Landschaft der lieblichen Insel. Mit dem Gesagten steht in Einklang,
dafe die Mofetten und Solfataren Campaniens d. h. die Ausdünstungen
von Gasen und Dämpfen , welche vulkanischen Gegenden eignen , im
Altertum bedeutender gewesen zu sein scheinen als gegenwartig. So
wird eine Mofetle auf dem kleinen Eiland Nesis Nisida erwähnt, die
nicht mehr vorhanden ist.^) Auch am grofsen nordcampanischen Vulkan
der Rocca Monfina war die Erkaltung nicht in dem Mafse vorgeschritten
wie gegenwärtig: wir hören sogar aus dem J. 269 v. Chr. von einer
Eruption kleinsten Stils die 3 Tage anhielt.')
Wir wenden uns endlich zu Latium. Die Forschungen der letzten
Jahrzehnte haben die zweifellose Thatsache ergeben, dafs die Abhänge
desAlbanerGebirgsin deijenigen Epoche bereits bewohnt waren,
als dessen vulkanische Natur sich machtvoll kund that. Am westlichen
Fufs von Albano bis Civita Lavigna sind seit 1817 altertümliche Gräber
unter einer 1/2 — 1 m dicken Peperinschicht aufgedeckt worden. Der
Peperin (lapis Albanus) ist aus den Schlammflüssen vulkanischer Aus-
brüche verhärtet und mithin mufs jene Nekropole durch solche ver-
schüttet worden sein. Das Volk welches hier seine Todten verbrannte
und in rohen nach Art einer Hütle gebildeten Aschenkisten aus Thon
beisetzte , für das altlatinische zu erklären stehen keinerlei Bedenken
im Wege. Aber die wichtige Frage, wie weit die Gräber zeitlich hinab
1) Strab.V248.
2) Lucan VI 90 SUt. Silv. H 2, 78.
3) Oros. IV 4, 4.
* f 1. ThiUge Vulkane. 258
reicheD, kann vorläufig nicht beantwortet werden. Man will neben
deD EreeugniflBen eines in den Anfif ngen befindlichen Handwerks auch
KuprennOnzen des LibralAifs innerhalb der Peperinschicht entdeckt
haben : daraus wQrde sich der Schlufs ergeben, dafs die letzten grofsen
AusbrOche dem vierten oder gar dritten Jahrhundert v. Chr. zuzu-
schreiben waren. Indessen erscheinen dieFundbericbte nicht genügend
beglaubigt um eine Behauptung von solcher Tragweite zu rechtfertigen. ^
Ihre Zulässigkeit an sich ist unanfechtbar; denn ob auch jede Erinne-
roDg an derartige Umwälzungen in der römischen Litteratur ver-
schollen ist , so ging die Beobachtungsgabe und das Interesse an der
Natur den Römern von Hause aus ebenso sehr ab als es die Hellenen
seit Alters auszeichnete. Manche Prodigien lassen sich ungezwungen
auf Aeufserungen des latinischen und eirurischen Vulkanismus deuten;
doch entbehrt die Deutung der wünschenswerten Gewifsheit (§ 5).
Den Alten hat sich bereits die Erkennlnifs von einem Zusanunen-
haog der getrennten vulkanischen Erscheinungen aufgedrängt. Pindar
verleiht derselben einen dichterischen Ausdruck, indem er den hundert-
kOpftgen Typhon ab Urheber hinstellt: 9,diesem Feind der Götter
drücken die meerumfriedeten Gestade bei Kyme, drückt Sicilien die
zottige Brust.**') Die beutige Wissenschaft geht noch weiter: vom Fufs
der Alpen bei Padua bis nach Pantellaria durch 9 Breitengrade zieht
sich eine Eruptionsspalte, welche mit örtlichen Unterbrechungen ge-
wirkt hat, deren treibende Kraft im Norden erloschen, im Süden noch
tbätig ist Sie beginnt mit den Basalten zwischen der Etsch und
Vicenza, den Colli Berici bei letztgenannter Stadt und findet nament-
lich in den sog. Colli Euganei zvrischen Padua und Este einen
bedeutenden Miltelpunct. Diese bis 610 m aufsteigende Hügelgruppe
mit ihren Basalt- und Trachytmassen sowie altberühmten Schwefel-
quellen hat sich in der Tertifirperiode durch submarine Ausbrüche
aus den Wogen des padanischen Meeres erhoben, ähnlich wie dies an
der tyrrhenischen Küste geschah. Langst erkaltet sticht sie doch scharf
von der umgebenden AUuvialebene ab, erinnert mit ihren feinen Um-
rissen an verwandte Gebilde wie das Albanei^ebirg oder das Sieben-
gebirg bei Bonn. Der Rücken des Appennin und eine Entfernung von
reichlich zwei Breitegraden scheidet diesen nördlichen Auslaufer von
dem vulkanischen Gebiet im ehgeren Sinne des Worts ab. Dasselbe
1) Bnlletlinodeir Inst, d.corr.arch. 1871 p. 34—53 Anna»itS7l p.239--79.
2) Pylh.l,t5 Slrab.V24S.
254 Kap. VL Der Vidluiiiamvs.
erstreckt sich über swei Breitengrade 43 — 41 <> und zerCült in eine
gröbere Nord- und eine kleinere SttdbäUte, die beide nachfolgend
gesondert beschrieben werden sollen. Ein Zwischenraum Ton aber*
mala zwei Breitengraden trennt die festländischen Vulkane tob den
sicilischen, die mit den Liparen beginnen. Wir reihen deren Schilde-
rung an. Dagegen wird das weitab liegende Gebiet Sardiniens besser
in anderem Zusammenhang (Kap. VIII 2) berücksichtigt werden.
fi 2. Etrurien und Latiuro.O
In der Sodbälfte des S. 233 beschriebenen toscanischen Högei-
lands ungefähr mit dem 43. Breitengrad treten bedeutende vulkanische
Bildungen zu Tage. Südwestlich von Chmum Cbiusi erhebt sich der
M. Amiata 1766 m, der höchste Vulkan des italienischen Continents,
ein anderer weit niedrigerer bei Badicofani 911m. Thermen und
Gasquellen , an denen dieser Bezirk reich ist , zeugen von seiner Be-
sehaiTeDheit. Der M. Amiata besteht aus Trachyt: das nämliche Gestein
findet sich bei Campiglia nördlich von Populonia und auf dem Eiland
Capraja (448m). Geographisch betrachtet sind diese ersten vulkanischen
Bildungen von dem umgebenden aus den verschiedensten Zeitaltem
stammenden Hügelland nicht zu trennen. Aber wo die dem letzteren
entströmende Paglia bei Acquapendente ihren Lauf ostwärts dem Tiber
zuwendet, stofsen wir auf eine scharf ausgesprochene Natnrgrenze.
Das sttdtoscanische Hochland , das sich zwischen dem Trachytgebirge
Amiata und dem 1142m hohen der Juraformation angehOrendeo
H. Cetona bei Chiusi ausbreitet, bezeichnet Herr vom Rath als „ein
vieldurchfurchtes regelloses unruhiges Bergland, dessen aus grau-
blauem pliocänem Thon bestehende Oberflache theils wegen Sterilität,
theils wegen der eigenthUmlichen physikalischen Beschaffenheit des
Thons, sich nur mit spärlicher Vegetation zu bekleiden vermag.^ So-
bald wir das Flufsthal durchschritten und den 1 50 — 300 m abstürzen-
den Uferrand erstiegen haben, befinden wir uns auf „einer fast horizon-
talen Tafelflache, welche nur durch schmale steilwandige Thalschlnchten
durchschnitten wird. Im Gegensatz zum Appenninland oder zum
Hügelland Toscana's wird der Horizont weiter; Berg oder Thal hemmen
X) Brocchi, deUo sUto fisico del socio di Robm, R. 1820. G. von Ratk,
Mineralogisch-geognoBtiscbe Fragmente tus Ilalien, Zeitschrift der deolscbeo
geologiscbeo GeseUsehaft XVDl (1866) 487 — 606 XX (1868) 265— 364 XXV
(1873) 117 — 149: diese ebenao anmutigen als lehrreichen DanteUoDfen »ad
im Folgenden unsere Hauptquelle.
I 3. £tfiiri€ii ond Utiam. 255
Dicht mehr in gleicher Weise den Blick. Die grO&ere Ruhe und Gleich«-
artigkeit des Landes erldchtert die AufTassung der bezeichnenden
Fonoen der Bodengestaltung auch dort, wo die relativen Hohen nur
geriag sind^. Das zusammenhangende vulkanische Gebiet erstreckt
sich von der Paglia bis zu den Volskerbergen (S. 238) auf einer Lange
TOD annähernd 20 d. Meilen. Es wird im Osten auf einer Strecke von
10 Meikin, von der Einmündung der Paglia unterhalb des etruskischen
YoUmi Orvieto bis zum Soracte , durch den Tiber begrenzt, dessen
Thal gleichfalls tief eingesenkt ist. Es mifst hier eine durchschnittliche
Breite von 8 Meilen. Wo der Tiber den inselförmigen Soracte um-
flieftend nach SW dem Heer zustrebt, springen die Sabinerberge vor
uod engen die vulkanische Ebene auf die halbe Ausdehnung ein. Das
Gaaze ungefilbr den zwanzigsten Theil der Halbinsel umfassend stellt
^ich als eine Einheit, mit dem Appennin verglichen als ein Flach-
land dar und verdankt seinen einheitlichen Charakter dem Umstand
dafs es durch gleiche Kräfte in einer verhaltnifsmafsig jungen Periode
vom Meeresboden gehoben worden ist. Die geognostische Zu*
saoimensetzung, welche durch die Erosionen der Flüsse aufge-
schloseen ist, wiederholt sich aller Orten in der Hauptsache überein*
stimmend. Als älteste Schicht erscheint der graublaue pliocäne Thon,
in seiner unteren Hälfte reich an Versteinerungen, in seiner oberen
Hälfte merkwürdiger und unerklärter Weise davon ganz frei: er tritt
bald sandig, bald mergelig oder rein auf, wird und wurde von den
Töpfern aufgesucht und verarbeitet. i) Darüber lagert ein versteine-
rungsreieher gelber Mergelsand, vidfach mit Thonschichten durchsetzt
und zu einer regelmäfsigen kalkig-sandigen Breccia verkittet. Diese
beiden Gnindechichten sind dem vulkanischen Gebiet mit dem ganzen
übrigen Subappennin gemeinsam. Der beste Kenner des römischen
Vulkanismus unter den Lebenden, Giuseppe Ponzi>) unterscheidet
nach den Versteinerungen drei Elagen des gelben Sandes, zu denen
wie erwähnt zwei im Thon hinzukommen. Als sechste und letzte Etage
des römischen Pliocän rechnet Ponzi ein Geschiebelager aus vom
Appennin stammenden Kalk- und Feuersteinstücken, in welchem die
Knochen grofser Säugelhiere angetroffen werden. Der Boden des
pliocänen Meeres, dessen Schichtung soeben dargelegt ward, ist durch
unterseeiscbe Ausbrüche erhöbt worden. Die Vulkane überschütteten
1) Javenal 6, 344 VaUeano fragilei de monte patellai MartUl 118, 2 u. a.
2) Aofser den bei 6. vom Raih aDgeffihrten Schriften desselben vgl. den
Nachtrtg zn Brocchi Storia flsica del bacino di Roma, R. 1867.
256 Kap. VI. Der VulkaDismi».
die weite Flüche mit Tuffmassen, deren Mächtigkeit auf mehr als 100'
im Mittel geschlltxt wird. Der Taff {i^fu» ein in Italien gebildetes
griechisches Lehnwort fi 5) ist aus ausgeworfenen Sdilacken Asche
und Sand auf mechanischem VIfege entstanden. Seine ^eidunüGrige
Lagerung wurde durch das einebnende Meerwasser berbeigefohrt. Er
ist äufserst arm ao organischen Resten, sieht zerstört aus meist braun
doch auch grau und gelb. Im Einzelnen finden sich viele locale Varietäten.
Im römischen Gebiet i) unterscheidet «lan namentlich den lockeren
Bröckeltuff {tufa giranvlare) von dem selteneren wegen seiner leichten
Bearbeitung bei erträglicher Festigkeit zu Bauten verwandten Steintuff
(iufa lüoide). Beide Arten verwittern leicht zu einem fruchtbaren Erd-
reich. Eine Abart des Bröckeltuffs ist die Puzzolana (arena nigra und
rfi^a% welche mit Kalk vermischt einen unverwOstlichen Mörtel giebt
Erst nach der Bildung der Tuffschichten ist das Meer zurückgewichen;
alsdann haben jüngere Vulkane und Flüsse das Relief des Meeresbodens
umgestaltet Auf die Wirkung dieser Factoren geht die Gliederung
der Ebene zurück. Sie zerlUlt in drei Landschaften : die mitteletru-
rische oder volsiniscbe, die südetrurische oder vejentische, die lati-
nische oder albanische. Zwei grofse Erhebungsmassen, das ciminische
und Tolfagebirgc trennen die volsinische von der vejentischen , das
breit ausgewaschene Thal des Tiber die etrurische von der latinischen
Landschaft. Alle drei sind durch runde Seebecken ausgezeichnet, die
an Ausdehnung im Appennin wol ihres Gleichen finden, aber die
appenninischen Seen an Tiefe oft zehn und zwanzigfach übertreffen.
So platt das Land von einem höheren Aussichtspunct sich dem Auge
darstellt, ist es doch von zahllosen Schluchten durchzogen, deren
Wunde hunderte von Fufsen senkrecht aufsteigen. Das abflieisende
Wasser hat diese Rinnen durch den lockeren Tuff genagt. Die grdfseren
Strombetten wachsen auf mehrere Kilometer Breite und 300 m Tiefe.
Die ungeheuren Erosionen führen ebenso wie die Geröllmassen,
welche die Flüsse ehedem bewegten, auf die Vermutung, dals in der
sog. Diluvialzeit der Abfiufs bedeutend gröfser gewesen sein mufs ab
gegenwärtig; freilich ist solche Annahme bisher nicht befriedigend
erklärt worden. Wie dem auch sei, in das geschichtliche Leben hat die
Zerklüftung des Bodens bedeutsam eingegriffen, die Anlage von SUdten
ungemein befördert Für solche war der Platz an denjenigen Orten
vorgezeichnet, wo zwei Thalschluchten unter spitzem Winkel sich mit
I) F. HoSmann ia Beschreibung Roms I 45 fg.
f 2. Etnirien and Lattnm. 257
einander f ereioigien : hier bedurfte nur der bthmus, welcher die uoi-
schlossene FUlche.mit dem Uhrigen Plateau verband, eines kttnsUichen
Schutzes; der ganie andere Umkreis war durch die Steilheil des Stadt-
febens geucherL Der im Gegensatz zum inneren Appennin früh , ja
vor aller Erinnerung erfolgte Städtebau dieser Gegenden ist vorwiegend
darch die Eigentttmlichkeit des Terrains veranlafst worden.
Wir haben die nördliche volsinische Landschaft nach der
Metropole des alten Elruriens benannt; ihren Namen bewahrt das
grolse Seebecken, welches die natürUche Mitte einnimmt. Der Grenzen,
welche im Norden die Paglia, im Osten der Tiber gegen das vulkanische
Gebiet ziehen, ward oben gedacht. Im Nordwesten bei Suana Sovana
ist der Uebergang zum Subappennin minder schroff. Im Westen Mt
er ungefähr mit dem Lauf der Armenta Fiora zusammen. Die Ebene
liegt in ihrem nördlichen Theil 3 — 500 m hoch und dacht sich aUmfllich
nach dem Meer zu ab. Die Senkung des Bodens ist schon an den
Wasserläufen kenntlich: dem Tiber wenden sich nur kurze Bflche zu,
die längeren , unter ihnen als bedeutendster die dem See von Bolsena
eQtfliefsende Martßf halten eine südliche Richtung inne. Unweit der
Küste bei CetUumcellai Civita vecchia ist dasTolfagebirge, welches
den Horizont des Römers im Nordwesten begrenzt, ab Scheidewand
aufgerichtet. In verworrenen Zügen erstreckt es sich auf 5 Meilen
Lange von Torfiitfitt Corneto bis Caere Cervetri, auf 4 Meilen Breite
rom Meer bis an das Sabatinische Becken. Der höchste Gipfel bei
Tolfa mifst 615m. Der Kern ist Trachyt, umlagert von Kalk und
Sandstein. Es enthalt Marmor, Gruben von Alaun, Eisenstein und
Bleigianz, sogar Spuren von Gold. Wegen dieser Vorkommnisse
rechnet Herr vom Rath dasselbe als letztes Glied dem toscanischen
Erzgebirge zu (S. 233). Bekannter ist der Name der zweiten Berg-
masse, welche das mittlere von dem südlichen Etrurien trennt: eilva
Cminia oder ealius (mom) Ctnimms, jetzt meistens nach dem am Nord-
fufs gelegenen Viterbo benannt Im 4. Jahrhundert v. Chr. bildete es
den Grenzwall zwischen dem freien Etrurien und der aufstrebenden
Macht Roms: Livius erinnert an die Wildnisse Germaniens um seine
Unnahbariieit zu kennzeichnen.^) Von Nord nach Süd zieht sich ein
breiter aus Trachyt bestehender Kamm, dessen höchste Spitze 1056 m
1) 1X36 Silva erat Ciminia mögt* tum invia atque horrenda quam nu-
p^fuert Germaniei ioUiu nulii ad 9am dimn ne mereatorum quidem adita;
Flor. 112,3.
Niss«a. ItaL UuidMlnnd«. I. 17
258 Kap. VL Der Vulktnifiorat.
aufeteigt. Er liegt auf derselben Linie mit den beiden bervorragendaten
vulkanischen Gipfeln, dem M. Amiata und M. Cav«, Ast genau in der
Mute« Nach Südwesten verbreitert sich der ftacken , die von der Yi§
Ciminia ttbersdirittene Pafshohe betrigt 866 m. Hier schlielst sich
ein machtiger Krater von 1 d. M. Durchmesser an. Der Kraterwall,
welcher im Norden d06 m, im Westen 975 m mibt, miki im SOden I»»
605m ein. Die Tiefe wird vom locus Cimmnu Lago di Vico (Seespiegel
519m) eingenommen, der jelzt 12 Dkm bedeckt, seitdem der Abflufg
künstlich tiefer gelegt worden ist, ehedem 17 Dkm bedeckte und dea
883 m hohen Centralkegel M. Venere rings umspülte. 6. vom Rath
hsh es für „^ne Berggestaltung , deren Gleichen unsere Erde nur
wenige darbietet^. Auch dem Laien erweckt der Ari^k das GefDhl
des Geheimnifsvollen ; ahnliche Eindrücke hat er bei den Alten hervor-
gerufen: die Sage liefe eine Stadt auf dem Grund des Sees veraonkcn
sein oder liefe Hercules mit seiner Keule die tiefe Höhlung sefaiageD. 0
Der Riesenkrater aus Tuff Lava und Schlacken aufgebaut, mufe seine
Thatigkeit weithin erstreckt haben. Südwärts von demselben gewährt
ein Engpafs mit unmerklicher Steigung — die Wasserschride bei vkm
Mairini le Capannaccie liegt 470 m — eine natürliche VerMnduDg
zwischen Mittel- und Südetrurien: die via Castia folgt ihr, die rümiscbe
Grensfestung Sutrhtm sperrt den Ausgang (ehmitra Rrwriae). In
Mitten des so umschriebenen Gebiets dehnt sich der runde laeui VW-
iMenm über eine Flache von 114 Dkm aus. Der Umfang des ein-
schliefsenden Höhenzugs betrügt etwa 8, der Durchmesser 2>/s — 3 d.
Meilen. Wenn die altere Ansicht richtig wäre, welche in diesem Becken
einen ehemaligen Krater erkennen wollte, so würde derselbe alle be-
kannten Feuerschlünde auf Erden dreimal an Gröfse übertreffen. Aber
die heutige Wissenschaft erklart die Entstehung vielmehr aus einer
vulkanischen Bodensenkung: die Seetiefe erreicht 140m, der Spiegel
bei 302 m Meereshöhe liegt etwa 200 m unter der umgebenden Hoch-
ebene. Die westliche Umwallung ist durch den jüngeren Kraterrand
▼on Latera verschoben. Hier bat sich ein Kreistfaal gleicher Ausdeh-
nung wenn auch geringerer Erhebung als das oben erwähnte cimi-
niscbe mit einem Centralkegel und einem kleinen See gebildet: eine
Solfatara zeugt von seiner vulkanischen Natur. Eine Reihe anderer
Auswurfsstellen sind nachgewiesen worden z. B. in der volsiniscfaeD
1) AniBian XVn 7, 13 SoUon 42 (Physici ei medid Graeci ndnorefl ed. Melff
1 188) Serv.V. Aen.Vn 697.
I 2. Etnuricn und Latiun. 259
bid HarUBa und im dem am Sddafer des Sees 615m hoch ragenden
Beif f Ol Monlefiaseone, der ehedem Termutlich das gemeinmme Heilig-*
tma ißt Elrvaker das famm V^tim$iai trug.
Die Yejentische Landschaft wird im SW auf einer 7 d. H«
hagea Linie yom Heer, im W nnd NW von den oben erwähnten in
der LullKnie ungefikhr 9 d. M. messenden Gebicgen begrenzt. Nach den
akjgen Weltgegnnden NO 0 SO auf einer annähernd 15 d. M. langen
Strecke scheidet die 3 — 51un breite Niedening wekbe der Tiber in
nftcandrischen Winduagen dwciiiieht, das vulkanische vom ^>pen-
liaischen Gebiet, Etnirien von Latium. In frühen lahrbnnderten hat
Vqi ober diese Gegenden geherrsebt imd die römische Nebenbuhlerin
gerrnme Zeit hindurch in Zaum gehalten. Das Plateau ist bedeiUend
niedriger als das vokiaische und kann im Mittel nicht hiAer als 200m
gerechnet werden. Die höchste Anschwellung findet sich bei den cimi-
ttiichen und sabattnischen Vulkanen : von hier laufen die Bache sbrdden*
fbnnig nach allen Richtungen der Windrose zwischen NO und SW
ans. Berr vom Rath vergleicht die Oberflächengestaltung mit den
BiUungen unserer Eifel: »dort wie beer babtn wir es mit einem
Liidsirich iu thun , in wekhem die einzelnen vulkanischen Schlünde
nicht eine sehr lange Dauer ihrer Thatigkeit bewahrten «nd sich nicht
10 kdien Kegeln gestalteten ; die unterirdischen Kräfte brachen viel-
Mhr bald hier bald dort wechselnd hervor; es bildeten sich in groÜBer
ZaU jene Maare, in denen amn Anfänge der Vulkane erkennt E»
eaiBtand aber kein dMninirender Vulkan , der durch unzählbar sich
wiederholende Lava- und Ascben-Erupiionen ein Gebirge um einen
CentraiscUund anflbaute.^ Der locus SahoimuM Lago di Braoeiano
■innnt eine ähnliche Stellung ein wie sein nördlicher Bruder von
Bobena, dessen halbe Gröfse er erreicht. Der fast ungestiHrte Kreis-
mnfang mifst 4 d. IL, der Durehmesser 8 km, der Flächeninhalt reich-
lich 1 d. OM. Die Meereshohe des Spiegels beträgt 160 m, die Tiefe
350m. Der Abflnls Arrone mUndel bei Fre§€M$ Maccanese ins Meer.
Wie bei dem vobiniscben Kessel erhebt sich die Umwallung nicht in
entsprechender Hohe lur horizontalen Ausdehnung. Zwar steigt im
N weithin sichtbar der spitce Kegel der Rocca Romana 601 m auf;
aber im W S 0 sinkt der Rand auf 250— 320 m ein. Der Rand Mit
steil zum schmalen Seenfer, dacht sich nach aufaen ganz allmälich
ab. Herr vom Rath vergieicht diese Anschwellung nach Bau und Aus-
dehnung mit dem unten lu besprechenden albanischen RingwaU,
leugnet indefe dals das Becken als ehemaliger Krater aufzufassen sei,
17*
260 Kap. VI. Der Vallunismus.
and fuhrt dessen Ursprung auf eine Tulkanische Senkung zurück.
Immerhin finden sieh in seiner nUcfasten Umgebung so viele Aasbruch-
stellen, dals hier neben dem ciminisdien der zweite Centralherd vul-
kanisdier Thätigkeit erkannt werden mufs. Die Ausbuchtung, welche
die Uferlinie im N. bei Sabaie Trevignano unterbricht, sowie eine
minder hervortretende an der S Seite stellen sich als Krater dar« Drei
andere liegen nördlich dem ciminischen Wald zugewandt, die meisten
jedoch und bedeutendsten ostwärts vom See. Ich erwähne den Uuus
AkiuiHus Lage di Martignano : bei 209 m Meereshohe fliefst er durch
einen unterirdischen Emissar in den Sabatiner See ab. Darüber
(223 m) der kleinere Lage di Stracciacappa, vor beiden das Thal von
Baccanae Baccano (210 m), welches die Via (kissia in tiefen Durch*
schnitten passirt Der See, welcher ehedem den Kessel einnahm, ist
durch wiederholte zum Theil von den Alten herrührende Einschnitte
entwässert worden. Noch weiter östlich liegt ein Krater bei So^fano,
dessen Gipfel der 402 m hohe M. Musino von Rom aus in die Augen
füllt. Freilich heben sich am römischen Horizont alle diese vulkanischen
Berge von Tolfa Bracciano Baccano und Viterbo entfernt nicht mit
gleichem Ausdruck ab wie' der zackige Rücken des appenniniscfaen
Soracte (S. 238).
Die latinische Landschaft erreicht nur die halbe Ausdeh-
nung der volsinischen oder vejentischen: die Vorhöhen des Appennin
sind etwa 5 d. Meilen vom Meer entfernt Auch liegt sie bedeutend
niedriger, da die mittlere Erhebung des Plateaus auf 50 — 60m ge*
schxtzt wird. Ferner unterscheidet sie sich dadurch von Etrurien, dafe
die vulkanischen Kräfte nicht über einen gröfseren Raum zersplittert,
sondern an einem einzigen Puncte gesammelt wurden. Zwar kommen
ein paar vereinzelte Maare vor: der jetzt in den Anio abgeleitete laem
Gabmui Lage di Castiglione, eine fiadie Einsenkung von l^/s km
Durchmesser, der Lago di Giulianello am Fufs der Volskerberge u. a.
Doch sind dies Bildungen sehr untergeordneter Art, der latinische
Vulkanismus erhielt seine eigentümliche Gestaltung im Albaner Ge-
birg. Aus der sttdwflrts durch die pontinischen Sttmpfe und das
Thal der Herniker fortgesetzten Tuffebene , ungefähr 1 d. Meile von
den Sabiner und Volsker Bergen abgerückt, baut sich ein Ringwall
auf, dessen äufserer Umfang annähernd 9, äufserer Durchmesser 3 d. M.
beträgt Unter sanften Vi^inkeln von 2— 3<> beginnend, auf 5 — 8^
wachsend erhebt er sich 5— 600 m über seiner Umgebung. Nur zwei
Drittel des Umfangs sind erhalten , nach Vi^esten ist er durchbrochen.
f 3« Etrnrien und Lailuinr. 261
Der innere Durchmesser mifst 11 km. Der Südrand M. Artemisio ist
der höchste, bis 940m. Im Osten sinkt er bei dem Pafs la Cava, den
die Via Latina benutzt, unter 600 m. Der Älgidus im Norden, welcher
rechtwinklig an die Einsenkung anschliefst, steigt wieder auf 767m
um sich bei Tuseulum auf 570m zu erniedrigen. Der von aufsen so
sanft geneigte Ringwall Mt einwärts steil ab nach einem halbmond-
förmigen 4 — 5 km breiten Thal Val diMolara. Aus diesem bei 5 — 600 m
Meereshöhe gelegenen Atrio — wie man nach der beim Vesuv üblichen
Bezeichnung sagt — steigt der Centralkegei auf einer kreisförmigen
7km Durchmesser haltenden Basis unter einem Winkel von etwa 20^
auf. Der Kegel trägt den grofsen Campo d*Annibale geheifsenen Krater,
wie die Sttfswasserablagerungen beweisen , einst ein Seebecken , das
753 m über Meer hegend eine innere Weite von 3 km hat Die Um-
waDung des Kraters ist gerade wie der äufsere Ringwall an einer Seite
nämhch im Nordwesten zertrümmert und sinkt an tiefster Stelle auf
750 m. Dagegen steigt sie in dem durch den latinischen Juppitertempel
ahbertthfflten mans Albanus M. Cavo jäh bis 954 m auf, noch etwas
höber 956 m in einem südlichen dem M. Artemisio gegenüber befind-
lichen Puncte. Das Albaner bedeckt einen gröfseren Flächenraum als
das Vesuvgebirge mit 16km Durchmesser und 48km Umfang, steht
ihm aber an Schroffheit und Höhe nach. Herr vom Rath erklärt diese
Thatsache aus dem verschiedenartigen Bau beider: während der
vesuvische Ringwall viele unzerstörbare Lavabänke einschliefst, ist der
albanische aus lockeren Tuffen und Aschen zusammen gefügt, welche
von den Regengüssen abgespült werden. Das äufsere Gehänge weist
über 100 radial geordnete Tbalmulden auf, durch welche nach starkem
Regen „gelbbraune Ströme brausen und eine unermefsliche Menge
der fruchtbarsten Erde dem Meere zuführen^. An der geöffneten Seite
des äufseren Ringwalls liegen nach Südwest zusammengedrängt 4 ellip-
tische Kraterseen. Der ausgezeichnetste ist der locus AUnmus am Fufs
des M. Cavo. Der Seespiegel ist durch den antiken der Sage zufolge
397 V. Chr. gebrochenen Emissar auf 294 m flxirt. Die Längsaxe mifst
3V)km, die Queraxe 2V6km, die Tiefe 156m. Die Ufer steigen jäh
unter Winkeln von über 45^ an, am höchsten bis 540 m unteriialb des
M. Cavo. Etwas kleiner ist der südlich gelegene locus Nemannsis der
Kessel von Nemi. Ein antiker Emissar, welcher das Nordende aus-
getrocknet hat, flxirt den Seespiegel zu 325 m. Die Tiefe soll etwa
100m betragen, ebenso viel wie der steile Abfall der umgebenden
Kraterwände. Zwischen dem Albaner und Nemisee nach der Ebene
262 Kap. VI. Der YnlkanisBUS.
2U befindet sieb der Keseel iMin Ark9a\A d'Ariecia mit ca 2km Durck-
messer. Der Nordrand Mit bei der Stadt (416 m) fast aankraohtn
dem 299 m gelegenen Seeboden ab. Indefs der gröbere Tbeü der
UmwallUng erbebt sich nur 20 — iO^miber demselben, im Süden aogar
nur ein paar Fnfe , so dafe ein offener Graben aur Entleenuig des
Sees genOgte. Endlicb noch weiter westlieh bei 188 m HeereskAhe
befindet sich das kleine ausgetrocknete Maar il Lagtetto, deaaen iloh
randimg ca 1 Vs km Durchmesser hat Neben den EuMenkmgen feUt
es nicht an verschiedenen Seitenkegeln , welche durch seitlicbe Aus-
bräche aufgethürmt sind : ein derartiger Paraat ist z. B. die Anhöhe
(400 m) welche VilitrM Velletri einnimmt, sowie der Stadärtigel von
labumm Colonna (360 m).
Der Feuertierd, dessen Schlote wir eben aufzählten, ist erateot-
zflndet worden nachdem die Ebene mit ihrer Toffdeeke aus den Fhitan
aufgetaucht war. Die Froducte desselben unterscheiden sich deshalb
Ton den tfUeren Tuffen dadurch dafe sie ohne die Hitwirkung des
Meerwassers entstanden , deren gleichmafsige Teriiindung und Lage-
rung entbehren. Das Gebirge besteht hauptsächüek aus einem lockoren
Gestein , das Lava S^erone heilst. Es tritt in machtigen Banken auf,
geht an der Oberfläche in Gonglomerate, scMtefsiieh in lose Sobichlen
ttber, wie niederfallende Schlacken und Aschen seldie bitden. Es be-
ilecki einen Raum Ton etwa 11 d. DM. und erscheint TieUhch aber
den durdi ihre Homogeneitat gekennzeichneten marisen IMbb ab
jüngere Schiebt gehgert Die Römer haben den Stein bei Gabii ge-
brochen und zu Bauten verwandt (bpi$ GahmuB). Von harter Lau
(atfap), welche das unTerwttstUche Material antiker StralsenpSaBtenrng
Hefeite, sind eine Reihe von Stroasen nadigewiesen worden. Zwei
derselben Hieben nach Rom zu und flbertreffea an Auedehsmg aDe
Oberhaupt bekannten des Fesdandes: der eine trägt auf aeinem Racken
die ehrwardige Via Appia und endigt am Grabmal der CMCÜia Helalla;
der andere westlichere endigt bei Aquacetosa unweit der Strafse nacb
Ostia 6 km vor Porta S. Paolo. Wegen ihrer bequemen Bearbeiteaf
lieferten und liefern die Tuffe den gewöhnlichen Baustein, werden aber
an Festigkeit und gefillligem Aussehen vreit ttbertroffen durch ein Ge-
bilde, das 9,in diesw Weise von keinem anderen Puncto der Erde bisher
bekannt geworden^ ist. Diese graue im Bruch frische gUuiseade
Breccia enthält Einschlüsse von schwarzer Lava und weifsem EaJk in
solcher Menge, dab sie gleichsam aus huter Pfefferkörnern zusanuaea-
gebackt zu sein scheint: daher rahrt der aus dem Altertum bezeugte
I 3. Gampanien. 268
VolgärMme kifi$pipmnm*^) Die claMiseben Scbriftsieller beseichoen
ihn Mch 8«iiieni Fundort als lapii Albamu. Er igt auf einen nngefiffar
1 d. DM. gnbeu Bezirk beschrankt, in dessen Mitte der Albaner See
liegt Die Eioiassiuig des Sees besteht ganz aus Peperin , der hier in
einer Mächtigkeit von 2 — 300 m auftritt. Da er an den Grenzen seiner
Veri)reitnng nur Decken von Vi — i^a bildet, seist sein Ursprung
eben in diesem Krater zu suchen. Und zwar gehört er zu den jüngsten
Erseugnissen der latinischen Vulkane. Die ausgeworfenen Aschen und
LapiUi wurden durch Regengflssot welche bei heftigen Ausbrüchen oft
vorkommen ({ 5), in eine breiartige Masse verwandelt und Sehlamm-
Strome walzten sich in die Ebene hinab, die Pflanzendecke, deren Ab-
drücke noch wahrgenommen werden, sowie die Nekropolen der alten
Latiner (S. 2(2) auf ihrem Wege verhüllend und dann allmalich er-
starrend. Die Vulkane haben den Haustein geliefert, dessen sich Rom
am meisten bediente^ aber nicht denjenigen , welchem die Architektur
der ewigen Stadt ihre MajeMt verdankt. Dies ist der lapii Tiburiinm
Travertin, entstanden aus den KalkniederschlXgen des Anio. Aehnliche
Bildungen haben die übrigen Flüsse des Appennin wie Velinus Liris
Voltnmus Sarnus Sifairus hervorgebracht und sehen wir noch immer
vor uBsem Augen entstehen. Die oberen Schichten sind porOs und
voller Pflanzenabdrücke : in der That hat die chemische Untersuchung
gelehrt, daft Wassermoose und Algen die Ausscheidung der Kalktheile
und damit die Steinbildung veranlafst haben. Der Hügel den das alte
Tibur einnimmt (245 m), besteht aus diesem Gestein ; zu seinen Pttfeen
in der Ebene dehnen sich weite bis 30m machtige Lager aus, denen
die goldgelben Quadern des Colosseum und der Peterskirche ent-
stammen. Sie stellen ehemalige Seebecken dar und erinnern uns von
Neuem an die unmefsbare Zeitdauer wddie verstreichen mufste, bevor
die schaflenden Kräfte der Natur diesen classiscben Boden dem Wasser
abgerungen hatten.
§ 3. Campanien.^}
Die lange Reihe von Feuerschlünden, die wir mit dem M. Amiata
beginnend aufgezahlt haben, findet am Albaner Gebirg ihren Abschlufs;
auf einer Strecke von ca 1 00 km streichend trennen die Volskerberge
1) Isidor XIX 10, 8.
2) J. Roth, der Vesuv and die Umgebnng von Neapel, Beriin 1857. &. vom
Bsth, der Vesnv, Beriin 1873 (Sammlang wfat. Vortrige von Virchow oud
HoltiendeHr Heft 18»). L. Pslmieri, i1 Vesavio e la soa atoHa, MUsno 1880.
264 Kap. VI. Der Volkanismas.
die mittelitalische von der campanischen Vulkangruppe. Jedoch wird
eine Verbindung zwischen beiden durdi kleinere Auswnrfstelien , die
aus dem Tertiär des Tremsthals auftauchen, angedeutet. Unweit
Fiereii/inttiii bei Ticchiena und südlich von Fnuino bei Pofi (295 m)
erheben sich zwei Kegel mit Lava Schlacken und allen Zeichen er-
loschener Thätigkeit Am unteren Lauf des Liris sodann betreten wir
wieder zusammenhängendes vulkanisches Gebiet. Es füllt eine ehe-
malige Appenninbucht, die als Halbkreis nach SW geöffnet zwischen
den Vorgebirgen von Caieta Gaeta und Minmva della Campanella ein-
drang. Der Durchmesser, durch den Abstand der genannten Vorgebirge
bezeichnet, ist reichlich 90 km lang; der bis 2057 m aufsteigende Stock
des Matese bildet den Schlufsstein des Bogens. Breite Einsenkungen,
jetzt Flulsthäler unterbrechen den Zusammenhang des Bogens; auch
erhoben sich Gebirgsinseln in dem pliocänen Meer wie der motu
Ma$9ieu$ (875 m) bei Sinuessa, der M. Maggiore (1037 m) bei Coteusw.
So konnten die vulkanischen Mächte sich einnisten und mit Erfolg
ihre aufbauende Thätigkeit eröffnen. Geschlossen dehnt sich der vul-
kanische Bezirk etwa über 13 d. M. Länge bei einer von 4 auf 2 d. M.
sinkenden Breite aus. Indessen sind seine Gebilde viel tiefer landein-
wärts verbreitet: der Tuff kommt bis 600m Meereshöhe aufgelagert
vor, dringt bis AUifae am Volturnus, bis Aiclanum Mirabella, bis ins
Val di Tramonte zwischen Amalfi Hind Salemo. Die Bildungs-
geschichte Campaniens stimmt in der Hauptsache mit der oben
dargelegten von Etrurien und Latium Uberein, doch sind die vul-
kanischen Erscheinungen hier weit reicher und mannichfaltiger. Wir
haben zwei Perioden eine ältere und jüngere zu unterscheiden. Durch
unterseeische Ausbrüche ist der pliocäne Meeresboden erhöht und der
untere gelbe Tuff hervorgebracht worden, welcher in der ganzen Land-
schaft wiederkehrt. Er ist aus Bimsteinstückchen von 10 — 15mni
Durchmesser, Trachytgrufs, losen Krystallen von Feldspath usw. zu-
sammen gesetzt. Die gleichmäfsige wagerechte Schichtung sowie die
Einschlüsse von Seemuscheln liefern den Beweis für seine Entstehungs-
art. Die Mächtigkeit der Bänke ist aufserordentlich grofs: bei einer
Brunnenbohrung in Neapel reichte der feste Tuff 79 m unter den
Meeresspiegel, darauf 53 m vulkanisches Geröll mit Mergeln wechsel-
lagernd, endlich durchstiefs man weitere 87 m Muscheln führende
Mergelschichten, aber auch diese wechsellagerten mit Tuffen. Die
nämlichen Bestandtheile finden sich unverbunden in dem lockeren
grauen Tuff wieder, der jüngeren Datums nicht im Meer sondern durch
§ 3* Ganpinien. 265
Niederfall aus der Luft geschichtet ist. Er lagert über dem marineD ;
ihm gebdren jene Hassen an, die wir im Innern von Samnium und bis
lur Meereshohe von 600 m antreffen {tufo di iraspwto). Die Auswurf-
lioge sind vom Winde so weit fort getrieben worden. An dieser That-
Sache darf man keinen Anstofs nehmen : liegen doch dieselben LapiUi,
welche Pompeji verschütteten , haufenweise auf dem Kamm des M. S.
Angelo (1443m) und flog bezeugter Mausen die vesuvische Asche bei
grofsen Ausbrüchen nicht blos über die Adria sondern bis Constan-
tinopel. Spater als die trachytischen Tuffe erfolgte die Bildung des
Leucitgesteins, welches dem Vesuv und der Rocca Monflna allein
eignet, dagegen Ischia und den Kratern westlich von Neapel fehlt.
Aus Leucitophyr besteht der Auswurfskegel des Vesuv sowie der obere
Tbeil des Ringwalls, desgleichen der Wall der Rocca Monflna. Dies
schwarzgraue Gestein, auch Vesuvstein genannt, mag es nun je nach
den verschiedenen Bedingungen, unter denen es erstarrte, als dichte
oder porüse Lava, als Sand oder Aschenstaub auftreten, umschliefst
stets Leucit und Augit. Der Leucit ist „das kalireichste unter allen
bisher untersuchten Gesteinen^ (21 ,5 pC. Kali 55 Kieselsäure 23,5 Thon*
erde). Der Augit enthält neben Kieselsaure Magnesia Eisen und etwas
Thon 23 pC. Kalk. Die Bodenmischung, welche aus der Verwitterung
dieser Mineralien entsteht, weist die günstigsten Verhallnisse auf. Das
KaU ist ein wesentliches Nahrungsmittel der meisten Pflanzen, nament-
lich der Reben : wenn nun eine Analyse des Herrn vom Rath uns be-
lehrt, dafs die Laven der Rocca Monflna an Kaligehalt die vesuvischen
im Mittel um das Doppelte übertreffen , so erklärt sich der Ruhm des
edlen Falemers. Vulkanische Gegenden sind ja durchweg fruchtbar,
aber der reichere Segen , welcher Campanien im Vergleich zu Mittel-
italien beschieden ward, ist wesentlich auf die länger andauernde
Thätigkeit seiner Vulkane zurückzuführen. Solche hat noch in anderer
Weise bestimmend eingewirkt. Das Wasser vermochte nicht den Boden
zu zerklüften, wie in Etrurien und Latium geschah, weil wiederholte
Ausbrüche alsbald die Höhlungen einebneten. So ist Campanien wie
sein Name besagt eine Ebene, eben in ganz anderem Sinne als von
jenen Landschaften gilt.
Im Norden und Süden an den beiden Rändern der ehemaligen
Appenninbucht hat das unterirdische Feuer sich seine Auswege ge-
bahnt In der Mitte durchschneidet der Volturnus der Hauptflufs Süd-
italiens das gelbe Tuflland. Oberhalb nahe am Lins erhebt sich ein
Ringgebirge, das in der Litteratur nach dem Flecken Rocca Mon-
266 Kap.yi. Der VolkttiUmoB.
f ina benannt wird: wie es in Altertom hiefi», wiasen^ wir nichts An
seinem sttd westlichen Fnfe liegt die Auninkerstadt Summ, an seinem
sttdfleitichen Pub die Sidicinerstadt fMNitim. Es bedeckt eine Fltche
von annähernd 56 km Umfang und 18 km Durchmesser, nimmt also an
Ausdehnung swischen Albaner und Vesuvgdbirg seinen Piati ein. Unter
sanften Winkebi steigt der Ringwall (Monte deUe Gortinelle) bis lu
einer Hohe von 926 m auf, fällt schroff zu einem hdbmondfi>niMgeB
Atrio (Pratalunga) ab. Nur die NWHfllfte der Umwallung ist eriiakeD.
Die SOHllfte ist versdiwunden und durch ein niedrigeres fast zu-
sammenhangendes Hügelland mit vielen Kratern ersetzt. Der um*
schlossene Raum hat einen inneren Durchmesser von 4,6 km. Er um»
giebt eine Gruppe von 7 centralen Kegeln , deren höchster M. Santa
Croce 1005 m erreicht Diese keine Spur eines Kraters entbaltoide
Gruppe besteht aus Trachyt, dagegen das Atrio und der RingwaU am
Leucitgestein , von dessen chemischer Zusanmiensetzung schon oben
die Rede war. Auch führten wir S. 252 eine Nacbricbt an, welche auf
die letzten Regungen der erloschenen Kraft hinweist Wlhrend die
vulkanische Thätigkeit hier an einem einzigen Puncte gesammelt auf-
tritt, Aubert sie sich im Süden Campaniens auf einer weslOstlichen
Spalte durch drei verschiedene Feuerherde. Der eine umfalst Ischia
,^das wahre Trachyteiland , auf welchem dies Gestein in allen Weisen
des Vorkommens sich darstellt^. Seiner ehemaligen Ausbrüche und
seiner nunmehr fast 6 iahrhunderte andauernden Ruhe ist 8. 252 ge-
dacht worden. Die nicht ganz 1 d. DM. hallende Insel ist verhlltnifs-
mflfsig spflt aus dem Meer erhoben worden : bis zur Höhe von ca. 500 m
findet sich eine Mergelthonschicht mit Einschlüssen von Schalthiereni
die den noch lebenden Arten entsprechen. Die Wogen haben viel
Land abgespült, denn der Umfang mufs ehedem grOfeer gewesen sein.
Die Alten wollten auch in Prvehyta Procida ein losgerissenes Stock
von Amaria erkennen und haben es danach benannt >) Allein die
Geologen leugnen einen solchen Zusammenhang und weisen die flache
Tuffinsel (66 m) nebst der anstofsenden 109 m hohen Klippe Vivan
dem System der Phl^graeischen Gefilde ab Glied zu. Unter den ver-
brannten Gefilden (jTtedlov Wley^alov, media %a Okfyfata) verstand
1) Abich, Ober die Natur und den Zasammenhang der vnlkaaisclien Bil-
dungen, BrauDSchweig 1841, mit schöner Karte (1 : 75000): dazu G. vom Rith,
Zeitachr. d. D. g. G. XXV p. 245.
2) Stnb. V 247 Plin. m 82 Serv.V. Aen. IX 216. Einen ZosammeDhtiif
beider mit dem Festland nimmt Strabo I 60 VI 258 an.
§ 3. GinptnieB. 267
man onprflDglich die ganie Ebeoi» sQdiich vom VoUurniu , recknete
oanentlkli den VesOT als Tornehmeles Zeugnife voii den Gigenten-
kimpfen und dem eiioscfaenen Feuer hinzu* 0 Die jüngeren Quellen
bodifittken den Namen auf die Umgebung ?on Kyme.^) Die heutige
Wiseneehaft wendet ihn auf das ganze am Nordrand des Golfe von
Neapel ach hinziehende vulkaniache Gebiet an. Da letzteres in seiner
fiiidug wesentlich vom Vesuv abweicht , Iflfet der moderne Sprach-
gebrauch aus Bequemlichkeit sich rechtfertigen.
Die Phlegraeiscben Gefilde bedecken einen Raum von
uDgeikhr 3 d. QiL^ tet ein Viertel weniger als der Vesuv; ihr grobter
Durchmesser mifst nicht ganz 3 d. M. Sie bestehen aus Trachyt mit
fiel Bimstein und Feldspath. Und zwar überwiegt der Tuff durchaus
fiker festere Gesteine. Die vereinzelt dem Tuff eingeschalteten Blinke
▼OD solchen kefem den eigentümlich geflammten Pipwnot eine trachy-
tache Lanra, die ab Baustein geschfttst wird. Zu dem Vorwiegen des
Tuffs kommt als orographisches Merkmal der Gegend der Mangel einer
Mute, eines centralen Kraters hinzu. Wer vom Kloster Gamaldolif dem
bodist gelegenen Punct(455m) oder dem kühn aubtrebenden Gap
Misenum (i68m) Umschau halt, seine Augen an einem Bild ohne
Gleichen weidet, wird sich Rechenschaft zu geben suchen, wie die
eigenartige Gestaltung der Landschaft, dies Ineinander von Meer und
Land hat entstehen können. Der Grund liegt in dem unsUlten Wesen^
te die Macht des Feuers hier getrieben hat Sie brach aus, schüttete
einen Krater auf, lieb ihn nach einmaligem Gebrauch unbenutzt liegen^
Nach hundert- oder tausendjährigem Schlummer in der Tiefe auffahrend
schlag sie eine neue Bahn ein, baute wiederum einen Krater, zerstörte
dabei gelegentlich einen Theil ihres früheren Werks. Die ErrichUing
desM. nuovo, über welche glaubwürdige Berichte vorliegen, ist in
(fieser Hinsicht lehrreich. Nach starken anhaltenden Erdbeben Offnele
sich am 29. September 1538 ein Schlund am Avemer See, um Mittag
begann der Aschenregen, die Asche flog über 15 d. M. weit, knickte
im Umkreis von 1 Vi d. M. durch ihre Last alle Bäume. Innerhalb
48 Stunden , welche der Ausbruch dauerte, war der Berg fertig: em
Kegel mit 20<^ mittlerer Neigung, 139m Hohe und einem fast bis auf
den Meeresspiegel sinkenden Krater. Als Nachspiel hat er in den ersten
Octobertagen anber Asche auch Steine ausgeworfen, welche zum Theil
1) Thnaeos bei Diod.iy21 V7i Pol. H 17 10 91.
2) SM>.y243 Plin.niet XVm 11t.
268 Kap. Vi. Der Volkanismug.
mehr als 30 d. M. entfernt in Calabrien nieder fielen. Dann hat er noch bis
Januar 1539 geraucht und ist seitdem völlig erkaltet. Diese jüngste
Schöpfung hat die Formen , welche die Umgegend im Altertum leigte,
erheblich verändert, namentlich den berühmten Lucriner See in einen
schmalen unansehnlichen Teich umgewandelt. Zugleich gewährt sie
einen sicheren Anhalt um das Relief der ganzen Landschaft zu erklaren ;
denn die Entstehung der übrigen Krater wird auf ahnliche Vorgange
alterer Zeit zurückzuführen sein. In Betreff ihrer Zahl schwanken die
Gelehrten: der verdiente Breislak bestimmte sie auf 27, davon sind
indessen manche undeutlich. Ganz oder grüfstenteils unversehrt ist
die Umwallung des locus Avemw (Umfang des Sees 3 km Tiefe 65 m)
des mens Gaurus (Krater von Campiglione) des forum Vukani Solfatara,
des Eilands JVmiNisida, ferner Astroni, Pianura, Agnano, Fossa Lupara,
Qgliano usw. ; mehr oder weniger zerstört die UmwaUung von Procida
Misenum u. a. Ob die gestreckten Bergrücken , welche zu den ge-
schlossenen und hufeisenförmigen WaUen sich gesellen, wie der PosUip
und Capodimonte, an dessen Abhang Neapel sich anldmt, als Brudi-
stücke verschwundener Kraterrander zu deuten seien, lafst sich nicht
mehr ausmachen.
Eine vom Bach Sebethus Sebeto durchflossene ca. 4 km breite
Niederung scheidet die phlegraeischen Gefilde vom Vesuv. Wahrend
das unterirdische Feuer dort einem Irrwisch gleich bald an diesem
bald an jenem Punct hervorbrach , war es hier an einen bestimmten
Ort gebannt , hat eine feste dauernde Verbindung mit der Oberfläche
sich geschaffen, durch ungezählte und unzahlbare Ausbrüche einen
machtigen Schlot von gegenwartig 1282 m Hohe aufgethünnt Auf
drei Seiten von einer flachen Ebene , auf der vierten vom Meer an-
steigend erscheint der Berg gewaltiger als er wirklich ist Man sieht
den Gipfel vom Strand in Neapel unter dem Hohenwinkel von 4<^ 36',
den M. S. Angelo bei Stabiae (1443 m} nur unter 2^ 30' und Capri gar
unter 36'. Der Vesuv ruht auf einer runden Basis von 16 km Durch-
messer, 48km Umfang und fast 4 d. DM. Inhalt. Die Neigung gegen
die Ebene betragt anftnglich 3^ gegen das Heer 4® 24'. Bei 595 m
Hohe theilt sich der Berg in zwei Gipfel. Der nördliche heilst jetzt
M. Somma: eine bogenförmig gekrümmte viel dnrchftirchte Bergwand,
die in ihrer höchsten Spitze (Punta di Nasone) t]37m erreicht. Die
Wand steigt steil an (23—250) und ßlilt noch viel steiler (50— TO^')
nach einem etwa 300 m niedriger gelegenen Thal (Atrio del Cavallo)
ab. Die Sohle jetzt 825 m mofs im Altertum bedeutend tiefer gelegen
f 3. Gamptnien. 269
haben; denn lahllose LavastrOme haben seitdem hier eingemündet
uDddeo Boden fortwährend erhobt Das Thal 5 km lang 800 m breit
mnspannt ungefidir ein Drittel des Kreises. Es hat eine hohe Wahr-
scheinlichkeit, dafs der M. Somma ehedem sich weiter fortsetzte und
emeD geschlossenen Ringwall von 4 — 5 km innerem Durchmesser
bildete. Ein BnichstUck dieses zerstörten Ringes erblickt man in der
Anhöhe (610 m) welche das weltbekannte Observatorium trügt Sein
Verlauf nach Süden wird durch eine ebene Zone (le Piane) angedeutet,
die vor Jahrtausenden noch deutlicher hervortreten mufste. SteUen
wir uns nun den Ringwall in Gedanken her, so erhebt sich in Mitten
des umhegten Raums der thfltige Aschenkegel, auf den man in der
Neuzeit den Namen Vesuv zu beschranken pflegt Auf einer Rasis von
ca 2800 m, unter einer mittleren Neigung von 31^ steigt der Kegel
ca 450 m über der Sohle des Atrio empor. Er erreicht gegenwärtig
1282m Meereshohe. Aber da die Ausbrüche — umgekehrt wie beim
Aetna — mit seltenen Ausnahmen vom Gipfelkrator erfolgen, so ändert
«ich die Gestalt des Kegels und ist seine Hohe beträchtlichen in den
letzten Jahrhunderten volle 2 — 300 m umfassenden Schwankungen
nnterworfen gewesen. Gewaltsame Ausbrüche haben mehrfach die
Spitze abgesprengt und den Kegel unter das Niveau der Somma er«
oiedrigt: vieljährige gemessene Arbeit hat sodann den Schaden wieder
ausgeglichen, bis ein neuer Wutanfall des Giganten den Rau zerstörte.
Wir würden dem Rorger der guten Stadt Pompeji Dank vnssen , der
aus Verdrufs an den ewig vriederholteu idealen Küsten- und Feialand-
Schäften seinem Stubenmaler aufgegeben hätte ihm die Umrisse des
heimatlichen Vesrius abzuschildern. Aber solange wir einer derartigen
Beihfllfe entraten , bleiben die Cborographen über viele und vrichtige
Dinge im Unklaren. An den äuberen Gehängen zogen sich in der
Kaiserzeit oberiialb der Weingärten Wälder hin, die seitdem spurlos
verschwunden sind. 0 Im Atrio vmdis, wie wir gelegentlich des
Fechterkriegs erfahren, 73 v. Chr. viel wilder Wein.^) Ueber die GrOfse
des Aschenkegels und dessen Veriiältnifs zum Ringwall fehlt eine
deutliche Aussage : weder Strabo der als Augenzeuge zu Anfang unseref
Zeitrechnung, noch Dio der in gleicher Eigenschaft zwei Jahrhunderte
später den Rerg beschreibt, haben ihn selber bestiegen. Reide scheinen
den Kegel für einen Theil des Sommawalls anzusehen: ersterer mufs
1) Dio LXVI 21 Procop b. Goth. 11 4 BuUettino deir Inst. d. c a. 1866
p. 250.
2) Flut Grass. 9 (vgl. Oro8.V 24, 1).
270 Kap. VI. Der Valkanitmiis.
^niDach weit abgefibrtteter gewasen sein ak wir iha kennea.O Aber
am seiDtfm Vorhasdensein ist kaum eu iweifela. Wenn wir erwAgea,
dafs der Vesnvkrater vor der Kalaatroj^» Ten 1631 mil allen WaU-
banmen bestanden «nd das Atriomit Sennhütten besetat war, so deutet
der vian Strabo betonte Mangel an Vegetation dwanf hin , dafs die
Hohepause im Altertum eine Tiel kttrzere Daner mnfnfate als in der
Neuzeit (S. 251). Wir werden aueh gern darauf Verzieht leisten eine
Hauptepoche in der Büdungsgeschichte des Beiiges aeitlidi enmtleln
lu woHen , sobaU wir deren Alter in Betracht sieben. Der Fufe des
Gebirges bis zur Höhe von 600 m besteht aus trachytisdien TttBm.
Zuunterst liegt gelber mariner Tuff, sei es dafe der Krater sich unter-
seeisch gelrildet, sei es dafs er bei seiner Bildung altere horizontale
Schichten aufgerichtet hat. Darttber folgt grauer atmosphärischer Tuff»
der wie bemerkt ohne Mitwirkung von Meerwasser entstanden ist
Der oberste 5 — 600 m messende Kranz besteht aus Leucitgestein und
gehört der zweiten Periode vulkanischer Thatigkeit an , welche in den
pUegraeischen Gefilden nicht zum Ausdruck gelangt ist. Wahrend
der SommawaU seit historisch bekannten Zeiten die nördliche Ebene
gegen die feurigen Fluten geschützt hat, ergossen sich einstmds au&
dem Sommakrater Lavaströme auch nach dieser Gegend (Soainia, Noia,
Ottaiano). Auf dem Absturz eines Lavastroms, der alle neuerea
vesnvisdien Ströme an Lange und Mächtigkeit fibertrifll, ist das ahe
Pompeji erbaut Vereinzelt ist die Somma auch seitlich auagebrochea:
ein derartiger Seitenkegel (185 m) tragt das Kloster Gamaldoli ddb
Torre. Das hohe Alter des Gebirges beweisen femer die Minenliea,
wekhe der graue Tuff der Somma umhüllt. Herr vom Bath nucht 39
namhaft und erklärt den Vesuv für die reichste Min^ralfondstitte der
Erde: „eine einzigartige Erscheinung, um so auffallender, wenn man
t) Sinib. V 247 (^ xo^vq>^) ittliKSog pikv nokv /cci^ioc ictlv, oJMr^ac
xgiSv (d^akmöwv xari tijv X9^^^> ^( ^^ ixfieß^^iivwv vno »vfoc* 1^
LXVI 21 läfst den Ausbruch von 79 aus dem grorsen Sommakrater erfolgen
und diesen durch den Ausbruch ausgehöhlt sein: ijv fjtiv nore nav ifioliH
viptjkov xal an^ ccvrov (düöv xo Ttvp dvhskXev .... Xf3v di iv rq» ^dof
x^avif^4v/»ivwv xal xe^^avfihmv, ai fikv nigiS xo^v^pal xb i^x^"^^ ^f^
iQ ifv^Q ^ovci, xo d^ Ißjtv^v jiuv 6anavfi9kv iv X(f X^^ xolkov ix
xov awl^eiv yfyovev, Saxe xwrfysxixi^ xivl ^idxgip xo OQoq avfJExav, m^
ptue^ (uyakoiq cixacai, ioueiimi. Um irrige ScUüsse abzuwehren, sei daran
erinnert dafs Dio in Gapua schrieb (LXXYI 2), also den SommawaU vor
Augen hatte.
f 3. CcnpaDien. 271
die Amat an maniiichfacheB und schönen Mineralien erwAgt, welche
Ar die Vvlkane im AHgemeinen charakteristisch ist So hat der mlich-
tige Aetna keine Spur der beBeicbnenden Vesnvmineralien geliefert.
Wol aber finden sich einige derselben , wenngleich selten, im Albaner
Gebirg, dessen geologischer Bau flhnücber Art ist, wie der des Vesuvs.
Die mineralreichen Kalhblöcke können nicht im engeren Wortsinne
vulkanische Erzeugnisse sem, sie scheinen vielmehr umgewandelte
BrucbstOckedesAppennio eu sein, w<dche durch die vnttanischen Erup-
tionen sind losgerissen und verändert worden *. Seit 70 n. Chr. sind
die groben Ausbruche veneichnet, seit 1631 hat der Vesuv als Labo-
ratorium gedient, an dem die Wissenschaft die vulkanischen Erscfaei-
noDgen begreifen lernte. Die Amalen des Vesuv berichten viel des
Gewaltigen Furchtbaren Schreckenden, und doch müssen die Um-
wälzungen unendlich grofsartiger und gewaltiger gewesen sein, auf
welche kein Strahl der UeberKefening Mit.
Die Kalkauswttrflinge im Tuff der Somma kommen bei »eueren
Ausbrachen nicht mehr oder doch ttufserst selten zu Tage. Die unter-
irdischen Verbindungen der vulkanischen SchmekstXtte mk dem Kalk-
gmnd des Appennins scheinen verstopft zu sein. In UrzeiCe« waren
sie aller Wahrscheinlichkeit nach offen. Durch die Breite der Halb-
iusel zieht sich, wie S. 242 erwähnt, eine vulkanische Spalte, auf
welcher der Epomeo von Ischia, der Vesuv und 100 km in der Luftlinie
TOD letzterem entfernt der Ytdtur liegen. In der Mitte zwischen beiden
befindet sich der von den Alten mehrfach erwähnte laous Ampmmetus
Meflta bei Frigento (unweit der Via Appia zwischen Aidtmum HiraMla
und Trivicum Trivico), ein Haar mit der stärksten Gasquelle in Italien.
Einige Stunden westlich von Boras' Heimat l^tiita Venosa, am rechten
Ufer des AufUtus OEanto ragt majestätisch aus dem Httgelland der
Vültur empor. 9 Der Umfang der Basis mifiit gegen 6 d. BL, kommt
also dem Vesuv nahezu gleich. Hit sanftem Gehiinge steigt der Wall
an und erreicht in seiner höchsten Spitze {Punta di S. Michele oder
Pizzuto di Melfl) 1328 m. Nach innen stürzt er ca 400 m steil ab.
Es ist keine ebenmdfsig gekrümmte Wand: vielmehr bildet sie im
Osten hei der höchsten Spitze einen rechten Winkel, ähnlich wie wir
solches am albanischen Gebirge kennen lernten (S. 261). Der grOfsere
Theil der Umwallung fehlt, so dafs der Centralkrater nach Westen dem
Ofanto zu geöffnet ist. Auch der Centralkegel erscheint zerstört und
1) Abich (S. 266 A.) mit Karte.
272 Kap. VI. Der YalkanlMBOs.
^ein regelmftrsiges Aufrichten um ein gemeinschaftliches Centrum nicht
deutUch wahrzunehmen'*. An die albanischen Maare erinnern die bei-
den tiefen Zwillingsseen von Monticchio. Sie liegen am offenen Sad-
Westrand bei 700 m ü. Meer. Die basaltische Formation macht nun bald
der appenninischen Platz, das Terrain senkt sich rasch hinunter lum
Ofanto (300 m). Am äuberen Gehänge des Walls finden sich mehrere
Seitenkegel: man will im Ganzen 12 Krater zählen. Ihre Thätigkeit
filUt vor aller Geschichte: Ausdunstungen von Kohlensäure an den
Seen gemahnen allein an die erloschene Kraft. In gleicher Weise ist
es mit den westlichen Fortsetzungen der groGsen Querspalte gegangen.
Von Ischia 5 d. M. entfernt liegt das Trachyteiland PandaUtha Vento-
tene (1 39 m), einst wie es scheint mit der Klippe S. Stefano (68 m) rer-
bunden einen Krater bildend. Weitere 5 d. M. nach Nordwest erreicht
man die Pontinische Inselgruppe, bestehend aus PotiliaPonza
Sinonia Zannone Palmaria Palmarola ndist einzelnen Klippen. Das
Meer hat sie auf einen Bruchtheil ihres ehemaligen Umfange beschränkt
Ponza (283 m) wie Palmarola (262 m) stellen sich durch ihre Form
als Ausschnitte von Kraterwällen dar. Der Trachyt, aus dem sie zu-
sammengesetzt sind, lehnt sich auf Zannone (184m) an eine alte
Jurabildung an, die in dem 4 d. M. entfernten Vorgebirge Circeji
wiederkehrt.
§4. Sicilien.i)
Südlich vom Vesuv folgt ein Zwischenraum von zwei Breiten-
graden , der keine Vulkane enthält. Sodann beginnt unterhalb 39^
das ttber einen weiten Bereich ausgedehnte sicilische Gebiet, das in
drei getrennte Bezirke zerfUlt: einen die Hauptinsel umfassenden,
einen nördlichen und südlichen. Ohwol die Meerestiefe zwischen den
Liparen und Sicilien auf 600m und mehr einsinkt, gehört diese
Inselgruppe^) geographisch wie historisch betrachtet dem letzteren,
nicht Italien an. Immerhin nimmt die Anordnung der Vulkane auf
beide Landmassen Rücksicht: eine Erhebungsspalte, auf welcher
Sirongyle Stromboli Bwmymos Panaria Lipari Volcano liegen, folgt fon
Nord nach Süd der Richtungsaxe des Continents; darauf stöbt eine
1) Fr. Hoffmann, GeognosUsche Beobachtungen, geaammelt auf einer Reise
durch Italien und Sicilien 1830 — 32, Berlin 1839 (Bd. XJII des Dechen'acheo
Archivs fOr Mineralogie usw.). Ders. Aber die geognostische BeschalTenheK
der Liparischen Inseln in Poggendorffs Annalen XXVI 1—88, Leipiig 1831
2) Strab. VI 275 fg. Plin. m 92 fg.
§ 4. SidUen. 273
dem Gebirgszug der Nebroden parallele we6t*(totlicbe ^alte mit ErieuM
Alicuri Pkoemcusa Filicuri Didyme Salina, als deren äufersten west-
ücheo Ausbufer man das 100 km von Alicuri entfernte Ustica an-
sehen kann. Das einsame Ustica (Umfang 15 km, höchste Erhebung
239m) ward und wird nicht zu den Inseln des Aeolos gezählt, obwol
es deren Beschaffenheit theilt. Die Alten rechneten nur sieben Glieder
dieser Gruppe, indem sie sich auf die genannten grOlseren Eilande
beschrankten und die unbewohnten Klippen aufser Acht liefsen. Die
in historischen Zeiten eingetretenen Veränderungen (S. 251) madien
die Ermittelung einer genauen Ziffer der Klippen für das Altertum
unmöglich. Das gesammte Gebiet welches durch die Krater dem Meer
abgerungen worden ist, umfalst 148 D km. 2^/3 d. D M. Der Kegel von
StromboU steigt 921m, der M. Chirica auf Lipari 603 m empor.
Aristoteles erzählt von einem Ausbruch von Volcano, bei dem die Asche
einige italische Städte erreichte. ^) Schwache Anzeichen von submarinen
Ausbrüchen sind auch in der Neuzeit wahrgenommen worden , aber
die Kraft des Feuers ist im Verloschen begriffen und äufsert sich nur
noch auf der Meridianspalte in der oben (S. 250) angegebenen Weise.
Das Meer ward hier nicht wie in Latium und Campanien bemeistert,
fordert gebieterisch den ihm entrissenen Raub zurück. Zwar ist Vol-
cano durch den Zuwachs von Volcanello vergrofsert worden (S. 251),
aber der Regel nach fand der umgekehrte Vorgang statt. Allen tibrigen
Insebi sind an der Nordseite winzige Eilande vorgelagert, welche die
Wucht der Wellen losgeschlagen hat : wir glaubten in ihnen nach der
Bildersprache Homers die Tochter des Aeolos erkennen zu sollen
(S. 4 A. 3). Von hervorragenden Naturforschern ist die Ansicht auf-
gestellt worden , dafs Panaria mitsammt den benachbarten Liscanera
Basiluzzo Liscabianca Bottaro Formiche usw. die Trümmer eines ein-
zigen Centralkraters bilden, der vom Meer zerstört worden sei. Darnach
wäre also der Ostrand des Centralkraters durchbrochen worden und
hierfür läfst sich eine Stütze aus dem übereinstimmenden Bau des ganzen
Archipels entnehmen; denn alle liparischen Inseln fallen im Westen
schroff zu bedeutenden Tiefen ab, während sie im Osten langsam sich
abdachend die schwächere Innenseite der vulkanischen Ringe auf-
weisen. Man sieht, die hebenden Mächte haben ihre Anstrengungen
über einen Raum von einigen hundert Quadratmeilen verzettelt und
deshalb keine grofsen Erfolge erzielt. Ganz im Unterschied davon
1) Meteor. U 8, 19.
Hist«B, lUL L»ndMkaB4«. I. 18
274 Kap. VI. Der Vulkanismus.
haben dieselben südlich vom peloritanischen Gebirge ihre Anstrengungen
an einem einzigen Punct vereinigt.
Auf einer Grundflache von 1100 D km 20 d. D M. erhebt sich der
Aetna der höchste Vulkan Europa's und der höchste Berg der helle-
nischen Welt überhaupt Er mifst gegenwartig 3313 m und kann nach
der S. 250 gemachten Bemerkung im Altertum nicht niedriger gewesen
sein. Man hat sogar aus der Ausdehnung der Basis (Piano del Lago)
auf welcher der oberste Schlackenkegel ruht, den Schlufs gezogen,
dafs der Gipfel einst um weitefe 5 — 600 m in die Lüfle hinein geragt
habe. Bekanntlich pflegen die Gipfel der Vulkane — eine Beobachtung
die bereits den Alten geläufig war — nach jedem grOfseren Ausbruch
ihre Gestalt und Höhe zu ändern. Der jetzige ist verhältnifsmälsig
jungen Datums. Den Urkrater des Aetna sucht man in einer öslUch
von dem Gipfel befindlichen Einsenkung, Valle del Bove genannt, di«
bei 5km Breite an drei Seiten von 6 — 1200m senkrecht abstürzenden
Wänden eingefafst ist: der grausigste Höllenschlund welcher dem
Reisenden in unserem Erdtheil zu Gesicht kommt. Der istnes oder
Akeiina Alcantara im Norden und der Symaithos Simeto im Süden
umflieben den Bergstock, welcher vermutUch einen ehemaligen Busen
des sikehschen Meeres ausfuUt. So gewallig die unmittelbar vom
Meeresspiegel ausgehende Steigung erscheint, wird sie doch in Folge
der grofsen Grundfläche überaus langsam erreicht: der Neigungs-
winkel für die dicht bebaute Culturzone bis 1000 m beträgt nur 2 — 3^
für die Wald- und Wüstenzone bis 2900 m 8<> und wächst erst beim
Schlackenhügel , der bei allen Vulkanen aufserordentUch steil zu sein
pflegt, auf einige 30^ Die gewaltige Erhebung bedingt es dafe der
Gipfelkrater sich darauf beschränkt Dampf und Asche auszuspeien,
während die Lava — was beim Vesuv selten geschieht — unterhalb
die Seitenwände des Berges durchbrechend sich einen näheren Ausweg
bahnt. Da also der Berg dem seitUchen Druck der bei den Ausbrüchen
gehobenen Massen nicht zu widerstehen vermag, ist er mit zahllosen
parasitischen Kratern verschiedenster Gröfse, die bis 200 m und darüber
aufsteigen, gleichwie mit Pusteln bedeckt. Sartorius von Waltershausen
hat deren 200 auf seiner Karte eingetragen : damit ist die Zahl ent-
fernt nicht erschöpft , weil viele im Lauf der Zeiten unkenntlich ge-
worden sind. Sie gehören vorwiegend der Waldzone (1000 — 2000 m)
an. Südlich vom Aetna dehnt sich die reichlich 4 d. DM. hakende
Ebene von Leontini, die gröfste SiciUens, wegen ihres Getreidereich-
tums hoch berühmt: caput rti frumentariae oder Leoniintis campus
§ 4. SicUien. 275
1% Noitlifitiftiu ae feraeiisimtu beifst sie dem Cicero. ^) Der Boden
besteht aus wechselnden Thon- und vulkanischen Schichten: eine Zu-
sammensetzung welche auf die Thatigkeit unterseeischer Feuerherde
hinweist „Die ganze Insel, sagt Strabo'), ist unterhöhlt, voller Flüsse
uod Feuer. ^ Sie besteht grofsentheils aus einer jungen Tertiär-
formation, welche dem Subappennin entspricht. Aber unter den
Nuschelkalken der Oberfläche werden in der Tiefe Bünke aus vul-
kanischem Detritus aufgeschlossen. Man kann dies nicht wol anders
erklären als durch die Annahme einer Ober lange Perioden ausgedehnten
Tulkanischen Thfltigkeit auf dem Meeresgrund, in welcher heftige Aus-
bruche mit unmefsbaren Ruhepausen abwechselten. Das Wasser ebnete
die ausgeworfenen Massen ein, lagerte seine KalkniederschUge darüber
ab und so wiederholte sich das Spiel, bis das aufsteigende Land aus
den Fluten emportauchte. An solche Vei^angenheit erinnern die
heUsen Schwefelquellen bei Termini {Thermae Hmerenses) Sciacca
[Tkermae Selinuniinae) und anderen Orten sowie die reichen Schwefel-
iager, welche durch die moderne Industrie zu Ehren gelangt, den euro-
päischen Markt versorgen. Daran erinnert der See der Paliken bei
Eryke (Lago Naftia zwischen Pahgonia und Mineo): er verdankte sein
aufserordentliches Ansehen bei den alten Sikelern den kohlensauren
Gasen , welche zwei Oeffnungen in der Mitte ausströmen. Es ist nur
noch ein brodelnder Weiher von ca. 150 m Umfang und 4 m Tiefe,
der Sommers oftmals austrocknet; das todtliche Gas wirft das Wasser
jetzt nur 2' in die Hohe, während eine Angabe des Altertums von
6 Ellen redet.') Auch in dem sagenberülimten See von Pergus bei Bnna
Castrogiovanni, an welchem Pluton die Persephooe raubte, einem ehe-
maligen Krater von 1 Meile Umfang, scheinen ahnliche Emanationen
zeitweise vorzukommen. Ferner liegt 10 km nördlich von Akragas der
Schlammvulkan Maccaluba , wo winzige Kegel Gas und Schlamm aus-
stofsen^): eine grOfsere Eruption aus dem J. 1777 wird vermeldet, bei
der sie eine WurfhOhe von 30 m erreichten.
Der dritte südlich von der Hauptinsel gelegene Feueriierd ist
gleichfalls in voller Thatigkeit begriffen : aber seine Ausbrüche erfolgen
aur dem Meeresgrund und entziehen sich in der Regel unserer Kennt-
1) Verr. III 47 pro Scauro 25 u. o.
2) VI 274 a. E.
3) kigoDos fr. 7 (Maller IV 436) vgl. Holm, Gesch. Sic 1 36S.
4) Aas dem Altertum allein Ton Solin 5, 24 nach unbekannter Quelle
«rwähnt.
IS*
276 Kap.YL Der Volkanismas.
nifs. Zwischen Sciacca und Pantelleria uDgefiihr 50 km von Sicilien
entfernt befindet sich ein unterseeischer Vulkan , der zu wiederholten
Malen versucht hat an das Tageslicht zu gelangen. Im Juli 1831
schüttete er eine Insel auf (Isola Giulia) , die bis 4 km Umfang und
40m Hohe anwuchs, aber bereits vor Ausgang des Jahres von den
Wellen zerstört war. Noch kürzer dauerte ihr Erscheinen 1863: gegen-
wärtig deutet eine 5 m unter der Oberfläche aufsteigende Korallenbank
(Graham Shoal) die merkwürdige Stelle an. W^as hier bis jetzt mislang,
ist der vulkanischen Kraft weiter südUch vordem geglückt Unter 36^'
45' n. Br. erhebt sich das 103 Dkm grofse Cossyra Pantelleria. Ein
äufserer aus Conglomeraten und eigentümlichen Laven zusammen-
gesetzter Ringwall, dessen oberer Umfang etwa 3 d. H. betrug, isl
deutlich nachzuweisen. Er umschliefst mehrere Auswnrfskegel, tod
denen der M. Grande 830 m, der M. Gibel 700 m aufsteigt Aeuiserst
starke Wasserdämpfe und Mineralquellen, die sich zu einem kleioeo
See vereinigen, sind die einzigen Ueberreste der einst entfalteten Thätig-
keit. Obwol näher an Africa gerückt als an Sicilien , ist Pantellera
doch nach der Gestaltung des Meeresbodens (S. 97) dem letzteren zu-
zurechnen. Dagegen ist das politisch mit ihm verbundene Linosa durch
Meerestiefen von 1000 m und darunter abgetrennt und gehört geo-
graphisch betrachtet zu Africa. Die unter 35^ 52' liegende Insel ist
vulkanischen Ursprungs, 12 D km grofs mit einer Erhebung bis 180m.
§5. Vulkanische Erscheinungen.
Die Vulkane haben das Nachdenken der Alten dauernd gefesselt
Eine mutwillige Sage läfet den weisen Empedokles (um 424 v. Chr.)
seinen Tod im Schlund des Aetna finden. In Wirklichkeit kam der
fleifsige Plinius, dessen Naturbeobachtung sonst nicht gerade zum Lobe
auffordert (S. 20), am 25. August 79 n. Chr. ums Leben , als er den
grofsen Vesuvausbruch in der Nähe betrachten wollte. ^ Mit der
griechischen Bildung hatte sich auch das Interesse an den Vulkanen
in der römischen Welt verbreitet Während wir aufser Stande sind
irgend einen Alpen- oder Appenningipfel namhaft zu machen, der
je von Forschern oder Touristen sei es der Belehrung sei es des
1) Plin. Ep. VI 16, 7 magnum propnuque nofcendum ut m-udUurimo rirtt
Visum. Den ISj ährigen Neffen,, den typischen Gentleman der Kaiserzeit fessein
die Bächer mehr als das furchtbare Schauspiel: er stndirt im Uvios, wilireo^
die Erdreste unter seinen Föfsen wankt, eb. 20, 5.
§ 5. Vulkanische Eroeheinimgen. 277
Geniuses halber besucht worden wäre, gehört die recht langwierige
und mQhselige Besteigung des Aetna in das Programm der Modereisen
der Kaiserzeit Der eigentümüdie Gegensatz zwischen den Rauch-
wolken des Kraters und der erst im Hochsommer abschmebenden
Schneedecke , der erhabene Anblick eines Sonnenaufgangs von dieser
in den Aether hineinragenden Warte übten dieselbe Anziehung auf
die alten Reisenden aus, welche in unserem Jahrhundert wieder zu
wiAen begonnen hat Deutlicher als ausden htterarischen Nachrichten,
an denen es übrigens nicht fehlt >), erhellt die Häufigkeit der Be-
steigungen aus jener S. 250 erwähnten Ruine, welche in ihrem ur-
sprünglichen Umfang keine andere denkbare Bestimmung gehabt haben
kann als diejenige einer Schutzhtttte wie die heutige Casa Inglese
»der der Tempel des Poeninus auf dem St Bernhard (S. 160). Frei-
lich spricht es nicht eben für die Tiefe tömischer Naturbetrachtung,
dab dem zwar kleineren aber darum nicht minder furchtbaren Vesuv
(üe gleiche Aufmerksamkeit versagt bUeb, dafs unseres Wissens Niemand
es der Mühe wert hielt diesen so bequem und leicht zu erreichenden
ßerg genau anzusehen (S. 269). Wir werden nicht fehl gehen, wenn
wir den Grund dieser Thatsache in dem Umstand suchen , dafs dem
jüDgeren Nebenbuhler der classische Nimbus mangelte, den die heUe-
nische Dichtung und Wissenschaft seit grauer Vorzeit um das Haupt
des Aetna diese „Säule des Himmels^ gewoben hatte.
Das unergründliche Rätsel, welches die vulkanischen Erschei-
nojigen dem menschlichen Geist aufgeben, wurde vom Volksglauben in
naiver Weise durch ein Wunder gelöst Bald ist es die Esse des
Hephaestos oder der Kyklopen, bald irgend ein von den Göttern ge-
bändigter Gigant (S. 253), welcher sie hervorruft.^) Sodann hat Piaton
(iie Theorie von einem unterirdischen Feuerstrom Pyriphlegethon auf-
gestellt, dem alle Laven entstammen.^) Sie erinnert an die von den
grölsten Forschern zu Anfang dieses Jahrhunderts verfochtene Ansicht,
welche im Vulkanismus eine Reaction des feurigflüssigen Erdinnern
gegen die Oberfläche, in den Vulkanen die Sicherheitsventile unseres
Haneten^) erkennen woUte: eine gegenwartig verlassene Ansicht,
1) Strah.VI 274 Seneca Ep. 79, 2 Spart vita Hadr. 13, 3. Nach AofiUüiuig
der TonriBtenatadte sehliebt Lucflias Aetna 601 mit der Mahiniiig: arüfieü
fiaturae ingens opus aspice: nulla tu tania humanis opiäus speeiaeula cemM,
2) Find. Pyüi. 1, 15 Aeach. Prom. 365 Strab.y248 Xin627 ApoUod.16,2
Cic DiT. n 44 Yerg. Aen. ID 578 (Wid MetV 348 Ludl. Aetna 30 fg.
3) Phaedon 113B.
4) Diese Anschauang findet sich bereits bei Strabo VI 258.
278 Kap. VI. Der Valkanismus.
seitdem wir wissen dafs die Ursache der Ausbrüche nicht in so grohe
Tiefen verlegt werden darf. Den Weg methodischer Erörterung betrat
Aristoteles, als er in der Luft die treibende Kraft suchte, die zusammen-
geprefst den Brand entfacht und gewaltsam sich eine Bahn Offnet 0
Die Nachfolger führen aus dafs unter dem Aetna grofse Hohhrflume sich
befinden, auch wol Lager von Schwefel und Erdpech, der Wind er-
wärmt die Felsen durch seine Reibung und setzt sie in Brand, der
durch eindringendes Meerwasser verstärkt wird.^ Somit haben die Alten
denjenigen Factor nur gestreift , welchem die Hauptrolle bei der vul-
kanischen Thatigkeit zuÄUt, das in Dampf umgewandelte Meerwasser.
Die Lage der meisten Vulkane in unmittelbarer Nahe des Meeres, die
starken Sabsniederschlage, welche gelegentUcb die Abhänge wie Reif
überziehen, zeigen deutlich, woher die gewaltigen Dampfquellen ge-
speist werden. Aber wie das Wasser in Tiefen von mehreren Meilen
eindringt, zu Dämpfen von ungeheurer Spannung sich verflüchtigt,
die Gesteine zum Schmelzen bringt — darüber können auch wir nur
Vermutungen vorbringen wie die Alten, so geläutert und fortgeschritten
im Uebrigen unser Wissen erscheint.
Die Beobachtungen der Alten sind auf dasjenige Gebiet des ita-
lischen Vulkanismus beschränkt, welches innerhalb des Bereiches der
hellenischen Colonisation fiel. Während die Berichterstatter am Vesur
und den Phlegraeischen Gefilden die Merkmale früherer Thätigkeit
deutlich zu unterscheiden verstehen , findet sich in der gesammten
Litteratur keinerlei Aeufserung, nach welcher auf die ttbereinstiromende
Natur von Vultur und Rocca Monfina, den Feuerbergen Latiums and
Etruriens entsprechende Schlüsse gezogen worden wären. Wie in so
vielen anderen Fällen geht auch in diesem die Naturbetrachtung von
Griechen aus, bleibt von griechischen Vorbildern abhängig. Die alt-
nationale Anschauung stellt vulkanische Ausbrüche auf dieselbe Stufe
mit einer Misgeburt oder der Erscheinung eines Uhu, erblickt in ihnen
ein Wahrzeichen, das Sühne erheischt ') Wenn es unter den Prodigien
des J. 104 V. Chr. heilkt^): im Gebiet von Volsinii schlug eine Lohe
aus dem Boden und schien bis zum Himmel zu reichen, so liegt die
Annahme äufserst nahe, dafs hier von einem Ausbruch am See von
Bolsena (S. 258) die Rede sei. Man würde auch gern mit den heutigen
1) Meteor, n 8, 20.
2) LacretViaSOfg. OvidMetXV299 JuBtialVl Aetna 511 fg.
3) Vgl S. 251 A. 4. 5. Obseq. 26 usw.
4) Obseq. 4S Tgl. dieselbe Wendung ron Ischia 54.
{ 5. VaUuDisehe Eracheinongen. 279
Geologen Roms den so hüuflg erwähnten Steinregen auf dem Albaner
Gebirg im gleichen Sinn deuten , wenn derselbe nicht mit ganz den
Dämlichen Worten aus Landschaften berichtet würde, welche den Vul-
kanen weit entrückt sind. Aberglaube und frommer Betrug haben die
Vorgänge in der erhaltenen Fassung zu völliger Unkenntlichkeit ent-
stellt So soll es z. B. 186 v. Chr. in Picenum drei Tage lang Steine,
91 T. Chr. bei den Vestinern sieben Tage lang Steine und Topfscherben
geregnet haben, und doch wird weder für den Fall von Aerolithen, an
welche man jetzt gemeinhin denkt, noch für den Fall von Auswürf-
lingen eines fernen Vulkans eine derartige Daner ernsthafter Weise
behauptet werden können. 0 Unter allen Umständen griffen die letzten
Kundgebungen des miltelitalischen Vulkanismus nicht in demjenigen
Grade in das Volksleben ein, wie bezüglich der hellenisirten Land-
schaften geschah. Wir haben gelegentlich darauf hingewiesen, dafs die
vulkanische Thätigkeit die Phantasie der Bewohner mächtig erregte.
Während das Altertum andere Verderben bringende Naturgewalten wie
das Wasser bekämpfen lernte durch Deiche und Canäle, stand es dem
Feuer rat- und hilflos gegenüber: ja selbst unsere vorgeschrittene Zeit,
welche zur Bequemlichkeit der Touristen einen Schienenstrang auf
den Vesuv gelegt, hat bis jetzt irgend welche Vorkehrungen zum Schutz
der bedrohten Ortschaften am Fufs noch nicht ins Auge gefalst. Die
(ippige Sinnlichkeit, welche an diesen schonen Gestaden herrscht und
herrschte, hat die Meinung hervorgerufen, dafs Vulkane einen schäd-
lichen Einflufs auf den Volkscharakter ausüben. 3) Derartige Sätze
fordern in ihrer Allgemeinheit den Widerspruch heraus: man vergifst
in der Regel ganz, dafs die ältesten Brennpuncte der Cultnr im Bereich
der italischen Feuerberge lagen, dafs dem Abendland seine Schrift
nebst so vielen anderen Elementen der Gesittung durch Kyme über-
mittelt worden ist
Die lonier, welche Naxos und Katane gründeten, lernten die Lava-
strOme dos Aetna kennen und fürchten. Sie haben einen eigenen
1) Liv. XXXIX 22; Obs. 54 Oro8.Vl8. Steinregen im Albaner Gebirg
Uv.131 XXn 36 XXra 31 XXV? XXXV 9 Zon.VIII 12; Veji Ur. XX VD 37
XUYIS; RomVn28 Picennm XXI 62 ReateXUn 13 Gamae XXX 38. — Die
stehende Sühne durch ein nenntagiges Bittfest weist allerdings auf Fortdaner
der Ausbrüche in hlstoriflchen Zeiten hin (S.253), auch Autdrflcke wie Liv. XXV 7
008.38.
2) Von nordischen Reisenden häufig ausgesprochen, methodisch entwickeU
von Buckle, history of ciyilizatlon I p. 112 (Leipzig).
280 Kap. VI. Der VulkaDisnras.
Namen {^a^ für dieselben gebüdel. Das Gestein hiefs ihnen fMvUag
XLS'og, weil seine Härte es zur Anfertigung jener schwerMigen Moblen
empfahl, die in zahlloser Menge erhalten, übrigens in ad)gelegenen
Strichen Sardiniens noch gebraucht werden oder Tor kurzem gebraucht
wurden. Die Römer übersetzen das Wort mit lapU m»tarü oder sagen
9iUx Pflasterstein , ohne dabei ängstlich Kalk- und Sandstein auszu-
schliefsen^), entlehnen desgleichen für weiches Gestein den in Italien
gebildeten Ausdruck tofus^): eine analoge Bezeichnung wie ^or| fehlt
ihrer Sprache. Von den Ausbrüchen des Aetna, welche sich in neuerer
Zeit alle Jahrzehnt wiederholen, hat das Altertum nur wenige und mit
einsilbigen Worten erwähnt. Eingehende Schilderungen verdanken
wir allein den Dichtern , welche von Pindar ab die einzelnen Erschei-
nungen uns vorführen^): die Rauchwolke bei Tage, den nächtlichen
Flammenschein, das den Ausbruch einleitende Beben und Brüllen des
Bergs, den Aschen- und Steinregen, den Flufs der Lava , das grausige
Schauspiel eines Lavakatarrakts, das langsame Erstarren der feurigen
Masse. Die Lavadecken, welche die antiken Bauwerke von Katane ein-
hüllen, zeigen uns anschauUch die Gefahr, welche über dieser blühen-
den Stadt schwebt und schwebte. Auf ihren Münzen pi'ägte sie das
Bildnifs der frommen Brüder, welche die Last der greisen Eltern auf
den Schultern vom Feuerstrome ereilt und da der Strom sich plotzhch
vor den GottgeföUigen theilte, verschont wurden. Die schöne Sage
macht auf hohes Alter Anspruch. 4) An dem Aetna haben unsere
Gewährsmänner die aufsergewöhnliche Thätigkeit, den gewaltsamen
Ausbruch studirt. Daneben unterscheiden wir an thätigen Vulkanen
ein doppeltes Verhalten : den Zustand mäfsiger Thätigkeit und endlich
den Zustand völliger Ruhe. Den ersteren Typus stellte die hparische
Gruppe den Alten dar. Ihre Lage auf hoher See bestimmte sie zu
einem Merkzeichen der Schiffer. Langjährige Beobachtung hatte er-
mittelt, dafs die Aeufserungen der Krater von Hiera mit der herrsdien-
den Windrichtung in Zusammenhang stehen : aus dem SchaO und der
Flamme wufsten die Liparaeer den kommenden Wind zwei Tage vor-
aus zu sagen. Die Thatsache , welche von der heutigen Wissenschaft
1) Belege in meinen Pompejan. Studien p. 8.
2) Tofpuiv Steinbrach, I.Tafel ▼. Herakleia GIGr. m 5774, 137. Bekannt-
lich ist das Gleiche mit dem siciJischen Xaxopuov lauhtmiae der Fall.
3) Pyth. 1, 20 fg. nachgeahmt Verg. Aen.Ill 571 , dazu die scharfe Kritik
Gell. N. A. XVn 10; Lneil. Aetna 461 fg.
4) Lykurg Leoer. 95 Arist. de mundo 6 mir. ausc. 154 u. oft.
§ 5. ViilkaniBche ErscheiDODgen. 281
nicht erklärt aher trotxdem anerkannt wird , giebt uns den Grund an
die Hand, warum Aeolos „der Schaffner der Winde^ neben Hephaestos
ais Herr dieser Inseln betrachtet wurde, i) Auch stimmt hierzu die
Deueste Windtheorie vortrefflich, insofern sie gerade in dieser Gegend
ein barometrisches Depressionsgebiet annimmt. 2) Den Zustand voll-
kommener Ruhe bot die campanische Gruppe in der ersten Kaiserzeit
dar. Seneca 's Freund Lucilius hielt Ischia für nicht minder erloschen als
den Vesuv. 3) Mit dem Ausbruch von 79 trat der Vesuv was den Um-
fang seiner Verheerungen betrifft, dem Aetna ebenbürtig an die Seite.
Dieser Ausbruch ist zugleich der einzige aus dem Altertum, über den
der eingebende Bericht eines Augenzeugen vorliegt, und fordert zu
kunem Verweilen auf. Wir verdanken den Bericht den beiden be-
rühmten Briefen, welche der jüngere Plinius an Tacitus richtet um als
Stoff für dessen Geschichte zu dienen.^) Der Schreiber damals im
achtzehnten Lebensjahr, befand sich zu Misenum gegen 4 d. M. in der
LoflUnie vom Schauplatz des Unheils entfernt. Hier sah man am
24. August kurz nach Mittag eine ungeheure je nach der mitgerissenen
Asche und Sandmasse bald hell bald dunkel gefärbte Wolke in Gestalt
einer Pinie über dem Vesuv aufsteigen. Die treffende Vergleichung
dieser bei grtfeen Ausbrüchen mehr als 3000 m über den Gipfel hinauf
({aeUenden Dampfmenge mit einem Pinienbaum wird von Plinius zum
ersten Mal vorgetragen und ist seitdem in den technischen Sprach-
gebrauch übergegangen. Länger ais 24 Stunden hat die heftigste
Thätigkeit gedauert und nach verschiedenen Richtungen sich in ver-
schiedener Weise geäufaert. Westlich über Herculaneum gingen Wolken -
brücke nieder und bildeten Schlammflüsse , welche diese Stadt ver-
schlangen und den ganzen Strich bis Torre Annunziata in der unge-
hhren Breite von 2 d. M. um 20 m und mehr ertiOhten. Der südliche
Strich, Pompeji und das über 2 d. M. entfernte Stabiae, wurde ohne
Mitwirkung des Wassers durch BimsteinstOckchen (Lapilli) verschüttet.
Die Pompeji deckende Schicht mifst durchweg 3 m und ist mit vielen
Schlacken untermischt, deren Gewicht gelegentlich 6 kgr überschreitet
Darüber lagert eine Schicht Asche, deren Dicke nicht weniger als
lVi--2m betragt.^) Der Aschenregen bezeichnet nach neueren Er-
1) Strabo VI 276 nach Polybios, P)in. III 94 A. v. Humboldt, Kosmos I 455.
2) Sapan, Statistik der unteren LafUtrömungen p. 112.
3) Aetna 426 fg. vgl. S. 251.
4) VI 16 nnd 20 Suet Tit. 8 Dio LXVI22 MarUal IV 44.
^) Nach den Beobachtungen des langjährigen Leiters der Ausgrabungen
^•Roggiero in der Napoli 1879 herausgegebenen Festschrift Pompei p. 2t fg.
282 Kap. VI. Der Vulktnifioiiis.
fahrungen das Ende eines Ausbruchs und dies war auch daoials der
Fall. Er reichte bis Capri und Misenum und hQllte einen Umkreis von
etwa 8 d. M. Durchmesser in tiefe Finsternifs ein. Unser Gewährs-
mann erzühlt, dab ein vieltägiges Erdbeben vor dem Ausbruch in
Misenum gefühlt, aber unbeachtet geblieben war. In der Nacht vom
24. auf den 25. August nahm dasselbe derartig an Starke zu , daCs die
Bewohner vor den stürzenden Dächern ihre Zuflucht im Freien suchen
mufsten. Neue Schreckbilder erwarteten sie auf der Landstrafse. Der
Boden schwankte unter den Fttfsen , das Meer wich von der KQste
zurück und liefs sein Gelhier auf dem Trocknen. Von Osten her
drohte eine schwarze von langen Blitzen durchzuckte Wolke, näherte
sich rasch, entzog Land und Meer, Capri und das Vorgebirge von
Misenum den Blicken. Bald fiel Asche erst spärlich , dann dicht und
dichter. Tiefes Dunkel umfing die Flüchtlinge, nicht wie es bei mond-
und sternloser Nacht, sondern wie es in geschlossenem Raum nach
Verloschen des Lichts zu sein pflegt. Man hörte Weiber kreischen,
Kinder jammern, Männer lärmen: sie riefen nach Eltern Kindern
Gatten, suchten einander an den Stimmen zu erkennen. Aus Todes-
furcht erflehten einige den Tod, viele erhoben die Hände zu den Göttern,
die meisten glaubten es gäbe keine Götter mehr, die letzte und ewige
Nacht wäre über die Welt hereingebrochen. AUmälich wurde es wieder
hell, die Sonne kam zum Vorschein, aber trüb als ob sie verfinstert
wäre. Die ganze Gegend erschien verändert und von einer hoben
Aschendecke gleich Schnee eingehüllt. Das Beben der Erde hielt noch
an und das Volk halte, durch schreckende Weissagungen aufgeregt,
alle Besinnung verloren. Die Vorgänge in Misenum lassen den Jammer
und das Entsetzen ahnen, das in der unmittelbaren Umgebung des Vesuv
geherrscht haben mufs. Die pompejanischen Ausgrabungen haben viel
rührende und erschütternde Einzelheiten zu unserer Kunde gebracht.
Nach den bisherigen Funden zu schliefsent) fanden innerhalb der
Mauern Pompeji's 12—1500 Menschen den Tod durch Erstickung,
meist im Innern der Häuser seltener auf der Flucht im Freien.
Zum Schlufs stelle ich ein Verzeichnifs der für das alte Italien
bezeugten und datirten Ausbrüche zusammen , das aller Wahrschein-
1) Von 1S61 — 1872 wurden 93 Todte aurgefundeo (Fiorelli Ret p. 172)
1861—1879 ca. 150 (Ruggiero a. 0. p. 30). Wenn nun Rnggiero als Gesannt-
zaU fflr die ganze Stadt 5—600 annimmt, so beruht diese Annahme auf einen
handgreiflichen Rechenfehler.
f 6. Erdbeben. 283
Ikhkeit nach nur einen geringen Bruchtheil der in diesem Jahrtausend
vorgekommenen urafafst:
479 n. Chr. Aetna, ergielst Lava, Marmor Parium 68.
475 Aetna, ThuL ED 1 16 Find. Pyth 1 , 21 Aesch. Prom. 367.
470 (ea.) Aenaria, Strabo V 248.
456 Aetna, Sage von den frommen BrQdern (S. 280) Stob.
FloriL 79, 38.
426 Aetna, verwüstet das Gebiet von Katane, Thuk. III 116.
396 Aetna, ergiefst einen Lavaslrom ins Meer, Diod. XIV 59
Oros. II 18, 6.
350 (ca.) Aenaria, grober Ausbruch, Strabo V 248.
330 (ca.) Hiera, grolser Ausbruch, Arist Met. II 8, 19.
269 Rocca Monfina (?), Oros. IV 4, 4.
215 Ausbruch im Meer, Liv. XXIII 31.
183 Entstehung von Volcanello, Oros. IV 20, 30.
141 Aetna, Obs. 23.
135 Aetna, Obs. 26 Oros. V 6, 2.
126 Aetna, Oros. V 10, 11 Obs. 29.
— Lipara, Oros. V 10, 11 Obs. 29 vgL S. 251 A 4.
122 Aetna, zerstört Katane, Oros. V 13, 3.
91 V. Chr. Aenaria, Obs. 54.
90 Hiera, Plin. II 238.
50 (ca.) Aetna, Petron. 122, 135.
44 Aetna, grober Ausbruch, Verg. Georg. 1 471 dazu Serv.
36 Aetna, Appian b. civ. V 114. 117.
40(ca) n.Chr. Aetna, Sueton CaL 51.
79 „ n Vesuv, groGser Ausbruch, S. 281.
202 Vesuv, Dio LXXVI 2.
472 Vesuv, grober Ausbruch, Marceli. Comes (Migne LI
p. 931) Procop b. Goth. II 4.
512 Vesuv, grober Ausbruch, Cassiodor Var. IV 50.
§6. Erdbeben. t)
In den Vulkanen haben wir Bildner des Landes kennen gelernt,
ihrer zerstörenden geht noch immer eine schaffende Thätigkeit zur
1) IL E. A. von Hoff, Geschichte der durch Ueberlieferung nachgewiesenen
oatürlichen Veranderangen der Erdoberfläche, 5 Bande, Gotha 1822—41; die
beiden leisten enthalten eine Chronik der Erdbeben und Vnlkanausbrflche.
J. Roth, Aber die Erdbeben, Berlin 1882 (Heft 390 der Virchow-Holis. Vortrage).
284 Kap.YL Der Ynlkanismas.
Seite. Nicht schaffend, Dur zerstörend zeigt sich eine andere weit
furchtbarere Naturgewalt, welche als der tückischste Feind die ärgste
Geifsel des Südens angesehen werden muTs. Das Erzittern der Erd-
oberflache ist ja auch in Deutschland kein unerhörtes VorkonunniTs,
unseren Vorfahren im Urwalde gerade so gut bekannt wie der mit den
empfindlichsten Apparaten beobachtenden Gegenwart. Aber irgend
welche Bedeutung im Volksleben kommt dieser Erscheinung im Norden
nicht zu. Wie so ganz anders, wenn wir die Verwüstungen ins Auge
fassen, welche dieselbe die letzten hundert Jahre in Italien angerichtet
hat! Das Erdbeben von 1783 raffte in Bruttium an 100 000 Menschen
hin, das von 1818 zerstörte Catanea, 1857 kamen in Lucanien an
40000 ums Leben, 1870 wurde Cosenza mit seiner Umgebung schwer
heimgesucht. Nur die gröfseren Katastrophen dringen zur Kenntnifs
des übrigen Europa; geringeres Unheil wird kaum im Lande selbst
beachtet. Am häufigsten wird Cosenza mit seiner Umgebung er-
schüttert: z.B. wurden 1871 an 86 Tagen Erschütterungen verzeichnet
und im September 1872 schrieb ein Gelehrter jener Stadt an G. vom
Rath : „kein Tag vei^eht jetzt ohne einen stärkeren Stofe.*^ Das beutige
Calabrien ist wol das bedrohteste Land Europa's und hat sich schwer-
Uch in früheren Zeiten gröfserer Sicherheit erfreut. Die antike lieber-
lieferung behandelt dasselbe besonders stiefmütterlich: darum läfst
sich aus ihrem Schweigen keinerlei Schlufs ziehen. Selbst in denjenigen
Perioden wo sie verhältnifsmäfeig reichUch fliefsl, ist ihr Augenmerk
last ausschliefsUch auf die Zerstörungen gerichtet, welche Weltstädte
wie Antiochia Rhodos Smyrna Byzanz zu erleiden hatten. Wir hören
auch nur durch Zufall dafs Campanien im Ruf häufiger Erscbflttanang
stand. 0 Aber ttbertiaupt wurde die Appenninhalbinsel nebst Siciäen
so oft betroffen, dafs man wenig Aufhebens von der Sadie machte:
was sich in der That leicht begreift, da z. B. 1874 nicht weniger ab
725, 1876 gar 1273 Erdstöfse von den geschärften Sinnen unserer
Tage in diesem Lande bemerkt worden sind. Die griechische Wissen-
schaft hat Ursache und Wirkung mit Eifer und Erfolg zu ergründen
gesucht, audi Verzeichnisse der in Hellas beobachteten Erdbeben an-
gelegt Die Römer erkannten darin ein unglflcUiches Wahrzdcben,
bemühten sich durch Opfer und Gebete den Zon der Gottheit zu be-
scliwichligen. Die Italien betreffenden Nachrichten sind deshalb in der
Regel nur dem Aberglauben zu verdanken, welcher einen Zusammen-
U Seoeca Mtar. «pnest VI 1, 2 Pub. Ef.VI 30« 1.
S 6. Erdbeben. 285
haog mit nachfolgenden historischen Ereignissen zu erkennen wähnte. ^)
Ihre Sammlung gewährt ein noch unvollständigeres Bild als bezüg-
lich anderer Naturerscheinungen der Fall war. Trotzdem wird eine
Chronik der Erdbeben hier am Platze sein :
461 V. Chr.
Rom, Liv. III 10.
436
Umgegend Roms, Liv. IV 21 Oros. II 13,8.
396
SicUien, Oros. II 18,6.
268
Picenum, Oros. IV 4,5.
217
Viele Städte Italiens zerstört, Liv. XXll 5 Plin. 11 200
Cic. de div. I 78.
193
Häufige Erdstöfse, Liv. XXXIV 55.
192
Rom an 38 Tagen, Liv. XXXV 40.
179
Rom, Liv. XL 59.
174
Verwüstung im Sabinerland, Liv. XLI 28.
118
Rom, Obs. 35.
100
Verwüstung in Picenum, Obs. 45.
99
Nursia, Obs. 46.
97
Pisaurum, Obs. 48.
92
Faesulae, Obs. 53.
91
Mutina und Regium verwüstet, Obs. 54 Plin. II 199.
76
Reate zerstört, Obs. 59.
63
Spoletium zerstört, Obs. 61 Dio XXXVII 25.
49
Rom, Dio XLI 14.
47
Rom, Dio XLII 26.
44
Rom häufig, Obs. 68.
43
Rom, Dio XLV 17.
17
Appennin, Obs. 71.
5 n. Chr.
Rom, Dio LV 22.
15
Rom, Dio LVII 14.
37
Capreae, Suet. Tib. 74.
51
Rom häufig, Tacit Ann. XII 43.
63
Pompeji zerstört, Sen. nat quaest. VI I Tacit A. XV 22.
68
Rom, Suet. Galba 18.
68
Mamicinerland, Plin. II 199.
217
Rom, Dio LXXVIII 25.
223
Rom, Chron. pasch. I p. 499 Ronn.
1) Sogar PliD. 11 200 erklärt alles Ernstes: numquam urbs Roma tremuit,
ui non futuri eventuM alicuius id praenuntium esset
286 Kap. VI. Der Tulktnismns.
241 Verbreitetes Erdbeben, lul. Cap. Gord. 26.
262 Rom, Treb. PoU. Galt. 5.
345 Verwüstong in Rom und Campanien, Hieron. 2362.
365 Sicilien und andere Küsten verwOstet, Hieron. 2382
▼gl. Clinton fast! Rom.
394 Verschiedene Gegenden Europa's, Marc. Comes (Migne LI
p. 920).
Nach dieser Uebersicht, so unvollständig sie auch ist, bleibt kein
Theil Italiens vom Erdbeben verschont Die Alten lassen die Küsten
besonders heimgesucht sein^): die Ansicht erkärt sich daraus dals es
hier am entsetzlichsten wütet, wenn das Heer plötzlich viele Meter
über seinen gewöhnlichen Stand anschwillt und Tausende unversehens
mit sich fortreifst. Doch wufsten die Allen recht gut dafe auch Alpen
und Appennin oft erschüttert würden. Nach neueren Reobachtungen
pflanzen sich die Schwingungen eines bedeutenden Rebens über ein
Gebiet von 60 — 80000 und mehr Quadratmeilen fort Die Form des
erschütterten Rezirks ist entweder kreisförmig elliptisch (centrales
Erdbeben) oder langgezogen gürtelartig (lineares Erdbeben). Regreif-
licher Weise sind die Stöfse in der Nahe des Ausgangs- oder Mittel-
puncts am stärksten und verderblichsteo. Die heutige Wissenschaft
führt dieselben auf zwei getrennte Ursachen zurück, insofern sie einer-
seits mit den vulkanischen Erscheinungen io Zusammenhang stehen,
Ausbrüche einleiten oder begleiten (vulkanische Erdbeben), anderer-
seits durch Spannungen, welche die dauernde Raumverminderung der
festen Erdkruste hervorruft, bewirkt werden (tektonische Erdbeben).
Der ersten Art sind die Erschütterungen zuzuschreiben , von denen
die Umgebungen von Aetna Vesuv Vultur Albaner Gebirg sowie die
Liparen häufig betroffen werden. Aber auch die tektonischen Erd-
beben treten in der Nähe des Rereichs der Vulkane in Rruttium Sicilien
Lucanien am furchtbarsten auf. Die Alten unterschieden bereits eine
doppelte Rewegung : ein von unten nach oben gerichtetes Aufstofsen
(succussio), eine horizontale Schwingung durch welche die Oberfläche
wie das Meer vom Winde erregt wird (tWtna/to). Die Wirkungen der
succussorischen und undulalorischen Rewegung sind freilich nach
heutigen Erfahrungen die einen gerade so schlimm wie die anderen.
Neben beiden wird dann noch das harmlose Erzittern {tremor terr^)
1) Seneca nat quae8t.VI 23, 4 Plin. U 194.
§ 6. Erdbeben. 287
als dritte Gattung des Erdbebens hingestellt. <) Ueber kein Kapitel der
Geologie ist in alter und neuer Zeit so viel geschrieben worden 2):
U'otzdem ist keines von gleichem Dunkel erfüllt. Die heutigen Theorien
berühren sich vielfach mit den antiken , aber halten ebenso wenig wie
diese Stand. Nach Aristoteles soll das Erdbeben an bestinmite Jahres-
uDd Tageszeiten (Frühling und Herbst, Nacht und Hittag) gebunden
sein: die Regel bewflhrt sich nicht Ferner galt junger Alluvialboden
für gefährdeter als gewachsener Fels: ohne Zweifel hängt die Fort-
pflanzung der Schwingungen von der geognostischen Beschaffenheit
ab, werden z. B. die Orte wo verschiedene Bodenarten sich berühren,
an den Berührungslinien die gewaltsamsten Stüfse erfahren ; aber für
manche Ausnahmen, fast möchte man sagen Willkürlichkeiten der
Naturkraft fehlt annoch die Erklärung. Die von den Alten ausge-
sprochene Ansicht dafs Brunnen Hohlen oder Schachte als Abieiter der
Erschütterung dienen, die darüber errichteten Gebäude schützen^), be-
haoptetsich noch jetzt imVolksglauben und kann vollkommen richtig sein.
Desgleichen wird die Wahrnehmung dafs ein heftiges Beben sich über
eine längere Zeitdauer, 40 Tage sogar 1 — 2 Jahre erstreckt, durchaus
bestätigt. Was aber die Anzeichen betrifft, aus denen man seinen
bevorstehenden Eintritt erkennen wollte. Wind Wolken Meer und
Brunnen, und was die darauf begründeten Weissagungen betrifft, so
werden die bezüglichen Nachrichten mit äufserstem Mifstrauen aufzu-
nehmen sein.
Durch diese jählings hervorbi*echende Gewalt ist der Volksgeist
in eigentümlicher Weise beeinflufst worden. „Alle Zeugnisse unserer
Sinne — sagt A. von Humboldt^) — haben den Glauben an die Un-
beweglichkeit des Bodens, auf dem wir stehen, befestigt. Wenn nun
urplötzlich der Boden erbebt, so tritt geheimnifsvoll eine unbekannte
Naturmacht als das Starre bewegend, als etwas Handelndes auf. Ein
Augenblick vernichtet die Illusion des ganzen früheren Lebens . . .
Das Erdbeben stellt sich als etwas Allgegenwärtiges Unbegrenztes dar.
Von einem thätigen Ausbruchskrater, von einem auf unsere Wohnung
gerichteten Lavastrome kann man sich entfernen , bei dem Erdbeben
1) Seneca a. O.VI 21, 2 Aristot. Meteor. II 8, 15 de mundo 4.
2) Ausfflhrlicbe DarsteUongen sind erhalten von Aristoteles Meteor. II 7. 8,
Seneca nat. qnaest.VI (durch das campanische Beben von 63 veranlafst), Pli>
nius U 191—200 AmmianXVU 7.
3) Plin. U 197.
4) Kosmos I 224.
288 Kap. VI. Der Volkaaismas.
glaubt man sich überall, wohin auch die Flucht gerichtet sei, über dem
Herd des Verderbens. Ein solcher Zustand des Gemüts, aus unserer
innersten Natur herrorgerufen, ist aber nicht von langer Dauer. Folgt
in einem Lande eine Reibe von schwachen ErdstOfsen auf einander,
so verschwindet bei den Bewohnern fast jeghche Spur von Furdit**
Die griechische Wissenschaft hat eine rationelle Erklärung gesucht und
bald in diesem bald in jenem der vier Elemente den Ursprung zu
finden geglaubt. Ihre Theorien blieben auf den kleinen Kreis der
Gebildeten beschränkt und nehmen für unsere Aufgabe kein besonderes
Interesse in Anspruch. Diesem ausgdireitetsten unentrinnbaren gie-
rigen gemeinschädlichen Unheil, wie Seneca es bezeichnet, gegenüber
vermochte die Philosophie nur vereinzelten freien Geistern Trost zu
bringen. Es nährte und nährt den Wunderglauben der Südländer io
hervorragendem Mafse. Merkwürdig yne auch hier die verschiedeae
Anlage des Griechen und Römers getrennte Wege eingeschlagen hat.
Jenem hiefs der Urheber Poseidon der allgegenwärtige bewegende, der
alle Landfesten tosend umbrandet. Dieser stand dem Leben des Meeres
zu fern um einen solchen Zusammenhang anzuerkennen, hielt sich an
das Zeugnifs seiner Sinne dafs die Erde bebt, aber getraute sich nicht
zu entscheiden , ob die Bewegung von der empfangenden Mutter ob
von dem zeugenden Erdgott ausging. Deshalb brachte er si deo si deae
die schuldige Sühne dar ohne Namen zu nennen und verwandte diese
Umschreibung nach Art eines festen individuellen Begriffs, i) Die
grübelnde Theologie der Etrusker beutete dies Feld mit Eifer aus
und behauptete den Ruhm Erschütterungen voraussagen zu können.^
Nähere Nachrichten besitzen wir nur von dem Erdbeben, welches am
5. Februar 63 n. Chr. Campanien heimsuchte und dessen ZerstürungeD
an den aufgedeckten Ruinen Pompeji's noch jetzt deutlich verfolgt
werden können. Im Uebrigen bleibt es uns überlassen an der Hand
neuerer Erfahrungen die wortkarge Ueberlieferung zu ergänzen, den
menschlichen Jammer auszumalen, den die Berichte der heuttgen
Reisenden wenigstens zum Theil enthüllen.
§7. Hebung und Senkung.
Die Alten hatten erlebt, dafs das Erdbeben Bergwände ins Thal
herabstürzte, blühende Küstenstädte spurlos verschwinden machte.
1) Gellius N. A. II 28 vgl. Pomp. Studien p. 332.
2) Cicero de divio. I 35.
( 7. Hcbnng und Senkung. 28^
Sie trauten dieser Naturkraft ^le au&erordentUclißten LeistuDgfui zu.
Ihr legten lUe gnechiscben Seefahrer die TreupungSicilieDs und I^liepf
(S. 96), die Losreilaung l8c)iia'8 und Procida's von Cao^paDien (S. 266
k.2)im; ja Strako ist geneigt die Entstehung sammtUcher in Land*
nähe befiiidUcher Inselq auf dieeelbe W^ise zu erklären ^), wie schon
vorbar Piaton den Untergang der Atlantis und Andere ähnliche Zer*
Störungen efU/irt hatten. Man kann die Anschauung dßr Alten vom
Kampf des Festen und Flüssigen eine dramatische nennen : ein einz^er
Moment, Tag und Stunde führt den grojD^rtigsten Wechsel berhtei-
Gerade so haben sie auf Justoriscbero Gebiet die weUhewegei^clen
Neuerungen, die Erfindung von Sprache und Staat, von Ackerbau
Handwerk und Schrift als das Werk weiser gottbegnadeter Ifäfiner
hingestellt, unftihig diese Errungenschaften auf die Arbeit zal^lloser
einander ablösender Geschlechter ^urttickzufuhren, den unendlich
langen Gang des Werdens mit ihren Gedanken zu geleiten. Unsere
Erfahrung reicht weiter, wir wissen mit den hundertfachep Zeit- ^nd
Raumgröfsen zu rechnen als sie unsei*en Lehrmeistern geläufig waren.
Aus den Scliöpfungstagen der Legende sind Aeonen geworden und die
Schöpfung setzt sich auch in der Gegenwart ununterbrochen fort.
Nach 0. Peschels Worten „ruht auf dem Antlitz unseres Planeten noch
nicht eine tüdtlicbe Erstarrung, sondern es verändert noch fortwahrend
seine Züge, insofern die Umrisse der Insehi und Festlande beständig
schwanken, hier sich verkürzen, dort sich ausdehnen, und zwar mit-
unter so beträchtlich, dais sich schon in historischen Zeiten vieles
anders gestaltet hat.^ Die dramatische Auffassung des Altertums von
den Umwälzungen der Natur hat ihre GeUung eingebüfst. Wol ver-
zeichnen unsere Annalen manch traurigen Tag, an dem die Flulen
gesegnete Gaue von vielen Meilen Umfang in ihr nasses Grab gezogen
haben. Allein diese Daten bezeichnen nur den Schlufs eines lang ein?
geleiteten unmerkliche Zenstftrungswerks: mit Erfolg greift die See
nur sinkendes Land an« Das Sinken oder Aufsteigen einer Küste er-
reicht nach den vorbandenen Messungen kaum einen Meter im Jahr-
hundert — man hat deshalb den Kunstansdruck ,^eculare Hel>Qng und
^nkung'^ dafür gewühlt — ; immerhin mub es im Lauf der Zeiten
^« grOfstßn Veränderungen herbeiführen. Audi auf Italien hat es seit
dem Altertum einen beachtenswerten flinflufs geübt.
Nirgends tritt uns derselbe sinnlich greUbarer entgegen als in dem
1) VI 258. Plat Tim. 25 G.
KiM«a, Itol. UadMlcuade. I. 19
290 Kap. VI. DerTalkinismiu.
sog. Serapistempel von Puteoli, welcher neuerdings als Macellum oder
Fleischmarkt gedeutet wird. Die drei aufrechten 12,50 m hohen Säulen
aus karystischem Marmor stehen mit ihrem Fufs im Wasser: der See-
spiegel ist mithin gegenwärtig bedeutend hoher als er bei ihrer Er-
richtung war. Und doch hat er sich seit dem 16. Jahrhundert ansehn-
lich erniedrigt; denn bis zur Hohe von 6,30 m ist der Stein von Bohr-
muscheln (modiola Uthophaga) angefressen und hat denselben geraume
Zeit als Herberge gedient, während das untere Stock bis 3,60m von
Tuff und Asche, die vermutlich von Ausbrachen der benadibarten
Solfatara herrührten , eingehüllt war. Die vulkanische Beschaffenheit
der Landschaft hat offenbar an dieser auffälligen Bodenschwankung,
einer Senkung im Hittelalter, die mindestens 8 — 10m betrug, einer
darauf folgenden Hebung von 6 m, ihren Antheil gehabt. Indessen
handelt es sich keineswegs um eine vereinzelte Thatsache: der ehe-
malige Molo von Puteoli, ein gewöhnlich den Nymphen zugeschriebeDer
Tempel, femer ausgedehnte Villenanlagen bei Baidi Bacoti liegen
gleichfalls unter Wasser und daraus erhellt unzweifelhaft, dafs die
ganze Küste von Puteoli bis Misenum gesunken ist Ein anderes
Senkungsgebiet haben wir am Nordrande der Adria kennen gelernt
(S. 201). Die lockere Beschaffenheit des Schwemmlandes konnte viel-
leicht geltend gemacht werden um das Einsinken der venetischen Küste
zu erklären: aber für das gegenüber liegende Istrien, an welchem
dieselbe Erscheinung wahrgenommen vrird, trifft solcher Gesichtspunel
nicht zu. Ucberhaupt fehlt es annoch an ausreichenden Beobachtungen
um die Ursache der auf- und abschwebenden Bewegung der Küsten
bestimmen zu können. Nur so viel steht fest dafs die widerstrebenden
Kräfte einander das Gleichgewicht halten , dafs dem Sinken des einen
das Steigen des anderen Landes entspricht. Ein aufsteigender Bezirk
zieht sich quer duixh das Mittelmeer von dem karthagischen Gebiet
über Sidlien Sardinien Gorsica bis zu den Küsten Liguriens und Galliens
hin. Sicilische Häfen altberühmten Ansehens sind in Folge dessen
versandet oder gar landfest geworden.^) Panormos (Ganzhafen) führt
seinen Namen nicht mehr zu Recht: die beiden Meerarme, welche 1 km
und tiefer eindringend ihm denselben verliehen, sind verschwunden
und der Strand schiebt sich zusehends weiter hinaus. Der Hafen von
Drepana Trapani, in welchem 249 v. Chr. grolse Kriegsflotten manO-
vriren konnten, hat gegenwärtig kaum ein paar Fufs Wasser und es
1) Theobald Fischer, Beitrftge p. 11 fg.
f 7. Hebung und Senknng. 291
scheint daÜB der Grund innerhalb dieses Jahrhunderts um mehrere
Meter gewachsen sei. Der Canal, welcher die Inselstadt Motye S. Panta-
leooe von Sicilien trenot, war in den Kämpfen des Dionys gegen Karthago
für Schiffe schwersten KaUbers zugänglich und wird jetzt mit Wagen
durchfahren : seine Tiefe hat sich demnach von 5 m oder mehr auf
V4 m vermindert. Die Küsten von Latium und Etrurien sind in raschem
VorrOcken begriffen, das schwerlich allein aus den Anschwemmungen
der Flüsse erklärt werden kann. Die Wichtigkeit der Aufschlüsse,
welche die Ortskunde im Einzelnen aus dieser secularen Bewegung
gewinnt, braucht hier nicht betont zu werden. Dagegen mag es ge-
stattet sein mit einem allgemeinen Rückblick zu schliefsen. Wir lernten
die ereignifsvolle Bildungsgeschichte Italiens kennen : das Urgebirge
ward zertrümmert und verschlungen, dann ist eine Hebung um 400 m,
soweit die Tertiärformation reicht, gefolgt, der Schutt der Alpen und
dieThätigkeit der Vulkane schufen die Ebenen, auf denen die historische
Stellung desLandes beruht. Die im Bereich unserer Erfahrung liegende
Bewegung der Küsten liefert den Mafsstab um Jenen sovielgrofsartigeren
Wechsel zu begreifen. Und indem wir die unscheinbare Arbeit der
Naturkräfie belauschen, die Gegenwart an eine nahe und eine weit
entrückte Vergangenheit anknüpfen, schütteln wir die Träume der
Kindheit ab, halten uns berufen in die Ratschlüsse des Erdgeistes ein-
geweiht zu werden, mindestens befolgt deren Gesetzmäfsigkeit ahnend
nachzuempfinden.
19»
KAPITEL VII.
