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Full text of "Italische landeskunde"

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ITALISCHE 


LANDESKUNDE 


VON 


HEINBIGH  NISSEN 


ERSTER  BAin) 


LAND  UND  LEUTE 


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BERLIN 

WEIDMANN8CHE  BÜCHHANDLUNG 

1883 


Ea^amg  iv  roic  xoXoooucol^  f(n^oig  ov  xo  xa^'  ixaaxov  axQißhq 

^fuv,  iHa  TOlq  xa^oXov  ngoaixofiev  imkkov  d  xaXfSi  xo  okov,  oi^ro^c 

vmitotg  Set  noifta&ai  ttpf  xqIoiv,    xoXoaaov^la  yaQ  ric  xoi  mrtri^ 

gteyila  ^^iifvaa  nwg  ix€i  x€d  tä  oAa. 

StnlMD 


WILHELM  HENZEN 

IN  BOM 


IIS    DANKBAREB    ERINNEBÜNa 


ZUGEEIGNET 


INHALT 


EINLEITUNG 
Die  Quellen 

Seit» 

1.  Die  helleiüsche  GoloDisation 2 

2.  Das  fünfte  Jahrhundert 6 

3.  Der  Hellenismna 9 

4.  Polyhios  und  seine  Schule 12 

5.  Strabo 15 

6.  Die  römische  litterator 17 

7.  Hül&bücher  der  Praxis 22 

8.  Landkarten 27 

9.  Geographische  Gompendien 33 

10.  Die  Denkmäler 37 

11.  Die  neueren  Darstellungen 47 

KAPITEL  I 
n'ame  und   Grensen 

1.  Ursprung  des  Namens 68 

2.  Wanderung  des  Namens 63 

3.  Der  italische  Bund     ...    - 67 

4.  Die  Alpengrenxe 73 

5.  Italien  unter  den  Kaisem 81 

KAPITEL  U 
Das  Keer 

1.  Die  Adria 89 

2.  Das  sidlische  Meer 94 

3.  Das  tyrrhenische  Meer 97 

4.  Meeresströmungen 101 

5.  Salinen 107 

6.  Fischerei 109 

7.  Die  SecTölker 114 


yi  Inhalt. 

Seite 

8.  Die  Kriegsniirine 123 

9.  Die  Schiffahrt 129 

10.  NatnrgenullB 133 

KAPITEL  in 
Die  Alpen 

1.  Namen 137 

2.  Anadehnang 141 

3.  NiederaehUge 144 

4.  Einzelne  Ahachnitte 146 

5.  Wegehan 160 

6.  Stralaen  nach  Gallien 155 

7.  Stralaen  nach  Raetien 160 

S.  Stralaen  nach  Dlyrien' 164 

9.  Wrtachart 167 

10.  Naturgefühl 171 

KAPITEL  IV 
Das  Foland 

1.  Entatehong 176 

2.  Die  Seen 179 

3.  Der  Polauf 163 

4.  Einzelfiflaae 191 

5.  Uebersicht  der  Flfiase 196 

6.  Die  Marschen 199 

7.  Die  Lagunen 202 

8.  Die  Deiche 208 

9.  Die  Gan&le 212 

KAPITEL  V 
Der  Appennin 

1.  Name 217 

2.  Bau 219 

3.  VegeUÜon 223 

4.  Nordappennin 228 

5.  Mittelappennin 235 

6.  Südappennin 239 

7.  Bruttinm 244 

KAPITEL  \l 

Der  Valkanismas 

1.  Thätige  Vulkane 250 

2.  Etrurien  und  Latium 254 


hhtlt  vn 

8«ito 

3.  GampaBieD 263 

4.  Sicilien 272 

ft.  YidkaAiisehe  Efscheinangeii 276 

6.  Erdbeben 283 

7.  HdiDog  und  Senkung 238 

KAPITEL  vn 
Die  Appenninflünne 

1.  Die  Tbätigkeit  des  Wassers 294 

2.  Die  nosse  des  Nordens 302 

3.  Der  Tiber 308 

4.  Die  Latiner  Kflste 324 

5.  Liris  und  Voltnrnus 828 

6.  Gro/sgriechenland 334 

7.  Die  adriatiscben  Flüsse 337 

8.  Uebersichi  der  Appenninflfisse 342 

KAPITEL  HD 
Die   Inseln 

1.  Sidlien 345 

2.  Sardinien 353 

3.  Gorsica 362 

4.  Kleine  Inseln 366 

KAPITEL  IX 

Dan  Klima 

1.  Allgemeiner  Gbarakter 374 

3.  Die  Hauptsonen 377 

3.  Die  Winde 3gQ 

4.  Die  NiederseblSge 39q 

5.  Die  Temperatur 394 

6.  Aenderungen  des  Klima 396 

7.  Das  Naturleben 4Q2 

8.  Die  Malaria 416 

KAPITEL  X 

Die  Vegetation 

1.  Die  Kflstenflora 421 

2.  Der  Wald •    .  429 

3.  Die  Aedimatisation 436 

4.  Die  Gerealien 444 


-T    -J-— 


vra 


Inhalt 


Beite 

5.  Die  Baomzucht 450 

6.  Der  Gartenbau 456 

7.  Die  Landschaft 460 


1.  D 

2.  D 

3.  D 

4.  D 

5.  D 

6.  D 

7.  » 

8.  D 

9.  D 

10.  D 

11.  D 


KAPITEL  XI 
Die  VolksBt&mme 

e  Ligurer 468 

e  Gallier 474 

e  Raeter 483 

e  Veneter 488 

e  Etruaker 493 

e  Umbrer 502 

e  MittelsUunme 508 

c  Osker '. 522 

e  Japyger 539 

e  InselTölker 546 

Latinisimng 552 


REGISTER 558 


EINLEITUNG. 


Die  Quellen. 

Wie  Italien  zur  ROnieraeit  aussah,  soll  in  diesem  Handbuch  be* 
schrieben  werden.  Der  erste  Band  versucht  ein  Gesammtbild  des 
Landes  zu  entwerfen;  der  zweite  wird  die  Städtekunde  enthalten. 
Die  Aufgabe  das  Verstdndnifs  des  classischen  Altertums  zu  fördern 
und  weiteren  Kreisen  zu  vermitteln  hat  dieser  Theil  der  Weidmann- 
sehen  Sammlung  mit  den  übrigen  gemeinsam ;  aber  die  Lösung  der 
Aufgabe  raufs  auf  wesentlich  anderen  Wegen  erstrebt  werden.  Die 
Darstellung  des  antiken  Staats,  der  antiken  Religion,  des  antiken 
Privatlebens  ruht  auf  der  Ueberlieferung  und  trägt  einen  rein  histo- 
rischen Charakter.  Die  Landeskunde  ruht  auf  einer  Grundlage,  die 
dem  Bereich  der  Altertumsforschung  entrückt  ist,  auf  den  Ergeb- 
nissen der  modernen  Naturwissenschaft.  Es  ist  ja  noch  immer  das- 
selbe Land,  dessen  Reize  Vergil  besungen,  dessen  Geschichte  Livius 
erzählt  hat.  Die  physischen  Verhältnisse,  welche  seine  Eigenart  be- 
stimmen, Bodengestaltung  Gliederung  Klima  haben  seit  Jahrtausenden 
keine  oder  verschwindend  geringfügige  Aenderungen  erlitten.  Die 
vielseitige  rastlose  Arbeit  der  Neuzeit  hat  ihr  Verständnifs  in  einem 
Umfang  und  einer  Tiefe  erschlössen,  wovon  frühere  Epochen  rieh 
nicht  träumen  liefsen.  Unsere  Karten  breiten  vor  den  Blicken  einen 
Schatz  von  Belehrung  als  Gemeingut  aus,  den  zu  sammeln  auch  der 
fleifsigste  antike  Chorograph  aufser  Stande  gewesen  wäre.  Während 
kein  Forscher  daran  denkt  das  geistige  Leben  des  Altertums  in 
gleichem  Sinne  erfassen  zu  können  wie  die  Zeitgenossen,  während 
er  an  ihrer  Hand  mühsam  nachzuempfinden,  Staat  und  Gesellschaft 
zu  begreifen  trachtet,  ist  jeder  Laie  über  den  Schauplatz,  auf  dem 
jene  Entwicklung  sich  vollzogen,  von  vornherein  besser  und  gründ- 
licher unterrichtet.  Es  föllt  heutigen  Tages  Niemand  mehr  ein 
auf  das  gereifte  Wissen  der  Gegenwart  Verzicht  leisten,  die  Länder 

Killen,  Itel.  Landeikud«.  I.  1 


2  Einleitung.  Die  Quellen. 

der  alten  Welt  durch  Anhäufung  gelehrter  Citate  veranschaulichen 
zu  wollen.  Das  Wort  Seneca's  pretium  aperae  quo  nuttum  maius  est 
nasse  naturam  wird  allseitig  beherzigt.  Die  Methode  vergleichender 
Betrachtung,  weiche  in  Deutschland  zumal  durch  Carl  Ritter  und 
Oscar  Peschel  ausgebildet  worden  ist,  geniefst  bei  Philologen 
ebenso  unumwundener  Anerkennung  wie  bei  den  berufenen  Ver- 
tretern der  Erdkunde.  Immerhin  hat  ihre  Anwendung  von  philo- 
logischer Seite  her  mit  besonderen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen.  Wir 
benutzen  die  Ergebnisse  der  modernen  Forschung  ledigUch  zu  dem 
Zweck  die  Vergangenheit  zu  erläutern:  da  hält  es  schwer  eine  be- 
friedigende Auswahl  des  hierfür  geeigneten  Stoffes  zu  treff'en,  noch 
schwerer  den  ausgewählten  Stoff*  seiner  Bestimmung  anzupassen  und 
in  schicklicher  Weise  mit  der  historischen  Ueberliefening  zu  ver- 
binden. Ueber  letztere  wird  ausführUcher  zu  handeln  sein.  Die 
Gegenwart  liefert  unserer  Schilderung  Rahmen  und  Hintergrund; 
es  hängt  von  den  jeweiligen  Nachrichten  d«  h.  vielfoch  vom  Zufall 
ab,  ob  und  inwieweit  derselbe  ausgefüllt  werden  kann.  Mit  dem 
Mafs  einer  heutigen  Darstellung  gemessen,  ist  die  antike  Chorographie 
unsagbar  arm  und  mufe  sieh  damit  trösten,  dab  sie  vor  der  Ver- 
suchung über  einer  verwirrenden  Masse  von  Einzelheiten  den  all- 
gemeinen Zusammenhang  zu  vergessen  eben  durch  ihre  Armut  be- 
wahrt bleibt.  Die  litterarischen  Zeugnisse  wie  die  erhaltenen  Denk- 
mäler erstrecken  sich  über  den  ganzen  Zeitraum  von  den  AnHingeQ 
geschichtlichen  Lebens  bis  zur  Völkerwanderung,  gehören  indessen 
vorwiegend  den  späteren  Perioden  an.  Erst  als  die  gesammte  Ent- 
wicklung des  Altertums  zum  Abschlufs  gelangt  und  der  eintretende 
Stillstand  zugleich  die  drohende  Auflösung  ankündigt,  erst  mit  der 
Monarchie  beginnen  unsere  Quellen  reichlich  zu  fliefsen.  Eine  Ueber- 
sieht  über  den  Umfang  und  den  Wert  der  Ueberliefening  dient  dazu 
die  Grenzen  aufzudecken,  an  welche  die  italische  Landeskunde  gebun- 
den ist 

§  1.    Die  hellenische  Colonisation. 

Die  Geographie  ist  eine  spätgeborne  Tochter  der  Cultur.  Handel 
und  Krieg,  die  beiden  Factoren,  welche  vor  allem  das  geographische 
Wissen  fördern,  reichen  bis  in  die  ältesten  Zeiten  hinauf.  Bereits 
im  14.  Jahrhundert  v.  Chr.  sind  italische  Abenteurer  ausgesegelt 
uro  das  ferne  Nilland  zu  plündern;  um  1100  v.  Chr.  haben  die 
Phoenizier  Gades  im  silberreichen  Spanien  gegründet,  die  erste  Stadt 


I  1.  Die  helleniscbe  Colonisation.  8 

auf  europäischem  Boden,  deren  Erbaaung  glaubhaft  bezeugt  wird.  Die 
lenntnifs  der  Seewege,  der  Hafen  und  Handelsplätze  pflanzt  sich 
oiQndlich  durch  eine  lange  Reihe  von  Geschlechtern  fort,  betör  der 
Versuch  gemacht  sie  schriftlich  festzuhalten  und  damit  die  Möglichkeit 
geboten  wird  sie  theoretisch  zu  verwerten.  Der  Verlust  der  phoenizi- 
scben  Litteratur  bedingt  es ,  dafs  wir  die  ersten  Nachrichten  über  Ita- 
lien den  Hellenen  verdanken.  Aber  auch  für  die  Folge  schöpfen  wir 
bei  ihnen  die  reifste  Belehrung.  Auf  den  Entdeckungen  der  Vor- 
ganger fufsend,  wufsten  die  Hellenen  den  Zufall  unter  die  Regel,  die 
Erfahrung  unter  die  Herrschaft  des  Gesetzes  zu  beugen.  Von  allen 
Vdlkern  des  Altertums  besafsen  sie  allein  die  geistige  Weite  um  den 
kosmischen  Zusammenhang  zwischen  Natur  und  Menschheit  zu  ahnen 
und  zu  begründen.  Wie  der  Name  griechisch,  ist  die  Geographie  unter 
fiotmäfsigkeit  der  Römer  immerdar  eine  griechische  Wissenschaft  ge- 
blieben. 

Die  See  vermittelt  den  grofsen  Verkehr.  Deshalb  werden  die 
Kosten  zuerst  bekannt,  bleibt  die  Kunde  lange  auf  sie  beschränkt  ohne 
in  das  Innere  vordringen  zu  können.  Dem  Auge  des  Seefahrers  ent- 
zieht sich  der  Bau  der  Continente:  er  sieht  nur  einzelne  Theile  ohne 
Verbindung  unter  einander  hervorragen,  wird  durch  die  sinnliche  An- 
schauung unwillkürlich  dazu  verleitet  in  seiner  Vorstellung  die  Land- 
massen  in  eine  Inselwelt  aufzulösen.  Unter  dieser  Gestalt  erscheint 
Europa  in  jener  ehrwürdigen  Völkertafel,  welche  den  Stand  des  Erd- 
wissens, wie  es  sich  durch  die  Fahrten  der  Phoenizier  etwa  um  1100 
V.  Chr.  gebildet  hatte,  darlegt,  i)  Unter  dieser  Gestalt  erscheint  Scan- 
dinavien,  nachdem  die  römische  Eroberung  den  geographischen  Hori- 
zont bis  zum  Polarkreis  hinauf  erweitert  halte.  ^)  Als  Inselgruppe  spie- 
gelt sich  auch  Italien  in  den  ältesten  Denkmälern  griechischer  Littera- 
tur, den  Gedichten  Homers  und  Hesiods  ab.  Homer  galt  den  Alten 
als  Begründer  der  Brdkunde.  In  der  That  nimmt  dieselbe  von  ihm  ihren 

1)  Genesis  10,4:  »Die  Kinder  von  Javan  sind  diese:  Elisa  (Sicilien ?)  Tharais 
(Spinien)  Kithim  (Kypros)  nnd  Dodanim  (Rliodos).  Von  diesen  sind  ausge- 
breitet die  Inseln  der  Heiden  in  ihren  Landern,  jegliche  nach  ihrer  Sprache 
Geschlechtem  nnd  Leuten.  **  Vgl.  Kiepert,  aher  die  geograph.  Stellung  der  nörd- 
lichen lünder  in  der  phdn.-hebr.  Erdkunde,  Monatsber.  d.  BerL  Akad.  1859.  S.  191  fg. 

2)  Plinius  N.  H.  lY  96 :  sinus  Codanus  refertus  insuHs  quarum  elarittima 
9tt  Seanäinmna  ine&npertae  magnÜHdinü  ....  eb.  104  sunt  qui  et  aüat 
prodant,  .Seaiufia«  (Skaane)  Dumnam  (Dynnesoe)  Fergoi  (Bergen)  mawimam- 
que  omnium  Nerigon  (Norge)  9X  qua  in  Thylm  notn^efirr;  Tgl.  Mela  III 
31.  64.  Ptolemaeos  II  11,  33,  VBI  6. 

1* 


4  EinleitQiig.  Die  Qaellen. 

Ausgang.  Aber  ein  geographisches  System ,  eine  klare  Anschauung 
der  Mittelmeerwelt  ist  ihm  von  Gelehrten  des  Altertums  wie  der  Neu- 
zeit mit  grofsem  Unrecht  zugeschrieben  worden.  Die  Irrfahrten  der 
homerischen  Helden  sind  Nachklänge  an  die  Erzählungen  kohner  Ge- 
sellen, die  Gewinn  suchend  und  Abenteuer,  die  sicheren  Pfade  der 
Heimat  verlassen,  den  Meereswogen  ihr  GlUck  vertraut  hatten.  Unver- 
ständlich, wunderbar  lauteten  die  Berichte  der  Heimgekehrten;  denn 
fremdartig  und  so  ganz  anders  war  ihnen  alles  draufsen  erschienen 
und  seltsame  Dinge  hatten  sie  vernommen.  Daraus  schuf  die  geschäf- 
tige Phantasie  eines  einzig  begabten  Volkes  jene  Ueblichen  Märchen, 
an  denen  sich  seither  der  Menschen  Herz  erfreut  hat  Des  Mafsstabs 
von  Raum  und  Zeit  spottend,  lassen  sie  doch  erkennen,  wie  der  helle- 
nische Verkehr  sich  ausbreitete  und  damit  der  Bestand  des  Wissens 
mehrte.  Die  Odysseelieder,  welche  die  frühste  Kunde  italischer  Gegen- 
den verbringen,  mögen  dem  7.  und  8.  Jahrhundert,  der  Epoche  der 
grofsen  Golonisation  angehören.  Sie  nennen  das  Volk  der  Sikeler  und 
das  Land  Sikania  ^),  Skylla  und  Charybdis  in  der  Strafse  von  Messina  s), 
die  Ziegeninsel  d.  h.  eine  der  Aegaten  an  der  NWSpitze  Siciliens,  die 
äolische  Inselgruppe  zwischen  diesem  und  dem  Festland.^)  Auf  letzte- 
rem wird,  von  zweifelhaften  Namen  abgesehen,  mit  Aia,  der  Insel  der 
Kirke  deutlich  das  inselarlig  aus  den  pontinischen  Sümpfen  aufstei- 
gende und  vielleicht  überhaupt  erst  in  historischen  Zeiten  landfest  ge- 
wordene Vorgebirge  Circeji  bezeichnet  4)  Hiermit  hat  der  Dichter  die 
äufserste  Grenze  seiner  Kenntnifs  erreicht,  da  er  das  Weltmeer  und 


1)  Sklavenhandel  ig  SmeXovg  XX  383,  XmU?  rifro^  ^^IV  211.  366.  389, 
Zuiayln  XXIV  307.  Auch  der  Name  der  Heliosinsel  Bgiycocin  X1 107,  XU  127, 
XIX  275  scheint  misverstanden  aus  Tgtyaxgia  „Dreispitz",  eine  Bezeichnnng 
die  Sicilien  früh  in  der  Schiffertradition  erhalten  hahen  mag  (Strabo  VI  265, 
zuerst  nachweisbar  Thokyd.  VI  2):  daü»  die  Insel  unbewohnt  sein  soll  Xn  351, 
beweist  nur  dafo  die  Kenntnifo  des  Dichters  sich  in  nebelhaften  Umrissen  bewegt. 

2)  Vgl.  Kap.  n  4. 

3)  Die  Liparischen  Inseln  wurden  von  den  Alten  nach  Aeolos  benannt 
(Thuk.  ni  88  a.  a.).  Die  Gruppe' zählt  7  gröfaere  und  eine  Anzahl  kleinerer 
Inseln.  In  artiger  Weise  ist  dieselbe  in  dem  Hause  des  Aeolos  X  1  fg.  perso- 
nifidrt,  so  dafs  der  Vater  mit  seinen  6  Söhnen  die  gröGMren,  die  Mutter  mit 
den  6  Töchtern  die  kleineren  jenen  yermahlten  Inseln  darstellen  vgl.  Kap.  VI  1. 4. 

4)  Die  Sage  yon  den  Sirenen  ist  am  Golf  yon  Neapel  localisirt,  am  Avemer 
See  in  der  Nähe  von  Kyme  der  Eingang  in  die  Unterwelt.  Ob  unter  Tkfiicii 
I  183  (dazu  Strabo  VI  255)  das  brettische  Tempsa  zu  verstehen  sei,  ist  sehr 
zweifelhaft.  Ueber  Girc^i  vgl  Theophrast  bist,  plant.  V  8,  3,  Plin.  N.  H.  lU 
58,  Varro  bei  Serv.  Verg.  Aen.  HI  386,  Procop  bell.  Goth.  I  11,  Kap.  Vin4. 


§.  1.  Die  hellenische  Golonisation.  5 

das  in  ewiger  Nacht  begrabene  Land  der  Kimmerier  folgen  bfst.  In 
die  italische  Scenerie  der  Irrfahrten  des  Odysseus  hat  er  femer  fremd- 
artige Zage  bunt  verwebt,  die  theils  auf  das  Schwarze  Meer,  theils  auf 
die  oeeanischen  Entdeckungen  der  Phoenizier  hinweisen.  Die  Gedichte 
Hesiod's  verraten  die  zunehmende  Vertrautheit  mit  dem  Westen  i): 
sie  erwähnen  den  Aetna,  Ortygia  die  Statte  von  Syrakus,  das  Volk  der 
Ligurer.  Wenn  indessen  nach  der  Theogonie  Odysseus  mit  des  Helios 
Tochter  Kirke  den  Agrios  und  Latinos  zeugt,  „welche  in  weiter  Ferne 
im  Winkel  der  heiligen  Inseln  über  die  Tyrsener  herrschen,^^  so  er- 
sieht man,  dafs  ihr  Verfasser  zwar  von  Latinem  und  Etruskem  gehört, 
aber  der  alten  Schiffervorstellung  sich  noch  nicht  entschlagen ,  noch 
nicht  begriffen  hat,  dafs  Italien  ein  einheitliches  Festland  sei. 

Wahrend  des  heroischen  Zeitalters  suchten  die  Hellenen  im 
Westen  das  Wunderland ,  das  ihre  Einbildungskraft  mit  allen  Reizen 
und  Schätzen  ausstattete.  Die  Thatsache,  dafs  der  unermefsliche  Reich- 
tum phoenizischer  Kaufherren  dorther  stammte,  auf  der  Gewinnung 
des  spanischen  Silbers,  des  brittischen  Zinns,  des  deutschen  Bernsteins 
berohte,  giebt  eine  einfache  Erklärung  fUr  diftse  Geistesrichtung  an 
die  Hand.  Seit  dem  8.  Jahrhundert  haben  die  Hellenen  einen  Theil 
des  Welthandels  an  sich  gerissen,  eine  Reihe  machtvoll  aufblühender 
Städte  an  den  italischen  und  sicilischen  Küsten  gegründet,  ja  letztere 
ein  halbes  Jahrtausend  hindurch  beherrscht.  Bis  auf  die  Perserkriege 
imd  den  Aufschwung  Athens  haben  die  Colonien  das  Mutterland  nicht 
nur  an  Wolstand  sondern  auch  an  geistiger  Regsamkeit  übertroffen. 
Wenn  man  ihre  bahnbrechenden  Leistungen  in  Mathematik  und  Natur- 
wissenschaft, in  Philosophie  und  Geschichtschreibung  überschlägt, 
drangt  sich  unwillküriich  die  Frage  auf,  wie  es  gekommen ,  dafs  sie 
sich  so  wenig  um  ihre  neue  Heimat  bekümmert,  so  dürftiges  Licht  über 
deren  Natur  und  Bewohner  verbreitet  haben.  Allerdings  sind  nur  ge- 
ringe Bruchstücke  der  in  den  Colonien  verfafsten  Geschichtsbücher 
auf  uns  gelangt;  aber  der  Sammelfleifs  von  Gelehrten  der  Kaiserzeit 
hat  sie  doch  hinreichend  durchstöbert  und  ausgebeutet ,  um  uns  ein 
Unheil  über  den  Inhalt  zu  ermöglichen.  Es  ist  klar,  die  Berichte  über 
die  Vorzeit  Italiens  lassen  sich  nicht  von  weitem  denjenigen  an  die 
Seite  stellen,  welche  uns  über  die  deutsche  Vorzeit  bei  Caesar  Plinius 
Tacitus  erhalten  sind.  Die  Erwägung,  dafs  beide  Gruppen  durch  die 
Aufklärung  eines  halben  Jahrtausend  von  einander  getrennt  sind,  läfst 


1)  Stnbo  I  23,  Vn  300,  Theog.  1011  fg. 


6  fimldtiing.  Die  QveUeii. 

UDS  Ober  deo  Grund  dieser  Sachlage  aichl  im  Zweifel  sein.  Seit  den 
Freiheitskriegen  haben  die  Hellenen  zwar  allmälich  gelernt  die  Wirk- 
lichkeit als  solche  aufzufassen  und  ihre  Beobachtungen  in  die  Form 
nüchterner  Prosa  einzukleiden.  Aber  die  mythische  Tradition  lastete 
schwer  auf  den  Gemtttern,  und  wenn  auch  Thukydides  die  Darstellung 
der  zeitgenossischen  Ereignisse  innerhalb  der  griechischen  Welt  auf 
das  Wirken  realer  Kräfte  zurückführte,  so  flüchtete  die  Dichtung  als- 
bald in  das  unbekannte  Gebiet  der  Barbaren ,  um  hier  von  der  fort- 
schreitenden Kenntnifs  und  der  fortschreitenden  Kritik  in  immer  wei- 
tere Fernen  gescheucht  zu  werden.  Damit  sind  die  Hellenen  in  der 
Periode  ihrer  nationalen  Blüte  aufser  Stande  gewesen  das  italische 
Land  und  Volk  objecti?  zu  schildern,  weil  sie,  im  Wunderglauben  be- 
fangen, in  Märchen  und  Fabeln  redeten.  Sodann  fehlte  zwischen  Ein- 
gebornen  und  Eingewanderten  der  grofse  Gegensatz  in  Sitte  und  An- 
schauung, der  die  Hellenen  vom  Orient,  die  Römer  vom  Germanentum 
schied.  Weder  die  griechischen  Städte  noch  die  italischen  Gemeinden 
waren  unter  sich  zu  einer  festen  Einheit  verbunden,  der  wechselsei- 
tige Ausgleich  zwischen  beiden  ging  unmerklich  von  statten ,  als  ver- 
stünde er  sich  von  selbst.  Und  als  endlich  Italien  die  Herrschaft  der 
Hellenen  stürzte,  hatte  es  bereits  ihre  Gultur,  ihre  wichtigsten  Le- 
bensformen sich  angeeignet.  Dazu  kam  an  dritter  Stelle  die  Ausschliefs- 
lichkeit,  welche  einer  jeden  Bildung  innewohnt.  Wir  hegen  eine  an- 
geborne  Scheu  unser  Gedächtnifs  mit  fremdartigen  Namen  zu  belasten, 
Lautgebilde  in  den  Mund  zu  nehmen ,  die  demselben  nicht  zusagen. 
Die  Alten  trieben  die  Enthaltsamkeit  unendlich  viel  weiter:  daher  rührt 
der  Mangel  an  antiken  Benennungen,  der  sich  dem  Chorographen  so 
oft  und  so  schmerzlich  fühlbar  macht.  0  Nach  diesen  Vorbemerkungen 
wenden  wir  uns  den  einzelnen  Gewährsmännern  zu. 

§  2.   Das  fünfte  Jahrhundert. 

Auf  Homer  den  Dichter  liefsen  die  Alten  als  zweiten  Geographen 
den  Philosophen  Anaximandros  aus  Milet  folgen,  der  wahrscheinlich 
nach  phoenizischen  Vorbildern  unter  den  Hellenen  zuei*st  eine  Erd- 
karte entwarf.  Die  Verdienste  der  ältesten  Philosophie  sind  hoch  an- 
zuschlagen: es  gereicht  der  Schule  desPythagoras  zum  unvergänglichen 
Ruhm  1  dafs  sie  die  grofse  Wahrheit  von  der  Kugelgestalt  der  Erde 

1)  Vgl.  die  charakteristischen  Aeorserungen  über  die  Anführung  unbekann- 
ter Namen  bei  Polybios  lU  36,  Strabo  UI  155,  XVI  777. 


§  2.  Dm  fOfifte  Jahrhaadert  7 

Jibrfauiiderte  lang  dogmatisch  gelehrt  hat,  bevor  Aristoteles  und  seine 
Nachfolger  sie  durch  exacte  Beweise  erhärteten.  Indessen  fand  das 
geographische  Studium  erst  durch  die  neu  erstandene  Geschichtschrei- 
iNing  seine  eigentliche  Förderung ;  denn  die  Naturwissenschaft  Ter- 
harrte  im  Altertum  auf  einer  zu  niedrigen  Stufe,  um  den  historischen 
Charakter  der  Underkunde  jemals  verdrängen  zu  kOnnen.  Fortan  er- 
scheinen Geographie  und  Geschichte  als  Zwillingsschwestern ,  die  be- 
deutenden Geographen  sind  Historiker  und  sondern  die  Resultate  ihrer 
Forschung  mehr  aus  äufseren  als  aus  inneren  Gründen.  So  derjenige, 
den  die  Alten  als  dritten  Geographen  zählten:  Hekataeos,ein  viel- 
gereister angesehener  Staatsmann  von  Milet  (ca.  550 — 480).  Er  ver- 
besserte die  Karte  des  Anaximandros  und  erläuterte  sie  durch  eine 
Erdbeschreibung  (yrjg  neqlodog)  in  zwei  Büchern.  Die  überlieferten 
Fragmente  gehören  freilich  dieser  Schrift  nicht  an,  da  sie  augenschein- 
lich aus  einer  jüngeren ,  wenn  auch  relativ  (Hlhen  Periode  stammen. 
Dazu  stimmt  dafs  schon  alexandrinische  Gelehrte  die  Aechtheit  be- 
stritten. Wir  sind  aufser  Stande  zu  entscheiden,  ob  das  Origmalwerk 
gänzlich  verschollen  oder  durch  eine  Bearbeitung  umgestaltet  worden 
war,  dürfen  aber  diese  Quelle  nur  mit  Vorsicht  benutzen.^)  Die  nach 
Hekataeos  Vorgang  verfafsten  Chroniken  zogen ,  wie  die  Fragmente 
des  Hellanikos  und  Pherekydes  beweisen,  auch  den  Westen  in  den 
Kreis  ihrer  Darstellung.  In  den  Colonien  selbst  ward  die  Grün- 
dungsgeschichte unter  vielfacher  Rücksichtnahme  auf  ältere  Landes- 
geschichte eingehend  behandelt.  Den  Anfang  mit  einer  xrlaig  ^Irallag 
und  einer  sicilischen  Chronik  SixeXixd  macht  Hippys  von  Rhegion 
ein  Zeitgenosse  der  Perserkriege. ^)  Etwas  näher  sind  wir  über  An- 
tioc hos  von  Syrakus  unterrichtet,  der  gleichfalls  die  Besiedlung  Ita- 
liens erzählte  und  die  Geschichte  Siciliens  bis  zum  Jahr  424  hinunter 
führte. >)  Sein  Werk  ist  für  die  Späteren  (Thukydides  Ephoros?  Aristo- 

1)  Ueber  die  vob  Kallimaehos  ca.  280  v.  Chr.  erhobenen  Zweifel  und  die 
ganze  Frage  der  Aechtheit  vgl.  Müller  Fragm.  bist  Graec.  I  praef.  12  fg.  Die  im 
Wörterbuch  des  Stephanos  erhaltenen  Fragmente  bringen  aus  Westeuropa  eine 
Fülle  von  Namen  bei,  welche  mit  der  Unwissenheit  Herodots  sich  kaum  ver- 
einigen laCst.  In  den  auf  Italien  bezüglichen  Fragmenten  28— 5S  weist  auf 
jüngere  Zeit :  die  Erwähnung  von  Gapaa  (fr.  27  vgl.  Uv.  IV  37,  Diod.  ku  31), 
die  Ausdehnung  des  Namens  Ilalien  auf  Gampanien  (Kap.  I  2  fr.  27.  29),  dieEi^ 
wihnung  von  Adria  (Kap.  U  1  fr.  58),  die  frühe  Verbreitung  des  Haushuhns  am 
Po  (Kap.  X  3). 

2)  Müller,  fragm.  bist  Graec.  II  13. 

3)  Müller,  fragm.  hist.  Graec  I  (praef.  45)  181. 


8  EiDleitung.  Die  Quellen. 

toteles  Dionys  Strabo)  eine  Fundgrube  gewesen,  aus  der  sie  ihre  wert* 
vollsten  Nachrichten  über  italische  Vorzeit  holten.  Die  Anftihrungen 
bekunden  eine  treuherzige  Sprache,  einen  naiv  kindlichen  Sinn.  Der 
Besitz  dieses  Werks  wttrde  für  die  Kenntnifs  der  westhellenischen  Welt 
ungefähr  dieselbe  Bedeutung  beanspruchen,  die  der  Besitz  Herodots 
für  die  Kenntnife  des  Mutterlandes  einnimmt;  und  wenn  man  bedenkt, 
wie  farblos  und  verzeichnet  das  Bild  ist,  welches  die  Bearbeiter  Hero- 
dots uns  von  der  glorreichsten  Epoche  ihres  Volkes  entfalten ,  wird 
man  den  richtigen  Mafsstab  gewinnen  um  den  Verlust  der  ältesten 
Sammlung  italischer  Sagen  zu  würdigen. 

In  der  allgemeinen  Bildung  des  5.  Jahrhunderts  tritt  die  Geo- 
graphie noch  ganz  zurück.  Der  niedrige  Stand  des  Erdwissens  hat  zum 
guten  Theil  jene  Züge  nach  Aegypten  und  Sicilien  verschuldet,  welche 
das  Hark  Athens  verzehrten.   Wir  lernen  denselben  aus  dem  bedeu- 
tendsten Denkmal  der  Perikleischen  Zeit,  der  Geschichte  Herodot's 
anschaulich  kennen.    Der  Verfasser  (ca.  484 — 424)  war  weiter  in  der 
Welt  herumgekommen  als  irgend  ein  Vertreter  der  damaligen  Geistes- 
blüte von  Hellas,  von  Sicilien  bis  tief  nach  Asien  hinein,  von  den  Step- 
pen Südrufslands  bis  zum  Wendekreis  in  OberSgypten.  Er  ist  ein  feiner 
Beobachter,  für  fremde  Cultur  wie  für  die  Sitten  unciviUsirter  Stämme 
empfänglich.    Er  hat  in  Thurioi  auf  italischem  Boden  gelebt  und  ge- 
schrieben. Was  nun  weifs  Herodot  von  dem  Lande,  in  welchem  er  das 
Büif errecht  erwarb?  Von  einigen  wichtigen  Bruchstücken  aus  der 
Geschichte  der  Westhellenen  abgesehen ,  kennt  er  die  gi*ofsen  einge- 
hörnen  Volkerschaften:  Sikeler  Japyger  Tyrrhener  Umbrer  Veneter 
Ligurer,  die  Landschaften  Italien  und  Oenotrien,  aber  von  allem  nur 
die  Namen.    Die  einzige  Erzählung  von  italischen  Dingen  betrifit  die 
in  Lydien  eingeholte  Kunde  von  der  dorther  erfolgten  Einwanderung 
der  Etrusker:  eine  der  unglücklichsten  Fabeleien,  die  je  aufgezeichnet 
worden  sind.  Noch  seitsanier  mutet  uns  seine  Unwissenheit  in  physi- 
kalischer Beziehung  an.   Zwar  bewährt  Herodot  auch  auf  diesem  Ge- 
biet einen  achtungswerten  Scharfsinn,  indem  er  GrundbegrifTe  der  gel- 
tenden Weltanschauung  wie  die  Lehre  von  der  Dreitheilung  der  Erd- 
feste und  dem  allumfassenden  Okeanos  ablehnt,  nur  den  eigenen  Augen 
und  zuverlässigen  Gewährsmännern  Glauben  schenken  will.     Allein 
seine  Erfahrung  hat  die  Eindrücke  der  Jugend  nicht  zu  verwischen 
vermocht.  Er  bleibt  Seemann,  gleich  den  meisten  seiner  Landsleute 
mit  allem  Sein  und  Denken  an  die  See  geknüpft.  Gebirge  sind  filr  ihn 
nicht  vorhanden,  von  ihrer  Bedeutung  für  Natur  und  Geschichte  fehlt 


§  2.  Das  füDAe  Jahrhandcrt.  9 

ihm  jegliche  Ahnung.  Dagegen  huldigt  er  jener  weitverbreileten  Lehre, 
wdche  in  den  Flüssen  die  Bildner  der  Erde  erkennen  will.  Das  sicht- 
bare ond  doch  so  geheimnibTolle  Walten  der  Flüsse  mufste  den  Volks- 
geist Ton  allem  Anfang  an  tiefer  ergreifen  als  dies  mit  anderen  Natur- 
kräften  der  Fall  war.  An  ihren  Ufern  entstand  die  Cultur,  das  ganze 
Altertum  hat  sich  von  den  Anschauungen ,  die  am  Nil  und  Euphrat 
wonelten,  nie  völlig  los  machen  können.  Herodot  hatte  diese  ältesten 
Sitze  menschlicher  Gesittung,  hatte  das  pontische  Stromland  hesucht 
Er  übertrug  sein  Wissen  von  bekannten  auf  die  ihm  unbekannten 
Gegenden  und  schuf  damit  eines  der  seltsamsten  Theoreme,  welche 
die  Geschichte  der  Erdkunde  vermeldet^)  Zwei  grofse  Flüsse  bedin- 
gen nach  ihm  die  Gestalt  von  Europa  und  Libyen,  zwischen  denselben 
findet  ein  vollkommener  Parallelismus  statt.  Ister  und  Nil  entspringen 
beide  im  äulsersten  Westen,  theilen  ostwärts  fliefsend  ihre  Gontinente 
in  zwei  Hälften,  eine  äufsere  unbewohnte,  eine  innere  bewohnte,  ver- 
ändern alsdann  ihren  Lauf  in  rechtem  Winkel  abbiegend  und  münden 
schliefsHch  in  einem  Delta  unter  demselben  Meridian  aus.  Dazu  gesellt 
sich  als  dritter  Weltflufs  im  Osten  der  Asien  und  Europa  trennende 
Araxes,  den  Herodot  nur  nach  Hörensagen  kennt,  und  der  in  Wirk- 
lichkeit sich  als  reines  Hirngespinnst  erweist.  Die  Quelle  des  Ister  liegt 
angeblich  bei  der  Stadt  Pyrene  im  Keltenland ;  aus  dem  Lande  ober- 
halb der  pmber  flielsen  nordwärts  der  Alpis  und  Karpis  in  ihn  ein. 
Dergestalt  erwähnt  der  vielgereiste  Mann  von  den  grofsen  Gebirgs- 
zügen Sttdeuropa*s  einzig  den  Haemos,  macht  die  Pyrenäen  zu  einer 
Stadt,  die  Alpen  und  Karpathen  zu  Flüssen,  indem  er  vorschnell  die 
Eigenart  der  pontischen  Gegenden  auf  das  ganze  Europa  überträgt. 
Aber  es  hiefse  einem  liebenswürdigen  und  klugen  Schriftsteller  bitteres 
Unrecht  thun,  wollte  man  die  Unwissenheit  seines  Zeitalters  ihm  allein 
in  Rechnung  bringen«  2) 

§3.  Der  Hellenismus. 

Das  70  Meilen  breite  insellose  Heer,  welches  den  Peloponnes 
von  Sicilien  scheidet,  entrückte  die  Westhellenen  dem  Gesichtskreis 

1)  11 33,  lY  40. 49,  1 202 ;  die  Unkenotnirs  des  Hochgebirgs  tritt  aach  n  22 
stark  zu  Tage. 

2)  Wenn  Thukydides  VI  90  Alkibiades  den  Spartanern  sagen  i§rst,  die 
Athener  hatten  nach  Unterwerfung  des  Westens  viele  Barbaren  in  Sold  neh- 
men woUen:  nal  Ißtf^at  Mal  aXlovs  rAv  Mi  oftoloyovftipo99  vvv  ßa^fßdqtov 
fiaxt/unarcvs,  so  war  dem  Verfasser  entweder  kein  anderer  Yolksname  ge- 
laofig  oder  nur  dieser  bei  den  Hörern  als  bekannt  Torausinsetzen. 


10  EinieiUing.  Die  Qaellen. 

des  Mutterlandes;  wies  ihnen  eine  besondere  Bahn  der  politischen  Ent- 
Wickelung  an,  die  nur  in  vereinzeUen  grofsen  Krisen  mit  der  von  der 
ganzen  Nation  beschriebenen  zusammenfiel.  Seit  dem  Zug  der  Athener 
gegen  Syrakus  ward  die  Verbindung  enger;  Dionys,  der  mächtigste 
hellenische  Herrscher  seiner  Zeit,  fafste  an  der  Adria  festen  Fufs;  der 
Verfall  der  Freistaaten  fand  einen,  wenn  auch  bescheidenen  Ersatz 
durch  die  Blüte  der  Wissenschaft.  Den  geographischen  Fortschritt  des 
4.  Jahrhunderts  lernen  wir  aus  dem  Periplus  des  sogenannten 
Sk ylax  von  Karyanda kennen.  1)  DiePeriplen  dienen  für  Seereisen 
denselben  Zwecken  wie  die  Itinerarien  auf  dem  Festland  ($  7).  Es  sind 
Verzeichnisse  der  Entfernungen  von  Hafen  zu  Hafen,  nach  einem  Mit- 
teldurchschnitt der  Falirzeit  berechnet,  die  sich  bei  Schiffern  des  Mit- 
telmeers in  Ermangelung  von  Seekarten  bis  in  die  Neuzeit  im  Gebrauch 
erhalten  haben.   Die  erwähnte  Küstenbeschreibung  trSgt  den  Namen 
des  alten  Skylax  mit  Unrecht,  da  sie  vielmehr  unter  Philipp  von  Make- 
donien etwa  um  340  abgefafst  ist.  Sie  giebt  die  Küsten  von  der  Rhone- 
bis  zur  Pomündung  in  reinlichen  Umrissen  wieder,  läfst  aber  einen 
Arm  der  Donau  in  die  Adria  münden:  ein  klarer  Beweis,  dafs  die  Kunde 
die  Nordspitze  dieses  Meeres  noch  nicht  erreicht  hatte.   Der  Gleich- 
klang der  Namen,  des  Flusses  Istros  mit  dem  Volk  der  istrischen  Halb- 
insel genügte  um  eine  so  verzerrte  Vorstellung  zu  erzeugen,  die  bei 
den  griechischen  Geographen  (noch  bei  Hipparchos)  bis  auf  Polybios 
sich  behauptet  hat,  ja  sogar  bei  römischen  Schriftstellern  herumspukt  >) 
Die  Anordnung  der  Pcriplen  ist  auch  von  fortlaufenden  Beschreibun- 
gen eingehalten  worden  und  hat  sich  in  der  Litteratur  von  Hekataeos 
bis  Mela  und  Plinius  grofser  Beliebtheit  erfreut.  Der  bedeutendste  Ge- 
schichtschreiber der  hellenistischen  Epoche,  Ephoros  (schliefst  340) 
hat  sie  gleichfalls  zu  Grunde  gelegt. ')   Wie  Ephoros  zuerst  die  grie- 
chische Geschichte  als  ein  Ganzes  auf  und  zusammen  gefafst  hat,  kennt 
er  das  von  seinen  Volksgenossen  bewohnte  Gebiet  hesser  als  irgend  ein 
Vorgänger.    Besondere  Sorgfalt  widmet  er  den  Colonien  und  ist  für 
die  bezüglichen  Abschnitte  von  Strabo  fleifsig  benutzt  worden.^)  Ferner 

t)  Geograph!  Graeci  minores  rec.  Garolus  Müllerus  2  voll.  Paris  1855. 
61.  —  Eine  Fragmentsammiung  griechiseher  und  römischer  Geographen,  die 
bis  jetzt  vermifst  wird,  ist  von  Carl  Frick  in  Aassicht  gestellt. 

2)  Skylax  20,  de  roirab.  aase.  105,  Diodor  IV  56,  Strabo  1 46. 57,  VII 317, 
PyaiusIU127,  Mela  II 57. 

3)  Strabo  VIII 334  ovtos  rj  net^aUtf  fux^  xifwfutfos  ivr§v&$v  noUhtu 
trpf  o^X^f  ^BfiOPiMov  T«  T^  &ttXarrav  x^Pütv  n^s  ras  xonoy^cupUitJg» 

4)  Polybios  IX  1,  derselbe  bei  Strabo  X  465  vgl.  unten  S.  17. 


§.  8.  Der  HeUenitmus.  11 

hat  das  um  90  t.  Chr.  verfaTste  für  uns  nicht  unwichtige  Lehrgedicht, 
d»  ßdflchlicb  dem  Skymnos  von  Chios  beigelegt  wird,  ihm  aurser 
der  Anordnung  vielfachen  Stoff  entlehnt  ^)  Man  darf  das  gefeierte 
Werk  nicht  überschätzen :  der  antiken  Forschung  blieb  es  versagt 
altertOmhch  zu  denken,  sich  in  die  Empflndungs-  und  Ausdrucksweise 
rergangener  Jahrhunderte  einzuleben.  Der  schale  Rationalismus,  mit 
dem  Ephoros  die  Poesie  der  Vorfahren  in  Prosa  umsetzte,  ihre  Sagen 
und  Msrchen  deutete,  liefert  dafür  ein  um  so  sprechenderes  Zeugnifs, 
als  er  der  herrschenden  Aufklärung  stets  mustergültig  erschienen  ist. 
Durch  Alexander  den  Grofsen  ward  das  Wissen  der  Hellenen  in 
ungeahnter  Weise  bereichert  Gleichzeitig  hatte  Pytheas  seine  kühne 
Entdeckungsreise  nach  der  Nordsee  unternommen  und  hatte  die  Mathe- 
matik die  Erkenntnüs  von  der  Gestalt  der  Erde  dauernd  gesichert 
Unter  solchen  Voraussetzungen  konnte  der  Ausbau  der  Erdkunde  als 
einer  systematischen  Wissenschaft  erfolgen,  der  dem  Eratosthenes 
(blüht  228)  verdankt  wird.  Freilich  war  das  Interesse  dieser  glanzen- 
den Forschung  von  Italien  abgewandt  Alexander  und  seine  Nach- 
folger hatten  den  Orient  erschlossen,  jenes  abgesonderte  Staatensystem 
geschaffen,  welches  das  östliche  Becken  des  Mittelmeers  umsäumte. 
Jedem  Gebildeten  waren  die  Bestandtheile  desselben  vertraut;  sein 
Blick  reichte  bis  nach  Indien,  hin,  dessen  Bekanntschaft  durch  die 
Handelsverbindungen  der  Ptolemaeer  wach  gehalten  wurde.  Jetzo  gab 
der  ferne  Osten  das  Wunderland  ab,  das  die  Phantasie  erregte,  wie 
ehemals  in  den  Zeiten  der  grofsen  Colonisation  der  Westen  gethan,  als 
ionische  Schiffe  ausliefen  die  kostbaren  Metallscbätze  zu  suchen  und 
das  Monopol  der  Phoenizier  zu  brechen.  Mit  der  Kunde  von  Europa 
geht  es  erstaunUch  langsam  vorwärts.  Auf  das  machtvoll  aufstrebende 
Rom  ward  die  Aufmeriiisamkeit  erst  durch  den  gallischen  Brand  hin- 
gelenkt: sie  heifst  einem  Zeitgenossen  des  Aristoteles  „eine  hellenische 
Stadt  dort  irgendwo  am  grofsen  Meer  belegen''.^)  Zwar  besitzt  Theo- 
phrast  genauere  Nachrichten.^)  Aber  noch  Eratosthenes  macht  keinen 
Unterschied  zwischen  Iberien  und  Gallien ,  hat  keine  Nachricht  von 
den  Alpen,  läfst  einen  Arm  der  Donau  sich  in  die  Adria  ergielsen. 
Eratosthenes  kannte  Aethiopien  und  Indien  wenn  nicht  besser,  min- 
destens ebensogut  als  Mittel-  und  Westeuropa.    Es  bedurfte  ei^er 


1)  Mfiller,  geogr.  gr.  mio.  I  praef.  78. 

2)  Herakleides  Pontikos  bei  Plot.  Gam.  22. 

3)  Plinius  DI  57  primtu  exUmorum  aUqua  de  Romanis  äiiigentius  icripnt. 


12  Einleitung.   Die  Qnellen. 

durchgreifenden  Umwälzung  um  dies  zu  ändern  und  den  Westen  in 
den  Kreis  hellenischen  Wissens  zu  ziehen.  Der  Krieg  des  Pyrrhos,  die 
Unterwerfung  der  italischen  Griechen  machte  den  Anfang.  Die  gleich- 
zeitige Geschichtschreibung  Terbreitete  einiges  Licht.  Ihr  angesehen- 
ster Vertreter  ist  Timaeos  von  Tauromenion  (gest.  um  260),  der  die 
Weltbegebenheiten  vom  Standpunct  seiner  Heimat  Sicilien  darzustellen 
unternahm.  Die  gewählte  Aufgabe  brachte  es  mit  sich,  dafs  er  über 
die  Westländer  eigehend  berichten  mufste.  Allein  seine  Meldung  stQtzt 
sich  nicht  auf  Autopsie  und  dieser  abergläubische  schrullenhafte  BQ- 
cherwurm,  der  50  Jahre  lang  nicht  aus  Athen  heraus  kam,  war  zu  an- 
deren Dingen  eher  berufen  als  zum  Geographen.  0 

§4.   Polybios  und  seine  Schule. 

Der  Kampf  um  die  Weltherrschaft  vollzog  sich  zwischen  Rom  und 
Karthago ,  ohne  dafs  man  im  Osten  eine  klare  Vorstellung  von  seiner 
Tragweite  gehabt  hätte  Da  stürzte  zu  Anfang  des  2.  Jahrhunderts 
(las  hellenistische  Staatensystem  vor  dem  Andrang  der  Römer  zusam- 
men wie  ein  Kartenhaus,  welches  ein  mutwilliger  Knabe  umwirft.  Der 
Schwerpunct  der  Weltgeschichte  verschob  sich  nach  Westen  an  die 
Ufer  des  Tiber.  Das  Land ,  das  bisher  an  der  Grenze  des  geschicht- 
lichen Lebens  gelegen ,  ward  nunmehr  in  dessen  Mitte  gerückt,  das 
weite  Gebiet,  welches  punische  Eifersucht  so  lange  gehütet  hatte,  ftlr 
den  Wissenstrieb  hellenischer  Forscher  geoCTnet  Die  neue  Zeit  voll 
begriffen,  ihren  Forderungen  in  geographischer  wie  bistorischer  Hin- 
sicht genügt  zu  haben  ist  das  Verdienst  des  Polybios  von  Megalo- 
polis  (208 — 127).  Ein  wechselvolles  Leben  hatte  ihn  von  den  Küsten 
der  Atlantis  bis  tief  nach  Asien  herein ,  von  den  Alpen  bis  Cap  Verde 
herumgeworfen.  Er  ist  vielleicht  einer  der  grofsten  Reisenden,  die  das 
Altertum  hervorgebracht,  und  hat  ohne  Uebertreibung  doppelt  und 
dreimal  so  viel  von  der  Welt  gesehen  als  der  wander-  und  redelustige 
Vater  der  Geschichte.  Er  ist  Kritiker  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle.  Wäh- 
rend die  Erzähler  bis  dabin  die  Fernen  mit  luftigen  Phantasiegebilden 
belebten,  halb  gläubig,  halb  den  Gaumen  des  lesenden  Publicums  zu 
kitzeln  beflissen  —  selbst  Männer  wie  Herodot  und  Pytheas  sind  davon 
erftlllt,  von  den  Ausschweifungen  eines  Theopomp  und  der  Alexander- 
romane zu  schweigen  — ,  erkannte  sein  nüchterner  Geist  allenthalben 
dieselben  realen  prosaischen  Verhältnisse.  Für  die  Schöpfungen  dich- 


t)  Polybios  Xn  25  hHalUch. 


§.  4.  PolybioB  und  seine  Schale.  13 

teoder  Phantasie  blieb  auf  dem  weiten  Erdenrund,  das  er  durcbwan- 
dal,  kein  Raiun  Obrig.  Seine  Haltung  erinnert  an  einen  Zeitgenossen 
ood  Geistesverwandten,  den  groben  Hipparchos,  den  Begründer  der 
f^echischen  Astronomie.  Polybios  tritt  in  den  schärfsten  Gegensatz 
iiir  herrschenden  Richtung.  „Es  schickt  sich  nicht  für  unsere  Zeit 
—  erklart  er  IV  40  —  in  Betreff  unbekannter  Gegenden  das  Zeugnifs 
TOD  Dichtern  und  Märchenschreibern  anzurufen,  wie  meine  Vorgänger 
meistentheUs  gethan ;  man  mufs  mit  eignen  Augen  schauen  und  durch 
Autopsie  das  Vertrauen  des  Lesers  gewionen.^^  Polybios  hat  das  west- 
liche Mittelmeerbecken,  Italien  Gallien  Spanien  Nordafrica  in  den  Be- 
reich der  heUenischen  Litteratur  eingeführt.  Von  seiner  Hand  rührt 
die  älteste  Beschreibung  her,  welche  Italien  von  den  Alpen  bis  zur 
Südspitze  als  eine  zusammenhängende  Einheit,  als  ein  selbständiges 
Glied  der  bewohnten  Erde  hinstellt.  Der  Verfasser  hatte  eine  siebzehn- 
jährige Verbannung  benutzt  um  dasselbe  von  einem  Ende  bis  zum  an- 
deren kennen  zu  lernen.^)  Seine  Stärke  ruht  nicht  in  der  Förderung 
der  allgemeinen  Probleme  der  Erdkunde,  sondern  in  der  Behandlung 
der  historischen  Landeskunde.  Die  chorographischeD  Schilderungen, 
welche  er  seinem  Geschichtswerk  einverleibt  hat,  können  als  wahre 
Muster  gellen :  sie  sind  klar,  bestimmt,  auf  das  wesentliche  gerichtet, 
von  einer  groben  Auffassung  getragen.  Auf  die  Anhäufung  von  un- 
bekannten barbarischen  Namen  verzichtet  er  mehr  als  uns  lieb  ist 
(S.  6  A.),  geht  von  bekanntem  aus  um  deutliche  Vorstellungen  zu  er- 
wecken, wählt  einfache  Formen  zur  Versin  ulichung.  Als  Beispiel  sei 
auf  den  Abschnitt  über  die  Poebene  (II 14— 17)  hingewiesen:  es  wird 
schwer  halten  das  Verliältnifs  der  Ebene  zu  den  Alpen  einer-,  der  Ap- 
penninhalbinsel  andererseits  mit  geringeren  Mitteln  so  anschaulich  zu 
machen;  Boden  Wirtschaft  Cultur,  alles  wird  mit  wenigen  markigen 
Strichen  gezeichnet  Der  Segen  eigner  Anschauung  tritt  bei  diesem 
Schriflsteller  einleuchtend  zu  Tage.  Als  er  in  hohem  Alter  an  die  Aus- 
arbeitung ging,  hat  ihn  freilich  das  Gedächtnifs  oftmals  getrogen  und 
die  Vorlage  seiner  Quellen  verwirrt.  Die  Ortskunde  seiner  hellenischen 
Heimat  bdierrscht  er  mit  ganz  anderer  Sicherheit  als  diejenige  von 
Italien  Spanien  und  solchen  bis  dahin  unerforschten  Ländern.  Hier 
stöfst  man  auf  zahlreiche  Fehler  im  Einzelnen,  welche  unsere  Karten 


1)  Bestimmt  bezeugt  ist  die  Ueberacbreitaog  der  Alpen  UI  48,  der  Besuch 
des  laciDisehen  Yorgebirgs  UI  33,  die  mehrmalige  Anwesenheit  im  episephy- 
rischen  Locri  XII  5,  Streifereien  in  der  römischen  Gampagna  XXXI 22,  XXXH 15. 


14  Einldtang.  Die  Quellen. 

ohne  weiteres  aufdecken:  immerhin  erleidet  der  Gesammtwert  seiner 
topographischen  Gemälde  auch  so  keinen  Eintrag,  wenn  man  den 
Mafsstab  ihres  Jahrhunderts  anlegt. 

Polybios  hatte  der  Wunder-  und  Fabelsucht  den  Krieg  erklärt.  Sie 
auszurotten  vermochte  er  nicht,  aber  seine  Lehre  und  sein  Vorbild 
übten  doch  die  mächtigste  Wirkung  auf  die  Nachfolger  aus.    Unter 
ihnen  ist  zu  nennen  Artemidoros  aus  Ephesos  (blüht  100  v.  Chr.), 
der  nach  ausgedehnten  Reisen  eine  Geographie  in  11  Büchern  schrieb. 
Dieselbe  ist  verloren  gegangen  ebenso  wie  ein  im  4.  oder  5.  Jahrhun- 
dert durch  Markianos  von  Herakleia  gemachter  Auszug,  i)    Strabo  hat 
das  Werk  für  die  Küstenbeschreibung  zu  Grunde  gelegt,  auch  Plinins 
dasselbe  benutzt.  Aufser vielen  anderen  Schriften  hatderin  sullaniscber 
Zeit  zu  Rom  lebende,  aus  Milet  gebürtige  Freigelassene  Cornelius 
Alexander  mit  dem  Beinamen  Polyhistor  Yrailexcr  in  5  Büchern  ver- 
fafst,  welche  die  Urzeit  des  Landes  aus  hebraeischen  und  anderen  Tra- 
ditionen des  Orients  zu  bereichern  suchen.^)    Es  genügt  mit  einem 
Worte  dieser  weit  verbreiteten  Tendenz  der  Gelehrten  zu  gedenken, 
welche  die  älteste  Geschichte  unter  dem  Schutt  ihrer  Erfindungen  und 
Vermutungen  rettungslos  begraben  hat.  Eine  erfreulichere  Erschei- 
nung bietet  Poseidonios  aus  Apamea,  der  in  Rhodos  lehrte  und  zu 
Pompeius  Cicero  wie  anderen  hervorragenden  Römern  nahe  Bezidinn- 
gen  unterhielt  (etwa  130 — 46).^)    Er  hat  die  Geschichte  des  Polybios 
fortgesetzt  und  gleich  seinem  Heister  ausgedehnte  Reisen  in  West^ 
europa  unternommen.    Wenn  er  diesen  an  Vielseitigkeit  weit  über- 
trifft ,  hat  er  ihn  doch  weder  als  Historiker  noch  als  Chorograph  er- 
reicht. Seine  Verdienste  um  die  Erdkunde  ruhen  eher  in  seinen  syste* 
matischen  Arbeiten ,  wie  er  denn  namentlich  das  grofse  Problem  der 
Erdmessung  nach  Eratosthenes  von  neuem  aufnahm.  AlsGhorographen 
lernen  wir  Poseidonios  ans  Strabo  kennen ,  der  manche  Nachrichten 
über  den  Westen,  über  Spanien  Gallien  die  Alpen  Italien  ihm  entlehnt 
hat.  Die  Begründung  der  Monarchie  durch  Augustus  verursachte  einen 
neuen  Aufschwung  der  Geschichtsforschung  und  -Schreibung,  zeitigte 
die  abschliefsenden  Werke,  welche  den  Untergang  des  Altertums  über- 
dauerten. Eines  derselben ,  die  Geographie  Strabo's  mufe  hier  nüher 
besprochen  werden. 


1)  Maller,  geogr.  min.  I  p.  574,  praef.  p.  130.  Stiehle,  Philolog.  XI  p.  193—244. 

2)  maller,  fragm.  bist.  Graec.  Ill  230. 

3)  MfiUer,  fragm.  bist.  Graec  III  245;  Toepelmann,  de  Posidonto  Rhodio 
renim  scriptore,  Bonn  1867. 


I  5.   Strabo.  16 

§  5.   Strabo. 

Strabo  ist  für  uns  der  wichtigste  Vertreter  antiker  Landeskunde.  0 
Geboren  um  60  v.  Chr.  zu  Amaseia  am  Iris,  der  Metropole  von  Pontos, 
einer  angesehenen  Familie  entstammt,  hat  er  die  Schulen  der  bedeu- 
tendsten Peripatetiker  besucht,  an  den  Sitzen  der  Weltwissenschaft  zu 
Alezandria  und  Rom,  an  letzterem  lange  Jahre  gelebt,  endlich  nach 
dem  löblichen  Brauch  griechischer  Historiker  sich  tttchtig  umgesehen. 
Ueber  die  Ausdehnung  seiner  Reisen  urtheilt  er  selbst  zu  überschwftng- 
lieh  (II 117):  sie  beschranken  sich  auf  44--240  N.  Br.  28— 66<>  0.  L. 
und  kommen  nicht  denjenigen  Herodots,  geschweige  denjenigen  des 
Polybios  gleich.  Von  planmäßigen  Forschungsreisen  für  seine  Geo- 
graphie kann  keine  Rede  sein.  Aus  eigner  Anschauung  kennt  er  bei^ 
spielsweise  von  Griechenland  nur  die  Ueberlandroute  Ober  den  Isthmus 
Ton  Rorinth,  von  Italien  nur  die  Route  Brundisium  —  Rom  sowie  die 
campanischen  Häfen  und  die  etrurische  Küste.  Das  Vorgebirge  von 
Populonia  ist  der  äufserste  Punct,  den  er  nach  Norden  und  Westen 
erreicht  hat  (II  117,  V  223).  Strabo  hat  die  Geschichte  des  Polybios 
fortgesetzt  und  sodann  als  Ei^anzung  dieses  Werks  die  Geographie  in 
17  BOcliern  hinzugefügt  Er  schrieb  letztere  in  hohem  Greisenalter 
als  angehender  Achtziger  zu  Rom:  die  Abfassung,  yermutlich  auch  die 
fortlaufende  Veröffentlichung  der  einzelnen  BOcher  beginnt  18  n.  Chr. 
Obwol  die  gesammte  Erdkunde  in  ihnen  behandelt  ist,  verfolgt  diese 
Darstellung  andere  Ziele,  als  die  Systematiker  Eratosthenes  Hipparchos 
Marines  und  Ptolemaeos  sich  gesteckt  haben :  sie  erstrebt  weder  Voll- 
ständigkeit, noch  eine  trockene  Aufzahlung  von  Namen  und  Daten, 
will  den  Leser  belehren  und  zugleich  angenehm  unterhalten.  Strabo 
sucht  die  grofsen  Verhaltnisse  zur  Anschauung  zu  bringen  und  geht 
sogar  so  weit  fremde  Namen  lediglich  deshalb  zu  verschweigen ,  weil 
ihr  Misklang  sein  Ohr  beleidigt  (S.  6  A.).  Demgemafs  hat  er  den  Stoff 
mit  Sorgfalt  ausgewählt^  in  geschmackvoller  Form  wieder  gegeben.  Er 
hat  seine  Aufgabe  gelöst  ein  anmutiges  Werk  zu  liefern,  für  uns  das 
Hauptwerk  alter  Lander-  und  Völkerkunde.  Wie  die  Zeitgenossen  das« 
selbe  geschätzt,  lafst  sich  freilich  nicht  sagen,  da  es  selten,  gar  nicht 
in  den  Sammlungen  des  Plinius,  citirt  wird.  Dagegen  genofs  es  bei 
den  Byzantinern  hohen  Ansehens,  ward  von  diesen  fleifsig  gelesen  und 


1)  Ausgaben  von  Kramer  Berlin  1844  fg.  und  Meineke  Leipzig  1866,  treff- 
liche Uebersetznng  von  Grorekard  Berlin  183t  fg. 


16  Einleituog.  Die  Qaellen. 

ausgezogen.   Seiüen  Ruhm  verdankt  Strabo  vor  allem  dem  Umstand, 
dafs  er  eine  bedeutende  Entwicklung  beschliefsend,  das  beste  aus  den 
vorhandenen  Darstellungen  sich  aneignen  konnte;  denn  aus  eigener 
Wahrnehmung  oder  mündlichen  Berichten  hat  er  vergleichsweise  we« 
nig,  v^eitaus  das  meiste  aus  schriftlichen  Quellen  geschöpft  Der  Reich- 
tum an  feinsinnigen  Bemerkungen,  die  geföllige  Art  des  Vortrags  lassen 
fast  vergessen ,  dafs  der  Verfasser  seinen  Gegenstand  nur  zum  Theil 
beherrscht.   Wenn  Oberhaupt  in  der  Erdkunde  beide  Seiten  mensch- 
lichen Wissens,  das  mathematisch^physikalische  vrie  das  historische 
zum  Ausdruck  gelangen  sollen,  so  wird  je  nach  Begabung  und  Neigung 
bald  die  eine,  bald  die  andere  Seite  vorwiegen.   Strabo  schreibt  durch- 
aus als  Historiker.    In  den  beiden  ersten  Büchern,  welche  den  allge- 
meinen Theil  enthalten,  bewegt  er  sich  auf  fremdem  Felde.  Denselben 
Mangel  an  Kenntnissen  wie  in  den  mathematisch-physikalischen  Dis- 
ciplinen  verrät  er  auch  in  Betreff  der  beschreibenden  Naturwissen- 
schaften. Wiewol  er  selbst  ihnen  eine  Stelle  in  der  Erdkunde  einräumt, 
wiewol  Aristoteles  und  Theophrast  die  Pflanzen-  und  Thiergeographie 
angebaut  hatten ,  bringt  er  Ober  Fauna  und  Flora  nur  spttrliche  und 
dürftige  Notizen  bei.  Ferner  giebt  seine  historische  Bildung,  sein  histo- 
risches Urtheil  oft  schweren  Anstofs.  Die  Bewundeiiing  Homers,  in 
der  ihm  Eratosthenes  und  Polybios  mit  bösem  Beispiel  vorangegangen, 
steigen  sich  zur  Vergötterung,  vielfach  zur  Narrheit  Während  eine 
halsbrechende  Interpretation  dem  altionischen  Sänger  alle  möglichen 
Kenntnisse  und  Entdeckungen  beilegt,  begegnet  umgekehrt  am  un- 
rechten Ort  die  Skepsis.    Die  Kunde  des  Orients  hat  gegen  frühere 
Jahrhunderte  abgenommen,  da  die  Verschiebung  des  politischen  Schwer* 
puncts  auch  das  geographische  Interesse  verrückt  hatte.  Strabo's  ganze 
Weltanschauung  wurzelt  in  der  Gegenwart:  gleich  Polybios  und  Posei- 
donios  stellt  er  sich  auf  den  Boden  der  vollendeten  Thatsachen,  be- 
grOfst  die  Errichtung  der  Monarchie  mit  wahi*er  Begeisterung.   Hier- 
aus erklärt  sich,  warum  den  einzelnen  Abschnitten  ein  ganz  verschie- 
denartiger Wert  zukommt.    Die  Beschreibung  Griechenlands  (Buch 
VIU — X)  ist  mit  unglaublicher  Verkehrtheil  einem  Gommentar  zum 
Schiffskatalog  der  llias  entlehnt;  die  Beschreibung  Italiens  verdunkelt 
mit  ihrem  hellen  Glanz  das  gesammlc  übrige  Werk.   Hier  hat  Strabo 
die  besten  griechischen  Quellen  ausgebeutet,  gelegentUch  auch  jenen 
zarten  Schmelz  aufgetragen  (V  222 fg.  234 fg.  242 fg.),  den  allein  die 
Erfahrung  des  Augenzeugen  der  Feder  zu  leihen  vermag.  Das  vierte 
Buch  umfafst  Gallien  Brittannien  und  die  Alpen:  für  den  Norden  ist 


i  6.  Die  römische  Litteraiar.  17 

Cienr,  ftlr  das  oarbonensische  Gallien  und  die  Alpen  Polybios  benutzt 
Das  fdnfte  Buch  umfafst  Ober-  und  Hittelitalien ,  das  sechste  Unter- 
Italien  sammt  den  Insehi  Sicilien  Sardinien  Corsica:  in  jenem  begeg- 
aeo  Polybios  und  Poseidonios,  in  dem  von  Griechen  besiedelten  Ge- 
biet Altere  Gewähi-smänner,  namentlich  Timaeos,  daneben  Antiocbos 
und  Ephoros,  endlich  hier  wie  allenthalben  sonst  Artemidor  für  die 
Kosten.  Strabo  hat  beibuflg  auch  die  römische  Litteralur  herange- 
zogen und  Fabius  Caesar  Asinius  Pollio  nebst  einer  anonymen  Choro- 
graphie  t)  citirt.   Aber  er  hält  wenig  von  derselben  (III  166)  und  hat 
das  reiche  von  Agrippa  und  Augustus  beschaffte  Material  nicht  ver- 
wertet Inunerhin  ist  die  historische  Kritik  bezüglich  seiner  Forschung 
zu  Ergebnissen  gekingt,  die  ihm  alle  Ehre  machen.  2)  Unseren  Heistern 
der  vergleichenden  Erdkunde  ist  er  mehr  als  irgend  ein  anderer  Schrift- 
steller des  Altertums  ans  Herz  gewachsen.   C.  Ritter  erklärt  3):  „noch 
kein  neuerer  Geograph  hat  bei  seiner  Beschreibung  ItaUens  die  grob- 
artige  Darstellung  erreicht,  die  uns  Strabo  von  dieser  Halbinsel  giebt.'^ 

§6.  Die  römische  Litteratur. 

Die  Eingebomen ,  heifst  es ,  wissen  am  besten  woher  der  Wind 
weht  Insofern  darf  man  erwarten,  dafs  reichere  und  reinere  Quellen 
fQr  die  Kunde  Altitaliens  in  der  einheimischen  Litteratur  fliefsen  als 
in  der  fremden.  Das  Sprichwort  trifft  indefs  auf  den  vorliegenden  Fall 
nur  in  bedingtem  Sinn  zu:  die  Eingebornen  haben  tfaeils  im  eigenen 
Lande  überhaupt  nicht  Bescheid  gevrufst,  theils  nicht  der  Mühe  wert 
erachtet  davon  zu  reden.  Die  befremdende  Thatsache,  dab  von  den 
beiden  Schauplätzen  classischer  Geschichte  der  räumlich  entrücktere 


1)  D.  h.  eine  Karte  oder  ein  Verzeichnis  der  Distenzen  Y  224.  25,  VI  261. 
66.  77.  85.  Am  nächsten  wQrde  es  auf  den  ersten  Blick  liegen  sie  mit  der  Welt* 
karte  des  Augustus  zu  identificiren:  allein  die  Angaben  stimmen  nicht  zu  PH- 
nius  und  beschranken  sich  andererseits  auf  Italien,  dessen  Regioneneintheilung 
Töllig  ignorirt  wird.  Es  gab  auch  andere  derartige  Arbeiten  Aber  dies  Land 
▼gl.  (  8  and  9.  Ferner  ist  zu  beachten,  dafs  Strabo  weder  die  maritimen  Ent- 
decknngen  im  Norden  noch  die  neuen  Ortsbestimmungen  seiner  Zeit  benutzt, 
überhaupt  mit  den  Fortschritten  der  Erkenntnis  durchaus  nicht  Schritt  hält. 

2)  G.  Hunrath,  die  QueUenStrabo's  im  sechsten  Buch,  Gassei  1879.  B.  Niese, 
ApoUodor's  Gommentar  zum  Schiffskatalog  als  Quelle  Strabo's,  Rhein.  Museum 
XXXn267fg.    Derselbe,  Beitrage  zur  Biographie  Strabo's,  Hermes  Xm  33  fg. 

3)  Geschichte  der  Erdkunde  und  der  Entdeckungen,  Vortesungen  heraus- 
gegeben von  Daniel,  Berlin  1861,  S.  118;  vgl.  0.  Peschel,  Geschichte  der  Erd* 
kaode,  München  18ß5,  S.  70. 

Niff«a,  ItftL  LaadMkiiBd«.  I.  2 


18  Einleitnng.   Die  QnelleD. 

wissenschaftlich  genauer  erforscht  und  besser  bekannt  ist  als  das  dem 
Übrigen  Europa  so  nahe  und  so  eng  verwachsene  Italien ,  wird  vor- 
nehmlich durch  die  verschiedene  Stellung  erklärt,  welche  Hellenen 
und  Römer  zur  eigenen  Heimat  eingenommen  haben.  Die  GrOfse  des 
einen  Volks  wurzelte  in  seiner  Freiheit,  die  Gröfse  des  anderen  in  sei- 
ner Einheit  Die  italischen  Stämme  sind  sammt  und  sonders  von  einer 
einzigen  weltgebietenden  Stadt  aufgesogen  worden ,  neben  der  Stadt 
kam  das  Land  nicht  zur  gebührenden  Geltung.  Eine  Umwälzung  ohne 
Gleichen ,  die  sich  von  den  Gracchen  bis  auf  Augustus  über  ein  volles 
Jahrhundert  erstreckt,  hat  unter  dem  Alten  gründlich  aufgeräumt.  Die 
geistigen  Erzeugnisse  der  ehemaligen  Culturträger,  der  Etrusker  und 
Osker,  sind  verschollen,  die  frühlateinischen  Schriftwerke,  welche  land- 
schaftlichen Schwung  und  urwüchsige  Kraft  atmeten,  sind  bis  auf  dürf- 
tige Bruchstücke  verloren.  Es  ist  wesentlich  die  römische  Weltlitteratur 
mit  ihrem  durch  die  Weltherrschaft  bedingten  Typus,  die  uns  verblieb. 
In  der  Epoche  des  verfallenden  Freistaats  entstanden,  vermag  sie  nicht 
in  den  tiefen  Strom  des  Volkslebens  zu  tauchen,  treibt  mit  den  Schaum- 
wirbeln auf  der  Oberfläche  dahin.  Sie  beschränkt  sich  auf  Hauptstadt 
und  Gesellschaft  in  einem  Grade ,  für  den  die  französische  Litteratur 
der  Neuzeit  nur  einen  annähernden  Vergleich  bietet.  Wol  begreifen 
wir,  dafs  Niemand  darauf  verfallen  ist  eine  Reisebeschreibung  zu  lie- 
fern wie  diejenige  des  Pausanias:  das  reiche  in  üppiger  Blüte  stehende 
Italien  lockte  keinen  Touristen  unter  Denkmälern  und  Trümmern  über 
die  Vergänglichkeit  irdischer  Gröfse  nachzusinnen.  Wol  begreifen  wir, 
dafs  Niemand  daran  gedacht  hat  eine  Sammlung  von  Stadtbildern  zu 
veranstalten,  wie  sie  aus  Hellas  erhalten:  seitdem  von  den  Alpen  bis 
zum  Sund  von  Messina  gleiches  Recht,  gleiche  Sprache  und  Sitte 
herrschte ,  fehlte  mit  der  Selbständigkeit  zugleich  der  hauptsächliche 
Reiz,  der  örtlichen  Besonderheiten  nachzugehen  getrieben  hätte.  Und 
doch  wies  dies  ausgedehnte  Land  eine  Fülle  bedeutsamer  Gegensätze 
auf,  barg  unter  der  einförmigen  Hülle  des  Neuen  ehrwürdige  Zeugen 
verflossener  Zeiten  in  hinreichender  Anzahl  um  die  Aufmerksamkeit 
des  Forschers  zu  fesseln.  Ein  Gemälde  mit  den  vorhandenen  Mitteln 
entworfen,  hätte,  meint  man,  seinem  Urheber  besseren  Dank  bei  den 
Mitlebenden  verdient  und  hätte  ihm  unter  allen  Umständen  besseren 
Ruhm  bei  der  Nachwelt  gesichert  als  jene  hohle  Rhetorik  und  jene 
hohle  Selbstbespiegelung,  von  welcher  der  Zufall  so  viele  Proben  frei- 
giebig  bewahrt  hat.  Nicht  als  ob  der  Vergangenheit  ihre  angeborne 
Macht  über  die  Gemüter  der  damaligen  Menschen  versagt  hätte.  Aber 


I  6.    Di«  römische  Uttenitnr.  19 

wer  sich  ibrhiDgab,  ward  unwiderstehlich  Ton  dem  Zauberi>ann  des 
IVamens  Rom  fortgerissen.  Rom  hat  hervorragende  Antiquare  in  Menge 
^hlt,  Italien  keinen  einzigen. 

Freilich  kann  man  im  Zweifel  sein,  ob  der  politische  Gesichtskreis 
bestimmender  gewirkt  habe  oder  das  Verhilltnifs  der  Römer  zur  Natur 
Oberhaupt.  Wenn  man  die  Summe  der  aus  Hellas  und  der  aus  Italien 
inderLitteratur  überiieferten  Ortsbezeichnungen  neben  einander  hftlt, 
zeigt  sich  ein  überraschender  Ausfall  zu  Ungunsten  des  letzteren. 
Beide  Länder  waren  von  Gebirgen  erfüllt,  der  Gott  der  Höhe  ward  in 
den  Alpen  und  im  Appennin  mit  gleicher  Inbrunst  verehrt  als  im  Pe- 
loponnes  und  ThessaUen ,  Berg  und  Thal  Quell  und  Bach  führten  im 
Munde  von  Hirten  und  Bauern  ihre  eigenen  Namen  hier  wie  dort 
Der  seltene  Gebrauch,  den  die  Schriftsteller  von  diesen  machen,  rührt 
von  der  Abneigung  der  Rhetorik  gegen  alles  Besondere,  vielleicht  mehr 
noch  von  ihrer  Gleichgültigkeit  gegen  die  freie  Natur  her.  Der  National- 
charakter, wie  wir  ihn  historisch  kennen,  sei  es  nach  ursprünglichen 
Anlagen,  sei  es  durch  den  Gang  der  Ereignisse  gemodelt,  bekundet  ein 
erschreckend  nüchternes  Gepräge.  Für  die  Freude  an  Wald  und  Jagd, 
das  Schweifen  im  wilden  Hag,  das  Erkhmmen  ragender  Berge,  für  alles 
was  ritterliche  Nationen  wie  Hellenen  und  Kelten  entzückt  hat,  ging 
dem  Römer,  der  heimischer  Art  treu  blieb,  Sinn  und  Verständnifs  ab. 
Auf  wissenschafaichem  Gebiet  fehlte  ihm  die  Empfönglichkeit  fttr  alles 
was  von  dem  gemeinen  Nutzen  des  Tages  seitab  lag:  in  Mathematik 
und  Astronomie,  in  Philosophie  und  Naturforschung  hat  dies  Volk 
keinen  einzigen  bedeutenden  Vertreter  aufeuweisen.  Das  Ndmliche 
gilt  von  der  Erdkunde.  Wer  erwehrt  sich  eines  Lächelns ,  wenn  er 
liest,  wie  der  Mann,  den  man  als  Schöpfer  der  römischen  Weltlitteratur 
ansehen  kann,  wie  Cicero  eine  Zeit  lang  sich  in  dem  Traume  gewiegt 
hat,  mit  seiner  gewandten  Feder  in  der  Mufse  weniger  Monate  die 
Kränze  des  Eratosthenes  und  Hipparchos  erringen  zu  können  7^)  Wer 
erwehrt  sich  eines  Lächelns,  wenn  er  bemerkt,  dafs  derjenige  Schrift- 
steller, in  dem  das  nationale  Pathos  seinen  vollendetsten  Ausdruck  ge* 
funden,  dafs  Tacitus  die  einfache  Wahrheit  von  der  Kugelgestalt  der 
Erde  noch  nicht  begriffen  hat,  obschon  sie  seit  vier  Jahrhunderten  zum 
Gemeingut  der  Bildung  gehörte  ?  ^)  Mit  gemischten  Gefühlen  nehmen 
wir  das  grofse  Werk  in  die  Hand,  durch  welches  P 1  i n  i  u  s  die  Litteratur 


1)  Cicero  an  Atliens  II,  6  und  7. 

2)  Tac.  Germ.  45. 

2* 


20  Einleitiing.   Die  QaeUen. 

der  Römer  um  eine  Encycloptfdie  der  Naturwissenschaften  bereichert 
hat  Unbekümmert  um  die  gegen  derartige  Studien  herrschende  Ab« 
neigung  hatte  der  wackere  Patriot  mit  unermüdlichem  Fleifs  seinen 
Stoff  aus  2000  Bänden  zusammengetragen ,  derart  für  Erdkunde  wie 
für  Naturkunde  überhaupt  den  wertvollsten  Schatz  hinterlassen,  den 
die  lateinische  Sprache  besitzt.  Aber  den  Namen  eines  Forschers,  der 
mit  eigenen  Augen  zu  schauen  versteht,  seinen  gesunden  Menschen- 
verstand  keiner  alten  Scharteke  zum  Opfer  bringt,  vermögen  wir  dem 
gelehrten  Sammler  nicht  zuzuerkennen.  Es  klingt  schier  unglaublich, 
welche  kindliche  Vorstellungen  dieser  vielgereiste  Soldat  in  Betreff 
seiner  nächsten  Umgebung  hegte.  Am  Fufs  der  Alpen  aufgewachsen 
erklärt  er,  einige  Gipfel  ragten  50  Millien  10  deutsche  Meilen  in  die 
Luft,  überschätzt  also  ihre  Höhe  sechszehnfach;  und  doch  hatte  der 
ihm  bekannte  Dikaearch  vierthalb  hundert  Jahre  zuvor  Berge  messen 
gelehrt,  vernünftige  Ansichten  über  ihre  relative  Erhebung  entwickelt. 
Ab  Admiral  der  in  Misenum  stationirten  Flotte  hat  Plinius  sein  Leben 
beschlossen:  seine  Befilhigung  filr  solchen  Posten  erscheint  in  bedenk- 
lichem Licht ,  wenn  er  allen  Ernstes  berichtet ,  König  Pyrrhos  und 
später  Marcus  Varro  hätten  die  Meerenge  von  Otranto  überbrücken 
wollen ,  wären  auch  blos  durch  anderweitige  Obliegenheiten  von  der 
Ausführung  ihres  Vorhabens  abgehalten  worden;  die  Breite  der  Enge 
beziffert  der  Admiral  selbst  auf  10  deutsche  Meilen,  i) 

Die  reichste  Ausbeute  wird  man  bei  den  GeBchichtschreibern 
suchen.  Um  von  SicUien  und  Grofsgriechenland  zu  schweigen,  wissen 
wir,  dafs  Chroniken  in  den  Städten  Campaniens  Latiums  Etruriens 
Venetiens  verfabt  worden  sind. 2)  Auch  macht  der  alte  Cato,  der  zu- 
erst lateinische  Prosa  für  geschichtliche  Darstellung  in  Anwendung 
brachte ,  einen  viel  versprechenden  Anfang  dem  allgemein  nationalen 
Standpunct  gerecht  zu  werden ,  als  er  die  Aufzeichnungen  der  römi- 
schen Pontifices  bei  Seite  schob  und  dafür  zwei  Bücher  den  Anfängen 
der  italischen  Stämme  und  Städte  widmete.  Späterhin  hat  die  antiqua- 
rische Forschung,  die  in  M.  V  a  r  r  o  ihr  Haupt  feiert,  es  nicht  verschmäht 
aus  denselben  Quellen  zu  schöpfen.  Obwol  der  Einflufs  des  griechi- 
schen Rationalismus  und  der  griechischen  Fabelei  sich  selten  verleug* 


1)  Fflr  die  ganze  Charakteristik  vgl  N.  H.  praef.  1.  13.  17.  XXn  15.  II  16t 
m  101. 

2)  Kyme  MflUer  fragm.  bist.  Graec.  IV  434;  oskiaehe  Daelle  Featos  p.  158 
M.  vgl.  MfiUer  a.  0.  DI  102;  Ardea  Varro  RR.  II 11 ;  Praeneate  SoUn  U  9;  aocto- 
rea  Taaci  Kaiser  Glandioa'  Rede  f.  Gall.;  PaUviam  Uv.  X  2. 


{  6.  Die  römisclie  Litterttar.  21 

net,  ist  doch  auf  diesen  Wegen  manclie  italisclie  Volkssage ,  manclie 
loode  vom  Brauch  der  AHvordem  auf  die  Nachwelt  gerettet  worden. 
Aber  leider  ist  das  kostbare  Gut  arg  verstreut  und  durch  viele  achtlose 
Hände  gegangen.  Leider  fand  das  Beispiel  Cato's  keine  Nachahmer: 
die  römische  Geschichte  ward  aus  den  Banden  der  Stadtchronik  nicht 
losgerissen.  Immerhin  auch  in  dieser  engen  Fassung  bot  der  Stoff,  der 
Kampf  der  Stamme  um  die  Obraacht,  der  Weltkrieg  gegen  Karthago, 
die  Unterwerfung  der  Kelten  den  Bearbeitern  Anlafs  genug  sich  um 
die  Entvricklung  des  ganzen  Landes  zu  kümmern.  In  wie  weit  dies 
gesdiehen  ist,  lassen  die  umfangreichen  Annalen  des  Livius,  welche 
die  Geschichte  der  Republik  abgeschlossen  haben ,  deutlich  erkennen. 
Der  Verfasser  übertraf  Goelius  Antipater,  Valerius  Antias,  Claudius 
Quadrigarius,  Licinius  Macer  und  wie  die  Vorgänger  sonst  noch  heifsen, 
nicht  nur  an  Geschmack,  sondern  auch  an  Unbefangenheit  und  Kritik. 
Die  Misgunst  warf  ihm  Kleinstadterei  vor  und  sicherlich  hat  kein  Werk 
Ton  ähnlicher  Ausdehnung  das  seine  an  innerem  Gehalt  erreicht.  Wenn 
wir  nach  ihm  die  gesammte  römische  Geschichtscbreibung  beurtheilen, 
wird  der  Mafsstab  eher  zu  hoch  als  zu  niedrig  gegriffen  sein.  Wie  lautet 
denn  das  Urtheil?  Von  der  Forderung  der  Hellenen  topographische  Stu- 
dien zu  treiben,  von  der  jedem  Erzähler  auferlegten  Pflicht  den  Schau- 
platz der  Begebenheiten  aus  eigener  Anschauung  zu  schildern  ist  hier 
nirgends  die  Rede.  Wir  mögen  den  hauptstädtischen  Pflastertretern 
ihre  lächerliche  Unwissenheit  bezüglich  des  Auslands  zu  gute  halten. 
Wir  verzeihen  diesen  Schönrednern,  dafs  sie  sich  nicht  der  schwierigen, 
oflmals  undankbaren  Mühe  unterzogen  haben  die  Lage  so  vieler  Ort- 
schaften, welche  in  den  ältesten  Kriegsberichten  genannt,  in  der  Folge 
zerstört  und  vergessen  waren ,  festzustellen.  UnverzeihUch  bleibt  die 
Gedankenlosigkeit,  mit  der  sie  die  denkwürdigsten  Züge  einer  histo- 
risch hellen  Zeit  in  tiefes  Dunkel  einhüllten.  Ich  rede  nicht  von  dem 
Alpenübergang  Hannibals,  dessen  Bestimmung  Livius  so  gründlich  mis- 
langen.  Zehnmal  schlimmer  ist  es,  dafs  er  dem  argen  Valerius  Antias 
trauend,  den  grofsen  Karthager  auf  seinem  Marsch  von  Capua  gen  Rom 
gleich  einem  Irrlicht  im  Sumpfe  hin  und  hertanzen  läfst.  Keine  Auf- 
gabe hätte  einen  patriotisch  fühlenden  Schriftsteller  mehr  anlocken 
sollen  als  der  Nachweis,  wie  der  italische  Norden  von  dem  launischen 
Stamm  und  seiner  Cultur  allmälich  erobert  worden  ist.  In  der  vierten 
und  fünften  Dekade  sind  viele  Seiten  mit  angeblichen  über  Ligurer 
und  Gallier  erfochtenen  Siegen  angefüllt.  Aber  diese  armseligen  Be- 
richte stechen  schreiend  ab  gegen  die  nebenher  laufende  aus  Polybios 


22  Einleitong.  Die  Qaellen. 

geschöpfte  Erzählung,  welche  die  in  Griechenland  und  Asien  spielen- 
den Ereignisse  mit  sonniger  Klarheit  vorführt;  dafs  der  Sohn  des  Po- 
lands  den  Abstand  nicht  bemerkt,  oder  wenn  er  ihn  bemerkte,  nicht 
auszugleichen  gewufst  hat,  scheint  uns  eine  ebenso  lehrreiche  ab  be- 
trübende Wahrnehmung.^) 

Wir  können  hier  abbrechen.  In  der  mit  Augustus  anhebenden 
Friedensperiode  schrumpfte  das  geschichtliche  Interesse  zusammen  und 
beschränkte  sich  in  noch  höherem  Grade  auf  den  Sitz  der  Regierung 
als  bisher  der  Fall  gewesen  war.  Von  Polybios  bis  Strabo  sind  es 
also  Fremde,  welche  uns  das  Verständnifs  AltitaUens  eröffnen.  Durch 
ihre  Anweisung  geschult,  werden  wir  im  Stande  sein  das  Erz  vom  tau- 
ben Gestein  zu  unterscheiden,  die  wertvollen  Fundgruben,  welche  die 
römische  Litteratur  noch  birgt ,  aufzudecken  und  auszunutzen.  Den 
letzteren  mufs  eine  gesonderte  Betrachtung  gewidmet  werden. 

§7.  Hülfsbücher  der  Praxis. 

So  wenig  einzelne  Römer  als  Forscher  und  Entdecker  geleistet, 
so  sehr  hat  der  Staat  bewufst  und  unbewufst  die  Erdkunde  gefördert. 
Seine  Waffen  machten  den  Westen  des  Mittelmeers,  den  Norden  Euro- 
pa's  bekannt;  seine  Anziehungskraft  wirkte  nach  allen  Richtungen  so 
weit  und  nachhaltig,  dafs  durch  Handel  und  Verkehr  eine  Fülle  von 
Erdwissen  aufgespeichert  werden  konnte ,  die  früheren  Epochen  un- 
geahnt, erst  mit  der  Neuzeit  überboten  werden  sollte.  Innerhalb  seiner 
Grenzen  hat  der  Staat  die  Landeskunde  mit  einer  Fürsorge  gepflegt, 
die  nur  im  Reich  der  Pharaonen  und  Ptolemäer  ein  würdiges  Vorbild 
fand.   Von  wissenschaftlichen  Beweggründen  ward  er  dabei  selbstver- 
ständlich nicht  geleitet.  Wenn  hellenische  Fürsten  ihre  Gelehrten  mit 
den  reichsten  Mitteln  ausrüsteten  um  die  Höhe  der  Berge  oder  den 
Umfang  der  Erdkugel  zu  bestimmen ,  so  sucht  man  nach  ähnlichen 
Unternehmungen  von  Seiten  der  Römer  vergebens.  Dem  römischen 
Machthaber  mochte  es  wenig  frommen  zu  erfahren  wie  grofs  die  Erde 
und  wie  bedeutend  ihre  Erhebungen ;  aber  welche  Frist  eine  Truppe 

1)  Belege  für  diese  tod  den  Neoeren  nicht  genügend  gewürdigte  Sach- 
lage habe  ich  beigebracht  Krit.  Unters,  üb.  d.  Qoellen  d.  Liv.,  Berlin  1863, 
p.  104;  Rhein.  Mus.  XXV  30.  Der  Marsch  gegen  Rom  XXVI  1->11  ist  meines 
Erachtens  aus  Antias  geschöpft,  schlimm  besonders  c.  9.  Die  Verwirrung  beim 
Alpenübergang  (vgl.  Kap.  111  6)  XXI  31,  dazu  Weissenbom,  und  38.  üebrigens 
ist  es  mit  den  topographischen  Daten,  welche  Goelius  beizufügen  liebt,  auch 
mislich  bestellt. 


f  7.   Hfllfsbücher  der  PNxis.  23 

zur  üeberschreitung  des  Gebirges  brauchte,  wie  viel  Morgen  bebauten 
Ackers  eio  Stadtgebiet  umfarste,  welchen  Ertrag  Wald  und  Weide  ge- 
wlhrie,  dergleichen  Fragen  gehörten  für  ihn  seit  undenklichen  Zeiten 
zum  ABC  einer  guten  Geschäftsführung.  Von  dem  statistischen  und 
chorographischen  Material,  welches  durch  öffentUche  Veranstaltung  be- 
schafit  worden  ist,  ward  ein  bedeutender  Theil  allgemeiner  Benutzung 
preisgegeben  und  steht  in  wichtigen  Ueberresten  noch  zu  unserer  Ver- 
Agung. 

Wie  billig  beginne  ich  mit  den  Itinerarien.  Auf  den  Kunst- 
strafsen  der  Romer  ruhte  ihre  militärische  Herrschaft,  der  sichere  Gang 
ihrer  Verwaltung,  die  Schnelligkeit  ihres  Verkehrs.  Dieselben  bildeten 
zugleich  und  bilden  die  Grundlage  chorographischer  Forschung.  Zum 
GlQck  sind  wir  über  das  Strafsennetz  sowol  durch  monumentale  als 
durch  litterarische  Zeugnisse  vortrefflich  unterrichtet  Von  den  letzte- 
ren ist  hier  allein  zu  handeln.  Es  ward  oben  (S.  18)  bemerkt,  dafs 
keine  Reisebeschreibungen  von  Altitalien  verfafst  worden  sind:  poe- 
tische Schilderungen  wie  die  Reise  des  Horaz  nach  Brundisium  und 
die  Rüste nfahrt  des  Rutilius  Namatianus  können ,  so  anmutig  und  be- 
lehrend sie  auch  sind,  als  solche  nicht  gelten.  Dagegen  hat  es  an  Reise- 
handbüchern nicht  gefehlt.  Die  öffentUche  Sicherheit,  welche  die  Mo- 
narchie begründete,  der  zunehmende  Wolstand,  die  Centralisation  der 
Regierung  erfüllten  die  Strafsen  mit  einem  Leben ,  wie  solches  Italien 
bis  auf  das  19.  Jahrhundert  selten  wieder  gesehen  hat.  Die  Benutzung 
der  kaiserlichen  Post  stand  zwar  nur  wenigen  Bevorzugten  frei,  aber 
durch  Fuhrmannsgilden  war  für  den  gewöhnlichen  Reisenden  auf  den 
Hauptrouten  ausreichend  gesorgt.  Somit  hatte  Jedermann  allen  Anlafs 
sich  im  voraus  über  die  Namen  der  Stationen  und  die  Länge  der  Posten 
zu  unterrichten ,  damit  er  Quartier  und  Vetturin  und  Preise  weislich 
bestellte.  Den  gewünschten  Dienst  leisteten  die  Itinerarien  d.  h.  Ver- 
zeichnisse der  Poststationen  und  ihrer  Entfernungen  von  einander, 
den  heutigen  Cursbüchern  vergleichbar.  Wie  allgemein  sich  ihr  Ge- 
brauch eingebürgert  hatte,  lehren  vier  silberne  Becher,  welche  1852 
in  dem  Schwefelbad  von  Vicarello  {Aqtuie  ApoUinares)  am  See  von 
Bracciano  (lacus  S<d>aimtat)  mit  zahllosen  anderen  Votivgaben  aus  der 
Quelle  ans  Licht  gefordert  wurden.  In  der  Form  von  Meilensteinen 
enthalten  dieselben  sämmtliche  Stationen  und  Distanzen  von  Gades 
nach  Rom  eingravirt  (Ueberschrift  üinerarium  a  Gades  Romam  oder 
ab  Gades  usque  Roma  itinerare  u.  ähnlich) ,  sind  also  augenscheinlich 
an  ersterem  Ort  gefertigt,  von  Gadilanern  als  Reisebecher  verwandt 


24  Einleilong.   Die  Quellen. 

und  scbliefslich  nach  Beendigung  einer  Cur  den  heilbringenden  Nym- 
phen zum  Dank  dargebracht  worden.  Sie  sind  zu  verschiedenen  Zeiten 
gearbeitet  und  können  annähernd  vom  Anfang  bis  zum  Ausgang  des 
3.  Jahrhunderts  n.  Chr.  gesetzt  werden. i)    Handschriftlich  sind  ver- 
schiedene Itinerarien  fortgepflanzt.  Das  itinerarium  provindamtn  An- 
tonini Augusti  enthält  ein  nach  den  Provinzen  geordnetes  Verzeichnifs 
der  Strafsen  und  Stationen  des  ganzen  Reichs.  Nach  der  Ueberschrift 
Mt  die  Ausgabe  unter  einen  der  Antonine  und  ist  wahrscheinlich  auf 
Caracalla  zurückzuführen.   Indefs  sind  Nachträge  beigefügt  und  gehört 
die  erhaltene  Redaction  einer  etwas  späteren  Periode,  nämlich  der  Re- 
gierung Diocletians  an. 2)  Angehängt  ist  das  itinerarium  tnaritimum, 
die  Entfernungen  zur  See  von  Hafen  zu  Hafen  verzeichnend.    Es  be- 
steht aus  verschiedenartigen  Stücken  und  ist  unvollständig.    Sodann 
besitzen  wir  die  Reiseroute  eines  christlichen  Pilgers  von 
Bordeaux  nach  Jerusalem  und  zurück  über  Rom  nach  Mailand  vom 
J.  333.    Sie  enthält  eine  Beschreibung  der  heiligen  Stätten,   doch 
auch  bei  profanen  Orten  vereinzelte  Notizen  Ober  Merkwürdigkeiten, 
welche  darlegen,  dafs  aus  diesen  Stationsverzeichnissen  möglicherweise 
Reisebttcher  im  modernen  Sinne  hätten  hervorgehen  können.    Endlich 
bleibt  noch  das  wichtigste,  die  sog.  tabula  Peutingeriana  zu  erwähnen 
übrig.   Gerade  wie  wir  neben  unseren  Cursbücbern  Eisenbahn-  und 
Postkarten  brauchen,  bedienten  sich  die  Römer  bildlicher  Darstellung 
zum  gleichen  Zweck:  die  itineraria  picta  boten  den  Vorzug  vor  den 
adnotata  das  Terrain  zu  berücksichtigen. ^j    Ein  solches  itinerarium 
pictum  ist  uns  ib  dem  genannten  Werk  erhalten ,  nach  einer  älteren 
Vorlage  1265  zu  Colmar  gezeichnet  und  colorirt^)    Die  Zeichnung 

1)  Drei  Becher  sind  von  Henzen  Rhein.  Mus.  X  (1853)  p.  20  fg.,  dazu  ein 
vierter  von  Garracci  dissertazioni  archeologiche ,  Roma  1864,  p.  160  fg.  ver- 
öffentlicht worden.  Aus  formalen  Gründen,  besonders  dem  zunehmenden  Ver- 
fall der  Endungen  einerseits,  aus  den  im  L4iuf  der  Route  vorgenommenen  Aen- 
derungen  andererseits  Ufst  sich  das  relative  Alter  der  Inschriften  bestimmen: 
N.  1 — 3  sind  älter,  N.  4  jünger  als  das  itinerarium  Antonini.  Sie  lassen  sich 
aaf  eine  alte  gute  Vorlage  zurückführen.  Die  sprachliche  den  üebergang  zv 
den  romanischen  Sprachen  anbahnende  Verwilderung  bestätigt  den  provinzialen 
Ursprung. 

2)  Vetera  Romanonim  itineraria  cum  notis  var.  ed.  P.Wesseling,  Amstel 
1735.  Itinerarium  Antonini  Aug.  et  Hierosolymitanum  ex  libris  mss.  edd.  Pir- 
they  et  Finder,  Berol.  1848. 

3)  Ausführlich  dargelegt  von  Vegetius  111  6. 

4)  Es  gelangte  nach  seiner  Entdeckung  1507  in  den  Besitz  des  Augsburger 
Patriziers  Peutinger  —  daher  der  Name  —  später  nach  Wien.    Erste  Ausgabe 


§  7.   HfllfsbOcher  der  Praxis.  25 

mmmt  1 1  Blätter  (dazu  eines  verloren)  ein ,  die  an  einander  gereiht 
eine  RoUe  von  ungefiihr  21  Fnfs  Lunge  bei  1  Fufs  Hohe  ergeben. 
Mtflrlich  mursten  bei  einem  derartigen  Verhflltnifs  die  Länder  in 
Dord-sadlicher  Richtung  zusammen  gequetscht,  in  west-östlicher  ver- 
llDgert  werden.  Der  Verfasser  hat  auch  gar  nicht  daran  gedacht  die 
Umrisse  getreu  festzuhalten  noch  etwa  an  irgend  eine  berühmte  oder 
unberOhmte  Wandkarte  sich  angelehnt,  sondern  lediglich  ein  Verfahren 
eingeschlagen ,  zu  dem  das  Obliche  Rollenformat  der  antiken  Bücher 
nötigte,  sobald  bequeme  Handlichkeit  erzielt  werden  sollte.  Aufser 
den  Stationen  und  ihren  Entfernungen  konnten  Flüsse  und  Gebirge 
eingetragen,  die  verschiedene  Art  der  Ortschaften  bezeichnet,  der  Zu* 
sammenhang  der  auslaufenden  StraTsen  übersichtlich  angegeben  wer- 
den. Demnach  enthält  die  Reisekarte  viel  reicheres  Detail  als  die  oben 
besprochenen  Itinerarien :  die  Redaction  wird  unter  die  Regierung  des 
Alexander  Severus  230  n.  Chr.  oder  früher  um  die  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  verlegt,  i) 

An  zweiter  Stelle  verdienen  die  Schriften  der  römischen 
Feldmesser^)  erwähnt  zu  werden.  Seitdem  Niebuhrs  geniale  For- 
schung von  diesem  „verschlossenen  Räthselbuch^  ausgegangen,  ist 
dessen  Bedeutung  für  das  Verständnifs  des  römischen  Staats  und  seiner 
Religion  allgemein  anerkannt.  Auch  in  der  Landeskunde  gebührt  ihm 
ein  hervorragender  Platz.  Die  Anlage  einer  italischen  Stadt,  die  Ver- 
theilung  von  Grund  und  Boden  innerhalb  wie  aufserhalb  der  Mauer, 
der  Zug  der  Strafsen,  die  Scheidung  von  Privat-  und  Gemeinland,  von 
Acker  und  Weide,  alles  ward  auf  gewisse  einfache  altgeheiligte  Grund- 
sätze zurückgeführt,  auf  Vorschriften ,  die  ebensowol  als  ein  Ausflufs 
der  Religion  wie  der  Politik  —  denn  beides  f^Ut  hier  untrennbar 
zusammen  —  aufgefafst  werden  können.  Wenn  wir  uns  ein  Bild 
des  Altertums  mit  seinen  Städten  und  Territorien  zu  veranschau- 
lichen suchen,  so  werden  wir  allein  durch  das  Studium  der  Feldmesser 
befähigt  die  Ruinen  pragmatisch  zu  deuten,  die  vereinzelten  Ueberreste 
altrömischer  Flurtheilung  als  solche  zu  erkennen.  Die  Kunst  welche 
die  Elemente  von  Geometrie  Jurisprudenz  und  Theologie  in  so  eigen- 


dorch  Herrn  v.  Scheyb,  Wien  1753,  spater  Mannert,  Leipzig  1824,  Prachtaus- 
gabe und  Facnmile  mit  aasfQhrlicheni  Gommentar  E.  Desjardina,  Paris  186S — 71. 

1)  Fr.  Philippi,  de  tabula  Peutiogeriana,  Boonae  1876. 

2)  Die  Schriften  der  Rom.  Feldmeaser  herausgeg.  u.  erläutert  von  Blume 
Laehmann  u.  Rudorff,  I.B.,  Texte  (von  Lachmannu).  Zeichnunge  n,  Berlin  1848, 
2.  B.  Erläuterungen,  Berlin  1852. 


26  Einleitung.  Die  Qoellen. 

tOmlicher  Weise  mit  einander  verbunden  auf  die  praktischen  Aufgaben 
des  Tages  übertrug,  ist  allem  Anschein  nach  zuerst  von  den  Etniskern 
theoretisch  behandelt  worden.  Seit  Augustus  haben  Männer  in  an- 
gesehenster Stellung  wie  z.  B.  Frontin,  der  dreimal  unter  Domitian 
Nerva  und  Traian  das  Consulat  bekleidete,  einzelne  Materien  aus  der- 
selben erörtert.  Dagegen  ruht  ihre  praktische  Uebung  in  den  Händen 
einer  eigenen  Zunft,  welche  die  vorhandene  Litteratur  gesammelt  und 
benutzt  hat  Aus  ihren  Kreisen  sind  namentlich  für  Schulzwecke  Aus- 
züge veranstaltet  worden,  die  bis  in  das  Mittelalter  hinein  im  Gebrauch 
verblieben.  Die  erhaltene  Sammlung  umschliefst  gar  verschiedenartige 
Bestandtheile:  neben  den  wertvollen  Bruchstücken  eines  Frontin,  Hy- 
gin  und  Siculus  Flaccus  (unter  Traian,  letzterer  vielleicht  etwas  später) 
ziemUch  unerhebliche  Schulcommentare  des  vierten  und  fünften  Jahr- 
hunderts.   Der  Text  wird  durch  eine  Reihe  von  Figuren  erläutert,  in 
denen  gleichfalls  neben  zahllosen  Spielereien  viel  Beachtenswürdiges 
sich  findet.  Als  topographische  Quelle  sind  besonders  die  Auszüge  zu 
bezeichnen,  welche  unter  dem  Namen  libri  coloniarum  citirt  zu  werdea 
pflegen.  Lückenhaft  und  vielfach  entstellt  wie  sie  sind ,  entstammen 
sie  doch  einem  grofsen  Werk,  welches  eine  Uebersicht  über  sämmtliche 
vom  römischen  Staat  in  Italien  vorgenommene  Vermessungen  nach 
den  im  römischen  Archiv  vorhandenen  Grundrissen  aufstellte.  So  wer- 
den wir  über  Limitation  Befestigung  Wegeservitute  und  ähnliche  Dinge 
bei  ungefähr  120  Städten  unterrichtet  und  begrüfsen  diese  einsilbigen 
abgelegenen  Notizen  mit  aufrichtigem  Dank ,  da  uns  so  wenig  andere 
Zeugen  von  dem  Leben  der  Kleinstädte  Kunde  verbringen. 

In  Betreff  einer  anderen  Hauptseite  des  römischen  Altertums  ge- 
währen die  Schriften  über  Landwirtschaft^)  befriedigende 
Auskunft.  Seit  Alters  wurde  der  Landbau  als  diejenige  Beschäftigung 
betrachtet,  welche  einzig  und  allein  dem  römischen  Bürger  geziemte. 
Bereits  der  alte  Cato,  der  Mann  welcher  dem  nationalen  Charakter  den 
schärfsten  Ausdruck  verliehen ,  hat  den  Gegenstand  in  einem  uns  er- 
haltenen Buch  bearbeitet.  Nach  der  Zerstörung  Karthago's  liefs  der 
Senat  das  punischeWerk  des  Mago  ins  lateinische  übersetzen  und  gab 
damit  von  Staatswegen  Antrieb  zu  weiteren  Behandlungen.  Um  von 
den  verlornen  ganz  zu  schweigen,  besitzen  wir  noch  die  drei  von  Varro 
37  V.  Chr.  im  achtzigsten  Lebensjahr  verfafsten  Bücher,  die  Georgica 
Vergils  (30  v.  Chr.) ,  die  zwölf  Bücher  des  Columella  (ca.  62  n.  Chr.), 


1)  Scriptores  rei  rusticae  illostravit  Schneider,  4  tom,  Lips.  1793 — 96. 


|8.  Landkarten.  27 

ejNBidi  aus  dem  vierten  Jahrhundert  vierzehn  Bttcber  von  Palladius. 

Der  Stoff  brachte  es  mit  sich,  dais  die  Verfasser  im  Leben  standen  und 
mi  das  Leben  zurückgriffen.  Insofern  gewahren  sie  wichtige  Auf- 
schlflsse  zur  Aufhellung  antiker  Volkswirtschaft.  Das  Nämliche  gilt 
roo  den  Schriften  aus  anderen  Gebieten  der  Praxis,  die  sämmtUch  an- 
zoftlhren  keinen  Sinn  hätte. 

§  8.  Landkarten. 

Von  jeder  öfifentlichen  Vermessung,  bei  der  Anlage  einer  Colonie 
und  derVertheilung  von  Staatsländereien  wurde  eine  Karte  aufgenom- 
men und  in  zwei  Exemplaren  ausgefertigt :  das  eine  in  Erz  um  in  der 
betreffenden  Stadt  zur  allgemeinen  Kunde  ausgestellt  zu  werden ;  das 
zweite  auf  Leinwand  wanderte  als  Originalurkunde  in  das  römische 
Staatsarchiv.  1)  Das  schätzbare  Material,  welches  dergestalt  hier  ange- 
häuft wurde,  ist  höchstens  zur  Zeichnung  von  Stadtplänen  benutzt 
worden.  Von  solchen  kennen  wir  den  zu  Anfang  des  dritten  Jahrhun- 
derts in  Marmor  eingegrabenen  Stadtplan  von  Rom,  dessen  Trüm- 
mer trotz  ihrer  heillosen  Verstümmelung  eine  Vorstellung  von  derglei- 
chen Arbeiten  gewähren.  Er  ist  in  dem  grofsen  Mafsstab  von  ungefähr 
1 :  300  gehalten  und  ruht  auf  den  Vermessungen  des  Agrippa  und 
Vespasian.^)  Wenn  selbst  bei  einem  so  eng  umgrenzten  Gebiet  grobe 
Fehler  nicht  vermieden  werden  konnten ,  so  waren  geodätische  Auf- 
nahmen für  allgemeinere  Darstellungen  vollends  unbrauchbar.  Anders 
verhielt  es  sich  mit  der  Ausmessung  der  Heerstrafsen ,  durch  welche 
der  Kartographie  eine  ungeahnte  Fülle  zuverlässiger  Daten  zur  Ver- 
fflgung  gestellt  wurde.  Die  Römer  hielten  bei  ihren  Strafsenzügen 
s^er  Unbequemlichkeiten  ungeachtet  wenn  irgend  möglich  die  kürzeste 
Linie  zwischen  den  zu  verbindenden  Ortschaften  ein.  Die  Entfernung 
derselben  von  einander  war  durch  die  Strafsenlinie  ungleich  genauer 
bestimmt  als  durch  blofse  Schätzungen  über  die  Länge  des  zurück- 
gelegten Weges,  aufweiche  man  bisher  angewiesen  gewesen  war;  denn 
die  Schätzungen  von  Reisenden ,  mögen  diese  sich  nun  auf  eine  zu 
Wasser  oder  auf  eine  zu  Lande  zurückgelegte  Strecke  beziehen,  fielen 
uod  fallen  erfahrungsmäfsig  zu  hoch  aus.  Die  Strafsen  sind  vermutlich 
^on  vorn  herein  ausgemessen ,  auch  frühzeitig  mit  Meilensteinen  — 
deren  aus  dem  J.  187  v,  Chr.  erhalten  sind  —  versehen  worden.  Po- 


1)  Rudorii;  Gromatische  Insütutioaeo  p.  405  (im  2.  B.  der  Feldmesser). 

2)  Forma  urbis  Romae  regionum  Xmi  ed.  H.  Jordan,  Berol.  1874,  fol. 


28  EinleitQog.  Die  Qndlen. 

lybios  hat  zuerst  diese  Angaben  wissenschaflKcfa  verwertet  und  e.  B. 
eine  Messung  der  Ostseite  Italiens  von  der  Sttdspitze  Apuliens  bis 
Aquileia  angefahrt  1)  Für  die  Folgezeit  werden  sie  von  allen  bedeuten- 
den Kartendarstellern  zu  Grunde  gelegt.  Die  Leistungen ,  welche  mit 
derartigen  Mitteln  erzielt  wurden,  dürfen  billiger  Weise  nicht  nach  den 
heutigen  Ansprüchen  beurtheilt  werden:  mit  denjenigen  der  Vorgänger 
verglichen,  offenbaren  sie  einen  bewundernswürdigen  Fortschritt. 

Der  Grad  von  Treue,  welchen  ein  antikes  Kartengemalde  erreichen 
konnte,  hing  von  der  grOfseren  oder  geringeren  Anzahl  astronomischer 
Ortsbestimmungen  ab,  die  dem  Zeichner  zu  Gebote  stand.  Freilich  kam 
der  eine  Hauptfactor,  die  Bestimmung  der  astronomischen  Lange  über- 
haupt nicht  in  Betracht;  denn  wenn  auch  die  Alten  über  die  Metho- 
den um  solche  zu  ermitteln  vollständig  im  Klaren  waren,  konnten  sie 
doch  die  Forderungen  der  Theorie  in  der  Praxis  nicht  zur  Ausführung 
bringen,  theils  weil  ihren  Instrumenten  die  nötige  Schärfe  abging, 
theils  weil  eine  zweckmäfsige  Theilung  und  Organisation  der  Arbeit 
in  verschiedenen  Ländern  nicht  durchführbar  war.  Die  westöstliche 
Entfernung  ward  deshalb  empirisch  von  ihnen  abgeleitet,  durch  Com- 
bination  von  Periplen ,  Wegemafsen  und  Angaben  von  Reisenden  zu 
finden  gesucht  Natürlich  gab  ein  so  rohes  Verfahren  recht  unvoll- 
kommene Resultate :  so  wird  selbst  in  den  genauesten  Messungen  die 
grofse  Axe  des  Mittelmeers  3  —  5  ^  zu  lang  angesetzt  Aus  dem  näm- 
lichen Grunde  fiel  die  Bestimmung  des  Erdumfangs  unbefriedigend 
aus,  wurde  von  einigen  Forschern  (Eratosthenes)  der  Breitengrad  Vß 
zu  grols ,  von  anderen  (Poseidonios  Marines  Ptolemaeos)  </«  zu  klein 
gerechnet.  Wenn  man  endlich  noch  erwägt,  dafe  das  Problem  eine 
Kugelfläche  in  die  Ebene  zu  übertragen  schwierig  und  vieler  Lösungen 
fähig,  dafs  eine  richtige  Projection  erst  von  Ptolemaeos  wirklich  ange- 
wandt worden  ist,  so  begreift  man,  warum  die  Umrisse  antiker  Karten 
von  der  Wahrheit  weit  abweichen  mufeten.  Dafs  sie  nicht  eine  völlig 
verzerrte  Gestalt  annahmen ,  ward  allein  durch  die  relativ  genaue  Er- 
mittelung der  geographischen  Breiten  verhütet.  Seitdem  die  Erkennt- 
nifs,  dafs  die  Erde  eine  Kugel  sei,  in  der  Wissenschaft  durchgedrungen 
war,  machte  es  keine  sonderliche  Mühe  die  Polhöhe  eines  Ortes  fest- 
zustellen. Man  mafs  um  Mittag  zur  Zeit  der  Nachtgleiche  (wenn  die 
Sonne  im  Meridian  und  im  Aequator  steht)  den  Winkel,  den  die  Spitze 


1)  Bei  Strabo  VI  285,  die  Rechnong  nach  MiUien  lifst  keine  andere  Den- 
tung  zu;  Tgl.  Pol.  111  39. 


f  8.   LaiidkarteD.  29 

des Gnomoiis  mit  der  Spitze  des  Schatteng  bildet,  erhielt  dadurch  su* 
giekh  den  Hohenwinkel  der  Sonne  d.  h.  den  Abstand  des  fragliehen 
Ortes  ?om  Aequator.  Der  gefundene  Wert  ist  nur  um  einen  halben 
Durchmesser  der  Sonne  oder  um  etwa  16  Bogenminuten  zu  klein;  aber 
dieser  Fehler  wird  von  den  Alten ,  sei  es  dafs  sie  seiner  nicht  gewahr 
wunlen,  sei  es  dafs  sie  ihn  für  unerheblich  hielten,  stets  vernachlflssigt. 
Schon  P  y  t  h  e  a  s  hatte  auf  solchem  Wege  die  Polhöhe  seiner  Vaterstadt 
Massaha  (43<>  17'  52^0  zu  43<^  5'  bestimmt  Aber  dem  Eratosthe- 
nes,  welcher  die  Strafse  von  Messina  nicht  nur  mit  dem  5^  westliche- 
ren Karthago  durch  denselben  Meridian  verband ,  sondern  auch  auf 
den  Hauptparallelkreis  von  36®  legte,  also  2^  nach  Süden  verrückte, 
lagen  keine  Beobachtungen  aus  Italien  vor.  Dagegen  hat  Hipp arch 
richtig  Syrakus  (37<^  40  zu  36  <^  55'  angesetzt  und  seinen  sechsten 
Parallelkreia  mit  einer  Tageslfinge  von  15  Stunden  oder  41  <^  9'  richtig 
zwischen  Rom  und  Neapel  gezogen,  i)  Die  zunehmende  Verbreitung 
und  Vervollkommnung  der  Sonnenuhren  mufste  einen  mächtigen  An- 
trieb zu  genauen  Breitenbestimmungen  geben.  Es  ist  zwar  bekannt, 
dafs  die  für  eine  4<^  südlicher  belegene  Stadt  Siciliens  entworfene  Uhr 
auf  dem  romischen  Forum  ein  Jahrhundert  lang  in  Gebrauch  blieb 
und  erst  164  v.  Chr.  durch  eine  besser  construirte  ersetzt  ward.^  In- 
dessen ward  ein  so  kindlicher  Standpunct  durch  das  Eindringen  hel- 
lenischer Bildung  völlig  überwunden  und  die  Astronomen  ermittelten 
die  Tageslänge  und  Polhohe  Roms  mit  zutreffender  Scharfe.^)  Dies 
geschah  auch  für  andere  Städte  Italiens  und  wird  ausdrücklich  bezeugt 
für  Taren  tAncona  und  Atria  am  Po.^)  Möglicher  Weise  hat  die  Kalender- 

1)  Nach  Stnbo  11  134.  Die  Bestimmaog  von  Syrakus  ist  unter  Berück- 
sichUguDg  der  constanten  Fehlergröfse  sogar  viel  genauer  als  diejenige  des 
Ptolemaeos  m  4  p.  195,  5  Wilb.  auf  37®  15'  und  mag  wol  von  Archimedes  her- 
rühren. 

2)  Ideler,  Handb.  d.  Ghron.  n  7  fg. 

3)  Der  längste  Tag  zu  Born  mals  \b^  6',  die  griechische  Quelle  des  PU- 
mos  VI  217  n  182  bestioimte  ihn  auf  Ib^  &  40'',  Nigidius  auf  151"  12'.  Rom 
Hegt  41®  53'  52",  Ptolemaeos  setzt  es  41®  40'. 

4)  Vitmy  (schrieb  nach  16  y.  Chr.)  IX  8, 1  kennt  das  Verhältnifs  von  6no- 
BOD  vnd  Schatten  für  Rom  und  Tarent.  LeUtere  Stadt  (40®  31')  liegt  bei 
Ptolemaeos  annähernd  richtig  40®.  Die  beiden  anderen  Orte  führt  Plinius 
Ü  182  VI  218  nach  älteren  griechischen  Quellen  an.  Jedoch  hat  er  das  arge 
Versehen  begangen  Ancona  nördlich  vom  45®  zu  setzen :  man  verstehe  an  der 
ersten  Stelle  deBit  statt  nqterett  und  bringt  damit  alles  in  Ordnung.  Ancona 
(43®  380  liegt  bei  Ptolemaeos  annähernd  richtig  43®  40'.  Das  unbestimmte 
Venetia  kann  füglich  durch  Atria  oder  die  dortige  Pomflndung  ersetzt  werden. 


80  EinidtaDg.   Die  Quellen. 

reform  sowie  die  neue  Ordnung  der  Verwaltung,  welche  Caesar  und 
Augustus  einführten,  diese  Arbeiten  nicht  blos  begünstigt,  sondern 
auch  zum  Abschlufs  gebracht 

Kartenbilder  sind  in  Rom  frühzeitig  angefertigt  worden ,  z.  B, 
174  ▼.  Chr.  von  der  Insel  Sardinien  für  den  Tempel  der  Matuta;  An- 
gesichts einer  Karte  von  Italien  läfst  der  alte  Varro  sein  erstes  Gespräch 
über  den  Landbau  abhalten.^)  Aber  die  Monarchie  wufste  auf  diesem 
wie  auf  anderen  Feldern  die  alte  Zeit  völlig  zu  verdunkeln.  Einer  ihrer 
Gründer,  Marcus  Agrippa  hatte  die  Ergebnisse  der  zahllosen 
Strafsenbauten  und  Vermessungen  bearbeitet,  um  auf  Grund  derselben 
eine  grofse  Weltkarte  in  einer  zu  erbauenden  Porticus  anzubringen. 
Nach  seinem  13  v.  Chr.  erfolgten  Tode  hat  die  Schwester  das  ViTerk 
begonnen ,  der  Kaiser  in  den  letzten  Lebensjahren  zu  Ende  geführt. 
Es  wird  nicht  bezeugt,  versteht  sich  indessen  von  selbst,  dafs  die  Für- 
sten ein  Denkmal  ihres  Ruhmes  haben  stiften  wollen:  was  an  den 
Pforten  des  Mausoleums  in  Worten  zu  lesen,  war  hier  im  Bilde  zu 
schauen ,  wie  die  Fürsten  die  Herrschaft  des  römischen  Volkes  nach 
allen  Richtungen  erweitert,  wie  sie  die  Könige  und  Nationen  an  der 
Welt  Enden  unter  Roms  Majestät  gebeugt  hatten.  Es  wird  ausdrück- 
lich bezeugt  und  versteht  sich  ohnehin  von  selbst,  dafs  das  geogra- 
phische Wissen  und  Können  der  ganzen  Epoche  seinen  Ausdruck  in  der 
Schöpfung  gefunden  hat^  Von  einem  arUs  depichu,  einer  Wand- 
karte in  Antun ,  welche  wahrscheinlich  diesem  Original  entlehnt  war, 
heifst  es  in  einer  späteren  Beschreibung^),  dafs  sie  alle  Länder  und 
Meere,  Quellen  Lauf  Mündungen  der  Flüsse,  Buchten  und  Meerengen, 
Lage  und  Entfernung  sämmtlicher  Städte  und  zwar  alles  mit  beige- 
schriebenem  Namen  enthalten  hätte.    Die  Karte  wurde  durch  einen 
chorographisch- statistischen  Commentar  erläutert,  weicher  die  Mafse 
der  einzelnen  Länder  und  Meere  angab,  die  Völkerschaften  und  Städte 

Es  ist  bemerkenswert,  dafs  alle  Beobachtungen  aaf  Städte  mit  griechischer 
Bevölkerung  hinweisen. 

1)  Uv.  XU  28  Varro  RR.  I  2, 1  vgl.  Vitruv  Vm  2, 6  Properz  V  3,  37  Sueton 
Dom.  10. 

2)  Plin.  in  17  Agrippam  qtddem  in  tania  viri  diHgenHa  praeterque  in 
hoc  opere  eura,  cum  orbem  terrarum  orH  tpeetandum  proponiurut  eisei, 
errasMß  quis  credat  ei  cum  eo  divam  Augugtum?  is  namque  eonphxam  emn 
partiewn  ex»  desHnaiiane  et  cammeniariiM  M.  Agrippae  a  eorare  eiue  in- 
ehoatam  peregit, 

3)  Enmenii  or.  pro  restaur.  scolia  (Pan.  Lat  IV)  20  und  21.  Aehnlich  be- 
schreibt Strabo  11 120  die  antiken  Karten  überhaupt;  vgl.  die  A.  1  angeführten 
SteUen  und  Plin.  VI  139. 


I  8.   Undkarten.  81 

nach  ihrer  yerschiedenariigen  Rechtstellung,  die  Städte  vielfach  in 
aipliabetischer  Reihenfolge  aufiführte ,  endlich  allerlei  Notizen  geogra* 
phscfaer  und  ethnographischer  Art  zur  Belebung  des  trockenen  Stoffes 
beifOgte.  Diese  Aufzeichnungen  des  Agrippa  wurden  erst  25  Jahr  nach 
seinem  Ableben  TerOffentlicht  und  deshalb  hat  der  kaiserliche  Heraus- 
geber mancherlei  Aenderungen  und  Zusätze  vorgenommen,  welche  die 
veränderte  Zeitlage  forderte. <)  So  ist  es  gekommen,  dafs  der  Name 
des  eigentlichen  Urhebers  in  den  Schatten  gestellt,  dafs  am  Ausgang 
des  Altertums  die  Vermessung  und  Beschreibung  des  Erdkreises  wie 
so  viele  andere  Dinge  dem  grofsen  Augustus  zugeschrieben  wurde. ^) 
In  der  That  mufs  dies  als  die  wichtigste  Leistung  gelten,  welche  die 
Erdkunde  seit  Eratosthenes  aufzuweisen  hatte.  Zwar  hat  Strabo  sich 
nicht  bewogen  gefunden  auf  seine  alten  Tage  umzulernen  noch  aus 
der  dargebotenen  Hasse  von  Namen  und  Zahlen  nennenswerten  Nutzen 
zu  schöpfen  gewulst.  Dagegen  liegen  uns  umfassende  Auszüge  bei 
Plinius  vor  und  was  die  gröfste  Tragweite  hatte,  dem  Ptoleroaeos  war 
damit  eine  Hauptquelle  für  sein  Epoche  machendes  Werk  eröffnet. 

Um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.  hat  Claudius 
Ptolemaeos^)  die  bisherigen  Leistungen,  alles  was  phönizischer 
Handel,  hellenische  Wissenschaft  und  römische  Macht  zur  Erforschung 


1)  Die  Porticas  mit  der  Weltkarte  war  7  v.  Chr.  noch  uoferUg  (Dio  LV  S), 
Die  Zeit  der  YeröffentUchaog  von  Agrippa's  Gonunentarien  ergiebt  sich  ans 
der  Regiooeneintheilung  Italiens,  welche  14  n.  Chr.  fallt  (Kap.  I  5).  Das  beider- 
seitige Verbal tniCs  von  Agrippa  als  Verfasser  and  Augustus  als  Herausgeber 
vird  von  Plinius  in  17  bestimmt  gekennzeichnet.  Für  Italien  muiste  Plinius 
den  letzteren  allein  nennen  IQ  46.  49.  63,  weil  Agrippa  mit  dieser  Eintheilung 
nichts  zu  thun  hatte.  Dab  die  dUeriptio  JtaHae  in  das  ^rtfvtarttfiii  imperii  d.  h. 
die  eigenhändig  geschriebene  Rechenschaftsablage  des  Kaisers  (Suet  101  Tacit. 
Ad.  lU  Dio  L VI  33)  nicht  hineingehört,  liegt  auf  der  Hand.  Auch  wird  der 
Kenner  der  Zeitgeschichte  es  billigen,  dals  ich  die  Grabschrift,  welche  Augustus 
14  n.  Chr.  au£ieichnete,  nicht  aber  halb  und  ganz  barbarische  Quellen  zur  Er- 
läuterung seiner  chorographischen  Thitigkeit  verwandt  habe. 

2)  Isidor  V  36,  4;  divisio  orbis  1,  cosmographia  lulii  Gaesaris  in  Geographi 
latioi  minores  collegit  A.  Riese,  Heilbronn  1878. 

3)  Gianda  Ptolemaei  geographiae  libri  octo ,  graece  et  latine  ed.  Wilberg 
(B.  2—6  mit  Grashofs  Unterstützung),  Essen  1838—45.  Diese  verhaltnifsm&fsig 
beste  Ausgabe  enth&It  nur  die  ersten  6  Bflcher  und  hat  die  den  Text  beglei- 
tenden Karten,  welche  dem  Agathodaemon  einem  alexandrinischen  Grammatiker 
des  5.  Jahrhunderts  zugeschrieben  werden,  nicht  berficksichtigt.  Eine  kritische 
Ansgabe  mit  volistindigem  Apparat  ist  von  Gari  Mfiller  in  Aussicht  gestellt. 
IKe  Lösung  dieser  gewaltigen  Aufgabe  wird  erst  eine  sichere  Unterlage  ffir 
die  Geschichte  der  antiken  Erdkunde  schaffen. 


32  Einleitung.  Die  Quellen. 

der  Erdoberfläche  beigesteuert,  zu  einem  Gesammtbild  vereinigt   Das 
historische  Interesse,  welches  die  Feder  Strabo's  führte,  war  langst 
erloschen;  in  Karten  ward  das  reifste  Wissen  des  Altertums  zusammen- 
gefafst.  Noch  länger  als  auf  dem  Gebiet  der  Himmelskunde  hat  Ptole- 
raaeos  auf  diesem  Gebiet  die  Herrschaft  behauptet:  seine  Karten  bil- 
deten die  Grundlage  der  modernen,  wurden  erst  im  16.  Jahrhundert 
verbessert,  erst  im  18.  voUig  beseitigt.  Die  Hauptfehler  derselben  ent- 
springen aus  den  oben  berührten  Ursachen,  dafs  der  Zeichner  keine 
astronomischen  Längen  zur  Verfügung  hatte  und  den  Erdumfang  V« 
zu  klein  annahm.   Auf  dem  sechsten  Blatt  von  Europa  ist  Italien  mit 
Corsica,  auf  dem  siebenten  Sardinien  und  Sicilien  dargestellt.    Für 
ItaUen  (HI  1)  werden  340,  für  Corsica  (III 2)  52,  für  Sardinien  (III 3) 
62,  für  Sicilien  (III  4)  109  Puncte,  meist  Städte,  doch  auch  Vorgebirge 
Inseln  Flufsmündungen  Berge,  nach  ihrer  geographischen  Länge  und 
Breite  bis  auf  5  Minuten  genau  aufgeführt.  Dafs  die  Längen  sämmtlich 
auf  blofser  Combination  beruhen,  braucht  kaum  wiederholt  zu  werden. 
Auch  von  den  Breiten  gilt  durchweg  dasselbe.  Wenn  Ptolemaeos  Cor- 
sica (430—410  21'  n.  Br.)  zu  41»— 39«  20'  und  Sardinien  (41»  16'— 
380  52')  zu  390  10'  — 350  30'  anseUt,  so  hat  er  handgreiflich  keine 
einzige  auf  diesen  beiden  Inseln  beobachtete  Polhöhe  gekannt.     Für 
das  Festland  und  Sicilien  lagen  ihm  zwar  Bestimmungen ,  doch  nur  in 
geringer  Zahl  vor.    Dieselbe  scheint  auf  folgende  beschränkt  werden 
zu  müssen: 

Massalia  (43  0  18')  nach  Pytheas  43^5'  wird  gleichgesetzt  Micaea 

(430  40') 

Rom        (410  53'  52'')  bestimmt  41 0  40'  (S.  29  A,  3) 

Neapel    (40051')  =  Parthenopeinsel  40o  45'  (S.  29)  0 

Rhegium(380  6')380  15' 

Thurii     (39041')  39o  30' 

Tarent    (40o  310  40o  (S.  29  A.  4) 

Ancona   (430  38')  43o  40'  (S.  29  A.  4) 

Atria       (4504')  Pomünduog  44o  30'  (S.  29  A.  4) 

Syrakus  (3704')  37o  15'  (S.  29  A.  1). 
Es  leuchtet  ein  dafs  mit  so  wenigen  sicheren  Daten  nicht  mehr  erreicht 
werden  konnte  als  von  Ptolemaeos  erreicht  worden  ist.   Aber  es  ver- 


1)  Ptolemaeos  selbst  setzt  Neapel  irrig  41®  10';  aber  unter  Parthenope 
wird  die  alte  dem  Hipparch  bekanate  Bestiromang  zu  yerstehen  sein.  Von  den 
übrigen  Städten  Gampaniens  stimmt  die  angegebene  Polhöhe  nirgends  zu  einer 
Messung. 


I  9.  Geographische  Gompendien.  88 

dient  aDe  Anerkennung,  dals  die  wirkliche  Gestalt  des  Landes  bereits  in 
den  HanptzOgen  erkennbar  entgegentritt  Polybios  (II  14)  hatte  sie 
ab  Dreieck  bezeichnet,  dessen  Basis  die  Alpen,  dessen  Ostseite  die 
Adria,  dessen  Südwestseite  das  tyrrhenische  Heer  darstellen  sollen. 
Strabo  (V  210)  bekämpft  die  Annahme  und  will  die  Figur  lieber  durch 
ein  Viereck  ersetzen.  Seit  den  Arbeiten  Agrippa's  weirs  man,  dafs 
Italien  nach  Süden  in  zwei  Spitzen  ausläuft  wie  ein  Halbmond  oder 
der  Schild  einer  Amazone  nach  der  von  Plinius  (III  43)  gebrauchten 
Vergleichung.  Seine  nordsüdliche  Ausdehnung  wird  von  Ptolemaeos 
ganz  befriedigend  durch  den  45.  und  38.  Breitengrad  umschrieben, 
dabei  jedoch  das  Poland  nicht  weit  genug  nach  Norden  und  die  apu- 
fische  Halbinsel  (39^  470  über  einen  Grad  nach  Süden  38®  45'  hin- 
ausgezogen. Viel  weniger  ist  die  Bestimmung  der  westOstlichen  Ab- 
stände gelungen:  die  11  Grade  welche  Otranto  vom  Var  entfernt  ist, 
werden  auf  15  erhöht  und  wenn  man  auch  eine  Reduction  der  zu  klei- 
nen Grade  (6  —  5)  auf  12V3^  vornimmt,  bleibt  das  Ergebnifs  immer 
noch  um  1  Vs^  zu  grois.  Dies  hängt  mit  dem  häfslichsten  Misgriff  zu- 
sammen, welcher  die  ptolemaeischen  Karten  entstellt,  dafs  nämlich  die 
Längenaxe  des  Mittehneers  (41  ^  410  zu  62^  angesetzt  wird,  was  einen 
um  die  Hälfte  und  nach  der  Reduction  auf  51^  40'  noch  immer  einen 
um  ein  Viertel  zu  hohen  Betrag  giebt.  SiciUen  ist  minder  geglückt  als 
das  Festland:  man  sieht  dafs  der  Verfasser  von  römischen  Quellen  oder 
wenn  man  will  von  Quellen  aus  römischer  Zeit  abhängig  war,  welche 
TOD  der  ganzen  Insel  nur  eme  astronomisch  gesicherte  Position  bei- 
brachten. So  konnte  er  in  den  Wahn  verfallen,  dafs  er  die  Westspitze 
Lilybaeon  (37<^  480  ^^  nahezu  2  Grad  nach  36^  verrückte  und  die 
Kttste  von  hier  bis  zum  Vorgebirge  Pachynos  statt  südöstlich  rein  östlich 
streichen  liefs.  Damit  war  das  schlanke  Dreieck  der  alten  Trinakria  in 
ein  plumpes  Trapez  umgewandelt.  Ueberbaupt  erscheinen  die  Umrisse 
antiker  Landkarten  ungemein  schwerfällig:  der  Zeichner  deutet  die 
Buchten  wol  an,  hat  aber  von  der  bildnerischen  Kraft  des  Meeres  keine 
Ahnung.  Es  hat  der  gewaltigen  Arbeit  der  Neuzeit  bedurft,  bevor  die 
FormenfUUe  und  Formenschönheit  der  Natur  erfafst  und  wiederge- 
geben werden  konnte. 

§9.   Geographische  Compendien. 

Die  Absicht  Cicero's  der  römischen  Litteratur  ein  Handbuch  der 
Erdkunde  zu  schenken  (S.  19)  ist  von  anderen  Zeitgenossen  (Nepos 
Varro)  bethätigt  worden.    Das  Vordringen  Caesars  im  Norden  weckte 

Niii«B,  ItaL  Laadwkud«.   J.  3 


84  EinleitDDg.  Die  Qaellen« 

das  ethnographische  Interesse ,  die  Politik  des  Augustus  forderte  eine 
ganze  Reihe  von  Darstellungen  aus  dem  Gebiet  der  Länder^  und  Völker- 
kunde ans  Licht.  Jedoch  meint  Strabo  (III 166),  dafs  die  Römer  sidi 
darauf  beschränkten  ohne  wesentliche  Zuthaten  ihren  Stoff  von  den 
Hellenen  zu  entlehnen.  Dies  Urteil  wird  durch  das  ftlteste  uns  erhal- 
tene Werk,  den  kurzen  Abrifs,  welchen  der  Spanier  Pomponius 
Mela  in  den  Tierziger  Jahren  n.  Chr.  verfafste,  nicht  Lügen  gestraft 
Die  Spukgestalten,  mit  denen  eine  kindliche  Einbiklung  bei  Herodot 
und  Timaeos  die  Grenzen  der  Welt  erfdUt  hatte,  feiern  hier  ihre  Auf- 
erstehung.   Italien  ist  dem  Verfasser  eigentlich  zu  bekannt  um  davon 
zu  reden :  nichtsdestoweniger  tischt  er  den  Unsinn  von  der  dem  Po 
gegenüber  liegenden  Mündung  des  Ister  in  die  Adria  auf  (S.  10)  und 
begeht  Flüchtigkeiten  aller  Art.  Die  lebhafte ,  gelegentlich  anmutige 
Darstellung  darf  den  Leser  über  die  sachlichen  Mangel  nicht  täuschen.  ^) 
Eine  Quelle  ersten  Ranges  besitzen  wir  dagegen  in  den  vier  Büchern 
der  Encyclopädie  des  P 1  i  n  i  u  s  (III— VI)  2),  welche  eine  Uebersicbt  der 
Erdkunde  enthalten,  und  zwar  deshalb  weil  die  Commentarien  des 
Agrippa  und  Augustus  zu  Grunde  gelegt  sind.  Namentlich  in  Betreff 
Italiens  lassen  die  eigenen  Worte  des  Verfassers  keinem  Zweifel  Raum.  3) 
Die  Beschreibung  dieses  Landes  (III  38  — 138)  besteht  aus  vier  ver- 
schiedenartigen Bestand theilen.  Wir  unterscheiden  erstens  dem  Ver* 
fasser  eigentümliche  Schilderungen :  so  die  Einleitung  (38 — 43)  Tiber 
(53—55)  Campanien  (60—62)  Rom  (65—67)  Po  (117—122)  Alpen 
(133 — 138);  zweitens  behalt  er  seine  dem  Lauf  der  Küste  sich  an- 
schmiegende Anordnung  auch  in  diesem  Abschnitt  bei  und  benutzt 
mehrere  Küstenbeschreibungen  und  Karten ;  drittens  verwebt  er  eine 
Masse  einzelner  Notizen ,  welche  aus  ungefähr  20  Schriftstellern ,  be- 
sonders Cato  und  Varro,  geschöpft  sind ;  endlich  entlehnt  er  den  Grund- 
stock der  Beschreibung  des  Augustus  für  das  Binnenland.   Der  Kaiser 


1)  Pomponii  Melae  de  chorogrtphia  libri  tres  ed.  G.Parthey,  Befol.  1867. 
UbS  de  ftaUa  magis  q^ia  ordo  eseigii  quam  quia  momirari  eget,  pauea 
dicentur:  nota  sunt  omnia. 

2)  G.  PliDÜ  Secandi  naturalis  historia  rec.  B.  Dellefsen,  6  voll.  Berol. 
1866  fg. 

3)  in  46  nunc  ambiium  eius  urbisque  enumerabimus,  qua  in  re  praefari 
neeessarium  est  auetorem  nos  divom  Avgustum  secuturos  discripHonemque 
ab  eo  faetam  Itatiae  totius  in  regianes  Xly  sed  ordine  eo  qui  Uiorum  iraetu 
fiet  urbium  -quidem  vieinitates  oratione  utique  praepropera  servari  non  posse, 
itaque  interiore  exin  parte  digesHonem  in  Utteras  eiusdem  nos  secuturos, 
cohniarum  meniione  signata  qua*  ille  in  eo  prodidit  numero. 


}  9.  Geographische  CenpendieD.  85 

hatte  14  n.  Chr.  Kum  Zweck  der  Besteuemog  ItaUen  in  11  Regtonen 
eiagetheilt :  nach  ihnen  waren  die  einzelnen  Bezirke  d.  h.  die  Gemein- 
den mit  SelbatrerwalUing  in  der  Reihenfolge  des  Alphabeta  aufgeführt^ 
darunter  die  46  von  ihm  selbst  als  Triunmm  und  Herrseher  angeleg- 
ten Colonien  in  dieser  Eigenschaft  ausdrOdilich  hervorgehoben,  i)  Pli« 
ahis  wiederholt  die  Verzeichnisse  unter  Weglassung  der  bei  dem 
KOstenlauf  bereits  namhaft  gemachten  Städte')  sowie  unter  Verktirzung 
der  gebrauchten  ofBciellen  Bezeichnungsweise.  ^)  Ungeachtet  dieser 
Aenderongen  und  ungeachtet  mancher  Entstellungen,  welche  die  Flüch- 
tigkeit des  Plinius  oder  seiner  Abschreiber  verschuldet  hat,  vermögen 
wir  docb  die  ursprüngliche  Fassung  und  damit  eine  unschätzbare  Ur- 
kunde herzustellen,  welche  den  einzigen  vollständigen  Ueberblick  über 
die  Städte  des  Landes  aufserdem  aber  den  Bestand  einer  bestimmten 
Epoche  aus  denkbar  bester  Quelle  darbietet. 

Von  den  Spateren  bleibt  wenig  zu  sagen.  Seit  Plinius  hat  kein 
Römer  umfassende  oder  selbständige  Studien  über  allgemeine  Erd- 
kunde gemacht.  Dessen  grofses  Werk  bildete  flQr  die  nächsten  Jahr- 
hunderte die  Fundgrube,  aus  welcher  der  Stoff  geholt  und  in  be- 
quemere den  Bedürfnissen  des  Tages  entsprechende  Form  umgegossen 
wurde.  Wie  es  scheint,  hat  ein  Schriftsteller  aus  der  Zeit  des  Hadrian 
oder  Antoninus  die  chorographischen  Abschnitte  herausgehoben  und 
mit  Zusätzen  aus  Mela  und  einigen  anderen  Autoren  versehen.  Dies 
Handbuch  ward  von  Julius  Solious  (ca.  218  n.  Chr.)  ausgeschrie- 
ben, dessen  CoUectaneen  oder  Polyhistor  zu  drei  Vierteln  auf  Plinius 


1)  Die  SchrifteD  des  Balbns,  welche  die  wiehiigste  Quelle  für  die  SUdtr 
▼efzeichnisse  onserer  FeldmessereammluDg  (S.  26)  abgegeben  haben,  führten 
den  GegenaUnd  naher  ana;  vgl.  über  regionnm  p.  229,  12  258, 2;  239, 15  402, 8. 

2)  Ans  Versehen  werden  Städte  doppelt  nach  d^r  Kflstenbeachreibnng  und 
dem  Katalog  anfgefQhrt:  ao  62  NuoeHa  —  63  AlfaUmi^  100  Ba9ta  ^  105  Ba-^ 
tteMm,  t03  Larinum  «-  106  Larinatei,  104  j^ffi  »  105  Arpam.  ScUimaer 
ist  es,  wenn  Städte  wegen  einer  Dittographie  anagefallen  sind  Yiit  59  Fundi 
oeben  lacu»  Funäanusj  111  Firmum  neben  CMteUum  Firmanarum. 

3)  Die  Gemeinden  waren  fortlaufend  als  mMtnieipium  oder  colonia  mit  dem 
Genetiy  des  EthnilKons  bezeichnet.  Um  Raum  su  sparen  stellt  lÜnius  die 
sammUichen  Golooien  Toran,  Tergifst  aber  s.  B.  nachdem  er  MAVemuia  ge- 
nannt, 105  renuiini  zu  streichen.  Die  Municipien  giebt  er  in  der  Regel  durch 
den  NominaÜT  des  Ethmkons  im  Katalog  wieder,  bisweilea  durch  das  Neutrum 
des  A^ecÜT«  52  [wntnie^pHm]  Bariamtm  63  [munidpitim]  CaUimm,  Die  ur- 
sprüngliche Bezeichnung  tritt  z.  B.  entgegen  52  Praeffciura  Claudia  Forachdi^ 
[tiuium]  129  eaUmia  Pola  fuac  nvne  JHHa*  iulia.  Anlserhalb  des  Katalogs, 
io  der  Rüstenbeschreibung  und  sonst  wird  der  übliche  Stadtaame  gebraucht 

3* 


36  Einleitang.  Die  Qoellen. 

zurückgehen.^)  Die  Schriften  aus  der  Epoche  des  Verfalk  und  des  be- 
ginnenden Mittelalters  werden  immer  magerer  und  ergeben,  Ton  ihrem 
culturhistorischen  Interesse  abgesehen,  für  uns  wesentlich  nur  in  Be- 
treff der  einreibenden  Verschiebung  der  Namen  Aufschlub.  An  Karten 
lehnen  sich  an  die  dmemuraSio  pramnciarwn  und  die  dwitio  arbü 
terrarum  sowie  die  cotmographia  luUi  Honorit  ein  Heft  aus  der  Schule 
des  genannten  Magister.^  Einen  Abriis  der  Erdkunde  fügt  0  rosius 
seiner  um  417  geschriebenen  Chronik  ein.  Aus  Honorius  und  Orosius 
mit  einigen  Zuthaten  über  Italien  ist  die  Kosmographie  des  sog.  Ae- 
thicus  geschöpft.  Weit  bedeutender  ist  die  nach  einem  griechischen 
Original  aus  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  übersetzte  easpogitio 
totius  mundi  et  gentium.^)  Dem  Plinius  und  Solinus  ist  der  AbriCs  bei 
MartianusCapella  (Italien VI  636—650)  entnommen.  Ein  alpha- 
betisches Verzeichnifs  der  bei  bekannten  Dichtern  vorkommenden 
Ortsnamen  liefert  Vibius  Sequester.  Trotz  seines  barbarischen 
CSharakters  besitzt  der  sog.  geographus  Ravmnas,  welcher  eine  im  sie- 
benten Jahrhundert  zu  Ravenna  verfafste  griechische  Kosmographie 
übersetzt  hat,  für  uns  eine  gewisse  Bedeutung,  weil  seine  Nachrichten 
über  Italien  zum  Theil  einer  Karte  oder  einem  Itinerar  etwa  des  drit- 
ten Jahrhunderts  angehören.^) 

Unter  den  griechischen  Schulbüchern  hat  die  Periegese  des  Di o- 
nysios  die  weiteste  Verbreitung  gehabt.  Sie  beschreibt  die  Erde  in 
1187  Hexametern  und 'ist  nach  älteren  und  jüngeren  Quellen  bunt 
durch  einander  wahrscheinlich  unter  Domitians  Regierung  abgefabt. 
Sie  wurde  im  vierten  Jahrhundert  von  Avienus,  um  500  von  Priscian 
frei  übersetzt  und  fleifsig  commentirt.  Aufser  älteren  Schollen  ist  der 
ausführliche  und  brauchbare  Commentar  des  Eustathios  aus  dem  zwölf- 
ten Jahrhundert  erhalten,  i^)  Ferner  besitzen  wir  einen  Abrifs  der  Erd- 
künde  von  Agathemeros,  welcher  den  Artemidor  vielfach  benutzt, 
desgleichen  von  einem  ungenannten  Verfasser,  der  aus  Ptolemaeos 


1)  G.  lalii   Solini  collectanea   renim  memorabilium    recogn.  Mommseo, 
Berol.  1864. 