Die Appennlnflllsse«
Die Wiege unserer Civilisation hat an Flossen gestanden. Weno
wir die Elemente der heutigen Bildung bis zu ihrem erkennbaren Ur-
sprung zurück Terfolgen , gelangen wir an die Ufer von Nil , Euphrai
und Tigris, Indus und Ganges, Hoangho und Jangtsekiang. Nicht als
ob die Flosse die Cultur ins Leben gerufen hütten : in Amerika ist die
Cnltur im Hochland erwachsen, hat das herrlichste Flufesystem der
Welt nicht das geringste zur Blüte menscUicher Gesittung beigetragen.
Aller Orten und von Anbeginn an ist das Menschengeschlecht eioe
fortschreitende Bahn gewandelt. Aber wol begreift man, wie in jenen
gesegneten Tiefebenen die Culturarbeit unendlich beschleunigt werden
konnte. Sie gestatteten eine aufserordentliche Verdichtung der Be-
völkerung, forderten zu durchgeführter Arbeitstheilung auf, begOnsti^-
ten die Errichtung eines grofsen Staatswesens, weckten mit ihren
Ueberschwemmungen und Wasserstrafsen den Scharfsinn und die Er-
findungsgabe der Anwohner. Derart vollzog sich die gründlichste Ab-
kehr vom natürhchen Dasein des Jägers und Hirten , ward die Herr-
schaft des Geistes auf immer gefestigt. Mit schwerer Einbufse jedoch:
seiner angeborenen Freiheit ging der Mensch hier ganz verlustig, wani
dem unerbittlichen Vorurtheil der Kasten, dem Joch einer scheulsUchen
gottverblendeten Autokratie überantwortet. Die potamische Phase in
der Entwicklung der Alten V^elt ward sodann von der thalassischen
abgelöst. Das Mittelmeer trat an die Stelle der Ströme, Gebirgsländer
an die Stelle der Tiefebenen , Stfldte an die Stelle der Landstaaten.
Republiken an die Stelle der Despotien. Zur See hat keines jener
Culturreiche seinen Namen durch Grofsthaten verewigt: die See ver-
langt bdierzte Männer, Kühnheit mufs sich mit Klugheit paaren dem
der sich ihren Wogen anvertrauen will, die See ist jederzeit eine hobf
Schule der Völkerfreiheit gewesen. Von den Phoeniziern begründet,
§ 1. JKe Thäügkeit des Wassers. 29S
iiard das neue Priodp von dea Helienen am reinsten ausgeprjlgt. Die
Natur des heUenischen Landes verhinderte dessen politische Einigung.
Meer und Hochgebirg hatten auf eng begrenztem Raum alle Formen
ihrer Gestaltungskraft erschöpft. Wie eine FOlle von Mikrokosmen
lagen Thfllei* und Eilande da, nur das allumbssende Meer schützte sie
?or dem Erstarren in der Vereinsanrang, trug Leben und Anregung
voD Gestade zu Gestade, verband die zerstückelten Tbeile zum natio*
nalen Ganien. Auch Italien ist den Fahnen der Freiheit gefolgt, hat
seinen Nacken unter die orientaUsche Despotie erst gebeugt, als es
matt and kraftlos in langen Schlaf versank, hat veijüngt alsdann im
feudalen Europa Autonomie und Bürgertum, Kunst und Wissenschaft
zu einer BIttte entfaltet, die an den Glanz von Hellas gemahnt. 0 Das
Land der hundert Stfidte heifst es seinen beutigen Bewohnern und ist
Kam stadiischen Regiment bereits in einer Epoche übergegangen,
welche hinter aller Ueberlieferung ßiUt. Der Wettstreit der Städte um
Vorrang und Herrschalt erfüllt die italische wie die hellenische Ge-
schichte. Es gelang Rom, woran Athen Sparta Theben gescheitert
waren, ein ganzes Land in den Rahmen seiner Verfassung einzufügen,
auf der Basis einer Macht, die an Breite und Sicherheit bisher uner-
reicht geblieben war^), den Erdkreis sich zu Füfsen zu legen. Die
Einigung der Appenninhalbinsel im dritten Jahrhundert v. Chr. ent-
behrte freilich der Weibe, welche die Schöpfung des heutigen National-
staats zu einem Act geschichtlicher Gerechtigkeit stempelte. Die
römische Hegemonie ruhte nicht auf Gemeinschaft von Sprache und
Abstammung, ruhte einzig und allein auf Gemeinschaft der materiellen
Interessen (S. 58. 69). Wer über die Ursachen von Roms Grölse nach-
«lenkt, wird gern das tiefe Wort 0. Peschels wiederholen: ^hoher als
alle Umrisse von Land und Meer, als das höchste sogar müssen wir die
That verehren.^ Aber zugleich wird er sich der Einsicht nicht ver-
schliefsen , dals die Natur ehedem einen ungleich stärkeren Einflufs
auf die Geschicke der Völker übte als gegenwärtig, dafs keine That*
kraft ausgereicht hatte Rom den Primat zu erringen, wenn sein Streben
nicht von den natürlichen Verhältnissen unterstützt worden wäre.
Diese gaben allen Nebenbuhlerinnen gegenüber den Ausschlag. Dafs
weder Sybaris noch Tarent, weder Capua noch Corfinium an die Spitze
der Halbinsel sich emporschwingen konnten, war von vornherein
1) Edward Freeman, aucient Greece and roediaevai Italy, in Historical
E«says 11 London 1S73.
2) Tac. Ann. XI 24.
294 Kap. Vn. Die AppenninflOsse.
durch die gewaltige Ueberlegenheit bestimmt, welche der Tiber vor
dem Aternus und Volturaus, dem^ Galaesos und Krathis behauptete.
Mit gutem Grund galt er den Römern als Vater und Vertreter ihrer
Stadt, als erster unter allen Flüssen; sinnYoU stellt ihn die badende
Kunst dem Nil als ebenbartigen Genossen an die Seite, iSfst den
ältesten dem jüngsten und letzten Weltstrom seine Huldigung dar-
bringen. ^ Das Flufssystem der Halbinsel fesselt uns nicht durch die
Grofsartigkeitder Erscheinungen, welche wir imPoland kennen gelernt
haben : statt dessen tritt seine historische Bedeutung in den Vorder-
grund. Dem heutigen Beschauer wird dies nicht ohne weiteres klar.
Der Wert der Vergünstigungen, den die Flüsse dem Altertum darboten,
ist seitdem vielfach abgeschwächt, ja aufgehoben und in das gerade
Gegentheil umgewandelt worden. Deshalb erscheint es angemessen
die Veränderungen , die dieser Factor erlitten , im Zusammenhang zo
betrachten.
§1. Die Thätigkeit des Wassers.
Arno Tiber und andere Appenninflüsse schieben ihre Mündungen
zusehends ins Meer vor und füllen die bogenförmigen Buchten mit
ihren Schwemmstoffen aus. Indessen hat sich das Binnenland in
historischen Zeiten nicht minder verändert als die Küste. Unter allen
Formen seiner Erscheinung bekundet das Wasser eine unversühnlicbe
Feindschaft gegen die Erdkraft, arbeitet unablässig daran dessen Ge-
bilde zu zerstören. Es fehlt uns jeder Anhalt um die Tuffmasse weiche
alljährlich vom Albaner Gebirg (S. 261), oder das GerOU das vom
Appennin abgespult wird, annähernd zu schätzen. In Folge der Heftig-
keit der Niederschläge mufs die Abschwemmung seit je einen hohen
Grad erreicht haben : aber nachdem die Wälder gefallen und die Hänge
ihrer schützenden Vegetationsdecke beraubt sind , nimmt sie riesen-
hafte Verhältnisse an. Der 5 — 6 km breiten Kiesbetten im Ostlichen
Venetien haben wir S. 195 gedacht. Im südlichen Bruttium kommt
auf jede Meile Küste eine 1 km breite von Steinschutt erfüllte Fläche.
Fiumara heifst ein solcher Trockenbach den jetzigen Bewohoem,
tarreni hiefs er ihren Vorfahren.^) Eine anschauliche Schilderung giebt
Th. Fischer von den Fiumaren des nordöstlichen Sicilien^): „ihr Beit
1) Preller, Myih.' p. 5t0fg.
2) Plin. XXXI 53 pierumqu« vero dmnnosi iarreniei eonrioaniur äetrßcU
eolHbus Milva eontinere nimbos ac digerere consueta.
3) Beiträge p. S.
I 1. Die Thatigkeit des Wassere. 295
ist an der Maadung oft über einen Kilometer breit und in demselben
windet äch ein dünner Wasserfaden, der meist bald nach dem Winter-
regen YöUig verschwindet und in der Tiefe fliefsend das Meer erreicht.
Es bildet eine sanft geneigte schiefe Ebene, die tief in das Herz der
Berge eindringt und auEser nach grofsen Regengüssen den bequemsten
Fahrweg ins Innere bietet. Die Hauptschlucht, in die schon vorher
andere eingemündet, endet meist plötzlich vor steilen Wanden, ein
Saumpfad setzt den bisher bequemen Fahrweg fort und in tiefen
Spalten, den gewalligen Krallen eines Ungeheuers gleich, reifsen die
Regengüsse das lose Gestein von den steilen Hängen. Ganze Berg-
hänge setzen sich dann in Bewegung und strömen flüssig geworden
mit furchtbar verwüstender Kraft dem Meere zu. Oft durchbrechen
sie die in neuester Zeit notgedrungen in ihrem Unterlauf geschaffenen
Dänune und Mauern und füllen die Agrumengärten mit Schutt und Ge-
röll. Einzelne Fiumaren arbeiten einander von der Meerenge und vom
tyrrhenischen Meer her entgegen: einem gewaltigen Wasserfalle gleich,
nur mit unendlich gröfserer Geschwindigkeit schreiten sie rückwärts,
jede Regenzeit nähert sie einander mehr und in wenigen Jahrzehnten
werden sie bei Messina den Gebirgskamm ganz durchsägt haben.'^
Die alten Römer zügelten die Wildwasser mit starker Faust wie nur
immer Venezianer und Lombarden (S. 213). Aber die meisten jener
endlosen Reihe von Flüssen , die vom Var und Rubicon bis zum Faro
hinunter gezählt werden, haben durch die Raubgier und den Un-
verstand des Menschen ihre Freiheit zurück erlangt Hit dem Ueber-
mut entlaufener Sklaven zerfleischen sie die Brust der mütterlichen
Erde und richten die Gefilde , auf denen einst hundertftiltiger Weizen
sprofs, ihrem treuen Verbündeten dem bleichen Fieber als Heim-
stätte ein.
Durch die Thatigkeit des Wassers ist das Relief des Landes
verflacht worden : zur Römerzeit ragten die Berge höher hinauf und
vor allen Dingen schienen sie so, weil die Thäler tiefer eingeschnitten
waren. Von der Bedeutung des Capitob z. B. gewinnt der Beschauer
erst dann einen klaren Eindruck, wenn er sich von dem heutigen um
13 m aufgefüllten Boden auf die aufgedeckten Straben des alten
Forums hinabbegeben hat Durch den Bauschutt den die Jahrtausende
in Rom angehäuft, sind die natürlichen Verhältnisse vielfach bis zur
Unkenntlichkeit verwischt worden. Freilich kann das Beispiel einer
Stadt, in welcher ein Kehrichthaufen von fast 1000 Schritt Umfang
bis zur Höhe von 35 m (M. Testaccio, 50 m ü. M.) emporgewachsen
296 Kap. Vn. Die ^penninflikBse.
ist, Dicht als aUgemeine Norm dien^. Aber aueh anderswo ist die
Erhöhung des Bodiens recht ansehnlich : sie betragt z. B. hn Mittel
2 tai für AriminUm und Ravenna, 1 — 2 m für das Arnothal, 4 m für
die Flur von Arretium, 1 — 2 m fUr die atlf elftem ROcken laufende Via
Appia in der römischen Campagna ; bei neuiereh Eisenbahhbauteü ist
man gelegentlicYi iil 8 ni Tiefe auf das Pflaster römischer Landstrafsen
gestofeen. Es würde wehig fruchten weiteres Material beitubringen,
da bei der unabsehbaren Menge der m Betracht kommenden örtlichen
Bedingungen ein faßlicher Mittelwert doch schwer geftiiiden werden
könnte. Die angeführten Daten genügen um eine ohnehin einleuch-
tende Thatsache zu erläutern. Die Erd- und GeröDmassen, welche
der Regen in die Ebene hinab in das Meer hinäfus schafft, erschöpfen
den yom Gebirg erlittenen Verlust noch nicht. Verborgen wühlt in
seinen Eingeweiden der unerbittliche Feind und setzt sein Zerstömngs-
werk auch hier fort. Auf die Dauer widersteht kein Gestein den An-
griffen des Wassers, der Kalkstein föllt ihm seiner Lösbarkeit wegen
als leichte Beute anheim. Man nhnmt an da(^ von der Snrnme der
Niederschläge ungefähr ein Drittel sofort verdtinstet, ein z'weites ober-
flächlich abfliefst , das letzte einsickert. Der Kalkboden läfst die Feuchtig-
keit ungehindert durch, bis eine Sättigung der unteren Schichten ein-
tritt oder bis undurchdringliche Schichten wie Thon ein weiteres
Sinken verwehren. Die Trockenheit der Oberfläche, den Wasserreich-
tum der Tiefe haben wir schon S. 224 als charakteristische Merkmale
de^ Appennin kennen gelernt. Die unterirdischem Behälter lassen nicht
ihren ganzen Vorrat dem Lande zu Gute kommen. Wie schon den
Alten bekannt, brechen nicht selten mächtige Quellen unWeit der
Küste aus dem Meer hervor, die auch gelegentlich gefafst worden sind:
ein Zeichen der langen und launenhaften Wege, welche dasGrond-
wasser einschlägt. Auf seiner Wanderung laugt es das umschHefsende
Gestehi aus : die Appenninquellen und -flüsse besitzen durchweg einen
starken Kalkgehalt; wir gedachten bereits S. 263 der ungeheuren
Travörtinlager, welche aus den Niederschlägen desselben hervor-
gegangen sind. Diese chemische Erosion wird die Ursache bedeutender
Veränderungen auf der Oberfläche: sie bewirkt Erdfälle, vielleicht
auch Erdbeben. Wenn die Träger in den grofseu Hohlräumen schliefs-
lich so weit zernagt sind dalb sie den auf ihnen ruhenden Druck nicht
länger aushalten, mufs notwendig ein Einsturz statt flnden. Ein an-
schanliches Beispiel gewährt der Pozzo di Antutlo zwei Stunden vod
Alatri im Hernikerland: eine Einsenkung von 400m Umfang und 60 m
§ 1; Die TMtiglreit des Wassers. 297
Tiefe, dereü senkreckte M^äade mit Triopfeteing^dbiMen bedeckt sind.
Solche Einstürze sind in nelHeren Zeiten ab und su if^rgekommen, von
den Alten als Wunder betrachtet uad tn ihren Annalen ab solche ver-
zeichnet wbrden.O I^ Sage ton dem fcrdspalt auf dem Forum, der
sich plötzlich 0Ah)et und ab der beste romische Ritter in Wehr und
Wafflen hineinspringt, von den rersöhnten Gottern nieder geschlossen
wird, mag eine ähnliche Tbatsache zu Grunde liegen. So bildete
sich iin 1. 185% auf der Ebene von Lagopuezo (bei Leprignano zwischen
Rom und detoi Söfacte) unter heftigem Getöse und Ausströmen von
Gds eine kreisförmige Einsenkung von 100 m Durchmesser und 30 m
Tiefe, die von Wasser angefttUt war. Dafs derartige Znsamtnenbt<ache
die Umgebungen ebenso gut ersichQttern wie das Rollen eines Last-
wagens oder der ScUag ehies Dampfhammers, liegt auf der Hand.
Aber vh die hervorgenif)enen Schwingungen stark genug sind die
Wirkungen €nnes Erdbeliens auszuQben, mnfs dahingestellt bleiben,
bis die einander bekämpfenden Schulen sich versöhnt liaben werden«
Den Nepfnnisten ^U der Efdfall als Ursache, den Phitonisten als Folge
eines Erdbebens : sie werden wol alle beide Recht haben. Von den
trichterförmigen Erdf^lllen sind die Bergschlipfe zu unterscheiden,
welche in allen Gebirgsiändem , von Erdbeben freien wie damit be-
hafteten, Unhefl genug anrichten. Sie ereignen sich nach anhaltenden
Regengüssen, indem der Druck des Wassers in den Spalten eine stark
geneigte OberfUlclienschicht lockert und schliefslich absprengt. Das
alte 1747 aufgefundene Vekia lag am nördlichen Fufs eines steilen aus
Sand^ein und schiefrigem Mergel bestehenden Rergs, der sich^seitdem
in zwei Gipfel gespalten hat (M. Moria und M. Rovinazso), da die Mitte
in wiederholten Fällen die Stadt etwa 6 m hoch verschflttete. Dies
scheint in der letzten HäMle des dritten Jahrhunderts n. Chr. geschehen
zu sein. kt& dortiger Üegend werden auch verschiedene neuere Berg-
stOrze gefiäädet, so dafe der Appennin bei Piacenza und Modena be-
sonders geflSAn^det erscheint.
Nach dem Gesagten begreift man ohne weiteres , dafs der land-
schaftliche Schmuck, den der Appennin in seinen See hecken be-
sitzt, unrettbar dahin sdiwindet. Man kann dies vom aestfaetischen
Gesichtspunct aus bedauern , im Hinblick auf die öffentliche Wolfahrt
nur wiHkMimen heifsen ; denn stehende Gewässer erzeugen im Saden
gemeininn durch ihre Ausdünstungen schlechte Luft. Durch die Ab-
1) Liv. XXX 2. SS XXXn 9 Obs. 27. 36. 38. 50 n. a.
298 Kap. VII. Die Appenninflasse.
leitung von Seebecken sind ja ttberhaapt die inoeren Gebirgsthäler
wie die Flufslltufe ursprünglich entstanden : Qberall zeigen uns Klausea
oder Flufsengen an , wie das Wasser seine Bahn durch die Felswände
hindurch genagt und damit den Seeboden trocken gelegt hat Die
Arbeit alle Aushöhlungen einzuebnen setzt es rastlos fort und hat durch
den Menschen unterstützt seit dem Altertum bedeutende Erfolge erzielt
Von dem Eifer und dem Geschick des Menschen die Naturkräfle seinen
Zwecken dienstbar zu machen hängt das Schicksal vieler Gegenden ab.
Denn manche Einsenkungen entbehren des natttrlichen Abflusses: ob
auch die Schwemmstoffe von den Bergen den Grund fortdauernd er-
höhen, so wird der See damit nur verschlanunt und in einen Sumpf
verwandelt, welcher auf künstlichem Wege ausgetrocknet werden muk
Oder die Flüsse selbst verstopfen ihr Bette, das von Zeit zu Zeit der
Reinigung bedarf. Sobald die menschliche Fürsorge nacbläfst, geht
der gemachte Gewinn der Cultur wieder verloren, viele Errungen-
schaften der Alten sind in der Not der Zeiten wirklich eingebfilst
worden. Aber trotz der bedeutenden Schwankungen im Wasserstand
hat die Trockenlegung des Landes unleugbare Fortschritte gemacht
Der grölste See des Appennins der Fncinus nahm bislang im Mittel
eine Fläche von reichlich 2 Vs d. DM. 145 Dkm ein und trat gelegent-
lich weithin über seine Ufer. Kaiser Claudius bat ihn durch einen
Tunnel von 5640m Länge, den längsten den die Welt bis zur Durch-
bohrung des M. Cenis im J. 1870 gekannt, zu bändigen und auf einen
bescheidenen Umfang zu beschränken versucht Das Werk gelang nur
zum Theil, geriet später in Verfall aber ward von der modemea
Technik 1855 aufgenommen und in zwanzig Jahren zu Ende geführt.
Von dem nämlichen Los ist der zweitgrofste See der Halbinsel, der
über 2 d. DM. 120 Dkm haltende TrasimmHi bedroht So anmutig
und gefiillig er sich dem Auge darbietet, *so wenig Nutzen bringt er,
verpestet vielmehr den spärlichen Anwohnern die Luft Sein Wasser
ist auf Verdunstung angewiesen , da ihm wie dem Fucinus der Abfluß
fehlt Im 15. Jahrhundert oder noch frtüier ist an der SOEcke ein
unterirdischer Stollen gebrochen worden , ohne unseres Wissens be-
deutendes auszurichten. Da aber die höchste Seetiefe auf 7 m ver-
mindert ist, erscheint das Gelingen, wenn mit den wiederholt auf-
tauchenden Frojecten der Entleerung Ernst gemacht wird, in sicherer
Aussieht zu stehen. Eine ganze Anzahl kleiner Seen sind im Lauf der
Zeiten verschwunden wie der See von Baccano (S. 260) Gabii (S. 260),
der lacui RegiUus und Yadmonit, der hau Umher bei Aaisi (§ 3) usw^
I t. Die Tbitigfceit des Wassers. 299
andere wie der schoo erwsbnte /actis CfmtHiics (S. 258) tiefer gelegt
worden. Leuchtende Vorbilder spornten zu derartigen friedlichen
Eroberungen an : ich meine weniger das gigantische Werk des Kaisers
Qaudios als die mit den geringeren Mitteln des alten Bttrgertums aus-
geftlhrteA Aii>eiten wie die Emissäre des Albaner Gebirgs (S. 261), die
Abzugsgräben in den Maremmen (§ 2) oder den Durchstich, durch
den Curius Dentatus aus dem ca. 1 d. D M. grofsen versumpften Hoch*
thal von Rieti einen herrlichen Garten schuf (§ 3). Aber die Halbinsel
war durch die Barbarei des Mittelalters ungleich mehr betroffen
worden als das reiche Poland, um so früh wie dieses und in solchem
Stil die Lehren der Vergangenheit beherzigen zu können (S. 213).
Sie wurden allein in derjenigen Landschaft, welche die edelste Geistes-
blate der Neuzeit entfaltet hat , befolgt und bethätigt. Die Toscaner
schreiben ihren etruskischen Vorfahren die Meisterschaft in der Wasser-
baukunst zu: es dürfte schwer sein solche patriotische Ansprüche vor
strengen Richtern zu beweisen. Ohnehin strahlt das Verdienst dieses
begnadeten Stammes hell genug um auf den erborgten Ruhm der
Ahnen füglich Verzicht leisten zu können. Das alte Etrurien war
gröbtentheils im Lauf der Zeiten eine Beute des Fiebers geworden :
um Höllenqualen zu versinnUchen erinnert Dante an den Jammer, der
dasChianathal und die Seeküste in den Sommermonaten erfüllt. 0 Nach
vielen vergeblichen Versuchen dem Land seine frühere Gesundheit
zurück zu verschaffen hat Torricelli dasColmatensystem erdacht,
welches segensreich gewirkt hat und noch wirkt. Nach diesem Ver*
fahren werden die Flüsse in die Sümpfe hinein geleitet, festgehalten
bis ihre festen Bestandtheile niedersinken und damit gezwungen den
Boden planmXfsig zu erhohen. Derart wurde im Laufe des vorigen
Jahrhunderts unter Fossombroni's Leitung das Chianathal geregelt
(§ 2), ein Strich von mehr als 20 d. Q M. von der bOsen Luft befreit.
Alsdann hat die tdscanische Regierung ihre Anstrengungen auf die
berüchtigten Maremmen gerichtet: nach und nach sind in diesem
Jahrhundert mehrere Quadratmeilen Acker und Weide gewonnen
worden. Auch die Niederungen nördlich vom Arno wurden durch
kunstvolle Anlagen entwässert.
t)lDfenio29,46 quäl dolor fora, se degH MpedaH
äi Faldiehiana tra' l btgUo e l »eUmbre,
e äi Maremma e äi Saräigna i maU
fouero in una fatsa futtt intembre;
tal era quivi, e tal pu%%o n' tuciva,
quäl Muole uietr äolle marciU membre.
SOO Kap. VII. Die AppeDninflflsse.
Die Aken gteltteii die Flflsse ab Stiere dar.^ Ein tiefeiniiiger
Mythus erzählt, ^ie der Flufsgott Acheloos in wediselnder Erschdnung
als Stier als Sehlange als Mensch mit Stiergesicht um die aetolische
Königstochter ^irbt , wie Herakles in gewaltigen Ringen den UnhoM
zwingt auf die Braut zu Terziohten und als Sieg«spreis das "Nllbora
der Amalthea auszuliefern. Das durchsichtige Gleichnife druckt den
Kampf menschlicher Einsicht gegen die wilde Natnrmacht aus, tob
dessen Ausgang der Besitz und das Gedeihen des Landes abhängt: in
ähnlichem Sinne hahen bereits alte Erklärer sich ausgesprochen.')
Der Mythus ward von Pindar und Sophokles besungen'), fand im
Westen so allgemeinen Eingang, dafe einige dreifsig Städte Siciliens
und Unteritaliens das Bild des Flul^ttes auf ihren Münzen wieder»
holten.'*) Das Gepräge erinnerte sie an die eigenen Kämpfe, an die
Mühen welche die heimische FInr erheischte. Während frommer Glaube
den starken Herakles als Held nnd Erretter, als Wolthäter des Bauern
pries, weifs die menschliche Sage an seiner Statt gelegentlidi einen
weisen Mann zu nennen. So hat Empedokles Selinont von ▼erderb-
licher Seuche befreit, indem er zwei Flflsse in den nahen Snmpf leitete,
damit die Ausdünstungen und die durch sie heryorgerufene Erankheit
bannte. &) Die Städte haben in ältester Zeit vor den grofsartigstea
Arbeiten nicht zurückgescheut um die Niederungen bewohnbar z«
machen : davon legt die Cloaca maxima zu Rom ein redendes ZeugDifs
ab. Die Flüsse wurden dienstbar gemacht dem Ackerbau und Verkehr,
jedoch nicht ohne ihren Herren sitete Sorge und Not zu bereiten.
Mufsten sie während der Trockenheit das umliegende Land aus spar*
hchem Vorrat tränken, so rüttelten sie zur Regenzeit um so heftiger »d
ihren Fesseln.^) Die Losung derWasseriragen hielt die Gesellschaft in
1) Fest. p. 363 M taurorum tpecie simulacra ßuminum id rst cum eorm-
bus formantyr quod nmt airwsia Mi tauri,
3) Strtb. X 458 Dtod. IV 35 Eustath s. IMon. Per. 431.
3) Schol. 2. II. XXI 194 Soph.Tracb.509fg.
4) Preller Gr. Myth. II 244 fg. mein Templom 132.
5) Diog.Laert.Vin 70.
6) n.V 87 von Diomedes:
9vvB yag Sfi nföiov nora/jup n^Si^vtt ioixw^
XBifmQQi^, oaz' äxu ^iwv ixiöaca ye^pag'
xbv 6^ ovT* dp T€ y^vQtu h^^Uveu iaxfcvowciv,
^X&ovT^ i^nlvrig, ox* imßplcg Aioq Sfißgog'
TiokXa 6 vw' ovrov f(>ya xati^^ne xdX* al^ijwv.
§ 1. Die Thäiigkeit des Wassers. 301
andauernder Spannuag. Das Wort nvaUi das den Wasseroaohbar den
TbeHnehmer an der nttmlichMi Leitung bezeichnet , fofart schon bei
den Komikern die uns geläufige Bedeutung des Nebenbuhlers in der
Liebe. 1) Und wie die Gutsnachbarn über die Nutzung ihres Baches,
so haben Municipien Landschaften Staaten alter wie neuer Zeit über
die Regelung der Flufsläufe mit einander in Streit gelegen. Die Lösung
der Aufgaben wurde durch den Fortgang der CuUur nicht erleichtert,
vielmehr erschwert. Allerdings war die ungleichmäbige Vertheilung
der Niederschläge auf die Jahreszeiten in allgemeinen terrestrischen
Verhältaissen begründet. Aber ohne Zweifel sind in einem bewaldeten
Lande die Sommer weniger trocken ak in einem waldlosen und ist
durch unablässige Rodung der Gegensatz zwischen Dürre und Regen-
periode allffiälich verschärft worden. Ein noch gröfseres Uebel als
durch die Steigerung der Extreme von Hoch^ und Tiefstand wurde
durch die GeroUmassen herbeigeführt, welche das Wasser zu Thal
schwemmte, seitdem die Gehänge ihres durch den Forst gewährten
natürlichen Schutzes beraubt waren. Der heutige Reisende mag sein
Auge an den purpurnen Farben weiden-, in welche die Sonne die
nackten Steinwände des Appennin taucht; bei näherer Erwägung fühlt
er sich au dem Geständnils gezwungen, dafs die Cultur hier ihr eigenes
Grab gegraben hat Mit der zunehmenden Altersschwäche erlahmt die
Kraft des Römertums in der Behauptung des väterlichen Erbes. Der
Schutt verstopft die Wasserläufe , die Flüsse versumpfen ihre Thäler,
die Malaria rückt Yon der Küste ins Innere , steigt aus dem Grund die
Httgel hinan : in emsiger Stille wird das Leichentuch gewoben für
Etrurien und Latium, ApuUen und Grofsgriechenland. Wir werden in
anderem Zusammenhang ausführlich darzustellen haben, wie in einem
Gebiet von mindestens 400 d. DM., in denjenigen Landschaften,
welche an der Gulturarbeit des Altertums den hervoiTagendsten Antheil
genommen , die Herrschaft des Menschen vom Fieber gestürzt ward.
Um den Anfang unserer Zeitrechnung wird von sacbkandigen Be-
obachtern 2) als einer der Vorzüge Italiens die Gröfse und Menge seiner
schiffbaren Flüsse hervorgehoben, die an der ganzen Küste die Ausfuhr
uttd den Umtausch der Bodenproducte erleichterten. Von vielen der-
selben wird die Schiffbarkeit aufserdem bestimmt beaeugt. Heutigen
Tages besitzt die Halbinsel keine einzige Wasserstrafse, welche für den
1) Die eigentliche Bedeuton; Dig.XUU tit 20 und 2t, atU.XlVl,4.
2) Dion. Hai. I 37 Strab. VI 286.
802 Kap. TIL Die AppenniBflAsse.
Verkehr wesenüich in Betracht kftme. Um die Vergangenheit zu Ter-
stehen , wird man stets eingedenk bleiben müssen , daüs dieser Mangel
nicht in natürlichen , sondern in künstlich geschaffenen Verhältnissen
wurzelt *)
§2. Die Flusse des Nordens. 2)
Wir folgen dem Gang der Küste, an der IVestgrenze beginnend
und fassen in diesem Abschnitt die Ströme Liguriens und Etruriens
zusammen bis zu dem die Mitte der Halbinsel beherrschenden System
des Tiber, welches im nächsten beschrieben werden soll. Der Yarw
Var trennte an seiner Mündung Italien von Gallien, durcbflofs aber
im übrigen die Provinz der Seealpen (S. 79). Von der Quelle am
Camaleone (S. 146) bis zur Mündung zwischen AntipoUs Antibes und
Nicaea Nizza mifst er 160 km, nimmt die Abflüsse der Seealpen links
Tinea und Vesubia rechts Esterone auf. Sein breites zahlreiche Werder
einschliefsendes Bette wird überall ohne Mühe durchwatet, reicht aber
nicht aus um die Wassermasse in der Regenzeit zu fassen. Es ward
bereits S. 230 bemerkt dafs das Gebirge welches den ligurischen Busen
im Bogen umzieht, hart an die Küste herantritt: die letztere ist Yom
Kamm höchstens 36 km, stellenweis nur 4 — 5 km entfernt Damit ist
schon gesagt dafs von Flufsbildung keine Rede sein kann. Auf der
200 km langen Strecke vom Var zur Macra werden an 60 grüfsere
Giefsbache gezählt, die alle mehr oder weniger jenen S. 294 dargelegten
Charakter von Fiumaren bekunden. Der Fremde in Nizza verwundert
sich dafs der kaum 25 km lange Palo oder Pauh^) Paglione über 300m
sein Bette ausbreitet und von starken Schutz wehren eingedämmt ist;
trotzdem bricht dieser armselige Bach nicht selten verheerend aus
seinen Schranken. Unsere Gewährsmänner erwähnen den Rutubä
Roia, der nach einem Lauf von 58 km jetzt Osthch von AWwn Inii-
mtlmm Ventimiglia mündet, ehedem westlich mündete^) ; den kleinen
Menda (16 km) jetzt Merla Meira Mele oder Andora mit gleichnamigem
1) Lnigi Debartolomeis, oro-idrognfia deU' Italia und Amati, diziooario
eorografico der Mailinder Eneydopaedie. Die Gröfsenangaben sind den neae-
aten Berechnungen des statistischen Burctns (Annnario statistico italiano II,
Roma 1881) entnonunen.
2) Repetti, diiionario geografieo fisico atorico deUa Toscana 6B. Florem
1833 fg.
3} Entere Form Plin. DI 47 leUtere Meia II 72.
4) PUn. DI 48 Lncan D 422.
I 2. Die Flüsse des Nordens. 808
Vorgebirge und HafeD; westlich bei Genua den 49 km messenden
P&reoberu Polcevera^, Ostlich bei dieser Stadt den 23 km langen Fertor
Bisagno, beide recht unbequeme Nachbarn. Wie S. 231 gesagt, bildet
der Maera den natürlichen Abschlufs Liguriens und bildete auch nach
der Eiotheilung des Augustus die Grenze gegen Etrurien. Er mifst
65 km und nimmt in seinem Unterlauf rechts den Boactes Vara auf.^)
Nach Lucans Zeugnifs war er seicht und für Kahne unzugänglich.
Seine Schwemmstoffe haben die ganze Ebene, in der Luna lag, ge-
schaffen und werden jetzt durch die westhche Strömung in den partus
lunae Golf von Spezia geschleppt, wo die Einfahrt zwischen der Insel
Palmaria und Portovenere schon völlig versandet ist. Die Malaria, welche
vereinzelt bereits an der Riviera begegnet, tritt hier in stärkerem
Grade auf um fortan mit wenigen Ausnahmen die ganze Küste der
Halbinsel zu begleiten.
DevÄmus stellt die Lebensader des modernen Toscana dar^); der
Aufschwung von Florenz wurde durch den Umstand begünstigt dafs es
an der grofsen Strafse von Rom nach Deutschland belegen war. Die
Bedeutung dieser Linie datirt aus dem Mittelalter. In älteren Jahr-
honderten richtete sich der Hauptverkehr der Halbinsel von Rom nach
der PomOndung und lief naturgemäfs über den umbrischen Appennin,
ao dessen Fufs die Römer ihre ersten transappenninischen Erwer-
bungen machten, über den sie ihre erste grofse Nordchauss^e führten.
Auch in der Kaiserzeit ist der Via Flaminia durch die centralen Ver-
bindungsstrafsen kein nennenswerter Eintrag geschehen. Vor der
Unterwerfung des Polands bildete der Arno die Grenze (S. 71) und
zugleich ein Bollwerk ItaUens gegen feindlichen Angriff.^) Zwar vrird
er leicht überschritten , da das Bette harten Kiesgnind und zahlreiche
Kurten aufweist; aber zwischen dem ganzen Unterlauf und dem Gebirge
dehnten sich ungeheure Sümpfe aus , Hannibal brauchte im Frühjahr
217 V. Chr. vier Tage und drei Nächte um sie durchmessen und bei
Piesole festen Boden gewinnen zu können. Die Gründung von Flormita
im letzten Jahrhundert der Republik bezeugt den erf<rigreicben Fort-
1) Plin. 11148 Porcifera GIL.1 199 dreimal Porcobera, dreimal Procobera.
2) Ptol.in 1, 8 Plin. m 48 Lacan D 426.
3) Dante Purgatorio 14, 16:
par me%za Toteana ii gpa%ia
un fiumicel ehe naMce in Falterana
e eento migUa di eareo nol #asia.
4) Rhein. Mus. XXII 565 fg.
804 K»p.Y|i. Süe Apyttminflaase.
gang der Urbarkeit jener Landstriche; auf die Errung^uBchaflan der
Gegenwart kommen wir im Folgenden zu sprechen« Die Qvelkn it%
Arno liegen am N. Falterona (164Sm) 3&km von denjenigen des Tiber
entfernt bei 1356 m Meeresh&be. Seine GesammtUlnge beträgt 248 km
und yertheilt sich auf mehrere gesonderte Abseimitte. Er durchfliefst
zuerst mit starkem Fall in SORiditung das Casenlino, ein frisches
gegenwärtig etwa 40000 Einwohner nährendes, im Altertum von den
umbriBchen Cagueniini besetztes Bergthal, dessen Sohle kaum Ikm
breit ist. Wo er unweit Ärreiium Arezio in freiere Gegend einUiU,
wechselt er die Richtung, fliefst nach NW im Bogen um den Stock des
Prato Magno herum (S. 232) und ist bei der Einmündung der Sieve
nahezu auf die nördliche Breite seiner Quelle zurück gek^ri. Das
Thai wird aufserordentlicb schmal, bei Incisa treten die senkrechten
Felswände hart an einander, man erkennt deutlich wie das Wasser hier
erst spät sich eine Bahn gebrochen hat. Ursprünglich war der Flufs
Yon Florenz ein viel bescheideneres Gewässer als gegenwärtig, desses
Queliarm die heulige Sieve. Dagegen der Arno strömte in seiner an-
fänglichen der Axe des Appennin sich anschlieCsenden Richtung fort
und vereinigte sich bei Orvieto mit dem Tiber, dem er wenig nach-
stehen mochte. Wir sahen S. 232 dals eine tiefe Einsenkung das
eti*urische Hügelland vom Stamm des Gebirges sdieidet Dieselbe Tvird
durch ein Thal von etwa 40 km Länge 9 km Breite gebildet, welches in
zwei Armen ausläuft. Der Ostliche endigt mit dem grofsen einge-
schlossenen Becken des Trasimenus (S. 298), der westUche wird durch
die kleinen Seen von Montepul&iano uud Ghiusi fortgeseUt, senkt und
verengt sich alsdann, stöfst bei Orvieto mit der Paglia , 6 km daraui
mit dem Tiber zusammen. Die gesammte Entfernung von hier bis zum
heutigen Arno betjrägt reichlich 100 km. Der Trasimenus wie die Sees
bei Ghiusi sind als Ueberbleibsel eines grofsen Binnensees zu be-
trachten , der einstens die Niederung einnahm und sich erst zu eqt-
leeren begann , nachdem das Wasser bei Incisa ei,nen neuen Ausweg
nach Norden gebahat hatte. In Folge dieses Durchbruchs bietet sich
hier das selten vorkommende Beispiel der Verbindung zweier getrennter
Stromsysteme; denn eine natürlich^ Wasserscheide zwischen Tiher
und Arno fehlt durchaus, künstlich ist daeselbe ^in ansehnliches Stück
verschoben worden. Im Altertum ging der Ha«ptabflufe des Chiana-
thals durch den Clanis in den Tiber. Um die Hochflut von Rom abzu-
wehren wurde 15 n. Chr. im Senat der Vorschlag erörtert jenen in
den Arno abzuleiten; die Florentiner widersprachen und es bUeb beim
f 2. Die FlOsM des Nordens. 806
Alten. 0 D^ Streit bat sich in Mittelalter und Neuzeit fortgesetzt, an
eine VentXndigung war nicht zu denken , da jeder der beiden Staaten
das Wasser des mittleren Gebiets dem Nachbar zutreiben woUte und
das einst wie jetat so lachende Thal von Arezzo und Cortona ward
durch die Ablagerung seiner Bäche in einen scheubliGben Sumpf um-
gewandelt, den alte Karten ton Arezzo bis Chiusi sich erstrecken lassen.
Endlich hat Toscana sich selbst geholfen, durch Colniate 1 Vs d. DM.
ausgefüllt, eine halbe Milliarde Cubikmeter Erde tlber einen Raum von
200 Dkm abgelagert, eine regelmäfsige Neigung des Bodens nach
Norden hergestellt (S. 299). Dabei wurde die Wasserscheide um 48 km
weiter nach Sflden gerückt alssie noch 1551 gewesen war. Der ganze Lauf
vom See von Montepulcianö bis zum Arno ist eingedeicht und schiffbar;
die aus dem See von Ghiusi zum Tiber abfliefsende Chiana kann nur
»ir Winterzeit befahren werden.
Von der Kbuse hei Incisa nordwärts fliebend, vereinigt eich der
Arno mit der die umgekehrte Richtung einhaltenden 62 km langen
Sieve^ die aus dem Mugello^) kommt, und wendet sich fortan direct
nach Westen dem Meer zu. Bei Florenz öffnet nach Pigtaria Pistoia
hin ein weites Thal von ca. 18km Breite 40km Länge, durchflössen
vom Ombrone (Umbro?) und Bisenzio {Yiienius?). Der Arno mifst
bei dieser Stadt 210 m Breite und windet sich 15 km unterhalb durch
die Enge der Golfolina. Dieser Durchbruch wie derjenige von Incisa
wird Yon der toscanischen Tradition als ein Werk von Menschenhand
betrachtet: so augenscheinlich hat er die Austrocknung des Florentiner
Thalkessels veranlagt Wenn man ihn künstlich abdämmte, so würde
der See sich wieder herstellen lassen: wirUich hat im 14. Jahrhundert
der mächtige Castruccio Castracani von Lucca den Plan gehegt die
schone Anioetadt derart zu ersäufen, zum Glück aber keinen geeigneten
Leiter des Unternehmens gefunden. Jenseit der GolfoUna mündet
links die westlich von Siena entspringende 74 km lange Elsa ein. An
der Nordseite öffnen sich die Kessel von Peseta und Lucca zwischen
dem M. Albano und den Monti Pisani (S. 232). Am Ausgang des
ersteren lag der jetzt ausgetrocknete Sumpf von Fucecchio, an dem
von Lucca der See von Bientina. Die pahu Blentina wird erst im
Mittelalter, nicht im Altertum erwähnt; sie liegt tief (SVsm über dem
Meeresniveau) und fand nur im Sommer leichten Abflufs sowol nach
1) Tac Ann. I 76. 79 TgL Dio LVII 14.
2) Der Name des Thals steht schon bei Procop b. Goth. Ol 5.
Nitten, itaL Lftndetkuide. L 20
306 Kap. VII. DieAppenDinflusM.
dem Arno als dem Serchio hin. Aber das Hochwasser überschwemmte
eine Flache von 2 d. D M. Durch grofsarüge Arbeiten , namentlich
einen unterirdischen unter das Amobett hindurch getriebenen Stollen
ist neuerdings ein directer Abflufs gesichert und damit der See aus-
getrocknet worden. Man nimmt an dafs der See erst seit römischer
Zeit entstanden sei: vermutlich ist er ehemals vom Serchio durch-
strömt worden. Bei der Einmttndung der von Volterra kommenden
40km langen Era tritt der Arno in ein weites Marschland (6 d. DM.)
hinaus. Die Anschwemmung hat dasselbe bedeutend TergrOfsert: Pisa
war nach Strabo 20 Stadien d^/s km, ist jetzt 10 km Tom Meer ent-
fernt; seit 1080 (der Gründung von S. Rossore) ist die Küste ca. 5 km
vorgerückt. Ehedem mündete der Autor (Auierf Ausurf) Serchio bei
Pisa in den Arno ein.^) Aus dem Thal von Garfagnana führt er ziem-
lich betrflchtliche Niederschläge der Apuaner Alpen und des Appennin
ab (S. 232), ist aber auf seinem ganzen 110 km langen Lauf nicht
schiffbar. Bei Luca in die Ebene tretend hat er sein Bette oft ge-
wechselt Schon im Altertum erregte seine Vereinigung mit dem Arno
Bedenken; im Mittelalter hat er freiwillig oder gezwungen eine eigene
Mündung ins Meer weiter nordwärts gefunden. Uebrigens mündete
auch der Arno zu Strabo's Zeit in drei Armen aus und es wiederholen
sich in diesem Delta alle jene Aenderungen, die wir in grofserem MaTs-
stab an der venetischen Küste kennen gelernt haben (S. 200). Der
tmtu Pisanus, wie er gelegentlich heifst^), ist in Folge dessen ver-
schwunden.
Auch die übrigen toscanischen Flüsse haben rüstig geschalR. So
der Caedna Cecina^ welcher 78 km lang südlich an dem Hügel tod
YoUUerrae vorbeüliefst und dieser alten Stadt einen Zugang zum Meer
eröffnet. Der Name des Hafens Vada Vokterrana deutet die BeschaOeo-
heit der Gegend an^): wir denken an Flufshiifen der Nordsee, wenn
vnr die anschauliche Schilderung der Einfahrt lesen , wie das schmale
Fahrwasser mit schlanken Baumstämmchen abgesteckt ist, deren Krone
in die Augen Mt. Der hier befindlichen Salinen wurde S. 107 ge-
dacht. Durch Colmate ist diese Niederung neuerdings sehr gehoben
worden. Das nämliche gilt von den Niederungen der 63 km langes
Comia, welche das Vorgebirge von Populoninm mit dem Festland ver-
1) Strab.V 222 Avoag Plin UI 50 Juser RuUl. Nam. I 5G6 jiuMtir,- de mir
aase 92 Gregor. Magn. Dial. UI 9.
2) Tac. Bist. 111 42.
3) Raul. 1453 fg.
§ 2. Die FlüBse des Nordens. 807
binden. Im Altertum war das Band zwischen beiden viel schmaler:
yon Soden her drang ein Meerbasen mit dem Hafenori Faleria oder
Fabna ein 0, der seitdem versumpft und grofsentheils ausgetrocknet
ist. Ein noch ansehnlicherer Gewinn ist in dem Golf gemacht worden,
welcher halbkreisAlnnig zwischen den Vorgebirgen von Troia und
Telamon eindringt. Man verdankt ihn dem Umbro Ombrone, dem
zweitgrOfsten Flufs Etruriens. Derselbe entwässert den Süden des
toscanischen Hügellandes, ein Stromgebiet von 4200 Dkm (76 d. DM.)
erreicht mit seinen vielen Windungen eine Länge von 166 km. Der
sichere Hafen an der Mündung virird gerühmt. 2) Nördlich von dem-
selben lag im Altertum der laeu$ Prtlius eine Lagune mit Insel^):
der versumpfte See von Castiglione;, welcher 1828 eine Fläche von
95 Dkm einnahm und seitdem durch Einleitung des Ombrone aus«
geftlUt worden ist. In den Golf von Telamon , welcher von dem Vor-
gebirg dieses Namens und dem stolzen mans Argentarius (636 m) ein-
gefafst wird, ergiefst sich der kleine (ha sowie nach einem Lauf von
70 km der AUnnia Albegna. Die Bildungsgeschichte der Maremmen
tritt uns hier recht anschaulich entgegen. Zwei 6 und 8 km lange
Nehrungen haben die ehemalige Insel Argentario an das Festland ge«
knüpft und eine noch jetzt etwa 29 Dkm haltende Lagune abgetrennt.^)
Zwischen beiden springt eine dritte von den Fluten zerstörte Nehrung
vor, deren äufserste Spitze das Städtchen Orbetello einninunt mit
antiken Mauern : den Namen den die befestigte Ortschaft im Altertum
führte, wissen wir nicht. Die Lagune, welche nunmehr auch ihrer
Austrocknung entgegen sieht, diente bislang als ergiebigstes Aalrevier
wie die von Comacchio (S. 207). Früher war dies auch mit den zahl-
reichen anderen Lagunen dieser Küste der Fall und die Klöster Tos-
cana's als Besitzer wachten mit Argwohn über ihrer Erhaltung. Es
liegt nahe anzunehmen , wird auch ausdrücklich bezeugt^), dafs die
Römer die Strandseen gleichfalls als Fischbehälter ausnutzten. Aber
im Uebrigen scheuten dieselben keine Anstrengung um die Gegend
1) Rntil. I 371 erstere, It. marit. 501 Wess. letztere Form; nördlich von
Piombino.
2) PliD.11151 Umbro nam'giorum eapax; Rutil. 1 337
non est ignobile flumen
quod iuio trepidas excipit are ratet.
3) Cic. pro Mil. 74, It. Ant. 292 lt. mar. 500 Wcss. locus ApriUt^ Plin. a. 0.
amntM Prile.
4) Xtpivo&dXatxa Strab. V 225.
5) Rutil I 378.
20*
808 Kap« Vn. Die Appenninflüsse.
gesund zu erhalten: Spuren davon sind bei den neueren Arbeiten
yerschiedentlich aufgedeckt und verwertet worden. In der Nldie des
bereits im 4. Jahrhundert n. Chr. veriassenen Cosa ist zur Austrock-
nnng des Sumpfs von Burano ein antiker Emissar wieder in Thätig-
keit gesetzt Es folgt der Lago della Bassa 89 Dkm, völlig auf-
getrocknet, dann die Mttndung des Armine oder Annenia Fiora.i)
Dieser Flufs am M. Amiata entspringend bildet die ungefthre Grenie
des vulkanischen Gebiets (S. 257) und erreicht eine Länge von 80 km.
Endlich sei der Abflub des Sees von Bolsena Maria (75 km) und der
Mumo Mignone (65 km) erwähnt Als Rutilius 416 n. Chr. an diesen
Kasten hinführ, war der sttdliche Strich bis zum Argentario beretts
verfiebert. Dagegen ist der Haupttheil, die toscanische Maremma erst
im Lauf des Mittelalters mit der fortschreitenden AusfaUung und Ver-
sumpfung der Lagunen dem fürchtbaren Feind zum Opfer gefallen.
Das Bild welches der Dichter in bezaubernder Anmut uns aufrollt, hat
in der Gegenwart vfele Züge eingebOfst Es fesselt noch immer durch
seine kohn aufstrebenden Vorgebirge Inseln und Klippen , aber die
geschwungenen Strandlinien sind abgeflacht, die zahllosen Strandseeo
verschwunden. Die ThStigkeit der Flüsse hat das Festland auf Kosten
des Meeres um einige Quadratmeilen vergrOfsert.
§3. Der Tiber.«)
Der Name Tiberis (amnis Tiberinusj Tevere) bedeutet wahrschein-
lich Bergstrom. 3) In ältesten Zeiten soll er AUmla gelautet haben und
nach dem albanischen König Tiberinus, der in seinen Fluten den Tod
fand, umgetauft worden sein.^) Man darf annehmen dafs dieser an-
1) Amine oder Armine It marit 499, Artnenta tab. Peot geogr. Rav. Goido.
2) Reiche Litteratur s. saggio di bibliografia del Terere in BoU. d. Sodeti
geogr. 2. ser. I p. 253 fg. Roma 1876. Ich erwihne das HanptweriK: Ghieaa t
Gambarini, delle cagloni e de' reaiedi delle inondaiioni del Terere, della somni
difficoltä d'introdaiTe nna felice e stabile naTigazione da Ponte Nuovo aotto
Perugia sino alla foce della Nera nel Tevere, e del modo di renderlo naTiga-
bile dentro Roma. Roma 1746, fol Linotte in Giom. arcadico Xül XlVfg.
Ponii eb. GLXIV i- N. S. XVIIL Anbert eb. GGXI i- N. S. LXVL Betocehi
in Atti d. acc dei lincei n.A. Strother A. Smith, the Tiber and its triboU-
ries, their natural hiitory and dassical assodations. London 1877.
3) Vgl.7V&«rnnd, da lat 6— osk. f, Tifemus (mons, amnii) Tifemum
Tifata. Varro LLV29 erkl&rt den Namen fflr unlateiniach.
4) Varro LL. V30, Lir.I 3, Featns ep. p. 4. 366, Plin.in 53, Verg. Aeo.
Vm 332 Georg. IV 369, SiL lt. Vm 457, Oy. Fast R 389, Dion. Hai. I 71 n. A.
i 3. Der Tiber. 809
gebh'ch nrsprttnglicbe Name einem anderen (sabinischen?) Dialekt
aogebOrt. Auf die Farbe ist derselbe nicbt zu beziehen ; denn dem
gelben Tiber würde wenigstens in seinem Unterlauf die Bezeichnung
weifs, hell gar schlecht anstehen. Aber wir sahen bereits S. 140, dafs
die Wurzel aß das Hohe, weithin Sichtbare bedeutet und damit drückt
iiMo, unserem Elbe Elf entsprechend, dasselbe wie Tiber aus, den aus
den Bergen kommenden, den Flufs. Seine Quellen liegenjam Zusammen«
stofs des etniskiscben und umbriscben Appennin (S. 233) im Gebiet
der Sudt Arretium unter 43<> 46' n. Br. 29» 45' 0. L. 1167m über
Meer, seine Mündung in Latium 41 <> 44' n. Br. 29 <> 53' 0. L. Die Lange
betragt 393 km, reichlich das anderthalbfache der directen Entfernung.
Plinius rechnet unterhalb des Clanis nicht weniger als 42 Nebenflüsse,
die jedoch durchweg nur als Bache gelten können; nach solchem Mafs-
Stab lassen sich im Ganzen 87 namhaft machen. In Wirklichkeit
jedoch empfilngt der Tiber nur 4 bedeutende Zuflüsse, deren Scbifibar-
keit ?on den Alten bestimmt bezeugt wird : Tinea Clanü Nor Anio.^)
Lombardini berechnet das Stromgebiet oberhalb Roms auf 16,721 Dkm
304 d. DM.: wenn man das untere Gebiet, femer wie notwendig
(S. 304) das toscanische Ghianathal hinzufügt, so wird die für das
Altertum gültige Ziffer auf ungefthr 340 d. D M. erh<dit Das Gebiet
umfafet das Ostliche Etrurien Umbrien die Sabina und Latium. Die
genannten Landschaften waren von Natur auf den Flufs als Handels-
strafse, auf Rom als Absatzmarkt für ihre Producte hingewiesen.
Die natürliche Abhängigkeit erklart, warum sie dem Vordringen
Roms nur einen geringfügigen Widerstand geleistet, warum ihre
Treue in den schwersten Krisen des italischen Bundes nicht ge-
wankt hat
Der Lauf ist durchweg von Nord nach Süd gerichtet; man kann
drei Abschnitte in demselben unterscheiden. Der Oberlauf ca. 120 km
lang folgt der SO Streichung des Centralappennin und wird nach 0
Ton diesem, nach W von einer gegen das Ghianathal abfallenden
ParaUelkette eingefafst. Bei S. Sepolcro 320 m ü. M. tritt der Flufs in
eine fruchtbare amphitheatralisch geformte Ebene von ca. 20 km Lange
und 5 — 6 km Breite, ein ehemaliges Seebecken : das umbrische Tifer-
mm Tiberinum Cittä di CasteOo war der Hauptort dieser Gegend. Der
jüngere Plinius, der hier ein Landgut besafs, hat eine anziehende
Schilderung derselben gegeben (Kap X 7) ; er bezeugt dafs die Erträge
i) StnboV235.
810 Kap.Vn. Die AppenniDflflBse.
des Ackerbaus im Winter und Frülqahr nach Rom verschifft wurden.^)
Unterhalb Tifernnm bildet der Flufs die Grenze Etruriens gegen
ümbrien, später gegen die Sabina; er behauptet sein Grenzamt bis io
die Nahe Roms auf einer Strecke von ca. 240 km. Das Thal verengt
sich stellen weis 'sehr stark; man zählt auf der Strecke von Tifernam
bis Perusia 4 eigentliche Flufsengen. Das GefUle ist beträchtlich: bei
Ponte S. Giovanni amFufs des Stadthttgels von PeriMta Perugia hat der
Tiber schon 166 m Meereshöhe erreicht. Nunmehr empfängt er seinen
ersten gröfseren Zuflufs. Nach SO nämlich öffnet sich das Hauptthal
Umbriens anfänglich 8, dann 4 km breit, ca. 60 km lang, mit 264 Okm
Flächeninhalt. Ein reicher Städtekranz umgab dasselbe: Spokiiumt
Trebi, Fulginium, HispeUumy Aiiiium, Ama, Yeitona, Urvinum,
Mevania. Zu Properz Zeiten befand sich hier noch zwischen Asisi
und Bettona ein See, der lams ümhtr^ welcher unter KOnig Theoderich
ausgetrocknet ward; ein zweiter, Namens Uma CUtorm in der Nähe
von Foiigno ist ziemlich unsicher verbürgt. 2) Drei Flttsse durchströmen
dieses Thal : der Clasius Tinea und Clitumnus. Der Clanu» Ghiascio
entspringt an der Centralkette oberhalb Iguvium, fliefst nach SW,
durchschoeidet das umbrische Thal westlich von Asisi der Breite nach
und erreicht mit zahbreichen Windungen eine Länge von 86 km.
Gegenwärtig ist er unter den dreien der bedeutendste Wasserann.
Wenn er dagegen früher in den umbrischen See einmündete, so be-
greift man, dafs und warum die alten Schriftsteller ihn mit Stili-
sch weigen übergehen und statt seiner den Tinea erwähnen.') Der
Tinea Topino, 70 km lang, entspringt in den Bergen oberhalb Nuceria
und hält eine S Richtung neben der Via Flaminia inne, bis er bei
Foiigno in die Ebene hinaustritt und nun einen grofsen Bogen nach
W beschreibt. SeineSchiffbarkeitim Altertum wird bezeugt^) Endlich
kommt von S aus der Gegend von Spoleto ein ganzes Bündel von
Bächen : der gröfste ist die Maroggia ; ferner befindet sich unter ihnen
der durch den jüngeren Plinius gefeierte Clitumnus, der aus einer
t) Plin. Ep.Ve, 12 metUot ille agroi tecat navium paHens omnisque fru-
ges devehii in lirbenij hieme dumtaxat et vere; autate mmmitUhtr immett-
Hfue fluminU nomen arenU atveo deserit, autumno re$umit»
2) Prop. V t, 124 Rhein. Museum XX p. 218fg.
3) Gluver It. ant 701 hat den Namen durch Goigectur (Clans dSi Cknü)
bei SU. Ital. Vm 455 hergestellt; im Uebrigen begegnet er zuerst in mittel-
alterliehen Quellen.
4) StraboV227 iXizzoai axiiptoi xaraytov inl rbv TlßeQtr ta ix xov
nsölov.
{ 3. I>er Tiber. SU
mächtigen Quelle in der Ebene lu Tage tritt, i) In sanfter Neigung
darchaehen die Wasserlaufe ein üppiges Wiesenland, um sich erst bei
Beragna zu sammeln, untertialb Bettona mit dem Topino und bald
darauf mit dem Ghiascio zu vereinigen. Ein niedriger Rücken trennt
den letzteren vom Tiberbett; bei dem Dorf Torgiano ist der Durch-
bruch, welcher die Trockenlegung des beschriebenen Thals veranlaCst
hat Das Gesammtgebiet dieser umbrischen Flüsse wird auf 1988 Okm
(36 DM.) mit einem mittleren Abflufe von 30 Cubikmeter in der Secunde
berechnet, dasjenige des oberen Tiber bis zu ihrer Mündung auf
2918 Dkm (53 DM.).
Den zweiten Abschnitt rechnen wir von der Einmündung des
Chiascio bis zu derjenigen der Nera. Er ist 110km lang; der Fall
beträgt in der Regel 1 : 1000, doch finden sich abschüssige Strecken
von 2 bis 7 : 1000. Das Thal, anAnglich 5km breit, sinkt auf 1 km
herab. Vom Chiascio 18 km entfernt, nimmt der Tiber (157 m ü. M.)
am rechten CJfer den Nestore, einen Giefebach auf, dessen Bett sich
volle 500 m ausbreitet. Der Nestore sammelt die Abflüsse aus dem
Hflgelland zwischen Chiusi und Perugia, darunter die von N konuneode
Cina, in welche der Trasimener See durch einen unterirdischen Stollen
sich entladet (S. 298). Der Tiber fliefst in SRichtung weiter, passirt
eine Enge und langt bei Tuder Todi an. Die Strecke von Todi bis
hierher bietet für die Schiffahrt die gröCsten Hindemisse und Gefahren
dar; denn eine Reihe von Schnellen mit einem Fall bis 7,577 : 1000
lösen einander in ununterbrochener Folge ab. Hier wendet er sich
in einem engen Querthal nach W und zeigt (137 m ü. M.) das Be-
streben direct nach der See hin durchzubrechen. Allein unweit des
heutigen Orvieto, bei 96 m Meereshohe empfängt er von rechts her
seinen zweiten bedeutenden Zuflufs, den Clanis Chiana mit Pallia
Paglia und wird dadurch nach SO fortgedrängt. Der Clanis kommt von N.
her aus dem lacu$ Clusmus; wir sahen S. 305, wie die Wasserscheide
zwischen Arno und Tiber im Chianathal schwankt und künstlich ge«
regelt worden ist. Am Fuis des Stadthügels von Orvieto vereinigt er
sich mit der von W fließenden Paglia. Die letztere entspringt ao der
Gruppe des M. Amiata und wird trotz ihrer Wasserarmut im Sonuner
oftmals als Hauptstrom angesehen. Der Ganis war im Altertum schiff-
bar^; der heutige mittlere Abflufs wird auf nur 14 Cubikmeter be-
stimmt. Das Gebiet der Chiana und Paglia beträgt jetzt zusammen nur
1) Ptin. Ep.yUI 8 Säet GaL 43.
2) Plin.in53 StraboV235.
812 Kap. Vn. Die AppenninilflsBe.
1332 Dkm (24 DM.), im Altertum nahezu das Doppelte. Fortab
übernimmt der Tiber zu seinem bisherigen Grenzamt ftlr eine geraume
Strecke auch dasjenige vulkanisches und appenninisches Gebiet yon
einander zu scheiden (S. 255). Die Entfernung von der HUndung
der Chiana bis zu derjenigen der Nera mi&t 47 km, mit ziemlich regel-
mäßigem Geflllle, das Thal ist 1 — 2 km weit Bei 50 m MeereshObe
werden dem Tiber die reichen Wassermassen der Nera zugeführt i) und
hier endigt sein Mittellauf, dessen Becken auf 2216 Dkm (40 DM.)
Inhalt veranschlagt wird.
Der Nor Nera hat seinen Namen von der hellen weifslicheD Farbe
seines Kalkwassers erhalten, welche die Dichter mit Recht hervorheben;
das Wort bedeutet angeblich im sabinischen Dialekt Schwefel^ Er
ist 126 km lang und entspringt bei 1850 m Meereshöhe an der Mos-
tagna deUa Sibilla. Er fliefst in SW Richtung und empfkngt aus den
Bergen von Leonessa die einen grofsen Bogen beschreibende 50 km
lange Cornia , dann in der Nahe von IntmwHma Nakars Temi den an-
sehnlichen Velino. Nunmehr tritt er in den fruchtbaren Thalgnind
von Terni, der sich bis 5 km breit auf 10 km Lange erstreckt. Das
hoch und fest gelegene Namia Narni bildet dessen Abschlub. Am
Fufs der Stadt rücken die Höhen nahe zusammen, mühsam bahnt sich
der Strom seinen Weg, bis er unterhalb Hortanum Orte in den Tiber
einmündet. In dem Hochthal von Beate Rieti (419 m ü. M.) vereinigen
sich die bedeutenden Zuflüsse vom SabeUischen Gebii^gaviereck: der
von N aus dem Thal von Antrodoco kommende 90 km lange Aveiu
Velino^), yon SO her der am NRand des Fuciner Sees entspringende
Himdla Salto 4), endlich der zwischen den Liris- und Anioquellen ent-
1) Ein römisches Sprichwort lautet:
il Tevere non »arebbe il Twere
SB ia JVera imh gH desn da öevere,
2) Ennius Ann. 265 Vahlen iolpwreai ßiqri» unätu seitdem stehendes Bei-
wort: Verg. Aen. VII 517 sulpurea Nar albus aqua, dazu Servius. Sil. lUl.
Yin 453 Nar albescentibus undis Auson. Id. XII sulpkureus Glaudian I 256
Nar viHatus odoro sulphure, — Nach Fra L. Alberti heifst er N^pra ,,.per
anÜfirasi, eoncio sia eosa ch*a egli Faequa moUo bianea.
3) Der Name der Seebeeken am AusflaCs laeus FeUnm oder FeUiU wird
gegenwärtig auf den Hanptflnfs ausgedehnt, der nach Plin. lil 109 Varro l>ei
Servius V. Aen. YII 657 Avens hiefs.
4) Verg. Aen. VII 714 dazu Servius und Vibius Seq. Im obersten Tbeil
seines Laufes hat er noch jetst den alten Namen Imele bewahrt» den er dann
mit Salto vertauscht
{ 3. Ikr Tiber. 818
springeode Toknus Turano.i) Ihre Ueberschwemmungen suchen das
Thal Yon Rieti oftmals heim; denn sie verstopfen mit ihrer starken
Kalklosung den Abfall zur Nera, der auf kQnstlichem Wege gebrochen
werden mub. Der Veline stQnt nflmlich in drei Absätzen von ins-
gesammt an 200 m Höhe (den berOhmten Cascate delle Marmore) zur
Nera hinab : Manius Gurius Dentatus hat den ältesten , jetzt wieder
laufenden Durchstich im dritten Jahrhundert v. Chr. gemacht, zu dem
in neueren Zeiten zwei andere hinzu gekommen sind. Die Interessen
der benachbarten Gemeinden standen einander hierbei schroff gegen*
über: Beate verlangte einen beschleunigten, Interamna einen veir-
laogsamten Abflufs. Im Altertum hat der römische Senat vermittelt'X
in späteren Jahiiiunderten verfochten die Parteien ihre Ansprache
manchmal mit den Waffen. Mehrere kleinere Seen legen von der
Ntae der Reatiner Ebene Zeugnifs ab : der grOfste Ueberrest des laem
Feimtia ist der Lago di Piedilugo ein stiller Bergsee, 3km von den
Cascaden entfernt. Das €M>iet des Nar und Velinus umfafst 4450 Dkm
(81 D M.). Ihr Wasserreichtum rührt von dem Umstand her dafs sie
vom Hochappennin gespeist werden, der die mächtigsten Niederschläge
empftngt (S. 224). Der mittl^'e Abflufs in der Secunde beträgt
169 Cubikmeter, reichlich drei Fünftel von dem des Tiber; er sinkt
nie unter 100 und steigt bis auf 2800 Cubikmeter. Die Schiffbarkeit
des Nar konnte sich, von der FlOfserei abgesehen, füglich nicht über
Terni hinaus erstrecken. 3) GelegenUich kam es vor, dab Reisende
von Namia nach Rom die Wasserstrafse wählten, um dem Staub und
Gedränge der Via Flaminia zu entgehen.^)
Von der Einmündung der Nera rechnen wir den dritten Abschnitt,
den U nt er lauf des Tiber zu ca. 160 km Länge. Das GeßUe bis zum
Aoio beträgt reichlich Va : iOOO. Das Thal ist i— 3km breit; 17km
von der Nera entfernt lag die von Augustus erbaute Brücke (43 m ü. M.),
welche die Flaminische Strafse von etruskischem auf umbrischen
Boden hinüberleitete zunächst nach Oerimlum Otricoli zu. Es folgt
eine Enge. Der Flufs beschreibt einen grofsen Bogen um den So-
racte (S. 238), den er vom Hauptgebirge trennt. Unter den vom
letzteren herab fliefsenden Bächen befinden sich die Aja , Farfa {Far-
\) Ovid Fast VI 565 Oros. V 18, 13.
2) Cicero wird 54 v. Chr. tod den Reatinera als Anwalt geworben, ad
Att. IV 15, 5 pro Scanro 27, vgl. Varro RR. m 2 Tac. Ann. I 79.
3) StraboV227';riU»T09 ov /ÄfydXoiq axdg>eoiv,
4) Tacit Ann. III 9.
314 Kap. VII. Die Appcnninflflsse.
farus^)^ Fosso di Correse. Nunmehr tritt der Tiber (22,7 m ü.M.) in die
vulkanische Ebene von Rom und strömt in einem 3 — 4 km breiten Thal
majestätisch dahin. Bei 9m Meereshöhe, 7km oberhalb der Stadt
nimmt er den Anio auf. Der Anio Aniene oder Teverone ist ein 118 km
langer lebhafter Gebirgsstrom, dessen kahles klares Wasser von den
Alten mit gutem Grund gepriesen und in zwei ktlnstlichen Leitungen
nach Rom geführt wurde. >) Er entspringt oberhalb der Stadt TrAa
TreW an den Bergen, welche das Fuciner Becken im W einfassen,
unweit der Quellen des Liris und Turano. Er fliefst nach NW an
Sublaqueum Subiaco mit seinen längst verschwundenen Teichen, die
ihm den Namen gaben, vorbei und wendet sich dann im Bogen nach
SW der Ebene zu. Sein Niveau vor Tibur Tivoli mifet 233 m ü. M.,
am Fufs des Stadthttgels 47 m : in prächtigen FäUen stürzt er aus den
Bergen in das Flachland hinab, wo er die Grenze zwischen Latium und
der Sabina darstellt. Die Alten nennen den Anio schiffbar.^) Freilieh
bilden die Katarakten von Tivoli eine unüberwindliche Schranke, und
ob der Oberlauf bis hierher je regulirt gewesen ist, kann fraglich er*
scheinen. Dagegen gewährte das untere Stück für die römische Bau*
kunst wichtige Vortheile, die Strabo mit den Worten hervorhebt:
^von Tibur durchströmt der Flufs eine fruchtbare Ebene an den
Brüchen des Tiburtiner und Gabiner oder roten Steins vorbei, so dals
die Ausfuhr aus den Brüchen und der Transport äufserst leicht von
statten geht und die meisten römischen Bauten mit diesem Material
hergestellt werden.^ Noch im 16. Jahrhundert wurden nach vor-
gängiger Reinigung des Bettes die Travertinquadern für die Peters*
kirche auf diesem Wege angeschafft. Das Gebiet des Anio umfafst
1426 Dkm (26 nM.): sein geringster Abflufs wird auf 20, sein
höchster auf 480 Cubikmeter in der Secunde angegeben.
Von der Aniomündung 4 km entfernt passirt der Tiber den pns
Milvhu Ponte MoUe; er fliefst hier 7,15 m ü. M. und ist 144 m breit
Nach weiteren 3 km tritt er in die Stadt und durchmifst dieselbe von
N nach S mit zwei grofsen Krümmungen in Gestalt eines 5 auf einer
Strecke von 4450 m. Der Flufsboden in dem Hafen an derRipeUa
1) Farfarus Ovid. Met. XIV 330 Tab. Peut Servins V. Aen. a. 0. Tyl.Sil.
It. IV 162. Fahari» Verg. Aen. VII 715 Vibins Seq. SidoD. Ap. Ep. I 5.
2) Verg. Aen. Vn 663 SUt Silv. IV 4, 17 FronUn de Aquaed. 15. 90 fg.
DioD.Hal.V37 xaloq fikv o^p^vai, ykvxvg dh nlveir^ai^
3) Strabo V 236. 235 Piin. 111 54.
{ 3. Der Tiber. 815
liegt 0,89 ml), der mittlere FluTsspiegel 6,18 m ü. M. Die Neigung
innerhalb der Stadt ist bedeutend, ungefähr ^jb : 1000. Die Breite im
Mittel 80^100 m schwankt stark: bei Ponte S. Angelo 75m, bei der
Faroesina war sie gar bis vor Kurzem durch Vorbauten auf 60 m ein-
geengt worden. Die im Lauf der Zeiten hineingeworfenen Schutt-
massen haben die Tiefe sehr ungleichmafsig gemacht, derart dafs sie
zwischen 1 und 4 m im Mittel schwankt (am Hafen von Ripetta 5 m,
Mitteltiefe bei der Insel 2,71 m, ebendort Hauptstrom tiefste Stelle
4,90 m, vor der Cloaca maxima 3,40 m 4,60 m 3,30 m, am Hafen von
Ripa grande 4 m). Aus demselben Grunde hat seit dem Altertum eine
Erhöhung des Bettes statt gefunden , die indessen unter keinen Um-
stünden beträchtlich sein kann: nach den neuesten Beobachtungen
will man sie auf 1 m ansetzen. Unterhalb Roms nimmt der Tiber eine
SW Richtung an , das Thal verbreitert sich. Nach 30 km geht rechts
der von den Kaisern Claudius und Traian gegrabene Canal, jetzt
Ramicino ab, der nach 5 km die See erreicht und mit einer Minimal-
tiefe von 1,50 m gegenwartig allein befahren werden kann. Der alte
Hauptarm dagegen fliefst an Ostia vorbei, 8 km lang; seine Mündung
hegt 4 km südlich von derjenigen des Canals. Die AUuvion hat das
Aussehen der Gegend gründlich verändert. Sie ist bedeutender an dem
todten Hauptarm als am Canal: dort hat sie das Land seit der Kaiser-
zeit um 4Vs km, hier um 3 km vorgerückt 2) Von den aufgelösten
LehratheOen rührt die gelbe Farbe des Flusses her, die ihm bei den
römischen Dichtern das stehende Beiwort flamu eingetragen hat. 3)
Läfst man das Wasser sich setzen und klären, so wird es nicht blos
trinkbar sondern auch schmackhaft.^) Seine Temperatur steigt selten
1) Nach dem NiTellement von Ghiesa nud Gambarini, das in der obigen
Darstellang benutzt ist nnd den meisten Höhenangfaben aus Rom zu Grunde
^^t vgl. Linotte Giorn. arc. XIII p. ISdfg. Nach neueren Untersuchungen ist
der Meeresspiegel zu hoch bestimmt gewesen und liegt der FluTsboden riel-
mehr 1,86 m ü.M.
2) Dies giebt für das Jahr ein Vorrücken von 2 resp. 3 m. Die Alluvion
scheint indels in der Neuzeit viel grötSser als im Mittelalter gewesen zu sein.
Lanciani Ann. d. Inst 1868 p. 153 will gar für die letzten Jahre 3,10 m bei
FiumicinOy 9,025 m an der alten Mündung gefunden haben.
3) Hör. Od. 12, 13 8,8 n3,18 Yerg. Aen. VU 31 1X816 Ov. Trist. V 1,31
Met XIV 448 u. a.
4) Wahrend der älteren Republik und das ganze Mittelalter hindurch bis
1450 haben die Römer Tiberwasser getrunken. Päpste führten es auf Reisen
mit sich nnd noch in diesem Jahrhundert ward es von einigen Klöstern dem
Wasser der Aquäducte vorgezogen, dessen Kalkgehalt gelegentlich die Ver-
dauung stört.
316 Kap.VIL Die Appenmnflässe.
über 18 — 20® und sinkt in der Neuzeit nicht unter + &<^. Der
F i 8 c h f a ng wird bei Rom heute wie in alten Tagen mit Erfolg be-
triehen. 1) Der auf der Insel gefangene btfUB {perea Ubrox L lobm
iupus C. Spigola, eine Art Bars), welcher bis 20 Pfund schwer wird,
genofs besonderer Schätzung.)) Der Stor {aeifmur iturio) ist gegen-
wärtig nicht so selten wie im Altertum, wo er ab ein Vorrecht der
kaiserlichen Tafel bezeichnet wird^): man fischt ihn im Mai und Juni,
wenn er zu Berg steigt, in verschiedenen GrOfsen von 0,40— 4 m
LSnge und bis 300 Pfund Gewicht Aale und andere Fische, die sich
am Ausflufe der Goaken misteten, standen dagegen in geringem
Ansehn. ^)
Der Tiber hat für die Geschichte des Altertums eine ungleich
höhere Bedeutung gehabt, als man nach den Verhältnissen der Gegen-
wart auf den ersten Blick zu schliefsen geneigt wäre.^) Während er
einem oberflächKchen Reisenden nur ab landschaftliche Staffage so
dienen scheint, ist er keineswegs immer zu dieser bescheidenen Rolle
verdammt gewesen. Es ist wahr, man kann Tage lang auf Ponte
Molle stehen , ohne ein Segel zu erspähen oder einen Ruderschbg xn
vernehmen. Indessen es gab eine Zeit, wo der Tiber ein veitleinotes
Abbild unseres Rheins darbot, als üppige Villen seine Ufer einrahmten
und ein reger Verkehr auf dem Strom sich tummelte. <^) Die Alten et-
kennen in der günstigen Handetastelfaing Roms zum Binnenland we
zum Meer eine Vorbedingung seiner Gröfse.'') In der That walteten
1) Strother Smith a. 0. p. 149 fg. handelt eingehend Ton den Tiberfiscbeo
und giebt Abbildangen deraelbeD.
2) Hör. Sat ü 2, 32 Plin. IX 169 Varro bei Macrob. Sat. HI 16, 12,
3) Martial XIU 91 Plin. IX 60.
4) Juvenal V 103.
5) Preller, Rom und der Tiber in Ber. d. Sachs. Gesellsch. d. Wiasenscb.
1848 p. 131 fg. 1849 p.Sfg. 134rg.
6) Hör. Od. II 3, 18 Plin. IH 54 pluribus prope solus quam etteri in om-
nilnu territ amnes adeoHiur adspieiturque vilHs, vgl. Propert 114
Tu licet abiectus Tiberina molHter unda
Lesbia Mentoreo vina bibas opere^
et modo tarn celeret mireris eurrere Untre*
et modo tarn tardas ftinibus ire rate* eqs.
7) Liv.V 54 non sine causa dii hominesque hunc urbi condendae hcum
elegeruntf satuberrimos colles, flumen opportunum, quo ex medUerrantit
loeis fruges devehantur, quo maritimi commeatus accipiantur, mare vidnum
ad commoditates nee expositum nimia propinquitate ad pericula elasthm
extemarumy regionum Itaiiae medium, ad incrementum urbis natum mee
locum, Cicero Rep. II 5, 10 preist die Weisheit des Romulus quod urbem ptr-
i 3. Der Tiber. 817
hier dieselben natttrücben Bedingungen ob, denen Bremen Hamburg
Stettin Danzig und so viele andere an Flasaen belegene Seestädte ihre
Blüte verdanken. Die Gr5be des Tiber wird leicht unterschätzt: von
der Aniomündung abwärts kann er nirgends und zu keiner Zeit durch-
watet werden 0 , auch im Sommer sinkt der Wasserstand nicht unter
1,12 m und der Abflufs nie unter 160 Cubikmeter in der Secunde,
während er im Mittel 267 (nach anderen Angaben 292) beträgt. Die
Mächtigkeit der Niederschlage im Hochappennin erklärt diesen aufser-
ordentUchen Reichtum; denn z. B. die Seine führt bei einem fünfmal
80 groben Stromgebiet kaum die doppelte Wassermenge, ein Hoch-
wasser der Seine erreicht nicht das halbe Quantum von einem Hoch-
wasser des Tiber, ihr Tiefstand sinkt auf den dritten oder vierten Theil
vom Tiefstand des letzteren herab. Am merkwürdigsten ist die Be-
ständigkeit des Abflusses während der sommerlichen Dürre: wir sahen
dafs sie von den unterirdischen Vorratskammern des Hochgebirgs her-
rtthrt (S. 224). Kleine Dampfer 25—36 m lang 4—5 m breit mit
1,20 m Tiefgang fahren noch heute zwischen Rom und Fiumicino. Im
Altertum mu& das Fahrwasseribedeutend tiefer gewesen sein: Last-
schiffe von 1 570 Centner oder 78 Tons Tragkraft und Kriegsschiffe
jeden Kalibers gelangten zur Zeit des Augustus bis an die Stadt >) Die
Staatswerfte lag am Marsfeld: hier wurden während der Republik
Dreiruderer von 2,67 m und Fünfruderer von 3,61 m Tiefgang in und
aufser Dienst gestellt 3) Ja sie barg sogar ein Ungetüm mit 16 Ruder-
reihen, auf dem der Besieger des Königs Perseus gekommen war sich
den wolverdienten Triumph zu holen.^) Noch im 4. Jahrhundert
n. Chr. konnte das Schiff mit dem lateranensischen Obelisken , der
32 m mifst und 9000 Centner wiegt, 5 km von der Stadt bei dem Yicus
Alexandri anlegen.^) Grofse Kauffahrer dagegen waren in der Periode
ennü amrä* et aequabilis [?] ei in mare late inftuentis potuit in ripa, quo
pOMtet urbs et aeeipere ex mari quo ^eret et redäere quo redundarei eodem"
fue fiumine res ad vietum euUumque maximo neeestariae non sobsm mari
absorberotf eed etiam inveetat aedperet ex terra . . . ond bemerkt mit Recht
öab keio anderer PoDCt in Italien gleiche Vortbeile darbot
1) Dion. Hai. IX 68.
2) Dion. Hai. III 44.
3) Ueber den Tiefgang der Kriegaachiffe a. Graaer de veterum re nayali
TgL S. 126.
4) Liv. XLY 35 vgl. Flut. Gato min. 39 und Aber die navalia Jordan
Top. I 1 p. 436.
5) Ammian XVn 4, 13. 14 navii ampUtudinii antehae inutitaiae sub tre-
cenüe remigitnu agitanda.
818 Kap. VU. Die Appeiiiiiiiflüsse.
des Augustus genötigt vor der Einfahrt einen Theil ihrer Ladung an
FlufskShne abzugeben oder nberiiaupt auf der schlechten Rhede tod
Ostia vollständig zu löschen.^) Ochsen schleppten die Sdiiffe hinauf;
eine ganze Anzahl beschrieben«* Grenzsteine, welche die Breite des
Leinp£aids an beiden Ufern bestimmten, haben sich noch vorgefunden. >)
Die Verbindung mit der See hat den Aufschwung Roms in älteren
Jahrhunderten befördert Dagegen einen Welthandel nicht Mos in
dem Sinne, den wir beutigen Tages mit dem Worte verbinden, sondern
auch in dem Umfang, wie er sich im letzten Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung gestaltet hatte , aufzunehmen und zu beherrschen war
der Tiber auf die Dauer nicht 'im Stande: solcher fand am Golf von
Neapel seinen natürlichen Mittelpunct. Inunerhin war die Existent
der Welthauptstadt an den Fluls gebunden und der Verkehr, der «ich
auf ihm bewegte, grofsartig genug um die Bezeichnung des Plinios
qtuimlibet magnarum navium ex Italo mari eapax, verum m Mo wk
naseentmm mereatar placidieeimus als keine Uebertreibung erscheineD
zu lassen.
Oberhalb Roms bietet die Schiffahrt bis zur EinmQndung der
Nera keine Schwierigkeiten dar; diesem Flufs nebst demAnio, die
beide aus dem Hochappennin stammen, verdankt wie bemerkt der
Tiber seinen sommerlichen Wasserreichtum. Gegenwärtig gehen die
Barken bis Ponte Feiice (der Brücke , welche die Landstrafse na<l
Umbrien passirt); sie werden etwa die Hälfte des Weges durch Dampfer
von 1 — 1,10m Tiefgang, nachher durch Büffel geschleppt Mit Aus-
nahme der beiden trockensten Monate kann man etwa alle Woche
einmal einen solchen Schlepper abgehen sehen. In früheren Jahren
erlaubte der Wasserstand den Dampfern bis Ponte FeUce, den Barken
bis Orte zu kommen. Ueber Orte hinaus wird nur Fl Ofser ei be-
trieben : im Herbst und Winter schwimmen die FlOfse zu Thal, um in
Rom zerschlagen zu werden. Die Alten berichten , dals auch der
Mittel- und Oberlauf in ihrer ganzen Ausdehnung befahren vnirdeo.')
Dabei waren allerdings bedeutende Hindemisse zu überwinden , die
1) Strabo V 232 Dion. Hai. Ul 44.
2) Dion. a. 0. Procop. beU. Goth. I 26. CIL. Vll, 1234 %. Da(k die
nation den angegebenen Zweck hatte, scheint zwar nicht bemerkt wordeo n
sein, liegt aber in der Natur der Sache.
3) DioD. Hai. III 44 hcavav 6h Svrog axo*- f^ twv ntfymv Hozofniyoi^
oxag>eaiv evfiByi&eaiv avankEhf^aiy ngog avr^v 6h r^v ^Pcifupf xtd ^den-
rlaig oXxaci fieydXaig.
{ 3. Der Tiber. 819
eioestheüs durch das starke GeMe, anderntheils durch den nngleichen
Wasserstand bereitet wurden. Ohne Zweifel lagen die Vertidltnisse
ehedem günstiger: aber der Gegensatz zwischen einer Regenperiode
and einer Dürreperiode bestand damals, wenn auch nicht so sei vf
ausgeprägt, doch ebenso gut wie heute. Der hieraus sich ergeberde
ScUufs, dafs der obere Tiber im Sommer an Wassermangel Utt, wird
TOD den SchriftsteUem ausdrücklich bestätigt.^) Zugleich erfahren wir,
dals derselbe wie auch der Tinea und Clanis durch künstliche Slau-
nngen fahrbar erhalten wurden : ein umständlicher Notbehelf , da in
der trockenen Zeit die Schleusen sich nur aUe neun Tage öffneten.^)
Einen Ueberrest solcher hydraulischen Anlagen will man in dem sog.
muro grosso an der Chiana bei Carnaiola erkennen. Die Gefahren,
welche von den Schnellen drohten , sind den Alten nicht verborgen
geblieben , und Plinius drückt sich sogar in seiner gesuchten Weise
dahin aus dafs der Flufs auf lange Strecken nur für Balken , nicht für
Flöfse passirbar sei. 3) Indessen ist dies nicht allzu ernsthaft zu nehmen
und wenn der Wassermangel durch künstliche Wehren und Stauungen
bekämpft wurde, so konnte man mit den übrigen Hindernissen leichter
fertig werden. In der That waren diese binnenlflndischen Verbindungen
für Rom Ton entscheidender Bedeutung. Das Flufsnetz allein ver-
mochte jene unabsehbaren Holzmassen herbeizuschaffen , die Rom für
seine Riesenbauten und namentlich für seine aus Fachwerk aufge-
thürmten, periodisch abbrennenden Mietshäuser verbrauchte.^) Aufser-
dem erleichterte es die Ernährung seiner Bevölkerung; denn neben
der Flöfserei wurden nach bestimmten Zeugnissen die Feldfrttchte auf
demselben Wege verschifft.^) Und wenn auch die Zufuhr ebenso wenig
aasreichte als diejenige der Grafschaften für das heutige London , so
1) Vgl. S. 310 A. 1 und die Erzählung von der Entstehung der Tiberinsel
Liv.n 5 Tiberim tenui fluenietn aqua, ut mediU caloribu* soleL
2) PUn. III 53 Unuü primo nee nisi püeinit eorrivaius emssusque navi-
gübilüy sieuii Tinia et Cianü influenies in euwiy novenontm ita eoneepiu
dierum, si non adiuvent imbres. Dasselbe System wird noch jetzt an ita-
lischen Flfissen angewandt s. Lombardini Pianura subappenina p. 21 , und war
Tor Verbesserung der Holzwege im Schwarzwald und anderen deutschen Ge-
birgen in Gebraacb.
3) Er föhrt a. 0. fort: sed TiberU propter aspera et confragosa ne sie
quiäem praeterquam trabibus verius quam ratibus longe tneabih't fertur,
4) StraboY p.235 (222) führt diese Betrachtung aus, vgl. Dion. Hai. I 37;
über die Schwierigkeiten des Transportes von Baumaterial Vitruv U 7, 5.
5) Plin. £p. V 6, 12; bei der Hungersnot 411 t. Chr. Liv.IV52 waximo$
cotntneatus summe Btruriae studio Tiberis devexit; ebenso U 34.
820 Kap. yn. Die Appemünfifiase.
wSre es doch in dem einen wie dem anderen Falle Terkehrt
Factor seine Wichtigkeit abzusprechen. Unter solchen UmstSnden
begreift man , dafs der gesammle Flufilauf sorgftltig regnlirt war^) ;
sowie dafs die Aufsicht über denselben unter die angesehensten Reichs-
fimter gerechnet wurde. >) Nicht minder ist klar, dafs nur durch eine
energische unablttsaige Fürsorge die Wasserstrabe offen eihalten
bleiben konnte. Durch die fortschreitende Entwaldung mehrten sich
die Erd- und Schutimassen, welche die Fluten entf&hrten; damit
scheint die zunehmende Vereandung der Mttndung zusammenzuhüngeDf
gegen welche die Kaiser machtvoll ankämpften. Mit dem VerM des
Altertums war das Schicksal des Tiber besiegelt Einst der Trlger
eines blähenden Verkehrs, ist er seither eine Geilsel ftlr die Land-
Schäften, die er durchzieht, geworden. Nach jedem starken Regen
sieht man ihn wie seine Nebenflüsse ihre Ufer ^Übertreten und weithiD
versumpfen : von Ostia bis Perugia hinauf gewahrt er unnnterbrocheD
ein Bild von Verwahrlosung und ftebervoUer Oede. Freilich sind die
groiisen Erinnerungen , die an seinen Namen sich knüpfen , taogst
wieder erwacht; seit dem 16. Jahrhundert sind viele Tractate über die
Herstellung der Schiffbarkeit geschrieben worden und mehrere Päpste
haben das Project ernstlich ins Auge gefafst^) Mit gutem Grund ist
es bei Worten geblieben. Denn zwar ist der Wassertransport der
denkbar billigste und bei dem Stand der antiken Communicationsmittel
bot der Tiber für das Binnenland namentlich in den (fiteren Jabr*
hunderten vor dem Ausbau des Strafsennetzes geradezu unschätzbare
Vortheile dar. Solche existiren nicht mehr: man gräbt mit unermeb-
lichen Kosten keine Canäle durch menschenleere verannte Gegenden.
Im Altertum war Rom durch seine centrale Lage die natürliche Haupt-
stadt des Erdkreises: seit der oceanischen Entwicklung der Neuzeit
hat es diese Gunst der Lage unrettbar eingebüfst. Ob es als Haupt*
Stadt eines Nationalstaats die Sünden der Vergangenheit bttfsend auch
daran denken kann den Tiber wieder schiffbar zu machen , mufs die
Zukunft lehren.
In altrömischen Gebeten hiefs Vater Tiber Serra die Säge oder
Rumon der Fresser wegen der Zerstörungen , die er an seinen Ufern
1) Plin. in 54 nuUi fluviorum minus Ueet inebuis uMmqu« iaUrikut.
2) Ueber die euratarei ripamm ei aloei Tiberii vgl. Preller a. 0. 1 p. 142 fif.
3) Den Anfang macht AngustiDiu Steuchos de restitaeoda navigatiaBe
Tiberis a Trasiamno agri Perasini castello (Torgiano) usque Romam, 1547.
Uoter Benedict XIV arbeiteten Ghiesa und Gambarini S. 308 A. 2.
§ 3. Der Tiber. 821
tarichtele. 0 ^^^ Ueberlieferung weUs viel mehr vod dem Schaden ab
dem Nutieii, den er atiftet, aoziunerken. Die Frage, wie seine Aus-
schreitungen von der ewigen Stadt fern zu halten seien, hat in
alter und neuer Zeit von Caesar bis auf Garibaldi neben versUindigen
Vorschlagen auch gar schillernde Seifenblasen den Köpfen entlockt
Der grofse Caesar wollte einen Theil des Tiber sowie den Anio in
einen Canal leiten, der quer durch die Campagna und die ponti*
nisehen Sflmpfe laufend bei Terracina münden sollte^); doch blieb
das Unternehmen in sein^i Anlangen stocken. Nach der lieber-
schwemmung 15 n. Chr. tauchte der Plan auf den Clanis in den Arno
abzuleiten , die Abflttsee des Nar und Velinus durch Stauungen und
Canäle zu verzögern: der Senat besafs Einsicht genug um hierauf
nidit einzugdien.') In der Neuzeit hat man namentlich in dem Anio
den Uebelthflter erkennen und ihn in einem groben Bogen um die
Stadt herumfahren wollen. Die Fachleute dagegen haben langst nach-
gewiesen , da/s das Uebel als solches durch natürliche Verhältnisse
gegeben sei, dafs es wol gemildert, aber nicht beseitigt werden könne.
Und somit kehrt man zu der nttmlichen Richtschnur zurück, welche
die Alten demselben gegenüber eingehalten haben. Der Wasserstand
hüDgt von der jeweiligen Masse des gefallenen Regens ab. Hierbei
findet allerdings die Einschrdinkung statt, dafs die unterirdischen
Sammelbdiailter des Hochgebirgs den Regen aufspeichern und wahrend
der Dürre sidi öffnen, also in nassen Zeiten weit weniger, in trockenen
weit mehr als sie empfangen, von sich geben. Wie schon bemerkt,
beruht auf diesem Umstand der relative Wasserreichtum, den der Tiber
in den Sommermonaten besitzt Indessen versteht sich von selber,
dafs der grofse Gegensatz in der Vertbeilung der Niederschlage an die
verschiedenen Jahreszeiten, der den Charakter des mediterranen KUma
bestimmt, durch die Bodenbeschaffenheit wol abgeschwächt aber nicht
ausgegtichen werden kann. Deshalb hat der Flufs im August am
wenigsten, im März am meisten Wasser: beide Monate differiren im
Mittel 2,50 m.^) Der Tiber steht hooh im März Januar und Dooember,
1) Verg.Aen.ym62 dazu Servins, vgl. Gic de nat deor. m 52.
2) Plotarch Caea. 68.
3) Tac. Ann. I 76. 79 Dio LVH 14. Mit Recht beMfken im vorliegeaden
Ftile die Mwiicipien: opium0 relnu mortaUum eQntulMiäS0 naiuram, qua€
IM ora ßuminiht» suai eurnts uifue originsm iia fiwß d§dmdL
4) Betocehi A(U de* Lineei 1870 XXIV p. 262 fg. giebt eine Statistik der
J. 1862—70.
NiiB«o« Ital. LandMlnind«. I. 21
322 Kap. Vll. Die Appenmnflüsse.
niedrig im August September und Juli, wahrend er die Obrigen MoBate
eine mittlere Stellung einnimmt Das Minimum des Abflusses betrog
1869 die Secunde 174,79 Cubikmeter, dagegen das Maximum 1239,55
Gubikmeter. Bei der aufserordentlichen Mächtigkeit, welche die Wol-
ken gelegentlich in Italien entfalten, kann sich aber das Maiimum auf
das Doppelte erhohen und das Wasser um 9 — 11 m über den gewohn-
lichen Stand steigen. Ein derartiger Fall tritt ein , wenn das ganze
17000 Dkm grofse Fluisgebiet gleichzeitig von anhaltenden Regen-
güssen betroffen wird. Da dies verhaltnifemAfsig selten geschieht, so
werden auch die Ueberschwemmungen zu den selienen Vorkomm-
nissen geboren und alle Jahrhundert nur ein paar Mal die Stadt
heimsuchen. Freilich haben sie dieselbe bisher stets unvorbereitet
überrascht, da die Wasser in Folge der starken Neigung des Bettes
mit grofscr Schnelligkeit herankommen und die Einwohner den Grund
der Erscheinung auf allen möglichen Aberglauben, aber nicht auf den
natürlichen Zusammenhang mit den atmosphärischen NiederBchlagen
zurückführten.^) Die Flut bewegt sich regelmafsig in drei Absätien:
sie erreicht ihren ersten Hohepunct durch die Wasser des Anio,
sinkt dann und culminirt durch die Zuflüsse von Nera und Paglia,
lafst nach und steigt zum dritten Mal durch die Gewässer des oberen
Tiber und Topino. Am 28. December 1870 zeigte der Pegel an
der Ripetta eine Wassersäule in der Hohe von 16,33 m oder 17,22in
über dem Meeresspiegel an und blieb Tolle acht Stunden auf diesem
Puncto stehen. Begreiflicher Weise wurden alle niedriger als der an-
gegebene Betrag belegenen Quartiere, u. a. das Marsfeld mit der
mittelalteriichen Stadt überschwemmt; Rom bot zwei Tage lang einen
Anblick wie Venedig dar, indem Bote FlOfse und Fässer den Corso
und seine Nebenstrafsen durchfuhren , um die in den oberen Stock-
werken eingeschlossenen Bewohner mit Brot zu versorgen. Unter
den in den letzten vier Jahrhunderten gemessenen Fluten war die
gedachte eine der höchsten und wird nur übertroflien von der Fhit
1637 mit 17,55 m, 1606 mit 18,26 m, 1530 mit 18,95 m, 1598 mit
19,56 m Meereshohe. Der Abflufs betrug 1870 in der Secunde 2000
1) Unter den verschiedenen Ansichten über die Crmehen des Uebels tct-
dient die verbreitete nnd bereits im Altertum (INo XXXIX 61) ansgetprochenc
Erklimng, dntlB bellige S Winde den AbflnCs aufstauen sollen, noch am ertica
Beachtung. IHe Meerflut kann sieb allerdinga bis ea. 20 km von der Mandang
auf Wirts fflhlbar machen; jedoch iit jene Theorie phyaikaUach unhaltbar und
durch Experimente widerlegt worden.
§ 8. Der Tiber. 823
bis 2500 Cubikmeter; für den 24. December 1598 wird er auf 4500
geschätzt. Was die Jahreszeit betriBl ^ in welche die grofsen Ueber-
schwemmuDgen fallen , so ist solche durch die Regenperiode Italiens
bestimmt abgegrenzt: sie können weder lange vor dem Herbstaequi-
noctium , noch lange nach dem FrUhlingsaequinoctium , also nicht in
den wannen Monaten April — August eintreten.
Wie das alte Rom seine Lage am Flufs energischer auszunutzen
verstand als das heutige, so hat es umgekehrt auch von den damit ver«
bundenen Nachtheilen schwerer zu leiden gehabt. Dies war in seinen
weil ungünstigeren Niveauverhältnissen begründet: die Thäler und
Ebenen lagen sämmüich um 6 — 12m tiefer, um welchen Betrag sie
seitdem durch Bauschutt erhöht worden sind. Deshalb konnte ein
Hochwasser, das gegenwärtig unbemerkt vorübergeht, im Altertum
bedeutenden Schaden anrichten : wenn z. B. vier Wochen nach der
oben beschriebenen Flut am 25. Januar 1871 der Tiber bereits wieder
eine Mcereshobe von 13,40m erreichte, so würde er früher ver-
schiedene Theile der antiken Stadt unter Wasser gesetzt haben. Aller-
dings ist ja auch seitdem das Flufsbett höher geworden , aber in un-
gleich geringerem Mafse. Demnach dürfen wir uns über die aufser-
ordentliche Häufigkeit der Ueberschwemmungen , welche in den
Berichten der Alten entgegen tritt, nicht verwundern und am wenigsten
hieraus auf eine Aenderung der physikalischen Bedingungen Schlüsse
tbon wollen. Die Bauart des antiken Roms trug dazu bei die Verwü-
stung in einem ganz anderen Licht erscheinen zu lassen , als heut zu
Tage : die Häuser waren leicht und schwach aus Lehmsteinen errichtet,
die vom Wasser aufgelöst wurden und den Einsturz veranlafsten. Es
ist einer der charakteristischen Züge im Leben der Weltstadt, dafs
ungeachtet der zahllosen Opfer an Menschenleben , welche der Flufs
wiederholt einforderte, die Bevölkerung der Handwerker und Krämer
stets aufs Neue in den schlechten Mietscasernen der Ebene sich zu-
sammendrängle. Sobald die schweren Tage der Angst und Not vor-
über waren , beruhigten sich die Gemüter rasch und alles blieb beim
Alten. Man pflegte in solchen Heimsuchungen mehr die mahnende
als die strafende Hand der Gottheit zu erkennen, i) Freilich fehlte es
in solchen Fällen nicht an Vorschlägen und Plänen um die Wieder-
1) PHd. m 55 creber ae tuhitui inerementu et nusquam magis aquis
q^utm in ipta urbe $tagnanHlmi. quin immo vatet inielUgiiur poHtu ae
flUMutor auetu #Mip«r reH^nu verius quam $euvu9.
21*
824
Kap. VII. Die Appenninflfisse.
kehr desUebeis für immer unmöglich zu machen. Indessen beschränkte
sich ihre Ausführung darauf das Strombett zu säubern und zu vertiefen:
eine in jeder Beziehung nfltzliche und löbliche Mafsregel , dayon ab-
gesehen dafs sie das gesteckte Ziel unmöglich erreichen konnte. Ohne
Zweifel war für den Abflufs der Wassermassen im Altertum weit besser
gesorgt, aber zur Bewältigung von Hochfluten reichte das Strombett
eben nicht hin. Zum Schlufs stelle ich die überlieferten Ueberschwem-
mungen ohne Gewähr der Vollständigkeit des Verzeichnisses zusammen:
241 V. Chr. Oros. IV 11, 6
215
2 mal
Liv. XXIV 9
202
XXX 38
193
XXXV 9
192
XXXV 21
189
12 mal?
[12 Tage
1 XXXVni 28
54
Dio XXXIX 61
43?
Hör. Od. 12
27
Dio LIIi20
23
3 Tage lang
T.ni 33
22
LIVl
5 n. Gir.
7 Tage
LV 22 TgL Cassiodor chron.
15
LVII 14 Tac. Ann. I 76
36
LVIU 26
69
Tac. Bist I 86 Plut. 0. 4 Suet 0. S
QDter Traian
Plin. Ep. Vin 17
Hadrian
Histor. Aug. 21
Anton.
. Pius
eb. 9
Marc Anrel
eb. 8
217
Dio I.XXVIU25
371
Amm. Marc. XXIX 6, 18
589
Gragor Magn. Dial. lU 19.
S 4. Die Latiner Küste.
Zwei Vorgebirge in der Luftlinie 200 km von einander entfernt,
der mom Argemariui und der mont Ciremmvm begrenzen den Mittel-
abschnitt der tyrrhenischen Küste Italiens. Es fehlt ihm an natoriicheo
Häfen , die Flufsmündungen mufsten Ersatz bieten. Aber die Flüsse
lieben es ja vor ihren Mündungen Barren aufzuwerfen : gegenwärtig
findet sich vor dem Tiber erst bei 1200 m Abstand eine Tiefe von lOffl,
wie heutige Seeschiffe sie brauchen. Wenn das kaiserliche Rom nur
I 4. Die Latiner Kflste. 825
mit flufserater AostreDgung Beinen Weg zum Meer offen halten konnte,
so waren die kleineren Hafen , deren Bewohner in früheren Jahrhun-
derten mit Auszeichnung in der Fremde genannt wurden , unrettbar
verloren. Mit der Versandung der Hafen geht Hand in Hand der Ver-
fall des Bürgertums , der Verfall des Ackerbaus mit der Ausdehnung
der Latifundien, laogsam schleicht die Malaria hinten drein. Ihr ver-
einzeltes Auftreten wird schon zu Anfang unserer Zeitrechnung ver-
merkt: ^ganz Latium ist gesegnet und fruchtbar — erklart Strabo <)
— bis auf wenige sumpfige und ungesunde Strecken an der Küste,
wie bei Ardea, zwischen Antium und Lanuvium bis zum Pomptiner
Feld , einige Strecken bei Setia sowie bei Tarracina und Circeji.^ An
der ganzen Küste baute das Meer aus den zurückgeworfenen Senk-
stoffen des Tiber Dünen auf, bildete Lagunen, wehrte den Ausflufs der
Gewässer. Die Bedingungen waren durchaus geeignet um den raschen
Fortgang des Uebels, das in der Folge betrachtet werden soll, zu er-
klaren. An diesem Ort nimmt der Süden des bezeichneten Gebiets
unsere besondere Aufhierksamkeit in Anspruch. Die Vorgebirge,
welche dasselbe umschreiben , bekunden eine merkwürdige Ueberein*
Stimmung: der Argentario wie der Circello geboren beide einer alteren
Bfldnng an und sind erst nachträglich landfest geworden ; doch war
die Anschwemmung bei diesem ungleich viel grüfser. Am Abhang der
Volskerbei^e (S. 238) zieht sich eine reichlich 6 d. M. lange und
2 d. M. breite Ebene mit einem Inhalt von etwa 14 d. OM. hin,
welche durch den Schutt des Gebirges dem Meer abgewonnen worden
ist: bei Brunnenbohmngen trat der marine Ursprung deutlich zu
Tage. Eine doppelte Beihe von Dünen mit schmalen Strandseen da-
rwischen versperren der Ebene den Ausgang zum Meer. Die Masse
der Niederschlage , welche sie von dem steil abfallenden Gebiiffe auf-
nehmen mufs, ist an sich schon sehr bedeutend. Dazu kommt aber
noch dafs reiche Quellen in ihr hervorbrechen , die wie man schliefst
vom inneren Hochappennin gespeist werden. Der Boden ist in der
Mitte gefaltet, südwärts zum Golf von Tarracina geneigt: südwärts
fliefsen der üfms und Amaunw ab. Aber das Gefälle ist schwach,
durchweg etwa 0,1:1000, die mit erstaunlicher Ueppigkeitaubchiefsen-
den Wasserpflanzen bringen die trägen Wasserläufe völlig ins Stocken;
ein starker Südwest der das Meer aufstaut , treibt sie rückwärts zu
fliersen ins Land. Es fehlt nicht an äufseren Reizen. Auch nach der
1) Str. V 231.
826 Kap. YIL Die AppennioflAsse.
sommeriicben Glut bleibt die Landschaft frisch und in cid sattes GrQn
gekleidet, desgleichen man auf der ganzen Halbinsel vergebens sucht.
Der Reisende welcher sie auf der schnurgeraden baumbepflanzten Via
Appia durchführt, könnte sich nach HoUand versetzt glauben, wenn
nicht die ragenden Berge, hüben der Gircello drüben die Volskerberge
die Täuschung störten. Das eigentliche Sumpfgebiet in der Mitte wird
gegenwärtig zu reichUch 2 d. OM. berechnet, aber der verwilderte
Büschwald, der dasselbe nach der Küste zu ablöst, ist uro nichts
gesünder: das Ganze ein ungeheurer Fieberheerd, dessen Ausdün-
stungen die Luft weit und breit, bis nach der Hauptstadt hin ver^flen.
Es wird nach einer alten früh verschollenen Volskerstadt Sue$$a Pomiii$
benannt, indem die Alten bereits die Bezeichnung oamptcs Pow^imu,
palus paludes Pomptinae im weiteren Sinne auf dasselbe anwandten. Ein
Schriftsteller, dessen Wahrheitsliebe geringes Vertrauen erweckt, will
uns glauben machen, dals einst 24 Städte in den Niederungen gelegen
hätten. ^) Von derartiger Uebertreibung abgesehen, ist es sicher genug
dafs der Mensch ehemals dies fetle Marschland den Naturkräften nicht
so ohnmächtig preisgab wie heut zu Tage. Die Römer haben es den
Volskern entrissen und 383 v. Chr. Colonisten in solcher Anzahl
angesiedelt, dais daraus 358 v. Chr. die tribus Pamptina errichtet
wurde. 2j In der That kann bei sorgfUtiger Canalisation der gröfste
Theil zum Fruchtbau verwandt werden: noch zu Anfang unseres
Jahrhunderts trug der Acker in mäfsigen Jahren das zwanzigste Koro.
Luft und Wasser der Marschen lassen aberall auf der 'ganzen Welt za
wünschen übrig, s) Aber dafs es im Altertum mit der pomptiniscbeD
nicht eben schlecht bestellt war, dafür liegen die sprechendsten Be-
weise vor. Es genügt einen einzigen auszuführen. Die erste und be-
lebteste aller römischen Landstrarsen durchschnitt die Marsch ihrer
ganzen Länge nach, daneben lief ein Abzugscanal, der von seinem
Mafs (19 MiUien) späterhin deeamavius hiefs.^) Die Beförderung der
Reisenden geschah auf diesem Canal, gewifs nicht, wie Westpbal
1) Mucianas bei Plin. DI 59.
9) LiT. VI 5. 21 Vn 15 Fest ep. p. 232 M.
3) Boras Sit I 5, 7 klagt Aber das Trinkwasser; aber andi das teioer
Gesundheit halber berflhmte Ravenna litt daran Mangel, vgl. Martial III 56
Sidon. Ep. I 5 und 8. Von einer besonderen Schädlichkeit der Lofl spricht
Vitra V 14, 12.
4) Benzen 5594 (— Wilm. 1095, mifirerstanden) Gassiod. Var. H 32.33
Procop b. Goth. 111.
I 4. Die Latiner Kflste. 327
meint 0 9 weil die Strafse in schleöbtem Zustand war, sondern der
Billigkeit und Bequemlichkeit wegen : ihrer dreihundert, jeden für ein
KupferslUck, lufet Horaz in die auf seiner launigen Fahrt benutzte
Trekscbuite einpacken. Die Beförderung geschah in der Regel Nachts,
so dafs die Reisenden ohne ihren Schlaf einzubüfsen zugleich das
Scblafgeld sparten. 2) Wer gegenwärtig bei Tage in raschem Trabe die
idyllische Einöde durchR&brt, wird dringend davor gewarnt einzunicken,
da er alle Aussicht hätte mit einem Fieber aufzuwachen : bei Nacht im
Freien ohne Feuer schlafen wäre sicherer Tod. Freilich versteht es
sich von selbst, dafs die 312 v. Chr. erbaute Strafse und das damit ver-
bundene Netz von Abzugsgräben wachsame Fürsorge eriieischte und
auch in den besten Perioden des Altertums aufserordentliche Eingriffe
der Staatsgewalt notwendig machte. Der Gegensatz der Interessen,
welche die benachbarten Gemeinden an der Regelung der Wasserläufe
hatten — ein Gegensatz der im Mittelalter blutige Kämpfe veranlafete —
trug dazu bei die schwierige Aufgabe noch mehr zu erschweren. Aber
wenn der Dunst mit dem die Weltherrschaft das Gehirn der Römer
umnebelt, sie veranlafst hat die durch ihre eigene Mifswirtschaft ver-
schuldeten Schäden auf Wunder der Natur zurückzuführen, Erdbeben
verantwortlich zu machen für die Wirkungen schlechter Verwaltung,
nach allen denkbaren Vorwänden zur Beschönigung ihrer schimpf-
lichen Untbätigkeit zu suchen , so genügt doch ein Blick auf das was
freie Völker an der Adria und Nordsee geleistet, um die Lösung der
Aufgabe als möglich zu erweisen. Eine grofse Drainirung führte Consul
Cethegus 160 v. Chr. aus. 3) Dann hat Caesar solche begonnen«); sein
Erbe Augustus vollendet. &) Aber weite Sumpfstrecken blieben noch
bestehen, deren Bewältigung dem Plinius als frommer Wunsch galt.^)
Nerva und Traian stellten die Via Appia mit Brücken und Pflaster in
grorsem Stil her.'') In Betreff des Verfalls verläfst uns die Ueber-
lieferung: aus einer Verordnung von 395 n. Chr. erhellt, dafs damals
1) Römische Kampagne, Berlio 1829, p. 46: bei der Einsicht und Sach-
knode des nnennfldlichen Wanderers hebe ich den Widersprach ausdrAcklich
hervor.
2) HoT.SatI 5, 12 StT«b.V233, auch letzterer als Augenzeuge.
3) Uv. ep. XLVI.
4) Sueton 44 Die XLIY 5 XLV 9.
5) SehoL m Hör. ars poet. 65 nnd Sat. I 5.
6) Strab.y 233 Plin.XXVI 19 vgl. UI 59 Vitmv I 4, 12.
7) Wilm.931.932 Dio LXVUI 15.
328 Kap. Vn. IHe Appenninflüsse.
inLatium und Campanien 24 d.GH. veraumpfl «od Yerlasaen waren 0;
König Theodorich hezeichnet das pomptinische Gebiet als ittam famo-
mhh aoacutf vastitaiem. Der Patricier Decius erbot sich gegen Ueber-
lassung des zu gewinnenden Landes das alte Canalsystem und die
Strafse zu erneuern, hat auch um 510 n. Chr. sein Werk zum Ab-
schlufs gebracht (S. 326 A. 4). In den Gothenkriegen hielt es noch
vor, aber spflter ward die Via Appia ungangbar und der Verkehr nach
Campanien gezwungen weite Umwege am Abhang des Gebirgs zu be-
schreiben. y,Die Austrocknung der pomptinischen Sflmpfe — schreibt
Westphal — war Yon jeher das Lieblingsproject aller Pflpste; aber bei
einer schon an sich unkrflfligen Wahh*egierung, wo noch überdies jeder
Nachfolger es sich recht angelegen sein labt alle nicht unmittelbar auf
die Feststellung desPfaffentums und der Priesterherrschaft hinzielenden
Anordnungen seines Vorfahren umzustofsen, konnte ein so weitschich-
tiges Unternehmen nicht leicht ausgeführt werden. Gewohnlidi be-
gnügte man sich die einander immer widerstreitenden Meinungen der
dabei interessirten Gemeinden Seimoneta Sezza Pipemo und Tarncina
zu Temehmen und unausführbare Contracte mit Abenteurern aller
Art abzuschlielsen ; dann zerstörte der Tod des Papstes die gaoie
Unternehmung, bis sie unter einem anderen yon neuem aber nicht
mit besserem Erfolge vorgenommen wurde.^ Der kräftige Sixtus V
machte einen Tiel versprechenden durch seinen Tod unterbrochenen
Anfang, Pius VI 1775 fg. hat denselben mit Eifer und Erfolg fort-
gesetzt, namentlich auch die alte Königin der Strafsen in musterhafter
Weise erneuert Aber nur ein freies Bauerntum wird dies Land zurltck-
erobern und dauernd behaupten können.
§ 5. Liris und Volturnus.
Das Vorgebirge von Tarracina tritt hart an das Meer hinan, ao
seinem Abhang führt die Via Appia nach Campanien weiter: dieser
leicht zu sperrende, in der älteren Kriegsgeschichte unter dem Nameo
Lantulae bekannte Pafs bezeichnet die natürliche Grenze zwischen
Mittel- und Sttditalien.-) Die Berge ziehen im Halbkreis von Tarracina
nach Gaeta: ihr Schutt hat den ehemaligen Meerbusen {$mu$ iiNycfa-
1) Cod. Theod. XI 28, 2.
2) Uv.Vn 39 IX 23 XXU 15 Diod.XlX 72; der Name wie bei den Ther-
mopylen von einer warnen Qaelle Mart. V 1, 6 VI 42, 6 vgL VitravVDI 3, 15
Liv. XXXIX 44 dazu Gluver It. tnt p. 1012.
§ 5. Lnris und Voltnrnus. 829
fit») >) ndiezu ausgeftalltf nur einige Seen, unter ihnen als gröfster der
lams Fundanui Lago di Fondi (jetzt noch 8 Cikm^ früher ausgedehnter),
sind Obrig geblieben. Man hat noch viel zu thun um der 3 d. DM.
haltenden versumpften Ebene, dem weinberüfamten Caeadfus ager den
alten Gkinz zurückzugeben. Jenseit des Vorgebirges von Gaeta beginnt
die groilse Appenninbucht, welche den Schauplatz fUr die aufbauende
Thätigkeit der campanischen Vulkane darstellte (S. 264). Sie zerfitUl
in drei Fhifsgebiete, indem H. Massico und Rocca Monfina den Liris
im Norden, die Hüben bei Neapel den Sarnus im Süden von dem
Hauptflufs des oskischen Italien, vom Volturnus scheiden.
Der Urii hat nach einer Nachricht, welche Bedenken erregen
konnte, ehedem den verbreiteten Namen Clanis geführt 2) Die etwa
seit KHK) n. Chr. für den Unterlauf vom Einflufs der Melfa ab ge*
brauchte Bezeichnung Garigliano wird den Saracenen zugeschrieben.
In der Geschichte des Altertums ist dieser Strom mit dem Stamm der
Volsker eng verknüpft Er entspringt wesüich vom Fucinus bei 1 1 00m
Hübe unter 42^ n. Br. im Gebiet der Marser, durchfliefet in SO Rich-
tung das schmale von den Herniker und Fuciner Bergen (S. 238) ein-
gefafirte Thal von AtUinum Valle di Roveto. Durch die Eröffnung des
daudischen Emissärs (S. 208) ist er auf dieser Strecke durch den Ab-
ftufs eines Gebiets von 5 d. DM., das bis dahin auf Verdunstung an»
gewiesen war, bereichert worden. Der Ausgang des Thals von An-
tinum wird durch eine Enge beherrscht, die das feste Sora einnimmt
Die Berge treten zurück , es folgt ein etwa 5 km langes 7 km breites
Becken bis Isola: diesen mittelalterlichen Ort umfafst der Liris mit
zwei Armen , die in schonen FaUen der eine senkrecht der andere auf
schiefer Ebene etwa 25 m hoch herabstürzen. Oberhalb Isola mündet
von Osten her der Pibrmui ein , der einen kleinen brodelnden Berg-
see Lago della Posta durchfliefst, dann sich mehrfach spaltet Gcero,
dessen Vaterbaus auf einer seiner Auen stand , spricht voll Entzücken
von ihm — die ganze Gegend bis Isola besitzt in der That den im
Süden so seltenen Schmuck lebenden Wassers — : aber fllr die Ab-
neigung der Alten gegen das Heroische in der Natur darf man einen
Beleg darin finden , dafs weder er noch sonst Jemand der Lirisfölle
1) PUn. XIV 61 m 59 Tac Ann. lY 59.
2) Strab. V 233 Plin. ÜI 59 (letzterer mit unsieherer Lesnng) ans gemein-
samer Quelle, die auch sonst für die KAstenbeschrdbnng constatirt werden
kann. Der Verdacht ist kaum m unterdrflcken, dafs die Quelle den lAiemus
oder damus mit dem Liris verwechselt habe, wie dies Appitn b. clv. 1 39 thut
880 Kap. VIL Die Appeniünflüsse.
mit einer Silbe gedenkt i) Unterhalb Isola wird der Thalgmnd wieder
schmal, die einfassenden Höhen jedoch wesentlich niedriger: der ans
Fregeüana Arce gegenüber ist der Flufs 4 km von ihrem Fufs entfernt
Bis hierher finden sich zahllose Furten; aber von dem Thal von Fn-
geUae abwärts, wo die Breite 45m die Tiefe 0,70 — 2m betragt» kann
der Liris nicht mehr durchschritten werden und gewinnt dadurch
militärische Bedeutung. Ganz besonders gilt dies von dem Abschnitt,
wo das geräumige Thal der Herniker eine bequeme Verbindung mit
der latinischen Ebene eröffnet {via Laiina). Der unweit PraeneaU ent-
springende 92 km lange Treru$ Sacco oder Tolero durchfliefst jenes
Thal, an dessen Abhängen links Anagnia Fereniinum Frutino, rechts
Signia Fahrateria liegen. Sein Gebiet ist 1560 Dkm (28 GM.) grofs,
sein mittlerer Abflufs beträgt aber nur 10 Cubikraeter in der Secunde.
Den Uebergang bei der Einmündung beherrschte FregeUae. Der Liris,
welcher von Sora ab S und SW Richtung eingehalten, wird jetxt nach 0
und SO fortgedrängt und nimmt links den Melpis Helfa auf. Letzterer
aus den Bergen NO von Atina kommend mifst 60 km : wenn Strabo ihn
als einen grofsen Flufs bezeichnet^), so wird dies von der Schuttmenge
herrühren, welche der verheerende Giefsbach mitschleppt An der
N Seite des Liris zieht sich das ansehnliche Thal von Aquinum and
Coiinum hin, das an schmälster Stelle noch immer 8km mifst Aber
nach der Aufnahme von Rapido (30 km) und Peccia (25 km) wird es
zusammengeschnürt, indem der Flufs nach S gerichtet ein Knie bildet
Seine Anschwemmungen haben eine reichlich 3 d. GM. grofse Kflstea-
ebene geschaffen, deren Lagunen häufig im Altertum erwähnt werdeo.
Der Liris durchschneidet sie in SWLauf und mündet bei MnUwnm
im Land der Aurunker. Dieser Unterlauf, den die Reisenden auf der
Via Appia passirten, hat ihm das Beiwort taätumw amnis verschafll');
vom Oberlauf wird wie von der Nera sulfurius gesagt^) Das Lob dals
kein Regen ihn aus dem Gleichgewicht bringe, wird ihm von seines
heutigen Anwohnern vorenthalten.^) Seine gesamrote Länge betiffert
sich auf 168 km, sein Gebiet auf 5020 Gkm (91 GM.), der niedrigste
Abflufs 25, der höchste 1340 Gubikmeter in der Secunde.
1) Leg. n 1 — 7, der spätere Besitzer war Silias Italiens vgl VUI 401 ff.
Mart. XI 48. 49.
2) Str. V 237.
3) Hör. Od. I 31,7 Sit IV 350 Vm 402.
4) SU. Vin 402.
5) Sil IV 35t nuUo muMriUi imbri.
i 5. Uns und YoUarnos. 381
JeDseit des Massicus erstreckt sich der ager Falemus, welcher
durch den Savo Savone entwüssert wird. Den Hauptstrom Caropaniens
beoannten die Römer Yobumtu den Wähenden Rollenden ^) und
rSumten ihm nach der Eroberung des Landes im Öffentlichen Gottes-
dienst eine eigene Stelle ein : eine Ehre deren weder der Po noch ein
anderer der aufserhalb des Weichbildes rinnenden Ströme theilhaftig
ward.^) Der einheimische Name lautete an Atemm an, läfst sich aber
nicht mit Sicherheit herstellen.^) Am Ausgang des Altertums ist end*
lieb noch CanTinus (nach der Stadt Casiltnum an der Stelle des heutigen
Capna) gesagt worden. 4) Nach der herkömmlichen Bestimmung der
Quelle übertrifft der Voltumus den Lins nur um kaum 20 km Länge.
Jedoch würde dieser Vergleich eine falsche Vorstellung von dem Ver-
bHUnifs der beiden Flüsse gewähren. Gerade wie der volskische Stamm
▼on Latinern und Samniten in der Mitte erdrückt worden ist, steht
der Liris nicht nur hinter dem nördlichen sondern auch hinter dem
sttdiiehen Nebenbuhler zurück. Dieser empfängt die Gewisser des
centralen Appennin auf einer Ausdehnung von 130 km und beherrscht
ein Gebiet von 5677 GM. (103 DM.) mit einem mittleren Abflufs von
70, der zwischen 32 und 2000 Cubikmeter in der Secunde schwankt.
Zwei ungeßihr gleich lange Flüsse, der eine von Norden der andere
von Süden kommend, verbinden sich und strömen nun westwärts dem
50 km entfernten Meer zu. Auf den Flufslauf und die Eingangsthore,
die er zur campaniscben Ebene öffnet, sind die samnitischen Völker,
die Pentrer Hirpiner Caudiner für ihren Verkehr mit der Aufsenwelt
angewiesen. Um die Beherrschung dieser Flufslinie sind im vierten
dritten ersten Jahrhundert v. Chr. die blutigen Schlachten geschlagen
worden, welche die Unterordnung der Osker, die Herrschaft Roms,
die Latinisirung der Halbinsel besiegelten. Der nördliche Arm ist der
gröfseren Erhebung des Gebirges entsprechend weitaus wasserreicher
und verleiht deshalb dem Strom seinen Namen. In der Gegend von
Äesemia Isernia vereinigen sich die Bäche, ron denen der mittlere
t) Nach Varro LL. V29 uolateiaisch; doch wird die Ableitang von voivere
durch die Dichter bestätigt: LucanII4'22 eeler, Sil. VU! 529 tonorus, Glaadian
256 rapax, Ovid. Met XV 714 multamqne traheru sub gnrgite arenam.
2) Preller, Mjrth.' p.521 gegen Mommsen CIL. I p. 400.
3) Glnver, U.ant. p. 1094 AUhumw. Die Lesarten gehwaaken: Fiat. Fab.
Max. 6 6 Ao^QOvoQ itozaiiOQ Sv OiovXxovQvov oVPoifiouoi xakovaiv, Pol.
ni 92, l ^ABvQvov, Serv. %, Vcrg. Aen. X 145 Capuam , . . a Tuseis prius re-
tentam Aliturnum [al. AHemum] vocatam vgl. Aternus Amitemum Alfnterni,
4) Clover It. ant p. 1177.
332 Kap. VI. Die AppeDniDflüste.
VaDdra unweit Aufidena Gastet di San^o entspringend der längste ist.
Man rechnet aber nicht ihn sondern den westlichen Bach als Quellarm:
die Quelle liegt 548 m hoch bei 41 o 38' n. Br. Die anfiingliche S Rich-
tung geht bei Yenafrum nach SO um. Das Thal verbreitert sich; es
wird zur Linken von dem hohen Gebirg des Mate8e(S. 241) eingefaigt»
zur Rechten von weit niedrigeren (500 — 1000 m) unzusammenhftngeD-
den Bergen, deren Lücken verschiedene bequeme Ausgänge nach der
Sidicinerstadt Teanum und doon Falerner Gefilde darbieten. Die Läage
dieses Arms bis zu seiner Vereinigung mit dem Cakr beträgt ungefiihr
120km. Es ward S. 242 dargelegt, wie ein die Axe der Halbinsel
schneidender Querzug das Hochland von Samnium gegen den loca-
nischen Appennin begrenzt. Von dem höheren westlichen Theil des-
selben wird der Calore gespeist Der Calor erreicht eine Länge von
116 km. Vom M. Accelica 40^ AT n. Br. her fliefst er zuerst 60km
nordwärts, nimmt rechts die Ufita auf und wendet sich in einem flach
ausgehöhlten Thal direct nach Westen diui Bmeüentum zu. Von Norden
her mündet 5 km vor gedachter Stadt der 60 km lange Tamwrui ein,
der östlich am Matese hinOiefsend bei Saepinum vorüber, gewisser
Mafsen ein verkleinertes Gegenstück zum Volturnus darstellt Benevent
liegt am tinken Flufsufer an einem Centralpunct dieses Hügellandes;
denn unter seinen Mauern mündet links der Sabatm ein, dessen QueUeo
halt an diejenigen des Calore anstofsen, dessen Thal dem seinigea
parallel läuft. Doch ist das Thal des Sabbato breiter und freundlicher:
AbMmum liegt darin. Nachdem derart die Abflüsse des südlichen Sam-
nium vereinigt, beschreibt der Strom einen Bogen um den Gebirg»-
block herum, der im mons Tabumus bei Gaudium 1393m aubteigt
Dann trifft er zuletzt nach SW gewandt 7 km unterhalb Tele$ia mit
dem nördlichen Hauptarm zusammen. Das gesammte Gebiet des Calor
stellt sich auf 3052 Dkm (55 DM.), der miUlere Abflufs auf 24 Cubik-
meter in der Secunde. Der Unterlauf, welcher hiermit beginnt, ist
nach WSW gerichtet und beziffert sich in directem Abstand auf 50 km,
unter Einrechnung der Krümmungen etwa 10 km mehr. Während
die beiden Oberarme namentlich der südliche zahlreiche Furten auf-
weisen, hört der Unterlauf mit einer Mittelbreite von 100 m auf zu
irgend einer Jahreszeit zu Fufs passirbar zu sein. Die Zuflüsse, die er
noch erhält, sind unerheblich: ich erwähne den links kurz vor Caiatia
Caiazzo einmündenden Isciero , der das Thal von Caudium entwässert
Durch die westliche Appenninkette hat der Volturnus seine Bahn müh-
sam brechen müssen: daher findet sich hier ein leicht zu sperrendes
§ 5. Ltris und YoUnrnus. 838
DefiK, das nur ron Süden aus durch den caudinischen Engpafs um-
gangen werden kann. Endlich am Fufs des Tifoia (202 m) wird er
firei und kann ungehindert durch das gelbe Tuffland , das seine Fluten
ähnlich wie den Tiber färbt ^ , dem Meer zueilen , in welches er rttstig
seine Mflnduug Torschiebt Die miUtarische Bedeutung des Unterlaufs
leuchtet nach dem Gesagten Yon selbst ein und wird durch die Kriegs-
geschichte sattsam erläutert. Wie die Römer die Uebergange über den
Liris durch Anlage der Festungen Fregellae 328 v. Chr. und Minturnae
296 ▼. Chr. dauernd sicherten, so haben sie es noch nach dem hanni-
balischen Kriege für zweckmäfsig erachtet 194 v.Chr. Voltumum an der
Mündung des campanischen Flusses zu gründen. Es ist nicht unwahr-
scheinlich , dafs die Mündung in älterer Zeit, als Etrusker Osker und
Hellenen um den Besitz des Landes rangen , dem Verkehr wesentliche
Dienste geleistet hat. Aber nach Sicherung des Landfriedens rerlor
bei der Nähe des Golfs von Neapel ein so ungenügender Seehafen
seinen Wert. Für die binnenländischen Verbindungen blieb er indefs
bestehen : die Schiffahrt auf dem Volturnus bei Capua wird ausdrück-
lich bezeugt >)
Auch die Küste des gesegneten Campaniens wird durch die An-
schwemmungen der Flüsse versumpft. Der kleine Clanius (seltener
Litemus nach der Lagune genannt)^) spielte selbst im Binnenland der
Feldmark von Aeerrae übel mit^): Entwässerungscanäle mit dem durch
Metathesis entstellten Namen Lagni sind an seine Stelle getreten. Die
Strandseen von Litemum Lago di Patria und Cumae Lago d^icola
und Lago del Fnsaro haben ihre Zugänglichkeit von der See her
im Lauf der Zeiten eingebüfst. Kaiser Nero begann in seiner un-
reifen Art grofse Arbeiten zur Hebung der Küste, die bald liegen
blieben und von Domitian nach anderem Plan aufgenommen wurden.^)
Gegenwärtig ist der ganze Strich von Formiae bis PuteoU mit Malaria
1) Stat Sihr. IV 3, 67 ftattum cd^ptif vgl. S. 265.
2) LIv. XXVI 7, 9 : der Bericht tot selir sofaieeht (vgl. PoL JX 5, 7), dock
kann dieser Zug recht wol der Wirklichkeit enUtammeii vgl.StH.SilT.IV, 3, 77.
3) Liv. XXXII 29 App. b. cIt. I 39.
4) Verg. Georg. 11 225 mit den Schol. Sil. It. Vm 537 Lykoph. AK 718 Dion.
Hai. Vn 3.
5) Die Nero angeschriebene Absicht einen schiffbaren Ganal von Ostia
nach Baiae zu graben (Plin. XIV 61 Tac. Ann. XV 42) ist an wahnsinnig um
ernsthaft genommen au werden. Der Plan die Verbindung zwischen Rom und
PuteoU absokfinen, den Domitian ausführte, kam zugleich auf Hebung des
Küstenstrichs hinaus Stat Silv. IV 3, 71 fg. Liv. XXU 16.
834 Kap. VIL Die Appenninflösse.
behaftet. Dann tritt eine längere Pause bis unterhalb Salerno ein.
Der Samus welcher die Ebene südlich vom Vesuv durchströmt, wird
in strenger Zucht zur Irrigation der Felder angehalten. Dieser 40 km
lange Flufs besitzt recht viel Wasser, so dafs seine Mündung den Hafen
des alten Pompm abgeben konnte, i) Seit dem Altertum hat er eine
flache Bucht ausgefüllt und die Stadt 1 km weiter von der See abgerückt
als sie ehedem war. 2)
§ 6. Grofsgriechenland.
Die Entwicklung grOfserer Flufsläufe ist im letzten Drittel der ita-
lischen Halbinsel durch den Bau ausgeschlossen (S. 240). Statt dessen
enthalt es eine Menge selbständiger Gewässer, die mit ihren scharf be-
grenzten Thalgründen, ihren beschränkten Strandebeuen so recht ge-
eignet waren das individuelle Leben anzulocken , in welchenoi der aller
Unterordnung abholde Genius des Hellenentums sich geßel. Der Um-
schwung der Zeiten hat den Städten, welche als Warten der Gultur aa
diesen Küsten gegründet wurden, nur eine kurze Blüte vergönnt Unter
der Römerherrschait siechten sie dahin, noch im Gedächtnifs der Lebeo-
den lastete die Furcht vor den Barbaresken wie ein Alp auf dem Ge-
stade. So herrscht denn hier das Schweigen des Grabes, aus dem
die Säulen dorischer Tempel hervorragen, gespenstischer ak die Aquä-
ducte in der römischen Campagna oder die Etruskermauern in der
Maremma. Der Bau des Landes — von anderen Gründen abgesehen
(S. 121) — erklärt ohne weiteres, warum die ansehnlichsten GriecheD-
städte am TarentinerGolf lagen: hier münden eben die ansehnlichsteo
Ströme. Von dieser allgemeinen Regel bildet nur der nördlichste eine
Ausnahme. In den $inm Paestanm Golf von Salerno ergielst sich der
Silarus Sele. Er entspringt auf dem mehrfach erwähnten Querzug,
der Lucanien von Samnium trennt, fliefst nach S dann nach SW, er-
reicht eine Länge von 75 km. Seine Wassermasse im Unterlauf ver-
dankt er dem Tanager Negro, dessen Quellen nur 10 km nördlich vom
Busen von Buxentum Policastro in der Luftlinie entfernt sind, der
Tanager durchströmt den langen Spalt, welcher in der Axe des luca-
nischen Appennin hinzieht (S.242), das 40 km lange 6 km breite frucht-
bare Thal von Tegianum Val di Diano, gegenwärtig nicht frei von Malaria.
1) Strab. V 247 Plin. Ul 62 Prokop. b. Goth. IV 35 data GloTer It aot p. 1 157.
2) Roggiero in der Festschrift Pompei p. 9 fg. v. Duhn Rhein. Mos. XXXVI
p. 127. 632.
I 6. Grofsgriedieoland. 885
Um dies ehemalige Seebeckeo zu entleeren , hat er aich eine unter-
irdische Bahn gebohrt, indem er an dem Hügel von Fcmm PopiUi li
Polla yerschwindet und nach 6 km bei Pertoaa wieder zu Tage tritt, i)
Er empföngt rechts den Plalano, wendet sich nach W um nach einem
Laullyon 92 km sich mit dem Silarus zu yerbinden. In letzteren fliefst
kurz Tor der Mündung noch der 72 km lange Calor ein. Die Ebene,
welche dem Golf von Salerno durch die Flüsse abgewonnen worden
ist, enthält etwa 5 d. DM., ist aber vielfach versumpft. Auch im Alter-
tum war Paestum seinen gefeierten Rosengarten zum Trotz eine un-
gesunde Stadt 2): seit dem Ueberfall der Saracenen 915 steht sie ver-
lassen. Es folgen kleine Küstenflüsse: JSTofes Alento bei Yelia^ der
PyxHs Busento bei Hv^otg Buxentum (18 km, davon 5 km unterirdisch)
Qud andere geringeren Namens. Des Öfteren haben wir den Laus Lao
erwähnt, weil er Lucanien von Bruttium (S. 64), den Appennin von
den älteren Granitbildungen scheidet (S. 243). Auf seinem von N nach
SSW gerichteten 36 km langen Lauf empßlngt er an 30 Bäche und
überschwemmt seine Ebene an der Küste, an deren NEnde eine gleich-
namige Griechenstadt lag. Die S. 294 gegebene Schilderung kenn-
zeichnet die zahllosen Fiumaren dieser Küsten. Ich erwähne den
Sabatui Savuto, an dessen linkem Ufer Terina lag, den Lameies Lamato
oder Amato auf dem brettischen Isthmus mit einer Strandebene von
4 d. OM., den Mtdma oder Meama Hesima mit einer verpesteten Ebene
Ton 5 d. GM., in der eine griechische Golonie d. N. stand ; am SEnde
dieser Ebene den Meiaurus Harro.
An der Ostseite sind die Gewässer des unteren Bruttium noch
geringfügiger bis zum Isthmus, wo der Cardnes Corace dem Lamato
entsprechend den Höhenrücken einschnürt (S. 244). Plinius der an
den zahllosen Bächen der Küste mit Stillschweigen vorübergeht'), hebt
ausdrücklich als schiflbar hervor den eben genannten Cardnes sodann
die unmittelbar folgenden Crotabu AUi, Semirm Simeri, Arogas Croc-
chio, Tagines Tacina: die Angabe bezieht sich auf die FlOfserei aus
den Forsten der Sila (S. 246). Der Tagines erreicht ca. 50 km Länge.
Von seiner Mündung bis zu derjenigen des 80 km langen Neaeihus
Neto erstreckt sich die Küstenebeae von Groton mit einem Inhalt von
10 d. DM. Das Städtchen Cotrone (30 m ü. M.) erfreut sich noch immer
1) Plin. n 225 giebt Abertreibend 20 Millien an, wenn die Lesart richtig ist.
2) Stnb. VI 252.
3) IQ 95 in ea ora ftumina innumera ted memaraiu digna 0qs,
886 Kap.Vn. Die AppennioflaBse.
ertrilgliGher Luft , wegen deren die Vorgängerin im Allertam so ge-
priesen wurde« Aber die weite nur von flachen weDenfonnigen HOgeln
unterbrochene Fläche ist unbewohntes Weideland ohne Quelien und
Bttume« Tom Juni bis November' völlig verlassen „eine Hölle für den
entkräfteten Wanderer.^ Durch CanaUsation könnte sie den Rekhtum
einer ganzen Provinz begründen. In die Ebene von Sybaris (& 244)
mOndet der HauptstrcHB der brettischen Halbinsel der Craiki$ Crati
aus: die Achaeer haben diesen Namen aus der Heimat auf ihn Qber-
tragen.^) Der 93 km lange Crathis entspringt an der Sila bei 830 m
Höhe unter 39<^ 15' n. Br. In dem Thalkessel von Canseniia Cosenza,
der westlich vom M. Gocuzzo östlich von der Sik sttdlich von dem beide
mit einander verbindenden Röcken (S. 244) umgrenzt wird, vereinigt
er sich mit einer Anzahl von Bächen und strömt nun nordwärts durch
die breite Spalte, welche die Küstenkette von der Gebirgsinsel Sila
trennt. Dies Thal hat nach Herrn vom Rath in Bezug auf Oede und
Unbewohntheit in Italien nicht seines Gleichen : von Gosenza bis Tar-
sia auf einer Strecke von 25 ital. Miglien 45 km findet sich ein ein-
ziges Gehöft. Ostwärts gewandt nimmt der Crati kurz vor seiner Mün-
dung links den Sybariß Coscile auf. Die hochberOhmte 4 d. QH. grofse
Ebene ist ft^lsVdg unbewohnt ein weites Jagd- Sumpf- und Weideland.'
Das Gebiet des Crati beträgt 2317 Dkm (42 D^lX die Mittelbreite d«
Unteriaufs 250 m, der Abflufs kann auf 3300Cubikmeter inderSecunde
steigen. Bis Tarent bleibt die Küste öde und ungesund. Hier Aiündef
der Siris Sinni nach einem Lauf von 101 km. Dann in 0 und SORich-
tung in einem geräumigen Thal strömend der Aeirii Agri 136 km lang:
er wird noch im Mittelalter schiffbar genannt; unweit des rechten Ufers
lag am Oberlauf Grumenium, in der Nähe der Mündung Heraeka, Es
folgen Talandrus Salandrella im Unterlauf Cavone-geheifsen 91 km,
CoBuentui Basen to 149 km: Pötenüa Potenza liegt an seinem Oberiaaf.
Der Bradanus Bradano erreicht eine Länge von 167 km und wird nur
Anfangs von Bergen eingeschlossen. Schon bei Aeheruntia Acereiua
beginnt das Thal sich zu erweitem und geht allmäldich in jenes
einförmige Hügelland , wdches der apulischen Tertiärbildung eignet,
über. An seiner Mündung liegen die Ruinen von MetapotUum. Einige
Angaben über Gebiet und Abflufs dieser lucanischen Flüsse sind $ 8
zusammen gestellt
1) Her. r 145 Strab. Vni 386.
§ 1. Die Adriititchen FlfiiM. 887
i 7. Die Adriatischen Flüsse.
An der Rflekseke der ilaUachen Helbiiisel (S. 222) trflgt dk Flub-
bilduiig deBselbeft einfiMmiigen Oiarakter wie die Küste (S* 93). Für
die ganse SüdklHte bie jenseit des Garganvs tritt sie überhaupt mrttck.
Apolien in der weitesten AMsdehnung des Wortes, ein Gebiet ymi
ca. 350 d. DIL leidet an Wasserarmttt^): die Niederschllige sind ge-
legentlich so gering dafs die Ernte terloren geht, Quellen und peren-
nirende Gewässer selten, man ist genötigt das Regen wasser in Cisternen
aobuspeicheni. Der erste nennenswerte und zugleich ansehnlichste
flufs ist der Äufidm Ofaoto.3) Er entspringt in der Nftbe des Calor
am samnitisch-lucanisehen Grenzgebiiye (S. 242), strömt nach 0, dann
nach N im Bogen um den Vultur herum, endUch NO durch die Ebene,
erreicht das Heer nach einem Lauf von 166 km. Im Altertum war das
unlere Ende schitR>ar: das am SUfer belegene Commmm Canosa hatte
einen Flubhafsn 90 Stadien — 16 km vom Meer entfernt Seitdem
hat der Waaserstand sehr abgenonunen, so dafs aufserhalb der Regen^
zeit Furten m grofser Zahl yorhanden sind. Die Beiworte vkkiu läiife
MMSif, wdche Borax dem heimatlichen Aufidus ertheilt, treffen auf
andere Strome Italiens besser ani: wenigstens im Unteriauf ist er recht
trSge. Sein Gebiet wird auf 2590 Dkm (47 DM.) berechnet; der mitt-
lere Abflufs auf 66, der jedoch bis 2310 Cubikmeter in der Secunde
^Dwachsen kann. Nördlich vom Aufidus bis zum Garganus hin auf
einer Strecke von reichlich 50 km wird die Küste von Lagunen ein-
gefaßt, die heut zu Tage wie zur Romerzeit die Luft ApuUens ungesund
machen. Der Niedergang dieser Landschaft datirt seit dem hanni-
balischen Kriege und hierdurch wurde das Uebel wenn nicht hervor-
gerufen so dodi befördert. 3) Die ausgedehnteste Lagune ist die pabu
Sahpimaf jetzt noch fast 1 d. DM. grofs. Im Altertum diente sie als
Hafen von Solopui — Arpi und konnte Flotten aufnehmen^) : seitdeaa
ist sie so versandet, dab durch Einleitung von Canitlen aus dem Ofanto
und CarapeUa ein versprechender Anfang zur vollständigen Ausfallung
gemacht ist Dire Miasmen haben zu einer Verlegung des dltesten
t) Stiab. VI 281 ^ 4' hSlQ wp "lavdymv xd^ • . . iw&i^xiifk Hör.
Sat 1 6, 78. 88. 91 Od. UI 30, U pmiper afna« Daumu Ep. 3, 16
AfuHa.
2) Pol. m 110, 9 Streb. VI 283 Hör. Od. IE 30, 10 IV 9, 2 14, 25.
3) Streb. VI 285 Gaes. b. dv. m 2.
4) Strab. VI 283 Lncan V 377.
Hiii9B, ItaLLaadMkuid«. I. 22
888 Kap. Vn. Die AppenninflOsse.
Salapia schon in römischer Zeit geführt. ^) Die apulische Ebene (S. 241)
dacht sich unmerklich gegen den Garganus hin ab; eine niedrige An-
schwellung des Bodens bezeichnet die Wasserscheide nach Norden.
An tiefster Stelle fliefst der Candelaro nach SO, am Fufs des Garganus
entlang. Auf ihn stofsen im rechten Winkel nach NO gewandt fünf
aus dem inneren Samnium kommende Bäche , um insgesammt in die
grofse Lagune von S^ntum einzumflnden. Dieselbe gab nach Strabo's
Zeugnifs einen wichtigen Ausfuhrhafen fOr Korn ab. Von Flufsnamen
wird uns einzig der des Cerbahu Cervaro flberliefert.^) Dieser ca 90 km
lange Bach kommt dem Carapella kaum gleich, verdankt auch nur
ethnographischen Gesichtspuncten seine Erwähnung. Naturgemäfs
würde man, ähnlich wie im Norden den Po, hier den Candelaro als die
die Appenninbäche aufnehmende Hauptrinne ansehen. Jedoch hat die
Versumpfung der Lagunen die Einsicht in die topographischen Ve^
hältnisse des Altertums sehr erschwert. An der NSeite des Garganus
liegen zwei grOfsere Strandseen : der Lago di Varano 75 Dkm und der
langgestreckte Lago di Lesina 70 Dkm. Oberhalb des letzteren lag
Teanum Äptäum am rechten Ufer des Frento Fortore. Dieser 9S km
lange Flufs bot und bietet an seiner Hündung einen kleinen Hafen s),
der jetzt freilich im Sommer oftmals unzugänglich, aufserdem N und
OWinden schutzlos preisgegeben ist. Das Gebiet des Fortore be-
trägt 1562 Dkm (28 DM.), der mittlere Abflufs 21 Cubikmeter in der
Secunde.
Die zweite Hälfte der adriatischen Küste kennt jenen Mangel aa
Wasser nicht mehr, welcher die erste kennzeichnet. Die unmittelbare
Nähe des Hochappennins schliefst dies aus, wenn auch die Westseite
von den Wolken viel reichUcher getränkt wird als die im Regenschatten
liegende Ostseite des Gebirgs. Aber trotz der Wasserfalle fehlt es auf
dieser langen Strecke bis zum Poland hinauf an einem beherrschen-
den Flufssystem. Die ungünstige Gestaltung der Küste ist bereits in
anderem Zusammenhang (S. 93) dargelegt worden: kein einziger Ort
erschien beßlhigt durch Seehandel aufzublühen , damit auch civili-
sirend und staatenbildend auf das Innere einzuwirken. Hierzu kommt
nun das Fehlen einer jeden landschafüichen Gliederung. Zwar sind
einzelne dieser Flufsthäler, deren wir einige zwanzig zählen, bedeu-
tender als die übrigen; aber ob sie auch zwei oder drei kleineren
1) Vitniv 1 4, 12.
2) PUn.m 103 vgl.Strab.VI 284 Lacan.V377.
3) PUn. DI 103.
I 7. Die Adriatischen Flüsse. 839
Thalern zusammen gleich gesetzt werden können , verschwinden sie
doch der Gesammtmasse gegenüber. Ueberall wird die Verbindung
ungemein behindert: eine Klause trennt die Anwohner des Ober- und
Unterlaufs von einander, ein abfallender Höhenzug das Thal von seinen
Naehbarthftlern ; der grofse Verkehr war und ist auf den Seestrand
angewiesen, dadurch zu bedeutenden Umwegen gezwungen. Die natür-
liche Abgeschlossenheit erklärt uns, warum der Cantonsgeist in diesen
Landschaften festen Fuls fassen , deren Haltung in allen grofsen die
Halbinsel bewegenden Fragen bestimmen konnte. Es schien geraten
an die historischen Bezüge zu erinnern um die eintönige Aufzahlung
der einander zum Verwechseln ähnlichen Gewässer zu beleben. Der
Tifemus Bifemo entspringt am Fufs des mans Tifemus Hatese unweit
Bomanum Boiano, fliefst an Tifemum und Larinum vorüber, erreicht
eine Länge von 95 km. Von demselben Gebirgsstock kommt der Tri-
nius Trigno 85 km; in seiner Nähe liegen Bovianum vetus Pietrabbon-
dante und Terevmtum Trivento, an seiner Mündung ein kleiner Hafen, i)
Von der Bedeutung des Sagrus Sangro als Naturgrenze zwischen dem
mittleren und südlichen Appennin war früher (S. 228. 240) die Rede.
Er beschreibt SO 0 NO N NORichtung einhaltend vom Fuciner Becken
aus eine 95km lange Kreislinie, ohne dafs aufser Äufidena Castel di
Sangro ansehnliche Städte in seinem breiten Thal sich fänden. Sein
Gebiet mifst nur 1660 Gkm (30 DM.), sein mittlerer Abflufs 20 Cubik-
meter in der Secunde. Somit steht er seinem nördlichen Nachbar an
historischem Lnteresse nach.
Der Atemu9 ist der mächtigste unter allen Flüssen des adriatischen
Litorals. Sein Gebiet umfalst 3130 Dkm (57 DM.), der mittlere Abflufs
Ton 42 sinkt bis 1 8 und steigt auf 2790 Cubikmeter in der Secunde.
An den nördlichen Vorbergen des Gran Sasso unter 42^ 34' n. Br. bei
1100 m Meereshohe entspringend, durchströmt er in SO Richtung den
Thalkessel von Ämitemum, der von den höchsten Erhebungen der
Halbinsel dem Gran Sasso und M. Velino umsäumt wird. Nach einem
Lauf von ca. 80 km windet er sich durch eine Enge und tritt in das
Hochthal (340 m) der Paeligner hinaus. Hier empfängt er durch den
von Süden kommenden Gizio reiche Zuflüsse der Randgebirge und
hort auf zu Fufs passirbar zu sein. Damit wird an dem Puncto wo
Aterno und Gizio sich vereinigen , das natürhche Centrum des Säbel-
hschen Gebirgsvierecks (S. 236), das Centrum einer Einsenknng von
1) Plin.ni 106.
22*
340 Kap.Vn. Die AppeDüiiiflfiflse.
93 km Länge und 30 km Breite dargestellt Hier erhob nch Corfnhm
dicgenige Stadt wetehe 91 v. Chr. die aulMittdiachen Gebirgsstämme
unter dem Namen ItkUü nun Sitt dee italieehen Bundes « zur Nadi-
fidgerin von Rom auserkoren hallen. Die Lage war wejslich berechnet,
in IGtten der Samniten Marser Sabiner Picenter und der kleineren
verbündeten Stfimme, aDen ziemlich gleichmflCsig genähert, dabei von
hoher strategischer Stärke. Zugleich deutet die Lage an warum dieser
Sonderbund scheitern murste : der Grund ist in dessen SteOung zum
Meer und der an das Heer geknüpften Macht zu suchen. Aus dem
Thal der Paefigner wendet sich der Atemus nach NO durch eine von
senkrechten Felswänden eingeengte Klause , die grorsartigste welche
der ganze Appennin aufzuweisen hat, um erst bei Inierfromhm Torre
dei Pass^ in freiere Gegend zu gelangen. Der Durchbruch hat )n Ur-
zeiten die Trockenlegung der Hochgebirgsthäler bewirkt, in geschicht-
licher Zeit als das gewaltige Thor gedient , welches sie mit der Kflste
verbindet aber auch mit Imcbter Muhe gesperrt wird. Der Unteriavf
durch ein breites geräumiges Thal mifst ca. 50 km, 'die MOndung ge-
wahrt einen der besten Ankerplatze an diesen Kasten. An ihr liegt
die kleine Hafenstadt Pescara die dem FluTs gegenwartig ihren Namen
leiht, lag im Altertum Aurwum^ die vom Flufs den Namen empfing,
das gemeinschaftliche Emporinm nicht nur der angrenzenden Vestiner
und Mamiciner sondern auch der binnenlandischen Paeligner.^) Nir-
gends am adriatischen Litoral boten sich günstigere Verhältnisse dar
um eine von dem bevorzugten Westen unabhängige Bahn einzuschlagen.
Die Stamme welche sie einschlugen , übertrafen ihre romischen Be-
drücker ohne Zweifel an Tapferkeit Aufopferung Begeisterung, wie
solche der Kampf für eine gerechte Sache einflofst. Aber die geo-
graphische Betrachtung erläutert besser als jede Erzählung vermag,
weshalb aller Heldenmut an den von der Natur gezogenen Schranken
zu Schanden ward. Die Breite der Halbinsel zwischen den Mündungen
von Atemus und Tiber betragt ca. 180 km>): die Wasserscheide ist
von der Adria 75 km, vom tyrrhenischen Meer 105 km entfernt Jener
ist 152 km lang, dieser 398 km. Die beiderseitigen Plofsgebiete stellen
sich auf ca. 60 und 340 d. DM. Corflnium ist dreimal so weit vom
Meer abgerückt als Rom.
1) Strab. V 241 : die aasführliche Behandlung, welche diesem Flors gewid-
met wird, legt ein erfreuliches ZeugniGs fflr das Yeratandnils Strabo*s ab.
2) PUn.m44 giebt 136 Millien an: 20 km zu viel.
§ 7. Die Adrittiicbeii FlflMe. 841
Der Sofinifi Fino und Mairimu Piomba sind kurze Bache; dagegen
erreicht der am NFuCs des Gran Sasso bei 2000 m Höhe entspringende
fomanus eine Lange Ton 75 km, der vom Pizzo di Sevo kommende
BAmus Tordino eine solche von 50 km. Mehr Beachtung yerdient
der Trwhim Tronto der ansehnlichste Fluls im Picenerland. Die
Quellen befinden sich innerhalb der Abruzzen unweit denjenigen des
Atemus unter 42® 35' n. Br. bei 1700m Meereshohe. Nach Norden
strömend durchbricht er in yeränderter ONO Richtung den Gebirgs-
wall in einer wilden Schlucht Das enge Thal ninmit erst bei Aseulum
tiemum einen freundlicheren Charakter an. Der Flufslauf beziffert
ach auf 115 km, das Gebiet auf 1142 Dkm (21 QM.), der Abflub im
Mittel auf 15 Cubikmeter in der Secunde. Es folgen die Abflüsse der
Sibilla Aso 60 km und Timia Tenna 80 km. Dann wird die Hauptkette
wieder unterbrochen durch den 75 km langen Chienti: unter den ver-
schiedenen Bachen die er aus dem umbrischen Hochland yereinigt,
wird der Flmar Fiastra erwähnt. Wenig kleiner (94 km) ist die Potenza.
Der 45 km lange Aß$i$ Esino, welcher nördlich von Ancona mündet,
bildete zwei Jahrtiunderte hindurch die Grenze des italischen Bundes
(S. 71). Je weiter wir in unserer Aufzahlung vorrücken, desto mehr
vermindert sich der Wassergehalt dieser Flufslaufe , der niedrigeren
Erhebung des Appennin entsprechend. Die anderen überragt der
11 0 km lange Meiaurus, der in der gallischen Mark in ahnlicher Weise
hervortritt wie der Truentus in Picenum. Er entspringt an der Alpe
della Luna (S. 234) unter 43 <^ 38' n. Br. bei 1214m Meereshohe und
fliebt ostwärts an Tifemum Metanirente S. Angelo in Vado und ürvinum
Meiaurenie Uril>ino vorbei. Kurz vor Farnm Sempranii Fossombrone
empftegt er den vereinigten Candigliano und Burano, der durch den
wilden Furlopafs sich einen Ausweg gebahnt hat : dem Burano folgt
die Via Flaminia. Unterhalb Fossombrone erweitert sich das Thal, an
seiner Mündang liegt Faman Fariunae Fano. Das Gebiet betragt
1305 Dkm (24 DM.), der mittlere Abflufs 17 Cubikmeter in der
Secunde. Es bleiben noch zu erwähnen der 90 km lange Pismsnu
Foglia und der 60 km lange irtmmics Marecchia mit gleichnamigen
Städten , von denen die letztere die Hauptfestung der Halbinsel gegen
das Pohind abgab.
Zum Sdriufs mag auch hier eine vergleichende Ueberaidit nach
den Berechnungen des Annuario Statistico von 1881 eine Stelle finden
(vgl. S. 196).
342
Kap. Vn. IMe AppenninflfiSBe.
§8. Uebersicht der Appenninflüsse.
Lange
Gebiet
MitÜerer
Abflufe
in der
Secnnde
Höchster
Abflnfa
in der
Secnnde
Kleinster
Abflob
in der
Secnnde
km
Dkm
Cnbikm
Cnbikm
Cabilia
Magra
65
Berg 1406
Ebene 106
1512
40
3050
12
Serchio
110
Berg 389
Ebene 778
1167
52
1520
16
Arno
248
Berg 6208
Ebene 2236
8444
100
2000
15
Cecina
78
Berg 882
Ebene 55
937
852
2,7
Ombrone
166
Berg 4106
Ebene 94
4200
90
1974
Fiora
80
Berg 679
Ebene 43
722
7
340
Tiber
393
Berg 15995
Ebene 726
16721
267
4500
160
Liris
168
Berg 4798
Ebene 222
5020
1340
25
Volturnus
185
Berg 5229
Ebene 448
5677
70
2000
32
Sele-Tanagro
112
2855?
55?
1050
Crati
93
Berg 2210
Ebene 107
2317
3300
i 8. üebenicht der FlOsse.
843
Sioni
Agri
Salandrella
Basento
Bradano
Ofanto
Fortore
Bifemo
Trigno
Sangro
Aterao
Vomano
Tronto
Tenna
Chienti
Potenza
Esino
Netaaro
Foglia
Narecchia
kB
101
136
91
149
167
166
98
95
85
95
152
75
115
80
75
94
45
110
90
60
Gebiet
akm
Berg 1196
Ebene 107
1303
1740
548
1477
2480
2590
1562
1275
1112
1660
3076
54
3130
760
1142
512
1125
732
372
1305
657
472
Berg
Ebene
Mittlerer
Abfluls
in der
Secunde
Höchster
Abflnb
In der
Seennde
Oabikn
Cnblkm
1100
1340
450
1200
2000
66
2310
21
1390
18
1070
17
990
20
1480
42
2790
7
508
15
1118
7
456
15
1000
10
650
5
330
17
1160
8
585
6
420
Kleinster
Abflufs
in der
Secunde
Cvbikm
1,5
18
0,7
KAPITEL VIU.
Die Inseln.
Die Bedeatung des Lehnworts Insel wird, abstract betradilet,
mit der denkbarsten Schärfe und Klarheit bestimnutO: im wirklichea
Leben ist sei» Gebrauch beachtenswerten Schwankungen unterworfea.
Die aeekundigeo Nordgsrmanen haben die Herübernahme ▼erschmflht:
sie reden von Ländern ohne zu fragen ob dieselben ganz oder theil-
weise von dien Wogen umspült seien. Unsere dänischen Vettern
rechnen wol die kleinicren Bestandtheile ihres Ajrehipels wie Falster
Lolland Aeripoe, nicht aber das gröfsere Seeland oder Fahnen ab
Inseln.') Denselben Unterschied macht die lateinische Sprache, indem
sie Sicilien Sardinien und Corsiea als Länder ansieht, dagegen die
übrigen sei es kleineren oder entfernteren Inseln nach Analogie der
Städtenamen behandelt« Der griechischen Sprache ist der Untenchied
▼ollkommen fremd: in der nesiotischen Welt von Hellas sind Erde
und Meer so unlösbar mit einander verbunden , defs die Begriffe ?on
Grofs und Kl^in vermengt werden, sogar Länder wie der Peloponnes ab
Inseln gelten» Man kann die Anschauung des Röm(ers leicht begreifen:
Sicilien Sardinien und Corsiea traten ihm zu selbständig und nament-
lich in älteren Jahrhunderten zu bedeutend entgegen, als dafs er ihnen
die Eigenschaft als Läi^der hätte absprechen können ; ist ja doch der
Namie Italia (überhaupt nur als Gegensatz zu Si^ilia in Umlauf ge-
kommen (S. 67). Das Altertum hat nicht daran gedacht diese Inseln
dem Festland politisch einzuverleiben: als Diocletian sie damit ver-
einigte, war von einer politischen Bedeutung des Actes kaum noch die
Rede; zudem hatte die Vereinigung keinen Bestand (S. 85). Auch
unsere Auffassung von einer natürlichen Zusammengehörigkeit war
den Alten nicht geläufig. Zwar erklärt Strabo Sicilien für eine Zugabe
der Appenninhalbinsel^ wie es einer allgemeinen Betrachtung in der
t) Festep. IHM inmiae . . . mte terrae quae fluminihu ae mari emi-
nefU eunifue in $ah»
2) Ygl. Madvig, Kleine phil. Sehrifteo, Leipzig 1876, p. 293 fg.
i 1. SidUen. 845
Tfaat mit Notwendigkeit tich darstellt: aber in Betreff Sardimens und
Corsicas wird eine ähnliche Aussage vermibt. Man könnte ja meinen«
die tellurisehe Kraft, welche die südeuropäischen Halbinseln aus der
Tiefe smpor hob> habe eine yierte zwischen Iberien und Italic in die
Mitte legen wollen, habe aber nicht ausgereicht um ihre Schtfpfiing zu
Tolleaden oder sie gegen die Angriffe des Meeres zu behaupten. Immer-
hin unierliegt es keinem Zweifel dafs diese mag man sie nun Anfänge
oder Ueberreste dines Continents nennen , in geographischer Hinsicht
zu Italien zählen. Gerade diejenige der beiden Inseln, welche seit
eioem Jahrhundert ihre Geschicke mit denen einer fremden Nation
verschwistert hat, trägt den italienischen Charakter am reinsten an der
Stirn. Die Alten haben der natttrUcben Abhängigkeit keinen Ausdruck
verliehen ; die Schwerkraft der Verhältnisse machte sich ohnedem gel-
tend« Bewufst hat Rom die Führerschaft des Festlands, bewufst die
Herrschaft über die Inseln erstrebt: 241 ▼. Cbr. trat es den Besitz von
Sicilien , 238 ▼• Chr. den Besitz Ton Sardinien und Corsica an. Die
Ausdehnung dieser Länder (1130 d. DM-X welche dem halben italischen
Bundesgebiet gleich kam, erwies sich als ein Verhängnifs. Sie führte
Bur Einrichtung von Provinzen d. h. militärisch unterworfenen Amts-
bezirken , in denen der Statthdter eine nur durch seine Amtadauer
beschränkte Gewalt über die Unterthanen ausübte. Sie rief damit die-
jenige Macht ins Leben, welche späterhin die Volksfreiheit zu Grunde
richten sollte. Zunächst indefs wurde Rom bei der Vertheidigung des
Erworbenen halb ohne es zu wollen an die Spitze der Mittelmeerländer
gedrängt, der Kampf um die natürlichen Seegrenzen Italiens hatte die
Weltherrschaft unmittelbar im Gefolge. Das Bild das wir zu entwerfen
suchen , würde unvollständig sein , wenn diese Grenzlande von dem-
selben ausgeschlossen blieben. Freilich haben wir uns auf die grofsen
allgemeinen Züge zu beschränken. Sicilien , das in der allgemeinen
Gesdiichte einen heryorragenden Platz behauptet, dessen Blüte vor
die Remerb^rrschaft ftlllt, kann nur in einer eigenen Darstellung er-
schöpfend behandelt werden. Die Westinseln nehmen das geschicht-
liche Interesse überhaupt nur in beschränktem liafse in Anspruch.
§ 1. Sicilien.^
Die gröfste und centralste unter den Inseln des Mittelmeers um-
fsfst einen Flächeninhalt von 29 240 Dkm &32 d. QM., wie gegen*
1) litterator bei Ad. Holm, Geschichte Sidliens im Alterthom Bd. I,
Leipzig l&l^ V^. Kap. VI 4.
S46 Kap. VIIL Die Inseln.
wüitig ofBciell aogeDommen wird, erstreckt sich Ton 30^ 5' (LUt^aeum
Cap Boeo) bis 33® 11' (Pdoris Punta del Faro) tt. L. Ferro, von 36« 39'
{Packymu Cap Passero) bis 38<^ 18' (Phalaerium prom. Cap Rasoculmo)
n. Br. So ungeschlacht die Umrisse auf den antiken Karten ausfielen
(S. 33), müssen sie sich doch früh dem hellenischen Volksbewufstsein
eingeprägt haben. Die alte Benennung TQivcntQla Triqueira (S. 4
A. 1) liefert den Beweis. Sie würde noch besser zutreffen als der Fall
ist, wenn nicht in Urzeiten die Westspitze des Dreiecks vom Meer zer-
trümmert worden wäre : die Aegatischen Inseln stellen sich deutlich
als Ueberbleibsel dieser zertrümmerten Ecke dar. Die Küstenlänge
wird 820km 111 d. H. gerechnet, so dafs das Verhähnifs zum Inhalt
sich 1 : 5 stellt, während es für das Festland nur 1 : 11 beträgt (S. 217).
Auf die Nordseite entfallen 320, die Ostseite 215, die Sttdwestseite
285 km. Auch die Bildung der Küste weicht vom Festland vortheilbafl
ab. Sie ist durchweg steil und verflacht sich nur ausnahmsweise wie
an der Westspitze bei Lilybaeum , im Süden bei Gela , im Osten bei
Leontini. Von der hafenlosen Südküste abgesehen besitzt sie eine Reihe
vorzüglicher Häfen : Drepana Pamrmu$ Mylae Messana Megara Syra-
cusae; nur die beiden erstgenannten sind in Folge fortschreitender
Hebung seit dem Altertum versandet (S. 290). Die Sicherheit dieser
Häfen wird mehrfach durch Küsteninseln herbeigefflhrt, die nachträg*
Uch landfest geworden sind. Die sichelartigen Landzungen , die Dre-
pana und Messana (ehedem Zankle) ihren Namen verliehen und zu den
eigentümlichsten Erscheinungen der sicilischen Küste gehören , legen
von der bildnerischen Kraft des Meeres Zeugnifs ab. Auf den ge-
schützten Vorgebirgen und Eilanden gründeten die Phönizier und
deren Nachfolger die Hellenen ihre Niederlassungen (S. 119). In der
That ist Sicilien nicht blos durch die erwähnten Vergünstigungen son-
dern durch seinen ganzen Bau auf eine maritime Entwicklung hin-
gewiesen. Gröfsere Flüsse wie gröfsere Ebenen fehlen ihm gleich-
mäfsig ; die ausgedehnteste ist die vulkanische Ebene südlich vom Aetna
(S. 274). Das Ganze ist ein Hochland von 6 — 700m mittlerer Erhebung,
das von Nord nach Süd sich abdacht
Seine geologische Vergangenheit scheint noch wechselvoller ak
diejenige des Festlands zu sein, weil die Umwälzungen auf einem ver-
gleichsweise beschränkten Raum sich zugetragen haben. Die Haupt-
masse des Bodens gehört einer jungen Tertiärbildung an, die überaus
zahbreiche Einschlüsse von Muscheln , zu drei Vierteln noch lebender
Arten, enthält Sie entspricht dem Subappennin, steigt aber doppelt
§ t. SidUen. 847
so hoch wie dieser auf: im Innern bei Bnna Castrogiovanni erreicht
sie gar eine Hohe von 997 m. Wir sahen schon S. 275 dafs diese
Huschelkalke mit vulkanischen Schichten wechsellagern , dafs unter-
seeische Vulkane in Verbindung mit den marinen Niederschlägen an
der Erhöhung des Bodens gearbeitet haben. Primürformationen finden
sich nur im Nordosten. An beiden Seiten der Strafse von Messina ist
das Gebirge TöUig ttbereinstiromend gebaut, der Kern vorwiegend
Gneifs, daneben auch vereinzelt Granit Glimmer- und Thonschiefer,
dieser Kern von einem Mantel jungtertitfrer Schichten bis zur Hohe
TOD ca. 200 m eingehüllt Das krystallinische Gestein verwittert in
Italien besonders leicht und darum treten die verheerenden Fiumaren
in ihrer wildesten Gestalt gerade im brettischen und sicilischen Ur-
gebirge auf (S. 295). Für das letztere wird gelegentlich die Bezeich-
nung Peloritanisches Gebirge nach dem Gap gleichen Namens ge-
braucht: aus dem Altertum dagegen ist NephmiuM mans überliefert. 0
Nach SW streichend erreicht es im M. Dinnamare (oder Antennamare)
bei Messina eine Hohe von 1 130 m, im Senden bei All 1252 m, wendet
sich alsdann mit wachsender Erhebung direct nach Westen. Ein bei
Cap Calavä westlich von Tyndarii endigender Vorsprung bezeichnet
den Abschlufs der Primär- und den Beginn der Secundflrformation.
Diese steht dem Appennin vollkommen gleich und macht auch auf
Sicilien den Haupttheil des Stammgebirges aus. Es streicht der Nord-
kOste parallel mit 15— 1600 m hohen Gipfeln (M. Sori nördlich von
Hadranum Ademö 1845 m) als geschlossene Kette bis zu einer Ein-
senkung, welche durch die beiden nach N (Frame Grande) und S
(Fiume Salso) fliefsenden Himera gekennzeichnet wird. Hier ballt es
sich zusammen und steigt zu seinen höchsten Erhebungen auf: dem
M. S. Salvatore 1910 m und Pizzo Antenna 1975 m südlich von Cepha-
loedium Cefalü. Dieser Gebirgsstock heifst mit einheimischem Namen
le Madonie ; die Alten nannten den ganzen Gebirgszug der Nordküste
iVeftrodei.^ Jenseit der HimeraqueUen nimmt Äe Erhebung ab und
das Kettengebirge lOst sich allmfllich in einzelne Berge und Berg-
gnippen ohne deutliche Ordnung und Zusammenhang auf. Unter den
Gipfeln sind bemerkenswert der H. S. Calogero bei Thermae Hime^
rense$ Termini 1245 m, die steile Rocca Busambra 1574 m im Innern
bei Corleone, der H. Cuccio bei Palermo 1049 m. Die durch Hamilkar
1) Solin 5, 12.
2) Stnb. VI 274 Sil. It XIV 236 Solin 5, 12 Gratias Cyneg. 52S.
348 Kap. VDL Die Inseln.
Barkas' VertliekligiiBg berOlmile Heirkie M. S. PeQegrind bei letzt-
genannter Stadt ist ein völlig abgesonderter 598 m hdier Kalksteia-
stock, eine ehemalige Kttateninsel wie der Borg der Cärce, die nadi-
traglich landfeat geworden ist. Nördlich von Sif ctfa raiM der M. Spa-
ragio 1 109 m, der in das Vorgebn-ge S. Vito auslaaft. Den Beschlub
biMet der mächtige vom Meer aus 751 m aubteigende Enp9 M. S. Gia-
liano, der von den Alten seiner isiriirten StaUting wegen geradem ab
Gegenstück zum Aetna hingestellt wird-O Von der am Nordrand sich
haltenden orographischen Hauptlinie des Landes laufen zahlreiche
Seitenhnien aus, ohne einer ttbereinstimmendeta Richtung zu folgen
oder in übersichtlicher Weise sich zu gliedern. Nur verdient der Um-
stand besondere Beachtung, dafs in der WesthaUte zwischen dem Eih
bfkoi Platani und dem Hyfias Beiice eine Rahe bedeutender Erbe-
bungen sich nach der Sftdküste hinziehen : dazu gehören der M. Gam-
marata mittwegs zwischen Akragas und Himera mit seinem weithin
sichtbaren Doppeigipfel 1576 m, der M. Rose bei Bivona 1436 m, sowie
die wilden Berge von Caltabellota 900 — 959 m oberhalb Sciacca. Femer
stellt der M. Lauro 985 m bei Aerae Palazzolo die Mitte eines Berg*
landes tertiärer Bildung dar, welches den Südosten zwischen Gela und
' Syrakus einnimmt Tief angeschnittene Schluchten, welche die merk-
würdige Zusammensetzung des Bodens (S. 275) aufschlieisen, laufen
nach allen Weltgegenden aus. Dies abgesonderte System hfingt durch
einen Auslaufer, der nördlich von Enna am M. Artesino 1193m an-
setzt, nait dem Hauptgebirge zusammen. Der Auslaufer motu B$ram
im Altertum geheUsen^), bildet die Wasserscheide zwischen dem sid-
Uschen und africanisdien Meer. In der weiten Bucht, die von den
Nebroden und den Heraeisehen Bergen umfafst wurde, hat die vul-
kanische Kraft den Aetna aufgeschüttet, der wie ein Riese unter
Zwergen die älteren Gebirge überragt. Er ist durch die tiefen Thaler
des JJcmne$ Alcantara und Symaeikus Simeto von jenen abgeschlossen
und hangt nur in einem schmalen Isthmus, der Wasserscheide beider
Flüsse (1156 m) mit ihnen zusammen.
Von den ca. 250 Wasserkfnfen, die in Sicilien gezahlt werden, ist
kein einziger schiffbar. Die meisten liegen im Sommer trocken und
bereiten nur zur Regenzeit dem Verkehr Schwierigkeiten. Ihr Wasser^
stand wird vielfach durch die Beschaffenheit des Bodens bedingt. Das
1) Pol I 55, 7 Solin 5, 9.
2) Yibina Seqn. s. v. Ghryais DM. IV 84.
§ 1. SicOien. 849
zerkMtete Kalkgebirge spart die empfangenen Niederschläge in unter-
irdischen Bohlen aar, welche einen constanten Abflufs wahrend der
Dorre siehern (S. 224), durch den sieh nainenilich die kleinen Flttsse
des Berglandes im SO auszeichnen. Umgekehrt hat das Urgebirge nur
Fiumaren, kane perenuirenden Bliche aufeuweisen. Am Abhang des
Aetna werden die Bftche gänzlich vermirst, welche man nach seiner
Hohe und der Masse seiner NiederschUlge in grofser Anzahl voraus*
setzen würde: der vulkanische Sand saugt die Feuchtigkeit gierig ein,
hält ae lange und Iflbt erst am Fufs des Gebirges Quellen hervor-
brechen. Aus dem Bau des Landes ergiebt sich ohne weiteres , dafs
die grOfseren Flflsse nach Osten und Südosten strümen müssen. Er^
wihnuDg verdienen folgende. Der Akmine$ oder isfnes^) Gantara
oder Alcantara, welcher den Aetna im Norden umfliefst, erreicht nur
eine Länge von 52 km. Dagegen ist der den Aetna im Westen und
Soden umfassende Symaakiu Simeto oder Giarretta als der bedeu-
tendste Flufs der Insel anzusehen: weniger wegen seiner Länge, die
sich auf 116km stellt, als wegen der Ausdehnung seines Gebiets, das
4387 Okm ungefähr 80 d.DM. drei Zwanzigstel ganz Siciliens einnimmt
Der mittlere Abflufs beträgt 90 Gubikmeter in der Secunde. Er ent-
steht durch die Vereinigung mehrerer Quellarme, die von der leon-
tinischen Ebene Hlchertormig in das Innere eindringen. Von Norden
her kommt der Hadranius^ Simeto, welcher unweit Badrmmm Adem6
den nördlich vom M. Artesino entspringenden Cifornomrui^) Fiume
Salso aufnimmt Er umfliefst nun in SO Richtung den Vulkan und
nreinigt sich in der Ebene mit dem dunpoi^ Dittaino, der von den
Hohen um Enna herum genährt wird. Endlich kommt noch kurz vor
der Mündung die Gumalunga hinzu. Im Einzelnen ist der Lauf dieser
Flosse durch Lavaströme Aschenregen und Alluvionen vielfach ver*
lodert worden. Die Alten erwähnen verschiedentlich den TimlM, der
20 Stadien -^ 4 km vom Meer aufwärts nach Leontinoi zu schiffbar
gewesen sei.'^) Ob an den kleinen bei dieser Stadt fliefsenden Fiume
S. Leonardo oder aber einen Arm des Symaethus, vielleicht die Guma-
lunga zu denken sei, vermögen wir nicht zu entscheiden. Das Mün-
dungsgebiet ist jetzt versumpft, auch der 18 Dkm grofse seichte See
1) Entere Form Thue. IV 25, leUter^ Plin. m 88, Vib. Sequ. Anmut.
2) Steph. Byi. n. kS^vov*
3) Pol. 1 9, 4.
4) Diod. XIY 95 Gic Yerr. lY 96 SU. lt. XIV 229 Vib. Seqa.
5) Skylax 13 Thuc. VI 50. 94 Diod. XIV 14 XXO 2 Plin. m 89.
860 Kap. Vm. Die Inselii.
von Lentini erst seit dem Altertum künstlich geschaffen worden. In
Folge dessen Uüst die Luft viel zu wünschen ttbrig. Von M. Lauro her
strömt der 60 km lange Anapus Anapo in den Groben Hafen tob
Syrakus ein. Die anderen Flübchen des Südosten können in diesem
Zusammenhang tibergangen werden. An der Sttdkttste macht der
JJnit^raFiume Salso dem Simeto den Rang streitig, welchen er an Länge
(ca. 144 km) übertrifft, an Ausdehnung des Flulsgebiets 1980 Dkm
36 d. dM.) und Gehalt (16 Cubikmeter in der. Secunde) jedoch nicht
erreicht Die Alten heben den Salzgehalt seines Wassers henror, der
ihm den jetzigen Namen eingetragen hat.^ Dies rührt im yorUegenden
wie in anderen Fftllen von den ungeheuren Steinsalzlagern her, welche
wie die SchwefeUager dem siciUschen Tertiär angehören : wegen der
bequemeren Gewinnung des Seesalzes nimmt man von ihrer Ausbeu-
tung Abstand. Auch wird von den Alten bemerkt, dafe der Himera
Sicilien in zwei Hälften theilt') Wir haben oben S. 347 dargelegt,
dafs das Stammgebirge an der Wasserscheide zwischen seinen Quellen
und denen des nördlichen Himera aufhört eine geschlossene Kette dar-
zustellen und bedeutende Höhen südlich entsendet Der so gebildete
natürUche Einschnitt hat in der älteren Geschichte des öfteren als
politische Grenze gedient um die karthagische von der syrakusischen
Hälfte des Landes zu scheiden. Die historische Bedeutung, dazu die
Uebereinstimmung der Namen erzeugte bei den Alten, welche den
Flüssen die abenteuerUchsten Irrfahrten zutrauten , den Glauben dals
beide aus gemeinsamer Quelle strömten und wie Einige hinzuftlgteOf
wunderbarer Weise der eine mit sülsem der andere mit salzigem
Wasser.') Die Quellen liegen in den Madonie am M.S.Salvatore theO-
weise nahe bei einander. Der südhche Himera hat in seinem weiten
sandigen Bett ziemlich viel Wasser, kann aber an der Mündung wie
im Oberlauf durchschritten werden. Nach starkem Regen schwillt er
hoch an und unterbricht den Verkehr mehrere Tage lang. Der nörd-
liche Himera bei der Stadt gleichen Namens heifst zwar jetzt Fiume
Grande, kann sich aber bei einer Lange von nur 45 km mit dem sfld-
1) Diod. XIX 109, 5 MelaOliO; Aber die Salzlager SoHn5,19 Vitrov
Yjlj 3 7^
2) Pol. Vn 4, 2 Uv. XXIY 6 Mela 0 119.
3) Vitrav Vni 3, 7 Mela 0 119 SoUn5, 17 Vlbias Seqa. giebt Stesichom
als Gewährsmann an. Sil. It. XIY 234
dividuai se icindit in ora$
nee minus oecanu peüi ineita quam petit ortus
Nebrodei gemini nutrit divortia fontii.
§ 1. Sidlien. 851
liehen Bruder entfernt nicht messen. Letzterem steht auch der zweite
bedeutende Fluis des Sttdens der Halycus (oder Ljfcus) Platani weit
nach, der gleichfaUs als Grenze zwischen phOnizischem und helle-
nischem Gebiet gedient hat^ Er erreicht bei einem Gebiet von
1717 Dkm 31 d. DM. und einem Gehalt von 15 Cubikmetern in der
Secunde gegen 110km Lange: der westUche Quellarm umflielst den
hohen H. Cammarata (S. 348), der Östliche kommt von den Bergen, die
das obere Thal des Himera einschliefsen. An der Mündung lag Hera-
tka Jfmoa. Der letzte ansehnliche Fluls ist der 93 km lange Hgpsas
Beiice, der aus der Vereinigung von zwei Quellarmen entsteht und
östlich von Sdmus mündet: sein Gebiet umfafst 965 Dkm 17 Vs d. DM.,
sein mittlerer Abflub 9 Cubikmeter in der Secunde.
Die glückliche Bodenmischung bedingt die aufserordentUche
Fruchtbarkeit des Landes, das in hellenischen Zeiten als Heimat der
Demeter, in römischen als Kornkammer Roms galt. Drei Jahrtausende
lang ist es bestellt worden und verrät noch immer keine Spur von
Erschöpfung. Aeufserst mangelhaft bearbeitet, ungedüngt Uefern die
Weizenfelder nicht blos wie Cicero sagt das zehnte sondern das zwölfte
bis sechszehnte ja sogar das achtzehnte Korn.^ Die Baumzucht, welche
ein Fünftel des Areals gegenwärtig einnimmt, gewährt den höchsten
Ertrag welchen die Bodennutzung in Europa überhaupt zu erzielen
vermag. Die Abhänge des Aetna ernähren mehr als 300000 Menschen
und hier kommt die erstaunliche Dichtigkeit einer ackerbauenden Be-
völkerung von 550 Seelen auf den Quadratkilometer, über 30 000 auf
die deutsche Quadratmeile vor. Der Reichtum des gesegneten Landes
hat auf die Culturvölker eine ähnliche Anziehung geübt wie die Po-
ebene auf die Barbaren des Nordens. Aber dieser ungleich entbehrte
es der natürlichen Einheit. Die verschiedenen Seiten des Dreiecks
weisen nach verschiedenen Himmelsgegenden , nach Italien Griechen-
land und Africa. Wol haben die Eingebornen der Fremden sich zu
erwehren gesucht, unter Führung des Duketios (461—439 v. Chr.)
einen langwierigen erbitterten Kampf für ihre Freiheit unternommen.
1) In den FriedensschlfliBsen von 383 Diod. XV 17, 5 nnd 338 Plut Tim.
34, 1 Diod. XVI 82, 3 Oeber den AnUot Mflller fr. hist. Gr. D 221 Holm Gesch.
Sic.I3i2.
2) Nach Hohn, Bunians Jahresbericht fflr 1880/81, p. 164: Cicero Veir. IH
112 habe als Anwalt der Sicilier den Ertrag unterschätzt Dagegen beziffert
die amtliche Statistik denselben fflr die Provinz Gatania nnr auf 14, fflr die
ganze faisel 1 1—12 Hektoliter per Hektar nach einem fflnQahrigen Mittel; vgl.
Kap. X 4.
852 Kap. ym. Die Inseln.
Allein was in ItalieD gelang, schlag auf der Insel fehl. Das Innere
ward durch die KOste bemeistert, von Aufsen her bat Sicilien das Ge*
prflge seiner Nationalität erhalten and solche in Folge dessen im Lauf
der Geschichte so oft umgeUuscht wie kein einziges Land Europa's.
Im Altertam ward es zuerst völlig bellenisirt, seit Beginn unserer Zeit-
rechnung latinisirt. Auf die byzantinische folgt die glanzToHe araimcbe
Periode, bis die Normannenherrschaft den An^hlufa an Sprache und
Sitte des benachbarten Festlandes einleitet Von all den Volkern die
hier sefshaft geworden, haben Griechen und Semiten am uachhaltigsteB
um den Besitz der köstlichen Insel gerungen, ihr Andenken durch die
hervorragendsten Denkmttler verewigt Der Wettstreit beider erfüllt
das achte bis dritte Jahrhundert vor, das siebente bis zehnte Jahrhun-
dert nach unserer Zeitrechnung. Der nationale und politische Gegen-
satz erhalt in den natttriichen Verhaltnissen seinen Ausdruck. Die
Ostseite ist ohne Frage als die am meisten begünstigte anzusehen. Sie
enthalt die grofste und fruchtbarste Ebene, das ausgedehnteste Flu&-
system, besitzt vortreffliche Häfen, beherrscht den Sund der das tT^
rhenische mit dem Hauptbecken des Hittelmeeres verbindet, wird
durch die Südhalfte von Bruttium, die ganz unter seinem Einflufs steht,
erweitert. Das | schmale Littoral des Nordens erscheint dem Osten
gegenüber als Rückseite des Landes und einer selbständigen Entwid-
lung unßlhig. Der Süden wetteifert allerdings mit seinen langen Flu6-
laufen , wird aber durch den Hangel an Hafen in einen nicht ausiu-
gleichenden Nachtheil gesetzt Dagegen tritt die Westspitze gegen die
Ansprüche des Ostens in die Schranken. Sie steht ihm ja an Aas-
dehnung weit nadi, aber besafs 'ehedem vortreffliche Hafen und lag an
der alten Weltstrafse , die vom silberreichen Iberien nach den Gultnr-
staaten des Orients ftlhrte. Die Bedeutung des Westens vrar durch
die Nahe Africa's bestimmt ; denn der firemde Welttheil ist demselben
viermal so nahe gerückt wie der Peloponnes, der Weg von Syrakns
nach Athen betragt das sechsfache des Weges von Liiybaeum nadi
Karthago. Die raumliche Entfernung bewirkte dafe die Hellenen ohne
Unterstützung des Mutterlandes die Angriffe der phOniziscben Grob-
macbt abzuwehren hatten, wahrend diese in den unbeiwangenen See-
festungen Hotye — Liiybaeum Drepana Panormus Ausfallthore gegen
Sicilien zu steter Verftlgung bereit hatte. Die drohende Gefahr nötigte
die hellenischen Freistadte mit innerem Widerstreben die Hegemonie
von Syrakus anzuerkennen. In den denkwürdigen Kriegen des fünfteo
und vierten Jahrhunderts schwankt das Zünglein hin und her , aber
§ 2. Sardinien. 853
Karthago schiebt die Grenze seiner Provinz unaufhaltsam vor: 480
unter Gelon wird solche ungefähr durch den Lauf des Beiice, hundert
Jahr spater unter Dionys bald durch Platani bald durch den Himera
bezeichnet Bereits 345 v. Chr. betrachtet sich Karthago als Herrin
von ganz Sicilien^ und verleiht in dem 306 mit Rom abgeschlossenen
Bündnifs solchen Ansprüchen einen feierlichen Ausdruck (S. 66). Vor
dem Lose karthagisch zu werden hat freilich das Schwert des Königs
Pyrrhos und die Volkskraft Italiens die schöne Insel bewahrt, aber
dafür ward ihr das kaum minder harte Schicksal auferlegt als cella
penaria rti fMicae^ nutrix pkbü Romanae zu dienen.^) Und obgleich
die Monarchie die entsetzlichen Wunden, welche die Miswirtschafl
der Republik geschlagen, zu heilen unternahm, hat auch sie nicht
daran gedacht die Abhängigkeit der Provinz aufzuheben , die bürger-
liche Gleichheit mit dem Festland einzuführen.
§2. Sardinien.))
Ihren reichen natürlichen Anlagen zum Trotz hat Sicilia unter
den italischen Landschaften lange Zeit nur den Rang eines Stiefkindes
behauptet. Und doch ist sie glücklich zu preisen, wenn man ihre
Geschichte mit dem Verhängnifs vergleicht, das über der grofsen
Schwesterinsel lastet. Verhöhnt verachtet gemifshandelt mitFüfsen
getreten erscheint letztere als Helotenkind unter den Töchtern Italia's.
Altertümlich, in seiner Entwicklung verkümmert, um Jahrhunderte im
Rückstand, ragt das menschenleere Land der Sarden fremdartig in die
Gegenwart hinein und findet nirgend seines Gleichen. Die Betrach-
tung seiner Lage und Natur, seiner geologischen Vergangenheit trägt
dazu bei die Rätsel seiner Geschichte zu lösen. Die zweitgröfste Insel
des Mittelmeeres liegt zwischen 25 ^ 48' und 27® 30' ö. L., ziyischen
38® 52' und 41® 16' n. Br., bedeckt mit den benachbarten Eilanden
nach La Marmora einen Flächenraum von 23920 Dkm 434 d. DM.,
wahrend officiell 24250 Dkm 440 d. DM. angenommen wird. Helle-
i) Fiat Tim. 9.
2) de. Yen. fl 5 als Ausspruch des alten Gato.
3) Albert de la Marmora, Voyage eu Sardaig^ne ou description statistiquc
physique et politique de cette tle, Paris et Turin 1839—57, 3. Abth. in 4 Bdn.
mit Atlas, dazu itiniraire de llie de Sardaigne, 2 Bde. Turin 1860. Das Itinerar
ist fibersetzt von Giov. Spano, Gagliari 1868; dazu emendamenti ed agginntc
Ton dems. Gagliari 1874. Ueber La Marmora's Reisen und Forschungen vgl. cenni
biografici del conte A. d. M. von dems. Gagliari 1864.
Nitsen. Ital. Landesknnde. I. 23
854 Kap. VllL Die Inseln.
nische Geographen haben ihre Gestalt mit einer Sohle oder einer Fufs-
spur verglichen. 1) Die gröfste Länge mifst 268 km, die gröfste Breite
144 km, die kleinste Breite 109 km. Der Umfang wird 792 km 107
d. H. gerechnet , so dals das Verhältnifs von Küste und Flächeninhalt
sich 1 : 4 stellt, noch günstiger als für Sicilien (S. 346). Dagegen ist
es weit mehr isolirt als dieses, den Sitzen der alten Cultur recht fern
gerückt: der Abstand von Italien beträgt ca 225 km, von Sicilien
290 km, von Africa 190 km. Entscheidend war die Bildung seiner
Küsten. Die dem Festland zugewandte Seite (S. 98) besitzt nur einen
einzigen Hafen, den von Olbia Terranova, der zwar ausgezeichneten
Schutz bietet aber an der NO Ecke gelegen , auf die fruchtbare Niede-
rung im SW keinen Einflufs ausüben konnte. Diese erstreckt sich
bei einer mittleren Breite von ca 16 km auf 100 km Länge vom Golf
von Caraiit Cagliari bis zum Golf von Tharrus Oristano : in ihr ruht
der Schweipunct des ganzen Landes. Der Golf von Cagliari enthält
eine treffliche Rhede und es war von Bedeutung dafs er auf den nächst-
gelegenen Continent auf Africa Offnet In dessen Bann ist das ganze
Land bis auf die Herrschaft Roms geblieben. Wol ist am Ausgang des
sechsten Jahrhunderts v. Chr. unter den Joniern mehrfach davon die
Rede gewesen dem persischen Joch sich durch Auswanderung nach
Sardinien zu entziehen, aber Karthago kam ihnen zuvor und hielt mit
eiserner Strenge die Fremden fern.^) Die Thatsache dafs griechische
Münzfunde hier überhaupt nicht vorkommen 3), erläutert das Fehlen
des Verkehrs und damit auch des civilisatorischen Einflusses, durch
den dies Volk es allen übrigen zuvortbat. Die lange Abhängigkeit von
den Phoeniziem hat Caralis zur Hauptstadt gemacht, ohne dafs die
ganze Nordhälfte bis auf den heutigen Tag diesen Anspruch anerkannt
hätte. ' In der That wäre der Golf von Tharrus oder Oristano weit eher
berechtigt gewesen den Vorrang einzunehmen, wenn dem Lande hätte
beschieden sein können ungestört seine eigenen Bahnen zu wandeb.
Derselbe ist der räumlichen Mitte ziemlich angenähert, in ihn mündet
der Hauptstrom aus. Als Sardinien im Mittelalter sich einer gewissen
Unabhängigkeit erfreute, stand denn auch hier der glanzvollste und
mächtigste Fürstensitz, der Sitz der Richter von Arborea. Bekannt-
lich hat Aragonien seit 1297 die Lehnshoheit ausgeübt und ist das
1) Plin. ni 85 de mir. ausc 100. Pausan. X 17 1.
2) Her. I 170 V 106. 124 VI 2 Justin XVül 7, 1 XIX 1, 3 Strab. XVII 802.
3) La Marmora hat auf seinen zwanzigjährigen Reisen nie eine griechische
Münze zu Gesieht bekoounen (auch nicht auf den Balearen) I p. 8 A.
{ 2. Sardinien. 365
BausSavoyen erst 1720 an die Stelle spanischer Vicekönige getre-
ten. Mit ganz anderem Recht liefs sich diese spanische Herrschaft
Aber Sardinien begründen als die über Sicilien und verschiedene Theile
des Festlands von derselben Macht geübte. Denn zwar wächst die
EntfernuDg Spaniens von der Insel ungefähr auf das Doppelte der
EotfemuDg Italiens; aber dafür ist die Insel diesem ab- und jenem
zugewandt Die westliche ist in jeder Hinsicht die bevorzugte Stirn-
seite. Im Gegensatz zum hafenlosen Osten besitzt sie ein entwickeltes
Gestade, grofse gut vertheilte Buchten wie den Golf von Sulds Palmas,
Thama Oristano, Carhia Alghero und Porto Conte, die allen Anforde-
rungen des Verkehrs entsprechen. Die Nordseite steht wiederum
zurück: der Hafen von Turrii Lßyssonis Porto Torres am Golf dell'
Asioara erinnert freilich in seiner Anordnung an den von Cagliari,
kommt ihm indefs von weitem nicht gleich.
Sardinien ist zu neun Zehnteln gebirgig. Der Abstand von Corsica
beträgt 1 2 km, das Lot sinkt an tiefster Stelle nur 90 m, die zahlreichen
Inseln und Klippen deuten den ehemaligen Zusammenhang an. Der
geognostische Bau (tertiärer Kalk und Granit) diesseit und jenseit des
Sundes stimmt in ähnlicher Weise überein, wie es bezüglich des bret-
tischen und peloritanischen Gebirges der Fall ist. Der Durchbruch
gehört gleichfalls einer verhältnifismäfsig jungen Epoche an und ist
eine jener grofsen Veränderungen , die das Land nach und nach er-
faljren hat. La Marmora hat bei Cagliari eine Schicht von Seemuscheln,
untermischt mit rohen Topfscherben , in der Höhe von 74 m aufge-
funden und daraus den Schlufs gezogen dafs das Land um diesen Be-
trag gehoben sei, seitdem es von Menschen bewohnt wurde. ^ Wirklich
haben die hebenden Kräfte die Sandalengestalt sehr spät geformt,
indem sie eine Anzahl durch schmale Sunde getrennter Inseln mit
einander vereinigten. Das Campidano die Ebene von Cagliari und
Oristano, welche in der Quaternärzeit aus den Fluten auftauchte,
scheidet vollständig den Südwesten von dem Gesammtkörper ab, wie
dies ein schmaler Meeresarm mit den Inseln S. Antioco und S. Pietro
noch jetzt thut Aehnlich ist es mit der Nordwestspitze und dem ganzen
Norden gegangen , wobei auch die vulkanische Thätigkeit bedeutsam
eingegriffen hat. Trachyte und Basalte finden sich namentlich im
Westen ; z. B. bestehen die vorhin erwähnten Inseln S. Antioco und
S. Pietro fast ganz aus Trachyt. Dies sind alte Bildungen. Die jüngeren
t) m 1, 375 2, 64.
23*
866 Kap. Vlil. Die bielD.
Vulkane dagegen haben ihre Thfltigkeit, die jetzt, von Mineralquellen
abgesehen, ganz erloschen ist, nach der Tertiflrperiode begonnen, aber
vor dem Auftreten des Menschen beschlossen: La Bbnnora vergleicht
sie denjenigen der Auvergne. Sie liegen vorwiegend am Westrand
der Richtung des Meridians folgend. Erwähnung verdienen der Arci
oder Trebina Lada 838 m SO von Oristano, der grobe an das Albaner
Gebirg erinnernde M. Perm 1049 m, in dessen Krater das Dorf S. Lu»-
surgiu gebaut ist, nicht weit von Carmu. Eine ganze Reihe kleinerer
schliefst sich bis in die NShe von Sassari, wo das Massiv der Nordspitze
beginnt, an. Von dieser Hauptaxe abseits treten Vulkane vereinzelt
im Osten bei Orosei auf. Die Tertiärbildung ist in Sardinien sehr ver-
breitet und steigt ausnahmsweise bis 470 m auf, überschreitet indefe
im Mittel nicht die Meereshohe von 200 m. Daneben verschvrindet die
Appenninformation , welche Bau und Charakter Italiens, in minderem
Grade auch Siciliens bedingt Urgesteine herrschen durchaus vor:
Granit Gneifs Thonschiefer Porphyr Silur. Dieselben bergen bedeu-
tende Hetallschätze namentlich im Südwesten, der schon von den Alten
als der eigentliche Bergwerksdistrict betrachtet wurdet): Blei Zink
Eisen Silber Kupfer. Das sardische Gebirge bildet nirgends fortlaufende
Ketten. Man kann auch in diesem Chaos kein anderes Princip der An-
ordnung erkennen als dals allgemeine Richtungslinien eingehalten wer-
den, die in den verschiedenen Hauptmassen wechseln. Die Nordspitie.
das Bergland von Gallura» die Heimat der Coni streicht von NO Dtdi
SW : Intani mantet heifsen sie den Alten. ^ Die höchste Erhebung findet
sich im Rücken Limbara, wo der Gigantinu 1310 m, der Balestreri
1320 m aufsteigen. Dieselben erscheinen viel hoher als sie wirkfick
sind, wegen ihres schroffen Abfalls nach der Querspalte, welche deD
Golf von Otbia Terranova mit dem Westen in Verbindung setxt. Die
Spalte wird an der gegenüber liegenden Seite von einem bis ]092ib
ansteigenden Parallelzug eingefa&t. Aber das Hauptgebii^ ändeH
seine Richtung, indem es bis zur Südspitze Cap Carbonara dem Meri-
dian folgt Unter 40^ n. Br. in der Mitte der Insel liegt der mächtip
Stock des M. Gennargentu, dessen nördlicher Gipfel Bruncu de Spio^
1918 m dessen südKcher 1865 m mibt: sie sind von Ende September
bis Ende Mai mit Schnee bedeckt Von dieser Gruppe abgesebeo.
überschreiten die übrigen Gipfel selten die Hohe von 1200 m. Somit
1) It AnL 84 giebt an eine Station Metaüa Antas M. von Igleaai, PtoL Ol
3, 8 nennt die Insel S. Antioeo MoUßio^ vgL Solin 4, 3 RntU. I 354.
2) Uv. XXX 39 Flor. I 22, 35 PtoL Ol 3, 7 Glandian XV (beU. GUd.) 511 /^
{ 2. Sardinien. S67
nDtencheidet sich das sardische Gebirge;Ton dem corsischen, als dessen
Fortsetzang es betrachtet werden mub, in zwiefacher Hinsicht: erstena
durch seine geringere Erhebung, zweitens durch seine veränderte Ab-
dachung, die hier nach West dort nach Ost gerichtet ist« Im Unter-
schied vom Norden und vom Hauptgebirge streicht der metaUreiche
Sodwesten rechtwinkhg zum erstgenannten d. h. von NW nach SO ;
die höchste Erhebung dieses Districts betrügt 1243 m.
Die Flüsse stehen denjenigen Siciliens an Bedeutung nach. Der
grOfete ist der Tgmu^) Tirso, der bei einer Länge von 150 km, einem
Gebiet von 3100 Dkm und einem mittleren Abflurs von 20 Cubikmeter
in der Secunde auch während der Dtlrre Wasser hat. Der Lauf ist
nach SSW gerichtet, biegt in der Nähe von Fcrum Trmani Fordun-
gianus nach W um und theilt auf dieser letzten Strecke die Insel in
zwei gleiche Hälften: der Mündung in den Golf von Oristano ward
oben S. 354 gedacht An Ungestüm wird er Obertroffen durch den
Sa^ffut Flumendosa. Am Gennargentu entspringend flielst derselbe
nach S, dann nach SO um nach einem Lauf von 122 km in das tyr»
rhenische Heer zu münden. Sein Gebiet mifst 1777 Dkm, sein mitt-
lerer Abflufs 15 Cubikmeter in der Secunde. An der Nordseite mündet
in den Golf dell'Asinara der 105 km lange Coghinas (Gebiet 2447Dkm,
mittlerer Abflufs 15 Cubikmeter). Endlich wird noch der kleine Temus
Temo (40 km) bei Bosa erwähnt, weil die Mündung schiffbar ist. An
den Bardischen Flüssen insgesammt ist die Beobachtung gemacht
worden , dafe in der Neuzeit der mittlere Wasserstand ab- und die
Ueberschwemmungen zugenommen haben. Die Ausrodung des Waldes
hat derart dazu beigetragen das an sich schon bedenkUche Klima be-
deutend zu verschlechtern. Sardinien galt den Römern für ebenso
angesund als fruchtbar.^) Die Ursache der bOsen Luft suchten sie
begreiflicher Weise in den vielen stagnirenden Gewässern. Küstenseen
kommen namentlich im Inneren der Golfe in grofser Zahl und Aus-
dehnung vor. Sie stehen theils durch Oeffnungen mit dem Meer in
Verbindung; theils werden sie durch einsickerndes Meerwasser ge-
speist. Aufserdem aber finden sich in weiter Entfernung vom Meer
1) iL Ani 81 Ptol. m 3, 2 Paus. X 17, 6.
2) Mela n 123 ferliUt 9t soH quam eaeli meUoris atque ui feetmda ita
paene pettileru, Cicero schreibt 56 v. Chr. aa Quintus U 3, 7 cura mi frater ut
valeas et quamquam est hiempe, tarnen Sardiniam istam esse eogites Strab.
V225Tac. Ann. 11 85 Sil. It. XD 371 Mart IV 60 Pana. X 17, 11 Glaadian bell.
Gild. 514.
358 Kap. VnL Die Intelo.
und bis zu einer Meereshöhe von 76 m SalzsQmpfe, die im Sommer
austrocknen den Boden mit einer weifsen Krystalldecke einhüllend, in
der Regenzeit sich wieder füllen. Wir haben in ihnen abgeschnittene
Theile der zurückweichenden Sunde zu erkennen: die Salinität erin-
nert an diesen ihren Ursprung. Nun aber lehrt die Erfahrung, dafs
gerade die Ausdünstung stagnirender salziger und brakischer Gewässer
mit den in ihnen faulenden Algen die geßdirlichsten Fieberkeime er-
zeugt: die Toscaner in der Maremma richten ihr erstes AugenmerJL
darauf die Vermischung von Heer- und Süfswasser zu hindern. Aus
den Lagunen und Morästen steigen Nebel auf, so dicht dals man nicht
weiter blicken kann als die Hand reicht, und zwar nicht blos in der
Regenzeit sondern auch mitten im Sommer. Treffen sie häufiger in
derjenigen Periode ein, wo das Korn ansetzt, so ist die Ernte dahin.
Der heilsame Nordwind , der die bOsen Dünste verscheuchen könnte,
wird in seinem I^auf durch die hohen Gebirge gehemmt. Die Meinung
welche im Rücken der Limbara den verderblichen Windbrecher sucht,
wird schon von Claudian a. a. 0. ausgesprochen :
humanae in speciem plantae $e magna figurat
insuia, Sardoam veteres dixer9 eoUmi,
divei ager fl*ugum, Poenoi Italotte petenU
opportuna Hiu. quae pars vieiniar Afris^
plana solo ratibus clemens; quae respieit Areton^
immitis seopulosa proeax subitisqus sonora
flueUbus: Insanos infamat navita mwiUs,
hinc hominum peeudumque luss^ hinc pesÜfer aer
saevii ei exclusis regnant aquilonibus austri.
Andere dachten an Corsica (Pausanias a. 0.). Wie dem auch sei,
ob der dreifache Gebirgswall (Appennin Corsica Sardinien) den Pohr-
strom bricht oder die Aspiration der Sahara ihn ablenkt, jedenfalb weht
er im Süden selten. Der Seewind treibt die Miasmen über die baum-
losen Ebenen , die versumpften Flufsthäler hinauf tief in das Land.
Die Intemperie — so heifst hier die böse Luft — steigt zu einer in
Italien unerhörten Höhe, beherrscht Ebenen und Küsten, mindestens
ein Viertel des gesammten Areals und zwar vorwiegend die fruchtbare
Culturzone. In dem Minendistrict des Südwestens ruhen die Werke
von Mitte Juni bis Ende October, die Gutsherren ziehen in die Städte,
die Fremden aufs Festland. Immerhin halten die Eingebomen an
Orten aus, an denen jeder Eingewanderte binnen kurzem unfehlbar
erliegt. Ihr Hauptschutz besteht in der schweren Wollkleidung, welche
die Haut gegen die Berührung der bösen Luft schirmt. Trotz der som-
{ 2. Sardinien. 359
meriicheo Glut sieht man den Hirten und Bauern auf dem Felde in
einen weiten Mantel von Schafvliersen gehüllt, sobald das Tagesgestirn
sich zu neigen beginnt. Es kann weder bezweifelt werden , dab die
Intemperie seit dem Altertum sich ?erschlimmert hat, noch dafs sie den
Aufschwung des Landes wie ein Bleigewicht hindert Eine Fülle ?on
Zeugnissen, die sich über ein ganzes Jahrtausend von den Perserkriegen
bis zur Tandalischen Eroberung erstrecken, redet von der Ergiebigkeit
des Bodens, seinem Reichtum an Weizen <): Sicilia und Sardinia sind
amwnae pignera '), bmnignütimae urbü noitrae nutrices '), neben Africa
die tria frummtaria subtidia rei publicae ^), mit ihrem Verlust sind die
Lebensadern der ewigen Stadt durchschnitten.^) Wie hat sich das alles
geändertl In unseren Tagen kommt es leider oft genug vor, dafs Hun-
gersnot als Folge von Miswachs wütet Ein Bruchtheil des Landes wird
oberflächlich bestellt: den Ertrag versengen Nebel und Dürre oder
zerstören die Heuschrecken. Aber an all dem Elend sind nicht die
Naturkräfte Schuld, sondern die geschichtlich gewordenen Verhältnisse.
Diese Welt für sich, als Land zu klein als Insel zu grols, mit un-
günstiger Lage, mit ungünstiger Vertheihing von Ebene und Gebirg
bat eigenartige Lebensformen hervorgebracht Ihre Blüte Mt vor der
zusammenhängenden Ueberlieferung. Die aegyptischen Denkmäler leh-
ren uns Seezüge der Sarden und Söldnerdienst am Nil im vierzehnten
Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung kennen (S. 116). Gegen wältig
giebt es keine Bevölkerung im Umkreis des Mittelmeers die der See
femer stünde als diese: eine Nachwirkung der UeberfitUe der Bar-
baresken, welche die Verödung der Küsten veranlafsten.<^) Aber dafs
1) Vgl. S. 354 A. 2 Diod. IV 29, 6 Lit. XXX 38 Varro RR. U praef. Hör.
Od. I 3t, 3 Streb. V 224 Mela II 123 Lucan m 65 Appian b. civ. n 40 Paus. X
17, t Symmach. Ep. IX 42.
2) Flor, n 13, 22. 3) Valer. Max. VD 6, 1. 4) Gic de imperio
(iO. Pomp. 34. 5) SaWian de gab. dei VI 12, 68.
6) Der yerstorbene Giovanni Spano, dessen Verdienste um die Altertöner
«einer Heimat fiber jedes Lob erhaben sind, hat unter den 3000 sardischen
Sprichwörtern, die er gesammelt (PrOTerbj Sardi, Gagliarl 1871) nnr 2 — sage
zwei — beibringen können, die auf die See Being haben: p. 233 cid dipende
perehi gU anUehi Sardi avversarono sempre il mare, nunando una vita
paeifiea neif arte pagiori%ia 9 neW agrieoliura, in cui moHo eopioti sono
I prov9rbj\ Im Inneren giebt es Lente genug, auch Frauen der besseren Stände,
die keine Ahnung davon haben, dab sie auf einer Insel wohnen. Diese vor
Jahren gemachte persönliche Erfahrung wird auch inzwischen kaum durch den
Fortschritt der Bildung flberholt worden sein: Sardinien stellt den gröbten
Procentsatz der Analphabeten im ganzen Königreich (88).
360 Kap. Vm. Die Inseln.
dem Dicht immer so war, dafs die Sarden in frühen Jahrhunderten am
Culturleben Theil genommen haben, dafUr sind aufser den aegyptischea
Inschriften auch andere unzweideutige Beweise vortianden , Tor allem
jene merkwürdigen Grabmonumente, die Nuraghen genannt zu wer-
den pflegen. Es sind aus rohen Feldsteinen ohne Bindemittel aufge-
schichtete Kegel bis zur Hohe von 20 m und einem Durchmesser von
30 m, mit einer oder mehreren zuganglichen Kammern. So viele auch
im Lauf der Zeiten zerstört worden sein mögen, zählte ihrer Giovanni
Spano noch immer 2000 unverletzte, t) Eine dunkle Kunde von diesen
Bauten war zu den Hellenen gelangt: sie schrieben sie lolaos dem an-
geblichen Ahnherrn der Sarden und seinem kunstfertigen Genossen
Daedalos zu.') Ein Volk welches derart seine Todten ehrte, hatte unter
allen Umstanden eine gewisse Stufe der Gesittung erreicht. Die Kunst
ist zwar eine rohe , die Idole welche auf phoenizische Anregung hin
hier gefertigt wurden, empören durch ihre Fratzenhaftigkeit das Auge.
Indessen wolle man nicht vergessen, dafs abgeschlossene Inseln durch
Altertümlichkeit oder, was dasselbe bedeutet, durch Armut gekenn-
zeichnet sind. Der Fauna fehlen eine ganze Reihe der gewöhnlich-
sten Typen z. B. Wolf Dachs Marder Maulwurf Giftschlange Frosch
und alle Thiere wilde wie zahme sind durchgangig in Sardinien viel
kleiner als auf dem Festland. Die Alten haben den ersten Umstand
bereits bemerkt, umgekehrt auch den Mufflon , der auf diese und die
benachbarte Insel beschrankt ist, vielleicht den Stammvater unserer
Schafe erwähnt ') Wie mit der Flora und Fauna verhalt ea sich mit
den socialen Zustanden. Das Verhangnifs des Landes ruhte darin dafs
eine überlegene um viele Jahrhunderte fortgeschrittene Cultur sich auf
dasselbe warf um seine Weizenfelder und Bergwerke auszunutzen.
Die Karthager unterwarfen die Ebene im Südwesten, wahrend das Ge-
birge seine Unabhängigkeit behauptete.^) Noch schwerer lastete das
römische Joch: über mehr als ein Jahrhundert erstrecken sich die
Berichte unserer Annalen von den gegen die Bergbewohner geführten
Kriegen , wenn man mit solchem Namen die Jagden bezeichnen darf,
welche die Statthalter mit Spürhunden veranstalteten um Sklaven Air
1) Memoria sopra 1 nuraghi di Sardegoa 3. ed. GagHari f867 nnd in an-
deren Schriften. Pais, la Sardegna prima del dominio romano, Roma 1881
(Abh. d. ace. dei Lincei GGLXXVIII).
2) De mir. ansc. 100 Biod. IV 30, 1.
3) Strab. V 225 Paus. X. 17, 12 Plin. Vm 199 Aelian hist. anim. XVI 34.
4) Diod. V 15, 5.
§ 2. Sardinien. 361
den römischen Markt zu erbeuten, i) Der Vater der Gracchen rühmte
sich in seinem Consulat 177 v. Chr. ihrer 80000 erschhgen und ge-
fangen zu haben ; doch die eingebrachte Waare fand wenig Liebhaber
wegen der unbezähmbaren Freiheitsliebe der Gefesselten: Sarai venäles
aliuM aHo nequiar spottwolfeil wie ein Sarde ward römisches Sprich-
wort >) Es giebt kaum ein Volk im Gesichtskreis Italiens, von dem
die Alten in solchen Ausdrücken der Geringschätzung reden.') Wer
Dicht blindlings auf das Evangelium jener Cultnrapostel schwört,
welche in dem Gebrauch von Seife und weifser Wäsche das einzige
Heil der Menschheit erblicken, wird nicht ohne Bewegung das Schick-
sal der Sarden verfolgen. Ein Zug tiefer Schwermut hat sich dem
Nationalcharakter unauslöschlich eingeprägt. Zwischen dem Ackerbau
treibenden unterworfenen Theil und dem auf Viehzucht beschränkten
Gebirg hatte sich unter der Fremdherrschaft derselbe natürliche Gegen-
satz entwickelt den wir wiederholt zu betrachten hatten. Er äufserte
äch in der Tracht: die Gebirgler heifsen peüiti oder masirueali, weil
sie die aus Mufflonfellen verfertigte ma$truea trugen.^) Ihre Unter-
werfung ist überaus langsam von statten gegangen. Das Innere bot
ZQ wenig was die Habsucht reizen konnte: bitterer Honig wird als ein-
ziger Ausfuhrartikel namhaft gemacht.^) Die Römer begnügten sich
schliefslich damit dafs die Sarden Ruhe hielten und die Ackerbau-
districte mit ihren Einfällen verschonten.^ Noch im ersten Jahrhun-
dert unserer Zeitrechnung sprachen Berggemeinden den Befehlen der
Statthalter nngescheut Hohn.'') Aber aUmälich hat die Zeit auch hier
ihre Wirkung geübt, die Sarden wurden latinisirt und haben den
Sprachschatz ihrer Bedrücker unter allen Völkern am Reinsten bis auf
den heutigen Tag bewahrt.
1) Zonar. VUI 18 Liv. XXm 32.
2) Liv. XL! 26 Fest. 322 M. Anrel. Vict 57 Gic ad Farn. VU 24, 2.
3) Eine Blutenlese bei Cicero pro Scauro, vgL die Erklärer in Hör. Sat 1 3, 3.
4) MlUi liv. XXni 40; moitrueaU Gic de prov. cons. 15; masiruea Gic.
pro Scauro 45 Amob. II 23. Definirt von Isidor Or. XIX 23, als Schimpfwort
Piant Poen. 1171 ; vgl. Strab. V 225. Man hat die heutige Nationaltracht, die
coUettu ein Lederwams, mit der mastruca identifidren woUen: gewifs mit
Unrecht
5) Hör. ars poet 375 Galen XH 71 Kflhn.
6) Gic de prov. cods. 15 Diod« V 15, 5 Varro RR. 1 16 Strab. Y 225 Tac.
Ann. n 85 Dio LV 28.
7) Dies geht anschaulich ans dem Hermes II 102 fg. veröffentlichten Beeret
hervor.
362 Kap. Yin. Die InseliL
§ 3. Corsica.O
Dag Land der Corsen nimmt nach Sicilien Sardinien und Cypeni
den vierten Platz unter den Inseln des Mittelmeeres ein. Es liegt zwi-
schen 26n2' und 27013' ö. L 41021' und 43n' n. Br., bedeckt eine
Fläche von 8747 Dkm 159 d. DH. Sieht man von dem nördlich an-
gefügten Zipfel des fromutUurium Sacrum Capo Corso ab, so erinnert
die Gestalt an eine Ellipse. Die grOfste Länge mifst 183 km, die grofste
Breite 84 km, der Umfang 480 — 490 km. Und zwar kommen nur 150
bis 155 km auf die ganzrandige Ostkttste, also mehr als das Doppelte
auf den belebteren Westen. Die Entfernung von Etrurien beträgt
85 km, von Gallien 180 km, von Spanien 450 km, von Africa 460 km,
von Sardinien 12 km. Die Römer betrachteten Corsica als ein blobes
Anhängsel ihrer pravincia Sardinia. Wirklich waren die beiden In-
seln einstmals mit einander verbunden, Richtung und Beschaffenheit
der Gebirge stimmt in beiden überein, die fttr Sardinien eigentümliche
Armut und Kleinheit der Fauna wiederholt sich in Corsica.^ Anderer-
seits bestehen bedeutende Unterschiede. Der nördUchen Schwester
fehlen die grofsen Ebenen, die erloschenen Vulkane, die unterirdischen
Hetallschätze. Dafür erheben sich ihre Berge bis hart an die Schnee-
grenze und halten die Vegetation auch während der sommerlichen
Dürre frisch. Der unaufhörliche Wechsel der auf- und abwärts wehen-
den Luftströmungen verleiht den Pflanzen eine erstaunliche Triebkraft:
man braucht nur, meldete ein französischer Ingenieur im vorigen Jahr-
hundert, einen Stock in den Boden zu stecken, so schlägt er alsbald
Wurzel. Die düstere Eintönigkeit Sardiniens wird durch eine Land-
schaft voller Farben und Formen abgelöst, durch eine Landschaft von
entzückender Schönheit Napoleon auf St Helena hat nicht zu viel
gesagt, wenn er behauptete mit geschlossenen Augen an ihrem Duft
die Heimat wieder erkennen zu können. Wol erscheint sie mit ge-
ringeren Gaben ausgerüstet, verglichen mit der SchwesterinseL Aber
die Nähe Italiens, mit dem sie einst zusammenhing (S. 99), der Einfluls
des Nordens haben die Thatkraft der Bewohner gestählt. Mit ganz an-
derem Geschick und Erfolg haben die Corsen den Kampf gegen ein
widriges Schicksal bestanden, als ihre Nachbarn; die Augen Europa's
ruhten auf dem Lande nicht nur als der Wiege eines gefürchteten
1) Marmocchi, Ab^^gi de la g^graphie de Tue de Gorae, Bastia 1851
2) Pol. Xn 3, 7 fg.
{ 3. Coraiea. 363
Eroberers sondern ab der Wiege eines freien und heldenmütigen
Volkes.
In dem Gewirr der corsischen Berge lassen sich dieselben drei
Richtungslinien wahrnehmen , die wir für Sardinien kennen gelernt
haben. Ein Knotenpunct liegt bei den Quellen des Golo. Von hier
läuft nach SO eine Kette mit den höchsten Gipfeln der Inseln aus:
M. Rotondo 2764 m der massige M. d'Oro 2653 m; schon Ptolemaeos
führt ihn unter diesem Namen ro %qvoovv ogog auf. Den Bcschlufs
macht der M. Incudine 2063 m. Zahlreiche Nebenarme verzweigen
sich Ton der Hauptkette nach SW in jähen Abstürzen endigend. Von
den Goloquellen läuft die zweite Hauptkette in gekrümmter Linie nach
NO um mit der dritten Kette am Capo Corso zusammen zu stofsen : sie
zählt gleichfalls Gipfel von 2400 m Erhebung. Endlich zieht sich der
Richtung des Meridians folgend von der Nordspitze eine niedrigere
Kette an der Ostseite hinunter, deren Zusammenhang durch die her-
vorbrechenden Flüsse vielfach zerrissen wird. Primäre Gesteine , vor
allem Granit, dann Gneiis Porphyr Serpentin setzen das corsische Ge-
birge zusammen, Tertiärbildungen 2^ 300 m aufsteigend treten beson-
ders am Capo Corso, an der Ostseite sowie der Sttdspitze zu Tage. Für
die Entwicklung von eigentlichen Flüssen fehlt der Raum, die bedeu-
tenderen Gewässer fliefsen nach Osten in das tyrrhenische Meer. Die
erste Stelle gebührt dem Golo, an dessen Mündung die römische Co-
lonie Mariana hg: er hat 84km Länge, ein Gebiet von 9800km und
auch in der gröfsten Dürre einen Abflufs von 2 Cubikmetern in der
Secunde. Wenig steht ihm der aus einem See des M. Rotondo ent-
springende Tavignano nach mit 80 km Länge 830 Gkm Gebiet und
1,3 Cubikmeter Abflufs: an seiner Mündung lag das alte Aleria. Die
nach Westen strömenden Räche erreichen kaum die halbe Ausdehnung,
die Westküste ist zerhackt, ihre Golfe sinken zu der enormen Tiefe
von 400 m ein. Der Osten besitzt nur einen wirklich guten Hafen den
portus Syraeusanus 0 Golfo di Porto vecchio. Dagegen ermöglichte
seine allmäliche Abdachung den Flüssen Küstenebenen aufzuschütten.
In diesen durch grofse Fruchtbarkeit ausgezeichneten Niederungen ha-
ben die Culturvölker des Altertums festen Fufs gefafst und die Insel
sich dienstbar zu machen gesucht. Schon damals ist die Schädlichkeit
des Sumpf klima's gefühlt worden, wie der hier als Verbannter lebende
Hofphilosoph Seneca^) klagend hervorbebt:
1) Diod. V 13, 3 Ptol. m 2, 5.
2) Epigr. super ezilio 1 vgl. 2 IHal. XII 6, 5 7, 8 9, 1.
364 Kap. vm. Die Inseln.
Carsiom terribUU eum priwutm ineandttU aeUoM^
saevior ostendit cum ferut ora eanu,
paree rehgoHs hoc est tarn paree sepuUis,
vivorum cinmri ni tua terra levis.
Ein SaumTon Lagunen, die zusammen eineFUlGhe von ca. 1 d. DM.
bedecken» fabt dag «VstliGhe Littoral ein. Zur Sommerzeit herrschen hier
häufige und lange Windstillen, das Gebirge hält den reinigenden Biistral
oder Nordwest zurück. So brQtet denn die Intemperie ungestört, im
Lauf des Hittelalters hat der Mensch ihr den alten Culturboden preis-
gegeben, von Bastia bis Porto vecchio hinunter auf einer Strecke von
ca. 150 km findet sich kein Dorf am Gestade.
Corsica setzte dem Eindringen der Gultur schwere Hindernisse
entgegen. Bei der bedeutenden Erhebang auf engstem Raum geht der
Verkehr von Thal zu Thal, von Koste zu Küste nur mühselig von
statten. Die Joche liegen hoch: z. B. auf der heutigen Hauptstrafse
von Ajaccio nach Bastia 1145 m, auf der Strafse von Bastia nach Capo
Corso 966 m, einzelne sogar 1500— 2000 m. Die Steilheit der Pfade
wird durch die einheimische Benennung „Treppen** (seal$) genügend
angedeutet In den Berichten welche um 300 v. Chr. an den natur-
kundigen Theophrast gelangt waren, erscheint Corsica ab ein einziger
Urwald.^) „Weder die Cedern vom Libanon noch die Forsten Cyperns
und Bruttiums noch auch die Tannen und Fichten Latiums sollen den
corsischen an Hohe und Stärke gleich kommen. Einst seien die Römer
mit 25 Schiffen hingesegelt in der Absicht auf der Insel eine Stadt zu
gründen und derart sei die GrOfse der Bäume, dafs bei der Einfahrt in
einige Buchten und Häfen die Hasten geknickt vnirden und die Schiffe
in Gefahr gerieten. Kurz und gut die ganze Insel sei dicht bestanden
und gleichsam eine Waldwildnifs. Deshalb gaben sie den Plan mit der
Stadtgründung auf. Einige indessen gingen an Land und fiülten auf
einem kleinen Fleck eine solche Hasse Holz dafs das daraus gebaute
Flofs 50 Segel brauchte: das Heer schlug es freilich in Stücken. Cor-
sica also unterscheidet sich weit von den übrigen Waldbndern sei es
wegen der Ruhe, die man ihm läfst, oder wegen seines Bodens oder
seiner LufL^^ Es war dem Verfasser entgangen dafs die Phokäer be-
reits 537 V. Chr. die Stadt Alaha (JidX. ifarta) erbaut hatten und nur
durch die vereinten Anstrengungen der Karthager und Etrusker ver-
trieben worden waren.^) Bei dem unglaublichen Verbrauch von Mate-
1) Bist plant. V 6. 2) Herod. I t65fg.
{ 3. Gonica. 866
rial, der die Marine der Alten kennzeichnet, mulste dies Waldland sich
den Seevölkern als Besuggquelle empfehlen. In den Tagen ihrer Blacht
behaupteten die Etnisker die Oberhoheit und liefsen sich ?on den
Eingebomen Theer Wachs und Honig Zinsen. ^ Ohne den Besitz der
Insel konnte überhaupt kaum von einer bedeutenden Seestellung der
etrurischen Küste die Rede sein. Nichts desto weniger haben auch
Karthager und Hellenen Beziehungen mit ihr unterhalten : das eine
ersehen wir aus der Anwerbung corsischer Söldner für die Heere
Karthago's^X d^ andere aus dem oben erwähnten Namen des syraku-
sischen Hafens. In dem 306 v. Chr. zwischen Rom und Karthago ab-
geschlossenen Bündnifs wurde zwar die Neutralität der Insel festge-
setzt, doch hat letzteres bald darauf sich ihrer bemächtigt ') Endlich
ward sie 259 v. Chr. von Consul Scipio Barbatus, wie dessen berühmte
Grabschrift verkündet, für Rom dauernd erobert^) Die römische Herr-
schaft beschränkte sich indeb auf die Ostküste, an der auch eine Kunst-
strafse angelegt wurde. ^) Zu den geschätzten Besitztümern ist Corsica
nie von den Römern gerechnet worden. Die bekannten Hetalladem
lohnten und lohnen den Abbau nicht. Nur Granit wurde auf den Klip-
pen der Südspitze für die ewige Stadt gebrochen : zahlreiche Spuren
dieser Arbeiten sind noch sichtbar. Auber dem Bauhok ^) wird allein
Wachs und bitterer Honig ^) als Product der Insel angeführt. Ganz
trostlos stellte sich das Land den Augen Seneca's dar: „es trägt weder
Frucht- noch Zierbäume, wird von keinen groben oder schiffbaren
Flüssen bewässert, erzeugt nichts das andere Völker erstreben könn-
ten, reicht kaum zum Unterhalt der Einwohner aus, ist ohne kostbares
Gestein, ohne Gold- und Silberadern.^' Die einheimische Bevölkerung
vom Ertrag des Waldes und ihrer Heerden lebend , konnte nicht wol
zahhreich sein. Diodor beziffert sie auf reichlich 30 000; aber da man
nicht weib ob Weiber und Kinder eingerechnet sind, labt sich mit der
Angabe nichts anfangen. Derselbe Gewährsmann ^) schildert ihre Sitten
in jenem idealisirenden Ton, der von den Alten häufig in Betreff ent-
1) Diod. V 13, 4. XI 68, 5.
2) Herod. YII 165.
3) Senr. in Verg. Aen. lY 628 vgl. FleekeiseoB Jahrb. 1867 p. 327.
4) PoLllO,5 CIL.I32.
5) Mela U 122 Tac Histor. ü 16 It. Ant 85.
6) Plio.XVI197.71 Dion. Per. 460.
7) PUn. XVI 71 XXI 83 XXX 28 XXXVII 195 Verg. Ed. 9, 30 Ovid Am.
I 12, 10.
8) Diod. V 13 und 14 nach Timaeos?
866 Kap. VIII. Die iDseln.
feroter Naturvölker angegchlagen worden ist. Volle Lebenswahrfaeil
spricht dagegen aus dem von Strabo entworfenen Bilde ^): ^^Corsica
befindet sich in schlechter Verfassung, weil es rauh und meistentheils
schwer zugänglich ist in dem Grade dafs die vom Raub lebenden Berg-
bewohner wilder sind als die Thiere ihrer V^älder. Wenigstens wenn
die römischen Befehlshaber gegen sie ziehen und beim Ddl>erfaU ihrer
Felsennester eine grofse Menge gefangen nehmen, kann man die Skla-
ven in Rom schauen und darüber erstaunen , wie der wilde thierische
Charakter an ihnen zu Tage tritt; denn entweder ertragen sie das Le-
ben gar nicht oder bringen durch ihren fuhllosen Stumpfsinn den
Käufer zur Verzweiflung, so dafs ihn der Kaufreut, mag der Preis auch
noch so gering gewesen sein.^^ Es ist der Abscheu und Hafs der Qber-
feinerten Cultur gegen die Freiheit und Zügellosigkeit einer in den
Anfängen befindlichen Gesellschaft, der sich in solchen Aussprüchen
äufsert Zu höheren Lebensformen ist Corsica im Altertum nicht ge-
diehen: weder während der Epoche seiner ungeschmälerten Unab-
hängigkeit — auf seinem Boden werden die Nuraghen Steindenk-
mäler und Bildwerke, die dem stammverwandten Sardinien eignen,
durchaus vermifst — noch während der langen Epoche der Fremd-
herrschaft; lateinische Inschriften sind äufserst selten. Um den lang-
samen Fortgang der Civilisirung zu verfolgen fehlt uns das Material
Gegenwärtig ist von dem Urwald, der die Alten in Schrecken setzte,
bitterwenig übrig. Die mediterrane Culturflora hat ihn verdrängt: der
Oelbaum steigt bis 1160 m, die Edelkastanie bis 1950 m aufwärts. Auf
diesen Wechsel werden wir in anderem Zusammenhang Kap. X zu-
rückkommen.
§ 4. Kleine Inseln.
Was wäre Hellas ohne die Fülle seiner Inseln , die einer Perlen-
schnur vergleichbar die schlanken Glieder des Festlands umziehen?
Am politischen Leben, am Aufschwung von Handel und Golonisation,
an der Blüte von Kunst und Wissenschaft gebührt ihnen ein so
hervorragender Antheil, dafs es die nationale Gröfse zerstören hiefse,
wollte man ihn vom Ganzen lostrennen. Ohne Frage haben die Inseln
und Eilande Italiens in alten Tagen dazu beigetragen die Küstenbe-
wohner auf die See hinauszulocken, ihre nautischen Anlagen zu wecken
(S. 114). Aber sie sind spärlich an Zahl und über einen weiten Raum
verstreut: von einem allgemeinen Standpunct aus könnte man sich
1) V 224.
S 4. Kleine Inseln. 867
dieselben forideDken , ohne die GesammteDtwicklang des Landes er*
heblich zu beeinträchtigen. Am häufigsten werden sie in späteren
Zeiten als Kerker und Verbannungsorte erwähnt, in welche der Wille
des Kaisers Misliebige oder Schuldige verwies, i) Auch heutigen Tages
dienen sie derselben unseren nordischen Gepflogenheiten so wider-
strebenden Bestimmung: wo wir eine Sommerfrische erwarten, steht
im Süden ein Bagno mit Galeerensklaven und statt aus Erholangs-
bedürftigen setzt sich die Gesellschaft auf so manchem reizenden Eiland
aus detinirten Brigantenhelfern zusammen. Am Ausgang des Altertums
als Rutilius seine Kttstenfahrt beschrieb, hatten Einsiedler und Mönche
sich hierher vor den Versuchungen der Welt geflüchtet: aber die Klö-
ster sind sämmtlich von den Saracenen zerstört worden. Unter Hin-
weis auf früher Gesagtes können wir uns über diese Zugabe des Landes
kurz fassen. Die kleinen Inseln ordnen sich in 6 Gruppen, von denen
die eine Hälfte zu Italien, die andere zu SiciUen gehört: im tyn*heni-
schen Meer liegen 3, im libyschen 2, im adriatischen 1 Gruppe.
Die nördlichste, die etrurische Gruppe kann als ein Ueberrest des
Isthmus beti*achtet werden, der ehemals Corsica mit dem Festland ver-
band. Unter 43^ 26' n. Br. liegt ürgo oder Gorgon^) Gorgona, ein
krystallinischer Bergstock von ca. 350 m Höhe und 3 — 4 Dkm Inhalt.
Gröfser ist Capraria Capraia wenig oberhalb des 43®. Bei 20 Dkm
Flächeninhalt steigt diese Trachytinsel 448 m auf. Von wilden Ziegen
hat sie wie viele andere den Namen erhalten , der bei den Griechen
^yiXog lautete.^ Ihre Insassen erregten den Unmut des Rutilius^):
processu pelagi tarn $e Capraria iolUty
»quaÜet lucifugis intula pleno virit:
ipH $e monaehos Grata cognonäne dicunt,
quod MoU nuüo vivere teste vobmt.
Ein Sund von 15 km Breite trennt das Vorgebirge Populonium
von Ilva Elba, deren unerschöpfliche Eisenminen früh die Aufmerk-
samkeit gefesselt haben. Die Schmelzöfen verliehen ihr bei den HeUe-
nen den Namen Ai^aXri Al&aXeia Rufsinsel. &) Gegenwärtig und
1) Dig. XLVIII 22 de interdictis et relegatis et deportaüs XXYIU 1, 8 u. a.
2) Die erstere Form Heia 11122 Plin.HlSl, die letztere Batil.l5t5.
3) VarroRR.n3 MelaJ1122 PUd.IIISI.
4} 1 439, Kloster auf Gorgona eb. 517, auch von verschiedenen anderen Inseln
bezeugt
5) HekaUeo8(?) und Philistos bei Sieph. Byz. s. v. Diod. V 13 Skylax 6 Strab.
V 223 Plin. lil 81. NachPolybios bei Steph. führte auch Lemnos diesen Namen.
868 Kap. vm. Die Inseln.
schon zu Strabo's Zrit werden die Erze, da alles Brennmaterial Iftngst
verzehrt ist, auf dem Festland verhüttet; aber die rötliche Färbung der
Bergschroffen kündet schon aus der Ferne die Ausbeutung des nütz-
lichen Metalls an. Zwischen 42^ 53' und 42^ 43' n. Br. gelegeq be-
deckt die Insel bei einem Umfang von 115 km einen FlAchenraum von
232 Gkm. Sie ist aus drei Bergstöcken zusammengesetzt, von denen
der westliche im M. Capanne sich 1018m erhebt, der dem Festland
zugekehrte nur die halbe Höhe erreicht. Eine erstaunliche Menge von
Gesteinarten finden sich hier vereinigt: Granit Serpentin Marmor Trias
Tertiär. So steil und ungastlich die Küsten aus der Flut emporragen,
sind sie doch vortrefflich angebaut Aber was den Ruhm Elba's in
alter und neuer Zeit begründete, war nicht Weinbau oder Fischfang
sondern sein vortreffliches Eisen. Die Gruben liegen an der Ostkttste.
Die Alten berichten dafs das Eisen nachwüchse und den durch Abbau
erlittenen Verlust wieder ersetzte. 0 Die Meinung mag von dem Um-
stand herrühren , dafs bei dem oberflächlichen Betrieb der Alten der
Abfall sich zu Hügeln von 1— 200m Höhe aufhäufte, die 60 Procent
Erz enthalten und wegen der leichten Gewinnung gegenwärtig mit
Vorliebe ausgebeutet werden. Uebrigens ist der Reichtum der Gruben
so grofs dafs sie nach dem Mafs der heutigen Förderung noch für eine
lange Reihe von Jahrtausenden ausreichen werden. Sieben Buchten
gestatten den Schiffen zu landen, der beste Hafen ist ievpartusArgoui^
Porto Ferraio an der Nordseite. Nach einem Abstand von 12 km folgt
das flache Planasia ^) Pianosa, der Verbannungsort von Augustus' Enkel
Agrippa Postumus. Von Elba 40 km entfernt erhebt sich die schwer
zugängliche Granitinsel Oglasa^) Montecristo bis ca. 650m Höhe: un-
bewohnt, seitdem die Benedictiner im 16. Jahrhundert von denBarba-
resken fortgeführt wurden. Auf gleicher Breite aber dem M. Argen-
tario auf 17 km nahe gerückt liegt Igüium^) Giglio 23 Dkm grob und
nach Elba das bevölkertste Glied des toscanischen Archipel. Sie be-
steht meistentheils aus Granit, den die Römer hier gebrochen haben.
Ihrer bewaldeten Höhen (495 m) gedenkt Rutilius:
eminus Igilii HlvoMa eacumina mirar,
1) De mir. aosc. 93 Strab. V 224 Plin. XXXIV 142 Verg. Aen. X 174 Bntil. I
351. 2) Diod. IV 56, 5 Strab. V 224.
3) Plin. in 80 a speeie dieta aequaUs freto ideoque navigiis faUax Varro
RR. m 6 Strab. 11 123 Tac. Ann. 1 3 11 39 Die LY 32.
4) Allein von Plin. HI 80 erwähnt.
5) Gaes. b. civ. 1 34 Mela 11 122 PUn. m 81 Rutil. I 325.
S 4. Kleine Inseln. 369
Endlich um von winzigen Eilanden abzusehen , mit einer häufig
wiederkehrenden Bezeichnung Formiche (Ameisen) genannt, ist noch
Diamum oder Anemmum ^) Gianutri 1 1 km sttdiich vom Argentario
aozuAbren. Die ca. 4 Dkm grofse Kalkinsel mit antiken Trümmern
ist seit dem 9. Jahrhundert verlassen.
Die campanische Gruppe erstreckt sich von 40^ 59' bis 40 <^ 32'
D. Br. Dire Entstehung durch Vulkane ist froher dargelegt worden.
Von den pontinischen Inseln (S. 272)^) ist jetzt nur noch die gröfste
(7 Dkm) Paniiae Ponza bewohnt Die Bömer hatten auf ihr 310 v. Chr.
eine Colonie gegründet, deren Treue im hannibalischen Kriege gelobt
wird.') Unter den Kaisem diente sie als Verbannungsort. 4) Die Ruinen
römischer Prachtbauten sowie eines Klosters, ein modernes Bagno
kflnden ihre wechselnden Schicksale an. Die Verbindung mit Ischia
vermittelt Pandateria Ventotene gleichfalls als Verbannungsort ge-
nannt^) Von den vulkanischen Inseln des Golfs von Neapel war S.266,
von Capri S. 242 die Rede ; wir kommen im zweiten Theil bei der Be-
schreibung dieser Landschaft auf sie zurück.
Die zu Sicilien gehörende Gruppe der Liparen ist in ihrer vulka-
nischen Natur S. 250. 272. 280 gewürdigt worden. Um 580 v. Chr.
halten Colonisten aus Rhodos und Knidos dieselbe in Besitz genommen
und lange Jahrhunderte zur See mit Etruskern und Karthagern ge-
fochten (S. 122). Unter römischer Herrschaft herabgekommen, nahm
Lipara einen neuen Aufschwung durch Augustus, der ihr das Bürger-
recht ertheilte. Die hier befindlichen warmen Quellen wurden von
Sicilien aus stai^ besucht, die Ausfuhr von Alaun warf bedeutenden
Gewinn ab , dazu kam noch der Ertrag von Fischfang und Baumzucht
um den Wolstand zu heben. Von den kleineren Inseln waren damals
wie heute mehrere wie die „Heidekraut-^ und die y^Palmeninsel^ un-
bewohnt^)
Als vierte Gruppe rechnen wir die AXyovaaai Äegatei.'^ Wir
1) Mda u. PÜD. a. 0.
2) Strab.y233 MelaII121 Plin.UISl VarroRR.ni5.
3) Diod.XIXlOl LiT.IX28 XXVDIO.
4) Soet Tib. 54 Galig. 15.
5) Tae.AnD.1 53 XJV63 SuetTib. 53 Gal. 15 vgl. A.2. Die SchreibuDg
schwaDki zwiadieD Pandatarfa und Pandateria,
6) Diod. V7 — 11 Strab. VI 275—77 Plin. UI 92— 94 Paus. X 16, 7 Cic.
Verr. III 84.
7) Die Form Aegutae nur PoL I 44, 2 vgl. I 60, 4 Plin. 111 92. Aegatu
nur bei Römern Lly. XXI 10 u. c, Mela n 105 Aegaiae,
Nisi«n, itaL LandMlnnde. L 24
370 Kap. Vm. Die loseln.
haben S. 346 die zertrümmerte Spitze der alteo Trinakria aus diesen
Bruchstücken in Gedanken hergestellt. In der That scheint die be-
deutende Hebung dieser Küsten (S. 290) darauf hinzudeuten , dafs die
Erdkraft an dem Wiederaufbau arbeitet Zwischen dem Festland und
der Hauptinsel Äegusa Favignana, die sich bis 326 m erhebt, beträgt
die Tiefe nur 18 m; vor der nördlichen 290 m hohen Pkorbantk^)
Levanzo 56 m, endlich zwischen Aegusa und Hiera oder Maritima^
Marittimo 160m, an tiefster Stelle 270 m. Alle drei bestehen aus
secundürem Kalk wie die sicilische Kette und erscheinen „als die mach-
tigen Pfeiler, auf denen der bis jetzt unroUendete Bau West-Siciliens
ruhen solL'^ Das 684 m aufsteigende Marittimo würde ihm erst einen
würdigen Abscblufs geben.
Die fünfte Stelle nehmen die Inseln des africanischen Meeres ein.
Das vulkanische Cossyra ist S. 276 beschrieben worden. Der 36® n.Br.
und der 32<> 0. L. trennen MeUia Halta^) von seinen NW anliegenden
Nebeninseln Gaulos Gozzomit Ck>mino und Gominotto; die beiden letzt*
genannten sind blofse Klippen. Malta allein bedeckt einen FUlcben-
räum von 246 Dkm, mit den anderen zusammen 374 Dkm, gegen
7 d. DM. Jene erhebt sich bis 122 m, Gozzo bis 170 m. Die Gruppe
besteht aus tertiärem Kalk und die aufgefundenen Versteinerungen
von groben Dickhäutern beweisen, dafs dieselbe ehemals zu eiDem
Festland gehurt hat Eine unterseeiscbe Verbindung die nicht unter
200 m einsinkt , während auf beiden Seiten Tiefen von m^reren tau-
send Metern abfallen, bekundet den früheren Zusanunenhang mit
Sicilien. Die Zerstörung, die hier stattgefunden, setzt ihren W^eg lang-
sam fort, indem die Inseln fortwährend weiter abbröckeln. Die Ent-
fernung von Sicilien beträgt nur ein Viertel der Entfernung von Africi.
Nichtadestoweniger haben die HeUenen niemals daran denken können
diesen Schlüssel der mediterranen Seeherrschaft den Phoeniziern so
entwinden (S. 118). Dies geschah 218 v.Chr. durch die Römer, welche
die Inseln mit der Provinz Sicilien vereinigten. 4) Wie heut zu Tage
waren dieselben auch im Altertum dicht bevölkert. Ihre günstige
Handelslage , ihre ausgezeichneten Häfen schufen hier einen viel be-
t) Ptol m 4, 6.
2) 'hga v^aog Pol. ! 60, 3 61, 7 Hin. ffl 92 Ptol. a. 0. Maritima lt. Mar.
492. 93.
3) I>e8cription of Malta and Goio improved on that of George Perty
Badgtf, Malta 1861.
4) Liv.XXl51 Gic. Vcrr. IV 108 Diod.V12 Streb. VI 277 Sil. XIV 251.
S 4. Kleine Inseln. 371
suchten Stapelplatz; aufserdem war von den Phoeniziern eine blühende
Industrie hierher verpflanzt worden, die namentlich in der Anfertigung
Ton Frauenkleidern hervorragte.
Endlich hat die Adria noch die kleine Gruppe der Tremitiinseln
aufzuweisen. Sie liegt nördlich vom 42^ 3 — 4 d. M. vom Garganus
entfernt. Die Alten haben sie imutae Diatnedeae benannt nach dem
Heros der hier gefallen und bestattet sein soll, wahrend die in Reiher
verwandelten Genossen das Heiligtum bewachten. Gewöhnlich ist nur
von einer tnnib Diam$dea die Rede d. i. der gröfstcn S. Domenico. ^)
Ptolemaeos giebt richtig die Zahl fünf an, von denen das einige d.
Meilen seewärts gelegene flache Pianosa ebenso wie Caprara S. Nicola
und eine unbenannte Klippe nicht bewohnt sind. Auf der Hauptinsel
hatte Julia des Augustus unkeusche Enkelin nach zwanzigjähriger Haft
ihr Leben beschlossen : bei dieser Gelegenheit erfahren wir den wirk-
lichen Namen derselben — Trmerus nach den Handschriften — und
ersehen dafs er mit dem heutigen zusammenfiel.^) S. Nicola trug früher
ein Kloster, jetzt ein Bagno.
1) De mir. ansc. 79 Lyk. Alex. 599 m. Schol. Strab. VI 284 PHn. III 151
X 127 Xn 6 Mela fl 114. — PtoLIH 1, 69.
2) Tac Ann. IV 71, vielleicht entoteHt Plin. m 151.
24*
KAPITEL IX.
Das Klima.
Gluver hat das fünfte Kapitel seines ausgezeichneten Werkes be-
titelt de natura coeli solique Italici ae laudibus eins und darin die allge-
meinen Schilderungen aus dem Altertum gesammelt, in denen Fremde
und Eingeborne um die Wette die Vorzüge des Landes preisen.*)
Dionys von Halikarnafs schliefst mit der Erklärung: das allerschönste
an Italien sei sein gemäfsigtes mit den Jahreszeiten in Einklang stehen-
des Klima , das weder durch übertriebenen Frost noch durch unge-
wöhnliche Hitze das Keimen der Frucht und die Vermehrung der Tbier-
welt schädige. Der Zeitgenosse Strabo schränkt dies Lob mit gutem
Grund etwas ein und hebt die aufserordentliche Mannichfaltigkeit der
Luft und Temperatur in dem langgestreckten Gebirgsland hervor, aber
erklärt doch auch seinerseits den grOfseren Theil für woUemperirt.
Nach Aelian waren die Völker der Urzeit aus demselben Grunde — dia
rriv rcSv ioqcjv evxQaalav — zur Einwanderung angelockt worden.