2)  Diese  kleinen  Schriften  finden  sich  in  der  S.  31  A.  2  angefahrten  Samm- 
lung von  Riese  vereinigt. 

3)  Bei  Riese  und  bei  Mflller  geogr.  gr.  min.  11  513. 

4)  Ravennatis  anonymi  cosmographta  et  Guidonis  [1119  in  Piu]  geogra- 
phica edd.  Finder  et  Parthey,  Berol.  1860. 

5)  Das  gesammte  Material  bei  Mflller  geogr.  gr.  min.  D ;  ebenso  die  beiden 
folgenden  Schriften. 


}  10.  Die  Denkmaler.  87 

nod  anderen  Geographen  geschöpft  hat.  Endlich  ist  noch  das  grofse 
Wörterbuch  zu  erwähnen,  welches  etwa  im  sechsten  Jahrhundert  Ste- 
pbanosvon  Byzanz  unter  dem  Titel ^£^<xa  in  60  Büchern  ver- 
öfleDtlichte :  ein  alphabetisches  Verzeichnifs  von  Ländern  Völkern 
Städten  mit  vielen  historischen  Bemerkungen  aus  einer  Menge  von 
Schriftstellern  —  300  werden  genannt  —  zusammen  getragen.  Leider 
ist  davon  nur  der  gegen  700  gemachte  Auszug  des  Hermolaos  erhalten, 
der  ziemlich  dürftig  und  ungleich  gearbeitet  erscheint:  n^  P,  2  (zum 
Theil)  geben  blofse  Namen,  X,  V,  ii  beftiedigen  am  meisten,  i) 

§  10.  Die  Denkmäler. 

Wenn  die  Natur  Italiens  sich  gleich  geblieben  ist  jetzt  wie  vor 
zweitausend  Jahren ,  so  hat  sein  geschichtliches  Leben  desto  gröfsere 
Umwälzungen  erfahren.  Die  nächste  Aufgabe  der  Landeskunde  ist 
darauf  gerichtet  die  Topographie  festzustellen ,  Lage  Ausdehnung  Ge- 
schichte Charakter  der  antiken  Städte  und  Ortschaften  zu  ermitteln. 
Die  Bedingungen,  welchen  Städte  ihre  Entstehung  und  Blüte  wie  auch 
ihren  Niedergang  verdanken ,  haben  im  Lauf  der  Zeiten  gewechselt. 
Beim  Aufdämmern  italischer  Geschichte,  im  classischen  Mittelalter,  wie 
man  wol  sagen  daff,  sind  sie  vor  allen  Dingen  Festungen.  Die  unauf- 
hörliche Fehde  zwingt  Schutz  und  Sicherheit  zu  suchen :  eine  feste 
Höhenlage,  die  den  Angriff  erschwert  und  die  Vertheidigung  erleichtert, 
gilt  als  oberstes  Erfordernifs  ftlr  eine  städtische  Ansiedlung.  Der  Ver- 
kehr allein ,  welcher  an  die  Flüsse  und  Meeresbuchten  gefesselt  ist, 
treibt  dazu  auf  den  natürlichen  Schutz  zu  verzichten  und  ihn  durch 
gesteigerte^  Anstrengungen  künstlich  zu  ersetzen.  Auf  den  nämlichen 
Standpunct  ist  das  christlich-germanische  Mittelalter,  welches  den  Ord- 
nungen des  heutigen  ItaUen  vorausgeht,  im  Wesentlichen  zurück- 
gekehrt. Dazwischen  liegt  eine  total  verschiedenartige  Entwicklung. 
Nach  dem  hannibalischen  Kriege  und  dem  Erwerb  der  Weltherrschaft 
lassen  die  Städte  ihre  Mauern  verfallen ,  legen  den  Festungscharakter 
ab,  hebt  die  längste  Friedensperiode  an,  deren  das  Land  jemals  ge- 
nossen hat.  Ein  halbes  Jahrtausend  hindurch  ward  es  von  keinem 
auswärtigen  Feind  betreten,  den  inneren  Kämpfen  machte  die  Monar- 
chie ein  Ende.  Der  Reichtum,  den  der  eigene  Boden  erzeugte,  den 
die  unterworfenen  Nationen .  mehrten ,  hat  sich  in  jenen  gewaltigen 


1)  Rec.  A.Meineke,  Berol.  1850.   Niese  de  Stephan!  Byzantii  auctoribus 
Kiel  1873. 


88  Einkitii^.  Die  OoeUea. 

Anlage«  geSubeit,  deren  Trttimner  der  Landechafl  ihr  eigentttmliches 
historisches  GeprSge  verleihen.  Die  Hasse  derselben  gehört  der  Jünge- 
ren Epoche  nadi  der  Besi^fung  Karthago's,  vorndunUch  der  Kaiseraeit 
an.  Indefe  fehlt  es  nicht  an  Zeugen  aus  der  alten  kriegerischen  Ver- 
gangenheit: wir  begegnen  Bauten,  welche  die  Namen  römischer  Könige 
tragen ,  Meisterwerken  altgriechiscber  Kunst,  etraskischen  campani- 
schen  apulaschen  GrUberschätzen ;  mk  Eifer  spürt  die  Forschung  un- 
serer Tage  den  Deberresten  einer  Cukurstufe  nach ,  auf  welcher  die 
Metalle  noch  nicht  in  den  gewöhnlichen  Gebrauch  Übergegangen  waren. 
Auf  die  Unterscheidung  der  verschiedenen  Epochen^  die  EinfQgung 
der  Denkmäler  in  dieselben  richtet  die  Topographie  ihr  Augenmerk 
mit  besonderer  Sorgfalt.  Solche  Aufgabe  Wd  durch  den  Uebelstand 
erschwert,  dafs  die  monumentale  und  die  litterarische  Ueberlieferung 
selten  zusammen  klingen ,  da  die  eine  redet  wo  die  andere  schweigt. 
Die  Namen  jener  Pfahldörfer  in  der  Aemilia  sind  verschollen.  Wir 
fragen  vergebens,  wie  so  manche  Stadt,  welche  nach  Ausweis  ihrer 
Monumente,  während  sie  frei  und  unabhängig  war,  machtvoll  geblüht, 
denn  eigentlich  in  den  Annalen  geheifsen  hat  Umgekehrt,  ward  be- 
reits gelegentlich  erwähnt  (S.  21),  wissen  wir  einen  grofsen  Theil  der 
in  der  frühsten  Kriegsgeschichte  vorkommenden  Ortsnamen  nicht  mehr 
auf  der  Karte  unterzubringen.  Der  Umschwung  der  Zeiten  mufste  den 
Mitlebenden  viel  fühlbarer  als  uns  sich  aufdrängen:  Cato  weifs  von 
verschwundenen  Städten  zu  melden ,  Plinius  zählt  53  Gemeinden  aus 
Altlatium  auf,  die  spurlos  zu  Grunde  gegangen  waren.  Eine  moderne 
Darstellung  des  Landes  kann  nicht  von  der  Epoche  nationaler  Blüte 
ausgehen,  als  die  Stämme  mit  einander  um  die  Herrschaft  rangen ;  sie 
hat  von  der  Epoche  materieller  Blüte,  die  um  den  Preis  der  Freiheit 
erkauft  ward ,  von  der  Kaiserzeit  auszugehen.  Durch  Augustus  wird 
Italien  bis  an  seine  natürlichen  Grenzen  vorgerückt ,  werden  die  ab- 
schliefsenden  Ordnungen  getroffen ,  deren  Wirkungen  fast  bis  in  die 
Gegenwart  hinabreichen.  Auf  das  augustische  Italien  Beziehen  sich 
die  ausfuhrlichen  Berichte  von  Strabo  und  Plinius,  die  Itinerarien, 
die  Hasse  der  Monumente.  Die  auf  dieser  gesicherten  Unterlage 
ruhende  Kenntnifs  vermittelt  allein  die  Kenntnifs  der  republikanischen 
Zeit  und  vergönnt  hie  und  da  einen  Einblick  in  das  Werdegrauen  zu 
thun,  in  dem  die  Sage  schallet. 

Eine  Vergleichung  des  heutigen  Italien  mit  dem  des  Augustus 
lehrt  alsbald,  dafs  die  grofsen  Städte  der  Gegenwart  mit  Ausnahme 
von  Venedig  und  Livorno  bereits  im  Altertum  vorhanden  waren  uad 


}  10.  Di^  Deakmüer.  39 

mil  den  durch  die  Lautgesetze  der  italieuMchen  Sprache  bedingten 
Acodeningen  noch  jetzt  die  alten  Namen  tragen.  Von  der  Gesammt» 
zahl  autonomer  Städte  dagegen ,  welche  dag  ofiQcielle  Verzeichnib  bei 
Piinins  enthält,  ist  reichlich  die  Hälfte  zerstört  oder  durch  neuere 
Gründungen  ?erdrängt  Der  Heif  ang  läfst  sich  leicht  erkUüren.  Wie 
bei  einem  erstarrenden  Körper  das  Leben  aus  den  GUedern  entflieht« 
während  das  Herz  noch  schlfigt,  so  hat  bei  der  allgemeinen  Auflösung 
im  5.  6.  7.  Jahriiundert  die  Bevölkerung  sich  in  die  Hauptstädte  zu- 
sammen gedrangt.  Zwar  theilten  auch  unter  diesen  viele  das  Los  der 
Eroberung  und  Zerstörung :  aber  die  günstige  Lage  lockte  stets  neue 
Ansiedler  heran  und  rettete  ihren  Bestand;  denn  es  giebt  viele  Orte 
wo  der  Verkehr  gebieterisch  eine  Stadt  fordert  und  solche  gewisser 
Marsen  elementar  von  selbst  schafft  Anders  mit  den  mittleren  und 
iüeinen  Landstädten.  Während  der  zunehmenden  Entvölkerung  am 
Ende  des  römischen  Reichs  sterben  manche  derselben  völlig  aus, 
Menschenarmut  und  ungenügender  Anbau  des  Bodens  hat  namentlich 
in  den  Ebenen  zur  Folge,  dafs  bösartige  Fieber  Jahraus  Jahrein  die 
Gegend  heimsuchen.  So  trieb  das  Fieber  den  Rest  der  Bewohner  fort  in 
gesundere  Landstriche,  Als  neues  Motiv  kam  die  Rücksicht  auf  persön- 
liche Sicherheit  hinzu.  Die  offenen  Verkehrsstädte  der  Kaiserzeit  bie- 
ten in  den  Stürmen  der  Völkerwanderung,  den  Fehden  des  Hittelalters 
keinen  Schutz.  Statt  ihn  mühvoll  aufzurichten,  verläfst  man  die  Ebene, 
sucht  die  Höhe  auf,  erbaut  eine  Burg,  kehrt  zu  den  Anfängen  zurück, 
von  denen  die  Stadtgeschichte  ausgegangen  war :  ein  neuer  Kreislauf 
beginnt.  Die  Umwandlung  des  antiken  in  das  mittelalterhche  Italien 
erfolgt  weder  plötzlich  noch  unvermittelt ;  es  sind  nicht  die  Barbaren, 
wie  eine  naive  Betrachtung  der  Vergangenheit  annimmt,  welche  in 
das  schöne  Land  einbrachen  um  keinen  Stein  auf  dem  anderen  zu 
lassen.  Der  Uebergang  vollzieht  sich  langsam  und  allmäUcb :  der  Zahn 
der  Zeit,  die  Wirkung  vieler  Jahrhunderte  hat  die  stolzen  Schöpfungen 
des  Römertums  umgestürzt. 

Am  Wenigsten  haben  diejenigen  gelitten ,  welche  das  Mittelalter 
hindurch  in  Gebrauch  büeben.  So  sind  die  verwitterten  Ringmauern 
vieler  Bergstädte  nach  langer  Vernachlässigung  unerwartet  durch  das 
herrschende  Faustrecht  wieder  zu  Ehren  gekommen.  Einzelne  Brücken 
entgingen  der  Zerstörung.  Und  wenn  auch  Schutt  das  Pflaster  ver- 
deckte, Uefs  sich  der  Zug  der  Strafsen  selbst  nicht  verwischen.  Tun- 
nels und  Abzugscanäle  leisteten  und  leisten  ohne  Unterbrechung  ihren 
Dienst   Ferner  hat  die  Kirche  ihren  schützenden  Arm  über  manche 


40  Emldtiing.   Die  Qaelien. 

Tempel  ausgebreitet,  deren  Inhaber  sie  durch  ein  Bild  des  geoffen- 
barten Gottes  ersetzte.  Dies  ist  jedoch  nur  ein  Bnichtheil  des  ehe- 
maligen Bestandes.  Als  die  Kirche  die  Hinterlassenschaft  ihrer  Vor* 
gängerin  antrat,  hatte  sie  dieselbe  den  Zwecken  des  christlichen  Cultus 
anzupassen  und  hielt  es  in  vielen  Fällen  ftlr  ratsam  die  abgöttischen 
Gedanken,  welche  im  Herzen  der  Menschen  an  die  baufälligen  Heiden- 
tempel anknüpften,  durch  Abreifsen  und  Errichtung  eines  neuen  wür- 
digen Gotteshauses  zu  bannen.  Derart  sind  die  altcbristlichen  Kirchen 
theils  auf  dem  Grund  und  Boden ,  theils  mit  den  Werkstücken  der 
Heidengötter  erbaut  worden.  Ihre  Zahl  ist  höchst  ansehnlich  und  allen 
Wandlungen  durch  Feuer  und  Umbau,  allen  Entstellungen  des  neuern- 
den  Geschmacks  zum  Trotz  bleibt  ihr  Alter  und  ihre  Beziehung  auf 
das  Altertum  in  der  Regel  unverkennbar.  Endlich  den  Rest  der  Tempel 
liefs  man  ab  Steinbruch  bei  Seite  und  gab  ihn  der  langsamen  Zerstö- 
rung preis.  Das  nämliche  geschah  mit  jenen  grofsartigen  Anlagen, 
welche  eine  überfeinerte  Civilisation  zum  gemeinen  Nützen  wie  zum 
gemeinen  Zeitvertreib  in  überschwänglichem  Umfang  ans  Licht  ge- 
rufen hatte.  Für  Wasserleitungen  Basiliken  Thermen  Theater  und 
Amphitheater  hatte  das  Mittelalter  keine  Verwendung.  Wenn  von  den 
letzteren  verhältnifsmäfsig  viele  Ueberreste  vorhanden  sind,  wird  dies 
durch  den  Umstand  erklärt,  dafs  sie  als  Burgen  und  Gastelle  einge- 
richtet wurden.  Nach  dem  Gesagten  ist  die  Zahl  der  unversehrt  erhal- 
tenen Bauwerke  gering  und  verschwindet  ganz  neben  der  Masse  der 
Ruinen.  Beide  sind  über  die  verschiedenen  Landschaften  gar  ungleich 
vertheilt.  Man  kann  ihr  häufiges  oder  seltenes  Vorkommen  hauptsäch- 
lich aus  drei  Ursachen  ableiten.  Erstens  besitzen  Städte  und  Gegen- 
den, welche  im  Altertum  die  üppigste  Blüte  entfalteten,  einen  gröfse- 
ren  Vorrat  an  Denkmälern  als  solche  welche  eine  niedrige  Stufe  des 
Wolstands  und  der  Bildung  einnahmen.  Deshalb  sind  römische  Denk- 
mäler in  der  Nähe  der  Hauptstadt  sowie  in  Gampanien  am  dichtesten, 
in  den  abgelegenen  und  verkümmerten  Landschaften  des  Südens  am 
dünnsten  gesäet.  Zweitens  wird  die  Erhaltung  in  früh  verödeten 
Gegenden  befördert,  in  wol  bestellten  und  wol  bevölkerten  gefährdet 
Die  Monumente  gehen  vornehmlich  zu  Grunde,  weil  man  die  Steine 
zu  anderen  Zwecken  nutzt,  aus  der  Marmorbekleidung  Kalk  brennt. 
Sodann  behindern  sie  den  Städter  und  Ackersmann  bei  seinen  Ver- 
richtungen, werden  deshalb  absichtlich  weggeräumt  An  menschen- 
leeren Orten  haben  sie  allein  die  Angriffe  von  Wind  und  Wetter  und 
der  organischen  Natur  auszuhalten:  das  Material  lockt  Niemanden,  es 


f  10.   Die  DeDkmiler.  41 

VeOen  weit  fortschaffen  lohnt  nicht,  für  den  Bedarf  der  Einheimischen 
B(  Qbergenng  da.  Dieser  Gesichtspunct  kommt  wesentlich  in  Betracht 
um  den  grOfsereu  Ruinenreichtum  Hittelitaliens  gegenüber  dem  Nor- 
den zn  erklären.  Drittens  hängt  die  Erhaltung  von  der  Beschaffenheit 
des  Materials  ab.  Der  Marmor  ward  zum  Schmuck  der  Kirchen  ver- 
wandt oder  in  den  Kalköfen  zu  Mörtel  verwandelt  Die  Eisenklam- 
mem, welche  die  Quadern  verbanden ,  lieferten  einen  geschätzten  Ar- 
tikel ftlr  eine  Epoche,  in  welcher  der  Bergbau  vollständig  stockte.  In 
den  Polanden^  welche  keinen  Haustein  besitzen,  gewann  jeder  Mauer- 
stein einen  anderswo  unbekannten  Wert  Umgekehrt  ist  die  Erhal- 
tung so  vieler  uralter  Polygonalmauern  im  Appennin  daraus  zu  erklären, 
dais  das  Material  fOr  Neubauten  unbrauchbar  und  damit  absolut  wert- 
los ist  Dies  sind  die  wichtigsten  Gesichtspuncle,  welche  hinsichtlich 
der  Verbreitung  der  Denkmäler  sich  aufstellen  lassen.  Die  Alten  bau- 
ten mit  einem  Ueberschufs  an  Kraft,  als  ob  sie  ihren  Werken  ewige 
Dauer  bestimmt  hätten.  Wo  des  Menschen  Hand  sie  unberührt  liefs, 
ist  das  Gefage  ihrer  mächtigen  Quadern  unverrückt  geblieben,  hat  ihr 
unverwüstlicher  Mörtel  sich  nicht  gelockert  Die  Zerstörung  hat  wenn 
man  will  überhaupt  keinen  Anfang,  da  sie  den  Fortschritt  der  Cultur 
unzertrennlich  geleitet  Der  Frieden  reifst  die  Schranken  nieder,  die 
das  Faustrecht  errichtet,  das  elterliche  Haus  wird  den  Kindern  zu  enge 
und  so  geht  es  weiter  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  Aber  am  Ausgang 
des  Altertums  wird  das  Erbe  der  Vorfahren  nicht  in  der  bisherigen 
Weise  verwaltet  und  vermehrt;  es  wird  angegriffen  und  langsam  auf- 
gezehrt. Zu  Anfang  des  sechsten  Jahrhunderts  liefert  Cassiodor  von 
dem  allgemeinen  Verfall  anschauliche  Schilderungen.  0  Das  Uebel  ist 
ärger  geworden,  und  man  kann  sich  nicht  darüber  wundern,  dafs  die 
mittelalterliche  Barbarei  so  wenig,  weit  eher,  dafs  sie  noch  so  viel  von 
dem  Glanz  der  Vorzeit  verschont  hat.  Auch  in  den  helleren  Jahrhun- 
derten,  welche  nachfolgten,  hat  das  Zerstörungswerk  niemals  geniht 
Zwar  haben  einzelneStädte  schon  frühzeitig  Vorkehrungen  getroffen 
ihre  bedeutenden  Denkmäler  vor  völligem  Untergang  zu  schützen. 
Doch  ist  es  erst  dem  historischen  Sinn  der  Gegenwart  gelungen  wei- 
teren Kreisen  die  Pflichten  der  Pietät  gegen  die  Vergangenheit  einzu- 

1)  Var.  m  9. 10  Verfall  in  Ravenna,  III  31  X  30  in  Rom,  m  49  in  GaU- 
nea,  IV  18.  34  Plfinderung  der  Gräber,  Vffl  29.  30  Verfall  in  Parma,  Vm  31  in 
Brottiam,  Vm  32  in  Syrakus,  XU  18.  19  der  Via  Flaminia.  Ueber  die  Zer- 
fttönmgagesehichte  von  Rom  vgl.  Jordan  Top.  I  1,60  —  68.  Weitere  Relege 
wird  der  zweite  Rand  in  Menge  liefern. 


42  EiDleilung.  Die  Quelleo. 

schärfen  und  das  Bewufetsein  solcher  Pflichten  bei  den  Regierenden 
wachzurufen. 

Eine  erhöhte  Bedeutung  gewinnen  die  Denkmäler  durch  die  In- 
schriften, die  sie  tragen.  Ihr  Wert  wird  geschmälert  wo  solche  fehlen; 
denn  kein  Scharfsinn  und  keine  Gelehrsamkeit  kann  das  uriiundliche 
Zeugnifs  des  geschriebenen  Wortes  ersetzen.  In  der  That  nimmt  die 
Inschriftenforschung  auf  dem  Gebiet  des  Altertums  annähernd  dieselbe 
Stelle  ein  wie  die  Urkundenforschung  für  den  Historiker  der  Neuzeit. 
Aus  dieser  Quelle  fliefst  unsere  einzige  Kenntnifs  der  Sprachen,  wetebe 
durch  das  Idiom  der  Römer  verdrflngt  worden  sind.  Die  in  unserem 
Jahrhundert  mit  reichstem  Erfolg  betriebene  Ausbeutung  der  Nekro- 
polen  hat  über  Kunst  und  Handel,  Sitte  und  Glauben  des  vorrömischen 
Italien  vielfache  Aufschlüsse  gewahrt,  die  in  der  Folge  (Kap.  XI)  be- 
sprochen werden  sollen.  Daneben  steht  der  Ertrag  für  Topographie 
zurück ,  einmal  weil  Ortsangaben  verhältnifsmäfsig  selten  begegnen, 
sodann  weil  eine  gleichzeitige  einheimische  Litteratur  fehlt  um  die  In- 
schriften zu  erläutern.  Beide  Misstflnde  fallen  bezüglich  der  lateinischen 
Schriftdenkmäler  fort.  Wenige  derselben  reichen  in  die  kriegerische 
Vorzeit  hinauf,  nach  der  karthagischen  Not  nimmt  die  Zahl  langsam 
zu ,  mit  der  Errichtung  der  Monarchie  beginnt  ihr  massenhaftes  Auf- 
treten. Schon  früher  amtlich  eingeführt,  hat  die  lateinische  Schrift- 
sprache nunmehr  das  ganze  Land  bis  auf  ein  paar  Griechenstädte  er- 
obert. Wir  kennen  etwa  60—70  000  Denkmäler  derselben  und  jedes 
Jahr,  fast  kann  man  sagen,  jeden  Tag  entsteigen  dem  Erdboden  neue. 
Meistens  sind  es  Grabsteine,  welche  das  Andenken  recht  gleichgültiger 
Personen  wach  rufen.  Am  Ausgang  der  Republik  hat  die  Sitte  die 
Todten  an  den  Landstrafsen  zu  bestatten  und  durch  ein  sichtbares 
Monument  zu  ehren  allgemeinen  Eingang  gefunden.  Derart  dienen 
diese  Friedhöfe  einmal  um  den  Lauf  der  Strafsen  genau  festzustellen. 
Und  wenn  auch  die  Leichensteine  vielfach,  wie  nicht  anders  sein  kann, 
Namen  und  Altersangaben  melden,  die  an  sich  jeder  Bedeutung  ent- 
behren, so  vermag  eine  zusammenfassende  Behandlung  ihnen  wichtige 
Belehrung  zu  entnehmen ,  wie  denn  ihr  häufiges  oder  seltenes  Vor- 
kommen auf  den  Culturstand  der  betreflenden  Landschaft  sichere 
Schlüsse  ziehen  läfst  Sodann  werden  sie  oft  gesprächiger,  nennen 
nicht  blos  Namen  und  Alter,  sondern  zugleich  die  Stelle,  welche  der 
Verstorbene  im  Leben  eingenommen  hatte.  Manche  zerstörte  und 
verschollene  Stadt  hat  durch  derartigen  Hinweis  ermittelt  werden 
können.   Ueberhaupt  besitzen  die  Inschriften  für  historische  Landes- 


}  tO.  Die  Deoknller.  48 

konde  eiBea  unscfaftUbaren  Wert:  sie  verbreiteo  Licht  ttber  die  reli- 
|iteB  politisclien  socialen  ZustAnde,  lehren  die  landschaftlicheo  Götter 
ood  ihreo  Dienst,  die  BeamteQ  uod  Stande,  die  Gewerke  und  Genossen- 
ichaflen,  die  Bauten  und  Lustbarkeiten  kennen,  führen  kurz  gesagt 
aunitt^Ibar  in  das  tägliche  Leben  der  Städte  ein. 

Seit  deoi  Anfang  des  sechszehnten  Jahrhunderts  sind  öffentliche 
und  private  Samndungen  angelegt  worden,  welche  der  Vernichtung 
dieser  kostbaren  Steine  aUmälich  Einhalt  geboten  haben*  Bereits  vor- 
her war  der  Anfang  gemacht  die  Steine  abzuschreiben  und  damit  zum 
Gemeingut  der  Wissenschaft  zu  machen.  An  dem  fröhlichen  Auf- 
schwung d«r  antiquarischen  Studien  gebührt  den  Germanen  ein  her- 
vorragender Antheil:  nicht  blos  die  ersten,  auch  die  bedeutendsten 
inschriftenwerke  sind  diesseits  der  Alpen  erschienen  (Smetius,  Leyden 
1588;  Gruter,  Heidelberg  1603).  Die  Religionskriege,  welche  den 
Norden  zerfleischten,  lösten  das  Band,  das  ihn  zu  gemeinsamer  Arbeit 
mit  dem  Süden  vereinigte ;  hüben  zieht  sich  das  Allertumsstudium  auf 
die  Litteratur,  drüben  auf  die  Monumente  zurück;  die  Epigraphik 
wird  für  zwei  Jahrhunderte  eine  italienische  Wissenschaft.  Das  Mate- 
rial wudis  fortwährend  an  und  fand  einzelne  begabte  Bearbeiter,  ward 
aach  in  neuen  Sammelwerken  zur  allgemeinen  Kenntnifs  gebracht 
(Fabretti,  Rom  1702;  Muratori,  Mailand  1739  fg.).  Allein  wenn  man 
ein  allgemeines  Urtheil  fällen  soll,  wenn  man  die  unglaublichen 
Falachungen  auf  Stein  und  leider  auch  auf  Papier,  die  Unwissenheit 
und  Vertrauensseligkeit,  die  Akrisie  und  Zerfahrenheit,  welche  sich 
auf  diesem  Gebiet  breit  machten,  ins  Auge  fafst,  so  drängt  sich  unwiU- 
korlich  auch  hier  die  Wahrnehmung  auf,  welch  giftiger  Mehlthau  mit 
der  kirchlichen  Reaction  die  farbenprächtige  Blüte  der  Renaissance 
befallen  hatte.  Dals  dieser  Wissenszweig  nicht  völlig  versumpfte,  ward 
durch  die  redliche  Arbeit  von  wirklichen  Gelehrten,  an  denen  es  Italien 
nie  gefehlt  hat,  verhütet.  Unter  diesen  haben  Gaetan  o  Marini  und 
sein  Schüler  Bartolommeo  Borghesi  (gest.  1860)  die  Epigra- 
phik am  meisten  gefördert  Letzterem  sollte  von  auswärts  der  wirk- 
same Beistand  kommen,  den  er  in  seinem  geknechteten  Vaterland 
schmerzlich  vermifste.  Durch  Winckelmann  waren  die  alten  so  lange 
unterbrochenen  Beziehungen  zwischen  Nord  und  Süd  wieder  ange- 
knüpft, durch  die  Stiftung  des  Archäologischen  Instituts  in  Rom  ge- 
festigt worden.  Freilich  die  Gunst  der  herrschenden  Zeitströmung 
kam  den  lateinischen  Inschriften  vorab  nicht  zu  Gute.  Diese  gehörten 
<)er  Epoche  des  nationalen  Verfalls  an  und  gewährten  für  jenes  grofse 


44  Einleitung.   Die  Quellen. 

Römertum  der  Vorzeit,  welches  Nie  buh  rs  schöpferische  DivinatioD 
hervorgezaubert  hatte,  scheinbar  keinerlei  Ertrag.  Das  Land  dessen 
Vergangenheit  er  zu  neuem  Leben  erweckte,  hat  der  Meister  Öfter  im 
Bilde  seiner  Vorstellung  als  mit  sehenden  Augen  angeschaut.  Noch 
als  preursischer  Gesandter  in  Rom  konnte  er  leugnen  i),  dafs  „es  einem 
ehrlichen  Menschen  anzusinnen  wäre,  in  den  zahllosen  und  zerstreu- 
ten lateinischen  Inschriften  bewandert  zu  sein  ".  Schon  ein  Jahrhun- 
dert zuvor  war  die  Notwendigkeit  einer  zusammenfassenden  auf  kri- 
tischen Grundlagen  ruhenden  Sammlung  anerkannt  worden.  Viele 
Gelehrte,  Franzosen  und  Italiener,  Dänen  und  Deutsche  haben  nach 
und  mit  einander  den  Plan  in  Angriff  genommen,  die  Akademien  und 
Regierungen  demselben  ihre  Gunst  zugewandt.  Aber  man  kam  Ober 
Vorsätze  und  Anfönge  nicht  hinaus,  bis  die  Thatkraft  eines  Mannes  an 
die  Reinigung  des  Augiasstalls  erfolgreiche  Hand  anlegte.  >)  Seitdem 
Tb.  JMommsen  die  Epigraphik  in  den  Hittelpunct  der  römischen 
Altertumsstudien  gerückt  hat,  ist  das  Ziel,  dem  die  Landeskunde  zu- 
streben mufs,  geklärt,  die  dahin  führende  Bahn  geebnet  worden. 

Die  Vergangenheit  Italiens  kann  weder  aus  der  Litteratur  ohne 
Unterstützung  der  Denkmäler,  noch  weniger  durch  Betrachtung  der 
Denkmäler  ohne  Kenntnifs  der  Litteratur  erschlossen  werden:  die 
philologische  Geschichtschreibung  Niebubrs,  die  archäologische  Ge- 
schichtschreibung Micali's  mulsten  innerlich  verbunden  und  ausge- 
glichen werden ,  wie  Mommsen  durch  seine  glänzende  Darstellung  er- 
reicht hat.  Damit  sind  die  Kriterien  bereits  angedeutet,  welche  als 
Richtschnur  für  die  Topographie  zu  gelten  haben.  Wir  dürfen  die 
Lage  einer  Stadt  nicht  eher  als  gesichert  ansehen ,  bis  solche  durch 
Monumente  erhärtet  ist.  Das  Dasein  von  Ruinen  schlechthin  giebt  die 
geforderte  Gewähr  nicht,  da  dieselben  oftmals  Dörfern  und  Villen  an- 
gehören, mit  nichten  also  dazu  berechtigen  ihnen  auf  gut  Glück  einen 
herrenlosen  antiken  Namen  anzuhängen.  Vielmehr  reicht  die  inschrift- 
liche Beglaubigung  allein  aus  um  eine  Frage  über  allen  Zweifel  zu  er- 
beben: sie  ist  für  annähernd  300  von  den  443  Gemeinden,  welche 
Augustus  anerkannte,  gegeben.  Indessen  darf  dieser  Grundsatz  nicht 
mit  unerbittlicher  Strenge  zur  Anwendung  gebracht  werden.  In  eini- 
gen durch  Tradition  und  Monumente  gesicherten  Städten  versagen  die 

1)  1821  Kleine  Schriften  I  341. 

2)  Inscriptiones  regni  Neapolitani  ed.  Th.  Mommsen,  Lipsiae  1852,  fol- 
vgl.  W.  Henzen,  die  lateinische  Epigraphik  und  ihre  gegenwärtigen  Zustande» 
Kieler  Monatoschrift  1853. 


(  10.  Die  Denkmller.  45 

luchriften  aiu  Zofidligkeiten,  die  theils  auf  locale  Sitte  und  Armut  im 
Abertum,  theils  auf  wiederholte  Zerstörung,  theils  auf  Achtlosigkeit 
der  Neuzeit  zurttckzuftthren  sind«  Nach  diesen  Gesichtspuncten  läfst 
sich  der  Gemeindekatalog  des  Kaisers  Augustus  in  drei  Abtheilungen 
leriegen.  Die  erste  umfa&t  die  erhaltenen  und  monumental  gesicher- 
ten Stftdte.  Hierher  gehören  die  grofsen  (S.  38)  und  eine  Anzahl  sehr 
alter  Städte,  die  vermöge  ihrer  Festigkeit  allen  Stttrmen  Trotz  boten. 
An  einzelnen  hat  die  Zeit  scheinbar  kaum  gerüttelt  Andere  sind  zu 
Ddrfem  zusammen  geschmolzen,  deren  Verwahrlosung  gegen  die  Vor- 
zeit grell  absticht  Noch  andere  haben  die  antiken  mit  mittelalterlichen 
Benennungen  vertauscht,  seit  der  neuesten  Aera  sich  indefs  meist  eines 
besseren  besonnen  und  ihren  Heiligen  den  Laufpafs  gegeben  um  zu 
den  stolzen  Erinnerungen  des  Heidentums  zurückzukehren.  In  dieser 
ersten  Klasse  ist  ungefähr  die  Hälfte  des  augustischen  Verzeichnisses 
einbegriffen.  Die  zweite  enthält  ein  Drittel  desselben :  die  zerstörten 
und  monumental  gesicherten  Städte.  Oftmals  ist  eine  neue  Gründung 
unter  gleichem  Namen  in  der  Nähe  entstanden.  Oder  die  Lage  ist 
durch  Denkmäler  und  Tradition  unzweideutig  gekennzeichnet:  In- 
schriften und  Bauglieder  finden  sich  in  den  umliegenden  Gehöften 
verstreut,  der  Boden  birgt  Trümmer  und  Fundstücke  aller  Art,  na- 
mentlich auch  Münzen.  Die  Münzfunde  haben  für  den  Topographen 
einen  zi^nlich  beschränkten  Wert,  dienen  aber  immerhin  dazu  eine 
untere  Zeitgrenze  für  die  Dauer  der  Ansiedlung  zu  gewinnen.  Ein 
eigentümlicher  poetischer  Reiz  hegt  auf  diesen  veriassenen  Stätten. 
Der  Regel  nach  hält  ein  ehrwürdiges  Gotteshaus,  in  welchem  etwa 
sonntäglich  Messe  gelesen  wird,  das  Andenken  der  Vergangenheit  wach: 
ein  rühmliches  Zeugnifs  für  die  Pietät^  mit  der  die  katholische  Kirche 
ihren  Cultus  pflegt,  zugleich  ein  klarer  Beweis  dafs  diese  Ortschaften 
erst  nach  Einführung  des  Christentums  verödet  sind.  Als  letztes  Fünftel 
bleiben  die  Städte  unsicherer  Lage  übrig.  Sie  sind  unseren  Blicken 
entschwunden  theils  wegen  ihrer  Kleinheit  theils  wegen  ihres  frühen 
Untergangs.  Mit  ihren  Namen  haben  manche  nach  Willkür  geschaltet; 
doch  wird  unsere  Kenntnifs  durch  glückliche  Entdeckungen  zwar 
langsam  aber  stetig  erweitert.  Endlich  sind  auch  eine  Anzahl  t;tct  und 
mi,  Ortschaften  ohne  Stadtrecht ,  ihrer  Lage  nach  bestimmt  und  tra- 
gen zur  Belebung  der  Karte  von  Altitalien  bei. 

Seit  der  Renaissance  hat  sich  die  Beschäftigung  mit  den  Alter- 
tttmem  über  das  ganze  Land  bis  in  die  abgelegensten  Winkel  hinein 
verbreitet  Es  giebt  kaum  eine  Ortschaft  von  einer  gewissen  Vergangen- 


46  EiDleitnng.  Die  QaeUen. 

heit,  die  nicht  ihren  Geschichtachreiber  oder  gar  eine  Reihe  Ton  sei* 
chen  aufzuweisen  hätte.    Mag  das  Nest  auch  noch  so  weltvergessen 
sein,  es  birgt  regeknäfsig  einen  sog.  Gelehrten  {dotto  dd  paese)  in  sei- 
nen Mauern ,  der  des  freiwilligen  Amtes  wartet  über  dem  Ruhm  der 
Heimat  zu  wachen.  Dergestalt  ist  im  Lauf  von  drei  Jahrtiunderten  eine 
umfangreiche  sowol  gedruckte  als  handschriftlich  erhaltene  Municipal- 
litteratur  angewachsen,  die  selten  über  die  engeren  Grenzen  der  Land- 
schaft, geschweige  denn  ins  Ausland  dringt.  Einzelne  Werke  leuchten 
wie  Perlen  aus  dem  Schlamme  hervor,  aber  der  Perlen  sind  wenig  und 
es  kostet  Ueberwindung  nach  ihnen  zu  suchen.  Dafs  Jemand  aus  dem 
Gepräge  eines  in  seinem  Dorfe  aufgefundenen  römischen  As  denSchlufs 
zieht,  Noah  habe  hier  eine  Stadt  gegründet,  dafs  ein  Anderer  eine  Dar- 
stellung von  Amazonenkämpfen  für  ein  Denkmal  des  Raubes  der  Sabt- 
nerinnen  ausgiebt,  ist  eine  unschuldige  Probe  municipaler  Gelehrsam- 
keit. Wenn  dagegen  die  Verfasser  ihre  eigenen  Träume  als  uralte  Tra- 
ditionen hinstellen,  von  Ruinen  schwindeln,  die  es  nie  gegeben  hat, 
Inschriften  erfinden  und  fälschen ,  wenn  um  die  Heimal  des  Properz 
ein  Kampf  entbrennt  wie  weiland  um  den  blinden  Homer,  wenn  die 
päpstliche  Unfehlbarkeit  angerufen  wird  um  den  Lauf  des  Rubicon  zu 
ermitteln,  wenn  der  jeweilige  Minister  darüber  befinden  soll,  ob  ein 
bei  Plinius  und  Ptolemaeos  stehender  Name  der  einen  Gemeinde  zu- 
kommt oder  ihrer  nachbarlichen  Rivalin,  wenn  antiquarische  Kreuz- 
spinnen noch  im  Licht  der  Gegenwart  ihre  Fäden  ziehen  —  dann  fühlt 
man  sich  versucht  des  Tacitus  Urtheil  über  das  laeivm  antiquüatäm 
Graecorutn  gmus  auf  dessen  eigene  Nachfahren  zu  übertragen.   Und 
doch  ist  es  ein  Funke  ächten  Bürgersinns  und  Bürgerstolzes,  der  unter 
dieser  Asche  fortglimmt:  den  wackern  Männern,  welche  ihn  gehegt, 
welche  unter  dem  Schmutz  ihrer  Umgebung,  unter  dem  Mttssiggang 
ihrer  Standesgenossen  den  Glauben  an  die  Vorzeit  heilig  gehalten  haben, 
gebührt  die  Achtung  und  Anerkennung  glücklicherer  Geschlechter. 
Die  topographische  Ausbeute  aus  diesen  Municipalgeschichten  ist  im 
Verhaltnifs  zu  ihrem  Umfang  gering:  sie  wird  durch  den  Uebelstand 
beeinträchtigt,  dafs  die  Schreiber  im  engsten  Bann  des  heimatlichen 
Gesichtskreises  befangen ,  das  Thatsächliche  als  bekannt  zu  übergehen 
pflegen.    Vergleichsweise  selten  ist  die  Localgeschichle  von  einem 
freieren  Standpuncl  aus  behandelt  worden.  Was  in  solchem  Falle  die 
geistige  Klarheit  und  Feinheit,  um  welche  wir  die  Romanen  beneiden, 
zu  leisten  vermocht,  hat  das  Beispiel  von  Carlo  Promis  aus  Turin 
(1808  —  73)  gezeigt.   Es  ist  höchlichst  zu  bedauern  dals  dieser  als 


}  11.  Die  neueren  Dantelloogen.  47 

PHriot  und  Forscher  gleich  hervorragende  Mann  auf  eine  Gesammt- 
(hnteiliing  italischer  Städtekunde  ?erzichtet  hatte,  i) 

§11.  Die  neueren  Darstellungen. 

Aus  der  Karolingerzeit  werden  noch  Karten  erwähnt  und  sind 
tborographische  Uebersichten  Yon  Italien  Yorhanden.')  Dann  schwin- 
det die  Nachwirkung  der  antiken  Tradition  dahin ,  bis  der  Rückschlag 
der  Kreuzzflge  das  Herannahen  einer  neuen  Zeit  ankündigt.')  Das 
Volk  welches  zuerst  das  moderne  Bewufstsein  ausgebildet  hat,  giebt  in 
der  Wissenschaft  den  Ton  an :  die  Italiener  beherrschen  die  Erdkunde 
Tom  13.  bis  in  das  16.  Jahrhundert  4)  Bereits  1119  stellt  Guido  von 
Pisa  aus  der  ravennatischen  Kosmographie  (S.  36)  Solin  und  Paulus 
(A.  2)  eine  rohe  Beschreibung  Italiens  zusammen.  Die  ältesten  erhal- 
tenen Karten,  welche  bis  gegen  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  hinauf 
reichen,  überraschen  durch  die  Treue,  mit  der  die  Umrisse  des  Mittel- 
meers  wiedergegeben  sind.  Die  wissenschaftliche  Darstellung  ist  erst 
im  vorigen  Jahrhundert  zu  der  gleichen  Genauigkeit  vorgedrungen, 
wekhe  jene  Seefahrer  aus  Genua  und  Venedig  mit  den  Mitteln  der 
Empirie  erzielt  hatten.  Insofern  veranlafste,  wenn  man  will,  die  grie- 
chische Geographie  einen  zeitweiligen  Rückschritt.  Ptolemaeos 
hatte  der  arabischen  Wissenschaft  als  Führer  gedient  und  übernahm 
roit  seinem  Bekanntwerden  im  Abendland  auch  hier  ohne  weiteres  die 
Leitung.  Ins  Lateinische  1410  übersetzt,  1475  zu  Vicenza,  1478  zu 
Uhn  gedruckt,  erlebte  er  im  folgenden  Jahrhundert  21  Ausgaben,  von 
denen  16  auf  Deutschland  kommen.  Seine  Bestimmungen  wurden 
nunmehr  allgemein  zu  Grunde  gelegt,  und  es  trat  der  sonderbare  Fall 
ein ,  dafs  diejenigen  Erdräume  den  Zeichnern  am  besten  gelangen ,  in 
denen  sie  durch  die  Vorschriften  des  Meisters  am  wenigsten  einge- 
schnürt waren,  z.B.  Deutschland  ungleich  viel  besser  als  Italien.  Einige 


1)  Vgl.  die  Gedächtnirsrede  von  R.  Schöne,  Archäolog.  Zeitung  XXX VI 
(1877). 

2)  Papst  Zaeharias  ISrst  741  im  Tricliniam  des  Lateran  eine  dneripHo 
orMs  Urrarum  malen  Hb.  pontif.  18.  Ueber  die  Karten  Karls  des  Groben 
Bohird  Tita  33.  Bescbreibnng  Italiens  bei  Panhis  bist.  Langobard.  II  15  —  24 
und  der  allere  von  diesem  benutzte  catalogus  pr&vinciarum  liaHae  (u.  A.  im 
Anhang  zur  kleinen  Ausgabe  des  Paulus,  Hannover  1878,  abgedruckt). 

3)  0.  Pescbel,  Geschichte  der  Erdkunde,  Manchen  1865,  2.  Aufl.  1877. 
VWien  de  Saint-Martin,  histoire  de  la  g^ographie,  Paris  1873. 

4)  0.  Pescbel,  Abhandlungen  zur  Erd-  und  Völkerkunde  beransgeg.  von 
Löwenberg,  Neue  Folge,  Leipzig  1878,  p.  111  fg. 


48  Einleitoog.  Die  Qaellen. 

neue  BreitenbestimmuDgen  wurden  allerdings  gemacht,  doch  in  ge- 
ringer Zahl  und  mit  Fehlern  bis  10  Minuten  (Rom  nach  Regiomontan 
420  2'  statt  410  54').  Was  dagegen  die  GrOfse  der  Grade  betriffi,  so 
tappte  man  bis  auf  die  Erdmessung  von  Snellius  (1617)  und  was  die 
Bestimmung  der  Lfingen  betrifft,  bis  auf  die  gleichzeitigen  Arbeiten 
Keplers  in  dem  nämlichen  Dunkel  herum,  in  dem'  Ptolemaeos  und  seine 
Vorgänger  sich  bewegt  hatten.  Unter  den  italienischen  Kartenzeich- 
nern, die  wir  aus  Alberti  oder  Ortelius ')  kennen  lernen,  verdient  Ja- 
copo  Castaldo  aus  Piemont  (1543)  eine  ehrende  Erwähnung,  wäh- 
rend der  Neapolitaner  PirroLigorio  seine  allen  Inschriftkundigen 
sattsam  bekannte  geile  Phantasie  spielen  läfst.  ^)  BeiGirolamoRus- 
celli  (1561)  findet  PescheP)  für  die  Breiten  einen  mittleren  Fehler 
von  00  47^  der  aber  bis  1  ^25'  wächst,  fQr  die  Längen  einen  bis  6®  21' 
anwachsenden  Fehler.  Derselbe  Gewährsmann  constatirt  einen  bedeu- 
tenden Fortschritt  bei  A n to n i 0  Ma gi n i  aus  Padua  (1596)  und  doch 
läfst  auch  noch  Magini  das  Land  von  Nizza  bis  Otranto  14V2O  statt 
110  14'  sich  erstrecken.  Immerhin  schien  es  nicht  ausreichend  die 
Irrtamer  des  Ptolemaeos  zu  wiederholen :  man  fügte  neue  und  zwar 
Irrtümer  bedenklichster  Art  hinzu.  Ich  weifs  nicht  welcher  Schöngeist 
auf  den  geschmacklosen  Einfall  geraten  ist  Italien  nicht  mehr  mit  einem 
ausgereckten  Eichblatt  wie  Plinius  oder  dem  Rückgrat  eines  Fisches 
wie  Biondo,  sondern  mit  einem  menschlichen  Bein  zu  vergleichen. 
Alberti  (1550)  führt  das  seitdem  typisch  gewordene  Bild  in  aller  Breite 
aus.  Das  Bild  hatte  zur  Folge,  dafs  man  das  Knochengerüst  des  Fufses 
auf  den  Bau  des  Gebirgs  übertrug,  den  Appennin  sich  gabeln  und  einen 
Arm  in  die  vermeintliche  Ferse  d.  h.  die  aus  niedrigen  Tertiärhügeln 
bestehende  apulische  Halbinsel  auslaufen  liefs,  ferner,  da  der  Garganus 
den  Sporn  am  Stiefel  —  eine  Variation  des  ursprünglichen  Themas, 
schon  bei  Cluver  —  darstellen  sollte ,  diesen  getrennten  Gebii^gsstock 
mit  der  Hauptkette  in  Verbindung  setzte.  Der  ganze  Mythus,  den  die 

1)  Theatram  orbis  terraram,  AotTerpiae  1570.  lieber  die  älteren  Plane 
TOD  Rom  unterrichtet  man  sich  bei  de  Rossi,  Piante  iconograficbe  e  prospet- 
tiche  di  Roma  anterior!  al  secolo  XVI,  R.  1879.  PlSne  von  anderen  St&dten 
Italiens  in  Sebastian  Münsters  Gosmographey,  Basel  1544  (lateinisch  1560):  ich 
benütze  eine  Ausgabe  von  1578. 

2)  Das  Gleichnirs  Biondo's  (S.  49  Anm.  1)  entstellend  zeichnet  er  das  Süd- 
ende des  Landes  als  Schwanzflosse,  erfindet  eine  Insel  der  Kalypso  and  ähn- 
liche Scherze. 

3)  Geschichte  der  Erdkunde  p.  371  nach  Espositioni  di  Girolamo  Rnseelli 
con  XXXVI  nuove  tavole,  Venetia  1561. 


§  11.  Die  neueren  Darstdlnngen.  49 

Aeheren  nicht  kennen,  der  aber  auf  den  Quverscben  Karten  (1624) 
scboD  voll  ausgereift  begegnet,  hat  unheilvoll  gewirkt  und  dämmert  in 
vielen  Köpfen  noch  jetzt  fort.^  Wenn  demnach  den  Darstellern  eine 
richtige  Anschauung  von  den  horizontalen  Umrissen  des  Landes  ab- 
ging, 80  ist  selbstverständlich  auch  keine  solche  in  Betreff  der  senk- 
rechten Erhebung  zu  erwarten.  Man  sucht  vergebens  bei  Cluver  und 
seinen  Vorgängern  nach  Angaben  über  die  Gestaltung  des  Terrains 
oder  die  Höhe  der  Gipfel.  Die  Zeichnung  der  Gebirge  ist  regellos  und 
hat  den  Beschauem  mit  Recht  den  Eindruck  von  verstreuten  Maul- 
winfshflgeln  hervorgerufen.  Es  befremdet  nicht  bei  Sebastian  Münster 
Ton  einer  Erhebung  von  2 — 3  deutschen  Meilen  zu  lesen,  hat  doch 
der  berühmte  Riccioli  (1672)  Gipfel  von  10  —  15  Meilen  Höhe  für 
möglich  gebalten.  Erst  um  1700  beginnen  wirkliche  Hohenmessungen. 
Doch  genug:  es  ist  klar  dafs  die  historische  Beschreibung  des  Landes 
in  den  bedeutenden  Werken  des  15.  bis  17.  Jahrhunderts  der  erfor- 
derlichen (diysikalischen  Grundlage  entbehrte. 

Die  Denkmäler  ergriffen  die  Gemüter  im  neuen  Italien  mit  un- 
widerstehlicher Gewalt.  Petrarca  trug  sich  mit  geographischen  Plänen.^) 
Ausgeführt  wurden  dieselben  erst  durch  Flavio  Biondo  aus  Forli 
(1388 — 1463),  der  unter  vier  Pontificaten  das  päpstliche  Sectetariat 
bekleidete.')  Bevor  der  treffliche  Gelehrte  sein  grofses  Geschichtswerk 
vom  Verfall  des  römischen  Reichs  bis  auf  die  Gegenwart  vollendet 
hatte,  veröffentlichte  er  1445  die  Roma  ifutaurata,  die  erste  wissen- 
schaftliche Topographie  der  Stadt  4),  sodann  1453  die  Italia  iüuUraia, 
die  erste  wissenschaftliche  Chorographie  des  Landes,  der  wir  seit  dem 
Altertum  begegnen.  Eine  lange  Reihe  von  Jahren  hatte  er  auf  die 
Arbeit  verwandt,  viele  G^enden  selbst  bereist,  viele  Nachrichten  von 
gelehrten  Freunden  und  von  Eingebornen  eingezogen«  Er  äufsert  ge- 
legentlich^), dafs  Niemand  seit  Augustus  und  Plinius  an  eine  solche 

1)  Plio.  in  43  est  ergo  foUo  maxume  quemo  adsimilaia  mulio  proeeri- 
£a(e  ttmpHor  quam  latitudine,  Blondus  p.294  (opp.  Basil.  1531)  habet  ItaUa 
dortum  et  eeu  in  pücibus  esse  videmus  a  capite  in  tnfimam  partem  spinae 
fermam  jipennimtm,    Alberti  p.  4  (1588),  Cluver  p.  24. 

2)  G.  Voigt,  Die  Wiederbelebung  des  dasrisehcn  Aitertlnims  I'  p.  158; 
Borckhardt,  Die  Gnltor  der  RenaissaDce  in  Italien  H*  p.  16  A. 

3)  Alfred  Masios,  Flavio  Bioodo,  sein  Leben  ond  seine  Werke,  Diss. 
Uipsig  1879. 

4)  Um  1471  znerst  gedruckt  und  mehrfach  wiederholt  üeber  den  Wert 
Jbrdan  Top.  1 1  p.  77. 

5)  In  einem  Brief  von  1443  bei  Voigt  II>  p.  514. 

!!!■••«,  lUL  LaadMltuid«.   I«  4 


50  £mleitiiDg.   Die  Qodicn. 

Aufgabe  HaDd  angelegt  habe.  Sie  ward  auch  nicht  zu  Ende  geführt: 
ab  Biondo  sich  1453  zur  Veröffentlichung  entachlob,  fehlten  von  den 
18  Regionen,  in  welche  er  das  Land  einUieilte,  die  yier  südlichsten 
(Lucanien  Bruttium  Otranto  Calabrien)  und  sind  später  nicht  nach- 
geholt worden.  Als  Vorbild  wählt  er  PUnius  und  beschreibt  die  Gegen- 
wart unter  steter  Rücksichtnahme  auf  die  antike  und  mitteUlterUche 
Geschichte  9  ohne  dafs  Vollständigkeit  in  der  einen  oder  anderen  Be- 
ziehung erstrebt  wäre.  Als  erster  Versuch  verdiente  dieser  schlichte 
verständige  Abrifs  vollkommen  den  Beifall,  welchen  ihm  die  Zeit- 
genossen entgegen  brachten.  Er  ward  1474  zuerst  gedruckt,  mehrfach 
im  Original  wie  in  italienischer  Uebersetzung  wiederholt.!)  Kurz  vor- 
her waren  PUnius  1469,  der  lateinische  Strabo  sowie  Heia  1471,  So- 
linus  1473  in  die  Presse  gewandert.  Leider  begann  gar  bald  das  Un- 
kraut unter  dem  Weizen  zu  wuchern. 

Der  Stolz  des  Mittelalters  auf  die  Heiligen  und  deren  Reliquieo 
hatte  in  der  Renaissance  weltlichen  Ansprüchen  den  Platz  geräumt. 
Biondo  verzeichnet  bei  jedem  Ort  sorgfältig  die  jetzigen  wie  die  früheren 
Bertlhmtheiten:  die  Topographie  dient  ihm  zugleich  als  Ruhmeshalle. 
Die  Eifersucht  der  Städte  erhielt  damit  eine  neue  Ringbahn  eröffnet: 
jede  will  es  der  anderen  zuvorthun  an  Alter  Denkmälern  und  grofsen 
Hännern,  jede  will  wenn  nicht  älter,  mindestens  ebenso  alt  sein  als 
Rom.  Es  hiefse  der  Falschmünzerbande  zu  viel  Ehre  erweisen,  wollten 
wir  ihrem  Treiben  eine  ausführliche  Besprechung  widmen.  Aber  der 
Name  des  frechsten  Betrügers,  des  Dominikaners  AnniovonViterbo 
(gest.  1 502  in  Rom),  des  Erklärers  von  Berosus  Xenophon  Fabius  Pictor 
Gato  und  anderen  selbstverfertigten  Schriftstellern,  des  Entdeckers  der 
fabelhaftesten  Steinschriften  gehört  allerdings  hierher;  denn  fehlte  es 
auch  nicht  an  Gelehrten,  welche  den  Mönch  nach  seinem  wahren  Wert 
würdigten,  so  pflegt  in  solchen  Fällen  die  Masse  der  Glaubensseligen 
zu  überwiegen.  Durch  die  municipale  Ruhmsucht  und  Fälschung  ward 
die  italienische  Topographie  vergiftet  Dies  offenbart  sich  weniger  in 
der  Encyclopaedie  des  Raphael  von  Vol terra  (1505)^),  deren 
ersten  Theil  eine  Kosmographie  d.  h.  eine  Uebersicht  der  Länder  und 
ihrer  Geschichte  ausmacht,  um  so  mehr  in  der  ausführlichen  und  ein- 


1)  Erste  Ausgabe  Rom  1474,  dann  Verona  1478,  in  der  Gesammtaosgabe 
Basel  1531  und  sonst.  Mit  der  Roma  inst  zusammen  übersetzt  von  Lodo 
FaiiDO  Venedig  1542  und  mehrfach  aufgelegt. 

2)  Raphaelis  Volaterrani  commentariorom  arbaoorum  libri  XXXVUI  o.  0. 
Roma  (?)  1505,  neue  Ausgabe  1003.    Das  4.  5.  6.  Buch  enthalten  Italien. 


§11.  Die  neoeren  Dantdlangen.  51 

fliülsraGhen DarstelloDg TOD  Leandro  Alberti  aus  Bologna  (gest. 
1556).  0  Der  Verfasser,  zuletzt  Generalinquisitor  in  seiner  Vaterstadt, 
gehorte  demselben  Orden  wie  Annio  an  und  hatte  in  jungen  Jahren 
roUer  Ehrfurcht  die  Schatze  seines  gefeierten  Mitbruders  mit  eignen 
Augen  schauen  dürfen.  Er  hat  von  diesen  Offenbarungen  weidlicheu 
Gebrauch  gemacht  und  ihnen  in  der  Hunicipallitteratur  Bürgerrecht 
verschafft  Das  Biondo  an  Umfang  und  Reichhaltigkeit  5 — 6  mal  über- 
treffende ,  mit  Yielen  Karten  ausgestattete  Werk  gewann  ein  grofses 
Publicum:  sein  wissenschaftliches  Ansehen  war  mit  dem  Auftreten 
Clufers  dahin. 

Die  unmittelbare  Verbindung  des  Altertums  mit  der  Gegenwart, 
welche  den  Studien  in  Italien  ihre  eigentümliche  Frische  verlieh  aber 
auch  jedes  tiefere  Eindringen  unmöglich  machte,  löste  sich  diesseit 
der  Alpen  von  selbst  Abraham  Oertel  vollzog  die  heilsame  Tren- 
nung auf  dem  Gebiet  der  Erdkunde,  liefs  auf  den  ersten  modernen 
(1570)  den  ersten  antiken  Atlas  sowie  das  erste  Wörterbuch  alter  6eo~ 
graphie  (1587)  folgen.  2)  Man  wird  schwerlich  fehl  gehen,  wenn  man 
das  wisseDSchaftlidie  Verdienst  dieses  Schrittes  nicht  dem  genannten 
Geschäftsmann,  sondern  unserem  grofsen  Gerhard  Mercator  beimifst 
Wie  dem  auch  sei,  so  geschah  der  Ausbau  alter  Länderkunde,  ihre  me- 
thodische Begründung  durch  Philipp  Cluver  (geb.  1580  zuDanzig, 
gest  1623  zu  Leyden).  Dem  Jüngling  wies  Scaliger  seine  Lebensauf- 
gabe an,  der  er  bis  an  sein  vorzeitiges  Ende  treu  blieb.  Eine  friedlose 
Wanderacbaft  führte  ihn  in  Europa  umher,  zweimal  hat  er  Italien  und 
SidUen  zu  Fufs  durchmessen.^)  Die  Ruhmeshalle  der  Humanisten  und 
die  mittelalterliche  Tradition  fanden  vor  diesen  Augen  keine  Gnade, 
aber  mit  eisernem  Fleils  hat  er  die  gesaramte  antike  Litteratur  durch- 
gearbeitet, die  Inschriften  berücksichtigt  und  das  chorographische  Ma- 
terial in  unttbertroffener  VoUsUfndigkeit  gesammelt  Gegen  die  Versu- 
chungen kirchlicher  Würdenträger  war  der  gläubige  Protestant  gefeit 
Ob  die  Fälschung  auf  Marmor  oder  Pergament,  in  der  Form  von  In- 


1)  DeacrittioDe  di  tatU  lUlia,  Visegia  1660.  4.  nod  ebd.  Isole  apparte- 
nesü  alla  Ilalia  in  mehreren  ADflagen,  ieh  benntie  eine  solche  von  1678. 

2)  Theatri  orbis  terrarum  (S.  48  A.  1)  parergon  siTe  veteris  geographiae 
Itlmlae  commentariis  geographicia  et  historids  illostratae;  dasn  einTbetanrus 
SeograpbicQS,  Antverpiae  1687  und  nebrfach  wiederholt 

3)  Den  harten  Lebeoakampf  des  Mannes  sehildert  die  GedachtniGirede  von 
I^iel  Heinaiua  Orationom  ediUo  nova,  Lagd.  Bat  1642,  p.  148  fg.  vgl.  dia 
Vorrede  znr  Sieilia  antiqna. 

4* 


52  EiDleitnof.   Die  Qaellen. 

Schriften  oder  von  ErzähluDgen  auftrat,  gleichviel  sie  prallte  ab.  Es 
ist  wahrhaft  erquickend  zu  lesen,  wie  der  mutige  Niederdeutsche  den 
ganzen  fadenscheinigen  Plunder  von  Aeneas  und  Evander,  die  rOmi« 
sehen  nicht  minder  als  die  albanischen  Könige  über  Bord  wirft.  So 
hat  er  seiner  Zeit  vorauseilend  der  historischen  Kritik  eine  Stätte  be- 
reitet. Seine  Absicht  die  europäischen  Lflnder  des  römischen  Reichs 
sämmtlich  zu  behandeln  ward  durch  den  Tod  vereitelt;  aber  die  Voll- 
endung wenn  auch  nicht  den  Druck  seines  Hauptwerks  zu  erleben  blieb 
ihm  vergönnt.  1)  Die  Italia  mUiqua  ist  seitdem  die  Grundlage  aller  cho- 
rographischen  Forschung  gewesen.  Auf  die  Schwächen  ward  bereits 
früher  (S.  49)  aufmerksam  gemacht.  Cluvers  Angaben  über  Entfer- 
nungen sind  unbrauchbar,  da  er  dem  Herkommen  des  sechszehnten 
Jahrhunderts  folgend,  die  altrdmische  Millie  Vs  zu  grofs,  60  statt  75  Hil- 
lien  auf  den  Grad  rechnet.  2)  Da  er  es  femer  unternahm  die  antiken 
Ortsnamen  möglichst  vollständig  auf  den  Karten  unterzubringen ,  so 
mufsten  willkürliche  Ansätze  in  Menge  unterlaufen.  Ueberhaupt  fielen 
bei  einer  Arbeit  ähnlichen  Umfangs  die  verschiedenen  Theile  ungleich 
aus,  waren  Irrtümer  und  Hisgrifle  im  Einzelnen  nicht  zu  vermeiden: 
nur  Schade  dafs  dieselben  durch  das  Gewicht  des  Namens  ein  kanoni- 
sches Ansehen  gewannen  und  gedankenlos  aus  einem  Buch  in  das  an- 
dere hinübergeschleppt  wurden.  Eine  Menge  solcher  Irrtümer  wurden 
von  einem  Zuhörer  und  Begleiter  Quvers  auf  seiner  zweiten  italieni- 
sdien  Reise,  einem  Gelehrten  der  mehr  zu  leisten  versprach,  als  er 
wirklich  geleistet,  von  Lucas  Holste  aus  Hamburg')  in  seinem  Hand- 
exemplar verbessert.  Diese  später  veröffentlichten  Randbemerkungen 
bilden  eine  wichtige  Ergänzung  des  Hauptwerks.^)  Seitdem  ist  für 
italische  Chorographie  in  zusammenhängender  Darstellung  wenig  Er- 
hebliches hervorgebracht  worden,  da  den  Deutschen  die  Fühlung  mit 
dem  Lande  und  seinen  Denkmälern ,  den  Italienern  die  Kenntnifs  der 


1)  Italia  anliqaa,  Logd.  Bat  1624,  fol.  1338  Seiten;  Heinsius  besorgte 
die  Ausgabe.  Sicilia  aniiqna,  com  minoribas  iosulis  ei  adiaceotibas,  item  Sar- 
dinia  Corsica  ebd.  1619,  fol.  510  Seiten. 

2)  Introdoctio  in  anirersalem  geographiam  tarn  veterem  qaam  Dovam  Hb.  I 
cap.  7,  2,  Lngd.  Bat.  1629.  S  nod  öfter;  ieh  beoutie  eine  Amaterdamer  Aus- 
gabe von  1697. 

3)  Geb.  1596,  convertirte  1627  su  Paria  aus  denselben  BeweggrOnden  wie 
später  Winckelmann,  ward  Sekretär  des  Gardinais  Barberini,  starb  1661  als  Vor- 
steher der  vatikanischen  Bibliothek. 

4)  Lneae  Holstenii  annotatioaes  geographieae,  Rons  1666.  4.  Ton  Card. 
Barberini  herausgegeben. 


{11.  Die  neuereD  Dantellungen.  53 

alteo  namenüich  der  griechischen  Litteratur  verloren  ging.  Um  so  be« 
deutender  waren  die  Fortschritte,  welche  die  physikalische  Erforschung 
des  Landes  seither  gemacht  hat. 

In  der  Entwicklang  der  Erdkunde  hebt  um  die  Mitte  des  sieb* 
zehnten  Jahrhunderts  ein  neuer  Abschnitt  an:  es  galt  die  ausgedehnten 
Eroberungen  wissenschaftlich  zu  befestigen,  auf  das  Zeitalter  der  Ent* 
deckungen  folgte  das  Zeitalter  der  Messungen.  Wie  langsam  es  damit 
gegangen,  mag  die  Notiz  veranschaulichen,  dals  um  1753  aus  Deutsch- 
land nur  von  22  Orten  die  Breiten  und  nur  von  ein  paar  die  Langen 
astronomisch  bestimmt  waren.  Es  gereicht  den  Franzosen  zum  ewigen 
Ruhm ,  dafs  sie  das  Material  herangeschafit  um  GrOtse  und  Gestalt  der 
Erde  zu  ermitteln,  dafs  sie  im  eignen  Lande  das  Muster  und  Vorbild 
aller  geodätischen  Aufnahmen  gegeben  haben.  Auf  Grund  solcher  Auf- 
nahmen konnte  endlich  mit  der  durch  eine  so  hinge  Tradition  gehei- 
ligten Herrschaft  desPtolemaeos  gebrochen  werden.  Durch  Guillaume 
Delisle  erhielt  das  MHtehneer  1725  seine  wirklichen  Züge  zurück. 
Der  treffliche  Zeichner  ward  von  einem  noch  grOfseren  abgeldst,  von 
Jean  Baptiste  Bourguignon  d'Anville  (geb.  1697,  gest  1782 
zu  Paris  als  Geograph  des  Königs).  Danviile  hat  auch  ein  Handbuch 
der  ahen  Geographie  ^)  verfafst,  aber  da  er  kein  Griechisch  verstand, 
niufste  er  sich  eng  an  unseren  gelehrten  und  verdienten  Landsmann 
Cellarius  anschliefsen.^)  Vielmehr  ruht  seine  Bedeutung  durchaus 
in  der  Kartographie.  Kaum  200  Ortsbestimmungen  standen  auf  der 
ganzen  Erdoberfläche  zu  seiner  Verfügung:  aber  mit  glänzender  Divi- 
nation  wufste  er  aus  Itinerarien  und  ähnlichen  Quellen  die  richtigen 
Umrisse  der  Länder  zu  gewinnen.  Seine  Karten  zur  alten  Geographie 
sind  erst  vor  wenig  Jahrzehnten  durch  bessere  ersetzt  worden.') 
Inzwischen  hat  sich  der  Umfang  des  Erdwissens  unendlich  erweitert, 
die  Genauigkeit  unendlich  verschärft.  Während  die  Alten  sich  auf  die 
wagrechte  Gliederung  beschränkten,  haben  wir  seit  Humboldt  die  Wich- 
tigkeit der  senkrechten  Gliederung  daneben  kennen  gelernt,  wissen 
unsere  Kartenzeichner  aufserdem  die  klimatischen  Zonen,  die  Verbrei- 


1)  Geographie  ancieone  abrtgie  8  lom.  Paris  176S. 

2)  Christoph  Keller  geb.  1638  zu  Schmalkaldcn,  gest  1707  su  Halle:  No- 
ütia  orbis  aotiqui  s.  Geographia  plenior  ab  ortn  reram  pnblicamm  ad  Goa- 
suntinomm  tempora  orbIs  teiraram  fadem  declarans  2  voll.  Ups.  1701  und 
mehrfach  aufgel^. 

3)  Atlas  anttqons  Danvfllianas  maior.  Paris  1768  fol.  12  Blatt,  von  vielen 
nachgcstoehen  and  ansgebeatet. 


54  Einleitmig.  Die  OaeUen« 

tung  der  Pflanzen  und  Thiere,  die  yerschiedensten  Aeufserungen  der 
Coltur  auf  ihren  Gemälden  auszudrücken.  Auch  für  Italien  ist  die 
Grundlage,  deren  Cluver  entbehrte,  in  wtlnschenswerter  Sicherheit 
vollendet  Seit  1821  begann  der  piemontesiache  Geoeralstab  mit  der 
Aufnahme  des  festlflndiachen  Königreichs,  Alberto  della  Marmora  fügte 
mit  eigener  Arbeit  und  auf  eigene  Kosten  die  Insel  Sardinien  hinzu 
(1845).  Die  Oesterreicher  besorgten  das  übrige  Oberitalien*  und  den 
Kirchenstaat,  die  Franzosen  Corsica.  Endlich  haben  auch  die  neapoli- 
tanischen Provinzen  aufgehört  eine  terra  incognita  zu  sein  wie  zu 
Biondo's  Zeiten,  nachdem  der  italienische  Generalstab  die  ungenügende 
Karte  Sicifiens  von  Smyth  (1826)  und  die  noch  mangelhaftere  Karte  des 
Festlands  von  Rizzi  Zannoni  (1808)  durch  Leistungen,  die  auf  der  Hohe 
der  Gegenwart  stehen,  ersetzt  hat  (1862 — 78).  Desgleichen  verdanken 
wir  der  österreichischen  und  italienischen  Marine  wertvolle  Aufschlüsse 
Ober  die  angrenzenden  Meere.  Da  im  Verlauf  unsei^er  Darstellung  auf 
die  genannten  Arbeiten  zurückgegriffen  werden  mufs,  finden  nur 
einige  Uebersichlsblfltter  hier  einen  Platz,  i)  Die  historische  Forschung 
hat  mit  diesem  gewaltigen  Aufschwung  nicht  Schritt  gehalten.  Die 
ganze  Lage  der  Altertumsstudien  wird  durch  die  Thatsache  beleuchtet, 
dafs  ihre  Ergebnisse  noch  nicht  einen  bildlichen  Ausdruck  empfangen 
haben,  dals  ein  Atlas  antiquus  von  Italien  vermifst  wird,  den  wir  seit 
40  Jahren  von  Hellas  besitzen. 2)  Es  steht  zu  hoffen,  dab  die  veqüngte 

1)  Der  catalogo  del  corpo  di  stato  maggiore  eDthalt  ein  reichhaltiges 
Versetchnib  von  den  kartographischen  Arbeiten  dieses  Jahrhunderts.  Die 
oesterreichische  Generalstabskarte  (1 :  86  400)  ist  auüBerdem  vielfach  von  den 
einseinen  Provinzen  nachgestochen  worden.    Uebersichten: 

carU  dei  Regi  Stati  (die  altpiemontesischen  Provinzen)  1  61.  1 :  500  000.  1853. 

tarta  corografica  dell*  Italia  snperiore  e  centrale  6  Bl.  1 :  600  000.  1865. 

carta  itineraria  delle  provinee  meridionali  4  Bl.  1 :  640  000.  1867. 

Gern,  Italien  12  BL  1  :  576  000  und  8  Bl.  1:864  000.  Wien  1862  fg. 

fi.  Kiepert,  Specialkarte  von  Ober-  und  Mittel-Italien  1  Bl.  1 :  800  000.  Berlin  1860. 

Ders.,  Spedalkarte  von  Mittel-Italien  mit  Berficksichtignng  des  Alterthnms  4BI. 
t:  250  000.  Berlin  1881. 

Ders^  Nene  Generalkarte  von  Unter -Italien  mit  den  Inseln  SicUien  nnd  Sar- 
dinien 2  Bl.  1 :  800  000  Beriin  1882. 

G.  Mayr,  Alpenatlas  mil  Sapplementen  Blatt  4—11  1 :  450  000.  Gottia  1870  nnd 
aas  anderen  Jahren. 

F.  Bohnert,  Italien  1  BL  1:2000  000.  Stuttgart  1879. 

2)  H.  Kiepert,  AÜas  antiquus,  zwölf  Karten  zur  Altan  Geachichta,  Beriin, 
zuerst  1859,  seitdem  in  5.  Anfl.  o.  J.  Genauer  von  dem8eU>eB  die  su  CIL.  V 
und  IRN  entworfenen  Karten.  —  Spruner-Menke  Atlas  ant.  Gotha  1865. 


I  tl.  Die  neueren  DanteUiingen.  55 

>aü<Ni  ihren  alten  Ehrenplatz  unter  den  Pflegern  der  Erdkunde  ein- 
Dehfflen  und  wie  «e  bereits  eine  Reihe  vorzüglicher  Arbeiten  zur  Hei- 
fflatskunde  geliefert,  auch  diese  Ehrenschuld  gegen  ihre  Vergangenheit 
einlösen  werde.  ^) 

Cluver  und  DanviUe  befolgten  den  Grundsatz  von  der  Gegenwart 
auszugehen,  der  in  der  Thai  für  eine  Ghorographie  die  einzige  Berech- 
tigung hatte.  AUein  dabei  kMu  die  antike  Geographie  zu  kurz ,  ward 
die  Entwicklung  der  Ansichten  der  Alten  vom  Kosmos  verkümmert 
Auch  reichte  die  historische  Kritik  namentlich  des  letztgenannten  nicht 
aus,  die  Zeitalter  wurden  nicht  streng  geschieden,  reine  Mythen  und 
Fabeln  neben  Namen  der  historischen  Periode  eingetragen.  Dagegen 
erhob  sich  eine  erfolgreiche  Reaction,  eingeleitet  durch  Fröret  in  Paris 
(1688—1749)  und  durchgeführt  durch  J.  H.  Vofs  (1751—1826).  Die 
Arbeiten  dieser  Schule  haben  die  Geschichte  der  alten  Erdkunde  als 
solche  begründet  und  nach  vielen  Seiten  hin  aufgehellt.  Aber  indem 
sie  das  philologische  Princip  den  Schriftsteller  nur  aus  sich  selbst  zu 
erklären  auf  die  Landeskunde  übertrug,  von  der  Gegenwart  nichts 
wissen  wollte,  verlor  sie  den  Boden  unter  den  Füfsen.  Als  ob  die  zu- 
fällig erhaltenen  Nachrichten  einen  inneren  Zusammenbang  aufwiesen, 
als  ob  die  Anhäufung  der  bei  Strabo  Heia  Plinius  u.  s.  w.  vorkommen- 
den Namen  einen  anderen  Wert  hätte  als  den  einer  Vorarbeit  I  Man 
wird  an  den  idealen  Zug  unserer  aufblühenden  Philologie,  ihre  Begei- 
sterung für  die  Anfänge,  ihren  Widerwillen  gegen  den  Universalstaat 
erinnern  müssen,  um  die  Erscheinung  gerecht  zu  beurtheilen.  Freilich 
sind  die  Anhänger  von  Vofs  unwillkürlich  in  die  verpönten  Bahnen 
Cluvers  und  Danville's  wieder  eingelenkt  und  es  gereicht  dies  den  bezüg- 


1)  Hier  sei  anf  die  grofse  Eneyclopaedle  Italia  verwiesen,  welche  der 
Mulinder  Buchhändler  Vallardi  seit  1867  berausgiebt:  die  erste  Abthei- 
long  enthält  ein  dizionario  corografico  bis  jetzt  (R)  in  6  B.  von  A.  Amati, 
die  zweite  Einzelwerke  über  Nator  nnd  Geschichte,  die  dritte  einen  grotiMn 
AUm. 

Aelieren  Datums  Znccagni-Orlandini,  Corografla  fisica  storica  e  statistica, 
dell'  Italia  e  delle  sne  isole,  15  Binde,  Firenze  1846. 

Eine  anziehende  auf  grflndlichen  Studien  ruhende  Darstellung  in  Nou- 
^elle  Geographie  universelle  par  Elis^e  Recks,  vol.  I  VEurope  niridlonale 
Paris  1876. 

BalM,  Geografla  dlUlia,  Milano  1845. 

Marmoechi,  Geografia  fiaica  d'ltalia,  lUUa  1850.    politica,  ebd.  1851. 

Alfeo  Pozzi,  ritalia  sotto  i  vaij  suoi  aspetti  fisico  polltico  ed  economico, 
Miltno  1868. 


56  Eiideitiing.  Die  Quellen. 

liehen  Abschnitten  bei  Ma n  n e r 1 0  und  Forbiger^)  entschieden  zum 
VortheiL  Indessen  kommen  die  gröfseren  Darstellungen  ^  dem  Wert 
einzelner  Specialforschungen  nUM  gleich.  Die  mächtige  Anziehung 
C.  Ritters  hat  sich  innerhalb  der  philologischen  Kreise  soweit  Griechen- 
land in  Frage  kam ,  langst  geltend  gemacht  und  schöne  Erfolge  gezei- 
tigt. Auf  Italien  ist  die  Betrachtungsweise  der  modernen  Wissenschaft 
zuerst  in  dem  gediegenen  Lehrbuch  von  Heinrich  Kiepert  ange- 
wandt worden.^) 


1)  Koorid  MsDDert  (1756 — 1834),  Geographie  der  Griechen  und  Römer, 
tO  Tb.  in  14  Bänden,  NQrnberg  Landshat  und  Leipzig  178S— 1827;  der  9.  Band 
behandelt  Italien. 

2)  Albert  Forbiger,  Handbuch  der  alten  Geographie,  3  Binde,  Leipzig 
1842—48;  Italien  mit  den  Inseln  III  p.  488—832. 

3)  Eine  liste  Teralteter  Lehrbücher  nnd  Karten  bei  Forbiger  I  4S7^490. 
Femer 

Gramer,  a   geographica!  and  historical  descriplion  of  ancient  Italy,   2  voL, 

Oxford  1826. 
Niebuhr,  Vortr&ge  fiber  alte  Lander-  und  Völkerkunde  herausg.  von  bler,  Ber- 

Un  1851,  p.  319-602. 
W.  Smith,   Dictionary  of  Greek  and  Roman  geography  .by  vtrioua  writers, 

2  vol.,  London  1856,  2.  ed.  1870. 

4)  Lehrbuch  der  alten  Geographie,  Berlin  1878,  p.  371—477. 


KAPITEL  L 


Name  und  Frenzen. 

Die  Karte  von  Europa  lehrt  uns  dafs  Italien  wie  wenig  andere 
Länder  einheitlich  gebaut  und  scharf  umgrenzt  seL  Sebastian  Münster 
erinnert  den  Leser :  „Du  magst  auch  aufs  Anschauwung  diser  Tafel 
halie  erkennen ,  das  es  nit  vergebens  zU  solcher  grosser  Herrlichkeit 
kommen  ist,  angesehen  das  sein  läger  ist  von  natur  also  wol  bewart, 
das  man  an  keinem  ohrt  darein  kommen  mag  ohne  grosse  müh  vnd 
arbeit.  Die  Möre  gehn  darumb^  gleich  als  grosse  mcchtige  Gräben  vmb 
ein  grosse  Statt,  vnn  aufT  dem  Rucken  hat  es  für  ein  vnzerbrechliche 
Maur,  das  grofs  vnnd  hoch  Schneegebirg.^  In  der  gedankenreichen  Be- 
trachtung, welche  die  Ursachen  entwickelt  die  Roms  GrOfse  herbeige- 
fQhrt,  nennt  Strabo^)  diesen  Umstand  an  erster  Stelle.  Der  einheitliche 
Bau  Italiens  begünstigte  die  Errichtung  eines  allumfassenden  Staats- 
wesens, seine  centrale  Lage  innerhalb  des  Miltelmeergebiets  bestimmte 
es  zum  Sitz  der  Weltherrschaft.  Indessen  zugleich  hatte  die  Natur  den 
Siegespreis  an  vielhundertjährigen  Kampf  und  Arbeit  geknüpft.  In  der 
Mitte  gelegen  bot  Italien  den  Wandervülkern  der  Urzeit  das  lockendste 
Ziel,  und  weder  Schneegebirg  noch  Heer  hat  die  ziehenden  Schaaren 
dauernd  Besitz  zu  ergreifen  verhindert  Nach  und  nach  haben  6  oder 
7,  vielleicht  noch  mehr  verschiedene  Volkerfamilien  festen  Fufs  ge- 
faxt: kein  Land  unseres  Erdtheils  hat  eine  ähnUche  Mannichfaltigkeit 
aufzuweisen  gehabt.  In  diesem  Umstand  war  der  Gang  seiner  Ge- 
schichte vorgezeichnet,  den  ein  Hinweis  auf  Griechenland  erläutern 
mag.  Die  Sage  kennt  die  Hellenen  bereits  als  einheitliche  Nation. 
Jedenfalls  ist  während  der  grofsen  Colonisation  der  Gegensalz  gegen 
die  Fremde  wie  auch  das  nationale  Bewufstsein  ausgebildet  worden, 
welches  auf  Gleichheit  der  AbsfanuDung  und  Sprache,  auf  Gemeinschaft 

1)  VI  286. 


58  Kap.  I.  Nine  ood  tireosen. 

von  Religion  und  Sitte  sich  stützte. i)   Die  idealen  Mächte,  welche  die 
Entwicklung  von  Hellas  in  herzerfreuender  Weise  geleitet,  haben  dies- 
seit  der  Adria  ihre  Geltung  eingebüfst.  Hier  giebt  es  wol  landschaft- 
liche Verbände,  keinen  nationalen  Verband.    Der  nächste  Nachbar 
heifst  peregrinus  sogut  wie  der  Asiate  und  Spanier.  Von  schüchternen 
Ansätzen  abgesehen  ^ ,  ist  kein  Schriftsteller  je  darauf  verfallen  durch 
einen  mythischen  Stammbaum  die  Einheit  der  italischen  Völkerschaften 
erhärten  zu  wollen.    In  den  Bürgerheeren ,  welche  gegen  Hannibal 
fochten ,  herrschte  dasselbe  Sprachengewirr,  das  zur  Kaiserzeit  in  den 
Festungen  am  Rhein  und  an  der  Donau  ertönte.  Zu  den  gleichen  Göt- 
tern beteten  Bürger  und  Bundesgenossen  nur  im  Lager  und  am  Mor- 
gen der  Schlacht.  Endlich  die  Uebereinstimmung  der  Sitte  war  auf  die 
gemeinsame  Zucht  und  den  gemeinsamen  Dienst  in  Waffen  beschränkt. 
Durch  Krieg  und  ausschließlich  durch  Krieg  ist  das  was  wir  römische 
oder  italische  Nation  zu  nennen  pflegen,  zusammengeschweifst  worden. 
Die  letztere  Bezeichnung  ist  streng  genommen  misbräuchlich.    Das 
Bürgerrecht  der  Stadt  Rom  bedingt  die  nationale  Zugehörigkeit  und 
bindet  sich  auf  die  Dauer  nicht  an  die  natürlichen  Schranken,  welche 
die  Staatskunst  zu  wiederholten  Malen  ihm  zu  setzen  versucht  hat 
Von  einem  politischen  Begriff  Italien  kann  deshalb  im  Altertum  nur 
in  vorübergehendem  Sinne  die  Rede  sein :  die  letzten  von  uns  durch- 
lebten Jahrzehnte  haben  ihn  überhaupt  erst  in  die  Erscheinung  gerufen. 
Dagegen  der  geographische  Begriff,  wie  er  noch  jetzt  gilt,  hat  sich  be- 
reits vor  mehr  als  zwei  Jahrtausenden  festgesetzt.  Wann  und  wie  dies 
geschah,  welche  Vorstellungen  man  zu  verschiedenen  Zeiten  mit  dem 
Namen  verbunden  hat,  soll  im  Folgenden  dargelegt  werden. 

§  1.  Ursprung  des  Namens. 

Von  den  Stämmen ,  welche  im  Umkreis  der  tyrrhenischen  See 
sefshaft  geworden  sind,  tauchen  auf  aegyptischen  Denkmälern  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  v.  Chr.  die  Sarden  Sikeler  und  Etnisker  auf.') 
Als  sodann  die  Hellenen  ihre  Städte  gründeten,  ward  ihnen  der  Name 


1)  Wie  die  Athener  erklären  bei  Herodot  VIII  144  rb  'EXXf^utot^  iov 
ofMLifthv  rt  Kai  6/t6yXafaffor,  ual  &tcav  IS^fiaxa  tb  MOiva  Kcd  d'vcUu  ^&ta 
rs  6ftot^onüL;  rar  n^Bcra^  yeviff&ai  ^  idipmiovt  ovm  ar  «v  ix0** 

2)  Hierher  g«bört,  wenn  Vergil  Aen.  Vü  178  den  italns  unter  die  Almen 
des  Latinns  zählt,  die  Ableitung  der  Veneter  von  Troia  n.  a. 

3)  Vgl.  Kap.  U  7. 


1 1.  UrsproDg  des  Nament.  59 

der  Sikeler,  wie  Homer  zeigt  (S.  4),  in  minderem  Grad«  derjenige  der 
entfernter  wohnenden  Sikaner  gelSuflg.  Hesiod  kannte  auch  Festlands- 
sttnune:  Latiner  Etruaker  Ligurer.  Aber  die  Erkenntnils  von  dem  Zu- 
sammenhang des  Festlands  oder  das  Bedürfnifs  dasselbe  durch  einen 
Eigennamen  zu  unterscheiden  hat  sich  auf  lange  hinaus  weder  den 
Eingebomen  selbst  noch  den  fremden  Ansiedlern  aufgedrängt.  Einem 
der  letzteren ,  dem  Dichter  Stesichoros  aus  Himera  heifst  es  um  606 
T.Chr.  unbestimmt 'Eafre^to  Abendland  und  so  hiefs  es  auch  anderen 
seiner  *Landsleute^):  die  Bezeichnung  entspricht  genau  derjenigen, 
welche  unser  Erdtheil  im  Hunde  der  Phoenizier  fahrte  und  ja  scbliefs- 
lieh  bdialten  hat.  Dafs  der  Name  Hesperien  nicht  hängen  blieb,  hatte 
in  der  Geschichte  der  griechischen  Colonisation  seinen  Grund.  Von 
dem  campanischen  Golf  bis  an  die  apulische  Halbinsel  war  die  KUste 
Ton  einem  Städtekranz  umrahmt,  der  in  älteren  Jahrbunderlen  das 
Mutterland  wie  die  Gründungen  auf  Sicilien  an  Macht  und  Wolstand 
weit  überstrahlte.  Im  Gefilde  von  Sybaris  trug  der  Weizen  hundert- 
Mtige  Frucht,  der  grofse  Verkehr  lief  vom  Westen  nach  looien  ohne 
das  Mutterland  zu  berühren,  diese  Geldprotzen  blickten  verächtlich  auf 
die  mit  Armut  behaftete  Heimat  herab. ^)  Ansiedler  verschiedener 
Stämme  wohnten  hier  einander  benachbart,  das  Gefühl  der  Zusammen- 
gehörigkeit fand  in  dem  alle  umfassenden  nationalen  Namen  seinen 
Aiisdrucli,  aber  prahlend  bezeichneten  sie  das  eroberte  Land  als  das 
grofse  iq  fieyaXtj  'EXXag  '),  um  es  vor  den  bescheidenen  Verhältnissen 
der  heimischen  Volksgenossen  auszuzeichnen.  Was  diesen  glänzenden 
Aufschwung  befördert,  ja  geradezu  ermöglicht  hatte,  war  neben  der 
angebomen  Thatkraft  der  Golonisten  der  niedere  Culturstand,  den 
sie  bei  den  Eingebomen  antrafen.  Wir  werden  an  unser  Mittelalter 


1)  Nach  der  iiischen  Tafel  Ufst  Stesichoros  hierhin  den  Aeneas  lUBwaa- 
dem.  Sp&ter  ward  der  Name  auf  Spanien  flbertragen.  Den  ilteren  Gebrauch 
bezeugen  Dien.  Hai.  1  35  Verg.  Aen.  I  530  n.  a.  Man  wolle  nicht  vergessen, 
dafs  die  ältere  Zeit  nur  2  (Tag-  und  Nachtseite),  Aeschylos  nierst  die  Unter- 
scheidung Ton  4  Weltgegenden  kennt 

2)  In  den  Colonien  wird  der  Ausspruch  Herod.  YD  \QI2  aa%ekoiMnen  aoa 
ti  ^SXXaSi  Ttevlij  fikv  aiel  xore  aiw^o^^  avvsau.  Engste  Verbindung 
zwischen  Sybaris  und  Milet  Her.  VI  21,  Tarent  und  Knidos  DI  138;  Phokacer 
im  Westen  1 163  u.a.  Fruchtbarkeit  Sophokles  Ant  1118  PUn.XVllI65  Vairo 
RR.  144. 

3)  PoL  n  39  Strab.  VI  258  Scymn.  303  Plin.  HI  42.  95,  seit  den  Perser- 
Iviegen  au&er  Gebrauch  daher  in  der  erhaltenen  Littcfatur  nicht  ttaehwcisbar, 
•  12. 


60  Kap.  L  Name  und  Grenxen. 

V 

erinnert  wenn  eine  Beschreibung  des  früheren  Sicifien  lautet  i):  .die 
Sikaner  wohnten  ehedem  in  Dörfern,  auf  den  steilsten  Hügeln  lagen 
die  Burgen  der  Seeräuber  wegen ;  denn  sie  waren  nicht  der  Herrschaft 
eines  gemeinsamen  Königs  untergeordnet,  sondern  auf  jeder  Burg  safs 
ein  Dynast;  so  lebten  sie  vom  Ertrag  des  Landes  ohne  Handel  und 
Schiffahrt.^  Der  Brennpunct  westhellenischen  Verkehrs  fiel  in  die 
schmale  Seestrafse,  welche  das  tyrrhenische  Becken  mit  dem  östlichen 
Mittelmeer  in  Verbindung  setite:  unter  den  phantastischen  Gestalten 
der  ScyUa  und  Charybdis  hat  der  Dichter  loniens  sie  besungen.  Einem 
Strom  vergleichbar,  trennt  der  30  km  lange  3  — 14  km  breite  Sund 
die  beiderseitigen  Gestade:  er  trennt  und  knüpft  sie  eng  an  einander. 
Die  Alten  erkannten  den  ursprünglichen  Zusammenhang  der  Land- 
massen und  meinten  ein  Erdbeben  habe  ihn  zerrissen.  Daher  nannten 
sie  die  hier  erbaute  Hauptstadt  !Z^^iov  Bruch  Rife.')  Ein  Rheginer 
Hippys  (S.7)  war  es,  der  nach  dem  in  Asien  gegebenen  Beispiel  daran 
ging  alte  Sagen  und  Geschichten  aufzuzeichnen  ein  Henschenaiter  oder 
mehr,  bevor  man  im  Mutterland  an  dergleichen  dachte. s)  Von  ihm, 
also  etwa  von  500  v.Chr:an  können  wir  in  der  Litteratur  den  Sprach- 
gebrauch verfolgen,  welcher  Insel  und  Festland  durch  die  uns  vertrau- 
ten Benennungen  unterscheidet  Vorläufig  jedoch  ist  unter  dem  Namen 
Italien  nur  ein  kleines  Stück  einbegriffen.  Es  reicht  bis  zu  dem  Isth- 
mus zwischen  den  Buchten  von  Terina  und  Scylacium ,  welcher  auf 
eine  Breite  von  31  km  eingeengt  und  auf  eine  Höhe  von  250  m  er- 
niedrigt, wie  ein  loser  Faden  die  Sfldspitze  mit  dem  Hauptland  verbin- 
det, so  dafs  der  Plan  hat  entstehen  können  ihn  durch  eine  Mauer  ab- 
zusperren, ja  sogar  einen  Canal  hindurchzuleitcn.^)  Mithin  umfafst 
in  seiner  ältesten  Anwendung  der  Name  ein  Gebiet  von  ungefähr 
120  deutschen  Quadratmeilen :  noch  im  ersten  Drittel  des  fünften  Jahr- 
hunderts erstreckt  er  sich  nicht  weiter.^) 

Das  angegebene  Datum  500  v.  Chr.  darf  nicht  als  obere  Zeitgrenze 

1)  Diod.  V  6  nach  Timaeoa  vgl.  nein  Tenplum  p.  114,  Berlin  1869.  * 

2)  Kap.  U  2. 

3)  Die  frahe  Blflte  der  Gegend  wird  durch  den  UnsUnd  bestätigt,  dafs 
die  erste  schriftliche  Geaetigebnng  der  HeUeoen  nach  Lokroi  Episephyrioi  ge- 
hört Strab.  VI  269;  anch  das  in  deDselben  geographischen  Bereich  fallende 
Katana  erhielt  solche  nicht  viel  später. 

4)  Kap.  V  7. 

5)  AntiochoB  bei  Dioo.  Hai.  I  35  Strab.  VI  254.  Wenn  Themistokles  eine 
Tochter  Sybaris,  eine  andere  Italia  Uiifte  (Plnt.  32),  so  kann  er  IBgUch  jene 
Stadt  nicht  unter  den  Landesnamen  mit  einbefalst  haben.    Wenn  Hekataeoc 


§  1.  Ureprung  des  Namens.  61 

rentanden  werden.  Das  Wort  gehört  einer  Epoche  an,  in  weicher  das 
anlaotende  Digamroa  nicht  blos  gesprochen  sondern  auch  in  ionischer 
Schrift,  der  sich  die  ältesten  Prosaiker  sämmtlich  bedienten,  geschrie- 
ben wurde:  es  hiers  damals FiraiUa,  so  las  noch  Helianikos  von  Lesbos, 
ein  älterer  Zeitgenosse  HerodotsJ)  In  der  That  deutet  alles  auf  ein 
weit  höheres  Alter  hin.  Wie  die  Lander  diesseit  und  jenseit  des  Faro 
stets  im  lebhaftesten  Austausch  gestanden  haben,  konnten  die  hier  sefs- 
haften  Griechen  gar  nicht  umhin  die  Sitze  der  Nachbarn  von  den  eige* 
Den  durch  einen  besonderen  Namen  zu  unterscheiden.  Wenn  im  Osten 
der  altbekannte  Name  der  Sikeler  häufig  auf  das  Festland  mit  übertragen 
wurde  >),  so  war  solches  an  Ort  und  Stelle  auf  die  Dauer  unmöglich. 
Man  kann  auch  nicht  wol  anders  annehmen ,  ab  dafs  in  beiden  Fällen 
nach  demselben  Princip  verfahren  worden  ist.  Da  aber  die  Insel  mit 
ihren  barbarischen  wie  hellenischen  Bewohnern  ^)  nach  dem  mächtig- 
sten eingebornen  Stamm  benannt  worden  ist,  so  mufs  das  Festland 
nach  einem  dort  ansässigen  Stamm  der  Fivakol  benannt  gewesen  sein. 
Zwar  die  abweichenden  Erklärungen  der  Alten  ^)  lehren  alsbald ,  da& 
die  Deutung  nicht  ohne  weiteres  gegeben  war:  während  die  Sikeler 
in  der  Ueberlieferung  historischer  Zeiten  genug  von  sich  reden  ge- 
macht haben,  hören  wir  von  Italem  gar  nichts.  Das  Verschwinden  der 
Italer,  welches  der  Neigung  der  Alten  zum  FabuKren  Thor  und  Thür 
Öffnete,  darf  freilich  nicht  befremden.  In  den  ältesten  Jahrhunderten 
trat  das  Heilenentum  mit  ungleich  gröfserer  Macht  auf  dem  Festhind 
ab  auf  der  Insel  hervor:  z.  B.. hatte  Sybaris  vier  Völkerschaften  und 

ir,  21.  29  M.  Capoa  und  Gapri  nach  Italien  verlegt  haben  soll,  so  ist  dies  ein 
Beweis  ffir  die  spätere  Ueberarbeitung  des  Werks  (S.  7), 

1)  DioD.  Hai.  1 35,  bestätigt  durch  die  oskische  Aufschrift  der  Socialmünzen 
Titelio  »  Italia  und  Serrius  s.  Verg.  Aen.  Vm  328. 

2)  Steph.  Bys.  Thokyd.  VI  2  Pol.  Xn  5. 

3)  JSiXBloq  davon  StxtUa  davon  JSurfAioini^;  nach  der  Hellenisimng  fillt 
die  von  Thnkydides  beobachtete  ünterscheiduDg  der  Sikeler  und  Sikeiioten 
fort  (schon  bei  Plato). 

4)  Helianikos  bei  Dien.  HaL  I  35  Varro  RR.  11  5  erklärt  TUIia  als  Rinder- 
Und  und  bringt  es  mit  der  Heraklesfabel  in  Verbindung.  Alle  alten  und  un- 
verdächtigen Zeugen  (Antiochos  Helianikos  ApoUodor  Festus  p.  106  u.  a.)  leiten 
das  Wort  aus  der  Sprache  der  Eingebornen  ab:  erst  der  Unverstand  des  Timaeos 
hat  ihm  einen  altgriechiachen  Urapmng  zuacbreiben  wollen  (Gell.  N.  A.  XI  1 
Vuro  a.  0.  eb.  U  1  LL.  V  96  Serv.  V.  Aen.  1  533).  Aber  war  das  Wort  ein 
italisches,  so  können  die  Griechen  unmöglich  den  Namen  aufgebracht  haben, 
va  damit  den  Rinderreichtum  des  Landes  lu  beseiehnen,  wie  Timaeos  Piso 
Vuro  wollen,  vgl.  Templum  p.  109. 


62  Kap.  L  Name  und  Grenzen. 

25  Gaue  der  Eingebornen  dauernd  unterworfen.    Die  geograpUsehe 
Lage  verstärkte  die  Widerstandskraft  der  Insulaner  und  doch  ersehe- 
nen auch  sie  im  vierten  Jahrhundert  vollständig  hellenisirt  Was^un- 
der^  wenn  ein  auf  den  vierten  Theil  des  Raumes  beschränkter  Stamm 
der  fremden  Cultur  ein  oder  zweihundert  Jahre  früher  zum  Opfer  ge- 
faUen,  wenn  Italer  Moi^eten  und  Choner  verschwunden  sind  ohne 
Spuren  in  der  historischen  Ueberlieferung  zu  hinterlassen?  hat  doch 
die  Sage  ihr  Andenken  gerettet.  Der  alte  Antiochos  von  Syrakus  er- 
zählt: ein  weiser  und  guter  König,  Italos  geheifsen,  habe  dem  Land 
und  Volk  seinen  Namen  verliehen,  ein  gro&es  Reich  gegründet,  Acker- 
bau und  Gesittung  in  demselben  verbreitet  i)  Dieser  Heros  Eponymos 
ist  nun  augenscheinlich  von  einem  Volk  abgeleitet  wie  Hellen  Achaeos 
Ion  Siculus  Oenotrus  Latinus  u.  s.  w.  und  damit  die  ehemalige  Exi- 
stenz des  Volkes  zweifeUos  verbürgt.  2)  Ob  dasselbe  die  ganze  Sod- 
spitze  eingenommen  oder  ihren  Besitz  mit  anderen  Völkern  getheilt 
hat,  wäre  bei  dem  Stand  unseres  Wissens  eine  müssige  Frage. 

Keiner  der  Stämme ,  deren  Thaten  die  Augen  der  Welt  auf  sich 
gelenkt  und  den  Griffel  des  Geschichtsehreibers  beschäftigt  haben, 
ward  der  Ehre  theilhaftig  sem  Andenken  mit  dem  Lande  au  verschwi- 
stern.  Eine  früh  verschollene  Völkerschaft  wurde  verewigt,  weil  sie 
der  griechischen  Cultur  zuerst  erbg.  In  der  That  sind  die  Griechea 
es  gewesen,  wie  im  Folgenden  gezeigt  werden  soll,  welche  die  weitere 
Ausdehnung  des  anfiinglich  so  kleinen  Bezirks,  in  dem  der  Name  zu 
Hause  war,  bewirkten.  Jedoch  ist  es  höchst  merkwürdig,  weldi  uralte 
nationale  Vorstellungen  in  dem  von  den  Fremden  aufgenommenen 
Worte  verkörpert  waren.  Die  Bedeutung  desselben  ist  sehr  durchsich- 
tig und  deshalb  auch  den  Alten  geläufig'):  FiTalog  ist  lateinisch  vi- 
iulus  umbriscb  vitlu  d.  h.  der  junge  Stier,  das  Stierkalb.  Dies  erinnert 
an  den  allgemeinen  Hergang  der  Völkerwanderungen  auf  der  Appennin- 
halbinsel.  Wenn  die  Heimat  nicht  länger  ihre  sämmtlichen  Bewohner 
zu  ernähren  vermochte ,  stiefs  sie  die  Jugend  aus  ihrem  Verband  aus, 
den  Göttern  ein  ver  saerum  einen  heiligen  Lenz  darbringend.  Wie  die 
Bienenbrut  ausschwärmt,  weil  der  Stock  die  Menge  nicht  mehr  fafet, 


1)  Dion.  Hai.  I  12.  35.  73  Strab.  VI  254  Aristot.  Pol.  VH  9,  2. 

2)  YrecAoc  davon  ^ItaXla  davon  jTra^UaiTf/c  i»ch  derselben  Gleichang  wie 
S.  61  A.  3.  Da  zu  Antiochos  Zeit  onabhingige  ^ItaXöl  nicht  mehr  vorkamea, 
braucht  er  die  Form  *ItaXli^ig  gerade  wie  Saee^wrai  spiter  die  h^lenisirten 
Eingebomen  beseichnet  Diod.  V  6. 

3)  Niebnhr  R.  6.  I  16,  mein  Templum  p.  13t.  154. 


§  2.  Waadenng  des  Namens.  63 

so  mufs  die  aasgestofsene  Jagend  ihr  Heil  in  der  Fremde  suchen^  mit 
den  Waffen  eine  Wohnstatt  erstreiten.  Die  Sage  meldet,  daTs  die  Gott- 
hdt  sich  ihrer  erbarmt.  Mars  schickt  seine  Boten  die  Vertriebenen  zu 
oeoeD  Sitzen  zu  geleiten.  Ein  Stier  fahrte  die  Samniten,  ein  Wolf  die 
llirpioer,  ein  ^»eeht  die  Picenter:  jener  gab  der  Stadt  Bovianam,  Wolf 
und  Specht  den  Volkern  selbst  ihre  Namen.  Wir  werden  nicht  fehl 
gehen,  wenn  wir  die  Stierlinge  der  brettischen  Halbinsel  dem  näm* 
Uchen  Gedankenkreise  anreihen  and  von  einem  heiligen  Lenz  der  Vor- 
zeit erklaren.  Darin  bestärkt  ans  die  Wendung  der  Sage,  welche  den 
Italos  alle  Gesittung  und  staatliche  Ordnung  einrichten  läfst;  denn  der 
Schöpfung  des  Staats  geht  nach  antikem  Glauben  das  wilde  Fanstrecht 
Toraus.  Der  Stier  ist  ein  Sinnbild  des  Gottes  und  nach  ihren  Göttern 
ist  die  tiberwiegende  Mehrzahl  italischer  Volker  benannt  i)  Die  Nie- 
buhrsche  Annahme,  als  ob  Itali  die  Gesammtheit  der  oskischen  Stamme 
in  ähnlicher  Weise  bezeichnet  hatte  me^'EkXtjveg  die  ganze  Nation, 
entbehrt  der  Begrandung.^)  Aber  allerdings  mufste  das  Wort  in  den 
Ohren  der  Eingebomen  einen  guten  Klang  haben.  Der  Stier  nimmt 
in  dem  Glauben  der  italischen  Vorzeit  eine  ausgezeichnete  Stellung 
ein :  als  unentbehrlicher  Genosse  des  Menschen  für  die  Bestellung  des 
Bodens  wie  für  die  Portschaffung  der  Habe  wird  er  geradezu  ab  Ver- 
treter von  Ackerbau  StädtegrOndung  und  Cuitur  aufgefalkt.  Insofern 
hat  eine  schone  Fügung  dem  Lande  nicht  einen  gleichgültigen  son- 
dern einen  Namen  bescheert,  der  seinen  Ansprüchen,  theilweise  auch 
seinen  Verdiensten  in  der  Weltgeschichte  einen  angemessenen  Aus- 
druck yerleiht. 

§  2.  Wanderung  des  Namens. 

Die  Blüte  der  Griechenstfldte  auf  der  brettischen  Halbinsel  welkte 
rasch:  innere  Zwietracht  nachbarliche  Eifersucht  versengten  sie.  3)  Der 
GliDZ  von  Sybaris  erschien  wie  ein  Märchen ,  seitdem  die  Stadt  vom 
Erdboden  vertilgt  war.^)  Von  der  grofsen  Hellas  war  es  stille  gewor- 

1)  Mar-si  Mamert-ioi  Pic-entes  Hirp-ini  Vest-ini  Sab-ini  u.  s.  w. 

2)  Die  einzigen  schwachen  Spuren  der  Verbreituns  des  Namens  Hefern  die 
Ortonamen  YitelUa  in  Utium,  Italinm  in  Apnlien?  Diod.  XX  26  and  Sicilien 
Diod.  XXIY  6. 

3)  Die  Vertreibung  der  Pyihagoreer  und  die  Zerslörung  von  Sybaris  stehen 
chronologisch  nicht  fest.  Indessen  f&llt  der  Niedergang  der  Italioten  vor  den 
Zog  des  Xences,  da  ihre  BCilfe  gegen  letzteren  gar  nicht  in  Betracht  konint. 

4)  Schon  Aristophanes  Wespen  1260. 1427  bringt  sybariütehe  Geschichten: 
die  gröbere  Masse,  die  man  Athen.  XII  5 19  fg.  liest,  sind  später  erfunden. 


64  Kap.  t.  Name  und  Grenzen. 

den :  jeoseil  der  Meerenge  hatte  Gelon  eine  gewaltige  Monarchie  ge- 
stiftet und  in  der  Heimat  ging  das  attische  Reich  in  all  seiner  Macht 
und  Herrlichkeit  auf.  Währenddem  zerfleischten  die  Parteien  der  Fest- 
landstädte sich  gegenseitig  in  wilder  Erbitterung:  die  meisten  helle- 
nischen Staaten  schickten  Gesandte  um  dem  wahnwitzigen  Toben  Ein- 
halt zu  gebieten  und  erreichten  endlich  dafs  Krotoniaten  Sybariten 
und  Kauloniaten  einen  Bund  mit  einander  schlössen.^)  Die  wieder- 
holten Versuche  Ton  Syrakus  ganz  Sicilien  unter  seiner  Führung  zu 
vereinigen  wirkten  auf  das  Festland  im  gleichen  Sinne  zurück;  die 
Brüderschaft  der  Pythagoreer,  welche  nach  ihrer  Unterdrückung  im 
Geheimen  fortlebte,  arbeitete  auf  die  gegenseitige  Annäherung  der  Ge- 
meinden hin.^)  Aus  diesen  Zeitströmungen  erklärt  sich,  dals  man  nach 
einem  gemeinsamen  Namen  aussah  und  dafs  um  die  Mitte  des  fünften 
Jahrhunderts  der  Begriff  Italien  über  die  gesammte  brettische  Halb- 
insel ausgedehnt  wird.  Antiochos  begrenzt  ihn  durch  den  Flufs  Laos 
im  Norden  und  das  Gebiet  von  Metapont  im  Osten :  Tarent  ist  nicht 
mitbefafst,  sondern  liegt  in  lapygien.^)  Er  versteht  also  unter  Italien 
ein  Gebiet  von  ungefilhr  350  d.  Quadratmeilen,  dreimal  so  grob  als 
der  ursprüngliche  Umfang  gewesen  war.  Der  kleine  Küstenflufs  Laos, 
welcher  dasselbe  von  Oenotrien,  nach  späterem  Sprachgebrauch  Brut- 
tium  von  Lucanien  schied,  bezeichnet  in  der  That  eine  Naturgrenze; 
denn  hier  nimmt  der  Appennin  sein  Ende  und  das  Urgebirg  seinen  An- 
fang.«)  Dagegen  würde  an  der  Ostseite  die  Küstenebene  von  Sybaris 
den  geologischen  Abschnitt  bilden.  Rechnet  man  diese  dem  Süden  zu, 
so  bleibt  es  der  Willkür  oder  politischen  Erwägungen  überlassen ,  wo 
der  Küstensaum  am  Tarentiner  Golf  durch  eine  Grenzlinie  geschnitten 
werden  soll.  Antiochos  hat  mit  Fug  und  Recht  Tarent  ausgeschlossen ; 
denn  diese  Stadt  stand  den  Verwicklungen  der  westlichen  Nachbarn 
abseits  und  gravitirte  nach  Osten  nach  Apulien  zu ,  die  Eingebornen 
aber  gehörten  einer  anderen  Vülkerfamilie  als  die  Sikeler  und  die  Be- 
wohner der  brettischen  Halbinsel  an.  So  triftig  derartige  Erwägungen 
im  Westen  erscheinen  mochten,  so  wenig  konnten  sie  auf  Ver- 
ständnifs  im  Mutterland  rechnen.  Für  die  geographische  Anschauung 
stellt  der  Tarentiner  Golf  eine  natürliche  Einheit  dar :  schon  Herodot 


1)  Pol.  n  39. 

2)  Vgl«  Aristot.  Meteor.  I  d,  2  de  eaelo  II  13,  1. 

3)  Antiochos  bei  Dion.  Hai.  I  35  Strab.  VI  254  ArisU  Pol.  VU  9,  2;  der- 
selbe Spnchgebrtach  Thac.  VII  33. 

4)  Kap.  V  7. 


§  2.  WanderuDf  des  Namens.  M 

und  Sophokles  lassen  ItalieD  vom  iapygischen  Vorgebirge  bis  zur  sici- 
Uschen  Meerenge  sich  erstrecken,  i)  Der  politische  Gegensatz,  welcher 
eich  dorch  den  Alteren  Dionys  zwischen  Festland  und  Insel  ausbildete, 
mufete  den  Gebrauch  Terallgemeinern  Tarent  als  das  Haupt  der  ver- 
bündeten Freistädte  unter  den  Gesammtnamen  einzuschliefsen.  Seit 
Ausgang  des  fOnften  Jahrhunderts  bedeutet  also  ^Irakla  das  Land  der 
Hellenen  am  Tarentiner  Golf,  ^IrahcjTai^lraXinol  avdfegdie  in  dem- 
selben ansässigen  Hellenen.^)  Sein  Inhalt  beziffert  sich  nach  einer 
ungefiihren  Schätzung,  die  hier  allein  statthaft  ist,  auf  etwa  500  Qua- 
dratmeilen.  An  der  durch  den  Flufs  Laos  bestimmten  Grenze  wird 
von  allen  Schriilstellern  dieser  Zeit  fest  gehalten :  Hyele  oder  Velia 
liegt  ihnen  ungeachtet  seiner  berühmten  Philosophenschule  in  Oeno- 
trien.^  Für  das  nicht  griechische  unabhängige  Land  fehlt  eine  allge- 
mein übliche  Bezeichnung.  Man  wählt  hierfür  Stamronamen,  am  häu- 
figsten den  der  seemächtigen  Etrusker  Tv^Qrjvla  ^),  doch  auch  den  der 
Osker'OTTfxij^)  und  Ausoner  Avaovla.^) 

Am  Ausgang  des  fünften  Jahrhunderts  beginnt  die  erfolgreiche 
Reaction  des  Binnenlands  gegen  die  Küste:  die  Eingebornen  wollen 
selber  Meister  sein ,  die  Fremdherrschaft  der  Griechen  nicht  länger 
dulden.  Unter  vielen  Wechselßillen  zieht  sich  der  Kampf  hin.  Das 
ehrwürdige  Kyme  ßillt  schon  418,  Neapel  und  Poseidonia  müssen 
samnitische  Schaaren  in  ihren  Mauern  aufnehmen,  im  Bunde  mit  dem 
Tyrannen  Dionys  brechen  die  Lucaner  eine  Stadt  nach  der  andern. 
Doch  kamen  die  Streiter  einander  auch  näher,  die  Osker  erwiesen  sich 
hr  griechische  Cullur  empfänglicher  als  irgend  ein  anderer  Stamm  der 
Halbinsel,  das  Philhellenentum  ergriff  Unteritalien  mit  gleicher  Stärke 
wie  Sicilien.  Das  Verhältnifs  erhielt  eine  mythische  Sanction,  wie  die 
Alten  sie  liebten ,  indem  die  Eingebomen  auf  den  gleichen  Ursprung 


1)  Herod.  I  24.  94  m  t36  IV  15;  Sophokles  im  Triptolemos  nach  Dien. 
1  n  y%\.  Plin.  XVin  65. 

2)  Plat.  Gorg.  493  A  xofitpbg  avifQ,  laiog  Sixilog  uq  ^  ^xaXixoq,  *Ixa* 
hmtai  bei  Herodot  Plato  u.  a.  oft,  ^IxaUtt  Isokr.  lY  169  Scymn.  (Ephoros)  330. 

3)  Herod.  I  167  Soph.  bei  Dien.  Hai.  I  12  Plin.  UI  85. 

4)  Herod.  I  163  VI  22  Eorip.  Med.  1359  Plat.  Tim.  25  B.  Dion.  Hah  I  29 
ApoUodor  bibl.  H  5,  10  Seymn.  134  Theopomp.  fr.  222  M.  Aristozenos  fr.  90 
Theophnst  bist  pl.  V  8,  3  K  16,  6.  Böckh,  Staatshaushaltung  HI  459. 

5)  Aristoteles  bei  Dion.  Hai.  1  72  Thuc.  VI  4  vgl.  Cato  p*  77  Jordan* 

6)  Dion.  Hai.  I  35:  nicht  in  der  altgriechischen,  sondern  der  alexandrini- 
KheD  Litteratur,  Lykophron  Alex.  593.  702. 1355,  daher  bei  den  angosteischen 
Kehtem  hiufig  Tgl.  ausonisches  Meer  Kap.  II  2. 

KiiitB,  Ital.  lAad«8lcBs4«.  I.  5 


66  Kap.  L  Name  und  Grcnxen. 

wie  die  Fremden  zurückgeführt  und  für  Abkömmlinge  der  Spartaner 
eriibri  wurden.  ^)  Daraus  ergab  sich  von  selbst,  dafs  der  Name  Italiea 
etwa  um  die  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  seine  bisherige  Beschrän- 
kung auf  das  den  Hellenen  unterthänige  Land  verlor  und  bis  an  den 
Busen  von  Poseidonia  vorgerückt  wurde.  2)  Im  Inneren  lafst  sich  das 
Gebiet  nicht  genau  umschreiben:  aber  wenn  wir  es  soweit  rechnen, 
als  die  einheimische  Sprache  nur  mit  griechischem  Alphabet  geschrie- 
ben worden  ist,  so  können  wir  es  annähernd  zu  1000  Quadratmeilen 
ansetzen.  Reichlich  ein  Menschenalter  später  fügt  Theophrast  Cam- 
panien  hinzu,  setzt  aber  Latium  in  ausdrücklichen  Gegensatz  zu  dieser 
Bezeichnung.^)  Mittlerweile  nahmen  die  Eroberungen  Roms  einen 
schnelleren  Verlauf.  Im  Jahr  306  schliefst  es  mit  Karthago  ein  Bttnd- 
nifs  ab:  dieses  verpflichtet  sich  nicht  in  Italien  d.  h.  im  hellenischen 
Süden,  jenes  nicht  aufSicilien  zu  interveniren.^)  Das  Hellenentum 
war  von  den  beiden  gröfsten  Mächten  des  westlichen  Meerbeckens  in 
die  Mitte  genommen  und  lief  Gefahr  völlig  erdrückt  zu  werden.  Im 
Verein  mit  den  hellenisirten  Oskern  und  Sikelern  hat  es  unter  König 
Pyrrhos'  Leitung  eine  verzweifelte  Anstrengung  gemacht  beide  Gegner 
abzuschütteln  und  die  nationale  Unabhängigkeit  zu  retten.  Mit  dem 
Fall  von  Tarent  272  ist  die  römische  Herrschaft  über  das  Festland  voll- 
endet. Ein  Schriftsteller  dieser  Epoche  rückt  Italien  bis  zum  Vorge- 
birge der  Circo  vor  ^);  aber  der  beste  Kenner  des  Vi^estens  Timaeos 
schliefst  den  ganzen  Norden  der  Halbinsel  ausdrücklich  von  dieser  Be- 
nennung aus.^)  Um  den  Ausbruch  der  punischen  Kriege  versteht  man 
demnach  unter  Italien  den  Süden,  soweit  hellenische  und  oskische 
Sprache  und  Cultur  sich  erstrecken  d.  h.  ein  Gebiet  von  ungefihr 
1300  Quadratmeilen. 

Gegen  das  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  trat  Rom  in  den  Kreis 


1)  Dion.  Hai.  U  49  Flut.  Rom.  16  Nam.  t  Serv.  V  Aeo.  Vm  638  n.  a. 
fliiu  die  nflehterne  Bemerkang  voo  Stnbo  V  250  Scxit  4k  xal  TuQavtlvwv 
likiüiUL  tovx'  fhai,  xoXaxfvovtwv  ifjMQOvq  »al  idya  ^wafiivovQ  av^^ 
nov^  9cal  Sfia  iSoueuovfiivaw, 

2)  Die  Grenze  wird  bezeugt  von  Dion.  Hai.  I  73  Strab.  V  209. 

3)  Theophr.  fr.  159  (Athen.  H  41)  bist.  pl.  V  8,  1  vgl.  IV  5,  6. 

4)  PoLm  26  awSfjxtti  xa»'  ac  f^i  ^Pmfiolövq  ßkv  in^XBif^ai  SiXtXiäi 
inaatiQ,  Ka^ij^avlovq  $''lxtOdttqi  vgl.Liv.XXl  10  «etf  Twrmäo  id  mHUHä 
non  abMünueramus  ex  foedere  (Fleckeisen«  Jabrb.  1867,  p.  325  fg.). 

5)  De  nirab.  aase  78  Lykos  von  Rhegion? 

6)  De  mirab.  ansc.  85.  93.  94.  95. 102.  103. 


§  3.  Der  iUliiche  Bund.  67 

der  cmlisirten  Staaten  der  damaligen  Welt  ein.^)  Seine  Beziehungen 
lum  Hellenen  tum  haben  im  Verlauf  seinerfortschreitenden  Eroberungs- 
politik mehrfach  gewechselt  Anfilnglich  mit  Tarent  gegen  die  Sam- 
Biten  verbandet,  schlofs  es  mit  Karthago  zur  Knechtung  der  Hellenen 
einen  Vertrag.  König  Pyrrhos  als  Abkömmling  des  Achilleus  zog  gegen 
die  Römer  als  Nachkommen  der  Troianer  zu  Felde.  Aber  den  Krieg 
gegen  Karthago,  den  Erzfeind  des  hellenischen  Namens,  führten  diese 
ab  Vorkämpfer  von  Hellas.  Von  dem  ersten  punischen  Krieg  her  da- 
tirt  das  römische  Philhellenentum.  Durch  das  Dogma  von  der  troia* 
oiscben  Abstammung  erhielt  dasselbe  einen  mythischen  Ausdruck.  In 
der  Gegenwart  aber  wurde  der  Unterschied  von  Herren  und  Unter- 
thanen  verwischt,  indem  man  den  Landesnamen  aber  das  gesammte 
festländische  Bundesgebiet  Roms  ausdehnte.  Nach  dem  Frieden  von 
241  darf  Karthago  in  Italien  keine  Werbungen  vornehmen,  worunter 
ohne  Frage  die  ganze  Halbinsel  zu  verstehen  ist.')  Somit  umfafst  das 
Wort  jetzt  ein  Gebiet  von  annähernd  2500  Quadratmeilen ,  doppelt  so 
grofs  wie  der  hellenisirte  Söden.  Der  Name  bewahrt  noch  immer  den 
Klang,  den  er  bisher  im  Munde  der  Hellenen  gehabt  hatte:  er  bezeich- 
net einerseits  das  Festland  im  Unterschied  von  der  Insel  Sicilien ,  an- 
dererseits den  Bereich  der  Civilisation  im  Gegensatz  zu  den  nördlichen 
Barbaren.  Die  Furcht  vor  den  Kelten  war  es,  welche  die  Gemeinden 
der  Halbinsel  zur  willigen  Unterordnung  unter  Rom  trieb.')  Der  Kampf 
gegen  die  Kelten  täUi  mit  dem  zweiten  grolsen  Krieg  gegen  Karthago 
lusammen.  Nach  dessen  siegreicher  Beendigung  war  Rom  Herrin  des 
Hittehneers  geworden  und  die  Grenze  Italiens  bis  an  die  Alpen  vorge- 
rflcku  Bevor  wir  diesen  Hergang  näher  verfolgen,  ist  es  notwendig 
einen  Bück  auf  die  Verfassung  zu  werfen,  welche  die  Appenninhalbinsel 
IQ  einem  politischen  Ganzen  vereinigte. 

§3.  Der  italische  Bund. 

Als  geographischer  Begriff  um  das  Festland  von  Sicilien  zu  unter- 
scheiden war  der  Name  bei  den  Hellenen  in  Aufnahme  gekommen. 
IHese  Grundbedeutung  behielt  er  im  Munde  der  Römer  bei :  die  terra 


1)  Vertrag  mit  Rhodos  ca.  307  nach  PoL  XXX  5.  Belege  für  die  nach- 
folgenden Saue  habe  ich  beigebracht  in  Fleekeiiens  Jahrbflchern  1666, 
P.  375  fg. 

2)  Appian  Lib.  5  Zonar.  Vlü  17. 

3)  Pol.  n  23,  13. 

5* 


68  Kap.  I.  Name  und  Greozen. 

ItaUa  befafst  den  ager  Romanus  das  Stadtgebiet  von  Rom  ^)  und  stellt 
das  Inland  dar.  Was  jenseit  des  Meeres  liegt,  mag  es  nun  unterthSniges 
verbündetes  befreundetes  Gebiet  sein ,  mag  es  selbst  das  BQrgerrecbt 
Roms  besitzen,  ist  nichts  desto  weniger  Ausland.  An  diesem  unver- 
brüchlichen Grundsatz  ist  bis  auf  Diocletian  ein  halbes  Jahrtausend 
hindurch  nicht  gerüttelt  worden.  Dem  Landesnamen  entspricht  von 
Hause  aus  kein  Volksname.  Das  Staatsrecht  unterscheidet  drei  Kate- 
gorien unter  den  Bewohnern  der  terra  Italia:  römische  Bürger  Latiner 
und  Bundesgenossen.^)  Die  beiden  erstgenannten  standen  durch 
gleiche  Sprache  und  gleiches  Recht  in  engerer  Gemeinschaft;  aber  zu 
den  Bundesgenossen  gehörten  Etrusker  Umbrer  Picenter  Osker  Mes- 
sapierVolsker,  um  von  den  kleineren  Stämmen  zu  schweigen,  und  ein 
Reisender  im  dritten  Jahrhundert  hatte  ein  halbes  Dutzend  Sprachen 
oder  mehr  kennen  müssen,  auf  dafs  er  aller  Orten  von  Jedermann  ver- 
standen ward.  Zu  einem  politischen  Ganzen  war  diese  Masse  theils 
gutwillig  theils  durch  Gewalt  verschmolzen  worden.  Von  den  moder- 
nen Vorstellungen  freilich,  welche  mit  den  Vi^orten  Bund  und  Bundes- 
verfassung verknüpft  zu  werden  pflegen,  ist  hier  durchaus  abzusehen ; 
denn  die  einzelnen  Bundesglieder  sind  nicht  gegenseitig  unter  einan- 
der, sondern  jedes  einzelne  für  sich  Rom  verpflichtet.^)  Die  Verfassung 
beruht  also  auf  etwa  150  Verträgen,  welche  zwischen  Rom  und  den 
Städten  zu  verschiedenen  Zeiten  vereinbart  worden  waren.  Die  Be- 
dingungen haben  sehr  geschwankt,  aber  gewisse  Hauptsätze  fanden 
sich  in  allen  wiederholt.  Das  Bündnifs,  welches  Spurius  Cassius  493 
mit  den  Latinem  abschlofs,  ist  als  Muster  zu  Grunde  gelegt  worden. 
Es  hebt  an:  „Friede  soll  sein  zwischen  beiden  Theilen,  solange  Him- 
mel und  Erde  bestehen  bleiben;  sie  sollen  Feinden  keinerlei  Vorschub 
leisten ,  sondern  mit  aller  Macht  dem  angegriffenen  Theil  zu  WXiVt 
kommen  und  gleiches  Anrecht  auf  die  Kriegsbeute  haben,  alle  Streitig- 
keiten auf  dem  Vi^ege  Rechtens  schlichten.^   Die  Form  des  gleichen 

1)  Liv.  XXVn  5  patres  extra  Romanum  agrum  —  eum  autem  in  JtaUa 
terminari  —  negabant  dietatarem  diei  posse, 

2)  So  der  SenatsbeschlaCs  über  die  Baccbanalien  vom  J.  186  ClLli9ffne 
qiUs  eeivis  Romanus  neve  nominus  Latini  neve  socium  quisquam  (die  letzt- 
genannten heiTsen  in  derselben  Urkunde  foederatei);  das  Ackergesetz  vom  J.  11t 
GL  I  200  c  21  und  50  pivis  Romanus  soeiumve  nominisve  Latini,  quibus  ex 
formula  togatorum  miUtes  in  terra  Jtaiia  inperare  soieni;  vgL  Weissettborn 
zu  Ut.  XXU  50,  6. 

3)  Der  italische  Band  unter  Roms  Hegemonie,  staatsrechtliche  und  stati- 
stische Forschungen  von  Julius  Beloch,  Leipzig  1880. 


§  3.  Der  italische  Band.  69 

Bflndnisses,  welche  hier  begegnet,  ist  nicht  die  gewöhnliche :  die  Mehr- 
zahl der  Bundesgenossen  ist  zur  unbedingten  Heeresfolge  verpflichtet. 
Den  Umfang  ihrer  Leistungen  besümnit  die  Bundesmatrikel  (ex  for- 
nmU)*  Die  Vertretung  nach  Aufsen,  die  Schlichtung  innerer  Streitig- 
keiten, die  Führung  im  Felde ^  die  Sorge  für  die  Aufirechthaltung  des 
Landfriedens  liegt  der  Vormacht  ob.  Aber  von  all  diesen  Rechten, 
welche  unmittelbar  sich  aus  der  Kriegshoheit  ergeben,  abgesehen,  hat 
Rom  die  Selbständigkeit  und  Souverdnetät  der  Bundesglieder  nicht  an- 
getastet. Eine  Karte  von  Italien  nach  den  politischen  Verhältnissen 
des  dritten  und  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr.  entworfen,  wttrde  ebenso 
buntscheckig  ausschauen  wie  ein  Bild  unseres  Vaterlandes  Tor  dem 
Reichsdeputationshauptschlufs  von  1803.  Das  römische  Gebiet  umfafst 
etwa  ein  Viertel  und  nimmt  vorwiegend  die  Mitte  des  Landes  ein,  dazu 
kommen  aber  anderswo  zerstreute  Parzellen  und  aufserdem  findet  zwi- 
schen VoUbüi^er-  und  Halbbttrgergemeinden  ein  bedeutsamer  Unter- 
schied statt  Ferner  liegen  an  den  strategischen  Knotenpuncten  etwa 
30  latinische  Festungen ,  zu  denen  ungefähr  ein  Zwölftel  des  Areals 
gehört.  Endlich  zerfällt  die  Bundesgenossenschaft,  zwei  Drittel  des 
ganzen  Landes,  in  mehr  als  100  souveräne  Staaten :  in  einzelnen  Land- 
schaften wie  z.  B.  Umbrien  ist  die  Zersplitterung  überaus  grofs  und 
manche  Territorien  bezifferten  sich  nur  auf  1 — 2  Quadratmeilen.  Aber 
mochte  der  Verkehr  durch  Zoll-  und  Rechtsschranken  ebenso  gehemmt 
sein  wie  im  heiligen  römischen  Reich  deutscher  Nation ,  mochte  die 
hier  vorhandene  nationale  Einheit  dort  fehlen,  in  der  Hauptsache  war 
das  antike  VorbiM  der  modernen  Copie  unendlich  überlegen.  Die  mili- 
Uirische  Einheit  war  rücksichtslos  bis  in  ihre  äufsersten  Consequenzen 
durchgeführt:  die  Contingente  der  Bundesstädte  waren  gleich  bewaff- 
net und  organisirt,  wurden  von  römischen  StabsofBzieren  befehligt. 
Und  wie  das  Land  im  Krieg  durch  seine  Annee  als  ein  einiges  Ganzes 
vertreten  ist,  so  wirkt  der  nämliche  Gedanke  auch  in  Friedenszeiten  fort 
Krieg  und  Frieden  {dami  müiiiaeque)  sind  nach  alter  Anschauung 
räumlich  geschiedene  Begriffe.  0  Der  Naturzustand  des  Krieges  gilt 
ttberalU  wo  er  nicht  durch  ausdrückliche  Satzung  aufgehoben  ist  Im 
Frieden  herrscht  Gesetz  und  Recht,  im  Krieg  Gewalt  Dort  ist  der 
Bürger  sein  eigener  Herr  (domtmct),  hier  zu  blindem  Gehorsam  ver- 
ptUditet,  dem  Willen  seines  Feldherm  rückhaltslos  überantwortet  Die 


1)  Vgl.  meine  Aasffihrangen  in  Sybels  Historiseher  Zeitschrift  N.  F.  Vm 
4171g. 


70  Kap*  ^  Name  und  Grenxen. 

BuQdesvertrSge  garantirten  sdniinüichen  Theilnehmern  den  Frieden 
und  sofern  kein  tumuUus  decretirt,  d.  h.  sofern  weder  ein  Aufserer 
Feind  noch  Aufruhr  im  Lande  ist,  wird  das  Versprechen  treulich  ge- 
währleistet Im  gewohnlichen  Lauf  der  Dinge  kommt  das  imperium, 
die  absolute  militärische  Gewalt,  innertialb  des  Bundesgebiets  nicht  zur 
Anwendung,  kann  kein  mobiles  Heer,  keine  auf  den  Namen  eines  Ein- 
zelnen vereidigte  Truppe  sich  hier  aufhalten.  Bezeichnend  dafür  ist 
das  Verfahren  bei  der  Bildung  einer  Armee:  die  Pflichtigen  Bürger 
und  Bundesgenossen  stellen  sich  nämlich  zum  angegebenen  Termin 
in  einer  Grenzfestung,  werden  jenseit  der  Grenze  formirt  und  nach 
beendigtem  Feldzug  jenseit  der  Grenze  entlassen.  Das  Vorrecht  tob 
einem  stehenden  Heer  verschont  zu  bleiben  ist  dem  Lande  späterhin 
auch  von  der  Monarchie  belassen  worden:  erst  am  Ausgang  des  zwei- 
ten Jahrhunderts  n.  Chr.  hat  Septimius  Severus  Legionen  nach  Itaiiea 
verlegt.  Das  BOndnifs,  welches  alle  Staaten  der  Halbinsel  mit  Rom 
verband,  hat  zur  Folge,  dafs  den  Bundesgenossen  im  OflentUchen  Ver- 
kehr eine  gemeinsame  Kleiderordnung  eingeschärft  war.  UrsprOng- 
lich  hatte  die  Toga  als  einziges  Kleidungsstück  sowol  im  Krieg  ab  im 
Frieden  gedient  Später,  vermutlich  seit  der  Vollendung  des  italiscfaen 
Bundes ,  war  ein  besonderes  Kriegskleid  {Bogum)  eingeführt  worden. 
Das  bunte  Sagum  trägt  der  Soldat  im  Felde;  es  mufs  von  jedem  wehr- 
haft Freien  angelegt  werden,  sobald  ein  Tumult  d.  h.  ein  plötzlicher 
Notstand  proclamirt  ist  und  damit  das  Imperium  zur  Geltung  gelangt 
In  gewöhnUchen  Friedenszeiten  dagegen  trägt  der  wehrhafte  Freie  die 
heile  Toga,  die  so  sehr  als  italisches  Nationalkleid  betrachtet  wird,  dafs 
sie  die  einzige  auch  offlcieli  anerkannte  Bezeichnung  abgiebt  um  säoomt- 
liche  Heergenossen  als  die  Togaträger  (togaü)  zusammen  zu  fassen. 
Die  Toga  unterscheidet  sich  nur  durch  den  Schnitt  von  der  weiten  Ge- 
wandung, welche  den  Griechen  und  Orientalen,  überhaupt  der  antiken 
Cultur  eigentttmUch  war,  bildet  aber  den  ecbroflsten  Gegensatz  zu  der 
bei  Kelten  und  anderen  nordischen  Barbaren  üblichen  Tradit  der 
Hosen.  Das  Gebiet,  in  welchem  mit  der  Toga  zugleich  der  Friede 
herrscht,  ist  genau  umschrieben.  Es  stufst  nicht  unmittelbar  an  das 
hosentragende  Feindesland  und  deckt  sich  nicht  mit  der  italischen 
Heergenossenschalt  Vielmehr  wird  ein  breiter  Streifen  abgesondert, 
dessen  Bewohner  die  ständige  Wacht  halten  und  die  Sicherheit  des 
Grenzfriedens  verhüllen. i)  Die  Grenzlinie,  welche  um  die  Bfitte  des 


1)  Ganz  ähnlich  sind  in  der  Lagerordnnng  die  Veliten  aufserhalb  derTe^ 


f  3.   Der  itaÜKhe  Bund.  71 

dritten  Jahrhunderts  gezogen  wurde  <),  yermOgen  wir  nur  unTollkom* 
men  nachzuweisen.  Sie  wird  Ostlich  vom  Appennin  durch  den  Fluls 
Aesis  wenig  oherbalb  Ancona's  bestimmt,  der  auch  nach  der  Einthei- 
lang  des  Augustus  die  fünfte  Region  von  der  sechsten  trennte  3);  west- 
lich ?om  Appennin  durch  den  Lauf  des  Amus.  Zwischen  dem  Hafen 
von  Vdterra  {vada  VokUerrana)  und  demjenigen  von  Pisa  an  der  Arno- 
mttndung  (pinius  Piaainu)  verzeichnet  die  Peutingersche  Tafel  eine 
Poststation  ad  Fmet ,  der  Name  lebt  fort  in  dem  Flüfschen  Fine  und 
der  alten  Kirche  S.  Maria  ad  Finem :  wahrscheinUch  hat  sich  in  dem- 
selben das  Andenken  der  alten  Landesgrenze  erhalten.  Die  mehrfach 
erwähnte  pravineia  Pi$ae  gestattet  keinen  Zweifel,  dafs  diese  von  den 
Ligorern  oft  bedrängte  Stadt  aufserhalb  derselben  lag.  Halbwegs  zwi- 
schen Arezso  und  Florenz  treffen  wir  wieder  eine  Station  ad  Finei  am 
Arno,  jetzt  S.  Giovanni,  an.  Wie  aber  zwischen  dieser  Station  und  dem 
Aesis  die  Grenze  ging,  ob  sie  namentlich  die  wichtige  Festung  Arre- 
tium  ein-  oder  ausschlofs,  lafst  sich  nicht  mit  Gewifdieit  sagen.  Nur 
dies  ist  klar,  dab  der  nördlichste  Theil  von  Etrurien,  einige  umbrische 
Bergstämme  sowie  die  den  Kelten  entrissene  senonlsche  Mark  nicht 
vä  dem  befriedeten  Gebiet  zahlten.  Man  mufs  deshalb  dessen  Ausdeh- 
nung auf  ungefiihr  2300  Quadratmeilen  beschränken. 

Aus  dem  gemeinsamen  Heerdienst  ist  im  Lauf  der  Zeiten  ein  ge- 
wisses Nationalgeftlhl  entsprungen.  Die  römische  Politik  hat  gern  an 
dasselbe  appellirt,  wo  ihre  Zwecke  dem  Ausland  gegenüber  es  forder- 
ten.') Aber  an  einer  alle  Heergenossen  umfassenden  Benennung  fehlt 
es  durchaus.  Natürlich  nahm  die  fahrende  Gemeinde  wenn  nicht  aus- 
flchlie&lich  so  doch  in  erster  Linie  den  Siegesruhm  ftlr  sich  in  An- 
spruch. Daher  ist  in  den  lateinisch  wie  griechisch  geschriebenen 
Kriegsberichten  immer  nur  von  Romem  die  Rede.  Es  wurde  von 
rdm^chen  Ohren  gar  übel  vermerkt,  wenn  Fremde  den  Namen  Lati- 
ner an  die  Stelle  setzten.  4)  Immerhin  mufeten  die  Schranken,  welche 
daheim  zwischen  Staaten  und  Stämmen  theils  die  Natur  der  Verhält- 


«ehanzung   postirt  und   haften   mit  ihrem  Leben    gegen  jeden   nichUichen 
TJeberfall. 

1)  Vermotlich  steht  die  Sehilefsiing  der  römischen  Tribos  241  damit  in 
Zusammenhang. 

2)  Stnbo  V  227. 

3)  Liv.  XXm  5. 

4)  Wie  in  dem  Epigramm  auf  den  Sieg  von  Kynoskephalae  197  geschah 
nach  Plut.  Flam.  9 :  Alrtoläv  Sfitf^ivreQ  im '  iiproc  «fd^  4atlvmv,  &Sg  lYrac 


72  Kap.  1.  Name  und  Grenzen. 

nisse  tbeils  die  berechnende  Politik  Roms  aufgerichtet  hatte ,  im  Aus- 
land allmälich  sinken.  Wenn  Italia  ihrer  aller  Mutter  war  i),  lag  es 
äuTserst  nahe  die  Sdhne  mit  deren  Namen  zu  rufen,  gleichwie  die  Gne* 
chen  Yon  Peloponnesiern  Sikelioten  Italioten  u.  s.  w.  redeten,  auch 
ihrerseits  einen  neuen  Volksnamen  der  /tobet  zu  schaffen.  Die  ersten 
bekannten  Aeufserungen  in  diesem  Sinne  gehen  auf  das  Haus  der  Sei- 
pionen  zurück,  das  sich  einerseits  durch  seine  Vorliebe  für  griechische 
Bildung  hervorthat,  andererseits  seine  Beziehungen  zu  den  italischen 
Bundesgenossen  eifrig  pflegte.  Africanus  gründete  205  in  Spanien 
für  seine  Veteranen  die  Stadt  Italica ;  seinem  Bruder  errichteten  193 
Italicei  auf  Sicilien  eine  Ehrenstatue.  2)  Die  Benennung  fand  Eingang 
und  wurde  im  Ausland  gleichmäfsig  auf  Römer  Latiner  und  Bundes- 
genossen ausgedehnt,  wie  denn  namentUch  die  Kaufleute  so  heifsen.') 
Daheim  und  im  Munde  des  Römers  bedeutete  sie  indessen  vorwiegend 
die  zurückgesetzte  Hasse  der  Bevölkerung,  nämUch  die  Bundesgenos- 
sen.^) Das  Uebergewicht  der  letzteren  wurde  durch  die  Richtung, 
welche  die  römische  Politik  seit  dem  hannibalischen  Krieg  einhielt, 
immer  mehr  ausgeglichen  und  in  Folge  dessen  wandelte  sich  die  früher 
billige  und  gerechte  Behandlung  in  brutale  Willkür  und  Gewalt  um. 
Lange  Jahre  haben  die  Bundesgenossen  geduldet,  durch  gütliche  Vor- 
stellung und  Bitte  die  Aufnahme  in  den  Bürgerverband  zu  erlangen 
gehofft  Endlich  im  J.91  ergriffen  sie  die  Waffen  unter  dem  Schlacht- 
ruf/roAa:  so  nannten  sie  das  in  den  Abruzzen  gegründete  Trutz-Rom, 
sich  selbst  ItaUci,  Die  von  ihnen  geschlagenen  Münzen  tragen  die  os- 
kische  Aufschrift  Vitelio  oder  die  lateinische  Italia  und  zeigen  mehrfach 
den  Stier  als  Wappen thier  des  Landes:  eine  derselben  stellt  dar,  wie 
der  italische  Stier  die  am  Boden  liegende  römische  Wölfin  mit  den 
Hörnern  spiefst^)  Durch  Ströme  von  Blut  hindurch  ward  das  Ziel  er- 

1)  So  kämpfen  die  Soldaten  fflr  Italien  nach  den  ergreifenden  Worten  des 
Tiberius  Gracehus  Flut.  9. 

2)  Appian  Ib.  38  CIL.  I  533.  546. 

3)  CIL.  I  595.  596.  203, 19.  Pol.  U  8,  2  XXXVl  7,  5.  Diod.V  26,  3.  Sali.  Jag. 
47.  26.  Femer  wird  die  Reiterei  so  genannt,  die  grörseren  Theils  von  den 
Bundesgenossen  gestellt  wnrde,  Pol.  XIV  8, 6  XV  9,  8;  selten  das  Fnlsvolkwie 
SalL  Jag.  671  Den  geographischen  Gegensatz  gegen  Sicilien  drückt  der  Name 
ans  OL  I  55t  Diod.  XXXIV  2,  27  fg. 

4)  Cie.  de  harusp.  resp.  19  Sali.  Jug.  40. 

ft)  Der  Stier  ist  nicht  Symbol  der  Samniten,  wie  man  behauptet  bat,  son- 
dtn  der  Italiker  insgesammt,  da  er  sich  auf  Mflnaen  mit  der  Beischrift  Vitelio 
findet:  Tgl.  dps  Verzeichnirs  in  Mommsens  Rom.  Mfinzwesen  N.  216  d.  e.  f  217 
a.  e.  f  218  und  als  Gegenstück  258. 


§  4.  Die  Alpengrenae.  73 

reicht:  Das  iulische  GeseU  von  90  und  das  plauüsch-papirische  Gesetz 
Ton  89  gestanden  Latinern  und  Bundesgenossen  das  römische  Bürger- 
recht zu.  Damit  ward  gleiches  Recht  und  gleiche  Sprache  im  ganzen 
Umfang  des  Bundes  eingeführt,  der  mittelalterliche  Zuschnitt  der 
Appenninhalbinsel  den  grofsen  Verhältnissen  eines  Einheitsstaates  an- 
genähert Rom  und  Italien  sind  seitdem  his  auf  unsere  Tage  hinab 
nur  selten  einander  auf  dem  Schlachtfeld  gegenüber  getreten.  Eine 
bald  darauf  geprägte  Münze  giebt  der  beiderseitigen  Stellung  einen  an- 
sprechenden Ausdruck :  sie  zeigt  auf  dem  Avers  die  Köpfe  des  Bonos 
mit  Lorbeerkranz  und  der  Virtus  mit  Helm,  auf  dem  Revers  Italia  mit 
dem  Füllhorn  und  Mercurstab ,  Roma  mit  umgegürtetem  Schwert,  das 
Scepter  in  der  Hand,  den  Fufs  auf  der  Erdkugel,  beide  die  Hände  zur 
Versöhnung  reichend. i) 

§4.  Die  Alpengrenze. 

Die  Grenze  welche  das  Meer  dem  Lande  gesteckt,  hat  sich  unaus- 
löschlich den  Gemütern  eingedrückt.  Eine  ähnliche  Naturschranke 
ward  erst  fern  im  Norden  durch  das  Schneegebirge  geboten.  Mit  zäher 
Aasdauer  hat  die  römische  Volkspartei  demselben  zugestrebt:  der  rö- 
mische Bauer  verlangte  Acker  und  Weinberg  für  seine  darbenden  Rin- 
der und  zwang  die  Regierung  immer  weiter  erobernd  vorzudringen. 
Der  Name  Italien  hat  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  eine  doppelte  Be- 
deutung: im  rechtlichen  Sinne  des  Worts  bezeichnet  er  das  befriedete 
Bundesland,  wo  das  Gesetz  waltet,  im  Gegensatz  zur  prornneia,  wo  das 
hnperium  gebietet;  im  geographischen  Sinne  des  Worts  bezeichnet  er 
das  ganze  Festland  bis  an  die  Alpen.  Der  letztere  Sprachgebrauch, 
den  wir  bei  Polybios  antreffen,  ist  nicht  etwa  dem  erleuchteten  Blick 
eines  griechischen  Geographen  beizumessen.  Auch  der  alte  Cato  be- 
handelt die  Alpen  als  natürliche  Grenze  Italiens  und  berücksichtigt  in 
seiner  Darstellung  der  Anfänge  die  Stämme  der  Pogegend  ebensogut 
wie  diejenigen  der  Halbinsel.  2)  Bei  dem  Friedensschlu£9  mit  Karthago 
201  vrird  diesem  auferlegt  in  Ligurien  und  Gallien  keine  Werbungen 
anzustellen;  also  betrachtet  sich  der  römische  Staat  als  Herrn  des  Nor- 
dens.') In  der  That  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dafe  diese  An- 

1)  Mommsen  Rom.  Mfinzwesen  N.  285. 

2)  Servins  Verg.  Aen.  X  13  Mpe*  . . .  secundum  Catonem  et  Liviian  muri 
9iee iuebmtur  ItaUam  vgLPoLm54  Liv.XXla5;  Cato  beiVarro  RB.U4,11; 
fr.  55,  8  85,  11  Jordan.  Liv.  XXXIX  54. 