Man begreift es dafs die Römer zur Verherrlichung ihrer Heimat leuch-
tendere Farben anwenden. Indem Vergil sie höher als die märchen-
hafte Pracht Indiens und Persiens schätzt, rühmt er ihr nach:
hie ver adsiduum atque alienit mensibus aestas,
bis gravidae peeude», bii pomis uUUm arbos.
Unter ihren Vergünstigungen nennt Plinius zuerst tanta ea vitalis
ae perenms saluhritasj caeli temperies. Nirgends jedoch tritt der Stolz
des Italieners auf seine sonnige Heimat, sein stilles Behagen dals ein
himmelhoher Bergwall die nordische Wüstenei absperrt, dafs er warm
gebettet ist wie der Vogel im Nest, uns anschaulicher greifbarer ent-
gegen als in der Einleitung, welche der achtzigjährige Varro seinem
1) DioD. Hai. I 37 Streb. VI 286 Ael var. bist IX 16 Verg. Georg. U 149
Plin. Ul 41 XXXYU 201 (darnach SoUo 2, 2) Varro RR. I 2.
S 1. Allgemeiner Charakter. 373
Gespräch über den Landbau vorausgeschickt hat: „Ihr die Ihr viele
Länder durchwandert, habt Ihr irgend ein Land besser als Italien an-
gebaut gesehen 7^^ „ „Ich glaube, es giebt keines, das so ganz bebaut
sei. Erstens da der Erdkreis in zwei Hälften zerfallt und die nördliche
ohne Zweifel gesünder ist als die südliche und was gesünder zugleich
fruchtbarer, so mufs man sagen dafs jene zum Anbau geeigneter war
als Asien und dort liegt Italien. Erstens weil es in Europa liegt, zwei-
tens weil dieser Theil gemäfsigter ist als das innere Europa. Denn im
Inneren sind beinahe ewige Winter und man darf sich darüber nicht
wundern , weil die Gegenden zwischen dem Polarkreis und dem Pol
liegen , wo die Sonne volle sechs Monate hinter einander nicht sicht-
bar wird. Daher soll man auch in dem Theil des Oceans nicht segeln
können, indem das Meer fest gefroren ist^*' Diesen Aeufserungen,
welche einige Jahrzehnte vor Eroberung der Alpen und den germa-
nisch^ Kriegen des Augustus geschrieben sind , möge als Gegenstück
an die Seite gestellt werden der erste Eindruck den Goethe im Februar
zu Neapel empfing ^): „alles ist auf der Strafse, sitzt in der Sonne, so
lange sie scheinen will. Der Neapolitaner glaubt im Besitz des Para-
dieses zu sein und hat von den nördlichen Ländern einen sehr traurigen
Begriff. Sempre neve case dt legno gran ignoranza ma danari assai.
Solch ein Bild machen sie sich von unserm Zustande.^ Derartige
Stimmen haben diesseit der Alpen ein nur zu bereitwiUiges Echo ge-
funden : von den Anlangen unserer Geschichte bis auf den heutigen
Tag kehrt die Sehnsucht nach dem schonen Süden als ein allgemeiner
Zug im Volkscharakter der Germanen wieder. Die herrschenden Vor-
steUungen, welche mit dem Namen Italiens verbunden zu werden
pflegen , entsprechen der Wirklichkeit nur zum Theil. Das Geschick
hat ihm nicht einseilig seine Gunst zugewandt , sondern daneben be-
denkliche Gaben mit in den Kauf gegeben. Es wird unser Bestreben
sein Licht und Schatten gleichmäfsig zu berücksichtigen gestützt auf
die Thatsachen, welche die nüchterne Beobachtung der Gegenwart
ermittelt hat.')
1) Ital. Reise 25. Febraar 1787,
2) Schouw, Tableau du climat et de la v^g^tatfon de lltalie, vol.I (ein-
ziger) Tableau de la temp^rature et des plaies de Tltalie, mit Atlas, Gopen-
hague 1839. 4. Dove, Klimatologische Beitrage, 2B., Berlin 1857. 6^. Lorenz
ond Reihe, Lehrbach der Klimatologie, Wien 1874. flacher, Beitrage zur phy-
sischen Geographie der Mittelmeerländer besonders Siciiiens, Leipzig 1877;
ders., Studien über das Klima der Mittelmeerländer, Gotha 1879. 4, Ergänzungs-
heft No. 58 zu Petermanns Mittheilungen. Das neue Italien hat einen Tortreff-
374 Kap. IX. Da» Klima.
§ 1. Allgemeiner Charakter.
Gebirge und Wüsten scheiden die Küstenländer des Hittelmeeres
gegen die Aufsenwelt ab. Das so umschlossene Gebiet bildet eine geo-
graphische und eine klimatische Einheit. In letzterer Hinsichi zeichnet
es sich durch seine hohe Wärme aus. Verschiedene Umstände wirken
zusammen um es aufserordentlich zu begünstigen: einmal diewest-
Ostliche Richtung, welche dem Einfiufs des Oceans freien Spielraum
gestattet, sodann der Schutz der Gebirge, welche den rauhen Nord ab-
halten und endlich das Mittelmeer selbst, auf dessen hohe Temperatur
bereits S. 102 hingewiesen wurde. Vergleichen wir Deutschland mit
Italien, so liegt jenes ungefiihr zwischen den Jahres •Isothermen 7 bis
10^ Celsius, dieses 13 — 19^. Der Ueberschufs an Wärme vertheilt
sich nicht gleichmäfsig an die verschiedenen Jahreszeiten. Der Laie
meint allerdings, dafs der Hitzegrad jenseit der Alpen erst^nlich
wachse; aber er kann heibere Tage in Berlin (39,3^) und Hoskau
(36,60) erleben als in Hailand (36,3o) und Rom (35,5o). Um das wesent-
liche zu treffen , mufs man den Satz umkehren : am Hittelmeer nimmt
die Hitze nicht zu, sondern die Kälte nimmt ab. Während in Beriin
— 30^ und in Hoskau — 42<^, sind in Hailand nur — 15^ und in
Rom nur — 6^ beobachtet worden. Während Berlin im Biittel 29,
Trier 27 Tage mit Schneefall hat, schneit es manche Jahre in Rom
überhaupt nicht, durchschnittlich 1 — 2 Tage und dieser Schnee lOst
sich entweder bereits im Fallen auf oder bleibt nicht länger als einige
Stunden liegen. In Palermo erscheint er als grofse Seltenheit: ein
Kenner des Ortes meint, dafs man ein Jahrzehnt warten mübteum
dort eine Handvoll Schnee zu sammeln. Die mittlere Temperatur des
Winters (December Januar Februar) beträgt für Berlin — 0,3<^, für
Rom + 8,12^. Der Abstand wird um so bezeichnender, wenn man die
Sommertemperatur (Juni Juli August) daneben hält: 18,1 <^ und 23,62^.
Rom hat also nur 5V2^ m^hr Sommer-, dagegen SVs^ mehr Winter«
wärme als Berlin. Vergleicht man Friedrichshafen am Bodensee mit
Palermo, so hat jenes einen 3,12^ kälteren Sommer, aber einen 12,39^
kälteren Winter. Hieraus ergiebt sich ohne weiteres, dafs das Jahr am
Hittelmeer viel gleichmäfsiger verläuft. Zwischen absolutem Haximom
liehen meteorolog&scheD Dienst organisirt Die Ergebnisse sind znsammengefafet
Ton Gantoni, Supplemente alla meteorologia itallana, Roma 1874. 4 (die oeoiK
j&hrigen Mittel 1866 — 74) und im Annnario statistico italiano ü, Roma 188t
(elGihrige Mittel 1866—76).
S l. Allgemeiner Charakter. 875
und Minimum schwankt das Thermometer in Moskau 78,6 <^, Berlin
69,3^ Mailand 51,3^ Rom 43,9^ Neapel 40,4^ Palermo 38,50. Zwi-
schen Winter- und Sommertemperatur beträgt der Unterschied in
Hoskau 27,13^ Berlin 18,4», Friedrichshafen 21,98^ Mailand 20,5^
Rom 15<> 15^ Neapel 14,05^ Palermo 12,71 <>; zwischen dem wärm-
sten und kältesten Monat in Hoskau 31,09^ Petersburg 26,50^ Berlin
21,21 ^ Rom 16,78^ Palermo 14,36^ Das Naturleben Mitteleuropa's
wird durch den Gegensatz von Sommer und Winter, einer erwachen-
den reifenden und einer absterbenden todten Vegetation bestimmt.
Die angeführten Zahlen lehren , dafs dieser Gegensatz in der mediter-
ranen Zone seine Schärfe verliert. Durch Kälte erleidet das PHanzcn-
leben gar keine oder eine geringfügige Unterbrechung, wol aber er-
leidet es eine solche durch die sommerliche Dürre : im Haushalt der
Natur nimmt hier der Sommerschlaf die Stelle des nordischen Winter-
schlafs ein. Beides die Winterwärme wie die SommerdUrre hängt mit
dem jährlichen Gang der Sonne, mit der Verschiebung des Calmen-
und Passatgürtels zusammen. Bei niedrigem Sonnenstand befindet sich
das Hittelmeer unter der Herrschaft des feuchten Aequatorialstroms^
bei hohem Sonnenstand unter der Herrschaft des trockenen Polar-
stroms, oder mit anderen Worten wiegen im Winter westliche und
südliche Winde vor, im Sommer östliche und nördliche. Das mittlere
Europa erhält zu allen Jahreszeiten Niederschläge , die reichlichsten
(z. B. Berlin 37 Procent der Jahresmenge) im Sommer, den wir des-
halb als unsere eigentliche Regenzeit ansehen müssen.^) Je weiter
man in Südeuropa fortschreitet, desto geringer werden die sommer-
lichen Niederschläge, so dafs man von einer absolut regenlosen Zeit
reden kann, wie denn z. B. 1877 zu Neapel innerhalb 89 Tage, 1828
auf Corsica von Ende April bis zum 30. August kein Tropfen Regen
gefallen ist Die Periode der Dürre nimmt nach Süden an Dauer zu:
sie wird gerechnet für Florenz 1 , Rom 2 , Neapel 3, Sicilien 4—473,
Malta 6 Monate. Ihre Wirkung wird durch die Verdunstung erhöht,
die bei Rom etwa dreimal so stark ist als in Deutschland. Aufserdem
vertheilen sich die Niederschläge über ungleich kürzere Zeiträume.
Die feinen Landregen, welche bei uns den Landmann froh und den
Touristen traurig stimmen, kommen im Süden selten vor. Es giefst vom
Himmel mit einer Heftigkeit und Fülle, welche gelegentlich an die
Tropen erinnert. Aber dem entsprechend dringt die Sonne öfter
1) Tgl. Krflmmel, Regenkarie von Europa in Zeitachr. f. Erdkunde XIII,
Berlin 1878.
376 Kap. IX. Das Klima.
durch: in Sicilien zählt das ganze Jahr höchstens 5 sonnenlose Tage.^)
Freilich darf man daraus nicht schliefsen wollen , dafs — wie der
Dichter von Griechenland sagt — ein unbewölkter Zeus Ober Italien
lache. Vielmehr veranlafst der Aequatorialstrom häufige Wolkenbildung
und man rechnet z. B. für Palermo nur 19 vollkommen wolkenlose
Tage auf das Jahr. Aus dem Gesagten erklärt sich , dafs die uns ge-
läufige Ordnung der Jahreszeiten am Mittelmeer hinfällig wird. Im
Norden wird der Uebergang von Wärme zu Kälte alknälich eingeleitet,
die vier Jahreszeiten bewahren sämmtlich ihren scharf ausgeprägten
Charakter. Je weiter nach Süden, desto mehr verwischt sich derselbe
und man unterscheidet schliefslich in Sicilien und im Peloponnes nur
zwei Jahreszeiten, eine trockene von 4 — 5 und eine feuchte von 7 bis
8 Monaten Dauer. Dürre und Regenzeit lösen einander in jäher Folge
ab, indem Frühling und Herbst auf wenig Wochen, bisweilen aufläge
zusammenschrumpfen.
Die bedeutende Ausdehnung der Mittelmeerländer von West nach
Ost von Nord nach Süd, ihr vielgestaltctes Relief bedingen es, dafs
diese Zone bei aller Uebereinstimmung in den Hauptzügen doch im
Einzelnen grofse Verschiedenheiten umfafst. Seine geographische Lage
weist Italien den anderen Bestandtheilen des Gebiets gegenüber eine
Mittelstellung an. Sein Klima ist allen Extremen gleichmäfsig entrückt:
der Feuchtigkeit lusitanischer, der Dürre africanischer Landstriche,
den schroffen W^echseln, welche dem Osten eignen. Mit Griechenland
verglichen erscheint es sehr bevorzugt. Der reiche Segen , welcher
der westlichen Culturhälfte Europa's im Gegensatz zum slavischen
Osten durch die Nähe des Oceans beschieden worden ist, macht sich
hier recht fühlbar. Das italische Klima trägt einen maritimen, das grie-
chische einen continentalen Chai*akter. Die vom Pol herabkommenden
Winde verleihen dem griechischen Himmel jene vielgepriesene Rein-
heit und Klarheit, die das Auge des Künstlers entzückt Für den Volks-
wirt verliert derselbe seine Reize: er ist zwar klarer als der italische,
indessen auch rauher wechselvoller zu Extremen geneigter. Der Bos-
poros fror mehrmals zu; der Unterschied in der Mitteltemperatur des
wärmsten und kältesten Monats beträgt für Byzanz 17,9^ für das unter
gleicher Breite gelegene Neapel nur 16,2^. Athen und Palermo haben
1) Gic Verr. Y 26 urbem Syraeusas elegerat, cuiuM hie situs atque Itaec
natura $*se loci caelique dicitur, ut nulhu umquam dies tarn magna ae htr-
bulenta tempestate fuerit, quin aliquo tempore eius diei solem homines viäe-
rinL Plin,II153.
§ 2. Die HaupteoneD. 377
dieselbe Polhöhe^ ersteres eine jährliche Schwankung von 19,46^ leCz-
teres nur von 14,36^. Die Regenhöhe Athens mifst nicht mehr als
384 mm , während Rom 800 mm aufweist. Diese Ziffer lehrt uns die
Ursache der Armut von Hellas verstehen, zugleich die beispiellose
Tüchtigkeit seiner Bewohner bewundern, die allein einem so kümmer-
lichen Lande zu seiner geschichtUcben GrOfse hat verhelfen können.
§ 2. Die Hauptzonen.
Wie das Mittehneergebiet im Grofsen , so bekundet auch Italien
für sich betrachtet starke Abweichungen in kUmatischer Hinsicht. Sie
werden durch seinen Bau , seine horizontale und verticale Gliederung
veranlafst. Das Land dehnt sich über nahezu 10 Breitengrade aus und
erhebt sich auf engem Raum bis hart an die Schneegrenze. Aufserdem
üben locale Einflüsse wie die temperirende Nähe der See, die Lage an
der Lee- oder Luvseite des Gebirges usw. die nachhaltigste Wirkung
aus. Wie stark diese Wirkungen sein können, zeigt ein Vergleich der
liguriscben Küste mit der kaum einen Grad nördUcher belegenen Ebene
des Po: die mittlere Jahrestemperatur beider weicht um volle 3 — 4<^
ab , indem der bogenförmig laufende Gebirgsrücken Ligurien vor den
Nordwinden schützt und zugleich die Sonnenstrahlen gewisser Mafsen
in einem grofsen Hohlspiegel auffangt Für das gesammte Norditahen
erscheint die örtUche Lage sowie die verticale Erhebung weit bestim-
mender auf die Temperatur zu sein als die geographische Breite. Ein
Blick auf die Karte lehrt, dals die mächtigen GebirgswäUe der Alpen
und des Appennin die klimatischen Eigentümlichkeiten in mannich-
fachster Weise beeinflussen müssen. Sie hemmen und brechen die
Luftströmungen, welche den Gang der Jahreszeiten regeln : der feuchte
Scirocco langt in der nördlichen Schweiz als trockener Föhn an ; die
Westhälfte der Halbinsel ist vor der östUchen begünstigt durch die
reicheren Niederschläge, welche der Appennin ihr verschafft. Eine
ganze Menge kleiner klhnatischer Bezirke könnte man danach unter-
scheiden: die Isotheren und Isochimenen laufen derart durch einander,
dafs sie sich nicht zu einem fafslichen Obersichtlichen Bild vereinigen
lassen. Indessen kommt es in einer allgemeinen Darstellung nur darauf
an die Hauptzüge hervorzuheben , welche im Leben des Landes ihren
sichtbaren Ausdruck gefunden haben.
In zwiefacher Richtung ist der Gang der Geschichte durch Boden
und Klima bestimmt worden. Wir sahen bei der Beschreibung der
878 Kap. IX. Das Klima.
einzelnen Tlieile, des Nordens, der Halbinsel, der Inseln allenthalben
drei Zonen über einander gelagert: Ebene Httgel und Bergland. Stets
fafst die Cultur an der Kaste festen Fais, bemächtigt sich der Ebenen,
dringt erobernd aufwärts in die Region der HOgel und Berge. Der
Schauplatz wechselt, aber der grofse natürliche Gegensatz bleibt der
gleiche; ob es sich um die Granitberge Bruttiams oder den Appennin,
ob um die Alpen oder das innere Sicilien, Sardinien und Corsica han-
delt, der Kampf hat den nämlichen Inhalt. Sobald die Ueberlieferung
ihre ersten Strahlen auf die Vergangenheit wirft, enthüllt sie das Toben
des Kampfes, der all die langen Jahrhunderte bis zum Anfang unserer
Zeitrechnung sich hinzieht. Die starke Hand des Augustus macht ihm
schliefslich ein Ende, indem sie das Gebirge in die Fesseln der Cultur
schlägt Der offene Widerstand ist Torbei und glimmt höchstens im
Stillen wie die Asche auf der Brandstätte fort, bis auch sie erkaltet und
das ganze Land die Formen civilisirten Lebens sich angewöhnt hat
Die physischen Bedingungen , welche im Einzelnen zu Grunde liegen,
sind in anderem Zusammenhang dargelegt worden. Dagegen ist jetzt
der Nachweis zu führen, dafs der Siegeszug, den die Cultur Ton Süd
nach Nord beschrieben hat, gleichfalls in den natürlichen Verhältnissen
wurzelte. Durch die Vermittlung Italiens ist das Erbe des Orients
auf unseren Erdtheü übergegangen. Bodenwirtschaft und Städtebau,
Kunst und Gewerbe, Schrift und Religion sind aus der Fremde ver*
pflanzt worden. Aber die Wanderung hat lange Zeiträume erfordert;
es bedurfte vieler Jahrhunderte, bevor die der mütterlichen Erde ent-
führten Keime der neuen Umgebung sich anpassen lernten , heimisch
wurden und damit für weiteres Vorrücken geeignete Ableger liefern
konnten. Da war es denn von unermefslicher Tragweite, dafs die sOd*
liehen Ausläufer ItaUens in die warme Zone hineinragen , welcher die
alte Culturwelt des Orients angehört, dafs mithin die Aussaat der Fron-
den in ein günstiges Erdreich fiel. Nicht minder wichtig war es, dafs
die Veredlung des Landes vom gesicherten Anfang aus allmälich einen
gedeihlichen Fortgang nehmen konnte. In späteren Abschnitten wird
der Gegenstand näher beleuchtet werden. Doch schien es bereits an
dieser Stelle angemessen nachdrücklich darauf hinzuweisen, dafs die
horizontale Gliederung nicht minder bedeutsam in die Geschichte Ita-
liens eingegriffen hat als die verlicale.
Von Nord nach Süd wachsen die Jahresisothermen, auf das Niveau
des Meeres reducirt, von 13® bis 19<^. Demgemäß kann man drei
Hauptzonen unterscheiden. Die erste mit einer Mitteltemperatnr von
§ 2. Die Hauptzonen. 879
13 — 14^ umfafst das Polaod. Wie dieses in geographischer Beziehung
den Uebergang bildet von der mediterranen Welt zum Inneren des Con-
ti nents, so trifft der nämliche Gesichtspunct auf das Klima zu. Es em-
pfängt reiche sommerliche Niederschläge, desgleichen im Winter solche
in Gestalt von Schnee. Wenn Strabo nicht ganz Italien sondern nur
dem gröberen Theil ein günstiges Klima zuschreibt, so wird er wol
eben diese Zone von seinem Lobe ausgenommen haben. In der That
ist das padanische Klima zu Extremen geneigt und nähert sich weit
mehr dem contiuentalen als dem mediterranen Charakter an : es hat die
Sommerhitze Siciliens aber strengere Winter als Paris oder Hamburg.
Die zweite Zone mit einer (auf das Heeresniveau reducirten) Jahres-
temperatur von 15 — 16® befafst die liguriscbe Küste und den grOfseren
Theil der Halbinsel in runden Ziffern von 44 bis 41 ^ n. Br. Einem
Jeden welcher den Rücken des Appennin überschritten, wird der Ab-
stand der beiden Zonen im Gedächtnifs geblieben sein. Wir wollen
von dem oben schon berührten Gegensatz zwischen dem Pothal und
der ligurischen Küste absehen. Auch von der Aemilia nach Toscana
ist es ein augenfälliger Sprung. Die Olive, welche nördlich vom Appen-
nin nur an vereinzelten Orten ein treibhausartiges Dasein geführt,
numnt fortan den Vordergrund der Landschaft ein und eben dieser
Baum ist in der Pflanzenwelt der eigentliche Vertreter antiker und me-
diterraner Cullur. Bologna hat ungefähr dieselbe Sommertemperatur
wie das 44 Bogenminuten südlicher gelegene Florenz aber einen uih
2,54® kälteren Winter. Die sommerliche Regenarmut macht sich in
dieser Zone nach Süden zunehmend fühlbar, die meisten Niederschläge
empfängt der Herbst, in zweiter Linie der Frühling. Der dritte und
letzte Abschnitt mit 17 — 19® mittlerer Jahrestemperatur gehört der
subtropischen Zone an, die durch Winterregen und Dürre des Sommers
gekennzeichnet ist Er umschliefst Corsica Sardinien Sicilien und die
Umgebungen des Golfs von Tarent. Im Westen des Festlands fällt die
Grenze an der Küste ungefähr mit derjenigen zwischen Mittel- und
Sttditalien zusammen. Wenigstens zeugen die Agiiimenhaine bei Gaeta
von der Annäherung an ein neues klimatisches Gebiet; denn die Zucht
dieser aus den Tropen stammenden Bäume (Orange, Citrone) ist dem
Süden allein eigentümlich. Auch ist der Abstand der südlichen von der
Torhergehenden Zone mit hinreichender Deutlichkeit ausgesprochen.
In der Vorstellung der Alten behauptete sie einen ähnlichen Platz wie
bei uns Deutschen der Westen und Süden unseres Vaterlandes im
Gegensatz zum Osten und Norden. Hierhin lockte sie ein ewiger Früh-
880 Kap. IX. Das Klima.
liDg , hierhin flüchteten sie vor den Unbilden des römischen Himmels.
Ferner kam die Verschiedenheit der geschichtlichen Entwicklung hin-
zu. Die massenhaften Ansiedlungen der Hellenen haben sich durchaas
innerhalb der eben umschriebenen Grenzen gehalten : hier hat sich
die fremde Flora, welche die einheimische Terdrängen, hier die Cultur,
welche die socialen Zustände des Landes Ton Grund aus umwandeh
sollte, zuerst eingebürgert, von hier aus hat sie sich langsam nach Nor-
den verbreitet. Dergestalt werden durch die klimatischen Abschnitte
zugleich die Hauptphasen in der Cultur- und geschichtlichen Entwick-
lung ausgedrückt: der erste föUt zusammen mit dem von den Römern
eroberten Colonistenland, der zweite mit dem italischen Stammland,
der dritte mit dem hellenisurten Süden. Bei uns in Deutschland wird
das Khma milder und wärmer, je weiter wir nach Westen fortschreiten
dem Ocean entgegen. Deshalb folgen auch die Culturschichten nicht
der Richtung von Nord nach Süd, sondern von Ost nach West: im
Osten das Colonistenland , zwischen Elbe und Rhein das germanische
Stammland und endlich der Culturboden des Orbis antiquus^ von dem
die Civilisirung der Deutschen ausgegangen ist.
§3. DieWinde.i)
Im gemeinen Leben werden und wurden nur zwei Luftströmungen
unterschieden : Nord oder Bergwind {a^ilo, tramontana vento da terra)
Sud oder Seewind [auster nottis^ scirocco vento da fuort) , die wir in
technischer Sprache als Polar- und Aequatorialstrom bezeichnen. 3) So-
dann haben die Alten nach den Weltgegenden vier Hauptwinde und
endlich eine Windrose von acht oder zwölf Winden aufgestellt. 3) An
scharfsinnigen Beobachtungen fehlt es bei ihnen nicht: z. B. lesen wir
bei Plinius eine solche, welche das berühmte Dove'sche Drehungsgesetz
anticipirt.'^) Allein schon Seneca bemerkt mit Recht, dafs fast eine
jede Landschaft ihre eigenen Winde habe.^) Wir fügen hinzu dafs sie
1) Supan, Statistik der unteren Luftströmnngen, Leipzig 1881.
2) Aristot. Polit. IV 3 Lucil.XVUöO Strab. I 29 Isidor Orig. Xffl 11,14 Tgl.
Galen XVI 397 Kühn.
3) Seneea nat. qnaest. V 16fg. Plln. II 119 fg. Vitror. 16 Galen XVI 394fg.
Köhn GeUius N. A. U 22 Veget.lV38 vgl.Salm8Biu8PliD.exercU. 1244f9.
4) N. H. II 128 omnes venti vicibus suis spirani maiore ex parte ita ut
contrarius desinenti incipiat cum proximi cadentibus surgunt, a laevo lä-
tere in dextrum ut sol ambiunt.
h) Nat. quaest. V 17, 5 infinitum est si singulos veUm persequi, nuUa emm
§ 3. Die WiDde. 381
diesdbeD mit besonderen anderswo unbekannten Namen bezeichnete.
Die wenigen von Hause aus in Latium üblichen reichten für ganz
Italien nicht aus. Die uns geläufige abstracte Bezeichnung der Wind-
rose nach den Weltgegenden widerstrebte der concreten Denk- und
Sinnesweise des Altertums. Somit legte die Verbreitung der lateini-
schen Sprache den Ausweg nahe die gewisser Biafsen neutralen grie-
chischen Namen anzunehmen. Jedoch ist in dieser Hinsicht nur eine
allgemeine, keine Tollständige Uebereinstimmung in der Litteratur er-
reicht worden. Die an sich verwickelte Materie wird durch den Um-
stand voUig unentwirrbar, dafs unsere Berichterstatter ihre heimat-
lichen Anschauungen zum Theil höchst vnllkürlich mit den unter ganz
anderen Verhältnissen gewonnenen Sätzen griechischer Gelehrten in
Einklang zu bringen suchten.^) Der Natur der Sache nach ergeben
sich daraus zahlreiche Widersprüche, welche auf ein strenges System
zurückzuführen keinerlei Sinn hätte. Bleiben wir bei unserer heutigen
Erfahrung stehen , so wissen wir dafs die Vertheilung der Winde von
der Vertheilung des Luftdrucks abhängt, dafs die Störung des Gleich-
gewichts in der warmen Jahreszeit viel geringer ist als in der kalten,
dafs endlich das mediterrane Windsystem dem grofsen nordatlantisch-
polaren Gebiet gegenüber eine Einheit für sich ausmacht. Der Wechsel
polarer und aequatorialer Strömungen wird am Mittelmeer local beein-
flufst, weil das Barometer auf dem Lande höher steht, der Luftdruck
grölser ist als auf dem Meer, und demgemäfs auf dem Meer Minima
sich bilden. Eine einzige grofse Depression giebt es hier aber nicht,
sondern die Gliederung in verschiedene abgesonderte Becken bewirkt,
dafs die maritime Depression sich in mehrere Minima auflöst, deren
Supan im Ganzen sechs einnimmt. Von diesen kommen drei unmittel-
bar für Italien in Betracht nämlich 1) das ligurische zwischen Corsica
und der ligurischen Küste, 2) das tyrrhenische bei den Liparen, 3) das
ionische westlich von Griechenland mit einem in die Adria auslaufen-
den Theilminimum. Hiernach lassen sich eine Reihe von Windgebieten
umgrenzen, die mit den klimatischen Zonen im wesentlichen zusammen
fallen. Die Poebene stellt im Winter den Uebergang vom nord- zum
südeuropäischen System dar: polare und aequatoriale Winde sind nahe-
propemodum regio est, qitae non habeat aUquem flatum ex $e nascentem et
cirea $e eadentem,
1) Bei den Schriftstellern lassen sich die provincialen Eindrücke und Diffe-
renien deutlich wahrnehmen; so z. B. treffen die Angaben des Plinius für
die Poebene zn, nicht für die Halbinsel.
382 Kap. IX. Das Klima.
zu gleich hfluflg. Wenn trotzdem der Winter die trockengte unter den
vier Jahreszeiten ist, so erklärt sich dies einfach daraas dafs die Regen-
winde beim Ueberschreiten des Appennin ihren Feuchtigkeitsgehalt
grOfstentheils eingebttfst haben. Im Sommer ruft die verschiedenartige
Erwärmung von Ebene und Gebirg locale Winde hervor; anfserdem
ist Supan geneigt fOr die Sommermonate ein secundäres Minimum io
der Poebene anzunehmen. An der oberen Adria macht sich im Winter
die höhere Temperatur des Meeres geltend, so dafs Nordwinde durch-
aus vorwiegen, die erst im Frtlhling und Sommer südlichen Platz
machen. Ganz entsprechend kann man für die Appenninbalbinsel die
Regel aufstellen , dafs im Winter der Wind vom Land zum Meer , ini
Sommer vom Meer zum Land weht, also an der adriatischen Seite im
Winter West- im Sommer Ostwinde , an der tyrriienischen Seite im
Winter Nord- und Ost- im Sommer Sttd- und Westwinde vorherrschen.
Dies Verhaltnifs ändert sich in der dritten klimatischen Zone Italiens,
für die das S. 375 ausgesprochene allgemeine Gesetz unumschränkt
gilt, nach welchem die winterliche Regenzeit durch den Aequatorial-
strom die sommerliche Dürre durch den Polarstrom bedingt wird.
Uebersichtlicher als aus langen Erörterungen kann die Vertheilung der
Winde an die Jahreszeiten, welche den Charakter des Klima bestimmt,
aus einigen Beispielen ersehen werden , die ich den Tabellen Supans
entlehne. Die Ziffern geben das procentiscbe Verhältnifs, die Expo-
nenten die Zahl der Beobachtungsjahre an ; die Meteorologen rechnen
Winter vom 1. December bis letzten Februar u. s. f.
IZ.
N.
NO.
0.
SO.
S.
8W.
W.
NW
Mailand'^
W.
10
15
6
4
3
24
16
22
F.
9
23
13
10
5
17
9
14
S.
9
21
9
10
6
21
8
15
H.
10
23
10
7
5
17
10
17
Venedig*-
W.
30
24
14
2
4
5
11
10
F.
8
16
24
13
23
8
4
4
S.
9
15
17
12
30
7
5
5
H.
20
24
17
6
10
9
6
8
Ancona*"'
W.
7
6
4
15
7
8
20
33
F.
7
9
10
28
8
8
10
20
S.
9
8
8
28
5
8
10
24
H.
6
7
6
29
8
9
10
25
S 3. IKe Winde.
1
IZ.
N.
NO.
0.
SO.
S.
SW.
W.
NW
Perugia'-
W.
31
17
8
6
25
4
6
3
F.
20
19
4
5
27
10
7
8
S.
17
20
5
5
24
9
12
8
H.
22
18
4
6
30
9
8
3
Rom«»-
W.
37
17
11
6
15
6
5
2
F.
23
7
8
5
24
14
15
5
S.
15
9
5
4
26
19
19
3
H.
29
12
8
5
22
11
9
3
Neapel'*-
W.
21
23
6
6
11
16
7
10
F.
11
15
6
6
16
30
8
8
S.
6
10
5
8
16
34
10
11
H.
16
16
6
6
14
23
7
11
Syrakus'-
W.
10
9
11
9
10
11
33
7
F.
13
8
19
10
9
15
18
8
S.
18
13
29
5
12
8
11
4
H.
13
10
21
8
13
11
19
5
888
Die Nordwinde treten in Italien stets mit Abkühlung und Trocken-
heit verbunden auf. Sie müssen den hohen Rücken der Alpen über-
schreiten , verlieren beim Aufsteigen die Feuchtigkeit, die sie etwa be-
safsen , werden kälter und fallen mit Ungestüm in das warme Mittel-
meergebiet ein. Die gröfste Heftigkeit entfalten sie dort wo die Gegen-
sätze der Temperatur hart an einander stofsen, d. h. im gallisch-ligu-
rischen und im istrisch-venetischen Littoral und nehmen hier einen
specifisch landschaftlichen Typus an, der wenigstens im ersteren Gebiet
die Aufmerksamkeit frühzeitig gefesselt hat Der Mistral erstreckt sich
von der Ebromündung bis nach Genua aber weht nur am Lande, da er
bereits in geringem Abstand von diesem völlig erlischt. Er ist der cha-
rakteristische Wind von Gallia Narbonensis und wird z. B. in Marseille
an 1 75 Tagen im Jahre verspürt. Die Proven^alen rechnen ihn zu ihren
Landplagen. Sein Ungestüm, am Stärksten in der Uebergangszeit vom
Winter zum Frühling, wird vom alten Cato in den Origines ^) so be-
schrieben: ventus Cerdus cum loqmre buccam implet^ armatum homi-
nemplauBtrum oneratum pereeUit. Nach anderen Schilderungen 2) deckt
er Häuser ab, rollt Steine fort, wirft Männer vom Wagen herunter, zieht
1) Fr. Vn 5 Jordan. Gell. N. A. n 22, 39.
2) P]iD.XVIl2t Strab.IVl82 Diod.Y26,l Säet. Glsud. 17.
884 Kap. IX. Du Klima.
ihnen Rüstung und Gewand aus. Dies ist keine Uebertreibung, da er in
der Neuzeitr Eisenbahnzttge aus dem Geleise getrieben hat. Derartiger
Belästigung ungeachtet erkannten die Eingebomen im Altertum den
heilsamen Einflufs des Mistral dankbar an und führten auf ihn die Ge-
sundheit ihres Landes zurück: Kaiser Augustus gab diesem GefQhl
durch Errichtung eines Tempels Ausdruck, i) Der Name Cercios und
Circius der mit dem vocalischen Unterschied in romanischen Dialekten
fortlebt, auch als ventus GaUieus bezeichnet 2) , wurde im weiteren
Sinne auf den Nordwest angewandt, der sonst häufiger eaurus oder
corus heifsl.3) Das Gleiche ist mit dem heutigen Namen Mistral der
Fall. Der Umstand dafs Ligurien und Gallien dem Gesichtskreis der
Römer unendlich viel näher gerückt waren als die nördliche Adria,
erklärt es warum kein antiker Schriftsteller die eigentümlichen Er-
scheinungen dieses Gebiets erwähnt hat^) In der That war es gerade
die Bora, welche die Schiffahrt hier aulserordentlich erschwerte und
damit die lange Vernachlässigung der istrischen Gestade verschuldete
(S. 94). Sie wird aber nicht blos dem Seefahrer sondern auch dem
Reisenden auf der Landstrafse geßlhrUch : ihre in Pausen wiederholten
Stöfse reifsen Ecksteine um, schleudern Geßihrte fort, heben faust-
grofse Steine vom Boden auf. Ihre Dauer wechselt nach den verschie-
denen Orten von Tagen zu Wochen und Monaten. Für die Einbürge-
rung des griechischen Fremdworts im Norden ist der Beachtung wert,
dafs fast ausschliefslich padanische Autoren vom boreas reden, den sie
mit horrifer gelidus Mbemus nivosus saevus furens tmx praecep$ ropt-
du8 violerUus und ähnlichen Eigenschaften belegen.^} Auf der Halb-
insel heifst er jetzt Tramontana und hiefs einst aquilo Adlerswind von
dem Rauschen seiner mächtigen Fittiche. <^) Varro gedenkt der Winde,
1) Seneca quaest. nat. Y 17, 5 PUd. XYII 2t.
2) Gell. II 22, 28 in Narbonne Cert oder Cierce, im Ebrothal Cierzo; itaL
Maestro oder Maestrale, prov. Maestre fr. Mistral u. s. w. als Meister der
Winde s. Diez, Etym. Wörterbuch.
3) Vitruv. I 6, 10 Plin. U 121 XVn 21 Veget IV 38; der Name auch den
Hellenen auf dem Festland und SicUien bekannt Aiist de signis vgL de mnodo 4
Galen XVI 406 Kühn.
4) Eine dunkle Kunde aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. findet sich bd
Skymuos 386.
5) CatuU Nepos Vergil Livius Plinius, auch Ovid und vereinielt Horax
Od. m 24, 38 ; aber Cicero meidet das Fremdwort und übereetit es io der be-
kannten griechischen Fabel durch aquilo Leg. 1 3 Ar. Phaen. 247. 56. 327. 38. 85.
498. 526.
6) Fest. ep. 22 M. Gic. Ar. Phaen. 247 horrisofUs AquilonU ati$.
f 3. Die Winde. 385
die rasefld vom kalten Pol losgebrochen sind , der Sohne des Sieben-
gestirns, die Dachziegel Baumzweige und Gestrüpp mit sich schleppen, i)
Im Gebirge führen sie allerdings dem Menschen die Not des Lebens
nahe (S. 228), in der Ebene weniger. Der Aquilo scheuchte die Wol-
ken, brachte Kalte 2); galt aber als der gesundeste aller Winde. >) Mit
gutem Grund: ob auch die Tramontana oft rauh und eidg, immer
scharf und trocken bläst, so reinigt sie die Luft und giebt den er-
schlafften Nerven die Spannkraft zurück. Sie hält im Winter Wochen
lang an und schafft ein köstliches sonniges Wetter. Nach La Marmora
Mt in Sardinien die schönste Zeit des Jahres (fe $ecche di genntUo) um
die Zeit der Winterwende und er wird wol Recht haben auf sie die
alkyo&ischen Tage zu beziehen, die wie Aristoteles sagt, im sicilischen
Meer fast regelmälsig eintreffen.^) Die alte Fabel lafst Zeus dem Eis-
vogel 7 Tage vor und 7 Tage nach dem Solstiz Windstille gewahren,
damit er sein Nest bauen und brüten könne. Simonides hat sie be-
sungen :
wg bnotav x^^^Qt-ov xaxit fi^va mvioiqg
ZA^ äfiara xioaaQa xal dixa, ka^dvsfiov vi fiiv
Sgav xaXiototv inix^oviot
l^v naiSoTQO^ov noixliag
aXxvavoq,
Alkyone ist Tochter des Aeolos und so führt uns diese Fabel von Neuem
nach der Gruppe der Liparen , welche in den Windtheorien der Alten
(S. 281) wie denjenigen der Gegenwart (S. 381) einen so bedeutsamen
Platz behauptet Wir dürfen auch hoffen, dafs die Forschung der Zu-
kunft diesen und ähnliche Mythen unserem vollen Verstandnifs er-
schliefsen werde. In Rom verhalten sich die nördlichen zu den süd-
lichen Winden im December und Januar wie 46 : 16. Aber bereits
im Februar sinkt das Verhallnifs auf 19 : 9 und die Mandelbäume fangen
An zu blühen. Die Allen setzten Frühlingsanfang auf den 7. 8. oder
10. Februar.^) Der laue West brachte ihn, der die grimmige Kälte löst,
Schwalben und Zugvögel zurückführt, der ganzen Schöpfung seine be-
achtende Kraft mittheilt. Daher hieben sie ihn Favoniw den gün-
stigen und übertrugen auf ihn die nämlichen Eigenschaften , welche
1) Bei Nop. p. 46 n. lyrtw, vgl. Vecg. Georg. HI 1961g.
2) Seoeca Y 18, 2 Martiai Y 9 Galen XYI 411 XVII 1, 31 Kühn.
3) PliD. n 127 Galen XYI 401 oi Hk ßo^BOt iyuivoxe^oi.
4) Arist bist. an. Y 8 Piin. 0 125 X 90 vgl. Preller Gr. Myth. U 249.
5) Yarro RR. 1 28 Ovid Fast U 149 Golnm. XI 2 Plin. II 122.
17 1 •■ • B , It»l. LandMlraBd«. I. 26
386 Kap, IX. Das Klima.
die Griechen ihrem Zephyros zuschrieben. ^ Im Murz nehmen die süd-
lichen Winde an Zahl zu (15 : 16). Der Africanerwind kämpft nach
des Dichters Ausdruck mit den Nordwinden.^) Seine Herkunft gab
ihm den Namen Äfricus Ahp noch jetzt Uheedo, Dieser Südwest tritt
an der tyrrhenischen Küste mit aufserordenüicher Heftigheit auf und
rechtfertigt die Bezeichnungen der Alten, die ihn als den eigentlicbea
Sturmwind hinstellen.') Im April gewinnen zu Rom die südlichen
Winde die Oberhand (18:12) und behaupten sie für die nächsten vier
Monate in dem Verhältnifs 2:1. Dasselbe trifft auch für Neapel za»
kehrt sich aber in Bruttium und Sicilien vollständig um (S. 382). Das
Vorherrschen südlicher Winde in den Sommermonaten hat dem römi-
schen Klima seinen Übeln Ruf verschaflTt; denn während sie zu Neapel
und in unmittelbarer Nähe der See weniger lästig fallen , passiren sie
auf ihrem Wege zur ewigen Stadt eine sumpfige fieberschwangere
Ebene, deren Miasmen sie mit sich fortschleppen (S. 326).^)
Insgemein sind die Alten auf den Südwind schlecht zu sprechen.
Die Namen deuten auf seine wichtigsten Eigenschaften hin: der ein-
heimische auster bezeichnet ihn als den Wärme &), der griechische
notus als den Regen bringenden. <^) Beide haben in der Neuzeit dem
arabischen Lehnwort teirocco Platz machen müssen. '0 Er bringt
1) Gic. Yerr. Y 27 Fam. IX 24, 2 Lacrez I 1 1 genitabilis aura Favoni V 735
Bor. Od. I 4 solvitur aerit hiemt grata vice veris et Favoni Plin XVI 93 ^r-
nitaUs ipiritus mundi a fovendo didu» 11 122 ehelidonian vocant ab hirun-
dinis viiu, nonntäli vero amithian ab adventu avium XYIII 337. — D«r
Name ist abgeleitet von favere vgl. Faunut,
2) Hör. Od. 1 3, 12 praeeipitem Africum deeertaniem aquiUmibus,
3) Sen. Y 16,6 ab oeeidente hibemo jifrieu$ furibundu* et ruetu, apuä
Graeeos b'ps dicitur. Yerg. Aen. 1 85 ereber proeelHs Jfrieus Hör. Od. Ol 29, 57
£p. 16, 22 Gaes. b. cIt. III 26. 27 Schildemng eines solchen Stnnns Ratil. I
617--44. 4) Galen XYI 401 oi ^ anh twv ildv (iSvtfJLOt) xaxunoi.
5) jiutter schon bei Gato und Ennina, verwandt wie es scbdnt mit «r»
u$tui avw vgl. Gurtius Gr. Etym.* p. 370. Galen XYI 411 o d^ voxoQ ^e^yuo;
xal vyQog zy fpiasi.
6) Ygl. voxioq feucht, voxla Regen, vott^uv nassen, voxetv triefen, Gell.
N. A. ü 22, 14 Gartina a. 0. p. 298. — Ovid. Met I 264 madidit noiuM n>oUt
alii, Amor. I 4, 12 Ber. 2, 12 3, 58 Yerg. Aen. YI 355 Hör. Ep. 10, 19 Od. 1 7, 15
Seneca Agam. 497.
7) Scirocco vom Sirius (oder gar von asigow) abzuleiten verwehren die
Lautgesetze; vgl. Dies Etym. W5rterb. d. Rom. Spr. Nach einer Mittheilvng
N51deke's findet sich reiches Material zur Geschichte des arabischen Wortes
bei Doxy, Oosterlingen. Yerklarende Itjst der Nederlandsche woorden, die uit
het Arabisch ; . . afkomstig zijn, Leiden usw., 1667, p. 83 fg.
f 3. Die Winde. 387
Regen i) und Gewitter. >) Im Winter heifst er kalt und unfreundlich,
da er mit seinen Wolken die Sonne verhüllt , auf deren Schein der
Südländer ein unantastbares Anrecht zu haben glaubt, und wird ge-
scholten trotz des Segens, den die Fluren aus seinem Schofs empfangen, s)
Im Sommer ist er meist schwach, da der Luftdruck Ober Land und
Meer sich ziemlich ausgeglichen hat: seine Sanftmut wird denn auch
wol von Reisenden lobend anerkannt.^) Aber am Land ist er schwül,
legt sich wie Blei um die GUeder, verdirbt Blüten uod Reben, der Ge-
sundheit im Aligemeinen und ganz besonders durch seine Trockenheit
schädlich. &) Die Alten haben bei diesen Aeufserungen eine Abart des
Südwinds im Auge, die man wol als trockenen Scirocco bezeichnen
konnte. Letzterer tritt local und in allen Jahreszeiten, vorwiegend
jedoch in den Uebergangszeiten Herbst und Frühjahr auf, aus Süd-
ost, Süd und Südwest und trägt einen sturroartigen Charakter. Er ist
stets von einem dichten Duost begleitet, der dem Himmel ein gelbes
oder bleifarbenes Aussehen verleiht (phimbeu$ auster). Eine dumpfe
Schwule liegt in der Luft, die wenigen Regentropfen, die fallen, bringen
keine Abkühlung. Das Thermometer steigt auf das höchste betreffen-
den Ortes beobachtete Maximum. Die Verdunstung ist aufserordent-
lich stark. In rasender Schnelligkeit fliegt der Sturm einher, gelegent-
lich mehr ab 100 km die Stunde. Er sengt die Blüten und kann die
Aussichten der Wein- und Ollvenernte zu Schanden machen. Er ver-
ursacht eine unerti*ägliche Beklemmung, eine verzweifelnde Abspan-
nung der Nerven. Zum Glück dauert er höchstens drei Tage, nach
seinem Aufhören atmet Mensch und Thier auf, von einer schweren
Bürde erlöst. In dieser Weise tritt er auf Sicilien und dem Festland
bis nördlich von Rom auf, wenn auch je weiter nordwärts in desto
abgescbwächterem Grade. Mit den spärlichen Niederschlägen pflegt
1) PUn.lI 126 umiäi Afrieu» et praecijme muUr UaUoB Ovid Met I 66.
3) Lacres V 743 muUr fuimine poUens,
3) Verg. Georg. DI 278 nigerrimus aiuter • . . phtvio cantristat Mg^re
eaeium eb. rV261 und Prep. DI 26, 36 (vgl. 16, 56) frigidui ausUr Tiball I
1, 47 geUda» hibermu aquas ettm tktdtrit auster,
4) Cato fr. 8 p. 34 Jordan De. Att. YU 2, 1.
5) PliB.lI 126 aestuonu muier . . . noatius tnuter et magU neeus, far-
tassü qida umidut frigidiar est. minus esurire eo spirante ereduntur am-
manies. Horaz Od. 11 14, 16 frustra per autumnos nffceniem eorporiäus me-
iuenms austrum 8at II 6, 18 plwmbeus muster eb. 2, 41, Od. DI 23, 6 nee pesU-
ieniem senHet Afrieum feeunda vttis Yerg. Ecl. 2, 58. Nach Aristoteles de signis
heifst voTOi . , . Sta rb voaw^i ilvat.
25*
388 Kap. IX. I>as Klima.
ein feiner Staub zu fallen, der die BUftter mit einer roten oder milchig
weifsen Decke überzieht Die rote Farbe rührt von der Beimiscliuog
oxydirter Eiseupartikelcben her, die weifse von gewöhnlichen Kiesel-
und Kalkbestandtheilen. Die Erscheinung war den Allea wol bekannt
und wurde Ton ihnen als Milch- und Blutregen unter die Prodigien
gerechnet 0 Als Ergebnifs seiner mikroskopischen Untersuchungen
stellte Ehrenberg die Ansicht auf, dafs dieser Blutstaub aus Sfidamerica
stamme; von anderer Seite her verfocht Dove im Ansdilub an seine
geniale Windtheorie die Meinung die Sciroccostürme für Ausläufer der
westindischen Cyclone zu erklären.^) Allein die (gelehrten der Schweiz
und Italiens suchen dem alten Volksglauben treu den Ursprung des
Scirocco in der Sahara. Bei dieser noch schwebenden Streitfrage ist
von Interesse zu betonen, dafs die Alten, wie der Name besagt, den
Wind aus Africa herleiteten und seine Wärme aus der Wüste erkürten '),
dafs das Mittelalter den arabischen Ausdruck für Wüstenwind zur Be-
zeichnung desselben anndim, gerade wie die Deutschen den verwandten
Fühn, dessen Wirkungen sich über die Schweiz bis nördlich vom Boden-
see erstrecken, mit walschem Namen benannten.^)
Ueberhaupt begegnet in der Namengebung der Winde nichts häu-
figer als die Herübernahme von Fremdwörtern oder die Bezeichnung
nach denjenigen Ländern, aus deren Richtung sie wehen. Das Eine
wie das Andere setzt eine gewisse Ausdehnung des geographischen
Horizonts voraus und eignet in Italien erst der entwickelten Verkehrs-
epoche unter Augustus. So wird eu(fog Ost oder Südost eingebürgert,
der bei Horaz aquosus heifst , was für die adriatische LandeshftUte ja
auch seine Richtigkeit hat&) Die oben mitgetheilte Tabelle zeigt, dafs
er in der Westhälfte selten weht und deshalb fehlt auch ein eigentlich
volksttioriicher Name wie aquilo und autier. Wol aber gab es einen
solchen bei den Seeleuten, denen eine genaue Unterscheidung der
Hinunelsgegenden am Herzen lag : statt des gebildeten etfina brauchten
sie das anschauliche aus dem griechischen aTtfiXuoTtig übersetzte i»^
1) Gic Didn. U 68 Pilo, fl 147 Uv. XXIV 10 XXVI 23 XXVH 37 o. o.
2) Ehrenberg, Ober Passatetaab and Blatregen, Abb. d. Beri. Akad. 1847
p. 269 fg. Dove, über Eiszeit Föhn und Scirocco, Berlin 1867.
3) Macrob. Somn. Sdp. II 6, 20.
4) Föhn «1 Favoniui, Grimm Deutsch« Wörterbuch m 1869.
5) Hör. Sp. 16, 54, leniter pkwius PUn. XVIH 337. Seneca V 16, 4 W «^
euruM imn dvOalt d^matua 9H et notbro semumi nan tamquam MÜmui in-
tervenit.
§ 3. Die Winde. 889
Bolamuy 80 auch die Bauern im Poland.^) Die Windrosen fahren ferner
als Südost den voltumu$ auf und zwar scheint ihm Varro diesen Platz
angewiesen zu haben. >) Der Name war im Volksmund heimisch, wie
uns sowol für Apulien als Hispania Baetica bezeugt wird, ist aber in
der Schriftsprache nicht recht durchgedrungen.') In der Schlacht bei
Cannae hatte Hannibal seine Stellung so gewählt, dafs der Voltnrnus
aus den yerdorrten Feldern dem römischen Heer dichte Staubwolken
ins Gesicht trieb.^) An| einen Scirocco hat man hierbei ohne Zweifel
zu denken: ein beliebiger Wind genügt freilich um in Italien bei
langer Darre Staub von einer Dichtigkeit auftuwirbeln, dafs kein
Fensterrerschlufs sein massenhaftes Eindringen ins Zimmer abwehrt ;
doch legt ihm Columella ausdrücklich sciroccalen Charakter bei. Aus
der S. 383 gegebenen Uebersicht erhellt, dafs auch der Nordwest in
der tjrrhenischen Landeshälfte nicht zu den häufigen Winden zählt.
Immerhin ist sein Name eauru$ oder corus (dunkler Herkunft) in der
Litteratur früher und allgemeiner verbreitet als der vorhergehende.')
Dafs er als kalt und stürmisch galt, versteht sich von selbst.') Der
feine Ton untersagte den Gebrauch von provinzialen Ausdrücken die
man in der Hauptstadt nicht verstand: auch Horaz entging dem Tadel
nicht wegen seiner den Lesern dunkeln Verse '^):
ineipit ex ilh montes JppuHa notos
osientart mihi, quos iorret Atabuhu»
1) Gell. N. A. 11 22, 8 mnu . • . Rmnani* nauiieis subsolanus cagnami-
naiur. Seneca V 16, 4 PUd. II 119. 122. 126 XYII 131 XYIU 337. 30. ViUuv I
6, 4 sagt daf&r allein solantu,
2) SenecaY 16, 4 Yitniv I 6, 10 Gell. N. A.n 22, 10 Plin.ü 119. 124. 126
Veget. IV 38.
3) LIv. 8. A«4. Golnm. V6 BaeHüoe provineiae . . . ptaedam pariet iic
infesianiur euro^ quem ineolae FoUumum appeüant, XI 2 eurui quem qui-
dam F^Uumum appeüanU Plinius braucht den Namen fflr SO ohne Bedenken
VI 106 XVm 338 seq.
4) Liv. XXn 43 eoilra potuerat aversa a FoUumo venia , qtU eampU
iarriÜe eieeUaie nubes puiveris vekU, c. 46 veniue — Foltumum regitmU
ineolae vocani — adversus RomanU eoorius muUo puhere in ipea ora vol-
vendo praepeeium ademit Tgl. Seneca a. 0. Appian Hann. 20 Zonar. IX 1 .
5) Lncr. VI 135 Gaes. b. Gall. V 7, 3 Laber. com. fr. 181 Verg. Georg, m 356
Colomella Seneca Plinina Gellius Vegetins a. 0. Galen XVI 406 K6hn. Um
seine Windrose von 24 Winden benennen zn können, winVitmv I 6, tO eau-
ru9 and ewue von einander unterscheiden.
6) Lncret Vergil a. 0. Plin. XVII! 338 GraeeU dtetue argreeiee, ex frigi-
dissimie ei ipee eieui amnet qui a eepienirionU parie tpirani,
7) Sat. 1 5, 78 vgl. Quint. Vm 2, 13 Gell. H 22, 25 Sidon. Apol. Ep. 1 5 Galen
XVI 400 Kflbn.
390 Kap. IX. Dag Klima.
Er scheint damit nach einem anderen (messapischen ?) Dialekt den
nämlichen Scirocco zu meinen , den wir oben als Volturnus kennen
lernten. 0 Aufserdem wird der iapyx erwähnt: so hiefs nach der Lage
des Landes den Griechen der Nordwest. Da er auf der belehtestea
Route der alten Welt für die Ueberfahrt von Italien nach Griechenknd
in Frage kam , ist er der gebildeten römischen Gesellschaft unter die-
sem Namen nicht ganz unbekannt. 2) Im Uebrigen sind die meisten
solcher localer Benennungen für uns verschollen.^) Für den im Hoch-
sommer in der regenlosen Zone, namentlich in Griechenland mit
grofser Regelmäfsigkeit wehenden Nordostpassat wird wol das Fremd-
wort etesiae gebraucht, okne indefs eigentliches Bürgerrecht erlangt
zu haben. ^)
§4. Die Niederschläge.
Die gemäfsigte Zone empfängt in allen Jahreszeiten Niederschläge,
am reichlichsten im Sommer, unter der Gestalt von Schnee im Winter.
Die subtropische hat eine regenlose und eine Regenzeit, das Maximum
der Niederschläge bei niedrigstem Sonnenstand, keinen Schnee. Ge-
mäfs seiner horizontalen Ausdehnung vermittelt Italien den Ausgleich
zwischen diesen grofsen Gegensätzen. Wir lesen bei Plinius ^) vota
arhorum frugumque communia 9Ufit nivi$ diutinas sedere: eine Bauern-
regel, die im Munde eines Italieners befremdend zu klingen scheint.
In Wirklichkeit schneit es im Poland durchschnittlich 9,3, in Bologna
sogar 15,5 Tage, am häufigsten im Januar, der Regel nach von Novem-
ber bis März , gelegentlich aber auch im October und April. Ferner
fällt der Schnee bisweilen in Massen, die in der Ebene so gut wie im
Appennin den Verkehr zum Stocken bringen, und bleibt bisweilen
3 Monate lang liegen. Auf der Halbinsel geniefst man den Anblick
einer Schneelandschaft nur im Gebirg. Für Mittelitalien werden durch-
schnittlich 4,1 Schneetage gerechnet (Perugia 7,6 Florenz 3,2 Rom 1,4
Ancona 1,7 Neapel 0,2); doch bleibt der Schnee nur selten liegen.
1) Seneca V 17, 5 Plin. XVH 232.
2) Arist. de signis, de mundo 4 Hör. Od. I 3, 4 Verg. Aen.yin 710 Ond
Met. XV 52 Sen. V 17, 5 GeU. U 22, 21 Veget IV 38.
3) Aristoteles de signis führt ans Sicilien an Katano^fäaQ 0, von
noQ^liSi; aus Tarent Sxvktittvoq W?, vom Busen d. N.
4) Lucr. V 740 VI 730 etesia flabra aptilonum Gic. Fam. Xu 25, 3 de deor.
nat. U 131 Gaes. b. civ. 01107 Plin. ü 124. 27 XVIÜ 270 Liv. XXXVH 23, 4 Se-
neca V 10 GelL II 22, 30 u. a.
6) XVII 14.
§ 4. Die Niederschlage. 391
}VeQn solches kürzlich io Palermo fttr Tolie 24 Stunden der Fall war,
so kommen derartige Ausnahmen während eines Menschenlebens nicht
leicht wieder vor. Die Regenmenge ist in Italien gröfser als in
Deutschland, am grObten am Fufs der Alpen (S. 144) und im west-
lichen Appennin (S. 224). Sie nimmt im Allgemeinen nach Süden ab.
Der bevorzugte Regenmonat ist der Oclober, am Fufs der Westalpen
auch wol der Juni, in der subtropischen Zone der December. Der
ganze Norden empfängt im Sommer noch bedeutende Niederschläge,
auch im Appennin bis Apulien hinunter kann man zu dieser Jahreszeit
jeden vierten Tag auf Regen rechnen. Dies ändert sich trotz der vor-
herrschenden Aequatorialströmung am appenninischen Littoral, weil
dessen starke Erwärmung die Verdichtung der Wasserdämpfc erschwert.
In Folge dessen nimmt die Zahl der Regentage wie die sommerliche
Regenmenge nach Süden constant ab. Der regenärmsle Monat ist
durchweg der Juli, in Oberitalien auch wol Januar oder Februar. Die
Vertheilung der Niederschläge an die Jahreszeiten in den verschiedenen
Laadachaften erhellt aus folgender Oebersicht, die ich nach Fischer's
Studien zusammenstelle (die Exponenten bedeuten die Zahl der Be-
obachlungsjahre, RT Regentage, ST Schneetage).
Jahr
Wiater
FrühUng
Sommer
Herbst
RT
ST
Turin«'-
789,05
116,08
207,71
249,73
215,53
79,6
8,6
Hailand''-
966,5
205,5
229,9
233,1
298,0
85,1
6,5
fiologaa'*-
535,7
98,4
107,8
159,4
170,3
73,5 15,5
Florenz'*-
1075,8
309,6
243,3
196,4
326,5
97,8
3,2
Perugia"-
1046,3
252
235,7
237,8
320,8
113,5
7,6
Genua'*-
1286
325
279,2
161,3
520,5
93,9
1,7
Ancona'**-
725
176
145
144
262
94,8
IJ
Rom**-
800
248,61
181,86
79,31
289
111
1,4
Neapel**-
896,8
274,3
183,5
94,1
344,7
96,9
0,2
Palermo*'-
590,8
220,2
137,6
31
202
97,1
Syrakus'*-
463,6
150,2
125,4
4,9
182,8
64,3
Die Zahl der Regentage in Deutschland ist beträchtlich gröfser
(156,5 im Mittel), die Regenmenge beträchtlich geringer: folglich lie»
fert ein Regentag in Italien durchschnittlich das doppelte Quantum,
oftmals aber gewaltige Massen. Im October stürzen wahre Fluten vom
Himmel herunter, namentlich am Abhang der Alpen. So mafs wäh-
rend dieses Monats 1872 der Regenmesser an zwei Orten Piemonts
1246,8 nun resp. 1759,6 mm. In Genua zeigte er in 24 Stunden
892 Kap. IX. Das Klima.
812,2 mm an, in Palermo innerhalb VU Stunde 76 mm.i) Wie ver-«
beerend diese Niederschlage in das Leben des Landes eingreifen , ist
in anderem Zusammenhang dargelegt worden. Wie wenig sie der
Vegetation zu Gute kommen, mit unseren prosaischen Landregen ver-
glichen , ergiebt sich von selbst. Der Aenderung in der VertheiiuDg
der Niederschlage an die Jahreszeiten entspricht die verschiedene Yer-
theilung der Gewitter. In Deutschland sind solche der Regel nach anf
die Sommermonate Mai bis September beschrankt. In Oberitalien er-
streckt sich ihre Dauer schon langer, nämlich von April bis October.
Auf der Halbinsel und Sicilien kommen sie das ganze Jahr hindurch
vor. Die Monate, aufweiche die meisten Gewitter entfallen, wechseln
in den einzelnen Landschaften ziemlich stark: z. B. Genua Juni —
October, Florenz Mai — September, Rom Juni — October, Palermo
März Mai October, Syrakus October-^ December. Im Allgemeinen tritt
uns die Erscheinung entgegen, dafs die Gewitterperiode in der subtro-
pischen Zone sich in die Regenzeit zurOckzieht, wahrend der Sommer
davon verschont bleibt. Uebrigens ist es nicht zu verwundem , dafs
die Ansichten der Alten in dieser Beziehung auseinander gehen. Pfi-
nius meint: die Gewitter gehörten den Uebergangszeiten an und waren
in Italien besonders häufig, weil hier bei dem milden Winter und
feuchten Sommer gewifser Mafsen stets Frühling oder Herbst sei. Er
erklart ausdrücklich, dafs sie in Latium und Campanien Winters und
Sonmiers gleichmafsig vorkommen.^) Seneca schreibt die meisten dem
Sommer zu; ein Wetter zur Erntezeit schildert Vergil 3):
säepe etiam immemum eaelo vtnit agmen aquarum
et foedam glotnerant iempestatem imbribta atris
eolleoiae ex aUo nubes; mit arduut aether
et pluvia ingenH tata laeta boumque tabores
diluit; implentur fossae et eava flumina ereseunt
cum eonitu fervetqu€ fretU epirantibus aequor,
ip$e pater media nimborum in noete eoruica
fuhnina moUtur dextra: quo maxuma motu
terra tremit; feigere ferae et mortaUa eorda
per gentee humiUs straoit pavor: iile flagranti
out Athon aut Rhodopen out alia Ceraunia teto
deieitf ingeminant auetri et dennssimu» imber.
1) Der November 1882 brachte uns ia StraGsbnrg Hochwaaser adir hohen
Gnindwasaerskand sowie Ueberachwemmuni^n; aber die 32 Regentage dieaea
Monats erzielten nnr eine Regenhöhe von 08 mm. — Vgl. Gic. an Quint lU 7.
2) n 135 fg. 195 übereinstimmend Lncr. VI 357. An den Frflhling denkt
Boras Od. I 4, 7.
S> Sen. nat. qoaeat 11 57 Verg. Georg. I 322 fg.
§ 4. Die NiedenehUge. 398
Auf die starke Verdunstung ward S. 375 hingewiesen. Sie
betragt nach Soden hin zunehmend im Mittel das Dreifache der Nieder-
schlagsmenge. Sie wachst aufserdem bei gröfserer Trockenheit der
Lufit und bei höherem Sonnenstand. Einen gewissen Ersatz bietet
während der Dürre derThau, welcher nicht selten vor Sonnenaufgang
so reichlich f^Ilt, dafs er den Reisenden auf offenem Wagen völlig
durchweicht. Wie wert die himmlische Gabe von den Alten geschätzt
wurde, wissen wir aus ihren Dichtern ^ :
xolo ^ Bvfioq
idv^, (iael re negl ataxveaaiv Hparj
krjtov ak^axovxoq , ox€ fpQlaaovciv äQOVQai'
äg aga aol MeviXae fiBxa <pQBal dvfiig iav^»
et quaniitm longU carpeni armenta diebus
9xigua iantum gelidus ro* noete r^ponet.
Aber es sind doch vorwiegend nur die nördlichen und höher gelege-
nen Gegenden, die des Segens froh werden. Um in den heifsen Ebenen
des Südens die Vegetation vor dem Verschmachten zu retten reicht
der Thau so wenig wie der Regen aus. Damit die Saftströmung regel-
mafsig fortgehen kann, mufs das Erdreich dauernd durchfeuchtet sein.
Aber die sommerlichen Regengüsse fliefsen oberflächlich ab und ver-
dunsten in der Sonne, ohne dafs die Pflanze Zeit behält das Nafs in
ihr Gewebe aufzunehmen. Daher kommen, wie Grisebach ausführt,
diese Niederschläge nicht in Betracht und der Sommer bleibt, physio-
logisch betrachtet, für die Pflanzen regenfrei. Zum Schlufis füge ich
eine Uebersicht der auf die einzelnen Monate zu Rom entfallenden
Niederschläge aus Fischer's Studien bei, nämlich Regenmenge Regen-
tage Schneetage Gewittertage Relative Feuchtigkeit in Procenten Ver-
dunstung (die Exponenten bedeuten die Zahl der Beobachtungsjahre} :
RM85. RT72. ST». GT». RF». V».
Januar
85,65
11,7
0,1
0,2
75,3
96,3
Febniar
64,64
9,6
0,2
0,6
75
114,9
Harz
69,62
11,1
0,4
0,9
67,9
184,4
April
57,48
10
0
0,7
65,9
225,8
Hai
54,76
9,3
0
0,8
61,8
231,3
Juni
35,85
6,6
0
1,7
60
273,9
JnU
16,79
4,1
0
1,5
56,4
352,5
August
26,67
4,5
0
1,4
59,7
357
Septembei
' 62,92
8,1
0
1.9
65,5
272,1
i) Hom. U. XXm 5d6 vgl. XIV 347 Verg. Georg, n 201.
394
Kap. IX.
Das Klima.
BMW.
RT7J.
ST». GT9-
RF9.
V».
October 118,31
11,2
0,3 1,2
71,4
212.6
November 107,80
12,7
0 0,5
74,1
159,8
December 98,42
12,1
0,5 0,4
75,3
140,8
Jahr 800
111
1,4 11,8
67,3
2621,3
§ 5. Die Temperatur.
Die Sonne entsendet ihre Strahlen jenseit der Alpen senkrechter,
in Folge dessen mit grüfserer Kraft ausgerüstet als unter unseren
Breiten. Der Unterschied zwischen Sonne und Schatten nimmt be-
deutend zu. Man hat im Februar auf Corsica beobachtet dafs das Ther-
mometer an der Nordseite einer Mauer -|- 4® angab, an der Rückseite
derselben Mauer in der Sonne binnen wenig Minuten auf -|- 25^ stieg,
so dafs also nach den Worten unseres Gewährsmanns Winter und
Sommer nur durch eine Wand von einander getrennt waren. Aeho-
lieh zeigte das Quecksilber im Januai* zu Rom im Zimmer -j- 10®, auf
dem Balcon davor 4- 25® um mit Sonnenuntergang innerhalb einer
Stunde auf + 7® zu fallen. Die Sonne wird in der kalten Jahreszeit
ebenso eifrig gesucht als in der heilsen gemieden: bezüglich jener
sagt ein römisches Sprichwort von der Lage der Wohnung dove hon
va il soU va il medico , bezüglich dieser Idfst ein anderes Sprichwort
nur Hunde und Fremde den Schatten verlassen, in dem die Christen
sich halten. 0 Nach den Berichten der Alten ist manche Schlacht von
den Nordländern verloren worden, weil deren Kraft unter den Pfeilen
des Sonnengottes zerrann. Fassen wir dagegen die absolute Luft-
wärme ins Auge, welche ein an geschütztem Ort aufgestelltes Thermo-
meter anzeigt, so erscheint die tägliche Schwankung verhältnüsmä£sig
gering, an der Küste und im Winter am Geringsten, im Binnen- und
Hochland am Gröfsten. In Palermo beträgt der Abstand an bewölkten
Wintertagen zwischen Minimum und Maximum oft nicht mehr als 1 Vi^*
Die Luft wird ja nicht direct von der Sonne, sondern durch Rück-
strahlung von der Erdoberfläche erwärmt. Das von der Sonne gespen-
dete Wärmequantum bestimmt das Klima eines Landes nur zum Theil.
Es kommt darauf an wie die Natur im Einzelnen diesen Schalt ver-
waltet und hier wirken verschiedene Factoren ein. Eine Isothermen-
Karle lehrt uns dafs die Jahreswärme in Italien nicht gleichmäli»i(^
nach Süden zunimmt, sondern zuerst langsam, vom 42. Breitengrade ab
1) Vgl. Tac. Ann. XV 4S.
§ 5. Die Temperatur. 895
rascb. Sie lehrt weiter, dafs das ganze Land trotz seiner Ausdehnung
über 10 Grade annähernd dieselbe Sommerlemperatur hat : manche
Städte des Nordens wie Verona Bologna Florenz Ancona sind heifser
als Palermo. Fischer berechnet für das Gebiet zwischen 36 und 45^
mit wachsender Breite eine Abnahme im Juli von nur 0,36^ auf den
Grad. Die Thatsache erklärt sich aus der schnelleren Erwärmung des
Landes im Gegensatz zur See, welch' letztere auf Sicilien und die
Halbinsel im Sommer abkühlend wirkt. Das umgekehrte Verhältnifs
tritt im Winter ein. Im Januar dem kältesten Monat des Jahres be-
rechnet Fischer für jeden Grad von 36 — 45^ n. Br. die vierfache Ab-
nahme der Wärme als im Juli, nämlich 1,31^. Der milde Winter der
südlichen Zone ist theils auf die See zurückzuführen , die im Winter
ab Wärmequelle sich darstellt (S. 102), noch mehr auf das Vorherr-
schen südlicher Winde (S. 382). Der Aequatorialstrom bringt nicht
blos Feuchtigkeit sondern auch Wärme: er veranlafst häuGge Wolken-
bildung, die als schützender Schleier in den langen Nächten die Wärme-
strahlung an den kalten Weltenraum hindert. Derjenige befindet sich
im Irrtum , welcher die Heiterkeit des Himmels schlechthin mit dem
Begriff des Südens verschwistert. Im Winter ist der heitere Himmel
eher am Fub der Alpen anzutreffen. Nach einem neunjährigen Mittel
hatte der Januar in :
Heitere Tage Regentage Grad der Bewölkung
Turin 10,3
2
4,9
Floreni 9,1
9,7
5,7
Rom 8,2
10
4,2
Neapel 7,7
10,8
5,2
Palermo 3,2
13,5
6,5
Die grOfsere Heiterkeit des Himmels wie seinen strengen Winter
verdankt das Poland den Nordwinden. Ohne Zweifel übt auch das
hohe Schneegebirg, das zwar die Thäler an seinem Fufs sorgsam
schützt, auf die Ebene im Grofsen und Ganzen einen erkältenden Ein-
fluls aus. Die folgende dem Annuario Statbtico für 1881 entnommene
Uebersicht enthält unter Angabe der geographischen Breite und Heeres-
höhe die einährigen Mittel der charakteristischen Monate sowie die
Während dieses Zeitraums beobachteten Maxima und Minima.
Jahr Januar April Juli 0«lob«r Ifaxin. Miniaiuai
Turin 45« 3' 275 m 11,9 —0,1 12,5 23,3 12,3 34,2 — 15,5
Mailand 45« 27' 147 m 12,8 0,4 13,4 24,8 13,3 36,3 — 10,9
Bologna 440 30' 85 ra 13,8 2,1 14,1 25,4 14,7 39,5 — 9
396 Kap. IX. Das Klima.
Jalir JuiiiAr April Joll Oetober Kaiim. XiaiauB
Florenz 43M7' 73 m 14,8 5,2 13,9 25,3 15,5 39,5 —11
Perugia 43« V 520 m 12,7 4 11,4 23,2 13,1 34,5 — 9,9
Genua 44<»23' 48 m 16 7,9 14,6 24,8 17,4 33,1 — 4,8
Ancona 43^37' 30m 15,7 5,6 14,5 26,3 17 36,1 — 3,5
Rom 41<»54' 50 m 15,3 6,8 13,8 24,9 16,2 35,5 — 6
Neapel 400 50' 57 m 17,4 9,7 15,4 25,8 18,8 37—3
Palermo 380 t 72 m 17,9 11,1 15,3 25,5 20,1 40,4 — 2
Syraku8037o 3' 13 m 18,2 11,3 15 26 20,4
§ 6. Aenderungen des Klima.
Die Frage ob das Klima in historischen Zeiten eine merkbare Ver-
änderung erlitten habe, ist von Naturforschem bisher nur flüchtig ge-
streift und in der Regel verneint worden. Immerhin erkennt die
höchste Autorität auf diesem Felde ausdrücklich an, dafs die Frage als
solche eine offene sei.*} Wenn wir auf Grund der Ueberliefeniog eine
Antwort suchen , so lautet dieselbe dahin dafs das heutige Klima im
Wesentlichen mit demjenigen des Altertums übereinstimmt, dafs aber
auf der anderen Seite Abweichungen sich deutlich nachweisen lassen*
Aeufserst schätzbares Material bieten namentlich die Schriften über
Ackerbau, dessen vollständige Verwertung nur im Rahmen von Einiel-
Untersuchungen möglich sein würde.^) Die römischen Landwirte rech-
nen nach dem von Eudoxos (ca. 368 v.Chr;) aufgestellten, bei Caesar's
Reform 46 v. Chr. angenommenen Kalender, welcher die Nachtgleichen
und Sonnenwenden nicht nach der uns geläufigen astronomischen
Anschauung an das Ende, vielmehr in die Mitte der Jahreszeiten ver-
legt Mit einigen unerheblichen Schwankungen stellt sieh darnach^):
Frühlingsanfang 7. ( 8. oder 10.) Februar, Dauer 91 Tage
Sonunersanfang 9. (10. oder 130 Mai, Dauer 94 Tage
Herbstanfang 11.(12.) August, Dauer 91 Tage
Wintersanfang 10. November, Dauer 89 Tage.
1) Nach Fischen Studien a.D.
2) Dove, Rlimat. Beitrage II 235.
3) Unvollendet ist die Abhandlung Glimatologie compar^e de IKalie et de
TAndaloasie andennes et modernes par Dureau de la MaUe, Paria 1849. Der
VerL will die UnTeranderUchkeit des Klima nachweisen, aber flbersieht dabei
ganz daÜB Andalusien eine 3-^4*^ höhere Wintertemperatnr als Mittelilalien
besitst und dafs die auf jenes berechneten Ansatse GolumeUa's nicht ohne
weiteres anf dieses übertragen werden dürfen.
4) Mommsen, Rom. Chron.* p. 300.
S 6. AenderuDgen des Klima. 397
Ad die Kaiinderdaten werden die ländlichen Arbeiten, bei Columella
auch die Witterungsaussichten angeknüpft. Der Beginn der Arbeiten
wechselt nach den yerschiedenen Landschaften , je nachdem dieselben
ein warmes (loca caUda et maritima) oder gemKfsigtes (loca temperata)
oder kaltes {loca frigiäa) Klima haben. ^) Das erste Merkmal des Südens
die sonmierliche Dürre, welche das Erdreich zu Staub zerreibt, ist den
ahen Landwirten ebenso geläufig wie ihren heutigen Nachfahren : die
Chronik meldet sogar dafe 181 v. Chr. in sechs, 591 n. Chr. in acht
Monaten kein Regen fieL^) Aber von so seltenen Ausnahmen abge-
sehen, ergiebt sich als unzweideutige Regel, dafs die Periode der
Dürre früher aufhörte und später anfing als gegenwärtig. Columella
rechnet auf den letzten Regen vor der Hitze am 2. Juni, auf den ersten
nach derselben am 23. August, erwartet in der Zwischenzeit nur tem-
pestas d. h. Sturm Hagel Gewitter kurz Unwetter aller Art') Die
regenlose Zeit, die jeUt in der subtropischen Zone reichlich 4 Monate
dauert, erscheint demnach hier um 1 — IV2 Monat verkünst. Der alte
Cato fürchtet den starken Regen der prima auctumnitau d. h. Mitte
August eintritt; um Rom herum müssen in der zweiten Hälfte August
die Weinstocke abgelaubt werden, damit die Beeren in der Sonne
durchkochen und vom Regen nicht faulen können.^) Unser Gewährs-
mann hat selber Weinberge am Albaner Gebirg besessen und daran
woUen wir erinnern um den pluviui tiatus caeli Roms im August nicht
für eine Fabel gehalten zu sehen. Eine Bauernregel erklärt, wenn es
am 15. August regne, ao werde das Nämliche vom 12. bis 16. Septem-
ber der Fall sein. Plinius spricht von Rom als urbs nimboM , immo
1) Columella aus Gades gebürtig und in Andalusien begütert legt seiner
ausführlichen Darstellung XI 2 die dortigen Verhältnisse zu Grunde. Auch der
ihm folgende Palladius , der auf Sardinien Güter hatte (IV 10), berücksichtigt
▼orwicgend die subtropische Zone. Dagegen haben der alte Gato, Varro I
20üg., sowie die in swei Exenplarea erhaltenen menoiogie ruäUea ans Rom
(gedruckt n. a. QL. I p. 358) Mittelitalien im Auge. Am Wenigsten ist mit
den Daten bei Plinius XVIU anzufangen, da hier zwischen den yerschiedenen
Zonen kein Unterschied gemacht wird.
2) Ut. XL 29, 2 IV 30, 7 Paul, bist Lang. IV 2 vgL S. 875. — Gato RR. 155
Plin. XVIII 315. — Als unheiWoUe Störungen im Gang der Jahresietten be-
seicknet Orosius DI 4, 2 (nach unbekannler Quelle): mut inimnp^MÜvm tiUeitoM
kurnU out repenümu eahr veris out ineongruui umar aegtütU vel auiumni
äiviUs indigmia if^eee^a, Aebniich Galen XVI 370 Kühn n. 0.
3) Die außerordentliche Hänfiglieit der Gewitter in Spanien, besonders
Sommers, entspricht der Häufigkeit, welche Columella der iew^^itat beimifst.
4) Gato 155 G0I.XI 2 TgLIU 9.
398 Kap. IX. Das Klima.
vero tota Italia imbrium creatrix»^) Unsere Ueberlieferung läfst uns
nur in vereinzelten GlücksHlUen wissen, dafs und wann bedeutende
Niederschläge au bestimmten Tagen herabgekommen sind. Aber es
mutet den Leser doch an, als ob von einer Sommerfrische im Schwarz-
wald oder Harz die Rede sei, wenn Cicero Mitte Juni 45 v. Chr. nach
wochenlangem Aufenthalt bei Arpinum schreibt, er habe noch keinen
Fufs vor die Thür setzen können : ita magnos €t adsiduos imbris kabe-
bamus. Auch im nächsten Jahr um dieselbe Zeit erwartet Gcero Regen-
wetter. 2) Bei näherem Nachdenken nimmt dies alles kein Wunder.
Umgekehrt müfste es Wunder nehmen, wenn das alte Italien im Som-
mer nicht häufigere Niederschläge gehabt hätte als das heutige. Dieses
ist ein waldloses, jenes war ein waldreiches Land (Kap. X 2). Die
Alten kannten bereits aus Erfahrung den Satz fere aquoaissitna iunt
quaecumque umbrostssima^), und da nun im Sommer aequatoriale
Winde über der Halbinsel wehen (S. 382), so vermochte ohne Zweifel
die kühle Walddecke des Appennin die Wolken festzuhalten , welche
an den stark erhitzten Steinlehnen der Gegenwart ohne Entleemog
vorüber ziehen. Wir haben kein Recht zu der Annahme dafs die Hasse
der Niederschläge im Altertum grOfser, allen Grund zu der Annahme
dafs sie besser vertheilt gewesen sei. Demjenigen welcher unseren
früheren Erörterungen über die Schiffbarkeit der Appenninflüsse ge-
folgt ist, wird die Richtigkeit des Satzes ohne weiteres einleuchten.
Den Charakter von Fiumaren trugen die Flüsse des Altertums noch
nicht. Gerade im nordöstlichen Sicilien , wo es nach Fischer's Karte
keinen einzigen perennirenden Wasserlauf giebt, wo der Ungestüm
der Wildwasser am verderblichsten tobt (S. 295) , waren die QueDen
im Sommer ergiebig, im Winter trocken.^) Dies erklärt sich ja einbch
daraus dafs die winterlichen Niederschläge als Schnee auf den Bergen
aufgespeichert wurden und erst im Sommer abflössen. Auch andere
Umstände deuten daraufhin, dafs der Schnee im Appennin später ver-
schwand als heut zu Tage.^)
1) XXVI 16, die vorhin erwähnte Regel XVIII 310. 315. Sommerregen in
Etrnrien stehend Diod. V 40, 5.
2) An AttXm 16, t (vgl. 10, 3 2\,7) XY 16b.
3) Seneca nat. qnaest. ÜI 11, 4.
4) Plin. XXXI 51 in Sicilia ptidetn eirea Mes9anttm et MyUu hieme t»
totum inareicunt font§s, ipsa autaie exundani amnemque fueiunJU
5) Plin. n 229 in agro Pitinate trans Jjfpenninum fiuviui N&vünus em-
nibus wUUUis torrens hruma sieeatur. Seneca nat qvtest lY 1 1 , t nnd 5
§ 6. Aendernngen des Klima. 399
Die aDgeftlhrten Tbatsachen bereiten uns auf die in klimato-
logischer Hinsicht wichtigste Erscheinung vor : die Ve r sc h i eb u n g
der Erntezeiten. Gegenwärtig föUt die Heumahd in Mittelitalien
um Anfang Mai : sie fiel nach Varro und den Steinkalendern in den
.Juni, wurde sogar in heifsen Strichen nach Columella's Zeugnifs erst
am 13. Mai in Angriff genommen. Daraus folgt unzweideutig, dafs die
Entwicklung der GrSser ehedem eine langsamere, die Frühjahrswärme
eine geringere war. Unsere besondere Aufmerksamkeit wird durch die
wichtigste Nährpflanze, den Weizen in Anspruch genommen. Den
Alten war die Beobachtung nicht entgangen dafs die Zeitdauer von
der Aussaat bis zur Reife in verschiedenen Ländern eine verschiedene
sei: in Aegypten wurde im 7., in Griechenland im 9. Monat geerntet. i)
Neuerdings hat Grisebach auf den Grund dieser Thatsache hingewie-
sen.^ Im nördlichen Deutschland verstreichen zwischen der Aussaat
des Weizens und der Ernte im Mittel 300 Tage , in Latium nur 230,
in Sicilien gar nur 187: die Abweichung rtthrt daher, dafs die Ent-
wicklung der Pflanze in Sicilien keine Unterbrechung erleidet, wäh-
rend die Kälte in Latium einen geringeren, im Norden einen längeren
Stillstand herbeiführt. Und zwar steht der Keimungsprocefs still, so-
bald die mittlere Monatstemperatur unter -f- 7 Va® sinkt: dies ist gegen-
wärtig für Rom durchschnittlich vom 1. Januar bis 10. Februar der
Fall. Um diese Daten für das Altertum zu verwerten , sei zunächst
daran erinnert, dafs es genau dasselbe Korn ist, eine Variation der
Species nicht stattgefunden bat. 3) Gesäet wird der Weizen am Mittel-
meer, wenn die grofsen Herbstregen dem ausgedorrten Boden seine
Triebkraft zurück verUehen haben und da das Maximum der Nieder-
schläge in der subtropischen Zone später eintritt als auf der Halbinsel,
80 Terschiebt sich auch nach Süden die Saatzeit tiefer in den Herbst
hinein. Gegenwärtig lassen sich im Mittel aufstellen : Anfang Novem-
ber Rom, etwas später Neapel, 20. November Sicilien. Ganz dieselben
Zeiten geben die antiken Kalender: Anfang November, Mitte oder un-
bestimmt November^), Mitte October in kalten Gegenden, in warmen
sebreibi sogar dem Appennin wie den Alpen ewigen Schnee zu: wortaf ich
indefe kein grofees Gewicht legen möchte; vgl. Verg. Aen. XU 703 Sil It. IV 743.
1) Plin.Xyin60.
3) Vegetation der Erde I 267 vgl. Fischer, Beitrige p. 111 fg.
3) Alpbonse de Gandolle, Geographie botaniqne raisonnie, 2tom. Paris
Gen^ve 1855, p. 930 fg.
4) Verg. Georg.] 219 Plin.XVIH 202 Menol. mst
400 Kap. IX. Das Kliina.
spater bis zum 1. December Columella, 23. October bis 8. December
Palladius. Geerntet wird der Weizen gegenwärtig in Sicilien Anfang
Juni, in Mittelitalien um die Mitte, im Poland Ende des Monats: da-
gegen im Altertum nach den Steinkalendern August, nach Varro Juli;
nach ColumeUa ist die Ernte vor Ablauf Juli beendigt, beginnt nach
Palladius in warmen Gegenden Ende Juni, kommt in gemäfsigten im
Juli zum Abschlufs. Ganz entsprechend sind im alten Rom die Ge-
richts- und Geschftitsferien der Ernte wegen auf Juli und August ge-
legt^) Indem dergestalt in den MittelmeerUndern die Reife des Wei-
zens seit dem Altertum um einen vollen Monat verfrüht ist, wiederholt
sich die nämliche Erscheinung für Deutschland: der Weizen, welcher
heut zu Tage bei Strafsburg um den 20. Juli geschnitten wird, stand
im vierten Jahrhundert um den 20. bis 25. August noch auf den Hal-
men. 2) Ein Zufall ist hier ausgeschlossen : vielmehr mufs der Zeitraum
innerhalb dessen die Entwicklung der Pflanze still steht, sich ehedem
in Italien wie im Elsafs weiter erstreckt haben als in der Gegenwart;
wenn die Mitteltemperatur Roms jetzt 40 Tage hindurch unter 7^1^
bleibt, so mufs sie im Altertum 70 — 80 Tage darunter geblieben sein.
Mit anderen Worten waren die früheren Winter kälter als die heutigen.
Man hat schon längst aus der Ueberlieferung für Rom den glei-
chen Schlufs gezogen. Einige Fälle von auberordentlicb harten
Wintern haben auf die Alten einen solchen Eindruck gemacht, dais
sie denselben einen Platz in der Chronik einräumten.') So meldet sie
unter dem J. 400 v. Chr. : „der Winter war kalt und reich an Schnee,
so dals die Wege ungangbar und der Tiber unfahrbar wurden.*^ Eioe
ausführliche Schilderung lautet folgender MaÜMm: „der Schnee fiel
1) Seneca apocoL7,4 Plin. Ep. YIII 21, 2 SUt SiW. IV 4, 39
eerU iam LaÜae non mUeent iurgia hgei,
et paeem pigmr anmu habeij «MiMt^tce reöertu»
dimiser» forwn,
2) Die unbekannte Thatsache erfordert eine kurze Ausführung. Die Ale-
manDenschlacht bei Strafsburg $57 ward während der Ernte geschlagen (km-
mianXVI 11, 11 12, 19 collem . . . opertum stgcühus iam maiuris) und iwar
im August, was einerseits ans dem Tiefstand des Rheins (Amm. XVI 11,9)
andererseils aus den daürten Bewegungen des Kaisers Gonstantius mit Not-
wendigkeit hervorgeht; endlich senMcmUe hma (Anun.XVI 13, 11). Da mb
nach einer an der hiesigen Sternwarte angestellten Berechnong VoUaoiid aaf
den 16. Augast 9 Uhr fiel, so ist das oben angegebene DaUim ToUsündif
sicher.
3) 400 ▼. Chr. Liv. V 13 Dion. Hai. XU 8. — 270 ▼. Chr. Zoaar.VDI 6
Augustin. ciT. dei m 17. — 179 v. Chr. Ut. XL 45.
n
§ 6. AenderaDgen des Klima. 401
bis zu einer flöhe von mindestens sieben Fufs, Menschen wurden ver-
schttttet, viel Vieh erfror oder ging aus Hangel an Weide zu Grunde.
Die Fruchtbäume welche keine starke Kälte vertragen können, gingen
theils aus, blieben theils für lange Zeit unfruchÄar. Auch stürzten
viele Häuser ein , namentlich als der Schnee schmolz und die Wände
erweichte. Ein ähnlicher Winter ist weder früher noch später in Rom
voiigekommen.^ Aber von 270 v. Chr. heifst es wiederum: „es war
ein Winter von unglaubUcher Strenge, ungeheure Schneemassen fielen
und bUeben auf dem Forum volle vierzig Tage hegen , der Tiber war
▼OD einer dicken Eisdecke überzogen , die Bäume erfroren , die Men-
schen Utten Not und das Vieh starb, da es kein Futter finden konnte.^
Aebnlich wird aus einer historisch hellen Zeit 179 v. Chr. berichtet:
„Der Winter wütete mit Schneefall und aller Art Unwetter , verdarb
die Bäume welche gegen Frost empfindUch sind , und dauerte länger
als gewöhnlich geschieht Sicherlich liegt nicht der Schatten eines
Grundes vor um diese Meldungen zu verdächtigen, die noch lange
nicht an einen Winter von Mailand und Bologna heranreichen. Immer-
hin ist hier nur von vereinzelten Vorkommnissen die Rede. Aber
auch im gewöhnlichen Lauf der Dinge erlebte das antike Rom gröfsere
Kälte ab das moderne. Von der berühmten Strophe
vides ut alia stet nive candidum
Soraeie^ nee iam, stutineant onus
tilvae laborantety geluque
flumina constiterini acuta,
sieht unser Jahrhundert wol den ersten Vers sich bewahrheiten, nicht
den letzten. Man würde es schier unbegreiflich finden, wenn ein mo-
demer Dichter den Aberglauben mit den Worten JuvenaFs ^) geifseln
wollte:
hibemum fracta glaeie descendei in amnenif
ter tnaiutino THberi mergeiur et ipsis
verticibus Hmidum eaput abtuet.
Die Quirlten hören nicht mehr, wie der Schnee bei unbewölktem
Himmel knirscht {auüs .. ,et pontas ui glaciet nives puro numine lup-
ptCer?) ; sie würden verdutzte Gesichter machen bei der Tagesneuigkeit
dafs ein fallender Eiszapfen die Kehle eines Jungen durchstiefs.^) Sie
brauchen weder mit Horaz vor der Kälte nach Tarent zu flüchten noch
mit Kaiser Augustus aufser Unterkleidern und dickem Mantel vier
Röcke, alles aus Wolle anzuziehen.^)
1) Hör. Od. 1 9 luv. Sat 6, 522. 2) Hör. Od. IH 10, 5 Martlal FV 18.
3) Her. Ep. 1 7, 10 Säet. Aag. 82.
Nissen, IteLLMdMlninae. I. 26
402 Kap. IX. Das Klima.
Dafs die Entwaldung in Deutschland wie in den Mittelmeer-
ländern eine Modification ihres Klima's herbeigeführt haben mflsse^
wird Yon TerschiedeDen Forschern, neuerdings u. A. von Fischer nach-
drOckUchst behauptet. Es liegt uns fern auf die theoretische Seite der
Frage einzugehen. Aber wir eignen uns den Ausspruch des genanntes
Gelehrten an, dafs der Geograph die Mittelmeerländer nie TersteheD
werde, wenn er nicht auch zugleich ein geschulter Historiker sei. Die
Ueberlieferung zwingt uns zu dem SchluCs, dafs das alte Italien mehr
Sommerregen und gröfsere Winterkalte hatte, kurz dem mittelearo-
pflischen Typus naher stand als das heutige. Oder um MisversUndnissen
zu begegnen, wir sind der Ansicht, dafs die Culturarbeit , welche in
unserem Welttheil die einheimische durch eine südliche Flora ver-
drängte, die Sümpfe austrocknete, die Lander civilisirte, auch dem
Klima einen neuen südlicheren Anstrich verliehen hat. Wir vermessen
uns nicht zu sagen , dafs das jährliche Quantum von Warme su-, oder
die Summe der Niederschlage abgenommen habe, wir sagen nur dafs
beide ehedem anders vertheilt waren. Wollte man übrigens die heu*
tigen Jahresisothermen von 13 — 19<^ fQr das Altertum auf 12—18^
oder 11 — 17^ ermafsigen, so hiefse das noch immer nicht den Grond-
charakter des italienischen Klima antasten. Und indem man folgerich-
tig auch die Isothermen des mittleren Europa herabrücken müfste , so
bliebe für frühere Jahrtausende der Abstand zwischen Nord und Sfid
gerade so grofs wie er heutigen Tages ist.
§ 7. Das Naturleben.
Die Erhebung Italiens bewirkt es dab verschiedene Klimata hart
auf einander stofsen. Im Appennin , der Monate lang von Schnee be-
deckt ist, schlaft die Natur den nämlichen Winterschlaf wie unter
unseren Breiten; die Vegetation weist durchaus den uns vertrauten
Charakter der mitteleuropaischen Somroerflora auf. An den Küsten
und in den Ebenen treten neue fremdartige Typen hinzu, die je weiter
südwärts desto mehr an Zahl wachsen und etwa vom 40^ ab die ge-
sammte Landschaft erfüllen : Oelbaum Pinie Cypresse Stein- und Kork-
eiche Palme Johannisbrotbaiun Agrumen Opuntien Agaven Buchsbaum
Myrte Lorbeer Oleander Baumheide Pistazie Mastix Terpentinbaam
Sumach Erdbeerbaum Rohr u. s. w., eine Menge immergrüner Baume
Strancher und Halbstraucher, welche so ruhig und feieriich in die
blaue Luft hinein ragen. Sie sind meistentheils Fremdlinge auf dem
Boden, den sie einnehmen, in Neuzeit Mittelalter und Altertum einge-
§ 7. Das Nalurleben. 403
führt, aber haben sich so rasch und so voUsUodig eiDgebürgeri, dafs
mao sie für die ursprünglichen Herren des Landes halten konnte und
wirklich gehalten hat. Ihre Organisation bekundet eine grofse üeber-
eiDstimmung und ist darauf berechnet anhaltende Trockenheit zu er-
tragen : daher das steife lederartige gegen Verdunstung geschützte Blatt,
welches das zarte Grün unseres nordischen Laubes nicht kennt, viel*
mehr einen harten metallischen Glanz zeigt. Die immergrünen Ge*
wachse stellen den unveränderlichen Hintergrund der Landschaft dar.
Sie treiben zu der Zeit, wo die Laubbäume ihr Kleid abwerfen und frO-
stehid ihre nackten Arme zum Himmel emporstrecken. Sie sdunücken
die Flur zu der Zeit, wo die niedere Vegetation der Gräser von den
Sonnenstrahlen versengt ist Das Leben der Natur wird in Italien nicht
einmal unterbrochen vrie bei uns, sondern zweimal und zwar greift die
sommerliche Unterbrechung in der Seezone tiefer nachhaltiger ein als
die winterliche. Die einjährigen Gräser und Stauden verdorren, wenn
die Senne höher steigt. Hirt und Heerde verlassen im Mai die Matten,
die ihnen den ganzen Winter hindurch reichlichen Unterhalt boten
und die jetzt ab eine braune verbrannte Steppe daliegen. Wenn die
Ernte eingebracht ist, tritt die Sommerruhe ein, die je nach der
Landschaft 3 — 4 Monate dauert. Künstliche Bewässerung vermag aller-
dings OasenfüUe in der Wüste hervorzuzaubern. Doch genügt auch
sie nicht um die Macht der Sonne zu brechen : Fischer erzählt dab
die allersorgsamste Pflege in sieilischen Gärten aufser Stande sei eise
Rasendecke anders als fadenscheinig zu erhalten. Der Todesschki^ hi
den die Natur durch die Sonnenglut versinkt , hat bei den Alten in
mancherlei schwermütigen Sagen und Festen Ausdruck gefunden. Die
Syrer erhoben im Juni leidenschaftliche Klage um Adonis den sdiönen
Liebling Aphroditens, den der Eber so jählings geftdlt Die Spartaner
betrauerten Anfangs Juli den reizenden Hyakinüios, den die Scheibe
des Sonnengottes zum Tode getroffen. Die Sikelioten begingen zur
Erntezeit ernst und würdevoll den Abschied Persephone's von der
Oberweh, um vier Monate später wenn die neue Saat dem Erdreich
anvertraut werden sollte, der Mutter Demeter ein rauschendes Freu-
denfest darzubringen. <) Der nüchternen Art der Römer widersprach es
in so durchsichtigen Bildern die Vorgänge ihrer Umgebung zu verkör-
pern. Indefs zeugt das am 13. Juli für die Gesundheit von Stadt und
Land dem ApoU gefeierte Fest von der ernsten Stimmung, welche die
1) Diod. V 4, 5.
26*
404 Kap. IX. Das Klima.
Zeit der Hitze auch bei den Römern henrorrief. Das Ende derselben
wird bezeichnet durch die grofsen Spiele, welche Mitte September den
capitolinischen Göttern in der Stadt gegeben wurden, wflhrend das Land
die Geres ehrte, i) Das Datum wird wol aus dem früheren Eintritt der
Herbstregen den heutigen Verhältnissen gegenüber (S. 397) zu erkU-
ren sein. Der Regen weckt die Seezone aus ihrem Sommerschlaf zu
neuem Leben. Frisches Grün spriefst aus dem verbrannten Gefilde,
die immergrünen Gewächse erneuern ihre Blätter, eine eigene Winler-
flora kommt zum Vorschein , die sich zwar mit der Blütenpracht des
Frühlings nicht messen kann, aber doch gewaltig absticht gegen den
weifsen Hantel, den das Gebirge anzieht Wenn in Italien nach Vergil
ein beständiger Frühling herrscht (S. 372), nach Plinius zu allen Jah-
reszeiten Frühling und Herbst einander ablösen (S. 392), so trifft dies
für die subtropische Zone bnchstäbUch zu, annähernd auch für Mittel*
Italien. Nach den römischen Steinkalendern giebt Mai den Futter-
schnitt, Juni die Heumahd, Juli Gersten- und Bohnenernte, August
Weizenernte, September Obsternte, October Weinlese, endlich noch
December die wichtige Olivenlese. Erst wenn die Sonne zur Rüste
geht um einen neuen Kreislauf zu beginnen, tritt eine längere Pause
in den ländlichen Arbeiten ein, das fröhUche Fest der Saturnalien be-
zeichnet ihren Abschlufs. Um die Sonnenwende herum werden noch
jetzt die Rosen und andere im Freien blühende Blumen in Rom knapp.
Im Altertum mufs der Winterschlaf länger gedauert haben (S. 400).
Wenn der Februar als Todtenmonat galt, so deutet dies auf die noch
währende Ruhe der Vegetation hin. Freilich konnten die alten Römer
am 21. Februar den Manen schon Veilchen opfern. 2) Aber mit dem
1. März dem Geburtstag des Ackergottes Mars begann nach der ur-
sprünglichen nationalen Anschauung das neue Jahr: oS'enbar deshalb
weil das Weben des Lenzes sich erst jetzt machtvoll zu äufsern be-
ginnt. Seine volle Schönheit entfaltet er im April und Mai den blttten-
reichsten Monaten , wie umgekehrt August und September die blüteu-
ärmsten sind. Die italische Flora ist reicher an Arten, leuchtender an
Farbe, stärker an Duft als die deutsche. Im April und Mai drängt sich
alles zusammen was das Dasein begehrenswert macht: es ist die wonae-
volle Jahreszeit wie bei uns der Sommer. Ihr gehören die Freuden-
feste des alten Rom an: Mitte April zog das Volk weibe Kleider an in
Erinnerung an die Güte der versöhnten Geres und gab sich der Lust
1} Plin. Ep. IX 39. 2) Ov. Fast U 539.
S 7. Das Naturleben. 405
des Schmauses hin ; Ende April und Anfang Hai folgte die üppige Feier
der Flora, deren Sinnbild die Rose zum Genufs des vergänglichen
Lebens auffordert
Die Ordnung der Jahreszeiten spiegelt sich in der bewufsten
wie der unbewufsten Schöpfung ab. Den Pfeilen des Sonnengottes er«
liegen die Kinder der Flur, erliegen die Menschen. Im Herbst d. b.
Yom 11. August an (S. 396) fürchteten die Alten das Erscheinen des
Todesboten, wie Horaz es schildert ^ :
quam mihi das aegro, dabis aegrotare Umenti^
Maeeenas, veniam, dum fieus prima eahrpie
duignatornn deeorat Uelaribus atris,
dum pueri» omnis pater et matereula paliet,
ofßcioiaque sedulitas ei opella forensit
addueil febres et testamenta resignaL
Es handelt sich hier weniger um die Verhältnisse einer in sanitärer
Hinsicht mit aUem Recht verrufenen Grofsstadt, als um ein das ge-
sammte Land beherrschendes kUmatisches Gesetz. In gemäfsigten Län-
dern, erklärt Galen, ist der Frühling die beste Jahreszeit, in kalten
der Sommer, in warmen der Winter. Von den Jahreszeiten vrirkt der
Frühling am günstigsten auf die Jugend, der Winter auf das Hannes-,
der Sommer auf das Greisenalter. Aber der Herbst ist allen Ländern
Altersclassen und Temperamenten schädlich. Auf den Herbst, schreibt
Hippokrates, entfallen die acuten und überhaupt die todllichen Krank-
heiten; der Frühling ist am gesundesten und am wenigsten tod-
bringend. Diese Beobachtung der alten Aerzte^) wird durch die heutige
Statistik vollkommen bestätigt und nur hinsichtlich der ihnen weniger
bekannten kalten Länder in etwas richtig gestellt In Mittel- und Nord-
europa kommen die meisten Todesfälle auf den Winter von December
bis Mai: der schlimmste Monat ist meistens der Januar oder März mit
einem UeberschuTs von 20 Procent und mehr über das monatliche
Mittel. Entsprechend nimmt die Sterblichkeit von Juni bis November
ab und gerade die wärmsten Monate Juli und August weisen in der
Regel die niedrigste Ziffer unter dem Mittel auf. Indem wir von den
Schwankungen in den verschiedenen Theilen des Nordens absehen, gilt
doch für alle gleichmäfsig der Satz, dafs die Kälte und die Folgen der
Kälte die meisten Menschen hinraffen. Jenseit der Alpen ändert sich
der Satz: während unsere Aerzte feiern, hält dort der Tod seine Ernte.
1) Ep. 1 7, 4 vgl. Sat. n 6, 18 Od. U 14, 15 Juv. Sat 4, 56 6, 517.
2) Galen XYD B 613 Hippokr. UI 721 Kühn.
406 Kap. IX. Das Klima.
Nach einer das ganze Königreich Italien umfassenden achtjährigen Sta-
tistik 1) überschreitet der August um 18, der Juli um 12 Procent das
monatliche Mittel. Der günstigste Monat ist der Mai , der im Norden
zu den schädlichen zählte. Die Mortalität ist am stärksten in der heiÜBeD
Zeit Juli August September, sodann in der kalten Zeit December Januar
Februar. Dergestalt macht sich der Sommerschlaf wie der Winterschlaf
der Pflanzen in der gesteigerten HinftUigkeit des Menschengeschlechts
fühlbar. Die Uebereinstimmung der Sterblichkeit mit den klimatischen
Zonen springt noch mehr in die Augen, wenn wir die einzelnen Land-
schaften gesondert für sich betrachten.^) Wie die nördliche Zone die
Winterkälte Mitteleuropa's hat, so wiederholen sich auch bezüglich der
Sterblichkeit die dort beobachteten Erscheinungen. Die Wintermonate
übersteigen das monatUche Mittel, am Meisten der März. Umgekehrt
sind die warmen auch die guten Monate und nur darin äufsert sich die
Annäherung an das mediterrane Klima, dafs Juli und August eine stei-
gende Tendenz offenbaren. Dieselbe tritt in der Lombardei sehr ent-
schieden hervor, in den anderen Provinzen weniger. Aber noch die
Aemilia und Umbrien bewahren durchaus in den Sterblichkeitsverhält-
nissen einen nordischen Charakter. Dies ändert sich, sobald wir deo
Appennin überschreitend nach Toscana gelangen. In der zweiten kli-
matischen Zone f^llt das Maximum entschieden in die Periode der Hitze,
während die kalten Monate December bis März ein zweites gleich*
mälsiger vertheiltes Maximum darstellen. Beachtenswert ist dabei die
außerordentlich rasche Zunahme im Hochsommer. Die Todesfälle von
Mai und August verhalten sich der Zahl nach annähernd wie 2 : 3 und
überschreiten im letztgenannten Monat die Geburten weitaus: um 15
bis mehr als 40 Procent. In der dritten oder subtropischen Zone ver-
schwindet das Wintermaximum vollständig. Am Günstigsten stellt sich
die Lebenskraft im Mai und Juni, auch wol April und Mai, sinkt sehr
rasch auf den tiefsten Stand im August oder Juli, steigt wieder langsam
und ohne Unterbrechung von Monat zu Monat bis in den Frühling.')
1) Italica eeonomica nel 1873, Roma 1873, p. 632.
2) Ich grfittde die folgenden Angaben auf den Ergebnissen einer äebe^jib-
rigen Zahlnng (1872—78), die vom Ministero di Agricoltnra, Direnone di Stt-
tistica unter dem Titel Popolazione, movimento deito stato dvile, parte seconda,
Roma 1880, p. 360 fg. veröffentlicht sind. In allgemeinen DarsteUnngen wie
Harald Westergaard's Lehre von der Mortaüt&t nnd Morbilitit, Jena 1881, ist die
Bedeotnng des Klima nicht genügend erkannt nnd gewürdigt.
3) So in Brattinm nnd Sardinien, wahrend in SielUen ein gaas nnbedeo-
tender Rückgang im December nnd Januar stattfindet.
§ 7. Das Natorlebeo. 407
Die oben aDgeführten Verse des Horaz gewinnen aber erst ihr volles
VersUndnifs, wenn man die Sterblichkeit der einzelnen Altersclassen
ins Auge fafst. Die ungeheure Steigerung im Hochsommer kommt aus-
scifliefelich auf Rechnung der Jugend etwa von der Periode nach der
Entwöhnung bis zum Tollendeten 20* Lebensjahr. Im Juli August Sep-
tember sterben in der Provinz Rom doppelt, in Toscana mehr als drei-
mal so viel 1 — 2 JAhrige als im Januar Februar März. Mai und August
vertialten sich bezüglich der Sterblichkeit dieser Kategorie wie 2 : 5,
ebenso durchschnittlich in anderen Landschaften. Von Jahr zu Jahr
bessert sich das Verhältnifs und kehrt sich allmfllich um. Das reife Alter
vom 20. aufwärts zeigt auch in der subtropischen Zone die grofste
Hinfillligkeit in den kalten, die grOfste Lebenskraft in den warmen
Monaten. Der Frühling ist es, der den Pfeilen des Sonnengottes er-
liegt, wie in der Natur so im Menschenleben. Das Bild wie Niobe unter
der Kinderschaar allein verschont bleibt, ist der Wirklichkeit abge-
lauscht Aehnliche Beobachtungen kann man an den Geburtslisten
machen. Die meisten Geburten zeigt der Februar, weil damit die Em-
pfängnifs in den Mai fällt, die wenigsten der Juni, der im entspre-
chenden Verhältnifs zum September steht. Unter Rücksichtnahme auf
diesen entscheidenden Gesichtspunct erweist sich die Fruchtbarkeit
am grOfsten im April Mai Juni , am geringsten im August September
October: eine deutliche Aeufserung von dem schwächenden Einflufs,
den die Hitze auf den Organismus ausObt.O Auch die Zahl der Ehe-
schliefsungen sinkt im Juli August September fast ein Drittel unter
das gewöhnliche Mittel, während übrigens die socialen und religiösen
Factoren hier noch bestimmender eingreifen als die klimatischen. >)
Es will mich bedünken, dafs die unerbittlichen Thatsachen, welche
aus den Zahlen reden , bei so manchen Erörterungen mythologischer
und ästhetischer Art nicht gebührend gewürdigt worden seien. Es ist
1) Italia ecoDomica p. 625: nan n poirebbe avere maggior preeisiane di
coinciden%e fra i periodi di fecondila umana e le fast elimateriehe e teliu-
riche; VitiiiTl4,4 aeitate non solum in pettilenUbut loeU sed etiam in salu-
hribut omnim earpora ealare fiunt imbedlla, ei per hiemem eüitm fuae pestt-
l0niisiima0 sini regiones efßciuntur salubres ideo quod a refrigerüHoni^UM
soUdaniur,
2) Aaf Febroar (GarneTal) kommen dreimal so viel Ehen als auf Min (Fasten).
Letzterer Monat war anch bei den Alien» wenigttens som Theil, rerpdot. Ana
welchem Aberglauben die befremdende Thatsache hervorgeht, daOi dieselben den
Wonnemonat Mai gaosUch ausschlössen, weiüB ich nicht tu sagen vgl. Marquardl»
Privatleben der Römer I p.41.
408 Kap. IX. Das Klima.
z. B. unbillig von den Alten zu yerlangen, dafs sie unser romantisches
NaturgefQhl tbeilen, mit uns klagen sollen wenn die holde Sommerzeit
entschwindet: eine Jahreszeit, in der die Vegetation verschmachtet und
der Mensch vor den Umarmungen des Fiebers flachtet, die die Jagend
jählings hinstrecken , das Alter mit langem Siechtum erfüllen. In der
Verschiedenheit des Geschlechts, welches Germanen und Romanen den
Himmelskörpern beigelegt, spricht sich die Verschiedenheit ihrer Na-
turauf fassung am deutlichsten aus. Unseren Vorfahren war die
Sonne eine milde gütige Frau, der stille Mond fahrte ihnen den klingen-
den Frost unbewölkter Wintemächte ins Gedflchtnifs« Am Mittelmeer
wird der Mond weiblich gedacht, die sanfte MondgOttin stand aller
Creatur in ihren schwersten Nöten bei. Der unendliche Zauber jener
tageshellen Mondnächte des Südens läfst die mythologische Vorstellung
noch heute verstehen und nachempfinden. In ihrem feuchten Glanz
waltet Lucina ; der in JugendschOne strahlende Bruder sendet Gesund-
heit, sendet Verderben und Tod, ist dem Menschen nicht Mos Helfer,
sondern auch ein harter strenger Herr. Ein Bewunderer des Südens
bezeichnet den Charakter des Sommers als unempfundene milde har-
monische Notwendigkeit: die Stldländer selbst würden sich diese Bei-
worte schwerlich aneignen. Es ist wie bemerkt (S. 374) nicht die grofse,
vielmehr die anhaltende Hitze, welche ihnen die Not des Lebens nahe
bringt. Wenn Helios ununterbrochen Wochen und Monate lang das
Regiment führt, wenn am bleiernen Himmel keine kühlende Wolke
auftaucht, wenn die ealigo ^) der schwüle Hitzenebel in der Luft brü-
tend die Aussicht benimmt, dann kann man den Gedanken eines un-
abänderlich lastenden Fatum nachdenken, der dem launenhaften wech-
selnden Klima des Nordens von Grund widerspricht Wol erscheint
dieses karger bedacht: aber der Gott, welcher in die Seele des Ger-
manen jene tiefe Liebe zur Freiheit pflanzte, die der Romane nicht
kennt, bat auch dafür gesorgt, dafs der Keim durch keine äufsere Macht
geschädigt oder zerstört werde. Wo Helios seine Strahlen senkrecht
herabfallen läfst, überhob er den Menschen der Sorge ums tägliche
Brot und machte ihn zum Knecht. Je spärlicher seine Gaben, desto
gröfser wird das Mafs von Freiheit, dessen der Mensch geniefst In
den wenigen Sätzen, die uns hier verstattet sind, erscheint es leichter
1) ColmD. XI 2 sepümo kalend. Augustoi eanieuia apparei: oaUgo aetttuua
Plin. nitl umidam a terra , aUas vero propter vtqtorem fumidam exhaleri
eab'ginem eeriutn 9st Es heiÜBt noch jetzt eaüna im Spaniachen; doch steht
die Ableitang nach Diez nicht anfser Zweifel.
§ 7. Das NatnrlebcD. 409
den Einflufs zu veranschaulicben, welchen das Klima auf die Gestaltung
des aofseren Daseins in Nord und Süd geübt hat. Um Schutz zu suchen
Tor der Kalte, gruben die alten Deutschen tiefe Hohlen im Erdboden
aas und bedeckten sie mit Mist: in den dumpfen Kellerwohnungen, an
denen unsere nordischen Klein - und Grofsstädte mit gleicher Zähig-
keit hängen, kann man einen Nachhall jener barbarischen Wohn-
weise erkennen. Ein Blockhaus mit hohem spitzem Schilf- oder Stroh-
dach, den Heerd in der Mitte, bot den gröberen Theil des Jahres Schutz
und Unterkunft Der Italiker meidet den geschlossenen Raum, in den
ihn nur fallender Regen oder das Dunkel der Nacht scheuchte. Ein-
stens war das Blockhaus mit spitzem Strohdach auch jenseit der Alpen
ebenso allgemein verbreitet wie diesseit. Frühzeitig indefs ward es
verdrängt durch das aus dem Morgenland stammende Steinhaus mit
plattem Dach, weiter DachOffnung um Luft und Licht einzulassen, stei-
nernen Boden. Im toscanischen Atrium dem nationalen Haus Altitaliens
wird alles Holzwerk nach und nach beseitigt, die Abwehr der Hitze
immer sorgfilltiger ausgebildet. Nicht blos dem Morgenländer, auch
dem Romer tOnte das Plätschern einer Fontäne als lieblichste Musik :
die jüngsten Ruinen von Pompeji lehren, wie emsig bedacht der Bür-
gersmann darauf war einen Strahl fliefsenden Wassers in das Innere
seines Hauses zu leiten. Im Norden ein riesiger Kamin, im Süden ein
rinnender Brunnen — das ist die verschiedene Ausstattung der Wohn-
balle fortgeschrittener Epochen. Man kann nicht sagen , dafs die aus
dem Orient entlehnte Hausform den Bedürfnissen des italischen Klima
TöIIig genügt hätte. Cicero schreibt in einem Brief: der Consul sei
durch die Schmähungen des Volkes gezwungen worden die Väter der
Stadt zu entlassen , als er bei grofser Kälte Sitzung halten wollte, i)
Ganz so erhebt sich bei uns die Öffentliche Meinung gegen den Schul-
tyrannen , der es wagen würde die nachmittägigen Hitzeferien zu ver-
sagen, sobald das Thermometer über 20 ^ zeigt. Die kühlen HaUen des
Südens sind eben auf Hitze, die warmen Stuben des Nordens auf Kälte
berechnet. Freilich hat der letztere entfernt nicht so viel von Hitze als
der erstere von Kälte zu leiden gehabt. Man braucht gar nicht den
Horaz aufzuschlagen oder die kindlichen Heizvorrichtungen an den
Ruinen zu studiren, man hat noch heute Gelegenheit an den Nach-
kommen zu beobachten, wie bitterlich die Alten in ihren zugigen Räu-
1) An QuiDlua 11 10, 1 pridie Idus [Feäruarias] cum Appiu$ senatum in-
frequeniem eoegisiet, tatUum fuU frigut, ut pitpuU eonvitio nt coaehu nos
dimiiUre,
410 Kap. IX. Das Klima.
men gefroren hat. Der häusliche Comfort ist diesseit der Alpen aus*
gebildet worden, hier das moderne Haus mit Glasverschlufs entstanden,
das in unserem Jahrhundert seinen Siegeszug um die ganze Erde an-
getreten hat Aehnlich ging es mit der Kleidung. Die wallendeD
Gewänder des Morgenlandes pafsten für den italischen Winter nicht.
Alle Majestät der Toga und alle Polizeivorschriflen, die zu ihrem Schutz
erlassen wurden , reichten nicht aus um sie im Gebrauch zu erhalten.
Je weiter die ROmer nach Norden vorrücken, desto unwiderstehlicher
verbreiten sich die nordischen Trachten. Selbst die einst so sehr ver-
spotteten und verachteten Hosen der Galtier finden schUefslich Auf-
nahme. Wir sahen S. 402 , dafs das heutige Klima einen sUdUcheren
Charakter trägt als im Altertum. Das Umgekehrte ist mit den socialen
Lebensformen der Fall. Die Alten standen dem Morgenland in Klei-
dung und Wohnung, Sitte und Anschauung, Denk- und Lebensweise
ebenso nahe wie das jetzige ItaUen dem civilisirten Europa. Dies ist die
Rückwirkung von jenen sonnenlosen Gegenden, welche der alteVarro
in Schnee und Eis begraben sein liefs (S. 373). Die Natur bestimmte
ItaUen zur Vermittlerin zwischen Morgen- und Abendland, zur Haupt-
trägerin europäischer Geschichte. Wie es an beiden Gegensätzen theil-
nehmend diese grofse Aufgabe lösen konnte, bringt uns vor allem die
Betrachtung seines vielgestalteten Klima zum deutlichen Bewufstsein.
§ 8. Die Malaria.
lieber den Einflufs des Klima auf die Race, über den Gegensatz
zwischen den dunklen schwarzäugigen zierlichen ROmem und den
blonden blauäugigen Nordländern, zwischen feuriger Leidenschaft und
bedächtiger Ruhe ist viel Zutrefiendes und viel Verkehrtes gesagt wor-
den. In wie weit aber Vererbung und Cultur neben dem KUma hierbei
in Betracht kommen, ist eine schwer zu beantwortende Frage; der
Stand der Forschung macht es zur Pflicht uns auf wenige sichere Tbat-
sacben zu beschränken. Unter der heifseren Sonne nimmt das Leben
einen schnelleren Verlauf. Das römische wie das canonische Recht
setzen das heiratsfähige Alter für die Jungfrau auf 12, für den JQog-
Ung auf 14 oder 15 Jahr fest. Wichtiger als derartige absolute Alters-
grenzen, die sogar in deutsche Volksrechte übergegangen sind, er-
scheint die in Wirklichkeit eingehaltene Praxis. 0 Es unterliegt keinem
1) Das Material bei Friedlinder, Darsteliangen ans der Sittengeschichte Bobs
P p. 467 fg.
§8. Die Malaria. 411
Zweifel dafs Eben mit, ja auch vor diesem Termin zur Kaiserzeit un-
gemein hIluOg eingegangen wurden. Das Durchschnittsalter der Bräute
scheint nicht hoher als 14 Jahr angenommen werden zu können. Im
heutigen Italien ist es nach einer sechsjährigen Zählung auf 23 Jahr
10 Monate für die Braut, 30 Jahr 7 Monate für den Bräutigam gestiegen.
Eheschliefsungen vor vollendetem 15. Jahr i) kommen auch jetzt noch
vor, aber nur in dem minimalen Verhältnifs von 1,29 per MiUe für das
weibliche , 0,02 per Mille für das männliche Geschlecht. Zudem ge-
hören sie vorwiegend Sicilien und den südlichsten Provinzen an , wo
die Ziffer etwa auf 2 und 0,03 per Mille steigt. Für die S. 410 ausge-
sprochene Behauptung, dafs die socialen Zustände der Gegenwart im
Unterschied von Klima und Vegetation einen nordischen Charakter
tragen gegenüber dem Altertum, liefert die angegebene Thatsache den
vollgültigsten Beweis. Sie erklärt uns die heutige Fruchtbarkeit der
Ehen und die aufserordcntlich günstigen Aussichten, welche die wach-
sende Volkskraft den Italienern vor anderen Romanen in Zukunft er-
öffnet. Sie wirft zugleich ein helles Licht in die Vergangenheit. Als
ein Denker und Patriot wieTacitus vom Erzfeind des römischen Namens
meldete : sera invenum vetius eoqiu inexhansta pubertas. nee virgines
festinantnr; eadem iuventa, similii procerttas: pares validaeque miscen-
tur, ac robora parentnm liberi referunt . . . hat er seiner eigenen Nation
das Todesurtheil gesprochen. Wir haben in der Neuzeit erlebt, wie die
angelsächsische Race über das Erdrund sich ausbreitete, ohne daneben
die hohe Fruchtbarkeit der heimischen Ehen zu geß(hrden. Das Alter-
tum bietet das Schauspiel, wie die italische Volkskraft ungeheuere Land-
strecken bemeistert, aber in ihren Stammsitzen, der Appenninhalbinsel
langsam versiegt und nur durch beständige Einwanderung künstlich
erhalten ward. Man mufs sich hüten den Verfall der Hauptstadt und
der hohen Gesellschaft, der schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. be-
merkbar wird, sofort auf das ganze Land auszudehnen. Langsam sind
die Laster des Erdki*eises in dieser Cloake zusammen geflossen, haben
die nähere, die weitere Umgebung, schliefslich alles was in ihrem Be-
reich lag, verseucht. Es hat nie ein Sodom und Gomorrha gegeben,
das die Menschheit so entsittlicht hätte als Rom. Die Sammlung der
stadtrOmischen Inschriften wird einen nüchternen ziffermäfsigen Com-
mentar gewähren zu den Schilderungen der socialen Zustände, die wir
1) It. econom. p. 619 nennt diese ineotuulH mairimoni non nuno eon-
dannaHK n^ rispeUi fiiici ehe in quelii eoeiaU,
412 Kap. IX. Das Klima.
in der Litteratur lesen. Die mittlere Lebensdauer erscheint überaus
kurz, Kindersegen im heutigen Sinne unerhört. Wie hätte das anders
sein sollen in einer Gesellschaft , wo eine zärtliche Gattin ihrem ver-
storbenen Mann die niedlichen Verse auf den Grabstein setzte:
balnea vina venus eorrumpuni eorpora nostra^
$ed viiam faeiuni balnea vina venu*.
Und wenp sie nicht absichtlich ?ernichtet ward, welche Nachkommen-
schaft konnte den Verbindungen halbwüchsiger Buben und Mädchen
entspriefsen ? Die alte Republik kannte diese Frühreife nicht 9: vor
vollendetem 17. Jahr konnte der Bürgersohn überhaupt nicht heiraten
und ward sofort unter die heilsame Zucht des Waffendienstes genom-
men; als Blüte der Jungfrau galt das 16. Jahr, das aber in uns bekann-
ten Fällen bei der Verheiratung weit überschritten wurde. Uns fehlt
das Material um ein Durchschnittsalter für die Republik aufzustellen,
wie wir das für die Kaiserzeit konnten. Indessen wenn Häuser mit 16
lebenden Söhnen erwähnt werden , so braucht uns der Mangel nicht
sonderlich zu grämen : spricht doch die altere Geschichte der Römer
f(lr ihren Kinderreichtum beredt genug. Auf das massenhafte Einströ-
men orientalischen Blutes seit dem Erwerb der Weltherrschaft werden
wir wie den Umschwung der Sitten so auch die Verschiebung der Alters-
termine, die auf politischem Gebiet in der Kaiserzeit wiederkehrt, zu-
rückfuhren. Die seitdem gesetzlich anerkannte und praktisch betbä-
tigte Frühreife hat den Untergang der antiken Gesellschaft und die
Verödung der schönsten Gauen Italiens zur Folge gehabt. Der einzige
Damm, welcher dies abzuwehren vermocht hätte, ward niedergerissen,
als die allgemeine Wehrpflicht mit der bürgerlichen Freiheit beseitigt
wurde. Wol hat Augustus durch gesetzliche Vortheile, Nerva und
Traian durch milde Stiftungen den Kindersegen zu befördern gesucht,
wol ertheilten einsichtige Herren einer Sklavin die drei Söhne aufge-
zogen halte , Belohnungen und Freiheit. Dafs alle diese Mittel für die
Erhaltung und Vermehrung der Einwohnerschaft heilsam wirkten, bt
sicher genug, aber ebenso sicher dafs sie eines nicht hindern konnten,
die fortdauernde Verschlechterung der Race. Wie viel lauter mufs da-
mals die Sense geklirrt haben, die der Todesgott im Hochsommer über
den Häuptern der Jugend schwingt (S. 407) 1 Wir sind aufser Stande
die lange Krankheitsgeschichte des Altertums mit ihren mannichfal-
tigen Verwicklungen und WechselHlIlen zu schreiben. Die grofse Pest,
1) Marqnardt, Privatleben I p. 129 Terenz Eud. 318.
§ S. Die Malaria. 413
welche unter Marc Aurel aogeblich die halbe Bevölkerung hinraffte,
bezeichnet den Anfang vom Ende. Derartige Heimsuchungen sind auch
zu anderen Zeiten und bei anderen Völkern eingetreten und glücklich
überwunden worden. Zur Genesung hatte das alte Italien nicht mehr
die Kraft. Unter unseligen Öffentlichen Zuständen gehen seitdem Ab-
nahme der Bevölkerung und Zunahme der Malaria fortschreitend Hand
in Hand.
Der Hochsommer fordert in warmen Gegenden meistens zur Vor-
sicht auf. Der Uebergang von Tag zu Nacht erfolgt rasch^ die Däm-
merung nordischer Breiten ist unbekannt, das crepusculum erstreckt
sich kaum tlber eine halbe Stunde. Damit ist eine bedeutende Abküh-
lung verbunden, namentlich wo der Einflufs des Gebirgs sich bemerk-
bar macht, und eine entsprechende Erhöhung der Feuchtigkeit der
Luft. Man hat wol bei Sonnenuntergang das Gefühl, als würde man
in ein nasses Laken eingeschlagen. Der Wärmeunterschied zwischen
Sonne und Schatten beträgt in Rom für den Sommer etwa 15^. Es
liegt auf der Hand, dafs die plötzliche Temperaturschwankung am
Abend leicht Erkältungen veranlafst. Aber an vielen Orten dringen
zugleich mit der Kühle bOse Dünste in die von der Tageshitze geöff-
neten Poren der Haut und bringen Fieber. Die Erfahrung lehrt, dafs
stehende Gewässer im Hochsommer bestimmte Krankheiten erzeugen,
die so ziemlich in den Niederungen der gesammten Erde endemisch
sind. Wir nennen sie Marschfieber an der Nordsee, Malariafieber in
Italien, gelbes Fieber in Westindien. Ihre Bösartigkeit wächst mit ab-
nehmender Breite. Schon in Italien kommt neben der Quartana, dem
Wechselfieber auch die perniciOse Form vor, welche den Menschen in
36 Stunden hinrafft. Trotz der Verschiedenheit der Erscheinungen
bleibt das Wesen der Krankheit überall das gleiche: der Ansteckungs-
stoff wird von den im Wasser faulenden organischen Substanzen ge-
liefert und verbreitet sich über das umliegende Erdreich. Chemisch
ist das Gift bis jetzt noch nicht nachgewiesen worden , doch hat die
lange Erfahrung eine Reihe untrüglicher Regeln über sein Auftreten
gesammelt. 1) Es schleicht am Boden hin: daher je hoher freier kräf-
tigem Luftzug ausgesetzter die Wohnung, um so gesünder ist sie. 2) Es
befilllt den Schlafenden leichter als den Wachenden, weil in jenem Zu-
1) Bunsen, Beschreibung der Stadt Rom I p. 82— 108.
2) Varro RR. 1 12 n qua eruni loea paluitria . . . erescunt animalia quae-
dam minuta , quae non possunt oeuli eonsequi, ei per aera inius in corpus
per OS ei nares perveniunt aique efficiunl diffieiles morbos.
414 Kap. IX. Das Klima.
Stand die Thatigkeit der Hautgemfse sieb steigert (S. 327). Es wirkt
zu allen Jahreszeiten, vorzugsweise jedoch im Hodisommer, weil die
Empf%lnglichkeit der Haut dann am gröfsten, die Widerstandskraft des
Organismus am geringsten ist. Den besten Schutz gegen das Gift ge-
wahrt erstens ein mlfsiger nOchterner Lebenswandel, sodann eine
warme gegen Feuchtigkeit und Erkaltung sichernde Kleidung aus
Wolle, endlich das Heerdfeuer und die geschlossene Ansiedlung. Die
Bewohner einzelner Gehöfte wie diejenigen welche die Nacht im Freien
zubringen mOssen, werden in Fieberstrichen nie unterlassen Feuer an-
zuzQnden um die schlimme Luft zu bannen. Letztere hat nach einer
allgemeinen in Italien wie anderen Ländern zahllose Mal bewährteD
Erfahrung dort am wenigsten Macht, wo die zahlreichsten Feuer rau-
chen, die Bevölkerung gedrXngt wohnt. Ferner kann eine ungesunde
Gegend durch Anbau entseucht werden, indem man die gtehendeo Ge-
wisser beseitigt, die Wasserlaufe regelt. Bäume gegen schädliche Winde
und die von ihnen mitgeschleppten Miasmen pflanzt. Selbst in den
Maremmen, wo die Küstenseen stagniren und die Mischung von Söfs-
und Salzwasser die schlimmsten FauktofTe schafft (S. 358) 9 können
einzelne Orte in einer tödtlichen Umgebung bewohnbar gehalten we^
den. Die Neuzeit hat zum GlQck nur Fortschritte in der Bekämpfung
der Malaria aufzuweisen, die historische Ueberlieferung weist seit dem
Beginn unserer Zeitrechnung stete Rückschritte auf. Die Auffassung
der Frage ist wesentlich durch die Verhaltnisse der römischen Cam-
pagna bestimmt und häufig in ein mystisches Halbdunkel gehflUt wor-
den, dem man überhaupt dort zu begegnen pflegt, wo es sich um Sfln-
den der heiligen Stadt handelt. Die Sache an sich ist so einfach und
verstandlich wie sie nur sein kann. Gute und schlechte Luft giebt und
gab es in allen Landern und zu allen Zeiten. Aber die unmittelbare
Bedeutung dieses Factors wird im Süden von Jedermann und weit
lebhafter empfunden als bei uns: deshalb liefert er im Süden annähernd
denselben unerschöpflichen Gesprachsstofl' wie bei uns unser launen-
haftes Wetter. Nach einer hellenischen Sage lafst der delphische Gott
zwei Stadtgründer wählen zwischen Gesundheit und Reichtum fdr die
zu bestimmende Statte. Die Sage drückt den ganz richtigen Gedanken
aus, dafs der magere Boden der Hügel durchweg gesünder sei als die
fruchtbaren Flufsthaler. Wir haben in anderem Zusammenbang (S. 208.
300) gesehen, dafs die Urbarmachung derselben vorgerückten Cuitur-
epochen angehörte , unablässige Fürsorge und Arbeit erheischte. Di^
Abwehr der bösen Luft ist eine der ältesten Aufgaben griechischer
{8. Die Malaria. 415
Wi8seD8chaft gewesen. Die Anlage zahlloser Städte in der Periode der
Coloniaation und später nach der Eroberung des Orients stellte einen
Schatz Ton Erfahrungen zu Ihrer Verfügung, der theoretisch verarbeitet
und damit Gemeingut ward. Man hat viel Wesens ?od der ältesten Be*
Siedlung Latiums gemacht und behauptet, dafs das Volk auf einer
niedrigeren Culturstufe stärker und föhiger gewesen sei die Ortlichen
Schwierigkeiten zu besiegen. Das Eine ist genau so fälsch wie das
Andere. Mit mehr Recht werden wir die Colonisation des Polands be-
wundem, dessen Fieber um nichts milder sind als die römischen und
das gleichfalls wie die pontinischen Sümpfe aussehen würde, wenn
seine Bewohner jemals in den Marasmus ihrer Vorfahren am Tiber
versunken wären. Aufserdem war die Besiedlung Latiums in Urzeiten
leichter durchführbar als seine jetzige Rückgewinnung; damals war
es ein jungfräulicher mit Urwald bestandener Boden , jetzt eine ihres
ursprünglichen Besitztums beraubte Wildnifs, die vermutlich viel ver-
derblicher wirkt als der Urwald jemals gewirkt hat. Freilich ist nicht
daran zu denken, dafs einzelne Pioniere sich in demselben eingenistet
und gerodet hätten wie in Nordamerica. Höchst verkehrter Weise hat
man das getrennte Siedeln der Germanen , wie Tacitus es beschreibt,
auch auf das älteste Italien übertragen wollen : im Widerspruch mit
der Ueberlieferung, im Widerspruch mit jenen ursprünglichen An-
lagen, die in den Pfahldörfern zu Tage gefordert worden sind, im Wi-
derspruch mit dem Klima. Ein grofser Theil des Landes hat nur von
geschlossenen Haufen in Besitz genommen und behauptet werden kön-
nen. Welch trauriges Los einzelne Gehöfte befallen hätte, wie wenig
die Bewohner vermocht hätten auf die Dauer auszuhalten oder vollends
sich auszubreiten , lehrt die Erfahrung der Neuzeit zur Genüge. Wie
das Fehdeleben der Urzeit dazu zwang hochgelegene durch Natur und
Kunst befestigte Orte für die Dorfschaften auszusuchen, so nicht min-
der die Rücksicht auf die Gesundheit. Offene Weiler kennt die alt-
italische Tradition von Hause aus nicht.
Das Fieber war und ist die verbreitetste Krankheit Italiens. Ge-
genwärtig hat das Poland viel davon zu leiden. Die im sechszehnten
Jahrhundert eingeführte und allen Regierungsmafsregeln zum Trotz
nicht wieder aufgegebene Cultur des Reises, welche in künstlich über-
schwemmtem Sumpfland betrieben wird , wirkt höchst nachtheilig auf
den Gesundheitszustand ein. Indessen wird hierin so wenig ein Hin-
dernifs fttr den Ackerbau erblickt wie in den Stoppelflebern an der
^fordsee. Ganz anders verhält es sich mit denjenigen Landschaften,
416 Kap. IX. Das Klima.
welche der bösen Luft wegen nur spftrlich bewohnt oder vollsUlDdig
verödet sind. Wol dient der frachtbare Boden zur Weide, wird auch
bisweilen flüchtig bestellt, könnte aber leicht die zehn- und zwanzig-
fache Zahl von Menschen ernähren, wenn seine gesundheiüichen Ver-
hältnisse normale wären. Im VII. und VIII. Kapitel sind die in Be-
tracht kommenden Gegenden grofsentheils namhaft gemacht worden.
Die Hauptsitze der Malaria sind die Küstenebenen von der Hacra ao,
das Gebiet der mitteUtaUschen Vulkane, Grofsgriechenland, die apu-
lische Ebene, das Gefilde von Leontini, der Südwesten von Sardinien,
die Ostküsle von Corsica: ein Gebiet von mindestens 400 d. DM.,
dessen genaue Umgrenzung zwecklos wäre. Das Uebel tritt mit un-
gleicher Heftigkeit auf, am schUmmsten an den Küsten und in den
Flufsthälern, während Höhenlage ziemlich wenn auch nicht ganz ver-
schont bleibt. Die Bewohner zeigen durch ihre hagere gelbe Farbe
an , dafs sie hier nicht alt werden können. Unter den fremden Feid-
arbeitern, welche zur Einholung der Ernte gedungen werden, reifst
der Tod arge Lücken. Die Einöde um Rom hat die neuere Kunst um
den Begriff der historischen Landschaft bereichert. Ihre unvergleich-
liche Wirkung auf das Gemüt beruht auf dem Gegensatz von einst und
jetzt. Es hat ja auch im Altertum schlechte Luft gegeben. Das stolze
Heer Athens 413 und später mehr als eine jener von Karthago aufge-
botenen Söldnermassen ist in den Sümpfen von Syrakus zu Grunde
gegangen. Aber sehr langsam hat sich daraus die Pestbeule entwickelt,
die den schönen Leib Italia's so häfslich verunstaltet. SchädUch hat
zuerst die Verdrängung der Bauern- durch die Gutswirtschaft gewirkt,
welche nach dem Erwerb der Weltherrschaft unaufhaltsam um sieb
griff. Isolirt gelegene Höfe gewährten niemals den gleichen Schutz ge-
gen Malaria wie geschlossene Dorfschaften. Da die Grundherren einzig
und allein darauf bedacht waren ihre Rente möglichst zu steigern, so
verwandten sie Sklaven und nur in ungesunden Strichen freie Tage-
löhner. Ueberhaupt galt in ihren Kreisen der Lehrsatz, dafs ein Gut
mit schlechter Luft um jeden Preis losgeschlagen werden müsse. Am
nächsten lag es derartige Ländereien in Weiden umzuwandeln: die
Viehheerden gedeihen, wo das Fieber den Menschen packt Dadurch
wurde das Uebel verschlimmert; denn die Drainirung des Bodens, die
Regelung der Wasserläufe, welche der Ackerbau fordert, hört auf
und mit der Abnahme der Bevölkerung auch der wolthätige Einflufs
der von ihr unterhaltenen Feuerstellen. Wir hören aus dem Bürger-
krieg 49 V. Chr., dafs das von Sipontum bis Brundisium gelagerte Heer
Caesars durch Malaria vM tu teidea halte : gfuvts auhmHUs in Apulia
tittum^ bmndi^m ^ ifalulmTimü CatÜae et BiHpaniati resf(ombus
tmnem emerc(Nm wihiüdftiiB ttmptiivetat^) Gaesens Trüpt)eb hi^chteD
hier die nHmlkbe Erfhhruhg^ Wdche afi den Deutschen im Mittel^
alter bei Rotti bich hflilflg Wiederholt hat, daft die Malaria besonders
den Nordlandern Verderblich Trird;^) Die Sailiniterkrilsge h^en ber^it^
die südlichen Landschaften in dem Grade verWQstet, dafs Pytthös die
Aeufserang thun kennte, man sehe ihnen nicht an, ob sie j6 bewohtit
gewesen seien. &) Doch datirt ihr völliger Niedergahg vom Krieg Han*-
nibals her, dem eine sinnige tlrzfthlnng mit gutem Gmnd die vMitäs
liaNoi auf seinem Zuge folgen läfst. Am Ausgang der Republik wird
die Gesundheit der Hügel Roms im Gegensatz tut ungesunden Umge-
bung der Stadt gepriesen.^) Dafs es mit letzterer nach heutigem Mab'*
Stab nicht gar schlimm bestellt gewesen sein kann, haben wir b^i der
Betrachtung der Pontinischen Sümpfte bereits gesehen; Strabo der Jahr>-
zehnte in Rom zugebracht, bezeichnet ausdrücklich gaUti Latium als
gesegnet und fhtchtbar mit Ausnahme einiger Sumpfstreeken (8. 325).
Ohne Zweifel hat die geordnete Verwaltung der Raisertseit mit Ihren
grofsartigen zum gemeinen Besten unternommenen Anlagen nicht blos
den materiellen Aufschwung sondern auch die Hebung der sanitären
Verhältnisse ungemein befördert^) Webn nichtsdestoweniger am Ende
des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung neben der latinischen *)
auch die ganze etrurische Küste Terrufen ist, so haben wir augen-
scheinlich einen Forlschritt des Uebels zu erkennen. ''J Derselbe wurde
1) Gaes. b. civ. III 2. Cicero an Att. XI 22, 2 schreibt im August 47 alten
Stils ans Brundisium: vix susünBü gravitatBm huius caeli Tgl. S. 337.
2) Vgl. Tac. Histor. II 93 infamibus Faticani locis magna pars teiendit,
unde erebrae in volgtu mortes.
3) Pio fr. 40, 27 Bekker.
4) Gic. Rep. II 11 (Rofnubu) ioeum deleg^i et fontibus abundantem et in
regUme peetHenH ealubrem; eoUes enim sunt, qui eum perflantur ipsi, tum
adferunt umbram valUbtu, Liv. VII 38, 7 in pestilenii atque arido circa urbem
solo Tgl. V 54, 4 ond A. 2.
5) Frontin Aqnaed. 88. Im 2. Jahrhundert ist das Fieber in Rom ganz all-
gemein Galen XVH 1, 121 KOhn Tgl. Ammian XIV 6, 23.
6) Seneca Ep. 105, t Martial IV 60.
7) Plin. Ep. V 6, 1 amavi euram et eoUicitudincm tuam, quod cum audissee
tne aestate Tuseos meoe petiturum, ne facerem suasitti, dum putas insalubres,
est sane gravis et pesHlens ora Tuscorum quae per litui extenditur: eed M
proeul a mari reeesserunt, quin etiam Appennino taluberrimo montium sub'
imcenU
Nitten, IUI. Uadctkuade. I. 27
418 Kap. IX. Das Klima.
durch die io der Kaiserzeit stark betriebene Abholzuog begünstigt
(S. 301), insofern der Ungestüm der Flüsse zunahm, die Thäler und
Küstenseen versumpften. Doch ist dies nur nebensächlich. Den Aus-
schlag gab die fortwährende Degeneration der Bevölkerung. Tiefer
Friede herrschte Jahrhunderte lang in den italischen Gauen. Die Sitten
wurden immer humaner aber auch immer weichlicher. Wie der phy-
sische Mut ausstarb, der zum Waffendienst gehörte (S. 84), so nahm
auch die Widerstandskraft gegen die Angriffe des Klima ab. Die Ver-
ödung hat in den verschiedenen Landschaften nicht gleichen Schritt
gehalten und im Einzelnen manche durch Krieg und Frieden bedingte
Wechselfälle durchlaufen. Wol ist durch die Eroberung der Germanen
frisches Blut in die Adern des siechen Körpers eingeleitet w<^den, aber
die staatliche Auflösung und die einbrechende Barbarei haben die Aus-
breitung der Malaria beschleunigt, welche erst seit dem 17. Jahrhun-
dert vrirksam bekämpft worden ist Das geeinigte Italien der Gegen-
wart hat eine der schwierigsten aber auch der edelsten Aufgaben zu
lösen, indem es die Schuld der Vergangenheit tilgend, an der Stelle von
Latifundien einen freien Bauernstand ins Leben ruft, der allein die
Malaria mit Erfolg zu bekämpfen vermag. Hebung der Bauern lautet
das sociale Programm ItaUens jetzt wie zu den Zeiten des Tiberius
Gracchus. Für die mit Malaria behafteten Landschaften trifft das Wort
des Plinius voll und ganz zu: latifundia perdidere Itaiiam.
KAPITEL X.
Die Vegetation.
Unter den Lflndern der Alten Welt nimmt Italien seiner Lage
nach die Mitte ein. Durch seinen Bau , seine wagerechte und senk-
rechte Gliederung, sein Küma erscheint es berufen die Gegensätze von
Morgen- und Abendland in sich auszugleichen , den Cullursegen des
Orients an Europa zu übermitteln. Dieser weltgeschichtliche Beruf
findet in der Vegetation den deutlichsten Ausdruck. Das Leben der
Pflanze wird durch den Boden bedingt, der sie ernährt, durch die
Wärme und Feuchtigkeit der Luft^ von denen ihr Gedeihen abhängt
Sie besitzt aber auch die Fähigkeit aufserhalb ihrer ursprunglichen
Heimat neuen Verhältnissen bis zu einem gewissen Grad sich anzu-
passen. Die Verbreitung und Wanderung der Pflanzen , theils durch
unbewufste Naturkräfte theils durch den Willen des Menschen veran-
lalst, füllt einen der anziehendsten und lehrreichsten Abschnitte allge-
meiner Geschichte aus: durch sie ist nicht nur der landschaftliche
Charakter weiter Erdräume umgestaltet, sondern die Grundlage ge-
sitteten Daseins überhaupt erst geschaffen worden. ItaUen gehört von
Hause aus jenem grofsen Waldgebiet an , das sich über Europa und
Sibirien bis an den Stillen Ocean bin erstreckt. Allmälich im Laufe
der Jahrtausende hat es sich davon abgesondert: um die Mitte des
zweiten Jahrhunderts v. Chr. steht das Poland erst im Begriff' die Wald-
und Weidewirtschaft mit geregeltem Ackerbau zu vertauschen (S. 74);
um den Beginn unserer Zeitrechnung hat Ligurien, dessen Flora heu-
tigen Tages mit derjenigen der subtropischen Zone übereinstimmt, sein
altes Pflanzenkleid noch nicht abgelegt. Von den ersten Aeufserungen
geschichtlichen Lebens bis zur Gegenwart hinunter sehen wir die Vege-
tation in beständiger Umbildung begriffen, die eingebornen Kinder der
Flur durch fremde Einwanderer eingeengt und verdrängt. Wie die
27*
420 Kap. X. Die Vegetation.
heutige Flora ein stidliches Gepräge trägt gegenüber der antiken , so
hat sich der nämliche Hergang im Laufe der Alten Geschichte wieder-
holt und nachhaltig in die Entwickelung derselben eingegriffen. Als
die Hellenen die sicilischen und italischen Gestade sich aneigneten,
haben sie die Gewächse einer fortgeschrittenen Bodennutzung hier ein-
geführt. Den blutigen Spuren der Legionen folgten Gärtner und Win-
zer im Norden nach. Die syrischen Sklaven haben freilich Knechtessinn
in den Gauen verbreitet, wo einst trotzige Bauern auf freiem Erbe
gesessen, aber auch in ihrer stillen duldsamen Weise schätzenswerte
Fertigkeiten den Boden und die Pflanze zu behandeln gelehrt. Durch
unscheinbare verborgene Arbeit, auf die selten ein Strahl der Ueber-
lieferung fällt, ist das Aussehen Europa's umgewandelt, sein rauher
nordischer Charakter gemildert und veredelt worden. Bei jeder Be-
trachtung dieses denkwürdigen Vorgangs werden die Blicke unwillkür-
lich nach Italien gelenkt: nicht nur weil es während der thabssiscben
Weltepoche den Vorrang vor den übrigen Ländern behauptet, sondern
daneben auch weil es sie alle an Aneignungsvermögen übertrifft. Der
letztere Umstand ist schon im Altertum bemerkt worden. Ein kun-
diger Beobachter fügt nach Anführung einiger Fälle von gelungener
Acciimatisation den Satz hinzu ^): his tarnen exempUs nimirum admo-
nemur curae fnortalium ob9equeiiii8Simam esse Itidiam, quae paene totius
arbis fruges adhibito studio eolonorum ferre didicerit. Einer histori-
schen Darstellung ziemt es vor allen Dingen die Beziehungen der Vege-
tation zum Menschenleben , ihre Wandlungen in alter und neuer Zeit
hervorzuheben. Indem wir daran gehen den Siegeszug der Cultur zu
sehildern, sei daran erinnert, dafs derselbe dem Lande nicht aus-
schlieblichen Nutzen gebracht, vielmehr auch unheilbaren Schaden zu-
gefügt hat Die Mahnung wird um so berechtigter sein, als diese der
allgemeinen Erfahrung entsprechende Thatsache in der glanzvollen
Behandlung, welche Victor Hehn dem Gegenstand gewidmet hat, durch-
aus verdunkelt wird. Wir huldigen keineswegs der trüben Lehre,
welche die Cultur ihr eigenes Leichentuch weben läfst, welche die
Verödung und Verarmung so vieler einst blühender Reiche am Mittel-
meer auf Aussaugung und Erschöpfung ihres Bodens zurückführen
will. Italien ist noch so fruchtbar wie es nur je gewesen, im Umkreb
des Mittebneers verrät die Natur nicht die Schwäche des Alters. Aber
Niemand kann sie mit offenen Augen betrachten^ ohne die tiefen
1) Golumella DI 8.
§ 1. Die Kastenflon. 421
Wunden gewahr zu werden, die des Menschen Unverstand und Raub«
gier ihr geschlagen.^)
§ 1. DieKttstenflora.
Wie man klimatische Zonen unterscheidet, so auch Pflanzen-
zoBen oder natüriicbe Floren, die durch Ortliehe und klimatische
Schranken von einander gesondert sind. Grisebach, welcher die erste
Tergleiehende Darstellung Ton der Vegetation aller Erdtheile gegeben
hat, nimmt im Ganzen 24 verschiedene Gebiete an. Davon erstrecken
sich 4 über die Länder, welche den Schauplatz der Alten Geschichte
ausmachen : im Norden das Waldgdiiet der Ostüchen HemisphSre, im
Süden das Saharagebiei dei* africaniscken und «rabischen Wüste, im
Osten das Steppengebiet des inneraaiatischen Hoddanda, endlich in der
Mille das mediterrane Gebiet, welches die Küsten Spaniens Sodfrank-
reichs Italiens Griechenlands der Krim Kleinasiens Syriens Kyrene^s
Africa's von den Syrien bis zum Ocean umfafst« Der ganae Bezirk leitet
in kÜHMtischer Hinsicht denUebergang von der gemalsigten zur heifsen
Zone ein, so auch in seiner Vegetation, welche ihren mit dem übrigen
Europa gemeinsamen Besitz um viele unter den Tropen heimische
Pflanze» bereichert. Die anfiserordentliche Hanmdifiilti^eit in der
plastischen Gestaltung der Länder, in der Vertheilung von Wärme wid
Feuchtigkeit macht sieh freilich sofort geltend. Grisebach zählt 4200
Arten von Gefikbpflanzen als Bestand der Mediterraiflora , aber nidit
mehr ab 500 Arten sind allen Theilen gemeinsam. Während im Nor-
den die Verbreitung der Pflanzen wesentlich durch das Klima bestimmt
wird , hat das gegliederte Mittehneer den natürlichen Austausch der
einzelnen Vegelationscentren unter einander ungemein erschwert. Der
Osten, Griechenland und Kleinasien, bekundet den Einflufs der Steppe,
der Süden den Einflufs der Wüste. Italien weist den anderen Ländern
gegenüber die gröfste Armut an endemiacben Pflanzen auf, ist dafür
aber am Reichsten von Gnlturgewtfehsen erfüllt. Doch wechselt ihre
Verbreitung, wie bereits S. 377 angedeutet wurde, nach den einzelnen
1) Alfh. ie Gandolle, G^^graphle botaniqoe raisonnie, Stom., Paris Ge-
D^e 18M. A. GiitelMeh, die Vegetation der Erde nach ihrer klimatisches An-
ordnung, ein Abrin der vergleichenden Geographie der Pflansen, 2 B^ Leipzig
1872. V. Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Uebergang ans Asien
nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa, historisch - lin-
gnistische Skizzen, Berlin 1870, 1883*. Th. Fischer, Beiträge zur physischen
Geographie der Mittelmeerlander besonders Sidlicna^ Ldpng 1877.
422 Kap. X. Die VegeUtion.
Landschaften sehr stark. Am Sttdfufs der Alpen, wo die Agrumen mit
geringem Schutz gegen den Winter fortkommen, empfängt eine wahre
Bltttenpracht den nordischen Wanderer und gaukelt ihm die lockend-
sten Bilder von dem Elysium vor, das er zu betreten im Begriff steht.
Aber das Land hält nicht, was der Willkomm in der Vorhalle versprach.
In geringer Entfernung von den Alpen wirkt das Schneegebirge er-
kältend ein, die Vegetation trägt einen wesentlich mitteleuropäischen
Charakter und kann höchstens als ein Uebergangsgebiet angesehen
werden. Dies gilt auch vom gesammten Appennin. Zwar entfaltet sieb
im ligurischen Littoral unter den hier obwaltenden besonderen Be-
dingungen (S. 377) eine vollkommen subtropische Flora; aber dieselbe
kehrt erst bei Gaeta und Neapel wieder, in Etrurien und Latium fahren
Palme und Orange nur ein treibhausartiges Dasein. Im AUgemeineo,
kann man sagen , nimmt nach Süden foitschreitend die Vegetation an
Reichtum zu, insofern jede folgende Zone den Bestand der vorher-
gehenden bewahrt und durch neue Arten vermehrt: es ward schon
S. 379 bemerkt, dafs der Oelbaum auf der Halbinsel, die Agrumen in
Unteritalien und Sicilien hinzukommen. Indessen ist es nicht möglich
einzelne Abschnitte durch scharfe Grenzlinien zu trennen : die Erhe-
bung des Landes schränkt die mediterrane Flora oftmals auf einen
schmalen Küstensaum ein. Die Höhen , bis zu denen die einzeben
Vertreter derselben aufsteigen , schwanken sehr bedeutend (S. 225).
Auch wenn der Oelbaum, welchem in geschichtlicher Hinsicht die
gröfste Wichtigkeit beizulegen ist, zum Mafsstab gewählt wird, läfst
sich ein fafslicher Mittelwert nicht erzielen ; denn erreicht auf Sicilien
bis 900 m, auf der Halbinsel bis 700 m (Fuciner See), bei Nizza bis
780 m, aufCorsica (nach Marmocchi) gar bis 1160 m. Die örtlichen
Verhältnisse wie die auf den Anbau verwandte Soi^falt kommen in
Betracht um diese so weit aus einander liegenden Werte zu erklären.
Immerhin ist bei allem Wechsel der Erscheinungen das gemeinsame
Band nicht zu verkennen. Wie der Oelbaum am besten in der Nahe
des Meeres gedeiht 0, so trägt auch diese ganze Flora einen littoralen
Charakter.
Die gesteigerte Mannichfaltigkeit der Formen und Erscheinungen
des südlichen Pflanzenlebens gelangt bei der doppelten Unterbrecbiiog
desselben durch die sommerliche Dürre und die sinkende Wärme im
Winter zum lebhaften Bewufstsein. Allerdings entwickelt es sich mit
1) Theophrast h. plant. VI 2, 4.
§ t. Die Küstenflora. 423
ungleich grorserer Kraft im Frühling als im Herbst: Grisebach ver-
gleicht die Frühlings- mit unserer Sommerflora , die Herbst- mit un-
serer Frühlingsflora. Aber die immergrünen Gewächse sind es doch,
die der Landschaft ihren Charakter verleihen, indem sie die laubabwer-
fenden Bäume wie Wallnufs Feige Aprikose Kirsche Mandelbaum u.s. w.
in der Culturzone durchaus in den Hintergrund drängen. Sie stehen
weit hinter dem Wuchs unserer Waldbäume zurück. Wie die Menschen
des Südens kleiner sind als die Nordländer ^) aber auch zierlicher, so
leichnet das nämliche Ebenmafs die Vegetation aus. Die Niedrigkeit
des Wuchses erklärt sich aus ihrer tropischen Herkunft; denn diese
Bäume erreichen am Mittelmeer ihre Polargrenze , wo überhaupt die
Pflanzen zu verkrüppeln pflegen, gehen deshalb auch gern in Strauch-
form über. Sie sind, wie S. 402 bemerkt, immergrün d. h. erneuern
ihr Laub, bevor das alte abgefallen ist. Während der Dürre steht ihr
Lebensprocefs still: auf das dicke starre gegen Verdunstung geschützte
Blatt ist die Aufmerksamkeit schon früher hingelenkt worden. Allen
gemeinsam ist die lange Dauer der Vegetationsperiode sowie die Em-
pfindlichkeit gegen Winterkälte. Indem wir die Zusammensetzung der
Hediterranflora kurz betrachten, schliefsen wir uns wie überhaupt in
diesen Erörterungen eng an die lichtvolle Charakteristik Grisebachs an.
Die immergrünen Laubbäume gehören vorwiegend der
Lorbeerform an, deren breites Blatt an das der Buche erinnert. Ihren
für die Cultur bedeutsamsten Ausdruck erhält sie durch die A g r u m e n
oder Edelfrüchte: die Limone oder Citrone (citrus medica) und die
Orange oder Apfelsine (citrus aurantium duke) in einer Menge von
Spielarten. Sie sind auf die südlichste Zone Italiens beschränkt (S. 379) ;
ihr Vorkommen an der Riviera und den lombardischen Seen fällt nicht
ins Gewicht Sie ertragen die grOfste Hitze, verlangen nur viel Feuch-
tigkeit — eine Erinnerung an ihre tropische Heimat — und müssen
von Mai bis September künstlich bewässert werden : wo dies nicht
möglich, ist ihr Anbau ausgeschlossen. Der Stamm wächst nie über
10 m, gewöhnlich 7 — 8 m hoch. Er trägt fast ohne Unterbrechung
Blüten und Früchte: geerntet wird im Winter von November bis März,
doch auch später bis in den Juli hinein. Man kann nichts Reizvolleres
als diese die brettischen und sicilischen Küsten in weitester Ausdeh-
nung bedeckenden Agrumenhaine denken : ein köstlicher Wolgeruch
1) Golom. ni 8 rerum naUira Germaniam decoravii altissimorum homi-
*»*«« exerciHbu*.
424 Kap. X. Die Vegetation.
erfüllt die G^end Meäenweit. Dazu ist der Anb^u Überaus gewinn«
reich: der Hektar briiigt 4000 FraiMiea Kohgewiqn uad mehr, den
Wert der Ausfuhr Siciliens schätzt Fächer auf 80 Millionen« Der Lor*
beer (huirus »aftt/fiX welcher dieser Form de^ Hainen geg^n« bildet
in der Regel nur 2 — 3 m bo^ Strflucher, obersebreitet auch ala Baum
nicht eine H(die von 8 m. Das Näinliche gilt ?on d^m verwandten Hol*
^nstrauoh {ilex aquifQUum)y der übrigens in Strauckfonn Ober West-
europa bis nach Norwegen hinauf verbreitet ist. DiQ Aurantiaceen wie
der Loi'beer sind in geschichtlicher Zeit Mch Italien verpQanit wor*
den« Dagegen sind als einheimische Vertreter der iorbeerform die
immergrünen Eichen anzusehen, welche den taub^v^erfendeo
an Umfang und Hi^ie entfernt nicht gleicti kommen^ Unter den ver-
schiedenen kleinblätterigen Arten sind zu pems^n die Steineiche (fiier-
cus iUso} mit bleichem Laub, die Qoccuseiche {quffcm coicifara) mit
glänzendem tiefgrttnem Laub, die alle 6 Jahr ihre Rinde abwerfende,
Übrigens der Steineiche ganz ähnliche Korkeiche {pmcimmbmr). Außer-
dem giebt es noch eine Korkeiche mit gekerbtem Blatt (fuerciufacud^-
jttier), deren Rinde minder brauchbar ist. Die Olivenform, deren
schmales Blatt denjenigen der Weide entspricht, wird durch den Oel-
bäum (oka ewapa$a) allein vertreten. Niedrig knorrig mil dtinnem
blassem Laub ist er überaus zäh , erträgt eine vorübergehende Kälte
von mehreren Graden wie grobe Hitze, eine 4 — 5 n^onatliche Dürre
yrie reichHchen Regen. Aber wegen seiner laugen Vegetationsdauer
hält er die niedrige Wintertemperatur des {^olands nicht aus. e^fernt
sich auch nicht gar zu weit von der Meeresküste und verlangt Kalk-
felsen ads Untergrund. Auf seine Einführung und BedeutUQg für die
antike Volkswirtschaft kommen wir in der Folge zurUck. Die Karube
oder Johannisbrotbaum (ctfrtUOMiDKiitgNa) mit immergrünem geftedertem
Blatt erreicht meistens nur eine Hohe von &--6m, bei besonderer
Pflege doch auch 20 m : die süfse fleischige Fruc^ wird gegesseip^ Ein-
fach gefiedertes Blatt haben die verschiedenen Arten der Pistazie, die
iu ItaMen in der Regel zu Sträuchern verküipamern» im Norden dessel-
ben auch wol ihr L^tub im Winter verlieren. Hierher geh(Hrt.di^ Pistazie
mit ihrer würzigen Nufs (pitfacta vero), der Mastixbaum (ptlncta te-
tiscu»\ der Terpentinbaum {fistaaa tirebzntlms)^ der einep roten Farb-
stoff liefernde Perrükenbaum (riu$ colmitf), der Svagiach (Mus can-
arid), aus dem eine feine Gerberlohe gewonnen wird, die einen sehr
wichtigen Handelsartikel darstellt: aus Palermo wurde 1875 füJC 17Vs
Hillionen Franken ausgeführt. Zahlreich sind die immergrüneo
) 1. Die Kfistenfloia. 425
Laubgewächse, die sich nicht zur Höhe toü Bäumeii erheben^ da«»
gegea die Hacchie , die dem Süden eigentttmlicheB Buschwälder und
überhaupt alle Striche, welche die CuUur ihnen preisgegeben hat, an-*
Allleo. Unter ihnen ist die grofsblätterige Oteanderform mit ein^
Reihe ven Gattungen vertreten. Der Oleander (nermut efamdcr), des«*
seu Name aus ^odoieydfov (^odadafvrj Roaenlorbeer) entstellt ist,
sohmflckt die Kiesbetten der Fiumaren mit seinen UebHchen Blüten.
Der Erdheerhaum {arhitus umio) trägt eine unserer Erdheere ähnliche
Fracht, die aber von den Südländern in alter und neuer Zeit ver-
sehffläht wurde. Auch die Myrtenform mit kleinem dichtgedräng-
tem Blatt nimmt in der immergrünen Vegetation eine ausgezeichnete
SteUong ein. Ihre bekanntesten Arten sind die Myrte [myrtus com--
munii) der Buchsiiaum {busm$ ampemmns) und der oben erwähnte
Mastiibaum. Durch die Hohe ihres Wuohses erregt die Baumheide
{mea oriarefl) unsere Aufmerksamkeit, da sie nicht blos wie die Erica
auf deo Mooren Deutachhnds am Boden hinkrieoht sondern stattlich
gleich einem Oleander aufschiefst. Dazu kommen die versohiedenen
Cietusarten , die im FrtthHng mit weifsen oder roten Roeen beladen
»od, das hlalitloae Spertium, an dessen langen Ruthen zu derselben
Jahres^it groi»e Blumen prangen, der Traganth (aUragiUus aristatus)
Had viele andere Dornsträuoher.
Unler den lauhahwerfenden Waldbäumen deutet die Ka-
alaaie {uufanea vesca) durch das feste Gewebe ihres lebhaften fbinge*
9M$ktM Blattes die grofsere Widerstandsfilhigkeit gegen die Sonnen-
hitze an% Für die Ernährung der Gebirgsbewohner in Corsioa wie im
Appennin ist die Frucht vdcfatiger als Getreide ; daher erklärt sich ihre
weite Verbreitung. Sie hält auch in der Ebene aus ebenso wie Ulme
(ulimia eamfeß^rü) und Pappel (fOfmhu Ma und /rentttfa), deren Laub
als ViehfttUer dient Dagegen flüchtet sich die zartere Buche (fag%»,
ähatica) ins Bochgehirge. Die Eichen befaiuben sieh später und be-
gegnen deshalb der einbrechenden Hitze in veHer Kraft; doch ver-
kümmern auch sie leicht und gehen in StraucUem über. Italien zählt
etoe H^ke von Arten : {uaretis oari$^ q. ro6tcr, g. ptiiesceM, q, pedun--
cHbOa VL a., die neben den immergrünen gewisser Mafeen eine Ver-
mittlung zwischen Mittel-» und Südeuropa herstellen. Unter den Gul-
turbäumen erinnern an die BhttbiUung der Buche der Maindelbaum
(amygtUii^i communis) y der in Sicilien schon von Mitte December an,
in Rom Anfang Februar, am. Rhein im AprU sein festliches milcbweifses
fiiütengewand anlegt; dw Granatbaum (punioBkgranatum)^ dessen pur-
426 Kap. X. Die VegeUtion.
purroter Apfel den Alten als ein Symbol der Fruchtbarkeit galt; der
schwarze und weifse Maulbeerbaum {morus nigra und alba), von denen
dieser die Seidenraupe nährend, den heutigen Reichtum der Lombardei
begründet hat. Unter den Eschen ist die 6 — 7 m hohe Mannaesche
(fraxinuB omus) zu nennen, die schon in den südlichen Alpenthälern
wild wächst: ihr Saft liefert einen Handelsartikel. Die nordische Birke
{betula cdba) kommt weit seltener als die Buche vor und nur in den
höchsten Lagen. Wichtiger ist eine Erle {alnus cordifolia) und als
Zierbaum die schöne von den Alten gefeierte Platane (platanus orien-
talis), die nur einen Monat Winterruhe fordert, während die aus Ame-
rica eingeführte und auch in Mitteleuropa verbreitete plaianus oeädtH-
taUs 4 — 5 Monate ruht Durch seine gesunde Nährfrucht zeichnet sich
der in vielen Spielarten entwickelte Feigenbaum (ficus carica) aus.
Andere nach dem Norden verpflanzte Obstbäume können Obei^ngen
werden. Unter den Gesträuchen mit periodischer Belaubung sei eine
zierliche Verbenacee (vitex agnus castus) genannt, die mit dem Olean-
der zusammen die Fiumaren belebt.
Die Nadelhölzer sind nicht wie im Norden auf die oberen
Bergregionen beschränkt, sondern dringen bis unmittelbar an dieKflste
vor. Man unterscheidet zwei Hauptformen: mit ausgebildeter (Pinus-)
oder unterdrückter Blattnadel (Cypressenform). Die Pinie (pnm
pinea) mit ihrer gewölbten Krone ist einer der hervorragendsten Cha-
rakterbäume Italiens. Sie hält sich in der Nähe des Meeres und dringt
über den Appennin bis Ravenna, wo sie einen berühmten Küstenwald
bildet. Die Kerne ihrer Zapfen sind als Leckerbissen geschätzt. Von
der Ceder (pinus cedrus), mit der sie in der Anordnung der Nadeln am
Ende der Zweige übereinstinunt, weicht sie durch die ausgezeichnete
Wölbung ihrer Krone ab, die bei jener sich flach ausbreitet. Die Aleppo-
kiefer (pinus htUepensis) bleibt an Gröfse hinter ihr zurück, ebenso die
Strandkiefer (pinus pinoMter), Im Gebirge findet sich neben der nordi*
sehen Kiefer (pinus silvestris) die mächtige Lariciokiefer (pinus brtlao)
als wichtigster Waldbaura , ferner der Eibenbaum (taxus baeeata) und
die Edeltanne (pinus picea). Wie S. 224 bemerkt, fehlt die Fichte oder
Rottanne (pinus abies). Neben der Pinie ist die schlanke Cypresse
(cupressus sempervirens) recht eigentlich eine Vertreterin der mediter-
ranen Landschaft. Ihr dunkles schwärzliches Grün machte sie zum
Sinnbild der Trauer. Sie wächst überaus langsam und dadurch er-
langt das Holz eine Festigkeit, die den gewöhnlichen Nadelholzern
durchaus abgeht. Verwandt ist der Wachholder, der aber in Italien
§ 1. Die Kastenflora. 427
sich nicht zu höherem Wüchse erhebt und ia verschiedenen Arten
(iunipents phoenicea^ oxycedrus, maerocarpa) an der Bildung der Busch-
wdlder theil nimmt.
Das Tropenklima erhält seinen reinsten Ausdruck durch die Fa*
roilie der Palmen. In der südlichen Zone Italiens begegnet die Dattel-
palme {phoenix daetylifera) den Blicken nicht so gar selten, trägt auch
bei der nötigen Pflege reife Datteln. Doch beansprucht der stolze Baum
keine Bedeutung im Volksleben. Wol aber ist dies der Fall mit der
einheimischen Form dieser Familie, der Zwergpalme {chamaerops hu-
milis). Hier an der Nordgrenze des Verbreitungsbezirks verkümmert
die Form: von Stamm ist kaum die Rede, die langgestielten immergrü«
nen Blätter schicfsen unmittelbar aus dem Boden hervor. Die Aehn-
lichkeit des Fächerblattes mit den ausgespreizten Fingern der Hand
hat ihr den Namen palma verschafft. Sie entfernt sich nicht vom Meer,
kommt vereinzelt an den ligurischen und tyrrhenischen Felsküsten,
massenhaft in dichten und weiten Beständen auf Sicilien vor. Mark
und Früchte sind elsbar, aus den Blättern werden Besen Körbe Stricke
u. s. w. gefertigt.^) Ein nützliches aber erschreckend hufsliches Pflan-
zengebilde hat America den südlichen Mittelmeerländern mit der Ca c-
insteige {opuntia fims indica) bescheert. Da sie mit dem dürrsten
Felshoden vorlieb nimmt, ist sie in Sicilien und Sardinien weit ver-
breitet Jedes Jahr wächst ein etwa fufslanges Glied im Zickzack her-
aus, wahrend die älteren Glieder verholzen, bis zur Höhe von ca. 6 m.
Die Ende Sommers reifende Frucht ist für die Volksnahrung von einer
Wichtigkeit, die derjenigen der Kartoffel im Norden gleicht. Sie wird
in Hecken gezogen ; andere noch stachlichere Arten gewähren einen
undurchdringlichen Schutz. Bis an die Alpen dringt die aus derselben
Heimat stammende Agave (agave americana) vor, gleichfalls ein blei-
g;niue8 Felsengewächs. Die schmalen domig gezahnten bis 2 m lan-
gen Blätter bilden eine Rosette, aus welcher im Frühling der 5 — 6 m
hohe nackte Blütenschaft emporschiefst, in einer überhängenden Rispe
von gelben Blumen endigend. Die Blätter werden gewerblich ver-
wandt. Ein verkleinertes Abbild stellt die Aloe (aloe vulgaris) dar,
welche von den canarischen Inseln eingewandert ist. Schon im Alter-
tum war das riesige 4 — 5m hohe Rohr (arundo donax) eingeführt,
das in der südlichen Wirtschaft den Mangel an Holz ersetzen mufs:
der Leser des Horaz weifs, dafs es für die Kinderwelt als Steckenpferd
1) Theophr. h. plant II 6, 1 1 Gic Verr. V 87 Hör. Sat II 4, 83 Varro RR. 1 22.
428 Kap. X. Die VegeUtion.
diente wie unsere Haselstaude. Die Anlage eines Röhrichts (arunih-
nHum) gehört seit Cato's Zeiten zam Gutsbetrieb, i)
Von Gramineen hat Italien zaUreichere Arten ab üittelenrepa
aufzuweisen; doch besitzen dieselben in materieBer Hinsicht einen
weit geringeren Wert. Für die Wiesenkrfluter, welche einen geschlos-
senen Rasen bilden, wird auf der Halbinsel die Luft zu trocken und
die Kraft der Sonne zu grofs (S. 375). fänjfthrige Gräser herrschen
^or, die staudenfBrmig wie die Halme eines Getreidefeldes wachsen
und gleich diesen rasch vergehen (S. 403). Sie genügen weder im
Gebirg noch in der Ebene zum Unterhalt Ton Grofsvieh und deshalb
ist die VicAizucht groTsen Stils auf Schafe beschränkt (S. 226). Aufeer-
dem wird die LaubfQtterang au^iebig angewandt. ^Gieb den Ochsen
Laub von Ulmen Pappeln Eichen Feigbäumen, so lange du davon hast,
den Schafen grUnes Laub, so lange du davon hast,** rät Gato c. 30 und
füttert auch im Winter aus Mangel an Heu seine Ochsen mit EidMo-
und Epheublättem (c. 54). Den Charakter der niederen Vegeta-
tion schildert Grisebach in folgenden Sätzen: „die Hatten umfassen
die grOftte Mannichfeltigkeit der verschiedensten Kräuter, dazu nech
die Halbeträucher und den Schmuck der Zwiebelgewächse. Der Bifl*
tenschmuck wediseh von Woche zu Woche, aber ist während des
Frühlings immer reich zu nennen, rricher ab in irgend einer Forma-
tion höherer Breiten. Auch an Schönheit und Bedeutung einzclier
Stauden- und LHiaceen-Formen Übertrift die Hediterranflora das nörd-
liche Europa bei Weitem. Es ist gewifs unter den vieUadMn Vorzügen,
welche dem Altertum zu Theil wurden, nicht gering anzuschlngen, daß
der Naiursinn der Griechen nicht blos durch die glänzendere und rei*
chere Färbung der Landschaft belebt wurde, sondern auch daith
schönere Gestaltungen des organischen Lebens, aus denen er die Stu*
dien zu seinen Kunstwerken schöpfen konnte. Wo giebt es in Norden
eine Pflanze , die in gleichem Grade wie das Acanthus-Blatt sich tm
Zierrat von Arabesken eignet und zugleich durdi die gedrängte Aehre
von prunkenden weifeen BhtCen zur Betraefatnng des in sidi Velkn-
deten einladet? Aber mit feinem Geschmack wnftte die griechische
Kunst das Geeignete auszuwählen. Die Aufgabe die Gebilde der Namr
in plastischen Ornamenten nachzuahmen löst sie, indem sie das BbU
des Acanthos zum Schmuck der korinthischen Säule verwende! und
die Ueberladung mit gedi*ängtett Blumen verschmähend, dem eis*
1) Sat II 3, 248 equitare in arundm§ longa. Cato BK 6 Vartal 24 GoLlV 31
§ 2. Der Wald. 429
fächeren Bau der Lilie den Vorzug giebt. So sind zwar der Oelbaum
und Poseidons Fichte in ihre Gotlerwelt verflochten, aber nur der
ebenmüfsig gerundete Zapfen der Pinie dient den Thyrsusstab zu krö-
nen, und das ewig grünende Laub des Lorbeers die Stirn für hervor*
ragende Leistungen zu bekränzen. Es ist eben der Voriheil des gröfse*
ren Reichtums organischer Bildungen den Regungen der Phantasie
einen weiteren Spiefarauno zu bieten. Kaum ist der kurze Winter vorn-
über, 80 bedeckt sich die Flur mit den Blüten unzähliger Zwiebelge-
wächse. Es ist die Zeit der Narcissen , der Tulpen und Hyacinthen,
des Crocus und der Orchideen, deren Ernährung viele Monate in den
unterirdischen Organen vorbereitet ward und deren Blütenpracht nun
in wenig Tagen vorübereilt Dann folgen die verschiedensten Kräuter
und Stauden, die einjährigen Leguminosen, die im Frühlingsregen
keimen und oft schon, ehe die Keimblätter verdorrt sind, ihre Blüten
und Früchte entwickeln, aber schon zu dieser Zeit ist das Wachstum
so mächtig, dafs aus dem Teppich der kleineren Gewächse üppig
wuchernde Synanthereen und Umbelliferen sich hoch erheben. In
der Provence beginnt die Blüte des Acanthus schon im April, zugleich
mit der des weifsen Asphodelus und einer gelben Doldenpflanze (/*€-
mfa), deren kräftiger Stengel zuvor zu Mannshohe aufgeschossen ist.
Je näher die trockene Jahreszeit heranrückt, desto mannichfaltiger wird
der Blumenflor von Synanthereen und von aromatischen Labiaten, und
je später sie blühen, desto mehr neigen die unteren Stengeltheile zur
Holzbildung, so dafs solche Gewächse, die man Balbsträucher zu nen-
nen pflegt, sich leichter im Sonuner zu erhalten vermögen. Auch diese
Art des Wachstums gehört zu denen, die in den Savanen der tropischen
Zone noch viel allgemeiner werden und die Matten der Mediterranflora
mit ihnen verknüpfen. So üppig aber auch und so mannichfaltig die
Vegetation dieser Matten unter dem Einflufs der Feuchtigkeit werden
kann, so ist doch ihr Wert für die gröfsere Thierwelt nur gering. Sie
scheinen vim der Natur viel mehr für die Insekten als für die Säuge-
thiere bestimmt zu sein/*
§2. Der Wald.
Das heutige Aalien gehört zu den waldarmen Ländern. Nach der
officielleo Statistik sind im Königreich 664 d. DM. oder 12,34 Procent
der gesammten Bodenfläche, wenig mehr als in Griechenland (11 p. C),
mit Wald bestanden. Die einzelnen Provinzen schwanken hinsichtlich
ihres Besitzes sehr stark. Sicilien mit nur 3,49 Procent kann als das
430 Kap. X. Die Vegetation.
waldärmste Land Europa*s betrachtet werden. Für Sardinien steigt
die Ziffer auf 24,57, für die Provinz Rom auf 20,91, Brescia und Ber*
gamo 28,42 Procent u. s. w. Freilich würden diese Ziffern eine viel
zu günstige Vorstellung erwecken, wenn man unter dem was die Sn-
tistik Wald nennt, dasselbe verstände was das Wort diesseit der Alpeo
bedeutet. So soll Corsica 1250 Dkm enthalten, enthält aber nur drei
wirkliche Gebirgsforsten, im Uebrigen fast wertloses Gestrüpp. Aehn-
lieh verhält es sich mit den beiden anderen Inseln und der Halbinsel.
Die Italiener bezeichnen diese eigentümliche Vegetationsform mit dem
Namen Macchia (macula) im Gegensatz zum offenen freien Lande.
„Hier — schreibt Hehn — zeigt die Pflanzenwelt deuthch die WiriiaD-
gen eines trockenen Kiima's. Struppige Kräuter, die dem Brand der
Sonne widerstehen, starren pfriemenartig immergrün gewürzhafl duf-
tend an den Stirnen und Abhängen der Felsen; die Bäume, am Auf-
streben gehindert, breiten sich als dornige ästige von Schlingpflanzen
dicht durchzogene Büsche und Sträucher am Boden aus. Den unvor-
sichtigen Wanderer verwunden von allen Seiten die zu glatten scharfen
Nadeln verhärteten Haar* und Blattorgane dieser sttdUchen Heidepflan-
zen, die aufserdem noch oft mit klebrigem Saft gegen die Bertthrung
gewaffnet sind. Hier ist der Bezirk des Arbutus- und Lentiscusstrau-
ches, der Stechpalme und der Kermeseiche, des Cistusgebflsches, der
Myrten- und Wachholderarten^ der scharfen Stechwinde u. s. w.^^ Dies
ist die traurige Erbschaft, welche die Zerstörung des Baumlebens in
ihrem Gefolge hat, immerhin noch besser als der Adlerfam (ptern
aquüina), der weite Flächen in Besitz genonunen hat, vom Vieh nicbt
angerührt wird und wegen seiner tiefen lebenskräftigen Wurzeln nahen
unausrottbar ist.^ Wie hoch nach Abzug des Gebüsches der eigent-
heb Waldbestand Italiens sich stellt, ist schwer zu sagen. Es kommen
noch Eichen von 8 m Umfang vor und die Lariciokiefer, die schönste
Conifere Europa's erreicht noch eine Höhe von 40 — 50 m. Aber der*
artige Erscheinungen fallen schon unter den Begriff des Vorweltbcbeo,
ihr Anblick wird nur Wenigen vergönnt, die Mehrzahl der Italiener
weifs gar nicht wie ein Wald aussieht. Fischer erzählt, dafs die Bauern,
welche aus dem Inneren nach Palermo kommen , mit grofsen Augen
die Ulmen und Platanen der öffentlichen Gärten an^unen, die unge-
heure Riesen sind neben den Culturbäumen des Südens und ihnen hier
zum ersten Mal zu Gesicht treten. Die vorhandenen Reste von Hoch-
1) Vgl. Celano. U 2 Plin. XVfll 45.
§ 2. Der Wald. 481
wald im Gebirg verdanken ihre Erhaltung nicht der Einsicht der Be-
sitzer, sondern der Unzugftngüchkeit und dem Mangel an Abfuhrwegen.
Seit Eröffnung der Eisenbahnen in Bruttium sind die Forsten der Sila
und Serra S. Bruno ernstlich bedroht. Wo die Ausfuhr der Stämme
nicht lohnt, werden Sagemühlen sich einnisten um sie zu verkleinern.
Im Uebrigen sorgen die Köhler schon jetzt dafür das Holz in eine trag-
Hlhige Gestalt umzuwandeln. Die Verwüstung hat in unserem Jahr-
handert ihren Hohenpunct erreicht; z. B. bedeckten die Wälder des
Aetna zu Anfang desselben noch ca. 9 d. OM. und sind gegenwärtig
auf weniger als die Hälflle zusammengeschmolzen. Sollte sie in der bis-
herigen Weise fortbetrieben werden, so liegt die Zeit, wo der letzte
Hochwald Italiens f^llt, in absehbarer Nähe.
Der unerbittliche Krieg, den die Cultur gegen den Wald führt, ist
so alt wie die Geschichte und die Vorbedingung für allen menschlichen
Fortschritt. Eine Berechnung hat ergeben, dafs auf der untersten Ge-
sellschaflsstufe, die ausschliefslich vom Ertrag des Waldes lebt, der ein-
zelne Kopf zu seinem Unterhalt einen Jagdgrund in Anspruch nehmen
mufs, der unter der Herrschaft entwickelter Lebensformen mehr als
500 Kopfe ernährt. Die Axt lichtet den Urwald zu langsam, das Feuer
wird zu Hülfe gerufen 0 ; das frühe Altertum mag oft genug das Schau-
spiel genossen haben, das Homer schildert 2):
<ig (J* avafiai/idei ßad^i^ äyxsa ^eomöahg nvg.
ovgeog d^aXioio, ßa^eta Sh xalerai vhj,
navTtf te xlovii»v aveßoq ipXoya elXvipat,€i,
In Lichtungen siedelt der einzelne Stamm, die einzelne Gemeinde,
durch Wald von den Nachbarn geschieden. Nach altlatinischer An-
schauung fallen die Begriffe Wald und Grenze zusammen : Silvanus ist
der Schutzherr von beiden. Wenn bei der zunehmenden Rodung die
Thäler geklärt sind, so bleibt der Bergwald im Gemeinbesitz s) und
dieser Umstand trug vermutlich zu seiner Erhaltung nicht unwesent-
lich bei. Den Hellenen galt Italien seit alten Zeiten als ein Wald-
la nd. Sie dachten dabei ursprünglich nur an die Sila, deren Beschrei-
bung schon S. 246 angefahrt wurde und die ihren Ruhm vom Ausgang
des fünften Jahrhunderts V. Chr. bis auf unsere Tage herab gerettet hat. 4)
1) Plin. XYIII 46. 47 Strab. XIV 6S4 Colrnn. II 2.
2) ü. XX 490 vgl. Lncr. V 1245.
3) CIL. 1 199, 33 fg. Rodorff Grom. Instit. 311.
4) Thucyd. VI 90 ixovif^ xfiq "iraklag ft'Aa cry^ova Athen. V 208c Strab.
VI 261 Plin. in 74 XIV 127.
482 Kap. X. Die VegeUtion.
Um 300 V. Chr. ist ihre Kunde weiter nach Norden gerückt: Theophnst
weib dafs die grorsten Bftume im Westen sich finden , grober als die
Cedern vom Libanon und Cypem« weifs ferner dafs Latium das bret*
tische Land^ Corsica (S. 364) das latinische übertrifft Er schreibt i):
,,das Land der Latiner ist ganz feucht und die Ebene enthält Lorbeer
und Myrten und bewundernswerte Buchen; denn man fUlt so lange
Stamme, dafs ein eintiger ohne Ansiückung zum Kiel der Tjrrhener*
schifife ausreicht. Das Bergland enthält Fichten und Tannen. Der hohe
Bergstock der Kirke ist dicht bewachsen mit Eichen Tielem Lorbeer
und Myrten. Die Eingebornen sagen dafs Kirkt hier wohnte und zei-
gen das Grab des Elpenor, aus dem Myrten in Guirlandenform wacli-
sen, während die anderen Myrtenbäume grofs sind.^* Wir lernen hier*
aus die wichtige Thatsache, dafs die B u ch e im Altertum nicht wie jetit
auf die höheren Regionen beschränkt war, sondern sich bis an die
Küste erstreckte. 2) Grisebach hatte — mit einer Unterschätzung und
Vernachlässigung der historischen Tradition, die sidi an dem trefflichen
Gelehrten gelegentlich bitter rächte — die Meinung ausgesprochen,
dafs die Küstenregion von Anfang an wenig bewaldet gewesen und die
Strauchvegetation eine ursprQnghche sei. Allein an den bestimmten
Zeugnissen, dafs der Wald ehedem in Corsica und Latium so gut wie
an der Nordsee die Ufer umsäumte, läfst sich nicht rütteln und die
Myrte, welche gegenwärtig an der Bildung der Macchie so hervor-
ragend theilnimmt, erscheint bei Theophrast durchaus als Baum. Die
ältere Kriegsgeschichte bietet zahlreiche Belege für den Waldreich-
tum Italiens. Des Ciminischen Waldes, den Livius mit den Wfldnissen
Germaniens yergleicht, ward S. 257 gedacht: man mag in diesem Ver-
gleich eine Uebertreibung sehen, so äufsert sich doch in der ganxen
Auffassung eine alte vertrauenswerte Tradition. Der Abstand gegen
heute, wo einzelne dünne Stämme trübseUg aus dem Gebüsch hervor-
ragen^ fällt jedem Besucher in die Augen. Die nackte Gegend Ton Gau-
dium war 321 v. Chr. dicht bewaldet; bei Bene?ent, dessen Umgegend
zu den kahlsten der ganzen Halbinsel zählt, wurden 275 t. Chr. die
grofben und dichten Wälder für König Pyrrhos zum Verderbeo.')
1) Eist plant, y S, 3. Eine Eiche von 10 m Umfang bei ThscoIob erwthfit
Pün. XVI 242.
2) Klimatische Hindernisse standen am wenigsten im Wege, da die linde
noch jetzt in Palermo trefflich gedeiht, Fischer p. 152. Eichen und Buchen
in Rom Plin.XVI37.
3) LiT. IX 2 Plot Pyrrh. 25.
t 2. Der Wald. 488
Ohne Ueberfloüi an Holz wären die groben Flottenrflstungen gegen
Karthago undenkbar gewesen ; wie denn z. B. 264 ▼. Chr. 220 Schiffe
in 45 Tagen, 260 v. Chr. 100 Fünfruderer in 60 Tagen, 255 v. Chr.
220 Fflnfruderer in 3 Monaten, 205 ▼. Chr. 80 Kriegsschiffe in 1 1/2
Monaten gebaut und fertig gestellt wurden. ^) Als Poljbios um die Mitte
des zweiten Jahrhunderts t. Chr. das Poland besuchte, standen noch
zahb^iche Eichenwälder in der Ebene: die Eichehnast reichte aus um
ganz Italien mit Schweinen , dem gesuchtesten Schlachtvieh zu ?er-
sorgen.') Mit der Zunahme der Bevölkerung mufste der Wald immer
weiter zusammen schmelzen und bei den Grenzheiligtttmern bheb
schliefslich nur eine Baumgruppe übrig, die an sein ehemaliges Dasein
erinnerte. Auch von mutwilliger Zerstörung abgesehen , wurden die
Stämme in der Nähe allmähch für die Zwecke des menschlichen Lebens
verbraucht, durch Städtebau und Schiffsbau verschlungen. Der näm-
liche Hergang hat sich in den verschiedenen Ländern zu verschiedenen
Zeiten wiederholt Die niederdeutschen Seestädte haben die künuner-
liche Armut unserer Heiden verschuldet, Venedig die Steinwüsten auf
den Gebirgen an der oberen Adria geschaffen. In den Culturländern
des Ostens war zu Theophrasts Zeit das Bauholz bereits knapp gewor-
den, s) Unsem von dorther gebürtigen Berichterstattern macht der
Waldreichtum Italiens unter Kaiser Augustus einen tiefen Eindruck.
Dionys von Halikamafs erklärt in seiner Schilderung des Landes: „am
allerbewundernswertesten sind die Wälder der Berglehnen und Schluch-
ten und unbebauten Hügel, aus denen man viel schönes Holz für den
Schiffsbau, sowie viel für die anderen Arbeiten geeignetes in Hülle
und Fülle entnimmt Weder macht das Anschaffen Schwierigkeit noch
ist das Holz dem menschlichen Bedarf entrückt, sondern der Transport
geht allerwege leicht von statten mittelst der Menge von Flüssen, welche
die ganze Küste durchströmen und eine gewinnreiche Ausfuhr und
Umtausch der Landesproducte ermöglichen.*' Aehnlich berichtet Strabo,
dals die längsten und gröfsten Balken aus Etrurien den Tiber nach
Rom hinunter geflöbt wurden und dafs diese Stadt ungeheure Massen
von Bauholz verbrauchte. 4) Flöfse sind heutigen Tages auf dem Tiber
eine seltene Erscheinung (S. 318). Jene Beschreibungen gemahnen
1) PliD. XVI 192 Pol. 1 38, 6 Liv. XXYin 45, 21.
2) Pol. n 15, 3 Strab. Y 218 vgl. Uv. XXUl 24 XXXIY 22 ; XXI 25 bei Modena.
3) Bist, plant IV 5, 5 ß(^j^q S' iazl xonog 8q ^ei xal oXm^ r^v vav-
nrjyi^aifiov vkrpfi in Europa Macedonlen Thiacien Italieo.
4) Strab. V 222. 235 Dien. I 37 vgl Vitmv. H 10.
Niti«A, itaL Landedctuid«. I. 28
434 Kap. X. Die YegeUtion.
uns an den Anblick, den der Rhein gewfthrt mit den gewaltigen FlOben,
die aus dem Schwanwald zu Thal nach Holland treiben. In der That
mufs Rom mit seinen aus Fachwerk 5—6 Stock hoch aufgethOrmten
Mietscasemen f die ebenso häufig abbrannten wie unsere hohemen
Häuser im Mittelalter unter den Forsten des Appennin tüchtig auf-
geräumt haben. Wir sahen S. 169, dab es unter Kaiser Tiberius seine
Bezugsquellen nach den Alpen hin ausgedehnt hat: noch später be-
zieht es Brennholz aus Africa. i) An den Ruinen Pompeji's läfet sich
verfolgen, wie die Jahrhunderte fortgesetzte Vergeudung den Besitz zu
erschöpfen droht <) Die mächtigen Balken, welche im toscanischen
Atrium das Dach trugen, werden durch Säulen, das Kernholz durch
Mauerwerk ersetzt Ehedem hatte sogar die Befestigung der Städte
nicht aus Stein, sondern aus Pfahlwerk bestanden.') Aber der Anbau
▼on Arundo donax, den Gato empfiehlt, zeigt dafs der Landmann nach
billigerem Material für Weinpfkhle Umfriedungen Decken usw. auf-
schauen mulste, als der Wald ihm darbot Aufserdem ward durch die
Einftthrung von Cultuihäumen der Bedarf an Nutzholz in etwas ge-
deckt Und so sehen wir dasselbe noch in den letzten Zeiten von Pom-
peji in einem Umfang verwandt, der nach den jetzigen PreisTerhält-
nissen absolut unmOgUch sein wtlrde: für Treppen Gallerien Zimmer-
decken Hausdächer Erker und andere Dinge, die jetzt ausnahmslos aus
Stein hergestellt werden. Da der Wald im Altertum wie heut zu Tage
unter allen Formen der Bodennutzung die niedrigste Rente abwirft,
so ist nicht zu verwundem, dafs noch in der Kaiserzeit fortwährend
— sogar unter Anwendung von Feuer — gerodet wird.^) Selbstver-
ständlich ist solches in den einzelnen Landschaften nach einem ganz
verschiedenartigen Mabstab geschehen. Der Waldreichtum wird her-
vorgehoben von Bruttium (S. 431), der Sabina^), Etrurien^), den Alpen
(S, 170) und Ligurien. Letzteres mufste nach Strabo'O Oel und Wein
einfllhren, betrieb Wald- und Weidewirtschaft, besab viel zum Schifls-
bau geeignetes hochstämmiges Holz mit einem Durchmesser des Stam-
mes bis zu 8 Fufs, auch schön gemasertes für Kunsttischlerei, das den
1) Cod. Theod. Xm 5, tO dam Gothofredns.
2) Vgl. melDe Pomp. Studien p. 28.
3) Appian b. civ. I 51 YitroT II 9, 15.
4) Gato RR. 1 Goliim. 11 2 PUn. XYm 46.
5) Strab. Y 228.
6) Strab. Y 222 vg). Liy. XXYm 45, 18 PUd. Ep. Y 8, 7 RoL Nan. I 621.
V Strab. lY 202 Diod. Y 39, 2.
§ 2. Der Wald. 435
besten arricaDischen Arten nicht nachstand: von Genua dem Haupt-
markt der Landschaft wurden Hölzer Vieh Häute und Honig verschifft.
Was anfilnglich ein Segen war, ist bn Lauf der Zeiten ein Fluch
geworden. Die Alten machten bereits die Erfahrung, dab unverstän-
dige Rodung die Wasserläure zu Fiumaren umbilde (S. 294 A. 2).
Auf die weiteren Folgen derselben, den wachsenden Ungestüm der
Fltlsse, die ungünstigere Vertheilung der Niederschläge, die Steigerung
der Dürre, die Versumpfung der Thäler, die Beförderung der Malaria,
die Verödung weiter Landstriche ist im Verlauf dieser Darstellung oft-
mals hingewiesen worden. Bei den Alten ist mehrfach davon die Rede,
dafs die Zeugungskraft des Bodens sich erschöpfe und wir begegnen
sogar dem ganz modern klingenden Ausdruck lodanium.^) In Wahr-
heit war die Menschheit gealtert, nicht die Natur. Aber wenn ein
denkender Betrachter den Gegensatz erwogen hätte, den das niedere
Gebüsch oder die abgeschwemmte Berglehne zu dem jungfräulichen
Waid bildete, der ehedem hier gestanden, so wäre die Wahl jenes Aus-
drucks vollkommen berechtigt gewesen. Man hat behauptet, dafs alle
Schäden der Cultur wieder gut gemacht, dafs der Appennin neu auf-
geforstet werden könne. Wir geben die Möglichkeit theoretisch zu.
AUein die Einsicht von der Nützlichkeit einer solchen Arbeit würde
man bei einem Volke vergeblich suchen, das nur in der Zerstörung
des Waldes seine Freude gefunden, stets die Vorstellung des Unholden
FeindUchen , in der Gegenwart die des Brigantentums mit demselben
verbunden hat. Und wenn das Volk auch die Einsicht und den guten
Willen besftfse, so würde nur die entsagende Arbeit vieler Geschlechter
hinreichen um das SteingeröU in Waldboden umzuwandeln. Man darf
sich keiner Täuschung hingeben: der Untergang der nordischen Wald-
bäume, die einst ItaUen bedeckten, ist unwiderruflich besiegelt Einen
vollen Ersatz gewähren die fremden Baumculturen in wirtschaftlicher
Hinsicht, ihre Vermehrung wird auch in klimatischer Hinächt von
Nutzen sein. Freilich liest man oft bei unterrichteten Schriftstellern
die Behauptung, dafs die heutige Halbinsel noch immer wol bewaldet
sei. Um nicht gegen Männer von Gewicht mich auf das Zeugnifs
meinw Sinne berufen zu müssen, erscheint es zweckmäfsig eine Ueber-
sicht des Waldbestandes (S. 430) der wichtigsten Baumculturen sowie
des Pfluglandes der einzelnen Provinzen nach den ofßciellen Aufnah-
men mitzutheilen. Die Gröfse der Provinzen ist in Quadratkilometern,
der Umfang der verschiedenen Nutzungen in Procenten ausgedrückt
1) Golam. 1 1 Sen. nat. qoaest. DI 15, 4 Plin. XYII 40.
28*
436
Kap. X. Die Vegetation.
Wdiutock
OUve
Wdd
KatUnie
PaogUnd
PiemoDt
29 269
4,01
• • • •
15,81
2,21
26,19
Lombardei
23 527
5,88
0,19
15,64
3,4
39,8
Venetien
23464
10,36
0,15
11,22
1,03
37,41
Ligurien
7104
6,24
11,95
24,70
7.6
21,97
Aemilia
20 515
8,21
0.23
12,28
1,5
55,95
Toscana
22 273
9,85
5,36
?
5
35,52
Rom
11917
3,69
3,49
20,91
0,43
36,32
Umbrien 1
Picenum j
19 337
7,52
3,94
15,79
0,53
42,20
9
Abnizzen 1
Apulien J
39 401
6,78
6,85
7,66
1
38,94
Campauieni
Lucanien
45 911
5,32
3,03
11,93
1,5
39,81
Bruttinm
Sicilien
29 241
7,23
3,57
3,49
0,1
40,83
Sardinien
24 342
0,99
2,12
24,57
0,08
19,30
§3. Die Acclimatisation.
In einem Rückblick auf die Pflanzenformen der mediterranen
Zone fafst Grisebach das Ergebnifs dahin zusammen, dafs der AntheO
tropischer Familien an ihrer Zusammensetzung bedeutend erscheint
gegenüber Mitteleuropa, unbedeutend gegenüber dem östlichen Asien
und den wärmeren Gegenden Nordamerica's. „Am Mittelmeer giebtes
nur einzelne Arten Ton Hyrtaceen Laurineen Terebinthaceen Pahnen
und Acanthaceen, wahrend in den beiden anderen Gontinenten solche
Uebergänge zu den tropischen Organisationen viel zahlreicher in die
gemflisigte Zone eindringen/^ In der That war der freie Austausch mit
den Tropen durch die Wüste Sahara überaus erschwert, das schmak
Nilthal stellte die einzige natttrhche Verbindung zwischen ihnen und
dem Mittelmeer dar; endlich gab das Meer ein neues Hindemüs ab
(S. 421). Unter solchen Verhältnissen kann man sich weder über die
relative Armut der immergrünen Flora noch über die Erscheinung
verwundem, dab ihre meisten und wichtigsten Vertreter in historiscber
Zeit durch menschlichen Verkehr nach Italien gelangt sind. Aller-
dings werden einzelne Arten durch mechanische Ursachen verpflanit
sein, indem Meeresströmungen Winde Vögel vor Anbeginn der Ge-
schichte die Keime auf das Land übertrugen. Aber es liegt vermatlich
nur an unserer mangelhaften Ueberlieferung, daCs bei anderen Arten
§ 3. Die Acclimatisation. 437
die späte Einwanderung nicht ausdrücklich nachgewiesen werden kann.
Wenn z. B. die inunergrttnen Eichen als eine ursprüngliche Form gel*
ten (S. 424), so wird diese Annahme durch den Umstand erschüttert,
dais wenigstens die Korkeiche dem Altertum fehlte.^) Ferner sahen
wir (S. 432), dafs die Buche in Hittelitalien einstmals die Ebenen er-
füllte. Aller WahrscheinUchkeit nach trug die ganze Vegetation in
grauer Vorzeit denselben sommergrünen Charakter wie das heutige
Mitteleuropa. Durch Rodung ist Italien sonniger dürrer zur Aufnahme
tropischer Gewächse geeigneter geworden. Der Gang der Einwande-
rung war durch die oben angegebenen Bedingungen vorgezeichnet.
Die Pflanzen wurden tou Südosten her nach Sicilien und Grofsgrie-
cheoland yerbracht, wenige direct von Süden. Während sie also der
grofsen Axe des Mittehneers folgten, schlugen sie später eine andere
Richtung ein, indem sie dem Lauf der Küsten sich anschUefsend nord-
wärts vorrückten. Die Einwanderung, welche V. Hehn in meister-
hafter Weise geschildert hat, erstreckt sich von den Anfingen ge-
schichtlichen Lebens bis auf die Gegenwart herab. Sie gliedert sich
nach vier Hauptperioden, die wir in aufsteigender Linie verfolgen
wollen, um von der heutigen Vegetation aus ein Bild der Vergangen-
heit zu gewinnen.
Blit der Entdeckung America's und der Entwickelung oceani-
sch er Schiffahrt hebt eine Epoche des Austausches aller Erdtheile
anter einander an, deren Ergebnils wir zu übersehen aufser Stande
sind. Erst vor einem reichlichen Jahrzehnt ist aus Australien der blaue
Gummibaum {euealypttu globulu$) eingeführt worden, in dem die Ita-
liener den besten Verbündeten zur Bekämpfung der Malaria gefunden
zu haben glauben, der jedenfalls durch schnelles Wachstum und ti*e£r-
liches Holz dem waldarmen Lande reichen Segen verspricht« Seit
einem halben Jahrhundert verbreitet sich in Sicilien die japanische
Mispel {mobotkrya japonica)j ein 6 — 7 m hoher Baum, der im Herbst
blüht und im April reife Frucht trägt. Der Agrumenbau, auf dem
der Reichtum und die Zukunft der südlichen Landschaften zum guten
Theil beruht (S. 423), ist gar jungen Datums; denn die Goldorange
oder Apfelsine gelangte aus China 1548, die noch süfsere und würz-
haftere Mandarine (eürus maduremis) von der Insel Madura 1828 nach
Europa. Aus America erhielt der Süden den wichtigen Opuntiencactus
(S. 427) , der Norden den Mais (zea mats). Der letztere ist auf die
1) min. XVI 34.
438 Kap. X. Die Vegetation.
Zone mit Sommerregen beschränkt, sein Anbau in der Lombardei Ve-
netien usw. nimmt eine etwas grüfsere Fläche als der des Weizens ein.
America lieferte ferner die Kartoffel {solawum t^iberosum)^ die im Sflden
äufserst beliebte Tomate (soJanum lyeapenieHm\ den Tabak (ntcofioiia),
die Agave (S. 427), die Platane (S. 426), die lombardische Pappel Qw-
jnilus düatcUa) , die immergrüne Magnolie (magnolia grandifhra) , ver-
schiedene Acazien (robinia pseudacacia) u. a. Gleichzeitig wurde durch
das Vordringen der Türken der Blumenflor Europa's bereichert um
Tulpe (m/ipa), Syringe {syringa vulgaris)^ orientalische Hyacinthe {kj/a-
cinthus atientäUs)^ Kaiserkrone (frUiUaria imperialis) u. a., auch um die
stattliche Rofskaslanie (aesculus kippocaslanutn)
Dieser jüngsten Epoche geht das Mittelalter voraus, während
dessen die Araber im Umkreis des Mittelmeers, soweit sie geboten, die
Gewachse ihrer Heimat auszubreiten suchten. Es handelt sich um Ge-
wächse, die zwar dem Altertum bekannt, aber in Europa noch nicht
eingebürgert waren. Nachdem die Araber blühende Reiche in SicUien
und Südspanien gegründet hatten, ward das Versäumnifs nachgeholt
Sie verpflanzten den Reis (oryza sativa)^ der trotz seiner gesundheits-
schädlichen Wirkungen (S. 415) gegenwärtig auf reichlich 40 d. D M.
im Poland cultivirt wird. Das indische Sumpfkorn war den Alten seit
Alexanders Zügen wol bekannt, fand aber nur als theure Arznei Ver-
wendung i): geschweige denn dafs an seinen Anbau gedacht worden
wäre. Die Araber verpflanzten ferner die Baumwolienstaude (gossgphm)
und das Zuckerrohr (saccharum ofßeinarum). Letzteres hat sich noch
in Sicilien, erstere auch in Unteritahen gehalten und sogar eine vor-
übergehende Bedeutung während des americanischen Bürgerkrieges
erlangt Im Uebrigen ruht die geschichtliche Tragweite der Einbürge-
rung von Reis Baumwolle und Zuckerrohr vielmehr darin dafs Sad-
europa die Zwischenstation abgab für ihre Uebertragung nach der
Neuen Welt. Wertvoller für Italien war der im 15. Jahrhundert ein-
geführte weifse Maulbeerbaum (fnoru$älba\ der das Futter für die
Seidenraupe Uefert und dem Land ermöglicht in der Seidenproduction
die nächste Stufe unmittelbar hinter China einzunehmen (Wert des
jährlichen Ertrags 460 Mill. Franken). Demselben Volke wird die Em-
führung der Limone — wir sagen fölschlich Citrone — {citrus medka)
und der Pomeranze (citrus aurantium amarum) verdankt. Auch lehren
die arabischen Namen Sumach (S. 424) und Karube (S. 424), auf wen
1) Her. Sat. U 3, 155.
$3. Die Acdimatbation. 489
die Verbreitung dieser Gewächse in Sicilien zurückgeht. Endlich ist
die Korkeiche (S. 437) sowie die geschätzte Wassermelone {cucumis
eUntUus) der nämlichen Epoche zuzuschreiben.
Unter der römischen Weltherrschaft ward der Obst- und
Gemüsebau ausgebildet. Unsere Gärten enthalten wenig Früchte, die
im Lande selbst heimisch und veredelt worden sind. Unter diesen
wenigen nehmen Apfel und Birne die erste Stelle ein, indem jener dem
nördlichen, die Birne dem südlichen Europa angehört. Die überwie-
gende Mehrzahl stammt aus dem Orient, wurde in Italien acclimatisirt,
wanderte mit den Römern an den Rhein und die Donau. Unser Impfen
{lfig>vT€V€tv) Pfropfen (propagare), die Namen der meisten Obst- und
Gemüsearten sind entlehnt Zur yoUen Entfaltung gelangte der Gar-
tenbau Italiens erst mit der Weltherrschaft. Sklaven und Freigelassene
aus Syrien Palaestina Phoenizien Cilicien bürgerten ihn ein. In den
alten Culturlanden der Semiten haben wir die eigentUche Heimat
unserer Gartenkunst mitsammt ihrer Technik zu suchen. Der Be-
sieger Mithridats, L. Lucullus führte 74 v. Chr. aus Cerasus an der
pontischen Küste die sauere Kirsche (pruntu eeratus) nach Italien. ^)
Die verwandte Sülskirsche (prunus aotiim), die hier wild wuchs, ward
gleichfalls veredelt. Beide wanderten sehr rasch und waren zu Plinius'
Zeit bereits an den Rhein und nach Brittannien gelangt Seitdem das
römische Reich sich bis Armenien erstreckte, wurden auch Aprikose
ifrunus armemaea) und Pfirsich (amygdalus persiea) verpflanzt Colu-
mella und Plinius erwähnen sie zuerst 2): nach diesem waren die Pfir-
siche anfänglich das Stück mit einem Denar, sogar mit 75 bezahlt,
aber rasch verbreitet worden. Aus der pontischen Gegend stammt
ferner die K astanie (easianea vesca\ die Vergil kennt 3) und die be-
reits für die Bauten Pompeji's Holz geliefert hat Einen wie grofsen
Raum die heutigen Bestände einnehmen , zeigt die S. 436 gegebene
Uebersicht Sie nähren den Menschen ohne Arbeit: um die Corsen
aus ihrer trägen Beschaulichkeit aufzurütteln, plante die französische
Regierung im vorigen Jahrhundert die Ausrottung der Bäume und er-
liers in der That ein Verbot Kastanien anzupflanzen, das einige Jahr in
Kraft blieb. Aus derselben Heimat stammt die Wallnufs {iuglans regia)^
die Cicero erwähnt, sowie die veredelte Lamberts- d. h. lombardische
Nufs (coryluB aveUanä)^)^ auch die Maulbeere (morus nigra), deren er-
1) Plin. XV 102 Serv. Verg. Georg. U 18.
2) Gel X 409 Plin. XV 39.
3) Verg. Ecl. 2, 62. Plin. XV 88. 4) Gic. TuBC V 68. Gate RR. 8.
440 Kap.X. Die Vegetation.
frischende Frucht den Alten mundete, während das Blatt später zum
Unterhalt der Seidenraupe diente, bis der kleinere aber ein viel feineres
Gespinnst liefernde Schwesterbaum ihn aus dieser Rolle verdrängte
(S. 438). In der Vplksnahrung behauptet der. Mandelbaum (mygdalm
communis) eine Stelle; als sein Vaterland ist Nordafrica anzusehen
(S. 425). Nach Syrien weist die Pflaume (prumu domestica und pru-
nus imititia)^ den augusteischen Dichtern wol bekannt wie auch das
Pfropfen auf den wilden Schlehdorn. ^) Ebendorther wurde in den
ersten Decennien unserer Zeitrechnung die Pistazie (pistaeia vera) nach
Italien verpflanzt >) Der Kaiserzeit gelang auch die Zucht des Gitronat-
baums (citrus medica cedra). ^) AnKttchenpflanzen wie verschiede-
nen Kohl- und Salatarten Wurzeln Zwiebeln Blattgewächsen ist Italien
von Hause aus reich. Doch hat auch hier eine bedeutende Vermehrung
stattgefunden. So taucht um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr.
in Campanien die aus dem inneren Asien herstammende Zuckermelone
auf ^) , während Gurke und Kürbis schon früher bekannt waren. Zur
Viehfütterung wurden am Ausgang der Republik die Luzerne {medt-
cago sativa\ die 4 — 6 mal geschnitten werden kann, sowie der Gytisus-
strauch (medicago arboreäjj dessen Blatt sehr gelobt wird, eingefOhrL^)
Nicht älter ist in Italien der Oleander oder Rosenlorbeer <^), jetzt wie
so viele Ziergewächse verwildert (S. 425). Der Hanf (cannahis saiiva)
welcher im heutigen Königreich auf 1330 D km namentlich am un-
teren Po cultivirt wird und aus der kaspischen Gegend stammt, er-
scheint zuerst um 100 v. Chr.: in den Niederungen des Velinus bei
Reate erreichte er Baumeshöhe. "0
So bedeutendes auch in römischer arabischer und neuerer Zeit
geleistet worden, ist der entscheidende Umschwung im Leben des Lan-
des doch auf die hellenischen Colonien zurückzuführen. Die
Erfahrung lehrt dafs Pflanzen , die auf einen jungfräulichen Boden
übertragen werden, erstaunliche Fruchtbarkeit entfalten, wenn anders
die klimatischen und örtlichen Bedingungen ihnen zusagen. Unter-
itaUen und SiciUen wurden ein Kornland, das im fünften Jahrhundert
1) Verg. Georg. IV 145 Hör. £p. i 16, 8. Ente ErwIhnoDg Gate 133.
2) Plio. XV 91 Xm 51. Pallad. IV 10 XI 12 in 25 u. a.
3) PUo. Xn 16 XIU 103. PaUad. IV 10.
4) Plin. XIX 67.
5) Dem Gato onbekannt, Varro RR. II 2 Goiom. V 12 Plin. XDI 130 fg.
6) PUd. XVI 79; älteste Erwähnung Verg. (7) Galez 402.
7) LucUius bei Fest. 356 M. Pün. XIX 174.
§3. Die Acdimttisaüon. 441
?. Chr. die Handels- und FabriksUdte des Ostens versorgle. Das von
den Fremden gegebene Beispiel forderte die Eingeborenen zur Nach-
ahmung auf. Und wenn auch die Aneignung der CuUurelemente na-
mentlich in den Anfiingen einen nach den heutigen Anschauungen
überaus langsamen Verlauf genonunen hat, so machte dieselbe doch un-
aufhaltsame Fortschritte. Durch die Hellenen erhielt das Land, virorauf
wir im nächsten Abschnitt zurückkommen, den Weizen und verschie-
dene Hülsenfrüchte. Durch sie ward es mit der B a u m z u c h t vertraut,
derjenigen Form der Bodennutzung, welche im Altertum wie heut zu
Tage den höchsten Nutzen gewährte, dabei den günstigsten Einflufs auf
die Milderung der Sitten übte und endlich einen hervortretenden Zug
im antiken Volksleben darstellte. Ihre erste Ausbildung ist auf den Berg-
tenrassen der chanaanitischen Küste erfolgt, von den Phoeniziern haben
die Hellenen, von diesen die Römer gelernt. Die Heimat des Wein-
stocks (viii$ vinifera) wird an den Südrand des Kaspischen Meeres
gesetzt. In Rom wufste man , dab derselbe nicht zum ältesten Besitz
des latinischen Namens gehöre, sondern nachträglich herübergenom-
men sei.O Doch mufs solches anderseits sehr früh geschehen sein,
vielleicht schon vor Gründung der hellenischen Städte (S. 451). In eine
weit jüngere Zeit führt uns der 0 el ba um {olea europaeä). Die Athener
betrachteten ihn als Geschenk ihrer Pallas und erzählten dafs es eine
Zeit gab, wo er auf der ganzen Welt nur in ihrem Ländchen zu finden
war. In Wahrheit ist er im südlichen Vorderasien zu Hause und wäh-
rend des Zeitraums, den die homerischen Gedichte umspannen, nach
Hellas gelangt. Es wird berichtet dals er um 580 v. Chr. Italien noch
nicht erreicht hatte. >) In historischer Hinsicht wog seine Einbürge-
rung weit schwerer als diejenige des Weinstocks. Wenn die Gabe des
Bacchus den älteren Gerstentrank aus dem Bereich der Civilisation ver-
bannte, so gewährte die Gabe der Athena die Möglichkeit die rohere
Wirtschaft der Viehzucht erheblich einzuschränken, indem sie das ani-
malische Fett durch vegetabilisches ersetzte. Der Genufs von Bier und
Butter unterschied in den Augen der Alten den Barbaren vom civili-
sirten Menschen. Noch jetzt fällt der Gegensatz der Küche zwischen
dem Theil von Europa wo die Speisen mit Butter, und dem Theil, wo
sie mit Oei zubereitet werden , mit dem Gegensatz von Nord und Süd
zusammen. Gleichzeitig mit der Olive sind auch andere Fruchtbäume
verpflanzt worden : so die edle Feige (fieus caricä) „des Weinstocks
1) PUd. XIV 88 XVin 24.
2) Plin. XV 1 Tgl. Herod. V 82. Diod. 1 16.
442 Kap. X. Die Vegettüon.
Schwester'^ aus dem semitischen Vorderasien , bereits in die rOmiache
Ursprungssage verflochten; so die Quitte (pynu a^dmwiU die von Kreta
aus im sechsten Jahrhundert auf italischem Boden Fufs gefabt; so der
Granatapfel {punica grafuUum) und die Dattelpalme {pkoemx dotfyb-
fera\ welche der Verkehr mit den Karthagern herüber gebracht hatte.
Die beiden Coniferen, welche in der Architektur der italienischea
Landschaft bestimmend hervortreten (S. 426), schiiefsen sieh ihnen an.
Die Cypresse war von Indien aus als Symbol der heiligen Feuerflamme
in uralten Zeiten durch Asien gewandert, die Griechen lernten sie, wie
der Name besagt, auf Cypern kennen. Im dritten Jahrhundert war der
Baum nach den Idyllen Theokrits auf Sicilien häufig , gewohnte sich
aber nur mit Mühe auf dem Festland ein, wo er gegenwärtig bis an
den Fufs der Alpen vorgedrungen ist^) Ungefilhr gleichzeitig ist die
Verbreitung der Pinie, deren Vaterland nicht ermittelt, in Italien er-
folgt 2): von ihrer Wertschätzung zeugt der Umstand, dafs die alt-
republikanischen Grabsteine von Praeneste in der Form von Pinien-
zapfen gearbeitet sind. Von der römischen Aristokratie wurde die Pb-
tane (S. 426} mit besonderer Vorliebe gepflegt: sie stanunt wie es
scheint vom Taurusgebirge Kleinasiens und wollte anfänglich im We-
sten gar nicht einschlagen. ') Der älteste Verkehr bewirkte nicht blos
der Annehmlichkeit und des Nutzens willen die Verpflanzung fremder
Gewächse. Häufig erscheinen dieselben im Geleit fremder Culte, deren
Dienst sie geweiht waren, und gewinnen dann im Glauben und der An-
schauung des Volkes einen bevorzugten Platz. Hit Apollo kam der
Lorbeer (S. 424), mit Aphrodite die Myrte (S. 425) aus Kleinasieo
über Griechenland nach Sicilien und Italien. Nach einer Tradition hat
die Myrte auf dem Vorgebirge der Circo sich zuerst gezeigt; nach einer
andern Angabe fehlte der Loriieer auf Corsica : ein sicherer Beweis
dafs er ursprünglich auch dem benachbarten Festland gefehlt haben
mufs. ^) Ihrer frühen Ausbreitung ward oben (S. 432) gedacht Jetit
wuchert die Myrte auf den Felsabhängen in der Nähe des Meeres: ihre
Zweige schmücken weder die Locken der Braut, wie bei uns üblich,
noch die Stirn des Siegers wie im Altertum, sondern werden für Besen
Reisig und derartigen unedlen Gebrauch geschnitten. Mit Aphrodite
1) Theokr. 11, 45 Gate RR. 151 PUn. XVI 139 fg. 230.
2) Theokr. 5, 49 Gate RR. 48 Verg. Ed. 7, 65 PUn. Ep. VI 16, 5.
3) Theophr. h. plant. IV 5, 6 Plin. XU 6 Macrob. Sat. m 13, 3 Verg. Geoi«.
IV 146 Bor. Od. II 11, 13. 15, 4. Nux 17.
4) PUn. XV 119. 132.
§ 3. Die Acclimatisation. 443
kam auch ihre Lieblingsblume die Rose (rosa untifolia) sowie ihre
Feindin die Lilie (Mttim eandiium\ beide aus Asien ; ferner der Safran
(croetM so/itmi), der noch jetzt in Sicilien zur Gewinnung der gelben
Farbe gebaut wird und manch andere Gartenblume. Der Anbau,
welcher spfiter im grO&ten Umfang betrieben wurde, geht in seinen
ADßingen auf die Griechen zurück. Dasselbe gilt von Küchen kräu-
tern, namentlich den beizenden Gewürzpflanzen wie Knoblauch Küm-
mel Senf, die von den Orientalen seit Alters her geschätzt wurden, vom
hohen Schilfrohr (S. 427) usw.
Wir haben uns auf die hervorragendsten Vertreter der Cuhurflora
beschränkt, ohne die lange Liste entfernt zu erschöpfen. Dagegen sind
wir mit der Aufzählung der neu gewonnenen Hausthiere bald zu
Ende. Der B ü f f el (hos huhalus\ welcher gegenwärtig zur Staffage der
Halariagegenden gehört, wird in ItaUen zuerst 595 n. Chr. erwähnt, t)
Der schwere tückische Geselle aus Asien, der im Sumpf sich wol fühlt
und hier Dienste leistet, fUr welche das Rind versagt, erscheint unseren
Allgen als das verkörperte Sinnbild der Oede und Verwilderung, die
auf den Glanz des Altertums gefolgt ist. In der Kaiserzeit verbreitete
sich die von den Aegyptern längst gezähmte Katze: früher als die An-
kunft der Ratte, mit der Hehn sie in Verbindung bringen möchte. 2)
In die Wildgärten der Vornehmen wurde das Spanien eigentümliche
Kaninchen (Upus omiculw) versetzt ^), das seitdem weit gewandert ist.
Für die antike Volkswirtschaft nahm die Einführung des Esels mit-
sammt der Bastardbildungen Maulthier und Maulesel eine gröfsere
Wichtigkeit in Anspruch, da diese Thiere zum Fahren und namentlich
zum Tragen in dem gebirgigen Lande die ausgedehnteste Verwendung
finden. In welche Periode aber dieselbe hinaufzurücken und auf wel-
chem Wege sie erfolgt sei, läfst sich nicht mit annähernder Sicherheit
sagen. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, dafs die eigentUche Aus-
bildung der Viehzucht einer fernen Urzeit angehört, als die verschie-
denen Glieder der indogermanischen Familie sich noch nicht von ein-
ander losgelöst hatten : die Namen von Rind Pferd Schwein Schaf Hund
Gans Ente sind allen diesen Sprachen gemeinsam und von der Ver-
besserung der Racen abgesehen, ist der Bestand an Hausthieren durch
die Culturarbeit nicht wesentlich vermehrt worden. Nur die Geflü-
1) Paul. Diac. h. Lang. IV 10 vgl. Arist. h. anim. II 1, 2, 4.
2) Plin. X 202 Martial Xm 69 Pallad. IV 9 Isidor. XU 2, 38.
3) Zaerat erwihnt Pol. XH 3, 9 GatQn37,18 Martial XUI 60 VarroRR.ini2
Plin. Vm 217 Athen. IX 401 a.
444 Kap.X. Die Vegetation.
geizucht macht eine Ausnahme. Der aus Indien stammende Haus-
hahn ist durch die Perser, die ihn als Verkttndiger des Lichts heilig
hielten, im Lauf des sechsten Jahriiunderts v. Chr. an die Hellenen
übermittelt worden. Frühzeitig ist er, wir wissen nicht auf welchem
Wege, nach Mitteleuropa gelangt und von Norden aus allem Anschein
nach in den Gesichtskreis der Römer getreten. 0 Von diesen ward er
gleichfaUs anfänglich zu religiösen Zwecken verwandt und hat dann
allmäUch in der Oekonomie jene grofse Bedeutung erlangt, in die er sich
neuerdings mit seinem americanischen Vetter dem Truthahn theilt.^)
Die Taube ist von den Semiten gezähmt und dem Dienst der Aphrodite
geweiht worden : vermutlich von dem berühmten Tempel auf dem Eryi
aus ward sie in ziemlich junger Zeit bei den Römern eingeführt') Den
kolchischen Fasan lernten dieselben durch griechische, den indischen
Pfau und das numidische Perlhuhn durch karthagische Vermittlung
kennen : Gegenstände des Luxus und als solche geschätzt.
§ 4. Die Cerealien.^)
Wie das Pflanzenkleid Italiens durch menschliche Arbeit gewech-
selt und sich verändert hat, ist im Vorhergehenden geschildert worden.
Der Beweggrund, welcher den Menschen leitete, ist deutlich genug der
dem Boden immer höhere Erträge abzugewinnen. Die Verdichtung
1) Nach HekataeoB fr. 58 legten die venetischen Hennen aweimal am Tage.
Massen wir auch Anatand nehmen diese Nachricht dem Ausgang des 6. oder
dem Anfang des 5. Jahrhunderts zuzuweisen (S. 7 A. 1), so bleibt es doch immer
nach italischem MaÜBstab ein sehr altes Zeugnifs. Ihr frAhes Vorkommen in
Norden wird durch den Umstand bestätigt, dafs sie an der ligurischen Küste
verwildert waren Varro RR. III 9 Golum. VIII 2. Ich möchte glauben dais die
Römer den Vogel durch die Gallier kennen lernten (Gaes. b. GaU. V 12 ron des
Britten gaUinam . . . guttare fa$ non ptiiant, tarnen ahtni aninä vohtpiatü'
fti« eauta) und einfach als solchen benannten, ähnlich wie er bei den attisctoi
Komikern Uegaachq Sgvig und M^6oq oder wie die Dattelpalme qioZvti hubivsw.
Die abweichende Bildung von galUna stimmt zu der Annahme, daOi der Kamp^
bahn den Römern zuerst vor Augen trat, vgl. Hehn^ p. 264.
2) Die bekannten HOhnerauspicien , die ursprfinglich den Römern feUlen
(Gic. DiTin. 0 73), werden seit 322 t. Ghr. (Uv. VIU 30) im Felde häufig e^
wähnt; Tgl. Plin. X 49. Was die wirtschaftliche Bedeutung betrüR, so tritt
uns solche noch nicht recht bei Cato RR. 89 entgegen, um so deutlicher bd
Varro lU 9 und Golum. VIU 2.
3) Varro LL. IX 56 RR. III 7.
4) Magerstedt, Bilder aus der römischen Landwirtschaft, 5tes Heft: der
Feld- Garten- und Wiesenbau der Römer, Sondershausen 1862.
{ 4. Di« CemUen.
445
der Bertilkeniiig zwingt rar Rodung des Waldes, Kornban ist ergiebi-
ger als Weidewirtachart, Baumzucht als Rarabau. Freilich greifen an-
dere Veriialtnisse bezüglich Absatz und Concurrenz hier ein, auf die
wir in der Folge zurtlckkommen. Aber im Grofsea und Ganzen ent-
Bpricbt der Hergang dem aufgestellten Schema. In der Auswabl der
Komarlen, von denen zunichst gebandelt werden soll, macht sidi die
fortschreitende VerfeioeniDg der Sitten bemerkbar, insofern die grö-
beren durch bessere edlere allmalich Terdrflngt werden. Jedoch ist
wegwerfenden Aeufoeningen antiker Schriflsteller gegenüber zu be-
rflcksicbtigen , dafs hierbei auch die Rentabilität in Frage kommt
Niemand wird z. B. bestreiten, dafs der Weizen ein reineres gesunderes
Hehl liefert als der Hais und doch behauptet dieser für die Volksnah-
ruog Oberilaliens den entschiedenen Vorrang, weil er doppelt so viel
IrägL Wir schicken unserer Betrachtung eine Uebersicht über den
heutigen Kornbau der einzelnen Provinzen voraus. Der Flächen-
inhalt der Provinzen ist S. 436 angegeben. Die Ziffern bezeichnen
die nach einem fünfjährigen Mittel (1870—1874) bestellte FUcbe in
Procenten:
i
■i
1
S
¥
il
1
^
1
s
X
e
P
^
^£
'1
-
i
J_
,ai.
«.«Dl...
M«
4,75
2,62
1,7
0,4
0,6
"ÖJT
M4
0,16
0,005
M6
9,3«
4,29
1,9
0,9
1,24
0,44
0,46
0,14
164
VcDeUcD . .
9,66
11,01
1,38
1,27
1,19
1,77
0,61
0,3!
0,47
0,0tl8
Ug,K«...
11 S8
1,59
0,52
0,12
1,13
1,02
0,29
0,36
Am : : :
»,62
11,06
lilS
0,54
0,64
1,7
1,S9
0,37
3,52
ö,'on
16,09
5,5S
0,02
0,47
196
1,66
0,9
0,26
0,14
0,08
Born .
Pie«aniB
13,42
3,93
0,07
0,67
0,02
0,02
0,07
0,07
«,42
10,67
0,79
0,76
1,2
1,73
0,23
0,59
0,14
Abninen
Apulieo
19,46
4,47
1,85
6,06
0,9
1,1
0,23
0,12
0,34
CuBpuie 1
Ucwiea
Bmttinm 1
12,66
6,12
1,62
2,89
1,2
0,97
0,20
0,37
0,4
SMl«,..'.
19,35
0,06
0,02
4,44
0,13
0,8
2,4
0,03
0,04
0,26
S.nlU<D . .
S,IS
0,09
0,88
0,09
0,6
0,01
0,06
Sdiui» . . .
16,16
5,72
bii"8
1,66
i^M
1,05
1,01
0,23
0,45
oIjt
Die älteste Frucblart ist gegenwärtig vom italischen Boden Ter-
schwunden. Als solche können wir die Hirse, die gemeine (mili'wn
t) d. h. PferdebohneD Elchenrl»«! LapincD Wicken nsw. Die Latame<8.440)
wild wenig mehr pbaiit
446 lUp-X. Die YegeUtion.
niyxQog) wie die Kolbenhirse (jMifttct^m ^kvfiog) ansehen, die bei Ibe-
rern Kelten Sarmaten Griechen und anderen Völkern lange Zeit die
Hauptnahrung abgegeben hat. Verschiedene Eigenschaften empfahlen
gerade der Urzeit diese rasch wachsende, nie fehl schlagende, gering-
fügigste Aussaat heischende Sonunerfrucht Sie liebt nassen Boden und
auf den Auen, in den Lichtungen der Flüsse ist sie zuerst und Tomehm-
lich gebaut worden. Im Pohind nahm sie das ganze Altertum hindurch
die Stelle ein, die sie gegenwärtig an den Mais und Reis hat abtreten
müssen und Strabo erblickt in dieser Cultur den sichersten Schutz
gegen Miswachs und Hungersnot. ^) Auch für Gampanien wird der
Hirsebrei hervorgehoben. 2) Vereinzelt begegnet jetzt noch in Toscana
die Dhorra oder Mohrhirse {$argum vulgare)^ die um 60 n. Chr. aus
Indien eingeführt den reichsten Ertrag aber unedler Beschaffenheit
liefert. 3) Aehnlich wie der Hirse bt es der Bohne (vieia fitba) er-
gangen. Sie wird jetzt als Futterpflanze gebaut, gehört aber zu den
ältesten und wichtigsten Nährpflanzen. Wie diese schwere nahrhafte
Kost in den deutschen Seemarschen, so ward sie ehedem von den pa-
danischen Bauern und überhaupt von kräftigen Arbeitern geschätzt.*)
Hehn ist geneigt ein noch höheres Alter dem Anbau der Rübe beizu-
legen, die in der Asche verbrannter Waldung besonders gedeihe. In
der That nahm der Bau im Poland nach Wein und Getreide den dritten
Platz ein und ist auch auf der Halbinsel besonders in älterer Zeit stark
betrieben worden.^) Die Uebereinstimmung der Sprachen zeigt dafs die
Gerste (nfi&i^ lat. hordeum ahd. gerstä) den Stämmen bereits vor
ihrer Trennung vertraut war. Auch wird sie von den Alten selbst hoch
hinaufgesetzt; aber während sie im früheren Griechenland als Volks-
nahrung diente, sank sie schon bei den Römern zu ihrer heutigen Ver-
wendung als Viehfutter herab. ^) Das altröroische nationale Korn ist
der Spelt oder Dinkel {far ador ^etd), wie ofl bezeugt wird u. a. von
Ovid7):
1) Pol. n 15, 2 Strab. V 218 Plin. XVDI 101 Cassiod. Var. Xll 27.
2) Plin. Xym 100. CIL IV 2069.
3) Plin. XVm 55.
4) Plin. XVOI 101 Hör. Sat U 6, 63 MarL X 48, 16 Galen VI p. 529 Käkii.
5) Plin. XVm 127 XIX 87 Plut. Cato maior 2, 2.
6) Galen VI p. 507 Kühn spricht ihr die Nahrkraft ab. Gersteration «xrdf
den Trappen als Strafe zuerkannt. Plin. XVin 72 aniiquUsimum in dbit hor-
deum ... 74 panem ex hordeo anUquiM utitatum vita damnatfii, qu^dripe-
dumque fere eihu e$i,
7) Fast n 515 VI 180 Dien. Hai U 25 Plin. XVIH 7. 14. 62. 83.
( 4. Die GerealieD. 447
non habuit doeioi ieikts mnUqua eolonos:
lassabant agiles aspera bella viros,
plus erat in gladio quam curvo laudis aratro,
neglectut domino pauca ferebai ager»
farra tarnen veieret iaeiebantj farra metebant,
primiUae Cereri farra reseeia dabant
In dieser Eigeoschaft beherrschte er den Cultus der spateren
ZeilOf wurde in der Wirtschaft aUmfilich durch den Weizen verdrängt.
Er ist Tiel härter als dieser, erträgt besser Kälte und Hitze, Nässe und
Darre; aber der Ausdrusch erfordert weit mehr Arbeit und der Rein-
ertrag steDt sich bedeutend niedriger. >) Der Weizen hat sich ver-
mutlich von Aegypten aus im Umkreis des Mittelmeers verbreitet. Sei-
nem Anbau verdankten die griechischen Colonien Siciliens und Unter-
italiens ihren Reichtum und ihren Ruf. 3) Bei den Römern wurde er
um die Mitte des fOnften Jahrhundert v. Chr. eingeltlhrt^) Als Poly-
bios um die Mitte des zweiten Jahrhunders das Poland durchreiste, war
1) Marquardt, Staatsverwaltung in 329 A. 16 Privatleben der Römer 1 48.
2) Gato RR. 34 Yarro I 9 Golam. n 9 Plin. XVIII 83. 298.
3) Diod. V 2 Herod. VH 158 Thukyd. DI 86 Xen. Oek. 20, 27 Yarro RR. 1 44.
Sophokles bei PUd. XYIII 65.
4) Plin. XYin 62 popubnn R&manum farre tanJtum e frumenio treeenüt
annis usum Ferrius iradit. Gegen diese aoOierlich anfs beste beglaubigte,
n allem was wir von der Wanderung der Getreidearten wie von der Cultur-
entwicklung Roms wissen vortrefflich stimmende Nachricht ist geltend gemacht
worden, dafo sich bereits in den Terremare Oberitaliens Weizen vorfinde. Da
nun Jene Ueberreste einer grauen Yorseit angehören sollen , der Weizen aber
nnmfiglich von Nord nach SOd gewandert sein kann, so bleibt scheinbar kein
Aasweg übrig — wenn man anders die Entdeckungen der Paläoethnologen auf
Treu und Glauben hinnmimt Wir sind W. Heibig zu Dank verpflichtet, dafs
er uns (In seiner Schrift: die Italiker in der Poebene, Leipzig 1879) einen
Uebcrblick Aber die bisherigen Ergebnisse dieser ohne Griechisch und Latein
and sonstigen gelehrten Ballast blühenden Modewlssenschaft gegeben hat. Dar-
nach haben die PfaUdörfler u. a. Weizen Wein und Gel gebaut Heibig will
zwar p. 109 an die Olivcnkeme ebensowenig glauben wie an „GIgarrenstum-
mel, die ja auch gelegentlich in der oberflächlichen Schicht einer Terramare
gefunden werden können." Da aber das Klima der Poebene früher wärmer ge-
wesen sein soll (p. 16), so scheint es von seinem Standpunct aus unbillig jenen
gekämmten und rasirien Urmenschen den Oelbau abzusprechen. — Freilich wird
die historische Forschung ein sehr abweichendes Urtheil über jene alten Ueber-
reste fällen mOssen als Helbig gethan. Wenn die Fundberichte — worüber
ich voriäufig kein Urtheil habe — genau und zuverlässig sind, so liegen uns
hier nicht nur Spuren von uritalischen Niederlassungen, sondern auch von römi-
schen Hinterwäldlern aus dem zweiten und ersten Jahrhundert v. Ghr. vor. Ich
weib wol dafs der gemfltvolle Reiz, den die Pfahlbanidylle auf ihre Yerehrer
448 Kap. X. IHe Vegetation.
er hier bereits ToIIgtflndig eingebürgert i) In den uns naher bekann-
ten Zeiten bildet er die eigentliche Volksnahrung: nicht nur die Sol-
daten auch die Sklaven erhalten ihre Rationen in Weizen. 2) DemgemällB
wird er auch vorzugsweise gebaut: Columella rechnet als Mittel, dab
von 100 Morgen (— >25 Hektaren) 25 mit Winter«, 15 mit Sommer-
weizen, 25 mit anderen Nähr- und Futterpflanzen bestellt werden, also
nur 35 brach liegen.^) Neben dem Weizen treten die ttbrigen Korn-
arten in den Hintergrund. Der nordische Roggen wurde nur in den
Alpen gebaut (S. 171 ). Der Hafer galt ursprünglich nur als Unkrant,
ist aber später als Viehfutter -verwandt worden, während er bei den
Germanen das eigentliche Korn abgab. ^) Viel wichtiger sind die Hül-
se n fruchte: die genügsame Lupine welche keine Arbeit fordert, das
Land düngt, eine Mensch und Thier gleich zuträgliche Speise liefert^);
die oben (S. 446) erwähnte Pferdebohne; die aJs Volksnahrung be-
kannte Kicher (eicer)^); die von den Griechen eingeführte Erbse {Iq^
ßivd-og ervum^ nlaog fimm) ^); die grofse und kleine Linse (letu, le»-
^tcttb), die beim Todtenmahl verwandt wird.^ Von den verschiede-
nen Futterkräutern wurden Luzerne und Cytisus S. 440 erwabnt:
hierher gehören ferner Wicke (vtcta) Hornklee (fomnwn Grattwm) u. a.
Während endlich heutigen Tages der Hanf dem Flachs in der Cultar
weitaus den Rang abgelaufen hat (S. 440. 445), fand im Altertum das
übt, weseDtlich anf dem Umstand beniht, daCs sie in einem Zeitalter spielt,
wo die Knnst der Zdtmessung noch nicht erfanden war. Für uns proniscbe
Menschen bUebe die Sache sehr lehrreich, wenn die (j^nfserte Verrnntong sdi
bewahrheiten sollte. Aber des Wanderbaren ist in diesen Berichten sa Tid
wie s. B. die Kastanie xur Herstellung der Pfahlbanten rerwandt sein soll,
obwol der Baum in der Poebene keine Früchte trage (p. 17)! In 'Wirklichkeit
tragt er noch diesseit der Alpen and die ausgebreitete Gultor desselben 10
Oberitalien (S. 436) versorgt unsere Märicte. Die von anderen Forscbem g^
theilte Ansicht Hehns, dafs die Kastanie spät eingeführt sei (S. 439), Teidieot
dabei auch erwogen zu werden: Heibig übergeht sie mit Stillschweigen.
1) PoL n 15, 2.
2) Gato RR. 56 Plin. XVDI 94 trUieo nihil est ferUkus. hoe m naiurg tri-
buii gtiomam eo nuuBime aUbat hominem.
3) GoL U 13.
4) Gato R& 37 Gic Fin. V 91 Verg. Georg. I 77. 154 Dr. Fast 1 692 Pub*
XVm 149. 205 GoL H 1 1.
5) Gol. U 10. 16 u. a. PUn. XVDI 133 fg.
6) Hör. Sat. I 6, 115 Plin. XVHI 124.
7) Fest. ep. 82 M. Plin. XVm 139 Vano 1 32.
8) Plut. Grass. 19, 5 PUn. XVm 123.
§ 4. Die Gerealien. 449
umgekehrte VerbältDifs statt. Der Flachs {linum untaiinimum) wurde
im Poland sehr stark gebaut: für das hohe Alter seines Auftretens
allhier spricht der Umstand dafs die Leinsaat als Speise gedient hat.
Im Uebrigen war der Anbau wesentlich durch den Aufschwung der
Schiffahrt bedingt, da die linnene Tracht bei den Römern auf den
Luxus beschränkt blieb. Immerbin gab es in Ravenna eine kaiserliche
Weberei. ^)
Je nach der Güte des Bodens wurden verschiedenartige Feld*
Systeme angewandt. Die Zweifelderwirtschaft hatte unter den Theo-
retikern eifrige Verehrer.^) Auch Dreifelderwirtschaft (Brache Getreide
Holsenfrucht) kommt ¥or.^) Aber in der Regel stellte man grofsere
Anforderungen an das Erdreich. Die Wecbselwirtschaft , welche Ge-
treide und Hülsenfrucht einander ablösen lafst, gewährt höhere Erträge
ohne dasselbe zu erschöpfen ; wie Vergil sich ausdrückt <) :
sie quoque mutatis requiesetmt fetihut arva
nee nulla interea est inaralae graUa terrae. *
In vielen Gauen dieses gesegneten Landes wurde Halmwirtschaft
betrieben, z. B. in Etrurien Jahr aus Jahr ein die reichste Weizenernte
erzielt.^) Ja Campanien konnte wol gar mittelst künstlicher Bewässe-
rung in demselben Jahr drei bis vier Ernten hinter einander liefern
Winterkorn Sommerkorn Hirse und Küchengewächse: solche Leistun-
gen werden ihm auch jetzt wie vor Alters ohne Nachtbeil zugemutet. <^)
Freilich läfst sich die Frage aufwerfen, ob die Zeugungskrafl im Lauf
der Zeiten nicht abgenommen habe. Nach der ofßciellen Statistik stellt
sich der Durchschnittsertrag des Weizens auf 11,07 Hektoliter
ftlr den Hektar mit Schwankungen von 6,20 (Sondrio) 8,27 (Sardinien)
bis 14 (Novara Mantua Foggia Caserta Catania) 14,50 (Pisa) 14,60 (Pa-
via) 15 (Mailand), während Hais von 12,32 (Sardinien) bis 24 (Novara),
im Mittel 18,33 giebt. Die Aussaat beträgt etwa 1,8—2,8 Hektoliter
Weizen für den Hektar, so dafs als Durchschnitt das 5. höchstens das
8. Korn herauskommt. Um von der sagenhaften Fruchtbarkeit der
Fluren von Sybaris und Leontini zu schweigen, rechnet Varro als
Durchschnitt das 10., für Etrurien und einige andere Gegenden das
1) Plio. XIX 16 Not Dign. 49* Marqoardt, PrivaÜeben U 463 fg.
2) Stolo bei Varro I 44 Verg. Georg. I 71 Ovid ex Pont. I 4, 13 Gel. U 9.
3) Plln. XVm 191 Verg. Georg. I. 73.
4) V. Georg. I 82 Plin. XVHl 191 Gel. H 14.
5) Varro 1 9. 44.
6) DioD. Hai. 1 37 Strab. V 243 Plin. XVDI 111.
Niii«ii, ItaL Landeslciinde. I. 29
450 Kap. X. Die VegetaiioD.
15. Korn. Da nun die Saatmenge ungefähr gleich ist, 4—7 Modii für
den Morgen d. h. 1 ,40 — 2,45 Hektoliter für den Hektar, so stellt sieb
der Ertrag auf mindestens 14 — 21 Hektoliter, mithin bedeutend höher
als die besten Weizenstriche gegenwärtig zu erreichen vermögen. 0
Die unbedingte Zuverlässigkeit der ofBciellen Angaben vorausgesetzt -),
würde die Rechnung trotzdem nicht berechtigen die oben aufgewor-
fene Frage zu bejahen. Eines ist unzweifelhaft gewifs, dafs der Acker-
bau in Sardinien und vielen Landschaften des Südens jetzt auf einer
weit niedrigeren Stufe sich befindet als im Altertum. Im Uebrigen wird
der geringere Ertrag an Korn reichlich aufgewogen durch den gestei-
gerten Ertrag der Baumculturen. Italien ist zwar ein Ackerbau trei-
bendes Land, bedarf aber — vom Reis abgesehen — bedeutender Ein-
fuhr von Weizen und anderen Cerealien, weil es in der Baumzudit
eine weit einträglichere Bodennutzung besitzt Die gewinnreiehslen
Formen derselben der Seidenbau (S. 438) und der Agrumenbau
(S/424) fehlten dem Altertum. Jedoch hat sich bereits damals der
folgenreiche Umschwung vollzogen. Italien tritt in die historische Ue-
berlieferung des fünften Jahrhunderts als Kornland ein, um sich in
ein Wein- und Oelland umzuwandeln. Während der Weltherrschaft
genügt seine Kornproduction zum Unterhalt der Bewohner ebenso-
wenig als dies heutigen Tages der Fall ist.
§. 5. Die Baumzucht. 9)
Die Alten unterscheiden drei Wirtschaftsformen: Viehzucht
Ackerbau Baumzucht, die ursprünglich von einander räumlich getrennt
sind. Die erste dreht sich um Wald und Weide, die zweite um offenes
Gefilde, die dritte um eingehegte Gärten. Die räumliche Scheidung
tritt bei Homer ^) deutlich entgegen, wenn z. B. Diomedes von seinem
Vater erzählt:
vale 6h 6(5fia
a<pyiihv ßioxoio, SXiq 6i ol ^aav aQOVQai
TtvQOipOQOi, noXköl 61 ipVT^v iaov ii^atoi afi^i^f
noklic 6i ol ngoßat* iaxs'
oder wenn die Aetoler sich an Heleager wenden :
1) Yarro I 44 Gel. U 9 PUa. XYIU 95. 198.
2) Vgl. S. 326. 351 A. 2.
3) Magerstedt, Bilder ans der r^nisehen Landwirtschaft, Sondenfaaiueo:
erstes Heft, der Weinbau d. R 1858; viertes Heft, die ObstbavBBMcht d. R 1861.
4) Hom. n. XIY 121 IX 578 XH 313 VI 194 XX 184.
I 5. Die Baomzucht. 451
nevTi]xovv6yvov, to /tkv rifuav olvoniöoio,
fffiiav 6h tpiXrjv agoaiv neöloio tafLiaS-ai,
Aehnlich stehen in Prosa /^ OTtogifiog oder ipckij und yfj Ttecpv-
tevfiivt]^ ager arimsarbusius pascuus als sich gegenseitig ausschliefsende
Begriffe. ^) Den Römern wie den Hellenen galt die Baumzucht als mit
der Cullur eng verschwistert. ,4n Gallien — erzählt Scrofa bei Varro ^)
~ jenseit der Alpen drinnen nach dem Rhein zu bin ich an der Spitze
meiner Truppen in einige Gegenden gelangt, wo weder Wein noch
Oel noch Obst wuchs, wo sie die Felder mit weifser gegrabener Kreide
(Mergel) düngten, wo sie weder Gruben- noch Seesalz hatten, son-
dern salzige Kohlen aus gewissen verbrannten Holzern an dessen Statt
brauchten/^ Die Ausbildung der Baumzucht lag allerdings viele hun-
dert Jahre hinter der Zeit des Erzählers zurück. Wie S. 441 bemerkt,
ist mit der Pflege des W e i n s t o c k s der Anfang gemacht worden. Bei
den Griechen Homers ist sie allgemein verbreitet und der Dichter läfst
auch im Lande der Kyklopen Trauben wachsen. 3) Wenn in Rom der
Weinbau als nachträgUch eingeführt galt (S. 441), so schreiben ihm
andere Nachrichten ein hohes Alter zu. Eine alte Tradition läfst ihn
in Latium vor Erbauung Roms betrieben werden. 4) Einzelne Reb-
sorten führten ihre Namen nach verschollenen Gemeinden, deren Blüte
einer fernen Vergangenheit angehört: so die aminaische, welche Ari-
stoteles auf thessalische Einwanderer zurückführt ^) und die von Spina
der alten versandeten Hafenstadt am Po (S. 205).^) Der Stammvater
der weit verzweigten sabinischen Nation ward als Erlinder des Wein-
baus verehrt ^ und der bei den älteren Hellenen gebrauchte Landes-
und Volksname Oenotria Oenotrer hat vermutlich auf den Weinbau der
Eingebornen Bezug. ^) Wenn man die Geschichte der Halbinsel vor
1) Xen. Oekon. 19, 1 Hell. III 2, 10 Demostb. XX 115 Aristot. Pol. I 4, 1 Cic.