3)  Appian  Lib.  54. 


74  Kap.  I.  Name  und  GrenzeD. 

spräche  ein  Menschenalter  oder  hoher  hinaufreichen.    Bereits  285 
wurden  die  Senonen  aus  dem  Küstenstrich  nördlich  vom  Aesis  Tertrie- 
ben ,  zu  seiner  Behauptung  die  Bürgercolonie  Sena  Gallica  und  269 
die  latinische  Colonie  Ariminum  gegründet  Die  BOmer  suchen  sich 
zunächst  der  Kttste  zu  bemächtigen ,  um  wie  sie  es  firQher  mit  Erfolg 
gegen  Samnium  gethan ,  das  Binnenland  einzuengen  und  allmSdich  zu 
erdrücken.  Der  Anschlufs  derVeneter  im  Mündungsgebiet  der  Alpen- 
ströme  hat  wesentlich  zum  GeUngen  dieser  Politik  beigetragen.  Nach 
den  grofsen  Kämpfen  der  Jahre  225 — 222  wird  die  Polinie  erreicht 
und  durch  Anlage  der  starken  Festungen  Placentia  und  Cremona  218 
gesichert.  Der  Einfall  Hannibals  unterbrach  den  Fortgang  der  Coloni- 
sation.  Der  karthagische  Feldherr  hat  den  Krieg  als  Bflcher  und  Führer 
der  Kelten  eröffnet  und  ist  hauptsächlich  daran  gescheitert,  dafsdas 
uncivilisirte  dünn  bevölkerte  Poland  der  Volkskraft  der  Halbinsel  ent- 
fernt nicht  gleich  kam.  Es  war  ein  ähnlicher  Gegensatz,  wie  er  sich 
zwischen  dem  Osten  unseres  Vaterlandes,  den  ehemals  slayischen  Pro- 
vinzen und  dem  alten  CuUurboden  am  Bhein  offenbart.  Eine  städtische 
Entwicklung  war  im  Norden  nicht  vorhanden.  Dichte  Waldungen  be- 
deckten Ebene  und  Gebirg.  Das  Land  welches  gegenwärtig  den  Sei- 
denbau und  die  höchsten  Formen  der  Bodennutzung  pflegt,  züchtete 
im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  Schweine  und  versah  mit  diesem  Ar- 
tikel den  Weltmarkt,  nahm  also  höchstena  eine  wirtschaftliche  Stufe 
ein  wie  heutigen  Tages  die  Tiefebene  der  unteren  Donau.   Nach  der 
P^iederlage  Hannibals  war  es  dem  stärkeren  Nachbar  rettungslos  ver- 
fallen. Doch  hat  dieser  sich  nicht  überstürzt  die  Beute  zu  ergreifen. 
Der  Norden  dient  vorläufig  als  Manöverfeld,  auf  dem  die  aUjährUch 
aufgebotenen  Bundesheere  einige  Monate  üben  und  wolfeile  Lorbeeren 
pflücken  können.  Zu  diesem  Behuf  ist  derselbe  in  zwei  Bezirke  ein- 
getheüt:  einen  westlichen  pravincia  LigureB  oder  nach  der  Haupt- 
festung prooineia  Pisae  ^)  genannt,  einen  östlichen  nach  demselben  Ge- 
sichtspunct  pravmda  Galb'a  oder  iirimtfiKifi  2)  genannt.  Im  Gefolge 
der  Legionen  schreitet  die  Latinisirung  rüstig  voran.  Bereits  181  wird 
die  Colonie  Aquileia  an  den  Fufs  der  Ostalpen  vorgeschoben ;  jedoch 
ist  die  Hauptthätigkeit  der  südlich  vom  Po  gelegenen  LandeshäUte  zu- 
gewandt, in  welcher  Colonien  189  in  Booonia,  184  in  Pisaurum,  183 
in  Parma  und  Mutina,  177  in  Luna  aufser  zahlreichen  Marktflecken 

1)  Liv.  XXXIV  55  XXXVin  35  XXXIX  20.  32.  38.  45  XL  35  XU  14  XUI 
1.  10  XLY16. 

2)  Liv.  XX Vm  38.  46  XXIX  5  XXX VIU  42  XL  t8. 


f  4.   Die  Alpengrenicii.  75 

angelegt  werden.  Dem  htinischen  Stamm  und  der  römischen  Vor- 
naciit  erwuchs  hier  eine  ansehnliche  VersUIrkung;  denn  die  verbOn* 
deten  Gemeinden  treten  gänzlich  zurück,  die  keltischen  und  ligurischen 
Stamme  werden  den  romischen  Städten  unterstellt  und  damit  fUr  eine 
rasche  Verschmelzung  mit  der  herrschenden  Nation  vorbereitet.  Jen- 
seit  des  Po  hatte  das  einheimische  Element  an  dem  Gebirge  einen  na- 
tQrüchen  RQckhalt.  Die  Regierung  der  Republik  hat  sich  darauf  be- 
schrankt nach  langen  Kämpfen  die  Küstenstralse  für  die  Verbindung 
mit  Spanien  flrei  zu  halten,  aber  nicht  daran  gedacht  die  übrigen  Alpen- 
passe  in  ihre  Gewalt  zu  bringen.  Von  Seiten  des  Staates  sind  nur  ver- 
einzelt Städte  gegründet  worden  wie  124  Dertona,  100  Eporedia.  Im 
Uebrigen  war  das  transpadanische  Gebiet  im  zweiten  Jahrhundert  frei- 
willigen Ansiedlem  und  Abenteurern  Oberlassen.  Der  Hergang  erin- 
nert lebhaft  an  verwandte  Erscheinungen  der  Gegenwart  Der  italische 
Bauer,  der  den  Wald  rodete,  den  Sumpf  austrocknete,  gegen  die  Ver- 
heerungen der  Flüsse  Deiche  aufwarf,  hat  das  Land  durch  seine  Arbeit 
geadelt.  Ab  Vortrab  der  Civilisation  drang  allerlei  Volk  in  die  Beiige 
um  nach  den  Goldschätzen  des  jungfräulichen  Bodens  zu  suchen.  In 
diesen  gesetzlosen  Grenzstrichen  hatte  die  Majestät  des  römischen  Na- 
mens keine  Geltung,  schützte  allein  die  eigene  Kraft.  Die  Barbaren 
stiegen  von  ihren  Bergen  herab  die  Gehöfte  und  Dörfer  des  Flachlands 
ZH  überfallen.  Schaudernd  erzahlte  man  sich,  dab  sie  den  ganzen 
Bfannstamm  in  den  eroberten  Ortschaften  auszurotten  pflegten ,  ohne 
den  lallenden  Knaben  oder  die  Frucht  in  der  Mutter  Scbofs  zu  ver- 
schonen.^) Trieben  sie  es  gar  zu  arg,  dann  rückte  ein  römisches  Heer 
ans  und  übte  Vergeltung.  Aber  wie  weit  man  davon  entfernt  war  Wan- 
del zu  schaffen ,  zeigt  die  Zerstöiiing  von  Comum  94  und  die  Zerstö- 
rung von  Tergeste  52.^) 

Dies  Colonistenland,  dessen  Umfang  rund  auf  1500  Quadratmeilen 
veranschlagt  werden  kann,  erhielt  durch  den  Bundesgenossenkrieg 
eine  wesentlich  andere  Stellung. ')  Das  Gesetz  des  Consuls  L.  Julius 
Caesar  vom  J.  90  gewahrte  den  treu  gebliebenen  Bundesgenossen  das 
Büi^errecht  namentlich  den  Latinern ,  also  auch  den  grofsen  latini- 
schen Städten  des  Nordens  Ariminum  Bononia  Placentia  Cremona  und 
Aquileia.  Das  gleich  darauffolgende  Gesetz  der  Volkstribunen  M.  Plan- 
tius  Silvanus  und  C.  Papirius  Garbo  von  89  gewahrte  dieselbe  Wolthat 

t)  Strabo  IV  206  Dio  LIV  22. 

2)  Strabo  V  213  Gaes.  b.  Call.  VDI  24. 

3)  MommteD,  Hermes  XVI  29  Msrqnardt,  R5m.  Staatsverw.  I  59. 


76  Kap.  L  Name  und  Grenzen. 

allen  in  Italien  d.  h.  innerhalb  der  befriedeten  Bundesgrenzen  domici- 
lirten  Bundesgenossen,  hatte  mithin  auf  den  Norden  keinen  Bezug. 
Dagegen  sind  die  Verhältnisse  desselben  durch  ein  in  eben  diesem  J.  89 
eingebrachtes  Gesetz  des  Consuls  Cn.  Pompeius  Strabo  geregelt  wor- 
den. 0  Zum  Abschlufs  gelangten  die  verschiedenen  Mafsnahmen  unter 
der  Dictatur  SuUa's  81.  Die  bisherige  Uebung,  nach  welcher  die  rö- 
mischen Hagistrate  im  selben  Amtsjabr  auf  civilem  wie  auf  roiUtäri- 
schem  Gebiet  thätig  gewesen  waren,  ward  völlig  beseitigt,  so  dafs  beide 
Functionen  fortan  zeitlich  getrennt  auf  zwei  Jahre  erstreckt  wurden. 
Daraus  ergab  sich  die  Notwendigkeit  das  Colonistenland  in  eine  eigene 
Provinz  mit  einem  ständigen  Statthalter  umzuwandeln,  während  bisher 
die  ordentUchen  Beamten,  Consuln  oder  Praetoren,  nach  Erledigung 
ihrer  Geschäfte  in  Rom  je  nach  Gelegenheit  und  Gutdtlnken  auf  ein 
paar  Monate  in  dasselbe  ausgesandt  worden  waren.  Derart  wurde  ein 
rechtlicher  Gegensatz  zwischen  Alt-  und  Neuitalien,  Stamm-  und  Colo- 
nistenland wiederum  fizirt,  der  den  natürlichen  und  historischen  Ver- 
hältnissen entsprach ,  deshalb  auch  noch  Jahrhunderte  lang  nachwir- 
ken sollte.  Zunächst  wurde  die  Grenze  zwischen  beiden  Hälften  neu 
regulirt  Sulla  schob  dieselbe  an  der  Ostseite  des  Appennin  vom  Aesis 
bis  an  den  Rubicon  wenige  Millien  nördlich  von  Ariminum  vor  2):  mit 
Stolz  nahmen  die  Bewohner  des  ehemaligen  ager  GalUcus  (S.  74)  seit- 
dem den  italischen  Namen  für  sich  in  Anspruch.^  Ob  eine  entspre- 
chende Erweiterung  im  Westen  stattgefunden  habe,  wissen  wir  nicht: 
auf  alle  Fälle  gehört  Arretium  fortan  zu  Italien  (S.  71),  das  nördlich 
vom  Arno  belegene  Luca  zur  Provinz.  Damit  ist  das  befriedete  Gebiet 
auf  ungefähr  2400  Quadratmeilen  gewachsen.  Jenseit  der  Grenze  be- 
findet sich  die  provmcia  Gaüia  dierior  oder  GaUia  dsalfma^  wie  sie 
zum  Unterschied  vom  transalpinischen  Gallien  heifst,  die  zwar  geogra- 
phisch zu  Italien  gerechnet  wird,  aber  rechtlich  hinter  diesem  zurück- 

1)  Mommsen,  Hermea  IV 112. 

2)  Die  Verschiebung  ohne  Angabe  des  Zeitpnncts  und  des  Urhebers  be- 
zeugt Strabo  V  217.  Die  von  Mommsen  Rom.  Gesch.  D^  361  aufgestellte  Be- 
ziehung auf  Sulla  ist  mit  Recht  allgemein  angenommen  worden.  Sie  ergieht 
sich  namentlich  aas  der  Thatsache,  dab  Sulla  das  alte  Königsrecht  das  Pome- 
rinm  zu  erweitem  flbte  vgL  Seneca  de  brevit  vit  13  SuUam  uäimum  Rth 
manorum  protuUue  pomoerium,  quod  nunquam  provindaH  sed  ItaHeo  agro 
adquitito  proferrt  motu  apud  antiquos  fuit 

3)  Dies  lehrt  der  Sprachgebrauch  von  Vitrav  ans  Fanum  (schrieb  nach 
16  v.Chr.):  er  setzt  Italia  in  Gegensatz  zu  EtrarialI6,&,  ton  Poland Vlü 2, 6, 
zu  Campania  Vm  3, 17,  za  den  Alpen  VIII  3,  20. 


f  4.   Die  Alpengrenzen.  77 

steht.  Die  südlichen  Landschaften  diesseit  des  Po  besafsen  mit  Aus- 
nahme Ton  Ravenna  und  des  Küstenstrichs  an  der  Adria  durchweg  das 
BUi^rrecht  Sie  standen  aber  unter  der  monarchischen  Gewalt  des 
Statthalters,  der  nicht  nur  die  einzelnen  GemeindeTerwaltungen  beauf- 
sichtigte, sondern  auch  die  höhere  Gerichtsbarkeit  in  ihnen  ausübte. 
In  wie  weit  und  ob  er  überhaupt  einer  Appellation  an  die  Volksgerichte 
in  Rom  Folge  zu  geben  brauchte,  wird  nicht  überliefert. i)  Nördlich 
vom  Po  hatten  unseres  Wissens  nur  Cremona  und  Aquileia  das  Bürger- 
recht erlangt.  Im  Uebrigen  war  das  Land  89  in  eine  yerhältnifsmäfsig 
geringe  Anzahl  von  Stadtbezirken  getheilt  und  diese  mit  dem  latini- 
schen Recht  bedacht  worden.  Die  barbarischen  Gaue  namentlich  im 
Gebirg  wurden  zu  den  Städten  hinzugeschlagen  in  der  Weise,  dafs  sie 
nicht  als  Bürger  sondern  als  zinspflichtige  Unterthanen  zu  ihnen  ge- 
hörten. Aus  solchem  Verfahren  erklärt  sich  die  ungleich  höhere  Be- 
deutung und  Lebenskraft,  welche  in  den  folgenden  Jahrhunderten  die 
oberitalischen  vor  den  zahllosen  zur  Selbstverwaltung  vielfach  ihrer 
Kleinheit  wegen  unfähigen  Städten  der  Halbinsel  auszeichnet.  Aber 
vorläufig  empfanden  diese  jungen  aufstrebenden  Gemeinden  ihre  Zu- 
rücksetzung bitter  und  waren  bereit  zu  jedem  Angriff  auf  die  snlla- 
nische  Verfassung  hülfreiche  Hand  zu  bieten.  Auf  die  Transpadaner 
gestützt,  hat  Caesar  sich  zum  Alleinherrscher  aufgeschwungen.  Nach- 
dem er  sie  während  seiner  Statthalterschaft  (58  —  50)  schon  factisch 
als  römische  Bürger  behandelt  hatte,  liefs  er  zwei  Monate  nach  seinem 
Einrücken  in  die  Halbinsel  am  11.  März  49  durch  das  roscische  Gesetz 
ihnen  formell  dieses  Recht  zuerkennen.  Zu  einer  entsprechenden  Er-* 
Weiterung  der  Grenze  fehlte  dem  vielbeschäftigten  Herrscher  die  Zeit: 
er  betrachtete  den  Var  als  Grenzflufs  Italiens  im  Westen  >),  den  kleinen 
Rttstenflufs  Formio,  jetzt  Risano,  6  Millien  unterhalb  Tergeste's  ab 
Grenze  gegen  die  istrische  Halbinsel');  zur  Unterwerfung  der  Alpen« 
Stämme  war  er  noch  nicht  gelangt  Es  lag  in  seinem  Pkin  den  Norden 
dem  Stammland  vollkommen  gleich  zu  stellen  und  in  der  That  regelt 
eine  erhaltene  Gerichtsordnung  für  denselben  die  Competenz  zvrischen 


t)  Caes.  b.  GaU.  1  54  V  1.  2  VOI  23  Sueton  30. 

2)  Dies  geht  sehr  deatlich  aus  dem  V^fahren  bei  der  Gapitolation  von 
Ilerda  hervor  b.  eiv.  I  86.  87. 

3)  PUn.  in  127  Formio  amnis . . .  anUetts  au/fAa»  IUlUob  termüius;  auch 
HirüoB  b.  Gall.  YUi  24  rechnet  Tergette  xur  GaUia  togaU.  Wenn  dagegen  Mela 
1157  es  zu  myricn  rechnet,  so  fallt  dies  bei  seinen  veralteten  Quellen  nicht 
ins  Gewicht  (S.  34). 


78  Kap.  1.    Ntme  und  Grenzen. 

der  hauptsUdtiscben  und  der  municipalen  Rechtspflege.  0  ^^  in  ^^' 
sen  Jahren  aufgekommene  und  bald  wieder  vergessene  Benennung 
GaUia  togaia  giebt  diesem  Gedanken  einen  sprachlichen  Ausdruck.^) 
Endlich  ward  wegen  ihres  Besorgnifs  erregenden  militärischen  Ueber- 
gewichts  die  Provinz  als  solche  nach  der  Schlacht  bei  Philippi  Ende  42 
oder  Anfang  41  formeil  aufgehoben.^)  Indessen  hat  die  schwierige 
Aufgabe  die  Nordgrenze  abzustecken  und  zu  sichern  noch  mehr  als 
fünf  Jahrzehnte  bis  zu  ihrer  Lösung  erfordert. 

Aus  freiem  Entschlufs  hat  die  römische  Politik  nicht  an  eine  Er- 
oberung der  Alpen  gedacht:  dazu  war  der  in  Aussicht  stehende  Gewinn 
zu  gering,  die  Mtlhe  zu  grofs.  Die  Notwendigkeit  mit  den  transalpini- 
schen Besitzungen  eine  rasche  und  gesicherte  Verbindung  zu  unter- 
halten hat  sie  dazu  gezwungen.  Wahrend  der  Republik  suchte  man 
auf  gütlichem  Wege  die  Bergstamme  zu  Brückenbauten  und  Wegebes- 
serungen zu  veranlassen.  Jedoch  mag  der  Zustand  der  Pässe  vieles  zu 
wünschen  gelassen  haben ,  und  schUnuner  als  der  Weg  war  die  anf 
demselben  drohende  Gefahr.  Die  Anwohner  erhoben  von  den  Reisen- 
den nicht  blos  einen  Durchgangszoll,  sondern  raubten  sie  bei  passen- 
der Gelegenheit  vollständig  aus.  Sie  trieben  ihre  Keckheit  soweit,  Cae- 
sars Kriegskasse  zu  plündern  und  römischen  Truppenkörpern  die 
Strafse  vor  der  Nase  zu  sperren.^)  Derartiger  Unfug,  welchen  der  ver- 
fallende Freistaat  geduldet  hatte,  war  mit  den  Ordnungen  der  Monar- 
chie unvereinbar.  Augustus  hat  die  ganze  erste  Hälfte  seiner  Regierung 
dagegen  angekämpft  und  zunächst  die  Westalpen,  welche  den  Verkehr 
mit  Gallien  beherrschten,  in  seine  Gewalt  gebracht,  indem  er  25  v.  Chr. 
den  Stamm  der  Salasser  im  Thal  der  Dora  Baltea  mit  Stumpf  und  Stiel 
ausrotten  liefs,  ferner  zur  Deckung  der  Strafsen  über  den  Grofsen  und 
Kleinen  Bernhard  die  Festung  AugMta  Praetorw  Aosta  gründete.  So- 
dann wurde  15  v.  Chr.  der  nördliche  Alpengürtel  von  den  Stiefsöhnen 
des  Kaisers  Tiberius  und  Drusus  bezwungen.  Kurz  vorher  im  J.  16 
war  auch  der  Osten  zur  Ruhe  verwiesen  worden.    Ein  im  J.  7  oder  6 


1)  Appian  b.  civ.  V  3,  CIL.  I  205  Hermes  XVI  24. 

2)  Hirtins  (nicht  Gaenr  selbst)  VIU  24.  52  Cicero  Phil.  Vm  27  (im  Monde 
«es  AntODiQB,  sonst  nicht)  Die  XLVI 55  XLYIU  12  MeU  fi  59. 

3)  Appisn  V  3.  22  III  30  Die  XLYIH  12.  —  Dafs  ein  Proconsol  14  v.  Chr. 
in  Mailand  Recht  spricht  (Sneton  de  ^nmm.  et  ihet.  30  p.  126  Betifefscheid), 
eiklirt  sich  einfach  ans  dem  damaligen  Krieg  gegen  die  Raeter,  der  die  Yer- 
kttndignng  des  Kriegsrechts  in  den  anliegenden  Stftdten  veranlaist  haben  wird. 

4)  Strabo  IV  203.  205  Gaes.  b.  Gall.ni  1. 


i  4.  Die  AlpengrenxeD.  79 

T.  Chr.  errichtetes  Siegesdenkmal  feiert  den  Kaiser ,  weil  unter  seiner 
FtthruDg  und  seinen  Auspicien  alle  Alpenstflmme  vom  tyrrhenisehen 
bis  lum  adriatischen  Meer  unter  die  Herrschaft  des  römischen  Volkes 
gebeugt  worden  seien.  0  Indessen  begreift  man  dafs  von  der  Erthei<- 
long  des  Bürgerrechts  an  diese  Barbaren  Torläuflg  keine  Rede  sein 
konnte,  desgleichen  dafs  manche  Districte  eine  stehende  Besatzung 
heischten.  Daher  rührt  es  dafs  die  von  Augustus  gezogene  politische 
Grenze  mit  der  natürlichen  Grenze  Italiens  keineswegs  zusammen  fiel. 
Die  natürliche  Grenze  ist  im  ganzen  Umfang  durch  die  Wasserscheide 
und  den  Kamm  der  Hauptkette  deutlich  gekennzeichnet  und  läfst  nur 
am  West-  und  Ostende  Zweifeln  Raum,  wo  der  Abschnitt  gegen  Gallien 
auf  der  einen ,  gegen  Illyrien  auf  der  andern  Seite  gemacht  werden 
soll.  Setzen  wir  ihn  mit  den  italienischen  Geographen  bei  dem  Var 
und  dem  Golf  von  Quamero  (stntis  FlatuUieus)  an,  so  ergieht  sich  eine 
reichlich  200  d.  Meilen  (1541  km)  lange  Linie,  welche  einen  Flächen- 
inhalt von  annähernd  5000  Quadratmeilen  einschliefst.  Aber  davon 
entfallen  1176  Quadratmeilen  auf  das  Gebirge  und  die  Linie  am  Fufs 
desselben  gemessen,  sinkt  auf  150  Meilen  herab.  Aehnlich  wie  die 
Römer  bei  ihren  Landvertheilungen  mit  dem  letzten  vollen  Quadrat 
abschlössen  und  den  Rest  als  formlosen  Grenzstreifen  (ager  arcifinM) 
UBvermessen  lieben,  sind  sie  auch  im  Grofsen  bei  der  Absteckung  der 
Grenzen  Italiens  verfahren ,  haben  weite  Bergdistricte  unter  der  Ver- 
waltung von  kaiserhchen  Hausbeamten  aufseriialb  derselben  gelassen 
oder  benachbarten  Städten  zur  Unterthänigkeit  überantwortet.  Im 
Einzelnen  läuft  die  von  Augustus  gezogene  Linie  an  den  Hauptpuncten 
folgender  Mafsen.  Am  Westende  hielt  er  den  Absichten  Caesars  (S.  77) 
entsprechend  an  der  Mündung  des  Var  fest.')  Aber  wenig  oberhalb 
der  Mündung  erstreckt  sich  landeinwärts  an  beiden  Seiten  des  Flusses 
bis  an  den  M.  Viso  und  den  Oberlauf  des  Po  die  frovinda  Alpium  Mo- 
rttuNoncm,  welche  militärisch  besetzt  und  verwaltet,  die  Abhänge  und 
Tbäler  des  Gebirgs  bis  nahe  an  Cuneo  von  der  Rechts-  und  Zolleinheit 
Italiens  ausschliefst.')  Daran  stofst  im  Norden  die  unter  einem  ein- 
heimischen Fürsten  stehende  Provinz  der  Alpes  Coltiae,  deren  Haupt- 
ort Segtcsto  Susa  bildet  Turin  ist  die  letzte  italische  Stadt,  welche  von 
der  Grenze  nur  16  Million  abUegt.^)    Ueber  das  Bergland  zwischen 

1)  PliD.  m  136  GILV  7817  mit  Momnuens  Commeatar. 

2)  Strabo  IV  178.  184  V  209  PUd.  m  31  fg.  Mommsen  OL.  V  p.  902. 

3)  Strabo  IV  203  GILV  p.  903. 
4)CIL.Vp.8U. 


80  Kap.  I.    Ntme  und  Grensen. 

Dora  Riparia  und  Dora  Ballea  fehlen  genauere  Nachrichten.  Dagegen 
reicht  die  Feldmark  von  Aosta  im  Thal  der  letzteren  bis  auf  die  Pafs- 
hohen  des  Grofsen  und  Kleinen  Bernhard,  i)  Jenseit  im  heutigen  Sa- 
voyen  und  Wallis  finden  sich  wieder  kleine  Alpenprovinzen.  Vom  M. 
Blanc  ab  scheidet  der  Kamm  der  Hauptkette  Italien  von  der  zu  Raetien 
gehörenden  vaOü  Pomina,  dem  obern  Rhonethal.  2)  Wir  wissen  femer 
dafs  das  bis  an  den  Septimer  und  Malojapafs  reichende  Pregell  oder 
Mairathai  dem  Gebiet  der  Stadt  Comum  zugetheilt  war'),  auch  dafs 
das  Gebiet  von  Bergomum  sich  weit  in  die  Alpen  hinein  erstreckte. <) 
Hier  wohnten  euganeische  Stämme,  die,  wie  im  Allgemeinen  bezeugt 
und  mehrfach  im  Einzelnen  nachweisbar  ist,  den  italischen  Municipien 
unterstellt  waren. ^)  Die  Grenze  gegen  Raetien  durchschneidet  die 
vallis  Venostica,  den  Vintschgau  wahrscheinUch  bei  Partschins  wenig 
oberhalb  Meran ,  sodann  das  Eisackthal  bei  dem  bekannten  Engpafe 
Klausen  unterhalb  Brixen,  derart  den  grOfsten  Theil  des  heutigen  Sfld- 
tirol  zu  Italien  schlagend.^)  Weiter  reicht  das  Gebiet  von  lulium  Cor- 
ntciim  sicher  bis  auf  die  Höhe  des  M.  Croce,  der  Wasserscheide  zwi- 
schen Tagliamento  und  Drau.*^)  Auch  in  Betreff  Triests  ist  bekannt, 
dafs  Augustus  demselben  Bergstämme  zugewiesen  hatte,  d)  Endlich 
wird  der  kleinere  östliche  Theil  der  istrischen  Halbinsel  von  der  Grenze 
ausgeschlossen ,  da  diese  durch  den  Flufs  Arsia  und  den  tief  eindrin- 
genden Busen,  in  welchen  der  Flufs  ausmündet,  bestinmit  wird.^  Im 
Einzelnen  bleibt  ihr  Gang  auf  langen  Strecken  unsicher;  deshalb  hat 
eine  genaue  Berechnung  des  Flächeninhalts  keinen  Sinn.  Wenn  wir 
denselben  zu  4600  Quadratmeilen  anschlagen ,  kann  der  begangene 
Fehler  nicht  von  Gewicht  sein.  Was  bedeutete  diese  Grenze  in  der 
Kaiserzeit?  welche  Aenderungen  hat  sie  erlitten? 


1)  PliD.m43  CIL.V  p.757. 

2)  Mommsen  CIL.  111  p.  707  Eph.  epigr.  lY  p.  516. 

3)  GIL.V  p.  559. 

4)  Plin.  XXXIV  2. 

5)  Plio.  III 133  verso  deinde  ItaHam  peetore  Alpium  Latini  iuris  Eu^a- 
neae  gentes,  quarum  oppida  XXXIIII  enumerat  Cato,  ex  iU  Triumpüim 
[Ytl  Trompia  GILT  p.  515]  venalis  cttm  agrU  suis  populut,  dein  Camuni 
[Val  Gamonica  GIL.V  p.  519]  eanpluresqw  iimiiei  ftniiimis  aUrtbuU  mum- 
eipiis.  Vgl.  CIL  V  p.  512.  557. 

6)  CIL.  m  p.  707  y  p.  530. 

7)  GOL  V  1862. 

8)  GlL.y532,2  p.  53. 

9)  Plin.  m  44.  129.  132.  150   Strabo  V  209.  215  VQ  314. 


f  5.    Itoliea  «Dter  dea  KilMni.  81 

§5.    Italien  unter  den  Kaisern. 

Als  TriomTir  hat  der  jnnge  Octavianus  Ende  42  oder  Anfong  41 
T.  Qir.  die  EinYerfeibiu^;  des  Poknds  in  Italien  erwirkt  (S.  78).  Kurz 
Tor  seinem  Tode  14  n.  äir.  hat  der  alte  Kaiser  bei  dem  letsten  Gensns, 
den  er  in  Gemeinschaft  mit  seinem  Hitregenten  und  Sohn  Tiberios 
Teranstaltete  9  die  oben  beschriebene  Grenze  endgiltig  festgesetzt  t) 
Diese  mehr  ab  ein  halbes  Jriirbundert  umfassende  Periode,  welche  die 
Regelung  erforderte,  bezeichnet  den  aUmilichen  Uebergang  von  den 
Ordniingen  des  Freistaats  zur  Monarchie.  Mit  der  neuen  Grenze  erhalt 
Italien  eine  neue  Eintheilung  in  elf  Regionen ,  welche  zwar  den  vor- 
handenen historischen  Verhalloissen  Redmnng  trug,  aber  auch  dessen 
Gkicbslellnng  mit  den  Provinzen  vorbereitete.^)  Die  Höhe  der  Ent« 
wickhmg  war  erreicht,  und  me  der  Wanderer  vom  Gipfel  den  Anstieg 
und  Abstieg  gleichmftftig  ttberschaut,  so  erkennen  wir  im  Wirken  des 
Augustus  den  Abschlofs  der  Republik  neben  dem  drohenden  Verfall  der 
Monarchie.  Einstweilen  jedoch  hat  das  Land  ein  paar  Jahrhunderte  lang 
dieSegnnngen  seiner  schöpferischen  Weisheit  genossen,  und  darum  lohnt 
es  der  Mohe  die  Vorrechte  ins  Auge  zu  fassen ,  durch  welche  dasselbe 
vor  allen  anderen  Ländern  des  Erdkreises  ausgezeichnet  ward.')   Das 


1)  Man  hit  nicht  beachtet  dafo  diei  Datum  von  StraboVO  314  angegeben 
wird:  fi^x^  Uolaq  ^latQtx^q  nokem^  n^i^ayov  ol  vvv  ^yefioveg  rovq 
t^Q  *ItaXlaq  o^ovg.  Ans  den  Worten  folgt,  daCs  Tiberius,  unter  welchem  der 
Verfasser  schrieb,  an  der  Absteckung  der  Grenze  betheiligt  war.  Ferner  ist 
es  nach  Plinins  sicher  dafs  solche  bei  Lebzeiten  des  Angustus  vorgenommen 
wurde.  Sie  nnifs  demnach  in  13  oder  14  v.  Chr.  fallen,  als  Tiberius  die 
weaenÜicbBlen  BefugniaBe  des  Priacipats  fibertrag en  worden  waren  DioLVI  28 
YelL  n  121  Suet.  Tib.  21.  Gleichseitig  faUt  die  Regioneneintheilung  lUliens, 
welche  die  Resulirung  der  Grenze  voraussetzt  Sie  bildet  den  ersten  Schritt 
zur  Einführung  der  ProTinzialverfassong,  womit  ja  der  Kaiser  den  Römern  da- 
mals drohte.  Bio  berichtet  ansdrÜckUch  von  einer  allgemeinen  Katasterauf- 
nahBM.  Die  Gommentarien  des  Agrippa,  wekhe  vom  Kaiser  erginzt  und  be- 
richtigt, damals  veröffentlicht  wurden,  enthielten  die  litterarisehe  Erlänterang 
zu  dem  nicht  fOr  die  Oeffentlichkeit  bestimmten  breviarium  imperii  (S.31  A.  1). 
Nach  dem  am  11.  Mai  abgehaltenen  Lustrum  hat  Augustus  sein  Haus  bestdlt: 
die  nach  dem  27.  Juni  verfafste  Grabschrift  atmet  die  heitere  Ruhe  und  Be- 
iriedignng,  welche  die  Lösung  der  letzten  Schwierigkeiten  hervorrufen  mufste 
▼gl.  S.  83  A.  1. 

2)  Bio  LR  22  xal  fiij  ^avfiiayq  d  xccl  r^v  *IraXlav  roiavra  fti^Tj  vbT- 
futl  001  naQaivm'  noXkri  re  yag  xal  TtoXvav^Qtonog  oioa  ddvvccTog  ioriv 
vno  wv  iv  r^  aorei  er(>;i^ovra;v  xaXwQ  SiotxsToB^ai. 

3)  Plin.  m  39  terra  omnium  ierranim  alumna  eadem  et  parent  eqs, 
Hiften,  Ital.  LandMlniiid«.  I.  6 


82  Kap.  I.    Marne  und  Grenzen. 

Geheimnifs  der  augustischen  Politik  lag  in  dem  Umstand  beschlossen 
dafs  sie  jeden  Bruch  mit  der  Vergangenheit  ängstlich  vermied.   Wenn 
die  alte  Republik  ihren  Verbündeten  vor  allen  Dingen  den  Landfrieden 
gewährleistet  hatte  (S.  70),  so  übernimmt  nunmehr  das  Imperium  die 
nämliche  Bürgschaft  gegenüber  der  Republik.    In  dem  ganzen  4600 
Quadratmeilen  grofsen  Gebiet  steht  keine  bewaffnete  Macht  auGser  der 
Ehrenwache  des  Kaisers,  welche  aas  italischen  Freiwilligen  recrutirt, 
und  den  gleichfalls  zum  unmittelbaren  Dienst  bestimmten  Flotten  von 
Misenum  und  Ravenna.    Ja  dies  Gebiet  ist  im  gewöhnlichen  Lauf  der 
Dinge  von  militärischer  Aushebung  völlig  befreit  und  wird  nur  bei 
einer  den  Staat  geHArdenden  Notlage  herangezogen.    So  hat  das  Im- 
perium dem  Lande  die  Kriegslast  abgenommen,  freilich  damit  auch 
seine  Widerstandskraft  geraubt:  die  ganze  Landgrenze  ist  von  einer 
Reihe  kaiserlicher  Hausprovinzen  umsäumt,  deren  Truppen  unverweilt 
einrücken  und  jeden  Aufruhr  im  Keim  ersticken  können. i)  An  diesem 
Verhängnifs  war  nicht  zu  rüttehi.  Indefs  nachdem  das  italische  Volk 
seine  Selbstbestimmung  unrettbar  eingebüfst,  geno£s  es  noch  vieler 
beneideter  Vorzüge.  Hierzu  gehört  die  Communalfreiheit,  welche  inner- 
halb des  öffentlichen  Rechts  den  443  Gemeinwesen ,  in  die  das  Land 
zerfiel,  einen  weiten  von  keinem  Beamtentum  eingeengten  Spielraum 
für  bürgerlichen  Sinn  und  Tüchtigkeit  offen  heis.    Hierzu  gdiört  der 
eximirte  Gerichtsstand :  die  niedere  Gerichtsbarkeit  verbleibt  den  Städten, 
aber  die  Criminal-  und  wichtigen  Civilsachen  kommen  vor  das  Forum 
der  hauptstädtischen  Magistrale,  nicht  vor  einen  unumschränkten  Statt- 
halter.   Hierzu  gehört  die  Steuerfreiheit:  aller  Grund  und  Boden  des 
römischen  Reichs  mufs  steuern,  Italien  bleibt  frei  und  ist  lediglich  in- 
directen  Abgaben  unterworfen.  2)  Als  Inland  bildet  es  ein  abgesondertes 
Zollgebiet:  die  Senatoren,  die  Mitglieder  des  Reichsrats,  müssen  inner- 
halb desselben  angesessen  sein,  dürfen  die  Grenze  nur  mit  kaiserlicher 
Erlaubnifs  überschreiten.   Derart  hat  das  Bürgerrecht  in  Italien  einen 
ungleich  höheren  Wert  als  in  den  Provinzen :  hier  sitzt  der  römisdie 
Bürger  als  freier  Mann  auf  eigenem  Grund  und  Boden ,  dort  ist  er 
blofser  Nutzniefser  eines  fremden  Herrn,  des  Kaisers  oder  des  Staats.'] 

1)  Herodian  n  U,  5.  Mommsen  Eph.  ep.  lY  520.  Besatzung  der  Seealpeo 
Tac  Bist,  n  14  GIL.y  p.  903,  der  cotlischen  Alpen  SueL  Tib.  37  aL.Vp.  809. 

2)  Leider  sind  wir  über  die  Handelspolitik  zu  wenig  nnlerrichtet,  um  die 
Begönstigungen ,  die  sie  Italien  auf  Kosten  der  Provinzen  zuwandte,  kurz  an- 
geben zu  können:  aber  wir  erfahren  z.  B.  dafs  der  einträgliche  Handel  mit 
'Wurzelreben  ein  Monopol  Italiens  bildete  vgl.  Kap.  X  5. 

3)  Gaius  U  7.  21  vgl.  Puchta  Institutionen  I"  223. 


§  5.    Italien  unter  den  Kaisern.  88 

Daraos  erklärt  sich  wie  der  Name  Italieus,  der  noch  in  Cicero's  Munde 
geriogachatzig  klang  (S.  72)^  durch  seinen  Gegensatz  zum  prowneialü 
mit  der  Monarchie  zu  Ehren  kommt  0,  immer  mehr  steigt  und  scbliefs- 
lieh  nach  der  Ausdehnung  des  Bürgerrechts  Qber  das  ganze  Reich  dem 
Namen  liomoiws  den  Rang  abgewinnt.  2) 

Augustus  hatte  seiner  Verfassung  eine  ewige  Dauer  zu  yerleihen 
gedacht.  Das  Land  erwies  sich  aufser  Stande  die  ihm  eingeräumte 
Hohe  zu  behaupten :  die  innere  Geschichte  der  nächsten  drei  Jahrhun- 
derte dreht  sidi  um  das  Abbröckeln  der  überkommenen  Freiheiten, 
am  die  Unterordnung  Italiens  unter  das  Imperium  oder  die  absolute 
Monarchie.  Der  Verfall  tritt  natiu^emafs  zuerst  in  den  obern  Schieb* 
ten  der  Gesellschaft  zu  Tage.  Die  Grofsen  Siciliens  sodann  des  narbo- 
oensischeo  Galliens  gekingen  in  den  Senat,  die  Pafsfreiheit  wird  auf 
diese  beiden  Provinzen  ausgedehnt.')  Die  Ertheilung  des  Wahlrechts 
(mhonomm)  an  andere  gallische  Gemeinden  stiefs  48  auf  Widerspruch^), 
aber  fünfzig  Jahre  spater  bestieg  bereits  ein  Spanier  den  Thron.  Wie 
ein  Ofen  der  immer  neue  Nahrung  fordert,  yerzehrte  die  weltbeherr- 
schende Roma  die  Volkskraft  mit  erstaunlicher  Schnelligkeit.  Die  Zeit- 
genossen sprachen  von  der  Müdigkeit  des  Staats,  die  junger  Stützen 
bedurfte.^)  Die  erste  Aeufserung  der  Altersschwäche  Italiens  erkennen 
wir  in  den  milden  Stiftungen,  durch  welche  Nerva  und  seine  Nachfolger 
die  Bevölkerung  zu  heben  versuchten.  Mit  Hadrian  beginnt  die  Aus- 
bildung jener  Bureaukratie,  welche  die  Selbstverwaltung  schlielslich 
Tollständig  erdrücken  sollte.<^)  Zuerst  geht  der  privilegirte  Gerichts- 
stand verloren,  indem  der  gröfsere  Theil  des  Landes  in  4  Sprengel  mit 


1)  Wie  ehedem  die  BandesgeDossen  (S.  72)  sind  es  nachher  die  Golonisten- 
landschaflen  gewesen,  welche  den  Namen  Italien  mit  Vorliebe  im  Munde  führten. 
Dem  Beispiel  der  senonischen  Mark  (S.76  A.3)  folgte  bald  darauf  das  Poland: 
Gatull  1,  5  Vergtl  (S.  58  A.  2)  u.  a.  Den  Gegensatz  Ton  Italien  und  den  Pro- 
vinzen betont  Aognstus  mon.  Ane.  e.  10.  16.  21.  26.  28.  32.  Kaiser  Claudios 
fragt  im  J.  48  2,  b  non  littHeus  senaior  provindaU  potior  est?  Plin.  Ep.  IX 
23,2.  Von  den  Griechen  wird  seit  Strabo  (V  210)  'iraXtektig  häufig  gleich 
^PwfiaTog  gesetzt  z.  6.  bei  Appian.  Dafs  die  Litleratnr  insofern  sie  einen  stadtr 
römischen  Charakter  trägt,  einem  derartigen  Gebrauch  nicht  huldigt,  versteht 
sich  Ton  selbst 

2)  Z.  B.  Cod.  Theod.y  8  IX  1,  13  fl  16,  2. 

3)  Auf  Gallien  erst  49  n.Chr.  Tac  An.XU  23,  auf  Sidlien  schon  29  ▼.  Chr.(?) 
Bio  LH  42  Tgl.  Tac.  An.Vl  14. 

4)  Tac.  An.  XI  23  fg.  mit  den  Bronzetafeln  von  Lyon. 

5)  Plin.  U  18  Tac.  An.  XI  24  fesso  imperio  stthvmtum  est 

6)  Harquardt,  SlaatsTerwaltnng  1  72  fg.  510  fg. 

6* 


84  Kap.  I.    Name  und  Gfenien. 

eamularet  oder  fundtct  an  d^  Spitze  eingeordnet  wird.  Auch  die 
Selbstyerwahung  wird  durch  die  Eingriffe  von  aufeerordentlichen  Co- 
inigsaren  {earrectar ,  ekOm  ai  corrifmdum  tUOum  ItaUa$)  weflentlich 
beschrankt.  Länger  bleibt  die  Militarfreiheit  bewahrt:  ein  constitu- 
tioneller  Kaiser  wie  Marc  Aurel  erschien  selber  und  duldete  seine  Sol- 
daten nur  im  Bürgerkleide  in  Italien  zu  erscheinen.^)  Schon  einHen- 
schenalter  darauf  193  verlegte  Septimius  Severus  barbarische  Legioneo 
ins  Land  und  bildete  seine  gewaltige  Garde  nicht  aus  verweiclilichteD 
Italern,  sondern  aus  den  Veteranen  der  Greniprovinzen.  Die  im  Alter- 
tum häufig  wiederholte  Erfahrung  dafs  die  Civilisatiou  den  Menschen 
feig  macht,  begegnet  auch  hier:  mit  den  Söhnen  des  Pokinds  hatte 
einst  Caesar  Gallien  unterworfen,  nach  Ausweis  ibrer  Grabschriftea 
haben  sie  in  den  Anfingen  unserer  Zeitrechnung  den  Rhein  bewacht, 
unter  Drusus  und  C^rmanicus  die  Kraft  Deutschlands  herausgefordert; 
aber  als  der  Andrang  der  Barbaren  dazu  nötigte  die  Ck>nscription  wie- 
der ins  Leben  zu  rufen,  pflegten  die  italischen  Rekruten  sieh  den  Dau- 
men abzuhacken  um  dem  Dienst  zu  entrinnen.  >)  Mit  der  reinen  Des- 
potie, welche  Diocletian  durchführte,  hörte  endlich  auch  die  Steuerfrei- 
heit auf:  seit  292  wurde  Italien  gleich  den  Provinzen  zur  Grundsteuer 
herangezogen,  von  welcher  es  seit  der  Schlacht  von  Pydna,  die  168 
V.  Chr.  die  Weltherrschaft  besiegelte,  befreit  gewesen  war.')  Von  seinen 
Vorrechten  war  ihm  jetzt  allein  der  Glanz  der  Vergangenheit  gebheben, 
den  Constantin  durch  die  Gründung  von  Neu-Rom  am  Bosporus  ver- 
gebens zu  verdunkeln  wagte. 

Die  absolute  Monarchie  hat  die  Grenzen  des  Augustus  aufgeh(ri>en 
und  dem  Namen  Italien  verschiedenartige  veränderte  Bedeutungen  bei- 
gelegt. 4)  Diocletian  theilte  292  das  Reich  in  4Theile,  die  eigenen  Herr- 
schern und  eigenen  praetorischen  Praefecten  unterstellt  wurden.  Nach 
Beseitigung  seiner  Nebenbuhler  behielt  Constantin  die  Einrichtung 
bei.  Die  italische  Praefectur  mit  der  Hauptstadt  Hailand  zerfällt  in 
3Dioecesen:  Italien  d.h.  das  durch  die  Alpenprovinzen  und  die  Inseln 
erweiterte  Land ,  das  westliche  lUyrien  d.  h.  den  gröfsern  Theii  des 
rechten  Donauufers,  endlich  AfHca  von  der  grofsen  Syrte  bis^Marocco. 
In  dieser  weitesten  Ausdehnung  umfafet  das  Wort  ein  Gebiet  von  etwa 

1)  Inl.  Gapitol.  27. 

2)  Ammian  XV  12,  3  Cod.  Theod.  VII  13,  4  dazu  Gothofredus. 

3)  Marqaardt,  StaatSTerwaUoiig  ü  217. 

4)  Gothofredus  top.  Cod.  Tbeod.  p.  405  (Logdoni  1665)  Bdcking  Not  Dtg. 
140*  440*  Mommsen,  Feldmesser  198  fg.    Harqnardt,  Staatsverwaltong  1 80  ff. 


§  &.  ItftUen  unter  den  Kaisero.  85 

18000  QuadraUneilen  und  wird  vereinzelt  in  gesetzlichen  Erlassen  auf 
dasselbe  angewandt  ohne  jedoch  weiteren  Eingang  zu  finden.  Mit  der 
Stiftung  des  Vandalenreicbs  429  war  die  Praefectur  ohnehin  aufgelöst. 
Ausführlicher  haben  wir  von  zwei  anderen  Bedeutungen  zu  handeln« 
die  sich  im  Ausgang  des  Altertums  an  den  Namen  knüpfen.  Zunächst 
bat  Diocletian  die  Landgrenze  den  Verhaltnissen  der  Zeit  angepafst. 
Die  kleinen  Alpenprovinzen «  welche  die  berechnende  Klugheit  des 
Aagustus  eingeschoben  (S.  82),  hatten  langst  ihre  Bestimmung  erfüllt. 
Sie  wurden  daher  aufgetheüt  und  die  Wasserscheide  als  Grenze  zwi* 
sehen  Gallien  und  Italkn  angenommen.  0  Die  Grenze  buft  von  der 
Mündung  des  Var  auf  der  KammhObe  der  cottischen  graischen  poeni- 
oiflchen  Alpen  bis  zum  St.  Gottbard  hin ,  indem  das  Wallis  zu  Gallien 
geschlagen  wird.  Nun  aber  springt  sie  das  obere  Rheinthal  einsctüiebend 
bis  an  den  Bodensee  und  weiter  bis  an  die  Donau  vor.  Die  Provinz 
Raetien  d.h.  die  (totliche  Schweiz,  das  westliche  Tirol  und  Bayern  west- 
lich vom  Inn,  ein  Gebiet  von  etwa  800  Quadratmeilen,  wurde  nSlmUch 
nit  Italien  vereinigt  Dadurch  wurden  die  11  Regionen  des  Augustus 
um  3  vermehrt:  die  Aljfe$  Coitiae,  die  Raetia  frima  mit  der  Hauptstadt 
Chu*,  die  Aasto  meunda  mit  der  Hauptstadt  Augsburg.  Aufserdem  hat 
Diocletian  mit  der  durch  tausendjährige  Tradition  befestigten  Anschau- 
ong,  welche  das  Meer  als  unttbersteigbare  Schranke  betrachtete,  ge- 
brochen and  die  von  Natur  zugehdrigen  Inseln  Corma  Sardinien  Sici« 
lien  der  italischen  Dioecese  hinzugefügt.  Somit  betragt  deren  Umfeng 
aahezu  7000  Quadratmeilen.  Diese  Eintheilung  hat  auf  die  geogra- 
phische Anschauung  nachhaltig  eingewirkt:  sie  wird  noch  von  Paulus 
Diaconus  im  8.  Jahrhundert  zu  Grunde  gelegt.  Allein  im  Mittelalter 
drang  das  germanische  Element  bis  auf  den  Kamm,  ja  bis  an  den  süd- 
lichen Fufe  des  Gebirges  vor.  Mit  dem  Erwachen  des  modernen  National- 
gefühls etwa  seit  Dante  2)  ist  man  zu  den  Vorstellungen  classiscber 
Zeiten  zurückgekehrt  die  Alpen  als  Grenzwall  und  Volkerscheide  an- 
zosehen.  Die  Zugehörigkeit  der  Inseln  zum  Festland  ist  durch  ihre 
wechselnden  Schicksale  in  Mittelalter  und  Neuzeit  oftmals  und  für 
lange  Zeiträume  in  Frage  gestellt  gewesen  und  erst  von  der  modernen 
AufTassung  unbedenklich  bejaht  worden.  Auf  den  nflmlichen  Urheber, 
welcher  die  Ausdehnung  des  Namens  herbeiführte,  geht  freilich  auch 
dessen  Beschränkung  zurück.    Das  Band  welches  seit  49  v.  Chr.  zwi- 


1)  MommseB  CIL.  Y  p.  810. 

2)  hfeniolXll4  XX  61. 


86  Kap.  I.  Ntme  und  Grenzea. 

sehen  Nord  und  Süd ,  zwischen  Colonisten-  und  Stammland  geknüpft 
war,  wurde  nach  vierthalbhundert  Jahren  wieder  gelöst.  Jenes  bewahrt 
die  Bezeichnung  Italia,  welche  es  einst  mit  Stolz  sich  angeeignet  hatte 
(S.  83  A.  1)  und  merkwürdig  genug  haftet  der  Name,  der  von  der  äufser- 
sten  Südspitze  der  Halhinsel  ausgegangen  war,  in  den  schwankenden 
politischen  Bildungen  des  Mittelalters  bis  in  unser  Jahrhundert  hinab 
am  Poland ,  speciell  der  Lombardei.  Dessen  Hauptstadt  Mediolanum 
war  286  von  einem  der  Theilkaiser  Maximianus  zu  seiner  Residenz 
erhoben  worden  und  blieb  auch  in  der  Folge  Sitz  des  mcarius  Italiae. 
Da  die  nördlichen  Landschaften  ftlr  die  kaiserliche  Hofhaltung  {annona) 
steuern  mufsten,  heifsen  sie  auch  regio  annonaria  im  Gegensatz  zu  den 
urbicarioi  oder  suhurbicartM  regionesy  welche  nach  Rom  steuern  und 
unter  dem  vicarius  urhis  stehen.  Der  mailandische  Sprengel  oder  Ita- 
lien im  politischen  Sinn  des  Worts  reicht  von  der  Donau  bis  an  Macra 
und  RiÄicon,  später  bis  Aesis,  und  stellt  ein  Gebiet  von  ungefähr 
3500  Quadralmeilen  dar.  Der  römische  Sprengel  enthalt  die  Halbinsel 
mit  den  drei  Inseln,  von  denen  indessen  Sardinien  und  Corsica  ca.  439 
an  die  Vandalen  verloren  gingen  und  nach  ihrer  Rückeroberung  mit 
Africa  vereinigt  wurden.  Er  hat  einen  Schatten  der  aUen  Privilegien 
langer  bewahrt,  als  die  Nordhälfte,  wie  ihm  z.  B.  gelegentlich  Freiheit 
von  der  Rekrutenstellung  eingeräumt  wird.^  Im  Uebrigen  liegt  es 
aufserhalb  unserer  Aufgabe  auf  die  bedeutsamen  kirchlichen  und  poli- 
tischen Gegensätze  einzugehen ,  welche  an  diese  diocletianische  Tbei- 
lung  anknüpfen.  Eine  Geschichte  des  Namens  Italien  in  Mittelalter 
und  Neuzeit  würde  eine  erwünschte  Ergänzung  zu  der  hier  versuchten 
Darstellung  abgeben.  Drücken  wir  diese  Darstellung  in  wenig  Zahlen 
aus,  so  umfafst  Italien 

A  als  geographischer  Begriff 
500  V.  Chr.  ein  Gebiet  von    120  Quadratmeilen 

n      350 


450 

W 

400  (440) 

'  « 

350 

n 

280 

n 

240 

»1 

200 

w 

50  (15) 

♦» 

290 

n. 

1850 

1» 

n  n  ^  <n 

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W  W  ••  11 

^  ^  n  ^ 

?•  w  91  n 

n  n  n  n 


500 
1000 
1300 
2500 
4000 
5000 
7000 
6105 


1)  GoUiofredus  zum  Cod.  Th.  XI  16,  12. 


§  5.  Italieo  anter  den  Kaisern«  87 

B  ab  politischer  Begriff 
260  V.  Chr.  ein  Gebiet  yod  2300  Quadratmeilen 


81   99    91 

Vi 

»i 

„  2400 

» 

49  „  „ 

» 

w 

„  4000? 

ff 

14  n.  „ 

n 

n 

„  4600 

» 

286  „    f, 

n 

» 

„  3500 

ff 

[292  „  „ 

» 

ff 

„18000 

» 

1812  „  „ 

« 

» 

„  1520 

» 

1870  „  „ 

j»  ■ 

» 

„  5382 

» 

] 


KAPITEL  II. 

Bas  Meer. 

Italien  ist  von  Natur  in  die  Mitte  des  Meeres  gerückt:  seine  Be- 
wohner haben  sich  auf  demselben  so  früh  wie  irgend  ein  abendländi- 
sches Volk  getummelt  y  sind  die  nautischen  Lehrmeister  der  Neuzeit 
geworden«  Auch  Rom  ist  bald  nach  seiner  Gründung  in  Beziehung 
zum  Meer  getreten,  hat  später  die  gröfsten  Seekriege  geführt,  von  denen 
die  geschichtliche  UeberUeferung  zu  melden  weifs,  hat  ein  Reich  ge- 
stiftet, dessen  Theile  einzig  und  allein  zu  Wasser  erreichbar  waren,  das 
daher  die  Seeherrschaft  zur  notwendigen  Voraussetzung  hatte.  Trotz 
alledem  sind  die  Römer  niemals  auf  dem  Wasser  heimisch  geworden, 
bekunden  vielmehr  für  ihre  hier  zu  lösenden  Aufgaben  äufserst  geringe 
Anlagen.^)  Schon  die  Sprache  deutet  dies  an.  Während  die  Hellenen 
je  nach  Umständen  der  See  sachliches  (ro  niXctyog)  oder  männliches 
(o  TTorrog),  in  der  Regel  aber  wie  der  Erde  weibliches  Geschlecht  (ij 
d-aXaaaa,  aXg)  verleihen ,  kommt  bei  den  Römern  ausschliefslich  die 
neutrale  Bildung  vor  {aequ^,  matt,  Mlum,  altum,  auch  pelagus).  Die 
von  jenen  am  häufigsten  gebrauchte  Bezeichnung  d-aXaaaa  ist  von 
der  Bewegung  entlehnt,  wogegen  das  lateinische  mart  mit  nwr$  ver- 
wandt, auf  die  Zerstörung  alles  Lebens  hinweist.^  Die  See  erfüllt  das 
hellenische  Land  und  die  hellenische  Geschichte  mit  ihrem  kräftigen 
Hauch,  giebt  dem  Dasein  Gesetze,  beherrscht  Glauben  und  Denken  bis 
zu  dem  Grade  dafs  sie  als  Ursprung  aller  Dinge  aufgefafst  werden 
konnte.  Von  einer  Dichtung  und  Mythologie ,  von  einer  Speculation, 
welche  dem  Meer  eine  auch  nur  entfernter  Mafsen  ähnliche  Bedeutung 
zuschriebe ,  fehlt  bei  den  Römern  jegliche  Spur.  Es  gilt  ihnen  weder 
als  heilige  Salzflut,  noch  als  willige  Nährmutter,  noch  als  Mittlerin  des 
Verkehrs,  es  gilt  lediglich  als  Grenze  des  bewohnten  Landes.  In  dem 
altnationalen  Gottesdienst  geschieht  seiner  nur  in  negativem  Sinne 
Erwähnung:  was  die  heimische  Erde  beflecken  könnte,  wird  dem  frcm- 

1)  NachdrflckUch  hervorgehoben  Pol.  I  37. 

2)  Gartias,  GrundzOge  der  griechischen  Etymologie^  p.  310.  619. 


Kap.  n.  Das  Meer.    §  1.   Die  Adria.  89 

den  anholden  Element  ttberantwortet  Eine  höbe  Wahrscheinlichkeit 
spricht  für  die  Annahme,  dab  Etmaker  Vobker  Ligurer  und  andere 
Koateavolker,  auf  denen  die  maritime  Stellung  Italiens  beruhte,  sich 
zu  wesentlich  verschiedenen  Anschauungen  bekannt  haben.  Allein  der 
latinische  Stamm «  welcher  den  Charakter  der  gesammten  Nation  be- 
stimmt, hat  ihm  zugleich  ein  bäuerliches  unseemännisches  Gepräge 
aufgedrückt.  Indem  wir  daran  gehen  das  maritime  Leben  des  Altertums 
zu  schildern ,  schien  es  geraten  diese  Bemerkung  vcNrauszuschicken.  ^ 

§  1.    Die  Adria. 

Bis  auf  Diocletian  bildete  das  Meer  die  Grenze  (S.  85).  Genauer 
genommen  waren  es  zwei  Meere,  welche  nach  uralter  Anschauung  das 
italische  Land  umfafsten.  Das  zu  seinen  Hiupten  liegende  nannte  der 
Römer  mart  styenim  Nordsee,  das  zu  seinen  Fttfsen  liegende  matt  in- 
ftrum  Sodsee.^  Aehnlich  unterscheidet  der  Bewohner  der  cimbrischen 
Halbinsel  Ost-  und  Westsee,  welch  letztere  im  übrigen  Deutschland 
Nordsee  heilst.  Nd^en  den  einheimischen  haben  aber  fremde  Namen 
das  Bürgerrecht  erlangt  und  jene  schliefslich  verdrängt.  Wie  die  Römer 
die  meisten  nautischen  Ausdrücke  den  Griechen  entlehnten,  so  zeigen 
sie  anch  in  der  Namengebung  dieselbe  Abhängigkeit  von  ihren  Yor- 
gängem.  In  der  griechischen  Litteratur  heifst  das  Meer,  welches  die 
griechische  Halbinsel  von  der  italischen  scheidet,  bei  den  Schriftstellern 
des  ftlnften  Jahrhunderts  v.Chr.  6  ^loviog^  'loviog  Ttovtog  xohtog  Tto- 
fog^),  seltener  ^lovla  ^alaaaa  und  akgJ)  Ungeföhr  ein  Menschen- 
alter später — zuerst  bei  Lysias — kommt  der  Name  6  ^Adqlag,  Iddgl- 
ag  yuohtog  in  Gebrauch.^)    In  beiden  Fällen  hält  man  durchaus  am 


1)  W.  H.  Smyth,  the  Mediterranean ,  a  memoir  physical  historical  and 
nantieü,  London  1854;  frei  bearbeitet  von  C.  Bdttger,  das  Mittelmeer,  eine 
DaratelliiDg  seiner  physischen  Geographie  nebst  geographischen,  historischen 
and  nautischen  Untersnchunsen ,  Leipzig  1859.  Noch  immer  das  Hauptwerk, 
wenn  gleich  vielfach  veraltet :  die  Tiefenangaben  sind,  wie  das  zn.  gehen  pflegt, 
weitaus  an  hoch  gegriffen. 

2)  Plaut  Men.  296  Cicero,  de  or.  Hl  69  ad  Ali  IX  5, 1  19,  3  yti%.  Georg, 
tt  158  Aen.  YHI  149  Uv.  Y  33  Plin.  HI  132,  in  offlcieller  Sprache  eh.  136,  XIV 
67  Heia  U  58  Justin  XX  1,  7  Sneton  praU  p.  242  Reiffersch.  Aug.  49« 

3)  Aesch.  Prom.  840  Eurip.  Tro.  225  Pboen.  208  (vgl.  Hippel.  736)  Herod. 
VI  121  VH  20  IX  92  Thuk.  I  24  VI  30  Hellanikos  b^  Dien.  Hai.  1 10.  28. 

4)  Pindar.  Pyth.  3, 121  Nem.  4,  86  7, 95. 

5)  Lys.  XXXU  25  fr.  1, 4  Isokr.  V  21  B5ckh,  StaaUh.  HI  462  IHod.  lY  56  o.  a. 
Btb  die  von  Stephanos  v.  Byianz  dem  Hekataeos  beigelegte  Erwähnung  — 


90  Kap.  IL  Das  Meer. 

männlichen  Geschlecht  fest,  wie  es  der  Wildheit  dieses  Meeres  mit  den 
übrigen  Abschnitten  der  Mittellandsee  verglichen  entspricht.  Um  die 
Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  wird  in  der  Küstenbeschreibung  des 
Skylax  die  jüngere  Bezeichnung  als  gleichbedeutend  mit  der  älteren 
hingestellt  ^  Dann  aber  tritt  ein  aufßilliges  Schwanken  zu  Tage.  Die 
Linie  nämlich  zwischen  dem  akrokeraunischen  Vorgebirge  und  der 
messapischen  Halbinsel,  welche  die  kürzeste  Verbindung  zwischen  bei- 
den Ländern  bildet,  wird  als  Meeresgrenze  angenommen,  wofür  sie  in 
der  That  von  Natur  bestimmt  ist. 2)  Der  von  ihr  nach  Norden  sich  er- 
streckende Meerestheil  heifst  Adrias,  der  südliche  lonios.^)  Oder  aber 
der  lonios  gilt  nur  als  ein  Abschnitt  des  Adrias  und  dient  nebenher 
um  das  südliche  Stück  am  akrokeraunischen  Vorgebirge  von  der 
gröfscren  NordhäUle  zu  unterscheiden.^)  Besonders  haftet  dieser  Name 
an  der  Ueberfahrt  von  Ilalien  nach  Griechenland^)  Die  römischen 
Schriftsteller  haben  beide  Benennungen  aufgenommen,  vorwiegend 
jedoch  nur  die  jüngere  gebraucht.^)  Es  sieht  wie  ein  gesuchter  Archa- 
ismus aus,  wenn  einige  Griechen  der  Kaiserzeit  den  Ausdruck  Adrias 
meiden ;  denn  im  Volksbewubtsein  hat  er  alle  Unterscheidungen  der- 
art verdrängt,  dafs  er  für  das  gesammte  Meer,  welches  die  Ostküsten 
Italiens  und  Siciliens  bespült,  verwandt  und  bis  nach  Malta  und  Kreta 
hin  erstreckt  wird.'O    Freilich  verschwindet  trotzdem  lonios  .keines- 


fr.  58  M.  —  nicht  einer  lonischeD  Erdbeschreibung  entstammen  kann,  wurde 
bereits  S.  7  A.  1  bemerkt    Der  Sprachgebnuch  in  fr.  59—61  schwankt. 

1)  §  27  rb  Sh  avto  'AS^iag  iaxl  xal  ^oviog  vgl.  14.  Dion.  Per.  92. 

2)  Pol.  Vn  19, 2  Strab.  VII 317  Mela  U  67  Plln.  lU  100. 

3)  Mela  117  Plin.  10150  IV9rg.  Tac.  Ann.U53  ebenso  bei  Kosmographen 
der  christlichen  Zeit,  deren  Sprachgebrauch  jedoch  ganz  inconsequent  ist 

4)  Strab.  n  123  VI  259.  281  Vnsnfg.    Ebenso  Polybios. 

5)  o  T*  'loviog  noQoq  xcd  xara  ti  owsxhg  6  xata  tov  'ASglav  xok- 
Ttog  Pol.  n  14,  4  V  110,  2;  Agath.  Geogr.  3,  8  Diod.  XIH  3, 3  XV  13, 1  XVI 5,  3 
Pind.  Nem.  4, 86  u.  A. 

6)  Adrianum  mare  Gic.  in  Pis.  93  ad  Att  X  7,  Augustus  mon.  Anc  c.  26 
Vitruv  U  9, 14  1 0, 1 ,  'ASpiavri  ^aXarta  Dion.  Hai.  1 2 II 49 ;  Adria  Seneca  Ep.  89, 20 
nat  quaest  III 29, 7  Tac  Ann.  XV  34  Bist  10  42  Mela  und  Dichter;  »inus  Adri- 
aUeiaUy,X2;  gewöhnlich  mare  Adriaiieumj  darnach  rj  *ASQiarixi]  9iiXatxa 
Strab.  IV  204  Plut  Garn.  40;  dichterisch  Adriaeum  Verg.  Aen.  XI405  Ov.Hai. 
125.  "-  loniu»  zuerst  Gatull84, 11. 

7)  loseph.  viU  3  Pausan.  V  25,  3  VIH  54,  3  Apostelgesch.  27, 27  Philostr. 
imag.  n  16  Ptol.  IIl  1, 1  fg.  Prokop.  I  p.  372  Dind.  Servius  V.  Aen.  XI 540  Oros.  I 
2,90.  —  Plntarch  Lueian  Appian  Dio  Herodian  brauchen  lonios,  wo  bei  Po- 
lybios und  Strabo  Adrias  stehen  würde. 


S  1.  Die  Adria.  91 

weg8  ganz  und  wird  nach  wie  vor  auf  den  südlichen  Theil  des  adriati- 
sehen  Busens  von  der  messapischen  Mflndung  bis  zum  Garganus  oder 
bis  Ravenna  bezogen J)  Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dafs  die  Alten  zu 
einem  festen  allgemeingültigen  Sprachgdirauch  nicht  gelangt  sind,  und 
wenn  man  sich  in  der  Neuzeit  gewöhnt  hat  das  Heer  sfidlich  von  den 
Engen  ab  ionisches  zu  benennen ,  so  befindet  man  sich  damit  zwar  in 
Einklang  mit  unsichem  römischen  Schriftsteilem,  aber  in  Widerspruch 
gegen  die  besten  Autoritäten  der  clasaschen  Zeit  Die  wechselnde 
Namengebung  erklärt  sich  aus  der  Geschichte  der  Schiffahrt  in  diesen 
Gewässern.  Bis  an  die  Nordspitze  sind  die  Hellenen  erst  in  römischer 
Zeit  vorgedrungen  (S.  10).  Dagegen  führte  seit  Alters  eine  belebte  See- 
strabe über  die  Enge  von  Otranto,  auf  welcher  sich  der  ganze  Verkehr 
zwischen  dem  Mutteiiand  und  seinen  westlichen  Colonien  zusammen 
drängte.  Den  Namen  lonios  leiteten  die  Alten  von  den  Wanderungen 
der  lo  her  oder  erdichteten  nach  jenem  einfachen  Auskunftsmittel,  das 
ihnen  nie  versagte,  irgend  einen  gleichnamigen  Heros  zur  Erklärung.  2) 
ihn  auf  die  Farbe  zu  bezidien  „das  veilchenfaurbene  dunkle^,  wie  Homer 
das  vom  Wind  aufgewühlte  Meer  bezeichnet,  würde  in  sachlicher  Hin- 
sicht um  so  annehmbarer  erscheinen,  als  es  den  Slaven  noch  jetzt  das 
Blaue  Meer  heilst,  ist  aber  grammatisch  nicht  wol  statthaft,  s)  Die  Her- 
kunft des  jüngeren  Namens  Adrias  dagegen  unterliegt  keinem  Zweifel: 
die  Römer  leiten  ihn  von  der  Stadt  Atria  an  der  Pomündung  ab  und 
erkennen  darin  ein  Zeugnib  von  der  ehemaligen  Macht  und  Gröfse 
der  Etrusker.^)  In  den  ältesten  Erwähnungen  bedeutet  er  freilich 
weder  See  noch  Stadt,  sondern  das  Land  der  Veneter  ^),  vereinzelt  auch 
einen  Fluls,  den  Po  oder  einen  Arm  desselben  ^):  allein  in  derselben 

i)  Ptol.  in  1  darch  seine  falsche  Anschauung  von  der  Axendrehnng  Italiens 
bestimmt;  Prokop  n  p.  79  Dind.  Veget  IV  32  Pausan.  VI  14, 13  Amm.  XV  4, 6; 
bei  0ro8. 1 2, 58  in  der  jetit  flblichen  Anwendung. 

2)  Aesch.  ProuL  840  Apollodor  11 1,  3  SchoL  Pind.  Pyth.  3, 120  EusUth  z. 
Dion.  Per.  92  Senrios  V.  Aen.  m  211  Ammian  XXU  8, 13  Appian  b.  dv.  II 39. 

3)  nowog  loeid^g  n.  XI 298  Od.  V  56  XI 107.^  Die  SUmmsilbe  von  iovtog 
ist  nur  bei  den  Tragikern  kurz,  daher  nicht  von  lov  vlola^  noch  weniger  Ton 
laFovsg  abzuleiten. 

4)  Ut.  V33  Strab.  V  214  Instin.  XX  1, 9  Plin.  ID  120.  Als  Namensform  ffir 
SUdt  und  Einwohner  steht  AMa  Atriales  fest  CIL.  Vp.  220;  die  Aspiration 
in  den  Handschriften  wird  fibrigens  durch  mon.  Aue.  c  26  gestfltst. 

5)  Her.  1163  IV  33  V9  Theophr.  bist  plant  I V  5, 6 ;  Polybios  sagt  stets  o 
Mtra  tov  *A8Qlav  xohtog;  IHodor  XVI 5, 3  ^  ne^  riv  ^ASglav  ^Xarra;  Eurip. 
Hippel.  736  USgifiv^  axr^.    Als  Stadt  ist  es  vieileicht  zu  fassen  Plut  Dion.  11. 

6)  Steph.  Bys.  u.  kJ(».  angeblich  nach  Hekataeos  fr.  58,  vgl  S.  89  A.  5, 


92  Kap.  IL  Dm  Heer. 

Weise  beieichDet  Aegyptos  bei  Homer  das  Land  und  den  Nil,  bei  den 
Späteren  Tartessos  Flufs  Stadt  und  Land.  Die  HeUeoen  haben  Ver- 
bindungen mit  demselben  gehabt  und  von  hier  namentlich  Bernstein 
bezogen:  indessen  hörte  dies  im  fttnften  Jahrhundert  livieder  auf  (Kap.  IV 
Einl.).  Nun  ist  es  gewifs  nicht  zuMlig  dafs  der  Name  fOr  die  See  sich 
erst  seit  der  Periode  Terbreitet,  ab  DionysI  an  jenen  Kosten  festen 
FuÜB  gefafst  hatte.  Die  Gründung  von  Atria  wird  ihm  geradezu  bei- 
gelegt ^)j  und  wiewol  diese  Nachricht  der  sicheren  Beglaubigung  ent- 
behrt, so  hat  doch  der  hervorragendste  Staatsmann  des  Tyrannen  bei 
seiner  langen  Anwesenheit  am  Po  dauernde  Werke  geschaffen  >),  und 
femer  beweisen  die  zahlreichen  Gräberfunde,  dafs  griechische  Bildung 
hier  Eingang  gefunden  wie  in  keiner  anderen  Stadt  des  Nordens.  Wir 
lassen  dahin  gestellt,  was  der  Stadtname  bedeutet'),  begreifen  aber 
vollständig,  wie  er  auf  das  zwar  schon  bekannte  doch  erst  im  vierten 
Jahrhundert  nachhaltig  erschlossene  Meer  übertragen  werden  und 
durch  griechische  Vermittlung  an  die  Romer  gelangen  konnte.  Schliefs- 
lich  sei  bemerkt,  dafs  einzelne  Abschnitte  desselben  gelegentlich  nach 
den  betreffenden  Küstenländern  apuUsch  istrisch  libumisch  dalma- 
tisch illyrisch  benannt  wurden.^) 

Die  Adria  ^)  in  den  oben  umschriebenen  Grenzen  bis  zum  ^lonog 
^OQog  der  Strafse  von  Hydnmium  Otranto  über  6  Breitengrade  aus- 
gedehnt, mifst  120  Meilen  Länge,  ca.  25  Meilen  Breite  und  umfaist 
eine  Fläche  von  ca.  2400  Quadratmeilen  Inhalt.  Ehedem  erstredite 
sie  sich  noch  weiter  und  bedeckte  die  ganze  Poebene:  die  Schutt- 
ablagerung der  Alpen  hat  das  Land  vorgerückt  und  wirkt  in  diesem 
Sinne  noch  fortwährend  nach.  Die  Adria  stellt  sich  als  ein  grofses 
Längenthal  dar,  welches  die  gleichartigen  Gebirgssysteme  der  griechi- 
schen und  italischen  Halbinsel  trennt.  Und  zwar  liegt  die  tiefste  Ein- 
senkung  durchaus  an  der  Ostseite:  9 — 1100m  in  der  Stralse  von 

Tbeopomp  bei  Strab.  Vll  317,  'Ar^tavog  PtoL  lU  1,  26,  Atrianonm  pmlmdn 
Plin.  m  120. 

1)  Etym.  M.  u.  'A6^.  hisUn.  XX  1,  9  vgl.  Holm,  Gesch.  Sic.  U  p.  134.  440. 

2)  über  PhUistos  PIoLDiod.  11  Plin.  Dl  120. 

3)  Eine  altertomliche  Bildung  von  derselben  Worsel  ist  atrium  vgl.  meine 
Pomp.  SUdienp.  628;  ein  Gebirge  Dabnatiens  !4d(Moy  Strab.  YU  315. 

4)  Tac  Ann.  UI 9  Hist  lU  2  Her.  Od.  HI  24, 4. 

5)  vgL  die  General-  und  Knrskarte  der  oesterreichischen  Marine,  nach  den 
1867 — 73  mit  den  Italienern  gemeinschaftlich  angestellten  Auihahmen  im  Mais- 
slab 1 : 1 000  000  herausgegeben.  Yerseicbnifii  der  Spedallitteratur  bei  Amatt, 
diaionario  corografico  1 98. 


1 1.  Die  Adria.  98 

Otranto,  10 — 1500  m  vor  der  Küste  von  Cattaro  und  Ragusa  (höchste 
Tiefe  1590  m),  weiter  nördlieh  vor  der  dahnatinischen  Inselgruppe 
60 — ^200  m,  Yor  Ancona  nur  40 — 80  m;  das  nördlichste  Stttck  zwi- 
schen den  Pomflndungen  und  Istrien  hat  nirgends  über  40  m,  zwischen 
Venedig  und  Triest  Oher  24  m.  Die  Entwicklung  der  Kosten  wird  zu 
1980  km  angegeben  und  zwar  890  km  von  Cap  Leuca  bis  zur  Po- 
mOodung,  243  km  yom  Po  bis  zum  Golf  von  Quamero,  847  km  für 
die  iUjrisdi-griechische  Halbinsel.  Vom  Golf  von  Quamero  aus  zieht 
sich  am  libumischen  und  dalmatischen  Ufer  durch  mehr  als  zwei  Brei- 
tengrade ein  Gortel  von  Felseninseln  Terschiedenster  GrOfse  hin.  Aber 
diese  zerrissenen  Gestade  fallen  so  schroff  ab,  dafs  eine  Flotte  in  der 
Regel  bis  auf  halbe  Kabellänge  ihnen  nahen  kann.  Der  ursprüngliche 
Fehengrund  ist  nur  durch  einen  dünnen  Ueberzug  ton  Geschieben 
yerfaüUt.  Anders  an  der  italischen  Seite.  Diese  dacht  sich  allmtlhUch 
ab,  sodafs  die  Tiefe  im  Durchschnitt  auf  jede  Seemeile  (ca.  2  km)  um 
nicht  mehr  als  einen  Faden  zunimmt  und  daft  die  Schiffe  6 — 8  km 
Tom  Lande  Anker  werfen  müssen.  Von  Inselbildung  —  mit  einziger 
Ausnahme  der  insulae  DiomedMe  Tremitiinseln — ist  nirgends  die  Rede. 
Dagegen  haben  die  Flüsse  des  Nordens  einen  Saum  von  Sandbänken 
und  Dünen  vor  ihren  Mündungen  aufgeschüttet  und  die  abgeschnit- 
tenen Meerestheile  in  träge  Lagunen  umgewandelt:  ein  sprechender 
Gegensatz  zu  den  tiefen  Sunden  und  steQen  Klippen  lUyriens.  Freilich 
ist  die  renetische  Küste  das  am  meisten  bevorzugte  Stück  der  West- 
seite ,  insofern  sie  ein  weites  und  reiches  Hinterland  aufscbliefst.  Viel 
ungünstiger  erscheint  das  Ergebnifs,  wenn  man  die  Bildung  des  appen- 
ninischen  Ufers  mit  dem  gegenüber  liegenden  vergleicht  Das  eine 
streicht  einförmig  und  ganzrandig^  das  andere  verrät  durch  sein  zer- 
hacktes Aussehen,  dafs  es  einen  wahren  Ueberflufs  an  trefilichen 
Hafen  aufzuweisen  hat.^  Hüben  fehlen  solche  auf  einer  Strecke  von 
100  deutschen  Meilen  gänzlich.  Der  Appennin  schickt  an  30  Ausläufer 
aus,  die  gleich  Rippen  an  der  Centralkette  ansetzen,  gegen  das  Meer 
hin  sich  allmälich  verflachen,  aber  bis  zum  Garganus  nirgends  für 
grofsere  Ebenen  Raum  lassen.  So  entsteht  eine  lange  Folge  von  paral- 
lelen Querthälern  und  Küstenflüssen ,  deren  Mündungen  als  Anker- 
plätze für  Fischerbarken  ausreichen,  für  Seeschiffe  unnahbar  sind. 
Nur  an  zwei  Stellen  wird  die  Einförmigkeit  durch  vorspringende  Halb- 


t)  Strabo  YIIS17  hebt  den  Gegensatt  berror;  Liv.X2  tmpwriwuü  ItaKae 


94  Kap.  D.  Das  Meer. 

inselD  unterbrochen:  durch  Abs promunturmm  Cunerum,  an  dem  An- 
cona  liegt,  und  den  massigen  mam  Gargamu.  Ersteres  bietet  dne  be- 
suchte aber  ungeschützte  Rhede;  am  Pub  des  letzteren  dehnen  sich 
seichte  Lagunen ,  welche  mit  ihren  Miasmen  die  Luft  verpesten  und 
den  Verkehr  nicht  anzulocken  yermOgen.  Im  ftursersten  Süden  erst, 
wo  die  apulische  Halbinsel  vom  Stamm  des  Landes  sich  lOsl,  werden 
vorzügliche  Hafen  (Brundisium  Hydrunium)  angetroffen,  die  im  Alter- 
tum wie  heut  zu  Tage  den  Anforderungen  des  Weltverkehrs  genügten. 
Aus  diesen  Umständen  erhellt,  warum  die  fruchtbare  Küste  lulieos 
einer  frühzeitigen  maritimen  Entwicklung  nicht  fidbig  war.  Das  zer- 
klüftete Gegengestade  erwies  sich  trotz  seiner  Nahbarkeit  hierfür  noch 
weniger  geeignet;  denn  jene  zahllosen  Inseln,  welche  insgemein  von 
den  HandelsvOlkem  zunächst  in  Besitz  genommen  zu  werden  pflegten, 
sind  kahl  und  wasserarm,  das  Festland  aber  in  seiner  zerrissenen  Wild- 
heit ermangelt  der  natürlichen  Gliederung  und  hat  der  Civilisation  un- 
übersteigbare  Schranken  entgegengestellt  Hierzu  kommt  die  Unbe- 
ständigkeit des  Wetters,  die  Helligkeit  der  Stürme,  welche  die  Adria 
jetzt  wie  ehedem  in  Verruf  gebracht  haben,  i)  Die  Luftströmungen 
werden  von  den  Randgebirgen  gleichwie  in  einem  Schlauch  gefangen 
gehalten  und  gezwungen  in  der  Axe  des  Meeres  sich  auszutoben.  Na- 
mentlich die  gefürchtete  Bora,  welche  über  den  niedrigen  Karst  in  das 
erwärmte  Becken  einfiillt,  gehört  zu  den  schlimmsten  Plagen  und  be- 
schränkt an  manchen  Plätzen  die  Schiffahrt  auf  wenige  Sommermonate. 

§2.   Das  Sicilische  Meer. 

Die  Enge  von  Otranto  oder  —  wie  die  Hellenen  sagten  —  der 
loniossund  begrenzt  die  Adria  im  Süden.  Das  akrokeraunische  auf 
der  einen,  das  Vorgebirge  von  Hydruntum  auf  der  andern  Seite  rücken 
einander  so  nahe  dafs  der  Abstand  beider  Länder  bis  auf  63  km  sinkt 
und  der  antike  Reisende  in  5  Stunden  hinüber  gelangen  konnte.') 
Strabo  giebt  die  Entfernung  von  Hydrus  bis  zur  Insel  Sason  richtig 
zu  50  Hillien  an ,  während  Plinius  dasselbe  Hafs  bis  zum  Hafen  von 
Apollonia  rechnet,  was  ungeßihr  10  Millien  hinter  der  Wirklichkeit 
zurückbleibt')  Wenn  der  letztere  hinzufügt  schon  zweimal  sei  das 
Project  aufgetaucht  die  Enge  zu  überbrücken ,  so  wird  der  geneigte 

1)  Hör.  Od.  1 3, 15.  33, 15  U  14, 14  III 9, 23  vgl.  Kap.  IX  3. 

2)  Cicero  an  Att.  IV  21, 3.  Der  Regel  nach  ward  viel  mehr  Zeit  gebraucht 

3)  Slrab.  VI  281  PIid.  UI  100. 


§  2.   Das  Sicilische  Meer.  95 

Leser  die  Geduld  bewaoäern ,  mit  welcher  der  römische  Admiral  Sino 
und  Unsinn  in  seinen  Colleclaneen  zusanomen  trug  (S.  20).  Durch  die 
Enge  Ton  Otranto  steht  die  Adria  mit  dem  grofsen  Ostbecken  der 
Mittellandsee  in  Verbindung.  Die  einzelnen  Abschnitte  desselben  lassen 
sich  schwerer  umgrenzen;  in  Folge  dessen  findet  ein  vielfaches  Schwan- 
ken in  der  Benennung  statt.  Zunächst  ist  ein  Meerestheil  auszuson- 
dern ,  dessen  Gestalt  sich  einem  Dreieck  annfthert:  die  eine  Seite, 
80  Meilen  lang,  wird  durch  die  italische  und  sicilische  Küste  nebst 
Malta  gebildet,  die  zweite  90  Meilen  lange  Seite  durch  Epirus,  den  Pelo- 
ponnes  und  Kreta,  die  dritte  110  Meilen  lange  Seite  Offnet  frei  auf  das 
insellose  Meer,  welches  unterhalb  des  35^  n.  Br.  an  Africa  hinzieht.  Der 
so  umschriebene  Abschnitt  mit  einem  Inhalt  von  ungefilhr  4 — 5000  GM. 
beiTsi  bei  den  Griechen  das  siciUsche  Meer  to  Smekixdv  rcikayog  6 
2iX€3Lix6g  novxog  mare  Siculum  ^),  wird  in  alexandrinischer  Zeit  auch 
wol  nach  den  Ausonern  oder  Aurunkern  to  Avaoviov  nikayog  mare 
Ausonium  benannt. 3)  Die  römischen  Geographen  haben  misbräuchlich 
das  mare  lonmm  hierher  verlegt  3);  die  vulgare  Anschauung  der  Kaiser- 
zeit dehnte  den  Namen  Adria  Ober  dieses  ganze  Gebiet  aus.^)  Die 
Küsten  desselben  fallen  rasch  zu  bedeutenden  Tiefen  ab:  Ostlich  von 
Sicilien  ergab  das  Senkblei  in  einem  Abstand  von  5 — 10  km  500 — 
1000  Faden  und  100  km  von  Gap  Passero  entfernt  gar  2150  Faden. 
Die  Inseln  sind  mit  guten  Hufen  (Malta  Syrakus  Messina)  besser  aus- 
gestattet als  das  Festland  mit  seiner  648  km  langen  Küste.  Der  grofse 
Busen  von  Tarent  erinnert  zwar  in  seiner  Bildung  an  die  einschnei- 
denden, Land  auflockernden  und  belebenden  Golfe  von  Hellas;  aber 
nur  die  Stadt  Tarent  besitzt  einen  allen  Anforderungen  genügenden 
Hafen  und  war  dadurch  ein  Mittelpunct  des  Verkehrs  geworden.^) 
Zwei  Wege  führen  aus  dem  sicilischen  und  dem  Ostlichen  Mittel- 


1)  Stets  bei  Polybios,  fast  immer  bei  Strabo,  feroer  u.  a.  Thuk.  IV  53  VI  13 
Xen.  Oek.  20,  27  EratostheDes  bei  Plin.  HI  75  Aristoteles  de  mundo  III 3  met. 
U  1 ;  seltener  bei  Römern. 

2)  Strab.  D  123.  128  V  233  VH  324;  Polybios  (?)  bei  Plin.  lU  75.  95. 151 
XIV  69 ;  ans  der  erhaltenen  griechischen  Litteratur  ist  der  Name  nnr  bei  Lyko- 
phron.  Alex.  44  (vgl.  S.  65  A.  6)  nachweisbar. 

3)  Plin.  nilOO  IV  51  u.  o.  Desgleichen  Mtla,  durch  das  Schwanken  des 
griechischen  Sprachgebrauchs  verleitet  Uebrigens  ist  Piinius  selber  incon- 
seqaent. 

4)  Tgl.  S.  90  A.  7. 

5)  Pol.  X  1  dq  xiXo(i  aUfiivov  slvui  cvfißalvu  rijv  nXfVQav  r^c  ^Ira- 


96  Kap.  n.  Di8  Meer. 

meer  überiiaupt  in  die  Westhdfte  desselben :  der  eine  durch  den  Sund 
von  Hessina,  der  andere  zwischen  Sicilien  und  Afirica  hindurch.  Die 
Meerenge  wird  gemeinhin  nach  der  Insel  6  SixaJUxog  Tto^fAog  fr^tum 
Sicidum,  bisweilen  auch  ohne  Beiwort  durch  ftaq&fwg  fntvm  bezeich- 
net 0  Bei  einer  Lange  von  30  km  mibt  sie  am  nördlichen  Eingang 
nur  3200  m  und  verbreitert  sich  allmälich:  bei  Messina  6100  m,  bei 
Reggio  11380  ro,  am  südlichen  Ausgang  14160  m.  2)  Die  Tiefe  am 
nördlichen  Eingang  beträgt  131 ,  dann  nur  51 ,  bei  Messina  wieder 
190  Faden  und  wachst  rasch  auf  600  Faden.  Die  HeDenen  haben  be- 
reits ausgesprochen,  dais  beide  Länder  ursprünglich  zusammen  hingen 
und  durch  seismische  oder  neptuniscbe  Mächte  getrennt  worden  sind. 
Sie  verlidien  dieser  Erkenntnils  einen  sprachUchen  Ausdruck,  indera 
sie  ihre  Pflanzstadt  ah  der  italischen  Küste  'Pijyiov  Bruch  Rifs  nann- 
ten.3)  In  der  That  wird  die  empirische  Beobaditung,  welche  den 
Schlub  veranlafst  hat,  durch  die  völlig  identische  Zusammensetzung 
der  Gebirge  hüben  und  drüben  bestätigt  Der  Rifs  kann  auch  mit  den 
Alten  auf  Erdbeben  zurückgeführt  werden,  nur  (Ult  seine  Entstehung 
in  die  Tertiärzeit  d.  h.  lange  vor  der  Schöpfung  des  Menschen.  Wahr- 
scheinlicher Weise  war  es  ursprünglich  ein  trockenes  Thal  ahnlidi  wie 
die  Senke  von  Tiriolo  zwischen  den  Buchten  von  Terina  undScyllaeum, 
welche  die  Südspitze  Bruttiums  landfest  gemacht  hat  und  sich  nicht 
über  250  m  erhebt  Die  Wandlung  des  Thals  in  eine  Meerenge  ist  sei 
es  durch  Sinken  des  Landes,  sei  es  durch  Steigen  des  Meeres  erfolgt 
und  hängt  mit  der  groCsen  Veränderung  zusammen,  wefche  der  Mittel- 
landsee ihre  jetzige  Gestalt  gegeben  hat  In  der  Gegenwart  wird  wieder 
eine  aufsteigende  Bewegung  dieser  Küsten  wahrgenommen ;  zugleich 
arbeiten  die  Abschwemmungen  von  den  Bergen  daran  die  Breite  und 
Tiefe  der  Enge  zu  vermindern.^) 

Bei  Liiybaeum  erspäht  das  Auge,  wenn  die  Luft  klar  ist,  die  Nord- 
spitze Africa's,  das  pramonttnium  Htrmamm  Gap  Bon.  Die  Entfernung 
beträgt  auf  der  kürzesten  Linie  120  km.  Das  Profil  des  Meerbodens 
lehrt,  dafs  ehedem  die  Vertheilung  des  Festen  und  Flüssigen  eine  andere 


1)  nach  der  Scylla  mit  nahe  liegender  Anspielang  Plato  ep.  7  p.  345  E  Athen. 
Vn  p.  3tlf  Gic  pro  Sest  18;  frttum  SieiUense  Gie.  nat  deor.lll  10,24;  ohne 
Beiwort  Thnk.  IV  24  Gic  an  Att.  II 1, 5  Gaes.  b.  dv.  1 29  Flor.  1 17, 9;  fireiense 
mare  Gic  an  Att.  X  7, 1. 

2)  Die  Angaben  bei  Strab.  VI  268  Plin.  HI  86  sind  in  niedrig. 

3)  Aeschylos  n.  A.  bei  Strab.  VI  258  Diod.  IV  85  Plin.  m  86. 

4)  Th.  Fischer,  Beitrage  zur  phys.  Geogr.  d.  Mittelmeerl&nder  p.  1^24. 


§  3.  Dts  Tyrrhenische  Meer.  97 

gewesen  sein  mufs.  Zwischen  dem  südlichen  Vorgebirge  Siciliens  und 
der  maltesischen  Gruppe  finden  wir  nirgends  Aber  100  Faden:  wie  die 
meisten  Inseln,  so  sind  auch  diese  früher  landfest  gewesen.  Zwischen 
Gap  Boeo  und  Cap  Bon  sinkt  das  Lot  an  tiefster  Stelle  auf  248,  in  der 
Regel  nicht  über  100  Faden:  grofse  Plateaus  —  wie  die  von  AdmiraF 
Smyth  entdeckte  und  nach  seinem  Schiff  benannte  Adventure  Bank  — 
erheben  sich  vom  Meeresgrund  bis  76  und  weniger  Faden;  ja  einzelne 
Stellen  messen  nicht  mehr  als  7  und  8  Faden.  ^)  Die  fossile  Fauna 
zwingt  uns  zu  dem  Schlüsse  dafs  Sicilien  und  AMca  ebenso  wie  Sicilien 
und  Italien,  wie  Spanien  und  Mauretanien  durch  Landbrücken  verbun- 
den waren,  wfthrend  das  östliche  Mittelmeer  durch  die  Syrten  und  6i6 
Sahara  sich  nach  dem  Ocean  hin  fortsetzte.  Stufenförmig  fiel  die  ita- 
lische Landbrücke  ab,  insofern  die  Senke  von  Tiriolo  250  m  über  Heer, 
die  Enge  von  Messina  102  m,  die  Durchfahrt  hei  Cap  Bon  496  m  unter 
Meer  liegt.  Seculare  Hebungen  und  Senkungen  scheinen  den  Zusam- 
menhang zerrissen,  die  Trockenlegung  der  Sahara  einerseits,  den  Ein- 
bruch des  Oceans  durch  die  Säulen  andererseits,  endlich  auch  die  Ver- 
einigung des  westlichen  und  Ostlichen  Mittehneerbeckens  bewirkt  zu 
haben.  Es  erschien  in  mehr  als  einer  Hinsicht  angemessen  an  diese 
Vorgänge  zu  erinnern.  Die  getrennten  Kreise,  welche  die  Geschichte 
von  West  und  Ost  beschrieben  hat,  sind  durch  die  Natur  vorgezeichnet: 
ihr  Verständnifs  wird  gefordert,  wenn  man  sich  eine  Zeit  vergegen- 
wärtigt, wo  räumliche  Schranken  zwischen  beiden  aufgerichtet  waren. 
Allerdings  tritt  die  Scheidung  auch  jetzt  deutlich  nnd  klar  zu  Tage :  die 
«eilische  Enge  und  die  Durchfahrt  zwischen  der  Insel  und  Africa  geben 
scharfe  Grenzen  ab.  Das  westliche  Becken  wird  zu  15350  DMeilen, 
das  östliche  zu  24500  DMeilen  FlächeninhaTt  berechnet.  Und  wie  dag 
letztere  an  GrOfse  jenes  überragt,  so  haben  sich  auch  reichere  und 
mannichfaltigere  historische  Bildungen  an  sein^en  Ufern  vollzogen. 

§  3.  Das  Tyrrhenische  Meer. 

Das  Westbecken  des  Hittelmeers  zerfallt  in  zwei  ungleiche  Theile, 
welche  durch  die  Inseln  Corsica  und  Sardinien  begrenzt  sind.  Der 
kleinere  Tbeil  erhält  durch  die  umgebenden  Landmassen  fast  den  Cha- 
rakter einer  Binnensee  und  besitzt  annähernd  die  Gestalt  eines  recht- 


1)  Vielfach  wird  den  Alten  eine  Kenntnirs  dieser  unterseeischen  Verbin- 
dung Zugeschrieben  nach  Strab.  149,  wo  es  sich  indefs  um  die  Strafse  von 
Gibraltar  handelt. 

Hiiitn,  ItaL  LuidMkvBd«.    I.  7 


98  Kap.  IL  Dm  Meer. 

winkligen  Dreiecks,  dessen  Hypotenuse  durch  die  1200  km  lange 
Kttste  des  italischen  Festlands,  dessen  Katheten  durch  Corsica-Sardinien 
und  Sicilien  dargestellt  werden;  der  rechte  Winkel  dagegen  ist  durch- 
stofsen  und  in  einer  Hündung  von  mehr  als  30  Meilen  Weite  Offnet 
«sich  die  Binnensee  in  der  Richtung  auf  den  Golf  von  Karthago.  Sie 
erstreckt  sich  vom  43  bis  38<^  n.Br.  und  bedeckt  ungefähr  eine  Fiftche 
von  3000  DMeilen.  Der  Römer  benannte  sie  von  seinem  Standpunct 
aus  folgerichtig  als  mare  inferum  oder  Südsee:  was  die  Griechen  durch 
t'  voTiov  Ttikayog  wiedergegeben  haben  sollen,  i)  Jedoch  Iflfst  sich 
diese  Uebersetzung  in  der  erhaltenen  Litteratur  nicht  nachweisen: 
vielmehr  heifst  das  Meer  allgemein  nach  den  seemachtigen  Etruskem 
TvQQTjVixog  7c6k7tog'^\  6  TvQQfjvixog^),  gewöhnlich  TvQQtjvixfj  ^o- 
Xaaaa  oder  TvQQtjvixdv  niiayog,^)  Die  Bezeichnung  wird  von  der 
lateinischen  Sprache  aufgenommen  mare  Tytrmum^  bei  sorgßiltigen 
Prosaikern  indessen  in  mare  Ttucum  umgewandelt.  <^)  Die  Dichter  brau- 
chen die  vollklingende  griechische  Form  häufig^^,  die  am  Ausgang  des 
Altertums  den  Vorrang  behauptet  und  in  den  modernen  Sprachen  Gel- 
tung erlangt  hat.  Die  tyrrhenische  See  bietet  für  die  Entwicklung  von 
Handel  und  Schiffahrt  im  Ganzen  genommen  günstige  Verhältnisse  dar: 
ein  abgeschlossenes  und  doch  nach  allen  Seiten  offenes  Gebiet  mäfsiger 
GrOfee,  das  weit  minder  von  verderblichen  Stürmen  heimgesucht  wird 
als  die  Adria  und  in  der  Küstenbildung  sie  weit  übertrifft.  Letzteres 
gilt  nicht  von  den  beiden  Westinseln ,  welche  dem  italischen  Festland 
in  gleicher  Weise  den  Rücken  zukehren  wie  dieses  den  Gestaden  von 
Hellas:  der  an  der  Rückseite  hervortretende  Mangel  an  Hflfen^)  hat 
ihre  Isolirung  befördert  und  zum  Theil  jene  trostlose  Rolle  verschuldet, 
zu  der  sie  im  Altertum  verurtheilt  waren.  Dagegen  ist  die  Nordseite 


1)  Plln.  in  75  ab  eo  (LigutUco)  ad  SieiUam  ifuulam  TWetim,  quod  99 
Graecis  aUi  ßfotium  alii  TyrrenuMt  e  nostris  plurumi  inferum  voeant, 

2)  Sophokles  bei  Dion.  Hai.  I  12  Hipparch  bei  Strabo  II  p.  92  Aristoxe- 
no8  fr.  90. 

3)  Aristot  Meteor.  II  1. 

4)  Thnk.  IV  24  Pol.  II  14  n.  a.  Dionys  Diodor  Strabo  PlaUrch  u.  s.  w. 

5)  Das  Fremdwort  in  Prosa  Vitrnv  n  10, 1  Plio.  XXXVI 125  Ammian  XY 
10, 2  IXIX  6, 17  Feldmesser  p.  62  Lachm.  Ampel.  7,  3;  bei  den  Kosmograpben 
(Orosins  Honorios  Vibias  n.  s.  w.)  ansschliellBlich  vorkommende  Form. 

6)  Cicero  bei  Senrias  V.  Ecl.  1 ,  58  Verg.  Georg.  0  164  Aen.  I  67  Hör.  Od, 
I  11,  6  n.  A. 

7)  natura  inpartuon  marit  Sen.  Dial.  XII  7,  8  von  Gorsica ;  in  Betreff 
Sardiniens  vgl.  Liv.  XXX  39,  Pausan.  X  17,  10. 


S  3.  Das  Tyrrhenische  Meer.  99 

Siciliens  von  Natnr  reich  bedacht  und  vollends  vermag  die  adriatiache 
Küste  Italiens  mit  der  tyrrhenischen  keinen  Vergleich  auszahalten. 
Während  dort  ein  einförmiges  unnahbares  Gestade  in  langen  unge- 
brochnen  Linien  streicht,  ist  das  Land  hier  belebt  und  gegliedert. 
Freilich  darf  man  keinen  hellenischen  Mafsstab  anlegen  wollen.  Strabo 
hebt  mit  Recht  als  charakteristisches  Merkmal  Italiens  hervor,  dafs  es 
nur  wenige  aber  grofse  und  vortreffliche  Hftfen  besitzt,  i)  Italien  kennt 
nicht  jene  tief  einschneidenden  Buchten  mit  vorgelagerten  Inseln  und 
zusammentretenden  Vorgebirgen,  welche  in  Hellas  Land  und  Meer  un- 
lösbar verbinden.  Seine  Golfe  dringen  als  Halbkreise  oder  als  Kreis- 
segmente flach  ein  und  bleiben  nach  dem  Meer  zu  offen:  so  die  Golfe 
von  Genua  Spezia  Populonia  Telamon  Terracina  Gaeta  Neapel  Salemo 
Buientum  Terina.  Inseln,  welche  im  aegaeischen  Meer  das  Aufkom- 
men der  Schiffahrt  so  sehr  erleichtert  haben,  finden  sich  nur  an  zwei 
Puncten  vor:  der  etnirische  Archipel  vor  Mitteletrurien  und  durch  eine 
20  Meilen  lange  ganzrandige  Küste  davon  getrennt  die  Ponzainseln 
nebst  der  neapoUtanischen  Gruppe  vor  Campanien.  Allenfalls  lassen 
sich  noch  die  aeolischen  Inseln  hinzufügen,  welche  dazu  beitrugen  den 
Abstand  zwischen  Sicilien  und  dem  Festland  zu  mildem.  Dem  steilen 
Abfall  der  Gebirge  entspricht  die  bedeutende  Meerestiefe.  Alle  jene 
Buchten  sind  für  Schiffe  gröfsten  Kalibers  zugänglich  und  gestatten 
ihnen  in  unmittelbarer  Nähe  des  Landes  Anker  zu  werfen.  Im  süd- 
östlichen Theil  dieses  Gebiets  sinkt  der  Grund  mehr  als  1000  Faden. 
Am  Nordende  des  tyrrhenischen  Meeres  nimmt  die  Tiefe  ab  und 
erreicht  höchstens  100  Faden.  Eine  zwiefache  Inselbrücke  verbindet 
hier  Corsica  mit  dem  82  km  entfernten  Festland:  OgUua  Igilium  vor 
dem  mans  ArgerUarius  und  Planasia  Iha  vor  dem  Vorgebirge  von  Po- 
pihma.  Es  unterUegt  keinem  Zweifel  dafs  beide  ehedem  zusammen 
gehangen  haben.  Jenseit  Capraria  wächst  die  Tiefe  wiederum  bis  auf 
700  Faden,  der  niedrigsten  Einsenkung  zwischen  Corsica  und  Genua. 
Die  unterseeische  Bank ,  welche  von  Etrurien  nach  der  Insel  hioläuft, 
begrenzt  das  tyrrhenische  Meer  im  Norden.  Und  wenn  wir  nach  phy- 
sischen Gesichtspuncten  den  Ugurischen  Busen  von  demselben  abtren- 
nen, so  fordert  die  historische  Betrachtung  das  gleiche  Vorgehen.  Zwar 
kennt  Polybios  eine  derartige  Unterscheidung  nicht,  da  er  das  tyrrhe- 
nische Heer  bis  an  den  Fufs  der  Alpen  ausdehnt^);  auch  besteht  der- 

1)  Str.  VI  2S6  xo  aXlfievov  xata  to  nliiatov  xal  tb  xav^  Svxaq  lifii- 
vaq  fnyaXovQ  ehai  xal  dnvfuxaxovg, 

2)  n  16,  1  III 110,  9  XXXIV  10, 18. 

7* 


100  K«p.  n.  Da8  Meer. 

8dtt>e  Sprachgebrauch  noch  unter  der  Regierung  des  Augustus.^  Erst 
unter  seinen  Nachfolgern  ist  vom  AiyvOTiKOv  ftilayog  mare  It^urti- 
cum  stwus  Ltgtuiiau  die  Rede.^)  Allein  darin  flulsert  sich  lediglidi  die 
Thatsache,  dafs  der  Hecrestheil  wie  das  hinterliegende  Land  bis  dahin 
der  römischen  Culturentwicklung  fern  gestanden  hatte.  Viele  Jahr- 
hunderte ^äter  im  Mittelalter  ist  ihm  beschieden  gewesen  grolsartige 
eigene  Aufgaben  zu  lösen.  Wegen  der  abgeschlossenen  historischen  Be- 
ziehungen, welche  sich  an  die  beiden  Meere  knüpfen,  geben  wir  ihnen 
mit  den  Geographen  der  Kaiserzeit  gesonderte  Namen.  Der  ligurische 
Busen  ist  von  den  Alten  bflufig  mit  dem  gallischen  oder  Golf  von  Lyon 
verwechselt  worden.  Naturgemäfs  ist  die  Grenze  zwischen  beiden  bei 
den  iniulae  Stoechades  der  Gruppe  von  Hy^res  anzusetzen ,  wo  die  in 
südwestlicher  Richtung  streichende  Küste  nach  Norden  umbiegt  und 
zugleich  die  Alpen  ihren  Anfang  nehmen :  so  scheinen  es  auch  die  Rö- 
mer aufgefafst  zu  haben.^)  Den  Inhalt  des  ligurischen  Meeres  schlitzen 
wir  auf  600  DMeilen  ab.  Den  Reichtum  der  schmalen  steil  abfallen- 
den Küste  an  guten  Hftfen  hebt  schon  die  alte  Beschreibung  des  Sky- 
lax  hervor.^)  Sie  mifst  344  km  Ausdehnung. 

Auf  die  übrigen  Abschnitte  des  westlichen  Mittelmeerbeckens 
haben  wir  nicht  näher  einzugehen.  Die  tyrrhenische  See  steht  durch 
die  Strafse  von  Bonifacio  mit  ihnen  in  directer  Verbindung.  Indessen 
ist  diese  Durchfahrt  im  Altertum  noch  weniger  benutzt  worden  als 
gegenwärtig.  Sie  ist  an  schmälster  Stelle  12  km  breit  und  40  Faden 
tief:  eine  Menge  von  Inseln  Klippen  und  Untiefen  bekunden  da(s  der 
ursprüngliche  Zusammenhang  Sardiniens  und  Corsica's  durch  den 
Einbruch  des  Meeres  zerrissen  worden  ist.  Die  Durchfahrt  ward  von 
den  Alten  ohne  speciellere  Bestimmung  als  Canal  Taq>Qog  foua  be- 
zeichnet; im  dritten  Jahrhundert  n.  Chr.  hat  sie  einen  Beinamen  frt- 
tum  GaUicum  erhalten,  der  zu  keiner  weiteren  Verbreitung  gelangt  ist.^) 
Jenseit  der  Inseln  erstreckt  sich  der  Haupttheil  des  Westbeckens  x6 
SaQÖfpov  oder  Sa^Soviav  TtiXayog  [Sardoum  mare],^)  Man  nahm  an 

1)  Moo.  Anc.  c  26  Inschr.  von  Turbia  Plin.  III  136.  Den  Uebergang  er- 
läutert Livins,  der  XXX  19  die  ligurische  Kfiste  unter  den  tinus  Gaüieu»  be- 
Cifiii,  nach  anderen  Annalisten  XXVI 19  XXXIV  8  davon  unterscheidet. 

2)  Strabo  U  106.  122.  123.  128  Piin.  lü  74.  80.  135  PtoL  m  1,  3  Flor.  I 
41,  9  Agath.  3,  9  Dien.  Per.  76  und  Kosmographen. 

3)  Plin.  ni  74.  79  XXXH  21  Gros.  I  2,  28. 

4)  SkyL  4  (p.  18  M.)  vergUchen  mit  Strabo  III  159, 

5)  PUn.  m  83  itin.  Ant  marit  p.  495  Wess. 

6)  Eratosthenes  bei  Plin«  m  75  Pol  I  10.  42  U  14  lü  37.  41.  47  XXXIV  6 


{  4.  MeeresströmiiDgeD.  101 

es  sei  das  tiefste  aller  Heere  und  messe  1000  Faden.  0  Da  der  Grund 
bis  1500  Faden  sinkt,  so  bleibt  die  Angabe  von  dem  Vorwurf  der 
Oebertreibung  frei;  aber  andererseits  verkannten  die  Alten,  dafs  GrOfse 
und  Tiefe  eines  Meeres  sieb  gegenseitig  bedingen,  und  haben  in  zwie- 
facher Hinsicht  das  westliche  Becken  gegen  das  ihnen  yertrautere  Ost- 
liche tlberschfltzt  Sardinien  stellte  den  Grenzbezirk  dar,  bis  zu  wel- 
chem der  geographische  Horizont  der  Hellenen  reichte :  in  Folge  dessen 
tauften  sie  das  ganze  Westmeer  auf  seinen  Namen.  Als  aber  dann 
durch  die  romische  Herrschaft  die  Kunde  bis  an  den  Ocean  vorgerttckt 
wurde,  lag  es  nahe  die  einzelnen  Abschnitte  der  See  nach  den  Ländern 
zu  benennen ,  deren  Küsten  sie  bespülte.  So  redet  Polybios  bereits 
von  x6  AißvMv  ftikayog  matt  Libyeum  oder  i/hciim.^)  Die  ROmer 
fügen  das  wuare  GaUkuim^)  im  Norden  und  das  mare  Iberieum  [Hispa- 
man]  oder  Balearicum*)  im  Westen  hinzu  und  meiden  den  Namen  der 
verrufenen  Insel  fast  gftnzlich.  Seinem  Nimbus  aus  alter  Zeit  verdankt 
er  es  allein ,  dafs  die  griechischen  Gelehrten  der  Kaiserzeit  ihn  noch 
in  beschranktem  Umfang  verwenden.^)  Am  Ausgang  des  Altertums 
tritt  eine  vollständige  Verwilderung  in  der  Benennung  ein,  so  dafs  die 
Kosmographen  das  tyrrhenische  Meer  bis  an  die  Säulen,  zuweilen  auch 
Ober  das  Ostbecken  bis  nach  Aegypten  hin  ausdehnen. 

§4.  Meeresströmungen. 

Der  uns  geläufige  Ausdruck  Mittelmeer  mare  fnediterraneum  taucht 
zuerst  im  dritten  Jahrhundert  n.  Chr.  auf,  findet  aber  viel  später  seine 
Verbreitung.  <^)  Die  Hellenen  sagten  im  Gegensatz  zum  Weltmeer  die 
innere  d.  h.  die  innerhalb  der  Säulen  befindliche  See  ij  laco  oder  ij 
ivrog  -d'dXaaaa  "^  und  die  Römer  gaben  dies  vereinzelt  durch  mare 

Apollod.  I  9»  24  Skymn.  168. 196  Ayien.  or.  mar.  150;  bei  Herodot  1 166  scheint 
der  Name  aacb  den  Norden  des  tyniieaiseheii  Meeres  an  befassen. 

1)  Aristot  Meteor,  n  1  Poseidonios  bei  Sirabo  I  54. 

2)  I  37.42  Diod.Y39  8trab.  H  122   Sali  Jugr.  18   PUn.Vl   Mela  n  123 
n«r.  I  18,  30. 

3)  Strab.U  128  PUn.m  74  Hmu  GalUeus  bei  LIvins  S.  100  A.  1. 

4)  Strab.  n  122  Plin.  m  14  IV  110  Flor.  I  41,9  PtoLII  5  n.  A.  Bupamu 
Otamnu  Glandian  23,  8. 

5)  Strab.  U  122  PtoL  m  3,  1  Agatb.  2, 14  Dion.  Per.  82.  —  fai  Uteiniacher 
Sprache  inlaerat  selten  dimeiia.  prov.  17  (p.  12  Riese)  Oroa.  I  2, 102. 

6)  Solin  22, 18  btdor  Or.Xm  16  Gnido  ▼.  Pisa  118. 

7)  4  ivTO^  "HgaxXilwp  cvifiMv  Bulaööa  Aristot  Met  D  1  Dion.  Hai.  1 3 
UV  1  Plnt.Pomp.  25  Nik.  12  App.  Mithr.  93;  ^  iwhQ  ^Xaaca  IMod.  IV  18 


y 


102  Kap.  n.  Das  Meer. 

imemum  oder  inte$tinum  wieder,  i)  Indessen  häufiger  und  geradezu  in 
der  Eigenschaft  eines  Individualnamens  brauchten  sie  die  Bezeichnung 
nostrum  mare  ^) :  darin  spricht  sich  die  reiche  Erfahrung  aus ,  die  sie 
selber  auf  den  Fluten  des  Oceans  gesanunelt  hatten.  In  der  That  y&r- 
mochte  eine  Fahit  an  den  zerrissenen  Ufern  der  Bretagne  oder  über 
die  Watten  der  deutschen  Küste  die  sehnsüchtige  Erinnerung  an  die 
heimische  See  wachzurufen ;  der  Contrast  mufste  den  Südländern  ein- 
dringlich zu  Gemüte  führen,  wie  geMig  und  milde  ihre  See,  wie  un- 
gleich geringer  die  Anforderungen,  die  sie  an  die  Kühnheit  und  Aus- 
dauer des  Menschen  stellte.  Die  heutige  Wissenschaft  drückt  das  beider- 
seitige Verhältnifs  in  Zahlen  und  Daten  aus.  Zunächst  erfreut  sich  das 
Mittelmeer  einer  höheren  Temperatur,  als  der  Ocean  bei  gleicher  Breite 
und  Tiefe  aufweist.  An  der  Oberfläche  beträgt  der  Unterschied  1  bis 
20  C,  bei  grofsen  Tiefen  8— 10®  C.  Während  nämlich  die  Wärme  im 
Mittelmeer  mit  der  Tiefe  alle  35  Faden  um  einen  Grad  abnimmt,  so 
bleibt  sie  von  100  Faden  ab  bis  zu  den  grOfsten  Tiefen  constant  auf 
12,20  C.  d.  h.  der  mittleren  Wintertemperatur,  welche  für  das  West- 
becken berechnet  worden  ist.  Dagegen  sinkt  im  atlantischen  Ocean 
bei  dieser  Tiefe  die  Temperatur  auf  2,5 — 4^  C.  Namentlich  im  Winter 
drängt  sich  die  relative  Wasserwärme  dem  Beobachter  auf,  wie  denn 
abgehärtete  Fremde  an  manchen  Orten  den  Genufs  eines  Seebades  zu 
keiner  Jahreszeit  sich  zu  versagen  pflegen.  Bei  Sicilien  beträgt  das 
Jahresmittel  an  der  Oberfläche  19,07®  d.  h.  1,74®  mehr  als  das  der  Luft 
und  zwar  ist  das  Wasser  im  Herbst  2,73®  im  Winter  3,07 o,  dagegen 
im  Frühling  nur  um  0,77  o  und  im  Sommer  um  0,40®  wärmer.  Für 
die  mittlere  Adria  wird  18,2 o  als  Jahresmittel  angegeben,  nach  den 
einzelnen  Jahreszeiten  14,4®  15,6»  22,1  o  23®  C^)  Aus  dem  Gesagten 
ergiebt  sich ,  dafs  die  Verdunstung  eine  sehr  beträchtliche  sein  mufs. 


Strab.  n  121  Plat.  Alex.  68;  ^  l<ra»  Uhtaaa  Pol.  UI  39;  ^df  ^  ^kaaaa  Her.  I 
1.  185  IV  39.  41. 

1)  mare  intemum  Plin.III  4.  31  Vl8  intesUnum  Flor.O  13,76. 

2)  Mela  I  1,  6  id  omne  qua  venu  quaque  dispergitur  uno  vocabtüo  No- 
9trum  mare  diei($ir.  Mela  stehend,  fernem.  A.  Sali.  Jug.  17  fg.  Gae8.b.Gai].Vl 
Li¥.XXVl42  PUn.VI  142  TacAgric.24.  —  Plato  Phaedon  113a  braucht  aUer- 
dings  den  Ausdruck  17  nag'  ^fuv  ^Jiaaaa;  aber  das  häufige  ^  xa&*  ijfmq 
^Xaaaa  bei  Autoren  der  späteren  Zeit  ist  klärlich  auf  römischen  Einflufs 
lurückzuffihrea :  Pol  111 37  fg.  Strab.  0  121  Ptol.  II 5. 

3)  Die  Angaben  Aber  Sicilien  (Palermo)  sind  Fischer  a.  0.  p.  78  entnom- 
men, aber  die  Adria  (Lesina  unter  43*  11'  n.  ßr.)  dem  Gompte  rendu  des  1875 
zu  Paris  abgehaltenen  geographischen  Gongresses  I  p.83. 


§  4.  MeereMtrftmuDgen.  103 

Der  Verlust,  den  das  Mittelmeer  alljährlich  durch  Sonne  und  Wind  er- 
leidet, ist  einer  Wasserschicht  von  mindestens  2  m  Dicke  gleich  zu 
achten.  Hiervon  wird  etwa  Vs  m  durch  Regen,  kaum  V4  m  durch  die 
Flösse  ersetzt  Den  grofsen  Ausfall  trägt  der  durch  die  Säulen  einströ- 
mende Okeanos,  in  dem  die  Alten  mit  gutem  Grund  den  Ernährer  ihres 
Meeres  erblickten.  ^)  In  grauer  Vorzeit  hatten  die  Phoenizier  diese 
merkwürdige  Erscheinung  kennen  gelernt  und  ihre  Kunde  den  Helle- 
nen übermittelt  Die  Kunde  hat  die  Weisen  von  Hellas  Jahrhunderte 
lang  beschäftigt  und  wenn  Thaies  das  Wasser  als  Urgrund  aller  Dinge 
hinstellte,  so  wirkte  in  dieser  AufTassung  die  folgenreichste  Entdeckung 
nach,  welche  von  den  Anwohnern  des  Hittelmeers  überhaupt  im  Alter- 
tum gemacht  worden  ist 

Die  hohe  Temperatur  hat  den  Reichtum  vegetativen  und  anima- 
lischen Lebens  hervorgerufen ,  welcher  das  Hittelmeer  vor  nordischen 
Gewässern  auszeichnet  Aufserdem  hat  sie  den  Verkehr  des  Menschen 
mit  dem  fremden  Element  ungemein  erleichtert.  In  der  nämlichen 
Richtung  wirkte  die  Gleichförmigkeit  im  Niveau  des  Mittelmeers,  die 
sich  in  dem  Fehlen  gefährlicher  Strömungen  und  periodischer  Stö- 
rungen äufsert  Die  gegen  das  Land  andringende  und  von  ihr  zurück- 
weichende Bewegung  des  Oceans,  die  sich  wiederholt  wie  der  Atemzug 
eines  lebenden  Wesens,  begründete  nach  Meinung  der  Alten  den  we- 
sentlichsten Unterschied  zwischen  demOcean  und  der  heimischen  See.  2) 
Die  Erinnerung  an  das  anmutige  Spiel  der  Brandung,  welches  Italiens 
Gestade  unablässig  erfüllt,  erzeugte  Angesichts  unserer  Watten  in  der 
Seele  des  Römers  eine  Stimmung,  die  aus  Mitleid  und  Abscheu  ge- 
mischt, das  Dasein  in  solcher  Natur  als  Strafe  empfinden  liefs.')  Ebbe 
und  Flut  waren  dem  Seemann  des  Mittelmeers  eine  so  unbekannte 
Erscheinung,  dafs  sie  verschiedentlich  grofse  Flotten  überrascht  und 
helles  Entsetzen  verbreitet  haben. ^)  Ihre  Höhe  pflegt  ja  auf  Binnen- 


1)  Hom.  n.  XXI 195 

ßadvQ^Ltao  fifya  a^ivo^  iixeavolo 
ii  ovnsQ  nivTBq  notafiol  xal  näaa  &dXaaaa 
xal  näaai  x^vai  xal  tpQBlaza  fuxxQa  vdovaiv 
Tgl.  n.  XIV  201  AristMetlS. 

2)  Mela  Anf.  d.  OH.  finchs  leitet  mit  dieser  BetrachtoDg  den  Uebergang 
zu  den  iafseren  Lindern  ein. 

3)  Plin.  XVI  2  fg.  als  Augenzeuge  mit  wunderbarer  Anschaulichkeit. 

4)  Arr.  An. VI  19  Pol.  1 39  Gaes.  b.  Gall.  IV  29  Tac  Ann.  1 70.  Den  Gelehrten 
wir  die  Kenntnis  dnrch  die  Phoenizier  abermittelt  worden  und  Pytheas  be- 
reits mafs  die  Fluthöhe  vgl.  Plin.  021 2  fg. 


104  Kap.  n.  Das  Meer. 

meeren  so  geriogfügig  zu  sein ,  dafs  der  Wechsel  unbemerkt  vorüber- 
geht und  nur  auf  dem  Wege  wissenschaftlicher  Beobachtung  ermittelt 
werden  kann.  Nur  wenige  Gegenden  machen  hiervon  eine  Ausnahme 
wie  die  Syrten  und  die  venetischen  Lagunen.  ^)  Jedem  BesucherVene- 
digs  ist  der  regehnäisige  Gang  der  Gezeiten  aus  eigener  Anschauung 
bekannt.  Aber  selbst  hier  übersteigt  die  gewöhnliche  Flut  kaum  einen 
halben  Meter  2),  während  sie  an  der  allantischen  KUste  Spaniens  4  m, 
an  der  Themsemündung  6  m  und  gar  im  Canal  von  Bristol  12 — 15  m 
mifst.  Die  Erklärung  dieser  Tbatsache  liegt  in  dem  Umstand,  dafs  die 
ganze  Fläche  theils  durch  die  umgebenden  Landroassen  theils  durch 
submarine  Bänke  (S.  97.  99)  in  eine  Anzahl  verschiedener  Becken  ab- 
gesondert wird.  Derselbe  Umstand  spricht  von  vornherein  gegen  eine 
Theorie,  welche  seit  dem  vorigen  Jahrhundert  bis  in  die  letzten  Jahr- 
zehnte allgemein  angenommen  war,  gegen  die  Theorie  dafs  der  durch 
die  Enge  von  Gibraltar  einflutende  Strom  an  der  ganzen  africanischen 
Küste  hin  sich  fortsetze,  um  an  der  Nordseite  eine  rückläufige  Bewegung 
einzuschlagen  und  derart  einen  Kreislauf  um  das  gesammte  Mittelmeer 
zu  beschreiben.  In  Wirklichkeit  sind  bisher  nur  locale  Strömungen 
ohne  Zusammenhang  unter  einander  beobachtet  worden.  Eine  der- 
artige Strömung  läuft  z.  B.  mit  einer  Geschwindigkeit,  die  selten  1  bis 
2  km  in  der  Stunde  übersteigt,  an  der  adriatischen  Küste  Italiens  von 
Nord  nach  Süd :  sie  wird  durch  Winde  und  locale  Ursachen  verschie- 
den beeinflufst  und  kommt  für  die  Schiffahrt  kaum  in  Betracht 

Dagegen  treten  in  den  Meerengen  grOfsere  Abweichungen  von 
der  Regel  zu  Tage,  aus  denen  Schwierigkeiten,  auch  wol  Gefahren  er- 
wachsen. So  kommt  es  vor,  dafs  Südweststürme  die  tyrrheniscbe  See 
um  4  m  über  ihren  gewohnlichen  Stand  aufstauen  und  dadurch  starke 
Abflüsse  verursachen ,  welche  die  Durchfahrt  auf  dem  Canal  zwischen 
Sardinien  und  Corsica  behindern.  Ein  näheres  Interesse  nimmt  die 
sicilische  Enge  in  Anspruch,  welche  Homer  mit  ihren  classischen 
Schreckbildern  ausgestattet  hat.  Den  Anlafs  zu  dieser  Erfindung  gaben 
die  Erzählungen  ionischer  Seeleute  her.  3)  Aber  eine  in  Wundern  und 
Härchen  denkende  und  redende  Zeit  machte  den  Abstand  zwischen 


1)  Herrorgehoben  von  StraboY212  Gassiodor Yar.XU  24  Procop.b.Goth.11 
Die  Syrten  nennt  Plin.V  26  vadoso  ae  reciproco  mari  dirog. 

2)  Für  die  Syzygien  wird  angegeben  0,85  m  in  der  Lagune ,  1  m  in  den 
Hafen.    Starme  können  die  Flnt  noch  1,5  m  höher  aufstauen. 

3)  Justin  lY  1, 17  neque  koe  ab  anUquU  in  duhedinem  fabuiae  ecnpotUum 
sed  metu  et  adnäraUtme  tranteunUum. 


S  4.  MeeresströmungeD.  105 

Wirklichkeit  und  Dichtung  weiter,  ab  er  ohnehin  zu  sein  pflegt.  An 
dem  Feben  der  S  k  y  I  la  vermag  der  begeistertote  Bewunderer  des  Dich* 
ters  Dichta  Schreckhaftes  zu  entdecken.  0  Es  ist  ein  steil  abfallender 
Gneüsfels  mäfsiger  Erhebung  (100  m),  an  dessen  Fub  die  Brandung  um 
keinen  Zoll  höher  steigt  oder  wilder  tobt  als  anderswo.  Ob  hier  in 
alten  Tagen  eine  Seeburg  errichtet  war  die  Kauffahrer  zu  plündern, 
oder  auf  welch  andere  Thatsachen  das  phantastische  Gebilde  zurück- 
geht, wer  mochte  das  erraten? 2)  Dagegen  Üifst  sich  ein  realer  Hinter- 
grund für  die  Charybdis  in  der  That  nachweisen.  Die  Strömungen 
iD  der  Enge  sind  unregelmftfsig  und  yielen  Wechseln  unterworfen, 
entsprechen  aber  im  Grofsen  und  Ganzen  dem  Gang  von  Flut  und 
Ebbe.  Der  durch  sie  veranlafste  Niveauunterschied  ist  verschwindend 
gering  und  steigt  nur  bei  den  Syzygien  der  Nachtgleichen  (wenn 
Sonne  und  Mond  in  grOfster  Erdnahe  vereint  die  stfiriiste  Anziehungs- 
kraft entfalten  und  Springfluten  bewirken)  bis  ein  drittel  Meter.  Die 
Flut  strömt  von  Süd  nach  Nord  in  der  Mitte  der  Strafse  mit  einer  Ge* 
schwindigkeit  von  3 — 8  km  in  der  Stunde;  sie  wird  jetzt  rema  nu»^ 
Umie  genannt.  Die  Ebbe,  welche  die  umgekehrte  Richtung  von  Nord 
nach  Süd  einhält,  heifst  rema  icmdente.  Sie  lOsen  sich  alle  6  Stunden 
ab.  Der  Wechsel  war  bereits  dem  Polybios  bekannt,  da  er  es  für  einen 
Schreibfehler  oder  Irrtum  erklärt,  wenn  Homer  das  Ungetüm  dreimal 
am  Tage  das  Wasser  einschlttrfen  und  ausspeien  Ififst  statt  zweimal. 
Neben  der  HauptstrOmung  macht  sich  eine  entgegengesetzte  Seiten- 
gtiomung  an  der  Küste  bemerkbar,  bei  Flut  an  der  italischen,  bei  Ebbe 
an  der  sicUiscben  Seite.  Durch  den  Zusammeustofs  von  Haupt-  und 
KOstenstrOmung  entstehen  Wasserwirbel  (re/b/t),  die  dem  unachtsamen 
Seefahrer  verhflngnifsvoll  werden  können.  Wenn  man  hinzunimmt, 
daCs  Wind  und  Wetter  in  der  Enge  schnell  umspringen  und  eine  viel 
grOfsere  Mannichfaltigkeit  der  Erscheinungen  hervorrufen ,  als  hier  in 
Kurse  beschrieben  werden  kann,  wenn  man  Beispiebweise  erwägt, 
da&  aus  den  Schluchten  der  einschliefsenden  Gebirge  bbweilen  BOen 
einfallen,  welche  ein  Boot  unter  Segel  unfehlbar  zum  Kentern  bringen, 
so  Tersteht  naan  wie  die  Furcht  der  alten  lonier  berechtigt  war  und 
ihren  dichterischen  Ausdruck  in  der  Charybdis  hat  finden  können.  Die 


1)  Seoeca  Ep.  79 , 1  Seyilam  taxum  esse  et  piidem  non  UrribiU  naoi- 
gantOniM  opHme  seio.  Die  homerisehe  SchildeniDg  Od.  XII  73  fg.  230 fg.  wird 
naehgeahmt  Verg.  Aen.  Dl  420  Ot.  Met.  XUI 730  Tib.  lU  4, 89  o.  A. 

2)  Stnb.  I  20  Polybios  bei  dema.  p.  24.  Palaephatoa  incred.  21  (Wester- 
mano,  mythogr.  p.  285). 


108  Kap.  U.  Das  Meer. 

qua  mare  terrem$  (Uelive  oanaHlnu  intrai 

muläfidosque  laeus  parvula  foua  n'gat, 
att  übt  flaf^antes  admovit  Sirius  ignes, 

cum  pallent  herbae^  cum  sitit  omni*  ager: 
tum  cataractarum  cUnubrü  exchiditur  aequor 

ui  fUßOS  laiieei  lorrida  duret  humnu, 
eoncipiunl  aerem  naiiva  coagula  P/toebum 

et  gravis  aestivo  crusta  calore  coü ; 
haud  aliter  quam  cum  glacie  riget  harridus  Hister 

grandiaque  adstricto  flumine  plaustra  vehiU 

Noch  immer  wird  die  Ausbeute  in  grofsem  Umfang  betrieben :  sie  über- 
steigt für  das  gesammte  Mittelmeer  eine  Million  Tonnen  im  Wert  von 
12  Millionen  Franken  im  Jahr,  wovon  ein  reichliches  Viertel  auf  Italien 
kommt.  Man  sieht  nicht  selten  die  Schiffe,  welche  Baubolz  aus  finni- 
schen Wäldern  gebracht  haben ,  Seesalz  als  Rückfracht  fttr  ihre  kalte 
Heimat  laden.  Der  Besitz  dieses  Gewürzes  erschien  den  Alten  Ton 
ihrer  Civilisation  unzertrennlich,  i)  Wie  wichtig  dasselbe  gewesen  um 
die  schweifenden  Stämme  an  die  Scholle  zu  bannen,  Handel  und  Ver- 
kehr unter  ihnen  zu  wecken,  braucht  im  Einzelnen  nicht  ausgeführt 
zu  werden.^)  Im  gegebenen  Zusammenhang  genügt  der  Hinweis  dar- 
auf dafs  Hellenen  und  Italiker  in  ihren  Anfängen  das  Salz  ausscfaliefs- 
lich,  später  vorwiegend  aus  der  See  holten,  dafs  damit  auch  in  dieser 
bestimmten  Richtung  der  Küste  ihr  Beruf  vorgezeichnet  war  als  Trä- 
gerin der  Cttltur  dem  Binnenland  gegenüber  zu  dienen.  Als  die  älteste 
Strafse  Italiens,  von  welcher  wir  Nachricht  haben,  ist  die  Yia  Salaria 
anzusehen,  auf  der  die  Sabiner  ihren  Bedarf  von  Rom  aus  anschafften.') 
Wie  die  deutschen  Stämme  in  frühen  Jahrhunderten  um  den  Ertrag 
von  Salzquellen  Krieg  führten,  so  hat  auch  der  Gründer  Roms  die  Sak- 
wiesen  an  der  Tibermündung  den  Etruskern  abgewonnen.'*)  Der  Staat 
selber  nahm  ihren  Betrieb  in  die  Hand  und  hat  allezeit  an  dem  Mono- 
pol festgehalten,  für  welches  in  der  That  die  gewichtigsten  Rücksichten 
sprachen.  Privatpersonen  konnten  wol  Salz  für  eigene  Rechnung  her- 
stellen ,  aber  solches  nur  durch  Vermittlung  der  Staatspächter  in  den 
Handel  bringen.^)  Von  üffeutlicben  Salinen  zur  ROmerzeit  lassen  sich 
nachweisen:  die  von  Rutilius  beschriebene  bei  Yada  YolaterTQUia;  die 


1)  Plin.  XXXI 88  ergo  Hereule»  vita  kumanior  sine  saU  non  qtät  dßgere. 

2)  Vgl.  V.  Hehn,  das  Salz,  eine  knlturhistorisehe  Studie,  Berlin  1873. 

3)  Plin.  XXXI  89. 

4)  Ammian  XXVIU  5, 11  Dien.  Hai.  U  55  HI  41. 

5)  Marqqardt,  Rom.  SUatsverw.  ü  p.  154.  271. 


§  6.   Fischerei.  109 

bdutütkU  an  der  Tibermündung,  noch  jetzt  in  Betrieb  i);  AiemUnae 
Bereukae  bei  Pompeji  2);  die  von  Tarent,  welches  das  feinste  und 
weibeste  Korn  lieferte  ^) ;  die  bei  Saiapia  in  Apulien ,  sie  zeichnet  sich 
gegenwartig  durch  reichen  Ertrag  aus^);  in  den  Lagunen  Venetiens<»); 
auf  Sicilien  bei  Gela  Agrigent  und  anderen  Orten  ^);  endlich  auf  Sar* 
dinien,  wo  wahrscheinlich  die  ergiebige  Saline  von  Cagliari  ausgebeutet 
wurde,'') 

§6.  Fischerei,») 

Durch  das  Salz  gelang  es  den  unermefslichen  Segen,  welchen  das 
Meer  zum  Unterhalt  des  Menschen  darbietet,  nutzbar  zu  machen.  Die 
Faulnifs  abwehrende  Eigenschaft  desselben  gewahrte  das  Mittel  um 
den  Ueberschufs  des  Fangs  für  knappe  Zeiten  aufzusparen ,  zu  ver- 
schicken und  dabei  zugleich  schmackhaft  zu  erhalten ,  was  alles  durch 
blofses  Dörren  nur  unvollkommen  erreicht  wird.  Die  Alten  haben  denn 
auch  die  Kunst  des  Pükelns  zur  höchsten  Virtuosität  gesteigert.  Das 
Hittelmeer  läfst  unsere  nordischen  Gewässer  was  den  Reichtum  seiner 
Fauna  betrifft,  weit  hinter  sich.  Man  rechnet  444  Arten  Fische  (Ost- 
see nur  100)  und  850  Arten  Weichthiere.  Wer  zum  ersten  Mal  einen 
italienischen  Fischmarkt  besucht,  wird  von  der  Mannichfaltigkeit  der 
Seekrebse  -Schnecken  -igeln  -spinnen  -muschehi  -viünner  -nesseln, 
der  Aktinien  und  Polypen  und  all  jenes  unter  dem  charakteristischen 
Namen  frutti  di  mare  zusammengefafsten  Gethicrs,  für  dessen  Benen- 
noog  die  deutsche  Sprache  versagt,  einen  Überraschenden  Eindruck 
mitnehmen.  Freilich  haben  die  Tiefseeuntersuchungen  gezeigt,  dafs 
all  dies  Leben  wesentlich  auf  die  oberen  Regionen  des  Meeres  be- 
schränkt ist.  Für  grofse  Tiefen  stellte  sich  mit  dem  Ocean  verglichen 
eine  wahre  Armut  an  Arten  heraus.  Der  Grund  dieser  Erscheinung 
ward  in  der  Masse  organischer  Ueberreste  gesucht,  die  von  den  Flüssen 


1)  An  beiden  FluTsafern,  während  die  alte  von  den  Vejentem  umstrittene 
am  nördlichen  Ufer  lag  Dion.Hal.n  55  11141  Liv.V45  VU  17.  19;  König  An- 
cos  mag  eine  zweite  am  südlichen  hinzugefügt  haben  Liv.  I  33  Plin.  XXXI  89. 

2)  Go1um.X  135  GIL.IY128.  1611. 

3)  Plin.  XXXI  73.  84-86. 

4)  It.  Ant  p.  314  Wess.  tab.  Peut 

5)  Gaaaiod.  Var.  XU  24. 

6)  Plin.  XXXI  73.  79.  85. 

7)  Nach  der  Inschrift  Rhein.  Mus.  XX  (1865)  p.3fg. 

8)  M.  ländemanii,  die  Seefischereien  in  den  J.  1869—  78,  Gotha  1880,  Er- 
(^anngsheft  N.  60  m  Petermann's  Mittheilungen^ 


110  Kap.  n.  Das  Meer. 

abgelagert  den  im  Wasser  enthalteneo  Sauerstoff  verzehrt  und  dafür 
den  Thieren  schädlichen  Kohlenstoff  ausgeschieden  haben.  Auf  die 
Hasse  organischer  Uebcrreste  hat  man ,  nebenbei  bemerict,  die  bhue 
Färbung  zurückführen  wollen ,  durch  welche  das  M ittehneer  sich  Ton 
dem  dunkleren  Ocean  unterscheidet.  Wie  dem  auch  sei,  so  erscheint 
das  Leben  der  höheren  Regionen  erstaunlich  reich,  und  zwar  stammt 
die  Mehrzahl  der  Arten  aus  dem  atlantischen  Ocean.  Nur  eine  geringe 
Minderzahl  erinnert  an  den  früheren  Zusammenhang  des  mittelländi- 
schen mit  dem  Roten  Meer  und  seine  noch  weiter  zurückliegende  Er- 
streckung nach  Asien  hinein.  Da  das  Mittekneer  in  zoologischer  Be- 
ziehung keine  selbständige  Provinz  sondern  nur  einen  Bezirk  des 
Oceans  darstellt,  so  nimmt  die  Zahl  der  Arten  und  die  GrOfse  der  In- 
dividuen ab,  je  weiter  die  Entfernung  von  dem  alten  Eingangsthor  bei 
Gibraltar  ist.  Durch  dies  Thor  dringen  noch  immer  eine  Anzahl  von 
Seethieren  ein,  welche  die  mittelländischen  Gewässer  nur  als  Gäste 
heimsuchen.  So  der  gef^durliche  Hai,  der  eine  Länge  von  8  m  erreicht 
und  ab  und  zu  durch  sein  Auftreten  Schrecken  unter  der  Küstenbevöl- 
kerung verbreitet  1);  seltener  die  grofsen  30  m  und  mehr  messendeo 
Cetaceen,  der  Wall-  und  Pottfisch  sowie  der  unbeimUche  Nordkaper 
(arca).  Obwol  die  fortschreitende  Ausrottung  dieser  Meeresriesen  die 
Annahme  begünstigt,  dafs  sie  im  Altertum  häufiger  vorkamen  als  gegen- 
wärtig, so  haben  sie  doch  auch  damals  nicht  zu  den  gewohnlichen  Er- 
scheinungen gebort  2) 

Dagegen  ein  regelmälsiger  gern  gesehener  Besucher  war  und  ist 
der  Thunfisch  (seomber  tki^nus  £.).  In  Schwärmen  rückt  dieser 
ausgezeichnete  Schwimmer  im  Frühling  aus  dem  Ocean  ein,  dringt  bis 
in  das  Schwarze  Meer  vor,  wo  er  laicht,  und  kehrt  im  Herbst  wieder 
zurück.  Die  Fischer  behaupten ,  dafs  er  in  drei  getrennten  nach  den 
Altersclassen  geordneten  Haufen  zieht,  und  dafs  der  mittlere,  welcher 
seinen  Weg  durch  das  tyrrhenische  Meer  nimmt,  aus  den  stärksten  und 
schwersten  Exemplaren  (2 — 5  m  und  darüber  lang)  zusammengesetzt 
ist.  Ihre  Menge  spottet  jeder  Zählung,  Delphine  und  Schwertfische 
lichten  die  gedrängten  Reihen ,  viele  Tausende  werden  des  Menschen 
Beute  —  das  nächste  Jahr  wiederholen  sich  die  Züge,  ohne  dals  bis 
in  die  Neuzeit  hinab  eine  sichtliche  Abnahme  eingetreten  wäre.  Die 


1)  NeuerdiDgs  seit  der  EröffDuig  des  Suesctnals  soll  der  Hai  ans  dm 
Indischen  Ocean  einwandern  nnd  sich  mit  reiraender  Schnelligkeit  Tennehren. 

2)  Plin.IX  12  fg.  wo  der  Kampf  mit  einer  Orea  bei  Ostia  beschrieben  wird. 


§  6.  FSscherei.  111 

berühmteste  Fangstelle  des  Altertums  war  bei  Byzanz ,  doch  auch  auf 
den  Vorgebirgen  Italiens  waren  eigene  Warten  errichtet  um  die  An- 
kunft des  begehrten  Fremdlings  rechtzeitig  zu  erspähen.  ^)  Die  Heerde 
wird  in  einen  weiten  durch  Netze  abgesperrten  Raum  gelockt,  der  ein 
seitliches  Ausweichen  verwehrt  und  sich  allmälich  verengt ,  bis  sie 
schliefslich  in  der  sog.  Todtenkammer  anlangt  und  einer  allgemeinen 
Metzelei  zum  Opfer  filllt  Gegenwärtig  sind  im  Ganzen  48  Tonnaren 
in  Italien  in  Betrieb.  Die  Familie  der  Makrelen  (icomber) ,  zu  welcher 
der  Thunfisch  gehört,  ist  in  zahhreichen  Arten  vertreten.  Dasselbe  gilt 
von  den  Dorschen  (gadus)  den  Lippfischen  (labrus)  den  Barschen  (per- 
ca)  den  Rochen  (rata)  den  Butten  (pleuronectes)  den  Meeräschen  (mu- 
gS)  den  Barben  {eyprinfu)  den  Heringen  {dupea),  zu  denen  die  be- 
kannte Sardelle  zählt,  u.  a.  In  der  Meerenge  von  Messina  wird  der 
Schwertfisch  (onpAtas  gladius)  noch  immer  von  kleinen  Böten  harpunirt, 
die  ein  Mann  rudert,  während  der  andere  das  Eisen  schleudert:  gerade 
so  wie  es  Polybios  beschrieben  hat.  Er  wird  oft  gröfser  als  ein  Delphin 
und  8oU,  was  ganz  glaubhaft  klingt,  mit  seinem  Schnabel  Schiffsplan- 
ken durchbohrt  haben.^)  Von  der  allgemeinen  Verfolgung,  welche 
der  Mensch  ins  Werk  gesetzt  hat,  ward  einzig  und  allein  der  zulelzt 
erwähnte  Meerbewohner  ausgenommen.  Von  der  Klugheit  und  Zu- 
traulichkeit des  Delphins  wissen  die  Alten  viele  wunderbare  und 
TQhrende  Geschichten  zu  erzählen.  3)  Kein  Seethier  hat  in  gleichem 
Mabe  ihre  künstlerische  Phantasie  beschäftigt  und  wer  je  das  Mittel- 
meer befahren ,  wird  den  Anreiz  ihnen  nachempfinden  können.  Ein 
Trupp  dieser  munteren  Gesellen  giebt  dem  Schiff  oft  stundenlang  das 
Geleit:  wie  sie  pfeilschnell  vorbeischiefsen,  sich  überschlagen,  in  die 
Luft  springen,  verkürzen  sie  dem  Schiffer  die  Eintönigkeit  des  Weges 
und  scheuchen  durch  ihr  lebensvolles  Spiel  das  beengende  Gefühl  der 
Verlassenheit  fort.  Die  alte  Freundschaft  dauert  bis  auf  die  Gegenwart 
hinab :  so  wenig  der  deutsche  Bauer  am  Storch,  vergreift  sich  der  ita- 
lienische Seemann  am  Delphin.^) 

Der  Fischreichtum  des  Hittelmeers  hat  an  der  Ernährung  der 
umwohnenden  Völker  den  wesentlichsten  Antheil.   Ja  man  dürfte  sich 


1)  StraboV  223.  225;  über  den  Fang  Philostr.  imag.  I  12.  13  vgl.PIin.IX 
44. 47  fg.  Pol.  XXXIV  2  Hör.  Sat.  II 5, 44  Luc.  Tim.  22. 

2)  Piin.  IX  54  XXXD  15  Pol.  XXXIV  3  (=  Strab.  1 24). 

3)  PJm.IX24fg. 

4)  PUd.  a.  0.  24  hominem  non  expavescii  ut  aUenum,  obviam  navigiü 
venit,  adhtdit  exiuUafu,  eerUtt  etiam  et  quamvU  plena  praeterit  vela» 


112  Ktp.  IL  Di8  Meer 

sogar  yersucht  fahlen ,  die  unserem  Binnenland  zur  Bezeichnung  der 
notwendigsten  Lebensbedürfnisse  geläuflge  Redewendung  Fleisch  und 
Brot  far  den  Sttden  umzukehren  in  Fisch  und  Brot.  >)  Die  Erträge  der 
eigenen  Meere  reichen  entfernt  nicht  aus,  und  z.  B.  das  heutige  Italien 
fQhrt  alljährlich  für  ca.  20  Millionen  Franken  Fische  ein.  Dem  war 
nicht  immer  so :  im  frühen  Altertum  scheint  die  Fleischnahrung  bei 
den  Italikern  weitaus  überwogen  zu  haben  und  erst  mit  der  fort- 
schreitenden Cultur  zurückgedrängt  zu  sein.  Aehnlich  ging  es  in  Hel- 
las: die  homerischen  Helden  verstehen  sich  nur  im  Drang  der  Not  dazu 
Fische  und  Vögel  anzurühren.  Natürlicher  Weise  ist  der  Consum  am 
stärksten  an  der  See  selbst  und  deshalb  sind  auch  die  Griechen  frühere 
und  stärkere  Fischesser  gewesen  als  die  Italiker.  Was  Rom  betrifft, 
so  war  diese  Speise  schwerlich  jemals  unbekannt  2)  und  sind  Fleisch- 
und  Fischmarkt  schliefslich  synonyme  Worte  geworden.  Immerhin 
haben  die  Griechen  durch  Einsalzen  und  Einkochen  eine  Verwertung 
des  Fanges  im  grofsen  Stil  und  über  weite  Gebiete  ermöglicht;  sie 
haben  damit  einen  billigen  Unterhalt  für  die  Massen  der  Arbeiterbe- 
Tölkerung  recht  eigentlich  erschlossen.  Ihre  Industrie  wie  die  Namen 
der  Hauptproducte  wurden  nach  Italien  und  dem  Westen  übertragen. 
Dahin  gehören  die  verschiedenen  Gattungen  des  Ta^ixog,  ganz  oder 
halb  gesalzener,  auch  wol  getrockneter  Fisch,  ferner  garum  muria  und 
aUex  d.h.  eingekochte  Saucen  oder  Fischextracte.  Dieselben  um- 
fassen sowol  die  feinsten  Delicatessen,  für  welche  fabelhafte  Preise  ge- 
zahlt wurden ,  als  die  gewöhnlichen  Sorten ,  die  man  den  Sklaven  gab 
ihren  Brei  zu  würzen. s)  Im  Laufe  des  Mittelalters  ist  das  partim  aufser 
Gebrauch  gekommen :  es  heifst  schwerlich  zu  viel  behaupten ,  wenn 
ihm  für  die  antike  Küche  der  Kaiserzeit  die  nämUche  Bedeutung  bei- 
gelegt wird,  die  gegenwärtig  in  Deutschland  dem  Fleischextract  zu- 
kommt. Dagegen  ward  die  griechische  Kunst  des  Marinirens  nach  dem 
Norden  verpflanzt  und  hat  den  Segen  unserer  Meere  ausbeuten  lehren. 
Freilich  ist  es  damit  ebenso  langsam  gegangen  wie  im  Altertum.  Die 
italischen  Fabrikate  haben  nur  mühsam  einen  Weltruf  erringen  kön- 
nen :  im  ersten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  das  partim  von  Pom- 
peji und  die  muria  von  Thurii,  im  zweiten  der  gepökelte  Fisch  von 

1)  Die  Zokost  zum  Brot  S^fOV  ohamium  erhSU  die  specielle  Bedeatuflgf 
Fisch  Athen.  Vn  276  e. 