Rep. V 3.
2) Varro RR. I 7 Tgl. S. 373 ; mehr bei Hebn * p. 97 fg.
3) Od. IX 110. 133.
4) Cato bei Maer. Sat III 5, 10 Varro bei Plin. XIV 88 IMod. Hai. I 65 Ov.
Fast IV 879 CIL. 1 p. 392.
5) Ar. bei Phil, lu Verg. Georg. II 97 ; Terschiedene Deutungen, gewöhn-
lich auf Gampaniea 8. Hehn* p. 468.
6) Plio. XIV 34 Rwennati agro peeuHaris Gel. UI 2. 7. 21. -* Irrtflmlich
bringt Hehn a. 0. die aidlische vitiM Murgwiina mit den Morgeten in Ver-
bindung Plin. XIV 35.
7) Verg.Aen. Vn 178 Serv. i. V. Aen. 1 532, mein Templum 114. 131,
8) Kap. XI 8.
29*
452 Kap. X. Die Yegelalion.
(1er griechischen Colonisation ins Auge fafst, so macht es nicht die ge-
ringste Schwierigkeit dieser Epoche die Einbürgerung des Weinstocks
beizulegen. Freilich hat Italien Jahrhunderte lang ein GewSlchs her-
vorgebracht, das gebildete Zungen zum Ausbruch der VerzweifluDg
trieb wie 280 v. Chr. Cineas den Gesandten des Königs Pyrrhos.^) Aber
mit dem Vordringen der römischen Waffen nach Norden wurde ein
weites Absatzgebiet erschlossen, das die Sieger ohne Rücksicht aus-
beuteten. Schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. suchten sie durch
ein Verbot jenseit der Alpen neue Weinberge anzulegen die Concur-
renz Galliens unschädlich zu machen. 2) Die italische Ausfuhr nimmt
den europäischen Markt, Gallien und die Donauländer für sich in Be-
schlag, s) Auf dem Weltmarkt in den Städten des Mittelmeers behaup-
ten die Hellenen während der Republik das Feld : höchstens dafs die
italischen Winzer sich auf Nachahmung der griechischen Weine ver-
legten.<) Aber die Veredlung der einheimischen Rebberge machte un-
aufhahsame Fortschritte, das berühmte Weinjahr des Consuls Opimios
121 V. Chr. verlieh dem Anbau einen aufserordentlichen Aufschwung,
unter Caesar nehmen Falerner und Mamertiner neben den fremden
Edelweinen ihren Platz ein^), unter Augustus erobert Italien den
Weltmarkt. Plinius rechnet 80 Sorten die auf demselben concurrir-
ten: davon entfallen zwei Drittel auf Italien. <*) Der bisherige Haupt-
platz Rhodos wird von Rom völlig überflügelt: von dem Umfang des
hier betriebenen Geschäfts steht uns ein redendes Zeugnifs im M. Te-
staccio vor Augen, der aus lauter zerbrochenen Weinkrügen zu einer
gröfseren Höhe angewachsen ist als das Capitol. In der Kaiserzeil be-
zieht der Orient seine feinen Weine aus Italien ''); ja solche finden
ihren Weg bis in die indischen Gewässer.®) Unter diesen Umständen
ist nicht zu verwundern dafs die Rebzucht als die vortheilhafleste
JNutzung des Bodens galt. Die Anschläge beziffern die Verzinsung des
1) Plin.XIVl2.
2) Gic. Rep. m 16 vgl. auch für das Folgende Marquardt, Privatleben II 427 fg.
3) Gic pro Font. 19 Athen. IV 152 c Diod. V 26, 3 Gaes. b. GalL H 15 IV 2
Strab. V 214.
4) Plin. XIV 94 Gate RR. 24. 105. 112.
5) Gatull27 Vairo RR. 12 Plin. XIV 97.
6) Plin. XIV 87 ; Gel. DI 8 neque enim duHum est MaiMiei Surrmtimfu*
et Albani atque Caecubi agri vitei amnium quoi terra susHnet in nohiliUtt
vini prineipes esse,
7) Lucian Navig, 23 Alciphron fr, 6, 9 Didot
8) Peripl. mar. Eryth. c. 6. 49 (Geogr. Gr. min. I p. 262. 293).
§ 5. Die Baomzacht. 458
Anlagecapitals aus der Traubenernte auf mindestens 6V2, im Mittel
auf 18 Procent. Dazu kam noch der Erlös aus den Setzlingen hinzu,
deren Vertrieb ausschliefslich Italien vorbehalten blieb, i) Die Sage
berichtet dafs die Gallier einst zur Einwanderung in dies Land bewo-
gen worden seien, als ein helvetischer Handwerker Feigen und Trau-
ben Oel und Wein von Rom mit nach Hause gebracht hatte. 2) Seitdem
waren die köstlichen Gaben des Südens immer weiter verbreitet wor-
den. An den PomUndungen bürgerte sich der Weinbau sehr früh ein
(S. 451); laut einer erhaltenen Urkunde wurde er 117 v. Chr. bei
Genua betrieben.^) Polybios in seiner Schilderung des Polands und
Strabo heben den Weinreichtum desselben hervor. 4) Von der Cultur
am Fufs der Alpen war schon S. 168 die Rede. In Folge der gestei-
gerten Nachfrage ward der Kornbau auf den eigenen Bedarf der Land-
wirte eingeschränkt und auch der Kornacker dem Weinstock dienstbar
gemacht. Er wird mit Laubbäumen namentlich Ulmen , deren Laub
als Viehfutter dient, bepflanzt, der Zwischenraum zwischen den Zeilen
mit Feldfrüchten bestellt, während die Rebe an den Bäumen rankt.
Daher heifst der Ulmbaum in Prosa wie bei den Dichtern Gatte des
Weinstocks. Diese Verbindung des Ackerbaus mit Baumzucht gewährt
nach den Worten eines alten Geschicbtschreibers der Gegend ein fest-
liches Ansehen: wer von den Alpen herabsteigend die Baumzeilen
mit den zwischen ihnen schwebenden Gehängen von Weinlaub zum
ersten Mal erblickt, könnte meinen das Land selbst sei bekränzt.^) Die
Verbindung fordert sehr fruchtbaren Boden und kommt namentlich
in Oberitalien Campanien und Sicilien vor. Die Theorie hat dieselbe
lebhaft aber ohne Erfolg bekämpft % wenn gleich die besten Sorten
Campaniens Latiums Picenums wol vorwiegend in Weinbergen gezo-
gen worden sind.
1) C0I.IU3 Studiosi agricolationis hoc primum docendi sunt uberrimum
esse rmHium vinearum (ebenso Gate 1). Der Verkauf der Settlinge briogt in
einem Jahr den Preis des Grandstflcks ein si modo non provineiaHs sed ItaH-
eus ager est. Beispiele hohen Gewinns Piin. XIV 48fg. Varro 1 2.
2) Plin. XU 5 vgL Uv. V 33 Plnt. Garn. 15, 2 Dion. Hai. XUI 1 1.
3) CIL. 1 199, 28. 4) Pol. II 15, 1 Strab. ¥218.
5) Herodian Vin 4, 5 von der Belagerung Aquiieia*8 238 nach Chr. äfiTU-
kovQ (Mjhxoi xal SivSga ndvra iSixomov^ a dk ivenlfinQacav , xal t^v
n^oTiQOV xoTq xc0(>/o<? vnaQxovcav &Qav xaxyaxyyov, SMqwv yaQ atol-
XOig taoig afi7tika>v xe rcQoq iXk^kaq 6iaei navtaxod^ev riQXfKA^fov iv
kot^fjq cxril^'^h OTB<piv<^ &v xiQ xr^v x^Q^'^ xexocfA^a&ai ixexfiijpaxo.
6) Gol. Dl 3 vgl. de arbor. 16.
454 Kap. X. Die Vegetation.
Den Ruhm das erste Weinland der Welt zu sein hat Italien in
der Kaiserzeit behauptet. Die Production wurde andauernd in dem
Hafse gesteigert, dafs Domitian sich mit dem unausführbaren Plan trug
dagegen einzusehreiten. ^) Der 0 e Ib a u ist jünger (S. 441) und hat nie-
mals in der italischen Volkswirtschaft den Umfang einnehmen können
wie der Weinbau , weil er durch Klima und Bodenbeschaffenheit von
demPoland und den Ebenen der Halbinsel fern gehalten wurde (S. 424).
Die etnirischen Gräberfunde zeigen uns, dafs Attica einst hierhin Oel
ausführte gleichwie in späteren Zeiten Italien nach Mitteleuropa. Zu-
erst im 4. Jahrhundert wird das Oel von Thurii erwähnt: die Brinamen
olea SalletUina und Cdlabrica weisen daraufhin dafs die apulische Halb-
insel, welche gegenwärtig unter allen Landschaften das meiste (S. 436),
freilich nicht das feinste Oel hervorbringt, unter Anregung der helle-
nischen Städte zu dieser Cultur fortgeschritten war.^) Eine Angabe
läist Italien 52 v. Chr. mit der Ausfuhr beginnen; doch hatte es sich
bedeutend früher wie für seinen Wein so auch für sein Oel den galli-
schen Markt zu sichern gesucht. ') Auf dem Weltmarkt errang das
Erzeugnifs von Venafrum den ersten Preis ^) , um den auch Istrien ^)
und das südliche Spanien ^ mit Erfolg warben. Unter den übrigen
italischen Landschaften werden die Sabina '0 und Picenum 9) mit Aus-
zeichnung genannt. In der That waren die Hügel und Vorberge des
Appennin vorzugsweise für den Anbau geeignet. Derselbe heisdit weit
weniger Ariieit als der Weinstock und bringt hohen Ertrag. ') Besondere
Anschläge werden aus dem Altertum nicht überliefert: beutigen Tages
gewährt ein Hektar Weizenland bei Genua im Durchschnitt einen
Rohertrag von 220, ein Hektar Oelpflanznng einen Rohertrag von
810 Franken. So aufserordentlich günstig dies VeriiäHnifs erscheint,
reicht es doch lange nicht an den Gewinn der Agrumen hinan. Eia
1) Suet. Dom. 7.
2) Athen. U 67 b. Gato RR. 6 Gol. XU 49 Piin. XV 20.
8) Plin. XV 3 Gic. Rep. UI 16 Streb. IV 202 V 214.
4) Plin. XV 8 prineipatum in hoe quoque bano opUnuU iiaUa • toi»
orbe mawume agro Fenafirano vgl. Varro RR. I 2, den. bei M aerob. Sat 10
16, 12 Hör. Od. 11 6, 16 Sat. U 4, 69 8, 45 Streb. V 238 Mart XIH 101.
5) PUd. XV 8 Mark. XD 63 Gaaaiod. Var. XH 22.
6) Streb, in 144 Ludan Navig. 23.
7) Galen XQ p. 513 Kahn Plm. XV 13 Gol. V 8 Streb. V 228.
8) Mart. 143,8 V78,20 Xm36 Plin. XV 16.
9) Gol. V 8.
§ 5. Die Baomnicht. 455
Hektar Agrumen auf Sicilien wirft zehnmal so viel ab als die gleiche
Flüche bebten Weizenbodens im leontinischen Gefilde, hundertmal so
viel als dieGebirgsforsten des südlichen Deutschlands. Von dem Nutzen
antiken Obstbaus zeugt die Nachricht, dafs einzelne Baume bei Rom
eine Jahresrente von 2000 Sesterzen (435 fiiark) einbrachten, i) Ge-
genwärtig nimmt der Weinstock 6,31, der Oelbaum 3,04 Procent der
Gesammtfläche des Königreichs Italien ein. Seinen ehemaligen Rang
als Weinland hat es zwar an Frankreich eingebüist, aber mit seiner
Oelausfuhr von 1 — ^2 Million Centner steht es auf dem Weltmarkt noch
immer an oberster Stelle. Die Ausbildung der Baumzucht gehört dem
Jahrhundert an, welches auf den Erwerb der Weltherrschaft und die
Zerstörung Karthago's folgt Am Schlufs desselben spricht der alte
Varro mit Stolz aus dafs ganz ItaUen ein einziger Baumgarten sei.')
Die Wirkung welche diese Umwandlung auf die Nation geübt, indem
sie das Anwachsen der Sklaverei beförderte, wird in anderem Zusam-
menhang dargelegt werden. An dieser Stelle drängt sich die Bemer-
kung auf, dafs sie nicht wenig zum Untergang des Freistaats beigetra-
gen hat. Als einen Haupthebel des Untergangs betrachten wir die
Tranksucht der Römer, die zu einer allgemeinen Volkskrankheit erst
vermöge des blähenden Weinbaus ausarten konnte. 3) Noch deutlicher
erklärt uns die Baumzucht die Wehrlosigkät des ganzen Landes gegen-
über dem gesetzlosen Treiben kleiner Factionen. Nicht umsonst gilt
die Olive als Sinnbild des Friedens. Nach dem harten Kriegsrecht des
Altertums kann der Feind die Fruditbäume umhauen und damit dem
Pflanzer auf Jahrzehnte hinaus den Ertrag rauben, während der Hirte
sein Vieh in Sicherheit treibt und der Ackerbauer nur die Ernte eines
einzigen Jahres einbttfst^) Wol starrte die Halbinsel von Festungen
als Caesar und die Triumvirn einrückten, aber in allen Krisen der un-
tergehenden RepubUk haben die Besitzer nie daran gedacht mit
Preisgabe ihrer Pflanzungen auf den Mauern die Freiheit zu ver-
theidigen. Damals als jede italische Stadt dem Hannibal die Thore
schlofs, war das Land noch arm und von gartengleichem Anbau weit
entfernt.
1) PliD.XVU8vgl.Xy39fg.
2) Varro RR. I 2 non arbarihu eomita Italia est ut tota pomarhtm vi-
deatur?
3) PUn.XIVt37fg.
4) Vgl. Hehn« 105 und das S. 453 A.5 angeführte Beispiel.
456 Kap. X. Die Vegetation.
§ 6. Der Gartenbau.^)
Den EinfluTs des Auslands auf die Bodencultur haben wir in den
vorhergehenden Ausführungen besonders hervorgehoben. Vielleicht
noch wichtiger als der Absatz auf dem Weltmarkt ist der eigene Be-
darf für die Umbildung derselben geworden. Die Schätze des Erdkrei-
ses strömten in dem herrschenden Land zusammen , seit dem Sturz
Karthago's beginnt Rom sich zur Weltstadt zu entwickeln, in verschie-
denen Theilen Italiens ttben aufblühende Städte eine wenn auch weit
geringere, so doch immer bedeutsame Anziehung auf die Umgegend
aus. Es giebt keine vortheilhaftere Nutzung des Bodens als diejenige
ist die Grofsstädter mit ihrem täglichen Bedarf an KOchenkräutem
Früchten und Blumen zu versorgen. Diese Regel war den Alten ebenso
geläufig wie uns.^) Nach Sttden fortschreitend wird die animalische
Nahrung immer mehr durch vegetabilische ersetzt. „Die Kttcheoge-
wächse sind hier mannichfacher, und auf den Krautmärkten der grOlsern
Städte pflegt um die Springbrunnen herum eine verwirrende Menge
Wurzeln Blätter und Knollen aller Art den musivischen Steinboden
zu bedecken und die Auswahl zu erschweren. Manches davon ist bei
uns nicht bekannt, nicht gebräuchlich, das Bekannte erscheint in zahl-
reichen Varietäten; auch stammen unsere deutschen Gemüse, wie
schon ihr Name lehrt, fast alle aus Italien, nur wenige sind ursprüng-
lich in Deutschland heimisch.'^ ^) Namentlich der ärmere Theil der
Bevölkerung, der nur ausnahmsweise Fleisch geniefst, ist auf GemQse
angewiesen.^) Die Versorgung des Gemüsemarktes (forum oläo-
rium) nahm im Altertum ausgedehnte Flächen in Anspruch, die Gräben
und Glacis der alten Festungen wandelten sich in der Friedensepoche
Italiens in Gartenringe um.^) Die Gemeinden, deren Namen in der
früheren Geschichte der Republik mit Kriegen und Feldzügen unzer-
trennlich verknüpft scheinen, sind jetzt auf den bescheidenen Ehrgeiz
1) H. Wiskemano, die antike Landwirtschaft und das von Thönensche Ge-
setz, Preischr. d. Jablonowskischen Gesellschaft Vn, Leipzig 1859. W. A. Becker,
Gallos 111*29 fg.
2) Varro 116 itaque sub turbe eolere hortos laU eäcpedii, sie violarU tc
rasaria item multa quae urbs recipit^ cum eadem in longinquo praedio, übt
non Sit quo deferri posiit venale, non expediat eolere.
3) Hehn, Italien 40 vgl. Galturpfl/ 425.
4) Plin. XIX 51 Romae quidem per se hortus ager pauperis eraU ex kerio
plebei maeellum»
5) Cyrillische Glosse p. 146 Labb. o ivrog ^ ixvo^ telxovg x^tioq^ na(fd'
6$iaoq pomerium»
§ 6. Der Gartenbau. 457
herabgesetzt in der Güte ihrer Marktgewachse mit einander zu wett-
eifern. Der alte Cato hatte unter aUen dem Kohl den höchsten Rang
zugesprochen und seine Landsleute stimmten ihm bei : um den Ruhm
den vorzüglichsten Kohl zu erzeugen streiten mit einander Aricia
and Ardea, Tibur und Signia, Capua Gaudium Gumae Neapel Pom-
peji Stabiae, die Landschaften der Brettier Marruciner und Sabeller.^)
Ostia und Aricia glänzen durch ihren Lauch 2), Tusculum und Ami-
ternum durch ihre Zwiebeln'"^), Amiternum und Nursia durch ihre
Rttben.4) In der Spargelzucht fand Ravenna nicht seines Gleichen:
3 Stengel wogen ein Pfund (327 gr).^) Auf dem Obstmarkt sind
alle Gaue der Halbinsel vertreten: sogar Verona beschickt ihn mit
Pfirsichen. <^) Besonderen Ruf geniefsen die Aepfel von Ameria ^), die
Birnen von Crustumium Tibur Tarent, aus dem Falernergau nnd Pice-
Dum ^), die Feigen von Tusculum Herculaneum und der Sabina % die
Lambertsnüsse von Avella und Praeneste ^^) u. s. w. Auch die Blu-
menzucht nimmt in der Wirtschaft eine Stelle ein. Aber während
eine grofse Menge verschiedenartiger Küchenkräuter und BaumfrUchte
gebaut wurden, beschränkten sich die Alten auf verschwindend wenige
Blumenarteo. Mit Rose Lilie Veilchen und Crocus ist ziemlich die
ganze Zahl erschöpft. Eine so liebUche Erscheinung z. B. wie die in
Italien einheimische Nelke hat erst in der Zeit der Renaissance die
Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Zwar haben die Römer einen über-
schwanglichen Luxus mit Blumen getrieben; aber dieser äufsert sich
nicht wie in Holland in der Vorliebe für Seltenheiten und neue Arten,
sondern weit derber und roher in der Massenhaftigkeit des Verbrauchs.
Um der Hauptstadt zu genügen reichte die nähere Umgebung nicht
aus; die Bezugsquellen erstreckten sich bis nach Gampanien und den
gefeierten Rosengärten von Paestum. ^ ^) Die allgemeine Voiüebe führte
1) Cato RR. 156 fg. Goi. X 127 fg. Fun. XIX 136fg.
2) Pilo. XIX 110 Gel. X 139 mater Ancia porH,
3) Plin. XIX 105.
4) PUn.XlX77 Cd. X 421.
5) Pilo. XIX 54. 153 (vgl. Gate 161) Mart. Xin2i.
6) PUn. XV 48.
7) Gel. V 10 Plin. XV 50.
8) GoL V 10 PliD.XV58fg. GoLX 138 pomosum Tibur Verg. Georg. II 88.
9) Cato RR. 8 Varro 1 67 Macrob. Sat. lU 16, 12 Plat. Pomp. 67, 3.
10) Cato 8 Gol.VlO Macrob. Sat. III 18, 5.
1 1) Martial IX 60 Verg. Georg. IV 119 Ov. Met. XV 708 ex Ponto II 4, 28 Prop.
V5,61 GoLX 37.
458 Kap. X. Die VegeUüon.
auch dahin zur Winterzeit Blumen in Treibhäusern zu ziehen: eine
uns wie manche andere harmlos dttnkende Aeuberung des Luxus, die
im Altertum als naturwidrig gescholten wardJ)
Der Gartenbau hat auch eine Gartenkunst ins Leben gerufen.
Die alte RepubUk kannte dergleichen nicht: in den Festungen war für
Blumenbeete und Zierbflume kein Platz, die Gutsherren aber beschäf-
tigen sich mit ihrer Wirtschaft und der Steigerung ihrer Bodenrente.')
Der Landsitz des Scipio Africanus bei Liternum wird uns ungeachtet
der neumodischen Bildung des Inhabers als eine befestigte Burg be-
schrieben.^) Mit dem zunehmenden Reichtum wird die äufsere Um-
gebung behagUcher und anmutiger gestaltet, das Raumbedürfnifs das
Streben nach Luft und Licht wuchst. Die Ruinen von Pompeji zeigen,
dafs in späterer Zeit ein Blumengärtchen als notwendiges Zubehör
einer bescheidenen Stadt wohnung betrachtet wurde; in den engen
Mietsgelassen Roms zog man Blumen in den Fenstern.^) Im letzten
Jahrhundert v. Chr. werden die Meierhöfe, welche zu Tausenden Italien
erfüllten, in wirkUche Herrensitze umgewandelt, mit jenem massen-
haften Aufwand von Mitteln, der dem römischen Luxus eignet, ohne
Rücksicht auf Kosten in tollem Wetteifer der Grofsen unter einander
verschwenderisch ausgestattet. Ein Baufieber beseelte die Zeitgenosseo
Caesars und seiner Nachfolger, desgleichen die Welt nicht wieder ge-
schaut hat Um die Principien ihrer Gartenkunst zu erfassen, mOgeo
wir von den heutigen Verhältnissen ausgehen^): „die Villa ftthrtso
zu sagen nur künstlerisch aus was ohne sie in der sttdeuropäischen
Vegetation vorgebildet liegt. Geradlinig, mathematisch gezeichnet, mit
schwarzen LaubwSnden , in stillen reinen Umrissen umgiebt sie den
Besitzer wie eine humanisirte ideale Natur, die das SauleogebSude in
der Mitte harmonisch fortsetzt und in der die marmornen Götterbilder
auf grünem Hintergrunde den schönsten Platz finden. Die Villa ver-
hält sich zum Walde wie der Tempelbau zu den Bergen. Im Winter
erquickt hier den Lustwandelnden die warme Sonne zwischen immer-
grünen Gewächsen , im Sommer kühlt ihn der plätschernde Spring-
brunnen , indefs der Blick durch die freien OefTnungen auf die blaue
Sierra oder das Meer mit seinen Inseln oder auf die ruinenbesäte Dm-
1) Sen. Ep. 122, 8 Martini IV 22, 5 VIO 14 Macrob. Snt VD 5, S2.
2) Plin. XIX hl Vnrro RR. U praef. Ol 2.
3) Sen. Ep. 86, 4.
4) Meine Pomp. Stadien 647 Martini XI 18.
5) Hehn, Italien 76, gegen den flbrigens die nngeknflpfte Polemik sieh richtet
§ 6. Der Gartenbau. 459
gegend filUt.'^ Freilich ist es ein grofser Irrtum diese Schöpfung mo-
derner Menschen, die dem Zeitalter der Renaissance, der Naturwis-
senschaften und Entdeckungen entstammt, dem römischen Altertum
luzuweisen. Die Ucbereinstimmung zwischen italienischer und alt-
romischer Gartenkunst beschrankt sich auf den beiden gemeinsamen
architektonischen Grundcharakter, welcher durch die Vertiältnisse des
Landes, durch Klima und Vegetation, auch durch den hohen Wert des
Bodens bedingt ist Aber im Uebrigen mufs man an letztere einen
recht niedrigen Hafsstab anlegen. Der römische Ziergarten ist in der
Stadt entstanden und hat diesen Ursprung nie verleugnet. Er wird
angelegt um mehr Wohnräume zu schaffen und diesen ein groCseres
Quantum von Luft und Licht, Sonne und Schatten zu vermitteln. Des-
halb ist er rings von Säulenhallen und dahinter liegenden Zimmern
eingefafst. Der erforderliche Grund und Boden wird durch das Nieder-
reifsen von so und so viel Bürgerhäusern gewonnen. Schritt für Schritt
können wir in Pompeji die aUmäliche Ausdehnung der Palastgärten
verfolgen. Genau nach städtischem Vorbild ist das Landhaus die vitta
pseudurhana angelegt^) Es setzt sich zusammen aus einer verwirren-
den Menge von Atrien Peristylen Triclinien Pahestren Portiken und
Kryptoportiken, die unter sich nur durch den Gedanken verknüpft sind
dem Besitzer zu jeder Jahr- und Tageszeit die grOfstmOgliche Bequem-
lichkeit zu bieten. Eine Reihe lieblicher Bilder, anmutiger Einzelheiten
liefs sich derart schaffen, aber keine Einheit. Jede Wirkung der Villa
in der Landschaft war schon deshalb ausgeschlossen, weil sie kein
Aufsenbau sein konnte, weil sie ihr Licht durch geschützte Innenhofe
erhielt. Zwar sind in der Kaiserzeit einzelne Räume mit Glasfenstern
ausgestattet worden ; aber diese schüchternen Anfänge haben erst nach
mehr als einem Jahrtausend zur Schöpfung des einheitlichen modernen
Hauses geführt.^ Mochte der Aufwand auch noch so colossal sein, ein
Kunstwerk wie die italienische Villa der Neuzeit ward damit doch nicht
erreicht') Man kann sich kaum etwas Langweiligeres denken als jene
endlosen Säulenhallen und jene Masse von Baulichkeiten, welche Ha-
drian auf seiner Prachtanlage bei Tibur zu einem gigantischen Rari-
1) Wie Vitmv VI 8, 3 ausdracklich hervorhebt nnd die Ruinen sattsam
bestätigen.
2) Meine Pomp. Stnd. 697. Auch die rtaisckoD VUlen im Norden, wo das
Klima den Peristylban ansschlols, haben die Landschaft mit ihren langen Fan-
den gewifo nicht verschönert vgl. Heitner Westdeotoche Zeilschrift II 15 fg.
S) Sali. Gat 12 domas atque vilia» in urbütm modum exoBÜfieatas.
460 Kap. X. Die Vegetation.
tätencabinet vereinigt hat. Freie Natur duldete der Römer in seiner
Umgebung nicht. Die Herren all der prunkenden Schlösser blieben
reich gewordene Bauern ohne einen Funken ritterlichen Sinnes. Das
Wild mästeten sie in engen Gehegen und halbdunkeln Vogelhäusern.^)
Wie Mensch und Thier, so drückten sie auch der Pflanzenwelt den
Stempel der Knechtschaft auf. Die immergrünen Gewächse Buchsbaum
Cypresse Lorbeer Myrte werden nicht nur in Hecken Wänden und
Einfassungen gezogen, wozu sie sich vorzüglich eignen, sondern aach
verschnitten zu Kegeln Kugeln und Namenszügen , Schiffen Thieren
und allen möglichen Alfanzereien.^) Mit der Monarchie verbreitet sich
die neue Mode. Gewifslich hat der römische topiarius seinen CoUegeo
in China und Frankreich an Kunstfertigkeit nicht das mindeste nach-
gegeben, lieber den Geschmack dieses Rococo mag auch Jeder den-
ken wie er will. 3) Aber wenn Hehn „den Ausdruck der heitern Freude
an Form und Mafs^' darin erblickt, müssen wir doch betonen, dafs eine
derartige Mishandlung der Natur in allen Fallen die Unfreiheit der
menschlichen Gesellschaft wiederspiegelt, aus welcher das heutige
Europa durch Ströme von Blut sich emporgearbeitet hat^ durch welche
das Culturreich des fernen Ostens zu greisenhafter Ohnmacht verur-
theilt und endlich das römische Altertum zu Grunde gegangen ist.
§ 7. Die Landschaft.
Dem Leser wird es nicht entgangen sein, dafs das antike Italien
ein anderes landschaftliches Gesicht zur Schau trug als das heutige.
Wir wollen versuchen die Unterschiede kurz nachzuweisen. Der aesthe-
tische Charakter eines Landes wird durch vier Hauptfactoren bedingt:
1) VarroRRin5fg.l2rg.
2) PUd. XVI 76. 140 XV 122. 131 Pirmic. Math. VDI 10.
3) Der JüDgere Plinins hat eine wahrhaft kindliche Frende daran V 6, 16
ante porUeum xy»tui in plurimas tpeeiet disiineiui eoncUusque kuxo; dt-
misms inde pronusque pultrinus, cui beiUarum effiffiet inmeem advenai
buxui inscriptit: acanthuM in piano moüit et paene dixerim Uquidus, ambit
hunc amkulaUo preisis varieque tonsis viridibus incbisa: ab kis gettoHo uc
modum drei, quae btuntm mulUformem kumiiesque et retenias manu arbu-
seuiae eiretanii, eb. 35 aHbi pratulum alibi ipsa buxus inttrvenU im fermat
miUe deseripta, litteroM interdum quae modo nomen domini dieunt modo er-
tifieis: aUemis metulae surgunt aliemis ineerta tuni poma^ et in opert
urbanissimo subita velut iniati ruris imitatio, medium Mpathm
brevioribus utrimque platanis adornatur: post hae aetaUhut hine inde hh
brieus et ßexuoiue^ deinde phtres figurae pluraque nomina.
§ 7. Die Landschaft. 461
durch das Relief des Bodens, durch die Beleuchtung, durch die Vege-
tation und endlich durch den menschlichen Anbau. Was zunächst den
ersten betrifft^ so versteigt einseitige Schwärmerei sich wol zu der Be-
hauptung, dafs die B e r g f 0 r m e n des Südens schöner modellirt, durch
höheren Adel vor den nordischen ausgezeichnet seien, ohne zu beden-
ken dafs die gleichen Felsarten v^eder an geographische Längen noch
Breiten gebunden sind, sondern auf der ganzen Erde vi^iederkehrend
überall auch die gleichen Bergformen hervorbringen mtlssen. Die
Majestät der Gebirge hängt von ihrer Erhebung ab. Die Alpen und
die Koste Norwegens führen uns die Erhabenheit der Natur vor Augen,
die wir am Mittelmeer vermissen. Statt dessen ist eine vollendete An-
mut hier ausgebreitet Die bewegte geologische Vergangenheit, der
Kampf des Festen und Flüssigen, die Vulkane mit ihrer feinen Linien-
gebung — alles hat zusammen gewirkt um an der tyrrhenischen Seite
Italiens einen Reichtum an Umrissen zu vereinigen , der schwerlich
irgendwo überlrofTen wird. Es fehlt ja auch nicht an schönen Bildern
an der Adria, aber diese verblassen neben der überwältigenden Fülle,
die in buntem Wechsel von den Seealpen bis zur Südspitze Brultiums
ununterbrochen fortläuft. Gelegentlich ist angemerkt worden, wie in
bekannten Landschaftsbildern (S. 269. 308 u. a.) einzelne bedeutsame
Züge sich verändert haben ; aber wenn von dem allgemeinen Charakter
die Rede ist, kommen derartige Kleinigkeiten selbstverständlich nicht in
Betracht Das nämliche gilt von der Farbe, in welcher der eigent-
liche Zauber des Südens ruht Die Sonnenstrahlen fallen unter steilerem
Winkel, daher mit gesteigerter Kraft ein. Die Gegensätze des Lebens,
die sich unter hohen Breiten vermengen, Tag und Nacht sind scharf ge-
schieden : dort blendender Glanz, hier schwarzes Dunkel, ein berau-
schendes Farbenspiel beim Uebergang von einem zum anderen. Die
höhere Erwärmung bewirkt die gröfsere Reinheit der Luft. Ohne Trü-
bung vermag dieselbe mehr verdunstetes Wasser aufzunehmen und
schwebend zu erhalten als diesseit der Alpen. „Der höheren Sättigung
der Luft mit Wasser verdanken Maler und Naturfreunde das sonnige
Blau der Femen, sowie ihre vielen Abstufungen ohne Verlust an Schaffe
der Umrisse. Die höhere Erwärmung und die gröfsere Lichtfülle ver-
ursachen die Milderung und Besänftigung alles Fernen , und so ent-
stehen jene zarten Farbentöne ^ welche uns an südliche Landschaften
zum Nimmersattwerden fesseln.^^ i) Unter den heutigen Reisenden wird
1) 0. Peschel, Abhandlungen zur Erd- und Völkerkunde, N. F. Leipzig
1S7S, p. 499.
462 Kap. X« Die VcgetaÜoD.
gern darüber gestritten, ob der Himmel Italiens blauer sei ab der
uosrige und wo die tiefe Bläue desselben beginne. Es steht Jedem
frei nach seinen persönlichen Eindrücken die Frage beliebig zu beant-
worten. Sieher dagegen ist, dafs das Mtttelmeer in einer Pracht leuch-
tet, von der man an den Ufern der Nord- und Ostsee keine VorsteUung
gewinnt: purpurn heifst es bei Homer und vereinigt in der That alles
was es an Farbenglanz giebt, in sich. Sicher ist auch, dafs der Mond
mit ganz anderer Kraft die Dunkelheit erhellt als bei uns, dals das
Weben der Nacht machtvoller die Sinne bestrickt Klar und bestimmt,
reich und anmutig wölbte sich der Himmel über dem Süden, befähigte
den Menschen das Geheimnifs sinnlicher Schönheit leichter zu erfassen.
Wir schauen Berg und Hügel, Land und Meer in denselben Um-
rissen, in demselben Licht wie die Alten und eriialten doch andere
Eindrücke; denn solche werden vor allem durch das Pflanzenkleid
beeinOufst. Dem heutigen ItaUen giebt der Mangel an Wald sein land-
schaftliches Gepräge. Dafs dessen Zerstörung einen unberechenbaren
wirtschaftlichen Schaden verursacht hat, unterliegt keinem Zweifel:
ebensowenig dafs das Land durch sie an Reiz eingebüfst hat Unter
diesem blendenden Licht, bei diesen grellen weifsen grauen gelben
Farben lechzt das Auge nach Grün. Schweriich würden die griechi-
schen Berichterstatter zur Zeit des Augustus mit solchem Entzücken
von der Waldfrische Italiens reden, wenn ihre Blicke auf den wüsten
brennenden Berglehnen geruht hätten, die der Appennin gegenwärtig
darbeut. Ein Waidmann wie Polybios wird vermutlich mit gröfeerem
Behagen durch die Forsten des Polands geritten sein, als der heutige
Reisende die eintönigen Reis- und Weizenfelder durchmifst. Vollends
die öden Steppen der Halbinsel müssen seit jener Vergangenheit, da
die Buche sich in den Wellen der tyrrhenischen See spiegelte, ebenso-
viel verloren haben wie das Alter gegenüber der blühenden Jugend.
Die Stelle des Waldes nehmen jetzt einzelne Bäume und Baumgruppen
ein. Sie gehören vorwiegend der immergrünen Flora an und verMhea
mit ihren starren Formen ihrer düstern schwärzlichen Farbe der Land-
schaft einen architektonischen Ausdruck. Auch hier vermag ich der
Ansicht nicht beizupflichten, welche für Pinie Cypresse und wie diese
niedrigen Culturbäume sonst noch heifsen, eine höhere Stufe der Ent-
wicklung in Anspruch nehmen will als für die freien Söhne unserer
Wälder. Sehr wahr bemerkt Fischer dafs die ganze immergrüne Vege-
tation „durchaus jene lebensvolle Frische Miltel-Europa's entbehrt,
an der sich derjenige immer und immer wieder erquickt, der lange
§ 7. Die Lindschaft. 468
Zeit im sadlichen Mittelmeergebiet gelebt bat.^^ Derber äufserte sich
derNatursinn eines weltkundigen Seemanns: die gepriesene Flora der
Tropen sjihe aus wie lackirtes Blech. Es ist leicht verständlich, warum
die Alten die tropischen Fremdlinge um ihre Tempel und Villen an-
pflanzten; denn dieselben trotzen dem Winterschlaf und gewahren
gerade in winterlicher Jahreszeit den höchsten Genufs. Im Uebrigen
war die alte Naturreligion zeitlich zu wenig entrückt, als dafs die Ehr-
furcht vor und die Freude an alten Bäumen aus den Gemütern hätte
gelöscht sein können. „Wenn Dir — schreibt Seneca t) — ein dichter
HaJD von alten das gewöhnliche Mafs überragenden Bäumen aufstöfst
und der Schatten der in einander verschlungenen Zweige den Anblick
des Himmels verdeckt, dann giebt der schlanke Baumwuchs und die
Heimlichkeit des Ortes und die Freude an dem dichten ununterbro-
chenen Schattendunkel im offenen Felde die Bflrgschall von der Ge-
genwart der Gottheit^^ Es hat recht lange gedauert — bis zur Aus-
breitung des Christentums — , bevor die Tempelhaine im Flachland
der Habsucht der Anlieger sämmtlich zur Beute üelen.^) Von der re-
ligiösen Verehrung abgesehen, hat auch der Wald das aesthetische
Gefühl der Alten angeregt und befriedigt. Die Schilderungen der Dich-
ter deuten darauf hin, wenn es z. B. bei Vergil heifst '):
fuantui Atho$ out fuanhu Eryx out ipse eoruseU
cum fremii iHcibui quanJhu gaudetque nivali
vertiee se aUolleru pater Appenninu* ad auras.
Der jüngere Plinius beschreibt das obere Tiberthal folgender
Mafsen^): „die Gegend ist wunderschön. Stelle Dir ein ungeheures
Amphitheater vor, wie es allein die Natur zu bilden vermag: eine weit
ausgedehnte Ebene wird von Bergen umgürtet, die Berge sind mit
altem Hochwald bekrönt und haben einen reichen Wildstand. An den
Abhängen zieht sich Schlagwald hinunter, dazwischen fette ErdhOgel
(denn Felsen sucht man hier überall vergebens), die dem ebensten Ge-
filde an Fruchtbarkeit nicht nachstehen und eine gesegnete Ernte wenn
auch etwas später zur Beife bringen. Unterhalb erstrecken sich Wein-
berge rings herum und gewähren weit und breit einen einheitlichen
Anblick. Wo sie aufhören, folgen Obstpflanzungen und bilden gleich-
sam ihren Saum gegen die Ebene. Diese enthält Wiesen und Korn-
1) Sen.Ep.41,3 PreUer, Rom. My th.« 95.
2) Rodorff, Gromat. faistitut. 26t fg.
3) Yerg- Aen. Xn 701 1164 Georg. 10332 OvidAm^DI 1, 1 LocanDUdO.
4) PliD. Ep. V 6, 7.
464 Kap. X. Die Vegetation.
felder. Riesige Ochsen und die stärksten Pflüge werden allein mit dem
Boden fertig. Nimmt man ihn nach der Brache in AngrifT, so ist er
Sufserst zäh und erhebt sich in solchen Schollen, dafs neunmal ge-
pflügt werden mufs. Die Wiesen prangen im Blumenflor, Klee und
Gras sind zart weich und gleichsam ewig jung; denn alles wird tod
beständigen Bächen genährt. Aber trotz der Wasserfülle ist kein Sumpf
da, weil der geneigte Boden das empfangene Wasser, das er nicht auf-
nehmen kann , an den Tiber abgiebt. Dieser schiflhare Flufs strömt
mitten durchs Gefilde und trägt alle FeldfHlchte nach Rom hinab im
Winter und Frühling; im Sommer wird er seicht und trocken, gewinnt
dann im Herbst neue Kraft. Die Aussicht auf diese Gegend von einer
Anhühe aus gewährt einen grofsen Genufs. Man glaubt nämlich niclit
eine Landschaft , sondern ein Gemälde von aufserordentlicher Schön-
heit zu schauen: ein solcher Wechsel, eine solche Zeichnung begegnet
dem Auge, wohin es sich wenden mag.^' Die Beschreibung traf einst
im Grofsen und Ganzen auf viele Thäler des inneren Appennin zu.
Heut zu Tage sind die einzelnen Züge deutlich wieder zu erkennen:
nur der Hochwald und der Wasserreichtum wird vermifst.
Die Naturempfindung wird durch das persönliche Vcrhältnifs be-
dingt, in dem der Mensch zur Natur steht Erst die moderne Wissen-
schaft hat den inneren Zusammenhang der ganzen Erdoberfläche, die
Wechselwirkung aller Theile unter einander aufgedeckt, damit zugleich
den Sinn für Hochgebirge und Wüste erschlossen. Der Römer er-
götzte sich an schattigen Bäumen murmelndem Wasser, am Ausblick
über das weite Heer oder eine fruchtbare anmutige Gegend. KOrpe^
liches Behagen geht ihm mit landschaftlichem Genufs Hand in Hand.
Die yielen Aeufserungen desselben , welche in Prosa und Poesie auf
uns gelangt sind, bekunden sämmtlich eine idyllische Stimmung.*)
Solche entsprach auch den damaligen Zuständen Italiens. Durch der
Götter Gunst und die Kraft seiner Bewohner erfreute sich dies geseg-
nete Land drei Jahrhunderte lang einer materiellen Wolfabrt, welche
an diejenige des heutigen England erinnert. Das Leben gehörte der
Gegenwart, nicht einer Vergangenheit an, die zwar frei aber daneben
1 ) Quint X 3, 24 siharum amoenitat et praeterlabmitia flumina et in-
spirantes ramU arborum aurae volucrutnque eantus et ipta täte eireumtpi'
dendi libertas ad te trahunt: ut näht remittere potius voluptas ista tide-
atur cogitaiionem quam intendere vgl. Friedländer, Sittengeschichte H Ober
die Reisen derTonristen p. 47 fg. nnd das Interesse fCir Natur p. 118 fg. A.T.
Humboldt, Kosmos II p. 6 fg.
§ 7. Die Landschaft 465
auch arm gewesen war. Mochte die Wehmut über den politischen Um-
schwung, den Verfall der Sitten, die Zunahme des Luxus den ergrei-
fendsten Ausdruck suchen , der Stolz auf den strahlenden Glanz der
Heimat ist den römischen Patrioten darum nicht vergällt worden.
Noch vor Kurzem war Italien das Land der Geschichte, der Ahstand
zwischen einer grolsen Vergangenheit und einer erhärmlichen Ge-
genwart empfing den Besucher auf Schritt und Tritt, die elegische
Stimmung die ein Kirchhof hervorruft, bemächtigte sich nur zu oft
seines Gemüts. Wenn es der wiedergebornen Nation wie wir hoffen
gelingt die verödeten Fluren der Halbinsel der Malaria zu entreifsen,
einen unabhängigen Bauernstand zu schaffen , Schmutz und Ver-
wahrlosung zu beseitigen , dann wird der Charakter des Landes wie-
der ein einheitlicher werden, wie er im Altertum war. Dem antiken
Menschen ging die Empfänglichkeit für eine elegische Landschaft kei-
neswegs ab. Den chssischen Boden, wo die gebildete Welt sie studirte,
bot Hellas mit seinen verbissenen Städten und seinen grofsen Erinne-
rungen dar. Wol liefsen sich auch am Golf von Tarent und auf Sici-
lien, in Sybaris und Kroton, Syrakus und Akragas Betrachtungen über
die Wandelbarkeit menschlichen Glücks anstellen. Mit Lust und Eifer
suchten die Touristen wechselnde Eindrücke in Italien zu erhaschen,
eilten von der überfeinerten Cultur Campaniens in die menschenleeren
Waldschluchten Bruttiums und Lucaniens, von da unter den milden
Hinunel van Tarent um wieder nach der Weltstadt am Tiber zurück-
zukehren.*) Aber die Verlassenheit Grofsgriechenlands hat so wenig
den Gesammtcharakter bestimmen können, wie etwa Eifel und Lüne-
burger Heide denjenigen unserer Heimat. Erst nachdem die Mahria
ibre Herrschaft am tyrrhenischen Meer begründet hatte, in den Schil-
deningen des RutUius und Cassiodor tritt der Verfall als landschaft-
liches Element in den Vordergrund, den er seitdem behauptet hat Von
der Blüte des Altertums lehrt uns die chissische Einöde Etruriens La-
tiums Lucaniens nur die äufseren Umrisse kennen. Um solche zu be-
leben , müssen wir auf diejenigen Theile des Landes zurückgreifen,
welche der Gegenwart angehören, Frische und Kraft des Nordens be-
wahrt haben. In Piemont und der Lombardei umweht uns weit mehr
der landschaftliche Hauch Altitaliens als unter den Ruinen der römi-
schen Campagna.
1) Seo. Disl. IX 2, 13.
Kitita. IteLUndMlniBd«. I. 30
KAPITEL XI.
Die TolksstSmme.
Die Darstellung kehrt zu ihrem Ausgang surttck. Das politische
Leben Altitaliens bleibt dem Zweiten Bande ▼oil>efaalten. Indessen
würde ein wichtiger Zug an dem Bilde, das wir hier su entwerfen so«
eben, fehlen, wenn die Volksstftmme die das Land bewohnten, keine
Berücksichtigung fänden. Ihre Herkunft Bildung Schidtsale fallen ent-
weder ganz oder doch grOfstentheils aufserhalb der Ueberlieferung. Sie
werden von dieser als gegeben vorausgesetzt und gewisser Hafsen
spiegelt sich die Natur des Landes in der Mannichfaltigkeit seiner Be-
wohner wieder. Viele Jahrhunderte verstrichen bevor der Name Italia
die Geltung die wir ihm beilegen, erlangte; noch länger hat es ge-
dauert bis innerhalb dieser Grenzen gleiche Sprache und Sitte sidi
verbreitete , eine einheitliche Nation erstand. Nach einem Ausspruch
Q. Cicero's ist die Bürgerschaft Roms aus einer bunten Mischung von
Stämmen hervorgegangen.^) Nach einer anderen Nachricht wurden
die Einwanderer durch das milde Klima die Fruchtbarkeit des Landes,
seine Aecker und Weiden, seine Flüsse und Häfen angelockt; sehr
viele Stämme, heifst es, so viel wie nirgend sonst liefsen sich in Italien
nieder; vor Alters theilten sich 1197 Städte in dessen Besitz. 2) Dieser
Gesichtspunct von dem wir S. 57 ausgegangen sind, soll nunmehr zum
Schlufs näher erörtert werden. In den meisten Ländern Europa's be-
gegnen nur zwei Stämme, ein älterer und ein jüngerer, von denen
jener entweder aus seinem Erbe vertrieben, zurückgedrängt oder unter-
jocht und seiner Eigenart beraubt wird. So kennen wir auf scandina«
vischem Boden allein die beiden Familien der Finnen und Germanen,
1) Q. Cic. de pet cons. 54 etvütts ex naiionum eonveniu eonttiiuia,
2) Aelian var. bist IX 16.
{ 1. Die Liflfnrer. 467
in England Kelten und Germanen, in der deutschen Tiefebene Letten
und Slaven, im Süden und Westen unseres Landes Kellen vor der deut-
schen Eroberung, in Gallien neben den Kelten Ligurer und Iberer, auf
der spanischen Halbinsel Iberer und Kelten. Die angeführten Beispiele
weisen darauf hin, dafs die Zugänglichkeit eines Landes, wie solche
Germanien und Gallien von Scandinavien Britannien Iberien unter«>
scheidet, das Eindringen verschiedenartiger Völkerfamilien begünstigt
bat. In der centralen Lage Italiens erblickten wir den Grund für die
aufserordentliche Mannichfaltigkeit seiner Bewohner. Dafs der allge*
meine Volkscharakter hierdurch wesentlich beeinflufst worden sei, ver-
steht sich von selbst. Die Klarheit Glätte Verständigkeit, der praktische
Sinn der die Römer auszeichnet, wird aus der Mischung abzuleiten sein,
aber auch der Mangel an Schöpferkraft die aus dem tiefsten Born wah-
ren Volkstums emporquillt. Jene Eigenschaften befähigten die rö-
mische Cultur dauernde Eroberungen in einem Umfang zu machen,
welcher der hellenischen trotz ihrer höheren Vollendung eben wegen
ihres unvertilgbaren nationalen Gepräges versagt blieb. Die Latinisi-
rung Italiens wird durch den Erwerb der Weltherrschaft eingeleitet,
durch den Bundesgenossenkrieg entschieden, durch die Eroberung der
Alpen abgeschlossen. Das römische Bürgerrecht bedingt den öffent-
lichen Gebrauch des Latein : Gericht Verwaltung Armee Handel Ge-
sellschaft bedienen sich desselben, die Landessprachen hören auf ge-
schrieben zu werden und sind damit dem sicheren Untergang geweiht.
Manche derselben sind vor Ertheilung des Bürgerrechts zum Rang von
Schriftsprachen erhoben worden und durch erhaltene Denkmäler we-
nigstens ihren allgemeinen Umrissen nach bekannt. Die Denkmäler
bilden naturgemäfs die Grundlage einer jeden ethnographischen For-
schung. 0 Leider entbehren wir derselben für verschiedene alte und
bedeutende Stämme, welche ihre Unabhängigkeit von der überlegenen
Bildung der Nachbarn nicht zu erringen vermochten. Für solchen
Mangel gewähren die heutigen Mundarten nur einen dürftigen Ersatz.
Von vornherein läfst sich die Annahme nicht abweisen, dafs im Wort-
schatz wie den Lautgesetzen Berührungen zwischen den Dialekten und
den verschollenen Landessprachen statt finden : der Gegensatz zwischen
dem Norden und der Halbinsel, zwischen der gallischen und der nicht
gallischen Hälfte des Nordens ftillt sofort in die Augen und kann
1) Gesammelt von Ariodante Fabretti, Gorpos inscriptioDnm Italicamm et
Glossariam Italicum, Aug. Taur. 1867 foL, dazu 3 Supplemente, Torioo 1872^78*
30*
468 Kap. XI. Die YolkssÜmme.
schlechterdings nur aus einer Nachwirkung der ursprünglichen Stam-
mes- und Sprachverschiedenheit erklärt werden. Aber der erkennbare
oder vorsichtiger ausgedrückt der bisher erkannte Zusammenhang bei-
der beschränkt sich auf äufserst wenig Erscheinungen ; die Länge der
Zeit hat ihn verwischt, i) Was endlich die historische Ueberlieferung
betrifft, so ist streng zu scheiden zwischen den wertvollen Nachrichten,
die auf Augenzeugen zurückgehen, und jenem Flickwerk von Vermu-
tungen und Trugschlüssen , mit dem die Phantasie der Schriftsteller
die Anfänge und Ursprünge der Völker auszuschmücken liebt ^) Das
vorhandene Material läfst an Vollständigkeit viel zu wünschen übrig,
reicht indessen aus um den an die Spitze gestellten Satz zu erläutern.
§ 1. Die Ligurer.3}
Später als die Sikeler aber früher als Iberer und Kelten tauchen
die Ligurer in der hellenischen Litteratur auf.^) Die Gründung von
Massalia hat sie den Hellenen vertraut gemacht. Ihr Name wird zur
Bezeichnung des gesammten Westens gewählt: Hesiod nennt als Haupt-
völker an den Grenzen der Erde Aethiopen Skythen und Ligurer, Eu-
ripides nennt die Kirke eine Ligurerin, Eralosthenes nennt die iberi-
sche Halbinsel ligurisch.^) Die Kühnheit, mit der sie auf elenden Käh-
nen das Heer befuhren, erregte Bewunderung; sie fochten regelmäfsig
unter den Soldscharen Karthago's.^^) Die Fabeln welche weit entrückten
Völkern angehängt zu werden pflegten, fehlen auch hier nicht: die
1) Diez, Grammatik der Romanischen Sprachen 1> p. 61 fg. Etymologischtf
Wörterbuch« p.X fg.
2) Schwegler, Römische Geschichte P 154 fg. Tabingen 1867. Kaspar Zeufs
die Deutschen und die Nachbarstamme, München 1837. L. Dlefenbach, Origines
Europaeae, die alten Völker Earopas mit ihren Sippen und Nachbarn, Fraolt-
furt a. M. 1861.
3) Albert Bormann, Ugastica I— Dl Gymnasialprogr. Andam 1864. 65
Stralsund 1868.
4) Aelteste Erwähnung bei Hesiod nach Strabo VII 300 und Aescbylos Str.
IV 183 Dion. Hai. 1 41. FOr die tibliche Namensform Alyveg braucht Polybios
stehend Aiyvottvoi, das sich u. a. Lykophr. AI. 1356 findet. A^ectiv Jtyv-
OTixog, Strab. IV 202 Aiyvatlvog; Lateinisch Ligus, davon Ugttria Uguiti-
cui LigutUnui,
5) Strab. YD 300 I 92. 93 Eurip. Tro. 437.
6) Plnt Aem. PanL 6, 2 Diod. Y 39, 8 Strab. IV 203 Liy. XL 18. 28. -
Herod. YH 165 Diod. XI 1 XYI 73 XXI 3 XXY 2 App. Lib. 54 Pol. 117, 4 67, 7
m 33, 16 u. a.
§ 1. Die Ligorer. 469
griechische Bedeutung des Wortes liefs die Ligurer sangesfroh erschei-
nen und die Kunde von den Singschwänen am Po flofs mit dieser Vor-
stellung zusammen ^) ; weshalb man ihnen aber eine Rippe weniger
als anderen Menschen zuschrieb, ist nicht zu erraten.^) Daneben be-
sitzen wir aus jüngerer Zeit yortrefiliche auf Poseidonios zurückgehende
Berichte, welche die Eigenart des Stammes vor der Romanisirung schil-
dern. Zuvorderst wird seine Verschiedenheit von der weitverzweigten
Familie der Kelten betont. 3) Auch ist von einer eigenen ligurischen
Sprache die Rede, die für uns völlig verschollen ist.^) Indessen deutet
die auffallende Sonderstellung, welche der heutige Dialekt den unter
einander eng verwandten gallo -itahschen Dialekten gegenüber ein-
nimmt^ klar genug auf eine selbständige Abstammung desselben hin.^)
Ganz entsprechend wird die abweichende Körperbildung hervorgeho-
ben: mit den hohen blonden Kelten verglichen erschienen die Ligurer
klein behende sehnig zäh.^) Sie hatten ferner seit viel früheren Zeiten
als jene ihr Land im Besitz: Niemand wufste eine Wander- oder Ur-
spruDgssage von ihnen beizubringen.'') Einzelne Schriftsteller sind
geneigt in ihnen die Urbevölkerung Italiens zu erkennen : so erklärte
PhiUstos die Sikeler für Ligurer, liefs Verrius Flaccus beide Stämme
ehedem auf der Stätte Roms wohnen.^) In der That findet sich wenig-
stens ein annehmbarer Beweis für ihre ehemalige Ausdehnung nach
Süden hin. Am Westrand Siciliens safsen die Elymer ein rätselhafter
Völkerspl itter, den die Alten gewöhnlich aus Troia herleiten, während
Hellanikos ihn vom Festland eingewandert sein läfst.^) Die Namen
ihrer Ortschaften kehren an der ligurischen Küste wieder, so dafs eine
1) Plato Phaedr. 237 a Ov. Met. U 367 fg. Pausan. I 30, 3 Hygin 154 vgl.
Verg. Apd. XI 457 dazu Servias.
2) Arist. hist. anim. 1 15, 1 vgl. de mir. ansc 89. 92.
3) Strab. n 128 i&vfj 6h xaxix^t TCoUic zo oQoq rovro {tag kXTtsig)
KiXtixa nXiiv zmv AiyvmV ovxoi 6* kregoe^itg fjiiv siat, naQanhqcioi dh
Tolg ßlotg.
4) Sen. Dial. Xn 7, 9. Einzelne Worte Herod. V 9 Püd. m 122 Plat Mar. 19 ;
Diefenbach a. 0. p. 121; aufserdem Orkanamen.
5) Biondelli, Saggio ani dialetü gallo-italici, Milano 1853.
6) IKod. Y 39, 6.
7) Bion. Hai. 110 Gato Or. II 1 Jord. p. 9 Lignrei omnes fallaees sunt, sed
ipti unde oriundi sunt exaeta memoria, tnliieraii mendacesque sunt et vera
minus meminere,
8) BioD. Hai. 1 22 Fest. p. 32t M.
9) Dion. Hai. 1 22 Thukyd. VI 2, mehr Holm, Gesch. Sic. 1 374.
470 Kap. XI. Die VolkssOmme.
Verwandtschaft beider Völker nicht abzuweisen ist.^) Ob man in den
Elymern einen versprengten Rest der alten Bewohner Italiens oder
eine zur See erfolgte Niederiassung der Ligurer erkennen will, mag
dahin gestellt sein. Im Uebrigen dürfen wir als Thatsache ansehen, dab
dieselben neben den Iberern ein Hauptvolk des sfidwestlichen Europa
vor Ankunft der Arier ausmachten. Die Grenze zwischen Ligurern
und Iberern wird gewöhnlich an der Rhone angesetzt 3) In der Folge
haben die Kelten von Norden her auf sie gedrückt und ihnen grofse
Gebietsstrecken entrissen. Die Ligurer werden auf den schmalen Ge-
birgskamm beschränkt, der sich um den Busen von Genua bis zum
Arnus hinzieht Die Wohnsitze sind klärlich nicht derart wie sie ein
siegreich vordringender Wanderzug erkämpft, sondern die Zufluchts-
stätte, welche die Reste einer untergehenden Nation rettet') Die Ar-
mut und Wildheit derselben wird von Poseidonios grell ausgemalt^)
„Sie bewohnen ein rauhes und ganz schlechtes Land, die schwere Ar-
beit und Entbehrung macht ihr Dasein mühselig und beladen. Die
einen fällen Holz in den dichten Waldungen (S. 434), die Ackerbauer
klopfen Steine; denn der Boden ist so steinig dals sie keine Scholle
aufreifsen können ohne auf solche zu stofsen. Aller Fleifs erzieh doch
nur eine dürftige Ernte. Die unablässige Arbeit und mangelhafte Nah-
rung machen den Körper mager und sehnig. Die Frauen theilen das
Los ihrer Männer. Es ist vorgekommen, dafs eine Frau auf dem Felde
von Wehen befallen ein Kind zur Welt brachte, mit Blättern zu-
deckte und schleunigst zu ihrer Arbeit zurückkehrte um den Tageloho
nicht einzubüfsen. Der Ertrag der Jagd hilft dem Blangel an FeldfrQch-
ten etwas ab. Sie sind äufserst gewandte Bergsteiger. Einige leben
ausschliefslich von Fleisch und wilden Kräutern, da das Hochland (fir
Demeter und Dionysos unzugänglich ist. An der Küste wächst wenig
1) Eryx und porttu ErycU Lerici, Segute und SegesU Sestri , EntelU
Stadt und Flnls, Lavagna? PtoLIUl,3.
2) Skyl. 3 Avien. ora mar. 608 Strab. DI 166.
3) VgL Avien der nach altertflmlichen Quellen arbeitete, Ora mar. 132
eespiiem Ligurum suöii
canum incolarum, namque Celtarum manu
crebrisque dudutn proeUis vacuata sunt,
Ligureifue puUi tU saepe fort aliquoe agtt
venire in iHa quae per horreniei tenent
plerumque dumos»
4) Diod. y 39 lY 20 Strab. IQ 165 lY 202 V 218 de mir. auac 91. Verg.
Georg. II 168.
§ t. INe Ugurer. 471
herber nach Pech schmeckender Wein , das Nationalgetränk ist Bier.
Sie wohoen in ärmlichen Höh- und Schilfbutten, meistens jedoch in
natürlichen Hohlen. Der ganze Zuschnitt des Lebens ist altertümlich,
ohne Bedürfnisse. Die Frauen besitzen die Kraft und Gewandtheit von
Mannern, die Manner von wilden Thieren. Oft genug ist der längste
gallische Recke von einem kleinen Ligurer zum Zweikampf herausge-
fordert und getödtet worden.^' Endlich verdient Erwähnung dafs die
Schleuder von ihnen gebraucht wurde: eine altertümliche Waffe, die
bei Italikern Kelten und Germanen historisch sich nicht mehr nach-
weisen Ulfst. 0
Der ligurische Dialekt ist heutigen Tages auf das Gelände , das
30 Meilen lang den Busen von Genua umzieht, ein Gebiet von etwa
100 d. O Meilen beschrankt Er reicht im Westen bis an den Col di
Tenda, nach Norden wenig über die Wasserscheide, umschUefst im
Osten noch das Thal der Macra.' Er stöfst im Westen an die proven-
zalische Sprache , im Norden an die gallo-italischen, im Osten an die
toscanische Mundart Die West- und Ostgrenze fallen mit derjenigen
zusammen, welche Augustus der neuntea Region Uguria steckte, wäh-
rend letztere nach Norden die gallo-itaUsch redenden Theile Piemonts
bis zum Po umfabte. Wir erkennen , wie im Verlauf der Geschichte
das StanuDgebiet immer mehr zusammengeschrumpft ist Um 200
V. Chr. erstreckt es sich bis Pisa und das Gebiet von Arretium : da das
Casentino oder obere Arnothal umbrisch ist (S. 304), so wird man im
Binnenlamd den Stock des M. Falterona (S. 231) als Scheidewand an-
setzen können; am Meer wird gelegentlich Pisa als ligurische Stadt
bezeichnet 3) Die Kostenebene, die nordwärts vom Arno hinzieht, hat
mehrmals zwischen Etruskern und Ligurern die Herren gewechselt,
bis die RDmer hier 177 die Colonie Luna anlegten.') An der Aufsen-
seite des Gebirges haben die Ligurer einstens nicht nur die Abhänge
desselben sondern bedeutende Theile der Ebene inne gehabt Vor An-
kunft der Kelten safsen sie bis zum Po, ja am Nordufer desselben am
Tessin und bei Turin.*) Jedoch haben sie schon damals der Etrusker
sich zu erwehren gehabt, von deren Uebergriffcn vereinzelte Spuren
auf altligurischem Boden sich erhalten haben (§ 5). Mit grOfserem Er-
folg wurden sie sodann von den Kelten bedrängt Der Umfang des
1) De mir. aosc. 90 Strab. IV 202 vgl. Peschel Völkerkande 197 fg.
2) Pol n 16, 2 JusÜQ XX 1, 11 Lykophr. 1359.
3) Uv. XU 13 vgl. Mommsen zu CIL. I 539.
4) Liv. V 35, 2 Plin. III 123. 24 Strabo IV 204.
472 Kap. XI. Die VolkBsUmme.
behaupteten Gebiets läfst sich nur annähernd umschreiben. Den Alten
gelten die Ligurer durchaus als Gebirgsbewohner. ^) Aber sie erstreck-
ten sich noch zu Augustus Zeiten diesseit der Alpen Über einen etwa
viermal so grofsen Flächenraum als das aus ihrer Sprache abgeleitete
Idiom gegenwärtig einnimmt Unter den ligurischen Stämmen, welche
Plinius nach dem Verzeichnife des Kaisers aufführt, sind Ortlich be-
stimmt die Velleiates durch die Stadt FeQeia, die StatieUi durch iquae
Statiettae Acqui, die Bagienni durch Angnsta Bagiennarum Bene, die
CuburriateB durch Caburrum Cavour. Ferner gehört die bis zum M. Yiso
reichende Provinz der Alpes maritimae (S. 79) sicher derselben Nation
an. Ja Strabo schreibt ihr auch noch das Fürstentum des Cottius und
den Stamm der Tauriner zu, so dafs die Grenzen bis an den M. Cenis
und den Lauf der Slura oder des Orco vorgerückt würden. Gegen
solche Annahme macht theils das Zeugnifs anderer Schriftsteller, theils
das offenbar keltische Aussehen der Ortsnamen bedenklich. 2) Es
scheint vielmehr als ob die beiden Nationen vielfach durch einander
gerüttelt waren , auf ihre Mischung weist der für das transalpinische
Gebiet gebrauchte Name der Kekroklyveg hin s), zugleich erklärt sieb
daraus die Erscheinung dafs derselbe Stamm oder Ort bald keltisch
bald ligurisch heifsl.^) Uebrigens hebt Strabo selbst hervor dals die
Ebene südlich vom Po von Kelten bewohnt wurde. ^)
Zwischen beiden Nationen hat eine alte Feindschaft bestanden
und bedeutsam in die Geschichte Italiens eingegriffen. Einst fand Mas-
salia in den Kelten eine Stütze gegen die Ligurer, später Rom in den
Ligurern eine Stütze gegen die Kelten.<^) Während vier Jahrhunderte
wog an diesen Küsten bis Nizza der massaliotische Einflufs vor. Auf
1) Cicero de lege agr. D $5 Ligvres montani duri at^ue agreiUs Verg.
Aen. XI 700 Jppenninieola, vgl. die oben angef. Beschreibung des Poseidonios.
2) Strabo IV 204 vgl. 209. Angnstiis schlug die Tauriner zu GalUa trau*-
padana, doch nennt sie Plio. III 123 ausdrücklich anüqua Ligttrum stirff.
Polybios UI 60, 8 rechnet sie zu den Kelten, livius Y 34, 8 schliefst sie davoa
•US. Aber der Stammname ist keltisch (S. 138), ebenso Seingomagus^ m. Ma-
irona, BriganUum^ Eburodunum,
3) Strabo lY 203 de mir. ausc 85.
4) So heifst Clash'dium Gasteggio gallisch Liv. XXIX 11 Plut Marc. 6^
ligurisch Uv. XXXU 29.
5) Str. Y 212.
6) Liv. Y 34, 8 Plut. Aem. Paul. 6, 2 ovvaQ ^v ßovXo/ihoig toTg^Pwfialoi;
navzdnaaiv ixx6y}ai ro Aiyvcav f^og mantQ ^gxoq » JtQoßolov ifiXo6wy
xilfievov Tolg raltnueoii xivr^iiaciv inaiWQOVfdivoiq ael mgl xiiv ^xaUav.
Die traditionelle Feindschaft erwähnt auch Diodor Y 39, 6.
§ 1. Die lignrer. 473
ihn mag die sprachliche Scheidung zurück zu führen sein, weiche die
proTenzaJisch und italienisch redenden Ligurer, die Proyinz Narbo und
die Provinz der Seealpen von der neunten Region Italiens heutigen
Tages trennt Von Osten her wetteiferten mit den Hellenen die Etrus*
ker, Ton denen wir eine Niederlassung bei Cmmelum unweit Nizza
kennen. In der letzten Hälfte des 3. Jahrhunderts beginnen die Römer
festen Pub zu fassen : Kriege werden 238 — 35, der erste Triumph aus
Ligorien 233 t. Chr. gemeldet. Genua yielleicht eine Gründung ita-
lischer Kaufleute, zuerst 218 t. Chr. erwähnt erscheint ganz von Rom
abhängig. 9 Das Bündnifs mit dem Volk der Anamaren eröffnete 223
den römischen Waffen die von Genua auslaufenden Appenninpässe und
damit den nächsten Zugang in die lombardische Ebene, das Herz des
Keltenlandes. 2) Am hannibalischen Krieg haben die Ligurer sich nur
als Reisläufer, nicht wie die Kelten als Nation betheiligt 3) : erst gegen
das Ende desselben als der Sieg sich auf die römische Seite neigte, er-
greifen sie für Karthago Partei. In der That war es um ihre Unab-
hängigkeit so gut wie um diejenige ihrer Erbfeinde geschehen. Ein
zweihundertjähriger Krieg folgt, der von den Römern weit mehr als
eine militärische Uebungsschule betrachtet ^) und mit geringen Streit-
kräften ^) geführt wird , als dafs eine rasche und vollständige Unter-
werfung des armen Gebirgslandes bezweckt gewesen wäre. Das Ter-
rain sowol als die Spaltung der Nation in viele unabhängige Cantone
wiesen dem Krieg recht bescheidene Verhältnisse an.^) Im Ganzen
scheint die Republik sich auf der Defensive gehalten und darauf be-
schränkt zu haben ihr Gebiet gegen die Plünderungen der Ligurer zu
schützen, sowie die grofsen Durchgangsstrafsen, die 148 v. Chr. chaus-
sirte Appenninstrafse von Genua an den Po nebst der Küstenstrafse
nach Gallien und Spanien zu beherrschen. Von den Apuanern dem süd-
1) Liv.XXI32 XXVIII46 XXX 1; der Name doch wol von genu abzuleiten.
2) Pol. II 32, l 34, 5: an erster Stelle kvafuxQOfVy an zweiter kvÖQotVf
c 17, 7 jivavsg überliefert, vielleicht identisch mit den Mariei Plin. III 124. —
Der Weg ist bezeugt durch Pol. 1131, 4.
3) Liv. XXn 33 XXVn 39 XXVUI 46 XXIX 5 App. Lib. 17. 40. — Silins
It. IV 593 Vni 607 läfst sie an der Trebia und bei Gannae auf römischer Seite
iKämpfen.
4) Ausdrücklich hervorgehoben Liv. XXXIX 1.
5) Nach den livianischen Annalen operiren allerdings grofise Heere, doch
sind diese Berichte ganz unzuverlässig s. meine Krit. Unters, fi. d. Quellen d.
Liv. p. 94 fg.
6) Cicero Brut. 255. Flor. 1 19.
474 Kap. XI. Die YoUusamme.
liebsten Stamm sind 1 80 v. Chr. 47 000 Köpfe aus ihren Bergen ge-
führt und in Samnium angesiedelt worden ^): ihr Name lebt in den
Alpen Ton Carrara fort (S. 232), aber die Landschaft trXgi seitdem
einen toscanischen Charakter. Der Weg nach Gallien ward ofUnals ge-
fährdet und die Ligurer standen in dem Ruf eines treulosen Räober-
Yolks.^) Anderseits wurden ihre vorzüglichen militärischen Eigenschaf-
ten hoch geschätzt und wir treffen im Laufe des 2. Jahiiiunderts ^
zuerst 168 v. Chr. erwähnt — ansehnliche Abtheilungen unter Roms
Fahnen fechtend an.') Nach und nach verbreitete sich in den Berg-
thalern die Cultur: zur Zeit des Augustus unterschied man von den
civilisirten die freien Ligurer durch das Beiwort CafiUati^ weil sie nach
Barbarensitte das Haupthaar lang wachsen liefsen.^) Die letzteren wur-
den 14 V. Chr. unterworfen und bildeten die fravinäa Alpium Manft-
marum (S. 79). Die alte Tapferkeit und Lust an den Waffen hat hier
noch lange fortgelebt^): erst 64 n. Chr. wurde latinisches, bedeutend
später das römische Bürgerrecht eingeführt <^)
§2. Die Gallier. 7)
In Oberitalien werden mehrere verschiedenartige Mundarten ge-
sprochen. Sehen wir von den Grenzbezirken ab : dem Provenzaliscben
in der Grafschaft Nizza westlich von Mentone und südlich vom Co! di
Tenda, dem Französischen im oberen Thal der Dora Baltea, dem Deut-
schen in den Ostalpen, so zerfilllt das Land in vier Hauptfkmilien, die
nach Lautgestallung Satzbau und Wurzelbestand jede für sich eine ab-
gesonderte Stellung einnehmen. Es sind die ligurische venetische rae-
tische und gallische Familie. Die letztgenannte umfabt ein Gebiet von
ungefähr 1400 d. DMeilen, doppelt so viel wie die drei übrigen zu-
sammen. Der Kamm der Alpen vom Col di Tenda bis zum Gran Para-
diso, sodann der Ausläufer der das obere Thal der Dora Baltea rechts
einfafst, weiter die Hauptkette vom M. Rosa bis zum Gotthard und von
hier zum Stilfser Joch bezeichnen die West- und Nordgrenze. Die
1) Uv. XL 38. 41.
2) Vgl. S. 157 Uv. XXXVn 57 de. pro Settio 68.
3) Fiat Aem. PauL 18 Mar. 19 Sali. Jag. 38. 77. 93. 100.
4) Plm. m 47. 135 XI 130 Dio UV 24 Lacan 1 443.
5) ladt HiBt II 12. 13.
6) Tac. Ann. XV 82 CIL. V p. 903.
7) Am^d^ Thierry, Histoire des Gaalois, P Paris 1857. Biondelli, Saggio
fiui dialetU gallo-iUUci, Milaao 1853.
§ 2. Die GaUier. 475
Thäler von Adda und Oglio gehören dem gallischen Gebiet an; dagegen
am oberen Rhein und Inn, sowie an der oberen Etsch ist dasselbe von
dem raetiachen vielfach durchsetit Die Ostgrenze gegen das venetische
wird durch den Benacus und dessen Abflurs den Mincio dargestellt, doch
80 dafs sie noch Hantua und Ostiglia einschliefst, ferner durch den
jetzigen Hauptann des Po und die Adria. Im Süden reicht die gallische
Mundart an der Küste bis Pesaro. Der Kamm des Appennin scheidet
sie von der toscanischen und, wie S. 471 erwflhnt, der ligurischen ab.
Unter einander sondern sich die gallischen Dialekte in drei Gruppen :
die piemontesische westlich von der Sesia, die lombardische nördlich
vom Po, die Umgegend von Pavia und Mantua abgerechnet, welche der
aemiiianischen oder sQdpadanischen angehört AUen gemeinsam ist die
Nasalirung, die Trübung der Laute zu tt und ö, der consonantische Aus-
laut: Eigenschaften die dem Genius des Italienischen ebenso wider-
streben ab dem Französischen vertraut sind. „Durchmustert man —
schreibt Diez ^) — über die Grenzen des alten Italiens hinausgehend,
die nördlichen die cisalpinischen Mundarten, so glaubt man sich in eine
andere Welt versetzt: in dieser weiten Landschaft, zumal in der grofsen
Ebene zwischen den Alpen und dem Po hat die gewaltige Römersprache
die Volksmundarten nicht bewältigen, sich des Einflusses andringender
Barbarensprachen nicht erwehren können.^ In der That gewinnen
wir dem fremdartigen Klang der an unser Ohr schlagenden Nasale fol-
gend ein ziemlich getreues Bild von der Ausdehnung der Eroberungen,
welche das streitbare Volk der Kelten einst gemacht hat.
In nebelhafter Ferne taucht der Name der Kelten zuerst bei Hero-
dot auf, der sie aufserhalb der Säulen im westlichen Europa wohnen
läfst: als Söldner des Dionys und anderer Herrscher wurden sie in
Hellas näher bekannt') Est ist ein Stammname ähnlich wie Bdgae
und Britanm^ haftet an dem Lande zwischen Rhone Garonne Seine
und Rhein, dessen Insassen sich selbst ftlr Autochthonen hielten, also
seit unvordenklichen Zeiten hier angesiedelt waren: die Kunde des
Namens hat sich von Massalia aus verbreitet') Verwandte dieser Sippe,
welche in die Balkanhalbinsel eindrangen und in Kleinasien einen Raub-
staat gründeten, erregten als Falarai zu Anfang des dritten Jahrhun-
1) Etymologisches Wörterbuch^ Vorr. XI.
2) Her. 0 33 IV 49 Fiat. Leg. I 637 d Xen. Hell. VH 1, 20. 31.
3) Gaes. I 1 ipsarum Hngua Celiae nosira GaiH appelianiur vgl. VI IS
Stnb. IV 1S9 AmmUn XV 9, 3.
476 Kap. XL Die Volksstlmme.
derts Furcht und Entsetzen in der hellenischen WeltJ) Das Wort ist
identisch mit dem lateinischen GaUi^ giebt aber die keltische Form ge-
nauer wieder als dieses. In römischer Zeit wird es für die Gallograe-
ker in Asien ausschliefslich gebraucht, ^ aber auch auf deren Stammes-
genossen in Westeuropa abertragen, so dafs die Griechen ohne Unter-
scheidung bald das ältere Kekrol bald das jüngere rakdrac setzen,
wahrend dieses durch das Latein gestützt immer mehr an Boden ge-
winnt und von den Classicisten abgesehen jenes verdrängt. Uebrigens
ist bereits von den Alten angemerkt worden, dafs beide Benennungen
nach den Wohnsitzen zu trennen wären, dafs die eine den westlichen
die andere den östlichen Zweigen des Stammes zukäme. Es ist mög-
lich dafs kein anderer Unterschied zwischen ihnen besteht als ein dia-
lektischer, möglich dafs der Lautwandel die Auswanderer im Gegensatz
zu den Altsitzern kennzeichnet. 2) Die Uebervölkerung des Stammlan-
des , vielleicht auch der Druck anderer von Norden her drängender
Massen hat die grofse ostwärts gerichtete Bewegung veranlafst, welche
für die Geschichte Italiens von entscheidender Wichtigkeit werden
sollte. Ihr Anfang wird um 600 v. Chr. gesetzt und so geringe Gewähr
dies Datum an sich besitzt, drückt es doch den ganz richtigen Gedan-
ken aus, dafs die Bewegung sich über viele Jahrzehnte erstreckt, bevor
sie mit der Zerstörung Roms 390 v. Chr. ihren Höhepunct erreicht
hat. 3) Unsere Berichterstatter zählen mit einigen Abweichungen, im
1) Aelteste Erwähnungen das Siegesepigramm des Pyrrhos Plut. 26 Kalli-
machos Hymn. 4, 184 Timaeos fr. 37 Phylarch fr. 2 MflUer Eratoathenes nach
Steph. Byz. u. Toliaxoßioi, Das Citat Arist. de mundo 3 ist ein neuer Beweis
für die notorische Unächtheit dieser Schrift
2) Diodor Y 32 Zeufs, die Deutschen p. 65.
3) Eiue doppelte Tradition liegt vor: eine romische und eine norditaliscbe.
Die erste (Diod. XIV 113 Liv. V 33, 2 Dion. Hai. XIII 11 Flut. Gam. 15 Appian
Kelt 2 y%\. Plin. XII 5) nimmt auf den Wechsel der Völker im Poland keinerlei
Bflckaicht, sondern knflpft die Einwanderung der Gallier unmittelbar an den
Fall Roms an; die zweite (Liv. Y 34 Pol. II 17 fg. vgl. Dion. Hai. VII 3) steUt die
langsame Verschiebung der Besitzverhältnisse im Norden dar, die schliefslich
zum Zusammenstofs mit den Römern führt. Beide sind durch Synchronismea
mit der griechischen Geschichte, die erstere mit der Belagerung Rhegious durch
Dionys, die letztere mit der Gründung Massalia's künstlich verbunden und
dadurch chronologisch fixirt worden. Die Datirung läfst sich weder beweiseo
noch widerlegen. Im Uebrigen ist die padanische Tradition aufeerlich wie
innerlich aufs Beste beglaubigt. Die von Niebnhr n 574 fg. dagegen vorge-
brachten inneren Gründe bedürfen gar keiner Widerlegung. Wenn aber Zeofs
p. 164 ihm folgend darauf Gewicht legt dafs Herodot keine Kelten am Po ge-
§ 2. Die GaUier. 477
Ganzen flbereiDstiminend 6 oder 7 VölkerzUge auf, welche nach und
nach über die Alpen dringend sich Land erkämpften: und zwar nörd-
lich vom Po die Libieii an der Sesia und dem Tessin ^), die /nmbrei, das
gröfste Volk, in der Lombardei mit der von ihnen gegründeten Haupt-
stadt MedioUmum^ die Cenowiani in der Gegend von Brescia bis Verona ;
südlich vom Po in der Gegend von Casteggio die Anamari ^)^ in der
Aemilia die Boü 112 Gaue zahlend mit dem etruskischen Feitina als
Hauptstadt, die Bononia umgenannt wurde, westlich von diesen in den
Niederungen am Meer die Iin^ones^), endlich vom Uien$ Montone bis
zum Aesis Esino in der adriatischen Mark die Senones. Dafs eine ge-
^Itige Masse Menschen Über die Alpen gezogen, ist gewiis genug;
denn sonst hatten sich die Spuren ihrer Nationalität nicht bis auf den
heutigen Tag zu erhalten yermocht. Anderseits sind die früheren Be-
wohner keineswegs voUständig ausgerottet oder vertrieben worden:
einzelne Städte behielten ihren etruskischen und umbrischen Charakter
unter gallischer Herrschaft bei, und soviel wir ersehen, haben einge-
borne Stämme verschiedentlich gallische Haufen in ihren Verband auf-
genommen. In Betreff der verwickelten hin- und herschwankenden
Verbaltnisse, die für den nationalen Besitzstand vorauszusetzen sind,
versagen im Einzelnen unsere Quellen.
Vergleicht man die heutigen Grenzen der gallo-italischen Mundart
mit denjenigen welche für das Altertum sicher bezeugt sind, so ergiebt
sich ein einleuchtendes Resultat: dieselbe ist im Süden von Aesis bis
Pisaurus vor der lateinischen, im Osten von Etsch bis Mincio vor der
venetischen, in beiden Fallen vor einer überlegenen Cultur zurück ge-
wichen, hat dagegen in den Alpen und südlich vom Po der raetischen
kannt habe, so heifst dies dem Herodot (S. 8) und den alteren Hellenen
(S. 10 fg. 138. 183 n. a.) eine Kenntnifs von Westeuropa znsehreiben, die sie
nicht besafsen. Das Volk welches Rom zerstörte, nannte HerakleidM Ponti-
ko8 nicht Kelten sondern Hyperboreer Plot. Garn. 22, 2. Auch ist es sehr
Terständlich, dafe die auf das padanische Binnenland beschrankten Gallier im
fünften Jahrhundert nicht in den hellenischen Gesichtskreis getreten waren.
Noch bei Skylax 18 haben sie nur ein kleines Stflck der Kflste gewonnen.
1) Pol. n 17, 4 Aaoi x€d Asßixioi, letztere grflnden nach Plin. HI 124
Vercdlae. liv. Y 35, 2 mit unsicherer Lesung Libm considunt posi hos [Cmio-
manos] SaUwrii pH proU aniiquam fenimn Laevas Ligures ineolenies eirea
Tieinum amnem; XXI 38 Libui Gaüi, XXXm 37.
2) Pol. n 17, 7, Aber die unsichere Form des Namens S. 473 A. 2.
3) Nur Pol. II 17, 7 und Uv. V 35, 2 genannt, aber in der alten Heimat
bei Langres fortlebend.
478 Kap. XI. Die Vollustlmme.
und ligurischeD gegenüber bedeutende Fortschritte gemacht. Wir
stellen zunächst die erhaltenen Angaben über die Ausdehnung der Kel*
ten im Altertum zusammen. Die Tawini mitsammt den Anwohnern
der Dora Riparia sind nach den Namen für ein kelto-ligurisdies Miscb-
volk zu halten (S. 472 A. 2). In der Ebene nördlich vom Po sind die
Namen von Efortdia Ivrea und Rigomagw Trino gallisch; dieselbe
Nationalität bt durch eine erhaltene Steinschrift für Novaria Novan
gesichert 0 Die Sakusi im Thal der Dora Baltea heifsen den Alten
Gallier: die Angabe wird durch die Aufschrift von Goldmünzen die an
der Rhone vor deren Mündung in den Leman gefunden sind, bestätigt;
noch jetzt herrscht hier trotz der uralten Verbindung mit Italien die
französische Sprache.^) Die Wandersage läfst den ersten Volkerschnb
durch die Tauriner, über den M. Genis, den zweiten über den Poeoi-
nus, Grofsen Bernhard, nach Italien gelangen. Da der Weg durch die
Seealpen von den Ligurern beherrscht wurde , ist es begreiflich dafs
die Auswanderer sich in den Besitz der Binnenpässe setzten und diese
kürzeste Verbindung mit dem Mutterland nachdrücklich behaupteten.
Die Sage läfst gleichzeitig mit dem Einfall in Italien einen anderen ost-
wärts gerichteten Heerzug am Nordabhang der Alpen sich ausbreiten.
Wie es sich damit in Wahrheit veriialte, soll hier nicht untersucht wer-
den. Jedenfalls erscheint in historischer Zeit der grOfsere Theil der
Alpen (Savoyen die westliche und mittlere Schweiz Kärnten und Steier-
mark) von Kelten bewohnt. An die Salasser grenzen östlich die Upwüi
ungefiihr bis zum S. Gotthard , das ganze Vorland bis zum Corner See
bewohnend : die Valle Leventina, das Thal des Tessin hat ihren Nameo
bis auf die Gegenwart fortgepflanzt. Strabo weist sie ausdrücklich dem
raetischen Stamm zu: aber seine Beschreibung der Alpen steckt voDer
Fehler und ihm widerspricht Cato der sie den Salassern gleich steilu
also für Kelten erklärt, sowie Plinius, der in dieser Gegend seU^tzo
Hause war.^ Die Flufsthäler welche auf die lombardischen Seen aus-
münden, werden zwar dieser Mundart zugerechnet, bekunden indessen
daneben einen ansehnlichen Bestand an raetischen Elementen. Wie
die alten Sprach- und Völkergrenzen ehedem gelaufen sind, läfst sich
nicht mehr ausmachen. Nur so viel ist klar dab die Gallier sich der
lombardischen Ebene bemächtigt haben: der Namensform wie der
1) Plin. m 123. 124 Fabretti 41 CIL V p. 719.
2) Gros. V 4, 7 Obs. 21 vgl. Plin. lü 134, Fabretti 3. 4 56.
3) Slrab. IV 206 Plin. ffl 134.
§ 2. Die GaUler. 479
UeberlieferuDg nach gehören Cwmm Bergomum Brixia ihnen anJ)
Vom oberen Rhein und Inn ostwärts bis zum Isonzo wird die ladinische
oder raeto-romanische Sprache in den Alpen gesprochen. Doch ist ihr
Zusammenhang mehrfach unterbrochen und nicht anders scheint es
mit den Vorfahren, den alten Raetern gewesen zu sein. Namentlich
liegt die Annahme nahe, dafs die Gallier im Etschthal erobernd einge*
drangen sind , da wir sie am Westufer des Benacus inschrifUich an-
treffen. 2) Der Veroneser Catull nennt Verona eine Tochter von Brixia,
die Gründung dieser Stadt wie auch die von Tridmtwm wird den Gal-
liern zugeschrieben ; der Widerspruch dafs beide von Plinius für rae-
tisch erklärt werden, löst sich ungezwungen durch die anderweitig
bekannte Thatsache, dafs die umliegende Landschaft von raetischer
Nationalität erfilllt war. 3) Wie die Westalpen vom H. Viso bis zum
S. Gotthard im Besitz der Kelten sind , so ist das nämliche mit einem
grofsen Theil der Oslalpen der Fall. Zu den Kelten gehören nach dem
Zeugnifs der Alten die Cismi, deren Gebiet das Thal des Tagliamento
und unter anderen die Städte Mium Camicum Aquileia Tergesie um-
fafst^) Jedoch mufs dies Volk auf italischem Boden , wie im nächsten
Abschnitt darzulegen ist, in seinem Grundstock aus nichtkeltischen
Elementen bestanden haben : ähnlich wie die benachbarten Japyden
aus Kelten und Illyrern gemischt waren. ^) Kehren wir in das Binnen-
land zurttck, so fäUt die Grenze zwischen Kelten und Venetern unge-
fllhr mit deijenigen zusammen , welche das Stadtgebiet Verona's von
denjenigen der Städte Yic^ia Vicenza und Ateste Este scheidet. Jenes
befafst den Flecken HosttUa Ostiglia am Po , so dafs die heutigen Dia-
lekte am Po da zusammen stofsen, wo wir die ehemabge Sprachgrenze
voraussetzen dürfen. <^) Innerhalb des weiten keltischen Flachlandes
nördlich vom Po behauptete sich nach Angabe der Alten Mantwi als
tuskische SprachinseL^) Dafs solches auch südlich vom Po mit etruski-
schen und umbrischen Gemeinden geschehen sei, machen die Denk-
mäler überaus wahrscheinlich, vrird uns zudem ausdrücklich ttber-
1) Ut. V 35, t Jusün XX 5, 8 Zeii(l9 p. 230 A.
2) CIL. V 4883, vgl. 4858, FabretÜ 13.
3) Gatnll 67, 34 Jastin XX 5, 8 Plio. HI 130 CIL V p. 390.
4) Triümphalfasten 115 v.Chr. (CIL. Ip. 460) de Galieis Kameis Uv.WXlX
22.45.54.55 StnboIV207 VH 292. 314; Zeobp.248.
5) StraboIV207 Vn 313. 315.
6) Tac. HUtor. ni 9 CIL. Vp. 328 vgl. S. 475.
7) Verg. AeD.X200 Plin.DI \30Maniua Tuseorum iratuPädmnsola reUqua.
480 Kap. XI. Die VoUustamme.
liefert. Im Allgemeinen hat der Appennin dem Vordringen der Gallier
ein Ziel gesetzt ; indessen war auch diese Schatzwehr ernstlich gefähr-
det. Eine Inschrift in bteinischer und keltischer Sprache ist zu Tuier
in Umbrien aufgerunden worden: das Auftreten dieses Denkmals so
weit südlich am Tiber ist recht befremdend, gestattet aber schwerlich
eine andere Deutung als dafs in dieser Gemeinde ein gallischer Haufe
Aufnahme gefunden und seine Sprache bis in eine ziemlich junge Zeit
bewahrt hat ^) Die Gallier, wird uns gemeldet 3), nahmen Anfangs nicht
allein Land in Besitz, sondern unterwarfen auch viele umliegende Vol-
ker die ihre Unternehmungslust fürchteten.
Um 400 y. Chr. schien alle Aussicht da zu sein, dafs Italien kel-
tisch werden würde. Ungefähr der vierte Theil des ganzen Festlands,
darunter die reichen Ebenen Piemonts der Lombardei und Aemilia
gehörten dieser Nation. Auf einer etwa 30 Meilen breiten Basis vom
M. Viso bis zum Gotthard wohnte dieselbe über eine Länge von 70 Mei-
len ausgestreckt vom M. Rosa bis zum Aesis hinunter, einem KeU ¥er-
gleichbar der in das feste Gefüge eines Baumes hineingetrieben worden
ist. Um 390 v. Chr. versuchte ein gallischer Heerhaufe auf den Trüm-
mern Roms eine neue Herrschaft zu gründen. Was ihn nach 7 Mo-
naten zum Abzug bewog, war weniger das Gold und am wenigsten das
Schwert der Römer als viehnehr die natürliche Rückwirkung weiche
der aUgemeine Umschwung der Besitzverhltltnisse im Norden hervor-
rufen mulste. Die italischen Kelten hatten eine ebenso lange als offene
Grenze zu vertheidigen: die Ligurer Etrusker Umbrer auf der einen,
die Raeter und Veneter auf der anderen Seite werden jede Gelegenheit
benutzt haben den Fremden das genommene Land wieder zu entreilsen.
Der Gegensatz zwischen dem armen Gebirg und der reich gesegneten
Ebene, der in den letzten Perioden der römischen Republik so eigen«
tümlich hervortritt (S. 75), wird bereits für die keltische Zeit des vie^
ten Jahrhunderts als mafsgebend aneriiannt.') Die Bedrohung der
Lombardei rief 390 v. Chr. die Gallier aus Latium zurück. Der Krief
wird bei den Kelten nicht allein von der Volksgemeinde geführt son-
dern auch unabhängig von dieser durch einzelne Gefolgschaften; denn
neben dem Königtum ist schon in frühen Jahrhunderlen der Adel hoch
entwickelt und verfügt über eine bedeutende Macht ^) Die RaubzOge
1) OL 11408 vgl Vp. 719 FabretüSS.
2) Pol. 1118,1.
3) Pol. II 18,4.
4) Ut. XXXIX 21. 54 PoL H 17, 12.
§ 2. Die GaUier. 481
der GefolgschafteD haben die Ruhe der Halbinsel namentlich des nörd-
lichen Theils derselben sehr oft gestOrU In der Abwehr abernahm
Rom die Leitung als Vorfechterin der Cultur: dieselbe Rolle welche
es gegen das ähnliche Treiben der Samniten im Süden und mit dem
Damlichen Erfolg durchführte. Die Abwehr der Kelten stellt die grofse
Kriegsschule fUr Rom dar ^); in ihr ist jene italische Bürgertaktik aus*
gebildet worden, die fast ein halbes Jahrtausend lang in Sieg und Nie-
derlage sich gleich erprobt hat, die offene Aufstellung in Manipeln wie
die ausgiebige Verwendung der Wurfwaffen, beides darauf berechnet
den ungestümen Anprall der schlecht geschützten Barbaren zu brechen.
Ein volles Jahrhundert blieb Rom auf die Vertheidigung beschrankt;
285 V. Chr. schritt es zum Angriff und konnte 191 den letzten Wider-
stand der Boier niederschlagen. Eifrig drängten die Italiker nach
Norden um in diesen fruchtbaren Gefilden Land zu gewinnen. Die
Unterwerfung der Gallier wurde begünstigt durch die ererbte Feind-
schaft ihrer ligurischen und venetischen Nachbarn , durch den Abfall
der Genomanen und Anamaren von der nationalen Sache: die Hallung
beider Stämme wird durch die starke Beimischung fremden, raetischen
und ligurischen Bluts erklärt. Aber auch wo das Keltentum rein ge-
blieben W9T wie bei Insubrem und Boiern , hatte die Anhänglichkeit
an die Scholle im Lauf der Zeiten zu tiefe Wurzeln geschlagen, als dab
sie daran gedacht hätten in die Fremde aufzubrechen oder den Verlust
der Selbständigkeit mit dem Leben zu besiegeln. Schon im Verlauf der
früheren Kriege hatte die Friedensliebe der ansässigen Stämme sich
mehrfach geäufsert und zum Heil Roms die Gewalt der über die Alpen
einströmenden Wanderscharen gelähmt
Die Kelten galten im Altertum als die Vertreter des nordischen
Typus. Wir sehen sie vor uns durch die Hand des Künstlers wie des
Geschichtschreibers übereinstimmend dargestellt, die kampfesfreudigen
Hünen mit dem rotblonden Haar, dem struppigen Schnurrbart, den
goldenen Hals- und Armringen, in Hosen und Mantel ungepanzert mit
verwegener Prahlerei dem Feind die nackte Brust darbieten. Mag Zeit
und Schauplatz wechseln, in Asien und Griechenland, am Po vrie an
der Seine oder Themse bekunden die Angehörigen dieser ritterlichen
Völkerfamilie den nämlichen untilgbaren Charakter, dessen Spuren in
der Gegenwart sich mühelos verfolgen lassen. Ihrer Tapferkeit erken-
nen die Alten unbedingt den Preis zu, aber vermissen Ausdauer Zucht
1) Pol. n 20, 8 35.
Kissen. Itol. Landaslniftde. I. 31
482 Kap. XI. Die YollEgsUmme.
und Gemeinsinii. Durch seinen UebertritC zum Römerium ist der be-
gabte Stamm su neuen höheren Leistungen befähigt woi*den. Man hat
sich durch Aeufserungen der Schriftsteiier ku der Annahme Terleiten
lassen, ab ob die italischen Kelten grorstentheils vertilgt oder Ter*
trieben worden seien: so sagt Polybios dafs sie aus der Poebene bis
auf wenige Landschaften am Fufs der Alpen verjagt, sagt Strabo dafs
die Boier notgedrungen nach d^ Donau ausgewandert wären. 9 Allein
die letztere Angabe ist nachweisbar irrig und die erstere, wie aus dem
Zusammenhang der ganzen DarsteUung hervorgeht, mit starker Ueber-
treibuDg ungenau ausgedrückt. Das Los der einzelnen SUlmme ist
offenbar ein sehr verschiedenartiges gewesen. Die Sodhälfte der seno-
nischen Mark wurde vollständig gesäubert, auch in der NordhftUte die
Ansiedlung latinischer Colonisten in grofsem Umfang betrieben. >) Mili-
tärische Rücksichten sind hierfür bestimmend gewesen ; denn es kam
darauf an die Spitze des in die Halbinsel getriebenen gallischen Keils
abzubrechen , den wichtigen Appenninttbergang der Via Flaminia zu
sichern. Aus der frühen Latinisirung dieses Landstrichs erklärt sich
einerseits das Zurückwichen der gallischen Mundart bis an den Pisau-
rus (S. 477), anderseits das verhältnifsmäfsig zahlreiche Auftreten alt-
lateinischer Inschriften in diesen Gegenden.^) Was sodann die Aemilia
betrifft, so roufsten die Boier 191 nahezu ihre halbe Feldmark ab-
treten^) und zwar den höheren trockenen Saum am Fufs des Appennin,
der von Ariminum nadi Placentia auf einer Länge von 32 d. Meilen
hinzieht Die Römer legten 187 auf demselben die Via Aemilia an und
gründeten an dieser nach und nach ein Dutzend Städte und Mariit-
flecken. Derart waren die Boier von ihren transpadanischen Stammes-
genossen abgeschnitten und unschädlich gemacht. Nichtsdestoweniger
haben sie ihre Sprache in der Mundart fortgepflanzt, die gerade in der
Aemilia ein hervorragend gallisches Gepräge an sich trägt, findlicli
nördlich vom Po liefe man die Insubrer ungestört wohnen : belang-
reiche Gebietsabtretungen wurden nicht von ihnen gefordert Wenn
während der Republik das Land zwischen Alpen und Aesis Gallia hiefs,
80 drückte diese Benennung die damaligen ethnographischen Verhält-
nisse vollkommen zutreffend aus. Erhaltene Denkmäler der lateini-
schen Sprache sind überaus spärlich, fehlen im westlichen Poland gant
1) Pol. n 35, 4 Strabo IV 195 V 213 Pilo. III 116.
2) Pol. n 19, 1 1 21,7 fg. DioD. Hai. XIX 13 Kitts, Flor. 1 8.
3) CIL 1 167—80 1425—28.
4) Liv. XXXVI 39.
§ a. Die Raeter. 488
wxhrend hi<er sowol gallisdi als unter dem Einflufs von Mawalia, dessen
Manie auch mit der römischen concurrirte, griechisch geschrieben
worden ist i) Um die Hitte des zweiten Jahrhunderts schildert Poly-
bios den Reichtum der Ehene, den Muhenden Ackerbau, den Mangd
an SUIdten und Industrie. Mit Wolgefallen ruht sein Soidatenauge auf
den hohen selbstbewursten Gestalten der kettischen Bauern.^ Ein
paar Jahrhunderte hindurch recrutiren aus ihnen vornehmlich die rö-
mischen Legionen, bis die erschlaffende CiviUsation auch diesen Kern-
Stoff verbraucht hatte (S. 84). Immerhin hat die nordische Volkskraft
hier lange nachgewirkt: noch um 100 n. Chr. wirtschaften die Grund-
berren mit freien Arbeitern, nicht wie auf der Halbinsel mit Sklaven ')
und dieser Umstand erklärt ohne weiteres die Fortdauer der Wehr*
haftigkeit in diesen Landschaften. Die entscheidende Wendung in ihrer
Geschichte trat durch Caesar ein. Ab er 49 v. Chr. mit seinen Vete-
ranen den Rubicon überschritt, hatte man in Rom so Unrecht nicht
von dem neuen Brennus und dem Anmarsch der Gallier zu reden.^)
Mit der Ertheilang des Bürgerrechts verbreitet sich die römische Cultur
in reiCsender Schnelle: wann die keltische Sprache in der Ebene aus-
starb, wird uns nicht überliefert; in römischer Zeit ist sie noch ge-
schrieben worden.^)
§3. Die Raeter. 6)
In den Alpen wird von reichUch einer halben Million Menschen
eine Sprache gesprochen, die man als raetoromanisch churwalsch oder
ladinisch (lateinisch) zu bexeichnen pflegt. Eine selbständige Stellung
innerhalb der romanischen Sprachfamilie ist ihr bisher lediglich des-
halb nicht zuerkannt worden, weil sie bei ihrer ungünstigen geogra*
phischen Lage weder eine gemeinsame Litteratur noch Schriftsprache
hervorzubringen vermocht hat Ihre Gebietsgrenzen haben nachweis-
1) GL. 1 1429 fs. V p. 719 Mommsen Ron. Mflniwesen 397.
2) Pol. U 15, 1 fg. 7.
3) Plin. Ep. m 19.
4) Cicero an Atticus TH 11,3 vgl. Säet Gaes. 24.
5) Unsichere Andeutungen Gic. Brut I7t GeH. N. A. XI 7, 4. Erhalten ist
eine büingne Inschrift vom Benacns CIL. V 4883 and eine ans dem nmbriachea
Tnder OL 1 1408.
6) Planta, das alte Raetien ataatlich ond cnltorhistoriach dargestellt, BerUn
1872. L. Stenb, rar rhaetisehen Ethnologie, Stattgart 1854. Aseoli, aaggi ladini
-a archlTio glottologico itaKano, vol. I, Roma Torino Firenze 1873. Gärtner,
raetoromanische Grammatik, Heilbronn 1883.
31*
484 Kap. XL Die YoUustiunme.
bar starii gesdiwankt: der dem ^vischen gegenüber gemachte Ge-
winn ist durch Einbursen an daa Deutsche sowie die lombardische und
venezianische Mundart yoU aufgewogen worden. Von den Mischgebie-
ten abgesehen, wird sie gegenwartig nur noch in drei getrennlen Be-
zirken rein gesprochen: in GraubtLnden am oberen Rhein und Iiw
von etwa 40000, im tirolischen Gader- und GrOdenthal östlich der
Eisack von 1 1 000, endlich in Friaul von 465 000 Seelen. In diesem
Ostbezirk reicht sie geschlossen von der Küste zwischen den MQd-
düngen der Livenza und des Isonzo bis zum Kamm der Alpen hinauf
das ganze Flufsgebiet des Tagliamento umfassend. Es ist ohne weiteres
deutUch dafs das Latein hier auf einer anderen nationalen Grundlage
sich fortentwickelt hat als in den benachbarten romanischen Ländern;
nicht minder deutlich dafs dies Volk ein zurückgedrängtes im Wett-
kampf der Nationen unterlegenes sein mufs. Beide Annahmen werden
durch die Ueberlieferung bestätigt. Der Name der 'PaitoL wird zuerst
von Polybios erwähnt, mit dem ja überhaupt die gesammte Alpenwelt
in die historische Beleuchtung eintritt.^) Alsbald verschwindet er wie-
der und kommt in der augusteischen Litteratur endlich zu Tage, da
die republikanischen Schriftsteller seiner nirgends gedenken. 2) Die
Unterwerfung 15 v.Chr. brachte die verschollene Nation vorübergehend
in AUer Mund. Ein Jahrzehnt zuvor hatte Livius, der sie als nächster
Nachbar genauer kennen mufste, die wertvollste Auskunft gegeben^}:
^vor dem Einbruch der GaUier beherrschten die Etrusker, Venetien
ausgenommen, das ganze Poiand bis zu den Alpen. Auch die Alpen-
volker gehen zweifellos auf den nämUchen Ursprung zurück , zumal
die Raeter: diese hat die Natur selbst verwildert, so dafs sie nur den
alten Klang der Sprache und solchen nur mit Entstellungen beibehiel-
ten'^. Die Worte geboren nicht jener leichtfertigen Geschichtsmacherei
an , mit welcher die Alten die Ursprünge fremder Völker aufzuhellen
liebten , sondern geben augenscheinlich die im Norden , namentlich in
Venetien herrschende Ansicht wieder. Eine zweite minderwertige Tra-
dition begegnet kurz darauf bei Trogus Pompeius, der die Raeter ge-
radezu für die von den Kelten vertriebenen Etrusker erklärt und ihren
Namen von dem Anführer Raetus ableitet« Dieselbe fand Beistimmung
unter Anderen bei PUnius aus Comum , der jedoch ein „man glaubt*"
1) Bei Stribo IV 209 vgl. S. 11. 139.
2) Mach Servius Verg. Georg. II 95 ist die raetische Traube Ton Cato lokend,
voD CatuU wegwerfend erwähnt worden vgl. S. 168.
3) Liv. V 33, 10.
§ 3. Die Raeter. * 485
beigefügt hat.O Die neueren Sprachforscher halten durchaus an der
Verwandtschaft der Raeter und Etrusker fest, die besonders der uner-
müdliche Alpenwanderer Steub zu begründen gesucht hat Sicher ist
dafs von sprachlicher Seite gegen die Nachricht des Livius kein Ein-
wand erhoben wird , dafs vielmehr manche Spracherscheinungen wie
die Verdumpfung der Laute im Ladinischen recht gut dazu stimmen.
Wenn ein hervorragender Forscher wie Zeufs die Raeter für Kelten
hielt, so wird solche Gleichung schon durch die Angabe erschüttert,
dafs unter Kaiser Hadrian die Regimenter angehalten wurden ihr natio-
nales Kriegsgeschrei auszustofsen , die Kelten in keltischer die Raeter
in raetischer Sprache^), aufserdem aber durch die unten zu behan-
delnden Denkmaler bündig widerlegt. Desgleichen ist sicher dafs jene
Nachricht des Livius vorzüglich geeignet ist um die Schichtung der
italischen Stämme, die grofsen Umwälzungen die hier stattgefunden
haben, verständlich zu machen : mit gutem Grund haben Niebuhr und
seine Nachfolger sich ihr angeschlossen.
Die Tusker benannten sich selbst Rasener und dies Wort steht
dem Worte Raeter so nahe dafs beide wol als gleich betrachtet werden
dürfen.') In der That wird Raeter von den Alten durchaus in allge*
meinem Sinne wie Ligurer Gallier usw. gebraucht und deshalb auch
zur Rezeichnung der von Augustus eingerichteten Provinz gewählt.
Dieselbe wird vom Gotthard und dem Ausflufs des Rheins aus dem
Rodensee, im Norden von der Donau, im Osten von Inn und Ziller^ im
Süden durch Italien (S. 80) begrenzt.^) Aber die politischen entspre-
chen den Stammesgrenzen nur zum Theil. Schon die amtliche Re-
zeichnung des Statthalters procuratar et pro kgato provinciae Raetiae
ei Vindelieiae et vaUis Poeninae sondert das von Kelten bewohnte vinde-
licische Flachland und Wallis vom eigentlichen Raetien ab. Wir haben
S. 478 die Lepontier der keltischen Nation zugewiesen und in der That
wird im Altertum der Stock des Gotthard als Westgrenze Raetiens an-
gegeben, wie er solche heutigen Tages fUr das raetische Idiom dar-
stellt^) Dasselbe erstreckte sich ehedem über das ganze Thal des
1) Justin XX 5, 9 Plin. HI 133 Steph. Byz.
3) Arrian Taktik 44. Dafs Zonmus ! 52 die norisehen und luetischen Le-
gionen keltiseh nennt, fallt nach dem Zasammenhang der Stelle und bei der
Flfichtigkelt des Autors nicht ins Gewicht.
3) Dion.Hal.I30 Mflller, Etmsker 1 163: Deecke widerspricht.
4) Eingehend behandelt CIL. III p. 707 Planta, das alte Raetien 55 fg.
5) Ptolem. n 12 vgl. Strab. lY 204. 206 Tac. Germ. 1 Plin. DI 135.
486 Kap. XL Die Volksstämme.
Rheins bis zu dessen Einmündung in den Bodensee i) und umfalste
ohne Zweifel im Wesenüicben das Gebirge bis zum Zülerihal, der po-
litisdien Grenze der Provinz. Die Nachricht data TridenUim Febria')
und Verona raetisch seien, konnten wir zwar filr die Städte selbst nicht
gelten lassen um so mehr aber fttr deren Umgebung (S. 479). hn
Uebrigen hangt die Frage, wie weit die Raeter am Sttdabhang der Alpen
nach Italien hinein gewohnt, mit einer zweiten Frage zusammen, wel-
chem Stamm die Bugatiei angehört haben. Dieser Name ist der helle-
nischen Litteratur voUsUindig fremd geblieben, wird dagegen von sehr
beachtenswerten romischen Gewährsmännern angeführt Der alte Cato
hatte 34 Gaue derselben aufgezählt, darunter die TniiNfyUit ValTrompia
und die Cumiifim Val Gamonica.^) Als führender Gau werden dkSum
genannt, deren Sitz wir leider nicht bestimmen können. ^) Es scheiot
dafs die Triumphalfasten sie für Ligurer halten. Jedoch sind die Euga-
neer unseren Berichterstattern so unbekannt und rätselhaft, dab ihr
Name schlankweg als das griechische evyevslg gedeutet wird. Den
Schlüssel des Rätsels gewährt uns die Angabe des Livius da(s vor An-
kunft der Veneter das ganze Ldod zwischen Alpen und Meer von den
Euganeern inne gehabt gewesen sei. Aeufserungen verschiedener spä-
terer Schriftsteller stimmen damit überein. ^) Mithin hat dies Volk einst-
mals vom Busen von Triest bis zum Oglio gesessen und im Osten vor
den Venetern, im Westen vor den Kelten ins Gebirge zurflckweicben
müssen. Die Ueberlieferung berechtigt in keiner Weise eine Verwandt-
schaft desselben mit den Raetern zu folgern ; denn wenn bei PUnius
Verona eine Stadt der Raeter und Euganeer heifst, so kann daraus
ebenso wol ihre Verschiedenheit wie das Gegentheil entnommen wer-
den. Allein die Spracheinheit weiche Friaul mit den altraetischen Land-
schaften an den Rhein- und Innquellen verbindet, zwingt uns die Deber-
seuguog auf dafs die gedachten Stämme sich zu einander verhalten
haben etwa wie Campaner und Samniten oder vielleicht auch wie Jonier
1} SUabo Vn 292.
2) Plin. m 130 Feltrini [cod. FerUn{\ et Trideniini ei Beruerues [7] Rae-
Hea oppida, Raetorum et Evganeorum Ferona,
3) Plin. m 134 vgl. S. 189.
4) Pilo, m 134 Strabo IV 204; die Fasten verseichnen 117 einen Triomph
d€ Idguribui Stoenei» vgl. Liv. ep. 62 Gros. V 14.
6} Liy. 1 1 Lucan Vü 192 (auf diese SteUe stflUt sieh die geleivte, oidit
volkatfimliche Beseichnung der volkaDitchen Hflgelgrnppe sOdJieh von Padoa
als eoUi Eugann) SUios lt. Vm 605 Xu 216 Martial IV 25 X 93 Xffl S» (Sidon.
Ap. carm. 2* 9 nach Lucan) Servias V. Aen. 1 242.
f 3. Bit Raeter. 487
und Dorier. Der eine siedelte im iniiereB Gebirg, der andere in den
Voralpen : aus diesem Umstand erklärt sich die Tersehiedene Benen*
oung wie auch die grtffeere Emp&ngltchkeit für die Cultur welche der
letztere bekundet Die entscheidende Stimme gebührt in diesw Frage
den Denkmälern. Im Umkreis des Lnganer Sees sind an vier verschie**
denen Orten etruskische Grabsteine gefunden worden, deren Sprache
und Schrift im Ganzen zu der südelmrischen stimmt, doch einen altera
tümlicheren Charakter als diese trägt Ein gleichartiger Grabstein ward
im mittleren Velllin unweit Sondrio entdeckt Für diese Thatsache
giebt es keine andere Erklärung als dab eben hier Leute etruskischen
Stammes wohnten. Dies festgestellt, wird man auch die Inschriften
bronzener Weibgeschenke von der Etsch und deren Seitenthälern bei
Trient in demselben Sinne deuten müssen. Die Zeugnisse sind an sich
nicht zahlreich; aber wenn wir den Druck erwägen, den ehedem die
keltische, später die römische Nationalität hier ausgeübt, so reichen
sie durchaus hin um das Dasein einer grofsen nordetruskischen Sprache
zu erhärten. ^) Nach dem Befund der Sprachen glauben wir die ältesten
Völkerbewegungen des Nordens folgender Hafsen auffassen zu sollen.
Oberitalien war anfönglich von zwei Völkerfamilien bewohnt, der ligu-
rischen im Westen der tuskischen im Osten. Aus der letzteren treten
die drei Zweige der Raeter Enganecr und Rasener oder Etrusker uns
entgegen. Von Osten her drangen die Veneter erobernd ein, später
von Westen die Reiten : beide bemächtigten sich der fruchtbaren Nie-
derungen. Der örtliche Zusammenhang der tuskischen Nation ward
gesprengt, um so mehr als die Reiten ilure Eroberungen auch auf ein-
zelne Flufsthäler auszudehnen suchten. Die merkwürdigste Erschei-
nung bietet die Furlaner Sprache dar. Da das Suganathal nach dem
Zeugnifs des Plinius raetisch war (S. 486 A. 2), so hat die Zugehörigkeit
des Friaul zu dieser Familie an sich nichts Auffallendes. Wol aber
heiben die Carner den Alien Gallier, ist Aquileia auf gallischem Boden
gegründet (S. 479 A. 4) , ist der hier hauptsächlich verehrte Belenus
ein keltischer Nationalgott Um diese Thatsachen mit dem Sprachbe-
stand zu vereinigen bleibt schwerlich ein anderer Ausweg übrig als
eine Völkermischung anzunehmen, bei der die Gallier den herrschen*
den Theil , die Raeter die grobe Hasse darstellen würden : eine An-
nahme für welche Analogien genug sich beibringen lassen.
In BetrefT der Geschichte der Raeter bleibt wenig nachzuholen
1} Fabretti 2 fg. 12 Suppl. 1 Corssen, Etrusker I p. 919—952.
488 Kap. XL Die Yolksstämme.
übrig. Des kleinen Kriegs den sie bis auf Aogustus gegen das Flach-
land führten, haben wir S. 75. 78 gedacht. Im J. 15 v. Chr. hat Drusus,
mit Horaz zu reden ^), ihre Burgen (arees Alpibus mpo9ita$ tremmiis)
gebrochen , hat Tiberius ihren Freiheitssinn (devöta morti pecUnra fi-
berae) gebeugt. Die Siegesinschrift bei Monaco (S. 157) führt 48 unter-
worfene Völkerschaften auf , darunter die TruntfiKni in Val Trompia,
die Cämunni in Val Camonica, die Venostes im Vintschgau, die Lepanti
im Thal des Tessin. Was wir im Einzelnen über deren Abstammung
wissen, ist bereits oben angemerkt worden. Ihrem Grundsatz die Na-
tionalitäten zu theilen und dadurch deren Widerstandskraft zu lahmeo
ist die römische Politik in den Alpen treu geblieben. Die raetischen
Thäler am Sttdabhang der Alpen, welche italischen Städten untersteilt
in die Landesgrenzen einbefafst wurden, sind begreiflicher Weise am
Schnellsten romanisirt worden und haben bereits unter den Nachfol-
gern des Augustus das Bürgerrecht sich angemalst, zum Theil mit Er-
folg behauptet. 2) Dies gilt im Besonderen von den Gemeinden im
Bereich der lombardischen Seen. Dagegen sind die Carner in den
Ostalpen erst ein Jahrhundert später zum latinischen Recht zugelassen
worden.^) Hier wie in der Provinz Raetien ist der Gebrauch der latei-
nischen Sprache bedeutend später allgemein geworden als am Tessin
und der Etsch. Der ursprüngliche Grund für die heutigen Dialekt-
grenzen hängt vermutlich mit der politischen Trennung zusammen.
§4. DieVeneter.
Die venezianische Mundart beherrscht ungefkhr ein Gebiet von
300 d. D Meilen mit 2 Millionen Einwohnern. Sie reicht im Osten bis
an den Unterlauf des Tagliamento, im Süden bis an den Po, im Westen
an den Mincio, das Hantuanische abgerechnet (S. 479), dringt endlich
die Etsch und Piave aufwärts bis an die deutsche Sprachgrenze vor.
Die weiteren Eroberungen die sie unter dem Löwen von S. Marco an
den Küsten der oberen Adria gemacht, brauchen hier nicht berück-
sichtigt zu werden. In der Weichheit der Sprache spiegelt sich die
Natur des Landes wieder ähnlich wie in unseren Seemarschen , oder
wie dasselbe Wort an den dänischen Gestaden einer schmelzenden,
unter den Klippen Norwegens einen harten männlichen Klang hat
Von der gallischen scheidet sich die venezianische Mundart sehr deut-
1) Od. lY 14 vgl. Vell. U 39 Strab. lY 206 YU 292 Dio UV 22.
2) CIL. Y 5050 dazu Mommsen Herrn. lY 112 fg.
3) CIL. Y 532 p. 53.
f4. DieVeneter. 489
lieb durch das reine u und die Erhaltung der Endungen (S. 475).
Umgekehrt erweicht sie die Tenuis zur Media, lärst die Consonanten
im Inlaut fallen , wandelt das palatale gin % um. Derart bestätigt die
heutige Stellung der Venezianer den Bericht den Polybios von ihren
Vorfajiren giebt: „das Land zwischen den Cenomanen und der Adria
hatte bereits ein anderes sehr altes Volk eingenommen. Sie werden
Veneter genannt, weichen in ihren Sitten und Ordnungen nur wenig
von den Kelten ab , sprechen aber eine verschiedenartige Sprache."
Der Gewährsmann hatte Oberitalien persönlich besucht, aufserdem eine
Kenntnirs des römischen Heerwesens sich angeeignet, in der Wenige
ihm gleich kamen: wenn irgendwo so wurde in den viekprachigen
Heerverbänden jener Zeit der Blick für nationale Besonderheiten ge-
schärft. Dafs ein auf reicher Erfahrung ruhendes Urlheil wie das an-
geftlhrte im Altertum aufser Acht gelassen werden konnte, erklärt sich
aus der damaligen Richtung ethnographischer Studien. Dafs es ver-
einzelt in der Neuzeit bei Seite geschoben worden ist, läfst sich erklä-
ren, aber nicht entschuldigen. Uebrigens deutet auch Plinius auf eine
Verschiedenheit der gallischen und venetischen Sprache hin und was
schwerer ins Gewicht fällt, setzt der Veneter Livius die Einwanderung
seiner Stammesgenossen mehrere Jahrhunderte vor Ankunft der Kel-
ten. 1) Das von ihnen eingenommene Gebiet ist kaum halb so grofs
wie dasjenige in dem heutigen Tages venezianisch gesprochen wird :
Verona und das raetische Bergland kommen in Abzug. Nach Osten
liegt Aquileia jenseit der Grenze, die am Tagliamento mit der heutigen
Sprachgrenze zusammen fUIt. Die Ebene von diesem Flufs bis zum
Po ist von den Venetern erobert und behauptet worden.^)
Der Volksname begegnet zuerst bei Herodot und zwar ohne Di-
gamma^EveroP), bei Theopomp Strabo u. A. 'Everol*), bei Polybios
Oviveroii am Ausgang des Altertums auch Biv€%oi^), bei den Rö-
mern seit Cato Yeneti. Er kehrt gleichlautend für ein verschoUenes
Volk in Paphlagonien wieder nach dem Schiffskatalog der Ilias ^) i§
1) Pol. n 17, 5 Liv. I i ; PliD. XXVI 42 and Golam. VI 24 geben die beiden
einzigen ziemlich unsicheren yenetlschen Sprachreste, von den nicht entzifferten
Inschriften abgesehen.
2) Strabo V 214 Plin. lU 126.
3) Her. 1 196 V 9 Skylax 19.
4) Theop. fr. 143 Müller, Strabo unterscheidet durch fehlende Aspiration
die paphlagonischen Eneter 1 48 Xu 542 fg. von den gallischen und italischen.
5) Z. B. bei Prokop, vgl. Julian or. 11 7 ID. Enstalh zu Dien. Per. 378.
6) Hein. D. n 852 Strabo XH 543.
490 Kap. XL Die Volksatäame.
^Evecwv o&ev iqfnovoiv yivog ayuoTBQatovj in der Bretagi
nes, wie den Alten seit Gaesara gallischem Krieg bekann
endlich als Name der Wenden, die durch deutsche Vena
Kunde der Römer gelangt als Venedi bei Plinius Feilet bei 1
treten.^) Vereinzelt dient er noch zur Bezeichnung eines
Balkanhalbinsel 3) sowie eines vom Rhein durchflossenen Si
theils der Zufall theils das Streben fremde Namen mund|
machen zu derartiger Uebereinstimmung beigetragen haben,
wir in diesem so wenig wie in ähnlichen Fällen zu sagen. I
rische Vers hat den Anlafs gegeben die Veneter aus Papblagc
Troia's Zerstörung einwandern zu lassen : eine Verbindung t
bei Cato begegnet und allgemeine Aufnahme gefunden hat, i
in Venetien selbst, dessen Hauptstadt Patavium seinen Urs
Antenor zurückführte. ^) Jedoch ist die Fabel von den Gri(
gegangen, deren Gelehrten jener homerische Vers viel Kopfzc
verursachte, und vermutlich durch die Beziehungen des äUei
zum Poland veranlafst im 4. Jahrhundert v. Chr. aufgel
Strabo verwirft die herrschende Ansicht und hält es für vt
lieber, dafs die Veneter wie die anderen italischen Gallier \
her und zwar als AbkOromUnge der bretonischen Veneter eij
seien. '^) Er würde besser gethan haben auf den Namen d
halbinsel zu verweisen ; denn wenn Herodot die Veneter de
zurechnet, so entspricht die geographische Lage solchem A
»▼
1) Gaes. b. Call. UI 7 fg. Sirabo IV 195 Dio XXXIX 40 o. a.
2) Fun. IV 97 Tac. Germ. 46 Zeufs p. 67.
3) Appian. Mithr. 55 Eustath zu II. II 852 dera. za Dion. Per. 378. Stnbo
Xm 608.
4) Mela lU 24.
5) Cato bei Plin. IH 130 Nepos bei Plin. VI 5 Verg. Aen. I 247. Uv. 1 1
Jusün. XX 1, 8 Mela U 60 Lucan VH 192 Martial IV 25 Sil. IUI. Vm 604. -
Die Tradition ist von padanischen Schriftstellern gepflegt — Varro Dionys Orid
u. A. berücksichtigen sie nicht — und in den GuUus TonPataTiom aofgenommen
worden Tac. Ann. XVI 21 Dio LXII 26. Sie far eine Nachahnoag dtf römi-
schen Aeneasfabel zu halten ist unzulässig, da diese einer jüngeren Epoche
angehört (A. 6 Tgl. S. 67).
6) Herodot 1 196 der die Veneter illjrrisch nennt, kann sie noch nicht ge-
kannt haben. Sie begegnet bei Maeandrios ca. 280 Strabo Xn 552, vieUeicht
schon bei Theopomp Skymn. 389 ; Tgl. Strabo XH 543 fg. XDI 607. Die Blüte
der Tenetischen Pferdezucht im 5. und 4. Jahrhundert mufste ihr Anfkonunea
befördern.
7) Strabo IV 195 V 212.
§4. DieVeneter. 491
oen. Jedenfalk fehlt ein Grund um von dieser ältesten Bestim-
* abxuweichen , die durch die erhaltenen Namen bestätigt wird. ^)
:n RiMnern ist der Volksname nicht durch griechische, sondern
"^^^ etroskiscbe oder umbrische Vermittlung gelangt ^j
Einstimmig larst die Tradition die Veneter nach Troia's Fall in
einwandern. Der Stolz den die Alten darin suchten mit ihrer
t von Anbeginn aller Dinge verwachsen zu sein leiht der Erzah«
les Livius einen besonderen Nachdruck. Was wir von der Ge-
le Venetiens wissen, fügt sich ungezwungen hinein« Es scheint
eEuganeer von den Fremden nicht sämmtlich vertrieben'), son-
uch theilweise unteijocht worden seien. Vereinzelt haben rae-
Ortsnamen sich erhalten.^) Die Pflege der Rossezucht, die im
4. Jahrhundert Aufsehen in Hellas erregte^), deutet auf ein ent-
;nes Hervortreten des Adels hin. Damit stimmt die militärische
|)|L . ^he des ganzen Stammes sehr gut ttberein. Zwar liat derselbe
^ Chr. durch seinen Angriff auf das keltische Gebiet Rom aus den
^ ^'^ a dieses Erbfeindes befreit; auch preist Livius die Kampfbereit*
^mo!^ seiner Landsleute, deren Stärke Strabo auf 120 000 Mann an-
Jedoch ist davon in späteren Zeiten wenig mehr zu spüren :
nd 225 die Streitmacht der Halbinsel nach Hunderttausenden
, brachten Veneter und die unter gleichen Bedingungen leben-
momanen zusammen nicht mehr als 20000 Mann ins Feld^), in
iteren Kriegsgeschichte wird der venelische Name nicht erwähnt.
<d recht eigentlich geborene Bundesgenossen Roms. Die Was«
seioo^^n welche die Natur des Landes forderte (S. 19% begünstigten
die SeCshaftigkeit und Arbeitstheilung; der Seehandel übte seinen civi-
lisirenden Einflufs aus. Seit der letzten Hälfte des 5. Jahrtiunderts läfst
sich eine griechische Ansiedlung in Atria nachweisen, der Tyrann
Dionys versorgte von hier sein Gestüt mit Rennpferden, der Geschicht-
1) Mommsen CIL Y 3019 hebt hervor dafs die wenigen unlateinischen
Eiseonaroen einen iUyrischen, keinen gallischen Charakter tragen.
2) Die Vergleichung der Form Italia mit fehlendem Digamma beweist den
ersten, die geographische Lage den iweiten PuncL
3) Liv. 1 1, 3 Eugamii gui inter mare Alptqu9 ineolebant puUis.
4) TtuTümum Treviso verglichen mit TarvMedum Station auf dem Splugen.
Die Bezeichnung des Bodensees bei Mela lU 24 als laew Fonehu legt sogar
den Scbluls nahe dafs der Volksname der raetischen Sprache angehöre.
5) Euripid. Hippolyt 231 (vgl 736) Strabo V 212. 215 Poiemon fr. 22
(MOUer m 122^Schol. lu Eurip. a. 0.).
6) Pol. n 18, 3 24, 7 Liv. X 2 Strabo V 213.
492 Kap. XL Die Yolksstimme.
Schreiber Philistos leitete einen Canalbau um den Zugang der Stadt
zum Meer zu erleichtem. ^) Man darf den Umfang des Verliehrs nicht
überschätzen (S. 175). Polybios tadelt streng die Unwissenheit seiner
Landsleute bezüglich dieser Gegenden, die märchenhaften Erfindungen,
mit denen die Geschichtschreiber solche verdeckten. ^) Um von dem
Bernsteinflufs (S. 183) und von der Gabelung der Donau (S. 10) zu
schweigen, wird die Fruchtbarkeit und der Menschenreichtum des Lan-
des in den übertriebensten Farben ausgemalt: die Hennen, heilst es,
legen zweimal des Tags, die Schafe lammen zweimal im Jahr und iver-
fen zwei Lämmer, oft auch drei und vier, bisweilen fünf und noch
mehr, die Veneter nennen fttnfeig Städte, das beste Weide* und Acker-
land ihr eigen.') Aber soviel geht doch aus solchen Berichten hervor,
dafs der Grund jenes aufserordentUchen Wolstandes den die Veneter
in römischer Zeit entfalten, früh gelegt worden ist In dem groben
Gegensatz welcher die italische Politik bestimmte, zwischen dem zQgel-
losen Treiben keltischer Gefolgschaften und den auf Abwehr und fried-
lichen Erwerb gerichteten Bestrebungen war ihre Parteinahme von
selbst gegeben. Sie fechten 225 v. Chr. auf römischer Seite, halten im
hannibalischen Krieg die Wasserstrafse ofTen, welche die Behauptung
der grofsen Pofestungen Placentia und Cremona ermöglichte , über-
lassen späterhin ohne Widerstreben den Römern die Grenzvracht am
Fufs der Ostalpen. ^) Man begreift ohne Weiteres, dafs die Cultur in
dieser Landschaft früher und stärker sich geäufsert hat als bei den
Galliern. Eine Anzahl in einem eigentümlichen Alphabet geschriebe-
ner einheimischer Steinschriften sind auf uns gelangt^) Auf die BlQte
griechischer Studien läfst sich aus dem Umstand ein Schluls ziehen,
dafs griechische Ausdrücke durch die padaoischen Autoren in die latei-
nische Sprache eingeführt worden sind.<^) Mit der Ertheilung des lati-
nischen Rechts 89 v. Chr. beginnt die rasche Latinisirung. Wie grOnd-
1) Strabo ¥212 vgl. S. 92. 206; Schöne, le antichitä del moseo Bocchi
di Adria, Roma 1878, p. XII.
2) Pol. n 16, 13 17, 6 Strabo V 215.
3) Pseudo-Hekataeos fr. 58» Steph. Byz. kS^la Skymnos 375 fg. Theopomp
fr. 143 Mfiller de mir. ansc. 119. 128; bescheidener Aristot bist. anim. VI 1, 1
Plin. X 146.
4) Liv. X 2, 9 semper eoi (Patamnos) in amäs aeeolae GaUi habebant
XXI 57, 5 XXXIX 22 fg. XU 27 CIL. I 547—549.
5) Fabretti 27—41 dazu Deecke, Mfillers Etrasker 1 138 A.
6) Beispiele S. 384. 389.
§ 5. Die Etnisker. 498
lieh sie durchgeführt worden , erhellt aus dem seltenen Voricommen
barbarischer Eigennamen. ^)
Von den OstUdben Nachbarn ist der Carner bereits S. 487 gedacht
worden, lieber die Bist r er ist wenig zu sagen. Der Name ^lavQoui
wahrend die Römer an der aspirirten Form festhalten 2), begegnet zu-
erst im 4. Jahrhundert v. Chr.^), doch in ganz nebelhafter Ferne. Der
Klang des Namens erzeugte die Vorstellung von der Gabelung der Donau
(S. 10) und man dachte sich noch zu Anfang des 2. Jahrhunderts die
Balkanhalbinsel so' zusammen geschnürt dafs vom Gipfel des Haemos
aus Adria und Schwarzes Meer, Alpen und Donau gleichzeitig erblickt
werden konnten.^) Hiermit hängt es zusammen daCs die Histrer für
Thraker fi) oder im Anschlufs an die Argonautensage für Kolcher^) er-
klärt wurden. Als sie durch das Vordringen der Römer genauer be«
kannt worden waren, heilsen sie lUyrier ^) und in der That weist die
geographische Lage auf ihre Zugehörigkeit zu dieser Völkerfamilie hin.
Der Stamm erstreckte sich ehedem viel weiter als die kleine nach ihm
benannte Halbinsel (89 DM.). Er grenzte ehedem an die Veneter,
reichte also bis an den Tagliamento und beanspruchte noch 181 v. Chr.
den Küstenstrich, in welchem Aquileia gegründet wurde. ^) Doch haben
die Camer den Zugang zum Meer erkämpft und ihnen, nicht den
Histrem wird in augusteischer ZeitTriest zugezählt®) Livius bezeich-
net die alten Nachbarn als wilde wegen ihres Seeraubs berüchtigte
Leute und erzählt ein paar Kriege, die schliefsUch 177 ▼. Chr. mit der
Unterwerfung endigten. ^^)
§5. DieEtrusker.il)
Toscana oder, wie Machiavelli will, Florenz hat die italienische
Schriftsprache geschaffen und noch heutigen Tages wird die Rede dieser
1) Mommsen CIL. V p. 268.
2) GlaTer IL ant. 204 Mommsen CIL. V p. 1.
3) Skylax 20 Skymn« 391 Pseado-HekaUeos fr. 59.
4) Anziehender Bericht über die Besteigung durch König Philipp 181 v. Chr.
nach Polybios Lir. XL 21 fg. Strabo VII 313 Mela U 17.
5) Skymn. 391 ApoUodor fr. 119 (Mfiller I p. 451).
6) Kallimaehos fr. 44 Bergk Strabo V 216 Justin. XXXn 3, 13 Diod. lY 56, 7
Mela n 57 Plin. m 128.
7) Appian III. 8 Strabo YU 314.
8) Skylax 20 Skymn. 391 LIt. XL 26 XUB 1.
9) Strabo YII 314 Plin. Ol 127.
10) Uv. X 2 ep. XX XL 26 XLI 11.
11) Otfried Müller, die Etrusker, 2 B. Breslau 1828; neu bearbeitet Ton
494 Kap. XI. Die Volksstamme.
Stadt als Muster und Vorbild für das gesammte Land hingestelh. Es
ist nicht zu erwarten , dafs ein irgend erheblicher Bestand ^n etm-
skischen Worten auf mflndlichem Wege fortgepflanzt worden sei, da
das Italienische flberhaupt von allen romanischen Sprachen den latei-
nischen Wortschatz am treusten bewahrt hat und unter seinen Stamm-
wörtern nicht ein Zehntel fremden Ursprungs zahlt Nur die aspirirte
Aussprache der Toscaner (ginrgia) erinnert noch an die Häufung too
Aspiraten welche die Schrift ihrer Vorfahren kennzeichnet Einen
ahnlichen Vorrang, wie Dante für seine Heimat begründet, hat dieselbe
zwei Jahrtausende früher besessen. Die etruskische Schrift ist nicht
nur die älteste welche in Italien aus der griechischen abgeleitet wor-
den, sondern bis zum hannibalischen Krieg auch die verbreitetste ge-
wesen, hat den Umbrem Oskern Venetern und Galliern für die Bildang
ihrer Alphabete als Vorlage gedient Die Denkmaler dieser Sprache
erstrecken sich über ein Gebiet von 2000 O Meilen. Dazu gehört die
Umgegend von Capna, Etrurien, das westliche Umbrien {Tnder FeT-
tonä)^ die gallische Mark {Pisaurum Armmum)^ die Aemilia {Bommia
Rtwenna Regium Plaeentia)^ Ligunen [Cemendum BagimHi)^ MantnOy
Raetien (Etschthal Val di Non und di Cembra Veltlin Lugano) , wobei
die Fundstücke aufser Acht bleiben, die augenscheinlich durch Han-
delsverkehr nach Steiermark der Schweiz und anderen nördlichen Lan-
dern gelangt sind. Die Zahl der Denkmaler übersteigt 5000, meistens
jedoch geringen Umfangs. Sie zerfallen nach den Schrift- und Wort-
formen in drei Hauptgruppen, der geographischen Theiinng ent-
sprechend. Die nördliche oder raetische Gruppe tragt das altertüm-
lichste Gepräge, was sich aus der abgeschiedenen dem grofsen Verkehr
entrückten Lage von selbst erklart Sie entbehrt zwar auch die Medien
h gd, besitzt aber noch den o-Iaut Die mittlere Gruppe befafst die
Masse von Inschriften , welche zwischen Po und Tiber ans TagesUcht
gezogen worden sind. Ihre Sprache ist von WoUaut himmelweit ent-
fernt. Von den Vocalen sind die getrübten äöü aufserdem o ausge-
fallen, von den Consonanten die Mediae b gd^ dagegen die Aspiraten
ph ch th und die Zischlaute $' $z bewahrt Da der Ton durchaus auf
der ersten Silbe liegt, so werden die inlautenden Vocale häufig syn-
copirt und es entstehen Wortungetüme wie elüinuta'^KXvTaifiyi^arga
atinta ^^!d%alavviq alcsti =!5/AxijofT£g mnih = Mevilaog mti^ims «-«
W. Deecke, Stnttgirt 1877. W. CorsseD, über die Sprache der Etrasker, 2 R
Leipiig 1874. 75; dam die Kriük von W. Deecke Stattgart 1875 und Etnis-
kitche Forachnngen von W. Deecke 6 Hefte Stnttg. 1876 fg.
1 5. Die Etnisker. 495
Mihxfavog tUimunn» — Teka^tSvogy deren Verhältnifs zu dem melo-
dischen Tonfall eines Petrarca und Tasso sich schwer absehen läfst.
Freilich ist die Schreibung vielfach an dem fremdartigen Aussehen von
Formen wie eri% cezpz scesetna carpnti usw. Schuld. In der sOdlichen
campanischen Gruppe ist das Schwinden der Vocale nicht in diesem
Mafse vorgeschritten, obgleich auch hier o mitsammt den Mediae fehlt.
Uebrigens macht sich in Campanien der Einflufs des Oskischen so stark
bemeriibar dafs man fast geneigt ist an eine Sprachmischung zu denken.
Der Zeit nach gehört die Masse der Denkmäler den beiden letzten Jahr-
hunderten der Republik und den Anfängen der Kaiser an ; einzelne
reichen bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. hinauf. Die etruskische Natio-
nalität hat unter allen die der italische Boden umschlofs, ihre Eigenart
am Zähesten behauptet. Die Widerstandskraft schreibt sich theils von
dem hohen Aller ihrer Cultur, theils von dem tiefgreifenden Gegensatz
her der das etruskische und das römische Wesen scheidet. Nach dem
bannibalischen Krieg beginnt die lateinische Schrift einen formalen
Einflufs zu Oben, nach dem Bundesgenossenkrieg begegnen doppel-
sprachige Grabschriften oder solche in denen das Alphabet lateinisch
die Sprache etruskisch ist. Manche Grabkammern zeigen anschaulich,
wie schwer es den Insassen gefallen ist sich der ererbten Sitte ihrer
Vorfahren zu eotäufsem. Oeffentlich trug auch noch zur Erhaltung
bei die Wichtigkeit welche der römische Staat bestimmten theologi-
schen Disciplinen wie Eingeweideschau und Blitzsühne beimafs und
dnrch Fürsorge für Bewahrung dieser alten Geheimlehren bethätigte.
Die so lange fortgesetzte Berührung hat notwendig einen sprachlichen
Austausch, eine ausgedehnte Entlehnung aus dem Griechischen Latei-
nischen Umbrischen veranlassen müssen : die Zahl der Fremdwörter
im Etruskischen beläuft sich überaus hoch. Wenn man aber den ur-
Bprünglicben Gehalt ins Auge fafst z. B. die Ausdrücke, welche die
Familie betreffen, oder die Zahlen, so fehlt jeder Anklang an die itali-
schen und die indogermanischen Sprachen überhaupt. Es ist auch rein
willkürlich von vornherein die Annahme als die wahrscheinlichste hin-
zustellen , dafs die etruskische mit der lateinischen umbrischen oski-
schen Sprache verwandt sei. Den Römern hat sie als ganz fremdartig
barbarisch gegolten und Dionys gelangt nach wolerwogener Unter-
suchung zu dem Ergebnifs <): „ein sehr alter Stamm und keinem an-
deren Stamm weder in Sprache noch Sitte gleich.*^ Mehr hat auch die
1} DioD. Hai. I 30 Cicero de deor. nat. Uli de rep. 119 Gell. N. A. XI 7, 4.
496 Kap. XL Die yolkasOiiime.
neuere Forschung trotz der emsigsten Mühe, trotz dem Aufgebot von
arischen semitischen finnischen Sprachen nicht herausgebracht Der
Versuch das Etruskische ab Glied der italischen Familie einzuverlei-
ben, den ein so fleifsiger und verdienter Mann wie Gorssen unternahm,
ist voUstilndig gescheitert. Und wenn nun neuerdings sein eifrigster
Gegner Deecke uns mit dem Gestflndnifs überrascht, der von Gorssen
eingeschlagene Weg sei doch der richtige gewesen, so finden wir darin
nur einen Beweis für die Aussichtslosigkeit das Rätsel mit den zu Ge*
böte stehenden Mitteln zu lösen. Ein paar Seiten eines etruskischen
Buches würden bessere Dienste für die Entzifferung leisten als die Na-
menregister die wir den Nekropolen entnehmen. Und endlich hat man
nicht den geringsten Grund sich darüber zu beklagen dab die Einord-
nung der Etrusker in eine bestimmte Sippe nicht geUngen will; denn
die Zahl der bekannten Sprachen reicht nicht von Weitem an die Zahl
der verschollenen hinan.
Aegyptische Denkmäler des 14. Jahrhunderts erwähnen einen
Freibeuterschwarm der Turscha aus den Ländern vom Nordmeer
(S. 116); von welchen Küsten er ausgesegelt war, wissen wir damit
leider noch nicht Uebereinstimmend lautet der Name bei den Umbrem
Turskum numem, jünger Tuscom nome^ bei den Römern Tum Birutä.
bei den Hellenen TuQatjvol jünger TvqqtjvoL Das Volk selbst be-
nannte sich nach einem Heros Eponymos Rasena oder Rasetuui, wel-
cher mit Raetus verwandt zu sein scheint. Als Namen der Nordstämme
haben wir Raeti und Euganei kennen gelernt (S. 486). Hesiod setzt
die Tyrsener bereits an die Seite der Latiner (S. 5) und von der heUe-
nischen Colonisation ab vermögen wir wenigstens in grofsen Zügen
ihre Schicksale auf italischem Boden zu verfolgen. Um so dunkler
bleibt ihre Vorgeschichte. In dem wilden Fehdeleben das die Anfänge
der griechischen Geschichte erfüUtf erscheint auch ihr Name; manche
alteinheimische Sage meldet von ihren Räubereien und Niederlassun-
gen, i) Die Geschichtschreiber des 5. Jahrhunderts halten sie für gleichr
bedeutend mit dem Urvolk der Pelasger und wissen von ihrer Vertrei-
bung aus den hellenischen Gauen zu reden. Nach Hellanikos landen
sie am Po von Spina und gründen von hier aus ihr Reich. ^) Zu grOfserer
Verbreitung ist die Erzählung Herodots gelangt, nach welcher das halbe
lydische Volk unter dem Konigssohn Tyrsenos ans Mangel an Unter-
t) Hom. Hymn. 7, 8 fg. Herod. 1 57 Thukyd. IV, 109 Philochoros fr. 5 M. Dioo.
Hai. I 25.
2) Dion. Hai. 1 28 Diod. XIV 113.
§ 5. Die Etrnsker. 497
halt im Westen eine neue Heimat suchen mufste. Der gänzliche Mangel
an äufserer wie an innerer Beglaubigung dieses Märchens ist von Dionys
überzeugend nachgewiesen worden. Es wird etwa in der ersten Hälfte
des 5. Jahrhunderts ersonnen sein um dem Verkehr zwischen Lydien
und Etrurien eine mythische Weihe zu geben, ähnlich wie später Rom
durch die Aeneasfabel in der politischen Gemeinschaft der Hellenen
legitimirt wurde (S. 67).^) Jedenfalls ist das Dogma von der lydischen
Abstammung der Etrusker von Staatswegen anerkannt und im inter-
nationalen Verkehr gebraucht worden. Dieser Umstand erklärt zu-
gleich seine Annahme nahezu von der gesammten griechisch-römischen
LiUeratur.2) Die etruskischen Bearbeitungen desselben, so viel wir da-
von wissen 3), haben die Ankunft der Lyder in unmittelbare Verbin-
dung mit der Geschichte von Tarquinii gesetzt. Der Stadtheros Tar-
chon wird als Sohn oder Bruder des Tyrsenos ferner als Stifter des
ZwOlfstädtebundes diesseit wie jenseit des Appennin ausgegeben. Jedoch
hat auch Perusia ähnliche Ansprache erhoben die Mutter von Felsina
und Mantua zu sein. Diese Traditionen gehören einer jungen Epoche
an, als die Macht der Etrusker längst gebrochen war, und malen die
Vergangenheit um so glänzender aus, je weniger die einzelne Stadt
nach dem Umschwung der Dinge zu bedeuten hatte. Aber wenn nach
.der glaubhaften Angabe des Livius in den raetischen Alpen tuskisch
gesprochen und wenn nach Ausweis der Denkmäler im Nonsberg Veltlin
und am Luganer See tuskisch geschrieben wurde, so leuchtet von
1) Der um 500 lebende lydische Geschichtschreiber Xanthos gchloCs durch
seine Daretellung die Fabel unbedingt aus Dion. Hai. 1 28. Ausdrücklich nach
dem Monde der Lyder berichtet sie Herodot I 94. Wenn nun 26 n. Chr. im
römischen Senat von den sardiscben Gesandten ein Beschlufs der Lucumonen,
der diese Verwandtschaft anerkannte, verlesen wurde — Tac. Ann. IV 55 de-
erehim Etruriae reeitavere ut eoraangttinti vgl. Fest p. 322 M. — , so wird
QDB damit der AnlaTs, ans den obigen Daten die Zeit der Fiction bestimmt.
•Auf die Berührungen zwischen lydischer und etruskischer Gultur hat O.Müller
und Andere nach ihm mit Recht Gewicht gelegt, aber unrichtige Schlüsse dar-
aus gezogen. Dieselben erklaren das Aufkommen der Fabel, aber die Fabel
vermöchte nicht die lydische Musik in Etrurien zu erklären, wie Müller will,
2) Timaeos fr. 19 M. Lykophron 1351 fg. Strabo V 219 Plut Rom. 2 Appian.
Lib. 66 Pausan. II 21, 3 vgl. Dion. Hai. I 28. — Cicero de divin. I 19 fr. p. 65
D. 88 Baiter-Kayser Verg. Aen. II 781 Vm479 IX U X155 Hör. Sat 16,1 Ovid
Met m 583 Stat Silv. 12, 190 IV 4, 6 Sil. It. IV 721 u. o. Rutil. Nam. 1 596. ~
Fest. p. 322 Justin XX 1, 7 Val. Max. H 4, 4 Velleius 1 1, 4 Seneca Dial. XH 7, 2
Plin. lU 50 Solin 2, 7.
3) Servius zu V. Aen. X 179. 198.
Kiffen, ItaL LandMkand«. I. 32
498 Kap. XI. Die Volksstämme.
selbst ein dafs diese Nation weder über das Meer gekommen noch von
einer kleinen Landschaft aus vorgedrungen sein kann^ sondern dafe
sie Tielmehr in grofsen VOlkerzQgen zu Lande von Norden her einge-
wandert sein mufs.
Vereinzelt werden dieEtrusker Autochtbonen genannt 0 und darin
erkennt man ein Zeugnifs für ihre lange Ansässigkeit im italischen
Lande. Aber mit anderen Volkern mit Ligurern und Umbrem yer-
glichen erschienen sie den Alten doch als Ankömmlinge. Ihre Ein-
wanderung fällt früher ak diejenige der Veneter und Kelten, später als
diejenige der Umbrer Latiner Osker, kurz der italischen Stämme im
engeren Sinne des Worts. Sie ist von Osten und Norden her vermut-
lich in langen Zwischenräumen erfolgt. „Vor der römischen Herr-
schaft — schreibt Livius^) — dehnte sich die Macht der Etrusker zu
Land und Wasser weithin aus. Wie sehr sie auf der Nordsee und auf
der Sttdsee, durch die Italien wie eine Insel umgürtet wird, geboten
haben, beweisen die Namen: die eine haben die italischen Stämme
tuskisch mit dem gemeinsamen Namen der Nation genannt, die andere
atriatisch nach Atria einer Colonie der Tusker; auch die Griechen
nennen sie tyrrhenisch und adriatisch. Die Küstenländer beider Meere
bewohnten sie in je zwölf Städten , anlänglich diesseit des Appennin
an der Südsee; nachher entsandten sie über den Appennin ebenso viel
Colonien als Hauptstädte im Bunde waren und diese Colonien besetz-
ten alles Gebiet zwischen dem Po und dem Fufs der Alpen, ausgenom-
men den Winkel der Veneter, die an dem inneren Busen der Adria
wohnen. Auch die Alpenvölker gehen zweifellos auf denselben Ur-
sprung zurück, zumal die Raeter.'' Wir sahen S. 486 dafs die hinsicht-
lich Venetiens gemachte Ausnahme für eine ältere Periode nicht zu-
trifft, dafs einstmals vom Meerbusen von Triest und den carnischen
Alpen ab alles Land raetisch d. h. etruskisch gewesen ist. Als Haupt-
städte der Etrusker im Norden werden bezeichnet Airia^) Mtmtua^
Jfe/pum^): letzteres ungewifs wo nördlich vom Po gelegen soll von
den vereinigten Insubrern Boiern und Senonen 396 v. Chr. am Tage
der Einnahme Veji's zerstört worden sein. Wesüich reichte ihr Gebiet
bis an den Tessin, ja nach Polybios bedeutend darüber hinaus. Für
1) Dion. Hai. I 26. 30.
2) Liv. Y 33, 7 vgl Pol. H 17 Lykophron 1361.
3) Varro LL. V 161 Liv. V 33, 7 Pilo. UI 120 Steph. Byt. jit^la.
4) Verg. Aen. X 198 mit den Schol. Plin. lU 130.
5} Plin. ni 125.
§ 5. Die EtniBker. 499
diese Angabe hat sich neuerdings eine monumentale Bestätigung ge*
funden. Am oberen Po in der Gegend der Bagienni (gemuer bei Busca,
Saluzzo) ist eine alte etruskische Grabschrift und bei Cemendum in
der Nähe von Nizza eine kleine etruskische Nekropole entdeckt wor-
den. Es labt sich nicht entscheiden, ob diese Denkmäler auf Schutz-
Terwandte, Handwerker und Kaufleute, oder auf einen herrschenden
Adel zurückgehen. Immerhin beweisen sie, dafs der etruskische Ein-
flttfs auch in Ligurien mafsgebend war.^) Von den wechselnden Schick-
salen des Küstenstrichs zwischen Macra und Amus war S. 471 die
Rede. In der Ebene südlich vom Po haben sodann die Etrusker auf
Kosten der Umbrer sich ausgebreitet. Felsina Bologna rechtfertigt den
Zusatz prineeps Btruriae durch die Gräberschätze, die in den letzten
Jahrzehnten an verschiedenen Orten der Umgegend aufgedeckt wur-
den und die Fortdauer einer etruskischen Bevölkerung in der Kelten-
zeit darthun. Diejenigen umbrischen Landschaften welche ihre Unab-
hängigkeit behaupteten, hatten von den fortgesetzten Angriffen viel
zu leiden; der Haupttheil des Gebiets das dieser Stamm inne gehabt,
ging auf immer verloren. Dazu gehörte nach glaubhafter Ueberliefe-
rung das 500 d. O Meilen grofse Land zwischen Meer Tiber und Ap-
pennin, das in der Geschichte den etruskischen Namen am Längsten,
ja in etwas geschmälertem Umfang bis auf die Gegenwart herab be-
wahrt hat. Auch in rein umbrischen Städten wie Tuder Todi und Vet*
tona Bettona unweit des Tiber sowie in Pitanrum Pesaro an der Adria
treffen wir etruskische Ansiedler an , wie deren Grabschriften zeigen.
Das starke Hervortreten des Adels in Etrurien legt die Vermutung nahe,
dafs die frühere Bevölkerung des Landes vielfach sitzen geblieben und
in Leibeigenschaft geraten war 2): indessen fehlt ein sicherer Anhalt
lim eine derartige Stammesverschiedenheit zwischen Adel und Plebs
zu behaupten. Dagegen wissen wir bestimmt dafs eine Anzahl fremder
rein italischer Völkerschaften in politische Abhängigkeit von den Etrus-
kern geraten waren. Unter ihnen befinden sich die Falisker am Tiber
bei Civita Castellana, deren Inschriften den Kampf des etruskischen und
sabinischen Elements anschaulich darstellen , die Römer über welche
im 6. Jahrhundert V. Chr. ein etruskisches Königsgeschlecht geherrscht
hat , die Latiner von deren Unterwerfung alte Sagen berichten , die
1) Leider ist HDklar, was wir unter ^vriov verstehen sollen, wo Skylax 4. 5.
die Grenze zwischen Ligurern und Tyrrhenern ansetzt; vgl. Lykophron 1356 fg.
2) Dion. Hai. IX 5 bringen iS inaofig Tvg^fjvlag ol ^ardrcrroi roig
lavTctfi' neviiJxaQ inayo/isvoi ein gcofses Heer zusammen; vgl. § 6 S. 505.
32*
500 Kap. XI. Die Volksstamme.
Rutuler und Volsker an der Seekttste.^) Endlich war auch die reichste
Landschaft der Halbinsel der Unternehmungslust dieses Stammes als
Beute anheim gefallen. „Vor Alters, schreiht Polybios^), als die Etnis-
ker die Poebene inne hatten , bewohnten sie zugleich die wegen ihrer
Fruchtbarkeit so sehr gefeierten Phlegraeischen Gefilde um Capua und
Nola.*^ Wie in Etrurien und jenseit des Appennin im Norden sollen sie
ebenfalls in Campanien einen ZwOlfstfldtebund gestiftet haben. Die
erste Stelle in demselben nahm das später Capua umgenannte Fo&icr-
num ein, dessen Gründung mit derjenigen Ton Nola um 800 ▼. Chr.
angesetzt wird. Femer gerieten Herculaneum und Pampeii in ihren
Besitz, der Hinerratempel auf dem Vorgebirge der surrentinischen Halb-
insel galt in der Kaiserzeit als eine Stiftung der Etrusker. Südlich Ton
der Halbinsel am Paestaner Golf erstreckte sich bis zum Silarus tuski-
sches Gebiet. ') Der über Corsica bis etwa 300 ▼. Chr. geübten Ober-
herrschaft haben wir bereits früher (S. 365) gedacht. Vor ihrer Ver-
bündung mit Karthago scheinen sie auch mit Sardinien engere Be-
ziehungen unterhalten zu haben. *)
Die Ueberlieferung verwehrt uns die Ausbreitung der etruskischen
Macht, die etwa um 600 — 500 ?. Chr. ihre Höhe erreicht hatte, in
festeren Umrissen zu zeichnen. Das Schrifttum stand dieser Epoche
zu fern und noch weniger sind von den Gräberfunden ausgiebige Auf-
schlüsse zu erwarten, da solche den Luxus und damit den einreibenden
Verfall erlSlutern. Immerhin ersieht man dafs die älteren Hellenen
Italien nicht ohne Grund TvqqijvIo benannt haben (S. 65). In seiner
weitesten Ausdehnung bewohnte und beherrschte dieser Stamm ein
Gebiet von etwa 3000 d. Quadratmeilen , doppelt so viel als späterhin
die Kelten gewonnen haben. Wir verglichen S. 480 die letztere Ein-
wanderung mit einem Keil der in das GefQge eines Baums hineingetrie-
ben wird. Das Bild läfst sich auch auf die viele Jahrhunderte ältere
Volkerbewegung anwenden, nur dafs der etruskische Keil den kelti-
schen an GrOlse weit überragt: sein Lager erstreckt sich über 7 Län-
gengrade vom M. Cenis bis zum Birnbaumer Wald , seine Schneide
dringt 3 Breitengrade weiter nach Süden vor. Aber darin vornehmlich
unterschieden sich beide, dafs die Kelten Italiens sich an eine mächtige
weit verzweigte Nation anlehnen, im engsten Zusammenhang mit dem
1) Gato Orig. fr. 112 n 14 Jordan.
2) Pol. U 17, 1.
3) Strabo V 242. 247. Yell. I 7 SUt Silv. U 2, 2 Plin. m 70.
4) Strabo V 225.
S 5. Die Etrasker. 501
nationalen Ganzen einen yorgeschobenen Posten desselben darstellen,
während die Etrusker ohne Rückhalt, von fremden Volkern umringt
als losgerissener Ast eines uns nicht bekannten Stammes erscheinen.
Wie früh im ersten oder zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung
diese Wanderscharen in und am Fufs der Alpen sich niedergelassen,
von hier ans ein grofses Stück der Halbinsel erobert haben , läfst sich
nicht erraten. Die Alten leiteten den Namen TvQarjvol von Tvqaig ab
und bezeichneten dieselben als Burgen- oder Städtebauer.^) In der
That sind sie weit eher als alle ihre Nachbarn zu den Formen civili-
sirten Lebens yorgeschritten und deshalb auch die Lehrmeister ihrer
Nachbarn geworden. „Vor Alters, schreibt Posidonios 2) , zeichneten
sie sich durch Tapferkeit aus, besetzten viel Land, gründeten viele be-
deutende Städte. Lange Zeit beherrschten sie die See und bewirkten
dafs das italische Meer den Namen tyrrhenisch erhielt. Für den Land-
krieg erfanden sie die treffliche Trompete, die gleichfalls tyrrhenisch
heifst, statteten die Anführer mit äufserer Würde aus, gaben den Be-
amten Lictoren Elfenbeinsessel und mit Purpur verbrämte Togen,
richteten in den Häusern Atrien zum Empfang der Clienten ein. Das
Meiste hiervon haben die Römer herüber genommen. Auch bearbeite-
ten sie eifrig die Wissenschaften sowol Natur- als Gotterlehre und bil-
deten unter allen Menschen die Blitzschau am Gründlichsten aus: des-
halb geniefsen sie bei den Weltherrschern bis auf den heutigen Tag
hohen Ansehens und werden zur Deutung der hinmilischen Blitzes-
zeichen verwandt. Die Fruchtbarkeit ihres wolbewässerten Landes
leistet der Völlerei Vorschub, so dafs sie zweimal am Tage üppig tafeln
auf Blumenlagem mit silbernem Geschirr von einem zahlreichen Trofs
bedient. In Wohnung und Kleidung treiben sie ungebührlichen Auf-
wand, verbringen kurz gesagt ihr Leben mit Gelagen nnd unmänn-
lichen Ausschweifungen, der alterprobten Kraft und des Knegsruhms
ihrer Vorfahren veriustig.^' Der erschlaffenden Wirkung der Civilisa-
tion , der kein einziges Volk des Altertums auf die Dauer sich zu er-
wehren vermocht hat, ist die etruskische Nation frühzeitig erlegen.
Berufen wie sie schien das ganze Land unter ihrem Scepter zu einigen,
bedurfte sie der höchsten Anspannung aller Kräfte nicht nur zur Er-
reichung dieses Ziels sondern auch zur Behauptung ihres Besitzstandes.
Zuerst ward derselbe erschüttert durch den Einbruch der Veneter, als-
dann durch den Einbruch der Kelten. Mit dem Verlust der Poebene
1) Dion. Hai. I 26. Tgl. 30.
2) Bei Diodor Y 40.
502 Kap. XL Die Yolksstämme.
war der Zusammenhang der Nation zerrissen, der Ansatz des gewalti-
gen Keils zertrammert. Ungeßdir um dieselbe Zeit war auch dessen
Spitze abgebrochen worden, als Rom die Tarquinier vertrieb und seine
Unabhängigkeit glücklich wahrte. Mit dem Fall Volturnums 443 t. Chr.
ging Campanien an die Samniten, mit dem Fall Veji's 396 die cimi-
nische Landschaft an die Römer verloren. Von den verschiedensten
Seiten her haben Kelten Ligurer Umbrer Latiner Samniten Hellenen
einander in die Hände gearbeitet um die etruskische Herrlichkeit abzu-
bröckeln. Schliefslich blieb nur das Land Etrurien übrig, welches
nach einem mattherzigen Widerstand um 3(K) v. Chr. der römischen
Führung sich unterordnete. Damit war der Schutz nach aulsen uro
den Preis der Selbstbestimmung erkauft. Für diese letzte Periode
etruskischer Geschichte fliefsen unsere Quellen reichlich. Ein starke
Adels- und Priestertum, blühendes Gewerbe, Gutswirtschaft ohne freien
Bauernstand, eine spitzfindige Theologie der das ganze Universum sich
in einer Rindsleber abspiegelt, mafsloser Luxus ohne Geschmack, Gla-
diatorenkämpfe, Zechgelage — das sind etwa diejenigen Züge welche
in derselben zunächst in die Augen fallen. Aber die aufgedunsenen
derbsinnlichen Gestalten der Bildwerke stehen der Zeit als man den
Namen der Tyrsener in Hellas nur mit Schrecken In den Mund nahm,
ebenso fern wie die Römer unter Nero oder Commodus den alten
Hannibalskämpfern. Mit gutem Grund warnt Polybios davor die grofse
Vergangenheit der Etrusker mit dem Mab des zweiten Jahiiiunderte
V. Chr. zu messen.
§6. Die Umbrer. 1)
Die Sprache gewährt den sichersten Prüfstein nationaler Zusam-
mengehörigkeit. In den beiden Jahrhunderten, welche der Ertheilung
des römischen Bürgerrechts an alle Bewohner der Halbinsel voraus-
gehen, hat sich ein Gegensatz zwischen Italien und dem Ausland fest-
gestellt (S. 71). Die Meeresgrenze schliefst die Bundesgenossen zu einer
Einheit zusammen, vereinzelt sogar ist von Stammverwandtschaft zwi-
schen Oskern und Römern die Rede. ^) Aber an eine Verwandtschaft
der beiderseitigen Sprachen hat, so viel wir wissen. Niemand gedacht
1) Aufrecht und Kirchhoff, die umbrischen Sprachdenkmäler, 2 B. Berlin
1S49. 51. M. Brial, les tables Eagubines, Paris 1875. Bücheier in verstreatea
Abhandlangen (Bonn 1876. 78. 80 und Fieckeisen's Jahrb. 1875 p. 127. 313), deren
Sammlung erwünscht wäre.
2) Nach Pol. 1 10, 2 erbitten die Mamertiner als oß6^)joi Hilfe.
§ 6. Die Umbrer. 503
und in der That werden auch die Träger aufser Stande gewesen sein
sich unter einander mühelos zu verständigen. Als sodann am Ende der
Republik die antiquarische Forschung aufblühte, hat sie das Latein für
eine griechische Mundart erklärt, ohne die ausgestorbenen oder im
Aussterben begriffenen Schwestersprachen einer weiteren Aufmerk-
samkeit zu würdigen. Sie führte damit die herrschende Weltbildung,
die römische des Westens wie die hellenische des Ostens auf einen
und denselben Ursprung zurück, der universalen Richtung der Zeit an-
gemessen. Die näher liegende Frage wie das Latein die allgemeine
Volkssprache Italiens geworden und werden konnte, hat ihr Nach-
denken nicht beschäftigt. Auf die UeberUeferung allein angewiesen
müfsten wir antworten : es sei damit gegangen gleich einem Senfkorn,
das ein Baum wird, dafs die Vögel unter dem Himmel kommen und
wohnen unser seinen Zweigen. Zum Glück indessen sind so viel be-
schriebene Denkmäler auf uns gelangt, dafs wir das Lateinische einer
gröfseren Gesammtheit einzureihen vermögen. Die Mundarten der
Umbrer Osker Latiner Volsker Marser Paeligner Frentaner Falisker
bilden eine Einheit, die wir mit dem Namen italisch zusammen fassen:
aus den vorhandenen Sprachresten läfst sich die Grundsprache her-
stellen , welche von dem Urvolk vor seiner Spaltung und Ausbreitung
gesprochen wurde. 0 Diese Einsicht die den erhaltenen Inschriften
verdankt wird, wirft auf die ältere Geschichte ein willkommenes Licht.
Wir begreifen, dafs Stämme der mittleren Halbinsel die lateinische
Schriftsprache ohne Widerstreben annehmen konnten , da sie den Rö-
mern nicht blos benachbart sondern auch verwandt waren. Die Eini-
gung der Halbinsel zu einem Bundesstaat unter Roms Führung, die
den Absehlufs der älteren Entwicklung darstellt, wird unserem Ver-
ständnifs genähert durch die Thatsache dafs reichlich die Hälfte der
Bundesglieder und gerade die wehrhaftesten durch das Band gemein-
samer Herkunft unter einander verknüpft waren. Wir dürfen, so spröde
und fremdartig sie sich auch gegenüber stehen (S. 68 fgOt Gleichheit
der Denk- und Sinnesweise, Uebereinstimmung der wichtigsten Lebens-
anschauungen bei ihnen voraussetzen. Freilich war ein Nationalge-
fühl, wie es die hellenischen Stämme vor aller Ueberlieferung zusam-
men hielt (S. 57), auf italischem Boden ausgeschlossen. Obwol der
nämlichen Wurzel entsprossen, haben die italischen Völkerschaften in
ihren Gebirgsthälern sich von einander abgesperrt und jenen sprach-
1) Lexicon Italicum, composuit Fr. Buechelcr, Bonn 1881.
504 Kap. XI. Die VoHustämme.
liehen Gegensatz ausgebildet , der auf den Denkmalern greifbar ent-
gegen tritt. So dankenswert das erhaltene Material auch ist, reicht es
doch entfernt nicht aus um die Schichtung und Anordnung der Mund-
arten , damit zugleich den Stammbaum der Volker klar zu stellen. Im
Allgemeinen macht sich der Einflufs der geographischen Lage be-
merkbar, der Unterschied zwischen West und Ost oder Ebene und
Gebirg, der Unterschied zwischen Norden Mitte und Süden. Beide Ge-
sichtspuncte sind auch für die Anordnung der heutigen Mundarten zu
Grunde gelegt worden : dem letzteren wird von der modernen For-
schung das Hauptgewicht zugeschrieben. Solches trifft in gleicher
Weise für das Altertum zu und demzufolge werden wir die Glieder des
italischen Stammes in drei Abschnitten behandeln.
Der Norden des italischen Sprachgebiets umfafst die umbrische
Mundart. Ihre Denkmäler beschranken sich auf einen kleinen Raum von
ein paar tausend Quadratkilometern zwischen Tiber und Appennin.^
Sie gehören einerseits dem Strich längs des Tiber, den Gemeinden
Ameria Tuder Bettona Asisium an, anderseits Iguvmm und dem Kamm
des Appennin, wo der Tempel des Juppiter Appenninus (S. 218) einen
Hittelpunct des landschafthchen Gottesdienstes abgab. Was ihnen an
Zahl abgeht, wird durch das 1444 entdeckte Ritual von Iguvium die
umfangreichste aller italischer Urkunden inhaltlich ausgeglichen. Es
steht auf 7 Erztafeln von denen 5 im einheimischen, 2 im lateinischen
Alphabet beschrieben sind. Jenes ist aus dem etruskischen abgeleitet
und so erzählt uns der blofse Anblick der Schriftzeichen, dafs die
Umbrer die Elemente der Cultur von den etruskischen Nachbarn über-
kamen , unabhängig von diesen zu gestalten suchten , aber nach dem
gewaltigen Aufschwung Roms etwa um 200 v. Chr. wieder fallen liefsen
um sich der hauptstädtischen Weise anzubequemen. Die geringe Wi-
derstandskraft welche die einheimische Schrift entfaltet, wiederholt
sich im Bau der Sprache. Sie stimmt in manchen Eigentümlichkeiten
mit der oskischen im Gegensatz zur lateinischen Uberein : beide haben
im Anlaut p wo letztere qu^ im Inlaut / wo letztere d hat, bilden den
Infinitiv auf um (otn) , eine Endung die bei den Römern nur in dürf-
tigen Spuren nachweisbar ist. Aber während die oskische Sprache
reich entwickelt, fein gebildet erscheint, bekundet die umbrische einen
völligen Verfall im Lautsystem und mehr noch in den Endungen. Die
künstlerische Pflege welche das gesprochene Wort allein zu adeln
1) Fabretti G. L It. 79—100, 1. sappl. 105.
{ 6. Die Umbrer. 505
Termag, hat ihr durchaus gefehlt. Die Zerrüttung der Sprache spiegelt
uns die Schicksale des Stammes wieder, der in weit höherem Grade als
seine Genossen verkümmert ist.
Der Name der Umbrer begegnet zuerst bei Herodot, der sie süd-
lich vom Alpisflufs wohnen und zu ihnen die Tyrrhener aus Lydien
gelangen läfst^ Bei den älteren Hellenen, denen sie durch ihre bin-
nenlandisehe Lage und durch ihre bescheidene geschichtliche Rolle
gleichmäfsig entrückt waren, geschieht ihrer selten Erwähnung. 2)
Uebereinstimmend erscheinen sie der jüngeren Tradition als Urbewoh-
ner Italiens') und werden in dieser Eigenschaft häufig neben den Ligu-
rem als Barbaren aufgeführt.^) Man brachte ihren Namen mit tn^er
und der Deukälionischen Flut in Verbindung.^) Die Erbauung von
Ämeria wird vom alten Cato ins J. 1133 v. Chr. hinaufgerückt. Ferner
meldet die Tradition dafs ihre Wohnsitze sich einstmals über den gan-
zen Norden der Halbinsel erstreckten, über Etrurien, aus dem sie durch
die Etrusker, über die gallische Mark, aus der sie durch die Senonen
verjagt wurdeiv^) In der Aemilia werden die Städte Ravenna und Au-
trium ihnen zugerechnet.'«) Aber während der historisch hellen Jahr-
hunderte sind sie auf den Kamm des Appennin und dessen Seitenthäler
vomCasentino (S. 304) abwärts, ein Gebiet von kaum mehr als lOOd.
D H. Inhalt beschränkt. Sie gelten ähnlich wie die Ligurer (S. 472) als
Bergbewohner s): ihr Landsturm erreicht 225 v. Chr. nur die Höhe
von 20 000 Mann. Die Wohnsitze deuten klärlich darauf hin, dafs in
diesen Bergen der Rest eines ehedem grofsen weitverzweigten Stanunes
eingekeilt worden ist. Seine Geschichte geht in ein beständiges Zurück-
weichen vor den drei mächtigen Nationen auf, welche nach einander
um die Herrschaft Norditaliens gerungen haben. Die Nachricht dafs
einstens Umbrer in Toscana gesessen , wird durch vereinzelte Orts-
namen bestätigt: es giebt hier nicht nur einen Flufs Umbro sondern am
selben einen tractus Umbriae^ vieUeicht einen abhängigen umbrischen
1) Her. I 94 IV 49.
2) Philistos fr. 2 Theopomp fr. 142 M. Skylax 16 Skymn. 366 Arist. Met.
U 3, 42 de mir. ausc. 80 Lykophr. AI. 1360.
3) Plin. III 112 Umhrorum gens antiquistima Italiae exittimaiur Dion.
Hai. 1 19 n 49.
4) Dion. Hai. 1 10. 13. 22. 89 VU 72.
5) Plin. III 112. 1 14 Senr. V. Aen. XU 753 Isidor IX 2, 87 vgl. Diod. XIV 113.
6) PUn.m50. 112 Her. 194.
7) Strab. V 214. Pilo. HI 115.
8) Pol. 11 24, 7 Sil. It. VUI 449.
506 Kap. XI. Die Volksstamme.
Gau bezeichnend; der ältere Name von Clusium Camars kehrt bei dem
Bergvolk der Camertes wieder, i) Drei hundert Orlschaften sollen die
Etrusker ihnen entrissen haben. Insofern die Ziffer nur zum Ausdruck
einer grofsen Menge dient, kann sie durchaus auf Ghubwürdigkeit An-
spruch machen , da aufser Toscana auch noch die Aemilia in Betracht
kommt Der Kampf zwischen Etruskern und Umbrern hat sich durch
viele Jahrhunderte bis in historische Zeiten hingezogen, Ähnlich wie
dies zwischen Galliern und Ligurem der Fall war (S. 472). In sagen-
hafter Weise berichtet Strabo von diesen verschollenen Dingen 2):
„südlich vom Po wohnen Umbrer mitten unter den Römern, auch
Etrusker. Denn diese beiden Völker wetteiferten vor der römischen
Herrschaft mit einander um den Vorrang und ttberschritten leicht den
Tiberflufs der sie trennte, sich gegenseitig zu bekriegen. Und wenn
nun das eine Volk einen Heerzug in die Fremde unternahm, so beeilte
sich das andere in die nämUche Gegend auszurücken. Als die Etrusker
ein Heer gegen die Barbaren am Po entsandt und gesiegt hatten, bald
aber wieder wegen ihrer Schwelgerei vertrieben wurden, da zogen die
Nebenbuhler wider den Feind zu Felde. Sodann in der Eroberung
einander ablösend gründeten sie viele theils etruskische theils um-
brische Ortschaften , letztere in gröfserer Zahl da die Umbrer naher
zur Hand waren. Die Römer aber welche das Land überkamen and
Colonisten in vielen Plätzen ansiedelten, liefsen jene früheren Stimme
im erworbenen Besitz. Und jetzt sind alle romanisirt, nichts desto
weniger werden einige Umbrer und Etrusker genannt'^ Die Daislel-
lung fafst offenbar die eigentümliche Verwicklung ins Auge wdche ent-
stehen mufste, als im Lauf des fünften Jahrhunderts zu den alten Wi-
dersachern ein neuer hinzukam. „Boier und Lingonen — schreibt
Livius') — überschreiten den Poeninus, finden das Gebiet nördlich
vom Po von Stammesgenossen ausgefüllt, setzen auf FlöÜBen Ober den
Strom , vertreiben nicht nur die Etrusker sondern auch die Umbrer
aus ihren Landereien, halten sich jenseit des Appennin. Zuletzt wan-
dern die Senonen ein und lassen sich in dem Strich von Utens bis Aesis
nieder." Seitdem wohnten drei grundverschiedene Nationen in dem
Lande zwischen Po und Appennin neben einander: die herrschende
und zahlreichste die keltische, in einzelnen Städten die etruskische und
umbrische. Aber sogar in dem engen Gebirgsland das ihren Nameo
1) PliD. m 51. — Liv. X 25 Pol. n 19, 5.
2) Strab. V 216.
3) Liv. V 35, 2.
§6. DieUmbrer. 507
trägt, ward die letztere von den beiden anderen bedroht: wir haben
Id altumbrischen SUidten etruskische (S. 494) und keltische (S. 480}
Niederlassungen angetroffen. Das Ritual von Iguvium lehrt uns dafs
hier neben Stammesgenossen , Tadinaten und Nahartern , auch Kelten
und Etrusker weilten : sie alle werden bei der grofsen Stthnfeier zum
Verlassen der Gemeinde aufgefordert.^) Indem dasselbe Stammver-
wandte und Stammfremde vollkommen gleich behandelt, erklärt es zu-
gleich warum den Umbrern eine führende Rolle versagt bleiben mufste.
Der Grund liegt in ihrer staatlichen Zersplitterung: ob Sarsinaten Igu-
TJDer Tadinaten Camerter Naharter Tuderter usw. durch das Gefühl der
Landsmannschaft verbunden waren, ob sie sich selbst mit dem Griechen
und Römern geläufigen gemeinsamen Namen Umbrer benannt haben,
ist nicht zu erweisen. Noch in der Kaiserzeit erkennt man wie das
politische Leben des Stammes in Atome zerfallen war. Unter den Re-
gionen in die Augustus Italien theilte, ist die sechste Umbria eine der
kleinsten an Umfang, eine der reichsten an selbständigen Verwaltungs-
korpern. Um von den erloschenen Gemeinden zu schweigen, sind
ihrer ebenso viel in Thätigkeit als in dem doppelt so grofsen Etrurien,
ebenso viel als in der ganzen Cispadana oder Transpadana. Derart
hatte sich durch die Stürme der Revolution hindurch in diesem Länd-
chen ein Stück Mittelalter erhalten , das Augustus unangetastet liefs
und das vorzügUch geeignet ist das Erlöschen der umbrischen Natio-
nalität zu erläutern. Es versteht sich von selbst dafs ein Städtewesen
wie das etruskische hier nicht entstehen konnte. Die älteren Rerichte
nennen als politische Einheit den Gau {tribus, plaga).^) Das bäuerliche
Siedeln in Dorfschaften, zu dem die Gebirgsnatur nötigte, mag den
Anlafs zu der in jüngeren Quellen begegnenden Ansicht gegeben
haben, nach der die Umbrer keltischer Herkunft sein sollten.')
Am Ausgang des 4. Jahrhunderts v. Chr. tritt der Stamm in Ver-
bindung mit und Abhängigkeit von Rom. Er öffnet den römischen
Waffen den Weg durch sein Land, als diese 310 und 308 v. Chr. zu
den entscheidenden Stöfsen ausholten welche das Herz Etruriens
1) Tafel VUa nach Br^als Uebersetzung: quüquU est eiviUOU TadinaHi
trihui TadinatU Ttuei Mariei lapydiei naminit, ito ex hoc papulo. Das
Japwtkum noman wird von Br^al p. 176 auf die Kelten bezogen: vermotung»-
weise hatte ich dieselbe Deutung TempL p. 115 A. vorgeschlagen. Die vor-
liegende Formel kann freilich nicht uralt, sondern etwa im 4. Jahrhundert v. Chr.
entstanden sein.
2) Liv. IX 41, 15 XXXI 2, 6 XXXm 37, 1.
3) Sohn. 2, 11 Serv. Y. Aen. XH 753 Isidor IX 2, 87 XIV 4, 21.
508 Kap. XI. Die Tolksstamme.
trafen. ^) Aber die Genugthuung den Erbfeind gedemütigt zu sehen
mufste mit dem Verzicht auf die eigene Selbständigkeit erkauft wer-
den : der Versuch solches abzuwehren scheint kaum ernsthaft gemeint
gewesen zu sein.^) In der That war kein einziger Stamm Italiens mehr
als dieser auf Roms Schutz angewiesen und wenn auch einzelne Ge-
meinden sich in der Folge dagegen aufgelehnt, hat er im Grofsen und
Ganzen genommen willig sich gefügt. Uebrigens trug die römische Politik
nicht wenig dazu bei die nationale Widerstandskraft zu lahmen. Dem
Lauf der 220 v. Chr. erbauten Via Flaminia entsprechend , zieht quer
durch die Landschaft ein Streifen römischen Gebiets, die 283 eroberte
senonische Mark mit der Hauptstadt verbindend. Auf diesem Streifen
liegen die latinischen Festungen Namia (299 gegründet) und Spokiiwn
(240) sowie die Märkte Forum Flaminii (220) und Forum ^empronii
Derart ist die gröfsere Westhälfte Umbriens vom Osten und den ver-
wandten Stammen abgeschnitten. Aber am machtvollsten entfaltet sidi
der Latinismus an der Adria in den ehemals keltischen Landen : wie
wenig die Berggemeinden seiner Anziehung zu entgehen vermochten,
zeigt das Beispiel des um 250 v. Chr. geborenen Volksdichters Plautus
aus Sarsina. Länger hat sich nach Ausweis der Denkmäler (S. 504) die
einheimische Sprache diesseit des Appeunin behauptet. Jedoch ist, wie
es scheint, bereits vor Ertheilung des Bürgerrechts in verbündeten
Städten nicht blos lateinische Schrift sondern aach lateinische Sprache
gebraucht worden. ') Nach dem iulischen Gesetz vom J. 90 v. Chr.
konnte von einem Widerstand, wie ihn das Etruskertum geleistet hat
(S. 495), keine Rede sein.*)
§7. Die Mittelstämme. ^)
Durch die Mannichfaltigkeit seiner Bildung nicht minder als durch
seine Erhebung unterscheidet sich der mittlere Appennin von dem
1) Diod. XX 35. 44 Uv. IX 36, 7 37, 11 40, 18.
2) Liv. IX 41, 8 fg.
3) CIL. I 1412.
4) Br^al p. 228. 308 setzt allerdings die Anfertigung der igavinischen Ta-
feln unter Augostus; aber ohne zu fragen ob die geltenden Rechtsbestimmoiigen
sich mit dem Inhalt irgendwie vereinigen lassen und ohne zu bedenken dals
das römische Bürgerrecht noch unter Claudius an den öffentlichen Gebrauch
der lateinischen Sprache gebunden war.
5) W. Abeken, Mittelitalien vor den Zeiten römischer Herrschaft nach seinen
Denkmälern dargestellt, Stuttgart 1843. Th. Mommsen, die unteritalischen Dia-
lekte, Leipzig 1850.
S 7. Die Hittelst&mme. 509
nördlichen und südlichen. In mehreren Parallelketten streichend um-
schliefst er eine Reibe von Längsthäiem die von ansehnlichen Wasser-
laafen durchströmt werden. Der reichen Bodengestaltung entspricht
die Vielheit der Volksstiimme, welche selbständig in der UeberUeferung
auftreten. Freilich hat keiner unter ihnen aufser dem latinischen ein
bedeutendes Schrifttum henrorgebracht, die spflrlich erhaltenen Denk-
mäler gestatten nicht die einzelnen Mundarten nach ihren Besonder-
heiten klar zu erfassen oder einem grofsen Ganzen bestimmt einzu-
ordnen. Sicher ist dafs alle der italischen Sprachfamifie angehören.
Auch haben sie einander wechselseitig beeinflufst: von manchen Wor-
ten des Latein wird sabinischer Ursprung vermerkt, die oskische Ko-
mödie erhielt römisches Bürgerrecht, das nationale Mafs des Satumiers
war bei Paelignern und Samniten im Gebrauch so gut wie bei Lati-
nern, i) Bereits im Laufe des 4. Jahrhunderts v. Chr. ist das politische
Uebergewicht Roms und damit das Uebergewicht seiner Sprache in
diesen Gegenden entschieden worden. Ganze Stfimme wie die Herni-
ker 306 und die Sabiner 290, zum grofsen Theil auch die Picenter
268 v. Chr. werden der römischen Bürgerschaft einverleibt Die ver-
bandeten Gemeinden bequemen sich der führenden zuerst in der
Schrift alsdann im Ausdruck an. Als sie sich 91 v. Chr. vom Bunde
lossagten und mit den Oskem vereint auf neuer Grundlage einen ita-
lischen Staat zu schaffen unternahmen, prägen sie nichtsdestoweniger
ihre Münzen mit lateinischer AnfschrifL Diese merkwürdige Thatsache
kann schwerlich allein aus der Propaganda erklärt werden, welche die
Mundart des herrschenden Volkes während der letzten Jahrhunderte
iD den Appenninthälem gemacht hatte. Vielmehr legt sie die Ver-
mutung nahe dafs die Scheidewand welche die Natur zwischen Paelig-
nern und Samniten aufgerichtet (S. 238), auch auf die Schichtung der
Nation eingewirkt hat, dafs der örtlichen Nähe entsprechend die Glie-
der der Mittelgruppe enger unter einander verwandt waren als mit
den Umbrem im Norden oder den Samniten im Süden.
Damit ist ein Gegensatz von Ost und West keineswegs ausge-
schlossen. Jedermann weifs dafs das Gebirge in Flora und Fauna , in
Sprache und Sitte einen altertümlichen Charakter bewahrt gegenüber
dem Flachland und es kann deshalb nicht befremden, wenn manche
den Latinern fehlende Erscheinungen bei sämmtlichen Gebirgsstäm-
raen wiederkehren. Die nämliche Beobachtung ist den römischen Ge-
1) Bücheier Rhein. Mus. XXX 441 XXXID 271.
510 Kap. XI. Die Volksstamme.
Schichtsforschern nicht entgangen. Varro erklärt den See Ton Atft7tc
auf der Reatiner Hochebene für den Nabel Italiens. ^) Der Ansatz trifft
auf die rflumliche Mitte in der Breitenausdehnung der Halbinsel; doch
kann dieser Gesichtspunct nicht malsgebend gewesen sein, da geo-
graphisch betrachtet der Fuciner See das natürliche Centrum des gan-
zen Landes darstellen würde. Vielmehr ist der Ansatz mit Rücksicht
auf das umwohnende Volk der Sabiner gewählt worden. Die Sabiner
wurden als uralt dem italischen Boden entsprossen angesehen 2), ab
die Stammväter der mächtigsten und ausgedehntesten Völkerschaften
der mittleren und südlichen Halbinsel. Von den Sabinern werden her-
geleitet Picenter Paeligner Marser Herniker sowie die Samniten in
Samnium Campanien Lucanien und Bruttium; an der Bildung der lati-
nischen Nation wird ihnen aufserdem ein hervorragender Antheil zu-
geschrieben. Die Form unter der ihre Ausbreitung erfolgt sein soll,
ist diejenige des ver sacrum (S. 62). Bis tief in die historischen Zeiten
hinein hat sich das Gebirge dieser altertümlichen Form bedient um
der überschüssigen Mannschaft die es zu ernähren aufser Stande war,
ledig zu werden. Die samnitischen Söldnerhaufen welche in der sidli-
schen Geschichte seit dem älteren Dionys einen wichtigen Platz ein-
nehmen, führen ihren Ursprung auf ein derartiges Sühnopfer der
Heimat zurück. ') In Urzeiten ist dasselbe gleichfalls von den Latinern
dargebracht worden und Rom hat noch im hannibalischen Krieg einen
heiligen Lenz den Göttern geweiht. Aber im Uebrigen erscheint hier
das Opfer zu einer lediglich sacralen Handlung herabgedrückt, der
grofsen Bedeutung, die es dereinst im Leben der Nation behauptet
hatte, vollständig entkleidet: in der Ebene unter dem Einfluls des
Meeres hat die Politik früh die Fesseln abgestreift, in welche der
Geist durch die Gebirgsnatur geschlagen war. Die Ebenen sind den
häufigsten Umwälzungen ausgesetzt 4), die Tradition weifs hier weniger
von Autochthonentum als von Einwanderungen und Völkerkämpfen za
melden.
Die Sagen welche so viele wehrhafte Völker aus heiligen Lenzen
1) Fun. in 109 in agro Reatino CuHHae lacum in quo fluctueiur tnsuU
liaHoB um^Ucum esse M, Varro tradit
2) Strab. V 228 Sati 6h xal nakouoxaxov yhfoq ol Saßivoi xal ovro-
X^ovBq. Damit stimmt überein Gato bei Dion. Hai. n 49; in Betreff" des Citats
bei Servius V. Aen. Vm 638 Tgl. Jordan, Cato prol. p. XXVL
3) Festus p. 158 Varro RR. m 16 Dion. Hai. I 16, mein Templnm 154%.
4) Thakyd. I 2 /juiXtata dh t^g y^g 17 d^lcTtj del ritg fieraßolag xtiv
oixtjtogwv bIxsv»
S 7. Die Mittelstamme. 511
der Sabiner entspringen lassen, yerdienen unbedingten Glauben. Aber
der Name Sabiner niufe von ibnen in ungleich weiterem Sinne ange-
wandt worden sein, als man später damit verband: eine Landschaft
iron etwa 70 d. DM. Inhalt war schwerlich hn Stande den zwanzigfach
gröfseren Raum zu bevölkern. So wenig die Dorier des Peloponnes
und der Inseln der Tetrapolis am Oeta oder den Abhängen des Olym-
pos entsprossen sein können, darf die Heimat der Samniten auf die
Hochthaler von Amiternum und Reate beschränkt werden. Wenn
Kaiser Augustus die GebirgsvOlker von der Sabina bis Samnium ein-
schliefsiich zu einer Region, der vierten, vereinigt hat, so ist daraus
eine engere Verwandtschaft derselben mit Nichten zu folgern: die
geographische Lage die Gemeinsamkeit der Lebensrichtungen reicht
vöUig aus um die Eintheilung zu erklären. Allerdings thut der am
Velino wie am Volturno gleichermafsen heimische Name Sabiner die
ehemalige Einheit beider Stämme gerade so unwiderleglich dar als der
Name Sachsen den Zusammenhang der Rewohner von Kent und Sussex
mit denjenigen der unteren Elbe und Weser. Aber in welche Zeit die
Einheit zurück reicht, vermögen wir nicht zu erraten. Dafs die Sprach-
reste nicht genügen um eine sichere Eintheilung der Mundarten auf-
zustellen, ward oben (S. 504) bemerkt. Ebenso wenig sind wir im
Stande die Völkerbewegungen des ältesten Italien in ihrer zeitlichen
Folge und ihrem inneren Zusammenhang nachzuweisen. So verlockend
die Aufgabe erscheint und so viele Versuche zu ihrer Lösung auch ge-
macht worden sind, bleibt sie nach wie vor aussichtslos. Ein Hinblick
auf die Dunkelheiten in unserer eigenen Stammesgeschichte erläutert
diese Lage der Dinge in verständlicher Weise. Wir zählen nunmehr
die einzelnen Völker auf, welche die mittlere Halbinsel bewohnt haben.
Die Picentes werden erst in römischer Zeit von Polybios ab er-
wähnt, i) Von Picus dem Specht des Mars der einen heiligen Lenz der
Sabiner geleitete, haben sie den Namen. ^ Nach der augustischen Ein-
theilung bewohnen sie die fünfte Region, welche im Norden an den
Äesis^ im Westen an den Appennin, im Süden an den Matrinus (S. 341)
reicht und ein langgestrecktes Littoral von ungefähr 100 d. D M.
Inhalt befafst. Die ähesten Stamroesgrenzen sind hiermit nicht um-
1) Pol. n 2t, 7 m 86, 9. liebliche Namensfonn Pieens (vereinzelt als Ad-
jectiT Cic de scn. 11), davon Pieenus Picmutn; selten Pieentinw Pompeius
bei Cic. Att Vin 12 C, 2, von Sirabo V 228. 240 vgl. 251 App. b. civ. 1 39 sub-
stantivisch gebraucht.
2) Fest. ep. 212 M. Strab. V 228. 240 Plin. Ul 110.
512 Kap. XI. Die Yolksstämme.
schrieben. Es ist möglich dafs sich solche tther den Ton den Römern
zur italischen Landesgrenze erhobenen Flufs Aesis (S. 71) weiter nach
Norden erstreckt haben, ohne dafs doch etwas Genaueres über das
ehemalige Verhältniis von umbrischem und picentischem Gebiet zu
ermitteln wäre.^) Im Süden können sie nicht wol bis an den Aterous
gereicht haben, wie Plinius will; denn hier ist bereits 289 t. Chr. die
Colonie Hadria gegründet worden, deren Name die Ansprüche Roms
auf die Herrschaft der Nordsee anzudeuten scheint. 2) Aufserdem
ninmit am Fufs des Gransasso das Völkchen der Praetutn mit der
Hauptstadt Interamna Teramo eine abgesonderte Stellung ein.') Eine
unentzifferte altertümliche Inschrift ist das einzige Denkmal, welches
▼on der picentischen Mundart auf uns gelangte.^) Die unabhängige
Entwicklung der Picenter ward zu früh gestört. Cnthätig, ja mit Rom
verbündet &) hatte dieser Stamm dem Ringen der Samniten zugeschaut;
als römische Festungen ihn von Norden (Sena fioQtca) und Süden
{Castrum novum Hadria) her umschlossen, begann er nachträglich sei-
nen Freiheitskampf und wurde 269. 268 v. C^. bezwungen. Nach Pli-
nius zählte er bei seiner Uebergabe 360000 Köpfe, so dafs mindestens
3 — 4000 auf die Quadratmeile gekommen wären : ein überraschendes
Ergebnifs das nicht weit hinter der heutigen Dichtigkeit zurückbleibt
vielleicht sogar falls der Krieg viele Opfer gekostet hatte, solche er-
reicht. Ein Theil der Besiegten wurde aus dem Lande fortgeführt und
am Golf von Salerno angesiedelt^), die gröfsere Hälfte des Gebiets na-
mentlich der Norden und die Küste von den Römern eingezogen.'^
Die autonomen Gemeinden mit der Hauptstadt Äsculum hatten die
1) Die livianische Epitome XV verlegt Ariminum nach Picenum und Po-
lybios U 21, 7 läfst die Senonen aus dem ager Picenus vertrieben werden. Aber
beide Angaben können leicht aus der Bezeichnung des ag'er Picenus et GalUcns
der grofsen Staatsdomäne an der Adria (Gic de sen. 11 Brut. 57 q. a.) irrtüm-
lich entnommen sein.
2) Plin. milO Liv. Ep. XI. CIL. IX p. 4S0.
3) Pol. m 88, 3 Liv. XXH 9 Plin. lU HO.
4) Fabretti 2679 fg. Mommsen , Unterit Dial. 329 fg. vgl. Bull, dell' Inst
1876 p. 57.
5) Uv. X 10. 11.
6) Strab. V 251 Plin. III 70.
7) Wie die praefecturae Gaes. b. civ. I 15 und die Golonlen Atueijmtm
Poieniia Firmum zeigen. In dem Yerzeichniis der Wehrfähigen Ton 225 fehlen
die Picenter: jedoch werden sie wol unter den Pol. n 24, 5 genannten Sabinen
verstanden sein.
§ 7. Die BlitteUtamme. 513
Schrift ihrer latiniscben Nachbarn angenommen, als sie ihrem Hafs in
dem blutigen Aufstand des J. 91 v. Chr. Luft machten. ^)
Der Name der 5a(tfit ist gleichfalls den älteren Hellenen unbe*
kannt« Er ist von Sabus einem Gott des Stammes abgeleitet. ^) Nach
Strabo bewohnen sie einen schmalen Landstrich der sich vom Tiber
und Nomentum bis zu den Vestinern 20 d. Heilen lang hinzieht. Ge-
nauer giebt uns Plinius dessen Umfang an. ^) Der Kamm des Hoch-
appennin scheidet ihn von Picenum. Er befafst zwischen Umbrern und
Vestinern die Hochthäler von Nursia und Amitemum^ zwischen Um*
brem und Aequern die Hochebene von Reate, erstreckt sich zwischen
dem Tiber unterhalb Ocriculum und der im mom Lucretilis gipfelnden
Kette der Sabinerberge (S. 238) bis an den Anio etwa 1 d. Meile von
Rom. Eine natürliche Einsenkung der die via Salaria (S. 108) folgt,
verbindet den unteren Tiber mit dem Thal von Reate. Die Ueberliefe-
rung verknüpft letzteres mit den ersten Anfängen Roms und in der
That ist das Gebirge auf diesen Weg gewiesen um mit der Aufsenwelt
zu verkehren. Zu einer selbständigen Ausbildung von Mundart und
Schrift sind die Sabiner unseres Wissens nicht gelangt. In den grofsen
Kämpfen um die Herrschaft Italiens wird ihrer nicht gedacht Aber 290
V. Chr. durchzog Curius Dentatus ihr ganzes Land bis zur Adria : es
ward einverleibt und erhielt 268 v. Chr. volles römisches Rürgerrecht.^)
Fortan galt es den Römern als die Heimat alter Sitte und Kraft Einem
Sohn der Sabina M. Varro danken wir das Reste was wir von der na-
tionalen Eigenart Italiens kennen.
Am rechten Tiberufer da wo der Flufs einen weiten Rogen um
den Soracte beschreibt hat sich der italische Stamm gegen das andrin-
gende Etruskertum erfolgreich behauptet (S. 499). Nach Strabo wur-
den die FaUsd von den Etruskern unterschieden und redeten eine
eigene Sprache. ^) Ihre Stadt FaUrü galt als uralt ^), in der Kriegsge-
schichte erscheinen sie als Verbündete derEtrusker. Nach einem leicht-
sinnigen Aufstand 241 v. Chr. wurde die Hälfte ihres Gebiets ihnen
abgenommen, auch der Rest vermutlich Rom einverleibt Die Denk-
mäler bestätigen diese Nachrichten durchaus. Neben den jüngeren la-
1) GILI644fg. IX p. 631 fg.
2) Nach Galo bei Dien. Hai. U 49 vgl. PreUer Myth.> 637fg.
3) Strab. V 228 Plin. UI 107 fg.
4) Flor. 1 10 Oxos. Ol 22 VeUeios 114 CIL IX p. 396.
5) Strabo V 226.
6) Dion.Hal.121.
HiaaeB, Ital. Luidesknade. I. 33
514 Kap. XL Die Yolksstimme.
teinischen und den älteren etniskischen Inschriften finden sich solche
die in einem eigentümlichen aus dem lateinischen und etniskischen
gemischten Alphabet geschrieben und in einer der lateinischen nahe-
stehenden Mundart abgefafst sind. ^) Die Capenaies am Fufs des So-
racte gehören dem nämlichen StammTcrband an. Dies beweisen nicht
nur ihre Culte sondern auch ihre altertUmUche lateinische Schrift. ^)
Die Nachbarn der Sabiner im Südosten haben mit ihren unabläs-
sigen Einfällen die alten Römer und deren Geschichtschreiber über
Gebühr beschäftigt. ') Vergil schildert sie «):
et te montosae misere in proelia Neriae^
üfem^ imignem fama et feUeibus armu:
korrida praedpue eui geru adtuUafue muUo
venmtu nemorum durU Aequieula glaebü,
armati terram exercent semperque reeentis
eonvectare iuvat praedas et vivere rapto.
Die Bezeichnung der Aequi als eines alten Volkes wird durch ihre
Wohnsitze bestätigt. ^} Auch wird man keinen Anstand nehmen sie
derselben Sippe wie die umwohnenden nahe verwandten Stämme hin-
zuzurechnen. ^) Der Name verschwindet seit dem Ausgang des vierten
Jahrhunderts: 304 v. Chr. wurden 31 ihrer Ortschaften im Lauf von
50 Tagen erstürmt und verbrannt« die starken Festungen Alba Fueen-
tia und Carsioli erhielten den Hauptstock des Gebiets angewiesen. '0
Fortan ist nur von den kleinen Aequern Aeguiculi oder le^iiteifJ^ni'
im Thal des Hmetta Salto die Rede, das noch jetzt Cicolano nach
ihnen heilst. ^) Die ehemaligen Grenzen des Stammes lassen sich nur
1) Fabretti 2440fg. Annali 1860 p. 211 fg. BoUettino deU' bist d. c a. 1861
p. 198; 1881p. 151.
2) PreUer MyUi.>239 Fabretü 2453 fg.
3) Liv. VI 12, 2 vgl. Schwegler Rom. Gesch. U 691 fg.
4) V. Aen. VII 744 mit SchoL vgl. Gic. Rep. U 36 Ov. Fast DI 93.
5) Liv. 1 32, 5.
6) Giuseppe Golocd, Gli Eqni I Firenze 1866 (vgl. Biüiett d. Imt 1859
p. 114 Fabretti 2732 Zvetaieff 1 a. a.) will allerdiogs die oskisehe Nationalitat
derselben erwiesen haben vermittelst einer angeblichen Inschrift, die leider Uiren
wirklichen Wert nach bisher verkannt worden ist Ich halte sie fdr einen ge-
gen Grammatik Archäologie nnd Geschichte verstoGsenden Scherz aof Papier;
denn der 1859 aufgefundene Stein ist angeblich wieder vernichtet worden. Der
Verf. soU noch mehr Oskisches auf Lager gehabt haben. [Auch MoBunsen der
die Inschrift CIL. IX p. 388 als &cht ansah, iuüsert nachträglich eh. p. 683
starke Bedenken.]
7) Diod. XX 101 Liv. IX 45 X 1. 3. 13 App. Hann. 39.
8) Plin. m 106 CIL. IX p. 388 fg.
(7. nie Mittelst&mme. 515
annjlhenid feststellen. Sie reichten vom Ufer des Fuciner Sees, wo
303 V. Chr. Alba gegründet wurde, das Thal de» Salto entlang bis in
die Nähe von Rieti : Clitemia Capradosso gehört ihnen noch an. Sie
bewohnten ferner das Thal des Tolenus Turano sowie das obere Anio-
tbal. Sie heifsen Nachbarn des sabinischen Cures; doch werden der
numi LuereiiUs sowie der Bach Digeniia Licenza ausdrücklich dem Sa«
binerland zugeschrieben. ^) Südlich von Praeneste springt das Gebiet
der Aequer nach Westen bis auf den Algidus in die Nähe von Tuscu*
lum vor. 2) Wenn man die angeführten Puncto mit einander verbindet,
so ergiebt sich ein Flächeninhalt von annähernd 45 d. D Meilen. In
den beiden erwähnten latinischen Colonien sind nicht weniger als
10000 Mann angesiedelt worden, so dafs für die Eingeborenen an
fruchtbarem Acker nicht gar viel übrig blieb.
Als Bergbewohner wie die Aequer gelten die südlich angrenzen-
den Hemid^); ja ihr Name hat nach Aussage der Alten geradezu diese
Bedeutung (Aema äs aoamiit).^} Desgleichen besteht hinsichtlich ihrer
Verwandtschaft kein Zweifel, da sie entweder sabinisch hei&en oder
ihre Hauptstadt Anagnia eine marsische Pflanzung genannt wird. ^) Ihr
Gebiet umfafst ein grofses Stück des Trerusthals (S. 330), wo die Städte
Anagnia Ferentmum Frusino auf einander folgen. Es hat einst bis an
den Liris gereicht; aber die Volsker eroberten das wichtige Fregettae
am Uebergang über diesen Flufs. ^) Die seitlichen Grenzen werden im
Allgemeinen durch die nach dem oberen Liris abfallende Bergkette so-
wie die Parallelkette der Monti Lepini (S. 238) gegen die Volsker be-
zeichnet. Der Flächeninhalt erreicht höchstens 20 d. O Meilen. Die
alten Beziehungen des Hemikervolkes zu Rom erhielten durch das Waf-
fenbündnifs von 486 v. Chr. eine dauernde Gestalt Später hat es sich
gegen die Herrschaft Roms erhoben und ist am Ausgang des vierten
Jahrhunderts unter verschiedenen Formen diesem Staatswesen einver-
leibt worden. Wenn eine hernikische Sprache erwähnt wird, so ist
darunter nur eine dialektische Färbung des Latein zu verstehen. ^)
Seiner Kleinheit ungeachtet hat das Volkchen der Marsi sich einen
1) Strab. V 231 Fest. cp. p. 119 M. Hör. Od. 1 17 mit Schol. Si). It. YIII 370.
2) Dion. Hai. XI 3. 23 Uv. m 23fg. IV 26.
3) Verg. Aen. YII 684 Sil. It. IV 226 Liv. IX 43, 6.
4) FesU ep. 100 M. Schol. zu Verg. Aen. VII 684.
5) Schol. zu Verg. a. 0. Jovenal 14, 180.
6) Liv. Vm 22, 1 vgl. S. 330.
7) Marc Anrel bei Frooto ep.IV4.
33*
616 Kap. XI. Die Volksst&mme.
Namen in der Geschichte zu machen gewufst. Seine Benennung nach
dem Gölte Mars^) deutet auf den Ursprung aus einem heiligen Lenz hin,
der sich bei* den Sabinern mehrfach wiederholt (S. 510). Ausdrfick-
lieh wird es dieser Sippe zugezählt. 2) Sein Gebiet befafst das Fuciner
Becken bis auf die den Aequern , später der Colonie Alba gehörende
Nordseite, ferner das obere Ende des Liristhaies mit der Stadt Anti-
num. Durch Bergzüge werden die Grenzen gegen Paeligner im Ostea
(S. 238) und Samniten im Süden (S. 240) im Allgemeinen bestimmt.
! Den Flächeninhalt kann man annähernd zu 20 d. D Heilen rechnen.
An Waffenruhm hat kein italischer Stamm es den Marsern gleich ge-
than. Sie standen in den Kämpfen gegen Samnium auf Roms Seite,
schlössen mit letzterem 304 v.Chr. ein Bündnifs^), erklärten von allen
Bundesgenossen 91 v. Chr. zuerst den förmlichen Krieg. Man sagte
damals dafs bislang weder ein Triumph über noch ein Triumph ohne
die Marser gefeiert worden sei. ^) Es entspricht ihrer geographischen
und politischen Stellung dafs der einheimische Dialekt mit lateinischer
Schrift geschrieben wurde. ^) Doch hat, wie S. 509 bemerkt, vor dem
Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges die lateinische Schriftsprache
Aufnahme gefunden.
Eine ähnliche Erscheinung bieten die benachbarten Paeligm dar.
Direr Ableitung aus Illyrien steht die einleuchtende Aussage eines Ein-
gebornen, des Ovid gegenüber, der sie auf die Sabiner zurückführt ^
Von der Bedeutung des Hochthals von Subno und Corfintum^ das sie
bewohnten , war S. 340 die Rede. Gegen Marser und Samniten im
Westen und Süden bilden Bergzüge die Grenze (S. 238). Im Osten
scheint der Stock der Maiella eine natürliche Scheidewand abzugeben
(S. 237) ; jedoch haben die Paeligner auch aufserhalb der Flufsenge
des Aternus sich ausgebreitet, werden sogar irriger Weise von griechi-
schen Gewährsmännern bis an die Küste und die Mündung des Sagnis
vorgerückt'') Im Norden trennen die den Aternus einfassenden Hohen
1) Eine Widmung pro l[egio]nibM MarUes »> Marseis in der Inschrift
Herrn. XY 5.
2) Javenal 3, 169 14, 180 Hör. £p. 17, 28 und die S. 515 A. 4 angef. Stellen.
3) Diod. XX 44. 101 ; verdächtig Liv.IX41.45X3.
4) App. b. civ. 1 46 Diod. XXXYU 2 Strab. Y 241 vgl. Uv. XX VH! 45 Gic. in
Yatin. 36.
5) Fabretti 2737. 40. 42 Herrn. XY 5 Rhein. Mus. XXXÜI 489. (HL. IX 3654.
3808. 12. 47. 49.
6) Ov. Fast m 95 ; Fest ep. p. 222 M.
7) Yerwirrt Strab. Y 242 Ptol. UI 1, 16; dagegen Plin. UI 106.
f 7. Die Mittelstamme. 517
sie von den Vestinern. Die Gröfse des Gebiets läfst sich annähernd
auf 20 d. O Meilen schätzen. Wir hören von ihren ersten Kämpfen
340, Ton ihrer Niederlage 305 , ihrem Eintritt in das römische BOnd-
nifs 304 V. Chr. i) Ihrer Wehricraft wird rühmend gedacht. ^ Ihre
Mundart ist nicht blos geschrieben, sondern auch poetisch gestaltet
worden. Das Alphabet ist zwar das lateinische, aber um ein neues Zei-
chen vermehrt. *)
Von der mittleren Bergkette, welche im M. Velino ihre höchste
Erhebung findet (S. 237), dehnen sich die Vestini über die ganze Ost-
hälfte der Halbinsel bis zur Adria aus. Wenn auch ausdrückliche Zeug-
nisse vermifst werden, scheinen die Alten sie zur sabinischen Familie
zu rechnen. ^) Ohnehin ist diese Annahme durch die Nachbarschaft
geboten ; der Name kann von der Göttin Vesta herrühren. Das Gebiet
reicht bis an den Gransasso, umfafst das Thal des Aternus, bis auf das
obere sabinische und das mittlere paelignische Stück; der Unterlauf
dieses Flusses bildet die Grenze gegen die Marruciner ^), etwa der Sa-
linus (S. 341) die Grenze gegen die Praetuttier. Wir schätzen den In-
halt auf 35 d. D Meilen. Die vier Völkchen der Abruzzen Marser Pae-
ligner Vestiner und Marruciner werden mehrfach zusammen genannt^);
die letzteren drei hatten in dem vestinischen Ätemum einen gemein-
samen Seehafen, standen also unter einander im Bundesverhältnifs. '^)
Den Römern leisteten die Vestiner 323 Gegenwehr, wurden 301 v. Chr.
Verbündete. ^) Fortan haben sie die Schicksale ihrer Nachbarn ge-
theilt. Die Mündart ist mit lateinischem Alphabet geschrieben wor-
den. ^) Doch ist nur ein einziges Denkmal derselben auf uns gelangt:
die Rauheit des auf Viehzucht angewiesenen Ländchens mag solches
veranlafst haben, wie Silius es schildert <o) :
haud ullo levior beUis Festina iuventus
agmina demavit^ venaiu dura ferarum,
quacy Fücelle, tuas areei JHnnamque virentem
paseuaque haud tarde redeuntia fandet Aveiae.
1) Liv. Vn 38 IX 41. 45 X 30 Diod. XX 90. 101.
2) Liv. XXVm 45 Gic. in VaL 36 Strab. V 241.
3) Bullettino dell' Inst. d. c. a. 1877 p. 177. 234 Rhein. Mus. XXXIH 271
XXXIV 640 XXXV 495. CIL. IX p. 298. 678. 79.
4) Juvenal 14, 181. 5) Strab. V 241 vgl. S. 237 A. 2.
6) LiT. Vni 29 Pol n 24, 12. 7) Strab. V 242.
8) LiT. Vm 29 X 3.
9) CIL. IX 3414 Tgl. 3513.
10) Sil. It. Vin 517, Käse Plin. XI 241 Martial XIU 31.
518 Kap. XI. Die yolksstamme.
An der Küste vom Aternus bis nach Ortona zu, landeinwärts bis
an die Abhänge der Maiella ^) bewohnten die Marrucmi mit der Stadt
TeaiB Chieti ein Gebiet von weniger als 10 d. Q Meilen. Der Name ist
ahnlich wie Marsusj mit dem ihn der alte Cato in Verbindung bringt-),
vom Gotte Mars hergenommen und vermutlich auf gleiche Weise ent-
standen (S. 516). Die Geschichte des Völkchens Mt mit derjenigea
seiner Nachbarn zusammen : es trat 304 v. Chr. in den römischen Bund
ein.3) Die Mundart ist mit lateinischem Alphabet geschrieben worden.^)
V^ährend der Schutz ihrer Gebirgswälle diesen Cantonen eioe
leidlich ungestörte unabhängige Entwicklung gesichert, hat der gröfste
aller Mittelstämme ein paar Jahrhunderte früher seine Eigenart und
Selbständigkeit eingebürst. Da die Vohd ein Stück der Kaste nebst
den Pontinischen Inseln bewohnten und das Meer befuhren, sind sie
bereits im vierten Jahrhundert in den Gesichtskreis der Hellenen ein-
getreten. &) Ihre Sprache wurde noch im zweiten Jahrhundert v. Chr.
gesprochen ^; uns ist sie nur durch ein einziges Denkmal bekannt.^
Die Schrift ist die lateinische, die Mundart steht der umbrischen näher
als der oskischen. Die Ueberlieferung läfst uns in Betreff des Ur-
sprungs und der Verwandtschaft des Stammes völlig im Stich. Wie
S. 329 bemerkt, hat derselbe im Stromgebiet des Liris seinen Haupt-
sitz. Aber seine Grenzen haben nachweislich stark geschwankt. Eioe
Nachricht läfst dieselben 408 v. Chr. bis an den Fuciner See reichen ^)j
während später die Marser nicht nur im Besitz des Seebeckens son-
dern auch des obersten Liristhals mit Antinum erscheinen (S. 516)*
Umgekehrt haben sich die Volsker am Trerus auf Kosten der Herniker
ausgebreitet (S. 515). Von Sara ab betreten wir geschlossenen rols-
kischen Boden, der sich in weitester Ausdehnung vom Kanun des M.
Meta (S. 241) bis zum Vorgebirge von AtUium etwa 16 d. Meilen hin
1) Dies ergiebt sich aus der Bronze von Rapino (Fabr. 2741) iotai Merau-
cai lixt v=s civitaU Marrucinae iex,
2) Gate Gr. II fr. 18 Jordan.
3) Diod.XIX 105 XX 101 Liv. IX 45 XXVIU 45 App.b.civ. 139 Gic.Piul.
Yll 23 Sil. IUI. XVn 454.
4) Mommsen, Unterital. Dial. p. 336 fg.
5) Skylax 9 Aazlvoiv dh ^ovrac 'Okaol. ^OXawv 6h naganXov^ ^fitigai
(Aiäq. Liv. IX 28.
6) Fest. p. 189 M. führt einen Vers des Komikers Tiünios an : fui obsee et
voUee fabulaniur, nam laUne nesciunt; ders. p. 293.
7) Mommsen, UnteriUl. Dial. p. 319 fg. Fabretti 2736.
8) Liv. IV 57.
|7. Die Mittelstamme. 519
erstreckt. Die Wasserscheide zwischen Liris und Volturtius bezeichnet
die Südgrenze, doch gehört das Mündungsgebiet, die Kttstenebene bis
Tarracina (S. 32S) den Auninkern. Letzteres ist eine volskische Stadt
und biefs als solche Anxur, 0 D^r Bergzug zwischen dem Trerusthal
und der pomptinischen Ebene (S. 238) enthält eine Reihe volskischer
Städte. Im Üebrigeu ist es nicht möglich die zahlreichen Gebietsver-
äoderungen namentlich im Küstenland, wo durchgreifende Natura
schranken fehlen, bestimmt zu erkennen. Laut dem 509 v. Chr. mit
Karthago abgeschlossenen Vertrag beansprucht Rom die Oberhoheit
über die ganze Küste Tarracina einbegriffen ; aber diese Herrschaft
stürate bald darauf in sich zusammen , die Volsker sitzen später in
VeUtrae und Cotioli am Südfufs des Albaner Gebirgs. ^) In diesem
seinem weitesten Umfang kann man das Stammland zu etwa 100 d.
G Heilen veranschlagen. Unter mannichfachen WechselMen zieht
sich der Kampf mit Rom durch das fünfte und vierte Jahrhundert hin.
Die Einheit und Planmafsigkeit des Vorgehens gegen eine lockere Ver*
einigung von Gemeinden sicherte letzterem den dauernden Erfolg. Aber
den Ausschlag gab doch erst der Angriff der Samniten , welcher die
Volsker im Rücken packte und ihnen das Liristhai entrifs. In der
Hitte zwischen Rom und Samnium sefshaft ist der Stamm durch das
Zusammenwirken beider Mächte zerrieben worden.^) Als sie dann
später die Waffen gegen einander kehrten, hat Rom das gesammte
volskische Gebiet als Siegespreis behauptet. Aufser den Bürgercolo-
nien Antium 338 und Anxur 329 sowie umfassenden Bürgeransied-
luDgen im Pomptinischen sind latinische Colonien nach Circeii 393»
nach Velitrae Cora Norha^ nach Satricum 3S5, Setia 3S2, Fregeüae
328, Pontiae 313, Interamna Lirinas 312, Sora 303 geführt worden.
Der eingeborne Stamm erlosch ohne Spuren zu hinterlassen, der ver-
meintliche Nachkomme eines VolskerkOnigs TuUus Attius ward der
gewaltigste Sprachmeister Latiums, das ganze ehemalige Volskerland
zu Latium gerechnet. ^)
Der Name der Laiini taucht bereits bei Hesiod auf, wird aber den
hellenischen Schriftstellern erst gegen Ausgang des vierten Jahrhun-
1) Fest. p. 22 M. Diod. XIV 16 Liv. IV 59, 4 VIU 21 XXVU 38 Plin. m 59.
2) PoL in 22, 11. Velitrae Liv. II31 Vm 14. GorioU's Lage annähernd be-
stimmbar Liv. U 33. 39. Gato Gr. 1 4 Jordan.
3) Die Sachlage ist von den Annalisten verschleiert worden ; doch vgl. Liv.
VU 19.31 Vme. 11. 19.23X1.
4) Plut. Cic 1 Sil. It VIII 406. — Strab. V 228 PUn. Ul 59.
520 Kap. XI. Die Volksstämme.
derts geläufig. 0 Die Geschichte dieses Stammes Mt Trühzeitig mit
derjenigen seiner Hauptstadt zusammen , der Name Rom ist im Aus-
land ungleich besser bekannt als Latium. So läfst der alte Sagenschrei-
ber Antiochos die Sikeler nicht aus Latium sondern aus Rom auswan-
dern, weifs schon Hellanikos von der Gründung der Stadt zu berich-
ten. 2) Soweit die historische Kunde hinauf reicht, tritt das Ansehen
des Stammes durchaus neben dem der Stadt in den Hintergrund: nur
der Ruhm ist ihm allezeit unverkürzt geblieben dafs die welterobernde
Sprache von ihm hergeleitet und nach ihm benannt wurde. Der Um-
fang seiner Mauern lehrt uns dafs Rom während der Herrschaft der
Könige den Rang einer Grofsstadt der umgebenden Landschaft gegen-
über eingenommen hatte. Dem entsprechend geht die litterarische
Pflege der Sprache in ihren ersten Anfingen auf die nämliche Epoche
zurück. Während alle übrigen Alphabete Italiens aus dem etruskischen
stammen , haben die Latiner zwar später als die Etrusker aber unab-
hängig von diesen Lehrmeistern die griechische Schrift entlehnt« Der
Gebrauch der Schrift wird uns für das sechste Jahrhundert urkundlich
verbürgt. Von welchen Grenzen diese zukunftsreiche Mundart ur-
sprünglich umschlossen gewesen sei, läfst sieb nur annähernd bestim-
men. Abeken erklärt Latium (verglichen mit latus Seite nlaTvg) als
das Plattland im Gegensatz zum Appennin, ähnlich wie Campania von
eampus gebildet ist: ein jeder Kenner des Landes wird die Deutung
ansprechend halten. Man darf im Anschlufs an die Sage vermuten
dafs der Küstenstrich wo Laurolavinium die Penatenstadt des latini-
schen Bundes lag, einst vorzugsweise so bezeichnet worden sei. Im
Uebrigen hängt die Anwendung eines so allgemeinen Ortlichen Begriffs
durchaus von geschichtlichen Verhältnissen ab. Eine unverrückte
Grenze desselben hat im Norden stets der Tiber abgegeben. Dagegen
ward solche im Süden bis Sinuessa jenseit des Liris ausgedehnt, derart
dafs die ehemaligen Gebiete der Aequer Herniker Volsker und Aurun-
ker entweder ganz oder grOfstentheils mit einbefafst wurden. Der In-
halt der Landschaft im weitesten Sinn, wie sie von Strabo und Plinius
umschrieben wird, beträgt ungeßQir ISO d. D Meilen. ') Wann diese
1) Hes. Theog. 10t 1 (S. 6). — Skylax 8 Skymnos 234 Aristoteles und Kallias
Dion. Hai. 1 72 Theophr. hist. pl. Y 8, 1. 3.
2) Antiochos bei Dion. Hai. 1 73, Hellanikos nnd Damastes eb. c. 72 Skylax 5
Theopomp bei Plin. HI 57 u. A.
3) Strab. y 228. 231 Plin. Hl 54. 56. 59 Serv. V, Aen. 1 6 VU 38.
§ 7. Die Mittelfltamme. 521
Grenze, welche im römischen Rechtsleben eine Bedeutung gehabt 9,
festgesetzt worden sei, wird nicht ttberliefert. Die genannten Gewährs-
männer unterscheiden ein erweitertes (adiectum) und altes (antiquum)
Latium , welch letzteres sie nur auf 50 Hillien Länge vom Tiber bis
Circeji sich erstrecken lassen. Desgleichen unterscheiden die Ge-
schichtscbreiber von den zahlreichen über ganz Italien verbreiteten
Bundesgenossen (nomen Latinum) die Altlatiner PmeiLatini vor Roms
Gründung. ') Diese gelten als Autochtbonen Ahorigines und erhalten
von ihrem König Latinus den Namen. ^) Unter der Vorstandschaft von
Alba longa machen sie einen Bund von 30 Gemeinden aus. Die Gren-
zen des ältesten Latium werden folgender Hafsen bestimmt: gegen
NW. durch den amnis Tuschs den Tiber 4), gegen N. durch den Anio&),
gegen 0. durch die Appenninkette, an welche die altlatinischen Städte
Tibur und Praeneste sich anlehnen , endlich gegen SO. durch eine an
den Abhängen der Volskerberge nach dem Vorgebirge der Kirke ge-
zogene, die Bundesstädte ^ Yelitrae Cora Norha Setia Satricum Circei
einschliefsende Linie. Der Ansatz wird durch die karthagischen Ver-
träge bestätigt, welche die ganze Küste bis Tarracina unter dem Na-
men Latium befassen. '^ Somit erscheint das älteste Latium durchaus
als ein Küstenland, auf einer Basis von nahezu 100km am Meer hin-
gestreckt, weniger als halb so viel nach dem Gebirge vorspringend,
mit einem Flächeninhalt von annähernd 70 d. DMeilen. Indessen kann
von einer streng in sich abgeschlossenen Stammeseinheit innerhalb
dieses Gebiets keine Rede sein. In Ardea wohnte das Völkchen der
Kurtift , das in alter Feindschaft mit den Latinem lebte und in aus-
drücklichen Gegensatz zu ihnen gesetzt wird, s) Sabiner haben ferner
den Anio überschritten und eine Niederlassung auf dem Quirinal ge-
gründet; umgekehrt wird auch das nördlich vom Anio belegene No-
1) Tac. Ann.XIII26.
2) Fest. ep. p. 226 M. PrUei LaUtä proprio appeUaÜ sunt hi qui prius^
quam eondsreiur Roma fuerunt Liv. I 3, 7 ab eo [Latino Silvio] eoUmiae
aliquot deduetae^ Pritei Laüni appeUati eb. c 32. 33 Dion. Hai. 1 45 Ennius bei
Varro LL. Yü 28 qtuim prisci casei popuK tenuere Latini.
3) Gate Or. 1 5 Jordan Yerg. Aen. VII 180 Serv. zu Aen. 1 6 vm 328 Liv. I Ifg.
Bioo. Hai. 1 10 Justin XLHI 1, 3 n. A.
4) Liv. 13, 5 Yerg. Aen. vm 473 XI 316.
5) Dion. Hai. Y 37 Plin. UI 54.
6) Nach dem Yerzeichnirs bei Dion. HaL Y 61.
7) Pol. m 22, llfg. 23, 6 24, 5. 16.
8) Cato Or. 1 12 U 21 Jordan Liv. 1 2 lY 11 Dion. Hai. I 43. 57 Y 62.
622 Kap. XI. Die Volksstamme.
metUum unter den albanischen Bundesgliedern aufgeftthrU Aber am
Meisten hat, wie S. 519 bemerkt, der Besitzstand im Süden geschwankt
und durch die Volsker ansehnliche Einbufsen erUtten. Verschiedene
amphiktyonische Vereine sind von den Gemeinden der latinischeo
Ebene gestiftet worden. ^) Der bedeutendste ist der von Tarquinius
neu geordnete Verein dessen Heiligtum der Tempel des Juppiter La-
tiaris auf dem Albaner Berg abgab : 47 Gemeinden nehmen an der
Stiftung Theil, darunter zwei volskische und sämmtliche hemikische.^
Wo unsere genauere Kunde beginnt, ist Latium demnach weit mehr
ein politischer als ein ethnischer BegrifT und hat in den folgenden
Jahrhunderten als ein Haupthebel gedient um das stolze Gebäude rö-
mischer Herrschaft aufzurichten. LcUini heifsen die durch Gleichheit
der amtlichen Sprache und rechtliche Vortheile eng an Rom geknüpf-
ten Bundesgenossen, die in den Zwingburgen der Halbinsel angesie-
delt wurden. Die drei Namen Italia Latium Roma sind im Verlauf der
Geschichte immer weiter vorgerückt, haben die durch Alpen und Meer
gesteckten Naturschranken überschritten : der erste erfüllt den eng-
sten, der zweite den mittleren, der letzte den weitesten Umkreis. Bei
allen dreien finden wir ihre Ausbreitungsßlhigkeit in den ältesten An-
wendungen angedeutet.
§8. Die Osker.3)
Im Süden ändert sich der Bau des Appennin: die Erhebung nimmt
ab, der bunte Wechsel von Hebungen und Senkungen hört auf, das
Land wird einförmiger übersichtlicher. Den beiden Ausläufern in de-
nen es endigt, entsprechend zerföUt es in eine grOfsere gebirgige
Westhälfte und eine kleinere hügelichte Osthälfte. Geradeso verschwin-
det die Mannichfaltigkeit von Stämmen und Mundarten, welche die
Mitte der Halbinsel kennzeichnet; nach Ausweis der Denkmäler haben
sich nur zwei einheimische Sprachen in den Besitz des Südens ge-
theilt, zu denen von Aufsen her vorübergehend die etruskische, nach-
haltiger die hellenische hinzu kam , bis seit 90 v. Chr. die lateinische
sie schliefslich aUe verdrängte. Ferner stimmt die Abgrenzung der
beiden einheimischen Sprachen gegen einander mit der natürlichen
Gestaltung des Landes überein ; der Osten gehört dem stammfremden
1) Gate Or. II 21Jordan Dion. Hai. IV 26.
2) Dion. Hai. IV 49.
3) Mommsen, die anteritalischen Dialekte, Leipzig 18&0. 4. Joh. ZrettieC
Sylloge Inscriptionnm Oscarum, Petropoli 1878.
§8. DieOsker. 628
Messapischen, der Westen einem hervorragenden Glied der italischen
Familie dem Oskischen an. Die letztere übertrifft die erstgenannte
Sprache an Verbreitung weitaus. Sie führt nicht nach ihren Haupt-
trdgern den kriegerischen Samniten den Namen, sondern heifst Helle-
nen und Rümern gleichmäfsig qxavfj ^OrcinuiSv, tcüv ^Oa%iav ri diake-^
TCTog, Ungua obsca osoa. ^) Ihre Denkmäler erstrecken sich über einen
Flächenraum von etwa 1000 d. D Meilen, erreichen jedoch nicht die
Zahl von 200. Mit der Masse der etruskischen (S. 494) verglichen er-
scheinen sie an Zahl gering, überragen indessen jene an innerem
WerU Grabschriften sind nur ein paai* darunter, sehr viele tragen
einen öffentlichen Charakter, auch haben einzelne einen ansehnlichen
Umfang. Als untere Zeitgrenze dieser Denkmäler kann man das Jahr
80 V. Chr. ansetzen. Nicht nur verschwindet damals die Sprache aus
dem amtlichen Gebrauch, sondern mufe auch im Munde des Volkes
rasch ausgestorben sein. Während Varro (geb. 116 v. Chr.) sie noch
als lebend gekannt hat, bezeugt Strabo ausdrücklich dafs dies zu sei-
ner Zeit nicht mehr der Fall war. ^) Die Ruinen von Pompeji führen
uns vor Augen wie diese altoskische Stadt im Verlauf von ein oder
zwei Menscbenaltern von Grund aus latinisirt wurde: für die Annahme
dafs nach unserer Zeitrechnung die frühere Schrift geschrieben und
die frühere Sprache verstanden worden sei, fehlt jeglicher Anhalt.
Selbst in den heutigen Dialekten sind keine sicheren Spuren derselben
nachgewiesen. Als obere Zeitgrenze der erhaltenen Denkmäler läfst
sich annähernd das J. 400 ansetzen, die Epoche des Aufschwungs der
eingebornen Stämme: die Mehrzahl ist begreif Ucher Weise jüngeren
Datums. In einer verworrenen Angabe ist von verschiedenen Mund-
arten die Rede 3); dafs die oskische Sprache in solche zerfallen sein
1) Platou Ep. 8, 353 E Strabo Y 233 Steph. Byz. u. FiXa. — Ennios bei Gell.
N. A. XVll 17, 1 TiUnius bei Fest. p. 189 M. Fest p.35. 68.87. 123. 131. 130.
142. 158. 206. 212. 293. 298. 368. 375. Varro LL V 131 VU 28. 29. 54 Uv. VU 2
X 20 Feldmesser p. 30 Lachm. Serv. V. Aen. IX 570 Macrob. Sat. VI 4, 23.
2) Strabo V 233. 249 VI 253. 254. Wenn Varro bei Gell.N. A. XI 1,5 vom
Worte muUa sagt ad suam memoriam mansisse in Ungua Samnitium, be-
zeichnet er gleichfalls die Sprache als nicht mehr im Gebrauch.
3) Skylax 15 fisxa 6h 'laTtvyag dno kglovog /lawtzai %^oq iarlv, iv
6h Tovvfp T(p idvH yXiüaocu tjvoi axofiaxa xaÖB Accti^vioi *Onixol KgaiAo-
vsg BoQBovxlvoi Ilevxitisig, diijxowsg dnb tov Tvgofp^ixov neXdyovg ek
zov Äöglav, naQanXovg t^g dawixiSog x^Q^i ^fisgdv Svo xcd wxrog,
fiera 6h Jawlzag S^og iazlv 'OfißQtxol xal noXig iv avvij kyxcov iaxi*
Die meistens aogenommene Aenderung Sawitai ist ebenso unsicher wie die
Deutung der ganzen anscheinend für ein späteres Einschiebsel zu haltenden Notiz.
524 Kap. XL Die Yolksstamme.
mufs, leuchtet bei dem Umfang ihres Gebiets von selbst ein. Indessen
sind wir aufser Stande Abweichungen wahrzunehmen, sei es dafs un-
ser Material zu dürftig, sei es dafs der litteransche Gebrauch einheit-
lich geregelt war. Dagegen ist die Verwendung zwiefacher Schrift-
zeichen bemerkenswert. Die unter dem Einflufs des Hellenentums
stehenden Landschaften und Städte Lucanien Bruttium Ausculum in
Apulien Phistelia in Campanien die Mamertinergemeinde in Hessana
bedienen sich des griechischen Alphabets, der selbständigere Norden
Samnium und Campanien hat eine eigene nationale Schrift ausgebildet.
Die Erfindung derselben weist nach Campanien und zwar in das ?ierte
oder fünfte Jahrhundert nach dem Sturz der hier vormals blühenden
Herrschaft von Etruskem und Hellenen. Zu Grunde gelegt ward das
etruskische Alphabet, daneben benutzt das hellenische, endlich zwei
neue Zeichen für t und o geschaffen. Diese durch Schönheit und
Festigkeit ausgezeichnete Schrift kommt weder nördlich vom Sagms
und Liris noch südlich vom Aufidus und Silarus vor, hält sich also von
den mittelitalischen wie den grofsgriechischen Landschaften gleich-
mäfsig fern. Ihrem Vordringen nach Süden wehrte die tiefgewurzelto
griechische Bildung, nach Norden die Politik Roms. Die Brettier spra-
chen nicht blos oskisch wie die Samniten, sondern daneben auch grie-
chisch i); auf den nationalen Gegensatz zwischen Mittel- und Sttditalien
ist S. 509 hingewiesen worden.
Der Name ^OttikoI Opsci unter dem Griechen und Römer die
gleichsprachigen Völkerschaften des Südens befassen, ist in Campanien
heimisch : hierhin setzt sie der alte Sagenschreiber Antiochos mit dem
Bemerken sie hiefsen auch Ausoner. <) Ein Menschenalter später als
inzwischen die etruskische und hellenische Fremdherrschaft in diesem
Theil des Landes gefallen, in anderen erschüttert war, dehnt Thuky-
dides den Namen ''OTtexeg bis nach Bruttium hin aus und seitdem steht
seine allgemeine Geltung fest. ^) Daneben wird nach dem gleichfalls
campanischen Volk der Ausoner die Halbinsel auch wol bezeichnet;
doch ist dieser Gebrauch auf einzelne Gelehrtenkreise beschränkt ge-
blieben.^) Unter dem J. 445 sodann meldet die Chronik das Volk der
1) Ennius bei Fest. p. 35 M. Liv. X 20.
2) Bei Strabo V 242 und Aristoteles Pol. VII 9, 8.
3) Tbuk. VI 2. 4. Aristoteles bei Dien. Hai. I 72 Gate p. 77 Jordan und die
S. 523 A. 1 angef. Stellen.
4) Vgl. S. 65 A. 6 S. 95 A. 2. Vereinzelt giebt schon Hellanikos dem Namen
eine weite Ausdehnung Dien. Hai. 1 22.
|8. DieOsker. 526
Gampaser habe sich gebildet ^); dieser jüngere Name wird in der Ge-
schichtscbreibung anfalle jene Soldnerscharen angewandt, die von den
campanischen Hafen aussegelten und eine Zeit lang den Besitz Sici-
Uens an sich zu reifsen drohten. 2) Dergestalt weisen alle im vierten
Jahrhundert üblich gewordenen Bezeichnungen auf eine und dieselbe
Landschaft hin, deren Erwerb dem Stamm eine hervorragende poli*
tische Stellung verschafft hat, wo auch die nationale Schrift entstanden
ist. Mit dem Umschwung der Dinge verschwindet das älteste Wort
Oivixnqla Oivanfoi, worunter in der Litteratur des fünften Jahr-
hunderts die südwestUche Halbinsel, Lucanien und Bruttium verstan-
den wird. 3) In den historisch helleren Zeiten ist keine Spur eines
derartigen Volkes nachweisbar. 4) Deshalb erklären die römischen Ge-
lehrten Oenotria als das Weinland ^) oder erkennen in Oenotrer eine
Uebersetznng des einheimischen Stammnamens Sdbiniy deren Stamm-
gott und -vater als Winzer dargestellt wurde. ^) Man wird die Möglich-
keit der einen wie der andern Deutung zugeben können. Aber wie in
dem analogen Falle mit Italia (S. 61) spricht die überwiegende Wahr-
1) Diod. XII 81. Das Jahr steht nar annähernd fest: 435 nach Ensebios
p. 106 Schoene.
2) Zuerst erwähnt 413 Diod. XIII 44, 1 ; ders. XIV 9. 15. 58. 61 XYI 82 Plnt.
Dion. 27, 1, Der Sprachgebrauch, besonders deutlich aus Pol. 1 8, 1 vgl. mit Fest.
p. 158 M., scheint etwa seit Timaeos flxirt zu sein.
3) Strabo V 209 ol ya(> naXaiol r^v OlvwtQlav ixiXovv 'IzaXiav ino
rov SüceXaeov no^fwv (dxQi xov Tagavtlvov xohtov xal rov noasiSfo-
vuixov ikfpeovcav. Herodot der in Thurii schrieb, verlegt I 167 Yelia nach
Oenotrien. Sophokles im Triptolemos Dion. Hai. I 12 läfst an der Westseite
der Halbinsel Oenotrien Tyrrhenien Ligurien auf einander folgen. Antiochos
(Dion. Hai. 1 12. 35 Strab. VI 254 Arist. Pol. VII 9, 3) begreift alles Land zwischen
Campanien (Opike) Japygien und der £nge Ton Messina unter diesem Namen.
Uebereinstimmende Erwähnungen bei Hellanikos (Dion. Hai. I 22) Pherekydes
(Dion. Hai. 1 13) Pseudo-Hekataeos fr. 30 fg. Skymnos 247. 363.
4) Die nach gemeinsamer Quelle Strabo VI 252 Plin. IH 85 erwähnten Inseln
Oenotrides Tor Velia verdanken diese Benennung lediglich einem gelehrten
Antiquar, wie aus dem Zusammenhang bei Plinius deutlich hervorgeht.
5) Serv. V. Aen. 1 532 Oenotria dicta est vel a vino opUmo quod in Italia
naseitur, vel ^ Farro dicit ah Oenotro rege Sabinorum vgL Steph. Byz. u.
Olv, Nach Hesychios bedeutet ro otvfotgov dorisch den Weinpfahl und wie
Hehn CuUurpflanzen ^ 66 ausführt, wäre Oenotrien die Gegend wo die Rebe an
Pfählen gezogen wurde, nicht an Bäumen empor wuchs oder niedrig gehalten
wurde.
6) Varro A. 5 Verg. Aen. VU 178 Lydns de mens. I 5 vgl. meine Ausfüh-
rungen Tempi. 113. 130.
626 Kap. XI. Die Volksstamme.
scheinlichkeit und die bessere Beglaubigung für die Annahme dafs die
hellenischen Colonisten bei ihrer Ankunft wirklich ein Volk das Oeno-
trer hiefs, angetroffen haben. Dies Volk, so lautet eine durchaus ver-
ständige Nachricht 1), wurde in Mitten der hellenischen KOstenstfldte
und der von Norden andrängenden Samniten erdrückt. Dem AntH
ochos war es schon lange verschollen , hatte wie er sagt, sich in Itali-
oten Choner und Morgeten umgewandelt: indem er den Bewohnern
Italia's (S. 64) oenotrischen Ursprung beilegt, hebt er den nationalen
Zusammenhang des Westens gegenüber Japygien hervor. Der Kampf
mit Hellenen und Römern hat endhch auch bei den Eingebomen
selbst das Nationalbewufstsein so stärken müssen, dafs ihm durch
einen gemeinsamen Nationalnamen Ausdruck veriiehen ward. Sie ha-
ben aber keinen der oben aufgezählten sich angeeignet, wie mit lialia
Itdlici von Seiten der Bundesgenossen geschah (S. 72): am Wenigsten
war auch das bei den Fremden vorzugsweise verbreitete Opsct bierfür
geeignet , welches vielleicht Bauern bedeutet und zumal in römischem
Munde einen verächtlichen Nebensinn einschlofs. >) Eine Münze aus
dem Unabhängigkeitskrieg des J. 90 v. Chr. mit der Aurschrift Safinim —
Sabinorum lehrt uns den einheimischen Stammnamen kennen. ') Die
Sage leitet die Samniten aus einem heiligen Lenz der Sabiner ab, von
den Samniten die Frentaner Hirpiner Campaner Lucaner und Brettier,
welche insgesammt bei Strabo als Samniten bezeichnet werden.^) Wie
weit dieser Sprachgebrauch zurückreicht, ist nicht zu sagen : der Name
begegnet überhaupt erst bei Skylax. ^) Alle diese mächtigen Völker
sind verhältnifsmäfsig jungen Ursprungs und nehmen erst am Ausgang
des fünften Jahrhunderts einen Platz in der Ueberlieferung ein. Aber
auch lange vor ihrem Auftreten zerfiel der Süden in eine oskische
West- und eine iapygische Osthälfte. Die Brettier über deren Sprach-
verwandtschaft kein Zweifel besteht, werden bereits 452 v. Chr. ab
1) Strabo VI 253.
2) Man leitet das Wort von der Erdgöttin Op* oder von opsan {operari}
ab. Cato p. 77 Jordan {= Plin. XXIX 14) nos quoque dictitani [Graeeil bar-
baros ei spureius nos ptam aUoi Optean appelUtUane foeäant. Fest. p. 198.
188 M. Schol. ra Jnven. Sat 3, 207 Fabretti Glossar.
3) Friedl&nder Oskische Mönsen 3 Mommsen Rom. Mt&nsw. n. 217L Bfldie-
1er Rhein. Mus. XXX 443.
4) Stnib.V241.250.242.47.49.5t VI 2511. 54.
5) Die italisehen Söldner im Heer des Agathoklea werden als Saudlen
Tyirhener nnd Kelten bezeichnet Diod. XX 11. 64.
|8. DieOsker. 527
Bewohner der SOa erwähnt ^) , ja von Antiochos fOr die ältesten An-
siedler erklärt >) und in der That war kein einziger Theil des Appen-
ninlandes so sehr geeignet seine ursprünglichen Bewohner festzuhalten
als die Waldwildnifs des brettischen Gebirges (S. 244). Die Fabel des
Hellanikos von dem Rind aus der Heerde Geryons und dessen Ver-
folgung durch Herakles setzt den Gebrauch der italischen Sprache an
der Westküste unzweideutig voraus. ') Ebenso klar weist der Name
Oenotrer^ der zur Bezeichnung der Westhälfte dient ^), auf itaUsche
Herkunft &): nach ähnlichen Bildungen sucht man auf der griechischen
Halbinsel vergebens. Die Betrachtung der einzelnen Glieder dieses
grofsen Stammes bestätigt die bisher gewonnenen Ergebnisse.
An der Adria folgen auf die Marruciner (S. 518) und werden
mehrfach mit den Völkern der Abruzzen zusammengefalst ^) die Fren-
trani oder wie es die Römer sich mundgerechter machten Freniam. "Q
Sie hiefsen Samniten, haben sich oskischer Sprache und Schrift be-
dient 9) Die augustische Eintheilung weist ihnen 7 Gemeinden mit
einem Gebiet von etwa 50 d. D M. zu, indem als Südgrenze der Tt/er-
fitcf Bifemo angegeben wird. Die Lartnates Frentani welche schon
früher von dem Völkchen unterschieden werden, sind zu Apulien uod
zur zweiten Region geschlagen. <*) Indessen läfst der Beiname über die
Verwandtschaft nicht im Unklaren und indem wir mit Strabo die
Grenze des Stammes bis zum Frenio Fortore vorrücken , erhöht sich
1) Am Flusse Traeis noch jetzt Triunto Diod. XÜ 22 Jamblich. Pyth. viU 260.
2) Steph. Byz. n. Bghrog: kvtloxog dh r^v ^raXlav n^xov ^ai
xXij^vai Bgextlav eha Olviüiglav. Wir sind nicht berechtigt dies Gitat dem
Antiochos von Syrakns abzusprechen weil Strabo VI 264 Dien. Hai. I 12 zn
widersprechen scheinen; denn es ist nicht von einem Volk die Rede, dabei
nicht ersichtlich ob und wie der Landesname gedeutet war. Unter allen Um-
standen bleibt es ein höchst beachtenswertes Zeugnirs.
3) Dion. Hai. I 35 Apollodor bibl. H 5, tO vgl. S. 61 A. 4. Auch Strabo VI
258, der enge Verwandtschaft des Oskischen mit dem Latein annimmt V 233,
labt diese Sprache bei der Grflndung von Rhegion sprechen.
4) Aulser Antiochos sei hier die Genealogie des Pherekydes von Athen
Dion. Hai. I 13 hervorgehoben.
5) Dasselbe Suffix in Pmtri Frentrani (Freniri) vgl. osk. ponitram w^
pontem triiiaamerUuä^mm tegiamento.
6) Pol. n 24, 12 Uv. IX 45 SiL IUI. Vm 521.
7) M ommsen, Unterit. Dial. 309.
8) Strabo V 241 ^gevtavol Xawizixhv i^og ZveUieir2^8. 163—65.
9) Fun. m 103. 105. 106 Strabo V 242. — Liv. XXVil 43 Gaes. b. civ. 1 23
SU. It XV 565.
528 Kap. XI. Die VolksBtamme.
der Inhalt des Gebiets um 15 — 20 d. D Meilen. Auch die Grenzstadt
Teanum Apülum wird nach ihren oskischen Münzen zu schliefeen einst
hinzu gehört haben. ^ Das Volk begegnet in der Ueberliefening zuerst
319 V. Chr., tritt 304 in die römische Bundesgenossenschaft ein.-)
Gleich den Cantonen der Abruzzen hat es sich an den grofsen Kriegen
mit Samnium nicht betheiligt oder auf römischer Seite gefochten, da-
gegen die Erhebung 91 v. Chr. mitgemacht.')
In einem langwierigen Krieg mit den Umbrern gelobten die Sa-
biner nach errungenem Sieg dem Mars einen heiligen Lenz darzu-
bringen. Der ausgestolsenen Jugend sandte Mars^inen Stier als Füh-
rer und wo der Stier im Lande der Opiker sich lagerte, da fand sie
eine bleibende Stätte. 4) Von dieser ihrer Herkunft^} schreibt sich die
Benennung Sabelli^) oder aus Sabinites umgewandelt die gewöhn-
lichere 2avvlTai Samnites"^) her. Auf den erhaltenen oskischeo
Denkmälern nimmt das Volk selbst den Namen 5a/Eii«ts =« Sabim für
sich in Anspruch (S. 526 A. 3). An die Wandersage erinnert die
Stadt Bovianum vetus Pietrabbondante, welche nach Ausweis ihrer
Ruinen und Inschriften einen Miltelpunct des ganzen Stanunes abge-
geben hat,^) Sie lehnt sich an einen Bergrücken an und wird gegen-
wärtig nur auf Saumwegen erreicht; die Gewässer ringsum flieben in
den Trinhu Trigno. In diesen abgelegenen Berglanden am Oberlauf
des Sangro und Trigno siedelte der Canton der Caraceni als Grenz-
nachbar der Frentaner. ^) An ihn stöfst der kaum häufiger erwähnte
1) Mommsen, Unterit. Dial. 301; Andere weisen sie dem marradntsdieo
Teate zu. 2) Uv. IX 16. 45.
3) Flut. Pyirh. 16, 10 Dion. flal. XX 1 Appian b. civ. 1 39.
4) Strabo Y 250 Fest. p. 326 M. Sisenna fr. 99 Peter Yarro bei GelL XI 1, 5
Appian Samn. 4.
5) Aehnlich heifsen die nach dem Golf Ton Salerno Terpflaozten Picenter
(S.512A. 6) Pieenäni, die selbständig gebliebenen Aeqaer (S. 514) AequicuU
oder Jequicuiani,
6) Strabo a. 0. elxbg ^ öia tovro xcd Saß^lXovq «rvrov( vnoxoQiKni'
xiSg anb rdiv yoviofv nQoaayoQev^vai, Plin. III 107 Liv. VIII 1 X 19, be-
sonders beliebt bei den Dichtern.