2)  Pilo.  XXXII 20  pUeii  marinoi  in  u$u  ftiiue  protintu  a  eondita  Roma 
aueUr  €st  Casrius  ffemina, 

3)  Gato  RR.  58;  vgl.  Marquardt,  Privatleben  der  Römer  n  p.  420fg. 


S  0.   Fificherei.  113 

Sardioien.i)  Auch  treten  Fischerzttnfte  weit  weniger  in  den  Inschrif- 
ten der  Kaiserzeit  hervor,  als  man  zu  erwarten  geneigt  wäre. ^)  Die 
erhaltenen  Nachrichten  beziehen  sich  leider  ausschliefslich  auf  den 
mafslosen  Tafelluxus,  in  dem  die  römischen  Grofsen  sich  gefielen, 
und  die  Prahlerei,  mit  der  sie  Tausende  von  Sesterzen  für  einen  Dorsch 
{gadus  asellus)  Meeraal  {muraena  Helena)  Lippfisch  (lahrus  scarus)  Meer- 
barbe {muüus  apogon)  Steinbutte  (pleuronectes  maximus)  oder  was  sonst 
eben  Mode  war ,  wegwarfen.  Gröfsere  Beachtung  verdient  die  That- 
sache  dafs  sie  auch  künstlich  Meerfische  zu  züchten  wufsten^):  ein 
rühmliches  Zeugnifs  für  die  Virtuosität  antiker  Thierzüchtung,  dem 
wir  nichts  Aehnliches  aus  der  Neuzeit  an  die  Seite  zu  stellen  wissen. 
Unter  den  zahllosen  Muscheln,  die  auf  den  Tisch  gebracht  wurden, 
behauptete  die  Auster  verdienter  Mafsen  den  Vorrang.  Die  besten 
BSnke  Italiens  fanden  sich  im  Lucriner  See  und  bei  Brundisium:  die 
Anlage  des  ersten  künstlichen  Austernparks  ist  um  den  Anfang  des 
letzten  Jahrhunderts  v.Chr.  erfolgt.^)  Auch  Hummer  Krabben  Polypen 
Seeigel  und  alle  jene  Meeresfrüchte,  deren  S.  109  gedacht  wurde,  sind 
durchweg  von  den  Alten  ebenso  geschätzt  worden  wie  von  ihren  Nach- 
fahren. Endlich  war  ein  Erwerbszweig,  der  heutigen  Tages  Tausende 
von  Bänden  beschäftigt  und  dessen  Jahresumsatz  auf  16  Millionen 
Franken  geschätzt  wird^  die  Fischerei  und  Bearbeitung  der  Edelcoralle 
dem  Altertum  nicht  unbekannt,  scheint  jedoch  zu  keiner  hervorragen- 
den Bedeutung  gelangt  zu  sein.^)  Umgekehrt  hat  die  Gewinnung  des 
Purpurs  aufgehört,  welche  ehemals  zu  den  einträglichsten  Industrien 
zählte.  <^)  Aus  der  Purpur-  und  Trompetenschnecke  (jene  heilst  TtaQ- 
(piguy  Purpura  y  pelagia^  diese  xij^t;^,  bucinum,  muresD)  wurde  durch 
Zerstampfen  Abkochen  Mischen  eine  Fülle  von  Farbenuancen  erzielt, 
die  unter  dem  Gesanuntnamen  Purpur  das  ganze  Altertum  hindurch 
hoch  geschätzt  zur  Herstellung  von  Prachtgewändern  dienten.  Die 
Huscheln  wurden  zuerst  an  der  phoenizlschen  Küste,  später  an  vielen 
Orten  z.B.  in  den  Golfen  von  Tarent  und  Baiae  gefischt:  in  Tarent  be- 
stand zu  Anfang  des  5.  Jahrhunderts  n.  Chr.  eine  kaiserliche  Färberei.'') 

1)  Plin.  XXXI 94  OalenVI  p.  728  Kftkn.   CIL.  IV  2574fg. 

2)  Piseieapi  in  Povip^i  CIL.  IV  826;  ein  CoUc«ium  in  Oatia  WUm.  1727. 
1737;  in  Pedum  aL.Y  7850. 

3)  Plin.  IX  170  Varro  RR.  III 17. 

4)  Plin.  IX  168  XXXn  61  fg.  Strab.  V  245  Hör.  Epod.  2, 49. 

ft)  Plin.  XXXn  2t  fg.       6)  Marquardt,  Privatleben  II  p.  49 1  fg. 
7)  Baiae  Hör.  Sat.  II  4,  32;  Tarent  Plin.  IX  137  Cod.  Theod.  X  20  Not. 
Dign.49*. 

H iBa«n,  lUL  Lu^Mkuide.  I.  8 


114  Kap.  IL  Das  Meer. 

S7.  Die  SeevOlker. 

Die  Vorgebirge  Italiens  und  seiner  Inseln  sind  mit  malerischen 
Wartthürmen  gekrönt,  welche  zur  Zeit  Carls  V  zum  Schutz  gegen  die 
Barbaresken  in  zahlloser  Menge  erbaut  wurden.  In  vielen  Kirchen 
hängen  die  Ketten,  welche  befreite  Christensklaven  zum  Andenken 
hierher  gestiftet  haben.  Noch  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  waren 
die  neapolitanischen  Gestade  von  Plünderung  und  Menschenraub  be- 
droht. Derart  wird  unser  raschlebiges  Geschlecht  an  die  bedeutungs- 
volle Thatsache  erinnert,  dafs  die  See  weit  länger  friedlos  geblieben 
ist  als  das  feste  Land.  Während  seit  Alters  mächtige  Hebel  thätig  sind 
um  die  Fehde  zwischen  den  einzelnen  Gemeinden,  zwischen  dem  ein- 
zelnen Stamm  und  dessen  Nachbarn  zu  beschränken,  hOrt  nach  ältester 
Anschauung  auf  dem  Meer  die  sittliche  Verpflichtung  gegen  den  Lands- 
mann und  Mitmenschen  auf.  Alle  Küsten  -  und  Inselbewohner  sind 
von  Hause  aus  dem  Seeraub  ergeben  0:  in  der  Unsicherheit  des  Meeres, 
welche  die  meisten  Jahrhunderte  antiker  Geschichte  kennzeichnet ,  ist 
ein  Hauptgrund  für  die  langsame  Verbreitung  der  Cultur  zu  suchen. 
Immerhin  zeigt  uns  die  Piraterie  die  Volker  bereits  auf  einer  vor- 
gerückten Bildungsstufe:  es  mufs  unbestimmbare  Zeiträume  gedauert 
haben,  bevor  sie  überhaupt  die  Kenntnifs  erlernten  und  den  Mut  fafsten 
sich  denWogen  des  fremden  Elements  anzuvertrauen.  Die  Fischerei 
bat  den  Menschen  hinaus  gelockt:  von  ihr  trägt  Sidon  die  älteste  uns 
bekannte  Seestadt  den  Namen,  dasselbe  Wort  bezeichnet  im  Griechi- 
schen den  Fischer  und  den  Seemann.  Wie  sich  aus  der  Fischerei  die 
eigentliche  Schiffahrt  entwickelt,  wird  zum  guten  Theil  von  der  räum- 
lichen Gestaltung  des  Landes  abhängen.  Die  Entwicklung  wird  durch 
Steilküsten  begünstigt,  welche  mit  ihrem  beschränkten  Gebiet  die  an- 
wachsende Bevölkenmg  nur  ungenügend  ernähren  können,  daher 
zwingen  den  Unterhalt  aus  der  See  zu  holen.  Die  Schiffahrt  nimmt 
einen  höheren  Aufschwung,  wenn  dem  Fischer  in  kenntlicher  Ferne 
Inseln  winken  und  seinem  wagenden  Sinn  ein  erreichbares  Ziel  vor- 
halten. Beide  Bedingungen  waren  den  Phoeniziern  und  Hellenen  im 
reichsten  Mafse  geboten  und  haben  die  frühe  Blüte  ihrer  Schiffahrt 
gezeitigt;  anderen  Völkern  des  Mittehneers  waren  sie  versagt.  Im  Gan- 
zen genommen  gehört  Italien  trotz  seiner  bedeutenden  Küstenlänge 
(3325  km)  nicht  zu  den  durch  Küstenbildung  ausgezeichneten  Ländern; 


1)  Thiicyd.l6  Hoin.0d.m7i  Pol.  08, 8. 


§  7.  Die  Se«völker.  116 

wol  aber  sind  einzelne  Theile  in  dieser  Hinsicht  yor  den  übrigen  be- 
Torzugt.  Und  zwar  steht  die  gesammte  Ost-  sowie  die  Mitte  der  West- 
küste hinter  dem  Süden  und  Nordwesten  zurück.  Am  ligurischen 
Busen  ziehen  mit  steilem  Abfall  Alpen  und  Appennin  hin,  einen 
schmalen  Saum  Landes  einschliefsend,  der  treffliche  Häfen  aufweist 
und  dem  die  grofse  Insel  Corsica  Torgelagert  ist.  Der  Busen  ist  arm 
an  Fischen ,  weil  die  zur  Ernährung  derselben  erforderlichen  Algen 
und  niederen  Gründe  fehlen  ^) :  dadurch  wurden  die  Fischer  zu  weiten 
Fahrten  nach  ergiebigeren  Gegenden  gezwungen.  Seit  dem  Mittelalter 
hat  die  maritime  Blüte  Italiens  hier  ihren  Hauptsitz  aufgeschlagen;  in- 
dessen deutet  auch  die  frühe  Kunde  der  Hellenen  von  diesem  Volk 
(S.  5)  darauf  hin,  dafs  es  schon  zeitig  auf  dem  Meer  angetroffen  wurde. 
Noch  günstiger  lagen  die  Verhältnisse  für  das  mittlere  Etrurien, 
insofern  dasselbe  Ueberflufs  an  Metallen,  dem  wichtigsten  Material  für 
den  Schiffsbau  hatte,  dabei  dem  Weltverkehr  näher  gerückt  und  zugleich 
Ton  Inseln  eingefafst  war.  Diese  Umstände  haben  wesentlich  dazu  bei- 
getragen den  Etruskern  den  Ruhm  des  eigentlichen  Seevolks  unter 
den  Bewohnern  der  Halbinsel  zu  verschaffen.  Vom  M.  Argentarius  ab 
folgt  die  insel-  und  hafenlose  Küste  der  latinischen  Ebene,  die  von 
dem  grOfsten  Flufs  des  Landes  durchströmt,  in  der  Mitte  desselben  be- 
legen ,  von  Natur  zu  einem  Brennpunct  des  Verkehrs  und  der  Politik 
bestimmt  war,  aber  niemals  bis  auf  den  heutigen  Tag  herab  ein  ur- 
wüchsiges Seeleben  zu  erzeugen  vermocht  hat.  Solches  entfaltet  sich 
wieder,  wo  die  pontinischen  und  neapolitanischen  Inseln  vor  den  Ge- 
staden der  Volsker  und  Campaner  ausgebreitet  erscheinen.  Auf  den 
gesammten  Süden  vom  Golf  von  Neapel  bis  nach  der  apulischen  Halb- 
insel hin  übte  SicDien  eine  starke  Anziehung  aus.  Die  Inselgruppen 
vor  Sicilien,  die  aegatischc  im  Westen,  die  aeolische  im  Norden,  die 
maltesische  im  Süden  trugen  zur  Hebung  der  Schiffahrt  bei.  Auch 
über  den  loniossund,  wo  bei  hellem  Wetter  die  akrokeraunischen  Berge 
sichtbar  sind,  mufste  ein  frühzeitiger  Verkehr  sich  anspinnen,  für  den 
es  nicht  an  sicheren  Belegen  fehlt.  Dagegen  ward  derselbe  auf  der 
Adria  ungemein  erschwert:  die  italische  Küste  trat  ganz  zurück,  nur 
unter  den  Klippen  Dalmatiens  bildeten  sich  in  ursprünglicher  Wildheit 
Seeleute  aus,  die  ihre  alterprobte  Tüchtigkeit  noch  in  der  jüngsten 
Gegenwart  glänzend  bewährt  haben.  Die  Thatsache  wird  durch  die 
S.  93  gegebene  Beschreibung  hinlänglich  erläutert. 

1)  mare  senza  pesce  helfst  es  in   einem  bekannten  toscanischen  Sprieh- 
wort  von  Genna. 


116  Kap.  IL  Das  Meer. 

Die  Anfange  der  Schiffahrt  verlieren  sich  in  der  Urzeit. 
Die  aegyptiscben  Denkmäler  haben  uns  belehrt  dafs  sie  ihren  ersten 
Aufschwung  auf  dem  Roten  Heer  genommen  und  von  der  arabischen 
an  die  syrische  Kttste  durch  die  wandernden  Pirna  oder  Phoenizier, 
wie  wir  nach  der  griechischen  Namensform  zu  sagen  pflegen,  verpflanzt 
worden  ist.^)  Die  nllmlichen  QueUen  aeigen  uifö  das  südliche  Europa 
in  der  letzten  Hallte  des  zweiten  Jahrtausends  v.  Chr.  von  Bewegungen 
ergriiTen ,  denjenigen  vergleichbar,  welche  während  des  germanischen 
Hittelalters  von  dem  Norden  unseres  Erdtheils  ausgegangen  sind.  Wie  ^ 
die  Wikinger  aus  Nordland  auf  ihren  denden  offenen  Fahrzeugen  durch 
den  stürmischen  Ocean  gesegelt  um  die  civilisirten  Küsten  zu  brand- 
schatzen, wie  sie  bis  America  gedrungen  sind  lange  Jahrhunderte,  be- 
vor Columbus  diesen  Continent  entdeckte,  wie  sie  in  Gallien  eine  glanz- 
volle Herrschaft  gegründet,  so  haben  die  Stämme  „aus  den  Ländern 
vom  Nordmeer'^  nach  der  Bezeichnung  des  aegyptiscben  Textes  sich 
an  den  Angriffen  betheiligt,  welche  zu  Ausgang  des  14.  Jahrhundertii 
von  den  umwohnenden  Barbaren  gegen  das  alternde  Pharaonenreich 
gerichtet  wurden.  Unter  den  Hülfstruppen,  welche  die  Libyer  gegen 
Henephta  (1326--1306)  ins  Feld  führen,  begegnen  Schardana,  Scka- 
kabcha,  Tuncha,  Akahuacha,  durch  den  Zusatz  „aus  den  Ländern  vom 
Nordmeer'^  ak  Fremde,  als  Europäer  oder  Asiaten  charakterisirt  und 
von  der  Hehrzahl  der  Aegyptologen  mit  Recht  als  Sardi,  SicuU,  Tund 
(as  7«act,  £cniscf),  Aehaei  gedeutet^)    Unter  dem  Voi^gänger  dieses 


1)  Joh.  Dflmichen,  die  Flotte  einer  aegyptiscben  Königin  ans  den  17.  Jahr- 
hundert T.  Chr.,  Leipzig  1868. 

2)  Dumichen,  historische.  Inschriften II — 6;  Vic.  de  Roog^,  revue  archeoL 
1867;  Ghabas,  Müdes  snr  rantiquit^  historique,  Paris  1873,  p.  190  fg.  n.A. 
Den  Widersprach  von  Brugsch,  Gesch.  Aeg.  577  and  sonst,  halte  ich  fdr  sach- 
lieh  nnbegrfindet,  wie  denn  die  eigenen  Dentangen  dieses  Gelehrten  geraden 
«nanoehmbar  erscheinen.  Max  Doncker  ist  der  Negation  von  Bmgsch  gefolgt 
and  hat  Gesch.  d.  Altert.  I' 152  V27  «die  xaversichtliche  Hofinung"  aasgespro- 
chen, dafs  die  beschnittenen  Akaiwascha  Turscha  and  Sakalscha  aus  der  das- 
sischen  Urgeschichte  wieder  Terschwinden  möchten.  Leider  hat  Dnncker  ver- 
absäumt sich  darüber  zu  anterrichten ,  auf  welche  Gründe  hin  Brugsch  diese 
Völker  als  beschnitten  dargestellt  sein  lllst.  Bfimichen  belehrt  mich  an  dff 
Hapd  der  aegyptiscben  Texte  dafo  auch  nicht  der  Schatten  eines  Grundes  Ar 
diese  Behauptung  erbracht  worden  sei:  im  Abschneiden  der  Phalli  und  Hände 
getodteter  Feinde  haben  nach  den  Beobachtung^en  Dümichens  die  Aegypter  keine 
Gonsequenz  erstrebt,  sondern  demselben  Volk  gegenüber  bald  das  eine,  bald 
das  andere  Glied  als  Trophäe  mitgenommen,  TermutUch  je  nachdem  «e  die 
Tapferkeit  der  Erschlagenen  anerkennen  wollten  oder  nicht    Wenn  aber  di« 


§7.  Die  SeeTölker.  117 

Königs,  Ramses  U  erscheint  ein  sardisches  Soldnerccnrps  in  aegyp- 
tischen  Diensten.  Von  Seiten  der  griechisch-römischen  Geschichts- 
forschung wird  kein  Einspruch  gegen  diese  Deutungen  erhoben  wer- 
den ,  sobald  die  offenkundige  Thatsache  beheraigt  wird ,  dafs  die  zu- 
sammenhangende historische  Ueberlieferung  uns  nur  den  AbscMuTs 
des  Altertums  flbersehen  tafet.  Die  lange  Periode  des  Werdens,  das 
heUenische  und  italische  Mittelalter  entzieht  sich  unseren  Blicken,  weil 
es  aus  der  Tradition  verschollen  ist.  Aber  dafs  es  ein  solches  gegeben, 
dafs  die  Vorfahren  der  Hellenen  und  Römer  nicht  als  friedliche  Hirten 
ohne  Kenntnifs  von  Waffen  und  Krieg  gelebt  haben,  wie  die  sentimen- 
tale Betrachtungsweise  oft  gemeint  hat,  braucht  kaum  hervorgehoben 
zu  werden.  Uebrigens  berichtet  die  alte  Sage  selbst  von  grofsen  See- 
zOgen ,  zu  denen  die  Helden  der  verschiedenen  heOeniscben  Stamme 
sich  vereinigen,  Iflfst  die  bekannte  lydische  Sage,  welche  Herodot  rait- 
theih,  die  Etrusker  zu  Schiff  von  Asien  nach  Italien  auswandern.  Und 
wenn  die  Inschrift  König  Menephta's  Freibeuter  und  Abenteurer  euro- 
päischer Herkunft  über  das  Meer  fahren  lä&t  um  die  Schatze  des 
Niltbals  zu  piflndern,  so  enthüllt  sie  den  realen  Hintergrund,  welcher 
von  den  Dichtem  der  Heldensage  ausgeschmflckt  und  umgestaltet  wor- 
den ist. 

Gleich  den  formlosen  Gestalten  des  Chaos  haben  die  Schaaren, 
ivekhe  die  Küste  aus  ihrer  flberschiefsenden  Kraftfülle  hinaus  schickte, 
in  frühsten  Tagen  die  Mittellandsee  mit  ihrem  Treiben  erfÜllL  Die 
Cnltur  übernimmt  es  sie  zu  verscheuchen:  unter  rielen  Wechself^llen 
zieht  sich  der  Kampf  der  Seemachte  gegen  die  Piraterie  durch  die  Ge- 
schichte des  Altertums  hin.  Der  Ruhm ,  die  tbalassische  Weltepoche 
eröffnet,  die  erste  Seeherrschaft  gegründet,  die  gröfsten  Entdeckungen 
gemacht,  die  Culturkeime  am  weitesten  verbreitet  zu  haben  gebührt 
den  Phoeniziern.i)  Ohne Uebertreibung  kann  man  das  Mittelmeer 
in  der  ersten  Periode  seiner  Geschichte  etwa  von  1100 — 700  v.  Chr. 
einen  phoenizischen  Binnensee  nennen.  An  den  Abhangen  des  Libanon 
fanden  die  Ansiedler  eine  einzige  Gelegenheit  die  in  der  Heimat  auf 
dem  Roten  Heer  erlernten  Fertigkeiten  zu  üben  und  auszubilden.  Die 
geographische  Lage  zwischen  den  grofsen  Culturreichen  am  Nil  und 

Argoment  fortfallt,  so  wird  den  an  die  classischen  Philologen  gerichteten  War- 
nnngcn  Jegtieher  Boden  entzogen. 

1)  Mela  1 65  ioihrt  hawänum  gemu  et  ad  beUipaeUfue  munia  mcimium: 
Utteroi  et  litterarum  cpera*  aUa»^ue  eOam  artet,  maria  navibus  adire,  elaste 
eonftigere^  inperitare  gentibus,  regnum  jtroeUumque  eommenti. 


118  Kap.  n.   Das  Meer. 

Euphrat  bestimmte  sie  dazu  den  Verkehr  beider  zu  vermittelD.i)  Handel 
wurde  der  Lebensnerv  dieses  Volkes,  sein  Name  erhielt  im  Hunde  der 
Alten,  der  Hebraeer  wie  der  Hellenen  und  Römer  die  Bedeutung  Rauf- 
mann. Früh  bat  es  begonnen  die  Erzeugnisse  der  Barbarenländer  sich 
anzueignen.  Seine  Schiffe  holen  Getreide  und  Wein  flür  die  volkreichen 
Städte  des  Ostens,  Töchter  für  die  Harems  der  Grofsen,  Wolle  für  die 
Spinnereien,  Muscheln  für  die  Färbereien,  Metalle  für  die  Werkstätten. 
Zur  nachhaltigen  Ausbeutung  des  Westens  haben  die  Phoenizier  in  den 
Gewässern  festen  Fufs  gefafst  und  die  Gestade  des  Hittelmeers  mit  ihren 
Factoreien  bedeckt.  Vor  allem  bedeutsam  war  die  Erschliefsung  der 
spanischen  Bergwerke,  des  Silberlandes  Tarsis.  Es  hat  die  Phoenizier 
in  ähnlicher  Weise  bereichert  wie  in  der  Neuzeit  Peru  die  Spanier  und 
hat  ihnen  die  Mittel  gewährt  das  Silber  zum  Wertmetall  der  antiken 
Cultur  zu  stempeln.  Verschiedene  Schriftsteller  bezeugen,  dafs  der 
Reichtum  der  Phoenizier  und  späterhin  der  Karthager  auf  dem  Mono- 
pol des  Tarsish  an  dels  beruhte.  Die  Fahrt  von  der  syrischen  nach 
der  andalusischen  Küste  erforderte  nach  griechischer  Rechnung  80  Tage: 
es  ist  von  Wichtigkeit  die  Route,  welche  dabei  innegehalten  wurde, 
festzustellen.  Die  Phoenizier  hatten  die  Hellenen  und  Italikern  ange- 
borne  Scheu  das  Land  aus  den  Augen  zu  verlieren  früh  abgestreift, 
fuhren  getrost  in  die  offene  See ,  machten  den  unscheinbaren  Polar- 
stern ausfindig  um  bei  Nacht  die  Weltgegenden  zu  bestimmen,  nahmen 
Tauben  an  Bord  um  aus  der  Richtung  ihres  Fluges  die  Lage  des  Lan- 
des zu  ermitteln.  Von  Kreta  einem  alten  Sitz  ihrer  Herrschaft,  welche 
durch  die  Sage  von  Minos  Ausdruck  gefunden ,  segelten  sie  gerades 
Weges  nach  dem  110  Meilen  entfernten  Malta.  Die  Bedeutung  dieser 
in  der  Mitte  der  Längenausdehnung  des  Meeres  befindlichen  Inselgruppe 
ergiebt  sich  von  selbst.  2)  Die  eine  der  Inseln  Gozzo  trägt  noch  jetzt 
den  Namen  des  yavkog  oder  phoenizischen  Schiffes.  An  der  langge- 
streckten libyschen  Küste  waren  schon  im  zweiten  Jahrtausend  v.  Chr. 
Stützpuncte  besetzt  Desgleichen  wurde  die  Westspitze  Siciliens  sowie 
die  Südhälfte  Sardiniens  ipit  äufserster  Zähigkeit  behauptet  Wenn  man 
eine  Linie  von  der  Grofsen  Syrte  aus,  wo  später  das  Gebiet  der  Helle- 
nen von  Kyrene  an  das  von  Karthago  stiefs,  sich  gezogen  denkt  nach 
Malta,  über  die  Westspitze  Siciliens,  die  Südhälfte  Sardiniens,  die  bale- 

1)  Für  die  folgenden  Ausführungen  ist  die  vortreffliche  Darstellung  von 
Movers,  die  Phoenizier  lU  1,  Berlin  1856,  zu  Grunde  gelegt;  vgl.  0.  Meltzer, 
Geschichte  der  Karthager  I,  Berlin  1S79. 

2)  Klar  charakterisirt  von  DiodorVl2. 


§7.  Die  SeeTölker.  119 

arischen  Inseln  nach  dem  Vorgebirge  der  Diana  in  Spanien ,  so  be- 
schreibt diese  Linie  die  Grenze,  innerhalb  deren  diePhoenizier  während 
der  Blüte  von  Hellas  unumschränkt  geboten  und  ihr  Handelsmonopol 
mit  rücksichtsloser  Strenge  wahrten.  Alle  Versuche  der  Hellenen  die 
Linie  durch  Colonisation  zu  durchbrechen  sind  mit  Leichtigkeit  abge- 
wiesen worden;  bis  zur  Demütigung  Karthago's  blieben  die  bezeich- 
neten Länder  und  Heere  unbekannt;  die  römischen  Waffen  haben  sie 
xuerst  dem  allgemeinen  Verkehr  und  der  Wissenschaft  erschlossen. 
Die  Route  Ton  Gades  über  Malta  nach  Sidon  und  Tyros  ist  die  älteste 
und  wichtigste  Route  des  Weltverkehrs,  von  der  die  UeberKeferung 
meldet  Sie  stellt  zugleich  die  Richtung  dar,  welcher  die  Ausbreitung 
des  phoenizischen  Stammes  folgt.  In  ihrem  Bereich  sammelt  derselbe 
all  seine  Kraft;  je  weiter  davon  entfernt,  desto  schwächer  erscheinen 
die  Spuren  seines  Wirkens.  Vor  Ankunft  der  Hellenen,  berichtet  Thu- 
kydides,  lagen  auf  den  Vorgebirgen  und  Eilanden  im  ganzen  Umkreis 
Ton  Sicilien  Factoreien  der  Phoenizier,  um  mit  den  Eingebomen  Han- 
del zu  treiben.  Dagegen  fehlt  es  für  das  Festland  an  ähnlichen  Zeug- 
nissen ,  lassen  sich  auch  aus  ältester  Zeit  keine  derartigen  Niederlas- 
sungen mit  Sicherheit  nachweisen.  Wenn  bis  auf  die  oceanische  Ent- 
wicklung der  Gegenwart  die  vrichtigste  Frage  der  Weltgeschichte  sich 
darum  gedreht  hat,  ob  Arier  oder  Semiten  auf  dem  Mittelmeer  Herren 
sein  soUten ,  so  mag  wol  bereits  in  grauer  Vorzeit  der  Kampf  auf  der 
tynhenischen  See  entbrannt  und  zu  Gunsten  Jener  entschieden  wor- 
den sein. 

Als  etwa  um  1100  v.  Chr.  die  Führung  der  phoenizischen  Städte 
Ton  Sidon  anf  Tyros  überging,  entfaltete  sich  der  Verkehr  zu  einer 
Grolsartigkeit,  die  im  Altertum  nicht  wieder  erreicht  worden  ist.  Von 
Tyros  heifst  es  bei  Jesaias:  „so  doch  ihre  Kaufleute  Fürsten  sind  und 
ihre  Krämer  die  Herrlichsten  im  Lande^,  bei  Zacharias:  „sie  sammelt 
Silber  wie  Sand  und  Gold  wie  Kot  auf  der  Gassen'^.  Nach  einem  la- 
teinischen Sprichwort  waren  die  Heere  ihr  unterthan.^)  Aber  im  Stillen 
erwuchs  der  Heereskönigin  die  geiUirlichste  Nebenbuhlerschaft.  Wann 
die  hellenische  Nation  begonnen  hat  die  heimischen  Gewässer  von  den 
Fremden  zu  säubern,  ist  nicht  zu  sagen.  Sichere  Beweise  für  deren 
Ansässigkeit  an  Griechenlands  Küsten  sind  in  ziemlicher  Zahl  vorhan- 
den ;  doch  ist  bereits  in  den  homerischen  Liedern  jede  Erinnerung 


1)  Festos  p.  355  Tyria  maria  Carf.IV4,20  Jesaias  23, 8  Zach.  9, 3  Ezech. 
2?,3fg. 


120  Kap.  E  Das  Meer. 

hiervon  ausgelöscht.  Um  1000  v.  Chr.  mOgen  die  ersten  hellenischen 
Heerhaufen  an  den  asiatischen  Gestaden  festen  Fufs  gefafst  haben; 
Aihrhunderte  verfloissen ,  bevor  sie  das  ganze  aegaeische  Meer  in  ihre 
6ev?a]t  gebfacht  hatten.  Nicht  lange  nach  dem  Anfang  der  Olympiaden- 
rechnung wird  ihnen  dies  Gebiet  zu  enge ;  sie  überflflgeln  die  Phoeni- 
zier  durch  Erfindung  der  Triere,  reifsen  die  Macht  in  der  Nordhälfte 
der  Mittellandsee  an  sich,  die  sie  von  den  Pyrenäen  bis  zum  Kaukasus 
mit  ihren  Pflanzstddten  erfüllen.  Die  Bekanntschaft  der  Hellenen 
mit  der  Appenninhalbinsel  reicht  hoher  hinauf:  über  den  loniossund 
war  der  Name  eines  epirotischen  Stammes  hinüber  gedrungen  und 
hatte  Eingang  gefunden ;  mit  diesem  bezeichnen  die  Latiner  ihre  öst- 
lichen Nachbarn  als  Grat  oder  Graeci^  ohne  den  im  achten  Jahrhundert 
aufkommenden  gemeinsamen  Nationalnamen  Hellenen  oder  den  Namen 
eines  historisch  hervortretenden  Stammes  sich  anzueignen,  i)  Viele 
Jahre  muli^  der  Verkehr  zwischen  den  beiden  Ländern  hin  und  her 
gegangen  sein,  bevor  der  Sund  von  Geschwadern  belebt  wurde,  welche 
Auswanderer  aus  allen  Gauen  von  Hellas  an  die  Küsten  der  sikelischen 
und  tyrrhenischen  See  führten.  Leider  fehlt  uns  jeder  Anhalt  um  die 
Zahl  der  Auswanderer  zu  berechnen :  wenn  wir  indessen  annehmen, 
dafs  im  Lauf  der  beiden  nächsten  Jahrhunderte  etwa  eine  halbe  Million 
Hellenen  im  Westen  Wohnsitze  gesucht  und  gefunden ,  so  dürfte  die 
Schätzung  kaum  zu  hoch  gegriffen  sein.  Sie  fuhren  in  geordneten 
Schaaren  heran  mit  Waffengewalt  die  Eingebornen  aus  dem  väterlichen 
Erbe  zu  verdrängen  oder  in  Leibeigenschaft  zu  zwingen ,  die  phoeni- 
zischen  Händler  aus  ihren  Pactoreien  fortzuscheuchen.^)  Die  ersten 
Ansiedlungen  halten  sich  innerhalb  der  Meerespforte ,  welche  aus  den 
sicilischen  in  die  tyrrhenischen  Gewässer  führt,  an  den  Ostküsten  der 
Insel  (Naxos  735  Syrakus  734  Katane  und  Leontinoi  729  Megara  Hy- 
bla^a  728?  Zankle  690?)  und  des  Festlandes  (Rhegion  ca.  730  Sybaris 
721  Kroton  710  Tarent  708  Lokroi  Epizephyrioi  683),  die  das  Gegen- 
gestade zu  Epirus  und  dem  Peloponnes  darstellen.  Das  sicilische  Meer 
ging  seitdem  in  den  Besitz  der  Griechen  über  und  ist  ihnen  bis  auf  die 


1)  Aristot.  Meteor.  I  14,  22  u.  A.  Niese  Herrn.  XII 409  vergifst,  dafs  in  der 
Geschichte  der  NaiDengebung  nichts  gewöhnlicher  vorgekommen  als  eine  Nation 
nach  dem  znn&chst  wohnenden  Stamm  zn  benennen.  Und  wer  möchte  im 
Ernst  glauben,  dafs  zwei  im  selben  Gesichtskreis  liegende  Lander  auf  die  An- 
kunft der  lonier  gewartet  hätten  um  einander  kennen  zu  lernen? 

2)  Sehr  merkwürdig  das  Fortlehen  der  Tradition  bei  den  Sikelero,  Diod. 
XIY  88.    Hauptquelle  fCür  die  Golonisation  Thuk.  VI  2—5. 


t  7.  Die  Seevölker.  121 

römische  Herrschaft  Terblieben.  Auch  die  Stidwestküste  der  Insel  geriet 
nach  der  Gründung  von  Gela  690  Selinunt630  KamariDa599  Akragas 
581  in  ihre  Gev?alt.  Dagegen  trafen  sie  auf  der  tyrrhenischen  See  auf 
einen  Widerstand,  den  sie  nicht  zu  bemeistern  vermochten.  An  der 
Nordküste  Siciliens  liegt  das  648  gegründete  Himera  als  einzige  helle- 
nische Stadt.  Die  Phoenizier,  welche  die  übrigen  Factoreien  ohne 
Kampf  preisgegeben  hatten,  sammelten  ihre  Kraft  in  Sohint  Panormos 
nnd  Motye,  liefsen  sich  allen  Anstrengungen  zum  Trotz  diese  trefflichen 
Ausfallshäfen  niemals  entreifsen.  In  Italien  hatten  die  lonier  in  einer 
frühen  nicht  mehr  bestimmbaren  Periode  am  campanischen  Golf  Kyme, 
von  hier  aus  Dikaearchia  und  Neapel  gegründet.  Als  sodann  die  Ststdte 
am  Tarentiner  Golf  aufblühten ,  haben  dieselben  ihre  Macht  über  die 
Wasserscheide  hinüber  ausgedehnt,  eine  Reihe  von  Pflanzungen  jenseit 
derselben  angelegt  (Poseidonia  Elea  Pyxous  Laos  Temese  Terina  Hip- 
ponion).  Dergestalt  haben  die  Hellenen  am  östlichen  Winkel  des  tyr- 
rhenischen Meeres  sowie  auf  der  hier  befindlichen  nach  Aeolos  benann- 
ten  Inselgruppe  sich  eingenistet.  Doch  wohnten  die  Ansiedler  sämmtlich 
auf  einem  hart  gefshrdeten  Anfsenposten,  dem  Gesichtskreis  des  Mutter- 
landes noch  weiter  entrückt,  als  mit  ihren  Brüdern  am  Pontos  Euxinos 
der  Fall  war.  Allerdings  hatte  es  geraume  Zeit  hindurch  geschienen, 
als  ob  das  ganze  westliche  Meeresbecken  unter  die  Botmäfsigkeit  der 
Griechen  fallen  sollte.  Um  600  ward  Massalia  von  den  Phokäern  er- 
baut, bemächtigte  sich  der  anliegenden  Küsten  und  wnfste  sie  für  alle 
Folge  zu  behaupten.  Um  537  stiftete  ein  Schwärm  eben  dieses  kühnen 
Seevolks  ein  Gemeinwesen  zu  Alalia  auf  Corsica ,  das  Stammland  der 
Etnisker  aus  unmittelbarer  Nähe  bedrohend.  Aber  nach  einer  mOr* 
derischen  Seeschlacht,  die  gegen  die  verbündeten  Karthager  und  Etnis- 
ker verloren  ward,  müssen  die  Ansiedler  die  Insel  532  räumen.  Die 
Schlacht  bezeichnet  einen  Wendepunct  in  der  Geschichte  des  West- 
meers :  zwei  Jahrhunderte  hindurch  waren  die  Hellenen  in  fortwähren- 
der Ausbreitung  begriffen  gewesen ,  auf  die  Flut  folgt  Ebbe ,  in  lang- 
wierigen erbitterten  Kämpfen  wird  die  Kraft  der  hellenischen  und 
etruskischen  Städte  verzehrt,  während  Karthago  in  zielbewufstem  Stre- 
ben Stein  auf  Stein  zu  dem  stolzen  Bau  seines  Reiches  hinzufügt. 

Der  Versuch  das  tyrrhenische  Heer  von  Nord  und  Süd  zu  um- 
spannen, zu  einem  hellenischen  Binnenmeer  zu  machen,  wie  solches  mit 
den  siciUschen  Gewässern  gelungen  war,  scheiterte  an  dem  Waffen- 
bündnifs  der  Etrusker  und  Karthager.  Dasselbe  blieb  Jahrhunderte 
lang  bestehen.    Hittelitalien  unterhielt  den  regsten  Verkehr  mit  der 


122  Kap.  n.  Das  Meer. 

phoenizischen  Hauptstadt.  Rom  schlofs  bereits  509  v.  Chr.  einen  Han- 
delsvertrag mit  ihr  ab :  die  Latiner  brauchen  eine  Anzahl  von  Namen, 
die  sie  nicht  durch  griechische  Vermittlung  sondern  direct  aus  dem 
Punischen  überkommen  hatten ,  so  den  alteinheimischen  Namen  von 
Tyros  Sor  oder  5ar,  die  Namen  Afri,  Karthago  {Karthada,  Ka(fxrjdwy). 
Umgekehrt  kennen  die  Griechen  die  wichtige  Handelsstadt  Caere  nur 
unter  der  punischen  Bezeichnung  Agylla  (Rundstadt) :  einer  der  beiden 
Häfen  von  Caere  hiefs  Punicum  und  wurde  sei  es  ausschliefslich  sei 
es  vorwiegend  von  dieser  Nation  besucht.  Unter  den  Seevölkern  des 
Altertums  gebührt  nach  Phoeniziem  und  Hellenen  der  dritte  Platz  den 
Etruskern.^  In  der  Ueberlieferung  hat  ihr  Name  einen  üblen 
Klang;  denn  Tyrrhener  und  Pirat  bedeutete  für  den  Griechen  dasselbe 
und  tyrrhenische  Fesseln  waren  sprichwörtlich  geworden  um  das  harte 
Los  anzudeuten,  das  die  armen  Gefangenen  erwartete.  Die  schöne 
Legende,  welche  der  homerische  Hymnos  auf  Dionysos  zuerst  erzählt, 
läfst  die  Tyrrhener  den  jugendlichen  Gott  in  Banden  schlagen  und  zur 
Strafe  in  Delphine  verwandelt  werden.  Man  wird  nicht  leicht  eine  an- 
sprechendere Vergleichung  finden :  diese  behenden  Räuber  erinnerten 
an  die  Corsaren  des  Westens,  von  denen  die  griechischen  Gewässer 
noch  zu  Alexander  des  Grofsen  Zeit  zu  leiden  hatten*  Für  ihre  nau- 
tische Begabung  zeugt  der  Umstand  dafs  die  wichtigste  Erfindung  an- 
tiker Seetaktik  —  sie  ist  in  unseren  Tagen  wieder  zu  Ehren  gelangt  — 
das  Rammen  mit  dem  Schiflschnabel  ihnen  zugeschrieben  wird.^  Hit 
einzelnen  Griechenstädten  wie  Sybaris  und  Athen  unterhielten  sie 
freundliche  Beziehungen ,  mit  den  übrigen  lebten  sie  auf  beständigem 
Kriegsfufs.  Von  beiden  Seiten  wurde  die  Piraterie  als  ehrliches  Ge- 
werbe angesehen.  Nach  der  Bewältigung  des  ionischen  Aufstand  fuhr 
ein  Capitän  aus  Phokaea  mit  drei  Schifl'en  nach  Sicilien  um  die  Caperei 
gegen  Karthager  und  Etrusker  zu  betreiben.^)  Die  liparischen  Inseln, 
welche  als  Warten  auf  hoher  See  das  weiteste  Gesichtsfeld  beherrsch- 
ten ,  waren  vorzüglich  geeignet  als  Hauptsitz  dieser  Unternehmungen, 
als  wahre  Corsarenburg  zu  dienen.  ^)  Unter  den  Gegnern  auf  dem 
Festland  thaten  sich  die  Volsker  von  Antium  durch  ihre  weiten  bis 
nach  Asien  ausgedehnten  Fahrten  hervor.^)  Die  Küsten  konnten  in 


1)  0.  Müller,  Etrusker  I  S3fg.  187  fg.  279  fg. 

2)  Plin.  Vü  209  nach  einer  griechischen  Quelle. 

3)  Herod.  VI  17. 

4)  Pausan.  X  II,  3  16,  7  Diod.  Y  9  Strab.YI  275  Piat.  Garn.  8. 

5)  Strab.  V  232. 


§  8.  Die  Kriegsmarine.  123 

der  ganzen  älteren  Periode  zu  keinem  Behagen  und  iieiner  Sicherheit 
gelangen.  In  den  zwischen  Rom  und  Karthago  Tereinbarten  Tractaten 
wird  sorgfältig  das  friedliche  Verhalten  der  Schiffe  gegenüber  den  bei- 
derseitigen Bundesgenossen  ausbedungen ,  daneben  der  Umfang  der 
FeindseUgkeiten,  welcher  den  Karthagern  gegen  das  unabhängige  La- 
tium  frei  stehen  soll,  genau  umschrieben.^)  Derart  arbeitet  die  fort- 
schreitende Cultur  daran  die  Fehde  zu  beschränken.  NamentUch  hat 
Syrakus,  wenn  es  durch  thatkräflige  Herrscher  Vormacht  der  West- 
hellenen geworden  war,  die  Seepolizei  mit  rücksichtsloser  Strenge 
geübt  und  z.  B.  unter  Hieron  und  Dionys  Razzias  an  den  italischen 
Küsten  ingrofsem  Stil  veranstaltet  Aber  der  unstäteGang  seiner  Ent- 
wicklung machte  es  ihm  unmöglich  dauernde  Abhülfe  zu  schaffen,  die 
tyrrhenische  See  blieb  bis  ins  dritte  Jahrhundert  friedlos,  ein  Tummel- 
platz für  Freibeuter  und  Abenteurer  aller  Nationen.  Endlich  erhoben 
sich  über  den  Trümmern  der  griechischen  und  etruskisehen  Hansa 
zwei  Weltmächte,  die  Seemacht  Karthago  und  die  Landmacht  Rom. 

§  8.  Die  K]riegsmarine. 

Um  das  Seeleben  des  Altertums  richtig  zu  würdigen ,  wird  man 
▼on  der  Thatsache  ausgehen  müssen,  dafs  die  nordischen  Meere ,  auf 
denen  die  Seevölker  der  Gegenwart  ihre  Erziehung  vollendeten ,  un- 
gleich höhere  Anforderungen  an  den  Menschen  gestellt,  ihren  Zog- 
hngen  ein  gröfseres  Mafs  von  Mut  und  Ausdauer  eingeflofst  haben  als 
das  Mittelmeer. 2)  Die  Ruhe  und  Gelassenheit,  welche  den  nordischen 
Seemann  niemals  verläfst,  wh*d  bei  den  dortigen  Küstenfahrern  ver- 
mifst.  Die  klare  Luft,  der  regehnäfsige  Gang  der  Luftströmungen,  der 
Sommerpassat  wie  der  Wechsel  von  Land-  und  Seewind  haben  sie  ver- 
wohnt. Der  wilde  Lärm,  der  von  ihnen  vollführt  wird,  sobald  ein  Un- 
wetter droht,  kann  uns  vergangene  Zeiten  veranschaulichen:  in  dem 
heiteren  Ebenmafs  dieser  sonnigen  Welt  wird  der  Mensch  von  jeder 
Störung  schwerer  betroffen  und  giebt  seinen  Empfindungen  lebhafte- 
ren Ausdruck,  als  die  Sitte  höherer  Breiten  duldet.  Sodann  war  weder 
die  Technik  noch  die  Arbeitstheilung  im  Altertum  so  weit  gediehen 
wie  heut  zu  Tage.  Wenn  der  griechische  Bauer  sein  Fortkommen  nicht 
länger  im  heimatlichen  Dorf  fand,  vertauschte  er  ohne  Schwierigkeit 

1)  Pol.m  22,6.11.  24,  4  fg. 

2)  Gaes.  b.  Gall.  DI  9  longe  aliam  esse  navigaüonem  in  e<mciuso  mari 
atfue  in  vasttsiimo  atque  apertissimo  Oceano, 


124  Kap.  n.  Das  Meer. 

Hacke  und  Pflug  mit  Netz  und  Ruder.  Zwischen  Land-  und  Seesoldaten 
ward  kein  Unterschied  gemacht.  Eine  Continentalmacht  konnte  erfor- 
derlichen Falls  in  kurzer  Frist  sich  in  eine  Seemacht  umwandeln: 
Kriegsflotten  wurden  in  wenig  Monaten  erbaut  und  ausgerüstet.  Frei- 
lich ist  damit  nicht  immer  eine  Wandlung  des  Volkscharakters  Hand 
in  Hand  gegangen ,  wie  sie  sich  an  dem  Athen  der  Perserkriege  voll- 
zog, da  Kimon  die  Zügel  seines  Bosses  als  Weihgeschenk  auf  der  Barg 
aufhing,  um  anzudeuten  dafs  jeder  Bürger  fortan  seinen  Platz  an  Bord 
einer  Triere  zu  suchen  habe.  Wol  war  Bom  durch  seine  Lage  dazu 
berufen  den  Verkehr  der  centralitalischen  Landschaften  zu  Termitteln, 
hat  unter  der  Begierung  der  Könige  sich  den  Zugang  zum  Meer  eröff- 
net, führt  das  Vordertheil  eines  Schiffes  als  Gepräge  auf  seinen  Münzen. 
Aber  den  zweihundertjährigen  Kampf,  welcher  mit  der  Unterwerfung 
der  Halbinsel  endigte,  hat  es  mit  den  Legionen  durchgefochten  —  die 
ein  paar  Mal  erwähnten  maritimen  Unternehmungen  kommen  nicht 
in  Betracht  —  und  eben  in  diesem  Kampf  wurden  die  Gnindzttge  des 
römischen  Staatswesens  ausgebildet.  Der  italische  Bund,  den  es  ge- 
stiftet ,  vermochte  eine  halbe  Million  Streiter  ins  Feld  zu  stellen  und 
war  zur  See  ohnmächtig:  die  Aeufserung  der  Karthager  am  Ausbruch 
des  ersten  punischen  Krieges,  dafs  die  Bömer  ohne  ihre  Erlaubnifs  gar 
nicht  im  Stande  sein  würden  sich  die  Hände  im  Meer  zu  waschen, 
kennzeichnet  die  damalige  Sachlage  trotz  der  Uebertreibung.  Rom 
hatte  gemeint  mit  seinen  Legionen  Sicilien  erobern  und  behaupten  zu 
können.  Durch  bittere  Not  ward  es  zu  der  Erkenntnifs  gezwungen^ 
dafs  allein  die  Herrschaft  über  das  Meer  ihm  den  Bang  einer  Weltmacht 
zu  verleihen  vermöchte.  Mit  gewaltiger  Thatkraft  hat  es  das  Ziel  sich 
gesteckt  und  das  Ziel  erreicht.  Die  seetüchtige  KtSstenbevölkerung 
Etniriens  und  des  hellenisirten  Südens  mufste  die  Flotte  bemannen, 
durch  Erfindung  der  Enterbrücke  wurde  die  überlegene  Taktik  des 
Feindes  ausgeglichen,  die  Tapferkeit  des  Landsoldaten  trug  den  Sieg 
davon  über  die  Gewandtheit  des  Matrosen  und  die  Kunst  des  Steuer- 
manns. Es  ist  die  einzige  nautische  Erfindung,  welche  auf  die  Bömer 
zurückgeführt  wird:  sie  zeugt  von  einem  durchaus  unseemännischen 
Geiste.  Sie  hat  aber  noch  in  den  letzten  Schlachten ,  welche  gegen 
Hellenen  geliefert  wurden,  die  alte  von  den  Athenern  ausgebildete 
Seetaktik  bemeistert,  i)  Derart  hat  Born  die  Herrschaft  über  das  Meer 
mit  denselben  Mitteln  errungen,  welche  das  Festland  zu  seinen  Füfsen 


1)  Vgl.  die  anriehende  Schildernng  Gaes.  b.  dv.  I  58  II  6. 


§  8.  Die  Krie^marine.  125 

legten.  Freilich  ward  der  Preis  mit  entsetzlicbeo  Opfern  erkauft:  Po- 
seidon rächte  sich  für  den  Hohn ,  den  die  Bauerngenerale  ihm  spra- 
chen ;  im  Verlauf  des  ersten  puoischen  Krieges  sind  700  römische 
Linienschiffe  mit  ein  Viertel  oder  ein  Drittel  Million  Besatzung  grOfsten- 
theils  durch  den  Unverstand  der  Consuln  eine  Beute  von  Wind  und 
Wellen  geworden.  Aber  der  Preis  war  der  Opfer  nicht  unwert:  das 
Hittelmeer  ward  durch  sie  ein  römisches  Binnenmeer  und  ist  es  bis 
zum  Einbruch  der  Araber  fast  ein  Jahrtmisend  lang  gebUeben. 

Die  ganze  Entwicklung,  welche  sich  hier  ?on  den  ersten  Anzogen 
an  durch  Altertum  und  Mittelalter  bewegt  hat,  wird  durch  gewisse 
äbereinstimmende  Charakterzttge  Ton  der  oceanischen  Schiffahrt  der 
Neuzeit  unterschieden.  Man  kann  dieselben  vornehmlich  auf  die  Aua» 
bildung  der  Ruderschiffahrt  zurückführen:  auf  Ruderkraft  beruht 
das  gesammte  System  der  Kriegsmarine,  für  die  Handelsflotte  komjnt 
dieser  Factor  gleichfalls  wenn  auch  nur  in  zweiter  Linie  in  Betracht  i) 
Daraus  ergiebt  sich  zunächst  dafs  die  Bemannung  im  Altertum  die  heu* 
tige  an  Kopfzahl  weit,  oft  um  das  sechsfache  übertraf.  Eine  Triere 
z.  B.  steht  einem  deutschen  Kanonenboot  zweiter  Klasse,  was  GrOCse 
und  Bauart  betrifft,  so  ziemlich  gleich:  letzteres  hat  210  Tons  Inhalt 
60  Pferdekraft  und  35  Mann  Besatzung,  erstere  hatte  232  Tons  24 
Pferdekraft  aber  225  Mann  Besatzung.  Vergleichen  wir  einen  Vier* 
rüderer  mit  einem  unserer  Kanonenbüte  erster  Klasse,  so  stellt  sich 
das  beiderseitige  Verhältnifs  folgender  Mafsen  dar:  Tons  Inhalt  300 
und  365,  Pferdekraft  80  und  32,  Besatzung  40—50  und  300  Mann. 
Ein  Fünfruderer  von  der  GrOlse  unserer  Glattdeckscorvetten  zahlte  bei 
534  Tons  und  42  Pferdekraft  375  Mann  Besatzung.  Einer  Landratte 
pflegt  die  Einrichtung  an  Bord  eng  und  knapp  zu  erscheinen ;  aber 
was  jetzt  eine  sparsame  Ausnutzung  des  Raumes  ist,  würde  ehedem 
als  verschwenderisch  gegolten  haben.  Ein  antikes  Kriegsschiff  macht 
denselben  Eindruck  wie  ein  Fafs  mit  Pökelheringen:  ob  nordische 
Theeijacken,  auf  einen  Raum  von  8  DFufs  oder  0,8  D  Meter  zasam- 
mengepfercht,  im  Stande  wären  Tage  lang  ihre  Riemen  zu  ziehen,  darf 
mit  allem  Fug  bezweifelt  werden.  Man  wird  sich  daran  erinnern  dafs 
der  Südländer  noch  jetzt  wie  im  Altertum  auf  die  freie  Bewegung  sei- 
ner Ellbogen  in  einer  uns  unfafsbaren  Weise  verzichtet;  andererseits 
wird  ^  verständlidi,  warum  die  Aken  so  oft  ihre  Reisen  durch  Lan- 

1)  Üie  folgenden  Angaben  fnfsen  avf  den  sorgfaltigen  UnteiSHchusgen  von 
B.  Graser  de  veteram  re  navali  BeroL  1864,  fortgesetzt  durch  Unters»  Aber 
das  Seewesen  der  Alten  Pldlologns  m  SuppL  p.  134—284. 


126  Kap.  II.  Bas  Meer. 

düngen  zu  unterbrechen  pflegten:  die  physische  Notwendigkeit  die 
Mannschaft  dann  und  wann  die  Glieder  strecken  zu  lassen  zwang  dazu. 
Die  consequente  Ausbildung  der  Ruderkraft  führte  im  Altertum  zu 
einer  Verschiedenheit  der  Bauweise  für  Kriegs-  und  Handelszwecke, 
die  wir  gegenwärtig  nicht  kennen.  Die  Beinamen  lang  und  rund  {vavg 
ftiaxQa  navis  longa  —  tcXoIov  OTQoyyvlov)  deuten  darauf  hin.^)  Bei 
dem  KaulTahrteischiir  steht  Breite  zur  Länge  in  dem  Verbältnifs  1 : 4, 
wie  es  auch  bei  den  gewöhnlichen  Seglern  der  Neuzeit  üblich  ist.  Das 
Kriegsschiff  dagegen,  welches  äufserste  Schnelligkeit  erstrebt  und 
möglichst  viel  Ruderer  anbringen  mufs,  ist  ungefähr  8  Mal  so  lang  als 
breit  d.  h.  ebenso  schlank  und  scharf  gebaut  wie  die  in  den  letzten 
Decennien  in  Aufnahme  gekommenen  Klipper  und  Schnellschiffe. ^) 
Die  Gegenwart  ist  nämlich  um  die  Schnelligkeit  zu  steigern  zu  der 
Bauweise  der  Allen  zurückgekehrt,  ähnlich  wie  die  Dampfkraft  die 
Aufnahme  des  etruskischen  Sporns  in  die  neueste  Seetaktik  veranlafst 
hat.  Bei  aller  Uebereinstimmung  zwischen  Ruder-  und  Dampfschiff 
liegt  jedoch  ein  gewaUiger  Abstand  in  der  beiderseitigen  Leistungs- 
fähigkeit: wenn  unsere  Seekolosse  12 — 16  Knoten  (22 — 29  km)  in 
der  Stunde  laufen,  so  haben  jene  es  nicht  viel  über  die  Hälfte  gebracht. 
Immerhin  haben  die  Alten  in  der  Steigerung  der  Schnelligkeit  bedeu- 
tende Forlschritte  gemacht.  Sie  begannen  mit  dem  offenen ,  von  50 
Ruderern  in  einer  Reihe  getriebenen  Schiff;  die  Phoenizier  pflegten 
den  Convois  ihrer  Gauloi  oder  Lastschiffe  derartige  Schnellsegler  zur 
Bedeckung  mitzugeben  und  lange  Zeit  ist  man  hierbei  stehen  geblieben. 
Diese  Gattung  hat  die  erste  Seeschlacht  in  italischen  Gewässern ,  von 
der  die  Ueberlieferung  weifs,  geliefert,  als  532  v.  Chr.  die  Phokaeer 
von  Corsica  durch  die  doppelte  Uebermacht  der  Etnisker  und  Karthager 


1)  Isidor  XIX  1  longae  naves  dictae  eo  quod  iongiores  sint  ceteris, 

2)  leh  fQge  nach  Grasen  BestimmiiDgen  die  wichtigsten  Dimensionen  der 
antiken  Kriegsschiffe  in  Metern  bei: 

Dreimderer  Viermdcrer  FnnJradaier 

Länge  ohne  Sporn 46,76  49,74  52,72 

Breite  in  der  Wasserlinie.    .    .      4,39  5,02  5,65 

Breite  mit  der  Schanzverkleidang      6,59  7,S4  9,09 

Höhe  des  Schiffsraums.    .    .    .      6,12  7,21  8,31 

Tiefgang 2,67  3,14  3,61 

Tragkraft  in  Tons 232Vt  365  534 

Zahl  der  Raderer 174  240  310 

Pferdekraft 24  32  42 

Gesammte  Besatzung   .    .    .    .225  300  375 


f  8.  Die  Krieg^mariDe.  127 

yerlrieben  wurden.  <)  Im  5.  und  4.  Jahrhundert  ist  der  Dreiruderer, 
seit  Dionys  dem  Aelteren  der  Fttnfruderer  Gebieter  des  Mittelmeers. 
Darin  wich  eben  die  antike  Seetaktik  von  der  modernen  gänzlich 
ab  dals  sie  stets  nur  Schiffe  gleichen  Kalibers  und  Ausrüstung  ver- 
wandte. Der  bunten  Mannichfaltigkeit  heutiger  Flotten  gegenüber  be- 
sals  ein  derartiges  System  unleugbare  Vortheile.  Es  wiederholt  das 
Princip  des  Landkriegs,  der  auch  während  der  nationalen  Blüte  streng 
genommen  auf  gemischte  Waffen  Verzicht  leistet.  Wenn  das  Altertum 
hinter  der  GrOfse  und  Wirksamkeit  neuerer  Schiffe  weit  zurückbleibt, 
imponirt  es  um  so  mehr  durch  die  Stärke  seiner  Flotten  und  die 
Menschenmassen,  die  es  ins  Treffen  führte.  Bei  Eknomos  256  v.  Chr. 
fochten  —  von  Transportschiffen  abgesehen  —  330  römische  gegen 
350  karthagische  Fünfruderer  mit  einer  Besatzung  von  insgesammt 
nahe  an  300000  Mann^) :  gegen  solche  Zahlen  treten  die  berühmtesten 
Seeschlachten  der  Neuzeit  in  den  Schatten ;  um  die  Tonnenzahl  (über 
360  000)  zu  erreichen,  müfste  man  die  Panzerschiffe  aller  Flotten  der 
Welt  zusammen  vereinigen  und  was  die  Besatzung  betrifft,  so  würde 
die  genannte  Ziffer  aus  den  Mannschaften  aller  heutigen  Kriegsflotten 
nicht  erreicht  werden  können.  In  der  Vermehning  der  Ruderreihen 
gingen  die  Alten  immer  weiter,  so  dafs  sie  sogar  Sechszehn-  und  Vier- 
zigniderer  construirten.  In  der  That  gelang  es  dadurch  fortwährend 
die  Schnelligkeit  zu  erhöhen,  aber  nur  auf  Kosten  der  Beweglich- 
keit: solche  Ungetüme  wie  wir  sie  jetzt  und  wie  die  Alten  in  der 
Diadochenzeit  sie  bauten,  gehorchen  dem  Steuer  zu  langsam  und  wen- 
den zu  schwerfällig.  Der  athenische  Dreiruderer  mit  seinen  drei  Ma- 
sten und  seinen  schlanken  Formen  mufs  als  das  vollendete  Kriegsfahr- 
zeug des  Altertums  gelten.  Auch  kam  dies  System  am  Ausgang  der 
Republik  wieder  zu  Ehren :  bei  Actium  31  v.  Chr.  in  derjenigen  Schlacht, 
welche  den  Seekrieg  grofsen  Stils  für  eine  vielhundertjährige  Periode 
abschliefst,  erfochten  die  behenden  Liburnerd.  h.  Zwei-  und  Drei- 
niderer  den  glänzendsten  Sieg  Ober  die  aegyptischen  Schiffskolosse 
und  bilden  fortan  den  Hauptbestand  der  kaiserlichen  Flotten.') 

Seit  der  Eroberung  Siciliens  war  Rom  die  grOfste  Seemacht  des 
Mittelmeers:  Hannibal  hat  seine  Entwürfe  auf  den  Landkrieg  gerichtet, 
kein  anderer  Staat  das  maritime  Uebergewicht  je  ernstlich  in  Frage 
gestellt.  Aus  dem  Vorrang  entsprang  die  Pflicht  für  die  Sicherheit  des 

1)  Herod.  I  166. 

2)  Polyb.  I  26. 

3)  Marqaardt  Rom.  SUatsverw.lI  p.491  Veget  IV  32  fg. 


128  Kap.  n.  Das  Meer. 

Meeres  Sorge  zu  tragen.  Rom  bat  die  Pflicht  anerkannt,  229  eine  ge- 
waltige Rüstung  nach  der  illyrischen  Küste  entsaadt  um  den  Seeraub 
auf  der  Adria  zu  unterdrücken ,  mit  der  nämlichen  Ahsidit  123  die 
Balearen,  102  Cilicien,  68  Kreta  in  Besitz  genommen.  An  grofsarligen 
Anstrengungen  hat  es  nicht  gemangelt,  trotzdem  blieb  das  Ergebnifs 
hinter  den  bescheidensten  Erwartungen  zurück.  Die  Seepolizei  zu 
handhaben  wie  vormals  Athen  und  Karthago  gethan ,  erwies  sich  die 
Republik aufser  Stande;  sie  liefs  ein  Piratentum  sich  einnisten  festigen 
und  ausbreiten,  das  mit  tausend  Schiflen  die  Wogen  der  Hittellandsee 
durchfurchte,  alle  Küsten  die  italischen  eingeschlossen  brandschatzte. 
Der  Flottendienst  war  allezeit  in  Rom  minder  geehrt,  um  nicht  zu 
sagen  verachtet;  es  hatte  ihn  von  Anfang  an  nach  Kräften  auf  die 
Schultern  der  Bundesgenossen  abgewälzt.  Nach  Vollendung  der  Welt- 
berrschaft  sab  es  davon  ab  eine  eigene  italische  Flotte  zu  unterhalten 
und  begnügte  sich  die  nötigen  Schiffe  von  den  verbündeten  Städten 
im  Reich  zu  entbieten.  Da  aber  das  Reich  in  eine  Reihe  gesonderter 
Aemter  und  Commandos  zerfiel,  so  fehlte  bei  maritimen  Unterneh- 
mungen die  Einheit  des  Plans  und  des  Vorgehens.  Die  Provinzen  gal- 
ten nach  anerkannter  Rechtsanschauung  als  Landgüter  des  rümischen 
Volks;  nach  einer  Formel,  welche  dessen  Ansprüche  auf  das  Meer  aus- 
drücken konnte,  sucht  man  in  den  Rechtsbüchern  vergebens.  Der- 
gestrit  wurden  die  berufenen  Herren  durch  unberufene  ersetzt  In 
vielen  Küsten-  und  Inselbevölkerungen  war  der  gewaltthäUge  Sinn 
entweder  noch  nicht  erloschen  odei*  lebte  von  Neuem  wieder  auf  ^  die 
sociale  Krisis,  welche  die  Gesellschaft  durchzuckte,  der  innere  Hader 
der  die  mächtige  Bürgerschaft  zerriis,  verstärkte  die  Schaaren  der 
Friedlosen  und  Geächteten.  Es  konnte  scheinen,  als  ob  Rom  den  Gor- 
saren  ebenso  wehrlos  gegenüberstände  wie  zwei  Jahrhunderte  zuvor 
den  Karthagern.  Die  Verfassung  bot  kein  Mittel  um  das  ganze  Mittel- 
meer  unter  ein  Commando  zu  vereinigen.  A)s  dessen  Errichtupg  durch 
die  Not  der  Zeit  und  die  Kurzsichtigkeit  der  P,arteieu  beschlossen  war, 
hatte  der  Freistaat  einen  bedeutungsvollen  Schritt  zur  Monarchie  ge- 
than. Auf  die  Grofsadmirsdität  hat  Pompeius  sein^  Steiluag  über  dem 
j&esetz  gegründet  Und  merkwürdiger  Weise  fiel  auch  zwischen  Caesars 
Erben  die  Entscheidung  auf  der  See.  Das  Imperium  hat  die  Sünden 
der  Republik  vermieden,  seinen  Beruf,  den  Frieden  zu  gewährleisten 
zu  Wasser  wie  zu  Lande  erfüllt.  Stehende  Flotten,  ein  Geschwader  in 
Misenum  für  den  Westen,  ein  anderes  in  Ravenna  für  den  Osten  haben 
den  Seeraub  zwar  nicht  völlig  aus  der  W«lt  geschafft,  aber  doch  als 


S  9.  Die  Schiffahrt  139 

offentücbes  Uebel  beseitigt.  ^  Die  bis  dabin  ungekannte  Sicherheit  des 
Meeres  hatte  einen  entsprechenden  Aufschwung  des  Verkehrs  im  Ge- 
folge, wie  denn  z.  B.  die  Schifiahrt  nach  Indien  wenige  Jahre  nach  der 
Annexion  Aegyptens  sich  versechsfacht  hatte.  >)  Gegen  die  barbarischen 
Gewohnheiten  des  alten  Strandrechts  schritt  die  Gesetzgebung  ein, 
schirmte  Leben  und  Habe  des  Schiffbrüchigen.^)  Wenn  die  bezQg* 
liehen  Erlasse  auf  eine  raubluslige  Gesinnung  der  Strandleute  hinzu* 
weisen  scheinen,  wollen  wir  uns  daran  erinnern,  dafs  noch  vor  ein 
paar  Menschenaltem  auf  den  Kanzeln  friesischer  Inseb  um  einen  ge- 
segneten Strand  gebetet  wurde.  Alles  in  allem  erwogen,  hat  das  Mittel- 
meer in  keiner  Epoche  seiner  dreitausencyahrigen  Geschichte,  die  Ge- 
genwart ausgenommen,  so  gefahrlos  beschiflt  werden  können,  niemals, 
die  Gegenwart  eingerechnet,  hat  es  ein  so  friedliches  Aussehen  zur 
Schau  getragen  als  unter  der  Herrschaft  der  Caesaren. 

§9.  Die  Schiffahrt. 

Der  Spruch  am  Bremer  Seemannshaus:  navigare  necesse  est  vivere 
non  est  necesse  deutet  die  Auffassung  an,  welche  die  Insassen  mit  ihrem 
Beruf  verbinden.  Der  Mangel  von  Compafs,  Uhren,  Seekarten  und  so 
viel  anderen  Hülfsmitteln ,  über  welche  die  Gegenwart  verfügt,  reicht 
nicht  aus  um  den  niedrigen  Stand  der  antiken  Schiffahrt  zu  erklären. 
Die  Leistungen  der  Normannen  beweisen,  dafs  alle  Mängel  der  Technik 
durch  Mannesmut  ersetzt  werden  können  (S.  116).  Die  Alten  beugten 
sich  vor  der  Allmacht  der  Natur,  wo  das  heutige  Pflicht-  und  Ehrgeftlhl 
ihr  zu  trotzen  gebietet.  Der  Gegensatz  offenbart  sich  sofort  in  der  z  e  i  t  - 
liehen  Beschränkung  der  mediterranen  Schiffahrt.  Sie  dauerte 
kaum  länger  als  ein  halbes  Jahr:  sobald  die  Herbstnachtgleiche  heran- 
nahte ,  kehrte  der  Seemann  in  den  heimischen  Hafen  zurtlck,  zog  sein 
Schiff  aufs  Land  und  schaute  dem  Toben  der  Winterstürme  im  Trock- 
nen zu,  bis  der  Frühling  die  einsame  See  wieder  mit  Segeln  anfüllte.^) 


1)  Strabo  U  118  und  XVII  798. 

2)  Strabo  m  144  n^ooeazi  dik  xal  17  vvv  BUff^vri  xwv  kg0TfiQianf  xara- 
hf^ivtav,  äaB^  ^  oifmaaa  imag^Bi  ^ifovoivrj  xoZq  n^i^Ofiivoii ,  ebenso 
Plin.  n  117.  Vereinzelt  kam  noch  Seeraub  vor  Seneca  de  ben.  VII  15, 1  Gaaa. 
Die  XXXVI  20. 

3)  Dig.XLVII  tit.9  de  ineendio  rtäna  naufragio  rate  nave  expu$nata$ 
Friedlander  Sittengeachichte  II*  p.  12. 

4)  Liv.XXXI47  XXXVU9  und  stehend  in  der  Kriegsgeschichte;  PhUo 
icg.  ad  Gainm  548  M.  Apostelge8cb.28, 11  Hör.  Od.  14, 2. 

Niit«n,  ItftL  LuaMkiimd«.  I.  9 


130  Kap.  n.  Das  Meer. 

Winterreisen  werden  zwar  erwähnt,  gelten  aber  fast  als  naturwidrig.^) 
„Die  Rauhheit  und  Wildheit  des  Meeres  —  helfet  es  in  einem  dem  vier- 
ten Jahrhundert  n.  Chr.  angehörenden  Narigationskalender^)  —  duldet 
keine  Schiffahrt  das  ganze  Jahr  hindurch;  sondern  einige  Monate  sind 
daftlr  am  geeignetsten,  andere  zweifelhaft,  in  den  übrigen  ist  sie  durch 
die  Ordnungen  der  Natur  untersagt.  Vom  27.  Mai  bis  24.  September 
ist  sie  gefahrlos,  von  der  Nachtgleiche  bis  11.  November  unsicher,  vom 
11.  November  bis  zum  10.  März  sind  die  Meere  geschlossen.  Denn 
die  Kürze  des  Tages,  die  Länge  der  Nacht,  das  dichte  Gewölk,  das 
Rasen  der  Winde,  mit  Regen  und  Schneeschauern  gepaart,  vertreiben 
nicht  nur  die  Flotten  aus  der  See  sondern  auch  die  Reisenden  von 
der  Landstrafse.^^  Mit  lärmenden  Festen  wird  die  Eröffnung  wie  der 
Schlufs  der  Schiffahrt  gefeiert:  sie  galten  der  Isis  der  Patronin  des  See- 
manns. Aber  auch  nach  dem  Isisfest  im  März  wenn  der  lockende  Ge- 
winn ihn  hinausführt,  bleibt  das  Meer  gefährlich  und  der  Admiral  darf 
seine  Kriegsflotte  nur  mit  äufserster  Vorsicht  den  Wogen  anvertrauen. 
Sicherlich  würden  an  unsern  Küsten  die  gestrandeten  Wracks  seltener 
antreiben,  als  leider  der  Fall  ist,  hätten  die  Unfallsregister  nicht  einen 
mit  diesen  Schifl1)rüchen  verbundeneu  Jahresverlust  von  4 — 5000 
Menschenleben  zu  verzeichnen 3),  wenn  ähnliche  Regeln  für  Canal  und 
Nordsee  beobachtet  würden.  Aber  welcher  Capitän  könnte  heutigen 
Tages  eine  Sprache  zu  führen  wagen,  wie  wir  soeben  von  einem  Kriegs- 
mann vernommen  haben  ?  Der  Aengstlichkeit,  mit  der  die  Alten  min- 
destens den  dritten  Theil  des  Jahres  von  der  See  fern  blieben,  entspricht 
es  dafs  sie  nur  widerwillig  das  Land  aus  den  Augen  verloren,  den 
doppelten  Umweg  nicht  scheuten  um  dasselbe  ja  in  Sicht  zu  behalten. 
Die  nautischen  Grundsätze  haben  sich  seitdem  in  das  gerade 
Gegentheil  verkehrt:  für  uns  bietet  die  offene  See  die  volle  Sicherheit 
und  beginnt  die  Gefahr  erst  in  Landnähe,  die  Alten  flüchteten  an  Land 
wenn  der  Sturm  aufzog.  Die  Hauptrouten  schlössen  sich  deshalb 
eng  an  den  Lauf  der  Küsten  an.  Von  Griechenland  nach  Syrakus 
wählte  man  nicht  etwa  den  directen  Weg  durch  das  sicilische  Heer, 

t).Plin.II  125.  Der  Statthalter  von  Spanien  kann  43  v.  Chr.  ^rst  im  April 
Depeschen  von  Gades  abschicken :  nulla  enim  post  hiemem  fuit  ante  eum  dient 
navigaüo,  Gic.  Farn.  X  33, 3. 

2)  Yegetius  lY  39 ;  über  das  Isisfest  Mommsen  CIL  I  p.  387.  405  Preiler 
Rom.  Myth.*  p.  729. 

3)  Auf  das  Königreich  Italien  kommen  nur  ca.  100,  davon  verunglOcken 
in  italienischen  Meeren  nur  ca.  40  (Annuario  statistico  ital.  11  p.  202)  bei  eioer 
seefahrenden  Bevölkerung  von  mehr  als  200  000! 


§  9.  Die  Schiffahrt.  131 

sondern  fuhr  zuerst  nach  Kerkyra  hinauf,  setzte  alsdann  nach  der  apu* 
liscfaen  Halbinsel  über  und  beschrieb  den  grofsen  Bogen  des  Tarentiner 
Golfs  immer  der  Küste  folgend.  0  Nur  zwingende  Not  konnte  es  für 
die  Hellenen  rechtfertigen  den  directen  Curs  zu  steuern.  2)  Wollte  Rom 
eine  Flotte  in  die  östlichen  Gewässer  entsenden,  so  fuhr  dieselbe  zu- 
erst nach  Neapel,  weiter  nach  Messina,  von  hier  nordwärts  nach  dem 
lacinischen  Vorgebirge,  dann  allenfalls  geradezu  nach  Kerkyra  und 
endlich  am  Peloponnes  entlang  nach  Cap  Malea.')  Statt  einen  und 
denselben  Curs  von  Messina  nach  Malea  (OSO)  einzuhalten,  wechselten 
die  Römer  dreimal  und  fuhren  nach  einander  NNO  ONO  SSO.  Von 
Rom  nach  Tarraco  segelten  sie  nicht  etwa  in  gerader  Richtung  durch 
die  Strafse  von  Bonifacio,  sondern  mafsen  die  volle  Ausdehnung  der 
etniskischen  ligurischen  gallischen  und  spanischen  Küste  ab. 4)  Frei- 
lich mufs  hinzugefügt  werden,  dafs  die  antiken  Kriegsschiffe,  auf 
weiche  unsere  Nachrichten  sich  vorwiegend  beziehen,  ihres  hohen 
Bords  wegen  äufserst  schlecht  See  hielten  und  —  umgekehrt  wie  bei 
uns  —  an  Seetüchtigkeit  durchweg  hinter  den  grofsen  KaufTahrern 
zurückstanden.^) 

In  der  Handelsmarine  lebten  die  nautischen  Traditionen  fort, 
welche  die  Phoenizier  seit  vielen  Jahrhunderten  angesammelt  hatten ; 
auf  diese  Kreise  sind  die  bedeutenderen  Leistungen  zurückzuführen, 
die  aus  römischer  Zeit  berichtet  werden.  Die  Hauptlinie  des  damaligen 
Welthandels  lief  zwischen  Alexandria  und  Puteoli :  grofse  Convois,  aus 
l^tscbiffen  und  Schnellseglern  für  die  lange  Fahrt  zusammengesetzt, 
brachten  Weizen  Papier  Glas  aus  Aegypten  nebst  den  zahllosen  Luxus- 
artikeln aus  Indien  China  und  dem  tropischen  Africa,  welche  der 
aiexandrinische  Speditionshandel  dem  herrschenden  Volke  vermittelte.^) 
Wichtige  Verkehrslinien  tiefen  ferner  von  Puteoli  nach  Gades  und 
Karthago.  Dagegen  war  Brundisium  der  Haupthafen  für  Personenver- 
kehr, von  demalle  Orientreisenden  nach  Kerkyra  oder  Apollonia  über- 
setzten. Der  Ausspruch  des  alten  Cato  er  bereue  bitterlich  ein  Schiff 
bestiegen  zu  haben,  wo  er  zu  Lande  habe  reisen  können,  war  nämlich 


1)  Thnk.  I  36. 44  VI  44. 61  VU  26  Flut.  Tim.  8  fg. 

2)  PlHt  Dio  25. 

3)  Ut.  XXXVI  42  XXXI  44  XLD  48. 

4)  Uv.  XXVI  19  XXX  39  XXXIV  8. 

5)  Veget  IV  38  procelUs  namque  et  fhteHbtu  Ubuma«  gravitu  fuam  vi 
hottium  saepe  perierunt, 

6)  FriedläDder  SitteDgesch.  D'  p.  75  fg. 

9» 


182  Kap.  n.  Das  Meer. 

zum  Glaubensartikel  der  römischen  Gesellschaft  erhoben  worden:  io 
den  klaglichsten  Tonarten  pflegte  sie  über  die  Tücke  der  See  zu  jam- 
mern, i)  In  Folge  dessen  beschrankte  sie  sich  durchaus  auf  die  unrer- 
meidlichen  Ueberfahrten  und  schlug  z.  B.  häufig  Yon  Gades  oder  Klein- 
asien  nach  Rom  den  Landweg  ein.^)  In  der  Blütezeit  von  Hellas  war 
dies  anders  gewesen :  die  Lage  der  Wohnsitze  brachte  es  von  selbst  mit 
sich ,  dafs  der  Hellene  für  jede  grörsere  Reise  ein  Schiff  besteigen 
mufste.  Eine  Seereise  im  Altertum  erheischte  übrigens  einen  nach 
unseren  Vorstellungen  ungebührlichen  Zeitaufwand.  Es  wird  zwar 
Yon  Fahrten  erzählt,  weiche  der  Schnelligkeit  unserer  Dampfer  nahezu 
gleichkommen.  Aber  aus  dem  Durchschnitt  der  widersprechenden  An- 
gaben stellt  sich  doch  das  Resultat  heraus ,  dafs  die  antiken  wie  die 
mittelalterlichen  Schiffe  langsamer  segelten  als  die  heutigen.^)  Man 
stimmt  darin  ttberein,  schreibt  ein  Hydrograph  um  400  n.  Chr.^),  dafs 
ein  Schiff  mit  günstigem  Wind  700  Stadien  (17  V2  Meilen)  an  einem 
Tage  zurücklegt,  bei  vorzüglicher  Bauart  auch  wol  900  Stadien  (22^3 
Meilen),  dagegen  ein  schlecht  gebautes  nur  500  (12  Vs  Meilen).  Die 
Ueberfahrl  von  Brundisium  nach  Kerkyra  erforderte  in  der  Regel  einen 
Tag,  die  Reise  von  Ostia  nach  Puteoli  3,  von  Zakynthos  nach  Sicilien 
—  eine  Strecke  von  kaum  70  Meilen  —  war  Dion  bei  schwacher  Brise 
volle  13  Tage  unterwegs.^)  Im  Ganzen  jedoch  scheinen  die  Alten  weit 
mehr  Zeit  an  Land  vertrödelt  zu  haben  als  auf  See;  denn  statt  gegen 
contraren  Wind  aufzukreuzen  pflegten  sie  den  Umschlag  in  irgend 
einem  Nothafen  abzuwarten.  Die  Wertschätzung  der  Zeit,  welche  das 
Stichwort  fQr  das  fieberhafte  Treiben  der  modernen  Welt  abgiebt,  blieb 
ihnen  ebenso  unbekannt  wie  die  feinere  Theilung  der  Zeit,  wenn  auch 
in  beiden  Richtungen  ein  Fortschritt  wahrend  der  Friedensepoche  der 


1)  Plnt.  Gato  mai.  9  Horaz  Od.  I  3. 28  Cicero  Att.  X  11,  4. 

2)  FOr  Gades  beweisen  dies  die  vier  Trinkbecher  mit  den  itinerarien  (S.  23); 
f&r  Asien  vgi.  Friedländer  Sittengesch.  11*  p.  15. 

3)  Aus  den  sclinellsien  Fahrten,  die  Plinius  XIX 3  aufzahlt,  ist  natfiriich 
kein  allgemeiner  Schlafs  zulässig.  Eine  abschlieüsende  Untersuchung  der  wich- 
tigen Frage  fehlt  Bredow,  Unters.  II  p.  687  (nach  Rennel)  bestimmt  die  mitt- 
lere Tagfahrt  auf  9  Meilen.  Movers,  Phoeniaier  Ol  1  p.  190,  der  das  reichst« 
Material  zusammen  gebracht,  greift  viel  höher;  leider  ist  das  verheifsene  Ga- 
pitel  über  die  Schiffahrt  im  mittellandisehen  Meere  durch  den  Tod  des  treff- 
lichen Gelehrten  uns  Torenthalten  geblieben.  Friedlinder  a.  0.  p.  16  rechnft 
die  Durchsehnittsfahrt  zu  25  Meilen. 

4)  Marctanus  ▼.  Heraklea  Müller  I  p.  568. 

5)  Flut  25  Friedländer  a.  0.  p.  13. 


i  10.  NatargennlB.  188 

Kaiser  erkennbar  ist.  Unter  den  Kauffahrern  finden  wir  die  ver- 
schiedensten Gattungen  und  GrOlsen  von  12  bis  1575  Tons  vertreten. 
Die  alezandrinischen  Komsohiffe  standen  unseren  heutigen  Bark-  oder 
Vollschiffen  an  Tragkraft  gleich.  Aber  im  Grofsen  und  Ganzen  wogen 
der  Küstenfahrt  entsprechend  wie  die  Jachten  auf  der  Ostsee,  auf  dem 
Mittefaneer  die  kleineren  Schiffe  vor.  Und  so  ist  es  auch  heutigen 
Tags,  wo  die  italienische  Handelsmarine  zu  10000  Segehi  (V2  des  gan- 
len  Mittelmeers)  aber  nur  zu  1  Million  Tons  (^/s  des  ganzen  Gebiets) 
gerechnet  wird,  ihre  Abstammung  von  offenen  Booten  haben  die  an- 
tiken Kauffahrteischiffe  nie  verleugnet  Die  aufi^Iligste  Erscheinung 
an  ihnen  ist  nSmlich  dafs  sie  nur  einen  einzigen  Mast  und  ursprüng- 
lich an  demselben  nur  ein  einziges  Raasegel  führen^  Die  Anhänger  des 
Alten  schüttelten  den  Kopf  über  die  Neuerung,  welche  etwa  um  den 
Beginn  unserer  Zeitrechnung  aufkam,  Top-  Vorder-  und  Achtersegel 
hinzuzufügen,  wie  solche  auf  den  dreimastigen  Kriegsschiffen  längst 
üblich  gewesen  waren.  0  Von  der  Kriegsmarine  stammen  auch  die 
dreieckigen  an  einer  langen  Kuthe  aufgerichteten  Segel,  die  unter  dem 
Namen  lateinische  bekannt,  zur  eigentümlichen  Staffage  der  Mittelland- 
see geboren.  Aber  der  Umstand  dafs  ein  Schiff  von  1575  Tons  wie  die 
von  Lucian  beschriebene  Isis  nur  einen  einzigen  Mast  führte,  der  weitere 
Umstand  dafe  es  in  den  Hafen  hinein  und  heraus  gerudert  werden 
muiste,  erscheint  ausreichend  um  die  Anschauung  von  der  Schnellig- 
keit und  Segelfertigkeit  sowie  der  Navigation  des  Altertums  insgesammt 
vor  der  übertriebenen  Bewunderung,  zu  der  philologische  Betrach- 
tungsweise so  leicht  verleitet  wird,  zu  bewahren.  2) 

• 

§  10.  Naturgenufs. 

Die  Entwicklung  des  antiken  Seewesens  ruht  auf  den  Phoeniziern 
und  Hellenen.  Die  meisten  Ausdrücke  der  lateinischen  Schiffersprache 
sind  Fremdwörter.  Der  einzigen  nautischen  Erfindung,  welche  den 
Römern  zugeschrieben  wird,  der  Enterbrücke  haben  wir  bereits  ge- 
dacht (S.  124).  Das  Verhältnifs,  in  welchem  dies  Volk  zum  Seeleben 
stand,  ist,  soweit  unsere  Kunde  reicht,  unverändert  geblieben.  Wie 
ihre  Vorgänger  in  der  Weltherrschaft,  die  Perser  haben  auch  die  Römer 
in  ihren  festländischen  Anschauungen  und  bäuerUchen  Gewohnheiten 


1)  Plin.  XIX  5. 

2)  Lac.  nsTig.  b  Xen.  Oecon.  S,  12.  Auf  das  Vollschiff  von  260  Tons  worden 
regelmäbig  20  Ruderer  gerechnet,  Graser  p.  46. 


134  Kap.  II.  Das  Meer. 

beharrt.  Immerhin  mufste  die  eindringende  Bildung  ihren  Einflufs 
geltend  machen.  Aus  den  Gesängen  Homers  tönt  es  uns  entgegen 
wie  Meeresrauschen,  in  der  althellenischen  Litteratur  spiegelt  sich  die 
Empfindung  eines  Seevolkes  wieder.  Was  im  freien  Hellas  die  naive 
und  getreue  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  gewesen  war,  erhielt  durch 
die  Alexandriner  eine  bewufste  Gestaltung.  Sie  schufen  das  sentimen- 
tale Naturgeftthl,  das  Naturgefühl  der  Gebildeten ,  das  sich  als  solches 
von  dem  der  Massen  scheidet,  und  gaben  ihm  in  der  Dichtung  wie  der 
neu  erfundenen  Landschaftsmalerei  seinen  künstlerischen  Ausdruck. 
Die  Wirkung  auf  das  bildungsbedürftige  Rom  liegt  offen  zu  Tage.  Wir 
lesen  schon  bei  Cicero  vom  StaatsschifiT  und  seinem  Steuer,  von  Stürmen 
und  SchifiTbruch  der  Parteien,  dem  Wogen  der  Volksmenge,  dem  Hafen 
und  der  Fahrt  des  Lebens,  kurz  alle  jene  erborgten  Metaphern,  die 
gleich  verschlissenen  Münzen  durch  den  langen  Gebrauch  in  den  abend- 
ländischen Sprachen  nachgerade  unkenntlich  geworden  sind,  i)  Wie 
die  Naturpoesie  von  CatuUVergilHoraz  nachgeahmt  ward,  wählten  auch 
die  Zeitgenossen  mit  Vorliehe  Landschaften  zum  Schmuck  der  Wände. 
Da  aber  die  Wunder  des  Hochgebirgs  den  Alten  sich  nicht  erschlossen 
hatten,  nahm  das  Meer  selbstverständlich  ihr  Hauptinteresse  gefangen.-) 
Dasselbe  hat  in  der  Sitte  sich  in  beachtenswerter  Weise  geäufsert. 
Es  will  allerdings  nicht  viel  heifsen,  dafs  die  Glücklichen,  welche  während 
der  Sonunermonate  dem  Glutofen  der  Grofsstadt  zu  entfliehen  in  der 
Lage  waren ,  auch  Küstenorte  zur  Abhaltung  ihrer  Villeggiatur  auf- 
suchten^); denn  Seebäder  wurden  und  werden  von  den  Anwohnero 
des  Mittelmeers  minder  geschätzt  als  im  Norden  der  Fall  ist  Weit  be- 
deutsamer ist  die  Erscheinung  dafs  der  Adel  seit  der  Aufnahme  hel- 
lenischer Sitte  nach  dem  Meer  sich  gedrängt  hat.  Man  darf  sagen,  das 
Gefühl  für  die  Anmut  und  Erhabenheit  des  Meeres  ging  der  römischen 
Bildung  in  Fleisch  und  Blut  über.  Es  bedarf  gar  nicht  der  Aeufserungen, 
welche  des  Naturgenusses ,  den  die  Romer  hier  suchten  und  fanden, 
ausdrücklich  Erwähnung  thun :  die  Trümmer  ihrer  Bauten  reden  eine 
verständliche  Sprache.^)  Gewifs  ist  der  Dichter  in  seinem  Recht,  wenn 

1)  Die  Ausprägung  dieser  internationaleD  Bildersprache  verdiente  'eiDgehend 
verfolgt  zü  werden.  Die  VergleichuDg  des  Volks  mit  dem  Meer  machte  189 
v.  Chr.  im  römischen  Senat  Eindmck  und  war  damals  noch  nen  Pol.  XXI 3! 
▼gl.  XI  29, 9  Hnltsch.  Dem  Cicero  und  Livius  ist  es  eine  vulgaia  nmüUudo 
XXX VIII  tO,  5  vgLXXVin  27,  11  Cic  pro  Gluent  138. 

2)  Heibig,  Unters,  über  die  campan.  Wandmalerei,  Leipiig  1873,  p.  98 f^. 

3)  Friedländer  U>  p.53fg. 

4)  Friedlander  II>  p.  129  fg. 


f  10.  Naturgenars.  135 

er  den  mafslosen  Luxus  schilt,  der  sich  hier  so  wenig  wie  bei  irgend 
einem  Thun  und  Treiben  seiner  Landsleute  verleugnete.^)  Aber  es 
war  mehr  als  blofse  Mode,  was  die  Römer  ans  Meer  fesselte  und  die 
Gewaltigen  alle  vom  älteren  Scipio  Africanus  und  seiner  edlen  Tochter 
Cornelia  bis  auf  Augustus  Tiberius  und  deren  Nachfolger  an  sich  zog, 
so  oft  ihre  Kraft  in  dem  schweren  Ringen  auf  dem  Forum  zu  Rom 
erlahmt  war.  Sanfte  Lüfte  kühlten  die  erhitzte  Stirn ,  leuchtende  Far- 
ben reizende  Umrisse  erquickten  das  Auge  und  der  Anblick  der  un- 
ermefelichen  Fläche  gab  diesem  zur  Herrschaft  gebomen  Geschlecht 
ein  Gleichnifs  des  eignen  Strebens.  Wer  heut  zu  Tage  die  verödeten 
fieberschwangern  Küsten  Etruriens  Latiums  Campaniens  durchstreift, 
trifft  auf  Schritt  und  Tritt  die  Spuren  einstiger  Pracht  an.  Er  wird 
zugleich  daran  erinnert  dafs  die  Freude,  welche  die  alten  Römer  am 
Meer  empfanden,  durch  der  Zeiten  Ungunst  bei  ihren  Nachkommen 
TerkOmmert  ist. 


t)  Horaz  Od.  H  18, 20  lU  1,  33  24, 3. 


KAPITEL  III. 


Die  Alpen. 

Bis  auf  die  neueWehepoehe,  welche  mit  der  Entdeckung  America's 
anhebt,  ist  das  Mittelmeer  der  Träger  europäischer  Cuitur,  ist  Italien 
der  wichtigste  Schauplatz  europäischer  Geschichte  gewesen.  Seine 
centrale  Lage  hat  das  Land  zu  diesem  hohen  Berufe  bestimmt.  Sein 
einheitlicher  Bau  beförderte  die  Schöpfung  eines  grofsen  Staatswesens, 
welches  die  Herrschaft  über  einen  weiten  Länderkreis  zu  erringen  und 
zu  behaupten  vermochte.  Zugleich  gewährte  ihm  sein  Bau  die  beson- 
dere Fähigkeit  die  Civilisation  des  Orients  aufzunehmen,  innerlich  zu 
verarbeiten ,  dem  Norden  unseres  Erdtheils  zu  vermitteln.  Denn  da 
Italien  von  den  insularen  Fortsetzungen  (35^  5O0  angerechnet  bis  zum 
Kamm  der  Alpen  (47^100  sich  über  mehr  als  11  Breitengrade  erstreckt, 
umschliefst  es  bedeutende  klimatische  und  physische  Gegensätze,  ver- 
bindet die  Eigentümlichkeiten  Mitteleuropa's  mit  denjenigen  von 
Griechenland  und  Africa.  Der  langsame  Fortschritt  der  Culturarbeit 
brachte  es  mit  sich,  dafs  an  der  Entwicklung,  welche  mit  dem  Namen 
Roms  bezeichnet  wird,  die  verschiedenen  Abschnitte  des  Landes  in  un- 
gleichem Mafs  betheiligt  waren.  Die  breite  Gebirgsmasse,  die  es  vom 
Stanun  des  Continents  scheidet,  ist  von  Natur  zur  Grenze  bestinmit  und 
hat  in  der  Geschichte  meistens  als  Grenze  gedient.  Seit  dem  Anfang 
des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr.  haben  die  Italiker  sich  gewohnt  in 
den  Alpen  ihre  Mauer  zu  erkennen  >):  ein  Gleichnifs  jedem  Beschauer 
sich  aufdrängend,  der  von  einem  Aussichtspunctder  padanischen  Ebene 
aus  die  lange  Reihe  der  Schneezinnen  mit  seinen  Blicken  verfolgt 
Das  Gleichnifs  drückt  die  äufsere  dem  italischen  Leben  abgewandte 
Stellung  des  Gebirges  aus.    Spät  ward  es  den  Alten  bekannt,  noch 

1)  So  schon  Gate  nach  Serv.  Y.  Aen.  X  13  Alpet . . .  quae  seeundum  CaUh 
nem  et  Idvium  muri  viee  tuebaniur  ItaUam  vgL  liv.  XXI  35  PoL  lÜ  54 ;  Cicero 
de  prov.  cons.  34,  in  Pit .  81,  Philipp.V  37,  Plinins  m  31  XII 5,  HerodianVm  1,  h, 
hidor  Or.  XIY  8, 18. 


I  1.  Namen.  187 

später  TOD  ihnen  bezwungen.  Ihre  Auftnerkflamkeit  konnte  weder 
durch  die  barbarischen  Zustände ,  die  hier  in  der  Periode  der  Unab- 
bSngigkeit  herrschten,  noch  durch  die  Wald-  und  Weidewirtschaft, 
die  nach  der  Unterwerfung  blühte,  am  wenigsten  aber  durch  die  Natur 
selbst  gefesselt  werden.  Das  Interesse,  welches  die  Alpen  der  romischen 
BUdang  einflofsten,  beschränkte  sich  auf  das  Hindemifs,  das  sie  dem 
Verkehr  in  den  Weg  stellten ,  und  dessen  leichteste  Ueberwindung. 
Die  Repubhk  Terzichtete  darauf  die  Verbindungen  mit  ihren  westlichen 
Provinzen  durch  Besitznahme  zu  sichern;  als  Augustus  endhch  die 
lange  VersSumnifs  nachholte ,  hat  er  dennoch  den  gröfseren  Theil  der 
Berglandschaften  von  Italien  ausgeschlossen  (S.  79).  Im  Lauf  der 
Zeiten  wurden  sie  gänzlich  romanisirt:  aber  erst  unter  Diocletian,al8der 
Sitz  der  Regierung  nach  dem  nahen  Mailand  Tonllckte ,  erfolgte  die 
Einverleibung  (S.  85).  Nach  dem  Gesagten  (Mit  eine  nähere  Beschrei- 
bung aufeerhalb  des  Bereichs  unserer  Aufgabe:  die  Alpen  gehen  uns 
nur  an,  insofern  sie  den  Grenzsaum  des  italischen  Landes  darstellen 
und  die  physische  Beschaffenheit  desselben  rielfach  bedingen,  i) 

§  1.  Namen. 

Die  Alpen  werden  gegenwärtig  von  den  drei  Hauptstämmen  Eu- 
ropa's,  vornehmlich  dem  romanischen  und  germanischen  bewohnt, 
wÄrend  die  Slaven  auf  den  östlichen  Grenzstrich  beschränkt  sind. 
Für  das  Altertum  fehlen  die  mittel  um  Herkunft  und  Verwandtschaft 
der  namhaft  gemachten  Volkerschaften  sicher  zu  bestimmen.  Am 
weitesten  Terhrdtet  erscheinen  die  Kelten;  doch  wird  ihre  Ein wande- 
mngin  einer  Terhältnifsmäfsig  jungen  Epoche  statt  gefunden  haben. 
Durch  sie  wurden  ältere  Ansiedler  wie  die  Ligurer  in  den  Seealpen, 
die  Raeter  in  Graubilnden,  die  Eoganeer  in  Tirol,  die  Illyrier  in  den 
Ostalpen  Tordrängt  und  eingeengt  Man  kann  unmöglich  glauben,  dafs 
alle  diese  verschiedenartigen  Stämme  ein  so  ausgedehntes  Gebiet  ur- 
sprünglich ttbereinstimmend  benannt  haben  sollen.  In  der  That  sind 
die  Spuren  individueller  Namengebung  nicht  ganz  verloscht  Cluver 
erkennt  eine  solche  mit  Recht  in  dem  Worte  Tauern  —  so  heilst  die 
Kette  zwischen  Drau  und  Salzach  noch  jetzt  und  ihre  einzelnen  Ab- 

1)  Le  Alpi  che  dagono  Tltalia  eonsiderate  milltarmente,  vom  piemonte- 
sischen  GeoeralsUb,  redigirt  durch  den  Generalqvartlermeister  Annibale  di  Sa- 
inszo  voi.I  (einziger)  ToriDo  1845.  8.  mit  Atlas.  Litteratur  bei  Amati,  disio- 
Mrio  I  232. 


188  Kap.  m.  Die  Alpen. 

schnitte  werden  durch  Bei  Worte  unterschieden,  Krimmler-Velber-Hoch- 
tauern  u.  s.  w.,  gerade  wie  dies  bei  den  Alpen  geschieht  — ;  er  bringt 
es  in  Verbindung  mit  dem  Volk  der  Tauridier,  dem  Taurusgebirge  in 
Kleinasien  und  weist  seine  keltische  Herkunft  nach.^  Eine  andere 
Spur  darf  in  dem  Worte  ^Rrtai  oder  ^Pmala  oQfj  gesucht  werden,  mit 
dem  die  Hellenen  seit  dem  7.  Jahrhundert  ein  fabelhaftes  Gebirge  be- 
zeichneten, jenseit  dessen  die  glücUichen  Hyperboreer  wohnten.^) 
Nach  der  Erweiterung  des  Erdwissens  in  römischer  Zeit  hielt  es  na- 
türlich schwer  für  derartige  Gebilde  dichterischer  Phantasieeinen  schick- 
lichen Platz  ausfindig  zu  machen :  der  eine  rückt  sie  in  diesen ,  der 
andere  in  jenen  dunklen  Winkel  fort.  Viele,  darunter  achtbare  Zeu- 
gen wollen  sie  in  den  Alpen  wieder  erkennen')  und  wirklich  gewinnt 
diese  Ansicht  an  innerer  Berechtigung,  sobald  man  sich  Tergegen- 
wärtigt,  dafs  in  der  Epoche  vor  der  makedonischen  Herrschaft  die  Hel- 
lenen im  Westen  ihr  Wunderland  suchten ,  welches  die  Vorstellung 
mit  allen  Reizen  und  Glücksgütern  ausstattete.  Demnach  mag  jenem 
Mythos  von  den  Hyperboreern  eine  unbestimmte  Kunde  des  central- 
europäischen Gebirges  zu  Grunde  liegen,  mag  der  Name  der  Rhipen 
aus  irgend  einer  unbekannten  Sprache  stammen  und  den  Hellenen 
vom  Schwarzen  Meer  her  bekannt  geworden  sein;  denn  der  Donau 
folgend  ist  der  Verkehr  und  die  Kunde  zuerst  in  das  Innere  unseres 
Erdtheils  vorgedrungen.  Auch  der  Namei^^xvrea  oQr]  silva  Hercynia 
hat  vielleicht  einen  Ähnlichen  Weg  genommen.  Nach  Aristoteles, 
bei  dem  er  zuerst  begegnet^),  „entspringen  auf  dem  im  Westen  des 
Keltenlandes  gelegenen  PyrenSiengebirg  Ister  und  Tartessos,  jener 
durchfliefst  ganz  Europa  und  mündet  in  den  Pontes,  dieser  mündet 
aufserhalb  der  Säulen.  Die  meisten  übrigen  Flüsse  fliefsen  nordwärts 
von  den  Arkynien,  dem  höchsten  und  ausgedehntesten  Gebirg  dortiger 
Gegend.  Am  Nordpol  jenseit  des  äufsersten  Skythien  liegen  die  sog. 
Rhipen,  über  deren  Gröfse  die  Berichte  ganz  fabelhaft  klingen :  von 
hier  sollen  die  meisten  und  nach  dem  Ister  grüfsten  Flüsse  kommen.^ 
Ein  jüngerer  Bericht  verlegt  die  Donauquelle  auf  die  Arkynien  und 

1)  Vindelicia  et  Noricam  p.  5,  Italia  ant  p.  319. 

2)  Häufig  erwähnt  (s.  Pape,  Wörterbuch  s.  v.),  zuerst  bei  Alkman  fr.  58 
Bergk.  Aeschylos  fr.  66  Dind.  versetzt  sie  nach  NW.,  vgl.  Zeuüi,  die  Deotacheo 
und  die  Nachbarstämme  p.  2fg. 

3)  Poaeidonioa  bei  Athen.  VI  p.  233 d  za  xe  ndXai  (ßkv^Pinma  xakov/uva 
oQTiy  bW  vaxeQOv  ^kßax  nQOoayoQev^ivxix  ^  vvv  Sh  jUrua.  Steph.  Byz.  s. 
"^YneQßoQHoi  u.  A. 

4)  Meteor.  I  13, 19. 


f  1.  Namen.  139 

Caesar  versteht  unter  diesem  Namen  den  ganzen  Nordabhang  der  Al- 
pen Tom  Rhein  bis  nach  Dacien  hin.^  Da  der  Wortstamm  im  Keltischen 
Torbanden  und  Erhebung  bedeutet,  kann  an  seinem  Gebrauch  nicht 
gezweifelt  werden.^)  Nach  der  Unterwerfung  der  Nordalpen  ist  der 
Name  beimaUos  geworden,  weil  die  ROmer  die  ihnen  geläufige  Bezeich- 
nung auf  beide  Abhänge  des  Gebirgs  übertrugen ,  und  wird  mitsammt 
den  sich  an  ihn  knüpfenden  Fabeln  nach  Belieben  herumgeschoben : 
an  den  Mittelrhein,  den  Niederrhein,  nach  Böhmen  u.  s.  w.^)  Wenn 
die  Hellenen  also  an  den  Küsten  des  Schwarzen  Meeres  Nachricht  von 
den  mitteleuropäischen  Gebirgen  erhielten,  waren  sie  doch  weit  ent- 
fernt irgend  ein  deutliches  BiU  damit  zu  verbinden.  Vielmehr  hatte 
das  pontische  Tiefland  bei  ihnendie  Anschauung  erweckt,  dafs  der  ganze 
Welttheilflachund  eben  sei.  Der  hierauf  ruhenden  wunderlichen  Theorie 
Herodots  ward  bereits  gedacht  (&  9).  Ein  Jahrhundert  nach  diesem 
Reisenden  hat  Pytheas  die  deutsche  Nordseeküste  besucht.  Er  fand 
in  dem  Mttndungsland  von  Rhein  Ems  Weser  und  Elbe  das  Gegen* 
slOek  zu  dem  allen  Hellenen  wolbekannten  Stromland  des  Pontes,  zog 
denSchlufs  dafs  beide  unmittelbar  zusammen  hingen,  dafs  die  deutschen 
Strome  unter  demselben  Meridian  sich  ins  Meer  ergössen  wie  Donau 
Dniepr  und  Don.  Der  Irrtum  des  Pytheas,  durch  den  er  das  nördliche 
Europa  30®  zu  weit  nach  Osten  hin  auszog,  ist  von  der  Wissenschaft 
des  Altertums  nie  völlig  überwunden  worden.  Zunächst  gab  er  der 
altverbreiteten  Vorstellung  von  der  ebenen  Beschaffenheit  Europa's 
neue  Nahrung  und  begünstigte  jenes  Zerrbild  von  der  Gabelung  der 
Dona\],  welches  wir  bei  den  Begründern  der  systematischen  Erdkunde 
kennen  gelernt  haben  (S.  10).  Die  Existenz  der  Alpen  ward  der  ge- 
bildeten Welt  erst  218  durch  den  Uebergang  Hannibals,  der  die  Phan- 
tasie seiner  griechischen  Begleiter  mächtig  erregte  und  zu  märchen- 
haften Dichtungen  begeisterte,  zum  Bewufstsein  gebracht  Die  genauere 
Kenntnifs  datirt  erst  von  der  Beschreibung  des  Polybios,  der  sie  151 
V.  Chr.  wir  wissen  nicht  auf  welchem  Pafs  durchzogen  hatte. 

Seit  dem  Ausgang  des  dritten  Jahrhunderts  ist  mithin  durch  die 
römische  Herrschaft  der  Name  Alpen  in  Umlauf  gekommen.  Doch  war 
derselbe  schon  früher  offenbar  von  Massalia  aus  an  die  Hellenen  gelangt ; 
denn  dem  Herodot  fliefst  sein  Alpis  oberhalb  Umbriens  und  hierhin 


1)  De  mirab.  ausc  105  Gaes.  b.  Gall.  VI  24.  25. 

2)  ZeuÜB,  die  Deatacfaen  p.  2  fg. 

3)  Taclt  Germ.  30  IMod.V  21.  32  Strab.Vn  292  Vell.O  106  Plin.lV80:  tOO. 


140  Kap.  ID.  Die  Alpen. 

▼erlegt  auch  das  Rätselbuch  des  Lykophron  das  Gebirge  SaJirtuu^) 
Die  Alten  brauchen  wie  wir  den  Plural  Alpe$  zur  Bezeichnung  der  Ge- 
sanuntkette,  während  sie  den  Singular  auf  das  einzelne  Bergjoch  be- 
schranken ,  ähnlich  wie  im  Deutschen  die  Alp  oder  Alm  die  einzelne 
Bergweide  bedeutet  2)  Das  Wort  wird  aus  dem  lateinischen  äOmB  er- 
klart und  auf  den  weifsen  Glanz  der  Schneedecke  bezogen.')  Nach 
Anderen  ist  es  den  Kelten  entlehnt,  in  deren  Sprache  es  hohe  Berge 
bezeichne.^)  Für  die  erste  Deutung  lassen  sich  mittelitalische  Namen 
wie  Alba,  die  Bergstadt,  Albula  Alünid,  der  Bergstrom,  als  Beleg  an- 
ziehen. Allein  die  weite  Verbreitung  des  Alpennamens  im  keltischen^), 
deutschen,  iberischen  <^),  liguriscben?)  Sprachgebiet  sowie  sein  frühes 
Vorkommen  schliefst  den  Gedanken  aus,  als  ob  er  Yon  den  Römern 
übertragen  sein  künne.  Wir  Terzichten  darauf  über  die  Verwandtschaft 
der  Wurzeln  zu  urtheilen^)  und  wollen  nur  nebenher  erwähnen  dab 
die  deutschen  Ausdrücke  der  Alpenwirtschaft  grofsentheils  auf  roma- 
nischen Ursprung  zurückgehen,  also  wol  auch  das  Wort  Alp  oder  Ahn 
selbst.  Was  aber  die  hier  bebandelte  Frage  betrifft,  so  kann  es  keinem 


1)  Alei.  1861  Tgl.  S.9. 

2)  Im  Lateinischen  wird  der  Singnlar  nur  von  Dichtern  tnf  das  ganze  Ge- 
birge angewandt;  in  der  Bedeutung  Joch  findet  er  sich  an  ein  paar  Stelleo 
der  Itinerarien,  Liv.  V  34,  8?,  Sidon.  Ep.  V 16.  Entsprecliend  sagen  die  Griechen 
aljilnsiQ  taJÜJceiva  Sqti  xa^AXusun  ta  jiknuc  Squ,  yereinzelt  (Appian  Pto- 
lemaeos)  th  %Xn€iov  Bqoq,  nur  dicliterigch  oder  byzantinisch  17  TüXjtiq,  Daraus 
erhellt,  dafs  das  Wort  nrsprflnglich  den  Alten  nnr  in  plnraliacher  Form  be- 
kannt war,  ans  weleher  sie  dann  einen  Singnltr  ableiteten;  der  umgekehrte 
Hergang  hat  im  Deutschen  stattgefunden« 

3)  Festus  ep.  p.  4  M.  album  quod  nos  dieimua  a  Graeeo  quod  est  ahpovt 
est  appellatum,  Sabini  tarnen  alpum  dixerunt,  unde  eredi  potest  nomen  Al- 
pium  a  candore  rävium  vodtaium. 

4)  Serrius  V.  Georg,  in  474  (Aen.  X  13  Isidor  Or.  XIY  8)  GaUarum  Ungua 
aia  mrnites  Alpes  voeantwr. 

5)  Strabo  IV  202  VD  314  Albion  Bergland? 

6)  Bei  Prokop  b.  Goth.  I  12  erstreckt  sich  Spanien  ixQi'  ii  ^^iXneiq  tag  h 
OQH  toi  nvQrpfal<p  oSaag,  ^AXneig  Sh  xaXeZv  zf^v  iv  atevox^pitc  SloSov  oi 
Tcevry  iv^Qtorcoi  vivofjUxaoi, 

7)  Alähtm  Stadtname  an  der  iignrisehen  KOste  vgL  Strabo  I¥  202;  üv. 
XXVni  46  (Goelius)  Ugures  Alpini  Smeo  appidum  Aipinum.  In  der  noch 
ablieben  Benennung  der  Alpi  Apuane  bei  Carrara,  der  Alpe  di  Succiso,  della 
Luna,  di  Mommio,  Catenaia  u.  s.  w.,  hat  sich  der  weitere  Gebrauch  des  Worte» 
in  ähnlicher  Weise  fortgepflanst  wie  bei  der  rauhen  Alp  in  Schwaben.  Er 
war  in  dem  ligurischen  Appennin  ehedem  an  Hause  vgl.  Kap.V  1. 

8)  Vgl.  Grimm,  D.  Wdrteri».  1  p.  201.  Curtius  Etym.*  p.  275. 


§  2.  Aofdehiioiig.  141 

Zweifel  onteriiegeD,  daC»  der  Name  bei  den  Ligurern  beimkch  war  und 
von  diesen  zu  ihren  hellenischen  Nachbarn  im  Westen,  zu  ihren  ita- 
lischen Nachbarn  im  Süden  wanderte.  Da  ferner  die  ligurische  Nation 
in  einer  alteren  Epoche  über  Europa  weit  verzweigt  gewesen  ist,  so 
sehdnt  daraus  das  örtliche  Auftreten  des  Namens  in  den  verschieden- 
sten Sprachgebieten  einfach  eriilärt  zu  werden.  Die  Beziehung  auf 
ewigen  Schnee,  weiche  wir  damit  zu  verbinden  pflegen ,  ist  ihm  von 
Hause  aus  ganzlich  Aremd. 

§  2.  Ausdehnung. 

Man  unterscheidet  in  den  Alpen  drei  verschiedene  Massen,  die  so- 
wol  durch  ihre  Erhebung  als  ihre  geologische  Formation  von  einander 
abweichen.  Mit  dem  Namen  Hochalpen  wird  die  über  2600  m  hohe 
vegetatiottslofie  Centralkette  bezeichnet.  Sie  besteht  aus  Urgestein,  Gra- 
nit Gneifs  Serpentin,  an  das  Kalkstein  Sandstein  Schiefer  nach  Art  der 
Jura-  und  Appenninbildungen  anschliefsen.  Wo  die  Steilheit  der  Wände 
es  nicht  verhindert,  ist  sie  durch  einen  Gürtel  ewigen  Schees  von  2  bis 
7  km  Breite  eingefafst.  An  diesen  Kern  lehnen  sich  die  Mittelalpen  an 
von  jüngerer  Bildung  und  1000 — 2600m  Hübe:  bei  nacktem  Scheitel 
sind  ihre  Abhänge  mit  Wald  und  Weide  bedeckt.  Endlich  die  Voralpen 
oder  das  Hügelland,  welches  als  Terrasse  dem  Fufs  der  Berge  vorge- 
lagert ist  und  den  Uebergang  zur  Ebene  vermittelt  sowol  seiner  Bil- 
dung als  seiner  Erbebung  nach,  die  zu  500 — 1000  m  gerechnet  wird; 
Getreidebau  und  Baumzucht  dringen  hierher  bereits  vor.  Die  Alpen 
stellen  das  Stammgebirge  unseres  Continents  dar.  Uire  geognpstische 
Znsanunensetzungvne  ihr  Aufsteigen  über  die  Linie  des  ewigen  Schnees 
scheiden  sie  zwar  von  den  anschliefsenden  Gebii*gen  deuüich  ab.  In- 
dessen lassen  sich  nur  zum  Theil  scharfe  Grenzen  zwischen  dem  Stamm- 
gebirge und  seinen  Ausläufern  ziehen.  Es  ist  nicht  möglich  genau  zu 
sagen,  wo  die  Seealpen  aufhören  und  der  Appennin  anfängt.  In  Folge 
dessen  schwanken  die  Ansätze :  man  hat  den  Appennin  bei  den  Quellen 
der  beiden  Bormida  oder  bei  denjenigen  des  Tanaro  sich  abzweigen 
lassen.  Ein  besserer  Einschnitt  wird  am  M.  deUo  Schiavo  bei  Vada 
SiAatia  Savona  gemacht:  diese  von  Saluzzo  getroffene  Bestimmung 
weicht  nur  unerheblich  von  dem  seit  dem  Altertum  üblichen  Ansatz 
ab,  nach  welchem  bei  der  21  km  weiter  östlich  befindlichen  Ein- 
senkung  des  Col  deU'Altare  oder  di  Cadibona  der  Abschnitt  gesucht 
wird.*)  Im  Osten  dagegen,  wo  die  Alpen  sich  fächerförmig  ausbreiten 

1)  D.  Bmtus  an  Gioero  fam.  XI 13,  2  Strabo  IV  202  vgl.  Kap.V  2. 


142  Kap.  m.  IHe  Alpen. 

und  gegen  das  Tiefland  der  Donau  verflachen,  steht  die  südliche  Kette 
mit  dem  System  der  griechischen  Halbinsel  in  Verbindung.  Pomponios 
Heia  nimmt  keinen  Anstand  sie  ttber  Thracien  hin  auszudehnen  ^); 
jedoch  hat  diese  Auffassung  weder  im  Altertum  noch  in  der  Neuzeit 
Anhänger  gefunden.    Uebereinstimmend  läfst  man  die  Alpengrenze 
mit  derjenigen  Italiens  zusammenfallen  und  setzt  solche  beim  stntis 
Fhmaticus  dem  Golf  von  Quamero  an.*  Wenn  endlich  nach  Norden 
Jura  und  Schwarzwald  von  Strabo  dem  Centralgebirge  hinzugerechnet 
wird  3) ,  so  beruht  dies  lediglich  auf  ungenügender  Kenntnifs.   Eine 
Reihe  von  Seen  vom  Leman  bis  zum  Chiemsee  zeigt  in  die  Augen  fal- 
lend seine  Ausdehnung  nach  dieser  Richtung  hin  an.  Desgleichen  bieten 
die  Donau  von  der  Innmündung  bis  in  die  Nahe  Wien 's,  das  pannonische 
Tiefland  im  Osten,  der  Unterlauf  der  Rhone  im  Westen,  das  Pothal  im 
Süden  durchgreifende  Naturgrenzen  dar.  Das  so  umschriebene  Gebirge 
liegt  ungefähr  zwischen  43  und  48®  n.  Dr.,  22  und  34  <^  o.  L.  Es  streicht 
im  Allgemeinen  von  NO.  nach  SW.  und  nur  an  seinem  WEnde  direct 
vonN.  nachS.  Ungleich  den  Pyrenäen  oder  dem  Kaukasus,  die  eine  ein- 
zige eng  geschlossene  Kette  bilden,  dehnt  es  sich  über  eine  ansehnliche 
Breite  aus  und  umfafst  getrennte  Gebirgsstöcke  und  Ketten ,  zwischen 
denen  bedeutende  Thäler  sich  lagern.  Wenn  man  die  Alpen  als  eine 
Halbinsel  betrachtet,  so  liegt  es  nahe  ihren  Bau  mit  dem  des  Appennins 
zu  vergleichen.   In  beiden  Systemen  triflt  die  höchste  Erhebung  nicht 
auf  die  Mitte,  sondern  auf  den  Rand ;  sie  fallen  das  eine  nach  der  Po- 
ebene,  das  andere  nach  der  adriatischen  Küste  schroff  und  steil  ab; 
sie  dachen  sich  das  eine  gegen  Frankreich  und  Deutschland ,  das  an- 
dere gegen  das  tuskische  Meer  allmSlich  ab.  Die  Römer  pflegten  die 
Alpen  als  die  Mauer  ihres  Landes  zu  bezeichnen  (S.  136):  das  Bild  ist 
in  der  Neuzeit  oft  wiederholt  worden  (S.  57).  In  Wirklichkeit  jedoch 
hat  diese  Mauer  weit  mehr  dazu  beigetragen  dieltaliker  gegen  das  übrige 
Europa  abzusperren  und  im  Bann  des  Mittelmeers  festzuhalten,  als  dafe 
sie  den  Andrang  nordischer  Barbaren  abzuwehren  veiteocht  hätte.  Den 
Grund  dieser  Erscheinung  erkennen  wir  im  Bau  des  Gebirges  ausge- 
sprochen.  Seine  mannichfaltige  Gliederung,  die  zahlreichen  Längeo- 
und  Querthäler  schliefsen  es  in  einem  Mafse  auf,  das  die  absolute  Er- 
hebung kaum  erwarten  liefse.    Allein  es  ist  von  aufsen  her  viel  zu- 
gänglicher als  vom  Pothal.  Lange  Flufsläufe  führten  die  Nordländer 


1)  II  73  tisque  in  Thraeiam  penetranL 

2)  IV  207. 


§  3.   Ansdehnang^.  143 

stufeDweise  in  das  Innere  der  Berge  und  auf  die  Höhe  der  Pässe:  als 
allgemeine  Regel  gilt  aber  der  Satz,  dafs  der  Uebergang  um  so  leich- 
ter, je  länger  der  Thaleinschnitt,  um  so  schwieriger,  je  kürzer  der 
Einschnitt  ist.  An  der  italischen  Seite  fehlen  die  Längenthäler  fast 
ganz,  der  Wechsel  zwischen  Hoch-  und  Tiefland  ist  unvermittelt,  der 
Anstieg  steil  und  mühsam  t) :  Beispielshalber  langt  der  Po  nach  einem 
Oberlauf  von  34  km  in  der  Ebene  an  und  hat  auf  dieser  kurzen  Strecke 
1600  m  Fall,  während  dieselbe  Neigung  des  Rheins  bis  zum  Bodensee 
sich  auf  eine  Entfernung  von  148  km  vertheilt. 

Die  Alpen  umziehen  Italien  in  einem  grofsen  Bogen ,  als  dessen 
Abschlufs  gegen  den  Appennin  der  Monte  dello  Schiavo  bei  Savona, 
im  Osten  der  Bittoray  bei  Fiume  angesetzt  werden.  Die  Länge  des 
ßogens  beträgt  auf  der  Kammhöhe  gemessen  1541  km  (208  M.),  am 
Fufse  des  Gebirges  gemessen  1110  km  (150  M.),  die  grOfste  Breiten- 
ausdehnung 172km  (23  M.).  Man  unterscheidet  drei  Hauptabschnitte: 
West-  Central-  und  Ost-Alpen.  Der  erste  453  km  (61  M.)  lang  reicht 
vom  Appennin  bis  zum  M.  Blanc  und  hält  eine  nördliche  Richtung  inne. 
Die  Centralalpen  streichen  nach  NO.  vom  M.  Blanc  bis  zur  Dreiherrn- 
spitze in  den  Hohen  Tauern ,  654  km  (89  M.)  lang  und  die  höchsten 
Gipfel  zählend.  Die  Ostalpen  mit  434  km  (59  M.)  Länge  enden  am 
Golf  von  Quarnero.  Von  dem  Stamm  des  Gebirges  laufen  78  Zweige 
aus,  zum  Theil  mit  bedeutenden  Erhebungen  (über  4000  m):  31  vom 
westlichen,  34  vom  mittleren,  13  vom  östlichen  Abschnitt  aus.  Nach 
der  Berechnung  des  piemontesischen  Generalstabs  bedeckt  die  ge- 
sammte  Masse  eine  Fläche  von  114  564  D  km  (2083  DM.)  Inhalt,  von 
welcher  auf  die  italische  Seite  64  692  Dkm  (1 176  D  M.),  auf  die  Aufsen- 
seite 49872  Dkm  (907  DM.)  entfallen. «)  Nicht  weniger  als  36  Thäler 
dringen  von  ItaUen  her  in  das  Gebirge  ein  und  sind  von  Flufsläufen 
eingenommen.  Aber  ihre  Ausdehnung  ist  verhältnifsmäfsig  gering,  da 
sie  senkrecht  auf  der  Axe  des  Gebirges  stehen  und  hierin  liegt  der 
wesentUche  Unterschied  zur  Thalbildung  der  Aufsenseite.  Von  der 
ganzen  Zahl  laufen  nur  zwei  als  Längenthäler  der  Hauptkette  parallel : 
das  Thal  der  Salasser  von  Aosta  und  das  von  der  Adda  durchflossene 
Veitlin. 


1)  Li V.  XXI 35  pleraque  Jlpium  ab  Italia  Heut  brmnora  ita  arrectiora  sunt. 

2)  Im  weiteren  Sinne  gefaüst,  also  die  nördlichen  yoralp«n  eingerechnet, 
uBfafst  das  ganze  System  4200  QMeilen. 


144  Kap.  m.  Die  Alpen. 

§3.   Niederschläge.!) 

Aus  der  Tfaalbildung  ergiebt  sich,  dafs  die  Entwicklung  der  Flüsse 
an  der  Südseite  hinter  denen  der  Nordseite  zurückstehen  mufs.  Nichts- 
destoweniger besitzen  jene  einen  Wasserreichtum  und  eine  Beständig- 
keit ,  die  im  Appennin  und  im  Mittelmeergebiet  überhaupt  nicht  vor- 
kommt Ersteren  verdanken  sie  den  mächtigen  Niederschlägen,  welche 
die  Alpen  empfangen.  Wenn  die  mit  der  Feuchtigkeit  des  Oceans  be- 
ladenen  Wolken  von  Süden  her  am  (kbirge  anlangen  und  dasselbe  zu 
überschreiten  suchen,  so  kühlen  sie  sich  beim  Aufsteigen  ab  und  sind 
genötigt  einen  grofsen  Theil  ihres  Gehaltes  in  der  Form  von  Nieder- 
schlägen von  sich  zu  geben.  Die  Masse  der  Niederschläge  mufs  an  der 
italienischen  gröfser  sein  als  an  der  Nordseite,  weil  jene  im  Luv,  diese 
im  Lee  oder  —  wie  man  zu  sagen  pflegt  —  im  Regenschatlen  liegt 
Wenn  man  sich  daran  erinnert,  dafs  Gebirge  weit  mehr  Regen  an  sich 
ziehen  als  Ebenen ,  ferner  dafs  die  Regenmenge  mit  der  Erhebung 
wächst,  so  wird  man  die  Thatsache  alsbald  verstehen,  dafs  und  warum 
der  Südabhang  der  Alpen  zu  den  regenreichsten  Gegenden  der  Erde 
gehört  Einige  Ziflern  mögen  dies  veranschaulichen.  Die  mittlere  jähr- 
liche Regenhöhe^)  in  Millimetern  ausgedrückt  beträgt  für:  London  490, 
Paris  579,  Berlin  574,  Brocken  1242,  Wien  574,  München  809,  Salz- 
burg 1098,  Einsiedeln  1653,  St  Bernhard  1252,  Bernhardin  2564, 
Stilfserjoch  2312,  Lugano  1618,  Tolmezzo  am  Tagliamento  2435, 
Raibl  in  Kärnthen  2055,  Mailand  966,  Rom  800  mm.   Sie  ist  mithin 
in  den  Südalpen  drei  bis  viermal  gröfser  als  in  der  norddeutschen 
Ebene  und  zwei  bis  dreimal  gröfser  als  auf  der  Appenninhalbinsel. 
Was  zweitens  die  Beständigkeit  der  Alpenflüsse  betrifft,  so  rührt  solche 
von  dem  Umstand  her ,  dafs  ein  bedeutender  Theil  der  Niederschläge 
in  der  Gestalt  von  Schnee  erfolgt.  An  der  Südseite  der  Alpen  nimmt 
die  Jahrestemperatur  für  je  100  m  Erhebung  um  0,68^  C.  ab  (NSeite 
nur  0,55^)  und  zwar  im  Sommer  doppelt  so  rasch  als  im  Winter  (Juni 
0,70<^  Januar  December  0,33<>).  In  den  höchsten  Regionen  über  3000  m 
föllt  deshalb  gar  kein  Regen,  in  den  mittleren  und  unteren  Regionen 
senkt  sich  die  Schneedecke  im  Winter  tief  herab  und  weicht  vor  der 
FrühUngssonne  wieder  zurück.  Die  Grenze,  bis  zu  welcher  der  Schnee 


1)  Hann,  Hochstetter  und  Pokorny,  Allgemeine  Erdkunde,  Prag*  1875. 

2)  Man  veretehi  damnter  die  Höhe,  welche  das  atmosphärische  Wasser 
erreichen  wfirde,  falls  es  weder  abflösse  noch  verdunstete.  In  anderem  Zu- 
sammenhang kommen  wir  Kap.  IX  auf  den  Gegenstand  snrfick. 


§  3.  NiederechJagft.  145 

auch  im  Sommer  sieb  behavplet,  läuft  in  den  West-  und  Centralalpen 
bei  2700  m,  in  den  Ostalpen  bei  2800  m.  Bei  einer  Höbe  von  3600  m 
erleidet  der  Scbnee  keine  merkliebe  Veränderung.  Unterhalb  dieser 
Linie  wird  er  zum  Firn  verdichtet,  indem  er  durch  die  Sonnenstrahlen 
an  der  Oberfläche  schmilzt  aber  Nachts  viriedergefriert.  Der  Hochschnee 
wie  der  Firnschnee  würden  ins  Endlose  anwachsen,  wenn  sie  nicht 
dem  Gesetz  der  Schwere  gehorchend  nach  abwärts  drängten.  In  zwie- 
facher Weise  gelangen  diese  Massen  nach  der  Tiefe  um  in  Wasser  ver- 
wandelt den  Kreislauf  des  Flüssigen  von  neuem  zu  beginnen.  Entweder 
treffen  sie  in  ihrem  langsamen  Vorrücken  am  Rand  eines  Abhangs  an 
und  stürzen  denselben  als  Verderben  bringende  Lawinen  herab.  Oder 
bei  sanfterer  Neigung  häuft  sich  der  Firn  in  den  weilen  Mulden  und 
Senkungen  an,  welche  die  Anfänge  der  Hochgebirgsthäler  bezeichnen, 
und  zwängt  sich  in  die  Thalrinnen:  je  weiter  abwärts  desto  gröfser  der 
Druck,  desto  gröfser  auch  die  Wirkung,  welche  das  Schmelzen  und 
Gefrieren  bei  wechselnden  Temperaturen  hervorbringt,  bis  schliefslich 
der  Schnee  in  das  krystallhelle  Eis  des  Gletschers  umgewandelt  ist. 
Die  Gletscher  fliefsen  langsam  (höchstens  1 — 200  m  im  Jahr)  zu  Thal, 
soweit  die  zunehmende  Wärme  es  gestattet,  d.  h.  bis  zu  derjenigen 
Grenze,  wo  das  Abschmelzen  dem  Vorrücken  das  Gleichgewicht  hält. 
An  dieser  Grenze,  welche  für  die  Alpen  im  Mittel  bei  1740  m  angesetzt 
wird,  verwandelt  sich  der  Gletscher  in  einen  Bach.  Das  Gebiet,  welches 
mit  ewigem  Schnee  bedeckt  ist,  umfafst  mindestens  60  D  Meilen  und 
die  Zahl  der  Gletscher  beträgt  reichlich  2000.  Ihre  Verbreitung  hängt 
von  der  geologischen  Beschaffenheit  ab,  insofern  das  centrale  Urgebirge 
mit  seinen  weiten  Mulden  und  geneigten  Gehängen  die  Ansammlung 
von  Schnee  und  die  Bildung  von  Gletschern  begünstigt,  die  vorgelagerten 
Kalkzonen  dagegen  durch  ihre  Steilheit  und  Zerklüftung  beides  er- 
schweren. Die  Schneeregion  ist  deshalb  vorwiegend  auf  die  Central- 
kette  beschränkt.  Man  kann  die  Stelle,  die  sie  im  Haushalt  der  Natur 
einnimmt,  mit  derjenigen  einer  Vorratskammer  vergleichen.  Sie  spei- 
chert die  Feuchtigkeit  der  kalten  Monate  auf,  um  im  Sommer  das 
dürstende  Land  zu  tränken.  Der  Bodenreichtum  der  padanischen  Ebene 
ist  geradezu  durch  die  Wasserzufuhr  bedingt,  welche  die  Alpenflüsse 
ihr  aus  der  Schneeregion  übermitteln.  ^  Dieselbe  kann  so  grofs  sein, 
weil  ein  aufserordentlich  geringer  Procentsatz  durch  Verdunstung  ver- 


1)  DieWassennenge,  welche  die  Alpengletscher  an  einem  warmen  Sommer- 
Uge  an  ihre  Bäche  abliefern,  ist  auf  4200  Mill.  Kubikfufa  berechnet  worden. 

NissAD,  Itel.  lABiMlnina«.  I.  10 


146  Kap.  m.  IHe  Alpeo. 

loren  geht:  so  entspricht  der  Abflufs  des  Tessin  einer  Regenschicht  die 
sein  gesammtes  Gebiet  2in  hoch  bedeckt;  beider  Adda  1,32m  Mincio 
1,19  m  Oglio  1,235  m  Po  0,781  m,  aber  Tiber  nur  0,551  m. 

§4.   Einzelne  Abschnitte. 

Die  Ausdehnung  der  Alpenkette  ist  von  den  Alten  allmälich  er- 
kannt, erst  nach  den  Eroberungen  des  Augustus  15  v.  Chr.  vollständig 
übersehen  worden.  Während  Polybios  sie  mit  55  Meilen  viel  zu  niedrig^), 
Coelius  Antipater  mit  200  zu  hoch  geschätzt  hatte ,  trifTt  Plinius  das 
richtige,  indem  er  ihre  Länge  vom  Varbis  zur  Arsia  auf  149,  ihregrOfste 
Breite  auf  20,  die  Mittelbreite  auf  14  Meilen  bestimmt  2)  Mit  der  zu- 
nehmenden Kenntnifs  mufste  sich  das  Bedttrfnifs  fühlbar  machen  die 
einzelnen  Abschnitte  durch  Beiworte  zu  unterscheiden,  die  theils  den  Na- 
men der  betreffenden  Bergstämme  theils  anderen  Umständen  entlehnt 
wurden.  Obwol  nirgends  von  einer  scharfen  Begrenzung  die  Rede  sein 
kann,  so  hat  man  doch  mit  gutem  Grund  diese  Bezeichnungen  in  der 
Neuzeit  beibehahen ;  denn  sie  eignen  sich  recht  gut  um  die  verschie- 
denen Theile,  in  welche  die  Entwicklung  des  Systems  zerfallt,  von  ein- 
ander zu  sondern.  Wir  folgen  daher  dem  herkömmlichen  Sprachgebrauch 
in  unserer  Uebersicht  und  zerlegen  demgemäfs  die  Westalpen,  die 
wie  bemerkt  das  westliche  Drittel  der  Gesammtkette  bilden ,  in  drei 
Unterabtheilungen.  Die  erste  vom  Appennin  bei  Savona  bis  zum  M. 
Viso  heifst  man  Alpes  marititnae  oder  Seealpen.  S)  Sie  ist  194  km  lang 
und  überschreitet  die  Schneegrenze  erst  in  geraumer  Entfernung  vom 
Meeresufer  Cima  dei  Gelas  3180  m,  M.  Inciastraia  2971  m,  Gran  Rubren 
3369  m.  Plinius  nennt  den  mons  Co^fito,  an  dem  der  Var  entspringt^): 
jetzt  heifst  man  ihn  Camaion  oder  Camaleone.  Pie  zweite  190  km  lange 
Strecke  vom  M.  Viso  bis  zum  Gran  Paradiso  wird  Alpes  Cottiae  oder 
Cottianae  benannt.  Der  Name^)  schreibt  sich  von  dem  KeltenfQrsten 
Cottius  her,  der  als  Praefect  des  Augustus  seine  Herrschaft  über  14 
Bergstämme  behauptete :  unter  Nero  ward  das  Fürstentum  eingezogen 
und  in  eine  Provinz  verwandelt.    Von  allen  Schneehäuptern  stand 


1)  Bei  Sirabon  lYSOO  zu  2200  Stadien. 

2)  m  132  Tgl.  S.  143. 

3)  Die  Bezeichnung  zuerst  bei  Plio.  VIII  140  XIV  41  XXI  114,  später  im 
allgemeinen  Gebrauch.  Die  Bezeichnung  ligurische  Alpen  bei  Dioscorides  I  7 
U  10  steht  vereinzelt. 

4)  m  35. 

5)  Er  erscheint  zuerst  bei  Tacitus  Bist.  I  61  IV  68. 


§  4.  Einzelne  Abschnitte.  147 

keins  bei  den  Alten  in  gleichem  Ansehen  wie  der  Mons  Vegulus  oder 
M.  Viso.  Sie  hielten  ihn  für  den  höchsten  Gipfel  der  Alpen  und  liefsen 
in  solchem  Glaubenden  Po  aus  seinem  Schofs  hervorquellen. i)  Frei- 
lich kann  er  sich  an  absoluter  Erhebung  (3840  m)  mit  vielen  anderen 
Bergriesen  nicht  messen ;  auch  ist  es  blofses  Herkommen ,  wenn  man 
den  König  der  Flüsse  an  ihm  entspringen  lafst,  da  andere  Quellarme 
mit  gleichem  oder  gröl^erem  Recht  als  Anfang  desselben  bezeichnet 
werden  dürfen.  Jedoch  ward  ihm  die  Auszeichnung  nicht  unverdient 
zu  theil :  seine  majestätische  Pyramide ,  die  erst  vor  wenig  Jahren  er- 
stiegen worden  ist,  ragt  einsam  aus  der  ganten  Kette  empor  und  be- 
herrscht weit  und  breit  das  Gesichtsfeld  der  ligurischen  Ebene.  Aufser- 
dem  wird  der  Mons  Mairona,  Mont  Gen^vre,  namhaft  gemacht 2) :  nicht 
wegen  seiner  Hohe,  die  nur  gering  ist  (1865  m),  sondern  weil  ein  viel 
betretener  Weg  aus  Italien  nach  Gallien  hinüber  ftihrte.  Die  gewaltigen 
Eisfelder  des  Gran  Paradiso  (4045  m),  die  weithin  in  die  Augen  fallen, 
führen  zum  dritten  69  km  langen  Abschnitt,  den  Alpes  Graiae.  Die 
Deutung  des  Wortes  ist  nicht  bekannt:  die  Alten  haben  es  mit  der  ihnen 
eigenen  Sucht  zu  fabuliren  gleich  Graeeae  gesetzt  und  von  den  Wan- 
derungen des  Hercules  hergeleitet.  3)  Und  zwar  soll  der  Gott  über  den 
nums  Gratus  oder  per  Alpes  Graiasi.h.  den  Kleinen  S.  Bernhard  (2192  m) 
gegangen  sein.^)  Der  Pafs  führt  in  das  Thal  der  Thuille  hinab,  welches 
im  Norden  vom  Monte  Cramont  (2734  m)  eingefafst  wird.  Man  iden- 
tificirt  diesen  Namen  mit  dem  Cremanis  iugumj  über  welches  Coelius 
Antipater  den  Hannibal  ziehen  läist.^) 

Die  Centralalpen  rechneten  wirvom  Mont  Blanc  bis  zur  Drei- 
hermspitze mit  654  km  (89  Meilen)  Länge.  Der  erste  vom  Mont  Blanc 
bis  Monte  Rosa  reichende,  1 10  km  lange  Abschnitt  wird  Alpes  Penninae 
oder  correcter  nach  der  allein  beglaubigten  Form  Poeninae  benannt. 
Mit  den  Puniern  und  dem  Uebergang  Hannibals,  wie  die  Alten  insge- 


t)  Plio.  III  117;  Yergil.  Aen.X  708  erwähnt  ihn  als  pini/er;  vgl.  Strabo 
IV  203. 

2)  Ammian  Marc  XY  10, 6.  Itin.  Hier.  p.  556  Wess. 

3)  Nepos  Hann.  3.  Varro  bei  Servias  V.  Aen.  X  13.  Plin.  IH  123.  134. 
Nach  dem  Volk  der  Ceutronet  in  Savoyen  braucht  Plinius  XI  240  einmal  auch 
die  Bezeichnung  Ceuironicae  Alpet, 

4)  Die  erste  Namensform  Tacit.  Hist.  IV  68;  der  Singular  in  Alpe  Graia 
findet  sich  auf  der  Peuünger sehen  Tafel.  Die  inschriftlich  vorkommenden 
Alpet  Atreeüanae  (Orelii  2223.  3SS8)  sowie  die  A.  Ceutronicae  bei  Plin.  XI 
240  sind  andere  Bezeichnungen  dieses  Abschnitts  CIL.  V  p.  757. 

5)  Nach  Uvius  XXI  38. 

10* 


148  Kap.  ID.   Die  Aipen. 

mein  annahmeD,  hat  das  Wort  nichts  eu  schaffen :  Livius  hebt  bereits 
hervor  dafe  auf  der  PafshOhe  ein  Gott  Poeninm  von  den  BMgstflmmen 
verehrt  ward,  und  zahhreiche  demselben  dargebniphte  Voüvgaben  und 
•tafein  sind  auf  der  Hohe  des  Grolsen  S.  Bernhard  gefunden  worden,  i) 
Da  der  Gott  auf  den  Inschriften  htppiter  Poenmus  heifst,  so  scheint  in 
der  von  den  Anwohnern  gebrauchten  Benennung  Mont  Joux,  die  übri- 
gens auch  für  den  Kleinen  Bernhard  vorkommt,  ein  für  das  Mittelalter 
bezeugtes  motu  lovis  sich  fortgepflanzt  zu  haben.  Das  Gebirge  wird  hier 
von  den  Thfliern  der  Rhone  {vdUü  Pomma)  und  Dora  Baltea  einge- 
schnürt; an  dieser  schmälsten  Strecke  ist  aber  die  Eruptionskraft  am 
stärksten  aufgetreten  uncl  hat  die  mächtigsten  Ertiebungen  bewirkt. 
Auf  den  Montblanc  (4804  m)  folgt  il  Gigante  (4206  m),  Gran  Combin 
(4305  m)  und  nach  der  Einsenkung  des  Bernhardpasses  (2491  ro)  der 
M.  Cervin  oder  das  Matterhorn  (4522  m)  mit  seinem  spitzen  Zahn,  end- 
lich der  siebengipflige  Monte  Rosa  (4636  m).  Aber  weder  der  letzt- 
genannte, der  von  so  vielen  Puncten  der  lombardischen  Ebene  aus 
sichtbar  bleibt,  noch  irgend  ein  anderer  dieser  Berge  hat  die  Aufmerk- 
samkeit in  dem  Mafse  auf  sich  gelenkt,  dafs  sein  antiker  Name  erhalten 
worden  wäre.  Für  den  nächsten  192  km  langen  Abschnitt  vom  Honte 
Rosa  bis  zum  S.  Bernardino  pflegt  man  die  Bezeichnung  Alpes  Lepw^ 
tiae^  die  nach  dem  Bergvolk  der  Lepontier  gewählt  ist,  anzuwenden. 
Dieselbe  ist  jedoch  zu  verbannen ,  da  sie  durch  keinerlei  Zeugnifs  des 
Altertums  gestützt  wird.  Ein  Specialname  fehlt:  die  Alten  begriffen  die 
ganze  Kette,  die  vom  Wallis  ab  durch  Graubünden  und  Tirol  hinzieht^ 
unter  der  allgemeinen  Benennung  Alpes  Raettcae,^)  Nach  dem  Monte 
Rosa  nimmt  die  Gipfel  und  KammhOhe  ab;  in  beiden  Beziehungen  wird 
der  südliche  Zug  von  dem  nördlichen  der  Berner  Alpen  weit  flbertroffeo. 
Der  Stock  des  St.  Gotlhard  (Paishöhe  2075  m) ,  an  dem  Rhone,  Reufs, 
Rhein  und  Tessin  entspringen ,  bildet  einen  Knotenpunct  für  die  ver- 
schiedenen Verzweigungen  des  Gebirges.  C^wöhnUchwirdauf  denGott- 
hard  der  von  Strabo  und  Ptolemaeus  erwähnte  Adula  bezogen,  an  wel- 
chen beide  die  Quelle  des  Rheins,  der  erstere  auch  diejenige  der  Adda 
versetzen.  Man  darf  an  dieser  Annahme  festhalten,  da  der  auf  Euphonie 
bedachte  Schriftsteller,  durch  den  Gleichklang  von  Berg  und  Fluls  be- 
trogen, offenbar  Tessin  und  Adda  mit  einander  verwechselt  hat.^)  Der 

1)  Ut.  XXI  38  CIL  y  6866  fg. 

2)  Horaz  Od.  174, 17.  Tacit.  Germ.  1. 

3)  'ASovag  und  UdovAac;  die  NoUi  wird  dreimal  wiederholt  IV 192. 204. 
V213.   Ptol.119,5.   in  1,1. 


§  4.   Eunelne  Abschnitte.  149 

Abschnitt  yom  Bernhardin  bis  zar  Dreiherrnspitze  mifst  352  km.  Der 
Pafs  ttber  den  Bernhardin  liegt  2063  m,  der  über  den  Splügen  2117  m 
hoch.  Nordlich  von  der  Adda  steigt  die  Beminakette  bis  4052  m  auf. 
Der  obere  Lauf  der  Etsch  scheidet  die  Ortlergruppe  (3905  m)  von  den 
Oetzthaler  Alpen  (Wildspitze  3776  m).  Jenseit  des  niedrigen  Brenner- 
passes (1362  ro)  bei  der  Dreiherrnspitze  (3499  ni)wird  das  Ende  der  Cen- 
tralalpen  angesetzt  Die  Hauptkette  der  Centralalpen  entsendet  nach 
Süden  13  Ausläufer,  welche  durch  die  Flufsthdler  abgegrenzt  sind. 
Dieselben  fallen  ziemlich  schroff  ab  u  nd  erreichen  nicht  selten  die  Schnee- 
linie. Eine  Reihe  von  Seen,  vom  Orta  bis  zum  Gardasee,  welche  gleich 
tiefen  Fjorden  in  das  Gebirge  einschneiden ,  zeichnen  den  Debergang 
vom  Hoch-  zum  TieHand  in  charakteristischer  Weise  aus.  Der  Mangel 
antiker  Benennungen  macht  sich  hier  wiederum  fühlbar:  wir  haben  le- 
dighch  den  Namen  Alpes  Tridentinae  anzuführen,  welcher,  neben  Alpes 
Raeticae  gebraucht,  im  Allgemeinen  das  Gebirge  Südtirols  umfafst.  t) 

Die  Ost alpen  breiten  sich  fächerförmig  aus,  die  Hauptkette  Alpes 
Nofieae  oder  Tauern  (Grofsglockner  3797  m)  streicht  nach  NO. ,  der 
italische  Grenzwall  südlich  von  der  Drau  nach  SO.  In  dem  letzteren 
wiegen  eigentümliche  Kalksteinbildungen  vor,  nur  selten  wird  die 
Schneelinie  erreicht.  Man  unterscheidet  zwei  Abschnitte.  Bis  zu  den 
Quellen  der  Sau  reichen  die  Krainer  Alpen  A.  Cämicae  177  km  lang, 
nach  dem  Volk  der  Cbntt  benannt.  2)  Von  hier  beschreiben  die  Alpes 
luliae^)  einen  Bogen  von  257  km  um  den  Golf  von  Triest  herum  bis 
an  den  Busen  von  Quarnero.  Wie  das  von  Caesar  oder  Octavian  ge- 
gründete Forum  Mit  der  Provinz  den  Namen  Friaul  verliehen ,  so  ist 
auch  am  Gebirge  das  Andenken  des  ersten  Monarchen  haften  geblie- 
ben und  hat  die  ältere  Bezeichnung  Alpes  Vetietae  verdrängt.  Die  ju- 
lischen  Alpen  oder  Karstgebirge  weichen  von  dem  alpinen  Gesammt- 
charakter  völlig  ab :  Kreide-  und  jüngere  Formationen  wiegen  vor,  die 
Gipfel  treten  zurück ,  ausgedehnte  Hochflächen  streichen  neben  ein- 
ander hin.  Der  höchste  Gipfel  Triglav  oder  Terglou  mifst  2856  m,  die 
übrigen  bedeutend  weniger,  der  M.  Bittoray  1383  m.  „Die  Ocra,  schreibt 


1)  Pilo,  m  121  Die  UV  32  Flor.  I  38,  11.  Die  Beschreibong  Strabons  IV 
207  ist  verwirft,  die  von  ihm  angeführten  Bergnameo  corrapt  und  mit  einiger 
Wahrscheinliebkeit  nicht  zu  deuten. 

2)  Der  Name  PUb.  111  147,  selbstverständlich  nicht  in  der  JeUt  abUehca 
Begrensoug. 

S)  Tadt.  Bist  ID  6  Itin.  Hier.  p.660  Amm.  Marc.  XXI  9,  4  fg.  XXXI 16,  7 
FenetoM  appeUabat  aniiquitas. 


150  Kap.  nL  Die  Alpen. 

Strabo^),  ist  der  niedrigste  Theil  der  Alpen  an  der  carnischen  Grenze, 
auf  Frachtwagen  werden  die  Waaren  von  Aquileia  nach  Nauportus  hin- 
über gebracht,  um  auf  der  Sau  verschiflt  zu  werden.^  Man  heifst  den 
Bergrücken  jetzt  Birnbaumer  Wald ;  die  PafshOhe  liegt  520  m.  An  keiner 
Seite  ist  Italien  so  leicht  zugänglich  gewesen  als  von  Osten.^) 

§  5.  Wegebau. 