7) Mommsen, UnteritaL Dial. 293.
8) Wie Mommsen a. 0. 171 zuerst erkannt und die späteren Aasgrabongeo
in glänzender Weise bestätigt haben. Die von BAcheler Rh. Mos. XXX 441
behandelte metrische Weihinschrift eines Sabinorum universontm eensor ist
besonders le^reich.
9) Nach der Bestimmung des Ptolemaeos III 1, 57; aufserdem kommt der
Name noch vor Zonar. YIII 7 Tac Bist. lY 5.
§8. DieOsker. 529
Canton der Pentri am oberen Tifemus Biferao : sein Hauptort nörd-
lich Tom H. Matese, unter Vespasian durch das Beiwort Utidecimanonim
unterschieden , hiefs gleichfalls Bovianum Boiano. i) Femer kennen
vrir den Canton der Caudini an der campanischen Grenze mit der Stadt
Caudium Montesarchio. ') Manche andere Namen mögen für uns ver-
schollen sein. Eine Sonderstellung weist schon die Sage den Hirpini
zu: nicht der Stier, sondern der Wolf (At'rpus) des Mars hatte sie in
ihre Sitze geführt. 3) Die römische Politik hat den Rifs erweitert, alles
Land sOdlich vom Calor bis zur lucanischen Grenze als ein eigenes
Ganzes unter dem Namen des ager Hirpinus von Samnium abgelöst ^)
Das S. 240 beschriebene Hochland zwischen der campanischen und
apulischen Ebene widerstrebt einer städtischen Entwicklung, seine
Bewohner lebten vor Alters in Dörfern. &) In Folge dessen wird die
Ermittelung der Stammgrenzen hier noch mehr erschwert als in an-
deren Theilen Italiens. Das Gebiet der zu einer Eidgenossenschaft
vereinigten Cantone heifst den Römern Samnium. ®) Die Geltung des
Namens hat ebenso geschwankt wie diejenige von Italia und Latium,
nur dafs sie im Lauf der Zeiten zusammen schrumpft wo jene sich er-
weitern. Im vierten Jahrhundert als Samniten und Römer im Bunde
mit einander die Unabhängigkeit ihrer beiderseitigen Nachbarn ver-
nichteten (S. 519), hat er seine gröfste Ausdehnung von etwa 250 bis
300 d. D M. erreicht. Die Samniten hatten das obere Liristhai mit
Sora und FregeUae erobert, vielleicht auch die Landschaft der Sidi-
eint. "O Nach dem Periplus gehörte ihnen die Küste zwischen Neapel
und Paestum auf einer halben Tagefahrt Ausdehnung an.^) Da später
hier die Picenter angesiedelt wurden (S. 512), wird man den Silarus
1) Liv. IX 31 Caput hoe erat Pantrarum SamniUum longB diti$nmum
atque öpulentinimum armU viri^que. — Pentrer erwähnt Dion. Hai. XVII 4
Uv. XXU 61.
2) Uy. XXm 41 VeUeius U 1, 5.
3) Strebe y 250 Fest. ep. p. 106 M. vgl. Serv. V. Aen. XI 785.
4) Pol. in 91, 9 Uv. XXII 13. 61 XXHI 1. 37. 41 XXVH 1 5 VeU. U 16, 2 68, 3
App. b. civ. 1 39 Gic. de div. 1 79 de lege agr. lU 8 Strebe V 250 PUo. UI 99. 102.
105 Ptol. UI 1, 62.
5) Uv. IX 13 Strabo Y 250.
6) Schon auf dem Sarkophag des Gonsuls von 298 v. Chr. heifst ea Tau-
rana[m] Ci4atina[tn] [in] Samnio C9pit CIL. 1 30.
7) Uv. X 1 Vm 19. 23 Vn 29 Vlll 16.
8) Skylax 11. Herculanetun Pompeji (Strebo Y 247 Liv. IX 38) Marcina am
Golf von Salernam (Str. Y 251) sind Bamnitisch.
Milien, lUL lABdaskuttd«. I. 34
580 Kap. XL Die Yolkastäiimie.
„den Grenzflufs des alten Italiens'^ zugleich als solchen zwischen Sam-
nium und Lucanien ansehen dürfen, i) Im Norden gegen dieAbruzzen
hin sind keine Veränderungen der hier bestehenden Naturgrenze
(S. 240) bekannt; auch die Zugehörigkeit der Frentaner zum samni-
tischen Bunde läfst sich, so sehr sie den geographischen Verhältnissen
entsprechen würde, nicht beweisen. Dagegen im Osten hat der Bund
dnen breiten Saum Apuliens sich angeeignet: das feste Luceria ist in
seinem Besitz sowie Äuscuhim das oskische Münzen prägt. ^) Die Er-
werbungen erstrecken sich im Süden bis an das Gebiet von Tarent:
Metapont wird von den Samniten zerstört, Venusia mit einer Feldmark
die 20000 Colonisten ernähren konnte, ist 291 v. Chr. in diesen
Strichen gegründet worden.') Wie solche überschäumende Macht von
den Romern aUmälich eingedämmt wurde, zeigen die Jahreszahlen der
gegen sie angelegten latinischen Festungen an : 334 Cak$ 328 Fre-
gdlae 314 Luceria 313 Saticula 312 ItUeramna Lirinas 303 Sara
291 Venusia. Vor Ankunft des Königs Pyrrhos war Samnium auf
etwa 180 d. DM. beschränkt. Nach dessen Niederlage wurden mitten
in Samnium 268 Benevenitiim und 263 Aeiemia zur Beherrschung der
fruchtbaren von beiden Armen des Volturnus durchströmten Thäler
erbaut ; die Via Appia durchschnitt das Land die nördlichen und süd-
lichen Cantone von einander trennend. Alle Mittel über welche die
Härte des Siegers verfügte , waren angewandt worden um dasselbe in
eine Wüstenei zu verwandeln ^), verfehlten aber ihren Zweck. In den
Censuslisten des J. 225 v. Chr. waren nicht weniger als 77000 dienst-
pflichtige Samniten eingetragen , kamen bei einem Gebiet von etwa
160 d. dM. 500 Wehrßlhige auf die Quadratmeile: ein Verhältnifs das
bei keinen anderen Bundesgenossen wiederkehrt^) Die Verwunde-
1) Strabo Y 251 dtiixavai d' ol UlxBvxBq t^i^ tov StXaQiSoq noxaim
xov OQl^ovToq dno ravttjq v^g X^^C xriv d^alixv ^taXlav vgl. liv. VDI 17.
2) Liv. IX 15 vgl. Diod.XlX72, Mommsen, ünterit Bial. 261.
3) StrabQ Y 250 Anf. u. Bütte YI 254. 264; derselbe ebenso wie Hör. Sit.
II 1, 36 schreiben Yenusia ausdrücklich den SamiiiteD zu.
4) Dio Cr. 40, 27 Bekker. Uv. X 15 (vgl. Diod. XX SO) duo amnOtarM exer-
eitus diversit vagati parHhui omnia tpaüo quinquB memum evoMarwiL jim-
draginta et quin^ue loca in Samnio fuere in quibu* Deeii castrß fueruni,
üUeritu eontuKs sex ei oeioginia. nee valU lanium ae fossarum vettigis
reUcta^ sed tnulto Ulis imigniora monumenia vastiiatis eirea regiamoHfue
depopulatarum.
5) Pol II 24» 10. Die Angabe Stnbo's Y 250 von 88000 Muui besieht sich
dem Zasammenhaog nach anf eine frühere Zeit
§ 8. Die Osker. 531
ruDg welche das Facit einer RechnUDg hervorruft, legt sich indem wir
bedenken daTs das Land mit seinen einfachen Wirtschaftsformen vom
Schwert des Feindes nicht todtlicb verwundet werden konnte (S.455),
dafs im Altertum das Gebirge wehrhaft blieb weil es der Cultur spät
erlag (S, 223). Immerhin erregt die Geschichte dieses Volkes unsere
warme Theilnahme. Der hannibalische Krieg brachte ihm neue Ver-
luste: auf abgetretene Ländereien wurden z. B. 180 v. Qir. die ligu-
rischen Apuaner verpflanzt (S. 474). Aber erst in dem wilden Ringen
der achtziger Jahre v. Chr. wird seine Kraft völlig aufgezehrt Der
Würger Sulla rechtfertigte die Ausrottung des Volks mit der Ruhe
Roms die solches heische. In der augustischen Eintheilung ist Sam-
nium auf ein Gebiet von 60 — 70 d. D H. mit 8 Gemeinden beschrankt
und befafst die ursprünglichen Stammsitze, die Cantone der Caracener
und Pentrer. Das untere Thal des Voltumus ist der ersten , das Hir*
pinerland der zweiten Region zugewiesen.
Die vulkanische Ebene gegen welche das Grenzgebirge Samniums
abfällt , die gesegnetste Landschaft von ganz Italien ist den häufigsten
Umwälzungen unterworfen gewesen. Hellenische etruskische oskische
römische Denkmäler bekunden wie die verschiedenen Culturnationen
hier nach einander geboten und ihre Nationalität zum Ausdruck ge-
bracht haben. Als Urbewohner werden Ausoner und Opiker hinge-
stellt; Antiochos von Syrakus erklärt sie für ein und dasselbe, Poly-
bios für zwei verschiedene Volker. 0 Reide haben Recht: der erste
insofern die AngehOrigkeit der Ausoner zur oskischen Familie ur-
kundlich erwiesen ist s), der zweite insofern dieselben ein besonderes
Glied der oskischen Familie gebildet haben. Die ^vaoveg Aurunei^)
werden von den Alten als Autochthonen betrachtet^); doch ist ihr
1) Strsbo y 242 Aristot. Pol. YII 9, 3.
2) Die Fabr. 2745 erwähnte MOnze trug die oskische Aufschrift Aurunkud
(nach a catalogue of tbe Greek eoins of the British museum , Italy p. 75,
London 1873). Die Fortdauer der oskischen Sprache im Anninkerland zur Römer-
zeit beweist die mit lateinischen Buchstaben beschriebene Tessera Zvetaieff 31.
3) Die Identität beider Formen ist zwar dem Urias und Dionys entgan-
gen, dagegen den Grammatikern gelaufig Fest ep. p. 18 M. Serr. Y. Aen. YH
727. Da auch die oskische Form r hat (A. 2), so muis der Name zu den Hel-
lenen gelangt sein vor dem Einreilsen des Bhotacismus, das Ja übrigens auch
im Latein hislorischen Zeilen angehört Fest ep. p. 9. 23 M.
4) Aelian yar. bist IX 16 Hellaniko^ bei Dion. Hai. 1 22 eb. 11. 21 Diod. Y 7
(Timaeos?) Skymn. 228 Gato Or, Ol 1 Jordan Fest ep. p. 18 M. (ygl. Paul. bist.
Lang. 0 24).
34*
532 Kap. XI. Die Volksstamme.
Name spät und in beschränkteD Kreisen zur Bezeichnung der ganzen
Halbinsel verwandt worden (S. 524). Die Ueberlieferung zeigt uns
dies Volk in reirsendem Rückgang begriffen. Um 500 ▼. Chr. bean-
sprucht es noch das pomptinische Gebiet ^) ; aber von den Bergen her
dringen Volsker Sidiciner Samniten immer weiter vor, den ganzen
Küstenstrich zwischen Latium und Campanien schreibt Skylax den
Volskern zu. In der letzten Hälfte des vierten Jahrhunderts sind die
Aurunker auf das Gebiet zwischen den Mündungen des Liris und Vol-
turnus eingeengt und werden 314 v. Chr. durch die römischen Waffen
vertilgt. 2) Die Bürgercolonien Mintumae und Sinuessa 296 , die lati-
nischen Cales 334 und Stussa 313 theilten sich in den etwa 15 d.
DH. grofsen Besitz; der Name Aurunker wird fortan nur noch ver-
einzelt in geographischem Sinne verwandt.') Ihre Nachbarn die 5t<fa-
cini werden ausdrücklich dem oskischen Stamm zugerechnet: die
Münzen bestätigen diese Angabe. ') Ihr Name lebte in der Rom ver-
bündeten blühenden Stadt Teanum Sidiänum fort &) ; doch hat er sich
im vierten Jahrhundert ohne Zweifel bedeutend weiter erstreckt, als
die Angriffe der Samniten die grofse Verwicklung heri>eifilhrteD,
welche das Schicksal Campaniens entschied. ^) Um 300 v. Chr. nach
der Assignation des ager Fdernus und der Gründung der oben ange-
führten Colonien ist das Latein bis an den Unterlauf des Volturnus
voi^erückt. ^) Südlich von diesem Flufs hat sich die Landessprache
länger behauptet. In älteren Jahrhunderten war sie von Hellenen und
Etruskem unterdrückt, seit 445 durch die Siege der stammverwandten
Samniten in ihr verkümmertes Recht wieder eingesetzt worden (S. 524).
Campania die Ebene, wie die Alten richtig erklären S), ist nach drei
Seiten hin von natürlichen Grenzen umgeben : im Osten vom Appen-
nin im Süden von den Surrentiner Bergen im Westen vom Meer.
Minder scharf scheiden die Rocca Monflna und der M. Hassico im
Norden das Thal des Volturnus von demjenigen des Liris. Auf dieses
so umschlossene ungefähr 50 d. D M. haltende Gebiet wird der Name
1) Uv. n 16. 17. 26 Dien. Hai. VI 32. 37.
2) Liv. Vn 28 Vm 15. 16 IX 25 X 21.
3) Hermes 1 150 Uv. Vm 15 Vell. I 14.
4) Stnbo V 237 FabretU 2746 vgl. Mommsen, Unterit. DiaL p. 107.
5) Gell. N. A. X 3, 3 Gic Phil. U 107.
6) Liv. Vn 29 Vm 1. 2. 15. 16. 17.
7) Uv. Yin 11 IX 20 X 20 CIL. X 4719.
8) Diod. Xn 31 Uv. IV 37 Fest. ep. p. 43 M. Plio. III 63 Sarv. V. Aen. X 145.
§ 8. Die Osker. 533
als geographischer Begriff bezogen.^) Im vierten Jahrhundert unserer
Zeitrechnung wird er über die ganze erste Region des Augustus bis
an den Tiber und ttber einen Theil der zweiten ausgedehnt, in den
romanischen Sprachen geht er in die allgemeine Bedeutung von Feld
auf. Als politischer Begriff bezeichnet er dagegen den Römern der
Republik das Gebiet von Capua und der von diesem abhängigen Städte.
Durch den Anschlufs an Rom 343 v. Chr. ward dessen politische Herr-
schaft südlich vom Voltumus eingeleitet und in den folgenden Jahr-
zehnten behauptet. Seit dem hannibalischen Kriege nachdem Capua
die Hauptstadt der oskischen Nation 211 vernichtet, in den Küsten-
städten Yoüumutn Lüemum Puteoli 194 Bürgercolonien angesiedelt
waren , erobert die Romersprache die Ebene bis an den Golf von Ne-
apel; 180 wird sie im öffentlichen Verkehr zu Cumae eingeführt. >)
Die Südhälfte dagegen von Nola bis Nuceria bewahrte ihren oskischen
Charakter bis zum Aufstand der Bundesgenossen , mit denen sie 89
Y. Chr. gemeinsame Sache machte.
Während in Campanien seit Alters etruskischer und hellenischer
Einflufs einander im Gleichgewicht gehalten hatten , verschwindet je-
ner jenseit des Silarus Sele vollständig. Im Laufe des sechsten Jahr-
hunderts, ja noch später gründeten die Hellenen Pomdonia Elea
Pyxui Laoi an der lucanischen Küste , beherrschten die fruchtbaren
Gefilde des Tarentiner Golfs unbestritten. Die erhaltenen Angaben
über die Einwohnerzahlen der Griechenstädte verdienen allerdings
keinen Glauben ; aber der Umfang ihrer Mauern legt von der ehema-
ligen Gröfse und Macht unzweideutiges Zeugnifs ab. ^) Viele Einge-
bome fanden unter der Bürgerschaft Aufnahme'); noch mehr gerieten
in Abhängigkeit, wie denn Sybaris über 4 benachbarte Völker und 25
Ortschaften gebot. Derart wurden die Ebenen und Küsten hellenisirt^
der oskische Stamm auf das Gebirge beschränkt. Um dieselbe Zeit
wo die Samniten Campanien erobern , richten sie ihre Angriffe auch
nach Süden. Von ihnen geht das Volk der Lucani aus ^), welches wir
1) Pol. in 91 schliefst Sinoessa und Teanum ein, Strabo V 237. 242 letz-
teres zweifelnd, Plin. III 59 rechnet auch Sinuessa zum LaUum adiecium (S. 521).
2) Uv. XL 42.
3) Diod. XU 9 Strabo VI 261. 263 Athen. XU 519 c Liy. XXIV 3.
4) Pol. Xn 5. 6 Diod. Xfl 9, 2.
5) Strabo Y 228 VI 253. 254 Plin. III 71. — Die Volksmflnzen geben als
Namensform Aovxavofi und AvxiavatVj CIL. I 30 Loueanam, die griechischen
Schriftsteller AevxavoL Verschiedene Ableitungen Fest. ep. p. 119 M. Der
Stamm begegnet in italischen Namen häufig.
^34 Kap. XL Die Yolksst&mme.
zuerst um 435 v. Chr. im Krieg mit Thurii befindlich antreffen J) Ein-
stens hatte Sybaris seine Herrschaft über den Rttcken der Halbinsel
hinüber erstreckt und am tyrrhenischen Meer Laos gegründet. Diese
Stadt erscheint 390 v. Chr. in lucanischem Besitz >): vermutlich war
sie es schon einige Jahrzehnte früher als Antiochos von Syrakns den
gleichnamigen Flufs als Grenze Italiens hinstellte (S. 64). Trotz d^
393 V. Chr. vollzogenen Vereinigung der Freistädte wird diese Grenz-
linie bald durchbrochen: Dionys der Knechter hellenischer Freiheit
wollte durch eine Befestigung auf der Enge von Tiriolo wenigstens
den südlichsten Theil des Festlands gegen die Angriffe seiner luca-
nischen Verbündeten sichern, s) Um die Mitte des vierten Jahrhun-
derts hat der Name Lucanien seine weiteste Ausdehnung von etwa
400 d. DM. erreicht: er bedeutet damals die ganze Küste vom Silarus
bis Thurii, Hauptstadt ist Petdia am östlichen FuTs der SUa.^) Aber
356 V. Chr. WM das Volk der Brettier in der Sila von Lucanien ab,
nimmt den Süden von den Krathisquellen ab für sich in Beschlag,
rückt später seine Grenze bis an den Laosflufs vor.^) Als die Lucaner
notgedrungen die neue Macht anerkennen mufsten, haben sie ihre
l^affen nach Osten gewandt um die Mündungen der Flüsse zu gewin-
nen die ihren Bergen entsprangen. In blindem Eifer haben sie die-
sem Ziel nachgestrebt und es zu erreichen sich je nach den Umstän-
den mit Rom oder Samnium mit Tarent oder Bruttium mit Pyrrhos
und Hannibal verbündet. Doch ohne Erfolg: Rom nahm ihnen Posei-
donia ab und gründete hier 273 die latinische Colonie Paestumj des-
gleichen 193 Copia an der Stelle von Thurii, 194 die Bürgercolonie
Buxentum in Pyxus. Dergestalt bUeb der lucanische Bund auf das
Binnenland beschränkt ebenso wie der samnitische. Seine Grenzen
werden bestimmt durch die Mündung des Silarus im Norden — Bbu-
rum Eboli gehört noch dazu — durch den Laus und die Ebene von
1) Polyaen II 10, 2 fg. Fronün Strat. II 3, 12 Strabo VI 264 vgl. mit Diod.
XIII 106, 10 Thakyd. VI 93.
2) Diod. XIV 101, 8.
3) Diod. XIV 91, 101 XVI 6 Strabo VI 261 Pliium95.
4) Skylax 12. 13. 14 Diod. XVI 15 Strabo VI 254 Justin XXI 3, 3 Plnt
TImol. 34, 2.
5) Diod. XVI 15. DaDs die Brettier mit den Lncanem Krieg gefOhrt haben,
berichtet Justin XXUI 1, 18. CansenUa die spätere Hauptstadt der Brettier
(Strabo VI 256 Liv. XXIX 38 XXX 19) ist 327 noch lucanisch Uv. Vm 24, 4 (die
Schreibung der Handschriften ConsenUam ex Lueanu wird gestützt dnrch § 5)
vgl. Theopomp bei Plin. HI 98.
§ 8. Die Osker. 585
Sybaris im SfldeD , dnrch den Bradanus im Osten, endlich durch den
S. 242 beschriebenen Gebirgszug.^) Der Flächeninhalt iiann nach Ab-
zug der griechischen und römischen Stadtgebiete auf etwa 180 d. DM.
¥eranschlagt werden. Seine Streitmacht war in den römischen Stamm*
rollen 225 v. Chr. nur jnit 34000 Mann aufgeführt: noch nicht die
Hälfte dessen was das kleinere Samnium , ebensoviel wie Capua mit
dem zehnten Theil des Gebietsumfanges stellte. Die Thatsache bt
nicht anders zu erklären als dafs die Masse der Bevölkerung aus Hö*
rigen, ehemaligen Heloten der Griechenslädte bestand, welche zum
Waffendienst nicht berechtigt waren ; in ähnlicher Stellung sehen wir
die Lucaner in Poseidonia als Herren neben einer stammfremden
Plebs. 2) Umgekehrt erklärt die Thatsache die schwache haltlose Po-»
litik welche der lucanische Adel in den grofsen nationalen Verwick*
lungen befolgt hat
Die bretlische Halbinsel vereinigt auf engem Raum die beiden
Naturgegensälze welche die italische Geschichte erfüllen, ein rauhes
Waldgebirge und ein gesegnetes Gestade (S. 246). Aufserdem kreuzen
sich auf ihr zwei grofse Völkerstrafsen : eine von Nord nach Süd eine
zweite von Ost nach West gerichtete. In Folge dessen bot sie in
frühen Jahrhunderten den Schauplatz der wichtigsten Völkerbewe-
gungen dar. Unsere Gewährsmänner standen denselben zeitlich zu
fem um ein anschauliches Bild davon entwerfen zu können. Sie nen-
nen eine Reihe von Namen, der eine diese der andere jene, ohne ein
sicheres Urtheil zu ermöglichen. Auch spricht alle Wahrscheinlich-
keit dafür dafs das Land vor Ankunft der Hellenen in mehrere Herr-
schaften zerfiel, dafs die Japyger sich an der Ostküste eingenistet
hatten. Die Angaben dafs Sikeler bei Locri ^) Japyger bei Kroton ^)
Chaoner in der Siritis ^), die Annahme dafs Italer bei Rhegion (S. 62)
gewohnt haben, dies alles kann seine vollste Richtigkeit haben. Aber
um die eigentliche Urbevölkerung des Landes kennen zu lernen, müs-
sen wir den Blick von der hellenisirten Küste ab auf das Innere len-
ken. In geschichtlicher wie vorgeschichtlicher Zeit (S. 527) wohnten
hier die BQitxLoi Sruttii ^) als Hirten und Köhler wie es das Klima
1) SlraboV251 VI 252. 253. 265 Plin. m 71. 72. 97.
2) Athen. XIV 632 a vgl. Niehohr R. G. I 105 fg. dessen bedeatende Dar-
6telloDg der italischen Stämme Aber GebObr in Vergessenheit geraten* ist.
3) Pol. Xn 5 Thnkyd. VI 2 doch vgl. S. 61.
4) Ephoros bei SUabo VI 262. 6) Antioehos bei Strabo VI 255.
6) Die Volksmfinzen Fabr. 3020 haben Bpittic»if wie die griechischen
536 Kap. XL Die Yolksstämme.
allein gestattet (S. 246). Ob und wo die Gebirgler der griechischen
Dienstbarkeit sich völlig zu entziehen Termochten , wissen wir nicht
Ihr Name wurde zur Bezeichnung entlaufener Sklaven verwandt ^) und
behielt noch in römischem Hunde die Bedeutung des Halbfreien.^) In
der nördlichen Sila welche vermöge ihrer Ausdehnung und Unzugäng-
lichkeit (S. 244) den Unterdrückten den mächtigsten Schutz gewährte,
haben sie nach dem Fall von Sybaris ihre Unabhängigkeit errungen,
452 V. Chr. die sybaritischen Fldchtlinge welche am Flufs Traeis sich
niederliefsen, vernichtet.') Es liegt in der Natur der Verhältnisse dafs
sie ähnlich wie die Alpencantone (S. 75) die Sarden (S. 361) die Li-
gurer (S. 473) die Aequer (S. 514) usw. von ihrer Bergfestung aus
die Ackerbauer unaufhörlich belästigten. ') Jedoch nehmen sie erst
356 V. Chr. in der Ueberlieferung einen Platz ein, als sie sich von den
Lucanern welche die Oberhoheit beansprucht hatten, los machten und
die griechischen Städte Terina und Hipponium eroberten. ^) Sie prä-
gen fortan Münzen wie andere civilisirte Staaten, regeln ihre Verfas-
sung, erweitem ihre Grenzen die in weitester Ausdehnung etwa 200
Schriftsteller, die Römer meist Brutlii, iDSchriften daneben auch Britiü Wilm.
1079. 1207. 1235, Ennius bei Fest. p. 35 M. Bruttate*.
i) Diod. XYI 15 TtQoatiyoQev&Tjcav Eghtioi dia xo nXelatovg slvcu Sov-
Xovg' xata yccQ rijv xöiv iyxoQlcov 6iaXsxxov o\ dganixai ßpixxioi ngocff
yo^evovxo. Strabo VI 255 <iv6(moxai 6h xo M^oq vnh AevxavcSv ß^sxxlov^
yccQ xaXovai xovg dnoaxdxag. Man vergleiche die syrakusischen Kyllyrier
oder Killikyrier Herod. VII 155 Hesychios u. W. Tlmaeos fr. 56 Müller sowie
die corsischen Balarer Pansan. X 17, 9.
2) Gell. N. A.X 3, 19 Fest. ep. p. 31 M. Man vergleiche den verwandten Ge-
branch von SarduM (S.361) Ligtu (S. 474) u. a.
3) Diod. XII 22 vgl. S. 527 A. 1.
4) Liy. XXVIII 12 XXIX 6 mo$ vitio etiam imitus genU per latrocinU
miUiiam exercendi.
5) Ueber den Vorgang sind drei Berichte erhalten die sich im Wesentlichen
vereinigen lassen: Strabo VI 255 (Ephoros) Diod. XVI 15 (Timaeos, vgl. fr. 56)
Jnstio XXIU 1 (romanhaft, Theopomp). Die beiden ersten leugnen nicht dafe
es schon vorher BretUer gegeben habe. Nach Ephoros und Tbeopomp besteht
die Masse aus Hirten. Streng genommen widerstreiten Ephoros und Timacos
der Angabe (Strabo V 228 VI 253 Justin), dafs die Brettier von den Lucanern
abstammten. Aber da unter dem nHjd^og avd^Qwxcwv navxaxo^^»^ (uyiStov
doch wol auch der letztere Stamm yertreten war, vielleicht selbst wie Jostin
will die Anfährer stellte, so kann auch sie gerettet werden: von der Heftig-
keit der Parteikampfe bei den Lucanern zengen die vielen Verbannten bei
Alexander von Epims Liv. Vm 24. Der Vermutung ist eben hier der weiteste
Spielraum gestattet, dem Wissen ein änfserst beschrankter.
§ 8. Die Osker. 537
bis 250 d. DM. befafst haben mögen. Ihr Staatswesen urofafst eine
grofse Zahl Ton Gemeinden mit Consentia als Hauptstadt. >) Aller An-
strengungen ungeachtet ist es ihnen aber niemals gelungen Thurii
Kroton Locri Rhegion zu bezwingen , die ganze Halbinsel zu vereini-
gen. Als geographischer Begriff bedeutet 17 B^evrla Bgemavi^ vor-
zugsweise das Gebirge im Unterschied von der griechischen Küste. ^)
Die Römer haben die Griechenstädte beschirmt, das brettische Staats-
wesen als solches nicht anerkannt, l^ährend der samnitische und
lucanische Bund unter den römischen Bundesgenossen einen hervor-
ragenden Rang behaupten, bleiben die Brettier vom Heerbann ausge-
schlossen. 3) Nach der Niederlage des Pyrrhos wurde der halbe Sila-
wald ihnen abgenommen und zur Staatsdomäne erklärt.^) Schon
früher mit Karthago verbündet wurden sie durch die Aussicht zu
ewiger Knechtschaft verdammt zu sein dem Hannibal rOckhaltslos in
die Arme getrieben. Nach heldenmütigem Widerstand ward das Volk
vernichtet. Bürgercolonien wurden 194 in Tempsa und Croton 122
in Scylacium, latinische Colonien 193 in Thurii 192 in Vibo angesie-
deh. Der ager Bruttius mit der Sila blieb Domäne (A. 4). Eine ge-
wisse Selbstverwaltung ist den Eingebomen verblieben, aber Rom
spricht zu ihnen in lateinischer Sprache und betrachtet sie als Leib-
eigene.^) An der Erhebung von 91 v. Chr. theilzunehmen waren keine
Brettier mehr vorhanden. Dagegen bot das verödete Land einen gün-
stigen Boden für Räuberbanden und Abenteurer aller Art.
Die Geschichte der oskischen Nation weicht von derjenigen der
übrigen Stämme in wesentlichen Stücken ab. Einstens wie es scheint
über den ganzen Süden verbreitet, ist sie zuerst durch die Japyger
1) Straboyi256. Die Zahl der Bundesglieder ist nicht bekannt: Liv.XXY
1 ist von 12 die Rede, aber XXX 19 giebt es anTser 8 namhaft aafgefahrten
noch mulii ignobile* popuU,
2) Plat Timol. 19, 1 Athen. Y 208 e Pol. 156, 3 StraboYI26l Trjv 6h vnh^
xwv noXicav xovxwv /jieaoyaiav Bghxioi xarixovai.
3) Die neueren Gelehrten welche die Brettier in die Liste der Wehrfähigen
von 225 V. Chr. hineinznbringen versucht haben, verkennen die Lage der Dinge :
för den hellenisirten Theil war im italischen Heerbann so wenig Platz wie fär
die Sikeler, für die halbwilden Gebirgsstamme so wenig wie fflr die Ligurer.
Ueberhaupt konnte die aristokratische Politik Roms mit einem ans früheren
Leibeigenen zusammengesetzten Staatswesen sich schwer befreunden.
4) Dion. Hai. XX 15 Cic. Bmt. 85. Ein Steuerpachter bietet hier 213 v. Chr.
eine ineandita turba tervorum agresHumque auf Liv. XXY 1.
5) CIL. 1 196. Appian. Hann. 61 Gell. N. A. X 3, 19 Fest.ep. p. 31 M.
688 Kap. XI. Die Volksstamme.
aus dem adriatischen Hügelland verdrängt, später durch die HeUenen,
in minderem Grade durch die Etrusker unterjocht worden. Nur im
inneren Appennin hat sie ihre Unabhängigkeit behauptet Von hier
aus beginnt sie um die Mitte des fünften Jahrhunderts das geraubte
Erbe zurückzufordern. Unwiderstehlich breitet sie sich aus, im Tierten
Jahrhundert scheint ihr nicht blos das Festland sondern auch Sicilien ^)
unrettbar verfallen. Man kann die Frage aufwerfen ob diese Wendung
der Dinge nicht als ein Glück anzusehen, ob eine Verjüngung des
Hellenentums durch dies frische Blut nicht möglich gewesen wäre.
Mit spielender Leichtigkeit eignen sich die Oaker die fremde Cnltur
an. Ein Söldnerhauptmann in Katane dichtet griechische Tragoedien,
ein lucanischer Redner entzückt die Volksversammlung von Syrakus,
die Philosophie findet eifrige und nachhaltige Pflege. s) Dafs auch eine
bedeutende Litteratur in der Landesq)rache vorhanden war, lafst sich
nicht bezweifeln. Soviel wir aus den Inschriften entnehmen können,
^ist die Formenlehre reiner entwickelt als die römische, die Ortho-
graphie viel consequenter als die der gleichzeitigen römischen Urkun-
den^, s) Deutlicher sind wir im Stande die Aneignung der bildenden
Künste zu verfolgen. Die von einem Gampaner verfertigte ficoroniscbe
Cista, die Grabgemälde von Paestum mit den Darstellungen lucanischer
Krieger, die Anmut welche die Schöpfungen des oskischen Pompeji
auszeichnet im Gegensatz zum römischen : dies und manches Andere
läfst uns fast beklagen dafs dem oskischen Stamme die Herrschaft
über die Halbinsel versagt blieb. Allein der ganze Aufschwung voll-
zog sich viel zu rasch als dafs die Zeit ausgereicht hätte um die tiefen
Gegensätze zu versöhnen. Der samnitische Bauernstaat welcher als
ebenbürtige Macht gegen Rom in die Schranken trat, hatte die Feind-
schaft Aller zu bekämpfen : die Nachbarn in Süd und Nord in Ost und
West, die eigenen Stammesgenossen wie die Stammfremden haben
rüstig an seinem Sturz geschafft. Der Sieg Roms über Samnium war
unmittelbar weniger ein Sieg des latinischen über das oskische Wesen
als der städtischen Cultur über das Bauerntum. Indessen gab er zu-
gleich den Ausschlag für die Zukunft. Als die Osker unter Hannibals
Führung und zum letzten Mal 91 v. Chr. die Waffen erhoben filr ihre
1) Platon £p. 8, 363E Plat Tim. 17, 2.
2) Plot Tim. 3 1, 1 Die Ghrysost. or. II p. 1 18 ReUke Epist Gr. p. 132 Hereber
Papyras Herc 1018 (ed. Gomparetti 1875) Gic. de sen. 41.
3) Mommsen, Unterit. DiaL p. 116.
§ 9. Die Japyger. 589
nationale GleichberechtigUDg, war das Römertum inzwigchen zu sehr
erstarkt um aus seiner Herrschaft verdrängt werden zu können.
§ 9. Die JapygerJ)
Der Südosten Italiens stellt eine natflrUche Einheit dar, welche
durch ihre geringe Erhebung ihre geologische Beschaffenheit ihren
Wassermangel vom Appennin sich absondert. Innerhalb derselben
sind drei Abschnitte gegeben, welche auch die wechselnden politischen
Eintheilungen alter und neuer Zeit bedingt haben. Die flache Halb-
insel zwischen Tarent und Brindisi mit einer höchsten Erhebung von
140 m und einem Flächeninhalt von etwa 120 d. OH. bildet den süd-
lichen Abschnitt, das Hügelland von hier bis zum Aufidus mit Höhen
bis 670 m und etwa 150 d. DM. den mittlem, die Ebene jenseit des
Aufidus (den Garganus eingerechnet) mit etwa 100 d. DH. den nörd-
lichen. Eine deutlich ausgeprägte Grenze gewährt der Appennin ge-
genüber der Ebene (S. 241); im Debrigen lassen sich die Grenzen
enger und weiter ziehen, so dafs die aufgestellten Gröfsen nur als an-
nähernde Werle zu gelten haben. Nach der heutigen Eintheilung um-
fassen die drei apulischen Provinzen 22115 Dkm 402 d. D Meilen.
Dies Land hiefs den Hellenen in alter und lange auch noch in römi-
scher Zeii^IaTtvyla^), die für die Schiffahrt wichtige Südspitze Va/rt;-
yla ox^a^), der vom Lande her wehende Nordwest 'lä/rt;! (S. 390),
die Bewohner ^laTtvyeg, ^) Mit dem Namen hat sich auch allmälich
eine genaue Umschreibung desselben eingebürgert: Herodot versteht
darunter die Halbinsel zwischen Tärent und Brindisi, Antiochos zieht
die Grenze gegen Itaüa bei Metapont (S. 64) , Skylax läfst es von
Thurii bis zum Garganus ^) sich erstrecken, seit Polybios ist seine Aus-
1) MommseD, die uateritaliscben Dialekte, Leipzig 1850. 4. flelbig, Stadien
über die älteste italische Geschichte, Hermes XI 257 fg. Deecke, zur Entzifferung
der messapischen Inschriften, Rhein. Mos. XXXVI 576 fg.
2) Herod. DI t38 IV 99 Thukyd. VII 33 Skylax t4 Aristoi Pol. VII 9, 3 u. a.
Die griechische Form bildet noch bei Diodor Dionys Strabo Plutarch Appian
die Regel, nur yereinzelt begegnet AnrovA/a das aber bei Ptolemaeos Die Gas-
Bios und den Spateren an die Stelle tritt und jenes Terdrängt
3) Thukyd. VI 30. 44 VH 33 de mir. ausc 97. 98 Pol. X 1, 8 Strabo VI 277
Dion. Hai. 1 51 Plin. m 100 Ptol. IH 1, 11 Plnt. Pyrrh. 15, 2.
4) Herod. IV 99 Thukyd. VH 33 Hellanikos bei Dion. 1 22 Aristot. Pol. V 2, 8
Pol.lI24,lln.a.
5) Skyl. 14 (dx^i-jiQlovoq Sgovg mufs den Garganus bedeuten, da die Küste
zu 6 Tag- und Nachtfahrten ebenso lang wie die Incanische gerechnet wird.
540 Kap. XI. Die Yolksstämme.
dehnung im oben angegebenen Sinne bekannt, i) Eine politische Ein-
heit ist es venn man so will durch Augustus geworden , der daraus
seine zweite Region schuf, freilich noch das ganze Gebiet der Hirpiner
hinzufügte. Vordem zerfiel es in eine Reihe von Fürstentümern oder
Freistaaten, die durch keine Bundesverfassung nach Art der samni-
tischen lucanischen brettischen zusammen gehalten wurden. Daraus
erklärt sich dafs neben dem allgemeinen auch Sondernamen der ver-
schiedenen Stämme in Gebrauch waren. Am häufigsten erwähnen die
Hellenen die Meaainioi als unmittelbare Grenznachbarn von Tarent,
dehnen auch wol den Namen Meaaanla tlber die ganze Halbinsel
aus. ^) Die römischen Fasten verzeichnen 266 v. Chr. einen Triumph
über diese Völkerschaft: seitdem verschwindet sie aus der römischen
Litteratur und lebt nur in dem Beinamen einer Stadt fort. ^) Statt
dessen treten zwei andere früher unbeachtete Stämme in den Vorder-
grund: die Sallentim im Süden ^) nach denen das berühmte Cap pro-
mnnturium Sattefitmum ^) heifst, oberhalb von Otranto bis Brindisi die
Calabri^) nach denen die ganze Halbinsel Catahria'^) heifst. In dem
mittleren Abschnitt den wir oben ausschieden, scheint der Name der
Japyger ursprünglich heimisch gewesen zu sein.^) Im Besonderen er-
wähnen die Hellenen hier die nevxivioc ®), die Römer in veränderter
Form die PoediculiJ^) Endlich begegnet uns im vierten Jahrhundert
1) Pol. HI 88, 3 Straboyi277 Diod. XIV 117 XX 35. 80 Appian Rann. 1^
17.36 b.ciy.I39.
2) Herod. VII 170 Thakyd. Vn 33 Pol. 11 24, 1 1 DI 88, 4 Strabo VI 277 Diod.
XIII 11 XX 104 Dien. Hai. 137 Plnt.Pyrrh. 13. 15 AgisS Plin. 10 99.
3) Uv. Vin 24 (nach griechischer Qaelle) Püd. III 99. 100 Fest. ep. p. 125 M^
vereinielt bei Dichtern wie Verg. Aen. VIII6 Glnver it. ant. 1248.
4) Triumphe 267 Strabo VI 277 Melaliee PloUini,ll. In den llTianiscbeD
Annalen wird der Maine ganz unbestimmt anf die Umgesend von Tarent nacli
allen Ricbtansen hin ausgedehnt IX 42 X 2 XXni48 XXIV 20 XXV 1 ep.XII.
Für die Halbinsel wird er auch anderswo gebraucht Strabo VI 282.
5) Dion.Hal.I51 Sallust bei Serv.V. Aen. IH 400 MelaII68 PtoI.IOl.ll.
£8 heifst Brundisii pramunturivm Liv. X 2 vgl. A. 4.
6) Pol. X 1,3 Strabo VI 277 MelaII66.
7) Uv. XXin 34 XUI 48 Plin. DI 99 Ptol. III 1, 12 Tac. Ann. HI 1 HistD
83 n. a.
8) Nach Plin. HI 102 gab es bei Bari einen Flnfs lapyx a Daedak fiüo
rege a quo et lapygia.
9) Dion, Hai. I 11. 13 Pol.III 88,3 (in einer Lücke ausgefallen) Strabo VI
277.283 Plin. HI 99 Diod. XXI 4 Hekataeos fr. 57 M. Ptol. DI 1,13.
10) Strabo VI 277. 282 Plin. HI 102 Justin XH 2, 12.
§ 9. Die Japyger. 541
das Tiefland im Norden als Javvla ^), seine Bewohner als Javvioi.^)
Strabo der auf dem Wege nach Rom durch diese Gegend gekommen
ist , bemerkt dab die Benennungen Peuketier und Daunier nicht mehr
angewandt würden — beide finden sich nur bei römischen Dichtern,
die ja gern ihren Vorbildern gewählte wolklingende Ausdrücke ent-
lehnen — tfnd berichtet weiter dafs die nördlichen Anwohner des Gar-
ganus im Besondern Apuler hiefsen, sich Ton den Dauniern und Peu-
ketiern in Sprache und Sitte gegenwärtig nicht unterschieden, solches
aber wahrscheinlich früher gethan hätten.^) Es scheint dafs in diesem
Strich um Teanum Äpulum (S. 528) Osker wohnten und der Name
Apuli durch oskische Vermittlung an die Römer gelangte.^) Diese
haben ihn nach Süden hin über das ganze Tiefland und das an-
schliefsende Hügelland erstreckt, dagegen von Äpulia die Halbinsel
Caläbria streng unterschieden. ^)
Vor Ankunft der Römer herrschte in dem ganzen Gebiet aus-
schliefslich die griechische Schrift. Ferner zeigen die Münzen dafs im
amtlichen Verkehr nach Aufsen die griechische Sprache gebraucht
wurde. Dieselbe schlug so tiefe Wurzeln dafs auch nach Einführung
des Latein 89 v. Chr. die Canusiner dem Horaz zwiesprachig heifsen,
ihre Rede durch griechische Wendungen entstellen.^) Nach den Gräber-
funden zu urtheilen hatte sich das Land, soweit nicht oskische und
römische Einflüsse ins Spiel kommen, der hellenischen Cultur mit
Herz und Hand ergeben. Freilich konnte es den Hellenen im täglichen
Verkehr nicht entgehen , dafs die Volkssprache eine andere sei als die
1) de mir. aase. 109 Pol. lU 88, 4 V 108, 9 IX 7, 10 Diod. XIX 10, 2 Strabo
VI 284.
2) Timaeos fr. 13—15 M. Lykoph. A). 592 Pol. DI 88, 4 X 1, 3 Dien. Hai.
XX 3 Strabo VI 283 Ptol. IH 1, 14 Plin. lU 103 Mela II 65.
3) Sir. VI 283. 285.
4) Durch ein eigentümliches Milsgeschick sind unsere Nachrichten über
die Yorrdmischen Sprachverhältnisse Dauniens verwirrt worden. Der dunkeln
Glosse bei Skylax haben wir S. 523 A. 3 gedacht. Zerrüttet ist anch die lieber-
liefernng bei Plin. HI 104 ita Apulorum gensra tria: Team a duee e Grats
Lueani subaeH a Calchanie quae nuno loea tenent Minaiet, Dauniorum eqi.
Mit den hier erwähnten Lueani ist zu vergleichen die frentanische Inschrift
Fabr. 2846 vereia* lovkanaleis mm iuveniuiü Lucanatis,
5) Apultu schon bei Plaut. Miles 654 Gate fr. p. 67 Jordan. Die Unter-
scheidung tritt schon Pol. II 24, 11 entgegen, später in der amtlichen Bezeich-
nung der regio ApuHa et CalaMa. Diodor XVI 5 XIX 10. 72 zeigt dafs die
Benennung Apulia zu seiner Zeit auch den Griechen allgemein geläufig war.
6) Hör. Sat I 10, 30 mit Schol.
542 Kap. XI. Die Yolkaetimise.
ihrige: sie nennen solche messapiscb. i) In ihr sind etwa 160 erhal-
tene Grabschriften abgerabt, meist kurz und nur aus Eigennamen be-
stehend. Diese Denkmftler reichen von der Sttdspitze bis nach Mono^
poli unterhalb Bari und gehören einer jungen Epoche, etwa dem letz-
ten Jahrhundert ?. Chr. an. Die Sitte das Gedachtnils des Todten
durch Aufzeichnung seines Namens festzuhalten hat hier wie in vielen
anderen Landschaften erst spät allgemeinen Eingang gefunden. An-
derseits konnte gerade wie bei den Etruskern (S. 495) im Kreise der
Familie die nationale Weise dem neu eingeführten Römertum einen
länger dauernden Widerstand leisten. Es unterliegt keinem Zweifel
dafs nördlich von dem durch Denkmäler umschriebenen Gebiet einst
die nämliche Sprache wie innerhalb gesprochen worden ist; denn die
eigentümlichen messapischen Namen lassen sich gleichfalls bei Peuke-
tiern und Dauniern nachweisen. Für das Fehlen der Inschriften im
Norden gewähren verschieden^ Umstände die Erklärung. Einmal
haben die unmittelbaren Nachbarn von Tarent, welche ihre Unabhän-
gigkeit gegen dasselbe mit Nachdruck und Erfolg vertheidigten, natur-
gemäfs den nationalen Gegensatz schärfer ausgebildet als die dauni-
schen Stämme die bei Tarent Schutz vor den Angriffen der Samniten
suchten. Sodann war der Norden durch den hannibalischen Krieg arg
entvölkert und mit umfangreichen Landabtretungen bestraft worden.
Hier vollzog sich in Folge dessen die Laünisirung viel früher und
rascher als auf der abgelegenen Halbinsel. Was nun aber die messa-
pische Sprache betrifft, so steht sie der hellenischen so nahe dais man
sie eine hellenobarbarische Mundart nennen kann. Da Berührungen
mit dem heutigen Albanesischen wahrgenommen werden, so ist ftSr
das Altertum eine engere Verwandtschaft mit den gegenüber wohnen-
den Stämmen von Epirus und Illyrien vorauszusetzen. Die sprach-
lichen Ergebnisse werden durch die Ueberliefening bestätigt Schon
Herodot leitet die Messapier aus Kreta >), Pherekydes die Peoketier aus
Arkadien her '); in den daunischen Städten wird Diomedes als Ahnherr
gefeiert. ') Durch derartige Fabeln verliehen die Hellenen ihrem in
1) Am Bestimmtesten Strabo VI 282 der bei seiner Ankunft in Brindi» er>
fnhr: ty Sh MeatxaTiia ykdvqn ßg^tov 17 xeipakii vov iXa^v xttXHtaL
Anfserdem ein paar AnfiUiningen ans den Etymologikern, gesammelt bei
Mommsen p. 46. 70.
2) Her. VII 170 Strabo V! 279. 282 Athen. XU 522f. Konon 25 Verg. Aen. DI
401 Fest. p. 329 M. 3) Dion. Hai. 1 13.
4) Lyk. AI. 592 Strabo VI 284 Jnstin XH 2, 7 vgl S. 371 Prdler, Ron.
Mytb.s 663.
§ 9. Die Japyger. 543
Freund« und Feindscbaft nahen Verhdltnifs zu den Eingebornen einen
mythischen Ausdruck. Eine besonnene Kritik wird daraus nnr die
ohnehin einleuchtende Thatsache entnehmen darfen, dafs die Japyger
früher auf italischem Boden gesessen haben als die Hellenen. Mehr
Beachtung yerdienen diejenigen Berichte welche ohne Vermischung
mit der griechischen Heldensage einfach von einer Einwanderung aus
lllyrien reden ^) : ja ihre schlichte Einfalt bietet uns die Gewähr dafs
wir es hier mit einer wirklich volkstümlichen Anschauung zu thun
haben. Dafs diese das Richtige trifft, dafs die Japyger über das Meer
her eingewandert sind, wird zur Gewiisheit erhoben durch die über-
raschende Wiederkehr der meisten Stammnamen 2), die übereinstim-
mende Bildung der Ortsnamen 3), die Berührung mit Personennamen ^)
jenseit der Adria. Und damit eröffnet sich ein weiter Ausblick in die
Vorzeit von Hellas und Italien. Die grofse Volkerflut welche Aeolier
Jonier Dorier an die Gestade Asiens führte, hat ihre Wirbel auch nach
Westen getrieben , hat Japyger Messapier Daunier über den schmalen
Joniossund hinüber geworfen. Die folgende Entwicklung ist zumeist
durch die verschiedenen Lebensbedingungen beeinflufst worden, welche
die Einwanderer im Osten und im Westen vorfanden. Dort betraten
sie einen vod alter Cultur gesättigten , hier einen jungfräulichen Bo-
den. Immerhin spricht eine grobe Wahrscheinlichkeit dafür dafs die
Japyger die Gvilisirung Italiens eingeleitet haben welche nachher von
den griechischen Colonien so mächtig gefordert wurde: einzelne Spu-
ren ihres Wirkens lassen sich noch jetzt wahrnehmen. ^) Vor Allem
1) PUB. m 102 Antonin. über. 31 Fest. ep. p. 69 M. SchoL zo Verg. Ed. 0, 31.
2) Meaaanioi in Lokris Thuk. III 101 Meaadmov Berg in Boeotien Mea-
caniai Ort in Lakonien. — FaXcißgioi in lllyrien Strabo Vn316. — XtSveg
in der Sirius neben Xaoveq in Epirns. — Nach P8.-Hekataeo8 bei Steph. Byz.
Ttxm^/a &V0 noXeiq fila iv ry ^iTaXlq xtd Mga iv ry 'iXXvgldi, — PeueeUi
in lllyrien nach Kallimachos Plin. in 139. — SaUuntum ein Ort in Dalmatien
nach It Ant. 338 W. Freilich auch Dolaiesfl) cognomine SaUetUini in Um-
brien Plin. IH 113: aoUten diese etwa 266 v. Chr. hierher verpflanzt sein?
3) Die Stadtnamen endigen anf nium {Tarenium üzenium Hydruntum
Siponium vgl. nuft DaUunUan SaUwUum ArgyrunUim) etum {N^retum Fe-
retum Soktum vgl. mit Faretum) eüum {AMÜum Faletium AUUum vgl. mit
MtmeUum Eperetium Ser^iium Buckelium) Heibig a. 0. p. 269 Kiepert, Lehr-
buch p. 450 A. 2.
4) Znsammenstellang bei Heibig a. 0. p. 269.
5) Heibig weist mit Recht in seinem vortrefflichen Aufsatz darauf hin dab
die Einwanderung der Japyger auf manche Fragen der italischen Culturge-
schichte neues licht wirfU Wenn z. B. panis im Messapischen ncnfog heiÜBt,
544 Kap. XL Die Yolksstamme.
•
aber erklärt die Eiawanderung der Japyger den Gang der späterea
griechischen Colonisalion: wenn nicht ein kräftiges und in gewissem
Sinn fortgeschrittenes Volk den Südosten bewohnt hätte , so bleibt es
schier unbegreiflich dafs die Hellenen das in ihrem unmittelbaren Be-
reich liegende und in vielen Beziehungen verlockende Land unberttck^
sichtigt liefsen , im fernen Westen sich ansiedelten und von hier aus
ihre Gründungen ostwärts langsam vorschoben (S. 120). „Jedenfalls
— bemerkt Heibig sehr wahr gegenüber einer früher verbreiteten
Ansicht — machen die Japyger, als die Geschichte zum ersten Haie
ausführlicher über sie berichtet, keineswegs den Eindruck eines ge-
alterten und durch andauerndes Unglück ermatteten Stammes. Kräf-
tiger als irgend ein in Italien ansässiges Volk wissen sie den Ueber-
griifen der griechischen Colonieu zu widerstehen: die Niederlage
welche die Hessapier 473 den Tarentinern beibrachten , galt zur Zeit
desHerodot als die furchtbarste die jemals ein Griechenheer erlitten.^ ^)
Vor Ankunft der Japyger haben nach einem alten Gewährsmann
Ausoner den Südosten bewohnt: die Nachricht wird durch den Um-
stand bestätigt dafs einzelne itaUsche Ortsnamen hier vorkommen. ^
Die FremdUige beschränkten sich aber nicht auf denjenigen Bezirk
den wir in späteren Jahrhunderten von ihnen eingenommen sehen,
sondern drangen weithin erobernd vor. Kroton war wie Ephoros be-
zeugt, ehedem in ihrem Besitz (S. 535): drei Landspitzen in dessen
Nähe wurden nach den Japygern benannt, das hetühmie promuniurium
Ladnium klingt aufl^llig an Lacinienses eine Gemeinde der Liburner
an.') Die Choner in der Siritis werden wir wegen der gleichnamigen
epirotischen Chaoner derselben Familie zuschreiben müssen. Wenn
ferner Daunier in Campanien erwähnt werden ^) und Benevent gleich
anderen apulischen Städten seinen Ursprung von Diomedes herleitet ^),
so läfst sich die Annahme nicht wol abweben dafs die Fremden quer
durch die Halbinsel gebrochen sind und im Westen Land gewonnen
80 haben die Latioer das Brotbacken (welches Heibig irrig als uralt ansieht,
Plin. XVm 83) dorther gelernt. Die Verbreitang des Namens Graeei (S. 120)
erklärt sich angezwangen durch Vermittetung der Japyger: in deren Monde
hiefsen die Stanunesgenossen in der Heimat naturgemäfs «die Alten*; denn
das bedeutet ja der Name.
1) Her. VU 170 Diod. XI 52 Athen. XU 522 e.
2) Hellanikos bei Dien. HaL 1 22 Anton. Lib. 31 Heibig a. 0. p. 262.
3) Strabo VI 261 Plin. HI 139.
4) Dien. Hai. VU 3 Pol. UI 91, 5.
5) Sery. V. Aen. VIU 9 XI 246 Prokop b. Goth. 1 15 SoUn 2, 10 o. A.
§ 9. Die Japyger. 646
haben. Endlich sollen Liburner die picentische KUste, namentlich bis
in späte Zeiten die Stadt Trtientum behauptet haben ^): wir schliersen
daraus auf bedeutende Erwerbungen der Japyger im Norden, die
nachher dem heiligen Lenz der Sabiner anheim fielen (S. 511). Wie
schon angedeutet, haben die Hellenen sie von Westen aus zurück ge-
worfen. Die Japyger standen zu den Hellenen in einem ähnlichen
Yerhältnifs wie Aetoler Akamanen Epiroten , welche ja allesammt in
der Blütezeit von Hellas als Barbaren galten. Ihre Lebensformen er-
scheinen weit altertümUcher als in den seit Ausgang des achten Jahr-
hunderts gegründeten Colonien : der Staat wii*d hier durch die Stadt
dort durch den Stamm gebildet, an seiner Spitze steht hier die Bür-
gerschaft dort das Königtum und dies StammkOnigtum begegnet noch
während des peloponnesischen Krieges.') Ein erbitterter Kampf ist
zwischen Hellenen und Japygern gekämpft worden, von dessen Wech-
selfällen wir wenig hören '), der aber den letzteren viel Land entzogen
und sie zugleich innerlich umgestaltet haben mufs. Wo unsere ge-
nauere Kunde anhebt, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts
ist Apulien ganz hellenisirt, das Königtum gestürzt, die Stämme in un-
abhängige Stadtgemeinden aufgelöst. Von der Blüte einzelner Städte
wie Arpi und Canusium gewann Strabo aus den verfallenen Mauer-
ringen eine lebendige Vorstellung. Zu uns spricht die überladene
Pracht mit der die Gräber geschmückt waren : das bemalte und im
Lande selbst gefertigte Thongeschirr, das ihnen enthoben wird, wirkt
durch seine Massen, nicht durch seine Schönheit. Wie aller Orten im
Altertum hat der Aufschwung von Handel und Gewerbe viel Reich-
tümer angehäuft, die wirkliche Volkskraft geschädigt. In den römi-
schen Stammrollen von 225 v. Chr. waren auf einem Gebiet von etwa
350 d. DM. 16000 zum Reiterdienst neben 50000 zum Fufsdienst
berechtigten Japygern und Messapiern verzeichnet: im Vergleich mit
den übrigen Landschaften Italiens ein Ergebnifs das ebenso sehr von
dem Wolstand als der militärischen Schwäche der Nation zeugt. ^) Von
einer zielbewufsten nationalen Politik ist kaum je die Rede gewesen.
In älterer Zeit wird sie durch die Anziehung und Abwehr Tarents be-
stimmt. Dann folgt die Bedrängnifs durch die reisige Bauerschaft
1) Plin. UI 112. 110 Tntentum , . . »olum Libumorum in ItaUa reUcum est
2) Thukyd. YD 33 Strabo VI 280. 81. 82 Prob. Vcrg. Ecl. 6, 31 Plin. m 102
Pausao. X 13, 10
3) S. 544 A. 1 Strabo VI 280 Paasan. X 10, 6 13, 10.
4) Pol. 11 24, 11.
Kiaten, ItaL LuidMbind*. L 35
546 Kip.XI. Di« Volkattimme.
Samniums; mit offenen Armen werden die römischen Legionen in
Apulien aU Helfer und Erretter begrübt, i) Das reiche Flachland hat
wie den Kampfpreis so den Schauplatz für die groben Kriege abge-
geben , in denen Rom mit Samnium KOnig Pyrrhos und Hannibal um
die Herrschaft Italiens stritt. Die Bewohner haben dabei häufig die
Partei gewechselt. Hit der Gründung der latinischen Colonien Lueeria
314 Yenusia 291 Brundisium 244 fafst das Romertum festen Fub. Es
wird später durch die Bürgercolonien Sipomum 191 und ffepiunia in
Taren 1 122 ▼. Chr. verstärkt Nach dem hannibalischen Kriege schlägt
die Sklaven- und Weidewirtschaft des römischen Adels in Apulien
ihren Sitz auf. Das HOgelland mit der Halbinsel bewahrt seine Eigen-
art bedeutend länger. Im Jahre 90 wird die Fahne der Empörung
entfaltet, der sich sogar Venusia anschliebt. ') In der nachfolgenden
Friedenszeit hat sich der ganze ehemals griechische Süden nie wieder
völlig erholt.
§ 10. Die Inselvölker.
Die Umwälzungen welche das Festland betroffen, haben sich über
die benachbarten Inseln fortgepflanzt. Dies gilt besonders von der-
jenigen Insel welche mit Süditalien eine Cultureinheit dargestellt, ein
halbes Jahrtausend hindurch eine gemeinsame Geschichte gehabt hat
Auf Sicilien begegnen in hellenischer Zeit drei eingebome Stämme,
deren Sitze im Allgemeinen bekannt, doch nicht scharf zu umgrenzen
sind. Her^EkvfiOi im äufsersten Westen mit den Städten Eryx Segett»
Entella haben wir S. 469 gedacht Die Namen deuten auf ligurische
Herkunft; das vielberufene Dogma von ihrer troianischen Abstammung,
von dem Herodot und Hellanikos nichts wissen, scheint erst während
des peloponnesischen Krieges, welchem ja ihr Hülfsgesuch eine so
verhängnibvoUe Wendung verlieh, in Umlauf gebracht zu sein. Län-
ger müssen wir bei den beiden Hauptvölkern den Sixavol Sicani und
Sixekol Siculi verweilen. In dem mehrfach berührten aegyptiscben
Text aus dem 14. Jahrhundert kommen Schakalscha(SiculO vor (S. 116).
Homer erwähnt beide Namen, vorzugsweise den letzteren (S. 4 A. 1).
Sie werden von den Späteren häufig mit einander verwechselt, wie
solches die Gleichheit der Wurzel nahe legte. 9) Weil nämlich die Si-
kaner an historischer Bedeutung hinter den Sikelem zurückstehen,
1) Uv. VIII 25 IX 2. 13. 20 Diod. XIX 10. 65. 72 XX 26. 35.80.
2) AppiiD. b. civ. 1 39. 42. 52 fg.
3) Besonders von den Römern Vergii Ovid Silias, Gell. N. A. 1 10, 1 n. A.
$ 9. Die Japyger. 647
so verscbwindet ihr Name aus dem allgemeinen Gebrauch und wird
ab eine ältere der Üblichen vollkommen gleichwertige Form betrach-
tet 0 Immerbin werden beide in den Erzählungen unterrichteler
Gewährsmänner lange von einander gesondert.') Die Sikaner hielten
sich selbst für Autochthonen und wurden als solche in den ältesten
Quellen behandelt'); eine im vierten Jahrhundert verbreitete Ansicht
welche sie den Iberern als angeblichem Hauptvolk des Westens an-
reihen und aus einer iberischen Einwanderung ableiten wollte, findet
keinerlei Bestätigung. *) Nach einer jüngeren Meldung haben diesel-
ben die Umgegend des Aetna freiwillig geräumt, die dann nachträglich
von den Sikelern besiedelt wurde. ^) Die allgemeine Ueberlieferung
läfst ein vom Festland vertriebenes Volk gewaltsam einbrechen und
mit den Waffen neue Wohnsitze sich erkämpfen. Wenn auch die
Rechnungen um ein paai' hundert Jahre aus einander gehen , hatte
dies Ereignifs doch sich dem Gedächtnifs so unausIöschUch eingeprägt
dafs der Versuch gemacht werden konnte es zeitlich zu bestimmen. ^)
Die Feindschaft zwischen Sikanern und Sikelern hat lange fortge-
dauert und bei bekannten Verwickelungen sie mit Vorliebe gegen
einander Partei ergreifen lassen.^ Die Sikeler eroberten die grofsere
Ostbälfte, drängten die Sikaner nach Westen hin: im Einzelnen die
Grenzen zwischen ihnen anzugeben ist nicht möglich, auch mOgen
solche oftmals gewechselt haben; gelegentlich erfahren wir dafs Byk-'
1) Herod. VI! 170 Thokyd. VI 2 Diod. V 2, 1 Justin IV 2, 1 Plin. lU 86.
2) Thokyd. VI 62 Diod. XDI 8^ 4 69, 6 114, 1 XIV 55, 6 XVI 9, 5 73, 2.
3) Thakyd. VI 2 Diod. V 2, 4. Dab unter ol vofufuixatoi r<Sv avY/Qa"
iplwv des Diodor nicht nnr der c. 6, l citirte Timaeos sondern auch der alte
Antiochos lu verstehen sei, erhellt aus dem Umstände dafs dieser seine sici-
lische Geschichte mit dem Sikanerkönig Kokalos begann Diod. XII 71. Auch
mors die Polemik des Thnkydides gegen Vorgänger gerichtet sein.
4) Thnkyd. VI 2 Philistos bei Diod. V 6 Ephoros bei Straho VI 270. Ueber
die WestTölker in der althellenischen Litteratur vgl. S. 9 A. 2 S. lt. 468.
Vi, ▼. Humboldt, Gesammelte Werke II 129 nimmt einen einzigen Ortsnamen
auf Sicillen als iberisch in Anspruch: man könnte keine schroffere Zurück-
weisung jener antiken Theorie begehren.
5) Diod. V 6 Tgl. S. 250.
6) Thnkydides setst es 300 Jahre vor Ankunft der Hellenen d. b. ver-
doppelt einfach den von der Golonisation bis mm peloponnesischen Krieg ver-
fitrichenen Zeitraum. Die Erwägungen welche Hellanikos und Philistos veran-
lafsten 80 Jahre vor den troischen Zug zurflck lu greifen, sind uns nicht bekannt.
7) So fechten die Sikeler far, die Sikaner gegen Athen Thuk. VI 62 Diod.
XUI8.
35*
548 Kap. XI. Die Volksstimme.
kara Carini und die Umgegend tod Akragas sikanisch war. >) Keiner
der beiden Stflmme ist politisch geeint gewesen : sie zerfielen in kleioe
Herrschaften in denen das Königtum noch am Ausgang des fünften
Jahriiunderts bestand.^ Diese Spaltung gestattete den Hellenen sich
nach und nach der Küsten zu bemächtigen, Tiele Gemeinden in Leib-
eigenschaft, noch mehr in Abhängigkeit zu bringen. Der Ausgleich
zwischen den Fremden und Eingeborenen schreitet langsam aber ud-
aufhaltsam fort: Empörungen der Leibeigenen Angriffskriege mutige
Abwehr, nichts hält ihn auf. Um 450 v. Chr. macht ein Sikelerf&rst
den letzten Versuch im Inneren ein unabhängiges nationales Reich aus
eigener Kraft zu stiften. Nach dessen Scheitern sind die Eingebornen
darauf angewiesen im Dienst auswärtiger Feinde, der Athener und zo-
mal der Karthager für die Freiheit zu fechten. Noch 394 v. Chr. wird
ihr glühender Nationalhals bezeugt') Aber die Tyrannis eines Dionys
und Agathokles, der Kampf zwischen Syrakus und Karthago löschen
ihn aus, die städtische Verfassung bricht sich im Inneren Bahn und
mit ihrer DtfrchfQhrung ist der hellenische Charakter der gesammten
Insel entschieden.
Bis zur Monarchie war Griechisch die aUeinige Sprache des Ver-
kehrs. Sie herrschte in der karthagischen Provinz wie aufserbalb, bei
Elymern Sikanern Sikelern Mamertinern. Denkmäler der alten Lan-
dessprachen sind nicht vorhanden und wir entbehren damit der sicher-
sten Grundlage für die Bestimmung der Nationalität. Zuvorderst ist
die Stammverwandtschaft von Sikanern und Sikelern festzuhalten,
welche durch die Gleichheit der nur in den Endungen abweichenden
Namen erwiesen wird : hätten beide verschiedenen Familien z. B. der
iberischen und italischen oder illyrischen angehört, so mUfste der Zu-
fall das sonderbarste Spiel getrieben haben , an das zu glauben jeder
Anlafs fehlt Nach Antiochos sind die Sikeler aus der Gegend von Rom
gekommen und ganz entsprechend erzählt die latinische Tradition de-
ren Vertreibung. Allein wenn man die V^idersprüche in den Quellen
des fünften und vierten Jahrhunderts ins Auge fafst, wie ihre Verfolger
bald Oenotrer und Japyger, bald Umbrer und Pelasger, bald Oenotrer
und Osker heifsen, so wird man diie einzelnen Angaben filr die Studien-
richtung der Urheber verwerten und darauf Verzicht leisten müssea
aus ihnen eine unverfälschte Volkssage der grauen Vorzeit zu ermit-
1) Thnk. VI 2. 62 Diod. V 6 Xm 114 Steph. Byi. u. Sueavia,
2) Diod. V 6, 2 Thok. Vi 4 VII 1.
3) Diod. XIV 88.
S 10. Die Inselvdlker. 549
telD.O Immerhin ist dasZeugDifs nicht zu unterschätzen dafs die Alten
das Volk diesseit und jenseit des Faro als gleichartig betrachteten, ge«
legentlich sogar die oskische und sikeUsche Sprache gleich setzten. ^)
Solche Annahme erhalt nun die willkommenste Bestätigung durch eine
Anzahl von Ausdrücken die aus dem Munde der Eingebornen in das
sicilische Griechisch eingedrungen sind und übereinstimmend im La-
tein wiederkehren: soyika^^gdu XiftoQig'^kpus xa^u^og Renn-
bahn «8 eampus narava «> paiina xartvov «= catinum a^ßlvvri »»
arvina fioltov ^^ mtauum xaQxaQov ^^ carcer vovfifiog^^^nummuB
kiTQa »* libra oyxla =s unda rtevroyKiov »s quincunx olaaqov «»
mer ^ayog Schober «-ro^^.^) Einzelne derselben können von Sei-
ten der Latiner entlehnt sein, die umgekehrte Erklärung dafe die Grie-
chen ihren latinischen Handelsfreunden solche abgeborgt hätten , ist
nahezu unmöglich; bei der Mehrzahl ist von Entlehnung im einen oder
anderen Sinne überhaupt keine Rede. Es kommt hinzu dafs die hel-
lenischen Colonisten bei ihrer Ankunft die Kupferwährung mit der
Unzentheilung nach dem Duodecimalsystem, welche auf dem Festland
wiederkehrt und innerhalb des antiken Culturkreises eine Eigentüm-
lichkeit Italiens darsteUt, vollkommen ausgebildet vorfanden und dieser
fremdartigen Rechnung ihre Siibermünzen anpafslen.^) Ob die Kupfer-
währung einst auf der Insel oder auf dem Festland entstanden, in die-
ser oder jener Richtung übertragen sei, bleibt hierbei gleichgültig;
aber dals Sikeler und Latiner das Pfund und dessen Theile mit den-
selben Namen benannten , deutet auf ein näheres Verhältnifs der bei-
derseitigen Sprachen hin. Alles in allem erwogen erscheint der ita-
lische Ursprung der Sikaner und Sikeler hinreichend verbürgt: Gründe
die dagegen sprächen, giebt es nicht; aber jeder Versuch sie einer an-
deren Familie zuzuweisen stöfst auf unüberwindliche Schwierigkeiten.
Man darf vermuten , dafs ihnen eine ligurische Bevölkerung voraus-
gegangen sei, von der ein geringer Rest in den Elymern übrig blieb.
Die Erschütterungen welche das Festland durch Etrusker oder Japyger
erfuhr, erklären die Wanderung der Sikeler die nach der Ueberlieferung
zu schliefsen in keine allzu ferne Vergangenheit hinauf reicht.
1) DioD. Hil. I 22. 73 Schwegler R. G. I 202 fg.
2) Steph. Byz. Fika noXtg Ikxeklag . . . xaXslxiti Ök ano norufiov FiXa'
o öh norafibq Sri noXXiiv naxy^ yswa' xavTipf yag ry ^Onixwv ^aivy
xal ^txekiSv yiXav Xiyea^ai,
3) Belege 0. Müller Etrusker 1 12, dazu Hesych. agßlwti Epicharm fr. p«.
219. 21. 23 (ClGr. ÜI 5774, 102) 254. 155 Lorenz.
4) Auch Yon Mommsen, Röm. Mfinzwesen 83 anerkannt.
^50 Kap. XL Die Volksstaomie.
In Betreff der Westinseln sind wir weit ungenügeoder unterrich-
tet Auf Gorsica ist der Schriftgebrauch auch in der Raiserzeit ver-
schwindend gering. 1) In Sardinien ist Latein, vordem und noch unter
römischer Herrschaft ^) Punisch geschrieben worden ; aber die natio-
nale Blüte fUlt früher als man im Abendland an ausgiebige Verwen-
dung der Schrift dachte (S. 359). Der Mangel an Sprachresten wird
durch die heutigen Mundarten keineswegs ersetzt. Wie zu erwarten
<S. 360), zeichnen sich dieselben durch Altertümlichkeit aus, besonders
die von Logudoro d. h. des mittleren Sardinien. Hier tönt uns bona
dies zum Grufs entgegen, lat $ und t sogar m im Auslaut, pl fl d, et
und pt für tt, der Diphthong o«, e und o für ie und uo nebst vielem
Anderem ist treulich bewahrt was die übrigen italienischen Mundarten
aufgegeben haben. Im ganzen romanischen Sprachgebiet hat sich das
Sardische am wenigsten von seinem Ursprung entfernt Man erkennt
dafs die Sarden ihr Latein mehr aus der Schrift als durch mündlichen
Verkehr erlernt haben , man erkennt dafs das Latein von einem ganz
verschiedenartigen Volkstum aufgenommen worden ist als Italien und
Sicilien darbot. Der Süden, das Campidano gehört gleichfalls dem sar-
dischen Gebiet an , wenn auch dessen Eigentümlichkeiten durch die
lang dauernde Einwirkung fremder Cultur vielfach abgeschliffen sind.
Aber der Norden, der Dialekt von Gallura mit den beiden Unterarten von
Sassari und Tempio ist vielleicht eher corsisch als sardisch zu nennen
und bildet unter allen Umstanden den Uebergang zur anstoßenden
Schwesterinsel. ^) Dergestalt f^Ut die heutige Sprachgrenze mit einer
uralten Völkergrenze zusammen : die Kvqvioi Cani welche der antiken
Litteratur seit Herodot bekannt sind^), greifen über das ihren Namen
tragende Land hinüber, 18 corsische Gemeinden wohnen im aulsersten
1) Das CIL. X 2 enthält nur 7 InschrilleD.
2) GIU X 7513. 7856.
3) Ascoli Archivio Gloitologico Italiano U 132 A. »/ hguiwrenH pud dire^
per certi eapi, il sardo per ecceHensa; tehiettamente sardo e pero emehe ä
eampidanesej ma non eosi il gallurese^ nel quäle ben iraluee il mbstrate
sardo, ma iruieme ti avverte tat mi$ehian%a e stranezsa dt fenomeni, ehe
diffieilmenie si pud altrwe riieonirare, PrineipaUuimo fira gU elementi
sopravvenuH a ewnporre il gallurese, e $en%a dubbio il corso. Man pflegt
das GorsiBche der toscanischen Mandart zozurechoeD; aber die Dialekte dieaer
Insel sind sehr ungenügend bekannt Yerwandtsehafüiche BerOhruageo des
Sardischen oder Gorsischeo mit dem Spanischen finden nach Aussage Gröbers
nicht statt.
4) Her.Vn 165 Lykos bei Athen. II 47 a.
§ 10. Di« InselTölker. 551
Norden Sardiniens. >) Der Spanier Seneca welcher 8 Jahr als Ver-
bannter auf Corsica zugebracht, schliefst aus der Uebereinstimmung
der Tracht und einzelner Worte dafs Iberer sich hier niedergelassen
hatten , httlt übrigens Volk und Sprache far ein Gemisch in dem grie-
chische iberische ligurischc Elemente zusammengeflossen seien. <) Se-
neca wird schweiüch Ober die Ostküste hinausgekommen sein (S. 364) :
dafs er an dieser einen bunten Mischmasch von verschiedenen Stäm-
men beobachtete, nimmt nach der Lage und der bisherigen Geschichte
nicht Wunder; wie heut zu Tage toscanische, so mögen damals ligu-
rische Arbeiter das Feld bestellt haben. Aber den freien Corsen des
Inneren mufs nach allem was wir von ihrer Lebensweise sowie der
Matur des Landes wissen, reines Blut in den Adern geflossen sein. Um
die Verwandtschaft festzustellen gewähren die Ortsnamen soweit ich
sehe keine entscheidende Auskunft.') Es liegt überaus nahe sie für
Ligurer zu halten, die auch Ilva inne hatten, wie dessen mit dem Gau
der Ihaies übereinstimmende Benennung bezeugt Allein wenn Se-
neca in Corsica an die Heimat erinnert wurde und Landsleute wieder-
zufinden glaubte, so wird sein Scharfblick in ein unerwartetes Licht
gerückt durch die Schilderung Diodors. „Am Wunderbarsten ist ihr
Verhalten bei der Geburt der Kinder. Wenn nämlich die Frau geboren
hat, wird der Wöchnerin keinerlei Rücksicht und Pflege zu Theil, son-
dern ihr Mann legt sich als Kranker nieder und hält die vorgeschrie-
bene Frist von Tagen das Wochenbett ab, als ob ihm der Leib weh
thäte.** Es handelt sich um die Couvade, eine der altertümlichsten
Sitten die in allen vier Welttheilen begegnet und auf der Vorstellung
beruht dafs das Gedeihen des Neugeborenen in den ersten Lebenstagen
von dem Befinden seines Erzeugers abhänge und dieser deshalb allen
äufseren Einflüssen entzogen werden müsse. Aus dem Bereich des
1) PÜD. m 85 Ptol. Dl 3, 6.
2) Sen. DiaL XII 7, 9 trantieruni et HtMpani quod ex eimiUtudine ritue
adparet: eadem enim tegmenta eapitum idemque gemu caleiamenti quod
Cantabrts est, et vetba quaedam, nam totus sermo conversatione Graeearum
lAgurumque a patrio düeeeivU. Diod. V 14, 3 ßaQßctQOt trjv Sidlextov l^ov-
Tfc iS^X^Y/iiynv xal ävoxazavotirov.
3) Ankläage an iberische OrtsoimeD sind voriiaadeo z. B. Ta^gaxipfioi —
Tarraeanenses niXayza — PälanUa OvQxlviov — Urei Tovnjlagßaffiog'^
Tulela (MartialIV55, 16) ^Poxavoq — Rhodanut. Aber die Ueberliefernng bei
Ptolemaeos, dem wir fast alles Material yerdaDken, ist wie gleich im ersten
Beispiel eine äofserst schwankende und nnr die eingehende Untersnchang eines
Sprachforschers würde hier Klarheit za bringen im Stande sein.
552 Kap. XI. Die Volksstamme.
Altertums wird sie allein von den Corsen und Iberern überliefert : die
Nachkommen der letzteren die Basken haben sie bis in die Neuzeit
bewahrt.^) Den GedankensprUngen welche den sinnlosen Brauch ver-
anlafsten , ist das Gehirn der Arier und Semiten unzugänglich geblie-
ben; sein Vorkommen bei den Corsen weist diese dem grofsen ibe-
rischen Stamme zu, welcher vor den Indogermanen Südeuropa inne
gehabt zu haben scheint.
Völlig im Dunkeln liegt die Herkunft der Schardana Sagdovioi
Sardi.^) Die erhaltenen Berichte gehören einer jungen Zeit an, in der
ein foter Sardus Sohn des Makar oder phoenizischen Herakles als
Ahnherr betrachtet wurde. ^) Er soll eine Colonie aus Libyen geführt
haben , die sich mit den Autochthonen zu einer neuen Einheit ver-
band. Sodann wird die Einwanderung von Hellenen Iberern Troia-
nern gemeldet: wir sind nicht geneigt den historischen Kern der in
diesen Fabeln stecken mag, aus der umgebenden Hülle herauszuschä-
len. Die Sage vom Vater Sardus bezieht sich kldrlich auf die Nieder-
lassungen der Phoenizier. In Betreff der von diesen vorgefundenen
Autochthonen sind wir aufs Raten angewiesen und begnügen uns mit
der Andeutung dafs der Bau des Landes eine Einwanderung aus Africa
anzunehmen empfiehlt (S. 354).
§ 11. Die Latinisirung.
Die Uebersicht der italischen Volksstfimme möge mit einem Aus-
blick auf ihre Vereinigung zu einem nationalen Ganzen beschlossen
werden. Durch ein wechselvolles Ringen tellurischer Mächte hat das
Land seine jetzige Gestalt erhalten. Seine geschichtliche Vergangen-
heit erscheint nicht minder bewegt als die geologische. Sechs, die In-
seln mitgerechnet acht Völkerfamilien haben sich in den Besitz ge-
theilt: Iberer Sarden — Ligurer Italer Etrusker Illyrier Hellenen
Kelten; die Reihenfolge bezeichnet die mutmafsliche Zeitfolge ihrer
Einwanderung. Unsere Gewährsmänner werden nicht müde bei den
einzelnen Landschaften anzumerken wie viele Stämme einander bis
auf die Gegenwart hinunter abgelöst haben: wenn auch ihre Ansätze
1) Diod. V 14, 2 Strabo DI 165 0. Peschel, Völkerkunde p. 26. Die SchUde-
roDg des Poseidonios (S. 470) lehrt dafs die Gonvade bei den Lignrern nicht
üblich war.
2) S. 116 Herod. VU 165 Plant MiL gl. 44.
3) Diod. IV 29 V 15 Pausan. X 17, auch auf einer römischen Müue ans
auguslinischer Zeit, Mommsen Münzwesen p. 667.
}11. Die Latimsirang. 553
häu6g der äufseren Beglaubigung entbehren , rücken sie doch einen
volikommen zutreffenden Gesichtspunct in den Vordergrund. Die na-
tionale Spaltung wurde durch die Schicksale der verschiedenen Stämme
vergr^fsert: Ligurer und Elymer Raeter und Etrusker Veneter und
Japyger waren durch Zwischenräume getrennt welche alle verwandt-
schaftlichen Beziehungen zerstören mulsten. Die nationale Spaltung
wurde durch die Gliederung des Landes befördert: wenn ein wan-
derndes Volk feste Wohnsitze errungen hat, beginnt seine Einheit sich
zu lockern , der Heerbann sich aufzulösen in Gaue und Gemeinden,
deren Verkehr und gegenseitigen Austausch das Gebirge behindert.
Wo das erste Dämmerlicht der Ueberlieferung die Anfilnge Italiens
erhellt, zeigt es uns die Stämme in eine Unzahl selbständiger Fürsten-
tümer zerfallen. Nach der gedankenvollen Ausführung des Thukydides
wird die vorgeschichtliche Epoche überhaupt durch Schwäche und
Vereinzelung gekennzeichnet. Die zunehmende Arbeitstheilung und
die durch sie bedingte Zunahme des Verkehrs beben die Vereinzelung
und die daraus entspringende Schwäche wieder auf. Mit der Grün-
dung von Städten beginnt die höhere Entfaltung der Cultur, das ganze
Altertum hindurch von den Anfängen bis ans Ende sind Stadtgrün-
dungen und Culturfortschritte aufs Engste verschwistert gewesen. An-
sätze zu dieser Entwicklung mögen in vielen Landschaften gemacht
worden sein : als die ersten und eigentlichen Träger derselben treten
uns die Hellenen im Süden und die Etrusker „die Städtebauer^ (S.501}
des Nordens entgegen. Bis ins vierte Jahrhundert unterscheidet die
oberflächliche Betrachtung der Fremden zwischen einer barbarischen
oder tyrrbenischen und einer hellenischen Hälfte des Appenninlands.
Das Hellenentum hat Sicilien Bruttium Lucanien Japygien, ein Gebiet
von etwa 1500 d. DM. bewältigt, dessen geistigen Mitlelpunct nach
Olympia, dessen politischen Mittelpunct nach Syrakus verlegt. Das
Etruskertum übt seine Anziehung auf ein mehr als doppelt so grofses
Gebiet aus.
Wir nennen die Völkerfamilie welche die Erbschaft dieser beiden
feindlichen Mächte antreten sollte, die italische. Man hat die Berech-
tigung des Namens bestritten und ihn durch einen gelehrten Kunst-
ausdruck wie ausonisch ersetzen wollen. In Wirklichkeit entspricht
er den geschichtlich gewordenen Verhältnissen auf das Glücklichste.
Einheimischen Ursprungs ist er von den Hellenen in Umlauf gebracht
worden das von ihrer Cultur eroberte Festland zu bezeichnen. Im
nämlichen Sinne wird er von den Römern zur Bezeichnung ihrer
554 Kap. XI. Die Voiksstamme.
Heimat bis an die Alpen ausgedehnt. Mit alten Erinnerungen von
Stanunverwandtscbaft hat er nicht das mindeste zu thun: derartige
Gefühle haben soweit unsere Kunde reicht die Glieder der Familie nur
in beschranktem Umfang mit einander verbunden. Die Nation welche
den Umkreis des Mittelmeeres unterwarf, ist nicht durch den Zusam-
menschlufs und die Unterordnung verwandter Stämme unter eine
höhere Einheit entstanden , sie ist nach Vernichtung der Stamme aas
den Trümmern derselben künstlich geschaffen worden. Insofern ist
es durchaus in der Ordnung den Namen des Landes auf diejenigen
Elemente zu übertragen welche die wichtigsten Werkstücke zum Bau
geliefert haben. In der That hat die den Latinern verbundene Sippe,
deren gemeinsamen Ursprung nicht die Ueberlieferung wol aber die
Sprache verkündet, unter allen Volkerfamilien die um den italischen
Boden stritten, den weitesten Flachenraum bewohnt: vom Po bis zum
libyschen Meer, von den Umbrern bis zu den Sikanern reihen sidi
Gcschlechtsgenossen wie die Glieder einer Kette an einander. Freilich
konnte es die alteren Jahrhunderte hindurch scheinen als ob dieser
ganzen grofsen Masse eine unabhängige Entwicklung versagt, als ob
der Norden im Bann der Etrusker der Süden im Bann der Hellenen
gefesselt bleiben würde. Indessen hat die Fremdherrschaft dem ita-
lischen Lande nicht blos durch die Einbürgerung der Cultur genützt,
sondern auch durch den Schutz den sie gegen Kelten auf der einen
gegen Karthager auf der anderen Seite gewahrte. Diese von Aufsen
andrangenden Gewalten haben sich an dem Widerstand der Etrusker
und Hellenen gebrochen, aber damit zugleich die Erhebung der Ein-
gebomen ungemein erleichtert. Im Süden ist es das Gebirge welches
im fünften Jahrhundert den Freiheitskampf eröffnet. Es pflanzt die
nationale Fahne auf: indem Frentaner Sanmiten Lucaner Brettier sich
als Verwandte fühlen, alle den Namen Sabiner in Anspruch nehmen,
sind sie von den gleichen Banden umschlungen vrie solche die Helle-
nen zusammen hielten. Man kann nicht daran zweifeln dafs die Be-
wegung sich selbst überlassen alle ihre Widersacher Hellenen und
Halbhellenen bezwungen und damit geendet haben würde den ganzen
Süden nebst Sicilien oskisch zu madien. Dieser Ausgang der Dinge
ward verhütet durch das Eingreifen Roms. In der Mitte der Halbinsel
geht die Erhebung der Eingeborenen nicht vom Gebirg aus sondern
von der Ebene, nicht von einer Landschaft sondern von einer Stadt,
nicht von einer Eidgenossenschaft sondern von einem EinheitssUat
So lange Rom um die natürlichen Grenzen seines Stadtgebiets, um den
§ tl. Die Latinisining. 555
Besitz der mittelitalischen Ebene ringt, ist es die Fobrerin der lati*
niscben Städte. Aber in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts
als sein Ehrgeiz die Herrschaft der Halbinsel erstrebt, wird es die
Führerin der Städte schlechthin , die Vorfechterin der Cultur gegen
das Fehdeleben der Stämme. Das Latinertum ist ihm fortan nur ein
Hebel den es neben anderen Hebeln verwendet. Mit Recht suchen die
alten Politiker das Geheimnils von Roms GrOfse in der VortrefTlichkeit
seiner Verfassung. In einem Schreiben von 214 t. Chr. stellt König
Philipp V von Macedonien den Hochsinn der Römer in der Verleihung
des Bürgerrechts als Huster auf: sie hätten durch solches Verfahren
nicht nur die eigene Stadt vergröfsert sondern nach nahezu 70 Orten
Colonien ausgesandt, i) In dem Zeitraum von 334 bis 263 ▼. Chr. haben
sie allein 19 latinische Festungen angelegt, welche durchweg Be-
satzungen von 3, 4, 6000 Mann erhielten. Durch Städte wurden die
Landschaften aus einander gerissen, die Stämme zerstückelt An ihren
Mauern ward der Ungestüm von Samniten und Kelten, die Feldherrn-
kunst eines Pyrrhos und Hannibal zu Schanden. Diese Zwingburgen
haben aufserdem die Latinisining Italiens angebahnt
Die Sprachverwirrung welche in Altitalien herrschte, erinnert an
die Legende vom Thurmbau zu Babel ; das heutige Oesterreich kommt
ihm darin kaum gleich. Rom hat die Verwirrung beseitigt, seiner
Rede die Obmacht verschafft über unentwickelte Mundarten und hoch
entwickelte Cultursprachen , nicht wie zuvor Athen und in der Folge
Florenz durch die Ueberlegenheit des Genius, vielmehr durch die bru-
tale Gewalt von Schwert und Stock. Latein wird um 400 v. Chr. auf
einem Raum von etwa 50 d. D M. gesprochen , soviel wir sehen mit
mancherlei dialektischen Abweichungen. Die Sprache war in vollem
Flufs begriffen, so dafs es den Gelehrten um 150 v. Chr. Mühe kostete
eine um 500 abgefafste Urkunde zu verstehen. Auch die heutigen
Philologen befinden sich älteren Denkmälern etwa des vierten Jahr-
hunderts gegenüber in Verlegenheit, ob das wirkUch Latein sei was
sich augenscheinlich als solches ausgiebt Innerhalb weniger Jahr-
zehnte wurde nun Rom eine Grofsmacht, gewann ungeheure Gebiets-
strecken, zu deren Besiedelung die ELraft des latinischen Stammes ent-
1) Hennes XVII 469, 31. — Asconias zu Cicero Pis. 3 Baiter rechnet Pli-
centia die letzte der vor 214 gegründeten Colonien als die 63 sie. Wenn man
aber die Fora hinzuzählt, Termindert sich die Abweichung zwischen dieser und
der Angabe des Königs. Letztere mit Mommsen a. 0. 483 fftr flbertrieben n
halten Ist unnötig.
556 Kap. XL Die Volksstamme.
fernt nicht ausreichte. In den Colonien mufs die Bevölkerung in ähn-
licher Weise gemischt gewesen sein wie in America und überseeischen
Hafenplätzen der Gegenwart Die alten Inschriften von Pisaurum , ja
noch das Latein welches Vitruv von Fanum schreibt, lassen uns ahnen
welches Kauderwelsch hier gesprochen wurde. Als Fibel für die Kin-
der diente das Gesetzbuch , als Hochschule für die Erwachsenen das
Feldlager und das Gericht. Ein Volk läfst schwer von seiner Eigenart:
bis auf den hannibalischen Krieg hatte das Latein die eroberten Ge-
biete noch nicht bemeistert, erkannte in campanischen Bürgergemein-
den das Oskische, in etrurischen das Etruskische als vollberechtigt an,
konnte an Verbreitung sich weder mit diesen beiden Sprachen noch
mit der keltischen und hellenischen messen. Mit der Niederlage Han-
nibals ist der Sieg des Latein in Italien entschieden : theils wegen der
schweren Einbufsen die Osker und Hellenen erlitten, theils wegen des
grofsen Zuwachses den die Gewinnung des Pothals in Aussicht stellte,
endlich vor allem durch den Erwerb der Weltherrschaft. Im Ausland
bilden die Italiker, Bundesgenossen wie Bürger den bevorrechteten
Stand und bedienen sich derjenigen Sprache, an deren Gebrauch der
Genufs beneideter Vorrechte geknüpft war. Aus der Rückwirkung des
Weltverkehrs auf die Heimat werden wesentlich die Fortschritte zu
erklären sein welche das Latein im Laufe des zweiten Jahrhunderts in
Hittelitalien gemacht hat. Nichtsdestoweniger haben viele Landschaf-
ten mit äufserster Hartnäckigkeit sein Vordringen bekämpft. Die ita-
lische Politik Roms verfolgt unablässig das Ziel die Stämme zu spren-
gen ; die von ihr zu diesem Behuf nach und nach vertriebene ver-
pflanzte angesiedelte Menschenmasse beziffert sich auf Millionen. Trotz
alledem brach 91 v. Chr. der gefahrvolle Bundesgenossenkrieg aus,
glaubte Sulla die Samniten mit Feuer und Schwert ausrotten zu müs-
sen um Roms Ruhe zu sichern. Hit der Weltherrschaft beginnt auch
künstlerische Pflege die Sprache zu gestalten, oder wie ein Dichter es
ausdrückt:
Poenieo hello secunäo Musa pinnato gradu
intuUt se bellieosam in Romuli gentem feram.
Die Bildner sind Griechen Halbgriechen Osker Umbrer Kelten.
Man kann nicht ohne Bewunderung das Wirken dieser Fremdlinge
betrachten , die Festigkeit und Klarheit welche sie einer verwilderten
Soldatensprache aufnötigten. Nach solchen Vorgängern hat der römische
Adel das Werk vollendet, mit höchster Feinheit und höchstem Glanz
geschmückt. Mit den römischen Waffen dem römischen Recht dem
§11. Die Latinisirang. 557
römischen Handel der römischen Cultur ergreift die neue Weltsprache
Ton den Städten des Westens Besitz. Ein ähnlicher Gegensatz zwischen
Stadt und Land wiederholt sich wie er im siebenten und sechsten
Jahrhundert die hellenischen Colonien und die Eingebornen Siciliens
getrennt hatte. Die Römersprache ist der Ausdruck wie die Schöpfung
der römischen PoUtik und will noch heutigen Tages über den Erd-
kreis gebieten. Die Einheit die sie den Völkern brachte, war theuer
erkauft Einem Volke angehörig dem Luthers Bibel und ein unerschöpf-
licher Liederschatz die gemeinsame alle Schichten der Gesellschaft
gleichmäfsig tragende Grundlage der Bildung geschaffen haben, sind
wir kaum im Stande den geistigen Jammer auszudenken der unter der
gleifsenden Decke äuCserer Wolfahrt das kaiserliche Italien erftlUte.
Viele Jahrhunderte mufsten vergehen, schwere Zeiten einbrechen, die
Einheit zerfallen , bevor der Gegensatz von Stadt und Land versöhnt,
die Sprache der Gebildeten und der Hassen ausgeglichen wurde, eine
italienische Nationalsprache erstand. Und selbst dann hat das Volk
nur zum Theil seine Freiheit zurück erlangt. Wenn jenseit der Al-
pen der Satz aufgestellt wird: ntdliana e lingua letterarta, fu scritta
sempre e non tnaiparlaia, so ist die Ursache dieser Erscheinung in der
Herrschaft zu finden welche die abgestorbene Römersprache tlber die
wichtigste Seite des Volkslebens noch immer ausübt. Die Latinisirung
hat in den Landschaften Italiens verschieden gewirkt, vernichtend im
Süden wo ehedem eine höhere Cultur geblüht, wolthätig im Norden.
Darauf ist schon verschiedentlich hingewiesen worden ; die Betrach-
tung des politischen Lebens wird im Einzelnen die Belege liefern.
Begister.*)
Acanthns 428
Acclimatisation 436 fg.
Acheloos 300
Addua 188
Adria 89 fg : Grobe 92 KaatenbildaDg
93 Namen 89. 92 Strömimg 104 Tie-
fen 93 Wildheit 90. 94. 384
Aegaten 369 fg.
Aegjpten Nordländer in 116
Aeolos 4A. 3. 385
Aeqner 514
Aethicna 36
Aetna 250. 274. 277. 280
Africaa 386
Agathemeroa 36
Agrippa M. 30
Agrumen 379. 423. 437
Albaner Gebirg 252. 260. 279
Alherti Leandro 51
Alkyonische Tage 385
Alpen : Abschnitte 146 fg. Ackerbau 171
Ausdehnung 141 fg. Bergbau 168
Gletscher 145 Goldfelder 167 Han-
nibals Uebergang 139. 155 fg. im
Mittelalter 166 Namen 137 fg. Na-
turgefflhl 171 fg. Niederschläge 144
Pässe 150 fg. Provinzen 79. 82. 85
StraCsen 152 fg. Thalbildung 143
Thierwelt 170 Unterwerfung 78. 152
Vegetationszonen 168 Viehzucht 170
Wald 169 Wegebau 150fg. Wirt-
schaft 167
Alpengrenze 73. 79
Alpenstrafsen : Gr. Bernhard 159 Kl.
Bernhard 158 St. Bernhardin 162
Birnbaumer Wald 166 Brenner 164.
166 M. Cenia 158 M. Groce 165 M.
Gen^Trel57 St.Gotthardl62 Julier
163 Maloja 154. 163 Reschen-Schei-
deck 163 Saifnits 165 Septimer 162
Simplon 161 Splflgen 162
Alpes: Atrectianae 147 A. 4 Garnicae
149 Geutronicae 147 A. Gottiae 146.
157 Graiae 147. 158 Inliae 149. 166
Maritimae 146. 157 Noricae 149
Poeninae 147. 159 Raeticae 148
Venetae 149
Alpes Appennioae 219
Altersgrenzen 410 fg.
Amphitheater 40
Anamaren 477. 481
Anaximander 6
Ancona 29 A. 4
Anio 314
Annio v. Viterbo 50
Anstedlungen 415
Autiappennin 233
Antiochos t. Syrakus 7. 17. 524
Appennin: Aze222. 240 Bau 221. 239
Begrenzung 141. 219 Gbarakter 220
Entwaldung 435 Name 217 Nieder-
schläge 224 Pässe 235 Schnee 223.
398 Sennerei 226 Thierwelt 227
VegeUlionszonen 224fg. Winde 382
Appennin Abschnitte 228 fg. : centraler
235 hemikischer 238 liguriacher 230
lucanischer 242 sabeilischer 236 sa-
binischer 238 samnitischer 240 tos-
canischer 231 umbriscber 233 yoIs-
kischer 238
AppenninflOsse Uebersicht 342
Apuaner 474
Apuaner Alpen 232
Apuler 541
Aputien: Hellenisirung 541 ÜQgelland
243 Kflste 337 Laünisirang 542
Malaria 337. 417 Städte 545 Tief-
land 241
Aquilo 384
Anminum Provinz 74
Arkynien 138
Arnus 303 fg.
*) Ds ein ToUitiBdigw VentieliiiiCi dtr aBtik«!! Ortraftneii dem sw«it«B Ba»d« toi-
Seseb«B werdta loll, aind U«r nv di« in dtr Dant«Uiuia behaadtlUa sttfii«fftkrt woiin.
Register.
559
ArCemidor 14. 17. 36
AsiniuB Pollio 17
AstroDomische Ortsbestimmong 28 fg.
32. 48
Atabulos 389
Aternas 339 fg.
Atesis 192
Atria 29 A. 4 91 fg. 491
Attfidus 337
Attg^ustos: Grabschriffc 30. 81 A. 1. Re-
gioDeneintbeiliiDg 35. 81 Wegebau
152 Wellkarte 17 A.1. 31.
Aumnker 531 fg.
Ausar 306
Aosoner 524. 531 fg. 544
Ausonia 65. 95. 524
Auster (Muschel) 113
Auster (Wind) 386
Avens 312
Barbaresken 114. 334. 359
Baumzucht 441. 450fg. EinfluGs auf
die BevölkeruDg 420. 455
Bauschutt 295
Bergbesteigungen 269. 276. 493 A. 4
Bergformen 461
Bergschlipfe 297
Bemsteinflufs 183
Bemsteinhandel 174
Bevölkerung Degeneration 411 fg. 418
Bewölkung 376. 395
Biondo FlaTio 49
Blumenzucht 457
Blutregen 388
Bohne 446
Boier 477. 482
Boreas 384
Bor^ hesi Bart. 43
BoTtanum yetna 528
Brettier: Befreiung 536 Name 536 in
der Sila 527 Staatswesen 537 Unter-
gang 537
Brot 544 A.
Bruttium 244 fg. Bewohner 527. 535
Erdbeben 284
Buche 425. 432.
Caesar 17. 77. 483
Calabrer 540. 543 A 2
Galabria 541
caligo 408
Galor 332
Campaner 525. 533
Gampanien 263 fg. Alphabet 524 Erd-
beben 284 Etrusker 500 iOima 379
Latinisirung 533 Name 532 (|;. Ur-
be wohner 531
Ganile 213
Gapenaten 514
Gapraria 367
Garacener 528
Gamer 479. 487
Gastaldo J. 48
Gato d. a. 20
Gaudiner 529
Gaurus 389
Gellarius 53
Gercius 383
Gerealien 444 fg.
Ghaoner 535. 544
Gharybdis 105fg.
Ghorograph bei Strabo 17
Ghroniken 20
Gicero 19. 329
Giminischer Wald 257
Girceji 4. 239. 324
aanis 299. 304. 311
Glanius 333
Glesis 189
Gluver Ph. 51 fg.
Goelins Antipater 22 A.
Golmatensystem 299. 305
Golonien hellenische 5. 120 fg. 533
— römische 555
Golumella 397
Goralle 113
Gorfinium 340
Gorsen: Abstammung 551 Gharakter
366 Mundart 550 A. 3 in Sardinien
550 Zahl 365
Gorsica: Flora 362. 366 Flüsse 363
Gebirge 363 Häfen 363 Lage 362
Malaria 364 Pässe 364 bei Ptole-
maeos 32. 551 A. 3 Wald 364 Zu-
sammenhang mit Etrurien 99 mit
Sardinien 362.
Gorssen W. 496
Gossyra 276
Gouvade 551
Grathis 336
crepuscolum 413
Groton Ebene 336
Gypresse 426. 442
Danville J. B. Bourgulgnon 53
Daunier 541
Deiche 209 fg.
Delisle Gull. 53
Delphin 111
Denkmäler 37 fg.
Deutochland Klima 373. 374. 380. 400
560
Register.
Dianiuni 369.
Diomedes 542. 544
Diomedes-Inseln 371
Dionys d. Perieget 36
DioDys d. St. ▼. Syrakas 10. 92
Drepana 290
Danenbildung 202
Dana 185
Ebbe und Flut 103 fg.
Ehen 407. 410 fg.
Eichen immergrüne 424. 437
— laubabwerfende 425
Eiszeit 177 fg. 222
Elba 367
Elymer 469. 546
Enterbrficke 124
Entwaldung 201. 301. 357. 402. 433
Ephoros 10. 17
Epopeus 252
Eratosthenes 11. 29
Erdbeben 283 fg.
Erdfalle 296
Eridanos 183
Erosion 296
Emteferien 400
Erntezeiten 399 fg.
Etesien 390
Etrurien: Appennin 231 Hflgelland
232.254 Raste 306 fg. Malaria 299.
417. VulkanischerTheil254fg.257fg.
Wasserbauten 299.
Etrusker: Abstammung 495 fg. Alter
496. 498 Charakteristik 501 Denk-
mäler 494 Einwanderung 498 Herr-
schaft 498 fg. Namen 496 zur See
115 Sprache 494fg. Verfall 502
Wandersagen 497
Euch 192 fg.
Euganeer 4S6fg. 491
Euganeische Hagel 253
Europa bei den Hellenen 9fg. 138fg. 468
Eurus 388
Fabius 17
Fälschungen 46. 50. 514 A. 6
Falisker 513
Farbe der Landschaft 461
FaYonius 385
Feldmesser 25
Feldsysteme 449
Fieber 41 3 fg.
Fische: Arten 109. 111 Gonsum 112
Extracte 1 1 2 Tiber 316 Züchtung 1 13
Fischerei 109 fg. 114 in den Lagunen
207. 307
Fischerzünfte 113
Fiumara 294. 398
Flachs 449
Fiöfserei 212. 318fg. 335. 433
Flotten: Bau 124. 433 Starke 12T
Zusammensetzung 127
Flüsse 292 fg. im Mythus 300
Föhn 388
Forbiger A. 56
Frentaner 527
Fretum Siculum 96 Strömungen 105
Frühling 404
Futterkräuter 448
Gades 2
Gallia citerior 76 togata 78 Aufhe-
bung der Provinz 78
Gallier : Bürgerrecht 77. 483 Charakter
481 Einwanderung 476 fg. Gefolg-
schaften 480 Grenzen 477 fg. Kriege
481 Mundart 474 fg. Name 475 fg.
Schrift 483 Stämme 477 Onterwei^
fung 482 Wehrkraft 74. 4S3
Gartenbau 439. 456 fg.
Gartenkunst 458 fg.
Geburten 407
Geflügelzucht 444
Gemüsemarkt 456
GrichUbarkeit 77. 82. 83
Gerste 446
Geschichtschreibung althelleniache 6. 7
römische 21
Gewitter 392
Gorgon 367
Grabsteine 42
Gradbestimmung 28. 48
Graeci 120. 544 A.
Gramineen 428
Griechenland 216. 249. 293. 376
Grofsgriechenland: Flüsse 334 fg. Ge-
schichte 63. 533 fg. 537 Name 59
Natur 246 Weltlage 246 Verödung
334. 465
Guido T. Pisa 47
Hafenbildung 93. 94. 95. 99
Hafer 448
Halykus 351
Handelspolitik 82 A. 2
Haus 409
Haushahn 444
Hausthiere 443
Hebung seculare 96. 288 fg. 355
Helm V. 420. 437
Hekataeos 7
Hellanikos 7
Hellenen als Nation 57 GolonisaüoD
120 an den tyrrfaenischen Küsten 121
Register.
561
Hercyniseher Wald 138. 161
Herniker 515
Herodot 8. 9
Hesiod 5
Hesperia 59
Heumahd 399
Himella 312
Himera 350
Hipparch 10. 13. 29
Hippys 7
Hirpiner 529
Hirse 446
Histrer 493
Holste Lucas 52
Homer 3. 4
HoDorius Julius 36
Hulsenfrachte 448
Hyperboreer 138
Hypsas 351
Jahresanfang 404
Jahreszeiten 376. 405 fg.
Japyger: Einwanderung 543 Erobe-
rung 544 Geschichte 545 Helleni-
sirung 541 fg. Inschriften 542 La-
tinisirung 542 Name 539. 543 A. 2
Sprache 541 fg. Stämme 540 fg.
SUmmsagen 543 Wehrkraft 545
Wolstand 545
Japyx (Wind) 390
Iberer In Gorsica 551
Iberien 215
Igilium 368
IgUTium Ritual 504. 507. 508 A. 4.
Ulyrische VölkerfamUie 490. 493. 542
IWa 367. 551
Inschriften 42. 467
Inseln 85 Auffassung des Worts 344
Kleine Inseln 366 fg.
lonios 89 fg. 94
Irrigation 214
Isarcus 192
Ischia 266
Istros 10
Italia Name: Aufkommen 60 älteste
Form 61 Uebersicht der verschie-
denen Bedeutungen 86 Umfang 60.
64. 65. 67. 80. 85 Ursprung 62
Wanderung 63
lUlici 72. 83
Italien: Aneignungsfahigkeit 420 Bau
57. 136. 248 fg. landschaftlicher
Charakter 464 fg. Gestalt 33. 48.
243 Gliederung senkrechte 226. 378
wagrechte 378 fg. Grenze des Au-
Nisitn, ItaL LmdMkvnd«. L
gnstns 79 des Diodetian 85 Lati-
nisimng 552 fg. PriTÜegien 82 fg.
Städte 44. 557 VölkerfamiUen 57.
466 Waldland 431 fg.
Italischer Bund 67 fg. Bundesgrenze
71. 76 Macht 124
Italische Grundsprache 503
Italische Mundarten 503 fg. 509
Itineraria 23 fg. picta 24
Kalender 396
Kalkstein 296
Karten: des Agrippa 30 von Italien
30 des 16. 17. Jahrhunderts 48 des
18. Jahrh. 53 des 19. Jahrb. 54
Und- 27. 36 Reise- 24
Karthago 353. 365
KasUnie 439
Katane 280
Kaoffahrer 133
Kiepert H. 56
Kirchen 40. 45
Kleidung 410
Klima 372 fg. Aenderungen 396 fg.
allgemeiner Charakter 374 fg. Haupt-
zonen 377 fg. Jahreszeiten 376
Kombau 445
Kriegsschiff 125 fg.
Küchenpflanzen 440. 443
Küsten adriatische 93. 234 Italiens
115. 217 tyrrhenische 99
Lacus Albanns 261
— Alsietiuus 260
— Ampsanctus 271
— Avernns 268
— Benacus 190
-— Ceresius 187
— Ciminins 258
— Clisius 182
— Eupilis 182
— Fucinus 298
— Fundanus 329
— Gabinus 260
— LariuB 180. 188
— Nemorensis 261
— Prilins 307
-> Sabatinus 259
~ Sebinus 189
— Trasimenus 298
— Umher 310
— Velinus 313
— Verbanus 181. 187
— Volsiniensis 258
36
562
Register.
LaguneD 202 fg. 307
Lambnu 188
Landeskunde im Ältertom 22
Landfrieden 68
Landschaft 460 fg.
Landwirtschaft Schriften 26
Larinaten 527
Latein 467. 520. 555 fg.
Latifundien 416. 418
Latiner 519 fg. Bund 522
Latium adiectum 520 antiqunm 521
Boden 255 fg. 260 fg. Gesteine 262
Küste 324 fg. Name 520 Wald 432
Lantnlae 328
Lavaströme 262. 270. 279
Lepontier 478
Leucit 265
Ltbumer 127
Ligorio P. 48
Lifforer: Älter 468 Kriege 473 Le-
bensweise 470 zur See 115 Sprache
469 Stamme 472 Unterwerfung 474
Wohnsitze 470 f;^.
Ligarien: Äppennin 230 Meer 115
Wald 434
Lingonen 477
Liqaentia 195
Liparen: Piraterie 122 Vulkane 250.
272 fg. Winde 281. 381. 385 Wirt-
schaft 369
liris 329 fg.
Litteratur römische 17 fg.
UWus 21
Lombardini E. 176 Ä.
Lorbeerform 423 fg.
Lucaner 533 fg.
Lucanien 242. 334 fg.
Maare 259
Macchia 430
Macra 303
Magini Änt 48
Mais 437
Malaria 301. 303. 308. 320. 325 fg. 329.
333. 334 fg. 337. 350. 357 fg. 363.
413 fg.
MalU 118. 370
Mannert K. 56
mare 88 als Landesgrenze 85
mare Ädrianum 90 Ä. 6
— Äusoninm 95
— Gallicum 101
— Ibericum 101
— inferum 89
— lonium 95
mare Libycnm 101
— Ligosticom 100 Fische 115
— Mediterraneum 101
— Nostrum 102
— Sardonm 100
— Siculum 95
— Supemm 89
— Tyrrenom 98
Maremma 307
Märini Gaetano 43
Marmora Ä. delia 54. 353 Ä. 3
Marrobbio 106
Marruciner 518
Marser 515 fg.
Martianus Gapella 36
Masten 133
Mastroca 361
Matten 428
Mediolanum 86
Meduacus 194
Mela Pomponins 34
Mella 189
Messapier 540. 543 Ä. 2
Metaurus 341
Milchregen 388
Mincins 189
Mistral 383
Mittelmeer: Farbe 110. 462 Fische
109 fg. Flora 421 fg. flanptrouten
118.131 KUma 374 fg. Name 101 fg.
Salzgehalt 107 Strömung 104 Tem-
peratur 102 Theile 97 Tiefen 93.
95. 96. 97. 99. 101 Yerdunstonff 103
Winde 381
Mittelstämme 508 fg.
Mommsen Th. 44
Mond 408
mons Äduia 148
— Älbanus 261
— Älburnus 242
— Älgidus 261
— Ärgentarius 307
— Aureus 363
— Caenia 146
— Girceiorum 239. 324
— Cremonis 147
— Eryx 348
— Fiscellus 237
— Garganns 241
— Gauros 298
— Gurgures 237
— Heirkte 348
— Heraeus 348
— Insani 358
— loTentio 230
— Lepinus 23S
Register.
668
mons Lncretilis 238
— Massiens 264
— Nebrodes 347
— Neptonius 347
— Ocra 149. 166
— Poeninus 147. 160
— Sila 245
— Soracte 238
— Tabnrous 241
. — Tifala 241
— Tifernos 241
— Vesiüiis 147
Mortalitöt 406 fg.
Munidpalgesehiehten 46
Myrte 432. 442
Myrtenform 425
Mythen internationale 65. 67. 490. 497.
542. 546
Mythen den Sommer betreffend 403
Nadelhölzer 426
Nar 312
Natorgemhl 134. 408
Natnrleben 402 fg.
Navigation 129 fg.
Niebuhr B. G. 44
Niederschläge 390 fg.
NotuB 386
Nnraghen 360
Obstbau 439. 455
Obstmarkt 457
Oelbau 454
Oelbanm 379. 422. 424. 441
Oenotrer 525
Oenotrides 525 A. 4
Oertel Abraham 51
Oglasa 368
Okeanos 103
Oieanderform 425
Olivenform 424
OUias 189
Opike 65
Opuntien 427
Orca 110
Orgns 185
Orosius 36
Osker: Denkmäler 523 Geschichte
537 fg. Hellenismus 538 Name 524
Schrift 524 Sprache 523 Stämme
527 fg.
Paeligner 516
Palmen 427
Pandateria 272. 369
Panormos 290
Pentrer 529
Peperin 252. 262
Periplen 10
Peschel 0. 2
Peuketier 540. 543 A. 2
Pflanzenkleid 462
Pflanzenzonen 421
Pherekydes 7
PhiUstos 206. 492
Phlegraeisches Gefilde 266 fg.
Phoenizier 117fg. in Italien 119. 122
in Sardinien 552 in Sieilien 119. 121
Picenter 511 fg.
Picennm 234
Pinie 426. 442
Piraterie 114. 122
Pisae proTincia 71. 74
Planasia 368
PlaTis 194
Plinins d. ä. 19 fg. 34. 276
Plinius d. j. 276. 281. 460 A. 3. 463
Po: Abflub 208 Aenderongen des
Laufs 186. 189. 190. 211 Deich-
brache 210 Gebiet 184 Hochflut 209
Lauf 185 fg. Mündungen 191. 205 fg.
Name 183 Quelle 184 Schiffahrt 213
Unterlauf 187 Wasser 200
Poedicnler 540
Poland: Ackerbau 446 fg. Anschwem-
mung 200 Bewdlkung395 Ganäle
213 Deiche 209 Entstehung 176 fg.
Fieber 415 Grenze 76. 77 Helleni-
scher Handel 174 fg. Irrigation 214
Klima 379 Küsten 202 fg. Marschen
199 fg. Rechtsstellung 75 Regen 391
Sdinee390 Seen 179 fg. Städte 77.
208 Uebersicht der Flüsse 196 fg.
VeffeUtion422 Wald 433 Wasser-
recht 212 Weinbau 453 WelUtel-
lung 174 fg. Winde 381 Wirt-
schaft 74
Polybios 12 fg. 17
Polyhistor 14
Pompeji 269. 270. 281. 282. 288. 334.
434. 523
Pomptinische Ebene 325 fg.
Pontmische Inseln 272. 369
Poseidonios 14. 17
Praettttier 512
Prodigien 278
Promis G. 46
Ptolemaeos Claudius 31 fg. in der Neu-
zeit 47
Purpur 113
Puteoli 290
36*
564
Register.
Pythagoras 6
Pytheas 11. 29. 103 Ä. 4. 139
Raeter: Abstammung 484 fg. Mand-
art 4S3 fg. Schrift 487 Unterwer-
fung 488
Raetien 161. 485
RaTenna Geograph v. 36
Raphael v. Volterra 50
Regen 391 fg.
regio annonaria 86
regiones urbicariae 86
RegioneneintheiloDg 81. 85
Reis 415. 438
Reisebeschreibang 18. 23
Renus 191
Rhegion 60. 96
Rhipae 13S
Ritter C. 2. 17. 56. 174 fg.
rivaUs 301
Rocca Monfina 252. 265 fg.
Rocoeo 460
Rohr 427
Rom: Rauart 323 Rauschutt 295 Re-
wölknng 395 geogr. Rreite 29 A. 3
Erdbeben 285 Feste 403 fg. Fieber
417 Holzverbrauch 434 Lage 217
293. 309 fg. Niederschläge 391. 393
Seemacht 124 fg. 127. Sociale Zu-
stande 41 1 fg. Stadtplan 27 Sterb-
lichkeit 405 fg. 412 Temperatur 396
Temperaturschwanknng 394. 413
Ueberschwemmnng 321 fg. Umge-
bung 416 Weltstellung 320 Winde
383. 385 Winter 400 fg.
Römer Verhältniis zum Erdbeben 2S4
zum Hochgebirg 172 zum Meer 88.
115. 125. 132. 133 fg. zu Vulkanen
278 *
Rudersehiffahrt 125 fg.
Rabe 446
Ruinen Vorkommen 40
Ruscelli Girolamo 4S
Rutuler 521
Sabeller 528
Sabiner 510 fg. 513
Saeprus 357
Safineis 526. 528
Sagrns 228. 240. 339
Salasser 478
Salinen 107 fg.
SaUentlner 540. 543 A. 2
Samniten: Gantone 528 fg. Eroberungen
529 fg. Grenzen 529 fg. Namen 526.
528 Wehrkraft 530 Vernichtung 531
Samnium 240
Sarden : Abstammung 552 Goltur 360
Mundart 550 Unabhaogigkeit 361
Verhältnifs zur See 359
Sardinien: Rergwerke 356 Bodener-
trag 359 FIftsse 357 Gebirge 356
Gröfse 353 Intemperie 357 fg. Kfiste
98. 354 Lagunen 358 bei Ptole-
maeos 32 Thierwelt 360 Vulkane
356
Sardns pater 552
Scandinayien 3
Schiffbau 124
Schiffahrt Anfange 116 zeitliche Be-
schränkung 129 fg.
Schiffersprache 133
Schnee 374. 390. 398
Schwefel 275
Scirocco 386 fg.
Secia 190
Seebäder 134
Seebecken 297 fg.
Seeleben 88. 115. 123
Seepolizei 123. 128
Seereisen 132
Seeschlachten 127
SeeUktik 124. 127
Segel 133
Senkung seculare 201. 288 fg.
Sesites 186
Sicilien: Rodenertrag 351. 424. 449
Flüsse 349 fg. Gebirge 347 Geolo-
gische Rildung 346 fg. Gröfse 346
Häfen 346 sec. Hebung 290 Klima
376. 395 bei Ptolemaeos 33 VdI-
kane 272 fg. Weltotellung 352 Winde
382
Sikaner: Abstammung 549 Alter 250.
547 Städte 548 Verfassung 60
Sikeler: Alter 4. 116 in Bmttidm 61.
535 Hellenisirung 548 in Latiom
548 Sprache 549 Wanderung 547.
549
Sicilisches Meer 95 fg.
Sidiciner 529. 532
Sila 245 fg. 431
Silarus 334. 529
Skylax t. Raryanda 10
Skylla 4. 105
Skymnos v. Ghios 11
Solinus 35
Sommer: Dörre 375. 397 Regen 375.
397 fg. Schlaf 375. 403 Sterblich-
keit 406 Wirkung auf die Pflanzen
393. 403
Sonne 408
Register.
565
Sontios 1^96
Spano GioT. 359 A. 6
Spelt 446
Städte : Charakter 37 Verödiuifl[ 39. 41
Städtebau : der Etrusker 501 Hellenen
545. 548 Römer 555 fg.
Steinsalz 350
Stephanos t. Byzanz 37
Steuerfreiiieit 82. 84
Stier im Glauben 63
Strabo 15 fg.
Strandrecht 129
Strafsen ansgemessen 27
Stara 185
Subappennin 221
Subsolanus 388
Sybaris 63 Ebene 336
Symaethus 349
Syrakus: Breite 29 A.l Klima 376 See-
macht 123 Temperatur 396 Winde 383
Tacitas 19
Tafelluxus 113
Tanager 334
Tanarus 186
Tarent 95. 545 Golf 240. 243
Tarsishandel 118
TarUrus 192
Tarus 189
Tauem 137
Tauriner 472
Temese 4 A.4
Tempelhaine 463
Temperatur 374. 379. 394 fg.
Terremare 447 A.4
Thau 393
Theophrast 11
Thukydides 9 A. 2
Thunfisch 110
Tiber: Fischfang 316 Flöfserei 318
Gebiet 309 in der Kunst 294 Lein-
pfad 318 Mittellauf 311 fg. Mün-
dung 315. 324 Name 308 Neben-
flüsse 309 Oberlauf 309 fg. Oberes
Thal 463 Schiffahrt 316 fg. Tiefe
315.317 Ueberschwemmung 321 fg.
Unterlauf 313 Versumpfung 320
Wasser 315 WassersUnd 317
Ticinus 187
Tiliaventus 195
Timaeos 12. 17
tofus 280
Toga 70. 410
Tolenus 313
Tolfagebirg 257
topiarius 460
Topographie 37 fg. 44 der Renaissance
50
torrens 294
Travertin 263
Trebia 188
Treibhäuser 458
Trerus 330
Trinakria 4
Truentus 341
Tuder 480
Tuff 256. 264
Tyrrhenia 65. 500. 553
Tyrsus 357
Umbrer: in Aemilia 506 in Etmrien
505 Latinisirung 508 Name 505
Sprache 504 Städte 507 Unterwer-
fung 508 Wohnsitze 505 Zersplit-
terung 507
Umbrien: Appennin 234 Hochland 235
Hügelland 236 Thal 310
Umbro 307
Urgo 367
Valerius Antias 22 A.
Var 302
Varro 20. 373. 513
Vegetation 419 fg. immergrüne 402 fg.
423 fg. 436. 462
Veneter: Abstammung 490 fg. Ein-
wanderung 491 Mundart 488 fg. Na-
me 489 fg. Pferdezucht 491 Reich-
tum 492 Schrift 492 Wehrkraft 491
Venetien 199 fg. 208 fg.
Ter sacrnm 62. 510
Verdunstung 375. 393
Vestiner 517
VesuT 251. 268 fg. 281 fg.
Vibius Sequester 36
Viehzucht 443
Villa 459
ViUlos 62
Völkertafel 3
Volksstämme 466 fg.
Volsker 518 fg
Voltumus (Flufs) 331 fg.
Volturnus (Wind) 389
Vofs J. H. 55
Vulkane: Ausbrüche 283 Zahl 250 fg.
Vulkanismus 248 fg. Theorien 277
Vultur 271
Wald 429 fg. 462 fg.
Waldbestand heutiger 430. 436
Wasser Thätigkeit des 294 fg.
Wasserbaukunst 199. 213
566
Register.
Wasserfragen 211 fg. 300. 313. 327
Wehrkraft 84
Weinausfuhr 452
Weinbau 451 fg.
Weinstock 441. 451
Weizen: Aussaat 399 Einführung 447
£mte 400 Ertrag 351. 449
Westphal J. H. 220 A. 2. 327
Winde 380 fg.
Windgebiete 381 fg.
Winter harter 400 fg.
Wirtschaftsformen 450
Wohnweise 409
x"
• \
t
V
"- ■\'^<-': I •
( .
j ' •
Dnck Ton J. B. Hin ehftld la Lvipiic.
1
J
•*