Trotz  ihrer  grofsen  Erhebuog  gehören  die  Alpen  zu  den  wegsam- 
slen  Gebirgen  der  Erde.  Die  Bodengestaltung  hat  sie  dazu  bestimmt. 
Tiefe  Thaleinschnitte  dringen  auflockernd  vor  und  wo  zwei  Querthäler 
von  beiden  Seiten  her  auf  denselben  Punct  der  Hauptkette  stofsen, 
sinkt  der  Kamm  ein ,  und  seine  Hohe  ermäfsigt  sich  bedeutend.  An 
solchen  Stellen  sind  die  von  Natur  vorgezeichneten  Üebergänge,  nameut- 
lich  wenn  das  Joch  im  Sommer  schneefrei  bleibt.  Die  mittlere  Pafs- 
höhe  wird  auf  2340  m  berechnet,  niedriger  als  für  die  Pyrenäen  (2436  m), 
so  weit  auch  die  letzteren  rücksichtlich  der  Gipfel  zurückstehen.  Die 
Lage  der  Alpen  im  Herzen  Europa's  brachte  es  mit  sich,  dafs  die  natUr- 
Uchen  Vortheile  durch  künstliche  Nachhülfe  unterstützt  und  gesteigert 
wurden.  Wie  früh  damit  der  Anfang  gemacht  worden  sei,  wird  nie  mit 
annähernder  Wahrscheinlichkeit  sich  ergründen  lassen.  Nach  Livius 
hätten  von  allen  Sterblichen  zuerst  die  Kelten  um  600  v.  Chr.  die 
Westalpen  überschritten. 3)  Indessen  müssen  Hunderte"  um  nicht  zu 
sagen  Tausende  von  Jahren  zuvor  Völkerzüge  auf  dem  Landweg  in 
ItaUen  eingebrochen  sein.  Griechische  Berichte,  welche  ungefähr  bis 
300  V.  Chr.  hinauf  reichen,  wissen  von  einer  gebahnten  Strafse,  deren 
Anlage  dem  Herakles  zugeschrieben  wird ,  auf  der  ein  friedlicher  Ver- 
kehr von  Italien  nach  Gallien  Ligurien  und  Iberien  sich  bewegte;  in 
römischer  Zeit  verstand  man  darunter  oft  fälschlich  die  Strafse  über 
den  Kleinen  Bernhard,  da  vielmehr  an  die  Küste  zu  denken  ist.^)  Hero- 
dot  vernahm  in  Delos  von  Weihgeschenken  der  Hyperboreer,  die  durch 
das  Skythenland  nach  der  Adria,  weiter  über  Dodona  und  Euboea  nach 


1)  IV  207  vgl.  PtoL  ni  1, 1. 

2)  Paul.  hisL  Lang.  II 9  ItaUa  ,  .  ,  ab  oeeiduo  ei  aquilouB  iugis  Alpw^t 
tte  eireumeluditur  vi  niii  per  angtutoe  memtus  ei  per  ntmma  iuga  mofäum 
non  possil  habere  introUumf  ab  orientali  vero  parte,  qua  Parmaniae  een- 
itmgitur^  et  largiua  patentem  et  planisnmum  habet  ingrenum, 

3)  Ut.  V  34^  6. 

4)  De  mirab.  aiuc.  85  Diod.  IV  19  (nach  Timaeos?)  Li¥.XXI4t,7  Veig. 
Aen.  VI  830  Sil.  Ital.  UI  513  Ammian  XV  10,  9. 


§  5.  Wegebau.  151 

Deios  gelangten:  in  der  That  mufs  der  Bernstein  aus  der  Ostsee  in  der 
älteren  Periode  hellenischer  Cultur  auf  dem  Wege  des  Landhandels  in 
bedeutenden  Massen  an  die  Pomttndung  gelangt  sein.^)  Die  Funde  von 
etruskischen  Inschriften  Münzen  Broncegerflt  aller  Art,  die  in  und  jen- 
seit  der  Alpen  gemadit  wurden,  lehren  uns  einen  mit  dem  Norden  be- 
triebenen schwunghaften  Handel  kennen ,  der  um  Jahrhunderte  älter 
sein  mag  als  die  Herrschaft  der  Romer.  >)  Freilich  wäre  es  voreilig  zu 
folgern  dafs  derselbe  bereits  zur  Anlage  geebneter  oder  gar  fahrbarer 
SU'aben  über  die  Joche  geführt  hätte.  Soknge  die  Bergeantone  ihre 
Freiheit  behaupteten,   konnte  von  einem   kunstmäfsigen  Wegebau 
nicht  die  Rede  sein.  Die  Pässe  befanden  sich  in  demselben  primitiven 
Zustande,  wie  er  noch  heutzutage  in  zahllosen  Gegenden  des  Hoch- 
lands angetroffen  wird.    Die  Wasserrinne  giebt  dem  Wanderer  die 
einzuhaltende  Richtung;  wenn  das  diesseitige  Ufer  gangbar  zu  sein 
auAört,  führt  ein  roher  Steg  aus  einigen  Baumstämmen  auf  das  jen* 
seitige  hinüber;  an  schroffen  Felshängen,  wo  jeder  Tritt  erwogen  sein 
will,  an  schaurigen  Abgründen  aus  denen  das  Tosen  des  Wildbachs 
betäubend  empordringt,  geht's  vorbei.    Droben  auf  dem  Kamm  ein 
Labyrinth  von   SteiogerOU  Schneefeldern  und  Sumpflachen,  durch 
welches  das  spähende  Auge  an  Stangen  oder  künstlich  geschichteten 
Steinhaufen  den  richtigen  Pfad  erkennt  Wenn  aber  die  freundlichen 
Zeichen  vom  Sturm  umgestürzt  oder  vom  Schnee  verweht  sind ,  dann 
bedarf  der  Fremde  eines  kundigen  Eingebomen ,  der  ihn  von  Thal 
I«  Thal  durch  die  Wildnifs  geleitet   Derartige  Nalurstrafsen  reichen 
noch  immer  aus  um  den  Verkehr  vieler  Thäler  unter  einander  zu  ver- 
mitteln und  werden  an  Markttagen  von  ganzen  Caravanen ,  Mensch 
und  Vieh  begangen.  Zur  Sommerszeit  gelangen  sie  gefahrlos  nach  hüben 
und  drüben.  Wenn  die  Nächte  lang  werden  und  das  Wetter  unbestän- 
dig, verlieren  Manche  im  Nebel  und  Schnee  elend  ihr  Leben.  Allein 
der  Sohn  der  Berge  pflegt  dem  Tod  öfter  und  kaltblütiger  ins  Antlitz 
zu  schauen  ab  der  Städter.  Er  glaubt  genug  gethan  zu  haben,  wenn 
erden  fortgeschwemmten  Steg  neu  herstellt,  die  umgestürzten  Weg- 
stangen wieder  aufrichtet,  allenfalls  noch  eine  Steinhütte  erbaut  um 
als  Zuflucht  zu  dienen  beim  Schneesturm.    Im  Uebrigen  bleibt  der 
Weg  rauh  steil  gefahrvoll,  wie  ihn  die  Vorfahren  belassen  hatten: 

1)  Her.IY33  vgl.  Heibig,  osservMioni  soprt  il  commercio  dell'  ambro,  in 
Atti  dell*  Aecademia  dei  lincei  I  1877. 

2)  Hermann  Genthe,  über  den  etroskischen  Tauschhandel  nach  dem  Norden, 

Frankfurt  a.  M.  1874. 


152  Kap.  DL  Die  Alpen. 

i>ur  ein  mSchtiger  Astrieb  von  Aufisen  vermöchte  Wandel  su  gchaffen. 
Die  anschauliche  Schilderung,  welche  von  Hannibate  Alpenmarsch  er- 
halten ist,  lehrt  uns  dafs  der  Verkehr  zwischen  den  dies-  und  jensei- 
tigen Kelten  nicht  ausgereicht  hatte  um  eine  sidiere  geordnete  Ver- 
bindung auf  den  Jochen  hervorzurufen.  Wir  können  es  den  Südländern 
kaum  verargen ,  wenn  ihrer  Phantasie  die  Hindernisse  so  riesengrofs 
sich  aufthürmten,  dafs  sie  einen  Gott  oder  Göttersohn  dem  karthagischen 
Feldherrn  die  Wege  weisen  lassen  mufsten.^)  Durch  die  Ausdehnung 
der  römischen  Herrschaft  über  Spanien  und  Südfrankreich  ward  die 
Zugänglichkeit  der  Alpen  ungemein  befördert  Die  Beiigstämme  wurden 
veranbfst  Brücken  zu  schlagen  und  Felsen  zu  sprengen  um  die  Pässe 
practicabel  zu  machen  für  den  Marsch  der  Legionen  und  den  gestei- 
gerten Zuzug  der  Kaufleute. ^)  Massenhaft  drängte  die  siegreiche  Nation 
zur  Ausbeutung  des  Nordens  vor.  Für  die  Lebhaftigkeit  des  Verkehrs 
spricht  unter  anderem  der  Umstand,  dafs  in  der  ersten  Hälfte  des  zwei- 
ten Jahrhunderts  Wirtshäuser  an  den  oberitalischen  Strafsen  angetroffen 
wurden  oder  der  Umstand  dafs  sofort  nach  der  Unterwerfung  von 
Gallia  Narbonensis  die  Römer  alle  Geldgeschäfte  an  sich  rissen. 3)  Der 
kleine  Krieg  welcher  zwischen  den  Bergstämmen  und  der  vorrückenden 
CuHur  entbrannte  und  je  nachdem  die  römische  Regierung  kraftvoll 
einschritt  oder  unthätig  zuschaute,  bald  erlosch  bald  hell  aufloderte 
(S.  75.  78),  hat  reichlich  anderthalb  Jahrhunderte  gedauert,  bis  endlich 
Augustus  die  Alpen  unterwarf  und  dem  Verkehr  dauernd  erschloDs. 

Mit  dem  J.  15  v.  Chr.  hebt  eine  neue  Epoche  in  der  Geschichte 
der  Alpen  an.  Eifrig  hat  der  Kaiser  den  Bau  von  Kunststrafsen  geför- 
dert Sein  Beispiel  wurde  für  die  Nachfolger  bestimmend  und  erst  die 
Neuzeit  hat  die  Leistungen  der  Römer  in  den  Schatten  gestellt  „Es 
scheint  —  heifst  es  in  einer  Würdigung  derselben^)  — ,  dafs  die  rö- 
mischen Ingenieure  in  der  Anlage  der  Straben  mit  grofser  Umsiebt 
zu  Werke  gingen,  dafs  sie  den  Berg,  über  welchen  sie  dieselbe  zu  führen 
hatten,  genau  studirten,  namentlich  auch  die  Gewässer  die  Stürme  und 
die  besonderen  „Lauoen  der  Berge^  erforschten,  die  jedem  eigentüm- 
lich sind,  und  eine  Richtung  aufsuchten ,  wo  die  Schwierigkeiten  ge- 


1)  Die  PolemUi  des  Polybios  in  47fg.  ist  gegen  Gesehichtschreiber  aus  Hao- 
nibals  Umgebung  gerichtet  vgl.  Gic.  Div.  I  24, 49  Liv.  XXI  22. 

2)  Strabo  IV  205. 203.  Caeaar  b.  GalL  m  1. 

3)  Pol.  II  15,5  Gic.  pro  Fonteio  5,  11. 

4)  H.  Meyer,  die  römischen  Alpenatraben  in  der  Seh  weis  p.  129,  in  Mil- 
theilnngen  der  antiquarischen  Gesellschaft  XIII,  Zürich  1858 — 61. 


§  5.  W€ge1>in.  158 

riog«r,  die  Gefahren  leichter  überwunden  werden  konnten.  Sie  wählten 
fllrden  Bau  der  Strafse  immer,  wo  es  nur  irgend  möglich  war,  die 
Sonnenseite  des  Berges,  weil  dieselbe  wärmer  und  trockener  ist,  damit 
im  Winter  eine  geringere  Schneemasse  sich  anhäufe  und  die  Strafse 
im  Frohling  schneller  vom  Eise  befreit  werde.    Nicht  minder  bemüht 
waren  sie  jene  Bergstellen  zu  umgehen,  wo  grofse  Schneehaufen  zu- 
sammengeweht werden  und  oft  zu  20 — 30  Fufs  Höhe  sich  aufthürmen, 
oder  wo  Lawinen  oder  Deberschwemmungcn  den  Weg  öfter  bedrohen. 
Nach  dem  Unheil  der  Sachverständigen  sind  überhaupt  diese  Strafsen 
mit  solcher  Vorsicht  ausgeführt,  dafs  sie  auch  jetzt  noch  in  der  schlim- 
men Jahreszeit,  im  Winter  vorzugsweise,  benutzt  werden  und  Viele 
bedauern,  das  die  neuen  Strafsen  so  oft  die  frühere  Richtung  verlassen 
haben.  Die  Römer  haben  sich  daher  in  diesen  Alpenthälern  ein  schönes 
Denkmal  gestiftet,  das  immer  noch  fortlebt  und  ihren  Ruhm  nicht 
untergeben  läfst.^  Aus  den  Ueberresten  erhellt  ferner  dafs  diese  Wege- 
bauten mit  möglichster  Sparsamkeit  ausgeführt  sind.  Um  die  Kosten  zu 
beschränken,  pflegten  die  Römer  überhaupt  den  besteinten  Fahrdamm 
auf  eine  Breite  einzuengen,  welche  unseren  heutigen  Gewohnheiten 
durchaus  widerspricht.  Bei  einigen  Alpenstrafsen  beträgt  sie  nur  1,50  m, 
bei  anderen  höchstens  3,50  m,  im  Mittel  10'  röm.«»  2,96  m  d.  h.  kaum 
die  Hälfte  des  in  der  Ebene  üblichen  Mafses.  Die  modernen  Ingenieure 
haben  gleichfalls  ihren  Anlagen  im  Hochgebirg  nur  die  halbe  Breite  der 
Chausseen  des  Flachlands  verliehen ;  aber  mag  der  Raum  auch  noch 
so  knapp  bemessen  sein,  so  mufs  er  doch  ausreichen  dafs  zwei  Wagen 
einander  ausweichen  können.   Dies  war  im  Altertum  nicht  der  Fall 
und  viele  dieser  Römerstrafsen  sind  deshalb  von  Hause  aus  nicht  be- 
fahren worden.  In  wie  weit  sie  mit  Gallerien  und  anderen  Schutzvor- 
richtungen ausgerüstet  waren ,  läfst  sich  nicht  sagen.  An  Post-  und 
Zuflucbtshäusem,  nötigenfalls  auch  an  militärischer  Bewachung,  fehlte 
es  auf  den  Hauptrouten  nicht.   Immerhin  stimmt  es  zu  den  erhaltenen 
Resten ,  wenn  Strabo  den  Wegebau  des  Augustus  mit  folgenden  Wor- 
ten charakterisirt  <) :  „nach  Ausrottung  der  Räuber  hat  der  Kaiser  so 
viel  an  ihm  lag  die  Strafsen  hergesteUt.   Freilich  war  es  nicht  möglich 
überall  die  Natur  zu  zwingen ,  wo  an  der  einen  Seite  des  Weges  steile 
Felswände  aufsteigen,  an  der  anderen  tiefe  Abgründe  gähnen,  so  dafs 
ein  geringer  Fehltritt  unvermeidliches  Verderben  durch  den  Sturz  in 


1)  IV  S04.    Herodian  Vffl  1 ,  6  attvamol  yag  eiai  xuQonolfßoi ,  futi 
noXXov  xafJUxTOv  xoi<;  nikui  ^Ixakmxaiq  el^yacfiivoi. 


154  Kap.  HL  Die  Alpen. 

bodenlose  Schlünde  mit  sich  bringt.  So  schmal  ist  gelegentlich  der 
Weg,  dafs  Fursgänger  und  fremde  Saumthiere  vom  Schwindel  erfafst 
werden :  die  einheimischen  Saumthiere  tragen  Lasten  sicher  hinüber. 
Dies  läfst  sich  indessen  so  wenig  abstellen  wie  das  plötzliche  Herab- 
kommen von  Lawinen,  die  eine  ganze  Gesellschaft  packen  und  in  den 
Abgrund  schleudern  können.'^   Aus  den  nämlichen  Sparsamkeitsrflck- 
sichten,  welche  die  Schmalheit  der  Römerstrafsen  veranlafsten,  eriüKrt 
sich  auch  ihre  auffallende  Steilheit.  Die  Römer  pflegten  ihren  Zug- 
thieren  unglaubliche  Anstrengungen  zuzumuten,  um  ja  von  der  geraden 
Linie  nicht  abweichen  zu  müssen.  Diesem  allgemeinen  Grundsatz  sind 
sie  in  den  Alpen  treu  geblieben:  Beispielshalber  erstieg  die  antike 
Strafse  den  Malojapafs  (1811  m)  in  3  Curven,  die  spätere  brauchte 
deren  9,  die  heutige  gar  22.  Dergestalt  sind  die  Wege  immer  bequemer 
aber  dafür  um  so  länger  geworden.   Begreiflicher  Weise  war  von  dem 
Comfort ,  mit  dem  der  verwöhnte  Tourist  der  Gegenwart  aus  seinem 
Landauer  die  Berge  betrachtet,  in  früheren  Zeiten  keine  Rede.  Aber 
überhaupt  mufs  der  Wagenverkehr  auf  den  Alpenpässen  im  Altertum 
ziemlich  beschränkt  gewesen  sein.  Man  brauchte  nicht  nur  Vorspann 
um  das  Fuhrwerk  hinauf  zu  schleppen ;  im  Frühling  wenn  die  Straise 
nafs  und  schlüpfrig  war,  wurden  die  Ochsen  auch  hinten  angespannt, 
um  dasselbe  langsam  herabgleiten  zu  lassen.  0  Zudem  beschränkte  sieb 
seine  Verwendung  auf  wenige  Monate;  der  Schlitten,  welcher  jetzt  von 
November  bis  Mai  an  die  Stelle  tritt,  war  weder  den  Alten  bekannt 
noch  im  11.  Jahi*hundert  bei  den  Aelplem  im  Gebrauch.  So  sehr  die 
Gefahren  einer  Winterreise  gewürdigt  wurden^),  erlitt  der  Verkehr 
dennoch  keine  längere  Unterbrechung.    Gerade  wie  auch  heutigen 
Tages  geschieht,  wurden  im  Winter  Stangen  aufgepflanzt,  um  dem  Wan- 
derer den  richtigen  Weg  zu  weisen  und  ihn  vor  Abgründen  zu  warnen. 
Ja  selbst  wenn  die  Wegestangen  durch  Schneefall  oder  Thauwetter 
verschwunden  und  alles  von  einer  trügerischen  Schneedecke  gleich- 
mäfsig  verhüllt  war,  wurde  derUebergang  mit  Führern  gewagt  s)  lind 
nicht  blos  einzelne  Reisende  sondern  ganze  Truppenkörper  z.  B.  zwei 


1)  AmmianXV  10,  4  malt  dies  beifiglich  des  M.  Gen^vre  ans. 

2)  Eagippioa  vita  S.  Severini  (Mon.  Germ,  bist  Anctorea  antiqniaauni  toL  I) 
c29  beschreibt  sie. 

3)  Anschaulich  Ammian  XV  10,  5  vgl.  8,  18.  Interessante  Parallele  giebt 
Lamberts  Schildemng  Yom  Uebergang  Heinrichs  lY  über  den  M.  Genis  Jan.  1077 
sowie  die  Sehildemng  in  der  Chronik  von  St.  Trond  eines  Uebergangs  Aber  den 
Gr.  Bernhard  Jan.  1129  (bei  Oehlmann  Ol  255). 


§  6.  StraÜMD  nach  GalUen.  155 

LegioDen  Caesars  beim  Ausbruch  des  Bürgerkriegs  49  ?.  Chr.  oder 
die  Rheinarmee  69  n.  Chr.  haben  den  Alpenmarsch  in  schlechtester 
Jabresieit  ohne  viel  Aufhebens  bewerksteUigt.!)  Immerhin  erregt  es 
weit  mehr  Erstaunen  bei  dem  späteren  Zustand  der  Strafsen  und  den 
Schwierigkeiten  der  Verpflegung,  dafs  die  deutschen  Reiterheere  des 
Mittelalters  oft  genug  die  nämliche  Leistung  wiederholten.^) 

§6.  StraTsen  nach  Gallien. 

Die  Zahl  der  von  den  Römern  benutzten  resp.  ausgebauten  Alpen- 
ptae  läfst  sich  nicht  genau  ermitteln ,  da  die  Utterarischen  Zeugnisse 
einerseits  zu  unbestimmt  lauten,  da  andererseits  die  monumentale 
Forschung  das  Alter  einer  einzelnen  Strafse  nicht  immer  mit  voller 
Sicherheit  zu  bestimmen  vermag.  Während  der  Republik  war  die  Auf- 
merksamkeit fast  ausschliefslich  den  Verbindungen  mit  Gallien  und 
Spanien  zugewandt  und  deshalb  sind  wir  über  den  westlichen  Abschnitt 
besser  unterrichtet  als  über  den  mittleren  und  Ostlichen.  Polybios^) 
kannte  vier  practicable  Pässe:  durch  die  Seealpen,  durch  das  Land  der 
Tauriner  (M.  Cenis),  durch  das  der  Salasser  (Kleiner  Bernhard),  durch 
Raetien  (Brenner?).  Varro  vermehrt  die  Ziffer  um  zwei,  indem  er  nach 
einer  übrigens  verwirrten  Angabe  für  die  Westalpen  allein  fünf  nanr- 
haft  macht.  ^)  Eine  besondere  Schwierigkeit  verursacht  die  Deutung  von 
Hann  ibals  U ebergang.  Den  Zeitgenossen  erschien  er  als  ein  Wun- 
der^); die  späteren  Annalisten  haben  den  karthagischen  Marschbericht 
mit  Namen  von  Oertlichkeiten  ausgestattet,  so  weit  ihr  Wissen  reichte.®) 
Allein  ihre  geographische  Anschauung  erwies  sich  dabei  um  nichts 
verläfslicher  als  an  anderen  Puncten :  sie  erzeugte  ein  Labyrinth  von 
Widersprüchen^  die  in  der  Neuzeit  sich  in  einer  fast  unübersehbaren 
Menge  von  Abhandlungen  fortgepflanzt  haben.  Es  ist  nicht  unsere 
Sache  in  diese  weitschichtige  Streitfirage  des  Näheren  einzugehen ;  doch 

1)  Tadt  Bist  I  70  und  das  Aber  den  Grofsen  Bernhard,  dessen  Ueber- 
sehreitong  durch  Napoleon  im  Mai  1800  (freilich  mit  Artillerie)  von  der  Neu- 
zeit so  sehr  gefeiert  worden  ist 

2)  Oehlmann,  die  Alpenpässe  im  Mittelalter,  im  Jahrbuch  f.  Schweiz.  Ge- 
schichte Ol  lY  Zflrich  1878.  79. 

3)  Nach  Strabo  IV  209. 

4)  Bei  Servius  V.  Aen.  X  13. 

5)  Plin.  XXXYI  2  in  poriento  prope  maiores  habuere  Alpu  ab  Hannibale 
exsuperatas, 

6)  Die  bei  Polybios  Ifl  50—55  Livius  XXI  32—37  Torliegende  Darstellung 
geht  mittelbar  auf  einen  in  Hannibals  Dienst  schreibenden  Hellenen  zurOck, 
der  Yon  barbarischen  Namen  sehr  sparsam  Gebrauch  machte  Tgl.  S.  6. 


156  Kap.m.  Die  Alpen. 

wird  man  eine  kurze  OrienUrung  über  den  Stand  derselben  an  diesem 
Orte  erwarten.  1)  Im  Wesentlichen  handelt  es  sich  um  die  yitc  PSsse 
über  den  Grofsen  und  Kleinen  St.  Bernhard,  den  M.  Cenis  und  M.  Ge- 
n^vre,  von  denen  die  beiden  ersten  bei  den  Salassem  im  Thal  der 
Dora  Baltea ,  die  beiden  letiten  bei  den  Taurinern  im  Thal  der  Dora 
Riparia  ausmünden.  Für  den  Grorsen  Bernhard  entschied  sich  die  vul- 
gäre Tradition  der  späteren  Republik,  für  den  Kleinen  Bernhard  Coe- 
lius  Antipater  (um  120  v.  Chr.),  für  den  M.  Gen^vre  Livius.  Der  älteste 
und  competenteste  Zeuge  Polybios  denkt  an  den  H.  Cenis;  denn  seine 
Beschreibung  des  Marsches  kann  nur  auf  diesen  Pafs  bezogen  werden, 
zumal  da  es  feststeht,  dafs  er  den  Abstieg  Hannibals  bei  den  Taurinern 
erfolgen  läfst.^)  Von  dem  Grofsen  Bernhard  oder  Poeninus  kann  im 
Ernste  überhaupt  nicht  die  Rede  sein:  wenn  der  Gleichklang  des  Na- 
mens die  Vorstellung  zu  erzeugen  genügte ,  der  Berg  sei  vom  Ueber* 
gang  der  Punier  benannt  worden,  so  ist  dies  nur  ein  Beweis  für  das 
Ansehen,  welches  die  Volksetymologie  bei  antiken  Schriftstellern  genofs. 
Eine  Erwägung  der  militärischen  Lage  lehrt  dafs  auch  an  den  Kleinen 
Bernhard ,  für  den  gewichtige  Stimmen  in  der  Neuzeit  sich  erhoben 
haben,  nicht  gedacht  werden  darf.  Denn  es  steht  nach  allen  Zeugnissen 
fest ,  dafs  der  erste  Offensivstofs  der  Karthager  gegen  Turin  gerichtet 
war  und  solches  hätte  für  eine  aus  dem  Thal  von  Aosta  debouchirende 
Armee  unter  den  obwaltenden  Verhältnissen  nicht  den  mindesten 
Sinn  gehabt.  Was  drittens  den  M.  Gen^vre  betrifft,  welchen  Livius 
im  Auge  hat,  so  leidet  seine  DarsteOung  an  so  starken  geographischen 
Widersprüchen,  dafs  ihr  einem  älteren  und  zuverlässigen  Gewährs- 
mann wie  Polybios  gegenüber  keinerlei  Gewicht  beizulegen  ist.  Es 
scheint  in  der  That,  dafs  dieser  in  der  Folge  am  meisten  benutzte  Pafs 
erst  77  v.  Chr.  durch  Pompeius  den  Rümem  erschlossen  wurde. ^)  Wir 
beginnen  unsere  Uebersicht  der  Alpenstrafsen  im  Südwesten : 


1)  Vgl.  Ukert  Geogr.  d.  Gr.  u.  R.  11  2  p.  559 fg.  Linke,  die  GontroTerse 
über  Hannibals  Alpenübergang,  Diss.  Breslau  1873. 

2)  Strabon  IV  209  Liv.  XXI  3S. 

3)  Er  schreibt  an  den  Senat  Sali.  fr.  4  (p.  118  Jordan):  ho»H$que  in  eer- 
vieibuM  iam  Italiae  agentU  ab  AlpHnu  in  Hispaniam  submovi.  per  eas  übt 
aliud  atque  Hanmbal  nobis  opportunius  pätefeci.  Die  Gemeinsamkeit  des 
Ausgangsthals  für  M.  Cenis  und  M.  Gen^vre  pafst  zu  dem  gewählten  Aosdnick 
▼ortrefflich  vgl.  Appian  b.  cit.  1 109.  Freilich  hat  sich  ein  Kenner  der  Alpen 
wie  der  verstorbene  Carl  Neumann  (Das  Zeitalter  der  Panischen  Kriege,  Breslao 
1883,  p. 294)  für  den  M.  Gen^vre  entschieden,  aber  ist  dabei  von  einer  nicht 


§  6.  StrafBen  naeh  Gallien.  157 

1.  per  i/pei  martWimas  die  bequemste  Verbiiidung,  da  m  zwischen 
Nina  und  Hentone  nur  eine  Höhe  von  ca.  600  m  zu  übersteigen  bat. 
Sie  Iluft  an  der  Kttste  hin  von  Genua  aus  über  Savo  und  Vada  Sabatia 
Sdirona^  Alkingaumtm  XlbengB^  AUnfUmilmm  Ventimiglia,  nach  Gerne* 
nehtm  Cimella  oder  Cimiez  und  Nicaea  Nizza,  setzt  sich  von  hier  durch 
Gallien  fort  Dies  ist  die  alte  den  Hellenen  bekannte  Strafse  des  He- 
rakles, dessen  Name  im  porfiis  HereuUs  Monoeä  Monaco  fortlebte :  die 
älteste  Aipenstrafse,  die  zur  Kunde  der  ciassischen  Völker  gelangte 
und  von  ihnen  begangen  ward  (S.  150).  Die  Römer  haben  achtzig  Jahr 
wahrende  Kampfe  mit  den  Ligurem  geführt,  um  diesen  Durchgang 
sieh  zu  sichern,  und  schliefslich  erreicht,  dafe  eine  neutrale  Zone  von 
1500  Schritt  Breite  Iflngs  des  Weges  abgesteckt  wurde,  i)  Jedoch  ward 
die  Strafse  erst  13  v.  Chr.  chaussirt  und  erhielt  nach  ihrem  Erbauer 
den  Namen  via  JuUa  AuguUa^)  Die  Entfernung  von  Savona  bis  zum 
Var  dem  GrenzfluTs  Italiens  wird  zu  93  Hillien  gerechnet.  Auf  der 
Pafshöbe  {Alpe  mcmma),  weithin  über  Land  und  Meer  sichtbar,  erhob 
sich  das  dem  Kaiser  für  die  Unterwerfung  der  Alpenstämme  im  J.  7 
oder  6  v.  Chr.  von  Staatswegen  errichtete  Siegesdenkmal,  die  Tropaea 
iü^MsTt,  von  dem  Reste  sich  erhalten  und  dessen  Name  im  heutigen 
Turbia  sich  fortgepflanzt  hat.  —  Aus  dem  Thal  der  Stura  führt  ein  be- 
quemer von  Mai  bis  October  schneefreier  Pafs  über  den  CoUe  della 
Maddalena  oder  deil' Argentera  (2019  m)  in  das  Thal  des  Ubaye.  In- 
dessen ist  nicht  bekannt,  ob  dieser  und  andere  Uebergänge  aus  dem 
Qnellgebiet  des  Po,  die  bedeutend  höher  liegen  (2500 — 3000  m),  von 
den  Alten  benutzt  wurden.   Dagegen  fllhrt  eine  wichtige  Strafse 

2.  per  Alpes  Coitia$  über  den  M.  Gen^vre.  Die  Pabhöhe  beträgt 
nur  1865  m  und  ist  von  Mai  bis  September  ohne  Schnee.  Zu  diesen 
Vortbeilen,  welche  die  niedrige  Einsenkung  vor  den  meisten  anderen 
Pässen  darbot,  kam  weiter  die  günstige  Lage  hinzu,  indem  hier  der 
directe  nächste  Weg  zwischen  dem  Polhai  und  Südfrankreich  lief.  3) 
Es  ward  oben  bemerkt,  dafs  Pompeius  allem  Anschein  nach  zuerst  77 
V.  Chr.  mit  einem  römischen  Heer  ihn  zurück  gelegt  hat  Caesar  mufste 


nitreffenden  WOrdigiiog  der  Qaellen  ausgegangen.  Dafo  an  den  Kleinen  Bern* 
kard  gar  nicht  gedacht  werden  kann,  wie  besonders  von  englischer  Seite  ge- 
schieht, bat  Neiunann  überzeugend  nachgewiesen. 

1)  Strabon  rV203;  Pompeius  hat  noch  hier  kämpfen  mflssen  Gaes.  b.  civ.1 35. 

2)  cm  V  p.  828. 953. 

3)  Caesar  paasirt  ihn  bei  der  Eröffnung  des  gallischen  Kriegs  und  bezeich- 
net ihn  I  10  qua  proximvm  iter  in  uUeriorem  GalHam  per  Mpes  erat. 


158  Kap.  DI.  Die  Alpen. 

im  J.  58  den  Durchzug  erkämpfen.  Der  schon  erwähnte  Keltenfttrst 
Cottius,  welcher  sich  dem  Augustus  unterwarf,  hat  dann  die  Strafse 
kunstmäfsig  ausgebaut.  In  der  Kaiserzeit  ward  sie  stark  benutzt'): 
diesem  Umstand  wird  es  zuzuschreiben  sein,  dafs  mit  kaiserlichem  Na- 
men versehene  Meilensteine  vorkommen ,  mithin  der  Imperator  selbst 
ihre  Herstellung  besorgt  hat.  2)  Sie  folgt  derDora  Riparia  und  erreicht 
40  Millien  von  Turin  den  Hauptort  des  cottischen  FQrstentums  Segu$io 
Susa  (503  m)  wo  das  Andenken  des  Cottius  in  einem  Ehrenbogen  fort- 
lebt, den  er  9/8  v.  Chr.  seinem  kaiserlichen  Herrn  geweiht  hatte.  Als- 
dann steigt  sie  und  langt  nach  16  Millien  bei  der  Station  ad  Mortis  Oulx 
(1071  m)  an.  Von  hier  werden  12  Millien  bis  zur  Höhe  des  mans  Mo- 
trona  (1865  m)  gerechnet,  an  dem  die  Drueniia  Durance  entspringt; 
der  Abstieg  nach  Brigantio  Brian^on  (1306  m)  zu  6,  weiter  nach  Ebu- 
rodunum  Embrun  (854  m)  35  Millien.  Der  Schwierigkeiten  und  Be- 
schwerden, welche  die  Reise  im  Frühling  und  Winter  nach  der  anschau- 
lichen Schilderung  Ammians  verursachte,  haben  wir  bereits  S.  154 
gedacht. 

3.  über  den  M.  Cenis  führt  die  Strafse  von  Susa  in  NW  Rich- 
tung direct  auf  das  Joch  hinauf,  dessen  geräumige  Einsattelung  einen 
kleinen  See  birgt.  Die  PafshOhe  beträgt  2064  m  und  ist  von  Mai  bis 
September  schneefrei.  Der  Anstieg  von  der  französischen  Seite  aus 
dem  Thal  des  Are,  eines  Nebenflusses  der  Is^re,  ist  minder  steil  als  auf 
der  italienischen:  der  Ausgangspunct  Lanslebourgliegt  1434  m,  Susa 
503  m.  Wir  haben  bemerkt,  dafs  Hannibal  diesen  Weg  einschlug.  Seit 
der  Eröffnung  des  M.  Gen^vre  scheint  er  selten  benutzt  worden  zu  sein: 
wenigstens  wird  er  nirgends  ausdrücklich  erwähnt.  Dagegen  gewann 
er  im  frühen  Mittelalter  jenem  wieder  den  Rang  ab  und  Ludwig  der 
Fromme  veranlafste  zum  Besten  der  Reisenden  die  Gründung  eines 
Hospiz  auf  der  Höhe. 

4.  per  Alpes  Graias  über  den  Kleinen  Bernhard  führte  eine 
Fahrstrafse  aus  dem  Thal  der  Dora  Baltea  in  das  der  Isöre  nach  Vienne 
und  Lyon.  Der  Pafs  ist  2192  m  hoch  und  von  Mai  bis  September 
schneefrei.  Die  Tradition ,  welche  ihn  in  den  Tagen  der  Vorzeit  von 
Hercules  beschritten  sein  liefs,  deutet  auf  das  Alter  des  Verkehrs  bin 
und  erhält  in  solcher  Hinsicht  unter  anderem  dadurch  eine  monumen- 
tale Bestätigung,  dafs  auf  dem  Joch  ein  keltischer  Steinkreis,  ein  sog. 


1)  Ammian  XV  10, 8  via  media  et  conpendiaria  magisque  eelebris, 

2)  CIL.  Vp.  809  fg.  952. 


S  0.   StraüieD  nach  Gallien.  159 

Kromlech  sich  befindet,  das  einzige  Denkmal  dieser  Gattung,  welches 
bisher  auf  italischem  Boden  nachgewiesen  worden  ist.  ^)  Auch  aus  ro- 
mischer Zeit  sind  verschiedene  Ruinen  vorhanden.  Während  seiner 
Statthalterschaft  scheint  Caesar  den  Pafs  öfters  benutzt  zu  haben,  über- 
schritt ihn  namentlich  beim  Ausbruch  des  Bürgerkriegs.  2)  Indessen 
dauerte  die  Unsicherheit  auf  der  ganzen  Route  fort ,  bis  Augustus  25 
V.  Chr.  den  Stamm  der  Salasser  durch  Varro'  Murena  ausrotten  liefs. 
Alshald  ward  die  Strafse  kunstmäfsig  ausgebaut  und  zu  ihrer  Deck- 
ung die  mit  3000  Colonisten  belegte  Festung  Aosta  gegründet. 
Dem  Lauf  der  Dora  folgend  von  Epareüa  Ivrea  (234  m)  aus  erreicht 
die  Strafse  nach  56  Millien  ÄuguBta  Praetoria  Sakusorum  (598  m).  Von 
hier  bis  Arebrigium  Derby  (ca.  900  m)  werden  25  und  bis  Äriolica  la 
Taile  weitere  16  Millien  gerechnet,  endlich  6  um  auf  die  Höhe  in  Alpe 
Grtm  zu  gelangen.  Vom  Joch  senkt  sich  die  Strafse  in  das  Thal  der 
Isara  Is^re  nach  dem  12  MiUien  entfernten  Bergitrum  Bourg  S.  Mau- 
rice (881  m),  dann  9  Millien  Axifna  Aime  (758  m),  10  Millien  Daran- 
tnia  Moutia^s  en  Tarantaise  (588  m)  und  setzte  sich  nach  den  Reise- 
büchern  über  Genf  bis  Strafsburg  fort.  3)  Wie  aus  den  mitgetheilten 
Hohenangaben  hervorgeht,  ist  der  Anstieg  der  allgemeinen  Regel  wider- 
sprechend auf  der  italischen  Seite  bequemer  als  auf  der  gallischen.  Der 
Fahrdamm  stellt  sich  nach  den  zahlreichen  Ueberresten  im  Mittel  auf 
2,98  m  »» 10^  röm.  Breite. 

5.  per  Alpes  Poeninas  über  den  Grofsen  Bernhard  lief  zu 
Strabons  Zeiten  nur  ein  Saumpfad.  „Nach  Lyon  —  schreibt  er^)  — 
führen  durch  das  Gebiet  der  Salasser  zwei  Strafsen :  eine  längere  fahr- 
bare durch  das  Land  der  Ceutronen,  eine  steile  schmale  unfahrbare, 
aber  kurze  über  den  Poeninus.^  Der  alte  Cult  dieses  Gottes  auf  dem 
Joch  wie  die  Häufigkeit  etruskischer  Funde  läfst  allerdings  vermuten, 
dals  dasselbe  früh  besucht  ward ;  auch  schickte  Caesar  55  v.  Chr.  eine 
Heeresabtheilung  aus,  um  die  Kaufleute  gegen  die  Erpressungen  der 
Bergbewohner  in  Schutz  zu  nehmen.^)   Die  Römer  haben  die  Strafse 

1)  C  Promis,  le  aDlichitä  di  Aosta  p.  120,  der  Aber  diese  und  die  folgende 
Strafse  genao  berichtet;  vgl. Genthe  a.D.  p. 68. 

2)  Nach  der  Schilderung  Petrons  122  v.  144fg.,  die  aber  nicht  auf  Autopsie 
beruht 

3)  lt.  Ant.  p.  350  CIL.  V  p.  765. 

4)  IV  208  und  ebenso  p.  205. 

h)  LiT.  XX]  38  Gaea.  b.  Call.  DI  1  iter  per  Alpet  quo  magno  cum  perieulo 
nagnisque  cum  portoriit  mereatores  ire  consuerant,  paiefieri  voMat  Genthe 
«.0.  p.69. 


I  160  Kap.  lU.  Die  Alpen. 


ausgebaut  und  mit  Meilensteinen  sowie  mit  SchutzhXusern  verseben: 
in  den  Reisebttcbern  gilt  sie  als  die  Hauptstrafse  zwischen  Mailand  und 
Mainz.  Indessen  erscheint  es  doch  zweifelhaft,  ob  dieselbe  in  spitaren 
Jahrhunderten  für  Wagenverkehr  eingerichtet  worden  ist;  denn  ihre 
Breite  mifst  auf  der  schweizerischen  Seite  nicht  mehr  als  1,60  m.^)  In 
der  That  hat  sie  eine  aufserordentliche  Steigung  zu  überwinden,  indem 
von  Aosta  (598  m)  auf  die  PafshOhe  (2491  m)  nur  25  Millien  und  die- 
selbe Entfernung  von  hier  bis  Ododurus  Martigny  im  Rhonethal  (495m) 
gerechnet  wurden.  Ferner  ist  das  Joch  nur  im  Hochsonuner  (Juli 
August)  schneefrei ,  der  kleine  See  auf  demselben  bleibt  acht  Monate 
des  Jahres  hindurch  gefroren.  Die  Schrecken  des  Gebirgs  traten  dem 
Wanderer  hier  in  ungleich  verstärktem  Mafse  entgegen  als  auf  den 
übrigen  Pässen :  daraus  erklärt  sich  auch  die  Masse  von  Weihgeschen- 
ken an  den  Gott  desselben ,  welche  nirgends  anderswo  sich  wieder- 
holen. Seit  962  steht  auf  der  Pafshöhe  das  Hospiz  des  heil.  Bernhard, 
dessen  Insassen  Augustiner  Chorherren  in  dieser  höchsten  Winter- 
wohnung der  Alpen  in  einem  Klima,  wie  es  Polargegcnden  eignet,  das 
ganze  Jahr  ausharren  im  Dienst  ihres  hohen  Berufs  den  Reisenden  Ob- 
dach zu  bieten  und  thatkräfügen  Beistand,  wenn  sie  im  Schnee  und 
Unwetter  verirrt  sind.  Unweit  des  Klosters  stand  noch  im  11.  Jahr- 
hundert der  Tempel  desPoeninus.  Und  wie  der  heutige  Reisende,  wenn 
er  dankerfüllten  Herzens  Abschied  nimmt,  nicht  vergifst  eine  Gabe  in 
den  Opferstock  nieder  zu  legen ,  so  pflegten  auch  die  Alten  dem  Gott 
des  Berges  ein  Gelübde  für  glückliche  Wegfahrt  darzubringen  und  zam 
Zeugnifs  dessen  ein  Erztäfelchen  im  Tempel  aufzuhängen.  Nach  die- 
sen Votivtafeln,  von  denen  einige  dreifsig  aufgefunden  sind,  gehört 
die  HälAe  der  Weihenden  dem  Soldatenstand  an :  die  verschiedenen 
Chargen,  die  verschiedenen  Truppen theile,  die  in  den  Rheinfestungen 
gamisonirten,  sind  darunter  vertreten.  Der  Ruf  des  Berges  in  der  Kaiser- 
zeit reichte  so  weit,  dafs  Ptolemaeus  auf  seiner  Karte  den  kleinen  See 
eintrug  und  irrtttmUch  die  Duria  aus  ihm  entspringen  liefs.^) 

§7.    Strafsen  nach  Raetien. 

Wenn  die  Römer  in  den  Alpen  die  Mauer  ihres  Landes  erblicken, 
haben  sie  doch  Jahrhunderte  lang  gezögert  sich  in  deren  Besitz  zu 

t)  Meyer  a.  0.  p.  122.  124,  der  die  erhaltenen  Reste  beschreibt.    Promis 
a.  0.  p.  123  ern^hnt  ein  im  Felsen  ansgehanenes  Stflck  Ton  3,66  m  Breite. 
2)  ffl  1  p.  176  Wilb. 


S  7.  StnfMD  nach  Raetien.  1$1 

setzen.  Die  Scheu  des  Südens  vor  der  fremdartigen  Natur  des  Hoch- 
gebirgs  findet  darin  einen  meriiwflrdigen  Ausdruck.  Die  römischen 
Legionen  haben  alles  Land  bis  an  den  Rhein  unterworfen,  haben  Vor- 
stofse  gemacht  nach  Germanien  hinein  und  über  den  Canal  nach  Brit- 
tanien,  ohne  dafs  die  Freiheit  der  Bergeantone  ernstlich  gefährdet 
worden  wäre.  Seit  undenklichen  Zeiten  hatten  die  Händler  über  den 
Brenner  und  andere  zugängliche  Joche  etruskisches  Metallgerät  zu  den 
nordischen  Barbaren  geschafft.  Jedoch  blieben  diese  Gegenden  unbe- 
kannt: als  Caesar  den  Hercynischen  Wald  beschrieb,  der  sich  südlich 
der  Donau  in  einer  Länge  von  60  und  einer  Breite  von  9  Tagereisen 
erstrecken  sollte,  fehlte  ihm  die  Anschauung  dafs  er  damit  die  nörd- 
liche Abdachung  der  ihm  von  Süden  her  wolvertrauten  Alpenkette  be- 
zeichue  (S.  139).  Auch  seit  der  Unterwerfung,  nachdem  Augustus  die 
Reichsgrenze  15  v.  Chr.  an  die  Donau  vorgerückt  hatte,  geschieht  ihrer 
selten  Erwähnung.  Raetien  wurde  gewisser  Maisen  als  Festungsglacis 
betrachtet,  war  für  eine  städtische  Entwicklung  in  der  Art  Galliens 
entfernt  nicht  reif.  In  Folge  dessen  schweigt  die  Ueberlieferung  und 
redet  erst  als  das  Land  seine  Dienste  als  Glacis  zu  leisten  hatte,  als  die 
Germanen  ihre  unablässigen  Stürme  auf  die  Festung  begannen.  Seine 
Bedeutung  für  die  Sicherheit  Italiens  ward  durch  die  Einverleibung, 
welche  Diocletian  vollzog,  förmlich  anerkannt  (S.  85).  Aus  dem  Ge- 
sagten erklärt  sich,  warum  wir  über  die  raetischen  Strafsen  weit  dürf- 
tiger unterrichtet  sind  als  über  die  gallischen,  erklärt  sich  ferner,  warum 
manche  Pässe,  die  im  Mittelalter  stark  benutzt  wurden,  von  den  Römern 
nicht  begangen  oder  wenigstens  nicht  ausgebaut  zu  sein  scheinen.  Wir 
fahren  in  unserer  Aufzählung  fort: 

6.  über  den  Simplen  (2020  m)  führt  ein  von  Hai  bis  Septem- 
ber schneefreier  Pafs  aus  dem  Thal  der  in  den  Lago  Maggiore  mün- 
denden Toce  in  das  obere  Rhonethal  hinüber.  Kein  Schriftsteller 
erwähnt  denselben :  aber  eine  <Aerhalb  Vogogna  in  den  Felsen  einge- 
hauene Inschrift  meldet  von  einem  196  n.  Chr.  unternommenen 
Wegebau.  1)  Zwar  ist  hier  nur  von  einer  verhältnifsmäfsig  kurzen 
Strecke  die  Rede:  indessen  spricht  eine  grolse  Wahrscheinlichkeit 
fttr  die  Annahme,  dafs  die  Strafse  sich  über  den  Simplen  fortsetzte 
und  diese  bequeme  Verbindung  zwischen  dem  Wallis  und  Mailand 
in  der  späteren  Kaiserzeit  practicabel  gemacht  ward. 

Das  Thal  des  Tessin  gabelt  sich  in  mehrere  Arme:  der  westliche 


1)  OL  Y  S649>  die  natirang  steht  nur  amiahenid  fest 

Hiis«ii,  ItaL  LandMkukd«.  I.  11 


162  Kap.  in.   Die  Alpen. 

Hauptarm  wird  durch  den  St.  Gotthard  (2111  m,  Juni  bis  September 
schneefrei)  von  der  Reufs,  der  mittlere  durch  den  Lukmanier  (1917  m) 
vom  Vorderrhein  geschieden.  Es  fehlt  an  sicheren  Anzeichen,  dafe 
diese  beiden  Pflsse  den  Römern  bekannt  gewesen  seien:  ein  Pilgerweg 
tlber  den  Gotthard  wird  erst  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  er- 
wähnt, der  Lukmanier  ward  bereits  von  irischen  Glaubensboten  be- 
gangen. Der  Ausbau  des  Gotthard  ist  seiner  überaus  günstigen  Lage 
unerachtet  offenbar  deshalb  unterlassen  worden,  weil  er  grofse  Schwie- 
rigkeiten bot  und  auf  den  wilden  See  der  Waldstätte  ausmündete. 
Beide  Pässe  waren  im  Mittelalter  viel  benutzt  Dagegen  läuft  aus  dem 
Ostlich  abzweigenden  Val  Mesocco  eine  Römerstrafse 

7.  über  den  St.  Bernhardin  oder  Vogelberg  in  das  Rhein wald- 
thal.  Der  Pafs  liegt  2063  m  und  ist  von  Juni  bis  September  schneefrei. 
Die  alte  Strafse  ca.  1,80  m  breit  ist  auf  grofsen  Strecken  eriialten  und 
wird  bei  schlechter  Jahreszeit  der  jetzigen  vorgezogen,  i)  Sie  ging  von 
Bilitio  Bellinzona  aus  und  mündete  in  Curia  Chur;  die  Entfernung 
beträgt  gegenwärtig  123  km.  Auf  kürzerem  Wege  gelangte  man  von 
Mailand  nach  Chur  über  den  Comersee  und 

8.  über  den  Splüg  en.  Das  Joch,  von  Juni  bis  September  ohne 
Schnee,  mifst  2117  m.  Nach  dem  Reisebuch  lief  hier  eine  Poststrafee 
zwischen  Brigantia  Bregenz  am  Bodensee  und  Como  resp.  Mailand. 
Das  Joch  enthielt  die  Station  cuneus  aureus.  Gegenwärtig  werden  von 
Chur  bis  Clavmna  Chiavenna  94  km  gezählt:  wenn  also  das  Reisebuch 
diese  Strecke  zu  75  Million  (111  km)  ansetzt,  so  müssen  arge  Fehler 
in  der  Ueberlieferung  stecken.  Freilich  ist  es  bisher  nicht  gelungen 
den  Gang  der  Strafse  und  die  erwähnten  Poststationen  auf  der  italie- 
nischen Seite  bestimmt  zu  fixiren.  An  der  Nordseite  ist  der  Fahrdamm 
in  einer  Breite  von  1,60 — 1,80  m  (5 — 60  streckenweise  gut  erhalten. 

9.  Ober  den  Septimer,  23 11  m  von  Juli  bis  September  schnee- 
frei. Chiavenna  (317  m)  liegt  am  Vereinigungspunct  zweier  Thäler, 
des  NNW  streichenden  Jakobsthals,  von  dem  die  Strafse  über  den  Splfl- 
gen  ausläuft,  und  des  NO  streichenden  Thais  der  Maira ,  das  von  dem 
Stamm  der  Bergaki  bewohnt  war  und  danach  Val  Bregaglia,  Bregell 
oder  Bergell  heifst.  Aus  letzterem  führen  zwei  Pässe  nach  Graubttnden 
hinüber:  der  Septimer  und  Julier.  Jener  ist  bedeutend  schwieriger, 
aber  2 — 3  Stunden  kürzer:  daraus  wird  es  zu  erklären  sein,  dafs  er, 
jetzt  verlassen,  im  Mittelalter  viel  benutzt  ward.  Reste  einer  ca.  1,50  m 


I)  Meyer  a.O.  p.  t39  vgL  Ammian  XV  4, 1  Gregor  v.  Tours  X  3. 


S  7.   Straften  nach  Raetien.  103 

(4—50  breiten  steilen  Strafee  sind  erhalten,  deren  Erbauung  mit  Wahr- 
scheinlichkeit den  Römern  zugeschrieben  wird.  Wichtiger  für  die  Alten 
war  der  zweite  Pafs 

10.  Ober  den  Julier.  Derselbe  liegt  2287  m,  ist  aber  den  La- 
winen weniger  ausgesetzt  und  geht  früher  auf  als  die  anderen  Pässe 
der  schweizerischen  Alpen  (durchschnittlich  am  10.  Mai).  Aus  diesem 
Grund  haben  die  Römer  eine  Fahrstrafse  über  denselben  angelegt,  die 
erste,  welcher  wir  seit  dem  Kleinen  Bernhard  wieder  begegnen.  Zwar 
weist  sie  nur  eine  Breite  von  ca.  2,50  m  auf;  indessen  lassen  die  in  den 
Steindamm  tief  eingedrückten  Geleise  keinen  Zweifel  zu,  dafs  sich  hier 
wirklich  ein  Wagenverkehr  bewegt  hat  Das  Reisebuch  verzeichnet 
eine  Poststrafee  von  Mailand  über  Como  und  Chur  nach  Bregenz  am 
Bodensee.  Ske  folgte  dem  von  der  Maira  durchströmten  Bregell  und 
erstieg  am  Ende  desselben,  wahrend  die  Septimerstrafse  links  abzweigte, 
die  Hochfläche  des  Maloja  (1811  m,  mit  25.  April  schneefrei)  und  trat 
damit  in  das  Engadin  oder  Oberinnthal.  Nachdem  sie  die  Seen  von 
Sils  (1797  m)  und  Silvaplana  (1816  m)  passirt,  wendet  sie  sich  west- 
wärts den  Julier  hinauf,  auf  dessen  Höhe  eine  zertrümmerte  Sftule  von 
den  Römern  Zeugnifs  ablegt  Dann  senkt  sie  sich  in  das  Oberhalb- 
stein nach  dem  Dorfe  Stalla  oder  Bivio  (1776  m)  —  letzteres  offenbar 
bwium ,  weil  die  Septimer  und  Julierstrafse  hier  zusammen  stofsen  — 
weiter  nach  Tineiio  Tinzen  (1289  m)  und  Curia  Chur  (590  m).  Die 
Entfernung  von  dieser  Stadt  bis  Chiavenna  beträgt  140  km;  die  Angaben 
des  Reisebuchs  sind  corrupt.  Aus  dem  von  der  Adda  durchströmten 
VeKIin  führt  der  Berninapafs(2334  m)  in  das  Engadin,  das  Stilfser  Joch 
(2757  m)  in  den  Vintschgau.  Wir  besitzen  keinen  Anhalt  dafür  dafs 
eines  der  beiden  von  den  Römern  begangen  worden  sei.  Die  Richtung 
der  nächsten  Strafsen  ist  durch  den  Lauf  der  Etsch  bedingt,  welche 
auflockernd  in  die  Gebirgsmasse  eindringt  und  die  Wasserscheide  weit 
nach  Norden  vorschiebt.  Den  beiden  Hauptarmen  entsprechend  kom- 
men zwei  Uebergange  in  Betracht;  nämlich  zunächst 

11.  über  die  Reschen-Scheideck  (1493  m,  Juni  bis  Septem- 
ber schneefrei).  Nach  der  Unterwerfung  der  Alpenstämme  15  v.  Chr. 
legte  Drusus  in  NW  Richtung  eine  Strafse  quer  durch  das  Gebirge  an, 
die  350  fifiUien  lang  Po  und  Donau  mit  einander  in  Verbindung  setzen 
sollte.  Sein  Sohn  Kaiser  Qaudius  hat  dieselbe  in  den  J.  46. 47  v.  Chr. 
chaussirt  und  ihr  den  Namen  via  Claudia  Augmta  verliehen.  <)  AUinum 


1)  Unsere  Kunde  von  derselben  verdanken  vir  allein  zwei  MeOensteinen, 

11* 


164  Kap.  ffi.   Die  AlpeiL 

war  ihr  Ausgangspunct;  von  dort  lief  sie  über  OpUergmm  Odeno, 
Feltria  Feltre  durch  die  Val  Sugana,  das  Thal  von  An»uguii%  nach  Tri- 
dentum.  Das  Reisebuch  rechnet  von  Oderzo  bis  Trient  110  Miilien. 
Weiter  folgte  sie  dem  Lauf  der  Etach  und  langte  jenseit  der  Rescben- 
Scheideck  im  Innthal  an.  Von  hier  scheint  sie  sich  nach  Bregenz  fort- 
gesetzt zu  haben.  Bekannter  ist  der  zweite  Pafs 

12.  über  den  Brenner  1367  m.  Zwischen  den  Oetzthaler  und 
Zillerthaler  Alpen,  wo  die  SiU,  ein  Nebenflub  des  Inn  und  der  /Mrptu 
Eisach  entspringen ,  sinkt  der  Kamm  des  Gebirges  ein  und  biMet  da- 
durch einen  der  bequemsten  zugleich  auch  directesten  Uebergtfnge  von 
Italien  nach  Deutschland.  Nach  den  zahlreichen  etruskisdien  Funden 
ist  derselbe  seit  uralters  her  im  Gebrauch  gewesen.  Die  Römer  haben 
eine  Hauptstrafse  von  dem  Hittelpunct  der  Provinz  Raetien ,  von  in- 
gugta  Vindelicorum  Augsburg  nach  Verona  hinüber  geleitet,  deren  An- 
lage auf  die  Zeit  der  Unterwerfung  zurückzuführen  ist  Nach  Ausweis 
der  Meilensteine  haben  die  Kaiser  seit  Diodetian  eifrig  ihre  Ausbesse- 
rung betrieben.  1)  Das  Reisebuch  rechnet  die  Entfernung  zu  272  Miilien. 
Von  Verona  (51  m)  bis  Trient  (218  m)  60  MiUien,  von  hier  80  über 
Sublmno  Sehen  bei  Klausen  (511  m)  bis  Vipkenum  Sterzing  (947  m), 
dann  über  Matreium  Matrei  (988  m)  und  das  Joch  36  bis  VeUideM 
Willen  bei  Innsbruck  (583  m).  Von  Wilten  erreichte  die  Strafae  über 
Parthanum  Partenkirchen  nach  96.  Million  Augsburg.  Im  Mittelalter 
ward  sie  vorzugsweise  bei  den  Römerzttgen  eingeschlagen:  von  144 
Alpenübergängen  deutscher  Könige ,  Hin-  und  Rückreise  gerechnet, 
entfallen  66  auf  den  Brenner.  Schon  1480  wurde  sie  nach  langer  Ver- 
nachlässigung für  Wagenverkehr  wieder  hergestellt. 

§8.  Strafsen  nach  Illyrien. 

Im  Nordosten  grenzte  Italien  an  die  Provinzen  Noricum  Pannonieo 
und  Dalmatien,  deren  Unterwerfung  von  Kaiser  Augustus  bewirkt  wurde. 
Der  Kürze  wegen  befassen  wir  dieselben  unter  dem  Gesammtnameo 
IHyrien,  der  mit  einzelnen  Schwankungen  den  Alten  zur  Bezeichnung 
der  Länder  zwischen  Donau  und  Haemos  einer«,  Adria  und  Pontes 
andererseits  diente,  auch  nach  der  Reichseintheilung  Diocletians  Nori- 
cum (Kärnthen  Salzburg  Theile  von  Oesterreich)  einscUors.  In  der 
That  hat  die  Natur  die  ethnische  und  politische  Scheidung  angedeutet 

von  denen  der  eine  6—7  MiUien  Ton  Feltre  nach  Belluno  zu,  der  andere  bei 
Rabland  oberhalb  Meran  gefunden  ist  s.GILV  p.93S  itin.  Ant.  p.  280. 
1)  CIL.  ni  p.  735  V  p.  947  itin.  Ant  p.  275. 


i  8.  StrtfteD  nach  Dlyrien.  165 

OestKch  Toni  30.  Meridian ,  der  ungefthr  mit  der  Grenze  von  Raetien 
und  Noricum  zusammen  teilt,  ändert  sich  der  Bau  der  Alpen.  Während 
im  Westen  eine  einzige  Hanptkette,  in  der  Mitte  zwar  mehrere  aber 
wesentlieh  in  gleicher  Richtung  streichende  Ketten  sich  finden,  breitet 
sich  nunmehr  die  Geblrgsmasse  über  einen  Bogen  von  3  Breitengraden 
aus  und  entsendet  nach  Osten  wie  ein  Fächer  sich  <^nenddrei  ansehn- 
liche Flüsse,  die  dem  pannonischen  Tiefland  zueMen.  Daraus  folgt  zu« 
gleich  dafe  die  Einschnitte,  welche  die  Strafeen  aufnehmen,  nicht  mehr 
senkrecht  zu  der  Axe  des  Gebirges  stehen ,  sondern  dafs  der  Verkehr 
dem  Lauf  der  Flüsse  entsprechend  nach  Osten  gewiesen  ist.  Wenn  die 
Kammhühe  auch  bedeutend  sinkt,  sind  die  nach  Norden  führenden 
Straften  zu  grofsen  Umwegen  gezwungen,  um  die  wiederholte  Steigung 
zu  vermeiden.  Beherrschende  Pässe  im  Sinne  der  West-  und  Central- 
alpen  fallen  hier  fort  Immerbin  ist  der  Austritt  aus  Italien  durch  den 
Lauf  des  Tagliamento  und  Isonzo  bestimmt  und  darnach  ergeben  sich 
folgende  Strafsen:* 

13.  über  M.  Croce  und  die  Flecken  1371  m.  Aus  dem  oberen 
Thal  des  TfUaventui  Tagliamento  fährten  zwei  Romerstrafsen  hinüber 
nach  Noricum.  Die  westliche  erstieg  von  luUum  CarmcHm  ZugUo  aus 
den  H.  Croce(1371m),  führte  über  die  Pleckenalp  (1257  m}  hinab  nach 
loRcncffi  Mauthen  im  Thal  der  Gail  und  gelangte  aufwärts  über  den 
KüiBcfaachpafs  (1014  m)  nach  Oberdrauburg  an  der  Drau.  Durch  das 
Pusterthal  setzte  sie  sich  der  heutigen  Eisenbahn  entsprechend  über 
Äguontum  Lienz ,  littcmmm  Innichen ,  die  Wasserscheide  bei  Toblach 
(1204  m),  Sabatwn  S.  Lorenzen  fort,  um  in  die  Brennerroute  unterhalb 
Stening  einzumünden.  Das  Reisebuch  rechnet  von  Aquileia  bis  Witten 
21 5  Hillien.  Einige  auf  der  JochbOhe  in  den  Felsen  gehauene  Inschriften 
melden  von  Wegebauten  aus  dem  J.  373  n.  Chr.,  während  der  eben 
dort  gemachte  Fund  einer  etruskischen  Inschrift  von  dem  hohen  Alter 
des  VeriLebrs  Zengnifs  ablegt.  >) 

14.  über  den  Saifnitz  oder  Tarvispafs  783  m,  Mai  bis  Sep- 
tember schneefrei.  Aus  dem  Thal  des  Tagliamento  zweigt  östUch  eine 
Strafae  ab ,  dem  Lauf  des  Fella  folgend  durch  Pontebba  und  Pontafel, 
bis  sie  bei  dem  Dorf  Saifnitz  die  Wasserscheide  zwischen  dem  Adria- 
tiscben  und  Schwarzen  Meer  erreicht.  Dann  senkt  sie  sich  nach  Tarvis 
hinunter  und  läuft  nach  Varunum  nördlich  von  Klagenfurt  fort.  Sie 
wird  von  den  Itinerarien  verzeichnet.   Und  obwol  es  bisher  nicht  ge- 


1)  CIL.  m  p.  590  y  p.  176  iiiD.  Ant.  p.  279. 


166  Kap.  m.  Die  Alpen. 

luDgen  ist  die  Stationen  bestimmt  zu  localisiren,  so  lassen  doch  die  In- 
schriftenfünde  über  das  Alter  der  Strafse  keinen  Zweifel  zu,  der  auch 
die  Richtung  von  Natur  vorgeschrieben  war.^) 

15.  inAlpelulia  über  die  Ocra  Birnbaumer  Waid  520m,  Ton 
April  bis  November  schneefrei.  Wir  haben  bereits  S.  149  die  Notiz  aus 
Strabo  angefahrt,  welche  den  lebhaften  Verkehr  der  Liastwagen  zwischen 
Aquileia  und  Nauporius  Oberlaibach  vermeldet.  Die  Entfernung  von 
ersterer  Stadt  bis  Bmona  Laibach  ¥drd  zu  76  Million  angegeben.  Die 
Strafse  überschritt  den  SotUhu  Isonzo ,  folgte  dem  Liauf  des  flwoim 
Frigidus  Wippach,  langte  jenseit  des  Jochs  bei  der  Station  Longaiicum 
Loitsch  an  und  setzte  sich  über  Oberlaibach  nach  Laibach  fort. 2) 

16.  quer  durch  die  istrische  Halbinsel  führte  endlich  eine  Post- 
strafse  von  Aquileia  nach  Tanatica  bei  Fiume  am  Golf  von  Quarnero. 
Der  Abstand  betrug  76  MiUien ;  für  die  Pafshöhe  fehlen  nSlhere  Angaben, 
doch  kann  sie  einige  hundert  Meter  nicht  übersteigen. 

Nach  dieser  Uebersicht  entfallen  auf  die  Westalpen  4,  darunter  3 
fahrbare  Strafsen;  auf  die  Centralalpen  vom  M.  Blanc  bis  zu  den  Tauero 
8,  darunter  mindestens  2  (JuUer  und  Brenner)  fahrbar;  auf  die  Ost- 
alpen 4,  von  denen  die  beiden  letzten  sicher  fahrbar  waren.  Es  kann 
mit  allem  Fug  bezweifelt  werden ,  ob  die  Alpen  in  ihrer  Gesanuntheit 
zu  irgend  welcher  Zeit  bis  auf  das  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  hinab 
in  gleichem  Mafse  erschlossen  und  zuganglich  gewesen  sind  wie  unter 
der  Herrschaft  der  römischen  Kaiser.  Das  Mittelalter  hat  allerdings 
einige  neue  Pässe  eröffnet;  aber  es  dauerte  bis  ins  13^  Jahrhundert, 
bevor  ein  für  das  westUche  Deutschland  so  überaus  bequem  gelegener 
Pafs  wie  der  Gotthard  von  Wanderern  und  Saumtbieren  aufgesucht 
wurde.  Im  Uebrigen  hielt  man  sich  an  die  von  den  Römern  gebahnten 
Wege,  ohne  sie  wenn  es  nötig  war  auszubessern.  Durch  Verwahriosung 
gerieten  dieselben  in  eine  Beschaffenheit,  welche  an  den  Gebrauch  von 
Wagen  gar  nicht  denken  liefs.  Wir  lesen  vom  Brenner  dafs  es  1480 
hier  Strecken  gab,  weiche  der  Reisende  das  Pferd  am  Zügel  unter  ud- 
süglicher  Anstrengung  mit  Angst  und  Zittern  überwinden  mufste,  andere 
Strecken,  welche  der  schmelzende  Schnee  FrühUngs  in  einen  reilsen- 
den  Giefsbach  umgewandelt  hatte.  Die  römischen  Posthäuser  waren 
längst  verschwunden,  zahllose  Zollschranken  und  Wegesperren  an  deren 
Stelle  getreten.  Von  Norddeutschland  bis  Rom  brauchte  man  70  Tage 


1)  GH.  m  p.  589  V  p.  169. 936. 

2)  GIL.m  p.  483.  572  V  p.  75.  167.  935. 


S  9.  Wirtschaf L  167 

und  legte  im  Durchschnitt  4  d.  Meilen  des  Tags  zurück:  etwa  ein  Fünf- 
tel der  Schnelligkeit,  die  sich  im  Altertum  mit  Mietsfuhrwerk  erreichen 
liefs,  ein  Fttnfundzwanzigstel  der  Schnelligkeit ,  die  der  eilig  Reisende 
gegenwärtig  erreicht.  Der  Anfang  der  modernen  Verkehrsepoche  in 
den  Alpen  reicht  nicht  yiel  über  ein  Jahrhundert  zurück.  Eine  Fahr- 
straTse  modernen  Stils  ward  1772  über  den  Brenner  gelegt,  dieSimplon- 
strafse  Napoleons  I  1806  vollendet.  Dann  sind  alle  jene  grofsartigen 
Wegebauten  gefolgt,  welche  vor  Jahrzehnten  als  Wunder  der  Kühnheit 
angestaunt,  bereits  verödet  zu  verfallen  und  dem  Gedächtnifs  des  heu- 
tigen Geschlechts  zu  entschwinden  beginnen,  seitdem  5  Schienenwege 
die  Eingeweide  der  Berge  durchbohrend  die  Trennung  Italiens  vom 
übrigen  Europa  aufgehoben  haben.  Als  der  piemontesische  General- 
stab 1840  sein  Werk  über  die  Alpen  veröffentlichte,  zählte  er  nicht 
weniger  als  25  Haupt-  98  fahrbare  Nebenstrafsen  nebst  121  Saum- 
pfaden auf,  welche  die  Verzweigungen  des  Gebirgs  durchzieheu.  Der 
Abstand  dieser  Zahlen  von  den  oben  aus  dem  Altertum  erbrachten  er- 
klärt zum  guten  Theil  die  Wandlung  des  Naturgefühls,  welche  sich  in 
der  Gegenwart  bezüglich  der  Alpen  vollzogen  hat.  Der  letzte  Abschnitt 
wird  solches  näher  ausführen. 

§9.  Wirtschaft 

Naturgaben,  welche  ihrer  Seltenheit  wegen  als  Kostbarkeiten  ge- 
schätzt werden,  locken  den  Menschen  aus  dem  Bereich  der  Civilisation 
in  die  Wildnifs  hinaus.  Der  Goldgräber  hat  dem  Ackerbauer  in  Cali- 
fornien  und  Australien,  der  Diamantengräber  in  Südafrica  die  Stätte 
bereitet.  Die  nämliche  Erscheinung  begegnet  im  Altertum.  Was  die 
Südländer  zuerst  zu  massenhaftem  Eindringen  in  die  fremdartige  ihren 
Gefahlen  widerstrebende  Gebii^welt  veranlafst  hat,  war  das  Gold. 
Viele  Alpenflflsse  sind  goldhaltig  und  werden  noch  jetzt  in  Piemont 
ausgebeutet,  obwol  der  Ertrag  die  aufgewandte  Mühe  nicht  lohnt.  Ehe- 
dem harrte  der  Reichtum  den  die  Natur  aufgespeichert,  seines  Besitzers. 
So  wurden  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr.  in  der  Ge- 
gend von  Klagenftirt  Goldfelder  von  seltener  Ergiebigkeit  entdeckt. 
Die  Schicht  lag  2'  unter  der  Oberfläche,  hatte  eine  Mächtigkeit  von  15' 
und  enthielt  in  nahezu  gediegenem  Zustand  Körner  von  der  Gröfse  einer 
Bohne.  Die  Italiker  strömten  herbei  und  erzielten  im  Lauf  von  zwei 
Monaten  einen  derartigen  Gewinn ,  dafs  der  Preis  des  Goldes  in  ganz 
Italien  um  ein  Drittel  herunter  ging.  Schliefslich  jagten  die  Ein- 
gebornen  die  fremden  Mitbewerber  zum  Land  heraus.  Auch  bei  den 


168  Kap.  in.  Die  Alpen. 

Salassern  an  der  Dora  Baltea  stand  die  Goldwascherei  in  BlQte  und 
fahrte  zu  unaufhörlichen  Streitigkeiten  mit  den  Bewohnern  der  Ebene.  0 
Die  Kelten  genossen  ob  solchen  Segens  bei  den  Alten  eines  aufser- 
ordentlichen  Rufes  und  haben  in  der  That,  wie  ihre  umfassende 
Goldprägung  beweist,  unter  demselben  gründlich  aufgeräumt  Seit  der 
Eroberung  fuhren  die  Römer  fort  den  verborgenen  Schätzen  der  Alpen 
mit  Eifer  nachzuspüren.  MarmorbrQche  werden  erwähnt*);  mancher- 
lei Spuren  bekunden,  dafs  auf  Eisen  Kupfer  und  andere  Metalle  gebaut 
worden  ist.  Besonders  begehrt  waren  Bergkrystalle,  aus  unzugänglichen 
Felsspalten  hervorgeholt,  zu  denen  die  Suchenden  an  Stricken  sieb 
herunter  liefsen.^)  Im  Grofsen  und  Ganzen  betrachtet,  war  jedoch  und 
ist  der  Mineralreichtum  unbedeutend ,  kamen  die  Alpen  in  dieser  Be- 
ziehung vielen  anderen  Provinzen  nicht  gleich. 

Nachhaltigeren  Gewinn  wufsten  die  ROmer  aus  der  Bestellung  des 
Bodens  zu  ziehen  und  bewährten  sich  hier  wie  aller  Orten  als  Meister 
des  Landbaus.  Unter  dem  Schutz  römischer  Festungen  nimmt  der 
Winzer  und  Gärtner  vom  Thal  und  Gelände  Besitz:  unter  Augustus  hat 
der  raetische  Wein  bereits  den  Ehrenplatz  an  der  kaiserlichen  Tafel 
erobert.^)  Es  scheint  ja  als  ob  die  Traube  in  ihren  nördlichsten 
Lagen  die  dufügste  Blume  entwickelt,  und  so  gewann  das  Gewächs  der 
Alpen  einen  Vorrang,  den  es  in  der  Folge  an  unseren  deutschen  Rhein 
hat  abtreten  müssen.  Um  den  Anfang  unserer  Zeitrechnung  bedecken 
sich  die  Ufer  der  lombardischen  Seen  mit  Villen,  entfaltet  die  Vcgeta* 
tion  jene  märchenhafte  Pracht,  welche  durch  ihren  Contrast  zu  der  im 
Rücken  drohenden  EiswOste  bei  dem  Besucher  doppeltes  Entzücken 
hervorruft.  Derart  hat  sich  die  Cultur  des  Südens  am  Fufs  der  Alpen 
rasch  eingebürgert:  ihrem  weiteren  Vordringen  gebot  das  Klima  halt. 
Allerdings  trug  die  Landschaft  im  Altertum  wesentlich  andere  Züge, 
als  sie  mit  ihren  zahllosen  aus  allen  Erdtheilen  eingeführten  Cultur- 
pflanzen  dem  Auge  gegenwärtig  darbietet.  Auch  wissen  wir  nicht,  welche 
Ausdehnung  der  Gartenbau  in  der  Kaiserzeit  gewonnen  hat.  Immer- 
hin können  die  heutigen  Höhengrenzen  eine  ungefähre  Vorstetlang 
von  den  Vegetationszonen  gewähren,  welche  die  Alten  auf  ihren 
Reisen  nach  Gallien  und  Noricum  zu  durchschreiten  hatten.  Bis  200  m 


1)  StrabolV20S  (nach  Polybios)  205. 

2)  Plin.  XXXVI 2. 

3)  PHd.  XXXVn  23. 27  nach  eigener  Erkundung. 

4)  Suet.  Aug.  77  Verg.  Georg.  11  96  Gol.  RR.  in  2  Plin.  XIV  16. 26. 41. 67. 


S  9.   Wirtschaft.  169 

steigt  die  immargrOoe  Eiche  {quercu9  tter),  der  Johannisbrotbauin  (eero* 
tmia  $ib*qua)  nnd  in  der  Nfthe  des  Meeres  sowie  an  einigen  Seen  durch 
besondere  Vorkehrungen  geschtltzt  der  Citronen-  und  Pomeranzen- 
banm  (eHms  mediea  eeita  und  citrus  aurantium  amamtn).  Unter  den 
gleichen  Ausnahmeverblltnissen  findet  sich  der  Oelbaum  (o/ea  europaea) 
bis 500m.  Weinstoek  {oiti$mnifera\  Maulbeerbaum  (inon»aIAa),  Weifs- 
vnd  Zitterpappel  (foptcAcs  dlba^  pofuhii  iremuh)  reichen  bis  700  m; 
WaUnnfs  {iughns  regia)  und  Kastanie  (eastanea  vesea)  bis  950  m ;  die 
Lamberts-  (lombardische)  Nurs  (caryluBaveHana)  bis  1 100  m ;  die  Stein- 
eiche {ijuereHi  rofntr)  bis  1200  m.  Mit  einer  Erhebung  von  700  m 
nimmt  die  im  grofsen  Stil  betriebene  Baumzucht  ihr  Ende;  der  Ge- 
treidebau erstreckt  sich  ungefähr  bis  1000  m  aufwärts.  Dann  folgt 
Laubwald  bis  zu  1600  m:  und  zwar  Buchsbaum  {buxu$  iempervirens)^ 
Esche  ifraxinus  exceisiin) ,  Vogelbeerbaum  (sorhus  aueuparia) ,  Stech- 
palme {Hex  aquifolium)y  Hainbuche  (earpinusbetulue),  Ulme  («AiitMcam- 
pestrie)  bis  1400  m,  Erle  (alnusghuinoea)  und  Eibenbaum  (taxusbuecaia) 
bis  1500  m,  endlich  Ahorn  (aeer  eampestre  und  aeer  peeudoplatanus) 
nebst  Buche  (/a^^s^/iHirtM)  bis  1600  m.  Noch  höher  hinauf,  bis  1800  m, 
geht  die  Birke  (betnla  Mo),  um  endlich  den  Nadelhölzern  die  alleinige 
Herrschaft  zu  überlassen.  Unter  den  verschiedenen  Arten  derselben 
erreichen  die  Kiefer  oder  Föhre  (pinus  stfoes/m),  die  Arve  (piwus 
cembra)^  die  Krummholzkiefer  (pinus  tnugho)^  die  Fichte  oder  Rottanne 
{pinus  abies)  1900  m,  dagegen  die  Edeltanne  (pinus  picea)  und  die 
Utrche  (pinus  Utrix)  2100  m.  Nunmehr  weicht  der  Baumwuchs  nie- 
drigem Gestrtlpp,  die  Alpenrose  (rhododendrtm  ferrugineum)  schmückt 
die  Halden.  Aber  allmäiich  macht  die  Grasdecke  den  Moosen  und 
Flechten  Phitz ,  die  zur  vegetationslosen  Schneeregion  hinUberleiten. 
Die  gröfste  Veränderung  hat  das  Hochland  durch  Rodung  des 
Waldes  erlitten.  Es  zeichnet  sich  ja  noch  immer  durch  den  stolzen 
Wuchs  seiner  Tannen  aus.  Aber  Baumriesen  wie  das  Altertum  sie 
schaute,  kommen  dem  heutigen  Geschlecht  nicht  mehr  zu  Gesicht.  Un- 
ter Tiberius'  Regierung  ward  ein  aus  den  raetischen  Alpen  stammender 
Balken  in  Rom  ausgestellt,  der  bei  2'  gleichmäfsiger  Dicke  120'  lang 
war  (0,60X36  m).^)  Nach  einer  Berechnung  aus  dem  J.  1840  betrug 
die  Waldfläche  an  der  italienischen  Seite  nahezu  ein  Fünftel  des  Ge- 
sammtareals  12047  Okm,  davon  3887  Dkm  Hochwald;  docti  mufs  sie 
im  Altertum  eine  viel  gröfsere  Ausdehnung  eingenommen  haben.  „Wäh- 


l)inin.xyil90. 


170  Kap.  m.  Die  Alpen« 

rend  die  Gipfel  und  Kflmme,  schreibt  Polybios^),  ganz  baumlos  und 
kahl  sind,  da  der  Schnee  unablässig  Sommers  und  Winters  liegen  bleibt, 
tragen  beide  Abhänge  Wälder  und  Gebüsch  und  sind  durchaus  bewohn- 
bar.^ Seit  der  Eroberung  beginnt  die  Cultur  ihren  Vernichtungskrieg 
gegen  den  Urwald.  Das  weitverzweigte  Flulssystem  erleichterte  den 
Angriff.  Die  Stämme  wurden  nach  den  Lagimenstädten  Altinum  Atria 
Ravenna  hinunter  geflofst,  die  auf  Pfahhrosten  erbaut  wie  Amsterdam 
oder  Venedig  Unmassen  verschlangen. 2)  Von  hier  wurden  sie  auch  nach 
Rom  verschifft,  dessen  Bedarf  wegen  der  ewigen  Brände  und  Neubau- 
ten nach  immer  neuen  Bezugsquellen  ausschauen  hiefe.  Wo  aber  in 
den  Bergen  die  örtUche  Lage  die  Ausfuhr  der  Stämme  verbot,  da  arbei- 
tete die  Theerscbwälerei  an  der  Verminderung  des  Bestandes:  Theer 
Pech  und  Kienfackeln  gehörten  zu  den  wichtigsten  Handelsartikeln  der 
Alpen.  •'^)  Mit  dem  Urwald  sind  auch  so  manche  Bewohner  desselben  ver- 
schwunden. Polybios  lernte  noch  wie  es  scheint  den  Elch  auf  der  ita- 
lischen Seite  kennen,  von  dem  Caesar  erst  aus  dem  Hercynischen 
Wald  am  Nordabhang  erfuhr.^)  Unbestimmt  ist  auch  von  wilden  Pferden 
und  Rindern  die  Rede.^)  Plinius  erwähnt  Rehe  Gemsen  Steinbocke 
Schneehasen  Murmellhiere,  allerlei  Federwild  wie  Schneehtlhner  Berg- 
dohlen Wasserraben.  ^}  Indessen  hatten  die  Römer  zu  wenig  Freude  an 
der  Jagd  um  uns  ein  ausreichendes  Bild  von  der  damaligen  Alpen- 
fauna zu  hinterlassen. 

Neben  der  Waldwirtschaft  trat  die  Viehzucht  selbstverständ- 
lich in  den  Vordergrund.  "0  Der  Rinderschlag  fiel  durch  sein  kleines 
unscheinbares  Aussehen  auf,  zeichnete  sich  aber  dafür  durch  reichen 
Milchertrag  aus.^)  Der  Alpenkäse  erlangte  schon  damals  Ruf:  einer 
der  besten  Kaiser  die  je  auf  dem  Thron  gesessen,  Antoninus  Pius  fand 
seinen  Tod,  weil  er  im  siebenzigsten  Jahr  ihm  zu  eifrig  zusprach.  >)  Es 
ist  merkwürdig,  wie  schnell  der  Romanismus  diese  nordischen  Lebens- 
formen und  diese  abgelegenen  Thäler  ergriffen  hat:  unter  Gaudios 

1)  m55,9  Herodian  Vm  1 , 6  {rj  'IzaXla)  axinszai  6h  vkatg  öaaslmfxal 
nvxvatg  Plin.  XXXI  43. 

2)  VitruvDO,  16  PHn.XVI66.  190. 

3)  Strabo  IV  207. 

4)  Pol.  bei  Strabo  IV  208  Gaea.  VI  27. 

5)  Strabo  IV  207. 

6)  Plin.Vini32.214.217  X56.133fg. 

7)  Glandlan  b.  Get.  319  nulla  Lyaei  poeula,  rara  Ceres, 

8)  PUn.Vni  179. 

9   lul.  Gapit  12  vgl.  Strabo  IV  207  Plin.  XI 240  Galen  VI  p.  697  KOiiD. 


f  10.  Natargeftthl.  171 

dritogen  sich  die  Aelpler  uDrechtmäfsiger  Weise  in  die  Reihen  der  kai- 
serlichen Garde  wie  in  späteren  Jahrhunderten  die  Schweizer  um  den 
Stohl  von  St.  Peter.  0  Die  Herrschaft  des  romanischen  Idioms  labt 
äch  noch  heutigen  Tages  im  deutschen  Sprachgebiet  nachweisen: 
manche  Ausdrücke  der  Sennerei^  populäre  Pflanzennamen,  ein  Drittel 
aller  Namen  von  Almen  in  Deutschtirol  verraten  romanischen  Ur- 
sprung.^) Alle  diejenigen  Zttge  welche  nach  unserer  Anschauung  diese 
Wirtschaft  kennzeichnen,  die  dürftige  Verpflegung,  das  harte  Lager, 
der  Schmutz,  den  der  Wanderer  in  einer  Sennhütte  {Alpina  eata)  an- 
trifft, das  Schellengeläut,  das  Alphorn,  der  Jodler  lassen  sich  aus  dem 
Altertum  bellen. ^)  Der  Ack  erbau  mufste  sich  den  beschränkenden 
Bedingungen  des  Bodens  und  Klimas  anbequemen:  ein  besonderer 
Pflug  war  in  Gebrauch^),  Dreimonatsweizen ^)  wurde  gebaut  sowie 
Ro(^en,  von  dem  PUnius  in  den  verächtlichsten  Ausdrücken  redet.®) 
Endlich  zeugt  die  Ausfuhr  von  Wachs  und  Honig  in  vorromischer  Zeit 
TOD  der  alten  Blüte  der  Bienenzucht.'^) 

§  10.  Naturgefühl. 

Der  Wechsel  von  langen  harten  Wintern  und  kurzen  vergänglichen 
Sommern  giebt  dem  Leben  in  den  Alpen  sein  eigentümliches  Gepräge. 
Oder  wie  ein  Engadiner  sich  ausdrückt^) :  „wir  haben  nur  drei  Jahres* 
Zeiten,  einen  soliden  langen  Winter  von  Mitte  November  bis  Ende 
April,  einen  Frühling  bis  Ende  August  und  einen  zwei  einhalb  Monate 
langen  Herbst  —  der  Sommer  mit  den  reifen  Gaben  der  Ceres  und 
den  Hundstagen  fehlf  Die  Ordnung  der  Jahreszeiten,  an  welche  das 
Sem  und  Denken  des  Altertums  gebunden  war,  verkehile  sich  hier  in 

1)  aLV5050,  31. 

2)  Jang,  RomaniBche  Landschaften  des  Römischen  Reiches,  Innabraek  1881, 
p.  427. 

3)  Glandian  b.  Get.  350  fg.  Acta  Sanctonun  zum  29.  Mai  p.  38fg.  vgl. 
JoDg  a.  0.  425.  Die  Bedeutung  der  Nonsberger  Märtyreracten  scheint  mir  doch 
in  Tirol  überschätzt  zu  werden.  Aus  den  erbaulichen  Erzählungen  wie  drei 
Missionare  397  von  fanatischen  Bauern  umgebracht  wurden,  „eine  alpine 
Bauemidylle,  wie  sie  in  römischer  Zeit  sich  abgespielt  hat'  herauszulesen 
vennag  ich  nichL 

4)  Phn.  XYlü  172. 

5)  Plin.  XVni  69. 240. 

6)  XVni  141  mit  Spelt  zur  Polenta  vermischt  et  tarnen  Hc  quoque  ingra- 
veniri  est 

7)  Strtbo  IV  207. 

8)  Dr.  Ludwig  in  DenUche  Rundschau  XVI  460. 


172  Kap.  DI.  Die  Alpen. 

das  Gegenlheil.  Wol  haben  die  Römer  in  den  Thfliern  nach  Kräften 
sich  hXusUch  einzurichten  gesucht,  niemals  mit  der  nordischen  Natur 
sich  ausgesöhnt.  Im  Gegensatz  zu  den  heutigen  Touristen  welche  An- 
gesichts der  grOnen  blumigen  Matten,  der  frischen  lebendigen  Wasser 
ganz  vergessen ,  wie  eng  und  dumpf  das  Dasein  dem  Bergbewohner 
vergeht ,  welch  schweren  Kampf  er  mit  seiner  Umgebung  zu  kämpfen 
hat,  heben  die  AHen  nur  die  unholde  Kehrseite  des  Bildes  hervor.  Sie 
betonen  dafs  Bacchus  und  Ceres  ihre  Gaben  versagen.  Sie  wissen 
dafs  die  Leute  durch  Kröpfe  entstellt  sind  und  führen  diese  Krankheit 
auf  das  Trinkwasser  zurück. 0  Sie  malen  die  Gefabren,  welche  dem 
Wanderer  auf  den  Hochpflssen  drohen,  mit  grellen  Farben.  „Viele, 
singt  der  Dichter^),  als  ob  sie  das  AntHtz  der  Gorgo  geschaut,  erstarrten 
vor  Kalte,  viele  versanken  in  tiefen  Schnee,  oftmab  verschlang  der  weifee 
Abgrund  Wagen  und  Gespanne,  bisweilen  auch  stürzte  der  Berg  durch 
einen  Eisrutsch  plötzlich  zusammen  und  der  Boden  versagte,  von  feuch- 
ten Südwinden  unterhöhlt.^  Aus  freien  Stücken  suchte  Niemand  diese 
Einöde  auf  und  auch  beherzte  Manner,  die  ihr  Weg  hinüber  führte, 
Soldaten  wie  Kaufleute,  wappneten  das  Herz  gegen  die  Schrecken  durch 
Gehlbde  an  die  Gottheit  (S.  160).  Die  ganze  antike  wie  mittelalteriiche 
Litteratur  betrachtet  die  Wildnifs  der  Alpen  mit  Unlust  oder  Grauen.^) 
Livius  der  am  Fufs  derselben  geboren  war ,  giebt  den  Eindruck  den 
Neulinge  aus  dem  Süden  empfanden,  in  folgenden  Worten  wieder^): 
„Obwol  die  Fama,  welche  unbekannte  Dinge  stark  zu  übertreibeD 
pflegt,  sie  vorbereitet  hatte,  so  wurden  sie  doch  von  neuem  Schreckea 
ergriffen,  als  sie  aus  der  Nahe  die  Höhe  der  Berge  erblickten,  den  fast 
zum  Himmel  reichenden  Schnee,  die  unformlichen  Hütten  an  den  Fels- 
wänden ,  die  durch  Kalte  verkümmerten  Schafe  und  Binder,  die  unge- 
schorenen verwahrlosten  Menschen,  die  ganze  lebende  und  leblose 
Natur  von  Frost  starrend  und  alles  Andere,  wodurch  das  Auge  mehr  ver- 
letzt wird  als  das  Ohr.^  Es  wäre  die  Aufgabe  der  Forschung  gewesen 
diese  verstandliche  Abneigung  zu  überwinden :  indessen  dafür  fehlte 
dem  Homer  jegliche  Anlage  (S.  18  fg.  22).  Wenn  ein  hellenischer  Fürst 
über  Italien  geherrscht  hatte,  würden  unsere  Berichte  über  die  Alpea 


1)  luv.  Sat.  13, 162  piü  ktmidum  guitur  näraiur  in  Alpibtu?  Vitrov  VID 
3,  20  PliD.  XXXVn  44. 

2)  Glaadian  b.  Get  340  fg. 

3)  L.  Friedlinder,  über  die  Entstehang  and  Entwicklang  des  GefBhls  ßr 
das  Romantische  in  der  Natur,  Leipzig  1873;  vgl.  Oeblmann  a.  0.  III,  171 

4)  Bei  Gelegenheit  von  Hannibalt  Uebergang  XXI  32. 


f  10.  NatargefühL  173 

minder  einsilbig  geklungen  haben.  So  aber  beschranken  sich  die  Be- 
richte auf  die  Joche,  welche  die  Heerstrafeen  aufnahmen,  bleiben  stumm 
wie  das  Grab  in  Betreff  aller  jener  Gipfel,  deren  Namen  uns  schon  auf 
der  Schulbank  geläufig  werden,  bringen  über  ihre  Erhebung  heillosen 
Uosion  Tor  (S.  20).  Freilich  war  die  ganze  Weltbildung,  welche  die 
Hellenen  gestaltet  haben,  im  Bann  des  Heeres  und  der  Ströme  befangen. 
Von  Herodot  bis  auf  Pausanias  wird  man  die  Namen  Nil  und  Donau 
wol  hundertmal  häufiger  antreffen  als  den  der  Alpen.  Erst  die  moderne 
Naturforschung  hat  das  Verständnifs  des  Gebirgs  erschlossen.  Es  ist 
ja  noch  kein  Jahrhundert  her,  dafs  Saussure  den  Hont  Blanc  bestie- 
gen hat,  und  nicht  viel  länger  dafs  dem  civiUsirten  Menschen  der  Sinn 
ftlr  die  Erhabeabeit  in  der  ?btur  aufzugehen  begann.  Hand  in  Hand 
mit  der  Anlage  zAUoser  bequemer  Strafsen ,  der  Steigerung  des  Ver- 
kehrs, dem  Fortschritt  der  Forschung  sind  die  Alpen  in  den  Brenn- 
punct  des  landschaftlichen  Interesses  von  Eiuropa  gerückt  Die  kind- 
lidie  Furcht,  mit  welcher  Altertum  und  Mittelalter  vor  ihnen  zurück- 
schauderten, schreckt  uns  nicht  länger  seitdem  wir  keine  blinden 
Natnrkräfte  kennen ,  sondern  auch  in  der  Einöde  von  einem  gesetz- 
mäfsigen  Walten  uns  umgeben  wissen.  Von  einem  Einfluß  der  Alpen 
auf  das  geistige  Leben  kann  deshalb  erst  für  die  jüngste  Zeit  gesprochen 
werden.  In  den  voraufliegenden  Jahrtausenden  stellten  sie  lediglich 
die  grofse  Schranke  dar,  welche  Nord  und  Süd  trennt,  beiden  eigene 
Bahnen  der  Entwicklung  angewiesen  hat. 


KAPITEL  IV. 


Das  Poland. 

Den  glücklichen  Ausdruck  Strabons,  welcher  Siciiien  fttr  eine 
Zugabe  (Tt^oa&iJKri)  Italiens  erkUtrt,  hat  Ritter  auf  die  Poebene  Über- 
tragen und  dieselbe  als  Gegenstück  zu  jener  maritimen  die  continentale 
Zugabe  der  Appenninhalbinsel  benannt.^)   In  physischer  wie  histori- 
scher  Hinsicht  vermitteln  beide  den  Uebergang,  das  eine  nach  Griechen- 
land und  Nordafrica,  das  andere  nach  dem  Inneren  unseres  Gontinents. 
Wie  die  nach  drei  Weltgegenden  schauende  Insel  in  Mitten  des  Meeres 
den  gewiesenen  Kampq[>reis  der  SeeTOlker  darstellte,  so  haben  um  den 
Besitz  der  am  Fufs  der  Alpen  hingelagerten  Ebene  Nord  und  Sud  in 
alter  und  neuer  Zeit  gerungen.  Von  beiden  ist  sie  durch  Gebirgswälle 
geschieden,  und  obgleich  der  Appennin  entfernt  nicht  dieselbe  Bedeu- 
tung als  Volkergrenze  wie  die  Alpen  hat,  so  fehlt  doch  ein  Band,  wel- 
ches Halbinsel  und  Poland  natürlich  mit  einander  verbände.  Die  grofse 
Lebensader  des  letzteren  fliefst  nach  Osten ,  die  natürlichen  Verkehrs- 
wege laufen  nach  dieser  Richtung  und  sind  erst  künstlich  nach  Süden 
abgelenkt  worden.   Demgemafs  hat  auch  die  älteste  Berührung  mit  der 
Cultur  im  Osten  an  der  Küste  statt  gefunden.   Nach  einer  SchifTer- 
sage  beanspruchten  die  Phokaeer  aus  Kleinasien  den  Ruhm  wie  den 
übrigen  Westen  so  auch  das  Adriasland  entdeckt  zu  haben.')  Von  hier 
holten  sie  den  hochgeschätzten  Bernstein,  der  den  langen  Weg  von  der 
baltischen  Küste  vermittelst  Tauschhandels  von  Volk  zu  Volk  zurück- 
gelegt hatte.  In  der  kindlichen  Weise  früherer  Jahrhunderte  wurde  der 
Verkehr  durch  die  Legende  von  Phaethon  und  dem  Bemsteinflufs  Eri- 
danos  ausgedrückt,  s)  Die  Schwierigkeit  der  Fahrt  auf  der  von  Stürmen 
(S.  94)  und  Piraten  heimgesuchten  See  hat  den  Verkehr  ungemein  behin- 

1)  Europa^'p.  311,  Vorlesungen  herausgegeben  von  Daniel,  Berlin  1863. 
Strabo  VI  286. 

2)  Her.  1163;  tiber  den  Sprachgebrauch  S.  91. 

3)  Ueber  den  Bernstein  s.  Helbig  a.  S.  151  A.  1  a.  0. 


§  1.   EntstchQDg.  175 

dert:  damit  mag  es  zusammen  hängen,  dafs  das  leuchtende  Harz  in  der 
Blütezeit  hellenischer  Kunst  keinerlei  Verwendung  findet  und  viel  von 
seinem  ehemaligen  Ansehen  eingebttfst  zu  haben  scheint.    Bei  den 
Sfhriltstellem  des  fünften  Jahrhunderts  verschwimmt  das  Bernstein- 
land in  derselben  duftigen  Ferne  wie  das  Silberland  TartessosJ)  Zu 
Anfang  des  nächsten  Jahrhunderts  nimmt  der  hellenische  Handel  nach 
den  Pomflndungen  einen  neuen  Aufschwung:  er  gilt  für  ebenso  reich 
an  Gewinn  als  reich  an  Gefahr,  und  laut  einer  ertialtenen  Urkunde 
beabsichtigen  die  Athener  324  zu  seinem  Schutz  eine  Stadt  an  der 
adriatischen  Kttste  zu  gründen,  wie  vordem  Syrakus  Ancona  gegründet 
hatte.  2)  Je  mehr  die  Hellenen  aus  der  tyrrhenischen  See  durch  Kar- 
thager und  Italiker  verdrängt  wurden,  desto  eifriger  verdoppelten  sie 
ihre  Anstrengungen  um  an  der  Adria  das  Verlorne  zurück  zu  erobern. 
Die  Politik  des  Dionys  und  Agathokles  hat  dies  Ziel  vor  Augen.    Von 
einem  erfolglosen  Versuch  des  spartanischen  Königs  Kleonymos  301  bei 
Padua  sich  festzusetzen  meldet  die  Tradition  dieser  Stadt. s)  Wenn  die 
hellenische  Colonisation  in  der  Periode  der  nationalen  Kraft  sich  auf 
Venetien  geworfen ,  so  hätte  sie  wol  Fufs  fassen  und  der  Geschichte 
Europa's  eine  andere  Wendung  geben  mögen.   Aber  damals  war  ihr 
Strom  an  dem  adriatischen  Winkel  vorbei  nach  Westen  gerichtet  und 
erachOpfte  sich  jetzt  in  der  Bewältigung  des  Ostens:  der  Welthandel 
folgte  der  grofsen  Axe  des  Mittelmeers  und  konnte  nur  in  Nebenarmen 
nordwärts  abzweigen.  Immerhin  haben  die  Hellenen  die  Cultur  an  die 
Pomttndungen  verpflanzt,  einen  Gegensatz  zwischen  der  civilisirten 
Kflste  und  dem  zurückgebliebenen  Binnenland  hervorgerufen,  der  be- 
deutsam in  die  Geschichte  eingriff.  Als  die  Kelten  390  v.  Chr.  auf  den 
Trünunem  Roms  lagerten  und  im  Herzen  der  Halbinsel  sich  einzunisten 
drohten,  war  es  ein  Einfall  der  Veneier,  welcher  Latium  vom  Unter- 
gang rettete.  In  allen  Wechselten  des  mebrhunderljährigen  Kampfes, 
den  Italien  gegen  die  nordischen  Eindringlinge  führte,  haben  die  Ve- 
neter  sich  als  die  wertvollsten  Bundesgenossen  bewährt,  durch  ihren 
Beistand  die  Eroberung  des  Pothals  ermöglicht. 

Die  continentale  Hälfte  Italiens  erscheint  in  ganz  anderem  Sinne 
eine  Zugabe  der  Appenninhalbinsel  zu  sein  als  Sicilien.  Sie  überragt 
letzteres  an  Ausdehnung  (2400  D  Meilen)  um  mehr  als  das  vierfache, 
kommt  der  Halbinsel  (2600  D  Meilen)  nahezu  gleich  und  läfst  solche 

1)  Her.  in  ii5  vgl.  |3  Anfang. 

2)  Bdckb,  Staatshauskaltnng  DI  457  fg. 

3)  Liv.  X  2. 


176     '  Kap.  IV.  Das  Poland. 

aji  Fruchtbarkeit  weit  hinter  sich.  Durch  den  Erwerb  Siciliens  trat 
Rom  in  die  Reihen  der  grofsen  Seemächte  des  Mittehneers  ein;  durch 
die  Colonisation  des  Polands  wuchs  es  an  den  Stamm  unseres  Erdtheils 
unauflöslich  an,  ward  im  vollen  Umfang  des  Worts  eine  europäische 
Macht  Wie  der  Januskopf  auf  seinen  Münzen  bat  Roms  Politik  immer- 
dar dieses  doppelte  Gesicht  gezeigt  Ritter  bestreitet  dem  Poland  den 
italischen  Ciiarakter.  In  einer  derartigen  Behauptung  äufsert  sich  der 
Einflufs  einer  Vergangenheit,  welche  diesseit  der  Alpen  nicht  minder 
drückend  lastete  als  jenseit,  welche  die  heiligen  Rechte  der  Nationen 
einer  künunerlichen  Staatskunst  zum  Opfer  brachte.  Es  ist  richtig  dals 
das  Poland  der  Halbinsel  als  eine  natürliche  Einheit  gegenüber  steht, 
dafs  die  natürliche  Hauptstadt  desselben  Mailand  in  unseren  Tagen  wie 
oftmals  seit  Diocletian  erfolgreich  mit  Rom  wetteifert  Aber  wer  konnte 
verkennen,  dais  beide  Theile  durch  me  mehr  als  zweitausendjährige 
Geschichte  so  innig  verbunden  sind  als  der  deutsche  Osten  mit  dem 
Westen  irgend  sein  kann?  Das  Colonistenland  am  Fufs  der  Alpen  bat 
nicht  nur  die  welterobernden  Legionen  Caesars  und  Augusts  gestellt, 
auch  der  lateinischen  Lilteratur  eine  Anzahl  ihrer  höchsten  Zierden 
—  Catull  Vergil  Livius  die  beiden  Plinius  — ,  hat  nach  langer  Spaltung 
und  Knechtschaft  die  Schöpfung  des  neuen  Italiens  erkämpft.  Die  phy- 
sische Reschaffenheit  desselben  soll  im  Folgenden  geschildert  werden  J) 

§  1.   Entstehung. 

Es  ist  ein  Flufsland  in  der  umfassendsten  Bedeutung  des  Worts: 
den  Flüssen  verdankt  es  seine  Entstehung,  den  unerschöpflichen  Reich- 
tum seines  Bodens,  die  hohe  Blüte  seiner  Cultur ;  der  Lauf  des  Wassers 
greift  hier  vielseitiger  und  tiefer  in  das  Leben  ein  als  anderswo.  Wer 
von  einem  Kirchthurm  oder  einem  anderen  hochgelegenen  Puncteaos 
Umschau  hält,  sieht  ringsum  eine  weite  Fläche,  die  sich  gegen  die  ein- 

1)  Zu  Grunde  gelegt  sind  die  Schriften  des  berühmten  Hydrauliken 
E.  Lombardini,  besonders  dessen  Beiträge  in  den  notizie  natural!  e  dTÜi  so 
la  Lombardia  von  G.  Gattaneo,  Milano  1844,  herausgegeben.  Ders.  della  cod- 
disione  idrauKea  della  pianura  snbapennina  fra  TEnza  ed  il  Panaro,  Mil.  1865. 
Ders.  atudi  idrologici  e  storid  sopra  il  gfande  estaario  Adriatico,  i  fiomi  che 
vi  confluiscono  e  principalmente  gli  Ultimi  tronehi  del  Po.  Blil.  1868.  4. 
L.  Debartolomeis,  oro-idrografia  deir  Italia,  Milano  in  dem  Sammelwerk  I'Italia 
das  Vallardi  herausgiebt,  ist  namentlich  §  3—5  benutzt;  endlich  die  anzieheode 
Darstellung  von  l^Usie  Reclus,  l'Europe  m^ridionale  p.  31 7  fg.,  Bameotlicb  f  1 
und  2.  Die  Gröfsenangaben  sind  nach  den  neaesten  Berechnangeo  des  stati- 
stischen Bureaus  (mitgetheilt  im  Annnario  statistico  1881)  revidirt  worden. 


§  1.  EnUtehoBg.  177 

faxenden  Gebirgsketten  der  Alpen  und  des  Appennin  bestimmt  ab- 
hebt Ibr  Inhalt  betrügt  ungefähr  42600  Dkm  (775  O Meilen),  den 
dritten  Theil  der  für  die  gesammte  Nordhälfte  angenommenen  GrOfse« 
Die  Fläche  hat  eine  doppelte  Neigung:  einmal  senkt  sie  sich  von  W 
nach  0  dem  Meer  zu,  zweitens  faltet  sie  sich  ?on  N  nach  S  und  von  S 
nach  N  der  Mitte  zu«  Die  Bodengestaltung  wird  durch  die  Thatsache 
erklärt  dafs  diese  Ebene  einstens  ein  Busen  der  Adria  gewesen  ist  Da- 
mals  hing  die  Appenninhalbinsel  nur  an  dem  schmalen  Band  der  See- 
alpen mit  dem  Continent  zusammen.  Tiefe  Fjorde  drangen  zungen- 
artig in  die  Steilküste  ein ;  sie  haben  sich  seitdem  in  Süfswasserseen 
umgewandelt.  Die  Entstehung  der  italienischen  Seebecken  läfst  nur 
im  angegebnen  Sinne  eine  beflriedigende  Erklärung  zu ;  ja  man  will 
sogar  in  ihrer  Fauna  ein  Zeugnifs  für  jene  Metamorphose  gefunden 
haben«  0  Die  Fjordbildung  setzt  die  Mitwirkung  gefrornen  Wassers 
voraus  und  eignet  deshalb  höheren  Breiten.  In  der  That  mub  in  der 
Periode,  von  der  wir  reden,  am  Südabhang  der  Alpen  ein  Klima  ge- 
herrscht haben,  das  an  das  heutige  Klima  Grünlands  gemahnt  Gletscher 
von  einer  Ausdehnung,  fUr  welche  nur  die  Polargegenden  Analogien 
bieten,  ergossen  sich  in  das  Meer  hinab.  Die  Moränen,  die  sie  fortge- 
schleppt, gestatten  ihren  Lauf  genau  zu  verfolgen  und  zu  umgrenzen.  >) 
Aber  am  deutlichsten  offenbart  sich  die  physische  Geschichte  des  grofsen 
Tieflands  aus  der  Zusammensetzung  des  Bodens  selbst.  Er  besteht 
überall  aus  Schichten  von  Thon  Lehm  Sand  Kies  Geröll,  dergleichen 
die  Flüsse  ablagern,  wenn  sie  in  Landseen  oder  bei  ihrer  Mündung  ins 
Meer  zur  Ruhe  kommen.  Und  zwar  ist  das  Geschiebe  in  der  Nähe  des 
Po  und  des  Meeres  feiner,  in  der  Nähe  des  Gebirges  grüber:  wie  denn 
auch  die  Felder  am  Po  ganz  lehmig,  am  Fufs  der  Alpen  sandig  und 
voller  Steine  sind.  Unter  dieser  Aufschüttung  hat  man  stellenweise 
in  der  Tiefe  von  20  m  Bildungen  angetroffen,  die  den  Einflufs  des  Meer- 
wassers  deutlich  bekunden.  Ueber  die  Mächtigkeit  der  Schuttmassen 
im  Allgemeinen  läist  sich  nichts  Bestimmtes  sagen;  denn  die  Boh- 
rungen haben  nirgends  gewachsenen  Felsgrund  erreicht  Wollte  man 
annehmen  dab  Alpen  und  Appennin  unterhalb  der  sichtbaren  Ebene 
sich  mit  demselben  Winkel  abdachen  wie  oberhalb,  so  würde  der  Fels- 


1)  Vgl.  0.  Peschel,  Die  FJordbildungen  ia  Neue  Probleae  der  YergleicbeQ- 
den  Erdkunde,  Leipz.  1870,  p.  19. 

2)  Antonio  Stoppani,  Tera  neozoica  ossia  descrizione  dei  terrent  glaciali 
c  delle  antiebe  alloviom  ditalia,  Milano  1880,  zweiter  Thell  der  Geolegfa 
ditalia  in  der  oft  erwalmteB  Eneydopaedie. 

HiiitB,  Itat  LudadnukU.  I.  11 


178  Kap.  IV.  Das  Poland. 

gnind  in  der  tiefsten  Einsenkung  bei  1260  m  unter  der  OberflXche 
zu  suchen  sein.  So  unsicher  auch  diese  Ziffer  erscheint,  so  massenhaft 
ist  doch  auf  alle  Fälle  der  Schutt  von  den  Bergen  herabgekommeo, 
mit  dem  die  Giefsbäche  Gletscher  und  Lawinen  das  padanische  Meer 
ausfüllten.  Femer  leuchtet  sofort  ein,  dafs  die  Alpen  die  weitaus 
grofsere  Hälfte  jener  Schuttmassen  geliefert  haben.  Daraus  folgt  dafs 
die  niedrigste  Einsenkung,  welche  Tom  Polauf  eingenommen  wird, 
nicht  der  räumlichen  MitteÜinie  entsprechen  kann,  sondern  nach  Süden 
Torgeschoben  in  mehrerer  Nähe  des  Appennins  sich  halten  mufs. 

Polybios  beschreibt  die  Ebene  als  ein  Dreieck ,  dessen  Basis  vom 
Meer,  dessen  Schenkel,  der  kürzere  Ton  den  Alpen ,  der  längere  vom 
Appennin  dargestellt  werden.  Das  Bild,  welches  unsere  Karten  wieder- 
geben, erinnert  nur  von  weitem  an  eine  so  einfache  geometrische  Fi- 
gur. Es  weist  verschlungene  Umrisse  und  innerhalb  derselben  eine 
reiche  Abwechslung  von  Anhöhen  und  Niederungen  auf.  Verschiedene 
Ursachen  haben  dazu  beigetragen  die  Einförmigkeit  des  Tieflands  zu 
durchbrechen.  Jenes  vorwelttiche  Meer  umspülte  Inseln  und  Vorge- 
birge. In  die  erstere  Kategorie  gehören  die  tertiären  Hügel  von  Mont- 
f errat  und  Asti  östlich  von  Turin,  die  5 — 700  m  hoch  vom  Po  in  grofsem 
Bogen  umflossen  und  durch  das  Thal  des  Tanaro  von  der  Hauptkette 
geschieden  sind ;  hierher  gehören  die  Euganeischen  Hügel  (577  m)  süd- 
lich von  Padua  und  manche  vereinzelte  Kuppen ,  die  abgesondert  vor 
dem  Gebirgsstock  liegen.  Andere  Erhebungen,  die  aus  der  Ebene  auf- 
steigen, sind  möglicher  Weise  auf  ehemalige  Untiefen  und  Sandbänke 
zu  beziehen,  falls  das  Zurückweichen  des  Meeres  mit  einer  säcularen 
Hebung  Hand  in  Hand  ging.  Auch  die  Gletscher  haben  bedeutsam  auf 
die  Plastik  des  Landes  eingewirkt.  Die  abgestofsenen  Eisschollen  ver- 
streuten hausgrofse  Steinblöcke  über  den  Meeresgrund;  durch  die 
Moränen  wurden  Hügelketten  gebildet,  die  an  Höhe  dem  Subappennin 
gleichkommen.  Vom  Isonzo  in  den  Kärntner  bis  zum  Tanaro  in  den 
Ligurischen  Alpen  findet  sich  kein  Thal,  das  nicht  Spuren  solcher  Thä- 
tigkeit  aufzuweisen  hätte.  Die  Gröfse  dieser  Gletscher  hing  von  der 
Ausdehnung  und  Höhe  der  Gebirgsmassen  ab,  deren  Schnee  durch  sie 
abflofs.  Sie  war  deshalb  im  östlichen  Theil  der  Alpen  geringer  als  in 
dem  mittleren  und  westlichen.  Die  Graischen  und  Poeninischen  Alpen 
vom  Gran  Paradiso  bis  zum  Monte  Rosa  entsandten  einen  Gletscher 
von  130  km  Länge,  dessen  Ende  in  der  Ebene  unterhalb  Ivrea  durch 
einen  Halbkreis  von  Schutthügeln  bezeichnet  wird^  die  330  m  ja  sogar 
650  mdas  heutige  Thal  der  Dora  Baltea  überragen.   Die  Kette  vom 


ar 


%  2.   Die  Seen.  179 

zum  Stilfser  Joch  entsandte  den  Zwiliingsgletscher  von 

.  ^a,  der  in  mannichfacher  Verzwei^ng  die  Vorberge  um- 

'l^^  *'en  des  Langen-Luganer  und  Comer  Sees  ausfüllend« 

*:i^  m  150  und  190  km  erreichte.  Hiergegen  tritt  der 

Hscher  des  Oglio  zurück  und  doch  messen  seine 
.^  lohe.   Unter  allen  der  gröfete  war  der  Gletscher 

^    '^  Oetzthaler  Femern  bis  zu  seiner  Endmoräne 


% 


'ber  nahezu  280  km  erstreckte. 


^,  ^.  ^  •  Die  Seen. 


*^  V- 


^chläge  arbeiten  unablässig  daran  alle 
'^  '^^  ^  auszugleichen.  Die  Kräfte  welche  vor 

^^y  uefen  Spalte  zwischen  Alpen  und  Appennin 

fVerk  noch  immer  fort.  Wir  sehen  die  venetische 
^digem  Vorrücken  begriffen:  die  Flüsse  vermindern 
.ü  Schlamm  die  Tiefe  vor  den  Mündungen,  Wind  und  Wellen 
.cu  eine  Düne  auf,  die  seichte  Lagune,  die  sie  absperrt,  wird  durch 
weitere  Ablagerungen  in  einen  Sumpf,  dieser  zuletzt  in  Festland  ver- 
wandelt Die  Veränderungen  welche  hier  in  historischen  Zeiten  ein- 
getreten sind,  sollen  späterhin  erwogen  werden.  Ein  Hinweis  an  dieser 
Stelle  genügt  um  die  Thatsache  zu  erläutern ,  dafs  auch  von  der  Küste 
entfernt  die  Einebnung  und  Austrocknung  der  Sumpf-  und  Seebecken 
beständige  Fortschritte  gemacht  hat.  Vor  allem  lenkt  der  Gürtel  Ueb- 
iicher  Seen,  der  den  Abhang  der  Alpen  schmückt,  unsere  Aufmerksam- 
keit auf  sich.  Jene  senkrecht  oder  unter  steilen  Winkeln  gabelförmig 
in  das  Gebirge  eindringenden  Schluchten  sind  entstanden ,  als  dieses 
sich  hob;  denn  durch  die  Spannung  ward  notwendig  der  Zusammen- 
bang der  aufsteigenden  Schichten  zerrissen.  Die  Gletscher  welche  als- 
dann die  Spalten  in  Besitz  nahmen,  verhüteten  deren  Ansftlllung  durch 
den  Schutt  der  umgebenden  Gehänge  und  erweiterten  sie:  derartige 
EisstrOme  zeigen  stets  das  Bestreben  ihr  Bette  zu  verliefen  oder  nach 
einem  geläuflgen  Gleicbnifs  auszupflügen.  Durch  solche  Vorgänge 
erhielt  die  padanische  Steilküste  ihre  zerrissenen  und  zerfetzten  Um- 
risse, die  zum  Vergleich  mit  arktischen  und  antarktischen  Erdräumen 
auifordern.  Zwei  Umstände  bestätigen  die  Erklärung  der  lombardischen 
Seen  als  ehemaliger  Fjorde:  einmal  der  Umstand  dafs  ihr  Grund  ver- 
schiedentlich unter  den  jetzigen  Meeresspiegel  sinkt,  zweitens  der  Um- 
stand dafs  ihre  grOfste  Tiefe  sich  in  der  Mitte,  nicht  am  Ausgang  be- 
findet Als  nämlich  die  Temperatur  Europa's  stieg  und  die  geologische 

12* 


180 


Kap.  iV.   Dm  Poltnd. 


Periode ,  die  wir  die  Eiszeit  heUsen ,  von  der  gegenwUrtigen  abgelöst 
ward,  mufsten  die  Gletscher  sich  zurück  ziehen  und  verstopften  mit 
ihrem  Geröll  die  Verbindung  zwischen  den  Fjorden  und  dem  Meer: 
durch  ihre  Ablagerungen  ward  auch  das  Endstück  der  Fjorde  erhöht, 
wahrend  der  Mittelabschnitt  davon  unberührt  blieb  und  die  anfäng- 
lichen Formen  getreuer  bewahrte.  Durch  die  Milderung  des  Klima 
wurden  die  Eisströme  schliefslich  in  die  oberen  Alpenregionen  verbannt 
und  die  tiefen  Aushöhlungen,  welche  sie  bis  dahin  veiiittllt  hatten,  vom 
Süfswasser  eingenommen.  Ihre  Nachfolger  die  Flüsse  sind  eifrig  be- 
müht diese  Seebecken  auszufüllen  und  haben  damit  auch  in  historischen 
Zeiten  bemerkenswerte  Veränderungen  hervorgebracht.  Der  gegen- 
wartige Bestand  der  gröfseren  Seen  wird  folgender  Mafsen  berechnet <): 


Lago 

Mittlere 

Mittlere 

Mitteltiefe 

Gröfste 

Ännähero- 

Oberfläche 

Meereshöhe 

Tiefe. 

der  Inhalt 

Qkm 

m 

. 

m 

lOILOBUka 

di  Orta 

14 

342 

150(?) 

250  (?) 

2100 

Verbano 

200 

195 

210 

800 

44000 

di  Varese 

16 

235 

10 

26 

160 

di  Lugano 

49 

272 

150 

161 

7200 

Lario 

156 

199 

247 

588 

35000 

Sebino 

60 

192 

150 

298 

9000 

di  Idro 

14 

378 

122(?) 

Benaco 

361 

69 

150  (?) 

294  (?) 

45000(7) 

Seit  dem  Altertum  bat  sich  ihr  Umfang  wie  ihre  Tiefe  bedeutend 
vermindert.  Auf  der  Reise  nach  Graubünden  ward  der  Larius  ehedem 
von  Como  bis  Summui  locus  Samolaco  in  der  Ausdehnung  von  60  Mil- 
lion 89  km  —  wie  herkömmlich  aber  um  den  dritten  Theil  zu  hoch 
angenommen  wurde  —  befahren.  >)  Jetzt  betrügt  die  Länge  des  Sees 
nur  48  km,  da  die  Adda  mit  ihrem  Schutt  die  nördliche  Spitze  abge- 
schnitten und  zu  einem  selbständigen  See,  Lago  di  Mezzola  gemacht, 
ferner  die  Maira  ein  grofses  Stück  desselben  ausgefüllt  hat  Noch  im 
17.  Jahrhundert  war  die  Verbindung  zwischen  beiden  nicht  vollstän- 
dig aufgehoben ,  während  der  trennende  Landrücken  nachgerade  auf 


t)  Nach  Reclat  p.  329  mit  Gorrectucen  nach  dem  Anonario ;  die  alteren 
Aogaben  bei  Lombardini  weichen  davon  merklich  ab. 

1)  It  Ant  p.  279  Üb.  Peat.  Gassiodor  Ttr.  XI  14.  Gate  bei  Sern» 
V.  Georg.  II 159. 


§  2.   IMe  Seen.  181 

4  km  Breite  angewachsen  ist,  der  Ort  Samolaco  aber  im  Binnenland 
16  km  vom  Anfang  des  Larius  entfernt  liegt  Die  Tiefenmessung  hat 
ergeben,  dafs  der  Seeboden  in  dem  nördlichen  und  östlichen  Arm 
dortb  die  Ablagerungen  der  Adda  ganz  eingeebnet  ist,  dagegen  in  dem 
?0D  Flüssen  unberührten  Arm  von  Como  ansehnliche  Niveauunter- 
schiede aufweist.  Freilich  bleibt  die  grObte  Tiefe  volle  150  m  über 
der  Einsenkung,  welche  nach  dem  Profil  der  Randgebirge  Ursprung- 
lieh  vorauszusetzen  ist  Aehnlich  ergeht  es  dem  Lago  Maggiore.    Im 
Lauf  des  Mittelalters  ist  der  Tessin  um  mehrere  Kilometer  vorgerückt 
und  die  Maggia  hat  schon  ihr  Delta  so  weit  vorgeschoben  dafs  sie  in 
absehbarer  Frist  die  Nordspitze,  den  Golf  von  Locamo  in  gleicher 
Weise  abtrennen  wird,  wie  dies  am  Comersee  geschehen.    Derselbe 
Fall  ist  an  dem  westlichen  Arm  mit  den  Borromeischen  Inseln  bereits 
eingetreten:  er  umfafste  ehedem  den  kleinen  See  von  Mergozzo,  den 
die  Toce  und  Strona  mit  ihren  Anschwemmungen  eingeschlossen  und 
zur  Ausfüllung  bestimmt  haben.    Wenn  man  auf  die  alten  Wasser- 
nuffken  aus  vorhistorischen  Epochen  zurückgreift,  so  standen  einst 
alle  diese  Seen  der  Orta  Maggiore  Varese  Comabbio  Monate  Biandrone 
Lugano  Como  nebst  denjenigen  der  Brianza  in  Zusammenhang.    Die 
Gletschennorftnen  verhinderten  diesen  abgesperrten  von  Sunden  und 
Inseln  erfüllten  Meerestheil  der  zurückweichenden  Bewegung  der  Adria 
zu  folgen.  Er  konnte  erst  abffiefeen,  nachdem  die  Strome  ihre  Betten 
100  m  und  tiefer  in  die  Schuttwjllle  hinein  genagt  hatten,  und  ward 
dann  allmfllich  auf  die  Einsenkungen  beschränkt,  die  wir  jetzt  vor  uns 
sehen.  So  enthüllt  der  Naturforscher,  der  uns  durch  den  Garten  der 
Londlrardei  geleitet,  die  Verganjgenheit  dieser  sonnigen  Ufer  unseren 
Blicken.  Er  zeigt  sie  in  Eis  und  Schnee  gehüllt  dafs  das  Auge  —  wie 
es  dem  Polarreisenden  zu  gehen  pflegt  —  nicht  zu  unterscheiden  ver- 
mag was  Festland  was  Meer.   Er  führt  uns  als  zweites  Bild  einen  rie- 
sigen Landsee  vor,  der  den  Fangarmen  eines  Polypen  vergleichbar  mit 
seinen  Sunden  die  Inseln  und  Vorgebirge  umklanunert.  Er  belehrt 
uns  endlich  Angesichts  der  verpestenden  Sümpfe,  welche  der  Gegen- 
wart angehören,  dals  der  Kampf  zwischen  Festem  und  Flüssigem  un- 
UBterbrochen  fortdauert  und  wol  seinen  Schauplatz  nicht  aber  seine 
Formen  ändert 

Sämmtliche  Seebecken  sind  im  Rückgang  begriffen :  um  so  stärker 
je  grolser  die  Zuflüsse  die  sie  empfangen.  Der  Benacus  überragt  die 
übrigen  an  Flächenraum  lediglich  deshalb  so  weit,  weil  er  nur  von 
einem  beschränkten  Quellgebiet  gespeist  wird.    Manche  sind  im  Lauf 


182  Kap.  IV.   Das  Poland. 

der  Zeiten  verschwunden.   Südlich  von  dem  Gebirgsdreieck ,  welches 
die  beiden  Arme  des  Larius  umfassen  ^  lag  ein  vom  Lambro  durch- 
strömter  See,  der  an  Ausdehnung  dem  Luganer  wenig  nachgegeben 
haben  mag:  Plinius  nennt  ihn  EufiUs  und  steUt  ihn  mit  Larius  Vor- 
banus  Benaciu  Sehimu  zusammen.^)   Seit  dem  Mittelalter  ist  er  ausge- 
trocknet und  nur  eine  Reihe  kleiner  Becken,  der  Lago  Montorfano 
Alserio  Pusiano  Segrino  Annone  (?)  verraten  sein  Mheres  Dasein.  Wo 
die  Dorn  Baltea  bei  Ivrea  aus  ihrem  engen  Thal  heraustritt,  mQndete 
sie  ehedem  in  einen  See ,  der  von  den  oben  erwähnten  Moränen  ein- 
geschlossen war  und  mehrere  Quadratmeilen  bedeckte:  Reste  dessel- 
ben sind  der  kleine  Lago  di  Candia  im  SW  und  der  Lago  di  Viverone 
bei  Azeglio  im  NO.  Nachdem  der  Flufs  ein  tiefes  Bette  durch  den 
südlichen  Wall  hindurch  gegraben ,  hat  er  das  Becken  nach  und  nach 
entleert.    Früher  flofs  er  ostwärts  durch  den  Lago  di  Viverone  und 
hat  erst  im  14.  Jahrhundert  die  südUche  Richtung  eingeschlagen.   Der 
locus  Clisius  welchen  die  Peutingersche  Tafel  verzeichnet,  ist  mit  eini* 
gem  Grund  auf  diesen  See  gedeutet  worden.  Von  vielen  anderen  Seen 
sind  Dur  Sümpfe  und  Moore  übrig  geblieben.  Die  venetischen  Alpen 
haben  keinen  mehr  aufzuweisen,  das  Flachland  nur  diejenigen  um 
Mantua,  die  auch  langst  ausgetrocknet  wären ,  wenn  man  sie  nicht  im 
Mittelalter  aus  fortificatorischen  Rücksichten  künstlich  gestaut  hatte. 
Auch  die  Kette  von  Seen,  welche  die  Adda  in  ihrem  Unterlauf  von  Lecco 
ab  ehedem  durchflob,  sind  theils  sehr  eingeengt  theils  ganz  beseitigt 
worden.^)  Der  erzielte  Gewinn  an  Acker-  und  Wiesenland  hat  auch 
Nachtheile  im  Gefolge  gehabt.  Sehen  wir  von  dem  Ertrag  der  Fischerei, 
dem  günstigen  Einflufs  auf  das  Klima,  dem  landschaftlichen  Schmuck, 
den  die  Alpenseen  gewähren,  ganz  ab,  so  liegt  ihre  Bedeutung  forden 
Haushalt  der  Natur  in  dem  Umstand  ausgesprochen  dafs  sie  die  Ebene 
vor  Ueberschwemmung  schützen.  Wenn  die  Herbstregen  in  tropischer 
Fülle  fallen ,  walzen  sich  ungeheure  Wassermassen  von  den  Beiden 
herab.  Dann  steigen  der  Larius  an  4  m,  der  Verbanus  an  7  m  über  den 
gewöhnlichen  Stand  und  treten  aus  ihren  Ufern.   Dadurch  zügeln  sie 
den  Ungestüm  des  Wassers,  indem  z.  B.  der  Larius  einen  Zuflufs  bis 
2000  Cubikmeter  in  der  Secunde  empfangt  aber  nur  804  von  sich  giebt, 
und  retten  das  Tiefland  vor  dem  drohenden  Verderben.   Umgekehrt  ia 

1)  m  131. 

2)  Bei  Grema  finden  sich  ausgedehnte  MoorgrOnde  mit  reichen  Quellei; 
aber  der  angebliche  Lago  Gerondo,  den  man  nach  mittelalterlichen  Qaellea 
hierher  verlegt,  hat  nicht  extstirt  s.  Lombardini  notizie  p.  144. 


§  3.  Der  Polauf.  183 

der  Zeil  der  Dürre  sichern  sie  den  Flttssen  einen  constanten  Lauf  und 
leisten  damit  der  Cultor  unschätzbare  Dienste.  Die  Wichtigkeit  dieses 
Factors  in  der  einen  wie  der  anderen  Hinsicht  wird  im  Fortgang  un- 
serer Betrachtung  deutlicher  zu  Tage  treten.  Wir  fassen  zunächst  das 
Fluissystem  in  seiner  Gesammtheit  ins  Auge. 

§  3.  Der  Polauf. 

Der  Name  des  Po  lautete  in  ligurischer  Sprache  Bodincus  oder 
Bodenau  d.  h.  der  grundlose:  in  der  That  kann  er  mit  2 — 3  m  gewöhn- 
licher Tiefe  bereits  oberhalb  Turins  nicht  mehr  durchschritten  werden, 
aulser  durch  unsichere  Furten,  deren  sich  noch  bis  zum  Lambro  hin- 
unter finden.  Die  Römer  haben  ihr  Padus  den  Kelten  oder  wahrschein- 
lich den  Venetern  entlehnt.  Die  erstere  Bezeichnung  scheint  am  Ober- 
lauf, die  letztere  am  Unterlauf  verbreitet  gewesen  zu  sein.^  EndUch 
ist  ans  der  hellenischen  Dichtung  noch  der  Name  ^^idavog  Eridanus 
an  ihm  haften  geblieben:  im  äufsersten  Westen,  meldet  die  Sage,  khig- 
ten  die  Schwestern  über  Phaethons  Sturz  und  wurden  in  Schwarz- 
pappeln verwandelt,  ihre  Thränen  rannen  in  den  Strom  hinab  und 
ergaben  das  leuchtende  Harz,  den  Bernstein.  2)  Die  Volksmeinung  Uefs 
den  Strom  in  das  nördliche  Meer  münden.^)  Da  aber  die  Griechen  den 
in  ältester  Zeit  hochgeschätzten  Schmuck  sowol  von  Massalia  als  von 
Atria  bezogen,  so  flofs  in  ihrer  Vorstellung  die  Kunde  vom  Po  und  von 
der  Rhone  mit  jenem  mythischen  Bernsteinstroro  zusammen.  Aeschy- 
los  dachte  an  die  Rhone,  Euripides  an  den  Po  oder  man  fabelte  von 
einem  Zusammenhang  beider.^)  Der  völligen  Unklarheit  entspricht  es, 
dafs  der  einheimische  Name  erst  durch  die  Römer  verbreitet  wurde. 
Polybios  ist  der  älteste  unter  den  erhaltenen  Gewährsmännern ,  der 
einen  der  Wirklichkeit  entsprechenden  Bericht  überliefert  Vergil 
nennt  den  Po  rex  fluviorum  und  Strabo  erklärt  ihn  für  den  gröfsten 

1)  Pol.  n  16,  12.  PliD.  III  122.  Die  aufgestellte  Ansicht  ergiebt  sich  aus 
der  Nachricht  des  Metrodoros  von  Skepsis  bei  Plinius  und  erhält  ihre  Bestä- 
tigung darch  die  Stadtenamen  BodineonutgUM  bei  Industria^  Patavium  jetzt 
Padova  sowie  üaSoa  (Fadua  Gatnll  95, 7)  und  Padma  als  Mandungsarm  und 
Lagune.  IMe  Deutung  quoniam  circa  foniem  arbor  multa  nt  picea,  quales 
GalHce  voeeniur  padi,  hoc  nomen  accepisse  ist  unglaublich  und  hängt  wol 
mit  der  Phaethonslegende  zusammen. 

2)  Vgl.  MQllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde  I  p.  218  fg. 

3)  Herod.  ID  115  Ovid  Met.  U  323  Pausan.  I  3, 5.  —  Unbestimmt  die  älteste 
Erwähnung  Hea.  Theog.  338. 

4)  Plin.  XXXVn  32  Eurip.  Hippol.  735  und  mehr  MflUenhoff  a.  0. 


184  Kap.  IV.   Das  Poland. 

Fiufs  Europa's  nach  der  Donau.  >)  Mflssen  wir  letzteres  auch  ab  einen 
Irrtum  zurOckweisen ,  so  liegt  demselhen  doch  die  richtige  Vorstellung 
▼on  dem  erstaunlichen  Wasserreichtum  des  Stromes  zu  Grunde,  der 
bei  der  halben  Länge  doch  dem  Rhein  an  Mächtigkeit  gleich  kommt 
oder  gar  ihn  noch  übertriflft.  Den  Grund  hierfür  giebt  in  seiner  sach- 
kundigen Beschreibung  Plinius  an,  indem  er  hervorhebt,  dafs  kein  an- 
derer Flufs  auf  so  kurzem  Lauf  eine  ähnliche  Menge  von  Zuflüssen 
aufnimmt  Lombardini  berechnet  sein  Gebiet  bis  Pontelagoscoro  auf 
69382  D  km  (1261  D Meilen),  wovon  auf  die  Ebene  28326  Dkm 
(515  DM.)  und  auf  das  Gebirge  41056  Dkm  (746  DM.)  kommen.  Die 
Ziffer  wtlrde  sich  bedeutend  höher  stellen,  wenn  man  die  in  sein  M ün- 
dungsdelta  einfallenden  und  mit  seinen  Nebenarmen  sidi  veiiiindenden 
Flüsse  hinzuzahlte.  In  regelmäfsigem  Lauf  von  West  nach  Ost  durch- 
mifst  er  unter  dem  45.  Grad  n.  Br.  das  Tiefland  und  theilt  es  in  eine 
diesseitige  und  jenseitige  HaUte.  Davon  ist  die  letzere  weitaus  grttlser 
und  bedeutender,  weil  der  Flufs  aus  dem  S.  178  angegebenen  Grande 
sich  in  der  Nähe  des  Appennins  hält;  erst  jenseit  Parma's,  wo  das  Ge- 
birge eine  SO  Richtung  annimmt,  wird  die  Ebene  des  südlichen  Ufers 
ausgedehnt.  Die  Entfernung  von  der  Quelle  bis  zur  Mündung  betragt 
ca.  500  km  (67  M.),  die  gesammle  Lange  einschliefslich  der  Krüm- 
mungen 672  km  (90  Vi  M.).  Ein  Oberlauf  ist  kaum  vorhanden.  Der 
Po  stellt  sich  vielmehr  als  die  Rinne  dar,  auf  welche  der  Meerbusen 
beschrankt  ist,  der  einst  Alpen  und  Appennin  von  einander  trennte. 
Die  einfallenden  Gewässer  verleihen  ihm  erst  Ansehen  und  Bedeutung. 
Er  gehört  nicht  zu  den  bekannten  und  gefeierten  Strömen,  wol  aber 
zu  denjenigen ,  die  von  Seiten  der  Wissenschafl  ein  besonderes  Inter- 
esse beanspruchen. 

Er  entspringt  bei  1952  m  Meereshöhe  auf  einem  sumpfigen  Hoch- 
thal, Piano  del  Re,  am  Fufsdes  3840  m  hohen  Motu  Vemlus  oder  Monte 
Viso.  Diese  von  den  Alten  getroffene  Bestimmung  (S.  147)  ist  seither 
nicht  bestritten  worden  und  wir  lassen  dahin  gestellt,  ob  nicht  die  Vraita 
oder  noch  eher  die  auf  dem  Col  Maurin  entspringende  Maira  als  wah- 
rer Ausgang  des  grofsen  Flusses  angesehen  werden  müfste.  Auf  der 
kurzen  Strecke  von  34  km  bis  zur  Brücke  von  Revello  hat  der  Po  nicht 
weniger  als  1600  m  Fall  und  tritt  in  die  Ebene  hinaus,  so  dafe  hier 
bereits  die  Grenze  zwischen  Ober-  und  Mittellauf  zu  statuiren  ist  Pli- 
nius berichtet,  dafs  die  Quelle  im  Sommer  Mittags  versiegt  sowie  dafs 


t)  Verg.  Georg.  I  482.  Sbrab.  IV 104. 


f  3.   Der  PoUuf.  185 

der  Strom  eine  Zeit  lang  unterirdisch  fliebt  und  dann  im  Gebiet  Ton 
AriMi  Yihi  wieder  sichtbar  wird.^)  Dies  ist  theilweise  richtig,  theil- 
weise  ungenau  ausgedruckt:  im  Sommer  ist  so  wenig  Wasser  vorhan- 
den ,  dals  solches  beim  Eintritt  in  die  Ebene  zur  Irrigation  der  Felder 
abgeleitet  wird  oder  auch  im  Sande  sich  yerliert  derart  dafs  das  Bette 
in  der  That  eine  Strecke  trocken  liegt.  Wahrend  der  Oberlauf  nach 
Osten  gerichtet  war,  wendet  sich  der  Mittellauf  nach  Norden  und  be- 
schreibt einen  Halbkreis  um  das  ligurische  Hügelland.  Durch  die  Ab- 
flösse der  Cottischen  und  Seealpen  Terstflrkt  langt  der  Po  nach  98  km 
bngem  Lauf  bei  Augutta  Taurmarum^  dem  heutigen  Turin  an,  wo  er 
den  Ihcrto,  Dora  Riparia  oder  kleine  Dora,  aufnimmt.  Die  Dora  ent* 
springt  auf  dem  Afofis  Mainma  M.  Gen^vre  [auf  der  entgegengesetzten 
Seite  die  Dnuntia  Durance]  und  durchströmt  das  Thal  ron  Segusio 
Susa;  ihre  Lange  betragt  125  km,  ihr  Gebiet  1231  Dkm  (22  DM.)  wo- 
von nur  60  auf  ebenes  Terrain  entfallen ,  ihr  mittlerer  Abflufs  56,8 
Gobikmeter  in  der  Secunde.  Im  Altertum  wird  dieser  Flufs  durch  kein 
Beiwort  von  der  grofseren  Dora  Baltea  unterschieden.  Der  Name  scheint 
der  keltischen  Sprache  zu  entstammen. 

Bei  Turin  ist  der  Po  160  m  breit.  Er  hat  hier  bereits  eine  Meeres- 
hohe Ton  137,40  m  erreicht,  die  Neigung  betragt  0,48:1000.  Die 
Sfura  führt  ihm  die  Gewässer  der  drei  Alpenthaler  zwischen  Roche 
Melon  und  Monte  Levanna  zu.  Sie  hat  70  km  Lange ,  ein  Gebiet  von 
960 Dkm  (17  DM.),  davon  199 Dkm  eben,  und  einen  mittleren  Ab- 
Onfs  von  40  Cubikmeter.  Es  folgt  der  Orgu$  Orco  aus  dem  Thal  von 
Locana  nördlich  vom  Monte  Levanna,  75  km  lang,  mit  einem  Gebiet 
von  1254  Dkm  (23  DM.)  —  ein  Drittel  eben  —  und  einem  Gehalt  von 
46  Cubikmeter.  Weit  bedeutender  ist  der  Duria  die  Dora  Baltea.  Sie 
durchströmt  das  Land  der  Salasser,  das  Thal  von  Aosta,  AuguOa  Prüe- 
Unia  Sakusarum^  welches  die  höchsten  Gipfel  der  Alpen  vom  Gran 
Paradiso  (4045  m)  bis  zum  Mont  Blanc  (4804  m)  und  von  hier  zum 
Monte  Rosa  (4636  ro)  einfassen.  Sie  entsteht  aus  der  Vereinigung  von 
zwei  Bachen  am  Fufs  des  Mont  Blanc  und  empftlngt  den  Beinamen 
Baltea  nach  der  Aufnahme  des  vom  Matterhom  herkommenden  Buttier, 
die  bei  Aosta  erfolgt^)  Sie  ist  160  km  lang  und  im  unteren  Theil  bei 
Mpwedia  Ivrea  50— 60m  breit.  Ihr  Gebiet  umfafet  4322 Dkm  (79 DM.) 
und  zwar  499  Dkm  (9  D  M.)  in  der  Ebene.  Wahrend  der  mittlere  Ab- 

t)  Pilo,  n  229  mit?,  darnach  Solin  2,  25  Mart.  Gapella  VI  640. 
2)  Ueber  die  irrige  Angabe  des  Ptolemaeos  in  Betreff  der  Quelle  vgl.  S.  160, 
über  den  lacns  Gliaiin  S.  182. 


186  Kap.  IV.  Du  Poland. 

flufs  215  Cubikmeter  in  der  Secunde  beträgt,  kann  er  bis  auf  2000 
steigen  d«  h.  ebensoviel  wie  bei  den  höchsten  Ueberschwenimungen 
des  Tiber  gemessen  worden  ist  Der  starke  Fall  macht  es  unmOgUch 
den  Strom  anders  als  mit  FlOfsen  zu  befahren. 

Von  der  Mündung  der  Dora  Riparia  bis  zu  derjenigen  der  Baltea 
hat  der  Po  43,5  km  durchmessen  und  eine  Breite  von  250  m  bei  2,80  m 
Tiefe  erreicht.  Bei  der  geringen  Neigung  liebt  er  es  sich  zu  winden  und 
zu  theilen,  zahlreiche  Werder  einschliefsend.  Auf  der  nächsten  52  km 
langen  Strecke  bis  zur  Einmündung  der  Sesia  ermäbigt  sich  das  Ge- 
fälle auf  0,42 :  1000.    Der  Sesües  Sesia  entspringt  am  Monte  Rosa, 
fliefst  an  VerceUae  Vercelli  vorbei  und  ergiefst  sich  nach  einem  Lauf 
von  138  km  (18  M.)  in  den  Po.  Die  Ausdehnung  seines  Gebiets  beträgt 
2920  Dkm  (53  DM.),  davon  1670 Dkm  (30  DM.)  Fbchland;  der 
AbQufs  77,5  Cubikmeter,  bei  Hochwasser  bis  auf  1350  anschwellend. 
Der  Po  nimmt  jetzt  eine  sttdliche  Richtung  an,  kehrt  jedoch  schon  bei 
Yd^entia  Valenza  zur  Ostlichen  zuillck.  Er  empfängt  34  km  von  der 
Sesia  entfernt,  seinen  bedeutendsten  Zuflufs  von  der  rechten  Seite,  den 
Tanarus  Tanaro.  Derselbe  kommt  von  den  Seealpen  unweit  des  (}ol 
di  Tenda  her ,  fliefst  an  PoUentia  Polenza ,  Alka  Pampeia  Alba ,  Hasia 
Asti  vorüber  und  erreicht  mit  seinen  vielen  Windungen  eine  Länge 
von  276  km  (37^/2  M.).  Unter  den  Nebenflüssen  verdient  die  109  km 
lange  Stura  di  Demonte  erwähnt  zu  werden:  sie  entspringt  auf  den 
Seealpen  und  mündet  von  links  her  bei  Polenza.  Vom  Appennin  kom- 
men die  beiden  Bormida,  die  sich  oberhalb  Äquae  Statidlae  Acqui  ver- 
einigen und  oberhalb  Alessandria  in  den  Tanaro  einfallen.  Dieser  Strom 
beherrscht  eine  Ausdehnung  von  7984  Dkm  (145  DM.),  vier  Sieben- 
tel Gebirg,  drei  Siebentel  Flachland.  Vermöge  der  geringeren  Erhebung 
steht  er  hinter  den  nördlichen  Zuflüssen  des  Po  an  Wassermenge  weit 
zurück:  er  giebt  im  Mittel  133  und  bei  Hochwasser  bis  1700  Cubik- 
meter in  der  Secunde  von  sich.  Seine  Mündung  liegt  nicht  mehr  als 
82  m  über  Meer.  Der  bekannte  Satz,  dafs  Wasserläufe  nur  mit  Wider- 
streben, durch  die  Bodensenkung  gezwungen  sich  vereinigen,  wird 
hierin  anschaulicher  Weise  erläutert;  denn  auf  einer  Strecke  von  12km 
verbinden  sich  Po  und  Tanaro,  trennen  sich,  vertauschen  gegenseitig 
das  Bette.  Wenn  das  Niveau  bei  Hochwasser  um  17,5  m  steigt,  be- 
decken sie  gelegentlich  eine  Breite  von  10  km:  dann  verändern  sie 
auch  regelmäfsig  ihr  Bette.  Hier  mündet  zugleich  die  85  km  bnge  Scn- 
via  ein,  die  oberhalb  Genua  entspringt :  ihr  Gebiet  beträgt  1092  D  km 
(20  DM.),  ihr  Volumen  21,  bei  Hochwasser  400  Cubikmeter. 


I  3.  Der  Polauf.  187 

Von  der  MQnduog  des  Tanaro  bis  zu  derjenigen  des  Ticino  rech- 
net man  74  km  mit  0,355 :  1000  Fall.  Der  Ticinus,  der  mächtigste 
unter  allen  NebenflQssen  des  Po,  entspringt  am  S.  Gotthard  2144  m 
über  Meer.  Nach  einem  Lauf  von  85  km  tritt  er  in  den  loetis  Verbanui 
Lage  Haggiore  ein  und  durchströmt  ihn  seiner  ganzen  Länge  nach. 
Der  Lago  Maggiore  liegt  195  m  ttber  Meer,  ist  64,6  km  lang,  im  Mittel 
3  km  breit  und  hat  einen  mittleren  Flächeninhalt  von  200  O  km.  Die 
grO&te  Tiefe  sinkt  auf  800  m.  Seine  Gestalt  erinnert  noch  an  jene 
Urzeit,  als  hier  ein  Fjord  des  lombardischen  Meeres  in  die  Steilküste 
einschnitt.  Er  dient  als  Sanunelbecken  für  die  Gewässer  der  sog.  Le- 
pontischen  Alpen  vom  Monte  Rosa  bis  zum  Gotthard.  Namentlich  er- 
gießt sich  von  Westen  her  in  ihn  die  83  km  lange  Toce  aus  dem  Thal 
Ton  Ossola,  in  welche  auch  der  kleine  See  von  Orta  (14  Dkm)  seinen 
Abflufs  findet.  Von  Osten  her  empfängt  er  die  Abflüsse  des  locus  Ce- 
resius  Lago  di  Lugano  (49  Dkm)  sowie  der  kleinen  Seen  von  Varese 
Ü6  Dkm)  und  Comabbio  (4  Dkm).  Vom  See  bis  zum  Po  hat  der  Ticino 
noch  99  km  {W/t  M.)  zurückzulegen.  Anftlnglich  strömt  er  bei  star- 
kem Fall  (2,2  und  1,9 :  1000)  ungestüm  dabin,  mäfsigt  alsdann  seine 
Eile  (1,3 :  1000)  und  langt  in  gemessener  Bewegung  bei  Ticinum  Pa- 
via  an,  um  sich  bald  darauf  mit  dem  Po  zu  vereinigen.  Diesem  Charak- 
ter entspricht  es,  dafs  die  Breite  von  64  m  auf  100,  120,  schliefslich 
131  ni  anwächst,  wie  auch  die  Tiefe  von  1,3  m  auf  2,5  m  zunimmt.  Der 
niedrigste  Wasserstand  während  der  Dürre  mifst  0,75 — 1,6  m.  Die 
Schiffahrt  hat  mit  vielen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  doch  können 
Dampfer  und  Lastschiffe  von  720  Centner  Tragkraft  auf  dem  ganzen 
Unterlauf  verkehren.  In  militärischer  Hinsicht  bietet  derselbe  eine 
wichtige  Vertheidigungslinie  gegen  einen  von  Westen  anrückenden 
Feind  und  wird  deshaU»  in  den  Kämpfen  des  Altertums  wie  der  Neu- 
zeit häufig  genannt.  Die  Gesammtlänge  des  Ticinus  stellt  i^ich  auf 
248 km  (33  M.),  sein  Gebiet  auf  7228  Dkm (131  DM.),  davon  762 km 
(14  DM.)  Flachland.  Der  mittlere  Abflufs  in  der  Secunde  beträgt  411 
Cubikmeter  und  steigt  bei  Hochwasser  bis  auf  5400 :  ohne  die  tem- 
perirende  Wirkung,  die  das  Becken  des  Langensees  ausübt,  würde 
die  Lombardei  in  einen  grofsen  Sumpf  verwandelt  werden. 

Von  der  Tessinmündung  beginnt  der  Unterlauf  des  Po,  der 
kaum  seines  Gleichen  findet.  Er  windet  sich  und  umfafst  zahlreiche 
mit  Gebüsch  bewachsene  Werder.  Die  trägen  Fluten  werden  schliefs- 
tich nur  durch  die  unter  spitzem  Winkel  einfallenden,  lebhafteren 
Alpenstrome  vorwärts  getrieben.  Bis  zur  Addamündung  sind  87,25  km 


188  Kap.  IV.  Du  PoUnd. 

mit  0,28  bis  0,24:1000  Fall,  einer  Breite  von  445  — 530m  und 
einer  Mitteltiefe  von  2  —  4,75  m.  Unterwegs  empfängt  der  Po  den 
zwischen  den  beiden  Armen  des  CSomer  Sees  entspringenden  116  km 
langen  Lambnu  Lambro  (S.  182),  vom  Appennin  her  kurz  vor  Phuen- 
tiä  die  Trdria.  Dieser  reifsende  Bach  ist  nur  115  km  lang  und  ent- 
wässert ein  Becken  von  1014  Okm  (18  DM.),  zu  neun  Zehntd  Ge« 
birgsland.  Aber  sein  Kiesbette  dehnt  sich  flber  eine  Breite  von  12  — 
1400  m  und  wahrend  der  mittlere  Abflnfs  26  Cubikmeter  nicht  Über- 
schreitet, wächst  er  bei  Hochwasser  bis  zu  1000  und  die  Tiefe  des 
Baches  bis  auf  5  m.  Solche  Ueberschwemmong  dauert  in  der  Begel 
24  Stunden.  —  Die  Quellen  des  Äddua  Adda  hegen  in  den  Baetischea 
Alpen  in  geringer  Entfernung  von  denjenigen  des  Inn  und  der  Etsch. 
Er  durchströmt  mit  starkem  Fall  in  westlicher  Bichtung  das  Veltlin 
und  langt  nach  128  km  im  C!omer  See  an.  Durch  seine  Schuttabbge- 
rungen  hat  er  die  Nordspitze  desselben  abgetrennt,  die  jetzt  als  Lago 
di  Mezzola  einen  Fiifchenraum  von  8  Dkm  einnimmt  (S.  180).  Der  Uh 
€U$  Larius  liegt  199  m  über  Meer,  hat  48  km  Lfinge  bei  1940  m  mitt- 
lerer Breite,  588  m  gröbter  Tiefe  und  156  Dkm  (3  DM.)  Inhalt 
Ungefilhr  in  der  Mitte  spaltet  er  sich  in  zwei  Arme:  an  dem  westlicheo 
liegt  die  Stadt  Comum,  an  dem  Ostlichen  Lecco;  aus  letzterem  fiieist 
die  Adda  ab.  Ihr  Unterlauf  bis  zum  Po  ist  100  km  (14  M.)  lang.  Der- 
selbe ist  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  schiffbar,  von  Lodi  abwärts  für 
Barken  von  900  Centner  Tragkraft,  und  kann  nur  an  wenigen  Stellen 
durchwatet  werden.  Der  mittlere  Abflufs  des  Sees  beträgt  186  Cubik- 
meter in  der  Secunde.  Derselbe  wächst  bei  der  Einmündung  in  den 
Po  auf  244  Cubikmeter,  indem  die  Adda  den  67  km  langen  Brembo 
und  den  1 10  km  langen  Sarms  Serie  aufnimmt  Ihre  Breite  schwankt 
zwischen  70  und  150  m,  bei  Hochwasser  am  unteren  Ende  bis  500  m 
wachsend;  die  mittlere  Tiefe  von  2*— 2,50  m  sinkt  kaum  bei  äufserster 
Darre  bis  auf  1  m  herab.  Das  Becken  der  Adda  wird  auf  5889  Dkm 
(107  DM.)  berechnet,  wovon  ein  Viertel  1403  Dkm  (25 V2  DM.)  auf 
die  Ebene  ftllt  Hierzu  kommt  Brembo  mit  885  D  km  und  Serie 
mit  1215  Dkm,  so  dafs  das  gesanunte  Gebiet  sich  auf  7989  Dkm 
(145  D  M.)  stellt  Die  Ueberschwemmungen  werden  durch  den  Corner 
See  gemildert  derart  dafs  der  gröfste  Abfluls  nur  827  Cubikmeter  be- 
trägt (S.  182). 

Von  der  Adda  bis  zum  Oglio  legt  der  Po  96  km  zurück.  Er  bat 
4,5  m  Tiefe,  0,19  bis  0,14 :  1000  Neigung  und  bei  Cremona910m 
Breite.  Die  letztere  wectedt  stark  in  Folge  der  unablässigen  Strom- 


i  3.   Der  Polauf.  189 

spaltungeD:  bei  der  Taromttnduog  mifst  der  Hauptarm  1516  m,  weiter 
Dor  474  m,  bei  Guastalla  1326  m.  Von  Cremona  ab  begionea  die  fort- 
hnfenden  rieatgen  Deiche,  welche  die  anliegendeii  Landacbaften  gegen 
seine  verheerenden  Fluten  schtltzen  und  bewohnbar  machen.  Ober- 
halb dieser  Stadt  sind  sie  nur  stellenweis  erforderlich.  Vom  Appennin 
empfängt  der  Po  unter  anderen  Bächen  den  Tarus  Taro,  der  150  km 
lang  ein  Gebiet  von  2073  Dkm  (38  OM.)  —  drei  Viertel  Bergland  — 
eatwtaerL  Wie  alle  diese  BergstrOme  wird  er  durch  die  Herbstregen 
lu  gefiihrlicher  Höhe  angeschwellt:  bei  den  etwa  22  Stunden  dauern* 
<ieD  Ueberschwemmungen  steigt  sein  mittlerer  Abflufs  von  42  auf  1200 
Cttbikmeter  in  der  Secunde.  Von  Cremona  an  hält  der  Po  eine  SO- 
Richtung  ein,  wendet  sich  dann  direct  nach  N  um  seinen  gewöhnlichen 
0  Lauf  wieder  anzunehmen.  Bei  der  Beugung  mündet  der  OUhu  ein. 
Ehedem  bestand  dieses  Knie  nicht,  sondern  der  Po  flofs  weiter  süd- 
lich in  mäandrischen  Windungen  an  Gonzaga  vorüber:  das  alte  Bette 
ist  noch  jetzt  als  Abzugsgraben  (Po  vecchio)  vorhanden.  —  Der  Ogho 
durchströmt  das  Thal  der  Gtimtitifii  Valle  Camonica,  welches  durch  den 
facus  Sebmus  Lago  d'Iseo  fortgesetzt  wird.  Von  den  Quellen  am  Monte 
Tonale  bis  zum  See  mifst  man  81  km.  Der  Iseo  See  192  m  über  Meer 
ist  25  km  lang,  im  Mittel  2,4  km  breit,  bis  300  m  tief  und  bedeckt  eine 
Ffiche  von  60  D  km.  Bei  seinem  Austritt  fliefst  der  Oglio  in  einer 
Breite  von  130 — 160  m^  mit  mälsiger  C^schwindigkeit.  Jedoch  ist  von 
der  138  km  langen  Strecke  bis  zum  Po  nur  das  untere  Drittel  schiff- 
bar. Hier  wird  er  verstärkt  durch  die  aus  dem  Thal  der  TrumpUm 
Val  Trompia  kommende  Mdla  sowie  den  CUtis  Chiese.   Der  letztere 
entspringt  auf  dem  Monte  Adamello ,  durchfliefst  das  Thal  der  Sabim 
Val  Sabbia  und  den  kleinen  See  von  Uro  (14  Gkm)  und  mündet  unweit 
des  schlachtberühmten  BeMaemn  in  den  Oglio  ein.    Die  gesammte 
Länge  des  Ogho  stellt  sich  auf  280  km ,  sein  Becken  auf  6641  D  km 
(121  QM.),  davon  3426  Dkm  Gebirgs-  3215  D  km  Flachland;  der  Ab- 
flufs im  Mitlei  137,  b^  Hochwasser  550  Cubikmetcr  in  der  Secunde. 
Vom  Oglio  bis  zum  Mincio  sind  28,7  km  mit  0,125 :  1000  Fall. 
Die  Breite  des  Hauptarms  vermindert  sich  auf  225  —  350  m;  dagegen 
hat  er  sein  Bette  bis  10  m  Tiefe  bei  niedrigem  und  12  m  bei  hohem 
Wasserstand  ausgegraben,  i)    Mit  dem  Minäui  erhält  er  seinen  letz- 
ten Zoflufs  von  Norden.  Unter  diesem  Namen  verstand  und  versteht 
man  blos  den  Abfiuls  aus  dem  Garda  See ,  während  der  Oberlauf  als 


1)  Pilo.  1II119  urgußiur  aptarmm  mok  «f  in  pra/kiübim  agiiur. 


190  Kap.  IV.   Das  Poland. 

Sarca  bezeichnet  wird.  Die  Sarca  entspringt  aus  den  Gletschern  des 
Monte  Adamello  und  erreicht  nach  62  km  Lauf  den  See.  Der  lacuB 
Benacui  ist  der  grorste  unter  den  Alpenseen  Italiens:  69  m  Ober  Meer 
gelegen  hat  er  52  km  Lange,  16,5  km  höchste  und  7  km  mittlere 
Breite,  294  m  (?)  höchste  Tiefe  und  einen  Flächeninhalt  von  36  t  D  km 
(6  V^  DM.).  Vergil  vergleicht  sein  Tohen  mit  der  Brandung  des  Meeres.^) 
Die  bedeutende  Wassermasse  bewirkt,  dafs  der  Mincio  ein  auffallend 
constantes  Volumen  besitzt.    Nach  fUnfzehnjUhrigen  Beobachtungen 
schwankten  die  äufsersten  Extreme  nur  zwischen  35  und  135  Cubik- 
meiern.  In  den  Monaten  Februar  März  April  hat  er  0,63 — 0,68  m,  in 
den  übrigen  neun  Monaten  0,78 — 1,18  m  Tiefe.  Der  mittlere  Abflufs 
beträgt  77  Cubikmeter,  das  Gefälle  1,2  :  1000.  Nach  41  km  ermäfsigt 
sich  der  Lauf  und  der  Mincio  bildet  um  Manlua  drei  Seen.^)   Bei  sei- 
nem Austritt  aus  diesen  ist  er  so  träge  und  schilfbewachsen ,  dafs  er 
gegenwärtig  nicht  mehr  beschifTl  werden  kann.^)   Der  gesammte  Lauf 
vom  Garda  See  bis  zum  Po  ist  84  km  lang,  von  den  Quellen  der  Sarca  an 
gerechnet  1 94  km.  Sein  Gebiet  wird  berechnet  auf  2859  Q  km  (52  GM.), 
wovon  815  Dkm  (15  DM.)  auf  die  Ebene,  2044  Dkm  (36aM.)  auf 
das  Gebirge  entfallen.   Von  der  Minciomttndung  abwärts  empfangt  der 
Po  noch  vom  Appennin  den  Seda  Secchia  157  km  lang  mit  2546  Dkm 
(46  DM.)  Gebiet  —  1221  Dkm  bergig  1325  Dkm  flach  —  uud  42,5 
Cubikmeter  Gehalt,  der  bis  790  steigen  kann.    Hierauf  den  Panaro 
97  km  lang,  der  im  oberen  Lauf  noch  den  antiken  Namen  Seukenna 
bewahrt  hat;  sein  Gebiet  umfafst  2292  Dkm  (42  DM.)  —  1058  Dkm 
Bergland  1234  Dkm  Ebene —,  sein  Abflufs  beträgt  37,  bei  Hoch- 
wasser 690  Cubikmeter  in  der  Secunde.  Das  letzte  Stück  seines  Bettes 
ist  das  ursprüngliche  Bette  des  Po,  welches  sich  nach  Ferrara  hin  fort- 
setzt, aber  seit  dem  16.  Jahrhundert  verstopft  bt  {PoaieOo  oder  Po  di 
Ferrara). 

Der  Po  hat  nur  noch  0,08 :  1000  Fall.  Er  nimmt  eine  SO  Rich- 
tung und  behielt  dieselbe  im  Altertum  und  Mittelalter  bis  ungeflihr 
1 150  n.  Chr.  bei.  Damals  aber,  heifst  es,  durchstachen  die  Einwohner 
von  Ficarolo  bei  Stellata  einem  Puncto,  der  ca.  100  km  von  der  jetzigea 
HauptmUndung  entfernt  ist,  heimtückischer  Yfeise  um  ihren  Nachbarn 


1)  Verg.  Georg.  II 160  tefue  ftuetünu  et  fremitu  adsurgen*  Benaee  mmino. 

2)  Sie  waren  wenn  auch  nicht  gerade  in  ihrer  jetxigen  Gestalt,  bereits  im 
Altertum  vorhanden :  Liv.  XXIV  10  Catull.  17. 

3)  Verg.  Georg.  III 14  iardu  ingmt  ubi  fiexUnu  errat  Mineiui  et  tenere 
praetexii  karunüne  ripas;  vgl.  Aen.  X  205.  EcL  7, 13. 


S  4.   Einzelflfisse.  191 

zu  schaden  die  Deiche  und  in  Folge  dessen  bildete  sich  ein  neuer  Ann 
Po  di  Vmnia  jetzt  deSa  Maestra.  Bis  zu  diesem  Ereignifs  (rotta  dt 
Fkarolo)  flofs  der  Po,  nachdem  er  den  Panaro  und  Ren«  aufgenommen 
hatte,  südlich  bei  Ferrara  vorbei  und  theilte  sich  erst  bei  dieser  Stadt 
in  zwei  Arme:  einen  linken  Po  di  Yolano  und  einen  rechten  Po  di 
Primaro,  welche  die  gro&e  Lagune  ?on  Comacchio  einschlössen.  Die 
Schottmassen,  welche  die  Appenninbäche  herabfahrten,  haben  das  alte 
Bette  Yon  Ferrara  nach  und  nach  versandet  und  seit  1577  hat  der 
Panaro  eine  rttckUlufige  Bewegung  eingeschlagen ,  so  dafs  sein  Wasser 
bei  Stellata  in  den  jetzigen  Po  einmündet.  Der  Po  di  Voiano ,  im  2. 
Jahrhundert  v.  Chr.  für  die  Schiffahrt  der  zugänglichste  und  später  der 
Hauptarm ,  ist  jetzt  nichts  weiter  als  ein  Abzugsgraben  für  die  angren- 
zenden Sümpfe.  Das  zweite  alte  Bette ,  di  Primaro  wird  gegenwärtig 
grofsen  Theilsvom  Reno  eingenommen,  der  1770  hinein  geleitet  wurde. 
Dergestalt  strömt  die  gesammte  Wassermasse  nunmehr  in  ORichtung 
durch  den  Po  di  Venezia  ab  und  schiebt  ein  mächtiges  Delta  ins  Heer 
hinaus.  Da  wir  auf  die  bedeutenden  Veränderungen ,  die  hier  einge- 
treten sind,  im  Zusammenhang  zurückkommen,  so  bleibt  uns  nur  übrig 
die  Appenninbäche  aufzuzählen ,  die  früher  entweder  direct  in  den  Po 
oder  doch  in  sein  Mündungsgebiet  einflössen. 

§  4.  Einzelflüsse. 

Der  Renus  entspringt  auf  dem  Appennin  oberhalb  Pistoria  Pistoia 
uod  tritt  westlich  von  Bologna  in  die  Ebene  hinaus.  Sein  Gebiet  im 
Appennin  umfafst  1387  Dkm  (25  OH.).  Die  Unbeständigkeit,  welche 
alle  Flüsse  dieses  Gebirges  kennzeichnet ,  ist  bei  ihm  auffallend  grofs. 
Der  Abflufs  kann  auf  1  Cubikmeter  in  der  Secunde  sinken  und  wieder- 
um 1500  übersteigen.  Er  hat  seinen  Schutt  über  eine  Strecke  von 
30  km  Breite  ausgestreut  und  fliefst  stellenweise  9  m  über  den  um- 
liegenden Feldern.  Der  Lauf  hat  demzufolge  sehr  gewechselt.  Ehe- 
dem verband  er  sich  mit  dem  Panaro  und  mündete  mit  diesem  vereint 
in  den  Po  von  Ferrara  ein ,  dessen  Verstopfung  er  wesentlich  veran- 
lafst  hat  Die  Bewohner  der  Aemilia,  welche  von  seinen  Ueberschwem- 
muDgen  schwer  zu  leiden  haben,  suchten  auf  den  verschiedensten 
^egen  sich  des  unbequemen  Gastes  zu  entledigen ,  konnten  aber  bei 
dem  Widerstreit  communaler  Interessen  eine  Einigung  der  Ansichten 
bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  erzielen.  Seit  1770  fliefst  er  wie  ge- 
sagt in  dem  alten  Bett  des  Po  di  Primaro.  Er  nimmt  1.  die  Samoggia 
mit  dem  Laoinius  Lavino  auf,  ferner  im  Pöbelt  eine  Anzahl  von  Bächen, 


192  Kap.  IV.   Das  Poland. 

deren  antike  Namen  ttberliefert  sind:  den  Idßx  Idice  östlich  von  Bo- 
logna, den  St&ma  Sillaro,  den  bei  Forum  Comelit  ImolaTorbdfliefsen- 
den  Vairemu  Santemo ,  den  5ttiiitiM  Senio.  Das  gesammte  Gebiet  des 
Reno  wird  zu  4688  O  km  (85  D  M.)*  seine  Länge  zu  220  km  angegeben. 
Der  Faventia  Faenza  berührende  Änmno  Loimone  mttndet  jetxt  nach 
einem  Lauf  von  100  km  direct  in  die  Adria  ein.  Ehedem  fiel  er  in  den 
Mttndungsbereich  des  Po  ebenso  wie  die  jetzt  südlich  von  Ra?enna 
yereinigten  früher  getrennten  Uti$  Montone  und  Bedem  Ronco.  End- 
lich gehört  der  Sapü  Sayio  bei  Cesena  und  der  Tielbesprochene  Grenz- 
fluls  Altitaliens  der  Jtti6teo  Fiumicino  hierher. 

Nördlich  vom  Po  fliefst  der  Tartartu  Tartaro  an  Atria  vorüber  in 
das  Mündungsgebiet  des  ersteren  ein :  er  entwässert  die  Niederungen 
zwischen  Po  und  Blincio  auf  der  einen ,  der  Etsch  auf  der  anderen 
Seite.  —  Der  Ateiis  oder  Aikesis  (auch  wol  Aiagi$y)  Adige  Etsch  ist  nach 
dem  Po  der  gröfste  Flufs  Italiens.  Sein  Gebiet  wird  zu  22400  0  km 
(407  DM.)  berechnet,  wovon  ungefähr  12000  Dkm  auf  das  Gebirge 
entfallen;  seine  Länge  beträgt  410  km  (56  M.).  Nichts  destoweniger 
steht  er  an  Wasserreichtum  verhältnifsmäfsig  weit  hinter  den  Alpen- 
zuflttssen  des  Po  zurück.  Der  höchste  Abflufs  bei  Radia  übersteigt  nicht 
2500  Cubikmeter  in  der  Secunde,  während  er  für  den  Tessin  5400 
beträgt ;  der  mittlere  AbOufs  wird  zu  220  Cubikmeter  berechnet  Die 
Ursache  dieser  Erscheinung  wird  darin  zu  suchen  sein  dab  das  Quell- 
gebiet  der  Etsch  vermöge  seiner  eingeschlossenen  Lage  geringere  Nie- 
derschläge empfangt  als  die  vorgelagerten  Rergketten,  welche  Adda 
Oglio  Chiese  Sarca  firenta  und  Piave  speisen.  Die  Etsch  entspringt 
am  Reschen  bei  1447  m  Höhe  und  durchfliefst  die  drei  kleinen  Seen, 
die  sich  an  diesem  Uebergang(S.  163)  finden.  Sie  durchmifst  zuerst  in 
S  dann  in  ORichtung  die  FoStt  Yenostica  Vintschgau,  die  Oetzthaler- 
von  der  Orüergruppe  trennend.  Bei  Meran ,  wo  sie  eine  Breite  von 
10 — 20  m  erreicht,  wendet  sie  sich  nach  SO  um  in  dem  Thalkessel 
von  Bozen  sich  mit  dem  Eisack  zu  vereinigen.  Dieser  Fluls  hieft  im 
Altertum  liareus  und  theilte  mit  einer  von  Augustus  unterworfenen 
Völkerschaft  denselben  Namen.^)  Er  entspringt  neben  der  Höhe  des 
Brenner ;  die  wichtige  S.  164  beschriebene  Stralse  folgt  seinem  75  km 

1)  M0ii$  Plio.m  121  krtioZvo^  Strab.  lY  207  kriOiSv  Plut  Mar.  2S.  Ptf 
gewöhnliche  Schreibong  Athens  scheint  entstellt  zu  sein;  Id  der  InKhri/tGIl 
V  3348  ist  sie  nicht  sieher  verbfligt.  Die  Form  kttcyig  stfltzt  sich  nur  nf  ^i« 
eorropte  Beschreibong  bei  Strabo. 

2)  Zenfs,  Die  Deatschen  and  die  Nachbarstamne  p.  237. 


I  4.   EinzelflOsse.  193 

langen  Lauf.  Nach  seiner  Aufnahme  yerbreitert  sich  die  Etsch  auf 
20—40  m  und  halt  bis  Verona  eine  SSW  Richtung  inne.  Von  r.  mün- 
det die  Noce  aus  dem  Thal  der  Änauni  Val  di  Non  ein ,  welches  durch 
den  Tonale  Pafs  (1875  m)  mit  dem  vom  Oglio  durchflossenen  Val  Ca- 
monica  (S.  189)  in  Verbindung  steht.  Bei  Tridentum  Trient,  wo  die 
S.  163  erwähnte  via  Claudia  Äugtuia  durch  das  Suganathal  nach  Al- 
tinnm  abzweigte,  ist  der  Flufs  80  m  breit  und  4 — 5  m  tief.  Dem  star- 
ken Fall  —  1,3 :  1000  —  entspricht  die  Geschwindigkeit:  die  Barken 
fahren  von  Trient  nach  Verona  (80  km)  in  24  Stunden,  brauchen  aber 
zu  Berg  5 — 7  Tage.  Die  Schiffahrt  ist  ziemlich  schwierig  namentlich 
in  der  Veroneser  Klause,  einer  Enge  32  km  vor  gedachter  Stadt,  in  der 
die  Felswände  senkrecht  auf  beiden  Seiten  aufsteigen ,  so  dafs  kaum 
für  die  Landstrafse  Raum  bleibt.  Die  Etsch  hat  hier  durch  den  H.  Baldo 
sich  in  Urzeiten  ein  Bette  hindurch  genagt,  während  sie  vordem  in  der 
Gletscherpenode  durch  den  Gardasee  flofs  (S.  179).  In  Verona  bei 
50  m  Heereshöhe  ist  sie  112  m  breit  und  3 — 4  m  tief.  Nunmehr  be- 
ginnt der  156  km  lange  Unterlauf.  Bis  in  die  Nähe  der  Stadt  schleppt 
sie  Kies  und  Rolbteine  mit,  weitere  67  km  groben  Sand,  endUch  Lehm 
die  letzte  Strecke.  Damit  erhobt  sie  beständig  das  eigene  Bette  und 
die  angrenzenden  Niederungen  müssen  gegen  ihre  Fluten  kttnstlicli 
geschotzt  werden.  Die  Deiche  beginnen  20  km  unterhalb  Verona. 
Die  Richtung  des  Unterlaufs  bis  Badia  geht  im  Allgemeinen  nach  SO; 
der  Fall  ermäbigt  sich  von  1  auf  0,2 :  1000.  Die  Etsch  fliefst  die 
letzte  Strecke  von  90  km  dem  Po  parallel,  mit  abnehmender  Neigung 
0,2  —  0,08 :  1000;  beide  schliefsen  Sumpflandschaften  —  Yalli  gram- 
di  Veroneii  und  Polesini  di  Rovigo  —  ein,  sind  durch  Nebenarme  und 
Canäle  verbunden  und  münden  in  einem  gemeinschaftlichen  Delta  aus. 
In  der  That  sind  sie  einander  in  historischen  Zeiten  immer  näher  ge- 
rückt Wie  der  Po  von  Süden  nach  Norden  so  ist  die  Etsch  von  Nor- 
den nach  Süden  gewandert.  Während  sie  gegenwärtig  bei  Albaredo 
Ton  SO  nach  S  umbiegt,  behielt  sie  ehedem  die  anftingliche  Richtung 
bei  und  flofs  in  der  Nähe  von  Ätesle  Este  vorbei ,  dessen  Name  wahr- 
scheinlich mit  Äteiis  zusammenhängt  Man  führt  die  Aendening  im 
Lauf  auf  die  grofse  Ueberschwemmung  des  J.  589  n.  Chr.  zurück.  ^ 
Einige  Jahrhunderte  später  zweigte  sich  bei  Badia  ein  neuer  Arm ,  der 
Adigctto  ab,  an  welchem  Rovigo  gegründet  ward.  Weiter  westlich  bei 
Castaguaro  brach  der  Flufs  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  durch 


1)  Paul.  Diac  bist  Lang.  UI  23. 
Hiti«B,  itaL  L«adwk«ad«.    I.  13 


194  Kap.  rv.   Dm  PoliDd. 

um  das  Bett  des  Tartarug  eiDZunehoien :  omd  verwandte  diesen  Arm 
a)s  Abieiter  bei  gefilbrlichem  Hocbwasaer,  achleb  ibn  aber  1838.  Erst 
die  systeinatisohen  Deicbbauten  der  Neuzeit  haben  ferneren  Abwei- 
chungen ein  Ziel  gesetat 

Von  den  vielen  Gewflsaern ,  die  in  die  Lagunen  Venedigs  sich  «*- 
gleisen,  verdient  der  Bacdiiglione  Erwähnung.  Sein  Gebiet  in  den 
Alpen  umfafst  zwar  nur  930  D  km  (17  DM.),  empftngt  aber  sehr  reich- 
Uche  Niederschläge,  so  dab  er  auf  der  49  km  langen  Strecke  zwischen 
Vicenza  und  Padua  Barken  von  60—70  Tonnen  Inhalt  tragen  kann. 
Im  Aherlum  führte  er  wahrscheinlich  den  Namen  ToguOHHt  und  mün- 
dete in  die  Lagune  von  Chioggia.  Jetzt  ffiefst  er  mit  der  Brenta  zu- 
sammen weiter  südUch  aus.  —  Der  Meduacus  Brenta  entspringt  öst- 
lich von  Trient  aus  zwei  Seen  am  oberen  Ende  des  Thals  von  Amugum 
Val  Sugana^  welches  er  in  OBichtung  durchflielst.  Nachdem  er  1.  den 
Cismone  angenommen,  wendet  er  sich  nach  S  und  tritt  bei  Bassano 
in  die  Ebene  hinaus.  Er  fliefst  nach  SSO  und  wird  halbwegs  von  Pa- 
dua für  Barken  von  30 — 45  Tonnen  schiffbar.  Im  Altertum  berührte 
er  wie  es  scheint  die  Mauern  dieser  Stadt  und  mündete  in  die  Lagune 
von  Malamocco,  sei  es  dafs  der  Porto  di  Malamocco  oder  3  km  süd- 
licher der  jetzt  verstopfte  Porto  Secco  seine  Verbindung  mit  dem  Meer 
herstellte.  Ein  Nebenarm  ergofs  sich  mit  der  foita  Ciadia  in  die  La- 
gune von  Chioggia.^)  Nach  der  Eroberung  des  Festlands  haben  die 
Venezianer  um  ihre  Lagunen  vor  den  Ablagerungen  des  Flusses  zu 
sichern  denselben  in  zwei  Canfile  abgeleitet  und  ihm  mit  dem  Bacchig- 
lione  vereint  bei  Brondolo  wenig  oberhalb  der  Etsch  eine  neue  Mün- 
dung angewiesen.  Der  heutige  Name  Brenta  ist  bereits  am  Ausgang 
des  Altertums  verbreitet.  2)  —  Am  NEnde  der  venetischen  Lagunen 
bei  Altinnm  fliefst  der  Silü  Sile  ein ,  indem  er  sich  gleichfalls  in  meh- 
rere Arme  theilt.  Er  ist  nur  85  km  hing,  doch  von  Ton^tiitttm  Trerifo 
ab,  das  an  seinem  1.  Ufer  liegt,  für  kleinere  Barken  zugänglich. 

Unter  den  in  die  Lagunen  von  Concordia  einmündenden  Flüssen 
ist  der  grOfste  die  Piave  PUuns :  sie  ist  220  km  lang  und  entwässert 
ein  regenreiches  Gebiet  von  4100  Dkm  (74S'sDM.),  wovon  etwa 


1)  Uvios  X  2  kennt  nor  einen  Meduaeu$  und  als  Pataviner  mofate  er 
Jedesfalls  hierüber  Bescheid  wissen.  Wenn  Piinins  HI  121  Meduaci  duo  er- 
wähnt, 80  iat  die  im  Text  gegebene  ErUirang  die  einfachste;  anch  dieZosiUe 
der  Reisekarte  maior  nnd  mtnor  sind  in  diesem  Sinn  allein  zn  verstehen  (Tgl. 
Po  grand9  und  PoateiiOy  AdigB  nnd  Adigetto). 

2)  YenantioB  Fort.  misc.  pro).  Geog.  Rst.  IY  36  Brinta,-  Tab.  PenU  BrinMa. 


S  4.  EinzelflAsse.   \  195 

3000  O  km  auf  das  Gebirge  kommen.  Von  ihren  Quellen  in  den  Car- 
oischeB  Alpen  strOroi  sie  nach  SW  an  BeUunum  Belluno  und  FeUria 
Fdtre  vorbei,  indem  sie  oberhalb  der  letzteren  Stadt  den  reifsenden 
Cordev^le  aufnimmt  In  der  Ebene  angelangt  scbUfgt  sie  die  Richtung 
nach  SO  ein.  Sichere  Anzeichen  von  bedeutenden  Aenderungen  ibree 
Laufes  liegen  vor:  doch  läfst  sich  für  die  römische  Zeit  nur  eine  mit 
Sicberheit  nachweisen.  Der  Name  des  Flusses  fehlt  nämlich  in  der 
Kastenbeschreibung  des  Plinius  und  taucht  überhaupt  zuerst  im  7.  Jahr- 
hundert auf.  0  Dies  erklärt  sich  nur  durch  die  Annahme  dafs  er  sich 
vor  seiner  Ausmflndung  entweder  mit  dem  Sik  oder  mit  der  Li?enza, 
möglicher  Weise  mit  beiden  vereinigte  und  unter  ihren  Namen  einbe- 
griffen ward.  Verlassene  Betten  führen  nach  dem  einen  wie  dem  aiv- 
deren  hin  und  die  Gabelung  dieser  Ströme  ist  ja  eine  gewöhnliche 
Erscheinung«  Der  jetzige  Ausfluls  ist  neueren  Datums.  Unter  keinen 
Umstanden  aber  konnte  ein  so  bedeutendes  Gewässer  unbemerkt  blei- 
ben, wenn  es  eine  eigene  Mündung  von  seinen  Nachbarn  unabhängig 
besessen  hätte.  —  Die  Liqueniia  Livenza  115  km  bng  hat  ein  Gebiet 
von  2690  Dkm  (49  DM.)  und  einen  mittleren  Afaflufs  von  100  Cur 
bikmeter.  Sie  entspringt  am  Fufs  der  Alpen,  empfängt  aber  von  1.  aus 
den  inneren  Thälern  Zelline  und  Meduna ,  dann  die  kürzeren  Sile  und 
Lemene.  Das  Gestein  dieser  Kalkgebirge  verwittert  leicht:  daraus  er- 
klärt sich  die  ungeheuere  Masse  von  GerOll  welche  die  Flüsse  herab- 
führen  und  in  gewaltigen  Betten  ausbreiten,  in  denen  gelegentlich 
kaum  ein  schmaler  Wasserfaden  bemerkt  wird;  so  dehnen  sich  z.  B. 
die  beiden  erstgenannten  Zelline  und  Meduna  bei  ihrer  Vereinigung 
oberhalb  Pordenone  Ober  volle  6  km  in  der  Breite  aus.  —  Den  gleichen 
Charakter  trägt  der  170  km  lange  TiUaventus  Tagliamento.  Innerhalb 
des  Gebiifs  (liefst  er  von  W  nach  0  und  wird  verstärkt  durch  den  von 
N  kommenden  But,  dem  die  Strafse  über  den  H.  Croce  (S.  165}  folgt, 
sowie  von  0  her  durch  die  Fella,  der  die  Strafse  über  den  Tarvispafs 
folgt.  In  der  Ebene  beschreibt  er  einen  flachen  Bogen  gegen  W,  des- 
sen Sehne  dem  Meridian  entspricht  Er  hat  sein  Kiesbette 'über  ein 
bis  zwei  Kilometer  Breite  und  zu  einer  solchen  Hohe  aufgeschüttet, 
dafs  z.  B.  Codroipo  ein  lebhafter  Ort  an  der  Eisenbahn  volle  9  m  unter 
dem  tiefsten  Stand  desselben  liegt.  Unter  solchen  Umständen  ist  von 
Schiffahrt  keine  Rede:  auch  das  unterste  Stück  ist  versandet  und  nur 
für  Bote  zugänglich.  Die  Alluvionen  haben  das  Aussehen  der  Gegend 


1)  Yenantius  Fort.  misc.  prol.  Paul.  Diac.  hi8t.LaDg.  II  12. 

13* 


196  Kap.  IV.  Das  Poland. 

gründlich  umgestaltet.  Die  Küstenbeschreibung  des  Plinius  untei*schei- 
det  zwei  Mündungsarme  des  Tagliamenio  einen  Haupt-  und  Nebenarm, 
die  mit  Sicherheit  nicht  mehr  nachgewiesen  werden  können.  <)  —  Der 
5!0it/tiis Isonzo  ist  130  km  lang  mit  einem  Gebiet  von  3200  Dkm.  Die 
Quelle  liegt  im  Trentathal  zwischen  Hangert  und  Terglou  derjenigen 
der  Save  gegenüber.  Der  machtige  Strom,  der  ihr  entspringt,  wird  von 
einem  90  km  langen  engen  Thal  eingeschlossen ,  das  mit  drei  Win- 
dungen von  N  nach  S  streicht.  Wie  er  in  die  Ebene  hinaustritt,  wen- 
det er  sich  SWwärts  und  nimmt  unterhalb  des  pons  Sonti^  wo  die 
Alpensirafse  über  den  Birnbaumer  Wald  abzweigt  (S.  166),  den  fluvm 
Frigidus  Wippach  auf.  Nachdem  er  ferner  den  mit  Natüo  Natisone 
vereinigten  Turrus  Torre  aufgenommen,  biegt  er  nach  S  um  und  schiebt 
sein  Delta  westlich  vom  Golf  von  Monfalcone  vor.  Die  letzte  Strecke 
führt  den  Namen  Sdobba.  Der  Forum  lulium  Cividale  berührende 
Natiso  sowie  der  r.  in  ihn  einOiefsende  Tnrrus  schleppen  beide  viel 
Geröll  mit  sich  und  lagern  es  in  breiten  Betten  ab.  Im  Altertum  mün- 
deten sie  nicht  in  den  Isonzo,  sondern  bespülten  die  Mauern  Aquileia's 
an  der  0  Seite ,  das  derart  mit  der  Lagune  und  durch  den  Hafen  von 
Grado  mit  dem  Meer  in  Verbindung  stand.  Wann  die  Aenderungen 
des  Laufes  eingetreten,  wird  nicht  berichtet.^) 

§5.   Uebersicht  der  Flüsse. 

Nachdem  wir  die  Zahl  der  Flüsse  erschöpft  haben,  welche  an  der 
physischen  Bildung  des  Flachlands  einen  hervorragenden  Antheil  ge- 
nommen und  das  geschichtliche  Leben  desselben  bedingen,  fügen  wir 
zum  Schlufs  eine  Uebersicht  der  wichtigsten  Daten ,  die  Länge  Gebiet 
mittleren  und  höchsten  Abflufs  betrefTen ,  hinzu.  Wenn  auch  diese 
Angaben  nur  zum  Theil  auf  exacten  Beobachtungen,  vielfach  auf  Com- 
binaüon  und  Rechnung  beruhen,  deshalb  in  Zukunft  voraussichtlich 
berichtigt  werden  müssen,  so  besitzen  doch  annähernde  Werte  in  Zah- 
len den  grofsen  Vorzug  dafs  sie  einen  festen  Mafsstab  enthalten  und 
Vergleiche  ermöglichen,  welche  durch  die  Bezeichnung  grofs  und  kleio 


1)  ni  126  flumina  et  portus  ReaHnum  [Lemene,  Porto  di  Falconera?] 
TiUavenium  tnaius  [Porto  di  Baseleghef]  minusque  [Porto  di  Tagliamento?] 
j4naxum  [Porto  Lignano?]  quo  Faramm  [Stella?]  defiuU^  AUa  [Auaa]. 

2)  Der  ptnu  SontU  wird  schon  235  n.  Chr.  erwähnt  GIL.Y  p.  75.  935  und 
damit  sind  alle  Hypothesen  fiber  die  spite  Entstehung  dieses  Flosses  a.  s.  w. 
hinfliUig.  Dafs  er  von  Plinins  nicht  erwähnt  wird,  deutet  darauf  hin  dafs  ihm 
ein  Hafen  fehlte. 


§  5.   Uebersicht  der  Flusse. 


197 


sich  nimmermehr  erreichen  lassen.  In  diesem  Sinne  will  die  folgende 
Tabelle  verstanden  sein.  Sie  zählt  zuerst  die  linksseitigen  Alpen-,  dann 
die  rechtsseitigen  Appenninzuflüsse  des  Po  (den  Tanaro  eingeschlos- 
sen) auf  und  fügt  einige  Notizen  in  Betreff  der  übrigen  Flüsse  des 
Tieflands  bei. 


Länge 


Po  oberhalb 
Turin 


km 

98 


Dora  Riparia    1     125 


Stura 


Orco 


Dora  Baltea 


70 


80 


160 


Sesia 


138 


Agogna 


140 


Ticino 


Lambro 


248 


130 


Gebiet 


Mittlerer 

Abflurs 

in  der 

Secnnde 


finispre- 

cbende 

Regen- 

höhe 


Dkm 

Berg    2270 

Ebene  2780 

5050 

Berg     1171 

Ebene 60 

1231 

Berg      761 

Ebene    199 

960 

Berg      840 

Ebene    414 

1254 

Berg     3823 

Ebene    499 

4322 

Berg     1250 

Ebene  1670 

2920 

Berg      205 

Ebene  1885 

2190 

Berg    6466 

Ebene    762 

7228 

Berg      238 

Ebene  3215 

3453 


Cabikm 
108,96 

30,66 


215,26 

62,50 
15,03 


77,53 

5,12 
15,06 


20,18 


411,00 

7,14 
22,51 
29,65 


1,514 
0,347 


139,62 

56,21 
0,60 

0,869 

1,514 
0,315 

56,81 

38,05 
1,99 

1,456 

1,514 
0,315 

40,04 

42,00 
4,14 

1,315 

1,577 
0,315 

46,14 

210,27 
4,99 

1,160 

1,735 
0,315 

1,671 

1,577 
0,284 


0,837 

0,788 
0,252 


0,290 


2,000 

0,946 
0,221 
0,271 


Höchster 

Abflufs 

in  d«r 

Secnode 


Otbikin 


1250 


500 


400 


1000 


2000 


1350 


400 


5400 


500 


198 


Kap.  IV.   Da«  Poland. 


Länge 


Adda 


Oglio 


Mincio 


AlpenflQsse 
inggesammt 

Tanaro 


Scrivia 


Trebia 


Taro 


Parma 


Secchia 


97 


Panaro 

Appenninflttsse 
insgesammti) 

1)  Die  kleinen  hier  mcht 
eingereclinet. 


Gebiet 


km 
275 


280 


194 


276 


85 


115 


150 


90 


157 


Okm 


Beug 
Eben 


Berg 
Ebene 


Berg 
Ebene 


5826 
2163 

7989 

8426 
3215 

6641 

2044 
815 

2859 


45910 

Berg  4379 
Ebene  3605 

7984 

Berg   641 
Ebene  451 

1092 

Berg   916 
Ebene 98 

1014 

Berg  1537 
Ebene  546 

2083 

Berg  1256 
Ebene  470 

1726 

Berg  1221 
Ebene  1325 

2546 

Berg    1058 
Ebene  1234 


Mittlerer 

Al>aiilii 

in  der 

Seeande 


CaUkB 


244,33 


136,84 

67,45 
6,52 

73,97 

1491,37 

100,72 
32,45 


133,17 

17,31 
4,06 


21,37 

24,73 
0,69 


25,42 

38,43 
3,28 


41,71 

25,12 
2,82 


27,94 

34,47 
8,01 


42,48 

29,63 
7,40 


2292       37,03     0,510  690 

23472      393,30  7000 

aufgefOlirten  FIfisse  wie  Gnrone  Staffoia  Tidone  etc. 


Entspre- 

clwnde 

Regen* 

höhe 


0,964 


0,432 


0,815 

0,725 
0,284 


0,526 

0,852 
0,284 


0,617 

0,852 
0,221 


0,790 

0,788 
0,189 


0,631 

0,631 
0,189 


0,511 

0,883 
0,189 


0,526 

0,883 
0,189 


Höchster 

Abflnb 

Inder 

SecDode 

Oabita 


827 


550 


150 
14300 


1700 


400 


1000 


1200 


400 


790 


1  6.   Die  Marseben. 

199 

Lange 

Gebiet 

Mittlerer 

Abflnb 

in  der 

Secunde 

Entspre- 
clieiiAe 
Regen- 

ItfilM 

HöchBter 

Abfluft 

index 

Secunde 

Po  bei  Ponta^ 

km 

Qkm 

OabUn 

• 

m 

Cabitat 

iagoflcuro 

672 

69382 

1735 

0,781 

7000 

Reno 

220 

4688 

95 

1160 

Etsch 

410 

22400 

220 

2500 

BacchigUone 

113 

1600 

78 

770 

Brenta 

160 

2300 

130 

« 

1030 

Piave 

220 

4100 

60 

3000 

Li?eDza 

115 

2690 

100 

1000 

Tagliameoto 

170 

2590 

80 

1500 

Isonzo 

130 

3200 

§  6.  Die  Marschen. 

Da3  MttnduDgs^biet  dieser  Flüsse,  das  sich  auf  einer  Lange  von 
ca.  250  km  vom  Golf  von  Triest  bis  nach  Rimini  erstreckt,  bildet  eine 
natürliche  Einheit  und  erheischt  als  solche  eine  zusanunenhflngende 
Darstellung.  Ein  Keiner  Italiens^)  schildert  dasselbe  in  markigen  Zu- 
gen:  „da  empfängt  uns  tiefes  Gelände,  feuchter  Dunst,  ein  Labyrinth 
von  Kanälen  und  Flufsarmen,  ein  unbeschränkter  Horizont,  die  Region 
der  Fieber  Moskitos  und  FrOsche.  Land  und  Meer  mengen  sich;  La- 
gunen Sandbänke  Lachen  Sümpfe  undurchdringliche  Rohrdickichte 
eingedämmte  Wiesen  überschwemmte  Reisfelder  dehnen  sich  meilen- 
weit. Der  Boden  erst  im  Laufe  der  Jahrhunderte  entstanden,  anwach- 
send fast  vor  unsern  Augen,  ist  von  Menschenhand  in  allen  Richtungen 
(luixhschnitten  und  umgestaltet,  seine  Wasser  getheilt,  zur  Seite  ge- 
beugt, in  neue  Bahnen  gedrängt,  seine  auftauchenden  Hohenpuncte 
alsbald  von  der  Cultur  besetzt  und  durch  aufgeworfene  Wälle  verwahrt. 
Dies  sind  die  Niederlande  Italiens,  hier  ist  die  Heimat  der  Wasserbau- 
kunst, classischer  Boden  für  Arbeit  mit  Grabscheit  und  Rieht  wage  seit 
uralter  Zeit,  ja  vor  aller  deutlichen  Geschichte.'^  Und  nachdem  er  die 
Ueberschwemmungen  und  Aenderungen  der  Flufsläufe  hervorgehoben, 
Hihrt  er  fort:  ,^der  Mensch  aber  half  nach  oder  hinderte,  je  nach  seinen 
Zwecken ;  er  überlistete  oder  zähmte  das  ftirchtbare  gefahrvoll-heil- 


1)  Victor  Hehn,  Italien,  Aniiohten  nnd  Strcifiiehter,  St  Petersburg  1867, 
p-  J.  11. 


1 


I 


200  Kap.  IV.   Das  Poland. 

same  Element,  durchgrub  und  durchwühlte  den  schlammigen  Boden 
nach  allen  Seiten  und  fügte  zu  den  Veränderungen  durch  rotte  (Durch- 
brüche) seine  eigenen  wolberechneten  durch  taglj  (Durchschnitte). 
Oft  aber  zeigten  die  Folgen  dafs  er  sich  geirrt,  dafs  ein  neuer  Arm, 
den  er  geöffnet,  eine  neue  Richtung,  die  er  den  Vf^assern  gegeben,  eine 
Vereinigung  oder  Trennung  derselben,  die  er  unternommen,  verderb- 
lich statt  heilsam  wirkte,  z.  B.  den  Sand  aufhäufte,  wo  die  Schiffahrt 
frei  bleiben  sollte :  dann  schlofs  er  künstlich  die  von  ihm  selbst  geschaf- 
fene Oeffnung  wieder,  gab  dem  Flusse  seinen  alten  Weg  oder  einen 
dritten  neuen,  um  vielleicht  nach  Jahren,  wenn  die  Umst£[nde  oder  die 
Ansichten  sich  geändert,  wieder  zu  jener  verlassenen  Wasserstrafse 
zurückzukehren.  Zwischen  all  diesen  Flufsarmen  aber  laufen  in  allen 
Richtungen,  gerade  und  mäandrisch  gekrümmt,  zahllose  Kanäle  und 
kleinere  und  gröfsere  WasserfSlden  in  einem  verworrenen  Netz,  von 
beladeneo  Schiffen  und  leichten  Böten  befahren ,  die  aus  der  Ferne 
gesehen  oft  wie  über  die  grüne  Wiese  dahinzugleiten  scheinen.^)  Die 
Werke  der  Wasserbaukunst  in  diesen  Gegenden  sind  in  der  That  von 
einem  Umfang,  dafs  man  erstaunt  wenn  man  sie  überschlägt,  und  da(s 
es  schon  den  Alten,  die  noch  kein  Holland  kannten ,  geläuflg  war  Ve- 
netien  mit  Aegypten  zu  vergleichen.^ 

Die  aufgezählten  Flüsse  sind  sämmllich  eifrige  Landbauer.  Das 
Powasser  enthält  an  festen  Bestandtheilen  i/'aoo  seines  Volmnens.  Lom- 
bardini berechnet  den  jährlichen  Durchschnitt  der  Erdmassen ,  welche 
der  Po  dem  Meer  zuführt,  auf  einige  40  Millionen  Cubikmeter:  sie 
würden  genügen  um  bei  einer  Tiefe  von  4  m  eine  Insel  von  1000  Hek- 
taren oder  10  Dkm  Flächeninhalt  aufzuschütten.  Wenn  aber  grofse 
Ueberschwemmungen  eintreten,  übersteigt  der  Betrag  die  angegebene 
Gröfse  bedeutend ;  z.  B.  führte  das  berühmte  Hochwasser,  welches  vom 
7.  October  1839  bis  zum  4.  Januar  1840  anhielt,  nicht  weniger  als 
110  Millionen  Cubikmeter  Erde  ins  Meer  hinaus.  Gegenwärtig  schiebt 
der  Po  jedes  Jahr  seine  Mündungen  um  70  m  vor  und  fügt  seinem 
Delta  113  Hektaren  Land  hinzu.  In  entsprechender  Weise  sind  die 
übrigen  Flüsse  thätig.  Ihre  Anschwemmung  macht  sich  in  geraumen 
Abständen  von  den  Mündungen  noch  fühlbar,  so  dafs  z.  B.  die  Küste 
bei  Ravenna  in  jedem  Jahrhundert  230  m  gewinnt.    FaUs  das  Vor- 

1)  Gassiodor  Var.  XU  24  puiantur  eminuM  quasi  per  prata  fnri^  cum 
eorum  eonUngit  alveum  non  videri.  Eine  Grabschrift  ans  der  Gegend  unter- 
halb Ferrara  schlierst  mit  dem  Grafs  viatores  et  velaioree  ealvete  CIL.  V  2402 : 
ein  Zeichen  dafs  die  Wasserstrarse  der  Landstrafse  hier  gleichberechtigt  war. 


§  6.  Die  Marschen.  201 

lilckeo  nach  dem  von  der  Neuzeit  beobachteten  Mafsstab  andauern 
sollte,  80  wird  der  Po  schliefsUch  die  Nordspilze  der  Adria  abschneiden 
und  ausfllUen ,  gerade  wie  die  Adda  dies  mit  dem  Comer  See  gethan 
bat  Aliein  die  Land  bildenden  Kräfte  werden  durch  Land  zerstörende 
Rrflfte  in  Schranken  gehalten.  Das  gesammte  Lagunengebiet  von  Aqui- 
leia  bis  Ravenna  —  wie  auch  die  gegenüber  liegende  Küste  Istriens 
und  Dalmatiens  —  ist  im  Sinken  begriffen.  In  der  letztgenannten 
Stadt  wird  die  Senkung  auf  15  Centimeter  im  Jahrhundert  geschätzt. 
Auf  den  Inseln  Venedigs  stiefs  man  auf  römische  Bauten ,  die  unter 
dem  Spiegel  der  Lagune  liegen ,  und  bei  Aquileia  ist  der  Lido  mit  sei- 
nen Inseln  Y  die  noch  im  Mittelalter  bewaldet  und  bevölkert  waren, 
grofsentheils  vom  Meer  verschlungen  worden.  Wie  lange  dies  Sinken 
bereits  anhält,  mag  die  Thatsache  veranschaulichen,  dafs  bei  einer 
Brannenbohrung  in  Venedig  die  Dicke  der  Anschwemmungsschicht  auf 
130  m  festgestellt  wurde.  Es  leuchtet  ein  dafs  die  aufbauende  Thatig- 
keil  der  Flüsse  hierdurch  wirksam  bekämpft  wird.  Ueberhaupt  aber 
können  die  in  den  letzten  Jahrhunderten  gemachten  Messungen  nicht 
obne  Weiteres  auf  Mittelalter  und  Altertum  übertragen  werden.  Viel- 
mehr  nimmt  der  Anwachs  des  Landes  jetzt  einen  anderen  und  viel 
schnelleren  Fortgang  als  früher  und  zwar  aus  einem  doppelten  Grunde. 
Erstens  nämlich  sind  sämmtliche  Wasserläufe  in  der  Neuzeit  nach  ei- 
nem bestimmten  System  eingedeicht  und  damit  genötigt  worden  ihre 
festen  Bestandtheile  ohne  Abzug  im  Meer  abzulagern ,  da  sie  ehedem 
die  anliegenden  Niederungen  und  Lagunen  erhöhten.  Während  ako 
jetzt  die  Anschwemmung  die  Küste  beständig  vorrückt,  äufserte  sie 
sich  früher  in  der  Verkleinerung  der  Lagunen.  Zweitens  hat  die  Masse 
der  Sehwemmstoffe  wahrscheinlich  eine  bedeutende^  Vermehrung  er- 
fahren durch  die  sinnlose  Ausrodung  der  Bergwälder.  Die  Fachleute 
haben  nachgewiesen  dafs  die  Beständigkeit  der  Flufsiäufe  abnimmt, 
dafs  die  Extreme  von  Dürre  und  Hochflut  immer  weiter  aus  einander 
gehen.  Seitdem  der  Schutz  des  Waldes  aufgebort,  haben  Regengüsse 
und  Wildwasser  die  Gehänge  von  ihrer  Erddecke  enlblofst  und  spülen 
mehr  Schutt  zu  Thal  als  in  alten  Zeiten  ihnen  möglich  war.  Nach  dem 
Gesagten  ist  klar,  daCs  die  Umrisse  der  venetischen  Küste  im  Altertum 
von  den  heutigen  abwichen.  Um  ein  annäherndes  Bild  derselben  zu 
gewinnen,  müssen  wir  von  den  Gesetzen  ausgehen,  welche  die  Gestal- 
tung des  Bodens  bedingten. 


202  Kap.  IV.  Das  Poland. 

I  7.   Die  L4igunen. 

Die  Flosse  trageD  ihre  Seakstoffe  ias  M«er  hinaus ,  das  Meer  bei 
vorbemcheoden  0  und  SO  Winden  sucht  dieselben  wieder  auscuwer- 
fen.  Ferner  lauft  an  der  italischen  Koste  eine  constante  StrOmniig 
Yon  N  nach  S  (S.  104).  Das  Zusammenwirkaa  dieser  drei  Factoren 
veninlabt  die  Bildung  von  Dflnen  (lüns  Lido)  d.  h.  Landaungen ,  die 
wenige  Net«r  Ober  den  Wasserspiegel  aufsteigen  und  in  wechselnder 
Breite  von  100—600  m  das  Gestade  fortlaufend  einfassen.  Die  DOnea 
entstdien  entweder  am  Rand  des  Festkndea  oder  in  geraumer  Ent- 
fernung von  demselben ,  wo  der  Widerstreit  der  Krilfte  sieb  gegensei- 
tig aufhebt  Im  letzteren  FaUe  werden  seichte  Meerestheile  (iUfcrc^- 
Aovra  MtQgimm  pefas  Lagune)  abgeschnitten,  die  durch  die  Älhima 
einmOndender  Flflsse  ihrer  sicheren  Ausmilulig  enlgegengehen.  Oeff- 
nungen  im  Udo  leiten  das  OberschOssige  Wasser  ab  und  TerstatleD 
der  Flut  den  Eintritt.  Deqenige  Theil  der  Lagune,  welcher  vom 
Wechsel  der  Geseiten  berührt  wird ,  heilst  lebende ,  der  versumpfte 
Theil,  den  die  iflgliche  Flut  nicht  n^elur  erreicht,  todte  Lagune  (JkgitM 
mva  6  fl«er(a>.  meine  Inseln  heben  sich  aus  dar  Fliehe  ab  und  laden 
den  Fischer  ein  seine  WohnstäUe  hier  auf^ischlagen.  Gegenwärtig 
sind  noch  vier  getrennte  Lagunengebiete  vorhanden:  das  von  A^uileia 
zwischen  Isonzo  und  TagUamento,  das  von  Gaorle  oder  CoMorOa 
zwischen  TagUamento  und  Livenza,  das  von  Venedig,  welche  Ober 
600  Dkm  einninnml,  endlich  das  300  Dhm  grofiie  von  Comacchio 
zwischen  den  ahen  Armen  des  Po.  Am  Treuesten  hat  das  Gebiet  voa 
Venedig  seine  frohere  Gestalt  bewahrt:  aus  der  Beschreibung,  welche 
Livius  von  dem  801  v.  Chr.  gegen  seine  Vaterstadt  gerichteten  Raub- 
zug des  Kleonyinos  giebt,  treffen  die  hauptsächlichen  Daten  noch  jetzt 
vollkommen  zu  und  man  darf  nur  folgern ,  dpfs  die  lebende  Li^ne 
sich  damals  4  km  weiter  landeinwärts  erstreckte  als  gegen wäiligJ) 

1)  X  2  expariUs  paueü  qui  Iqcü  emplorarmü  cum  audiuet  tenme  prat' 
ieniutn  Uhu  mm,  quod  trantgresnt  stagna  ab  Urgo  nnt,  irrigua  autihui 
mariUmit^  agras  kaud  procul  proxumos  campeitres  eemi,  uUeriora  eoUes 
videri^  esse  ostium  ßuminü  prasoUi,  quo  eircumagi  naves  in  iteKonaM  itdam 
vidiumi  —  MeAtacu»  amms  erat.  Die  Griechen  aegehi  durch  den  Porto  di 
Melamocco  ia  die  Lagune  ein,  ankern  17  Millien  yqi^  Padnt  ond  landen  3  BTü- 
lien  oberhalb  mit  leichten  Schiffen.  In  der  That  betragt  die  Entfernoog  tod 
Padna  bis  Logo  am  Rand  des  Festlands  21  km'  »  u  MilUen,  wihrend  die 
todte  Lagune,  welche  fflr  Dreirnderer  unnahbar  sein  muCste,  jetzt  9  kn,  nr 
Zeit  des  LitIus  nur  3  Millien  sich  ausdehnte;  vgl.  Lombardini,  Estnario  p.23. 


§  7.  Die  LagimeD.  208 

Die  Erfaaltong  der  Lagune  ward  durch  den  Umstand  begünstigt ,  dafs 
keiae  grofsen  Flösae  in  dieselbe  einmündeten ,  aber  dodi  überhaupt 
mir  durch  die  Fürsorge  der  venezianischen  Regierang,  die  aUe  Gewäs- 
ser ängstlich  fem  hielt  (S.  194),  ermöglicht.  In  der  That  haben  Brenta 
und  Bacehiglione ,  welche  im  16.  Jahrhundert  nach  der  Lagune  yon 
BnmMum  Brondolo  abgeleitet  wurden ,  diese  vollständig  ausgefllUt 
und  ihre  Mündung  um  2500  m  vor  dem  Lido  vorgeschoben.  Zur  Ro- 
meneit  reichten  die  Lagunen  nördlich  von  Altinum  bis  südlich  von 
Ravenna:  ihre  Länge  wird  —  etwas  zu  hoch  —  auf  120  Millien  m> 
180km  angegeben.  1)  Beide  Städte,  die  Hauptplitze  der  Küste,  liegen 
jetzt  im  Binnenland  und  lagen  damals  auf  Inseln  gleich  dem  heutigen 
Venedig  auf  Pfifhien  eirbaut.  Der  Verkehr  der  Reisenden  vom  einen 
zum  anderen  bediente  sich  der  Wasserstrafse,  ähnlich  wie  man  vor  dem 
Bau  der  Eisenbahnen  zu  Schiff  von  Venedig  nach  Ferrara  fuhr.<)  Na- 
tarlicher  Weise  bestand  dieser  grofse  Kflstensee  nicht  aus  einer  ein- 
zigen zusammenhängenden  Wasserfläche,  sondern  zerfiel  durch  Land- 
slreifen  in  eine  Menge  verschiedener  Abschnitte.    Nimmt  man  eine 
Specialkarte  dieser  Allnvialgegenden  zur  Hand,  so  erinnert  ihr  Bild  an 
einen  lockeren  Schwamm  mit  weiten  Poren.  Die  festen  Landfasern 
sind  von  Pfaifsläufen  durchzogen ;  denn  der  Flnfs  beginnt  immer  damit 
sich  ein  Bette  aufzuschütten ,  beziehentlich  durch  seine  Ablagerungen 
hindurchzuwühlen.  Sobald  ihm  dies  zu  beschwerlich  wird,  bricht  er 
seitlich  durch  und  sucht  einen  neuen  Weg,  den  er  wieder  fest  macht. 
Derart  wird  die  Lagune  mit  einem  Netz  von  schmalen  Landbetten  über- 
spannt, in  welchem  Wasserlachen  stehen  bleiben  —  wie  die  Lagune 
von  Comacchio  mit  1 — 2  m  Durchschnittstiefe  solche  enthält  —  wenn 
nicht  grofse  Ueberschwemmnngen  ausgleichend  einwirken  und  die 
Lachen  ausfüllen.  Aber  man  erkennt  noch  jetzt  in  den  schmalen  Acker- 
gründen,  die  »ch  über  den  Wiesen  der  Niederungen  erheben  und 
zahlreiche  Dörfer  tragen,  die  ehemaligen  Flufsläufe  wieder,  während 
dem  oberflächlichen  Blick  alles  eine  gleichförmige  Ebene  zu  sein 
scheint. 

Nach  solchen  Gesichtspuncten  vermögen  wir  das  Ausseben  des 


StnboV2t3  giebt  die  Fahrt  vom  Meer  bis  Padua  zn  2bO  Stadien  —  46  km 
an:  was  unter  Btrfickalchtigimg  der  Krftmmungen  des  Fahrwissen  gat  stimmt. 

1)  PÜD.  III  119  Padus  ^  .  .  dedudus  in  flumina  ei  foua*  inter  Ra»ennam 
Attinumque  per  CXX, 

2)  It  Ant.  p.  126  Ravenna  .  .  .  inde  naviganiur  eeptem  maria  AIH- 
num  utque. 


204  Kap.  lY.  Das  Poland. 

Kttstenlandes  zur  Römerzeit  wenn  auch  nicht  im  Einzelnen  so  doch  in 
den  wichtigsten  Zügen  uns  zu  vergegenwärtigen.  Der  alte  Lido  von 
Burano  ab  Altinum  gegenüber  bis  nach  Brondolo  ist,  wie  oben  ange- 
deutet, unverändert  erhalten.  Von  hier  aus  läfst  sich  sein  weiterer 
Verlauf  im  Binnenland  mit  Sicherheit  verfolgen.  Er  berührt  Cava- 
nella  an  der  Etsch,  streicht  4  km  Ostlich  an  Loreo  vorbei  und  trifft  den 
Po  della  Haestra  bei  Taglio.  Das  Land  ist  hier  um  einige  20  km  vor- 
gerückt und  zwar  gehurt  dieser  Zuwachs  fast  ausschliefslicb  der  jüng- 
sten Periode  seit  1600  an.  Südlich  vom  Po  della  Haestra  theilt  sich 
die  Düne  in  drei  Zweige  zum  Zeugnils,  wie  die  Landbildung  nach  und 
nach  fortgeschritten  ist.  Der  westliche  ist  der  älteste :  er  berührt  Mes- 
senzatica  Morozzo  Caldirolo ,  durchschneidet  die  Lagune  von  Comac- 
chio  und  trifft  den  Po  di  Primaro  bei  S.  Alberto.  Dies  Gestade  liegt 
hinter  dem  jetzigen  10 — 12  km  zurück.  Es  setzt  sich  in  der  mit  Pinien 
bewaldeten  Düne  von  Ravenna  und  Cervia  bis  nach  Rimini  hinunter 
fort.  Dergestalt  streicht  die  Düne  160  km  lang  in  regelmäCsiger  Gurve 
von  Altinum  bis  Ariminum  und  kann  im  Wesentlichen  als  der  Ufer- 
rand des  Altertums  angesehen  werden.  Damit  sind  in  den  letzten  an- 
derthalb Jahrtausenden  dem  Heer  annähernd  12 — 1500 Dkm  abge- 
wonnen worden.  Die  Ausfüllung  der  Lagunen  steht  hierzu  in  ent- 
sprechendem Verhältnifs.  Um  den  ehemaligen  Umfang  derselben  zu 
bestimmen  stehen  uns  zwei  Hülfsmittel  zu  Gebote.  Das  eine  bieten 
die  Funde  romischer  Inschriften  und  Ueberreste  dar,  das  andere  die 
Erhaltung  der  antiken  Flurtheilung.  Lombardini  i)  hat  durch  aufmerk- 
sames Kartenstudium  entdeckt,  dafs  die  altrOmische  Centurie  von  200 
Horgen  »>  50,4  Hektaren  in  vielen  Gemarkungen  der  Aemilia  und 
Venetiens  als  Grundlage  der  Feldeintheilung  bis  auf  den  heutigen  Tag 
sich  fortgepflanzt  hat.  Er  führt  dieselbe  auf  die  Assignationen  des 
2.  [1.?]  Jahrhunderts  v.Chr.  zurück  und  benutzt  seine  glückliche  Ent- 
deckung um  die  Ausdehnung  des  Ackerlandes  und  die  annähernden 
Grenzen  von  Sumpf  und  Lagune  für  die  damalige  Zeit  zu  ermitteln. 
Er  umschreibt  die  Lagune  von  Ravenna  durch  eine  über  Bagnarola 
Pradozzi  Bagnile  Canuzzo  Russi  Bagnacavallo  Fusignano  nach  S.  Agata 
und  Massa  Lombarda  gezogene  Linie.  Der  Po  di  Primaro  trennte  diese 
Lagune  von  derjenigen  von  Comacchio;  die  letztere  kann  sich,  wie 
zahlreiche  in  dortiger  Gegend  gemachte  Inschriitenfunde  beweisen, 
nicht  viel  weiter  westwärts  erstreckt  haben  als  gegenwärtig.  Sie  wird 


1)  Ettuario  Adriatico  p.  58  fg.  74  fp. 


§  7.   Die  Lagunen.  205 

im  Norden  eiogefafst  vom  Po  di  Volano,  auf  den  die  Lagune  von  Atria 
folgte,  jetzt  Valli  d'Ambrogio,  von  den  Römern  Septem  maria  genannt, 
da  sie  nach  dem  Vorbild  des  Nil  7  HauptmOndungen  des  Flusses  un- 
terscheiden wollten.  M  Die  Erörterung  von  Detailfragen  gehört  dem 
zweiten  Theil  dieses  Buches  an;  hier  handelt  es  sich  lediglich  darum 
die  allgemeinen  Grundzüge  festzustellen. 

Polybios  macht  nur  zwei  Arme  namhaft,  indem  er  die  Gabelung 
bei  den  sog.  Trigaboli  d.  h.  in  der  Nähe  Ton  Ferrara  ansetzt;  der 
eine  (Po  di  Primaro)  beifst  Padoa,  der  andere  schiffbare  Olana  d.h. 
Po  di  Volano;  bei  letzterer  Mündung  bietet  ein  geräumiger  Küsten- 
see (Valli  di  Comacchio)  einen  gesicherten  Ankergrund  dar. 2)  Plinius 
giebt  eine  ausführlichere  Beschreibung:  nach  Ravenna  wird  der  Po 
durch  den  Canal  des  Augustus  geleitet  und  heifst  Padusa,  ehedem 
Mes$anieu8.  Der  innere  Landstreifen  der  Lagune  von  Comacchio  (zwi- 
schen Valle  del  Mezzano  und  Valle  Fossa  di  Porto)  führt  den  Namen 
Agosta  und  entspricht  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  fossa  Äuffusta, 
die  derart  nicht  blos  bis  zum  nächsten  Arme  reichte.  Dies  ist  nämlich 
die  Hündung  von  Spina  oder  der  EridanuSy  in  welche  der  Vatrenus 
Santerno  von  Imola  her  einflofs.  Wie  die  Alluvion  im  Mittelalter 
Ravenna  aus  einer  Hafen-  zu  einer  Landstadt  gemacht,  so  hatte  sie  im 
Altertum  das  ehrwürdige  Spina  90  Stadien  — »  17  km  vom  Meer  fort- 
gerückt und  in  ein  unscheinbares  Dorf  verwandelt^):  man  sucht  es  bei 
Longastrino  an  der  Valle  del  Mezzano.  Zwei  weitere  Mündungen  — 
osiium  Caprasiae  und  Sagis  —  sind  in  der  Nähe  von  Comacchio  zu 
suchen.  Die  Karte  lehrt  dafs  hier  ansehnliche  Wassermengen  ihre 
^enkstoffe  angeschwemmt  haben  und  zwar,  da  der  Ort  Comacchio  be- 
reits im  9.  Jahrhundert  erwähnt  ^rd,  in  alter  Zeit.  Sie  haben  auf  einer 
Basis  von  9  km  ein  Delta  um  den  gleichen  Betrag  vorgeschoben.  Das 
ostium  Caprasiae  entspricht  dem  jetzt  verlassenen  Porto  di  Belocchio, 
das  ostium  Sagis  dem  Porto  di  Magnavacca.  Aus  dem  Sagis  benannten 
Arm  führte  die  fossa  Flavia  nordwärts  in  die  Lagune  von  Atria.  Dieser 
von  den  Etruskern  angelegt«,  von  Kaiser  Vespasian  erneuerte  Canal 
(Argine  Trebba?)  durchschnitt  zunächst  den  Volane,  dessen  Mündung 
in  der  Nähe  der  seit  dem  9.  Jahrhundert  blühenden  Abtei  Pomposa  zu 
suchen  ist,  und  setzte  sich  (Canale  di  Mezzogoro?)  nach  Ariano  zu  fort. 
Hier  lief  ein  anderer  Arm,  der  Po  di  Ariano  oder  di  Goro,  welcher  die 

1)  Plin.  ni  121  Heia  11 62  Herodian  VOI 7, 1. 

2)  n  16  Plin.  m  119  fg. 

3)  Strabo  V  214. 


206  Kap.  IV.  Dm  Poland. 

ausgeddiDtea  Lagunen  der  Valli  d'Ambrogio  und  di  Goro  im  Norden 
begrenzte.  Derselbe  mufs  in  einer  firtthen  Epoche  bedeutend  gewesen 
sein;  denn  drei,  wie  oben  bemerkt,  oder  gar  yier  alte  Dünen  finden 
sich  hier,  jede  ein  paar  Kilometer  vor  die  nächste  vorgerückt.  Die  Mün- 
dung hiefs  Carbanaria  und  war  nach  dem  ZeugniC»  des  Plinius  ver- 
stopft. Der  Po  di  Goro  zweigt  jetzt  bei  Papozze  vom  Po  della  Haestra 
ab;  sein  alter  Lauf  scheint  etwas  südlicher  mit  dem  Canal  Naviglio  und 
Bianco  zusanmien  zu  fallen.  Jedoch  bleibt  es  ungewifs,  ob  sein  An- 
fang bei  Ferrara  oder  Ficarolo  anzusetzen  ist:  Lombardini  entscheidet 
sich  schliefslich  für  den  letzteren  Ort;  indessen  dürften  die  Berichte 
über  die  rotta  di  Ficarolo  im  J.  1150  damit  schwerlich  zu  vereinbaren 
sein.  Es  ward  schon  S.  191  darauf  hingewiesen  dafs  der  jetzige  Haupt- 
arm mit  seinen  zahllosen  Verästelungen ,  dem  Po  deUa  DonzeUa  delle 
Tolle  della  Haestra  di  Levante  erst  seit  jenem  Durchbruch  entstanden 
ist  Im  Altertum  setzte  sich  der  Lido  von  Ariano  bis  Loreo  ununter- 
brochen fort,  wo  im  Porto  di  Loreo  oder  Porto  Viro  die  Hündung  sich 
befand,  welche  das  alte  Atria  mit  dem  seinen  Namen  tragenden  Meere 
in  Verbindung  setzte.  Der  Wasserlauf,  an  dem  die  Stadt  lag,  ward  von 
den  Alten  entweder  nach  dieser  oder  als  Tartarus^  jetzt  gewöhnlich 
Canal  Bianco  genannt.  Es  scheint  übrigens  Plinius  zufolge  eine  dop- 
pelte Mündung  vorhanden  gewesen  zu  sein :  eine  südliche,  welche  mit 
Atria  eine  künstliche  Verbindung  herstellte,  fossiones  und  eine  nörd- 
liche deren  Abflub  aus  Togüonui  Bacchiglione  und  Atetis  Etsch  ab- 
zweigte, fossa  PhilisHna  oder  Tartarus^)  Der  letztere  Arm  wird  mit 
dem  Scolo  Tartaro  identisch  sein,  so  dafs  also  der  berühmte  Geschicht- 
schreiber von  Syrakus  (S.  92)  in  der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahrhun- 
derts V.  Chr.  einen  Canal  aus  der  Etsch  in  die  Lagune  von  Alna  ein- 
geleitet zu  haben  scheint,  dessen  Wasserreichtum  von  Plinius  bezeugt 
wird  und  dessen  Anschwemmungen  auf  der  Karte  deutlich  zu  Tage 
treten.  Der  Hauptarm  der  Etsch  dagegen  ergob  sich  in  die  Lagune 
von  Brundiuhim  Brondolo,  welche  in  der  Neuzeit  durch  die  Brenta  aus- 
gefüllt worden  ist  (S.  203).  In  den  Lagunen  von  Venedig  macht  Plinius 
den  porhu  Äedro  namhaft,  der  vielleicht  mit  demjenigen  von  Chioggia 
identisch  ist.  Der  letztere  Name  bewahrt  das  Andenken  der  foisa  Clo- 
dui,  die  in  republikanischer  Zeit  —  wir  wissen  nicht  wann  —  gegra- 

1)  Die  Worte  des  Plinius  lauten  nach  den  Handschriften:  inde  otUa  plena 
Carbonaria  fossione»  ae  Philistina  ^  quod  alii  Tartarum  voeani,  9mnia  «r 
PMHstinae  fouae  abundaiione  naseenüa,  accedenUbiu  j4ten  ex  Tridoitinii 
AlpibuM  et  Togitono  ex  Patavinorttm  agris. 


§  7.  Die  Lagunen.  207 

beo  ward.  Den  Meduaeui  maiar  erkennen  wir  im  Porto  di  Malamocco, 
den  Meduaeus  mmar  im  Porto  Secco  (?)  wieder. 

Dies  ganze  Gebiet ,. um  dessen  Besitz  das  feste  und  flüssige  Ele- 
ment mit  einander  ringen ,  hat  eigentümliche  Lebensformen  hervor- 
bringen müssen.  Der  Fischfang  lockte  den  Menschen  an  die  Ufer  der 
Seen  und  Ströme  und  Ton  hier  an  die  Lagunen.  Wenn  jene  bereits 
einen  Reichtum  aufzuweisen  haben ,  so  steigert  sich  der  Reichtum  in 
der  Nahe  des  Meeres  in  unglaublichem  Grade.  0  Die  weiten  Flachen 
innerhalb  des  Lido  boten  zahllosen  Mengen  Yon  Meerbewohnem  un- 
gestörte Laicbgründe  dar.  Die  Ausbeute  dieser  von  der  Natur  geschaf- 
fenen Fischbehälter,  welche  durch  die  leichte  Gewinnung  von  Salz 
begünstigt  wurde,  veranlafste  die  Besiedelung  der  Laguneninseln. 
Cassiodor^)  yergleicht  die  yenetischen  Dörfer  mit  den  Nestern  von 
Wasservögeln;  während  die  Flut  sie  rings  umspült,  giebt  die  Ebbe  sie 
dem  Festland  zurück.  Durch  Weidengeflecht  sind  die  Ufer  gefestigt. 
Alle  leben  von  Fischen.  Der  Unterschied  von  Reich  und  Arm  ist  unbe- 
kannt. Das  Schifi*  vertritt  die  Stelle  der  Hausthiere.  In  der  Gemeinde 
von  Comacchio,  welche  über  5000  Seelen  stark  die  Fischerei  in  den 
Lagunen  dieses  Namens  betreibt,  sowie  in  anderen  Fischerdörfern  las- 
sen sich  noch  jetzt  manche  Züge  des  skizzirten  Bildes  wieder  finden. 
Gegen  Feinde,  mochten  sie  nun  von  der  Land-  oder  Seeseite  kommen, 
durch  die  Sümpfe  geschützt,  vollzog  die  geschichtliche  Entwicklung 
ihren  stillen  ungestörten  Gang,  der  ihr  durch  die  natürlichen  Bedin- 
gungen vorgezeichnet  war.  Die  Fischerei  führte  zum  Handel,  aus  den 
Dörfern  wurden  Städte.  In  dem  ersten  Dämmerlicht,  welches  auf  die 
Vorzeit  Italiens  Mt,  tauchen  die  berühmten  Namen  Atria  und  Spina 
auf.  Aber  als  die  Wasserstrafsen  beider  Städte  durch  den  Fortschritt 
der  ADavionen  versandeten,  ging  ihre  Blüte  zur  Kaiserzeit  auf  Altinum 
und  Ravenna  über.  Nach  dem  Verlauf  einiger  Jahrhunderte  erlagen 
auch  sie  den  Naturgewalten  und  der  Primat  kam  an  Venedig,  das  macht- 
voller ihn  za  behaupten  wufste.  Von  allem  Anbeginn  hatte  der  Mensch 
sich  beider  feindlicher  Elemente  zu  erwehren :  der  Flut  welche  seine 
Wohnstätte  fortzureifsen  drohte,  der  Erdmassen  welche  ihm  seine 
Wege  versperrten.  Deich-  und  Canalbau  gehörte  zu  den  notwendigen 
Erfordernissen  menschlichen  Daseins. 


1)  Yerg.  Aen.  XI  457 

piseosove  amne  Padtuaß 
dant  sonitum  raud  per  stagna  loquacia  eyeni, 

2)  Yar.  XU  24. 


208  Kap.  IV.   Das  Poland. 

§8.   Die  Deiche. 

Das  Nämliche  gilt  von  einem  grorsen  Theil  des  Binnenbods. 
^Das  ganze  Land,  sagt  Strabo^),  ist  voll  von  Flossen  und  SOmpfen,  be- 
sonders Venetien.^   Er  berichtet  dafs  die  Niederungen  südlich  von 
Placentia  109  v.  Chr.  durch  Canäle  trocken  gelegt  wurden.  Aus  deai 
Mittelalter  werden  ähnliche  Errungenschaften  der  Cultur  verzeichnet. 
Indessen  bedarf  es  gar  nicht  der  historischen  Zeugnisse,  ein  Blick  auf 
die  Karte  genügt  um  die  weite  Ausdehnung  der  Sümpfe  im  Altertum 
zu  erkennen.    Der  reiche  Stadtekranz,  welcher  Rhein  und  Rhone 
schmückt,  fehlt  dem  Po.   Wenn  der  Po  die  natürliche  Ader  darzustel- 
len scheint,  durch  welche  das  Leben  des  ganzen  Landes  aus-  und  ein- 
strömt, so  sind  doch  seine  Ufer  weder  von  grofsen  Verkehrstrafsen 
noch  von  Emporien  eingefafst.  Die  Rümer  haben  ihre  Festungen  an 
den  strategisch  beherrschenden  Puncten  angelegt.   Aber  die  eigent- 
lichen CuUurcentren  sind  dem  Flufsnetz  entrückt:  ihre  Blüte  war  nicht 
durch  ihr  Verhältnifs  zu  der  von  W  nach  0  gerichteten  Axe  des  Po, 
sondern  durch  ihr  Verhältnifs  zu  der  von  N  nach  S  gerichteten  Haupt- 
axe  Italiens  bestimmt.  In  der  eigentlichen  Periode  des  Städtebaus,  dem 
zweiten  und  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  werden  vorzugsweise  die  höher 
gelegenen  Theile  am  Fufs  der  Gebirge  in  Besitz  genommen.  Von  den 
geschützten  trockenen  Strichen  aus  hat  alsdann  der  Ackerbauer  seinen 
Krieg  gegen  die  Ausschreitungen  der  Flüsse  begonnen  und  bereits  im 
Altertum  bedeutende  Erfolge  errungen.   Plinius  nennt  den  Po  gravis 
terrae,  beschwerlich  für  das  Land ;  dasselbe  läfst  sich  von  allen  diesen 
Flüssen  wiederholen.   Der  Grund  liegt  in  der  Ungleichheit  ihres  Was- 
serstandes.  Der  Abflufs  des  Po  istzeitweise  bis  auf  214  Cubikmeter 
in  der  Secunde  gesunken  und  bis  auf  7000  gestiegen.  Bei  den  übrigen 
Strömen  ist  die  Schwankung  noch  viel  beträchtlicher.   Der  mittlere 
Gehalt  des  Po  stellt  sich  auf  1735  Cubikmeter,  von  denen  243  auf  die 
Appenninflüsse  von  der  Scrivia  bis  zum  Panaro,  607  auf  die  Alpeo- 
flüsse  Piemonts,  885  auf  die  durch  Seebecken  gemäisiglen  lombar- 
dischen Flüsse  kommen.  Die  drei  Factoren,  deren  Zusammenwirken  den 
grofsen  Strom  hervorbringt,  verhalten  sich  demnach  zu  einander  wie 
14 :  35 :  5t.   Zweimal  im  Jahr  sinkt  der  Strom  unter  den  mittleren 
Wasserstand:  Ende  Juli  und  Anfang  December,  so  dafs  Januar  und 
August  den  niedrigsten  Stand  bezeichnen.  Zweimal  überschreitet  er 
das  Mittel  und  erreicht  seinen  höchsten  Stand  im  Mai  und  October. 


1)  V  212.  217. 


§  8.  Die  Bdche.  209 

Die  AppeDoinflttsse  sind  am  wasserreichsten  von  October  bis  April  und 
liegen  im  Sommer  trocken.  Umgekehrt  halten  die  Alpenflttsse  im  Win- 
ter Yon  December  bis  Mflrz  das  wenigste  Wasser.  Die  erste  Hochflut 
des  Po  wird  durch  die  Schneeschmelze  herbeigefUhrt.  Die  Alten  ver* 
legten  sie  irrtümlicher  Weise  in  die  Hundstage  i);  denn  der  hohe  Stand, 
welchen  Hai  und  Juni  aufweisen,  fidlt  gerade  beim  Aufgang  des  Sirius 
unter  das  Mittel,  wenn  gleich  der  August  den  Januar  und  Februar  noch 
überragt.  Ihre  gänzliche  Unkenntnils  von  der  Schneeregion  hat  offen- 
bar die  Vorstellung  erzeugt,  dafs  es  der  höchsten  Hitze  bedürfe  um 
jene  starren  Massen  in  Flufs  zu  bringen.  Bedeutender  ist  die  zweite 
Flut  im  Herbst,  welche  ihre  Entstehung  dem  Eintritt  der  Regenzeit 
verdankt.  Es  ward  schon  S.  144  bemerkt,  dafs  die  Südalpen  äufserst 
starke  NiederschUige  empfangen ;  auf  den  ungestümen  Charakter  der- 
selben werden  wir  Kap.  1X4  zurückzukommen  haben.  Die  Ungeheuern 
Wassermassen,  welche  in  Folge  dieser  tropischen  Regengüsse  sich  die 
Thäler  hinabwfllzen,  langen  im  Pobett  nidit  gleichzeitig  an.  Zuerst 
treffen  die  Fluten  des  Appennin  ein,  an  zweiter  Stelle  die  der  piemon- 
tesischen  Alpen ,  an  letzter  die  durch  Seen  gezügelten  lombardischen 
Flasse.  Hieraus  erklärt  sich  einerseits  dafs  der  höchste  beobachtete 
Abflufs  des  Po  nur  den  dritten  Theil  des  Wasserquantums  umfafst,  das 
aus  der  Summirung  der  einzelnen  Zuflüsse  sich  ergeben  müfste.  An- 
dererseits erklärt  sich  die  lange  Dauer  der  Hochflut,  die  5 — 20  Tage, 
ja  in  einem  aufserordentUchen  Fall  volle  89  Tage  anhielt. 

Da  der  Strom  6,  7,  8,  ja  mehr  als  9  m  über  sein  gewöhnliches 
Niveau  anschwillt,  so  bedürfen  die  umliegenden  Niederungen  um  be- 
wohnbar zu  bleiben,  des  künstlichen  Schutzes.  Das  Gebiet,  welches 
von  seinen  Ueherschwemmungen  bedi'obt  ist,  umfafst  gegenwärtig 
12000  D  km  (218  DM.)  und  die  Länge  sämmtlicher  Deiche  übersteigt 
1000  km.  Der  Hauptdeich  (froldo)  ist  hoher  als  die  höchste  beobachtete 
Flut^  auf  der  Krönung  8  m  breit,  durch  einfache  oder  doppelte  Wider- 
lager verstärkt,  an  besonders  exponirten  Puncten  auiserdem  mit  Fa- 
schinen verkleidet.  Die  Hauptdeiche  lassen  dem  Po  stellenweise  einen 
Spielraum  von  4—6  km,  engen  ihn  aber  in  der  Nähe  der  Mündungen 
bis  auf  3 — 500  m  ein.  Im  ersteren  Falle  bleibt  ein  grofses  Terrain 
übrig,  das  durch  niedrigere  Deiche  (golene)  —  unseren  Sommer- 
deichen an  der  Nordsee  vergleichbar  —  gegen  gewöhnliches  Hochwas- 
ser gesichert  wird.  Während  des  Mittelalters  scheinen  die  Schutzbau- 


1)  Pol.  n  te,  9  Plin.  m  in.    Richtig  datirt  Seneca  nat.  qaaesi.  IV  2, 19. 

Nissen,  Itftl.  lABdeakniid«.   I.  14 


210  Kap.  IV.  Dm  Poknd. 

ten  verDachbssigt  und  in  Verfall  geraten  zu  sein :  erst  im  12.  Jahr- 
hundert wird  ihrer  wieder  gedacht.  Es  unterliegt  aber  keinem  Zweifel 
dafs  sie  —  wenn  auch  lange  nicht  in  der  heutigen  Ausdehnung  und 
Vollkommenheit  —  bereits  im  Altertum  yorhanden  waren. 

„Venetien,  heifst  es  bei  Strabo^),  ist  wie  Unteraegypten  von  Gräben 
und  Dämmen  durchzogen ;  ein  Theil  ist  ausgetrocknet  und  wird  be- 
stellt, ein  anderer  ist  mit  Vl^asser  bedeckt.  *^  Einen  Deichbruch  am  Po 
beschreibt  die  gleich  anzuführende  Schilderung  Lucans,  welche  der  un- 
mittelbaren Gegenwart  entlehnt  sein  könnte.   So  lange  die  Flttsse  frei 
über  ihre  Ufer  traten,  haben  sie  mit  ihren  Abbgerungen  das  umliegende 
Land  erhöht,  aber  auch  versumpft.    Als  dasselbe  durch  Eindeichung 
für  den  Ackerbau  gewonnen  worden,  galt  es  durch  unermüdliche  Wach- 
samkeit den  Besitz  zu  behaupten.  Wenn  die  Deichlasten  nicht  wären, 
besagt  ein  ditmarsisches  Sprichwort,  so  könnte  der  Bauer  mit  einem 
silbernen  Pflug  pflügen.  Gewöhnlich  geschehen  die  Durchbrüche  im 
October  und  NoTember  (nie  im  Januar)  und  werden  durch  Nachlässig- 
keit yeranlafst,  wenn  man  die  Gänge  des  Maulwurfs  bei  Zeiten  auf- 
zuspüren und  zu  verstopfen  verabsäumt  hat.    Von  welchen  Verhee- 
rungen dieselben  begleitet  sind,  mag  ein  Hinweis  auf  das  Unglück  des 
J.  1872  vergegenwärtigen,  als  der  Po  das  ganze  Gebiet  zwischen  Sec- 
chia  und  Meer  überflutete  und  erst  im  Norden  an  den  Deichen  der 
Etsch  im  Süden  an  denen  des  Reno  seine  Gewalt  brach:  eine  Fläche 
von  3000  D  km  Inhalt,  welche  zwei  Jahr  später  noch  nicht  völlig  wie- 
der trocken  gelegt  war.   Es  ist  wol  möglich,  dafs  die  fortschreitende 
Entwaldung  und  die  systematische  Regelung  der  Wasserläufe  die  Höhe 
der  Flut  in  der  Neuzeit  gesteigert  haben.    Allein  die  Ueberschwem- 
mung  des  Po  bat  so  gut  wie  das  Erdbeben  zu  den  wiederkehrenden 
Landplagen  Altitaliens  gehört.  Beiläufig  wird  ihrer  unter  den  Prodi- 
gien  108  und  44  v.  Chr.  gedacht  an  erster  Stelle  mit  dem  Zusatz,  daüs 
viele  Tausende  ums  Leben  kamen.   Etwas  eingehendere  Nachrichten 
erhalten  wir  von  der  589  v.  Chr.  über  das  ganze  Land  verbreiteten  Not, 
als  das  Wasser  der  Etsch  die  oberen  Fenster  von  S.  Zenone  in  Verona 
erreichte.  2)  Der  mantuanische  Dichter  sagt  vom  Po  Georg.  IV  372: 

quo  non  alius  per  pinguia.  cuiia 
in  mare  purpureum  molentior  efßuit  amnU, 


1)  V  212  vgl.  IMg.  XLID  15, 1  Hpai  flumimtm  publicarum  refieere  munire 
uUUenmum  est  und  Cod.  lust.VÜ  41. 

2)  Obseq.  40. 68  Gregor.  Magn.  dial.  III 19  Paulos  Histor.  Lang,  m  23. 


§  8.  Die  Deiche.  211 

Und  wo  er  den  allgemeinen  Aufruhr  der  Natur  im  Bürgerkrieg  be* 
schreibt,  gedenkt  er  auch  des  heimatlichen  Flusses  Georg.  I  481 : 

prohat  imano  eoniorquma  v$rtie9  HbMU 
ßuviorum  rex  Eridanu*  eamposque  per  omnet 
cum  Stabulis  armenta  iulit. 

Von  Lucan  besitzen  wir  die  anschauliche  Schilderung  i): 

sie  phno  Padus  ore  iummis  super  mggere  tutas 
excurrit  ripas  ei  totos  coneuiü  agros, 
succubuit  si  qua  teÜus  cumulumque  furentem 
undarum  non  passa  ruity  tum  flumine  toto 
transit  et  ignotos  aperit  sibi  gurgite  eampos, 
iüos  terra  fugii  dominas,  Ms  rura  coUmis 
aeeedurU  donante  Pado. 

„Ganz  so  —  fttgt  Hehn  hinzu  *)  —  richtet  sich  noch  jetzt  der 
Andrang  des  Hochwassers  (cumuAis  furens  undarum)  verhängnifsvoU 
arbeitend,  trichterförmig  wühlend  gegen  den  Fufs  der  Dämme:  die 
ADarmkanone  erdröhnt,  die  Glocken  läuten ,  reitende  Wächter  fliegen 
hin  und  her,  die  ganze  Bevölkerung  im  Umkreis  der  bedrohten  Stelle 
ist  aur  den  Beinen ,  Faschinen  und  Säcke  mit  Sand  werden  unablässig 
in  die  unterminirte  Tiefe  versenkt  und  mit  Steinen  und  allem  was  zur 
Hand  ist,  beschwert.  Entweder  rettet  dann ,  wenn  Sturm  und  Regen 
bei  Zeiten  nachlassen,  die  Menschenhand  die  gartenähnlich  angebauten, 
mit  Dörfern  und  Wohnstätten  übersäten  Fluren  —  oder  der  Strom  ist 
übermächtig,  er  sprengt  die  Fessel,  die  ihn  bändigt,  reifst  den  geöff- 
neten Spalt  augenansehnlich  weiter  und  weiter  und  bedeckt  verhee- 
rend viele  Quadratmeilen  mit  seinen  trüben  wirbelnden  Wogen,  Bäume 
und  Leichen  umherspülend.^   Der  Dichter  hebt  hervor,  dafs  der  Flufs 
nach  einem  Durchbruch  sich  ein  neues  Bett  zu  suchen  pflegt.  Auf  ein- 
zelne gröfsere  Aenderungen  des  Laufes  ist  früher  hingewiesen  worden; 
die  kleineren  sind  viel  zu  zaUreich  um  eine  Erwähnung  zu  gestatten* 
nDer  Po  ist  ein  reifsendes  Wasser  —  heifst  es  bei  den  Feldmessern  3) 
—  und  strömt  bisweilen  mit  solcher  Gewalt,  dafs  er  sein  Bett  wech- 
selt und  auf  weite  Strecken  die  Grundstücke  so  zu  sagen  auf  das  an- 
dere Ufer  hinüberträgt,  oft  auch  Insehi  bildet^    Wasserrechtliche 

1)  VI  272  Tgl.  Enuod.  carro.  I  5. 

2)  Italien  p.  9. 

3)  P.  17. 60. 82. 124  Lachm.  RüdoriT,  Grom.  Instit  p.  462.  Vgl.  Ennodias 
Vit  Epiph.  p.  336  Harte!  terrenum  marginem  guiosus  Padmä  gurgitis  morsus 
adrodit  et  flexuose  serpens  ßuvius  largitur  in  conpendio  aUerius  quod  furaiur 
ab  altera  simulque  fit  hierum  finiUmi  aUena  ealamitas, 

14* 


212  Kap.  lY.   Dts  PoUnd. 

Fragen  spielten  in  Oberitalien  eine  grofse  RoUe:  die  allganeinen 
Rechtsgrundsfltze  ttber  Abtrieb  und  Anschutt  wurden  in  einem  auf  den 
Po  bezüglichen  Gutachten  eines  romischen  Juristen  dahin  modificirt, 
dafs  der  Eigentümer  nur  des  allmfllichen  Abtriebs  verlustig  geht,  da- 
gegen bei  plötzlicher  Aenderung  des  Laufes  sein  Besitzrecht  mit  Er- 
folg verfechten  darf.  Man  ersieht  aus  solchen  Andeutungen ,  dafs  der 
Gegensatz  der  diesseitigen  und  jenseitigen  FluDsanwohner  im  Altertum 
ebenso  scharf  ausgeprfigt  war  wie  in  der  Neuzeit  Wie  das  Sprichwort 
vita  mia  marte  tua  es  ausdrückt,  war  der  Gegensatz  von  Natur  gegeben. 
Ein  Deicbbruch  an  dem  einen  Ufer  befreite  das  gegenüber  liegende 
von  der  drohenden  Gefahr.  Das  heimtückische  Mittel  um  der  eigenen 
Sicherheit  Willen  die  Schutzwehr  der  Nachbarn  anzubohren  ist  ver- 
schiedentlich versucht  und  auch  wirklich  angewandt  worden.  Deshalb 
ward  in  füheren  Zeiten  der  Po  bei  Hochwasser  in  fönnlichen  Kriegs- 
zustand versetzt,  die  Schiffahrt  Nachts  untersagt,  jeder  unberufen  sich 
nähernde  Kahn  mit  Flintenschüssen  empfangen.  Und  noch  immer  ha- 
dern die  Communen  über  die  Regelung  der  Wasserläufe;  selten  mag  die 
Versöhnung  widerstrebender  Interessen  schwerer  fallen  als  auf  diesem 
Gebiet  der  Lebensfragen:  eine  Erfahrung  die  an  allen  Strömen  sich 
wiederholt. 

§9.  Die  Canäle. 

Das  weitverzweigte  Flufsnetz  hat  einen  wichtigen  Verkehr  ins 
Leben  gerufen.  Im  Lagunengebiet  nahm  und  nimmt  die  Verbindung 
zu  Wasser  eine  gröfsere  Bedeutung  in  Anspruch  als  diejenige  zu  Lande 
(S.  207).  Das  Gleiche  läfst  sich  von  den  Alpenseen  behaupten :  unter 
den  vier  Schiffergilden ,  deren  Kenntnifs  wir  antiken  Inschriften  ver- 
danken, gehören  zwei  dem  Benacus,  eine  dem  Larius,  die  letzte  Atria 
an.i)  Ueberhaupt  war  hiermit  fUr  die  Entwicklung  ganz  Norditaliens 
ein  bestimmender  Factor  gegeben,  der  die  abgelegenen  Theile  dem  Ein- 
dringen der  Cultur  erschlols.  Der  Verkehr  zvnschen  Binnenland  und 
Küste  geht  naturgemäfs  von  der  Flöfserei  aus.  Die  Seestädte  bezogen 
ihr  Baumaterial  aus  den  Gebirgsforsten :  das  Material  für  den  PfiaiU- 
rost  der  die  Ansiedlung  trug,  für  die  Häuser,  die  Schiffe,  die  Hafen- 
und  Canalanlagen.  Ihre  Existenz  war  an  diese  Zufuhren  geknüpft, 
ähnlich  wie  Holland  auf  die  deutschen  Wälder  angewiesen  ist  All- 
mälich  ist  die  Nachfrage  gewachsen,  so  dafs  selbst  Rom  aus  den  Alpen 

1)  GILV  4017. 4990. 5296. 5911. 2315. 


i  9.  Die  Gan&le.  213 

Baumstämme  bezog.  0  So  dOrftig  auch  die  erhaltenen  Nachrichten 
sind,  kann  es  doch  keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  im  Altertum 
auf  allen  Strömen  des  Polands  eine  ausgedehnte  FlOberei  betrieben 
ward.  Femer  darf  man  annehmen,  dafs  dies  billige  Transportmittel 
für  die  Ausiühr  der  Erzeugnisse  yon  Ackerbau  und  Viehzucht  ver- 
wandt ward.  In  welchem  Umfang  dagegen  die  binnenlllndische  Schiff- 
fahrt sich  aus  der  Flöfserei  empor  arbeitete,  bleibt  eine  schwer  zu 
beantwortende  Frage.  Auf  die  Schwierigkeiten,  welche  die  starke 
Strömung  der  ungleiche  Fall  der  unregehnflfsige  Wasserstand  der 
Flüsse  in  ihrem  Oberlauf  bereiten,  ist  wiederholt  aufmerksam  ge- 
macht worden.  Was  den  Po  betrifft,  so  liebt  er  es,  seine  Mllndungen 
durch  Barren  zu  yersperren;  auch  bringen  die  Appenninbäche  mit 
ihren  Kiesabbgerungen  bei  dem  EinfluCs  häufige  und  wechselnde  Un- 
tiefen hervor.  Polybios  läfst  den  Po  50  d.  Meilen  aufwärts,  Plinius  noch 
weiter  von  Turin  ab  schiffbar  sein.  2)  Der  Unterlauf  ward  nicht  selten 
von  Reisenden  befahren ,  die  in  Placentia  zu  Schiff  stiegen  und  von 
hier  in  48  Stunden  nach  Ravenna  gelangten.^)  Von  Ticinum  ebendort- 
hin  waren  im  sechsten  Jahrhundert  höchstens  5  Tage  erforderUch.^) 
Aber  wie  oben  (S.  208)  bemerkt,  ein  Verkehr  in  dem  Sinne  wie  er  den 
Rhein  belebt,  hat  sich  auf  dem  itaUenischen  Flusse  nie  bewegt  noch 
bewegen  können. 

Die  Alten  haben  bereits  zahlreiche  Canäle  gegraben  und  damit  das 
System  eingeleitet  das  natürliche  Flufsnetz  durch  ein  künstliches  zu 
ersetzen.^)  Die  Freistädte  des  Mittelalters,  Mailand  an  der  Spitze,  haben 
seit  dem  12.  Jahrhundert  das  System  ausgebildet  zu  einer  Vollkommen- 
heit, die  in  Europa  ohne  Gleichen  dasteht  Die  Bewohner  des  Polands 
wurden  die  Lehrmeister  der  modernen  Cultur  in  allem  was  die  Kunst 
angeht  den  Lauf  des  Wassers  zu  regeln.  Durch  die  Erfindung  der 
Kammerschleuse  wufsten  sie  das  verschiedene  Niveau  des  Wassers  aus- 
zugleichen. Sie  schufen  ebenmäfsige  Strafsen ,  deren  glatter  Spiegel 
durch  keine  Stromlaune  getrübt  wird.  Sie  führten  das  kostbare  Nafs 
in  grofsen  und  kleinen  Leitungen  nach  allen  Richtungen,  das  Land  zu 
speisen  gleichwie  den  Körpertheilen  durch  Adern  und  Aederchen  ihre 
Nahrung  übermittelt  wird.  Nach  einem  Anschlag  umfafst  das  künstlich 


1)  VitniT  n  9, 16  Plm.  XVI 190  vgL  S.  170. 

2)  Pol.  n  16, 10  Plin.in  123.  Primiüve  Segel  ans  Binsen  Plin.  XVI 178. 

3)  $trab.V217  Plin.  m  119. 

4)  Cassiodor  Var.  IV  45. 

5)  Von  Placentia  nach  Parma  Strab.  V217. 


214  Kap.  rv.  Das  PoUnd. 

bewässerte  Gebiet  gegenwärtig  annähernd  12000  Dkm  (218  DM)  und 
beträgt  die  über  die  Felder  geleitete  Wassermasse  1000  Cubikmeter  in 
der  Secunde  d.  h.  reichlich  die  Hälfte  yon  dem  was  der  Po  ins  Meer 
entsendet.  Hieraus  entspringt  die  unerschöpfliche  Zeugungskrafl  des 
Bodens:  es  kommt  in  der  Lombardei  nicht  selten  vor  dafe  dlie  Wiesen 
achtmal  im  Jahr  geschnitten  werden.  Die  Irrigation  war  den  Land- 
wirten seit  Homers  Zeiten  bekannt;  der  malerische  Vers  Vergils^)  dm- 
Ute  tarn  rivoi,  pueril  8at  prata  biberunt  führt  uns  vor  Augen ,  dab  sie 
von  den  Alten  im  Pothal  geübt  wurde  wie  von  ihren  Nachfahren.  Oben 
an  derDoraBaltea  ist  es  nicht  selten  zu  Kämpfen  zwischen  den  Salassera 
und  den  italischen  dauern  gekommen,  weil  jene  bei  der  Goldwäscberei 
das  Wasser  ableiteten,  das  diese  zur  Irrigation  verwandten.^)  Freilich 
werden  wir  Angesichts  der  Gegenwart  auch  in  dieser  Hinsicht  nur  vob 
AnfUngen  reden  dürfen.  Die  ROmer  betraten  am  Po  einen  jungfräu- 
lichen Boden;  ihn  zu  bewältigen  und  in  den  Garten  umzuwandeln,  der 
er  heutigen  Tages  ist,  hat  es  tausendjähriger  Arbeit  bedurft  Während 
dieser  langen  Entwicklung  hat  der  Bfensch  die  alten  Herren  des  Lan- 
des die  Flüsse  immer  mehr  zu  bemeistern  und  dienstbar  zu  machen 
gelernt. 

1)  Ecl.  3, 111  vgl.  Georg.  I  269  Gato  RR.  8. 9. 151. 

2)  Strabo  IV  205. 


KAPITEL  V. 


Der  Appennln. 

Ein  Blick  auf  die  Karte  zeigt  nns,  wie  das  stille  Waken  tellurischer 
Kräfte  den  Boden  fUr  die  Entwicklung  dee  Altertums  bereitet  hat  Unter 
den  drei  Halbinseln  Sttdeuropa's  nimmt  die  italische  nicht  nur  die 
räumliche  Mitte  ein,  ihr  Bau  und  ihre  Gliederung  hält  gleichfalls  zwi- 
schen zwei  Extremen  die  Mitte  und  sichert  dadurch  ihre  Ueberlegen* 
beit  über  beide.  Iberien  ist  von  den  drei  Ländern  das  selbständigste 
und  einheitlichste,  da  es  nur  auf  einer  58  Meilen  langen  Linie  mit 
dem  Continent  zusammenhängt  und  diese  Grenze  durch  ein  unweg- 
sames Gebirge  gesperrt  ist.  Die  beiden  anderen  Halbinseln  sind  durch 
Tiefebenen  mit  dem  Stamm  Ton  Europa  innig  yerbunden.  Aber  während 
die  OstUche  mit  demselben  so  yoUig  yerwächst,  dafs  man  ohne  Willkür 
nicht  sagen  kann,  wo  die  continentale  Bildung  yon  der  paeninsularen 
abgdOst  wird,  erhftlt  die  mittlere  nebst  der  ihr  angehängten  Tiefebene 
durch  die  Alpen  eine  festnmachriebene  Naturgrenze  und  damit  auch 
einen  einheitlicheren  Charakter.  Freilich  steht  sie  an  Abgeschlossenheit 
wie  an  Flächeninhalt  hinter  Iberien  weit  zurück.  Allein  nicht  ohne 
Grund  hat  man  den  Satz  ausgesprochen,  Aftica  beginne  an  den  Pyre- 
näen. Diesem  Welttheil  angenähert,  dem  übrigen  Europa  durch  seine 
Lage  entfremdet«  erinnert  Iberien  auch  in  seiner  Bauart  an  fremde  For- 
men. Nach  dem  Gleichnib  eines  spanischen  Geographen  ist  es  wie  eine 
grofse  Festung,  wie  ein  ungeheures  Bollwerk  gegen  den  Andrang  des 
Meeres  aufgerichtet.  Es  bietet  demselben  eine  mOghchst  beschränkte 
Angriffsfront  dar,  indem  nur  eine  Meile  Küste  auf  22  Quadratmeilen 
Flächeninhalt  kommt.  Und  wie  die  Küste  unbelebt  ganzrandig  yerläuft, 
80  schwillt  das  Innere  zu  dürren  einfonnigen  Hochebenen  an,  die  an 
absoluter  Erhebung  ihres  Gleichen  in  Europa  nicht  finden.  Das  Land 
ist  wie  Italien  dem  Westen  zugewandt:  nach  dieser  Himmelsgegend 
strömen  seine  HauptflOsse,  und  von  seinen  492  Meilen  langen  Küsten 


216  Kap.V.  Der  AppeDnin. 

wird  der  grorsere  Theil  (304)  vom  Ocean  bespült  Insofern  war  es 
recht  eigentlich  dazu  berufen  die  oceanische  Weltepoche  einzuleiten. 
An  der  Entwicklung  des  Altertums  hat  es  nur  als  Grenzland  theil- 
genommen :  eine  höhere  Aufgabe  war  ihm  durch  seine  Lage  und  durch 
seine  natürliche  Beschaffenheit  gleichmäfsig  versagt.  Die  Ostliche  Halb- 
insel ist  den  ältesten  Cultursitzen  am  nächsten  gerückt  und  leitet  den 
Uebergang  von  Europa  nach  Asien  ein.  Sie  ist  durchaus  gegen  Morgen 
gerichtet:  hierhin  Offnen  die  Mehrzahl  ihrer  tief  eindringenden  Buch- 
ten ;  eine  Menge  kleiner  Inseln  führen  wie  Brücken  von  den  euro- 
päischen Gestaden  hinüber  zu  denjenigen  Kleinasiens  und  verbinden 
beide  zu  einem  unlösbaren  Ganzen.  Die  Ostliche  Halbinsel  erweist 
sich  in  allen  Stücken  als  der  Antipode  der  westlichen.  Durch  ihre  sich 
kreuzenden  orographischen  Hauptlinien  wird  eine  erstaunliche  Fülle 
individueller  Bildungen  hervorgebracht,  so  dafs  sie  überhaupt  das 
reichste  System  gegliederter  Halbinseln  auf  Erden  darstellt.  Die  ROsten- 
länge  der  ganzen  Balkanhalbinsel  (8300  Quadratmeilen)  wird  auf 
663  Meilen  berechnet:  davon  kommen  auf  den  Süden,  das  eigentliche 
Griechenland  mit  2000  DM.  560  M.,  der  Peloponnes  hat  bei  360  GM. 
Flächeninhalt  130  M.  Küste.  Nirgends  findet  sich  auf  so  kleinem 
Raum  eine  gleiche  Mannichfaltigkeit  von  Buchten  Vorgebirgen  Berg- 
ketten Thälern  Hoch-  und  Tiefebenen  Inseln  verschiedener  Art  bei- 
sammen. Aber  darüber  geht  die  Einheit  des  Ganzen  verloren:  das 
natürliche  Centrum  fehlt,  nach  dem  die  Theile  gravitiren  konnten. 
Nur  das  Meer  verbindet  sie  mit  einander  und  deshalb  trägt  die  geschicht- 
liche Entwicklung  einen  maritimen  Charakter.  An  den  Versuchen  eio 
nationales  alle  umfassendes  Staatswesen  zu  gründen  hat  sich  das  Volk, 
welchem  wir  unsere  heutige  Civilisaüon  vornehmlich  danken,  verblutet 
Während  die  Einigung  dem  hellenischen  Wesen  und  dem  heUenischeo 
Lande  widerstrebt,  vollzieht  sie  sich  in  Italien  in  einem  Procefe,  wie  er 
normaler  nicht  gedacht  werden  kann.  Von  der  natürlichen  Mitte  aus- 
gehend, gewinnt  sie  langsam  Boden  und  entfaltet  in  ihrem  Fortschritt 
die  unwiderstehliche  und  unerbittliche  Sicherheit  eines  Naturgesetzes. 
Die  italische  Halbinsel  giebt  kein  Bindeglied  mit  einem  fremden  Welt- 
theil  ab  wie  die  beiden  anderen.  Zwar  rückt  sie  in  ihren  insularen 
Fortsetzungen  Africa  nahe  und  hat  in  Krieg  und  Frieden  die  nach- 
haltigste Einwirkung  des  africanischen  Gegengestades  an  sich  erfahren. 
Aber  sie  ist  seiner  auf  die  Dauer  stets  Meister  geworden  und  bat  im 
Unterschied  von  Spanien  wie  von  Griechenland  ihr  rein  europäisches 
Wesen  bewahrt.  An  Grofse  steht  sie  hinter  beiden  zurück.  An  Gliede- 


§  1.  Name.  217 

ruBg  ttbertrifit  sie  die  iberische  Halbinsel.  Die  KOstenlllDge  Italiens  vom 
Var  bis  zur  Arsia  giebt  Plinius^)  ziemlich  genau  auf  2147  Millien 
3174km  an,  man  rechnet  gegenwartig  3325  km;  mithin  verhalten 
sich  Umfang  und  Inhalt  wie  1:11  gegen  1:22  für  Iberien  und  2:7 
für  Hellas.  Das  Verhflltnifs  stellt  sich  noch  günstiger,  wenn  die  2519  km 
langen  Kasten  der  Inseln  berücksichtigt  werden,  nämlich  1:8;  umge- 
kehrt im  Vergleich  zu  Hellas  weit  schlechter,  da  dessen  Inselwelt  aufs 
höchste  belebt  ist,  wahrend  die  italische  nur  wenige  Individuen  auf- 
weist Im  Hinblick  auf  die  starren  Massen  Iberiens  darf  der  Bau  des 
Landes  schlank  und  zierlich  heiben ;  neben  der  aufgelösten  Glieder- 
fälle  von  Hellas  erscheint  er  einförmig  und  einsartig.  Sein  Vorzug 
vor  beiden,  der  den  Gang  der  Geschichte  vorgezeichnet  hat,  ruht  in 
der  zweckmäfsigen  Anordnung  von  Hoch-  und  Tiefland.  An  dem 
gröfsten  Fluis,  in  Mitten  der  gröfsten  Ebene  der  Halbinsel  gelegen  war 
Rom  von  Natur  zur  Hauptstadt  derselben  und  vermöge  des  Einheits- 
drangs, der  die  gesammte  Geschichte  des  Altertums  erfüllt,  zugleich 
zur  Hauptstadt  der  MittehneerUfnder  bestimmt.  In  der  nesiotischen 
Weh  von  Hellas  erstand  eine  Cultur  so  reich  und  erhaben  wie  das 
ewige  Meer,  das  ihr  den  Lebenshauch  lieh.  Die  einförmige  Bildung 
Italiens  beförderte  die  Schöpfung  eines  Grofsstaats.  Unsere  Beschreibung 
zerßlllt  in  drei  Theile ,  indem  wir  zuerst  die  appenninischen ,  alsdann 
die  vulkanischen  Landschaften,  endlich  die  Flufsthäler  behandeln. 

§  1.  Name. 

Ein  Gesammtname  für  das  italische  Gebirge  ist  in  der  alteren 
griechischen  Litteratur  nicht  vorhanden.  Solcher  findet  sich  zuerst 
bei  Polybios,  auf  den  auch  die  erste  deutliche  Erwähnung  der  Alpen 
zurückgeht.  Doch  soll  der  Appennin  bereits  von  Pisander,  der  im 
siebenten  Jahrhundert  die  Thaten  des  Herakles  besang,  genannt  wor- 
den sein.  2)  Die  Zusammenstellung  beider  Gebirgssysteme  hat  es  ver- 
anlafet,  dals  die  griechischen  Schriftsteller  neben  dem  Singular  häufig 
den  Plural  Appenninen  brauchen^):  eine  Form  die  den  Römern  stets 

1)  m  44. 

2)  Stepb.  Byz.  unter  kvciwiov  p.  104  Mein. 

3)  "0  knewivoi:  Pol.  U  14, 10.  16, 1. 4.  17, 7.  24, 7.  UI,  90, 7.  110,  9  Dion. 
Per. 343  Diod.XlVll3;  xa  Jinewiva  xaXovfieva  S^  oderra  !Aniwiva  S^ 
Pol.  n  14,  8.  16,  8  XXXm  11,  1  Dion.  HaL  1  9.  14  UI44  Strtb.fl  128  IV  201 
V  211. 12. 16. 19. 27. 28. 40  VI  283. 86  App.  Bann.  8  b.  civ.  1 117;  ra  'Anhfviva 
Strab.  V  227  xo  'Aniwtvov  S^oq  Stnb.  11 128  VI  259  Procop  b.  Goth.  IV  29 ;  xo 
'Ankwivov  Strab.  V  231. 


218  Kap.V.  Der  Appennin. 

unbekannt  war.  Das  älteste  Zengnirs  in  lateinischer  Sprache  gehört 
dem  J.  1 17  y.  Chr.  an :  in  dem  Schiedsspruch  zwischen  der  Stadt  Genua 
und  der  Dorfgemeinde  der  Viturier  wird  ein  nums  Apenmus  mil  dem 
Beinamen  Boplo  angeführt,  i)  Dann  erwähnt  die  Bauinschrift  der  Via 
Salaria  vom  J.  115  die  Chaussirung  derselben  per  Äppmnmum  d.  h. 
flber  den  Pafs  zwischen  den  Flüssen  Vehno  und  Tronto.^)  Im  indi- 
viduellen Gebrauch  wie  bei  Genua  erscheint  der  Name  auch  in  Velleia, 
wo  die  Alimentartafel  einen  tnons  oder  fandm  Apenninius  verzeichnet^; 
femer  bei  Iguvium,  in  dessen  Nähe  auf  der  Kammhöhe  ein  berühmter 
Tempel  des  luppitw  AfpetmiwM  lag.^)  Da  ähnliche  Spuren  im  Süden 
der  Halbinsel  durchaus  fehlen,  so  ersieht  man,  dals  der  Name  bei  den 
nördlichen  Stämmen  zu  Hause  war.  In  der  That  wenden  ihn  die 
älteren  römischen  Schriftsteller  ausschliefsUch  auf  den  Abschnitt  des 
Gebirges  an,  der  das  Land  der  Ligurer  und  Umbrer  durchzog,  auf 
eine  lange  Strecke  den  Grenzwall  Italiens  während  der  Republik  bil- 
dete und  zugleich  die  Nordsee  oder  Adria  dem  latinischen  Gesichts- 
kreis entrückte.^)  Der  Gebrauch  des  Singulars  war  den  Römern  durch 
den  natürlichen  Gegensatz  zwischen  ihrer  Ebene  und  dem  Gebirg 
nahe  gelegt  Die  griechischen  Geographen  dehnten  den  Namen  über 
die  gesammte  Halbinsel  aus^)  und  nach  ihrem  Vorgang  ist  es  üblich 


1)  CIL.  i  199, 18  bei  der  UmgreiuiaDg  des  GemeinlaDdes  heilst  es  inds  sur- 
tum  iugo  recto  in  montem  Apeninum  quei  vocatur  Boplo;  ihei  ierminus  ttat, 
inde  Apeninum  iugo  reeto  in  montem  Tuledonem;  ibei  terminua  ttat 

2)  Ephem.  epigr.  11  p.  199. 

3)  Donat  p.  441  in  FeMate  pago  Flareio  ....  fttndos  Graüanoe  Afra- 
nianos  cum  Apenrdno* 

4)  Or.-Henzen  1220. 5613  Ub.Peut.  Treb.  Pollio  GUnd.  10  Vopiscos  Fum  3 
Glaudian  28,  504.  Der  gen oa tische  Schiedspruch  vermeidet  die  GonsoDanten- 
gemination,  wenn  anch  nicht  conseqaent.  Die  Schreibang  mit  einfachem  p 
findet  sich  in  der  Inschrift  Or.  1220  sowie  der  Alimentartafel ;  dagegen  pp  in 
der  Bauinschrift  der  Via  Salaria,  Or.-Henzen  5613,  femer  in  den  Handschrifteo 
guter  Autoren  durchweg,  bei  denen  sie  nur  durch  die  WiUkür  der  Herausgeber 
entfernt  worden  ist. 

5)  So  namenUich  die  Annalen  des  LiviusVSS  X  27  XXI 58  XXH 1  XXXIX  2 
—  XXXVI 15  stammt  aus  Polybios  — ;  nie  erscheint  der  Name  in  der  Kriegs- 
geschichte des  mittleren  und  südlichen  Italiens.  Desgleichen  Cicero  de  Or. 
m69  p.  Mil.  26  p.Se8tl2  GatH  23  PhUipp.XU26;  Flor.  08, 10;  Tacbistfll 
42  fg. ;  Plin.  £p.  Y  6 ;  Suet  Gaea.  44  Vit  10. 

6)  Vielleicht  zuerst  Polybios,  dessen  nachtragliche  Bemerkung  fll  110,  9 
der  Appennin  gebe  die  Wasserscheide  für  ganz  Italien  ab,  deutlich  bekundet, 
dafs  er  sich  mit  dem  geläufigen  römischen  Sprachgebrauch  in  keiner  (Jebe^ 
einstimmung  befindet 


§  2.  Bau«  219 

geworden  den  Appennin  ab  das  Rückgrat  Italiens  aufzufassen.  0  In 
der  nrsprttngUchen  Heimat  dieses  Namens  treffen  wir  beachtenswerter 
Weise  auch  denjenigen  der  Alpen  in  allgemeiner  Verbreitung  an:  so 
beifsen  südlich  von  Parma  in  der  Haoptkette  eine  Anuihl  hervorragen- 
der Gipfel,  Alpe  di  Succiso  A.  di  Mommio  A.  di  Sillano  A.  di  Cusna 
A.  di  S.  Pellegrino,  im  oberen  Amothal  eine  Alpe  Catenaia,  bei  Arezzo 
A.  di  Poti,  die  Kette  zwischen  Magra  und  Serchio  heilst  Alpe  Apuana 
od^  Alpi  Panie  usw.  Das  Alter  dieser  Bezeichnungsweise  labt  sich 
bis  Lncan  hinauf  verfolgen,  der  über  den  Appennin  vortrefflich  unter- 
richtet ist  und  trotzdem  den  Robicon  auf  den  Alpen  entspringen  Iftbt.^) 
Deshalb  darf  man  nicht  etwa  an  deutsche  Einflüsse  denken,  wenn  im 
frühen  Mittelalter  dieser  Gebirgszug  Alpes  Appmninae  heifst')  oder  das 
Ende  des  Appennin  bei  Ancona  angesetzt  wird.^i)  Nach  dem  Gesagten 
ist  leicht  verständUch,  wie  die  Kenntnifs  des  Namens  mit  den  Er- 
oberungen der  Römer  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  sich  verbreiten 
konnte.  Aller  WahrscheinUchkeit  nach  gehört  er  dem  ligurischen 
Sprachgebiet  an:  gewöhnlich  wird  er  mit  dem  keltischen  Pen»: Berg- 
spitze in  Verbindung  gebracht^) 

§2.  Bau. 

Unser  ältester  Gewährsmann  Polybios  macht  zwischen  Seealpen 
und  Appennin  keinen  Unterschied  und  setzt  den  Anfang  des  letzteren 
oberhalb  Hassalia  an.  Aber  schon  bei  seinem  jüngeren  Zeitgenossen 
und  Nachfolger  Coelius  Antipater  wird  die  Riviera  di  Ponente  den  Alpen 
zugewiesen.^)  Und  obwol  Andere  die  Alpen  erst  bei  Monaco  beginnen 

lieben,  so  ward  doch  allgemein  die  Grenze  weiter  östlich  nach  Vada 

■^~-^— — ^— — .^.—  « 

1)  Liv.  XXXVl  15  (Dach  Polybios)  Appennini  dorso  ItaKa  dividitur;  Vitruv 
D  6, 5  10, 1  Mela  U  58  Plin.  m  48  Lucan  H  396  Pers.  1 95  Rutil.  Nam.  II 27  Clan- 
en 28, 285. 

2)  1 219  vgl.  Glnver  IL  ant.  p.  31. 

3)  Isidor  XIV  8  Serv.V.  Aen«  X  13  Paul,  hist  Ung.  H  18  (und  seine  im 
7.  Jahrb.  zu  Bobbio  geschriebene  Quelle,  der  eatalogu*  provineiarum  Italiae). 
Die  Gelehrsamkeit,  welche  den  Namen  Appennin  von  Hanmbals  Alpenttbergang 
herleitet,  erregt  allerdings  starken  Verdacht  Aber  nnverdichtig  ist  eine  Be- 
idchnung  wie  Aipü  Bardonii  (Bardi  SW.  von  Parma)  Paul.  V  27  VI  58;  vgl. 
Agithias  111  der  das  M>irge  zwischen  Aenülia  und  Tusda  Alpen  nennt. 

4)  Vibius  Seq.  Appmmxmu  ItaÜOB  usque  ad  Ancanem  parroetus, 

5)  Nach  Strabo  IV  207  führt  ein  Bergstock  Tirols  (Reschen?)  den  Namen 
Appennin,  doch  ist  die  Beschreibung  verwirrt 

6)  Dem  gedachten  Gewährsmann  ist  Liv.  XXVIII  46  entnommen. 


220  Kap.  V.  Der  Appennin. 

SabiUia  Savona  gerückt J)  Bei  dieser  Bestiminung  ist  auch  die  Neu- 
zeit meist  stehen  geblieben  und  hat  davon  abgesehen  sie  wissenschaft- 
lich zu  begründen.  Solches  ist  in  der  That  unmöglich;  denn  je  nach- 
dem man  das  hauptsächliche  Gewicht  auf  die  Richtungsaxe  des  Gebirges 
oder  auf  seine  Erhebung  oder  auf  seine  geologische  Beschaffenheit 
legt,  müssen  abweichende  Bestimmungen  getroffen  werden.  Die  S.  141 
angeführte,  welche  die  Grenze  am  Monte  dello  Schiavo  fixirt,  stütit 
sich  auf  den  Umstand  dafs  die  Granitbildungen  hier  aufhören.  Aber 
ohne  Zweifel  bildet  die  Einsenkung  des  Col  di  Cadibona  oder  dell* 
Altare  (490  m),  über  welche  im  Altertum  eine  wichtige  Verbindungs- 
linie zwischen  der  Riviera  und  dem  Poland  lief,  einen  bequemer  in  die 
Augen  fallenden  Abschnitt.  Die  Abweichung  betragt  nur  21  km  und 
f^llt  bei  solcher  Greringftlgigkeit  nicht  ins  Gewicht.  Nehmen  wir  also 
den  Honte  dello  Schiave  oder  den  Col  di  Cadibona  als  Ausgangspuoct, 
so  erstreckt  sich  das  Gebirge  bis  zum  promuniurhim  Leucopetra  uod 
HercuÜs  Cap  dell'  Armi  und  Spartivento  auf  einer  Länge  von  un- 
gefishr  1600  km.  Von  den  Alpen  unterscheidet  es  sich  zunächst  durch 
seine  geringere  Erhebung:  nirgends  wird  die  Linie  des  ewigen  Schnees 
erreicht,  die  mittlere  Höhe  beträgt  nur  1000 — 1800  m  und  der  höchste 
Gipfel  (Gran  Sasso  d'Italia  2902  m)  bleibt  weit  unter  den  Alpengipfehi. 
Dem  entsprechend  fehlt  die  alpine  Wildheit  und  Erhabenheit,  die 
Formen  sind  abgerundeter  und  werden  leicht  monoton.  2)  Es  fehlt  der 
Wasserreichtum,  die  zahllosen  Rinnsale  welche  zur  Sommerzeit  in  die 
schweizerischen  Thäler  herabstürzen,  das  saftige  Grün  welches  die 
Bergmatten  schmückt.  Aschgrau  ist  die  vorherrschende  Farbe,  eioe 
spärliche  Vegetation  deckt  die  ausgedehnten  Schutthalden,  die  Sennerei 
des  Nordens  kann  hier  nur  in  bescheidenem  Umfang  gedeihen.  Aber 
auch  die  Schrecken  und  Gefahren  des  Hochgebirgs  sind  ungemein  ab- 


1)  Vgl.  S.  141.  Wenn  Strabo  IV  201. 2  die  Alpen  bei  Savona,  den  AppenniB 
bei  dem  260  Stadien  entfernten  Genua  beginnen  läfst,  so  seheint  er  iwiscfaeB 
beiden  eine  grofee  Einsenkung  angenommen  zu  haben,  die  allerdinga  vorhanden 
ist  aber  nirgends  nnter  450  m  sinkt. 

2)  J.  ILWestphal,  der  Italien  mit  offenen  Augen  durchwandert  hatte  wie 
kein  Zweiter  vor  oder  nach  ihm,  klagt  oft  Ober  den  reizlosen  unangenehmea 
Eindruck,  die  Harslichkeit  des  Appennin  (Spaziergang  durch  Kalabrien  und  Apoliea 
von  Justus  Tommaaini,  Konstanz  1828,  p.  48. 59. 60. 269  usw.).  GewUs  hinter- 
läfst  die  Landschaft  von  Samnium  Apulien  Lucanien  eine  recht  langweilige 
Erinnerung.  Wenn  dagegen  Andere  auf  Kosten  der  Alpen  den  Appennin  lob- 
preisen, so  ist  dies  eine  jener  Paradoxien,  in  denen  der  Cuitnrfanatismns  sich 
zu  ergehen  liebt. 


S  2.  Bau.  221 

geschwächt,  die  Wasserscheide  zwischen  dem  tyrrhenischen  und  adria* 
tischen  Meer  hat  niemals  eine  Volkerscheide  werden  können.  Immer* 
hin  war  die  Geschichte  der  Halbinsel  dwch  den  Bau  des  Gebirges 
bestimmt  Wie  Griechenland  gen  Osten,  so  ist  Italien  gen  Westen 
gerichtet.  Die  höchste  Erhebung  des  in  Parallelketten  streichenden 
Appennin  findet  sich  an  der  Ostseite,  so  dafs  demselben  nur  ein  schmaler 
ungegliederter  Küstensaum  vorgelagert  ist.  Die  grofsen  Flüsse  flieben 
sämmtlich  in  das  tyrrhenische  Meer  und  erschUefsen  die  inneren 
Gebirgsthaler  seiner  Einwirkung.  Die  Küste  ist  durch  Buchten  und 
Inseln  belebt  und  endlich  hat  der  Vulkanismus  an  ihr  jene  reichen 
gesegneten  Ebenen  geschaffen,  welche  die  Trägerinnen  der  Cultur  des 
antiken  Italiens  gewesen  sind.  Wenn  demnach  die  Westseite  die  in 
jeder  Hinsicht  bevorzugte,  recht  eigentlich  die  Stirnseite  des  Landes 
darstellt,  so  ist  der  Grund  dieser  inhaltsreichen  Thatsache  in  der  geo- 
logischen Vergangenheit  desselben  zu  suchen. 

Von  dem  Haupt-  und  Stammgebirge  unterscheidet  man  durch 
den  Namen  Subappennin  das  demselben  an  beiden  Seiten  vor- 
gelagerte HügeUand.  Weit  niedriger  ist  der  Subappennin  zugleich  jün- 
ger, indem  er  der  Miocän-  und  Pliocflnzeit,  die  als  Tertiär  bezeichnet 
wird,  angehört.  Die  tertiären  Bildungen,  welche  in  breiten  Massen  bis 
zu  einer  Höhe  von  ca  400  m  den  Gebirgskem  einfassen  und  die  inneren 
Thäler  durchsetzen,  haben  der  Halbinsel  im  Wesenthchen  ihre  heutigen 
Umrisse  verliehen.  Um  ein  banales  Bild  zu  brauchen,  verhält  sich  der 
Subappennin  zum  Appennin  wie  das  Fleisch  zum  Knochen.  Auf  das 
Knochengerüst  also  haben  wir  unsere  besondere  Aufmerksamkeit  zu 
richten.  Der  Appennin  besteht  durchweg  aus  demselben  heUgrauen 
dichten  versteinerungsarraen  Kalksteingebüde,  das  in  den  Sttdalpen 
häufig  und  im  ganzen  Umkreis  des  mittelländischen  Meeres  vorherr- 
schend ist.  Er  birgt  weder  Metalle  noch  Kohlen.  Die  Ueberein- 
stimmnng  in  der  geognostischen  Zusammensetzung  bedingt  den  ge- 
meinsamen einförmigen  Charakter,  welcher  den  Appenninlandschaften 
eignet.  Der  Appenninkalk  gehört  der  mesozoischen  Periode  oder 
Secundärformation  an:  in  der  Hauptkette  fehlen  nicht  nur  die  Ur- 
gesteine der  Alpen ,  sondern  auch  die  älteren  Scbiefermassen ,  welche 
in  den  südlichen  Kalkalpen  gelegentlich  zu  Tage  treten.  0  Die  Haupt- 
kette erscheint  nicht  als  Urgebirge  wie  die  Alpen,  sondern  nur  als  die 


1)  £.Sdfs,  Aber  den  Bau  der  itatiemschen  Halbiosel,  SitzuDgsber.  d.  Wiener 
Ak.  Math.  natw.  Gl.  LXV  p.  217  fg. 


222  Kap.  V.  Der  AppenniD. 

gefaltete  Nebenzone  eines  solchen.  Der  Bau  des  Appennins  wird  daher 
mit  dem  der  Karpathen  verglichen :  in  beiden  Systemen  ist  nur  eine 
Nebenzone  erhalten,  während  von  der  alteren  Mittebone blofse  Trttmmer 
übrig  geblieben  sind.  Aber  diese  Trümmer  reichen  hin  um  die  Ge- 
staltung einer  früheren  geologischen  Periode  zu  Yergegenwartigen. 
Primitive  oder  paläozoische  Gebirgsarten  treffen  wir  in  den  Apuaner 
Alpen  mit  ihren  unerschöpflichen  Marmorschatzen  an,  in  all  jenen 
Bergstocken  und  Inseln  des  westlichen  Etruriens,  die  wegen  ihres 
dem  eigentlichen  Appennin  unbekannten  Metallreichtums  als  Gate  na 
Metallifera  toscanisches  Erzgebirge  zusammengefalst  zu  werden 
pflegen,  in  den  Felseninseln  Gircello  und  Gapri,  in  den  Granitbildungen 
der  brettischen  Halbinsel  und  dem  peloritanischen  Gebirge  des  nord- 
ostlichen Siciliens.    Diese  Bruchstücke  alterer  Bildungen  geben  den 
Schlub  an  die  Hand  dab  die  tektonische  Hauptaxe  Italiens  in  der 
Tiefe  des  tyrrhenischen  Meeres  liegt    Die  Centralzone,  welche  viel- 
leicht als  wahre  Fortsetzung  der  Alpen  anzusehen  ist,  war  von  zwei 
Nebenzonen  eingefafst:  die  nordostliche  steht  uns  im  Appennin,  ein 
Theil  der  südwestlichen  in  Sicilien  vor  Augen.  In  diesem  Zusammen- 
hang verdient  erwähnt  zu  werden,  dafe  Spuren  einer  sog.  Eiszeit,  wie 
sie  nördlich  vom  Po  in  so  bedeutsamer  Weise  entgegen  treten,  wol  im 
Apuaner  Gebirg,  aber  bisher  nicht  im  Bereich  des  eigentlichen  Appen- 
nin nachgewiesen  worden  sind.^)    Die  adriatische  Seite  Italiens  stellt 
demnach  die  Aufsenseite,  die  tyrrhenische  die  Innenseite  des  ganzen 
Systems  dar.  Jene  ist  späteren  Ursprungs,  diese  verdankt  ihre  Gliede- 
rung und  plastische  Schönheit  den  gewaltigen  Umwälzungen,  die  an 
ihr  stattgefunden  haben.  Das  Meer  hat  grofse  Landmassen  verschlungen; 
nur  durch  die  Annahme  ungeheurer  Zerspaltungen  Abbruche  Ver- 
werfungen Einsenkungen  vermag  der  Geolog  die  heutige  Bodenbildung 
zu  erklären.    Sodann  ist  in  der  Tertiärzeit  eine  lang  andauernde  be- 
deutende Hebung  gefolgt    Längs  dieser  zertrümmerten  Küste  hat 
endlich  die  vulkanische  Thätigkeit  ihren  Hauptsitz  aufgeschlagen  und 
den  an  das  Meer  verlorenen  Grund  und  Boden  wenigstens  theilweise 
zurück  erobert    Dergestalt  hat  der  Kampf  zwischen  dem  festen  und 
flüssigen  Element  auf  das  heftigste  am  Westrand  Italiens  getobt  und 
wir  erkennen  eine  Bestätigung  des  Erfahrungssatzes,  dafs  diejenigen 
Erdräume  für  menschliche  Gesittung  die  grOfsten  Vortheile  darbieten. 


1)  Stoppani,  l'era  neozoica  p.  127  fg.  G.  vom  Rath,  Zeitschr.  d.  deotscheo 
geologischen  Gesellschaft  XYDI  (1866)  p.  499. 


I  3.  Vegetation.  228 

welche  Ton  den  beiden  feindlichen  Naiurmflchten  am  längsten  und 
nachhaltigsten  umworben  worden  sind. 

§  3.   Vegetation. 

In  der  gedankenvollen  Betrachtung,  in  welcher  Strabo  den  Ein- 
flufs  der  yielgestalteten  Natur  Europa's  auf  die  menschliche  Gesittung 
darlegt,  unterscheidet  er  zwischen  gutem  und  schlechtem,  friedlichem 
und  friedlosem  Land,  Ebene  und  Gebirg.  Er  hebt  es  als  ein  Verdienst 
der  Hellenen  und  Römer  hervor,  dafs  sie  auch  im  Gebirg  Gesetz  und 
Ordnung  eingebürgert  hätten,  meint  aber  im  Uebrigen  beide  Gegen- 
sätze seien  darauf  angewiesen  einander  zu  ergänzen ,  die  Tüchtigkeit 
in  Waffen  die  dem  einen  eignet  neben  dem  Cultursegen  des  anderen.  ^ 
Für  das  Verständnifs  antiker  Geschichte,  zunächst  der  italischen  läfst 
sich  kein  fruchtbarerer  Gesichtspunct  aufstellen.  Im  Grofsen  und  Ganzen 
erscheint  die  Halbinsel  als  ein  Gebirgsland ,  da  die  Ebenen  nur  einen 
verhältnifsmäfsig  geringen  Umfang  einnehmen.  Aber  auf  die  Entwick- 
lung des  physischen  und  historischen  Lebens  übt  die  Nähe  des  Meeres 
die  bedeutsamste  Wirkung  aus.  Während  im  nördlichen  oder  con- 
tinentalen  Italien  Ebene  und  Gebirg  die  grofsen  Naturgegensätze  bilden, 
so  lauten  deren  Namen  auf  der  Halbinsel  Küste  und  Binnenland.  Auf 
diesen  Gegensatz  geht  die  Verschiedenheit  von  Klima  Vegetation  Cultur 
zurück,  welche  in  der  politischen  Geschichte  einen  so  merkwürdigen 
Ausdruck  gefunden  haL  An  der  Küste  ist  der  nordische  Winter  un- 
bekannt, mit  dem  Eintritt  der  Herbstregen  belebt  sich  die  verdorrte 
Flur  und  bietet  den  Heerden  reichlichen  Unterhalt,  zu  einer  Zeit  wo 
der  Appennin  in  Schnee  gehüllt  daliegt.  Durch  eine  Höhenlinie  von 
ca.  500  m  vnrd  die  immergrüne  Flora ,  die  eigentliche  Culturflora  des 
Mittelmeers  begrenzt ;  die  mittlere  Jahrestemperatur  nimmt  mit  ca  1 50  m 
Erhebung  um  je  einen  Grad  ab.  Zu  Anfang  November  oder  schon  im 
October  legt  das  Gebirg  sein  Winterkleid  an  und  bewahrt  dasselbe 
5 — 8  Monate  lang:  im  Mai  und  Juni  trifft  man  noch  bedeutende  Schnee- 
felder an,  im  Juli  nur  vereinzelt  in  hohen  Lagen,  im  August  und 
September  nur  in  wenigen  geschützten  Schluchten  des  Hochappennin. 

1)  Str.  n  127  to  fibv  iv  ry  svöalftovi  X'^Q^  ^^^  ionv  eloip^aeov,  zo  ^ 
iv  xy  kircQa  ftaxißov  xal  dvögueov,  xal  öSx^^^  rivag  nag  dkXi^Xav  ei- 
i^eolag  xa  yivtj  xavxa'  xa  ßhv  yaQ  inixovgel  xolq  onXoiq,  xa  6h  xagnolq 
xal  xixvaiq  xal  i^d'onoUaiq.  ipavegal  öh  xal  al  iS  dXknXwv  ßXdßai  firi  ini- 
xov^vvxwV  tx^i  6i  XI  nXsovixxijfia  rj  ßta  x<ov  xa  dnXa  ixovxwv,  nXTjV 
tl  xiß  nli^si  xgaxoXxo. 


224  Kap.  Y.  Der  Appennin. 

Die  Hasse  der  Niederschlage  erreicht  die  auf  den  Alpen  fallenden 
lange  nicht,  ist  aber  an  sich  betrachtlich.  Wahrend  die  mittlere  Regen* 
hohe  zu  Rom  800  mm  betragt,  wird  sie  am  Fufs  des  Appennin  auf 
1100  nun  und  für  den  Hochappennin  auf  2400  mm  berechnet.  Wir 
sahen  S.  145,  dafs  die  Schnee-  und  Eisfelder  der  Alpen  den  lieber* 
schufs  der  Niederschläge  für  die  Periode  der  Trockenheit  aufspeichern. 
In  ahnlichem  Sinne  halt  die  Natur  hier  mit  ihren  Vorraten  Haus,  doch 
bedient  sie  sich  anderer  Mittel.  Wie  alle  Kalkgebirge  leicht  zerklüilen, 
ist  der  Appennin  mit  zahlreichen  unterirdischen  Höhlen  grofser  Aus- 
dehnung angefüllt,  in  denen  gewaltige  Wassermassen  sich  ansammeln, 
die  im  Sommer  abfliefsen.  Solchen  Quellen  verdankt  der  Tiber  den 
verhaltnifsmafsig  hohen  Stand,  den  er  in  den  regenlosen  Monaten  ein- 
nimmt: nach  angestellten  Berechnungen  stammen  drei  Viertel  des 
sommerlichen  Abflusses  daher  und  beträgt  die  im  Jahr  gelieferte  Wasser- 
menge  6300  Million  Cubikmeter,  annähernd  so  viel  wie  der  Luganer 
See  fafst  (S.  180).  Derart  zieht  das  kostbare  Nafs  sich  in  die  Tiefe 
zurück,  die  starke  Einwirkung  der  Sonne  dOrrt  die  Oberfläche  des 
Bodens  aus,  die  Trockenheit  giebt  der  Vegetation  ihr  eigentümliches 
Gepräge.  Kein  Wanderer  in  den  Alpen  oder  einem  nördlicher  gelegenen 
Gebirge  denkt  an  die  Möglichkeit  der  Gefahr  zu  verschmachten :  im 
Appennin  thut  er  wol  daran  über  der  Speise  des  Tranks  nicht  zu  ver- 
gessen; denn  es  kann  ihm  begegnen  dafs  er  Tage  lang  keine  Quelle 
zu  Gesicht  bekommt,  vielleicht  von  seinem  Führer  zu  einem  hohlen 
Baum  geleitet  wird,  in  dessen  Innerem  Wasser  sich  angesanunelt  hat, 
um  damit  seinen  Durst  zu  löschen.  Da  die  Schneefelder  fehlen,  welche 
in  den  heifsen  Monaten  die  Gehänge  der  Alpen  feucht  und  frisch  er- 
halten, ist  der  Graswuchs  minder  begünstigt  und  die  Baumgrenze  liegt 
viel  tiefer  als  man  nach  der  geographischen  Breite  erwarten  soUte. 
Die  Buche  bildet  im  Appennin  den  Abschlufs  der  Waldregion,  während 
die  Fichte  vermifst  wird,  die  in  den  Alpen  noch  400  m  höher  aufsteigt, 
lieber  die  Höhe  der  Vegetationszonen  Italiens  sind  mir  um- 
fassende zuverlässige  Angaben  nicht  bekannt.  Schouw  hat  folgende 
Mittelwerte  aufgestellt  0 : 

Immergrüne  Region  (0— 12OO0 
Waldregion  (1200— 6000') 

Kastanien  —3000' 


1)  Grisebach,  Die  VegeUtion  der  Erde  I  p.  352. 


I  3.  Vegetation. 


225 


—3500' 
—6000' 


£iche  (quereus  pedunculata) 

Buche  u.  Edeltanoe  (pinus  picea) 
Alpine  RegioD  (6000— 92000 

Zur  ErgflnzuDg  können  die  ausfofarlichen  aus  SicUien  vorliegen- 
den Nachrichten  dienen*),  wobei  wir  von  den  mehrfach  höheren  Baum- 
grenzen des  Aetna  absehen : 

Johannisbrotbaum      (ceratonia  stUqua)  500  m 


Granatapfel 

(puniea  granatum) 

Pistazie 

(piitacia  vera) 

Ricinus 

(ridmu  communis) 

Oleander 

(nerium  ohander) 

520  m 

Dattelpalme 

(phoenix  daclyUfera) 

590  m 

Zwergpalme 

(chamaerops  kumilii) 

600  m 

Aurantiaceen 

Wallnufs 

(iuglans  regia) 

700  m 

Pinie 

(pinus  pinea) 

Aleppokiefer 

(pinus  hahpeneis) 

Cypresse 

(cupressus  sempervirens) 

Rohr 

(arundo  donax) 

Opuntien 

800  m 

Kastanie 

(castanea  vesca) 

400— 800  m 

Oelbaum 

(oha  europaea) 

900  m 

Kirsche 

(prunus  ceraeus) 

1000  m 

Eibenbaum 

(taams  baccaia) 

Korkeiche 

(quereus  suber) 

Traubeneiche 

(quereus  robur) 

Aloe 

(agave  americana) 

Weizen 

(triticum  sativum) 

1100m 

>y  einstock 

(viiis  üinifera) 

Feige 

(ficus  carica) 

Mannaesche 

(fraxinus  omus) 

Baumheide 

(eriea  arbarea) 

Lambertsnufs 

(corylus  avellana) 

500—1 200  m 

Ahorn 

(acer  campestre) 

1300  m 

Ephen 

(hedera  heUx) 

1500  m 

Steineiche 

(quereus  ilex) 

1600  m 

Buche 

(fagus  silvaiica) 
e  p.l43. 

1000— 1700  m 

1)  Bei  Fischer,  Beitrag 

Milien.  IUI.  LABdMkvBde 

.  I. 

15 

226  Kap.V.  Der  Appennin. 

Zitterpappel  (p&pulus  trenmla)  500—  1 800  m 

Lariciokiefer  (pinus  larieio)  Aetna      1300 — 2050  m 

Birke  (bei^  alba)  1 600— 2100  m 

Drei  Haupüionen  lassen  «eh  in  dem  Klima  und  der  V^etation 
der  Halbinsel  naoh  ihrer  verticalen  Erhebung  unterscheiden,  deres 
genauere  Umschreibung  allerdings  eingehendere  Untersuchangen,  ab 
bis  jetzt  vorliegen,  voraussetst  Die  erste  ist  die  immergrüne  Seezooe, 
in  welcher  nur  ausnahmsweise  Schnee  filllt  und  nicht  Unger  als  einige 
Stunden  liegen  bleibt.  Wegen  der  hohen  Temperatur  entwickelt  sich 
eine  eigene  Winterflora.  Wo  der  sonmierlichen  Dürre  durch  künst- 
liche Bewässerung  begegnet  werden  kann,  ist  die  Fruchtbarkeit  aufser- 
ordentlich  grofs.  Diese  Region  schliefst  die  Ebenen  Etruriens  Latiums 
Campaniens  und  Apuliens  ein  und  umfafst  ungefilhr  den  zehnten  Theil 
des  Areals.  Die  zweite  Region  stellt  das  Hügelland  von  ca.  200 — 1000  in 
Erhebung  dar.  Hierher  gehören  die  inneren  Thäler  sowie  die  breit- 
gelagerten  Vorhohen,  die  den  Stamm  des  Gebirges  einfassen  und 
gewöhnlich  als  Subappennin  bezeichnet  werden.  Man  kann  den  Inhalt 
etwa  auf  ein  Drittel  des  gesanunten  Areals  veranschlagen.  Die  Winter- 
kälte nimmt  hier  schon  zu ,  doch  gedeihen  die  wichtigsten  Cultur- 
gewächse  des  Altertums:  der  Oelbaum  bis  ca  500m  (bei  Nizza  bis 
7S0m),  Weinstock  und  Weizen  bis  an  1000  m.  In  der  dritten  oder 
Waldregion  sinkt  die  mittlere  Temperatur  auf  Null  und  darunter.  Die 
Vegetation  ist  für  ihre  Entfaltung  auf  die  Sommermonate  beschränkt 
und  trägt  deshalb  denselben  Charakter  wie  in  Hitteleuropa.  Die  Buche 
bildet  den  Hauptbestand  der  sommergrünen  Wälder.  Die  Blatten  sind 
zwar  durch  ihren  Reichtum  an  Blumen  und  würzigen  Kräutern  aus- 
gezeichnet, stehen  aber  im  Graswuchs  hinter  den  Alpen  zurück.  Der 
Kalkfels  verwittert  weniger  leicht  zu  fruchtbarem  Humusboden  als 
andere  Gesteinarten  und  aufserdem  erleidet  die  Bewegung  der  Näbr- 
stoff'e  mit  dem  Versiegen  des  fliefsenden  Wassers  in  der  Dürre  einen 
Stillstand.  Daraus  erklärt  sich  dafs  die  Sennerei  nicht  wie  im  Norden 
mit  Rindvieh  sondern  mit  Schafen  und  Ziegen  betrieben  wird,  da  das 
Futter  für  jenes  nicht  ausreicht.  Die  Baumgrenze  ist  ungefilhr  bei 
2000  m  zu  ziehen.  Doch  hat  die  sinnlose  Verwüstung  des  Waldes,  tod 
welcher  später  in  anderem  Zusammenhang  zu  handeln  sein  wird,  die 
ursprünglichen  Verhältnisse  verwischt  und  bedeutende  Strecken  in 
eine  Wüstenei  umgewandelt,  in  der  nur  vereinzelte  Stauden  die  Ein- 
förmigkeit des  nackten  Felsbodens  unterbrechen.  In  den  Abruzzen 
reichen  die  Weiden  nur  bis  1600  m,  dann  wird  die  Vegetation  immer 


§  8.  Vegetation.  227 

spärlicher  um  mit  2000  m  nahezu  aufzuhören.  Gegenwärtig  schätzt 
man  das  unproductive  Gebiet  des  Königreichs  Italien  auf  2/^5,  die 
Weiden  auf  V^,  die  Wflider  auf  Vs  des  gesammten  Areals.  Für 
das  Altertom  wird  man  von  solchen  Schätzungen  absehen  mtlssen. 
Nur  soviel  steht  fest,  dafs  die  Wald-  und  Weidezone  an  Ausdehnung 
die  Culturzone  Obertraf.  Femer  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dafs  die 
höchsten  Gipfel  und  Kämme  damals  so  wenig  bewaldet  waren  als  heut 
zu  Tage,  sondern  in  ursprünglicher  Nacktheit  zum  Himmel  empor^ 
strebten.  Von  der  damaligen  Wildheit  des  Gebirges  zeugen  die  spär- 
lichen Nachrichten  Aber  die  Thier weit.  Zwar  der  im  Altertum  sehr 
häufige  Wolf  1)  ist  auch  jetzt  noch  nicht  ganz  ausgerottet.  Aber  kein 
im  Walde  schlafendes  Kind  ist  der  Gefahr  ausgesetzt  von  Bären  zer- 
rissen zu  werden  wie  der  kleine  Horaz^  und  die  wilden  Ziegen  des 
Hochappennin,  sei  es  dafs  man  darunter  den  Steinbock  oder  die  Gemse 
versteht,  werden  auch  nicht  mehr  angetroffen. 3)  Mit  ungleichem  Mafs 
hat  die  Natur  ihre  Gaben  dem  Gebirge  und  der  Küste  zugetheiit  und 
die  letztere  weitaus  in  jeder  Beziehung  bevorzugt.  Es  könnte  scheinen, 
als  ob  sie  die  beiden  Gegensätze  auf  einen  friedlichen  Austausch  hin- 
gewiesen hätte.  Wenn  das  Gras  auf  der  Ebene  verdorrt,  welche  den 
Winter  hindurch  die  Heerden  ernährt  hatte,  bieten  die  Bergmatten 
genügenden  Unterhalt;  der  Wechsel  zwischen  Sommer-  und  Winter- 
weide, die  Wanderung  der  Schafheerden  von  Apulien  nach  den 
Abruzzen,  welche  im  landschaftlichen  Leben  Italiens  einen  so  charakte- 
ristischen Zug  abgiebt,  wird  bereits  für  die  Römerzeit  bezeugt*  Strabo 
hebt  ab  einen  der  Vorzüge  des  Landes  die  glückliche  Verbindung  von 
Ebenen  Hügeln  und  Bergen  hervor.  4)  Aber  es  hat  vielhundertjähriger 
Kämpfe  bedurft,  bevor  die  Gegensätze  sich  vertragen  lernten,  oder 
richtiger  bevor  das  Gebirge  den  Städten  des  Flachlands  dienstbar 
geworden  war.  Wer  je  aus  dem  beschneiten  Hochland  Samniums  und 
Lucaniens,  wenn  der  Nordwind  Mark  und  Bein  erschütternd  über  die 
Kämme  fegt,  an  die  sonnigen  in  ewigem  Frühling  grünenden  Ufer 

1)  Hör. Od. I  17,9  22,9  Plin.Vffl80  Liv.X27  XXVHST  XU 9  o.a. 

2)  Od.  III  4,  18  Varro  LL.  VI!  40  Symm.  Ep.  X  13  und  15;  bei  den  Thier- 
kämpfen  oft  erwähnt.    Unklar  Galen  VI  p.  666  Kflbn. 

3)  Varro  RR.  II 1, 5 ;  das  heutige  Vorkommen  von  Gemsen  am  Gransasso 
scheint  nicht  sicher  verbürgt. 

4)  VI  286  rmv  yaQ  jinevvlvwv  oqwv  öt'  oXov  tov  fii^xov^  SiaTSta- 
fihmv,  i<p^  hcäregov  Ä  ro  nXfvpov  nsSta  xal  ysatXo^aQ  xaXkixaQTCovq 
(tTtokEinovTwv,  ovöhv  fiigog  (tdx^q  iaziv  o  fifj  xal  t<5v  opslov  aya^atv  xal 
Twv  TTfdcmr  anoXttvov  rvyxavsi. 


228  Kap.  Y.  Der  Appennin. 

der  tyrrhenischen  See  hinabgestiegen  ist,  wird  es  begreiflich  findeo 
wie  Aequer  und  Vobker  Samniten  Lucaner  und  wie  sie  immer  heiisen 
mögen  die  Stämme  des  Appennin,  unablässig  über  die  Ebene  herfallen 
Baubthieren  gleich ,  welche  Kälte  und  Hunger  zum  Angriff  auf  die 
Gehöfte  treibt.  0  Und  wenn  der  Geschichtsfreund  die  denkwfirdigen 
Kriege  der  römischen  Republik  an  seinem  Geiste  hat  yorQberzieben 
lassen ,  dann  wird  er  yielleicht  in  dem  Brigantentum  der  Gegenwart 
einen  Nachhall  derselben  erkennen,  den  Widerstand  welchen  der  freie 
Sohn  der  Berge  gegen  die  ihm  auferzwungene  Knechtschaft  städtischer 
Cultur  leistet.  Aber  wie  dem  auch  sei,  so  setzt  das  Verständniüs 
römischer  Geschichte  unter  allen  Umständen  ein  genaues  Eingehen  auf 
die  GUederung  des  Gebirges  voraus. 

§  4.   Nordappennin. 

Kein  Schriftsteller  des  Altertums  hat  den  Appennin  näher  be- 
schrieben oder  die  Eigentümlichkeiten  seines  orographischen  Baus 
erörtert.  2)  In  Folge  dessen  ist  für  die  Eintheilung  und  Namengebuog 
der  Neueren  ein  ziemlich  weiter  Spielraum  offen  gelassen. s)  Den 
natürlichen  und  historischen  Bedingungen  entsprechend  ist  man  dahin 
übereingekommen  drei  Hauptabschnitte,  einen  nördlichen  mittleren 
und  südlichen  zu  unterscheiden.  Auch  über  die  Abgrenzung  des  mitt- 
leren und  südlichen  Abschnitts  kann  füglich  kein  Zweifel  herrschen: 
die  Grenze  ist  wenig  unterhalb  des  42^ n.  Br.  anzusetzen,  da  wo  das 
Kettengebirge  sich  zu  einem  Plateau ,  dem  alten  Samnium ,  zwischen 
den  Küstenebenen  ApuUens  und  Campaniens  ausbreitet;  der  Lauf  des 
Sangro  raarkirt  die  Linie.  Dagegen  schwanken  die  Ansichten  in  Betreff 
der  Scheidung  zwischen  mittlerem  und  nördlichem  Appennin.  Schouw 
sucht  sie  am  Pafs  von  Pontremoli  (zwischen  Parma  und  Spezia) ,  weil 

1)  UviasIX  13  unter  dem  Jahr  318  v.  Chr.:  SamniU$  ea  tempettaie  in 
monUbus  vicatim  habitantßs  eampe$tria  et  maritima  loea  contempto  eulUh 
rum  moUiore  atque  ut  evenit  fere  loeis  timili  gerrere  ipn  mantani  atque 
agre$te9  depopulabantur.  Derselbe  schUdert  XXI 58  ausführlich  ein  Unwetter 
auf  dem  nördlichen  Appennin,  das  Hannibal  inr  Umkehr  zwang.  Das  Schnee- 
treiben kostet  alljährlich  einigen  Wanderern  auf  den  Appenninpaasen  das  Leben. 

2)  Leider  fehlt  es  auch  in  der  Neuzeit  an  einer  eigenen  Monographie  über 
diesen  Gegenstand. 

3)  Wenn  Amati  im  Dizionario  Gorograiico  der  Vallardi'schen  Eneyclopadie 
Ton  einer  Eintheilung  überhaupt  nichts  wissen  will,  so  hat  er  zwar  theoretisch 
betrachtet  Recht,  vergifst  aber,  dafs  ohne  dieselbe  eine  Uebersicht  und  Charak- 
teristik der  verschiedenen  Abschnitte  nicht  gewonnen  werden  kann. 


§  4.  Nordappennin.  229 

die  RichtuDgsaxe  hier  sich  ändert  und  die  Erhebung  bedeutend  steigt.  0 
Die  italienischen  Geographen  suchen  sie  am  M.  Fnmaiolo  oder  Gomero 
bei  den  QueUen  des  Tiber  und  AHmimu  Marecchia,  wo  ein  nach  Osten 
vorspringender  Ausläufer  das  Poland  deßnitiT  abschliefst.  Aus  histo- 
rischen Gründen  empfiehlt  es  sich  die  Grenze  weiter  nach  Süden 
herabzurücken.  Der  Aesis  Esino  bildete  im  3.  und  2.  Jahrhundert  v.  Chr. 
die  Nordgrenze  Italiens;  bis  Sma  €r(dlica  läfst  Polybios  das  Poland 
sich  erstrecken;  Appennin  hiefs  das  Gebirge,  welches  beide  von  ein- 
ander trennte.  Und  da  dieser  Name  im  eigentlichen  und  populären 
Gebrauch  nur  im  Norden  nachzuweisen  ist,  so  werden  wir  altnationalen 
Vorstellungen  Rechnung  tragen ,  wenn  wir  in  der  gedachten  Gegend 
einen  Abschnitt  annehmen.  Vom  physikalischen  Standpunct  aus  wird 
gegen  einen  solchen  Ansatz  kein  Einwand  erhoben  werden.  Vielmehr 
pafst  er  auch  in  dieser  Hinsicht  recht  gut;  denn  erstens  ändert  sich 
die  Richtungsaxe  der  Halbinsel  bei  dem  Vorgebirge  von  Ancona  und 
wendet  sich  von  SO  nach  SSO;  femer  gabelt  sich  hier  die  Hauptkette 
und  theilt  sich  in  zwei  bald  in  geringerer  bald  in  gröfserer  Entfernung 
von  einander  streichende  Arme.  Wie  an  der  Ostküste  das  pramun" 
tnrmm  Cunerum^  an  dem  Ancona  liegt,  so  bezeichnet  der  mona  Argen- 
tmus  an  der  Westküste,  das  letzte  Glied  des  toscanischen  Erzgebirges, 
den  Uebergang  vom  Norden  der  Halbinsel  zur  Mitte.  Demnach  rechnen 
wir  den  nördlichen  Appennin  vom  Col  di  Cadibona  oder  dell* Altare, 
dem  490  m  hohen  Pafs,  über  den  die  wichtigste  Verbindungsstrafse 
zwischen  dem  Poland  und  der  ligurischen  Küste  lief  und  von  Vada 
Sabatia  einerseits  nach  Turin,  andererseits  nach  Placentia  führte,  bis 
zu  dem  Pafs  zwischen  Scheggia  und  Cäks  Cagli,  den  die  Hauptstrafse 
zwischen  Rom  und  dem  Poland ,  die  via  Flatninia  überschreitet.  Auf 
dieser  ca.  400  km  langen  Strecke  können  wir  drei  Unterabtheilungen 
absondern  und  nach  ihren  Bewohnern  benennen,  wenn  auch  die 
natürlichen  und  ethnographischen  Grenzen  keineswegs  genau  zu- 
sammen fallen.  Der  erste  Einschnitt  wird  an  den  Quellen  der  Macra 
durch  den  1014m  hohen,  la  Cisa  benannten  Pafs  von  Pontremoli  ge- 
bildet, der  zweite  an  den  Quellen  des  Tiber  und  AHminus,  wo  das  Po- 
land aufhört.  Die  darnach  sich  ergebenden  drei  Theile  der  Central- 
kette  sind  ungefähr  160,  180,  60km  lang  und  sollen  als  ligurischer, 
toscanischer,  umbrischer  Appennin  bezeichnet  werden. 


1)  hl  der  orographisehen  Einleitong  seiDes  Tablean  du  climat  et  de  la 
T^giUtion  de  IKalie,  Gopenhague  1839. 


230  Kap.  Y.   Der  Appennin. 

Def  ligurische  Appenniii  als  Fortsetzung  der  Seealpen  be- 
schreibt  einen  flachen  von  W  nach  0  gerichteten  Bogen  um  den  iinu» 
Liguiiicui  oder  Busen  von  Genua  herum.  Die  genannte  Stadt  roarkirt 
den  SchlufssteiB  des  Bogens.  Die  Erhebung  ist  weit  geringer  als  die 
der  Seealpen  oder  des  Centralappennin.  Die  Gipfel  übersteigen  nur 
selten  1000  m  und  wachsen  erst  am  Ende  beträchtlich,  allwo  M.  Penna 
1731m,  M.  Gottero  1665m,  M.  MoUnatico  1553m  messen.  Die  mitt- 
lere Höhe  wird  auf  8— 900  m  geschätzt,  die  Pässe  bleiben  meist  darunter. 
Die  wichtigsten  sind:  der  mehrfach  erwähnte  Col  di  Cadibona  490m, 
oberhalb  Genua  la  Bocchetta  777  m  und  M.  JovmUio  CoUe  dei  Giovi 
469  m —  über  letzteren  führte  die  via  Postumia  von  Genua  nach 
Libama  Dertona  und  weiter  nach  Placentia  — ,  endlich  der  1014  m 
hohe  Pafs  von  Pontremoli,  la  Cisa  benannt,  welcher  Parma  mit  dem 
portus  Lunae  Golf  von  Spezia  in  Verbindung  setzte.  Der  Abfall 
des  Gebirges  nach  dem  Meer  ist  schroff  und  steil;  an  manchen 
Orten  beträgt  der  directe  Abstand  der  Kammhöhe  von  der  Küste 
kaum  5  km.  Derart  erscheint  hier  eine  Naturschranke  aufgerichtet, 
welche  dem  Poland  den  Verkehr  mit  der  See  überaus  erschwert, 
zugleich  die  gröfsten  physischen  und  historischen  Gegensätze  hervor- 
gebracht hat.  Während  der  Reisende  auf  der  ganzen  Strecke  von 
Massalia  bis  Pisa  überall  gleiches  Klima ,  gleiche  Vegetation  und 
gleiche  Lebensbedingungen  antriflt,  so  glaubt  er  von  Norden  aus  der 
Poebene  kommend  ein  fremdes  Land  zu  betreten.  Genua  liegt  nicht 
mehr  als  39  Bogenminuten  südlich  von  Turin,  hat  aber  eine  4,32^ C. 
höhere  Jahrestemperatur.  Während  das  Poland  in  Klima  und  Vege- 
tation den  Uebergang  vom  Mittebneer  nach  dem  europäischen  Gontinent 
einleitet,  steht  die  Riviera  in  beiden  Beziehungen  auf  einer  analogen 
Stufe  wie  Süditalien.  Die  Breite  der  Hauptkette  ist  an  sich  nicht  erheb- 
lich ,  aber  an  der  Nordseite  ist  ihr  ein  ausgedehntes  Hügelland  vor- 
gelagert, das  sich  bis  an  den  Po  erstreckt.  Unter  den  Gipfeln  desselben 
ragen  hervor:  M.  Antola  1597  m  zwischen  Scrivia  und  Trebia, 
H.  Nero  1698  m  zwischen  Agneto  und  Staffora,  M.  Penice  1458  m 
zwischen  Staffora  und  Trebia,  M.  Ragola  1713  m  zwischen  Nure  und 
Ceno,  M.  Carameto  1322m  zwischen  Arda  und  Ceno.  In  langen  tief 
eingerissenen  Becken  ergiefsen  sich  zahlreiche  Flüsse  und  Bäche  in 
den  Po,  von  denen  die  wichtigsten  schon  früher  aufgezählt  wurden. 
An  der  Seeseite  sind  keine  erwähnenswerten  Wasserläufe  mit  Aus- 
nahme der  Maera  Magra  und  ihres  Nebenflusses  Boades  Vara.  Die 
Hagra  bildete  nach  der  Regionentheilung  des  Augustus  die  Grenze 


§  4.  Nordappennin.  231 

iwiscben  Ligurien  und  EtrurieD.  In  der  Thal  hat  die  Natur  hier  eine 
Scheidewand  gezogen,  welche  den  Zusammenhang  des  Küstenlandes 
unterbricht,  indem  sie  einen  Bergzug  vorsandte,  der  in  den  beiden 
Vorgebirgen  von  Porto  Venere  und  Punta  Bianca  ausUuit  und  zwischen 
diesen  Annen  den  portui  £imae,  den  ausgezeichneten  Hafen  von 
Spesia  einschliefst. 

Der  toscanisehe  Appennin  ist  bedeutend  hoher  als  der 
ligurische :  die  mittlere  Erhebung  wird  auf  1 000 — 1 600  m  veranschlagt 
Die  llauptkette  zerfallt  in  vier  durch  Einsenkungen  von  einander  ge* 
trennte  Gebirgsstöcke.  Der  erste  begrenzt  das  Thal  der  Magra  im 
Osten;  er  wird  eingefabt  durch  den  Cisapafs,  über  den  die  Strafse 
nach  Parma,  und  den  Pafs  von  Sassalbo,  über  den  die  Strafse  nach 
Reggio  führt;  er  steigt  im  M.  Orsaio  auf  1852m,  in  der  Alpe  di  Succiso 
2020  m.  Der  zweite  Stock  begrenzt  das  Thal  Auw  Serchio  und  reicht 
bis  zu  dem  1200  m  hohen  Pafs  von  Fiumalbo,  den  die  Stralse  zwischen 
Hodena  und  Lucca  Oberschreitet;  er  zählt  unter  seinen  Gipfeln  die 
Alpe  di  Camporaghena  1999  m  und  Alpe  diS.  Pellegrino  1562  m.  Ein 
dritter  Stock  zwischen  der  Scultenna  und  den  Quellen  des  Reno  und 
der  Sieve  enthält  in  dem  2167m  hohen  M*  Cimone  den  höchsten  Gipfel 
des  nordlichen  Appennin;  von  Pistoia  führt  eine  Strafse  in  das  Thal 
des  Reno  hinunter  nach  Bologna.  Hieran  schliefst  sich  viertens  bis 
zu  den  Tiberquellen  ein  ca  100  km  langer  Gebirgswall,  der  das  Sieve- 
und  obere  Arnothal  einfalst.  Er  wird  von  zwei  Pässen  unterbrochen, 
deren  erster  (la  Futa975m)  den  Verkehr  zwischen  Florenz  und  Bologna, 
der  andere  (der  Pab  von  S.  Godenzo  oder  S.  Benedetto)  den  Verkehr 
zwischen  Florenz  und  Forli  vermittelt.  Die  Erhebung  nimmt  ab:  der 
H.  Falterona,  an  dem  der  Arno  entspringt,  mifst  1648m.  An  der 
nordlichen  Aufsenseite  des  toscanischen  Appennin  findet  sich  dieselbe 
einförmige  Bildung,  welche  zu  den  Eigentümlichkeiten  des  ganzen 
Systems  gehört.  Parallele  Ausläufer  setzen  unter  rechten  Winkeln  an 
das  Stammgebirge  an ,  die  so  entstehenden  Qnerthälar  sind  von  un- 
beständigen Giefsbächen  durchflössen.  Am  Fub  des  Gebirges  zieht 
sieb  die  via  ÄMmilw  in  schnurgerader  Richtung  hin :  als  die  romischen 
Feldmesser  sie  z.u  Anfong  des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr.  absteckten, 
mOgen  sie  eine  seltene  Freude  über  die  Gestaltung  des  Terrains 
empfunden  haben,  die  ihrer  Vorliebe  für  gerade  Linien  so  sichtlich 
entgegen  kam.  Einen  völlig  verschiedenen  Anblick  bietet  die  südliche 
Innenseite  des  etruskischen  Appennin  dar.  Die  Hauptkette  wird  von 
einer  Seitenkette  begleitet,  die  zum  Theil  einer  älteren  Formation  an- 


282  Kap.  V.  Der  Appennin. 

gehört.  Dadurch  entstehen  Langenthtier,  welche  die  EntwicUang 
gröfserer  Flüsse  ermöglichen  und  damit  zugleich  die  Ueberlegenheit 
des  Westens  über  den  Osten  Italiens  begründen.  Dem  ersten  Stock 
des  toscanischen  Appennin,  den  wir  ausschieden,  entspricht  das  Seiten- 
gebirge zwischen  Vara  und  Magra,  dem  zweiten  die  hohe  Kette  der 
Apuaner  Alpen  oder  Alpi  Panie,  wie  der  Volksmund  sie  gewöhnlich 
nennt.  Die  Bezeichnung  Alpen  tragen  sie  nicht  mit  Unrecht;  denn 
schroff  steigen  sie  Tom  Meeresstrand  auf  zu  gröfserer  Erhebung  als 
der  gegenüber  liegende  Appennin  besitzt,  und  faQen  in  derselben 
Weise  gegen  die  Garfagnana  das  Thal  des  Serchio  ab.  Die  Passe 
liegen  ca  1300m  hoch;  von  den  Gipfeln  mifst  der  Pizzo  deir  Uccello 
1874  m,  H.  Pisanino  2050  m,  Pania  della  Croce  1862  m.  Wie  durch 
sein  wildes  malerisches  Aussehen  unterscheidet  sich  dies  Küstengebirge 
auch  durch  seine  geologische  Structur  vom  eigentlichen  Appennin. 
Es  besteht  aus  krystallinischen  Gesteinen  und  umschliefst  jene  uner- 
schöpflichen unvergleichlichen  Harmorschätze ,  denen  das  kaiserUcbe 
Rom  seinen  Glanz  verdankte  und  die  noch  gegenwartig  zum  gröfseren 
Theil  den  Harkt  der  civilisirten  Welt  versorgen.  ^)  Südlich  vom 
Serchio  wird  es  durch  die  915  m  ansteigenden  Honti  Pisani  fortgesetzt. 
Der  von  der  Einmündung  der  Sieve  an  direct  nach  Westen  gerichtete 
Lauf  des  Arno  macht  einen  Abschnitt:  der  Arno  verhalt  sich  zum 
Appennin  gleichsam  wie  der  Laufgraben  zum  Wall.  Der  zwischen 
beiden  gelegene  Landstrich  zerföllt  in  drei  weite  Thalbecken ,  welche 
durch  parallele  Bergrücken  abgegrenzt  sind.  Die  eben  erwähnten 
Pisaner  Berge  scheiden  die  Küste  von  dem  Thal  der  Pescia,  der 
M.  Albano  (575  m)  das  Thal  der  Pescia  von  dem  des  Ombrone,  die 
Berge  des  Hugello  mit  dem  979  m  hohen  M.  Giovi  das  Thal  des  Om- 
brone von  dem  der  Sieve.  Das  letzte  Stück  des  etruskischen  Appennin 
erhalt  seine  Gegenkette  in  dem  Prato  Magno  (1580  m),  der  vom  oberen 
Arno  in  einer  fast  regelmafsigen  Ellipse  umflossen  wird. 

Bevor  wir  in  der  Beschreibung  des  Hauptgebirges  fortfahren,  ist 
es  notwendig  auf  das  toscanische  Hügelland  einen  Blick  zu 
werfen.  Die  tiefen  Einsenkungen  des  Arno-  und  Chianathals  (Pisa  3  m 
Florenz  129m  Arezzo  271m  Trasimenus  258  m)  stellen  im  Norden  und 
Osten  deutlich  ausgeprägte  Grenzen  dar.  Der  Besucher  der  Museen  von 
Arezzo  oder  Florenz  wird  überrascht  durch  ihren  erstaunlichen  Reicb- 


1)  Bei  Garrara  sind  etwa  300  Bräche  in  Betrieb;  die  Ausbeute  der  Apoaner 
Alpen  ergab  1873  134  000  Tonnen  im  Wert  von  12  300  000  Franken. 


§  4.  Nordappennin.  233 

tnm  an  Fossilien  (Mastodon  Elephant  Rhinoceros  Hippopotamos  usw. 
verschiedener  Gattungen),  die  in  den  Thon-  und  Sandschichten  dieser 
Thälerzu  Tage  gefördert  wurden.  Die  Funde  lehren  in  anschaulichster 
Weise,  dars  in  einer  verhältnirsmafsig  jungen  Zeitepoche  hier  lauter 
Seen  und  Sümpfe  bestanden  haben.  Jenseit  der  gedachten  Niederung 
erstreckt  sich  ein  Hügelland  von  etwa  100  Ion  Breite  und  bis  150  km 
Länge.  Es  gehört  der  tertiären  Bildung  an  und  besteht  aus  Sand 
lockerem  Sandstein ,  darunter  Mergel  und  Conglomeraten.  Daneben 
findet  sich  Kreide  mit  Serpentindurchbrüchen  und  namentlich  an  der 
Kaste  eine  altere  Formation,  in  der  selbst  gelegentlich  Granit  auftritt. 
Die  Yegetationsarmen  Hohen  erheben  sich  in  einförmigen  Kuppen  von 
40O~6OOm  mittlerer  Höhe,  die  Thaler  sinken  auf  1 50—200 m  ein. 
Man  mufs  davon  Abstand  nehmen  eine  regelmflfsige  Anordnung  der- 
selben nachzuweisen.  Die  Wasserlaufe,  bald  der  Richtungsaxe  der 
Halbinsel  folgend,  bald  sie  schneidend,  durchziehen  das  Plateau  nach 
allen  Seiten  und  bewirken  dafs  die  Hflgelmasse  als  ein  unlösbares 
Gewirr  erscheint.  Als  Knotenpunct  derselben  kann  der  kupferreiche 
Poggio  di  Montieri  (1051m)  gelten,  da  er  in  Mitten  der  drei  Flufs- 
gebiete  des  Arno  Ombrone  und  Cecina  liegt.  Zwar  erhebt  sich  südlich 
vom  Ombrone  der  M.  Amiata  zu  einer  weit  bedeutenderen  Höhe 
(1776  m);  allein  derselbe  gehört  bereits  dem  vulkanischen  Gebiet 
Centralitaliens  an,  worauf  wir  spater  (Kap.  VI  2)  zurückkommen  werden. 
FQr  die  Dürftigkeit  seines  Bodens  ist  dem  toscanischen  Hügelland  ein 
Ersatz  bescheert  worden  durch  die  unterirdischen  Schatze,  welche  ihm 
vor  allen  anderen  Theilen  Italiens  eignen :  Eisen  in  Fülle  und  vor* 
züglicher  Güte  auf  Elba ,  Kupfer  bei  Volterra  und  Hassa  Marittima, 
Boraxsaure,  Alabaster,  Salz-  und  andere  Mineralquellen  in  grofser  Zahl. 
Man  befafst  die  Berge,  in  denen  sie  sich  finden,  unter  dem  Namen 
Antiappennin  oder  Erzgebirge  (cafam  mefafft/era),  obwol  jeder -aufsere 
Zusammenbang  zwischen  ihnen  fehlt.  Dagegen  aber  zwingt  ihre  geo- 
gnostische  Uebereinstimmung ,  die  sie  einer  alteren  Bildung  als  dem 
Appennin  —  der  sog.  Trias  —  zuweist,  in  ihnen  Bruchstücke  der 
ursprünglichen  zertrümmerten  Hauptgebirgszone  des  Landes  zu  er- 
kennen (S.  222).  Unter  den  Höhen  des  Antiappennin  erwähnen  wir 
den  M.  Capanna  auf  Elba  1018m,  das  Vorgebirge  von  Populonia  199m, 
Poggio  dt  Montieri  1051m,  M.  Argentaro  637  m,  M.  Pagano  auf 
Giglio  495  m. 

Als  drittes  Glied  in  der  nördlichen  Hauptkette  betrachten  wir  den 
unibrischen  Appennin.  VomM.  Comero  (1207m)  an  den  Tiber- 


234  Kap.y.   Der  Appetnin. 

quellen  bis  zum  PaTs  von  Scheggia  auf  einer  Lange  von  ca«  60  km  sich 
erstreckend^  vermiUelt  er  den  Uebergang  zur  centralen  Anschwellung 
der  Halbinsel.  An  Höbe  steht  er  hinter  den  etruskischen  Pergen 
zurück:  Alpe  della  Luna,  an  welcher  der  Metaunis  entspringt^  1350m, 
M.  Nerone  bei  Cagli  1527  m.  Eine  Parallelkette  desselben  trennt  das 
obere  Tiberthal  von  dem  Arno-  und  Chianathal,  sie  enthält  die  Alpe  di 
Catenaia  1401  m,  bei  Cortona  die  Alpe  di  Sant'  Egidio  1046  m.  Ueber 
den  adriatischen  Subappennin  ist  wenig  zu  sagen.  Die  ganzrandige 
Küste  schliefst  sich  der  Hauptaxe  des  Gebirges  eng  an.  Vom  Meer  aus 
gesehen  macht  dasselbe  den  Eindruck  einer  vollkommenen  und  auf 
die  Dauer  ermüdenden  Regelmäfsigkeit.  Gipfel  reiht  sich  an  Gipfel, 
ein  Auslaufer  folgt  dem  andern,  die  Querthäler  sind  sämmtlich  einander 
parallel  und  Offnen  in  gleicher  Weise  auf  den  flachen  Strand,  der 
Abfallswinkel  ist  allenthalben  steil  und  von  den  Schneehauptern  bis  zu 
den  von  der  Flut  umspülten  Vorgebirgen  sind  die  geologischen  Schichlen 
—  Jura  Kreide  Terliarbildung  •—  stets  übereinstimmend  gelagert  Auf 
der  500  km  langen  Linie  von  Ariminum  bis  zum  Garganus  wird  diese 
Regelmafsigkeit  an  einer  einzigen  Stelle  durchbrochen:  durch  das 
572  m  hohe  fromu$Uurium  Cunerum  H.  Conero,  an  dessen  Nordseite 
Ancona  liegt.  Dieser  Stock ,  welcher  sich  so  auflallend  von  den  um- 
gebenden Tertiarhügeln  abhebt,  besteht  aus  Jurakalk  und  hat  einstmals 
als  Insel  in  dem  pliocanen  Meer  gelegen.  Mit  gutem  Grund  lafst  sich 
hier  die  Grenze  zwischen  Norden  und  Mitte  der  Halbinsel  ansetzen; 
denn  ihre  Richtungsaxe  wird  fortan  eine  andere.  Ansprechend  be- 
zeichnet Elis^e  Reclus  das  adriatiscbe  Küstenland  als  das  natürUcbe 
Gegenstück  zum  ligurischen :  in  beiden  Fallen  ein  schmaler  Küsten- 
saum am  Abhang  des  Appennin  bogenförmig  hinziehend,  der  Schluis- 
stein  des  Bogens  hier  durch  Ancona,  dort  durch  Genua  eingenommen, 
das  Gebiet  der  Picenter  der  Riviera  di  Ponente,  die  den  Galliern  ent- 
rissene Mark  der  Riviera  di  Levante  vergleichbar.  Freilich  sind  die 
Unterschiede  ebensogrofs  wie  die  beiderseitige  Debereinstimmung: 
von  dem  Umfang  abgesehen,  ist  der  ligurische  Bogen  nach  Innen,  der 
picentiscbe  nach  Aufsen  gewölbt,  letzterer  von  allen  Seiten  weit  weniger 
geschützt,  weit  leichter  zuganglich.  In  Folge  dessen  hat  dies  adriatiscbe 
Küstenhind  in  verschiedenen  Epochen  als  umstrittene  Grenzmark  ge- 
golten und  die  ihm  verbliebene  Benennung  Marken  verleiht  seiner 
geographischen  wie  seiner  historischen  Stellung  einen  treflendeo 
Ausdruck. 


$  5.   Mittelappennin.  236 

$5.   Hittelappennin. 

Oestlich  vom  Pars  von  Scbeggia  erhebt  sich  der  M.  Catria  1701  m 
hoch.  Hier  tbeilt  sich  die  Hauptkelte  uod  beginnt  der  Central- 
appennio.  Seine  Erhebung  unterscheidet  ihn  ?on  den  übrigen  Ab* 
schnitten,  dazu  auch  die  Hannichfaltigkeit  seiner  Anordnung.  Von  den 
Eiasenkungen,  welche  die  Nebenflüsse  des  Tiber  einnehmen,  im  Westen 
begrenzt,  erscheint  er  in  ein  unzusammenbängendes  Gewirre  von  Hoch- 
thdern  getrennten  Stocken  seitlichen  Ausläufern  und  Verbindungs- 
ketten aufgelöst  zu  sein.  Diese  höchste  Anschwellung  der  Halbinsel 
mifst  ungeßdir  200  km  in  der  Länge  bei  50  km  mittlerer  Breite.  Im 
Allgemeinen,  kann  man  sagen,  wird  sie  von  zwei  Hauptzügen  eingefafst^ 
die  sich  am  M.  Catria  trennen  und  südlich  vom  Fucinersee  in  der  Hoch- 
ebene des  Piano  di  Cinque  Miglia  wieder  vereinigen.  Aber  der  östliche 
Zug,  welcher  seiner  Erhebung  wie  seiner  geologischen  Bildung  nach 
als  die  orographische  Hauptlinie  des  Appennins  anzusehen  ist,  wird  an 
nicht  weniger  als  sechs  Stellen  von  Flufsläufen  durchbrochen.  Ebenso- 
wenig stellt  der  westliche  Zug  die  Wasserscheide  dar,  indem  er  von 
der  Nera  und  ihren  Nebenflüssen  zerstückelt  wird.  Derart  verleugnet 
das  italische  Gebirge  seinen  Grundcharakter  der  Wegsamkeit  auch  dort 
nicht,  wo  es  die  gröfsten  Massen  aufgcthürmt  und  der  Erhaltung  can- 
tonalen  Lebens  den  mächtigsten  Vorschub  geleistet  hat.  Die  via  Yakria, 
wekhedie  schmälste  Stelle  der  Halbinsel  durchzieht  und  die  Mündungen 
der  beiden  vornehmsten  Ströme  des  Westens  und  Ostens,  Tiber  und 
Aternus  mit  einander  verbindet,  hat  nur  östlich  vom  Fucinersee  den 
1016  m  hoben  Pafs  über  den  mens  Imms  Forca  Caruso  zu  über- 
schreiten, nach  dessen  Bewältigung  sie  ebenmäfsig  durch  das  vom 
Hub  gebahnte  Felsenthor  zwischen  Gransasso  und  Haiella  hinlaufend 
die  Adria  erreicht.  Die  Pässe,  auf  denen  die  via  Saknia  von  Rom  nach 
Picenum  führt,  bleiben  unter  einer  Höhengrenze  von  1500m.  Der 
CeDtralappennin  zerfällt  in  zwei  ungleiche  Hälften :  eine  kleinere  nörd- 
liche, das  umbrische  Hochland,  eine  gröfsere  südliche,  das  sabellische 
Gebirgsviereck ,  für  welches  seit  dem  Mittelalter  der  Name  Abruzzen 
üblich  geworden  ist.  Sie  werden  durch  den  TruentusTronio  geschieden, 
von  dessen  Quellgebiet  aus  ein  hoher  abschliefsender  Querriegel  nach 
SW  vorspringt. 

Das  umbrische  Hochland  wird  von  den  beiden  am  H.  Catria 
sich  trennenden  Hauptzügen  gebildet.  Sie  treten  südwärts  immer 
weiter  auseinander,  so  dafs  die  anfjlngliche  Breite  von  ca.  20km  auf 


236  Kap.  y.  Der  Appeniün. 

mehr  als  das  Doppelte  wächst.  Die  Länge  beträgt  gegen  100  km.  Die 
Ostkette  ist  die  höhere;  doch  hat  sie  erst  an  den  Quellen  der  Teona 
bedeutende  Gipfel  aufzuweisen.   Hier  erhebt  sich  die  Gruppe  der  Hon- 
tagna  della  Sibilla  (Tetrica  monsy)  mit  H.  Regina  2332  m  H.  Sibilla 
2286  m  M.  Vettere  2377  m  M.  Pretara  2476  m.    Die  Westkette  über- 
steigt nirgends  15 — 1600m.    Das  Hochland  dazwischen,  ganz  von 
Bergen  erfQllt,  hat  keine  gröfseren  Ebenen  aufzuweisen :  die  wichtigste 
Stadt  Nursia  Norcia  liegt  606  m^),  Leonessa  an  der  Cornia  980  m  O.M. 
Drei  Strafsen  durchkreuzen  dasselbe :  die  erste  von  Fossato  oberhalb 
Tadmae  Gualdo  Tadino,  der  heuligen  Eisenbahn  entsprechend ,  fDhrt 
in  das  Thal  des  Aesis  Esino ;  die  zweite  von  Fvlgineum  Foligno  über 
die  Hochebene  von  Plesieae  Pistia  oder  Colfiorito  zu  den   Cameiia 
Camerino  und  in  das  Thal  des  Chienti;  die  dritte  von  Norcia  über  einen 
14 — 1500  m  hohen  Kamm  an  den  Tronto.    Das  umbrische  Hochland 
wird  wie  gesagt  im  Westen  von  der  Einsenkung  begrenzt,  welche 
Clasius   Chiascio    Tinea  Topino    und    Clitumnus  Clitunno    durch- 
strömen.   Jenseits  derselben  erstreckt  sich  bis  zum  Tiber  das  um- 
brischeHügelland.   Dieses  zerfäUt  in  zwei  Massen,  welche  durch 
das  städtereiche  umbrische  Thal  von  einander  geschieden  werden.    In 
der  kleineren  nördlichen  Masse  bezeichnet  der  H.  Subasio  bei  Äsifium 
Asisi  die  höchste  Erhebung  1290  m;  in  der  südlichen  der  M.  Maitano 
bei  vicus  Mortis  Massa  Martana  1095  m.    Die  letztere  wird  an  der 
SOSeite  von  dem  unteren  Lauf  der  Nera  begrenzt,  hängt  aber  zwischen 
dem  Thal  von  Interamna  Terni  und  dem  von  Spoktium  Spoleto  durch 
den  Rücken  des  M.  Somma  —  Pafshöhe  ca.  700  m  —  gleichsam  an 
einem  Isthmus  mit  der  Hauptkette  zusammen.  Das  419  m  hoch  gelegene 
Thal  von  Reate  Rieti  unterbricht  den  Zusammenhang  der  Ketten ,  ein 
in  SWRichtung  verlaufender  Querzug  scheidet  das  umbrische  Hoch- 
land von  den  Abruzzen. 

Das  sabellische  Gebirgsviereck  ist  einer  riesigen  Festung 
vergleichbar  im  Herzen  der  Halbinsel  aufgerichtet.  Ringsum  von  hohen 
Rergwällen  umgeben  ist  es  nur  an  vereinzelten  SteUen  zugänglich  und 
diese  Zugänge  lassen  sich  wie  Thore  ebenso  leicht  sperren  ak  öffnen. 


1)  Verg.  Aen.  Vn  713  ^  Tetrieae  korrentit  rupes  moniemque  Senertm 
.  .  .  eolunt;  der  Tetrica  liegt  nach  Servioa  in  Picenum  ond  hat  nach  Vairo 
RR.  m,  ft  wilde  Ziegen;  SUias  VÜI 419  bringt  ihn  mit  Nonia  in  Verbindaag. 
Alle  diese  Angaben  treffen  ungezwungen,  wie  schon  Gluver  sah,  auf  die  ge^ 
nannte  Gruppe  zu. 

2)  FHgida  ISurtia  Verg.  Aen.  Vn  7 1 5. 


§  5.  Mittdappennin.  237 

Der  nördliche  Wall  wird  durch  den  mehrfach  erwähnten  Querzug  ge- 
bildet, der  Yon  Norcia  aus  bis  an  den  Velino  bei  Rieti  vorspringt  Hier 
an  seinem  Ende  steigt  der  M.  Terminillo  2213  m  auf :  jedem  Besucher 
Roms  wol  vertraut,  da  er  das  Gesichtsfeld  der  ewigen  Stadt  nach  NO 
abscbliefst.  Der  antike  Name  lautete  vielleicht  Gurgures.^)  Der  Velino 
erschiielist  das  Innere  der  Abruzzen :  bei  Interocreum  Antrodoco  gabelt 
sich  die  Strafse  und  führt  einerseits  hinüber  nach  Picenum,  anderer- 
seits nach  der  alten  Sabinerstadt  Amitemum.  Im  Osten  finden  sich  die 
höchsten  Erhebungen  des  gesammten  Appennin.    Die  Hauptkette  be- 
steht aus  einer  Reihe  gesonderter  Stöcke,  die  an  Masse  und  Erhabenheit 
mit  einander  wetteifern.    Auf  die  Montagna  della  Sibilla  folgt  diesseit 
des  Tronto  der  Pizzo  di  Sevo  2545  m.  Das  Gebirge  wird  immer  gewal- 
tiger und  großartiger.    Bei  den  Quellen  des  Vomanus  verändert  es 
seine  Richtung  mehr  nach  Osten  und  hier  nun  thürmt  sich  der  höchste 
Berg  der  Halbinsel  der  Gran  Sasso  d'  Italia  oder  M.  Corno  —  so  heifst 
er  nach  seinen  beiden  Hörnern  —  2637  und  2921  m  hoch  auf.   Der 
Gipfel  stürzt  nach  beiden  Seiten  an  1500  m  senkrechter  Erhebung 
schroff  ab,  eine  graue  nackte,  bis  tief  in  den  Sommer  mit  Schnee- 
flecken bedeckte  Steinmasse ;  doch  macht  dieBesteigung  keine  Schwierig- 
keit.   An  seinem  westlichen  Pulse  lag  Ämitemtim,  nach  Osten  Inter- 
amnium  Hatria  und  Anna.  Der  antike  Name  ist  nicht  sicher  überliefert: 
es  scheint  dafs  der  ganze  Gebirgszug  zwischen  Tronto  und  Atemo  als 
mans  FueeUm  bezeichnet  wurde.  ^)    Der  ostwärts  gerichtete  Stock  des 
Gran  Sasso  kehrt  in  stumpfem  Winkel  wieder  nach  Süden  um  und 
setzt  sich  bis  an  den  Aterno  fort.    Jenseit  dieses  Hauptstroms  der  Ost- 
küste  erhebt  sidi  als  letzter  Stock  die  Maiella :  eine  gewaltige  Masse 
▼OD  90  km  Umfang  und  bis  zu  2740  m  Höhe.    Sie  ßiUt  gen  Westen 
steil  ab  nach  dem  frischen  Thal,  in  dem  die  Paelignerstädte  Stdmo  und 
Carfinium  (350  m)  liegen.  Die  Kette,  welche  die  Westseite  des  Gebirgs- 
▼iereeks  ausmacht,  steht  der  eben  beschriebenen  an  Höhe  nach.    Bei 
Rieti  beginnend  lagert  sie  sich  in  breiter  Masse  hin  und  umschUefst  eine 
270 Dkm  grolse  Einsenkung,  die  der  locus  Fuänns  (663m)  zum  Theil 
einnahm.     Nördlich  von  dem  neuerdings  ausgetrockneten  Seebecken 
steigt  der  bedeutendste  unter  diesen  Bergen  der  M.  Velino  mit  seinen 
zwei  edel  geformten  von  Rom  her  sichtbaren  Gipfeln  2487  m  auf.  Der 

1)  Nach  Varro  RR.  11  1  vgl.  c.  8. 

2)  Derart  läfst  sich  die  Angabe  des  Silius  Vin519,  der  dies  Gebirge  den 
Vestinem  zuweist,  mit  der  Angabe  Plin.  m  109,  nach  welcher  der  y^veiu  Velino 
hier  entspringt,  zwanglos  yereinigen  Tgl.  Varro  RR.  II  1,5. 


238  Kap.y.  Der  Äppennin. 

weiter  östlicb  folgende  M.  Sirente  rnifst  2348  m,  der  von  Aveia  und 
Aquila  nach  dem  See  führende  Pafs  1 390  m.  Der  Liris  bildet  im  Westen 
die  Grenze,  der  Atemus  im  Osten.  Unterhalb  des  Sees  wendet  sich 
das  Gebirge  ostwärts  um  mit  den  Fortsetzungen  der  Haiella  zusammen- 
zustofsen  und  die  Südseite  der  Abruzzen  abzuscbliefsen.  Die  Ver- 
einigung erfolgt  bei  dem  nach  seiner  Länge  als  Piano  di  Cinque  Miglia 
bezeichneten  Sattel.  Er  ist  1300m  hoch,  die  Strafse  von  AnßdeM 
nach  Sulmo^  aus  Samnium  in  das  Paelignerland  führt  hinober. 

Mit  den  beiden  Hauptketten ,  welche  das  sabeliische  Viereck  bil- 
den ,  ist  die  Ausdehnung  der  Gebirgslandschaften  Mittelitaliens  noch 
nicht  erschöpft.  Wir  sehen  dabei  von  dem  vulkanischen  Gebiet  vor- 
läufig ganz  ab^  weil  diesem  seiner  Wichtigkeit  wegen  eine  eigene  Be- 
trachtung gewidmet  werden  mufs.  Vom  unteren  Nar  bei  Namia  und 
Interamna  bis  zum  Liris  bei  Fregeüae  zieht  sich  ein  etwa  140  km  langes 
Gebirge  hin.  Es  wird  durch  den  Austritt  des  Anio  bei  Ttbur  in  zwei  an- 
nähernd gleiche  Hälften  zerlegt,  von  denen  die  nördliche  nach  dem  Volk 
der  Sabiner  benannt  wird ,  die  südliche  nach  dem  Volk  der  Hemiker 
benannt  werden  mag.  Die  Sabinerberge  erheben  sich  nirgends sn 
grofsen  Höhen :  der  bedeutendste  Gipfel,  der  m^msLucretiHs  M.  Gennaro, 
welcher  die  Aussichten  Roms  in  so  hervorragendem  Mafse  beherrscht, 
rnifst  nur  1268  m.  Allein  der  scharf  abgestufte  Uebergang  aus  der 
vulkanischen  Ebene  in  den  appenninischen  Bereich  erhöht  für  das 
Auge  ihr  Ansehn  erheblich.  Der  Tiber  stellt  ihre  fest  bestimmte 
Grenze  dar:  nur  ein  vereinzelter  Bergrücken  der  Sarade  mit  seinen 
sechs  Zacken  6S1  m  steigt  diesseit  des  Flusses  aus  der  römischen  Cam- 
pagna  inselartig  empor.  Die  grofse  mittelitalische  Ebene  setzt  sieh 
südwärts,  nur  durch  eine  niedrige  Bodenanschwellung  (350m)  ge- 
schieden ,  in  dem  Thal  des  Trerus  Sacco  fort.  Zwischen  Trerus  und 
dem  oberen  Liris  streichen  die  Hern  ik  er  berge,  die  südliche  HaUte 
des  ganzen  Zuges.  Ihre  Erhebung  ist  beträchtlicher  und  wächst  an 
den  Lirisquellen,  wo  sie  mit  der  Centralkette  zusammenhängen ,  auf 
mehr  als  2000  m.  Endlich  läuft  noch  westlich  vom  Trerus  eine  viote 
Parallelkette,  dieVolskerberge,  gewöhnlich  Monti  Lepini  genannt.  <) 
Sie  fallen  gleichfalls  wie  die  Sabinerberge  schroff  ab  gegen  den  Küsten- 
säum  der  pontinischen  Sümpfe,  springen  alsdann  in  den  Voi^gebirgen 
von  Tarracina  und  Cateta  bis  ans  Meer  und  enden  ca.  100  km  lang  am 
unteren  Liris.    Das  Vorgebirge   von  TeiTacina  bildet  den  südlichen 


1)  Nach  Golnm.  X  ISl  Signia  monie  Lepino, 


{  6.   Sadappennin.  289 

Abschlufs  der  grofsen  centralen  Ebene  der  Halbinsel.  An  dem  Kttsten- 
pafs  von  lauiulae  ist  die  militärische  Grenze  zwischen  Mittel-  und 
Saditalien  anzusetzen,  mit  welcher  auch  die  klimatische  sich  deckt. 
Die  Gipfel  der  Volskerberge  erreichen  eine  ansehnliche  Hohe :  M.  Sem- 
previsa  bei  Setia  1 535  m,  M.  Cacume  SW  vom  Pnisino  1095  m, 
M.  Petrella  N  von  Fofmiae  1533  m.  Wie  vor  den  Sabinerbergen  der 
Soracte  findet  sich  ein  in  gleicher  Weise  losgelöstes  GKed  hier  im 
Mens  Cirteiarum  M.  Circello  513  m,  der  von  den  Alten  lange  Zeit  ftlr 
eine  Insel  gehalten ,  in  Wirklichkeit  aus  der  Ferne  dem  Blick  durch- 
aus als  solche  sich  darstellt  und  erst  nachträglich  durch  Alluvionen 
landfest  geworden,  wie  dies  auch  mit  dem  M.  Argentaro  geschehen  ist. 
An  der  Grenze  Mittelitaliens  prägt  sich  der  parallele  Bau  des  Landes 
zum  letzten  Mal  und  in  nirgends  sonst  beobachteter  Schärfe  aus,  um 
in  der  Folge  sich  immer  mehr  zu  verwischen.  Zieht  man  vom  Cap  der 
Circe  eine  Linie  nach  dem  Gran  Sasso,  so  durchschneidet  dieselbe  fünf 
stufenförmig  aufeinander  folgende  Einsenkungen  nebst  den  einfassen- 
den Bergzügen :  sie  läuft  von  der  pontinischen  Küstenebene  über  die 
Volskerberge  in  das  Thal  des  Trenis,  Ober  die  Hernikerberge  in  das 
Thal  des  Liris,  über  die  Marserberge  in  das  Fncinerbecken  und  gelangt 
nach  Ueberwindung  des  hohen  Nordrandes  an  den  Aternus  und  den 
Fufs  des  genannten  Hochgipfels.  Die  so  stark  hervortretende  Ent- 
wicklung von  Langsthalern  ermöglicht  die  Entstehung  bedeutender 
Flufsläufe  und  ruft  damit  denjenigen  Factor  ins  Leben ,  welcher  der 
Mitte  ihren  Vorrang  vor  dem  Norden  wie  dem  Süden  der  Halbinsel 
verschafft  hat. 

§6.  Südappennin. 

Von  den  bisher  beschriebenen  Theilen  weicht  der  südliche 
A  p  p  e  n  n  i  n  in  mehrfacher  Hinsicht  ab.  Einmal  steht  er  an  Erhebung 
hinter  der  Mitte  weit  zurück ,  da  selbst  die  höchsten  Gipfel  um  mehr 
als  500  m  unter  denjenigen  der  Abruzzen  bleiben.  Zweitens  ändert 
sich  der  Bau  des  Gebirges  in  bedeutsamer  Weise:  die  regelmäfsige 
GHedening  in  parallele  Ketten  hört  auf  und  macht  zunächst  einer  völlig 
regellosen  Anordnung,  dann  einer  einzigen  Kette  Platz.  Drittens 
rückt  der  Appennin  und  mit  ihm  die  Wasserscheide  immer  naher  an 
das  tyrrhenische  Meer,  indem  er  die  Richtung  nach  SSO,  schliefslich 
nach  SSW  einhält.  Dadurch  gewinnt  die  Physiognomie  des  Landes 
ein  neues  Aussehen.  Von  verschiedenen  Betrachtungen  ausgehend 
sind  wir  wiederholt  daran  erinnert  worden,  dafs  Italien  nach  Westen 


240  Kap.  y.  Der  Appennin. 

gerichtet,  dafs  die  westliche  seine  Stirnseite  sei.  Für  das  erste  Drittel 
des  unteren  Appennin  trifft  dieser  Satz  wenn  auch  nicht  in  derselben 
Stärke  wie  für  den  Norden  der  Halbinsel  noch  durchaus  zu;  denn  der 
Hauptflufs  Samniums  ergiefst  sich  in  die  tyrrhenische  See  und  mit 
€ampanien  vermag  sich  die  apulische  Ebene,  was  natürUche  Begabung 
betrifft,  entfernt  nicht  zu  messen.  Aber  sobald  man  den  Grebirgsrttcken 
überschreitet,  der  Samniten  und  Campaner  von  den  Lucanern  scheidet, 
verliert  der  Satz  seine  Geltung.  Nach  Südosten  Öffnet  sich  jetzt  das 
Land  und  findet  in  dem  tief  eindringenden  Busen  von  Tarent,  der 
seine  Flüsse  aufnimmt,  ein  natürliches  Centrum,  das  auf  die  Umwohner 
dieselbe  Anziehungskraft  ausübte  wie  das  etruskische  Meer  auf  den 
Norden.  Man  kann  den  Gang  der  Geschichte  in  den  natürlichen  Be- 
dingungen angedeutet  sehen.  Während  Italien  vermittelst  der  Poebene 
mit  dem  Stamm  des  Gontinents  eng  verwachsen  ist,  breitet  es  seine 
südlichen  Glieder  weit  aus  um  die  Einwirkung  der  Fremde  voll  aufzu- 
nehmen. Die  messapische  lucanische  brettische  Küste  nebst  dem  Osten 
Siciliens  verhält  sich  zu  Epirus  Akaroauien  und  dem  Peloponnes  wie 
Gestade  und  Gegengestade.  Die  Natur  begünstigte  die  Einwanderung 
der  Hellenen  und  ein  halbes  Jahrlausend  hindurch  blieben  diese  Land- 
schaften der  hellenischen  Cultur  unterworfen,  deren  Blüte  und  Verfall 
sie  theilten.  Die  Einigung  IlaUens  besiegelte  das  Schicksal  dieser 
anderen  Lebensrichtungen  zugewandten  Aufsenlande  und  seitdem  der 
politische  Schwerpunct  in  die  Mitte  der  Halbinsel  oder  den  Norden  fiel 
ist  Grofsgriechenland  der  Vergessenheit  und  Verödung  preisgegeben 
gewesen.  In  um  so  hellerem  Glänze  erscheint  die  Zeit  als  es  der  Auf- 
gabe lebte  die  fremde  Civilisation  im  Westen  einzubürgern.  Und  dafs 
ihm  solche  Aufgabe  ehemals  übertragen  werden  konnte,  daran  erinnert 
uns  die  veränderte  Axenstellung  des  Appennin. 

Wir  unterscheiden  drei  Abschnitte,  welche  den  alten  Stamm- 
grenzen  ziemlich  genau  entsprechen  und  zwar  als  ersten  das  Hoch- 
land von  S  a  m  n  i  u  m.  Der  am  Südrand  des Fucinersees  entspringende 
und  in  die  Adria  mündende  Sagrus  Sangro  umfliefst  im  Bogen  die 
Abruzzen  und  bildet  mit  seinem  tief  eingeschnittenen  Thal  ihre  Grenze. 
Jenseit  derselben  verändert  das  Gebirge  seinen  Charakter.  Aus  der 
alpinen  Groisarligkeit,  welche  den  sabellischen  Gauen  eignet,  gelangt 
der  Wanderer  unter  abgeflachte  einförmige  Kuppen,  die  nur  vereinzelt 
durch  bedeutend  hervorragende  Gipfel  unterbrochen  werden  und  uin 
reichlich  1000  m  mittlerer  Höhe  hinler  jenen  zurückstehen.  Statt  der 
gesetzmäfsigen  Anordnung  von  Hebungen  und  Senkungen,  welche  den 


§  6.  Südappenniii.  241 

Norden  und  die  Mitte  der  Halbinsel  kennzeichnet,  tritt  er  in  ein  Ge*- 
wirre  von  Hügeln  und  Bergen ,  deren  Vertheilung  auf  kein  deutliches 
Priocip  zurückgeführt  werden  kann.  Im  Allgemeinen  verrflt  der  Bau 
des  Gebirges  ein  gewisses  Bestreben  in  QuerzUgen  sich  über  die  ganze 
Breite  der  Halbinsel  hin  auszudehnen.  Demgemftfs  beschreibt  die 
Wasserscheide  eine  höchst  verwickelte  Linie  und  erleichtert  die  Niedrig- 
keit der  Pässe  (Ariano  740  m)  den  Durchzug  von  einem  Meer  zum 
andern.  Die  Thatsache  dafs  die  Samniten  auf  die  adriatische  Küste 
nicht  minder  als  auf  die  tyrrhenische  drückten ,  giebt  diesem  Verhalt- 
oifs  einen  historischen  Ausdrack.  Ueberhaupt  spiegelt  die  Natur  der 
Landschaft  das  ruhe-  und  gesetzlose  Walten  des  Volkes  wieder.  Wir 
müssen  darauf  verzichten  sie  in  kurzen  Zügen  anschaulich  zu  schildern. 
Den  ganzen  Lauf  des  Sangro  begleitet  ein  Gebirgszug,  der  bei  Aufidmß 
im  M.  Meta  seine  höchste  Erhebung  2240  m  findet.  Dieselbe  bildet 
zugleich  einen  Knotenpunct  des  samnitischen  Appennin,  da  ihre  Aus- 
rufer das  wichtigste  Thal,  das  des  Volturnus  im  Westen  einfassen. 
An  der  Ostseite  dieses  Flusses  als  zweiter  Knotenpunct  liegt  der  massige 
Stock  des  Matese  Tt/emua  mong^  der  im  M.  Miletto  2057  m  ansteigt 
und  mit  seinen  elliptischen  Rändern  einen  See  bei  1007  m  Hohe  um- 
schUefst.  An  der  Nordseite  des  caudinischen  Thals  W  von  Benevent 
bat  der  moita  faiicnitia  (1393  m)  noch  seinen  antiken  Namen  bewahrt. 
Aas  der  gegen  Gampanien  abfallenden  Kette  erwähnen  wir  den  oft 
genannten  nwn$  Tifata  bei  Capua  202 m^  als  einen  der  höchsten  Gipfel 
M.  Vergine  bei  Abeüinum  1461  m.  Während  nach  Westen  sämmtliche 
Gewäiflser  zu  einem  einzigen  Abflufs  im  Volturnus  sich  vereinigen, 
bewahrt  die  adriatische  Seite  ihren  bisherigen  Charakter  zahlreiche 
aber  dafflr  um  so  kleinere  Stromgebiete  zu  entwickeln.  Auf  den  Sangro 
folgen  Triniui  Trigno,  Tifamtu  Bifemo,  Frento  Fortore.  Allein  nun- 
mehr hört  die  Uebereinstimmung,  welche  sich  in  der  Bildung  des 
ganzen  Küstenlandes  von  Ariminum  abwärts  offenbart,  auf,  da  eine 
nach  Süden  sich  ausbreitende  Ebene  sich  zwischen  den  Subappennin 
und  das  Meer  schiebt.  Das  Gebirge,  welches  vereinzelte  Gipfel  von 
11 — 1200m  aufzuweisen  hat,  filUt  steil  gegen  das  wellige  Flachland 
ab  und  es  ist  ein  Irrtum,  wenn  unsere  Karten  von  Ptolemaeos  bis  in 
die  Neuzeit  herab  einen  sichtbaren  Zusammenhang  desselben  mit  dem 
Gargtmtis  verzeichnen.  Vielmehr  stellte  letzterer  in  der  pliocänen  oder 
jungtertiären  Epoche,  als  das  sandige  Tiefland  Apuiiens  (TavoUere  della 


1)  LiT.  X  30. 
VUi«m,  itnl.  LandMkaBd«.    I.  16 


242  Kap.  V.  Der  Appennln. 

Puglia)  vom  Meer  bedeckt  war,  eine  Issel  dar  wie  sie  die  vorgescbobene 
Tremitignippe  noch  jeut  darstellt.  Lagunen  im  Norden  und  Sttden, 
der  Flufslauf  des  Candelaro  im  Westen  tragen  daiu  bei  den  Zugang  lu 
dem  massigen  Vorgebirge  zu  erschweren.  8eine  höchste  Spitie  steigt 
im  M.  Calvo  1055m  auf.  Die  3500  Dkm  grobe  Ebene  wird  in  ihrem 
südlichsten  Theil  vom  Aufidut  Ofanto  durchflössen^  dem  llngsten  Fluft 
der  adrialischen  Koste.  Derselbe  kann  in  ähnlicher  Weise  wie  vorher 
der  Sangro  dazu  dienen  einen  neuen  Abschnitt  im  Bau  des  Appennios 
zu  veranschaulichen. 

Der  Abschnitt  wird  durch  einen  in  Absatzen  die  Breite  der  Halb* 
insel  durdistreichenden  Querzug  gebildet.  Die  Sodseite  des  Golfs  von 
Neapel  einschliefsend  beginnt  er  mit  der  Insel  Capri  (M.  Solaro  585m) 
und  den  mantm  Surremmi  der  Halbinsel  von  Sorrent,  die  imli.  S.  Angelo 
bei  Stabiae  sich  1443  m  erhebt  und  setzt  sich  nach  einer  Einsenkuag 
von  ca  200  m  zwischen  Nucmia  und  SakmMm  ostwSrts  als  geschlossene 
Kette  fort.  Die  Gipfel  M.  TermiDio  (1782m)  M.  Cercetano  (1842m) 
H.  Accelica  (1657  m)  M.  Gervialto  (1809  m)  M.  Marzano  (1530  m) 
M.  S.  Croce  (1420  m)  M.  Caruso  (1230  m)  M.  Toretta  bei  Femifia 
(1070  m)  werden  nach  Osten  zu  niedriger  und  erreichen  scUiefsUch 
nur  eine  müfsige  Hohe.  Die  ganze  Kette  ist  durch  den  Umstand  aus- 
gezeichnet^  dafs  ihrem  nördlichen  Fufs  Vulkane  vorgelagert  sind:  an 
dem  einen  Ende  der  Vesuv  und  das  phlegraeische  Gefilde,  an  dem 
anderen  der  Vultur;  auch  der  in  der  Mitte  befindUche  laimi  Amip$a9iäM 
bekundet  durch  seine  starken  Ausdünstungen  von  Kohlenstture  und 
Schwefelwasserstoff  vulkanische  Natur.  Mit  dem  beschriebenen  Querzug 
beginnt  der  lucanische  Appennin.  Auch  hier  findet  sich  anHittg- 
lieh  dieselbe  unregelmäfsige  Anschwellung  mit  geringer  Gipfelhöhe 
(ca.  1200  m)  wie  in  Samnium.  Dann  aber  ballt  sich  das  Gebirge  im 
Westen  enger  zusammen  und  streicht,  dem  Meer  immer  näher  treteod, 
mit  seiner  Hauptlinie  in  der  Richtung  des  Meridians,  während  an  der 
Ostseite  der  Subappennin  sich  langsam  abdacht.  Freilich  kommt  es 
weder  zu  einer  eigentlichen  Kammbildung  noch  zu  Querthftlem  und 
unter  rechtem  Winkel  anstofsenden  Ausläufern.  Das  Hauptthal  ist  eioe 
der  Richtungsaxe  folgende  Einsenkuog,  die  vom  Tana^  Negro  durck- 
flossen  wird.  An  seiner  Westseite  liegt  der  mosu  AUnmim  M.  Palenno 
(1740  m).^)  An  seinem  Sfldende  wachsen  die  Gipfel  und  bei  deo 
Quellen  des  SiriB  Sinni  steigt  der  M.  Sirino  1830  m  auf.    Der  kleine 


1)  Veig.  Georg.  III  146  iUeibu$  virentem  Albumtm, 


§  6.  8ad«ppeoniii.  248 

KQMenflufB  Laos  wird  schon  in  froher  Zeit  als  Grenze  zwischen  dem 
ursprttnglichen  Italien  und  Oenotrien ,  dann  zwischen  Bruttium  und 
Lucanien  genannt«  Die  politische  Scheidung  filUt  mit  der  natürlichen 
zoenmnen.  Denn  vom  Laos  ostwärts  schiebt  sich  der  2270  m  hohe 
M.  PoUino  wie  ein  Qnerriegel  vor,  „die  pralle  Bergwand  mit  scharf- 
kantigen pyramidenförmigen  Gipfeln^^  ßllt  in  „mauerförmigen  Ab- 
stürzen^ ab  und  damit  findet  der  Appennin  wenig  unterhalb  des 
40.  Breitengrades  im  geologischen  Sinne  des  Worts  sein  Ende.  Die 
230  Dkm  grofse  Ebene  von  Sybaris  trennt  die  appenninischen  von  den 
alteren  Granitbildungen  des  brettischen  Landes.  Wahrscheinlich  setzt 
sich  das  Tertiär  quer  durch  die  Halbinsel  von  Meer  zu  Meer  fort  und 
zeigt  damit  dafs  die  Trennung  ursprünglich  eine  vollständige  war.  Die 
Geographen  des  Altertums  haben  die  beiden  Halbinseln,  in  welche 
Italien  ausläuft,  mit  Hörnern  verglichen,  zu  denen  die  dazvirischen  ge- 
legene grofsgriechische  Küste  die  Stirn  abgab,  i)  Aber  keinem  von 
ihnen  ist  es  je  in  den  Sinn  gekommen  von  einer  Gabelung  des  Appen- 
nins  zu  reden  und  hieraus  die  Gestalt  des  Landes  zu  erklären.  Diese 
Scbluisfolgerung  ward  von  Neueren  aus  ihren  Worten  gezogen  und 
der  schon  von  Cluver  bekämpfte  Irrtum  schlug  tiefe  Wurzeln.  Wer  in 
der  gewöhnlichen  Schulmeinuog  befangen  an  den  Busen  von  Tarent 
gelangt,  wird  sich  eines  lebhaften  Erstaunens  nicht  erwehren  können, 
wenn  er  (wie  ein  Fachmann  sich  ausdrückt  ^)  „die  aufserordenlUche 
Verschiedenheit  in  der  orographischen  und  geologischen  Gestaltung 
der  gegenüberliegenden  Golfgestade^  hervortreten  sieht.  „Hier  Hoch- 
gebirge aus  Granit  undGneils,  unzugängliche  Schluchten,  grofse  Wälder 
—  dort  eine  niedere  flache  Terrasse  von  weifsem  Kalkstein  der  Terliär- 
und  Kreideformation,  eine  kahle  langweilige  unabsehbare  Ebene. '^  An 
die  apulische  Ebene  schliefst  sich  südlich  vom  Aufldus  dasiapygische 
Hügelland  an,  welches  bis  zur  äufsersten  Spitze  dem  Gap  Leuca 
nirgends  viel  über  500m  hohe,  durchgängig  weit  niedrigere  Gipfel 
aufweist.  Die  Züge  welche  den  Rücken  der  Halbinsel  ausmachen, 
Murgie  oder  Serre  genannt,  gehören  allerdings  derselben  Jura-  und 
Kreideformation  wie  der  Appennin  an.   Aber  sie  hängen  äufserlich  mit 

1)  Mela  U  58  (darnach  Solio  2,  21)  verum  ubi  longe  abit,  in  duo  comua 
findiiur  rupieitque  altera  Sieuhim  pelagm  aitero  loräüm;  Plin.  III  95  a  Lo- 
erU  JtaUae  frans  ineifii  Magna  Graeeia  appeUata,  in  iria  nnu$  reted&m 
Aus9mi  aiaW#. 

2)  G.  Tom  Rath^  ein  Ausflug  nach  Galabrieo,  Bonn  1871,  p.  147.  Ders. 
in  Zeitschrift  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  XXV  p.  150  fg. 

16* 


244  Kap.  y.  Der  Appennin. 

demselben  ebensowenig  zusammen  wie  der  Garganus.  Der  grOÜBere 
Tbeil  des  Landes  ist  junger  Bildung.  Dies  erhellt  nicht  nur  aus  den 
lebenden  Formen  sich  annähernden  Versteinerungen ,  sondern  noch 
mehr  aus  der  dünnen  oft  kaum  handhohen  Ackerkrume,  die  den  Fels- 
boden bedeckt.  Um  die  hier  mit  Eifer  und  Erfolg  betriebene  Olireii- 
cultur  zu  ermöglichen ,  ist  man  häufig  in  der  Lage  fQr  die  Setzlinge 
Locher  au9  dem  lebenden  Felsen  brechen  und  mit  fruchtbarer  Erde 
ausfüllen  zu  müssen.  Der  Reisende  wird  gelegentlich  an  die  aus- 
gewaschenen tertiären  Hügel  Etruriens  erinnert  und  zur  VergleichuDg 
mit  dieser  Landschaft  aufgefordert  werden.  Die  geographische  l^age 
hat  ihr  beiderseitiges  Verhalten  bestimmt:  so  nahe  die  eine  dem 
italischen  Leben,  so  fern  hat  ihm  die  andere  gestanden. 


§  7.  Bruttium. 

Die  Geologen  setzen  das  Ende  des  Appennin  bei  der  Ebene  von 
Sybaris  an.  Der  antike  und  der  gewöhnliche  Sprachgebrauch  betrachtet 
Sie  brettische  Halbinsel  als  letztes  Glied  desselben.  Sie  zerfallt  in  eine 
grOfsere  Nordhälfte  und  eine  kleinere  von  Sicilien  abhangige  Südhälfte. 
Sie  besteht  aus  Gneifs  und  Granit  Thonglinimerschiefer  Thonschiefer 
körnigem  Kalkstein  und  anderen  Felsarten ,  welche  die  Merkmale  der 
alpinen  Mittelzone  aufweisen.  Das  Urgestein  bildet  nur  den  schmalen 
Kern,  der  in  der  Regel  bis  zur  Höhe  von  400  m  von  tertiären  Massen 
umschlossen  ist.  Für  die  historische  Entwicklung  des  Landes  war  es 
bedeutsam,  dafs  es  Metalle  und  andere  mineralische  Schatze  barg,  die 
dem  Appennin  fehlen.  Wenn  die  Ausbeutung  auch  heute  aufgehorl 
hat,  so  zeigen  doch  die  Schutthalden,  dafs  sie  früher  mit  Eifer  betrieben 
wurde.  Das  Urgebirge  bildet  keine  Kette  wie  der  Kalkappennin, 
sondern  vereinzelte  mehr  oder  weniger  getrennte  Stöcke.  Hart  an  der 
tyrrhenischen  Küste  streicht  ein  Rücken,  der  im  M.  Cocuzzo  SW  von 
Cansentia  Cosenza  seine  höchste  Erhebung  1550m  findet.  Zwischen 
den  Quellen  des  Crathis  Crati  und  des  Crotalus  Corace  führt  eine  durch 
den  Lauf  des  Sabattis  Savuto  bezeichnete  Verbindungsbrücke  von  dem 
Küstenzug  zu  der  grofsen  Gebirgsinsel  Sila.  Diese  wird  im  Norden 
durch  die  Ebene  von  Sybaris,  im  Osten  durch  das  Meer  und  die  Ebene 
von  Croton,  im  Süden  durch  die  Senke  von  Tiriolo,  im  Westen  durch 
Crati  und  Corace  begrenzt.  Da  wo  der  Targines  Tacina  entspringt, 
erhebt  sich  der  höchste  Gipfel  1889  m.  „Die  von  den  angegebenen 
Grenzen  umschlossenen  50  Quadratmeilen  Waldgebirge  —  schreibt 


§  7.  Brattimn.  245 

TofflRath  —  biideD  den  unbetretensten  Tbeil  Italiens,  ja  eines  der 
DDbdaiiDtesten  Gebiete  Europa's.    Von  Süd  West  und  Nord  stellte 
sieb  uns  das  Gebirge  als  ein  hoher  Wall  mit  fast  horizontaler  Hohen^ 
linie  und  sanftem  äursern  Gehänge  dar.    Von  dem  Aufsenwalle  ver- 
zweigen sich  nach  innen  mehrere  Bergrücken,  welche  weite  Thal- 
Schäften  einschlieisen.  Diese  durch  schwer  ttbersteigliche  Höhen  von 
einander  getrennten  Becken  öffnen  sich  in  engen  Schluchten,  den 
nossen  einen  Austritt  lassend.^    Südlich  von  der  Sila  zwischen  dem 
smuM  Terinaeus  und  ScykdnuB,  den  Golfen  von  Eufemia  und  Squillace 
wird  das  Land  auf  eine  Breite  von  31km  eingeschnürt  und  sinkt  zu 
einem  sanft  gewölbten  Hflgehrücken  von  nur  250  m  Erhebung  ein. 
Dieser  bthmus,  die  Senke  von  Tiriolo  hat  verhaltnifsmäbig  spät  aus 
den  Fluten  emportauchend  die  Südspitze  Italiens  landfest  gemacht. 
Am  Ende  der  Tertiarzeit  war  letztere  durch  eine  Meerenge  von  15  km 
Breite  von  der  Sila  geschieden,  gerade  wie  sie  noch  jetzt  durch  die 
sicilische  Enge  von  dem  peloritanischen  Urgebirge  geschieden  ist.  Man 
begreift,  wie  der  ältere  Dionys  den  Plan  fassen  konnte  den  Isthmus 
durch  eine  Befestigung  völlig  abzusperren.  0    Jenseit  desselben  folgt 
in  SSW  Richtung  ein  ca  100  km  langes  plateauartig  abgeflachtes 
Granitgebirge,  die  Serra  S.  Bruno  und  der  Aspromonte.  Der  Montalto, 
die  westliche  Spitze  des  letzteren  bei  Rhegion  steigt  1974  m  an.  „Der 
Aspromonte  mit  einer  Basis  kaum  kleiner  als  diejenige  des  Aetna,  bildet 
mit  seinen  breiten  Terrassen  und  seiner  majestätischen  Wölbung  einen 
wQrdigen  Abschlub  der  reichgestalteten  italienischen  Halbinsel.^  Keine 
Landschaft  Italiens  hat  im  Lauf  der  Geschichte  so  wenig  von  ihrem 
ursprünglichen  Aussehen  eingebttfst  als  Calabrien.  Seit  Alters  war  sie 
bei  den  Griechen  wegen  ihres  Bauholzes  hochberühmt  und  Strabo  läfst 
den  Silawald  von  Lokroi  und  Rhegion  ab  auf  700  Stadien  130  km  Länge 
sich  erstrecken.  3)   Da  der  Name  Sila  offenbar  mit  siha  und  vkrj  iden- 
tisch ist,  so  ist  es  sehr  natürlich ,  dafs  er  zur  Bezeichnung  des  ganzen 
inneren  Hochlands  von  Bruttium  im  Gegensatz  zur  hellenisirlen  Küste 
verwandt  und  mithin  in  viel  weiterem  Sinne  als  gegenwärtig  gebraucht 
wurde.  Eine  anschauliche  Schilderung  dieses  Waldlandes  wird  gelegent- 


J)  Strabo  VI  261 ;  Flin.  10  95.  Carl  Ul.  von  Neapel  wollte  gar  einen 
Ctnal  dorcfa  den  Rfieken  graben  lassen. 

2)  Str. VI  261  Plüi.in  74.  Das  Mafs  ist  fOr  den  Aspromonte,  auf  den  es 
belogen  worden  ist,  su  grofs,  bis  znr  £bene  von  Sybaris  zu  klein:  aber  es 
libt  rieh  gar  nicht  absehen,  nach  welchem  Gesichtspanct  die  ganze  Angabe 
gemacht  ist. 


246  Kap-  V.  Der  AppoiiÜD. 

lieh  seiner  Unterwerfang  unter  Rom  gegeben  i):  „die  BreUier  traUo 
die  Hälfte  des  Silagebirges  ab,  das  voll  ist  von  trefflickem  Hob  für 
Hans-  und  Schiffsbau  und  jeden  anderen  Gebrauch.  Himmdbohe 
Tannen  wachsen  darin  in  Menge,  Pappeln  und  hanreiebe  Llrchen  io 
Menge,  Buchen,  Pichten,  Eschen  und  gewaltige  Eichen,  von  den  durch- 
fliefsenden  Qudlen  befruchtel,  dazu  all  das  dichtferwachsene  Unter- 
holz ,  das  dem  Gebirge  Schatten  spendet  den  gansen  Tag  lang.  Die 
Bestände  in  der  Nähe  des  Meeres  und  der  Flüsse  werden  an  der  Wurzel 
gefällt  und  in  ganzen  Stämmen  zu  den  nächsten  Häfen  binabgeachafft; 
sie  reichen  aus  un  ganz  Italien  mit  seinem  nötigen  Bedarf  fiir  die 
Marine  und  den  Hausbau  zu  versorgen.  Das  oberhalb  der  Kttste  und 
den  FlQssen  femstehende  Hob  wird  in  Stttcke  gehauen  und  giebt 
Ruder  Stangen  allerlei  Werkzeug  und  Hausgerät,  das  dann  von  Men- 
schen hinunter  gelragen  wird.  Das  meiste  und  harzreichste  Hob  aber 
wird  zum  Theerschwälen  verwandt  und  Heftert  von  allen  bekannten 
Arten  das  wobiechendste  und  sdfseste  Pech,  das  sog.  brettische.  Aus 
der  Verpachtung  dieser  Wälder  bezieht  der  römische  Staat  aiyähriich 
grofse  Einkaufte.^*  Die  Wälder  der  Säa  sind  noch  immer  meistentkeik 
Domäne  und  dienen  zur  Ausrüstung  und  Unterhaltung  der  königbcheD 
Flotte,  fn  den  Lichtungen  wird  von  Anfong  Juni  bis  zum  Schneefall 
im  October  eine  ausgedehnte  WeidewirtachafI  betrieben.  Der  Acker- 
bau ist  durch  KUma  und  Bodenbeschaffenheit  nahezu  ausgeschlossen.^^ 
Diese  Waldwildnifs  hat  der  Cultor  und  ihren  Gesetzen  bb  auf  den 
heutigen  Tag  getrotzt.*)  Und  es  ist  eine  beachtenswerte  Tbatsacbe 
dafs  derjenige  Theil  Italiens,  welcher  am  flrtthsten  der  Einwirkung  der 
Civilisaiion  ausgesetzt  gewesen  ist,  am  spätesten  von  ihr  überwältigt 
werden  wird.  Noch  eine  andere  Beobachtung  drängt  sich  hier  auf. 
Nirgends  sonst  sind  die  beiden  Naturgegensätae,  welche  die  Entwicklung 
italischer  Geschichte  bedingen ,  so  unvermittelt,  auf  so  engem  Raum, 
so  hart  an  einander  gerückt  ab  in  Grofsgriechenbnd:  der  Gegensatz 
zwbchen  einem  rauhen  Waldgebirge  und  einem  ttberschwänglich  ge- 

1)  Dion.Hai.XX15  Kiefsl. 

2)  Etwas  trefflichen  Flachs,  etwas  Weizen  und  Roggen  seit  der  Saracenen- 
zeit  975  einge fahrt;  wichtiger  die  Kartoffel. 

3)  G.  vom  Rath  in  der  angefahrten  liebenswürdigen  BesehretlHing  seines 
1871  unternommenen  Ausflugs  erzahlt,  dafe  derPrifect  mit  sichtlicher  Genag* 
thuung  fOr  die  Sicherheit  der  Reisenden  in  der  Sila  Bürgschaft  übemahai,  in- 
dem er  ihnen  nur  10  berittene  Garabinieri  mitgeben  wollte,  welche  bei  der 
Jetligen  Schwache  des  R&nberwesens  ▼olikomaien  genügen  würden.  Unsere 
Landsleute  verschoben  daraufhin  ihre  Forschungsreise  auf  die  Zukunft. 


f  7.  Brnttinm.  247 

segneten  Gestade.  Ob  auch  die  Fluren  von  Sybaris  und  Kroton  und 
den  meisten  anderen  Griechenstädten  gegenwärtig  yersumpft  verwildert 
von  Fieber  und  EinOde  erfüllt  sind,  so  genügt  doch  ein  Hinweis  auf 
die  Oppigen  Frucbtgäirten  von  Reggio,  um  zu  verstehen  was  die  ganze 
Kaste  einst  gewesen  und  was  sie  durch  Arbeit  und  Verstand  wieder 
werden  kann.  Den  Meerespfaden  folgend,  auf  denen  einst  die  Hellenen 
von  Ost  nach  West,  aus  der  alten  ih  die  neue  Heimat  gelangten,  bleibt 
der  Jamflier  der  Gegenwart  unseren  Blicken  verborgen,  und  indem 
das  Auge  die  herrlichen  Profile  des  Landes  an  sich  vorübergleiten  läfst, 
ruft  e»  zugleich  die  grofse  Vergangenheit  im  Inneren  wach.  Der 
Name  Italia  hat  ursprünglich  diesem  südlichen  Ausläufer  allein  an- 
gehört ,  und  in  Wirklichkeit  stellt  die  plastische  Gestalt  desselben  ein 
Ur-  und  Vorbild  des  Ganzen  dar. 


KAPITEL  VI. 


Der  Tiilkanlsiiias. 

In  keinem  Lande  Europa's  treten  die  geheimaifsvollen  Mächte, 
welche  vom  Erdinnern  aus  an  der  Cmgestaltung  der  Erdoberfläche 
arbeiten,  dem  Betrachter  anschaulicher  und  bedeutsamer  entgegen  ab 
in  Italien.    Sie  haben  sich  hier  nicht  darauf  beschränkt  Zeugnisse 
ehemaliger  Thäligkeit  zu  hinterlassen ,  welche  nur  der  Forscher  za 
deuten  versteht;  sie  wirken  noch  immer  vor  Jedermanns  Augen  sichtbar 
fort  und  üben  auf  die  Schicksale  ganzer  Landschaften  den  nachhaltigsteo 
Einflufs  aus.  Wenn  auch  ihre  heutigen  Aeufserungen  geringfügig  er- 
scheinen im  Verhaltnifs  zu  den  Umwälzungen,  die  sie  in  froheren 
Epochen  hei*vorgebracht ,  so  wird  doch  für  die  Landeskunde  der  Reiz 
der  Betrachtung  durch  den  Umstand  erhobt,  dals  die  physischen  Ur- 
sachen, denen  der  Boden  seine  Entstehung  verdankt,  zugleich  das 
historische  Leben,  den  Charakter  der  Bewohner  in  eigentamlicher 
Weise  bedingen.    Die  Geologie  belehrt  uns  daA  Italien  in  verhältnifs- 
mäfsig  junger  Zeit  diejenige  Gestalt  angenommen  hat,  die  uns  Allen 
von  Kindheit  an  durch  die  Gemälde  unserer  Karten  vertraut  ist  Weoo 
das  brettische  Urgebirge  bis  zur  mittleren  Höhe  von  400  m  von  einem 
Mantel  tertiärer  Schichten  umhallt  ist  (S.  244),  so  ergiebt  sich  hieraus 
die  Thatsache,  dals  das  Land  um  den  genannten  Betrag  seit  der  Teitiär- 
zeit  gehoben  ist.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  gesammten  Appennin ,  ao 
dessen  aus  Jura-  und  Kreidefurmen  bestehenden  Kern  überall  miocäoe 
und  pliocäne  Bildungen  anschliefsen.    Endlich  ist  das  Poland  in  der 
geologischen  Periode  der  Gegenwart  dem  Meer  abgewonnen  wordeo. 
Dem  Gewinn  steht  ein  entsprechender  Verlust  gegenüber.    Wir  sahen 
(S.  222)  dafs  das  Urgebirge  bis  auf  geringe  Ueberbleibsel  in  der  Tiefe 
versunken  ist,  dafs  die  Westseite  Italiens  den  Schauplatz  ungeheurer 
Katastrophen  abgegeben  hat.  Aehnliche  Vorgänge  haben  in  Griechen- 
land gespielt  Die  beiden  Halbinseln,  die  so  bestimmend  in  die  Geschicle 
unseres  Weltlheils  eingegnffen ,  lassen  sich  ihrer  natürlichen  Stellung 
nach  mit  zwei  Schwestern  vergleichen,  denen  die  Verschiedenheit  der 
Begabung  getrennte  Lebenswege  angewiesen  bat.    Sie  laufen  von  den 
Alpen  in  der  nämlichen  Richtung  aus ,  aber  kehren  übereinslimmend 


f  1.  Tbitige  Volkane.  249 

ddD  adriatischeo  Thal,  das  sie  scheidet,  den  Rücken  zu.  Das  griechische 
Stammgebirge  besteht  aus  wesentlich  gleichen  Kalkformationen  wie 
der  Appennin,  ist  mithin  wie  dieser  jüngeren  Ursprungs.    Dagegen 
fioden  sich  am  Ostrand  der  Halbinsel  GebirgsstOcke  mit  krystallinischen 
Gesteinen  und  Metallschjitzen ,  die  einer  alteren  Periode  angehören. 
Dasselbe  gilt  von  den  Inseln.    Das  Aegaeische  Meer  bezeichnet  ein 
grobes  Senkungsgebiet  wie  das  Tyrrhenische,  Asien  und  Griechenland 
machten  ehemab  ein  zusammenhängendes  Ganzes  aus,  die  Inseln  sind 
ak  lelzle  Trümmer  der  verschwundenen  Landmassen  übrig  geblieben 
ond  geben  in  ihrer  Anordnung  die  Streichung  der  verbindenden 
Gebirgszüge  wieder.  In  beiden  Fällen  hat  die  vulkanische  Kraft  ihre 
Thitigkeit  entfaltet  und  den  erlittenen  Verlust  zu  ersetzen  gesucht 
Von  Lemnos  bis  zu  dem  jetzt  noch  nicht  erloschenen  Herd  von  Tbera 
(Saotorin)  hinunter  in  der  ganzen  Ausdehnung  der  Kykladen  lassen 
sich  ihre  Spuren  verfolgen.  Freilich  hat  sie  nicht  vermocht  gestaltend 
auf  den  Bau  des  griechischen  Landes  einzuwirken  und  beansprucht 
keine  nennenswerte  Bedeutung  im  Leben  desselben :  alsErderschüUerer 
galt  den  Hellenen  der  Meergott  Poseidon ,  nicht  Hephaestos  der  Gott 
des  Feuers. 0  Wenn  man  sich  die  Folgen  ausmalt,  welche  die  Ver- 
wandlung des  thermaischen  saronischen  oder  eines  anderen  Busens  der 
Ostseite  in  eine  fruchtbare  Ebene  nach  Art  der  campanischen  gehabt 
haben  würde,  so  möchte  wol  die  Geschichte  von  Hellas  ja  vielleicht  die 
Geschichte  von  ganz  Europa  eine  andere  Bahn  eingeschlagen  haben. 
Während  die  Natur  aus  dem  Füllhorn  ihrer  Gaben  Hellas  die  Mannich- 
faltigkeit  gewährte,  die  Einheit  versagte,  hat  sie  die  ausonische  Schwester 
in  umgekehrtem  Sinne  bedacht  Sie  liefs  durch  die  Aufschüttung  der 
Vulkane  zwei  grolse  Einbuchtungen  des  Appennin  ausfüllen,  erweiterte 
das  Festland  um  mehr  als  150  d.  Quadratmeilen,  schuf  der  lang  ge- 
streckten Halbinsel  eine  behen*schende  Mitte.    Auf  diesem  späten  Zu- 
wachs haben  sich  die  entscheidenden  geschichtlichen  Bildungen  voll- 
zogen, hier  sind  alle  diejenigen  Züge,  welche  die  italienische  vor  anderen 
Landschaften  des  Mittelmeers  auszeichnen,  am  reinsten  ausgeprägt. 
Wir  beginnen  unsere  Beschreibung  mit  einer  allgemeinen  Uebersicbt.'^) 

1)  Vgl.  Preller,  Gr.  Mythologie  I*  p.  455. 

2)  Giovanni  OmboDi,  Geologia  deir  Italia,  Milane  1869. 

Geologia  dltalia  in  3  Abtheilongen  von  Negri  Stoppani  ond  Mercalli, 

Milano  in  der  VaUardi'tcben  Eneyclopadie. 
O.Peschel,  Physische  Erdkunde  heraosg.  t.  G.  Leipoldt,  Leipsig  1879, 

I  201fg. 
Bann  Hochstetter  and  Pokorny,  Allgemeine  Erdkunde,  Prag*  1875. 


250  Kap.  VI.  Der  Vnlkaniunvs. 

§  1.  TbJitige  Vulkane. 

Die  vulkanische  Kraft  in  Italien  hat  seit  dem  Altertum  abgenommen. 
Wir  zählen  gegenwärtig  nur  vier  thätige  Vulkane,  von  denen  je  einer 
dem  Festland  und  Sicilien,  zwei  den  fiparischen  Inseln  angehören.  Die 
Ziffer  verdoppelt  sich  ungefähr  für  das  Ahertum.  Unter  allen  bat  vor- 
nehmlich der  A  et  n  a  die  Aufmerksamkeit  der  Hellenen  auf  sich  gelenkt 
als  der  höchste  Berg  der  ihnen  gemeinhin  zu  Gesicht  kam,  sodann 
wegen  der  Furchtbarkeit  seiner  Ausbrüche.    Zwar  kann  die  Nachricht 
dafs  er  die  Sikaner  in  Urzeiten  durch  Lavaströme  nach  dem  VITesten 
der  Insel  verscheucht  habe ,  nicht  als  ächte  Voikssage  sondern  nur  als 
Vermutung  eines  Gelehrten  gelten,  i)  Aber  aus  dem  fünften  Jahrhundert 
sind  3  oder  4,  aus  dem  vierten  1,  dem  zweiten  4,  dem  letzten  v.  Chr. 
3  gröfsere  Ausbrüche  bezeugt^;  ein  in  der  Höbe  von  2917m  merk- 
würdiger Weise  erhahenes  römisches  Bauwerk  (sog.  torre  M  fUo$ofo) 
beweist  aufserdem  dafs  der  Aetna  damals  nicht  viel  niedriger  gewesen 
sein  kann  als  er  heutigen  Tags  (3313  m)  ist.    Der  nächste  in  ihrem 
Bereich  befindliche  Feuerherd,  die  Gruppe  der  Liparen  hat  die 
Hellenen  gleichfalls  lebhaft  beschäftigt.   Die  wiederholten  gewaltsamen 
Aeufseningen  desselben  gaben  den  Anlafs  die  Inseln  statt  nach  Aeolos 
dem  Herrn  der  Winde  vielmehr  nach  Hephaestos  oder  Vulkan  zu  be- 
nennen.')   Die  nördlichste  derselben  Stromboli  StQoyyvXij  setzt  die 
Arbeit  noch  immer  fort  freilich  in  harmloser  Weise,  indem  der  Kegel 
(921m)  in  regelnfäfsigen  Pausen  von  5 — 10  Minuten  Dampf  Ascbe 
und  Steine  ausstöfst.  Von  den  Alten  wird  die  Helligkeit  der  Flamme 
hervorgehoben,  deren  Mächtigkeit  aberLipara  und  Hiera  nacbgesteHt.^ 
Das  Feuer  von  Lipara,  welches  ehedem  Nachts  weithin  leuchtete,  ist 
jetzt  vollständig  erloschen :  es  brannte  noch  in  der  römischen  Kaiser- 
zeit. ^)  Auch  das  Centrum  des  ganzen  Gebiets  Volcano  hat  seit  hundert 
Jahren  nur  einmal,(1873)  gröfsere  Massen  ausgeworfen  und  beschränkt 
sich  gewöhnlich  wie  der  Stromboli  darauf  zu  rauchen.    Die  22  Dkm 
haltende  Insel  ist  in  historischen  Zeiten  augewachsen.    Sie  hiefe  des 
Hellenen  'leQci  als  Sitz  des  Hephaestos:  der  Schein  seiner  Esse  war  in 
der  Ferne  zu  schauen ,  der  Schall  seines  Hammers  gar  500  Stadien 


1)  l)iod.V  6  und  zwar  des  Timaeos  der  ja  am  Fall  de«  Aetna  lo  Htoie  war. 

2)  Thoc.  III  116  Holm  Geschichte  Sidliend  1 336;  vgl.  §  5  Ende. 

3)  Cic  de  nat  deor.  Ol  55  Piin.  lU  92. 

4)  Strabo  VI  276  Plin.  Ifl  94  (Solin  6, 2)  nach  derselben  Qttdle. 

5)  De  mirab.  aosc.  34. 37.  39  Sil.  Ital.  XIV  56. 


I  1.  Thitige  Ynlkane.  251 


weit  Ternehmbar.  0  Durch  ihreD  Stein-  und  Aschenregen  hat  Uiera 
eine  Landbrttcke  nach  dem  nördlich  anstofeenden  VolcaneUo  auf- 
gesebattet:  nach  Strabo'a  Angabe  war  die  Ari>eit  ziemlich  vorgeschritten, 
iodcsaen  noch  nicht  beendet^  Dies  ist  ?ermutlich  die  Insel,  wriche 
um  183  ▼.  Chr.  aus  dem  Heer  anflauchte  und  sich  dauernd  erhielt^) 
Eine  andere  Insel,  welche  nicht  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden 
kaaD,  entstand  126  ▼.  Chr. 4)  Auch  um  90  y.  Chr.  versetzte  ein  be- 
deutender Ausbruch  die  römische  Staatskirche  in  Aufregung.^)  Aufiier 
dem  Hanptkrater  waren  zu  Strabo's  Zeit  zwei  kleinere  auf  Hiera  thätig. 
Das  dritte  vulkanische  Gebiet  an  der  Nordgrenze  der  hellenischen 
Aosiedlungen  liegend ,  bat  tiefe  Eindrücke  in  den  Mythen  und  Ver- 
stellongen der  fremden  Ankömmlinge  hinterlassen.  Der  Vesuv,  welcher 
jetit  den  Charakter  der  ganzen  Landschaft  bestimmt  und  seit  ISOO 
Jahren  die  heftigsten  Kundgebungen  der  verborgenen  Kraft  offenbart 
bat,  trat  zeitweilig  in  den  Hintergrund.  Strabo  beschreibt  ihn  als  er- 
loachen*):  man  nimmt  gewöhnlich  an  dafs  der  Aschenkegel,  der  heute 
diesen  Namen  führt,  erst  mit  der  Katastrophe,  welche  79  n.  Chr. 
Herctttanum  und  Pompeji  begrub,  auf  dem  Sttdrand  des  allen  Somma- 
kraters  sich  aufgethttrmt  habe.  In  Wiridichkeit  läfst  sich  diese  Annahme 
nicht  beweisen.  Auch  in  der  Neuzeit  hat  der  Vesuv  vor  1631  Jahr- 
hunderte —  wie  Palmieri  meint,  seit  1139  —  geruht  und  war  ganz 
bewachsen.  Daher  kann  es  nicht  befremden  dab  eine  fthnliche  Ruhe- 
pause in  das  Altertum  fUlt;  zudem  wenn  keine  Berichte  von  früheren 
Ausbrüchen  überliefert  sind ,  wird  nicht  aufser  Acht  zu  lassen  sein, 
dafs  die  Umgebungen  des  Vesuv  im  oskischen  Besitz  sich  befanden 
und  damit  den  Hellenen  minder  vertraut  waren  als  die  von  ihnen  selbst 
bewohnte  Nordseite  des  Golfs.  Immerhin  läfst  bereits  Timaeos  das 
pUegraeische  Gefilde  nach  dem  Vesuv  benannt  sein,  der  in  alten 
Zeiten  Fenerströme  ergossen  habe  wie  der  Aetna  auf  Sicilien.^)  Es  ist 
nicht  unwahrscheinlich  dafs  die  ersten  Griechen  denselben  in  voller 
Thatigkeit  gesehen  haben:  man  müfste  sonst  annehmen  dafs  die  Aus- 
bruche irgend  eines  anderen  kleinen  Kraters  dortiger  Gegend,  deren 

1)  Thuc  in  88  Kallias  fr.  4  Mfiller  II  383  vgl.  Theophr.  fr.  165. 
3)  Strab.Vf  275  mit  aosfafarlicher  Beschreiboog;  Aelna  443. 

3)  OffOsiuB  IV  20, 30  nach  unbekannter  Qoelle. 

4)  Stnb.  VI  277  Plin.  II  203  nach  Poaeidonioa.    Der  Praetor  Flaminia  Ut 
123  GonsuL 

5)  Plin.  n  238. 

6)  Stnb.  V  247  Aetna  426. 

7)  Bei  Diodor  IV  21  Tgl.  V  71  Vitmvn6,2. 


252  Ktp.  VI.  Der  Vnlkanianiis. 

übrigens  27  gesähh  werden ,  den  Mythus  von  den  Gigantenkainpfett 
erzeugt  hatten.  Während  jener  oben  erwähnten  lungeren  Rohe  des 
VesuT  hat  die  unterirdische  Kraft  weiter  westlich  einen  Ausweg  gesocbt, 
1198  den  einzig  bekannten,  indessen  nicht  sicher  Tei*bttrgteii  Lava- 
ergurs  der  Solfaiara  bei  PozzuoU  {forum  Vuhani)  bewirkt  und  1538 
am  Avemer  See  den  139  m  hohen  Monte  nuovo  aufgeschüttet.  Aehn- 
lieh  hat  sie  in  den  unserer  Zeitrechnung  voraufgehenden  JaMiuBderfen 
ihren  Hauptsitz  nach  Ischia  verlegt  Ihr  Toben  vertrieb  die  ersten 
hellenischen  Colonisten,  sodann  ca.  470  v.  Chr.  eine  syrakusische 
Besatzung;  im  vierten  Jahrhundert  erfolgte  ein  so  heftiger  Ausbruch, 
dafs  selbst  die  Bewohner  der  festländischen  Küste  sich  auf  die  Flucht 
begaben. >)  Der  bis  792m  aufsteigende  E^omeo^ ETtwnevg  hat  das 
ganze  Altertum  hindurch  seine  Thätigkeit  fortgesetzt  und  unseres 
Wissens  1301  n.  Chr.  beschlossen:  dieser  letzte  Lavaergufs  (Arso) 
unterbricht  als  vegetationsloser  Brandstreifen  noch  jetzt  die  lachende 
Landschaft  der  lieblichen  Insel.  Mit  dem  Gesagten  steht  in  Einklang, 
dafe  die  Mofetten  und  Solfataren  Campaniens  d.  h.  die  Ausdünstungen 
von  Gasen  und  Dämpfen ,  welche  vulkanischen  Gegenden  eignen ,  im 
Altertum  bedeutender  gewesen  zu  sein  scheinen  als  gegenwartig.  So 
wird  eine  Mofetle  auf  dem  kleinen  Eiland  Nesis  Nisida  erwähnt,  die 
nicht  mehr  vorhanden  ist.^)  Auch  am  grofsen  nordcampanischen Vulkan 
der  Rocca  Monfina  war  die  Erkaltung  nicht  in  dem  Mafse  vorgeschritten 
wie  gegenwärtig:  wir  hören  sogar  aus  dem  J.  269  v.  Chr.  von  einer 
Eruption  kleinsten  Stils  die  3  Tage  anhielt.') 

Wir  wenden  uns  endlich  zu  Latium.  Die  Forschungen  der  letzten 
Jahrzehnte  haben  die  zweifellose  Thatsache  ergeben,  dafs  die  Abhänge 
desAlbanerGebirgsin  deijenigen  Epoche  bereits  bewohnt  waren, 
als  dessen  vulkanische  Natur  sich  machtvoll  kund  that.  Am  westlichen 
Fufs  von  Albano  bis  Civita  Lavigna  sind  seit  1817  altertümliche  Gräber 
unter  einer  1/2 — 1  m  dicken  Peperinschicht  aufgedeckt  worden.  Der 
Peperin  (lapis  Albanus)  ist  aus  den  Schlammflüssen  vulkanischer  Aus- 
brüche verhärtet  und  mithin  mufs  jene  Nekropole  durch  solche  ver- 
schüttet worden  sein.   Das  Volk  welches  hier  seine  Todten  verbrannte 
und  in  rohen  nach  Art  einer  Hütle  gebildeten  Aschenkisten  aus  Thon 
beisetzte ,  für  das  altlatinische  zu  erklären  stehen  keinerlei  Bedenken 
im  Wege.   Aber  die  wichtige  Frage,  wie  weit  die  Gräber  zeitlich  hinab 

1)  Strab.V248. 

2)  Lucan  VI  90  SUt.  Silv.  H  2, 78. 

3)  Oros.  IV  4,  4. 


*    f  1.  ThiUge  Vulkane.  258 

reicheD,  kann  vorläufig  nicht  beantwortet  werden.  Man  will  neben 
deD  EreeugniflBen  eines  in  den  Anfif  ngen  befindlichen  Handwerks  auch 
KuprennOnzen  des  LibralAifs  innerhalb  der  Peperinschicht  entdeckt 
haben :  daraus  wQrde  sich  der  Schlufs  ergeben,  dafs  die  letzten  grofsen 
AusbrOche  dem  vierten  oder  gar  dritten  Jahrhundert  v.  Chr.  zuzu- 
schreiben waren.  Indessen  erscheinen  dieFundbericbte  nicht  genügend 
beglaubigt  um  eine  Behauptung  von  solcher  Tragweite  zu  rechtfertigen.  ^ 
Ihre  Zulässigkeit  an  sich  ist  unanfechtbar;  denn  ob  auch  jede  Erinne- 
roDg  an  derartige  Umwälzungen  in  der  römischen  Litteratur  ver- 
schollen ist ,  so  ging  die  Beobachtungsgabe  und  das  Interesse  an  der 
Natur  den  Römern  von  Hause  aus  ebenso  sehr  ab  als  es  die  Hellenen 
seit  Alters  auszeichnete.  Manche  Prodigien  lassen  sich  ungezwungen 
auf  Aeufserungen  des  latinischen  und  eirurischen  Vulkanismus  deuten; 
doch  entbehrt  die  Deutung  der  wünschenswerten  Gewifsheit  (§  5). 

Den  Alten  hat  sich  bereits  die  Erkennlnifs  von  einem  Zusanunen- 
haog  der  getrennten  vulkanischen  Erscheinungen  aufgedrängt.  Pindar 
verleiht  derselben  einen  dichterischen  Ausdruck,  indem  er  den  hundert- 
kOpftgen  Typhon  ab  Urheber  hinstellt:  9,diesem  Feind  der  Götter 
drücken  die  meerumfriedeten  Gestade  bei  Kyme,  drückt  Sicilien  die 
zottige  Brust.**')  Die  beutige  Wissenschaft  geht  noch  weiter:  vom  Fufs 
der  Alpen  bei  Padua  bis  nach  Pantellaria  durch  9  Breitengrade  zieht 
sich  eine  Eruptionsspalte,  welche  mit  örtlichen  Unterbrechungen  ge- 
wirkt hat,  deren  treibende  Kraft  im  Norden  erloschen,  im  Süden  noch 
tbätig  ist  Sie  beginnt  mit  den  Basalten  zwischen  der  Etsch  und 
Vicenza,  den  Colli  Berici  bei  letztgenannter  Stadt  und  findet  nament- 
lich in  den  sog.  Colli  Euganei  zvrischen  Padua  und  Este  einen 
bedeutenden  Miltelpunct.  Diese  bis  610  m  aufsteigende  Hügelgruppe 
mit  ihren  Basalt-  und  Trachytmassen  sowie  altberühmten  Schwefel- 
quellen hat  sich  in  der  Tertifirperiode  durch  submarine  Ausbrüche 
aus  den  Wogen  des  padanischen  Meeres  erhoben,  ähnlich  wie  dies  an 
der  tyrrhenischen  Küste  geschah.  Langst  erkaltet  sticht  sie  doch  scharf 
von  der  umgebenden  AUuvialebene  ab,  erinnert  mit  ihren  feinen  Um- 
rissen an  verwandte  Gebilde  wie  das  Albanei^ebirg  oder  das  Sieben- 
gebirg  bei  Bonn.  Der  Rücken  des  Appennin  und  eine  Entfernung  von 
reichlich  zwei  Breitegraden  scheidet  diesen  nördlichen  Auslaufer  von 
dem  vulkanischen  Gebiet  im  ehgeren  Sinne  des  Worts  ab.   Dasselbe 


1)  Bnlletlinodeir  Inst,  d.corr.arch.  1871  p.  34—53  Anna»itS7l  p.239--79. 

2)  Pylh.l,t5  Slrab.V24S. 


254  Kap.  VL  Der  Vidluiiiamvs. 

erstreckt  sich  über  swei  Breitengrade  43 — 41  <>  und  zerCült  in  eine 
gröbere  Nord-  und  eine  kleinere  SttdbäUte,  die  beide  nachfolgend 
gesondert  beschrieben  werden  sollen.  Ein  Zwischenraum  Ton  aber* 
mala  zwei  Breitengraden  trennt  die  festländischen  Vulkane  tob  den 
sicilischen,  die  mit  den  Liparen  beginnen.  Wir  reihen  deren  Schilde- 
rung an.  Dagegen  wird  das  weitab  liegende  Gebiet  Sardiniens  besser 
in  anderem  Zusammenhang  (Kap.  VIII  2)  berücksichtigt  werden. 

fi  2.  Etrurien  und  Latiuro.O 

In  der  Sodbälfte  des  S.  233  beschriebenen  toscanischen  Högei- 
lands  ungefähr  mit  dem  43.  Breitengrad  treten  bedeutende  vulkanische 
Bildungen  zu  Tage.    Südwestlich  von  Chmum  Cbiusi  erhebt  sich  der 
M.  Amiata  1766  m,  der  höchste  Vulkan  des  italienischen  Continents, 
ein  anderer  weit  niedrigerer  bei  Badicofani  911m.    Thermen  und 
Gasquellen ,  an  denen  dieser  Bezirk  reich  ist ,  zeugen  von  seiner  Be- 
sehaiTeDheit.  Der  M.  Amiata  besteht  aus  Trachyt:  das  nämliche  Gestein 
findet  sich  bei  Campiglia  nördlich  von  Populonia  und  auf  dem  Eiland 
Capraja  (448m).  Geographisch  betrachtet  sind  diese  ersten  vulkanischen 
Bildungen  von  dem  umgebenden  aus  den  verschiedensten  Zeitaltem 
stammenden  Hügelland  nicht  zu  trennen.   Aber  wo  die  dem  letzteren 
entströmende  Paglia  bei  Acquapendente  ihren  Lauf  ostwärts  dem  Tiber 
zuwendet,  stofsen  wir  auf  eine  scharf  ausgesprochene  Natnrgrenze. 
Das  sttdtoscanische  Hochland ,  das  sich  zwischen  dem  Trachytgebirge 
Amiata  und  dem  1142m   hohen   der  Juraformation  angehOrendeo 
H.  Cetona  bei  Chiusi  ausbreitet,  bezeichnet  Herr  vom  Rath  als  „ein 
vieldurchfurchtes  regelloses  unruhiges  Bergland,  dessen  aus  grau- 
blauem pliocänem  Thon  bestehende  Oberflache  theils  wegen  Sterilität, 
theils  wegen  der  eigenthUmlichen  physikalischen  Beschaffenheit  des 
Thons,  sich  nur  mit  spärlicher  Vegetation  zu  bekleiden  vermag.^  So- 
bald wir  das  Flufsthal  durchschritten  und  den  1 50 — 300  m  abstürzen- 
den Uferrand  erstiegen  haben,  befinden  wir  uns  auf  „einer  fast  horizon- 
talen Tafelflache,  welche  nur  durch  schmale  steilwandige  Thalschlnchten 
durchschnitten  wird.     Im  Gegensatz  zum  Appenninland  oder  zum 
Hügelland  Toscana's  wird  der  Horizont  weiter;  Berg  oder  Thal  hemmen 

X)  Brocchi,  deUo  sUto  fisico  del  socio  di  Robm,  R.  1820.  G.  von  Ratk, 
Mineralogisch-geognoBtiscbe  Fragmente  tus  Ilalien,  Zeitschrift  der  deolscbeo 
geologiscbeo  GeseUsehaft  XVDl  (1866)  487  —  606  XX  (1868)  265— 364  XXV 
(1873)  117  —  149:  diese  ebenao  anmutigen  als  lehrreichen  DanteUoDfen  »ad 
im  Folgenden  unsere  Hauptquelle. 


I  3.  £tfiiri€ii  ond  Utiam.  255 

Dicht  mehr  in  gleicher  Weise  den  Blick.  Die  grO&ere  Ruhe  und  Gleich«- 
artigkeit  des  Landes  erldchtert  die  AufTassung  der  bezeichnenden 
Fonoen  der  Bodengestaltung  auch  dort,  wo  die  relativen  Hohen  nur 
geriag  sind^.    Das  zusammenhangende  vulkanische  Gebiet  erstreckt 
sich  von  der  Paglia  bis  zu  den  Volskerbergen  (S.  238)  auf  einer  Lange 
TOD  annähernd  20  d.  Meilen.  Es  wird  im  Osten  auf  einer  Strecke  von 
10  Meikin,  von  der  Einmündung  der  Paglia  unterhalb  des  etruskischen 
YoUmi  Orvieto  bis  zum  Soracte ,  durch  den  Tiber  begrenzt,  dessen 
Thal  gleichfalls  tief  eingesenkt  ist.  Es  mifst  hier  eine  durchschnittliche 
Breite  von  8  Meilen.    Wo  der  Tiber  den  inselförmigen  Soracte  um- 
flieftend  nach  SW  dem  Heer  zustrebt,  springen  die  Sabinerberge  vor 
uod  engen  die  vulkanische  Ebene  auf  die  halbe  Ausdehnung  ein.  Das 
Gaaze  ungefilbr  den  zwanzigsten  Theil  der  Halbinsel  umfassend  stellt 
^ich  als  eine  Einheit,  mit  dem  Appennin  verglichen  als  ein  Flach- 
land dar  und  verdankt  seinen  einheitlichen  Charakter  dem  Umstand 
dafs  es  durch  gleiche  Kräfte  in  einer  verhaltnifsmafsig  jungen  Periode 
vom  Meeresboden  gehoben  worden  ist.    Die  geognostische  Zu* 
saoimensetzung,  welche  durch  die  Erosionen  der  Flüsse  aufge- 
schloseen  ist,  wiederholt  sich  aller  Orten  in  der  Hauptsache  überein* 
stimmend.    Als  älteste  Schicht  erscheint  der  graublaue  pliocäne  Thon, 
in  seiner  unteren  Hälfte  reich  an  Versteinerungen,  in  seiner  oberen 
Hälfte  merkwürdiger  und  unerklärter  Weise  davon  ganz  frei:  er  tritt 
bald  sandig,  bald  mergelig  oder  rein  auf,  wird  und  wurde  von  den 
Töpfern  aufgesucht  und  verarbeitet. i)    Darüber  lagert  ein  versteine- 
rungsreieher  gelber  Mergelsand,  vidfach  mit  Thonschichten  durchsetzt 
und  zu  einer  regelmäfsigen  kalkig-sandigen  Breccia  verkittet.    Diese 
beiden  Gnindechichten  sind  dem  vulkanischen  Gebiet  mit  dem  ganzen 
übrigen  Subappennin  gemeinsam.  Der  beste  Kenner  des  römischen 
Vulkanismus  unter  den  Lebenden,  Giuseppe  Ponzi>)  unterscheidet 
nach  den  Versteinerungen  drei  Elagen  des  gelben  Sandes,  zu  denen 
wie  erwähnt  zwei  im  Thon  hinzukommen.  Als  sechste  und  letzte  Etage 
des  römischen  Pliocän  rechnet  Ponzi  ein  Geschiebelager  aus  vom 
Appennin  stammenden  Kalk-  und  Feuersteinstücken,  in  welchem  die 
Knochen  grofser  Säugelhiere  angetroffen  werden.    Der  Boden  des 
pliocänen  Meeres,  dessen  Schichtung  soeben  dargelegt  ward,  ist  durch 
unterseeiscbe  Ausbrüche  erhöbt  worden.    Die  Vulkane  überschütteten 

1)  Javenal  6, 344  VaUeano  fragilei  de  monte  patellai  MartUl  118, 2  u.  a. 

2)  Aofser  den  bei  6.  vom  Raih  aDgeffihrten  Schriften  desselben  vgl.  den 
Nachtrtg  zn  Brocchi  Storia  flsica  del  bacino  di  Roma,  R.  1867. 


256  Kap.  VI.  Der  VulkaDismi». 

die  weite  Flüche  mit  Tuffmassen,  deren  Mächtigkeit  auf  mehr  als  100' 
im  Mittel  geschlltxt  wird.    Der  Taff  {i^fu»  ein  in  Italien  gebildetes 
griechisches  Lehnwort  fi  5)  ist  aus  ausgeworfenen  Sdilacken  Asche 
und  Sand  auf  mechanischem  VIfege  entstanden.    Seine  ^eidunüGrige 
Lagerung  wurde  durch  das  einebnende  Meerwasser  berbeigefohrt.  Er 
ist  äufserst  arm  ao  organischen  Resten,  sieht  zerstört  aus  meist  braun 
doch  auch  grau  und  gelb.  Im  Einzelnen  finden  sich  viele  locale  Varietäten. 
Im  römischen  Gebiet  i)  unterscheidet  «lan  namentlich  den  lockeren 
Bröckeltuff  {tufa  giranvlare)  von  dem  selteneren  wegen  seiner  leichten 
Bearbeitung  bei  erträglicher  Festigkeit  zu  Bauten  verwandten  Steintuff 
(iufa  lüoide).  Beide  Arten  verwittern  leicht  zu  einem  fruchtbaren  Erd- 
reich. Eine  Abart  des  Bröckeltuffs  ist  die  Puzzolana  (arena  nigra  und 
rfi^a%  welche  mit  Kalk  vermischt  einen  unverwOstlichen  Mörtel  giebt 
Erst  nach  der  Bildung  der  Tuffschichten  ist  das  Meer  zurückgewichen; 
alsdann  haben  jüngere  Vulkane  und  Flüsse  das  Relief  des  Meeresbodens 
umgestaltet    Auf  die  Wirkung  dieser  Factoren  geht  die  Gliederung 
der  Ebene  zurück.   Sie  zerlUlt  in  drei  Landschaften :  die  mitteletru- 
rische  oder  volsiniscbe,  die  südetrurische  oder  vejentische,  die  lati- 
nische oder  albanische.  Zwei  grofse  Erhebungsmassen,  das  ciminische 
und  Tolfagebirgc  trennen  die  volsinische  von  der  vejentischen ,  das 
breit  ausgewaschene  Thal  des  Tiber  die  etrurische  von  der  latinischen 
Landschaft.  Alle  drei  sind  durch  runde  Seebecken  ausgezeichnet,  die 
an  Ausdehnung  im  Appennin  wol  ihres  Gleichen  finden,  aber  die 
appenninischen  Seen  an  Tiefe  oft  zehn  und  zwanzigfach  übertreffen. 
So  platt  das  Land  von  einem  höheren  Aussichtspunct  sich  dem  Auge 
darstellt,  ist  es  doch  von  zahllosen  Schluchten  durchzogen,  deren 
Wunde  hunderte  von  Fufsen  senkrecht  aufsteigen.    Das  abflieisende 
Wasser  hat  diese  Rinnen  durch  den  lockeren  Tuff  genagt.  Die  grdfseren 
Strombetten  wachsen  auf  mehrere  Kilometer  Breite  und  300  m  Tiefe. 
Die  ungeheuren  Erosionen  führen  ebenso  wie  die  Geröllmassen, 
welche  die  Flüsse  ehedem  bewegten,  auf  die  Vermutung,  dals  in  der 
sog.  Diluvialzeit  der  Abfiufs  bedeutend  gröfser  gewesen  sein  mufs  ab 
gegenwärtig;  freilich  ist  solche  Annahme  bisher  nicht  befriedigend 
erklärt  worden.  Wie  dem  auch  sei,  in  das  geschichtliche  Leben  hat  die 
Zerklüftung  des  Bodens  bedeutsam  eingegriffen,  die  Anlage  von  SUdten 
ungemein  befördert    Für  solche  war  der  Platz  an  denjenigen  Orten 
vorgezeichnet,  wo  zwei  Thalschluchten  unter  spitzem  Winkel  sich  mit 


I)  F.  HoSmann  ia  Beschreibung  Roms  I  45  fg. 


f  2.  Etnirien  and  Lattnm.  257 

einander  f ereioigien :  hier  bedurfte  nur  der  bthmus,  welcher  die  uoi- 
schlossene  FUlche.mit  dem  Uhrigen  Plateau  verband,  eines  kttnsUichen 
Schutzes;  der  ganie  andere  Umkreis  war  durch  die  Steilheil  des  Stadt- 
febens  geucherL  Der  im  Gegensatz  zum  inneren  Appennin  früh ,  ja 
vor  aller  Erinnerung  erfolgte  Städtebau  dieser  Gegenden  ist  vorwiegend 
darch  die  Eigentttmlichkeit  des  Terrains  veranlafst  worden. 

Wir  haben  die  nördliche  volsinische  Landschaft  nach  der 
Metropole  des  alten  Elruriens  benannt;  ihren  Namen  bewahrt  das 
grolse  Seebecken,  welches  die  natürUche  Mitte  einnimmt.  Der  Grenzen, 
welche  im  Norden  die  Paglia,  im  Osten  der  Tiber  gegen  das  vulkanische 
Gebiet  ziehen,  ward  oben  gedacht.  Im  Nordwesten  bei  Suana  Sovana 
ist  der  Uebergang  zum  Subappennin  minder  schroff.  Im  Westen  Mt 
er  ungefähr  mit  dem  Lauf  der  Armenta  Fiora  zusammen.  Die  Ebene 
liegt  in  ihrem  nördlichen  Theil  3 — 500  m  hoch  und  dacht  sich  aUmfllich 
nach  dem  Meer  zu  ab.  Die  Senkung  des  Bodens  ist  schon  an  den 
Wasserläufen  kenntlich:  dem  Tiber  wenden  sich  nur  kurze  Bflche  zu, 
die  längeren ,  unter  ihnen  als  bedeutendster  die  dem  See  von  Bolsena 
eQtfliefsende  Martßf  halten  eine  südliche  Richtung  inne.  Unweit  der 
Küste  bei  CetUumcellai  Civita  vecchia  ist  dasTolfagebirge,  welches 
den  Horizont  des  Römers  im  Nordwesten  begrenzt,  ab  Scheidewand 
aufgerichtet.  In  verworrenen  Zügen  erstreckt  es  sich  auf  5  Meilen 
Lange  von  Torfiitfitt  Corneto  bis  Caere  Cervetri,  auf  4  Meilen  Breite 
rom  Meer  bis  an  das  Sabatinische  Becken.  Der  höchste  Gipfel  bei 
Tolfa  mifst  615m.  Der  Kern  ist  Trachyt,  umlagert  von  Kalk  und 
Sandstein.  Es  enthalt  Marmor,  Gruben  von  Alaun,  Eisenstein  und 
Bleigianz,  sogar  Spuren  von  Gold.  Wegen  dieser  Vorkommnisse 
rechnet  Herr  vom  Rath  dasselbe  als  letztes  Glied  dem  toscanischen 
Erzgebirge  zu  (S.  233).  Bekannter  ist  der  Name  der  zweiten  Berg- 
masse, welche  das  mittlere  von  dem  südlichen  Etrurien  trennt:  eilva 
Cminia  oder  ealius  (mom)  Ctnimms,  jetzt  meistens  nach  dem  am  Nord- 
fufs  gelegenen  Viterbo  benannt  Im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  bildete  es 
den  Grenzwall  zwischen  dem  freien  Etrurien  und  der  aufstrebenden 
Macht  Roms:  Livius  erinnert  an  die  Wildnisse  Germaniens  um  seine 
Unnahbariieit  zu  kennzeichnen.^)  Von  Nord  nach  Süd  zieht  sich  ein 
breiter  aus  Trachyt  bestehender  Kamm,  dessen  höchste  Spitze  1056  m 


1)  1X36  Silva  erat  Ciminia  mögt*  tum  invia  atque  horrenda  quam  nu- 
p^fuert  Germaniei  ioUiu  nulii  ad  9am  dimn  ne  mereatorum  quidem  adita; 
Flor.  112,3. 

Niss«a.  ItaL  UuidMlnnd«.  I.  17 


258  Kap.  VL  Der  Vulktnifiorat. 

aufeteigt.  Er  liegt  auf  derselben  Linie  mit  den  beiden  bervorragendaten 
vulkanischen  Gipfeln,  dem  M.  Amiata  und  M.  Cav«,  Ast  genau  in  der 
Mute«  Nach  Südwesten  verbreitert  sich  der  ftacken ,  die  von  der  Yi§ 
Ciminia  ttbersdirittene  Pafshohe  betrigt  866  m.  Hier  schlielst  sich 
ein  machtiger  Krater  von  1  d.  M.  Durchmesser  an.  Der  Kraterwall, 
welcher  im  Norden  d06  m,  im  Westen  975  m  mibt,  miki  im  SOden  I»» 
605m  ein.  Die  Tiefe  wird  vom  locus  Cimmnu  Lago  di  Vico  (Seespiegel 
519m)  eingenommen,  der  jelzt  12  Dkm  bedeckt,  seitdem  der  Abflufg 
künstlich  tiefer  gelegt  worden  ist,  ehedem  17  Dkm  bedeckte  und  dea 
883  m  hohen  Centralkegel  M.  Venere  rings  umspülte.  6.  vom  Rath 
hsh  es  für  „^ne  Berggestaltung ,  deren  Gleichen  unsere  Erde  nur 
wenige  darbietet^.  Auch  dem  Laien  erweckt  der  Ari^k  das  GefDhl 
des  Geheimnifsvollen ;  ahnliche  Eindrücke  hat  er  bei  den  Alten  hervor- 
gerufen: die  Sage  liefe  eine  Stadt  auf  dem  Grund  des  Sees  veraonkcn 
sein  oder  liefe  Hercules  mit  seiner  Keule  die  tiefe  Höhlung  sefaiageD.  0 
Der  Riesenkrater  aus  Tuff  Lava  und  Schlacken  aufgebaut,  mufe  seine 
Thatigkeit  weithin  erstreckt  haben.  Südwärts  von  demselben  gewährt 
ein  Engpafs  mit  unmerklicher  Steigung  —  die  Wasserschride  bei  vkm 
Mairini  le  Capannaccie  liegt  470  m  —  eine  natürliche  VerMnduDg 
zwischen  Mittel-  und  Südetrurien:  die  via  Castia  folgt  ihr,  die  rümiscbe 
Grensfestung  Sutrhtm  sperrt  den  Ausgang  (ehmitra  Rrwriae).  In 
Mitten  des  so  umschriebenen  Gebiets  dehnt  sich  der  runde  laeui  VW- 
iMenm  über  eine  Flache  von  114  Dkm  aus.  Der  Umfang  des  ein- 
schliefsenden Höhenzugs  betrügt  etwa  8,  der  Durchmesser  2>/s — 3  d. 
Meilen.  Wenn  die  altere  Ansicht  richtig  wäre,  welche  in  diesem  Becken 
einen  ehemaligen  Krater  erkennen  wollte,  so  würde  derselbe  alle  be- 
kannten Feuerschlünde  auf  Erden  dreimal  an  Gröfse  übertreffen.  Aber 
die  heutige  Wissenschaft  erklart  die  Entstehung  vielmehr  aus  einer 
vulkanischen  Bodensenkung:  die  Seetiefe  erreicht  140m,  der  Spiegel 
bei  302  m  Meereshöhe  liegt  etwa  200  m  unter  der  umgebenden  Hoch- 
ebene. Die  westliche  Umwallung  ist  durch  den  jüngeren  Kraterrand 
▼on  Latera  verschoben.  Hier  bat  sich  ein  Kreistfaal  gleicher  Ausdeh- 
nung wenn  auch  geringerer  Erhebung  als  das  oben  erwähnte  cimi- 
niscbe  mit  einem  Centralkegel  und  einem  kleinen  See  gebildet:  eine 
Solfatara  zeugt  von  seiner  vulkanischen  Natur.  Eine  Reihe  anderer 
Auswurfsstellen  sind  nachgewiesen  worden  z.  B.  in  der  volsiniscfaeD 


1)  AniBian  XVn  7, 13  SoUon  42  (Physici  ei  medid  Graeci  ndnorefl  ed.  Melff 
1 188)  Serv.V.  Aen.Vn  697. 


I  2.  Etnuricn  und  Latiun.  259 

bid  HarUBa  und  im  dem  am  Sddafer  des  Sees  615m  hoch  ragenden 
Beif  f  Ol  Monlefiaseone,  der  ehedem  Termutlich  das  gemeinmme  Heilig-* 
tma  ißt  Elrvaker  das  famm  V^tim$iai  trug. 

Die  Yejentische  Landschaft  wird  im  SW  auf  einer  7  d.  H« 
hagea  Linie  yom  Heer,  im  W  nnd  NW  von  den  oben  erwähnten  in 
der  LullKnie  ungefikhr  9  d.  M.  messenden  Gebicgen  begrenzt.  Nach  den 
akjgen  Weltgegnnden  NO  0  SO  auf  einer  annähernd  15  d.  M.  langen 
Strecke  scheidet  die  3 — 51un  breite  Niedening  wekbe  der  Tiber  in 
nftcandrischen  Winduagen  dwciiiieht,  das  vulkanische  vom  ^>pen- 
liaischen  Gebiet,  Etnirien  von  Latium.    In  frühen  lahrbnnderten  hat 
Vqi  ober  diese  Gegenden  geherrsebt  imd  die  römische  Nebenbuhlerin 
gerrnme  Zeit  hindurch  in  Zaum  gehalten.  Das  Plateau  ist  bedeiUend 
niedriger  als  das  vokiaische  und  kann  im  Mittel  nicht  hiAer  als  200m 
gerechnet  werden.  Die  höchste  Anschwellung  findet  sich  bei  den  cimi- 
ttiichen  und  sabattnischen  Vulkanen :  von  hier  laufen  die  Bache  sbrdden* 
fbnnig  nach  allen  Richtungen  der  Windrose  zwischen  NO  und  SW 
ans.    Berr  vom  Rath  vergleicht  die  Oberflächengestaltung  mit  den 
BiUungen  unserer  Eifel:  »dort  wie  beer  babtn  wir  es  mit  einem 
Liidsirich  iu  thun ,  in  wekhem  die  einzelnen  vulkanischen  Schlünde 
nicht  eine  sehr  lange  Dauer  ihrer  Thatigkeit  bewahrten  «nd  sich  nicht 
10  kdien  Kegeln  gestalteten ;  die  unterirdischen  Kräfte  brachen  viel- 
Mhr  bald  hier  bald  dort  wechselnd  hervor;  es  bildeten  sich  in groÜBer 
ZaU  jene  Maare,  in  denen  amn  Anfänge  der  Vulkane  erkennt    E» 
eaiBtand  aber  kein  dMninirender  Vulkan ,  der  durch  unzählbar  sich 
wiederholende  Lava-  und  Ascben-Erupiionen  ein  Gebirge  um  einen 
CentraiscUund  anflbaute.^    Der  locus  SahoimuM  Lago  di  Braoeiano 
■innnt  eine  ähnliche  Stellung  ein  wie  sein  nördlicher  Bruder  von 
Bobena,  dessen  halbe  Gröfse  er  erreicht.  Der  fast  ungestiHrte  Kreis- 
mnfang  mifst  4  d.  IL,  der  Durehmesser  8  km,  der  Flächeninhalt  reich- 
lich 1  d.  OM.  Die  Meereshohe  des  Spiegels  beträgt  160  m,  die  Tiefe 
350m.  Der  Abflnls  Arrone  mUndel  bei  Fre§€M$  Maccanese  ins  Meer. 
Wie  bei  dem  vobiniscben  Kessel  erhebt  sich  die  Umwallung  nicht  in 
entsprechender  Hohe  lur  horizontalen  Ausdehnung.    Zwar  steigt  im 
N  weithin  sichtbar  der  spitce  Kegel  der  Rocca  Romana  601  m  auf; 
aber  im  W  S  0  sinkt  der  Rand  auf  250— 320  m  ein.  Der  Rand  Mit 
steil  zum  schmalen  Seenfer,  dacht  sich  nach  aufaen  ganz  allmälich 
ab.  Herr  vom  Rath  vergieicht  diese  Anschwellung  nach  Bau  und  Aus- 
dehnung mit  dem  unten  lu  besprechenden  albanischen  RingwaU, 
leugnet  indefe  dals  das  Becken  als  ehemaliger  Krater  aufzufassen  sei, 

17* 


260  Kap.  VI.  Der  Vallunismus. 

and  fuhrt  dessen  Ursprung  auf  eine  Tulkanische  Senkung  zurück. 
Immerhin  finden  sieh  in  seiner  nUcfasten  Umgebung  so  viele  Aasbruch- 
stellen, dals  hier  neben  dem  ciminisdien  der  zweite  Centralherd  vul- 
kanisdier  Thätigkeit  erkannt  werden  mufs.  Die  Ausbuchtung,  welche 
die  Uferlinie  im  N.  bei  Sabaie  Trevignano  unterbricht,  sowie  eine 
minder  hervortretende  an  der  S  Seite  stellen  sich  als  Krater  dar«  Drei 
andere  liegen  nördlich  dem  ciminischen  Wald  zugewandt,  die  meisten 
jedoch  und  bedeutendsten  ostwärts  vom  See.  Ich  erwähne  den  Uuus 
AkiuiHus  Lage  di  Martignano :  bei  209  m  Meereshohe  fliefst  er  durch 
einen  unterirdischen  Emissar  in  den  Sabatiner  See  ab.  Darüber 
(223  m)  der  kleinere  Lage  di  Stracciacappa,  vor  beiden  das  Thal  von 
Baccanae  Baccano  (210  m),  welches  die  Via  (kissia  in  tiefen  Durch* 
schnitten  passirt  Der  See,  welcher  ehedem  den  Kessel  einnahm,  ist 
durch  wiederholte  zum  Theil  von  den  Alten  herrührende  Einschnitte 
entwässert  worden.  Noch  weiter  östlich  liegt  ein  Krater  bei  So^fano, 
dessen  Gipfel  der  402  m  hohe  M.  Musino  von  Rom  aus  in  die  Augen 
füllt.  Freilich  heben  sich  am  römischen  Horizont  alle  diese  vulkanischen 
Berge  von  Tolfa  Bracciano  Baccano  und  Viterbo  entfernt  nicht  mit 
gleichem  Ausdruck  ab  wie' der  zackige  Rücken  des  appenniniscfaen 
Soracte  (S.  238). 

Die  latinische  Landschaft  erreicht  nur  die  halbe  Ausdeh- 
nung der  volsinischen  oder  vejentischen:  die  Vorhöhen  des  Appennin 
sind  etwa  5  d.  Meilen  vom  Meer  entfernt    Auch  liegt  sie  bedeutend 
niedriger,  da  die  mittlere  Erhebung  des  Plateaus  auf  50 — 60m  ge* 
schxtzt  wird.  Ferner  unterscheidet  sie  sich  dadurch  von  Etrurien,  dafe 
die  vulkanischen  Kräfte  nicht  über  einen  gröfseren  Raum  zersplittert, 
sondern  an  einem  einzigen  Puncte  gesammelt  wurden.  Zwar  kommen 
ein  paar  vereinzelte  Maare  vor:  der  jetzt  in  den  Anio  abgeleitete  laem 
Gabmui  Lage  di  Castiglione,  eine  fiadie  Einsenkung  von   l^/s  km 
Durchmesser,  der  Lago  di  Giulianello  am  Fufs  der  Volskerberge  u.  a. 
Doch  sind  dies  Bildungen  sehr  untergeordneter  Art,  der  latinische 
Vulkanismus  erhielt  seine  eigentümliche  Gestaltung  im  Albaner  Ge- 
birg.   Aus  der  sttdwflrts  durch  die  pontinischen  Sttmpfe  und  das 
Thal  der  Herniker  fortgesetzten  Tuffebene ,  ungefähr  1  d.  Meile  von 
den  Sabiner  und  Volsker  Bergen  abgerückt,  baut  sich  ein  Ringwall 
auf,  dessen  äufserer  Umfang  annähernd  9,  äufserer  Durchmesser  3  d.  M. 
beträgt    Unter  sanften  Vi^inkeln  von  2— 3<>  beginnend,  auf  5 — 8^ 
wachsend  erhebt  er  sich  5— 600  m  über  seiner  Umgebung.    Nur  zwei 
Drittel  des  Umfangs  sind  erhalten ,  nach  Vi^esten  ist  er  durchbrochen. 


f  3«  Etrnrien  und  Lailuinr.  261 

Der  innere  Durchmesser  mifst  11  km.    Der  Südrand  M.  Artemisio  ist 
der  höchste,  bis  940m.    Im  Osten  sinkt  er  bei  dem  Pafs  la  Cava,  den 
die  Via  Latina  benutzt,  unter  600  m.  Der  Älgidus  im  Norden,  welcher 
rechtwinklig  an  die  Einsenkung  anschliefst,  steigt  wieder  auf  767m 
um  sich  bei  Tuseulum  auf  570m  zu  erniedrigen.   Der  von  aufsen  so 
sanft  geneigte  Ringwall  Mt  einwärts  steil  ab  nach  einem  halbmond- 
förmigen 4 — 5  km  breiten  Thal  Val  diMolara.  Aus  diesem  bei  5 — 600  m 
Meereshöhe  gelegenen  Atrio  —  wie  man  nach  der  beim  Vesuv  üblichen 
Bezeichnung  sagt  —  steigt  der  Centralkegei  auf  einer  kreisförmigen 
7km  Durchmesser  haltenden  Basis  unter  einem  Winkel  von  etwa  20^ 
auf.  Der  Kegel  trägt  den  grofsen  Campo  d*Annibale  geheifsenen  Krater, 
wie  die  Sttfswasserablagerungen  beweisen ,  einst  ein  Seebecken ,  das 
753  m  über  Meer  hegend  eine  innere  Weite  von  3  km  hat  Die  Um- 
waDung  des  Kraters  ist  gerade  wie  der  äufsere  Ringwall  an  einer  Seite 
nämhch  im  Nordwesten  zertrümmert  und  sinkt  an  tiefster  Stelle  auf 
750  m.  Dagegen  steigt  sie  in  dem  durch  den  latinischen  Juppitertempel 
ahbertthfflten  mans  Albanus  M.  Cavo  jäh  bis  954  m  auf,  noch  etwas 
höber  956  m  in  einem  südlichen  dem  M.  Artemisio  gegenüber  befind- 
lichen Puncte.  Das  Albaner  bedeckt  einen  gröfseren  Flächenraum  als 
das  Vesuvgebirge  mit  16km  Durchmesser  und  48km  Umfang,  steht 
ihm  aber  an  Schroffheit  und  Höhe  nach.   Herr  vom  Rath  erklärt  diese 
Thatsache   aus  dem   verschiedenartigen  Bau   beider:    während  der 
vesuvische  Ringwall  viele  unzerstörbare  Lavabänke  einschliefst,  ist  der 
albanische  aus  lockeren  Tuffen  und  Aschen  zusammen  gefügt,  welche 
von  den  Regengüssen  abgespült  werden.    Das  äufsere  Gehänge  weist 
über  100  radial  geordnete  Tbalmulden  auf,  durch  welche  nach  starkem 
Regen  „gelbbraune  Ströme  brausen  und  eine  unermefsliche  Menge 
der  fruchtbarsten  Erde  dem  Meere  zuführen^.  An  der  geöffneten  Seite 
des  äufseren  Ringwalls  liegen  nach  Südwest  zusammengedrängt  4  ellip- 
tische Kraterseen.  Der  ausgezeichnetste  ist  der  locus  AUnmus  am  Fufs 
des  M.  Cavo.   Der  Seespiegel  ist  durch  den  antiken  der  Sage  zufolge 
397  V.  Chr.  gebrochenen  Emissar  auf  294  m  flxirt.  Die  Längsaxe  mifst 
3V)km,  die  Queraxe  2V6km,  die  Tiefe  156m.    Die  Ufer  steigen  jäh 
unter  Winkeln  von  über  45^  an,  am  höchsten  bis  540  m  unteriialb  des 
M.  Cavo.  Etwas  kleiner  ist  der  südlich  gelegene  locus  Nemannsis  der 
Kessel  von  Nemi.   Ein  antiker  Emissar,  welcher  das  Nordende  aus- 
getrocknet hat,  flxirt  den  Seespiegel  zu  325  m.  Die  Tiefe  soll  etwa 
100m  betragen,  ebenso  viel  wie  der  steile  Abfall  der  umgebenden 
Kraterwände.    Zwischen  dem  Albaner  und  Nemisee  nach  der  Ebene 


262  Kap.  VI.  Der  YnlkanisBUS. 

2U  befindet  sieb  der  Keseel  iMin  Ark9a\A  d'Ariecia  mit  ca  2km  Durck- 
messer.  Der  Nordrand  Mit  bei  der  Stadt  (416  m)  fast  aankraohtn 
dem  299  m  gelegenen  Seeboden  ab.  Indefs  der  gröbere  Tbeü  der 
UmwallUng  erbebt  sich  nur  20 — iO^miber  demselben,  im  Süden  aogar 
nur  ein  paar  Fnfe ,  so  dafe  ein  offener  Graben  aur  Entleenuig  des 
Sees  genOgte.  Endlicb  noch  weiter  westlieh  bei  188  m  HeereskAhe 
befindet  sich  das  kleine  ausgetrocknete  Maar  il  Lagtetto,  deaaen  iloh 
randimg  ca  1  Vs  km  Durchmesser  hat  Neben  den  EuMenkmgen  feUt 
es  nicht  an  verschiedenen  Seitenkegeln ,  welche  durch  seitlicbe  Aus- 
bräche aufgethürmt  sind :  ein  derartiger  Paraat  ist  z.  B.  die  Anhöhe 
(400  m)  welche  VilitrM  Velletri  einnimmt,  sowie  der  Stadärtigel  von 
labumm  Colonna  (360  m). 

Der  Feuertierd,  dessen  Schlote  wir  eben  aufzählten,  ist  erateot- 
zflndet  worden  nachdem  die  Ebene  mit  ihrer  Toffdeeke  aus  den  Fhitan 
aufgetaucht  war.  Die  Froducte  desselben  unterscheiden  sich  deshalb 
Ton  den  tfUeren  Tuffen  dadurch  dafe  sie  ohne  die  Hitwirkung  des 
Meerwassers  entstanden ,  deren  gleichmafsige  Teriiindung  und  Lage- 
rung entbehren.  Das  Gebirge  besteht  hauptsächüek  aus  einem  lockoren 
Gestein ,  das  Lava  S^erone  heilst.    Es  tritt  in  machtigen  Banken  auf, 
geht  an  der  Oberfläche  in  Gonglomerate,  scMtefsiieh  in  lose  Sobichlen 
ttber,  wie  niederfallende  Schlacken  und  Aschen  seldie  bitden.  Es  be- 
ilecki  einen  Raum  Ton  etwa  11  d.  DM.  und  erscheint  TieUhch  aber 
den  durdi  ihre  Homogeneitat  gekennzeichneten  marisen  IMbb  ab 
jüngere  Schiebt  gehgert    Die  Römer  haben  den  Stein  bei  Gabii  ge- 
brochen und  zu  Bauten  verwandt  (bpi$  GahmuB).    Von  harter  Lau 
(atfap),  welche  das  unTerwttstUche  Material  antiker  StralsenpSaBtenrng 
Hefeite,  sind  eine  Reihe  von  Stroasen  nadigewiesen  worden.    Zwei 
derselben  Hieben  nach  Rom  zu  und  flbertreffea  an  Auedehsmg  aDe 
Oberhaupt  bekannten  des  Fesdandes:  der  eine  trägt  auf  aeinem  Racken 
die  ehrwardige  Via  Appia  und  endigt  am  Grabmal  der  CMCÜia  Helalla; 
der  andere  westlichere  endigt  bei  Aquacetosa  unweit  der  Strafse  nacb 
Ostia  6  km  vor  Porta  S.  Paolo.    Wegen  ihrer  bequemen  Bearbeiteaf 
lieferten  und  liefern  die  Tuffe  den  gewöhnlichen  Baustein,  werden  aber 
an  Festigkeit  und  gefillligem  Aussehen  vreit  ttbertroffen  durch  ein  Ge- 
bilde, das  9,in  diesw  Weise  von  keinem  anderen  Puncto  der  Erde  bisher 
bekannt  geworden^  ist.    Diese  graue  im  Bruch  frische  gUuiseade 
Breccia  enthält  Einschlüsse  von  schwarzer  Lava  und  weifsem  EaJk  in 
solcher  Menge,  dab  sie  gleichsam  aus  huter  Pfefferkörnern  zusanuaea- 
gebackt  zu  sein  scheint:  daher  rahrt  der  aus  dem  Altertum  bezeugte 


I  3.  Gampanien.  268 

VolgärMme  kifi$pipmnm*^)  Die  claMiseben  Scbriftsieller  beseichoen 
ihn  Mch  8«iiieni  Fundort  als  lapii  Albamu.  Er  igt  auf  einen  nngefiffar 
1  d.  DM.  gnbeu  Bezirk  beschrankt,  in  dessen  Mitte  der  Albaner  See 
liegt  Die  Eioiassiuig  des  Sees  besteht  ganz  aus  Peperin ,  der  hier  in 
einer  Mächtigkeit  von  2 — 300  m  auftritt.  Da  er  an  den  Grenzen  seiner 
Veri)reitnng  nur  Decken  von  Vi — i^a  bildet,  seist  sein  Ursprung 
eben  in  diesem  Krater  zu  suchen.  Und  zwar  gehört  er  zu  den  jüngsten 
Erseugnissen  der  latinischen  Vulkane.  Die  ausgeworfenen  Aschen  und 
LapiUi  wurden  durch  Regengflssot  welche  bei  heftigen  Ausbrüchen  oft 
vorkommen  ({  5),  in  eine  breiartige  Masse  verwandelt  und  Sehlamm- 
Strome  walzten  sich  in  die  Ebene  hinab,  die  Pflanzendecke,  deren  Ab- 
drücke noch  wahrgenommen  werden,  sowie  die  Nekropolen  der  alten 
Latiner  (S.  2(2)  auf  ihrem  Wege  verhüllend  und  dann  allmalich  er- 
starrend. Die  Vulkane  haben  den  Haustein  geliefert,  dessen  sich  Rom 
am  meisten  bediente^  aber  nicht  denjenigen ,  welchem  die  Architektur 
der  ewigen  Stadt  ihre  MajeMt  verdankt.  Dies  ist  der  lapii  Tiburiinm 
Travertin,  entstanden  aus  den  KalkniederschlXgen  des  Anio.  Aehnliche 
Bildungen  haben  die  übrigen  Flüsse  des  Appennin  wie  Velinus  Liris 
Voltnmus  Sarnus  Sifairus  hervorgebracht  und  sehen  wir  noch  immer 
vor  uBsem  Augen  entstehen.  Die  oberen  Schichten  sind  porOs  und 
voller  Pflanzenabdrücke :  in  der  That  hat  die  chemische  Untersuchung 
gelehrt,  daft  Wassermoose  und  Algen  die  Ausscheidung  der  Kalktheile 
und  damit  die  Steinbildung  veranlafst  haben.  Der  Hügel  den  das  alte 
Tibur  einnimmt  (245  m),  besteht  aus  diesem  Gestein ;  zu  seinen  Pttfeen 
in  der  Ebene  dehnen  sich  weite  bis  30m  machtige  Lager  aus,  denen 
die  goldgelben  Quadern  des  Colosseum  und  der  Peterskirche  ent- 
stammen. Sie  stellen  ehemalige  Seebecken  dar  und  erinnern  uns  von 
Neuem  an  die  unmefsbare  Zeitdauer  wddie  verstreichen  mufste,  bevor 
die  schaflenden  Kräfte  der  Natur  diesen  classiscben  Boden  dem  Wasser 
abgerungen  hatten. 

§  3.  Campanien.^} 

Die  lange  Reihe  von  Feuerschlünden,  die  wir  mit  dem  M.  Amiata 
beginnend  aufgezahlt  haben,  findet  am  Albaner  Gebirg  ihren  Abschlufs; 
auf  einer  Strecke  von  ca  1 00  km  streichend  trennen  die  Volskerberge 

1)  Isidor  XIX  10,  8. 

2)  J.  Roth,  der  Vesuv  and  die  Umgebnng  von  Neapel,  Beriin  1857.  &.  vom 
Bsth,  der  Vesnv,  Beriin  1873  (Sammlang  wfat.  Vortrige  von  Virchow  oud 
HoltiendeHr  Heft  18»).  L.  Pslmieri,  i1  Vesavio  e  la  soa  atoHa,  MUsno  1880. 


264  Kap.  VI.  Der  Volkanismas. 

die  mittelitalische  von  der  campanischen  Vulkangruppe.  Jedoch  wird 
eine  Verbindung  zwischen  beiden  durdi  kleinere  Auswnrfstelien ,  die 
aus  dem  Tertiär  des  Tremsthals  auftauchen,  angedeutet.  Unweit 
Fiereii/inttiii  bei  Ticchiena  und  südlich  von  Fnuino  bei  Pofi  (295  m) 
erheben  sich  zwei  Kegel  mit  Lava  Schlacken  und  allen  Zeichen  er- 
loschener Thätigkeit  Am  unteren  Lauf  des  Liris  sodann  betreten  wir 
wieder  zusammenhängendes  vulkanisches  Gebiet.  Es  füllt  eine  ehe- 
malige Appenninbucht,  die  als  Halbkreis  nach  SW  geöffnet  zwischen 
den  Vorgebirgen  von  Caieta  Gaeta  und  Minmva  della  Campanella  ein- 
drang. Der  Durchmesser,  durch  den  Abstand  der  genannten  Vorgebirge 
bezeichnet,  ist  reichlich  90  km  lang;  der  bis  2057  m  aufsteigende  Stock 
des  Matese  bildet  den  Schlufsstein  des  Bogens.  Breite  Einsenkungen, 
jetzt  Flulsthäler  unterbrechen  den  Zusammenhang  des  Bogens;  auch 
erhoben  sich  Gebirgsinseln  in  dem  pliocänen  Meer  wie  der  motu 
Ma$9ieu$  (875  m)  bei  Sinuessa,  der  M.  Maggiore  (1037  m)  bei  Coteusw. 
So  konnten  die  vulkanischen  Mächte  sich  einnisten  und  mit  Erfolg 
ihre  aufbauende  Thätigkeit  eröffnen.  Geschlossen  dehnt  sich  der  vul- 
kanische Bezirk  etwa  über  13  d.  M.  Länge  bei  einer  von  4  auf  2  d.  M. 
sinkenden  Breite  aus.  Indessen  sind  seine  Gebilde  viel  tiefer  landein- 
wärts verbreitet:  der  Tuff  kommt  bis  600m  Meereshöhe  aufgelagert 
vor,  dringt  bis  AUifae  am  Volturnus,  bis  Aiclanum  Mirabella,  bis  ins 
Val  di  Tramonte  zwischen  Amalfi  Hind  Salemo.  Die  Bildungs- 
geschichte  Campaniens  stimmt  in  der  Hauptsache  mit  der  oben 
dargelegten  von  Etrurien  und  Latium  Uberein,  doch  sind  die  vul- 
kanischen Erscheinungen  hier  weit  reicher  und  mannichfaltiger.  Wir 
haben  zwei  Perioden  eine  ältere  und  jüngere  zu  unterscheiden.  Durch 
unterseeische  Ausbrüche  ist  der  pliocäne  Meeresboden  erhöht  und  der 
untere  gelbe  Tuff  hervorgebracht  worden,  welcher  in  der  ganzen  Land- 
schaft wiederkehrt.  Er  ist  aus  Bimsteinstückchen  von  10 — 15mni 
Durchmesser,  Trachytgrufs,  losen  Krystallen  von  Feldspath  usw.  zu- 
sammen gesetzt.  Die  gleichmäfsige  wagerechte  Schichtung  sowie  die 
Einschlüsse  von  Seemuscheln  liefern  den  Beweis  für  seine  Entstehungs- 
art. Die  Mächtigkeit  der  Bänke  ist  aufserordentlich  grofs:  bei  einer 
Brunnenbohrung  in  Neapel  reichte  der  feste  Tuff  79  m  unter  den 
Meeresspiegel,  darauf  53  m  vulkanisches  Geröll  mit  Mergeln  wechsel- 
lagernd, endlich  durchstiefs  man  weitere  87  m  Muscheln  führende 
Mergelschichten,  aber  auch  diese  wechsellagerten  mit  Tuffen.  Die 
nämlichen  Bestandtheile  finden  sich  unverbunden  in  dem  lockeren 
grauen  Tuff  wieder,  der  jüngeren  Datums  nicht  im  Meer  sondern  durch 


§  3*  Ganpinien.  265 

Niederfall  aus  der  Luft  geschichtet  ist.  Er  lagert  über  dem  marineD ; 
ihm  gebdren  jene  Hassen  an,  die  wir  im  Innern  von  Samnium  und  bis 
lur  Meereshohe  von  600  m  antreffen  {tufo  di  iraspwto).  Die  Auswurf- 
lioge  sind  vom  Winde  so  weit  fort  getrieben  worden.  An  dieser  That- 
Sache  darf  man  keinen  Anstofs  nehmen :  liegen  doch  dieselben  LapiUi, 
welche  Pompeji  verschütteten ,  haufenweise  auf  dem  Kamm  des  M.  S. 
Angelo  (1443m)  und  flog  bezeugter  Mausen  die  vesuvische  Asche  bei 
grofsen  Ausbrüchen  nicht  blos  über  die  Adria  sondern  bis  Constan- 
tinopel.  Spater  als  die  trachytischen  Tuffe  erfolgte  die  Bildung  des 
Leucitgesteins,  welches  dem  Vesuv  und  der  Rocca  Monflna  allein 
eignet,  dagegen  Ischia  und  den  Kratern  westlich  von  Neapel  fehlt. 
Aus  Leucitophyr  besteht  der  Auswurfskegel  des  Vesuv  sowie  der  obere 
Tbeil  des  Ringwalls,  desgleichen  der  Wall  der  Rocca  Monflna.  Dies 
schwarzgraue  Gestein,  auch  Vesuvstein  genannt,  mag  es  nun  je  nach 
den  verschiedenen  Bedingungen,  unter  denen  es  erstarrte,  als  dichte 
oder  porüse  Lava,  als  Sand  oder  Aschenstaub  auftreten,  umschliefst 
stets  Leucit  und  Augit.  Der  Leucit  ist  „das  kalireichste  unter  allen 
bisher  untersuchten  Gesteinen^  (21 ,5  pC.  Kali  55  Kieselsäure  23,5  Thon* 
erde).  Der  Augit  enthält  neben  Kieselsaure  Magnesia  Eisen  und  etwas 
Thon  23  pC.  Kalk.  Die  Bodenmischung,  welche  aus  der  Verwitterung 
dieser  Mineralien  entsteht,  weist  die  günstigsten  Verhallnisse  auf.  Das 
KaU  ist  ein  wesentliches  Nahrungsmittel  der  meisten  Pflanzen,  nament- 
lich der  Reben :  wenn  nun  eine  Analyse  des  Herrn  vom  Rath  uns  be- 
lehrt, dafs  die  Laven  der  Rocca  Monflna  an  Kaligehalt  die  vesuvischen 
im  Mittel  um  das  Doppelte  übertreffen ,  so  erklärt  sich  der  Ruhm  des 
edlen  Falemers.  Vulkanische  Gegenden  sind  ja  durchweg  fruchtbar, 
aber  der  reichere  Segen ,  welcher  Campanien  im  Vergleich  zu  Mittel- 
italien beschieden  ward,  ist  wesentlich  auf  die  länger  andauernde 
Thätigkeit  seiner  Vulkane  zurückzuführen.  Solche  hat  noch  in  anderer 
Weise  bestimmend  eingewirkt.  Das  Wasser  vermochte  nicht  den  Boden 
zu  zerklüften,  wie  in  Etrurien  und  Latium  geschah,  weil  wiederholte 
Ausbrüche  alsbald  die  Höhlungen  einebneten.  So  ist  Campanien  wie 
sein  Name  besagt  eine  Ebene,  eben  in  ganz  anderem  Sinne  als  von 
jenen  Landschaften  gilt. 

Im  Norden  und  Süden  an  den  beiden  Rändern  der  ehemaligen 
Appenninbucht  hat  das  unterirdische  Feuer  sich  seine  Auswege  ge- 
bahnt In  der  Mitte  durchschneidet  der  Volturnus  der  Hauptflufs  Süd- 
italiens das  gelbe  Tuflland.  Oberhalb  nahe  am  Lins  erhebt  sich  ein 
Ringgebirge,  das  in  der  Litteratur  nach  dem  Flecken  Rocca  Mon- 


266  Kap.yi.  Der  VolkttiUmoB. 

f ina  benannt  wird:  wie  es  in  Altertom  hiefi»,  wiasen^  wir  nichts  An 
seinem  sttd westlichen  Fnfe  liegt  die  Auninkerstadt  Summ,  an  seinem 
sttdfleitichen  Pub  die  Sidicinerstadt  fMNitim.  Es  bedeckt  eine  Fltche 
von  annähernd  56  km  Umfang  und  18  km  Durchmesser,  nimmt  also  an 
Ausdehnung  swischen  Albaner  und  Vesuvgdbirg  seinen  Piati  ein.  Unter 
sanften  Winkebi  steigt  der  Ringwall  (Monte  deUe  Gortinelle)  bis  lu 
einer  Hohe  von  926  m  auf,  fällt  schroff  zu  einem  hdbmondfi>niMgeB 
Atrio  (Pratalunga)  ab.  Nur  die  NWHfllfte  der  Umwallung  ist  eriiakeD. 
Die  SOHllfte  ist  versdiwunden  und  durch  ein  niedrigeres  fast  zu- 
sammenhangendes Hügelland  mit  vielen  Kratern  ersetzt.  Der  um* 
schlossene  Raum  hat  einen  inneren  Durchmesser  von  4,6  km.  Er  um» 
giebt  eine  Gruppe  von  7  centralen  Kegeln ,  deren  höchster  M.  Santa 
Croce  1005  m  erreicht  Diese  keine  Spur  eines  Kraters  entbaltoide 
Gruppe  besteht  aus  Trachyt,  dagegen  das  Atrio  und  der  RingwaU  am 
Leucitgestein ,  von  dessen  chemischer  Zusanmiensetzung  schon  oben 
die  Rede  war.  Auch  führten  wir  S.  252  eine  Nacbricbt  an,  welche  auf 
die  letzten  Regungen  der  erloschenen  Kraft  hinweist  Wlhrend  die 
vulkanische  Thätigkeit  hier  an  einem  einzigen  Puncte  gesammelt  auf- 
tritt,  Aubert  sie  sich  im  Süden  Campaniens  auf  einer  weslOstlichen 
Spalte  durch  drei  verschiedene  Feuerherde.  Der  eine  umfalst  Ischia 
,^das  wahre  Trachyteiland ,  auf  welchem  dies  Gestein  in  allen  Weisen 
des  Vorkommens  sich  darstellt^.  Seiner  ehemaligen  Ausbrüche  und 
seiner  nunmehr  fast  6  iahrhunderte  andauernden  Ruhe  ist  8.  252  ge- 
dacht worden.  Die  nicht  ganz  1  d.  DM.  hallende  Insel  ist  verhlltnifs- 
mflfsig  spflt  aus  dem  Meer  erhoben  worden :  bis  zur  Höhe  von  ca.  500  m 
findet  sich  eine  Mergelthonschicht  mit  Einschlüssen  von  Schalthiereni 
die  den  noch  lebenden  Arten  entsprechen.  Die  Wogen  haben  viel 
Land  abgespült,  denn  der  Umfang  mufs  ehedem  grOfeer  gewesen  sein. 
Die  Alten  wollten  auch  in  Prvehyta  Procida  ein  losgerissenes  Stock 
von  Amaria  erkennen  und  haben  es  danach  benannt  >)  Allein  die 
Geologen  leugnen  einen  solchen  Zusammenhang  und  weisen  die  flache 
Tuffinsel  (66  m)  nebst  der  anstofsenden  109  m  hohen  Klippe  Vivan 
dem  System  der  Phl^graeischen  Gefilde  ab  Glied  zu.  Unter  den  ver- 
brannten Gefilden  (jTtedlov  Wley^alov,  media  %a  Okfyfata)  verstand 

1)  Abich,  Ober  die  Natur  und  den  Zasammenhang  der  vnlkaaisclien  Bil- 
dungen, BrauDSchweig  1841,  mit  schöner  Karte  (1 :  75000):  dazu  G.  vom  Rith, 
Zeitachr.  d.  D.  g.  G.  XXV  p.  245. 

2)  Stnb.  V  247  Plin.  m  82  Serv.V.  Aen.  IX  216.  Einen  ZosammeDhtiif 
beider  mit  dem  Festland  nimmt  Strabo  I  60  VI  258  an. 


§  3.   GinptnieB.  267 

man  onprflDglich  die  ganie  Ebeoi»  sQdiich  vom  VoUurniu ,  recknete 
oanentlkli  den  VesOT  als  Tornehmeles  Zeugnife  voii  den  Gigenten- 
kimpfen  und  dem  eiioscfaenen  Feuer  hinzu*  0  Die  jüngeren  Quellen 
bodifittken  den  Namen  auf  die  Umgebung  ?on  Kyme.^)  Die  heutige 
Wiseneehaft  wendet  ihn  auf  das  ganze  am  Nordrand  des  Golfe  von 
Neapel  ach  hinziehende  vulkaniache  Gebiet  an.  Da  letzteres  in  seiner 
fiiidug  wesentlich  vom  Vesuv  abweicht ,  Iflfet  der  moderne  Sprach- 
gebrauch aus  Bequemlichkeit  sich  rechtfertigen. 

Die  Phlegraeiscben  Gefilde  bedecken  einen  Raum  von 
uDgeikhr  3  d.  QiL^  tet  ein  Viertel  weniger  als  der  Vesuv;  ihr  grobter 
Durchmesser  mifst  nicht  ganz  3  d.  M.  Sie  bestehen  aus  Trachyt  mit 
fiel  Bimstein  und  Feldspath.  Und  zwar  überwiegt  der  Tuff  durchaus 
fiker  festere  Gesteine.  Die  vereinzelt  dem  Tuff  eingeschalteten  Blinke 
▼OD  solchen  kefem  den  eigentümlich  geflammten  Pipwnot  eine  trachy- 
tache  Lanra,  die  ab  Baustein  geschfttst  wird.  Zu  dem  Vorwiegen  des 
Tuffs  kommt  als  orographisches  Merkmal  der  Gegend  der  Mangel  einer 
Mute,  eines  centralen  Kraters  hinzu.  Wer  vom  Kloster  Gamaldolif  dem 
bodist  gelegenen  Punct(455m)  oder  dem  kühn  aubtrebenden  Gap 
Misenum  (i68m)  Umschau  halt,  seine  Augen  an  einem  Bild  ohne 
Gleichen  weidet,  wird  sich  Rechenschaft  zu  geben  suchen,  wie  die 
eigenartige  Gestaltung  der  Landschaft,  dies  Ineinander  von  Meer  und 
Land  hat  entstehen  können.  Der  Grund  liegt  in  dem  unsUlten  Wesen^ 
te  die  Macht  des  Feuers  hier  getrieben  hat  Sie  brach  aus,  schüttete 
einen  Krater  auf,  lieb  ihn  nach  einmaligem  Gebrauch  unbenutzt  liegen^ 
Nach  hundert-  oder  tausendjährigem  Schlummer  in  der  Tiefe  auffahrend 
schlag  sie  eine  neue  Bahn  ein,  baute  wiederum  einen  Krater,  zerstörte 
dabei  gelegentlich  einen  Theil  ihres  früheren  Werks.  Die  ErrichUing 
desM.  nuovo,  über  welche  glaubwürdige  Berichte  vorliegen,  ist  in 
(fieser  Hinsicht  lehrreich.  Nach  starken  anhaltenden  Erdbeben  Offnele 
sich  am  29.  September  1538  ein  Schlund  am  Avemer  See,  um  Mittag 
begann  der  Aschenregen,  die  Asche  flog  über  15  d.  M.  weit,  knickte 
im  Umkreis  von  1  Vi  d.  M.  durch  ihre  Last  alle  Bäume.  Innerhalb 
48  Stunden ,  welche  der  Ausbruch  dauerte,  war  der  Berg  fertig:  em 
Kegel  mit  20<^  mittlerer  Neigung,  139m  Hohe  und  einem  fast  bis  auf 
den  Meeresspiegel  sinkenden  Krater.  Als  Nachspiel  hat  er  in  den  ersten 
Octobertagen  anber  Asche  auch  Steine  ausgeworfen,  welche  zum  Theil 


1)  Thnaeos  bei  Diod.iy21  V7i  Pol.  H  17  10  91. 

2)  SM>.y243  Plin.niet  XVm  11t. 


268  Kap.  Vi.   Der  Volkanismug. 

mehr  als  30  d.  M.  entfernt  in  Calabrien  nieder  fielen.  Dann  hat  er  noch  bis 
Januar  1539  geraucht  und  ist  seitdem  völlig  erkaltet.  Diese  jüngste 
Schöpfung  hat  die  Formen ,  welche  die  Umgegend  im  Altertum  leigte, 
erheblich  verändert,  namentlich  den  berühmten  Lucriner  See  in  einen 
schmalen  unansehnlichen  Teich  umgewandelt.  Zugleich  gewährt  sie 
einen  sicheren  Anhalt  um  das  Relief  der  ganzen  Landschaft  zu  erklaren ; 
denn  die  Entstehung  der  übrigen  Krater  wird  auf  ahnliche  Vorgange 
alterer  Zeit  zurückzuführen  sein.  In  Betreff  ihrer  Zahl  schwanken  die 
Gelehrten:  der  verdiente  Breislak  bestimmte  sie  auf  27,  davon  sind 
indessen  manche  undeutlich.  Ganz  oder  grüfstenteils  unversehrt  ist 
die  Umwallung  des  locus  Avemw  (Umfang  des  Sees  3  km  Tiefe  65  m) 
des  mens  Gaurus  (Krater  von  Campiglione)  des  forum  Vukani  Solfatara, 
des  Eilands  JVmiNisida,  ferner  Astroni,  Pianura,  Agnano,  Fossa  Lupara, 
Qgliano  usw. ;  mehr  oder  weniger  zerstört  die  UmwaUung  von  Procida 
Misenum  u.  a.  Ob  die  gestreckten  Bergrücken ,  welche  zu  den  ge- 
schlossenen und  hufeisenförmigen  WaUen  sich  gesellen,  wie  der  PosUip 
und  Capodimonte,  an  dessen  Abhang  Neapel  sich  anldmt,  als  Brudi- 
stücke  verschwundener  Kraterrander  zu  deuten  seien,  lafst  sich  nicht 
mehr  ausmachen. 

Eine  vom  Bach  Sebethus  Sebeto  durchflossene  ca.  4  km  breite 
Niederung  scheidet  die  phlegraeischen  Gefilde  vom  Vesuv.  Wahrend 
das  unterirdische  Feuer  dort  einem  Irrwisch  gleich  bald  an  diesem 
bald  an  jenem  Punct  hervorbrach ,  war  es  hier  an  einen  bestimmten 
Ort  gebannt ,  hat  eine  feste  dauernde  Verbindung  mit  der  Oberfläche 
sich  geschaffen,  durch  ungezählte  und  unzahlbare  Ausbrüche  einen 
machtigen  Schlot  von  gegenwartig  1282  m  Hohe  aufgethünnt    Auf 
drei  Seiten  von  einer  flachen  Ebene ,  auf  der  vierten  vom  Meer  an- 
steigend erscheint  der  Berg  gewaltiger  als  er  wirklich  ist    Man  sieht 
den  Gipfel  vom  Strand  in  Neapel  unter  dem  Hohenwinkel  von  4<^  36', 
den  M.  S.  Angelo  bei  Stabiae  (1443  m}  nur  unter  2^  30'  und  Capri  gar 
unter  36'.  Der  Vesuv  ruht  auf  einer  runden  Basis  von  16  km  Durch- 
messer, 48km  Umfang  und  fast  4  d.  DM.  Inhalt.    Die  Neigung  gegen 
die  Ebene  betragt  anftnglich  3^  gegen  das  Heer  4®  24'.   Bei  595  m 
Hohe  theilt  sich  der  Berg  in  zwei  Gipfel.    Der  nördliche  heilst  jetzt 
M.  Somma:  eine  bogenförmig  gekrümmte  viel  dnrchftirchte  Bergwand, 
die  in  ihrer  höchsten  Spitze  (Punta  di  Nasone)  t]37m  erreicht.  Die 
Wand  steigt  steil  an  (23—250)  und  ßlilt  noch  viel  steiler  (50— TO^') 
nach  einem  etwa  300  m  niedriger  gelegenen  Thal  (Atrio  del  Cavallo) 
ab.  Die  Sohle  jetzt  825  m  mofs  im  Altertum  bedeutend  tiefer  gelegen 


f  3.  Gamptnien.  269 

haben;  denn  lahllose  LavastrOme  haben  seitdem  hier  eingemündet 
uDddeo  Boden  fortwährend  erhobt  Das  Thal  5  km  lang  800  m  breit 
mnspannt  ungefidir  ein  Drittel  des  Kreises.    Es  hat  eine  hohe  Wahr- 
scheinlichkeit, dafs  der  M.  Somma  ehedem  sich  weiter  fortsetzte  und 
emeD   geschlossenen  Ringwall  von  4 — 5  km  innerem  Durchmesser 
bildete.  Ein  BnichstUck  dieses  zerstörten  Ringes  erblickt  man  in  der 
Anhöhe  (610  m)  welche  das  weltbekannte  Observatorium  trügt    Sein 
Verlauf  nach  Süden  wird  durch  eine  ebene  Zone  (le  Piane)  angedeutet, 
die  vor  Jahrtausenden  noch  deutlicher  hervortreten  mufste.  SteUen 
wir  uns  nun  den  Ringwall  in  Gedanken  her,  so  erhebt  sich  in  Mitten 
des  umhegten  Raums  der  thfltige  Aschenkegel,  auf  den  man  in  der 
Neuzeit  den  Namen  Vesuv  zu  beschranken  pflegt  Auf  einer  Rasis  von 
ca  2800  m,  unter  einer  mittleren  Neigung  von  31^  steigt  der  Kegel 
ca  450  m  über  der  Sohle  des  Atrio  empor.    Er  erreicht  gegenwärtig 
1282m  Meereshohe.    Aber  da  die  Ausbrüche  —  umgekehrt  wie  beim 
Aetna  —  mit  seltenen  Ausnahmen  vom  Gipfelkrator  erfolgen,  so  ändert 
«ich  die  Gestalt  des  Kegels  und  ist  seine  Hohe  beträchtlichen  in  den 
letzten  Jahrhunderten  volle  2 — 300  m  umfassenden  Schwankungen 
nnterworfen  gewesen.    Gewaltsame  Ausbrüche  haben  mehrfach  die 
Spitze  abgesprengt  und  den  Kegel  unter  das  Niveau  der  Somma  er« 
oiedrigt:  vieljährige  gemessene  Arbeit  hat  sodann  den  Schaden  wieder 
ausgeglichen,  bis  ein  neuer  Wutanfall  des  Giganten  den  Rau  zerstörte. 
Wir  würden  dem  Rorger  der  guten  Stadt  Pompeji  Dank  vnssen ,  der 
aus  Verdrufs  an  den  ewig  vriederholteu  idealen  Küsten-  und  Feialand- 
Schäften  seinem  Stubenmaler  aufgegeben  hätte  ihm  die  Umrisse  des 
heimatlichen  Vesrius  abzuschildern.  Aber  solange  wir  einer  derartigen 
Beihfllfe  entraten ,  bleiben  die  Cborographen  über  viele  und  vrichtige 
Dinge  im  Unklaren.    An  den  äuberen  Gehängen  zogen  sich  in  der 
Kaiserzeit  oberiialb  der  Weingärten  Wälder  hin,  die  seitdem  spurlos 
verschwunden  sind.  0    Im  Atrio  vmdis,  wie  wir  gelegentlich  des 
Fechterkriegs  erfahren,  73  v.  Chr.  viel  wilder  Wein.^)  Ueber  die  GrOfse 
des  Aschenkegels  und  dessen  Veriiältnifs  zum  Ringwall  fehlt  eine 
deutliche  Aussage :  weder  Strabo  der  als  Augenzeuge  zu  Anfang  unseref 
Zeitrechnung,  noch  Dio  der  in  gleicher  Eigenschaft  zwei  Jahrhunderte 
später  den  Rerg  beschreibt,  haben  ihn  selber  bestiegen.  Reide  scheinen 
den  Kegel  für  einen  Theil  des  Sommawalls  anzusehen:  ersterer  mufs 

1)  Dio  LXVI  21   Procop  b.  Goth.  11  4  BuUettino  deir  Inst.  d.  c  a.  1866 
p.  250. 

2)  Flut  Grass.  9  (vgl.  Oro8.V  24,  1). 


270  Kap.  VI.  Der  Valkanitmiis. 

^niDach  weit  abgefibrtteter  gewasen  sein  ak  wir  iha  kennea.O  Aber 
am  seiDtfm  Vorhasdensein  ist  kaum  eu  iweifela.  Wenn  wir  erwAgea, 
dafs  der  Vesnvkrater  vor  der  Kalaatroj^»  Ten  1631  mil  allen  WaU- 
banmen  bestanden  «nd  das  Atriomit  Sennhütten  besetat  war,  so  deutet 
der  vian  Strabo  betonte  Mangel  an  Vegetation  dwanf  hin ,  dafs  die 
Hohepause  im  Altertum  eine  Tiel  kttrzere  Daner  mnfnfate  als  in  der 
Neuzeit  (S.  251).  Wir  werden  aueh  gern  darauf  Verzieht  leisten  eine 
Hauptepoche  in  der  Büdungsgeschichte  des  Beiiges  aeitlidi  enmtleln 
lu  woHen ,  sobaU  wir  deren  Alter  in  Betracht  sieben.  Der  Fufe  des 
Gebirges  bis  zur  Höhe  von  600  m  besteht  aus  trachytisdien  TttBm. 
Zuunterst  liegt  gelber  mariner  Tuff,  sei  es  dafe  der  Krater  sich  unter- 
seeisch gelrildet,  sei  es  dafs  er  bei  seiner  Bildung  altere  horizontale 
Schichten  aufgerichtet  hat.  Darttber  folgt  grauer  atmosphärischer  Tuff» 
der  wie  bemerkt  ohne  Mitwirkung  von  Meerwasser  entstanden  ist 
Der  oberste  5 — 600  m  messende  Kranz  besteht  aus  Leucitgestein  und 
gehört  der  zweiten  Periode  vulkanischer  Thatigkeit  an ,  welche  in  den 
pUegraeischen  Gefilden  nicht  zum  Ausdruck  gelangt  ist.  Wahrend 
der  SommawaU  seit  historisch  bekannten  Zeiten  die  nördliche  Ebene 
gegen  die  feurigen  Fluten  geschützt  hat,  ergossen  sich  einstmds  au& 
dem  Sommakrater  Lavaströme  auch  nach  dieser  Gegend  (Soainia,  Noia, 
Ottaiano).  Auf  dem  Absturz  eines  Lavastroms,  der  alle  neuerea 
vesnvisdien  Ströme  an  Lange  und  Mächtigkeit  fibertrifll,  ist  das  ahe 
Pompeji  erbaut  Vereinzelt  ist  die  Somma  auch  seitlich  auagebrochea: 
ein  derartiger  Seitenkegel  (185  m)  tragt  das  Kloster  Gamaldoli  ddb 
Torre.  Das  hohe  Alter  des  Gebirges  beweisen  femer  die  Minenliea, 
wekhe  der  graue  Tuff  der  Somma  umhüllt.  Herr  vom  Bath  nucht  39 
namhaft  und  erklärt  den  Vesuv  für  die  reichste  Min^ralfondstitte  der 
Erde:  „eine  einzigartige  Erscheinung,  um  so  auffallender,  wenn  man 


t)  Sinib.  V  247  (^  xo^vq>^)  ittliKSog  pikv  nokv  /cci^ioc  ictlv,  oJMr^ac 

xgiSv  (d^akmöwv  xari  tijv  X9^^^>  ^(  ^^  ixfieß^^iivwv  vno  »vfoc*  1^ 
LXVI  21  läfst  den  Ausbruch  von  79  aus  dem  grorsen  Sommakrater  erfolgen 
und  diesen  durch  den  Ausbruch  ausgehöhlt  sein:  ijv  fjtiv  nore  nav  ifioliH 
viptjkov  xal  an^  ccvrov  (düöv  xo  Ttvp  dvhskXev  ....  Xf3v  di  iv  rq»  ^dof 
x^avif^4v/»ivwv  xal  xe^^avfihmv,  ai  fikv  nigiS  xo^v^pal  xb  i^x^"^^  ^f^ 
iQ  ifv^Q  ^ovci,  xo  d^  Ißjtv^v  jiuv  6anavfi9kv  iv  X(f  X^^  xolkov  ix 
xov  awl^eiv  yfyovev,  Saxe  xwrfysxixi^  xivl  ^idxgip  xo  OQoq  avfJExav,  m^ 
ptue^  (uyakoiq  cixacai,  ioueiimi.  Um  irrige  ScUüsse  abzuwehren,  sei  daran 
erinnert  dafs  Dio  in  Gapua  schrieb  (LXXYI  2),  also  den  SommawaU  vor 
Augen  hatte. 


f  3.  CcnpaDien.  271 

die  Amat  an  maniiichfacheB  und  schönen  Mineralien  erwAgt,  welche 
Ar  die  Vvlkane  im  AHgemeinen  charakteristisch  ist  So  hat  der  mlich- 
tige  Aetna  keine  Spur  der  beBeicbnenden  Vesnvmineralien  geliefert. 
Wol  aber  finden  sich  einige  derselben ,  wenngleich  selten,  im  Albaner 
Gebirg,  dessen  geologischer  Bau  flhnücber  Art  ist,  wie  der  des  Vesuvs. 
Die  mineralreichen  Kalhblöcke  können  nicht  im  engeren  Wortsinne 
vulkanische  Erzeugnisse  sem,  sie  scheinen  vielmehr  umgewandelte 
BrucbstOckedesAppennio  eu  sein,  w<dche  durch  die  vnttanischen  Erup- 
tionen sind  losgerissen  und  verändert  worden  *.    Seit  70  n.  Chr.  sind 
die  groben  Ausbruche  veneichnet,  seit  1631  hat  der  Vesuv  als  Labo- 
ratorium gedient,  an  dem  die  Wissenschaft  die  vulkanischen  Erscfaei- 
noDgen  begreifen  lernte.    Die  Amalen  des  Vesuv  berichten  viel  des 
Gewaltigen  Furchtbaren  Schreckenden,  und  doch  müssen  die  Um- 
wälzungen unendlich  grofsartiger  und  gewaltiger  gewesen  sein,  auf 
welche  kein  Strahl  der  UeberKefening  Mit. 

Die  Kalkauswttrflinge  im  Tuff  der  Somma  kommen  bei  »eueren 
Ausbrachen  nicht  mehr  oder  doch  ttufserst  selten  zu  Tage.  Die  unter- 
irdischen Verbindungen  der  vulkanischen  SchmekstXtte  mk  dem  Kalk- 
gmnd  des  Appennins  scheinen  verstopft  zu  sein.  In  UrzeiCe«  waren 
sie  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  offen.  Durch  die  Breite  der  Halb- 
iusel  zieht  sich,  wie  S.  242  erwähnt,  eine  vulkanische  Spalte,  auf 
welcher  der  Epomeo  von  Ischia,  der  Vesuv  und  100  km  in  der  Luftlinie 
TOD  letzterem  entfernt  der  Ytdtur  liegen.  In  der  Mitte  zwischen  beiden 
befindet  sich  der  von  den  Alten  mehrfach  erwähnte  laous  Ampmmetus 
Meflta  bei  Frigento  (unweit  der  Via  Appia  zwischen  Aidtmum  HiraMla 
und  Trivicum  Trivico),  ein  Haar  mit  der  stärksten  Gasquelle  in  Italien. 
Einige  Stunden  westlich  von  Boras'  Heimat  l^tiita  Venosa,  am  rechten 
Ufer  des  AufUtus  OEanto  ragt  majestätisch  aus  dem  Httgelland  der 
Vültur  empor. 9  Der  Umfang  der  Basis  mifiit  gegen  6  d.  BL,  kommt 
also  dem  Vesuv  nahezu  gleich.  Hit  sanftem  Gehiinge  steigt  der  Wall 
an  und  erreicht  in  seiner  höchsten  Spitze  {Punta  di  S.  Michele  oder 
Pizzuto  di  Melfl)  1328  m.  Nach  innen  stürzt  er  ca  400  m  steil  ab. 
Es  ist  keine  ebenmdfsig  gekrümmte  Wand:  vielmehr  bildet  sie  im 
Osten  hei  der  höchsten  Spitze  einen  rechten  Winkel,  ähnlich  wie  wir 
solches  am  albanischen  Gebirge  kennen  lernten  (S.  261).  Der  grOfsere 
Theil  der  Umwallung  fehlt,  so  dafs  der  Centralkrater  nach  Westen  dem 
Ofanto  zu  geöffnet  ist.  Auch  der  Centralkegel  erscheint  zerstört  und 


1)  Abich  (S.  266  A.)  mit  Karte. 


272  Kap.  VI.  Der  YalkanlMBOs. 

^ein  regelmftrsiges  Aufrichten  um  ein  gemeinschaftliches  Centrum  nicht 
deutUch  wahrzunehmen'*.  An  die  albanischen  Maare  erinnern  die  bei- 
den tiefen  Zwillingsseen  von  Monticchio.  Sie  liegen  am  offenen  Sad- 
Westrand  bei  700  m  ü.  Meer.  Die  basaltische  Formation  macht  nun  bald 
der  appenninischen  Platz,  das  Terrain  senkt  sich  rasch  hinunter  lum 
Ofanto  (300  m).  Am  äuberen  Gehänge  des  Walls  finden  sich  mehrere 
Seitenkegel:  man  will  im  Ganzen  12  Krater  zählen.  Ihre  Thätigkeit 
filUt  vor  aller  Geschichte:  Ausdunstungen  von  Kohlensäure  an  den 
Seen  gemahnen  allein  an  die  erloschene  Kraft.  In  gleicher  Weise  ist 
es  mit  den  westlichen  Fortsetzungen  der  groGsen  Querspalte  gegangen. 
Von  Ischia  5  d.  M.  entfernt  liegt  das  Trachyteiland  PandaUtha  Vento- 
tene  (1 39  m),  einst  wie  es  scheint  mit  der  Klippe  S.  Stefano  (68  m)  rer- 
bunden  einen  Krater  bildend.  Weitere  5  d.  M.  nach  Nordwest  erreicht 
man  die  Pontinische  Inselgruppe,  bestehend  aus  PotiliaPonza 
Sinonia  Zannone  Palmaria  Palmarola  ndist  einzelnen  Klippen.  Das 
Meer  hat  sie  auf  einen  Bruchtheil  ihres  ehemaligen  Umfange  beschränkt 
Ponza  (283  m)  wie  Palmarola  (262  m)  stellen  sich  durch  ihre  Form 
als  Ausschnitte  von  Kraterwällen  dar.  Der  Trachyt,  aus  dem  sie  zu- 
sammengesetzt sind,  lehnt  sich  auf  Zannone  (184m)  an  eine  alte 
Jurabildung  an,  die  in  dem  4  d.  M.  entfernten  Vorgebirge  Circeji 
wiederkehrt. 

§4.  Sicilien.i) 

Südlich  vom  Vesuv  folgt  ein  Zwischenraum  von  zwei  Breiten- 
graden ,  der  keine  Vulkane  enthält.  Sodann  beginnt  unterhalb  39^ 
das  ttber  einen  weiten  Bereich  ausgedehnte  sicilische  Gebiet,  das  in 
drei  getrennte  Bezirke  zerfUlt:  einen  die  Hauptinsel  umfassenden, 
einen  nördlichen  und  südlichen.  Ohwol  die  Meerestiefe  zwischen  den 
Liparen  und  Sicilien  auf  600m  und  mehr  einsinkt,  gehört  diese 
Inselgruppe^)  geographisch  wie  historisch  betrachtet  dem  letzteren, 
nicht  Italien  an.  Immerhin  nimmt  die  Anordnung  der  Vulkane  auf 
beide  Landmassen  Rücksicht:  eine  Erhebungsspalte,  auf  welcher 
Sirongyle  Stromboli  Bwmymos  Panaria  Lipari  Volcano  liegen,  folgt  fon 
Nord  nach  Süd  der  Richtungsaxe  des  Continents;  darauf  stöbt  eine 


1)  Fr.  Hoffmann,  GeognosUsche  Beobachtungen,  geaammelt  auf  einer  Reise 
durch  Italien  und  Sicilien  1830  —  32,  Berlin  1839  (Bd.  XJII  des  Dechen'acheo 
Archivs  fOr  Mineralogie  usw.).  Ders.  Aber  die  geognostische  BeschalTenheK 
der  Liparischen  Inseln  in  Poggendorffs  Annalen  XXVI  1—88,  Leipiig  1831 

2)  Strab.  VI  275  fg.  Plin.  m  92  fg. 


§  4.  SidUen.  273 

dem  Gebirgszug  der  Nebroden  parallele  we6t*(totlicbe  ^alte  mit  ErieuM 
Alicuri  Pkoemcusa  Filicuri  Didyme  Salina,  als  deren  äufersten  west- 
ücheo  Ausbufer  man  das  100  km  von  Alicuri  entfernte  Ustica  an- 
sehen kann.  Das  einsame  Ustica  (Umfang  15  km,  höchste  Erhebung 
239m)  ward  und  wird  nicht  zu  den  Inseln  des  Aeolos  gezählt,  obwol 
es  deren  Beschaffenheit  theilt.  Die  Alten  rechneten  nur  sieben  Glieder 
dieser  Gruppe,  indem  sie  sich  auf  die  genannten  grOlseren  Eilande 
beschrankten  und  die  unbewohnten  Klippen  aufser  Acht  liefsen.  Die 
in  historischen  Zeiten  eingetretenen  Veränderungen  (S.  251)  madien 
die  Ermittelung  einer  genauen  Ziffer  der  Klippen  für  das  Altertum 
unmöglich.  Das  gesammte  Gebiet  welches  durch  die  Krater  dem  Meer 
abgerungen  worden  ist,  umfalst  148  D  km.  2^/3  d.  D  M.  Der  Kegel  von 
StromboU  steigt  921m,  der  M.  Chirica  auf  Lipari  603  m  empor. 
Aristoteles  erzählt  von  einem  Ausbruch  von  Volcano,  bei  dem  die  Asche 
einige  italische  Städte  erreichte.  ^)  Schwache  Anzeichen  von  submarinen 
Ausbrüchen  sind  auch  in  der  Neuzeit  wahrgenommen  worden ,  aber 
die  Kraft  des  Feuers  ist  im  Verloschen  begriffen  und  äufsert  sich  nur 
noch  auf  der  Meridianspalte  in  der  oben  (S.  250)  angegebenen  Weise. 
Das  Meer  ward  hier  nicht  wie  in  Latium  und  Campanien  bemeistert, 
fordert  gebieterisch  den  ihm  entrissenen  Raub  zurück.  Zwar  ist  Vol- 
cano  durch  den  Zuwachs  von  Volcanello  vergrofsert  worden  (S.  251), 
aber  der  Regel  nach  fand  der  umgekehrte  Vorgang  statt.  Allen  tibrigen 
Insebi  sind  an  der  Nordseite  winzige  Eilande  vorgelagert,  welche  die 
Wucht  der  Wellen  losgeschlagen  hat :  wir  glaubten  in  ihnen  nach  der 
Bildersprache  Homers  die  Tochter  des  Aeolos  erkennen  zu  sollen 
(S.  4  A.  3).  Von  hervorragenden  Naturforschern  ist  die  Ansicht  auf- 
gestellt worden ,  dafs  Panaria  mitsammt  den  benachbarten  Liscanera 
Basiluzzo  Liscabianca  Bottaro  Formiche  usw.  die  Trümmer  eines  ein- 
zigen Centralkraters  bilden,  der  vom  Meer  zerstört  worden  sei.  Darnach 
wäre  also  der  Ostrand  des  Centralkraters  durchbrochen  worden  und 
hierfür  läfst  sich  eine  Stütze  aus  dem  übereinstimmenden  Bau  des  ganzen 
Archipels  entnehmen;  denn  alle  liparischen  Inseln  fallen  im  Westen 
schroff  zu  bedeutenden  Tiefen  ab,  während  sie  im  Osten  langsam  sich 
abdachend  die  schwächere  Innenseite  der  vulkanischen  Ringe  auf- 
weisen. Man  sieht,  die  hebenden  Mächte  haben  ihre  Anstrengungen 
über  einen  Raum  von  einigen  hundert  Quadratmeilen  verzettelt  und 
deshalb  keine  grofsen  Erfolge  erzielt.    Ganz  im  Unterschied  davon 


1)  Meteor.  U  8,  19. 

Hist«B,  lUL  L»ndMkaB4«.   I.  18 


274  Kap.  VI.   Der  Vulkanismus. 

haben  dieselben  südlich  vom  peloritanischen  Gebirge  ihre  Anstrengungen 
an  einem  einzigen  Punct  vereinigt. 

Auf  einer  Grundflache  von  1100  D  km  20  d.  D  M.  erhebt  sich  der 
Aetna  der  höchste  Vulkan  Europa's  und  der  höchste  Berg  der  helle- 
nischen Welt  überhaupt  Er  mifst  gegenwartig  3313  m  und  kann  nach 
der  S.  250  gemachten  Bemerkung  im  Altertum  nicht  niedriger  gewesen 
sein.  Man  hat  sogar  aus  der  Ausdehnung  der  Basis  (Piano  del  Lago) 
auf  welcher  der  oberste  Schlackenkegel  ruht,  den  Schlufs  gezogen, 
dafs  der  Gipfel  einst  um  weitefe  5 — 600  m  in  die  Lüfle  hinein  geragt 
habe.  Bekanntlich  pflegen  die  Gipfel  der  Vulkane  —  eine  Beobachtung 
die  bereits  den  Alten  geläufig  war  —  nach  jedem  grOfseren  Ausbruch 
ihre  Gestalt  und  Höhe  zu  ändern.  Der  jetzige  ist  verhältnifsmälsig 
jungen  Datums.  Den  Urkrater  des  Aetna  sucht  man  in  einer  öslUch 
von  dem  Gipfel  befindlichen  Einsenkung,  Valle  del  Bove  genannt,  di« 
bei  5km  Breite  an  drei  Seiten  von  6 — 1200m  senkrecht  abstürzenden 
Wänden  eingefafst  ist:  der  grausigste  Höllenschlund  welcher  dem 
Reisenden  in  unserem  Erdtheil  zu  Gesicht  kommt.  Der  istnes  oder 
Akeiina  Alcantara  im  Norden  und  der  Symaithos  Simeto  im  Süden 
umflieben  den  Bergstock,  welcher  vermutUch  einen  ehemaligen  Busen 
des  sikehschen  Meeres  ausfuUt.  So  gewallig  die  unmittelbar  vom 
Meeresspiegel  ausgehende  Steigung  erscheint,  wird  sie  doch  in  Folge 
der  grofsen  Grundfläche  überaus  langsam  erreicht:  der  Neigungs- 
winkel für  die  dicht  bebaute  Culturzone  bis  1000  m  beträgt  nur  2 — 3^ 
für  die  Wald-  und  Wüstenzone  bis  2900  m  8<>  und  wächst  erst  beim 
Schlackenhügel ,  der  bei  allen  Vulkanen  aufserordentUch  steil  zu  sein 
pflegt,  auf  einige  30^  Die  gewaltige  Erhebung  bedingt  es  dafe  der 
Gipfelkrater  sich  darauf  beschränkt  Dampf  und  Asche  auszuspeien, 
während  die  Lava  —  was  beim  Vesuv  selten  geschieht  —  unterhalb 
die  Seitenwände  des  Berges  durchbrechend  sich  einen  näheren  Ausweg 
bahnt.  Da  also  der  Berg  dem  seitUchen  Druck  der  bei  den  Ausbrüchen 
gehobenen  Massen  nicht  zu  widerstehen  vermag,  ist  er  mit  zahllosen 
parasitischen  Kratern  verschiedenster  Gröfse,  die  bis  200  m  und  darüber 
aufsteigen,  gleichwie  mit  Pusteln  bedeckt.  Sartorius  von  Waltershausen 
hat  deren  200  auf  seiner  Karte  eingetragen :  damit  ist  die  Zahl  ent- 
fernt nicht  erschöpft ,  weil  viele  im  Lauf  der  Zeiten  unkenntlich  ge- 
worden sind.  Sie  gehören  vorwiegend  der  Waldzone  (1000 — 2000  m) 
an.  Südlich  vom  Aetna  dehnt  sich  die  reichlich  4  d.  DM.  hakende 
Ebene  von  Leontini,  die  gröfste  SiciUens,  wegen  ihres  Getreidereich- 
tums hoch  berühmt:  caput  rti  frumentariae  oder  Leoniintis  campus 


§  4.  SicUien.  275 

1%  Noitlifitiftiu  ae  feraeiisimtu  beifst  sie  dem  Cicero.  ^)  Der  Boden 
besteht  aus  wechselnden  Thon-  und  vulkanischen  Schichten:  eine  Zu- 
sammensetzung welche  auf  die  Thatigkeit  unterseeischer  Feuerherde 
hinweist  „Die  ganze  Insel,  sagt  Strabo'),  ist  unterhöhlt,  voller  Flüsse 
uod  Feuer.  ^  Sie  besteht  grofsentheils  aus  einer  jungen  Tertiär- 
formation,  welche  dem  Subappennin  entspricht.  Aber  unter  den 
Nuschelkalken  der  Oberfläche  werden  in  der  Tiefe  Bünke  aus  vul- 
kanischem Detritus  aufgeschlossen.  Man  kann  dies  nicht  wol  anders 
erklären  als  durch  die  Annahme  einer  Ober  lange  Perioden  ausgedehnten 
Tulkanischen  Thfltigkeit  auf  dem  Meeresgrund,  in  welcher  heftige  Aus- 
bruche mit  unmefsbaren  Ruhepausen  abwechselten.  Das  Wasser  ebnete 
die  ausgeworfenen  Massen  ein,  lagerte  seine  KalkniederschUge  darüber 
ab  und  so  wiederholte  sich  das  Spiel,  bis  das  aufsteigende  Land  aus 
den  Fluten  emportauchte.  An  solche  Vei^angenheit  erinnern  die 
heUsen  Schwefelquellen  bei  Termini  {Thermae  Hmerenses)  Sciacca 
[Tkermae  Selinuniinae)  und  anderen  Orten  sowie  die  reichen  Schwefel- 
iager, welche  durch  die  moderne  Industrie  zu  Ehren  gelangt,  den  euro- 
päischen Markt  versorgen.  Daran  erinnert  der  See  der  Paliken  bei 
Eryke  (Lago  Naftia  zwischen  Pahgonia  und  Mineo):  er  verdankte  sein 
aufserordentliches  Ansehen  bei  den  alten  Sikelern  den  kohlensauren 
Gasen ,  welche  zwei  Oeffnungen  in  der  Mitte  ausströmen.  Es  ist  nur 
noch  ein  brodelnder  Weiher  von  ca.  150  m  Umfang  und  4  m  Tiefe, 
der  Sommers  oftmals  austrocknet;  das  todtliche  Gas  wirft  das  Wasser 
jetzt  nur  2'  in  die  Hohe,  während  eine  Angabe  des  Altertums  von 
6  Ellen  redet.')  Auch  in  dem  sagenberülimten  See  von  Pergus  bei  Bnna 
Castrogiovanni,  an  welchem  Pluton  die  Persephooe  raubte,  einem  ehe- 
maligen Krater  von  1  Meile  Umfang,  scheinen  ahnliche  Emanationen 
zeitweise  vorzukommen.  Ferner  liegt  10  km  nördlich  von  Akragas  der 
Schlammvulkan  Maccaluba ,  wo  winzige  Kegel  Gas  und  Schlamm  aus- 
stofsen^):  eine  grOfsere  Eruption  aus  dem  J.  1777  wird  vermeldet,  bei 
der  sie  eine  WurfhOhe  von  30  m  erreichten. 

Der  dritte  südlich  von  der  Hauptinsel  gelegene  Feueriierd  ist 
gleichfalls  in  voller  Thatigkeit  begriffen :  aber  seine  Ausbrüche  erfolgen 
aur  dem  Meeresgrund  und  entziehen  sich  in  der  Regel  unserer  Kennt- 

1)  Verr.  III 47  pro  Scauro  25  u.  o. 

2)  VI  274  a.  E. 

3)  kigoDos  fr.  7  (Maller  IV  436)  vgl.  Holm,  Gesch.  Sic  1  36S. 

4)  Aas  dem  Altertum  allein  Ton  Solin  5,  24   nach  unbekannter  Quelle 
«rwähnt. 

IS* 


276  Kap.YL  Der  Volkanismas. 

nifs.  Zwischen  Sciacca  und  Pantelleria  uDgefiihr  50  km  von  Sicilien 
entfernt  befindet  sich  ein  unterseeischer  Vulkan ,  der  zu  wiederholten 
Malen  versucht  hat  an  das  Tageslicht  zu  gelangen.  Im  Juli  1831 
schüttete  er  eine  Insel  auf  (Isola  Giulia) ,  die  bis  4  km  Umfang  und 
40m  Hohe  anwuchs,  aber  bereits  vor  Ausgang  des  Jahres  von  den 
Wellen  zerstört  war.  Noch  kürzer  dauerte  ihr  Erscheinen  1863:  gegen- 
wärtig deutet  eine  5  m  unter  der  Oberfläche  aufsteigende  Korallenbank 
(Graham  Shoal)  die  merkwürdige  Stelle  an.  W^as  hier  bis  jetzt  mislang, 
ist  der  vulkanischen  Kraft  weiter  südUch  vordem  geglückt  Unter  36^' 
45'  n.  Br.  erhebt  sich  das  103 Dkm  grofse  Cossyra  Pantelleria.  Ein 
äufserer  aus  Conglomeraten  und  eigentümlichen  Laven  zusammen- 
gesetzter Ringwall,  dessen  oberer  Umfang  etwa  3  d.  H.  betrug,  isl 
deutlich  nachzuweisen.  Er  umschliefst  mehrere  Auswnrfskegel,  tod 
denen  der  M.  Grande  830  m,  der  M.  Gibel  700  m  aufsteigt  Aeuiserst 
starke  Wasserdämpfe  und  Mineralquellen,  die  sich  zu  einem  kleioeo 
See  vereinigen,  sind  die  einzigen  Ueberreste  der  einst  entfalteten  Thätig- 
keit.  Obwol  näher  an  Africa  gerückt  als  an  Sicilien ,  ist  Pantellera 
doch  nach  der  Gestaltung  des  Meeresbodens  (S.  97)  dem  letzteren  zu- 
zurechnen. Dagegen  ist  das  politisch  mit  ihm  verbundene  Linosa  durch 
Meerestiefen  von  1000  m  und  darunter  abgetrennt  und  gehört  geo- 
graphisch betrachtet  zu  Africa.  Die  unter  35^  52'  liegende  Insel  ist 
vulkanischen  Ursprungs,  12  D  km  grofs  mit  einer  Erhebung  bis  180m. 

§5.   Vulkanische  Erscheinungen. 

Die  Vulkane  haben  das  Nachdenken  der  Alten  dauernd  gefesselt 
Eine  mutwillige  Sage  läfet  den  weisen  Empedokles  (um  424  v.  Chr.) 
seinen  Tod  im  Schlund  des  Aetna  finden.  In  Wirklichkeit  kam  der 
fleifsige  Plinius,  dessen  Naturbeobachtung  sonst  nicht  gerade  zum  Lobe 
auffordert  (S.  20),  am  25.  August  79  n.  Chr.  ums  Leben ,  als  er  den 
grofsen  Vesuvausbruch  in  der  Nähe  betrachten  wollte.  ^  Mit  der 
griechischen  Bildung  hatte  sich  auch  das  Interesse  an  den  Vulkanen 
in  der  römischen  Welt  verbreitet  Während  wir  aufser  Stande  sind 
irgend  einen  Alpen-  oder  Appenningipfel  namhaft  zu  machen,  der 
je  von  Forschern  oder  Touristen  sei  es  der  Belehrung  sei  es  des 


1)  Plin.  Ep.  VI  16,  7  magnum propnuque  nofcendum  ut  m-udUurimo  rirtt 
Visum.  Den  ISj ährigen  Neffen,,  den  typischen  Gentleman  der  Kaiserzeit  fessein 
die  Bächer  mehr  als  das  furchtbare  Schauspiel:  er  stndirt  im  Uvios,  wilireo^ 
die  Erdreste  unter  seinen  Föfsen  wankt,  eb.  20,  5. 


§  5.  Vulkanische  Eroeheinimgen.  277 

Geniuses  halber  besucht  worden  wäre,  gehört  die  recht  langwierige 
und  mQhselige  Besteigung  des  Aetna  in  das  Programm  der  Modereisen 
der  Kaiserzeit  Der  eigentümüdie  Gegensatz  zwischen  den  Rauch- 
wolken des  Kraters  und  der  erst  im  Hochsommer  abschmebenden 
Schneedecke ,  der  erhabene  Anblick  eines  Sonnenaufgangs  von  dieser 
in  den  Aether  hineinragenden  Warte  übten  dieselbe  Anziehung  auf 
die  alten  Reisenden  aus,  welche  in  unserem  Jahrhundert  wieder  zu 
wiAen  begonnen  hat  Deutlicher  als  ausden  htterarischen  Nachrichten, 
an  denen  es  übrigens  nicht  fehlt  >),  erhellt  die  Häufigkeit  der  Be- 
steigungen aus  jener  S.  250  erwähnten  Ruine,  welche  in  ihrem  ur- 
sprünglichen Umfang  keine  andere  denkbare  Bestimmung  gehabt  haben 
kann  als  diejenige  einer  Schutzhtttte  wie  die  heutige  Casa  Inglese 
»der  der  Tempel  des  Poeninus  auf  dem  St  Bernhard  (S.  160).  Frei- 
lich spricht  es  nicht  eben  für  die  Tiefe  tömischer  Naturbetrachtung, 
dab  dem  zwar  kleineren  aber  darum  nicht  minder  furchtbaren  Vesuv 
(üe  gleiche  Aufmerksamkeit  versagt  bUeb,  dafs  unseres  Wissens  Niemand 
es  der  Mühe  wert  hielt  diesen  so  bequem  und  leicht  zu  erreichenden 
ßerg  genau  anzusehen  (S.  269).  Wir  werden  nicht  fehl  gehen,  wenn 
wir  den  Grund  dieser  Thatsache  in  dem  Umstand  suchen ,  dafs  dem 
jüDgeren  Nebenbuhler  der  classische  Nimbus  mangelte,  den  die  heUe- 
nische  Dichtung  und  Wissenschaft  seit  grauer  Vorzeit  um  das  Haupt 
des  Aetna  diese  „Säule  des  Himmels^  gewoben  hatte. 

Das  unergründliche  Rätsel,  welches  die  vulkanischen  Erschei- 
nojigen  dem  menschlichen  Geist  aufgeben,  wurde  vom  Volksglauben  in 
naiver  Weise  durch  ein  Wunder  gelöst  Bald  ist  es  die  Esse  des 
Hephaestos  oder  der  Kyklopen,  bald  irgend  ein  von  den  Göttern  ge- 
bändigter Gigant  (S.  253),  welcher  sie  hervorruft.^)  Sodann  hat  Piaton 
(iie  Theorie  von  einem  unterirdischen  Feuerstrom  Pyriphlegethon  auf- 
gestellt, dem  alle  Laven  entstammen.^)  Sie  erinnert  an  die  von  den 
grölsten  Forschern  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  verfochtene  Ansicht, 
welche  im  Vulkanismus  eine  Reaction  des  feurigflüssigen  Erdinnern 
gegen  die  Oberfläche,  in  den  Vulkanen  die  Sicherheitsventile  unseres 
Haneten^)  erkennen  woUte:    eine  gegenwartig  verlassene  Ansicht, 

1)  Strah.VI  274  Seneca  Ep.  79, 2  Spart  vita  Hadr.  13,  3.  Nach  AofiUüiuig 
der  TonriBtenatadte  sehliebt  Lucflias  Aetna  601  mit  der  Mahiniiig:  arüfieü 
fiaturae  ingens  opus  aspice:  nulla  tu  tania  humanis  opiäus  speeiaeula  cemM, 

2)  Find.  Pyüi.  1, 15  Aeach.  Prom.  365  Strab.y248  Xin627  ApoUod.16,2 
Cic  DiT.  n  44  Yerg.  Aen.  ID  578  (Wid  MetV  348  Ludl.  Aetna  30  fg. 

3)  Phaedon  113B. 

4)  Diese  Anschauang  findet  sich  bereits  bei  Strabo  VI  258. 


278  Kap.  VI.  Der  Valkanismus. 

seitdem  wir  wissen  dafs  die  Ursache  der  Ausbrüche  nicht  in  so  grohe 
Tiefen  verlegt  werden  darf.  Den  Weg  methodischer  Erörterung  betrat 
Aristoteles,  als  er  in  der  Luft  die  treibende  Kraft  suchte,  die  zusammen- 
geprefst  den  Brand  entfacht  und  gewaltsam  sich  eine  Bahn  Offnet  0 
Die  Nachfolger  führen  aus  dafs  unter  dem  Aetna  grofse  Hohhrflume  sich 
befinden,  auch  wol  Lager  von  Schwefel  und  Erdpech,  der  Wind  er- 
wärmt die  Felsen  durch  seine  Reibung  und  setzt  sie  in  Brand,  der 
durch  eindringendes  Meerwasser  verstärkt  wird.^  Somit  haben  die  Alten 
denjenigen  Factor  nur  gestreift ,  welchem  die  Hauptrolle  bei  der  vul- 
kanischen Thatigkeit  zuÄUt,  das  in  Dampf  umgewandelte  Meerwasser. 
Die  Lage  der  meisten  Vulkane  in  unmittelbarer  Nahe  des  Meeres,  die 
starken  Sabsniederschlage,  welche  gelegentUcb  die  Abhänge  wie  Reif 
überziehen,  zeigen  deutlich,  woher  die  gewaltigen  Dampfquellen  ge- 
speist werden.  Aber  wie  das  Wasser  in  Tiefen  von  mehreren  Meilen 
eindringt,  zu  Dämpfen  von  ungeheurer  Spannung  sich  verflüchtigt, 
die  Gesteine  zum  Schmelzen  bringt  —  darüber  können  auch  wir  nur 
Vermutungen  vorbringen  wie  die  Alten,  so  geläutert  und  fortgeschritten 
im  Uebrigen  unser  Wissen  erscheint. 

Die  Beobachtungen  der  Alten  sind  auf  dasjenige  Gebiet  des  ita- 
lischen Vulkanismus  beschränkt,  welches  innerhalb  des  Bereiches  der 
hellenischen  Colonisation  fiel.  Während  die  Berichterstatter  am  Vesur 
und  den  Phlegraeischen  Gefilden  die  Merkmale  früherer  Thätigkeit 
deutlich  zu  unterscheiden  verstehen ,  findet  sich  in  der  gesammten 
Litteratur  keinerlei  Aeufserung,  nach  welcher  auf  die  ttbereinstiromende 
Natur  von  Vultur  und  Rocca  Monfina,  den  Feuerbergen  Latiums  and 
Etruriens  entsprechende  Schlüsse  gezogen  worden  wären.  Wie  in  so 
vielen  anderen  Fällen  geht  auch  in  diesem  die  Naturbetrachtung  von 
Griechen  aus,  bleibt  von  griechischen  Vorbildern  abhängig.  Die  alt- 
nationale Anschauung  stellt  vulkanische  Ausbrüche  auf  dieselbe  Stufe 
mit  einer  Misgeburt  oder  der  Erscheinung  eines  Uhu,  erblickt  in  ihnen 
ein  Wahrzeichen,  das  Sühne  erheischt ')  Wenn  es  unter  den  Prodigien 
des  J.  104  V.  Chr.  heilkt^):  im  Gebiet  von  Volsinii  schlug  eine  Lohe 
aus  dem  Boden  und  schien  bis  zum  Himmel  zu  reichen,  so  liegt  die 
Annahme  äufserst  nahe,  dafs  hier  von  einem  Ausbruch  am  See  von 
Bolsena  (S.  258)  die  Rede  sei.  Man  würde  auch  gern  mit  den  heutigen 

1)  Meteor,  n  8,  20. 

2)  LacretViaSOfg.  OvidMetXV299  JuBtialVl  Aetna  511  fg. 

3)  Vgl  S.  251  A.  4.  5.  Obseq.  26  usw. 

4)  Obseq.  4S  Tgl.  dieselbe  Wendung  ron  Ischia  54. 


{  5.  VaUuDisehe  Eracheinongen.  279 

Geologen  Roms  den  so  hüuflg  erwähnten  Steinregen  auf  dem  Albaner 
Gebirg  im  gleichen  Sinn  deuten ,  wenn  derselbe  nicht  mit  ganz  den 
Dämlichen  Worten  aus  Landschaften  berichtet  würde,  welche  den  Vul- 
kanen weit  entrückt  sind.  Aberglaube  und  frommer  Betrug  haben  die 
Vorgänge  in  der  erhaltenen  Fassung  zu  völliger  Unkenntlichkeit  ent- 
stellt So  soll  es  z.  B.  186  v.  Chr.  in  Picenum  drei  Tage  lang  Steine, 
91  T.  Chr.  bei  den  Vestinern  sieben  Tage  lang  Steine  und  Topfscherben 
geregnet  haben,  und  doch  wird  weder  für  den  Fall  von  Aerolithen,  an 
welche  man  jetzt  gemeinhin  denkt,  noch  für  den  Fall  von  Auswürf- 
lingen eines  fernen  Vulkans  eine  derartige  Daner  ernsthafter  Weise 
behauptet  werden  können.  0  Unter  allen  Umständen  griffen  die  letzten 
Kundgebungen  des  miltelitalischen  Vulkanismus  nicht  in  demjenigen 
Grade  in  das  Volksleben  ein,  wie  bezüglich  der  hellenisirten  Land- 
schaften geschah.  Wir  haben  gelegentlich  darauf  hingewiesen,  dafs  die 
vulkanische  Thätigkeit  die  Phantasie  der  Bewohner  mächtig  erregte. 
Während  das  Altertum  andere  Verderben  bringende  Naturgewalten  wie 
das  Wasser  bekämpfen  lernte  durch  Deiche  und  Canäle,  stand  es  dem 
Feuer  rat-  und  hilflos  gegenüber:  ja  selbst  unsere  vorgeschrittene  Zeit, 
welche  zur  Bequemlichkeit  der  Touristen  einen  Schienenstrang  auf 
den  Vesuv  gelegt,  hat  bis  jetzt  irgend  welche  Vorkehrungen  zum  Schutz 
der  bedrohten  Ortschaften  am  Fufs  noch  nicht  ins  Auge  gefalst.  Die 
(ippige  Sinnlichkeit,  welche  an  diesen  schonen  Gestaden  herrscht  und 
herrschte,  hat  die  Meinung  hervorgerufen,  dafs  Vulkane  einen  schäd- 
lichen Einflufs  auf  den  Volkscharakter  ausüben. 3)  Derartige  Sätze 
fordern  in  ihrer  Allgemeinheit  den  Widerspruch  heraus:  man  vergifst 
in  der  Regel  ganz,  dafs  die  ältesten  Brennpuncte  der  Cultnr  im  Bereich 
der  italischen  Feuerberge  lagen,  dafs  dem  Abendland  seine  Schrift 
nebst  so  vielen  anderen  Elementen  der  Gesittung  durch  Kyme  über- 
mittelt worden  ist 

Die  lonier,  welche  Naxos  und  Katane  gründeten,  lernten  die  Lava- 
strOme  dos  Aetna  kennen  und  fürchten.    Sie  haben  einen  eigenen 


1)  Liv.  XXXIX  22;  Obs.  54  Oro8.Vl8.  Steinregen  im  Albaner  Gebirg 
Uv.131  XXn  36  XXra  31  XXV?  XXXV  9  Zon.VIII  12;  Veji  Ur.  XX VD  37 
XUYIS;  RomVn28  Picennm  XXI 62  ReateXUn  13  Gamae  XXX  38.  —  Die 
stehende  Sühne  durch  ein  nenntagiges  Bittfest  weist  allerdings  auf  Fortdaner 
der  Ausbrüche  in  hlstoriflchen  Zeiten  hin  (S.253),  auch  Autdrflcke  wie  Liv.  XXV  7 
008.38. 

2)  Von  nordischen  Reisenden  häufig  ausgesprochen,  methodisch  entwickeU 
von  Buckle,  history  of  ciyilizatlon  I  p.  112  (Leipzig). 


280  Kap.  VI.   Der  VulkaDisnras. 

Namen  {^a^  für  dieselben  gebüdel.  Das  Gestein  hiefs  ihnen  fMvUag 
XLS'og,  weil  seine  Härte  es  zur  Anfertigung  jener  schwerMigen  Moblen 
empfahl,  die  in  zahlloser  Menge  erhalten,  übrigens  in  ad)gelegenen 
Strichen  Sardiniens  noch  gebraucht  werden  oder  Tor  kurzem  gebraucht 
wurden.  Die  Römer  übersetzen  das  Wort  mit  lapU  m»tarü  oder  sagen 
9iUx  Pflasterstein ,  ohne  dabei  ängstlich  Kalk-  und  Sandstein  auszu- 
schliefsen^),  entlehnen  desgleichen  für  weiches  Gestein  den  in  Italien 
gebildeten  Ausdruck  tofus^):  eine  analoge  Bezeichnung  wie  ^or|  fehlt 
ihrer  Sprache.  Von  den  Ausbrüchen  des  Aetna,  welche  sich  in  neuerer 
Zeit  alle  Jahrzehnt  wiederholen,  hat  das  Altertum  nur  wenige  und  mit 
einsilbigen  Worten  erwähnt.  Eingehende  Schilderungen  verdanken 
wir  allein  den  Dichtern ,  welche  von  Pindar  ab  die  einzelnen  Erschei- 
nungen uns  vorführen^):  die  Rauchwolke  bei  Tage,  den  nächtlichen 
Flammenschein,  das  den  Ausbruch  einleitende  Beben  und  Brüllen  des 
Bergs,  den  Aschen-  und  Steinregen,  den  Flufs  der  Lava ,  das  grausige 
Schauspiel  eines  Lavakatarrakts,  das  langsame  Erstarren  der  feurigen 
Masse.  Die  Lavadecken,  welche  die  antiken  Bauwerke  von  Katane  ein- 
hüllen, zeigen  uns  anschauUch  die  Gefahr,  welche  über  dieser  blühen- 
den Stadt  schwebt  und  schwebte.  Auf  ihren  Münzen  pi'ägte  sie  das 
Bildnifs  der  frommen  Brüder,  welche  die  Last  der  greisen  Eltern  auf 
den  Schultern  vom  Feuerstrome  ereilt  und  da  der  Strom  sich  plotzhch 
vor  den  GottgeföUigen  theilte,  verschont  wurden.  Die  schöne  Sage 
macht  auf  hohes  Alter  Anspruch.  4)  An  dem  Aetna  haben  unsere 
Gewährsmänner  die  aufsergewöhnliche  Thätigkeit,  den  gewaltsamen 
Ausbruch  studirt.  Daneben  unterscheiden  wir  an  thätigen  Vulkanen 
ein  doppeltes  Verhalten :  den  Zustand  mäfsiger  Thätigkeit  und  endlich 
den  Zustand  völliger  Ruhe.  Den  ersteren  Typus  stellte  die  hparische 
Gruppe  den  Alten  dar.  Ihre  Lage  auf  hoher  See  bestimmte  sie  zu 
einem  Merkzeichen  der  Schiffer.  Langjährige  Beobachtung  hatte  er- 
mittelt, dafs  die  Aeufserungen  der  Krater  von  Hiera  mit  der  herrsdien- 
den  Windrichtung  in  Zusammenhang  stehen :  aus  dem  SchaO  und  der 
Flamme  wufsten  die  Liparaeer  den  kommenden  Wind  zwei  Tage  vor- 
aus zu  sagen.    Die  Thatsache ,  welche  von  der  heutigen  Wissenschaft 


1)  Belege  in  meinen  Pompejan.  Studien  p.  8. 

2)  Tofpuiv  Steinbrach,  I.Tafel  ▼.  Herakleia  GIGr. m  5774, 137.  Bekannt- 
lich ist  das  Gleiche  mit  dem  siciJischen  Xaxopuov  lauhtmiae  der  Fall. 

3)  Pyth.  1,  20  fg.  nachgeahmt  Verg.  Aen.Ill  571 ,  dazu  die  scharfe  Kritik 
Gell.  N.  A.  XVn  10;  Lneil.  Aetna  461  fg. 

4)  Lykurg  Leoer.  95  Arist.  de  mundo  6  mir.  ausc.  154  u.  oft. 


§  5.  ViilkaniBche  ErscheiDODgen.  281 

nicht  erklärt  aher  trotxdem  anerkannt  wird ,  giebt  uns  den  Grund  an 
die  Hand,  warum  Aeolos  „der  Schaffner  der  Winde^  neben  Hephaestos 
ais  Herr  dieser  Inseln  betrachtet  wurde,  i)    Auch  stimmt  hierzu  die 
Deueste  Windtheorie  vortrefflich,  insofern  sie  gerade  in  dieser  Gegend 
ein  barometrisches  Depressionsgebiet  annimmt.  2)     Den  Zustand  voll- 
kommener Ruhe  bot  die  campanische  Gruppe  in  der  ersten  Kaiserzeit 
dar.  Seneca 's  Freund  Lucilius  hielt  Ischia  für  nicht  minder  erloschen  als 
den  Vesuv.  3)   Mit  dem  Ausbruch  von  79  trat  der  Vesuv  was  den  Um- 
fang seiner  Verheerungen  betrifft,  dem  Aetna  ebenbürtig  an  die  Seite. 
Dieser  Ausbruch  ist  zugleich  der  einzige  aus  dem  Altertum,  über  den 
der  eingebende  Bericht  eines  Augenzeugen  vorliegt,  und  fordert  zu 
kunem  Verweilen  auf.    Wir  verdanken  den  Bericht  den  beiden  be- 
rühmten Briefen,  welche  der  jüngere  Plinius  an  Tacitus  richtet  um  als 
Stoff  für  dessen  Geschichte  zu  dienen.^)    Der  Schreiber  damals  im 
achtzehnten  Lebensjahr,  befand  sich  zu  Misenum  gegen  4  d.  M.  in  der 
LoflUnie  vom  Schauplatz  des  Unheils  entfernt.    Hier  sah  man  am 
24.  August  kurz  nach  Mittag  eine  ungeheure  je  nach  der  mitgerissenen 
Asche  und  Sandmasse  bald  hell  bald  dunkel  gefärbte  Wolke  in  Gestalt 
einer  Pinie  über  dem  Vesuv  aufsteigen.    Die  treffende  Vergleichung 
dieser  bei  grtfeen  Ausbrüchen  mehr  als  3000  m  über  den  Gipfel  hinauf 
({aeUenden  Dampfmenge  mit  einem  Pinienbaum  wird  von  Plinius  zum 
ersten  Mal  vorgetragen  und  ist  seitdem  in  den  technischen  Sprach- 
gebrauch übergegangen.    Länger  ais  24  Stunden  hat  die  heftigste 
Thätigkeit  gedauert  und  nach  verschiedenen  Richtungen  sich  in  ver- 
schiedener Weise  geäufaert.  Westlich  über  Herculaneum  gingen  Wolken - 
brücke  nieder  und  bildeten  Schlammflüsse ,  welche  diese  Stadt  ver- 
schlangen und  den  ganzen  Strich  bis  Torre  Annunziata  in  der  unge- 
hhren  Breite  von  2  d.  M.  um  20  m  und  mehr  ertiOhten.  Der  südliche 
Strich,  Pompeji  und  das  über  2  d.  M.  entfernte  Stabiae,  wurde  ohne 
Mitwirkung  des  Wassers  durch  BimsteinstOckchen  (Lapilli)  verschüttet. 
Die  Pompeji  deckende  Schicht  mifst  durchweg  3  m  und  ist  mit  vielen 
Schlacken  untermischt,  deren  Gewicht  gelegentlich  6  kgr  überschreitet 
Darüber  lagert  eine  Schicht  Asche,  deren  Dicke  nicht  weniger  als 
lVi--2m  betragt.^)    Der  Aschenregen  bezeichnet  nach  neueren  Er- 

1)  Strabo  VI  276  nach  Polybios,  P)in.  III  94  A.  v.  Humboldt,  Kosmos  I  455. 

2)  Sapan,  Statistik  der  unteren  LafUtrömungen  p.  112. 

3)  Aetna  426  fg.  vgl.  S.  251. 

4)  VI  16  nnd  20  Suet  Tit.  8  Dio  LXVI22  MarUal  IV  44. 

^)  Nach  den  Beobachtungen  des  langjährigen  Leiters  der  Ausgrabungen 
^•Roggiero  in  der  Napoli   1879  herausgegebenen  Festschrift  Pompei  p.  2t  fg. 


282  Kap.  VI.  Der  Vulktnifioiiis. 

fahrungen  das  Ende  eines  Ausbruchs  und  dies  war  auch  daoials  der 
Fall.  Er  reichte  bis  Capri  und  Misenum  und  hQllte  einen  Umkreis  von 
etwa  8  d.  M.  Durchmesser  in  tiefe  Finsternifs  ein.  Unser  Gewährs- 
mann erzühlt,  dab  ein  vieltägiges  Erdbeben  vor  dem  Ausbruch  in 
Misenum  gefühlt,  aber  unbeachtet  geblieben  war.  In  der  Nacht  vom 
24.  auf  den  25.  August  nahm  dasselbe  derartig  an  Starke  zu ,  daCs  die 
Bewohner  vor  den  stürzenden  Dächern  ihre  Zuflucht  im  Freien  suchen 
mufsten.  Neue  Schreckbilder  erwarteten  sie  auf  der  Landstrafse.  Der 
Boden  schwankte  unter  den  Fttfsen ,  das  Meer  wich  von  der  KQste 
zurück  und  liefs  sein  Gelhier  auf  dem  Trocknen.  Von  Osten  her 
drohte  eine  schwarze  von  langen  Blitzen  durchzuckte  Wolke,  näherte 
sich  rasch,  entzog  Land  und  Meer,  Capri  und  das  Vorgebirge  von 
Misenum  den  Blicken.  Bald  fiel  Asche  erst  spärlich ,  dann  dicht  und 
dichter.  Tiefes  Dunkel  umfing  die  Flüchtlinge,  nicht  wie  es  bei  mond- 
und  sternloser  Nacht,  sondern  wie  es  in  geschlossenem  Raum  nach 
Verloschen  des  Lichts  zu  sein  pflegt.  Man  hörte  Weiber  kreischen, 
Kinder  jammern,  Männer  lärmen:  sie  riefen  nach  Eltern  Kindern 
Gatten,  suchten  einander  an  den  Stimmen  zu  erkennen.  Aus  Todes- 
furcht erflehten  einige  den  Tod,  viele  erhoben  die  Hände  zu  den  Göttern, 
die  meisten  glaubten  es  gäbe  keine  Götter  mehr,  die  letzte  und  ewige 
Nacht  wäre  über  die  Welt  hereingebrochen.  AUmälich  wurde  es  wieder 
hell,  die  Sonne  kam  zum  Vorschein,  aber  trüb  als  ob  sie  verfinstert 
wäre.  Die  ganze  Gegend  erschien  verändert  und  von  einer  hoben 
Aschendecke  gleich  Schnee  eingehüllt.  Das  Beben  der  Erde  hielt  noch 
an  und  das  Volk  halte,  durch  schreckende  Weissagungen  aufgeregt, 
alle  Besinnung  verloren.  Die  Vorgänge  in  Misenum  lassen  den  Jammer 
und  das  Entsetzen  ahnen,  das  in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Vesuv 
geherrscht  haben  mufs.  Die  pompejanischen  Ausgrabungen  haben  viel 
rührende  und  erschütternde  Einzelheiten  zu  unserer  Kunde  gebracht. 
Nach  den  bisherigen  Funden  zu  schliefsent)  fanden  innerhalb  der 
Mauern  Pompeji's  12—1500  Menschen  den  Tod  durch  Erstickung, 
meist  im  Innern  der  Häuser  seltener  auf  der  Flucht  im  Freien. 

Zum  Schlufs  stelle  ich  ein  Verzeichnifs  der  für  das  alte  Italien 
bezeugten  und  datirten  Ausbrüche  zusammen ,  das  aller  Wahrschein- 


1)  Von  1S61  — 1872  wurden  93  Todte  aurgefundeo  (Fiorelli  Ret  p.  172) 
1861—1879  ca.  150  (Ruggiero  a.  0.  p.  30).  Wenn  nun  Rnggiero  als  Gesannt- 
zaU  fflr  die  ganze  Stadt  5—600  annimmt,  so  beruht  diese  Annahme  auf  einen 
handgreiflichen  Rechenfehler. 


f  6.  Erdbeben.  283 

Ikhkeit  nach  nur  einen  geringen  Bruchtheil  der  in  diesem  Jahrtausend 

vorgekommenen  urafafst: 

479  n.  Chr.    Aetna,  ergielst  Lava,  Marmor  Parium  68. 

475  Aetna,  ThuL  ED  1 16  Find.  Pyth  1 ,  21  Aesch.  Prom.  367. 

470  (ea.)  Aenaria,  Strabo  V  248. 

456  Aetna,  Sage  von  den  frommen  BrQdern  (S.  280)  Stob. 

FloriL  79,  38. 
426  Aetna,  verwüstet  das  Gebiet  von  Katane,  Thuk.  III 116. 

396  Aetna,  ergiefst  einen  Lavaslrom  ins  Meer,  Diod.  XIV  59 

Oros.  II  18,  6. 
350  (ca.)  Aenaria,  grober  Ausbruch,  Strabo  V  248. 

330  (ca.)  Hiera,  grolser  Ausbruch,  Arist  Met.  II  8,  19. 

269  Rocca  Monfina  (?),  Oros.  IV  4,  4. 

215  Ausbruch  im  Meer,  Liv.  XXIII  31. 

183  Entstehung  von  Volcanello,  Oros.  IV  20,  30. 

141  Aetna,  Obs.  23. 

135  Aetna,  Obs.  26  Oros.  V  6, 2. 

126  Aetna,  Oros.  V  10, 11   Obs.  29. 

—  Lipara,  Oros.  V  10, 11  Obs.  29  vgL  S.  251  A  4. 

122  Aetna,  zerstört  Katane,  Oros.  V  13,  3. 

91  V.  Chr.     Aenaria,  Obs.  54. 

90  Hiera,  Plin.  II  238. 

50  (ca.)  Aetna,  Petron.  122,  135. 

44  Aetna,  grober  Ausbruch,  Verg.  Georg.  1 471  dazu  Serv. 

36  Aetna,  Appian  b.  civ.  V  114.  117. 

40(ca)  n.Chr.  Aetna,  Sueton  CaL  51. 

79       „    n     Vesuv,  groGser  Ausbruch,  S.  281. 
202  Vesuv,  Dio  LXXVI  2. 

472  Vesuv,  grober  Ausbruch,  Marceli.  Comes  (Migne  LI 

p.  931)  Procop  b.  Goth.  II  4. 
512  Vesuv,  grober  Ausbruch,  Cassiodor  Var.  IV  50. 

§6.  Erdbeben. t) 

In  den  Vulkanen  haben  wir  Bildner  des  Landes  kennen  gelernt, 
ihrer  zerstörenden  geht  noch  immer  eine  schaffende  Thätigkeit  zur 

1)  IL  E.  A.  von  Hoff,  Geschichte  der  durch  Ueberlieferung  nachgewiesenen 
oatürlichen  Veranderangen  der  Erdoberfläche,  5  Bande,  Gotha  1822—41;  die 
beiden  leisten  enthalten  eine  Chronik  der  Erdbeben  und  Vnlkanausbrflche. 
J.  Roth,  Aber  die  Erdbeben,  Berlin  1882  (Heft  390  der  Virchow-Holis. Vortrage). 


284  Kap.YL  Der  Ynlkanismas. 

Seite.    Nicht  schaffend,  Dur  zerstörend  zeigt  sich  eine  andere  weit 
furchtbarere  Naturgewalt,  welche  als  der  tückischste  Feind  die  ärgste 
Geifsel  des  Südens  angesehen  werden  muTs.    Das  Erzittern  der  Erd- 
oberflache ist  ja  auch  in  Deutschland  kein  unerhörtes  VorkonunniTs, 
unseren  Vorfahren  im  Urwalde  gerade  so  gut  bekannt  wie  der  mit  den 
empfindlichsten  Apparaten  beobachtenden  Gegenwart.    Aber  irgend 
welche  Bedeutung  im  Volksleben  kommt  dieser  Erscheinung  im  Norden 
nicht  zu.  Wie  so  ganz  anders,  wenn  wir  die  Verwüstungen  ins  Auge 
fassen,  welche  dieselbe  die  letzten  hundert  Jahre  in  Italien  angerichtet 
hat!   Das  Erdbeben  von  1783  raffte  in  Bruttium  an  100 000  Menschen 
hin,  das  von  1818  zerstörte  Catanea,   1857  kamen  in  Lucanien  an 
40000  ums  Leben,  1870  wurde  Cosenza  mit  seiner  Umgebung  schwer 
heimgesucht.   Nur  die  gröfseren  Katastrophen  dringen  zur  Kenntnifs 
des  übrigen  Europa;  geringeres  Unheil  wird  kaum  im  Lande  selbst 
beachtet.     Am  häufigsten  wird  Cosenza  mit  seiner  Umgebung  er- 
schüttert: z.B.  wurden  1871  an  86 Tagen  Erschütterungen  verzeichnet 
und  im  September  1872  schrieb  ein  Gelehrter  jener  Stadt  an  G.  vom 
Rath :  „kein  Tag  vei^eht  jetzt  ohne  einen  stärkeren  Stofe.*^  Das  beutige 
Calabrien  ist  wol  das  bedrohteste  Land  Europa's  und  hat  sich  schwer- 
Uch  in  früheren  Zeiten  gröfserer  Sicherheit  erfreut.  Die  antike  lieber- 
lieferung  behandelt  dasselbe  besonders  stiefmütterlich:  darum  läfst 
sich  aus  ihrem  Schweigen  keinerlei  Schlufs  ziehen.  Selbst  in  denjenigen 
Perioden  wo  sie  verhältnifsmäfeig  reichUch  fliefsl,  ist  ihr  Augenmerk 
last  ausschliefsUch  auf  die  Zerstörungen  gerichtet,  welche  Weltstädte 
wie  Antiochia  Rhodos  Smyrna  Byzanz  zu  erleiden  hatten.   Wir  hören 
auch  nur  durch  Zufall  dafs  Campanien  im  Ruf  häufiger  Erscbflttanang 
stand.  0   Aber  ttbertiaupt  wurde  die  Appenninhalbinsel  nebst  Siciäen 
so  oft  betroffen,  dafs  man  wenig  Aufhebens  von  der  Sadie  machte: 
was  sich  in  der  That  leicht  begreift,  da  z.  B.  1874  nicht  weniger  ab 
725,  1876  gar  1273  Erdstöfse  von  den  geschärften  Sinnen  unserer 
Tage  in  diesem  Lande  bemerkt  worden  sind.  Die  griechische  Wissen- 
schaft hat  Ursache  und  Wirkung  mit  Eifer  und  Erfolg  zu  ergründen 
gesucht,  audi  Verzeichnisse  der  in  Hellas  beobachteten  Erdbeben  an- 
gelegt   Die  Römer  erkannten  darin  ein  unglflcUiches  Wahrzdcben, 
bemühten  sich  durch  Opfer  und  Gebete  den  Zon  der  Gottheit  zu  be- 
scliwichligen.  Die  Italien  betreffenden  Nachrichten  sind  deshalb  in  der 
Regel  nur  dem  Aberglauben  zu  verdanken,  welcher  einen  Zusammen- 


U  Seoeca  Mtar.  «pnest  VI  1, 2  Pub.  Ef.VI  30«  1. 


S  6.  Erdbeben.  285 

haog  mit  nachfolgenden  historischen  Ereignissen  zu  erkennen  wähnte.  ^) 
Ihre  Sammlung  gewährt  ein  noch  unvollständigeres  Bild  als  bezüg- 
lich anderer  Naturerscheinungen  der  Fall  war.  Trotzdem  wird  eine 
Chronik  der  Erdbeben  hier  am  Platze  sein : 


461  V.  Chr. 

Rom,  Liv.  III  10. 

436 

Umgegend  Roms,  Liv.  IV  21  Oros.  II  13,8. 

396 

SicUien,  Oros.  II  18,6. 

268 

Picenum,  Oros.  IV  4,5. 

217 

Viele  Städte  Italiens  zerstört,  Liv.  XXll  5  Plin.  11  200 

Cic.  de  div.  I  78. 

193 

Häufige  Erdstöfse,  Liv.  XXXIV  55. 

192 

Rom  an  38  Tagen,  Liv.  XXXV  40. 

179 

Rom,  Liv.  XL  59. 

174 

Verwüstung  im  Sabinerland,  Liv.  XLI  28. 

118 

Rom,  Obs.  35. 

100 

Verwüstung  in  Picenum,  Obs.  45. 

99 

Nursia,  Obs.  46. 

97 

Pisaurum,  Obs.  48. 

92 

Faesulae,  Obs.  53. 

91 

Mutina  und  Regium  verwüstet,  Obs.  54  Plin.  II  199. 

76 

Reate  zerstört,  Obs.  59. 

63 

Spoletium  zerstört,  Obs.  61  Dio  XXXVII  25. 

49 

Rom,  Dio  XLI  14. 

47 

Rom,  Dio  XLII  26. 

44 

Rom  häufig,  Obs.  68. 

43 

Rom,  Dio  XLV  17. 

17 

Appennin,  Obs.  71. 

5  n.  Chr. 

Rom,  Dio  LV  22. 

15 

Rom,  Dio  LVII  14. 

37 

Capreae,  Suet.  Tib.  74. 

51 

Rom  häufig,  Tacit  Ann.  XII  43. 

63 

Pompeji  zerstört,  Sen.  nat  quaest.  VI  I  Tacit  A.  XV  22. 

68 

Rom,  Suet.  Galba  18. 

68 

Mamicinerland,  Plin.  II  199. 

217 

Rom,  Dio  LXXVIII  25. 

223 

Rom,  Chron.  pasch.  I  p.  499  Ronn. 

1)  Sogar  PliD.  11  200  erklärt  alles  Ernstes:  numquam  urbs  Roma  tremuit, 
ui  non  futuri  eventuM  alicuius  id  praenuntium  esset 


286  Kap.  VI.  Der  Tulktnismns. 

241  Verbreitetes  Erdbeben,  lul.  Cap.  Gord.  26. 

262  Rom,  Treb.  PoU.  Galt.  5. 

345  Verwüstong  in  Rom  und  Campanien,  Hieron.  2362. 

365  Sicilien  und  andere  Küsten  verwOstet,  Hieron.  2382 

▼gl.  Clinton  fast!  Rom. 
394  Verschiedene  Gegenden  Europa's,  Marc.  Comes  (Migne  LI 

p.  920). 

Nach  dieser  Uebersicht,  so  unvollständig  sie  auch  ist,  bleibt  kein 
Theil  Italiens  vom  Erdbeben  verschont    Die  Alten  lassen  die  Küsten 
besonders  heimgesucht  sein^):  die  Ansicht  erkärt  sich  daraus  dals  es 
hier  am  entsetzlichsten  wütet,  wenn  das  Heer  plötzlich  viele  Meter 
über  seinen  gewöhnlichen  Stand  anschwillt  und  Tausende  unversehens 
mit  sich  fortreifst.    Doch  wufsten  die  Allen  recht  gut  dafe  auch  Alpen 
und  Appennin  oft  erschüttert  würden.    Nach  neueren  Reobachtungen 
pflanzen  sich  die  Schwingungen  eines  bedeutenden  Rebens  über  ein 
Gebiet  von  60 — 80000  und  mehr  Quadratmeilen  fort   Die  Form  des 
erschütterten  Rezirks  ist  entweder  kreisförmig  elliptisch  (centrales 
Erdbeben)  oder  langgezogen  gürtelartig  (lineares  Erdbeben).    Regreif- 
licher Weise  sind  die  Stöfse  in  der  Nahe  des  Ausgangs-  oder  Mittel- 
puncts  am  stärksten  und  verderblichsteo.    Die  heutige  Wissenschaft 
führt  dieselben  auf  zwei  getrennte  Ursachen  zurück,  insofern  sie  einer- 
seits mit  den  vulkanischen  Erscheinungen  io  Zusammenhang  stehen, 
Ausbrüche  einleiten  oder  begleiten  (vulkanische  Erdbeben),  anderer- 
seits durch  Spannungen,  welche  die  dauernde  Raumverminderung  der 
festen  Erdkruste  hervorruft,  bewirkt  werden  (tektonische  Erdbeben). 
Der  ersten  Art  sind  die  Erschütterungen  zuzuschreiben ,  von  denen 
die  Umgebungen  von  Aetna  Vesuv  Vultur  Albaner  Gebirg  sowie  die 
Liparen  häufig  betroffen  werden.    Aber  auch  die  tektonischen  Erd- 
beben treten  in  der  Nähe  des  Rereichs  der  Vulkane  in  Rruttium  Sicilien 
Lucanien  am  furchtbarsten  auf.    Die  Alten  unterschieden  bereits  eine 
doppelte  Rewegung :  ein  von  unten  nach  oben  gerichtetes  Aufstofsen 
(succussio),  eine  horizontale  Schwingung  durch  welche  die  Oberfläche 
wie  das  Meer  vom  Winde  erregt  wird  (tWtna/to).   Die  Wirkungen  der 
succussorischen  und  undulalorischen  Rewegung  sind  freilich  nach 
heutigen  Erfahrungen  die  einen  gerade  so  schlimm  wie  die  anderen. 
Neben  beiden  wird  dann  noch  das  harmlose  Erzittern  {tremor  terr^) 


1)  Seneca  nat  quae8t.VI  23,  4  Plin.  U  194. 


§  6.   Erdbeben.  287 

als  dritte  Gattung  des  Erdbebens  hingestellt.  <)  Ueber  kein  Kapitel  der 
Geologie  ist  in  alter  und  neuer  Zeit  so  viel  geschrieben  worden  2): 
U'otzdem  ist  keines  von  gleichem  Dunkel  erfüllt.  Die  heutigen  Theorien 
berühren  sich  vielfach  mit  den  antiken ,  aber  halten  ebenso  wenig  wie 
diese  Stand.   Nach  Aristoteles  soll  das  Erdbeben  an  bestinmite  Jahres- 
uDd  Tageszeiten  (Frühling  und  Herbst,  Nacht  und  Hittag)  gebunden 
sein:  die  Regel  bewflhrt  sich  nicht    Ferner  galt  junger  Alluvialboden 
für  gefährdeter  als  gewachsener  Fels:  ohne  Zweifel  hängt  die  Fort- 
pflanzung der  Schwingungen  von  der  geognostischen  Beschaffenheit 
ab,  werden  z.  B.  die  Orte  wo  verschiedene  Bodenarten  sich  berühren, 
an  den  Berührungslinien  die  gewaltsamsten  Stüfse  erfahren ;  aber  für 
manche  Ausnahmen,  fast  möchte  man  sagen  Willkürlichkeiten  der 
Naturkraft  fehlt  annoch  die  Erklärung.    Die  von  den  Alten  ausge- 
sprochene Ansicht  dafs  Brunnen  Hohlen  oder  Schachte  als  Abieiter  der 
Erschütterung  dienen,  die  darüber  errichteten  Gebäude  schützen^),  be- 
haoptetsich  noch  jetzt  imVolksglauben  und  kann  vollkommen  richtig  sein. 
Desgleichen  wird  die  Wahrnehmung  dafs  ein  heftiges  Beben  sich  über 
eine  längere  Zeitdauer,  40  Tage  sogar  1 — 2  Jahre  erstreckt,  durchaus 
bestätigt.    Was  aber  die  Anzeichen  betrifft,  aus  denen  man  seinen 
bevorstehenden  Eintritt  erkennen  wollte.  Wind  Wolken  Meer  und 
Brunnen,  und  was  die  darauf  begründeten  Weissagungen  betrifft,  so 
werden  die  bezüglichen  Nachrichten  mit  äufserstem  Mifstrauen  aufzu- 
nehmen sein. 

Durch  diese  jählings  hervorbi*echende  Gewalt  ist  der  Volksgeist 
in  eigentümlicher  Weise  beeinflufst  worden.  „Alle  Zeugnisse  unserer 
Sinne  —  sagt  A.  von  Humboldt^)  —  haben  den  Glauben  an  die  Un- 
beweglichkeit  des  Bodens,  auf  dem  wir  stehen,  befestigt.  Wenn  nun 
urplötzlich  der  Boden  erbebt,  so  tritt  geheimnifsvoll  eine  unbekannte 
Naturmacht  als  das  Starre  bewegend,  als  etwas  Handelndes  auf.  Ein 
Augenblick  vernichtet  die  Illusion  des  ganzen  früheren  Lebens  .  .  . 
Das  Erdbeben  stellt  sich  als  etwas  Allgegenwärtiges  Unbegrenztes  dar. 
Von  einem  thätigen  Ausbruchskrater,  von  einem  auf  unsere  Wohnung 
gerichteten  Lavastrome  kann  man  sich  entfernen ,  bei  dem  Erdbeben 


1)  Seneca  a.  O.VI  21,  2  Aristot.  Meteor.  II  8,  15  de  mundo  4. 

2)  Ausfflhrlicbe  DarsteUongen  sind  erhalten  von  Aristoteles  Meteor.  II  7.  8, 
Seneca  nat.  qnaest.VI  (durch  das  campanische  Beben  von  63  veranlafst),  Pli> 
nius  U  191—200  AmmianXVU  7. 

3)  Plin.  U  197. 

4)  Kosmos  I  224. 


288  Kap.  VI.  Der  Volkaaismas. 

glaubt  man  sich  überall,  wohin  auch  die  Flucht  gerichtet  sei,  über  dem 
Herd  des  Verderbens.  Ein  solcher  Zustand  des  Gemüts,  aus  unserer 
innersten  Natur  herrorgerufen,  ist  aber  nicht  von  langer  Dauer.  Folgt 
in  einem  Lande  eine  Reibe  von  schwachen  ErdstOfsen  auf  einander, 
so  verschwindet  bei  den  Bewohnern  fast  jeghche  Spur  von  Furdit** 
Die  griechische  Wissenschaft  hat  eine  rationelle  Erklärung  gesucht  und 
bald  in  diesem  bald  in  jenem  der  vier  Elemente  den  Ursprung  zu 
finden  geglaubt.  Ihre  Theorien  blieben  auf  den  kleinen  Kreis  der 
Gebildeten  beschränkt  und  nehmen  für  unsere  Aufgabe  kein  besonderes 
Interesse  in  Anspruch.  Diesem  ausgdireitetsten  unentrinnbaren  gie- 
rigen gemeinschädlichen  Unheil,  wie  Seneca  es  bezeichnet,  gegenüber 
vermochte  die  Philosophie  nur  vereinzelten  freien  Geistern  Trost  zu 
bringen.  Es  nährte  und  nährt  den  Wunderglauben  der  Südländer  io 
hervorragendem  Mafse.  Merkwürdig  yne  auch  hier  die  verschiedeae 
Anlage  des  Griechen  und  Römers  getrennte  Wege  eingeschlagen  hat. 
Jenem  hiefs  der  Urheber  Poseidon  der  allgegenwärtige  bewegende,  der 
alle  Landfesten  tosend  umbrandet.  Dieser  stand  dem  Leben  des  Meeres 
zu  fern  um  einen  solchen  Zusammenhang  anzuerkennen,  hielt  sich  an 
das  Zeugnifs  seiner  Sinne  dafs  die  Erde  bebt,  aber  getraute  sich  nicht 
zu  entscheiden ,  ob  die  Bewegung  von  der  empfangenden  Mutter  ob 
von  dem  zeugenden  Erdgott  ausging.  Deshalb  brachte  er  si  deo  si  deae 
die  schuldige  Sühne  dar  ohne  Namen  zu  nennen  und  verwandte  diese 
Umschreibung  nach  Art  eines  festen  individuellen  Begriffs,  i)  Die 
grübelnde  Theologie  der  Etrusker  beutete  dies  Feld  mit  Eifer  aus 
und  behauptete  den  Ruhm  Erschütterungen  voraussagen  zu  können.^ 
Nähere  Nachrichten  besitzen  wir  nur  von  dem  Erdbeben,  welches  am 
5.  Februar  63  n.  Chr.  Campanien  heimsuchte  und  dessen  ZerstürungeD 
an  den  aufgedeckten  Ruinen  Pompeji's  noch  jetzt  deutlich  verfolgt 
werden  können.  Im  Uebrigen  bleibt  es  uns  überlassen  an  der  Hand 
neuerer  Erfahrungen  die  wortkarge  Ueberlieferung  zu  ergänzen,  den 
menschlichen  Jammer  auszumalen,  den  die  Berichte  der  heuttgen 
Reisenden  wenigstens  zum  Theil  enthüllen. 

§7.   Hebung  und  Senkung. 

Die  Alten  hatten  erlebt,  dafs  das  Erdbeben  Bergwände  ins  Thal 
herabstürzte,  blühende  Küstenstädte  spurlos  verschwinden  machte. 

1)  Gellius  N.  A.  II  28  vgl.  Pomp.  Studien  p.  332. 

2)  Cicero  de  divio.  I  35. 


(  7.  Hcbnng  und  Senkung.  28^ 

Sie  trauten  dieser  Naturkraft  ^le  au&erordentUclißten  LeistuDgfui  zu. 
Ihr  legten  lUe  gnechiscben  Seefahrer  die  TreupungSicilieDs  und  I^liepf 
(S.  96),  die  Losreilaung  l8c)iia'8  und  Procida's  von  Cao^paDien  (S.  266 
k.2)im;  ja  Strako  ist  geneigt  die  Entstehung  sammtUcher  in  Land* 
nähe  befiiidUcher  Inselq  auf  dieeelbe  W^ise  zu  erklären  ^),  wie  schon 
vorbar  Piaton  den  Untergang  der  Atlantis  und  Andere  ähnliche  Zer* 
Störungen  efU/irt  hatten.    Man  kann  die  Anschauung  dßr  Alten  vom 
Kampf  des  Festen  und  Flüssigen  eine  dramatische  nennen :  ein  einz^er 
Moment,  Tag  und  Stunde  führt  den  grojD^rtigsten  Wechsel  berhtei- 
Gerade  so  haben  sie  auf  Justoriscbero  Gebiet  die  weUhewegei^clen 
Neuerungen,  die  Erfindung  von  Sprache  und  Staat,  von  Ackerbau 
Handwerk  und  Schrift  als  das  Werk  weiser  gottbegnadeter  Ifäfiner 
hingestellt,  unftihig  diese  Errungenschaften  auf  die  Arbeit  zal^lloser 
einander   ablösender  Geschlechter  ^urttickzufuhren,  den  unendlich 
langen  Gang  des  Werdens  mit  ihren  Gedanken  zu  geleiten.    Unsere 
Erfahrung  reicht  weiter,  wir  wissen  mit  den  hundertfachep  Zeit-  ^nd 
Raumgröfsen  zu  rechnen  als  sie  unsei*en  Lehrmeistern  geläufig  waren. 
Aus  den  Scliöpfungstagen  der  Legende  sind  Aeonen  geworden  und  die 
Schöpfung  setzt  sich  auch  in  der  Gegenwart  ununterbrochen  fort. 
Nach  0.  Peschels  Worten  „ruht  auf  dem  Antlitz  unseres  Planeten  noch 
nicht  eine  tüdtlicbe  Erstarrung,  sondern  es  verändert  noch  fortwahrend 
seine  Züge,  insofern  die  Umrisse  der  Insehi  und  Festlande  beständig 
schwanken,  hier  sich  verkürzen,  dort  sich  ausdehnen,  und  zwar  mit- 
unter so  beträchtlich,  dais  sich  schon  in  historischen  Zeiten  vieles 
anders  gestaltet  hat.^    Die  dramatische  Auffassung  des  Altertums  von 
den  Umwälzungen  der  Natur  hat  ihre  GeUung  eingebüfst.    Wol  ver- 
zeichnen unsere  Annalen  manch  traurigen  Tag,  an  dem  die  Flulen 
gesegnete  Gaue  von  vielen  Meilen  Umfang  in  ihr  nasses  Grab  gezogen 
haben.  Allein  diese  Daten  bezeichnen  nur  den  Schlufs  eines  lang  ein? 
geleiteten  unmerkliche  Zenstftrungswerks:  mit  Erfolg  greift  die  See 
nur  sinkendes  Land  an«    Das  Sinken  oder  Aufsteigen  einer  Küste  er- 
reicht nach  den  vorbandenen  Messungen  kaum  einen  Meter  im  Jahr- 
hundert —  man  hat  deshalb  den  Kunstansdruck  ,^eculare  Hel>Qng  und 
^nkung'^  dafür  gewühlt  — ;  immerhin  mub  es  im  Lauf  der  Zeiten 
^«  grOfstßn  Veränderungen  herbeiführen.  Audi  auf  Italien  hat  es  seit 
dem  Altertum  einen  beachtenswerten  flinflufs  geübt. 

Nirgends  tritt  uns  derselbe  sinnlich  greUbarer  entgegen  als  in  dem 

1)  VI  258.  Plat  Tim.  25  G. 

KiM«a,  Itol.  UadMlcuade.  I.  19 


290  Kap.  VI.  DerTalkinismiu. 

sog.  Serapistempel  von  Puteoli,  welcher  neuerdings  als  Macellum  oder 
Fleischmarkt  gedeutet  wird.  Die  drei  aufrechten  12,50  m  hohen  Säulen 
aus  karystischem  Marmor  stehen  mit  ihrem  Fufs  im  Wasser:  der  See- 
spiegel ist  mithin  gegenwärtig  bedeutend  hoher  als  er  bei  ihrer  Er- 
richtung war.  Und  doch  hat  er  sich  seit  dem  16.  Jahrhundert  ansehn- 
lich erniedrigt;  denn  bis  zur  Hohe  von  6,30  m  ist  der  Stein  von  Bohr- 
muscheln (modiola  Uthophaga)  angefressen  und  hat  denselben  geraume 
Zeit  als  Herberge  gedient,  während  das  untere  Stock  bis  3,60m  von 
Tuff  und  Asche,  die  vermutlich  von  Ausbrachen  der  benadibarten 
Solfatara  herrührten ,  eingehüllt  war.  Die  vulkanische  Beschaffenheit 
der  Landschaft  hat  offenbar  an  dieser  auffälligen  Bodenschwankung, 
einer  Senkung  im  Hittelalter,  die  mindestens  8 — 10m  betrug,  einer 
darauf  folgenden  Hebung  von  6  m,  ihren  Antheil  gehabt.  Indessen 
handelt  es  sich  keineswegs  um  eine  vereinzelte  Thatsache:  der  ehe- 
malige Molo  von  Puteoli,  ein  gewöhnlich  den  Nymphen  zugeschriebeDer 
Tempel,  femer  ausgedehnte  Villenanlagen  bei  Baidi  Bacoti  liegen 
gleichfalls  unter  Wasser  und  daraus  erhellt  unzweifelhaft,  dafs  die 
ganze  Küste  von  Puteoli  bis  Misenum  gesunken  ist  Ein  anderes 
Senkungsgebiet  haben  wir  am  Nordrande  der  Adria  kennen  gelernt 
(S.  201).  Die  lockere  Beschaffenheit  des  Schwemmlandes  konnte  viel- 
leicht geltend  gemacht  werden  um  das  Einsinken  der  venetischen  Küste 
zu  erklären:  aber  für  das  gegenüber  liegende  Istrien,  an  welchem 
dieselbe  Erscheinung  wahrgenommen  vrird,  trifft  solcher  Gesichtspunel 
nicht  zu.  Ucberhaupt  fehlt  es  annoch  an  ausreichenden  Beobachtungen 
um  die  Ursache  der  auf-  und  abschwebenden  Bewegung  der  Küsten 
bestimmen  zu  können.  Nur  so  viel  steht  fest  dafs  die  widerstrebenden 
Kräfte  einander  das  Gleichgewicht  halten ,  dafs  dem  Sinken  des  einen 
das  Steigen  des  anderen  Landes  entspricht.  Ein  aufsteigender  Bezirk 
zieht  sich  quer  duixh  das  Mittelmeer  von  dem  karthagischen  Gebiet 
über  Sidlien  Sardinien  Gorsica  bis  zu  den  Küsten  Liguriens  und  Galliens 
hin.  Sicilische  Häfen  altberühmten  Ansehens  sind  in  Folge  dessen 
versandet  oder  gar  landfest  geworden.^)  Panormos  (Ganzhafen)  führt 
seinen  Namen  nicht  mehr  zu  Recht:  die  beiden  Meerarme,  welche  1  km 
und  tiefer  eindringend  ihm  denselben  verliehen,  sind  verschwunden 
und  der  Strand  schiebt  sich  zusehends  weiter  hinaus.  Der  Hafen  von 
Drepana  Trapani,  in  welchem  249  v.  Chr.  grolse  Kriegsflotten  manO- 
vriren  konnten,  hat  gegenwärtig  kaum  ein  paar  Fufs  Wasser  und  es 


1)  Theobald  Fischer,  Beitrftge  p.  11  fg. 


f  7.  Hebung  und  Senknng.  291 

scheint  daÜB  der  Grund  innerhalb  dieses  Jahrhunderts  um  mehrere 
Meter  gewachsen  sei.  Der  Canal,  welcher  die  Inselstadt  Motye  S.  Panta- 
leooe  von  Sicilien  trenot,  war  in  den  Kämpfen  des  Dionys  gegen  Karthago 
für  Schiffe  schwersten  KaUbers  zugänglich  und  wird  jetzt  mit  Wagen 
durchfahren :  seine  Tiefe  hat  sich  demnach  von  5  m  oder  mehr  auf 
V4  m  vermindert.  Die  Küsten  von  Latium  und  Etrurien  sind  in  raschem 
VorrOcken  begriffen,  das  schwerlich  allein  aus  den  Anschwemmungen 
der  Flüsse  erklärt  werden  kann.  Die  Wichtigkeit  der  Aufschlüsse, 
welche  die  Ortskunde  im  Einzelnen  aus  dieser  secularen  Bewegung 
gewinnt,  braucht  hier  nicht  betont  zu  werden.  Dagegen  mag  es  ge- 
stattet sein  mit  einem  allgemeinen  Rückblick  zu  schliefsen.  Wir  lernten 
die  ereignifsvolle  Bildungsgeschichte  Italiens  kennen :  das  Urgebirge 
ward  zertrümmert  und  verschlungen,  dann  ist  eine  Hebung  um  400  m, 
soweit  die  Tertiärformation  reicht,  gefolgt,  der  Schutt  der  Alpen  und 
dieThätigkeit  der  Vulkane  schufen  die  Ebenen,  auf  denen  die  historische 
Stellung  desLandes  beruht.  Die  im  Bereich  unserer  Erfahrung  liegende 
Bewegung  der  Küsten  liefert  den  Mafsstab  um  Jenen  sovielgrofsartigeren 
Wechsel  zu  begreifen.  Und  indem  wir  die  unscheinbare  Arbeit  der 
Naturkräfie  belauschen,  die  Gegenwart  an  eine  nahe  und  eine  weit 
entrückte  Vergangenheit  anknüpfen,  schütteln  wir  die  Träume  der 
Kindheit  ab,  halten  uns  berufen  in  die  Ratschlüsse  des  Erdgeistes  ein- 
geweiht zu  werden,  mindestens  befolgt  deren  Gesetzmäfsigkeit  ahnend 
nachzuempfinden. 


19» 


KAPITEL  VII. 


Die  Appennlnflllsse« 

Die  Wiege  unserer  Civilisation  hat  an  Flossen  gestanden.    Weno 
wir  die  Elemente  der  heutigen  Bildung  bis  zu  ihrem  erkennbaren  Ur- 
sprung zurück  Terfolgen ,  gelangen  wir  an  die  Ufer  von  Nil ,  Euphrai 
und  Tigris,  Indus  und  Ganges,  Hoangho  und  Jangtsekiang.   Nicht  als 
ob  die  Flosse  die  Cultur  ins  Leben  gerufen  hütten :  in  Amerika  ist  die 
Cnltur  im  Hochland  erwachsen,  hat  das  herrlichste  Flufesystem  der 
Welt  nicht  das  geringste  zur  Blüte  menscUicher  Gesittung  beigetragen. 
Aller  Orten  und  von  Anbeginn  an  ist  das  Menschengeschlecht  eioe 
fortschreitende  Bahn  gewandelt.  Aber  wol  begreift  man,  wie  in  jenen 
gesegneten  Tiefebenen  die  Culturarbeit  unendlich  beschleunigt  werden 
konnte.    Sie  gestatteten  eine  aufserordentliche  Verdichtung  der  Be- 
völkerung, forderten  zu  durchgeführter  Arbeitstheilung  auf,  begOnsti^- 
ten  die  Errichtung  eines  grofsen  Staatswesens,  weckten  mit  ihren 
Ueberschwemmungen  und  Wasserstrafsen  den  Scharfsinn  und  die  Er- 
findungsgabe der  Anwohner.   Derart  vollzog  sich  die  gründlichste  Ab- 
kehr vom  natürhchen  Dasein  des  Jägers  und  Hirten ,  ward  die  Herr- 
schaft des  Geistes  auf  immer  gefestigt.   Mit  schwerer  Einbufse  jedoch: 
seiner  angeborenen  Freiheit  ging  der  Mensch  hier  ganz  verlustig,  wani 
dem  unerbittlichen  Vorurtheil  der  Kasten,  dem  Joch  einer  scheulsUchen 
gottverblendeten  Autokratie  überantwortet.    Die  potamische  Phase  in 
der  Entwicklung  der  Alten  V^elt  ward  sodann  von  der  thalassischen 
abgelöst.  Das  Mittelmeer  trat  an  die  Stelle  der  Ströme,  Gebirgsländer 
an  die  Stelle  der  Tiefebenen ,  Stfldte  an  die  Stelle  der  Landstaaten. 
Republiken  an  die  Stelle  der  Despotien.     Zur  See  hat  keines  jener 
Culturreiche  seinen  Namen  durch  Grofsthaten  verewigt:  die  See  ver- 
langt bdierzte  Männer,  Kühnheit  mufs  sich  mit  Klugheit  paaren  dem 
der  sich  ihren  Wogen  anvertrauen  will,  die  See  ist  jederzeit  eine  hobf 
Schule  der  Völkerfreiheit  gewesen.    Von  den  Phoeniziern  begründet, 


§  1.  JKe  Thäügkeit  des  Wassers.  29S 

iiard  das  neue  Priodp  von  dea  Helienen  am  reinsten  ausgeprjlgt.  Die 
Natur  des  heUenischen  Landes  verhinderte  dessen  politische  Einigung. 
Meer  und  Hochgebirg  hatten  auf  eng  begrenztem  Raum  alle  Formen 
ihrer  Gestaltungskraft  erschöpft.  Wie  eine  FOlle  von  Mikrokosmen 
lagen  Thfllei*  und  Eilande  da,  nur  das  allumbssende  Meer  schützte  sie 
?or  dem  Erstarren  in  der  Vereinsanrang,  trug  Leben  und  Anregung 
voD  Gestade  zu  Gestade,  verband  die  zerstückelten  Tbeile  zum  natio* 
nalen  Ganien.  Auch  Italien  ist  den  Fahnen  der  Freiheit  gefolgt,  hat 
seinen  Nacken  unter  die  orientaUsche  Despotie  erst  gebeugt,  als  es 
matt  and  kraftlos  in  langen  Schlaf  versank,  hat  veijüngt  alsdann  im 
feudalen  Europa  Autonomie  und  Bürgertum,  Kunst  und  Wissenschaft 
zu  einer  BIttte  entfaltet,  die  an  den  Glanz  von  Hellas  gemahnt. 0  Das 
Land  der  hundert  Stfidte  heifst  es  seinen  beutigen  Bewohnern  und  ist 
Kam  stadiischen  Regiment  bereits  in  einer  Epoche  übergegangen, 
welche  hinter  aller  Ueberlieferung  ßiUt.  Der  Wettstreit  der  Städte  um 
Vorrang  und  Herrschalt  erfüllt  die  italische  wie  die  hellenische  Ge- 
schichte. Es  gelang  Rom,  woran  Athen  Sparta  Theben  gescheitert 
waren,  ein  ganzes  Land  in  den  Rahmen  seiner  Verfassung  einzufügen, 
auf  der  Basis  einer  Macht,  die  an  Breite  und  Sicherheit  bisher  uner- 
reicht geblieben  war^),  den  Erdkreis  sich  zu  Füfsen  zu  legen.  Die 
Einigung  der  Appenninhalbinsel  im  dritten  Jahrhundert  v.  Chr.  ent- 
behrte freilich  der  Weibe,  welche  die  Schöpfung  des  heutigen  National- 
staats zu  einem  Act  geschichtlicher  Gerechtigkeit  stempelte.  Die 
römische  Hegemonie  ruhte  nicht  auf  Gemeinschaft  von  Sprache  und 
Abstammung,  ruhte  einzig  und  allein  auf  Gemeinschaft  der  materiellen 
Interessen  (S.  58. 69).  Wer  über  die  Ursachen  von  Roms  Grölse  nach- 
«lenkt,  wird  gern  das  tiefe  Wort  0.  Peschels  wiederholen:  ^hoher  als 
alle  Umrisse  von  Land  und  Meer,  als  das  höchste  sogar  müssen  wir  die 
That  verehren.^  Aber  zugleich  wird  er  sich  der  Einsicht  nicht  ver- 
schliefsen ,  dals  die  Natur  ehedem  einen  ungleich  stärkeren  Einflufs 
auf  die  Geschicke  der  Völker  übte  als  gegenwärtig,  dafs  keine  That* 
kraft  ausgereicht  hatte  Rom  den  Primat  zu  erringen,  wenn  sein  Streben 
nicht  von  den  natürlichen  Verhältnissen  unterstützt  worden  wäre. 
Diese  gaben  allen  Nebenbuhlerinnen  gegenüber  den  Ausschlag.  Dafs 
weder  Sybaris  noch  Tarent,  weder  Capua  noch  Corfinium  an  die  Spitze 
der  Halbinsel  sich  emporschwingen  konnten,  war  von  vornherein 

1)  Edward  Freeman,  aucient  Greece  and  roediaevai  Italy,  in  Historical 
E«says  11  London  1S73. 

2)  Tac.  Ann.  XI  24. 


294  Kap.  Vn.  Die  AppenninflOsse. 

durch  die  gewaltige  Ueberlegenheit  bestimmt,  welche  der  Tiber  vor 
dem  Aternus  und  Volturaus,  dem^  Galaesos  und  Krathis  behauptete. 
Mit  gutem  Grund  galt  er  den  Römern  als  Vater  und  Vertreter  ihrer 
Stadt,  als  erster  unter  allen  Flüssen;  sinnYoU  stellt  ihn  die  badende 
Kunst  dem  Nil  als  ebenbartigen  Genossen  an  die  Seite,  iSfst  den 
ältesten  dem  jüngsten  und  letzten  Weltstrom  seine  Huldigung  dar- 
bringen. ^  Das  Flufssystem  der  Halbinsel  fesselt  uns  nicht  durch  die 
Grofsartigkeitder  Erscheinungen,  welche  wir  imPoland  kennen  gelernt 
haben :  statt  dessen  tritt  seine  historische  Bedeutung  in  den  Vorder- 
grund. Dem  heutigen  Beschauer  wird  dies  nicht  ohne  weiteres  klar. 
Der  Wert  der  Vergünstigungen,  den  die  Flüsse  dem  Altertum  darboten, 
ist  seitdem  vielfach  abgeschwächt,  ja  aufgehoben  und  in  das  gerade 
Gegentheil  umgewandelt  worden.  Deshalb  erscheint  es  angemessen 
die  Veränderungen ,  die  dieser  Factor  erlitten ,  im  Zusammenhang  zo 
betrachten. 

§1.  Die  Thätigkeit  des  Wassers. 

Arno  Tiber  und  andere  Appenninflüsse  schieben  ihre  Mündungen 
zusehends  ins  Meer  vor  und  füllen  die  bogenförmigen  Buchten  mit 
ihren  Schwemmstoffen  aus.  Indessen  hat  sich  das  Binnenland  in 
historischen  Zeiten  nicht  minder  verändert  als  die  Küste.  Unter  allen 
Formen  seiner  Erscheinung  bekundet  das  Wasser  eine  unversühnlicbe 
Feindschaft  gegen  die  Erdkraft,  arbeitet  unablässig  daran  dessen  Ge- 
bilde zu  zerstören.  Es  fehlt  uns  jeder  Anhalt  um  die  Tuffmasse  weiche 
alljährlich  vom  Albaner  Gebirg  (S.  261),  oder  das  GerOU  das  vom 
Appennin  abgespult  wird,  annähernd  zu  schätzen.  In  Folge  der  Heftig- 
keit der  Niederschläge  mufs  die  Abschwemmung  seit  je  einen  hohen 
Grad  erreicht  haben :  aber  nachdem  die  Wälder  gefallen  und  die  Hänge 
ihrer  schützenden  Vegetationsdecke  beraubt  sind ,  nimmt  sie  riesen- 
hafte Verhältnisse  an.  Der  5 — 6  km  breiten  Kiesbetten  im  Ostlichen 
Venetien  haben  wir  S.  195  gedacht.  Im  südlichen  Bruttium  kommt 
auf  jede  Meile  Küste  eine  1  km  breite  von  Steinschutt  erfüllte  Fläche. 
Fiumara  heifst  ein  solcher  Trockenbach  den  jetzigen  Bewohoem, 
tarreni  hiefs  er  ihren  Vorfahren.^)  Eine  anschauliche  Schilderung  giebt 
Th.  Fischer  von  den  Fiumaren  des  nordöstlichen  Sicilien^):  „ihr  Beit 

1)  Preller,  Myih.'  p.  5t0fg. 

2)  Plin.  XXXI  53  pierumqu«  vero  dmnnosi  iarreniei  eonrioaniur  äetrßcU 
eolHbus  Milva  eontinere  nimbos  ac  digerere  consueta. 

3)  Beiträge  p.  S. 


I  1.  Die  Thatigkeit  des  Wassere.  295 

ist  an  der  Maadung  oft  über  einen  Kilometer  breit  und  in  demselben 
windet  äch  ein  dünner  Wasserfaden,  der  meist  bald  nach  dem  Winter- 
regen YöUig  verschwindet  und  in  der  Tiefe  fliefsend  das  Meer  erreicht. 
Es  bildet  eine  sanft  geneigte  schiefe  Ebene,  die  tief  in  das  Herz  der 
Berge  eindringt  und  auEser  nach  grofsen  Regengüssen  den  bequemsten 
Fahrweg  ins  Innere  bietet.  Die  Hauptschlucht,  in  die  schon  vorher 
andere  eingemündet,  endet  meist  plötzlich  vor  steilen  Wanden,  ein 
Saumpfad  setzt  den  bisher  bequemen  Fahrweg  fort  und  in  tiefen 
Spalten,  den  gewalligen  Krallen  eines  Ungeheuers  gleich,  reifsen  die 
Regengüsse  das  lose  Gestein  von  den  steilen  Hängen.  Ganze  Berg- 
hänge setzen  sich  dann  in  Bewegung  und  strömen  flüssig  geworden 
mit  furchtbar  verwüstender  Kraft  dem  Meere  zu.  Oft  durchbrechen 
sie  die  in  neuester  Zeit  notgedrungen  in  ihrem  Unterlauf  geschaffenen 
Dänune  und  Mauern  und  füllen  die  Agrumengärten  mit  Schutt  und  Ge- 
röll. Einzelne  Fiumaren  arbeiten  einander  von  der  Meerenge  und  vom 
tyrrhenischen  Meer  her  entgegen:  einem  gewaltigen  Wasserfalle  gleich, 
nur  mit  unendlich  gröfserer  Geschwindigkeit  schreiten  sie  rückwärts, 
jede  Regenzeit  nähert  sie  einander  mehr  und  in  wenigen  Jahrzehnten 
werden  sie  bei  Messina  den  Gebirgskamm  ganz  durchsägt  haben.'^ 
Die  alten  Römer  zügelten  die  Wildwasser  mit  starker  Faust  wie  nur 
immer  Venezianer  und  Lombarden  (S.  213).  Aber  die  meisten  jener 
endlosen  Reihe  von  Flüssen ,  die  vom  Var  und  Rubicon  bis  zum  Faro 
hinunter  gezählt  werden,  haben  durch  die  Raubgier  und  den  Un- 
verstand des  Menschen  ihre  Freiheit  zurück  erlangt  Hit  dem  Ueber- 
mut  entlaufener  Sklaven  zerfleischen  sie  die  Brust  der  mütterlichen 
Erde  und  richten  die  Gefilde ,  auf  denen  einst  hundertftiltiger  Weizen 
sprofs,  ihrem  treuen  Verbündeten  dem  bleichen  Fieber  als  Heim- 
stätte ein. 

Durch  die  Thatigkeit  des  Wassers  ist  das  Relief  des  Landes 
verflacht  worden :  zur  Römerzeit  ragten  die  Berge  höher  hinauf  und 
vor  allen  Dingen  schienen  sie  so,  weil  die  Thäler  tiefer  eingeschnitten 
waren.  Von  der  Bedeutung  des  Capitob  z.  B.  gewinnt  der  Beschauer 
erst  dann  einen  klaren  Eindruck,  wenn  er  sich  von  dem  heutigen  um 
13  m  aufgefüllten  Boden  auf  die  aufgedeckten  Straben  des  alten 
Forums  hinabbegeben  hat  Durch  den  Bauschutt  den  die  Jahrtausende 
in  Rom  angehäuft,  sind  die  natürlichen  Verhältnisse  vielfach  bis  zur 
Unkenntlichkeit  verwischt  worden.  Freilich  kann  das  Beispiel  einer 
Stadt,  in  welcher  ein  Kehrichthaufen  von  fast  1000  Schritt  Umfang 
bis  zur  Höhe  von  35  m  (M.  Testaccio,  50  m  ü.  M.)  emporgewachsen 


296  Kap.  Vn.  Die  ^penninflikBse. 

ist,  Dicht  als  aUgemeine  Norm  dien^.    Aber  aueh  anderswo  ist  die 
Erhöhung  des  Bodiens  recht  ansehnlich :  sie  betragt  z.  B.  hn  Mittel 
2  tai  für  AriminUm  und  Ravenna,  1 — 2  m  für  das  Arnothal,  4  m  für 
die  Flur  von  Arretium,  1 — 2  m  fUr  die  atlf  elftem  ROcken  laufende  Via 
Appia  in  der  römischen  Campagna ;  bei  neuiereh  Eisenbahhbauteü  ist 
man  gelegentlicYi  iil  8  ni  Tiefe  auf  das  Pflaster  römischer  Landstrafsen 
gestofeen.    Es  würde  wehig  fruchten  weiteres  Material  beitubringen, 
da  bei  der  unabsehbaren  Menge  der  m  Betracht  kommenden  örtlichen 
Bedingungen  ein  faßlicher  Mittelwert  doch  schwer  geftiiiden  werden 
könnte.    Die  angeführten  Daten  genügen  um  eine  ohnehin  einleuch- 
tende Thatsache  zu  erläutern.    Die  Erd-  und  GeröDmassen,  welche 
der  Regen  in  die  Ebene  hinab  in  das  Meer  hinäfus  schafft,  erschöpfen 
den  yom  Gebirg  erlittenen  Verlust  noch  nicht.    Verborgen  wühlt  in 
seinen  Eingeweiden  der  unerbittliche  Feind  und  setzt  sein  Zerstömngs- 
werk  auch  hier  fort.    Auf  die  Dauer  widersteht  kein  Gestein  den  An- 
griffen des  Wassers,  der  Kalkstein  föllt  ihm  seiner  Lösbarkeit  wegen 
als  leichte  Beute  anheim.    Man  nhnmt  an  da(^  von  der  Snrnme  der 
Niederschläge  ungefähr  ein  Drittel  sofort  verdtinstet,  ein  z'weites  ober- 
flächlich abfliefst ,  das  letzte  einsickert.  Der  Kalkboden  läfst  die  Feuchtig- 
keit ungehindert  durch,  bis  eine  Sättigung  der  unteren  Schichten  ein- 
tritt oder  bis  undurchdringliche  Schichten  wie  Thon  ein  weiteres 
Sinken  verwehren.   Die  Trockenheit  der  Oberfläche,  den  Wasserreich- 
tum der  Tiefe  haben  wir  schon  S.  224  als  charakteristische  Merkmale 
de^  Appennin  kennen  gelernt.  Die  unterirdischem  Behälter  lassen  nicht 
ihren  ganzen  Vorrat  dem  Lande  zu  Gute  kommen.    Wie  schon  den 
Alten  bekannt,  brechen  nicht  selten  mächtige  Quellen  unWeit  der 
Küste  aus  dem  Meer  hervor,  die  auch  gelegentlich  gefafst  worden  sind: 
ein  Zeichen  der  langen  und  launenhaften  Wege,  welche  dasGrond- 
wasser  einschlägt.   Auf  seiner  Wanderung  laugt  es  das  umschHefsende 
Gestehi  aus :  die  Appenninquellen  und  -flüsse  besitzen  durchweg  einen 
starken  Kalkgehalt;  wir  gedachten  bereits  S.  263  der  ungeheuren 
Travörtinlager,  welche  aus   den  Niederschlägen   desselben  hervor- 
gegangen sind.  Diese  chemische  Erosion  wird  die  Ursache  bedeutender 
Veränderungen  auf  der  Oberfläche:  sie  bewirkt  Erdfälle,  vielleicht 
auch  Erdbeben.  Wenn  die  Träger  in  den  grofseu  Hohlräumen  schliefs- 
lich  so  weit  zernagt  sind  dalb  sie  den  auf  ihnen  ruhenden  Druck  nicht 
länger  aushalten,  mufs  notwendig  ein  Einsturz  statt  flnden.    Ein  an- 
schanliches  Beispiel  gewährt  der  Pozzo  di  Antutlo  zwei  Stunden  vod 
Alatri  im  Hernikerland:  eine  Einsenkung  von  400m  Umfang  und  60  m 


§  1;  Die  TMtiglreit  des  Wassers.  297 

Tiefe,  dereü  senkreckte  M^äade  mit  Triopfeteing^dbiMen  bedeckt  sind. 
Solche  Einstürze  sind  in  nelHeren  Zeiten  ab  und  su  if^rgekommen,  von 
den  Alten  als  Wunder  betrachtet  uad  tn  ihren  Annalen  ab  solche  ver- 
zeichnet wbrden.O    I^  Sage  ton  dem  fcrdspalt  auf  dem  Forum,  der 
sich  plötzlich  0Ah)et  und  ab  der  beste  romische  Ritter  in  Wehr  und 
Wafflen  hineinspringt,  von  den  rersöhnten  Gottern  nieder  geschlossen 
wird,  mag  eine  ähnliche  Tbatsache  zu  Grunde  liegen.    So  bildete 
sich  iin  1. 185%  auf  der  Ebene  von  Lagopuezo  (bei  Leprignano  zwischen 
Rom  und  detoi  Söfacte)  unter  heftigem  Getöse  und  Ausströmen  von 
Gds  eine  kreisförmige  Einsenkung  von  100  m  Durchmesser  und  30  m 
Tiefe,  die  von  Wasser  angefttUt  war.    Dafs  derartige  Znsamtnenbt<ache 
die  Umgebungen  ebenso  gut  ersichQttern  wie  das  Rollen  eines  Last- 
wagens oder  der  ScUag  ehies  Dampfhammers,  liegt  auf  der  Hand. 
Aber  vh  die  hervorgenif)enen  Schwingungen  stark  genug  sind  die 
Wirkungen  €nnes  Erdbeliens  auszuQben,  mnfs  dahingestellt  bleiben, 
bis  die  einander  bekämpfenden  Schulen  sich  versöhnt  liaben  werden« 
Den  Nepfnnisten  ^U  der  Efdfall  als  Ursache,  den  Phitonisten  als  Folge 
eines  Erdbebens :  sie  werden  wol  alle  beide  Recht  haben.    Von  den 
trichterförmigen  Erdf^lllen  sind  die  Bergschlipfe  zu  unterscheiden, 
welche  in  allen  Gebirgsiändem ,  von  Erdbeben  freien  wie  damit  be- 
hafteten, Unhefl  genug  anrichten.  Sie  ereignen  sich  nach  anhaltenden 
Regengüssen,  indem  der  Druck  des  Wassers  in  den  Spalten  eine  stark 
geneigte  OberfUlclienschicht  lockert  und  schliefslich  absprengt.    Das 
alte  1747  aufgefundene  Vekia  lag  am  nördlichen  Fufs  eines  steilen  aus 
Sand^ein  und  schiefrigem  Mergel  bestehenden  Rergs,  der  sich^seitdem 
in  zwei  Gipfel  gespalten  hat  (M.  Moria  und  M.  Rovinazso),  da  die  Mitte 
in  wiederholten  Fällen  die  Stadt  etwa  6  m  hoch  verschflttete.    Dies 
scheint  in  der  letzten  HäMle  des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  geschehen 
zu  sein.  kt&  dortiger  Üegend  werden  auch  verschiedene  neuere  Berg- 
stOrze  gefiäädet,  so  dafe  der  Appennin  bei  Piacenza  und  Modena  be- 
sonders geflSAn^det  erscheint. 

Nach  dem  Gesagten  begreift  man  ohne  weiteres ,  dafs  der  land- 
schaftliche Schmuck,  den  der  Appennin  in  seinen  See  hecken  be- 
sitzt, unrettbar  dahin  sdiwindet.  Man  kann  dies  vom  aestfaetischen 
Gesichtspunct  aus  bedauern ,  im  Hinblick  auf  die  öffentliche  Wolfahrt 
nur  wiHkMimen  heifsen ;  denn  stehende  Gewässer  erzeugen  im  Saden 
gemeininn  durch  ihre  Ausdünstungen  schlechte  Luft.    Durch  die  Ab- 


1)  Liv.  XXX  2.  SS  XXXn  9  Obs.  27. 36.  38. 50  n.  a. 


298  Kap.  VII.   Die  Appenninflasse. 

leitung  von  Seebecken  sind  ja  ttberhaapt  die  inoeren  Gebirgsthäler 
wie  die  Flufslltufe  ursprünglich  entstanden :  Qberall zeigen  uns  Klausea 
oder  Flufsengen  an ,  wie  das  Wasser  seine  Bahn  durch  die  Felswände 
hindurch  genagt  und  damit  den  Seeboden  trocken  gelegt  hat  Die 
Arbeit  alle  Aushöhlungen  einzuebnen  setzt  es  rastlos  fort  und  hat  durch 
den  Menschen  unterstützt  seit  dem  Altertum  bedeutende  Erfolge  erzielt 
Von  dem  Eifer  und  dem  Geschick  des  Menschen  die  Naturkräfle  seinen 
Zwecken  dienstbar  zu  machen  hängt  das  Schicksal  vieler  Gegenden  ab. 
Denn  manche  Einsenkungen  entbehren  des  natttrlichen  Abflusses:  ob 
auch  die  Schwemmstoffe  von  den  Bergen  den  Grund  fortdauernd  er- 
höhen, so  wird  der  See  damit  nur  verschlanunt  und  in  einen  Sumpf 
verwandelt,  welcher  auf  künstlichem  Wege  ausgetrocknet  werden  muk 
Oder  die  Flüsse  selbst  verstopfen  ihr  Bette,  das  von  Zeit  zu  Zeit  der 
Reinigung  bedarf.  Sobald  die  menschliche  Fürsorge  nacbläfst,  geht 
der  gemachte  Gewinn  der  Cultur  wieder  verloren,  viele  Errungen- 
schaften der  Alten  sind  in  der  Not  der  Zeiten  wirklich  eingebfilst 
worden.  Aber  trotz  der  bedeutenden  Schwankungen  im  Wasserstand 
hat  die  Trockenlegung  des  Landes  unleugbare  Fortschritte  gemacht 
Der  grölste  See  des  Appennins  der  Fncinus  nahm  bislang  im  Mittel 
eine  Fläche  von  reichlich  2  Vs  d.  DM.  145 Dkm  ein  und  trat  gelegent- 
lich weithin  über  seine  Ufer.  Kaiser  Claudius  bat  ihn  durch  einen 
Tunnel  von  5640m  Länge,  den  längsten  den  die  Welt  bis  zur  Durch- 
bohrung des  M.  Cenis  im  J.  1870  gekannt,  zu  bändigen  und  auf  einen 
bescheidenen  Umfang  zu  beschränken  versucht  Das  Werk  gelang  nur 
zum  Theil,  geriet  später  in  Verfall  aber  ward  von  der  modemea 
Technik  1855  aufgenommen  und  in  zwanzig  Jahren  zu  Ende  geführt. 
Von  dem  nämlichen  Los  ist  der  zweitgrofste  See  der  Halbinsel,  der 
über  2  d.  DM.  120  Dkm  haltende  TrasimmHi  bedroht  So  anmutig 
und  gefiillig  er  sich  dem  Auge  darbietet, *so  wenig  Nutzen  bringt  er, 
verpestet  vielmehr  den  spärlichen  Anwohnern  die  Luft  Sein  Wasser 
ist  auf  Verdunstung  angewiesen ,  da  ihm  wie  dem  Fucinus  der  Abfluß 
fehlt  Im  15.  Jahrhundert  oder  noch  frtüier  ist  an  der  SOEcke  ein 
unterirdischer  Stollen  gebrochen  worden ,  ohne  unseres  Wissens  be- 
deutendes auszurichten.  Da  aber  die  höchste  Seetiefe  auf  7  m  ver- 
mindert ist,  erscheint  das  Gelingen,  wenn  mit  den  wiederholt  auf- 
tauchenden Frojecten  der  Entleerung  Ernst  gemacht  wird,  in  sicherer 
Aussieht  zu  stehen.  Eine  ganze  Anzahl  kleiner  Seen  sind  im  Lauf  der 
Zeiten  verschwunden  wie  der  See  von  Baccano  (S.  260)  Gabii  (S.  260), 
der  lacui  RegiUus  und  Yadmonit,  der  hau  Umher  bei  Aaisi  (§  3)  usw^ 


I  t.  Die  Tbitigfceit  des  Wassers.  299 

andere  wie  der  schoo  erwsbnte  /actis  CfmtHiics  (S.  258)  tiefer  gelegt 
worden.    Leuchtende  Vorbilder  spornten  zu  derartigen  friedlichen 
Eroberungen  an :  ich  meine  weniger  das  gigantische  Werk  des  Kaisers 
Qaudios  als  die  mit  den  geringeren  Mitteln  des  alten  Bttrgertums  aus- 
geftlhrteA  Aii>eiten  wie  die  Emissäre  des  Albaner  Gebirgs  (S.  261),  die 
Abzugsgräben  in  den  Maremmen  (§  2)  oder  den  Durchstich,  durch 
den  Curius  Dentatus  aus  dem  ca.  1  d.  D  M.  grofsen  versumpften  Hoch* 
thal  von  Rieti  einen  herrlichen  Garten  schuf  (§  3).  Aber  die  Halbinsel 
war  durch  die  Barbarei  des  Mittelalters   ungleich  mehr  betroffen 
worden  als  das  reiche  Poland,  um  so  früh  wie  dieses  und  in  solchem 
Stil  die  Lehren  der  Vergangenheit  beherzigen  zu  können  (S.  213). 
Sie  wurden  allein  in  derjenigen  Landschaft,  welche  die  edelste  Geistes- 
blate  der  Neuzeit  entfaltet  hat ,  befolgt  und  bethätigt.    Die  Toscaner 
schreiben  ihren  etruskischen  Vorfahren  die  Meisterschaft  in  der  Wasser- 
baukunst zu:  es  dürfte  schwer  sein  solche  patriotische  Ansprüche  vor 
strengen  Richtern  zu  beweisen.    Ohnehin  strahlt  das  Verdienst  dieses 
begnadeten  Stammes  hell  genug  um  auf  den  erborgten  Ruhm  der 
Ahnen  füglich  Verzicht  leisten  zu  können.    Das  alte  Etrurien  war 
gröbtentheils  im  Lauf  der  Zeiten  eine  Beute  des  Fiebers  geworden : 
um  Höllenqualen  zu  versinnUchen  erinnert  Dante  an  den  Jammer,  der 
dasChianathal  und  die  Seeküste  in  den  Sommermonaten  erfüllt.  0  Nach 
vielen  vergeblichen  Versuchen  dem  Land  seine  frühere  Gesundheit 
zurück  zu  verschaffen  hat  Torricelli  dasColmatensystem  erdacht, 
welches  segensreich  gewirkt  hat  und  noch  wirkt.    Nach  diesem  Ver* 
fahren  werden  die  Flüsse  in  die  Sümpfe  hinein  geleitet,  festgehalten 
bis  ihre  festen  Bestandtheile  niedersinken  und  damit  gezwungen  den 
Boden  planmXfsig  zu  erhohen.    Derart  wurde  im  Laufe  des  vorigen 
Jahrhunderts  unter  Fossombroni's  Leitung  das  Chianathal  geregelt 
(§  2),  ein  Strich  von  mehr  als  20  d.  Q  M.  von  der  bOsen  Luft  befreit. 
Alsdann  hat  die  tdscanische  Regierung  ihre  Anstrengungen  auf  die 
berüchtigten  Maremmen  gerichtet:   nach  und  nach  sind  in  diesem 
Jahrhundert  mehrere  Quadratmeilen  Acker   und  Weide  gewonnen 
worden.    Auch  die  Niederungen  nördlich  vom  Arno  wurden  durch 
kunstvolle  Anlagen  entwässert. 

t)lDfenio29,46  quäl  dolor  fora,  se  degH  MpedaH 

äi  Faldiehiana  tra'  l  btgUo  e  l  »eUmbre, 
e  äi  Maremma  e  äi  Saräigna  i  maU 
fouero  in  una  fatsa  futtt  intembre; 
tal  era  quivi,  e  tal  pu%%o  n'  tuciva, 
quäl  Muole  uietr  äolle  marciU  membre. 


SOO  Kap.  VII.  Die  AppeDninflflsse. 

Die  Aken  gteltteii  die  Flflsse  ab  Stiere  dar.^  Ein  tiefeiniiiger 
Mythus  erzählt,  ^ie  der  Flufsgott  Acheloos  in  wediselnder  Erschdnung 
als  Stier  als  Sehlange  als  Mensch  mit  Stiergesicht  um  die  aetolische 
Königstochter  ^irbt ,  wie  Herakles  in  gewaltigen  Ringen  den  UnhoM 
zwingt  auf  die  Braut  zu  Terziohten  und  als  Sieg«spreis  das  "Nllbora 
der  Amalthea  auszuliefern.  Das  durchsichtige  Gleichnife  druckt  den 
Kampf  menschlicher  Einsicht  gegen  die  wilde  Natnrmacht  aus,  tob 
dessen  Ausgang  der  Besitz  und  das  Gedeihen  des  Landes  abhängt:  in 
ähnlichem  Sinne  hahen  bereits  alte  Erklärer  sich  ausgesprochen.') 
Der  Mythus  ward  von  Pindar  und  Sophokles  besungen'),  fand  im 
Westen  so  allgemeinen  Eingang,  dafe  einige  dreifsig  Städte  Siciliens 
und  Unteritaliens  das  Bild  des  Flul^ttes  auf  ihren  Münzen  wieder» 
holten.'*)  Das  Gepräge  erinnerte  sie  an  die  eigenen  Kämpfe,  an  die 
Mühen  welche  die  heimische  FInr  erheischte.  Während  frommer  Glaube 
den  starken  Herakles  als  Held  nnd  Erretter,  als  Wolthäter  des  Bauern 
pries,  weifs  die  menschliche  Sage  an  seiner  Statt  gelegentlidi  einen 
weisen  Mann  zu  nennen.  So  hat  Empedokles  Selinont  von  ▼erderb- 
licher Seuche  befreit,  indem  er  zwei  Flflsse  in  den  nahen  Snmpf  leitete, 
damit  die  Ausdünstungen  und  die  durch  sie  heryorgerufene  Erankheit 
bannte. &)  Die  Städte  haben  in  ältester  Zeit  vor  den  grofsartigstea 
Arbeiten  nicht  zurückgescheut  um  die  Niederungen  bewohnbar  z« 
machen :  davon  legt  die  Cloaca  maxima  zu  Rom  ein  redendes  ZeugDifs 
ab.  Die  Flüsse  wurden  dienstbar  gemacht  dem  Ackerbau  und  Verkehr, 
jedoch  nicht  ohne  ihren  Herren  sitete  Sorge  und  Not  zu  bereiten. 
Mufsten  sie  während  der  Trockenheit  das  umliegende  Land  aus  spar* 
hchem  Vorrat  tränken,  so  rüttelten  sie  zur  Regenzeit  um  so  heftiger  »d 
ihren  Fesseln.^)  Die  Losung  derWasseriragen  hielt  die  Gesellschaft  in 


1)  Fest.  p.  363  M  taurorum  tpecie  simulacra  ßuminum  id  rst  cum  eorm- 
bus  formantyr  quod  nmt  airwsia  Mi  tauri, 

3)  Strtb.  X  458  Dtod.  IV  35  Eustath  s.  IMon.  Per.  431. 

3)  Schol.  2.  II.  XXI  194  Soph.Tracb.509fg. 

4)  Preller  Gr.  Myth.  II  244  fg.  mein  Templom  132. 

5)  Diog.Laert.Vin  70. 

6)  n.V  87  von  Diomedes: 

9vvB  yag  Sfi  nföiov  nora/jup  n^Si^vtt  ioixw^ 
XBifmQQi^,  oaz'  äxu  ^iwv  ixiöaca  ye^pag' 
xbv  6^  ovT*  dp  T€  y^vQtu  h^^Uveu  iaxfcvowciv, 

^X&ovT^  i^nlvrig,  ox*  imßplcg  Aioq  Sfißgog' 
TiokXa  6   vw'  ovrov  f(>ya  xati^^ne  xdX*  al^ijwv. 


§  1.  Die  Thäiigkeit  des  Wassers.  301 

andauernder  Spannuag.  Das  Wort  nvaUi  das  den  Wasseroaohbar  den 
TbeHnehmer  an  der  nttmlichMi  Leitung  bezeichnet ,  fofart  schon  bei 
den  Komikern  die  uns  geläufige  Bedeutung  des  Nebenbuhlers  in  der 
Liebe.  1)    Und  wie  die  Gutsnachbarn  über  die  Nutzung  ihres  Baches, 
so  haben  Municipien  Landschaften  Staaten  alter  wie  neuer  Zeit  über 
die  Regelung  der  Flufsläufe  mit  einander  in  Streit  gelegen.  Die  Lösung 
der  Aufgaben  wurde  durch  den  Fortgang  der  CuUur  nicht  erleichtert, 
vielmehr  erschwert.    Allerdings  war  die  ungleichmäbige  Vertheilung 
der  Niederschläge  auf  die  Jahreszeiten  in  allgemeinen  terrestrischen 
Verhältaissen  begründet.   Aber  ohne  Zweifel  sind  in  einem  bewaldeten 
Lande  die  Sommer  weniger  trocken  ak  in  einem  waldlosen  und  ist 
durch  unablässige  Rodung  der  Gegensatz  zwischen  Dürre  und  Regen- 
periode allffiälich  verschärft  worden.    Ein  noch  gröfseres  Uebel  als 
durch  die  Steigerung  der  Extreme  von  Hoch^  und  Tiefstand  wurde 
durch  die  GeroUmassen  herbeigeführt,  welche  das  Wasser  zu  Thal 
schwemmte,  seitdem  die  Gehänge  ihres  durch  den  Forst  gewährten 
natürlichen  Schutzes  beraubt  waren.    Der  heutige  Reisende  mag  sein 
Auge  an  den  purpurnen  Farben  weiden-,  in  welche  die  Sonne  die 
nackten  Steinwände  des  Appennin  taucht;  bei  näherer  Erwägung  fühlt 
er  sich  au  dem  Geständnils  gezwungen,  dafs  die  Cultur  hier  ihr  eigenes 
Grab  gegraben  hat  Mit  der  zunehmenden  Altersschwäche  erlahmt  die 
Kraft  des  Römertums  in  der  Behauptung  des  väterlichen  Erbes.    Der 
Schutt  verstopft  die  Wasserläufe ,  die  Flüsse  versumpfen  ihre  Thäler, 
die  Malaria  rückt  Yon  der  Küste  ins  Innere ,  steigt  aus  dem  Grund  die 
Httgel  hinan :    in  emsiger  Stille  wird  das  Leichentuch  gewoben  für 
Etrurien  und  Latium,  ApuUen  und  Grofsgriechenland.  Wir  werden  in 
anderem  Zusammenhang  ausführlich  darzustellen  haben,  wie  in  einem 
Gebiet  von  mindestens  400  d.  DM.,  in  denjenigen  Landschaften, 
welche  an  der  Gulturarbeit  des  Altertums  den  hervoiTagendsten  Antheil 
genommen ,  die  Herrschaft  des  Menschen  vom  Fieber  gestürzt  ward. 
Um  den  Anfang  unserer  Zeitrechnung  wird  von  sacbkandigen  Be- 
obachtern 2)  als  einer  der  Vorzüge  Italiens  die  Gröfse  und  Menge  seiner 
schiffbaren  Flüsse  hervorgehoben,  die  an  der  ganzen  Küste  die  Ausfuhr 
uttd  den  Umtausch  der  Bodenproducte  erleichterten.    Von  vielen  der- 
selben wird  die  Schiffbarkeit  aufserdem  bestimmt  beaeugt.    Heutigen 
Tages  besitzt  die  Halbinsel  keine  einzige  Wasserstrafse,  welche  für  den 


1)  Die  eigentliche  Bedeuton;  Dig.XUU  tit  20  und  2t,  atU.XlVl,4. 

2)  Dion.  Hai.  I  37  Strab.  VI  286. 


802  Kap.  TIL  Die  AppenniBflAsse. 

Verkehr  wesenüich  in  Betracht  kftme.  Um  die  Vergangenheit  zu  Ter- 
stehen ,  wird  man  stets  eingedenk  bleiben  müssen ,  daüs  dieser  Mangel 
nicht  in  natürlichen ,  sondern  in  künstlich  geschaffenen  Verhältnissen 
wurzelt  *) 

§2.  Die  Flusse  des  Nordens. 2) 

Wir  folgen  dem  Gang  der  Küste,  an  der  IVestgrenze  beginnend 
und  fassen  in  diesem  Abschnitt  die  Ströme  Liguriens  und  Etruriens 
zusammen  bis  zu  dem  die  Mitte  der  Halbinsel  beherrschenden  System 
des  Tiber,  welches  im  nächsten  beschrieben  werden  soll.  Der  Yarw 
Var  trennte  an  seiner  Mündung  Italien  von  Gallien,  durcbflofs  aber 
im  übrigen  die  Provinz  der  Seealpen  (S.  79).  Von  der  Quelle  am 
Camaleone  (S.  146)  bis  zur  Mündung  zwischen  AntipoUs  Antibes  und 
Nicaea  Nizza  mifst  er  160  km,  nimmt  die  Abflüsse  der  Seealpen  links 
Tinea  und  Vesubia  rechts  Esterone  auf.  Sein  breites  zahlreiche  Werder 
einschliefsendes  Bette  wird  überall  ohne  Mühe  durchwatet,  reicht  aber 
nicht  aus  um  die  Wassermasse  in  der  Regenzeit  zu  fassen.  Es  ward 
bereits  S.  230  bemerkt  dafs  das  Gebirge  welches  den  ligurischen  Busen 
im  Bogen  umzieht,  hart  an  die  Küste  herantritt:  die  letztere  ist  Yom 
Kamm  höchstens  36  km,  stellenweis  nur  4 — 5  km  entfernt  Damit  ist 
schon  gesagt  dafs  von  Flufsbildung  keine  Rede  sein  kann.  Auf  der 
200  km  langen  Strecke  vom  Var  zur  Macra  werden  an  60  grüfsere 
Giefsbache  gezählt,  die  alle  mehr  oder  weniger  jenen  S.  294  dargelegten 
Charakter  von  Fiumaren  bekunden.  Der  Fremde  in  Nizza  verwundert 
sich  dafs  der  kaum  25  km  lange  Palo  oder  Pauh^)  Paglione  über  300m 
sein  Bette  ausbreitet  und  von  starken  Schutz  wehren  eingedämmt  ist; 
trotzdem  bricht  dieser  armselige  Bach  nicht  selten  verheerend  aus 
seinen  Schranken.  Unsere  Gewährsmänner  erwähnen  den  Rutubä 
Roia,  der  nach  einem  Lauf  von  58  km  jetzt  Osthch  von  AWwn  Inii- 
mtlmm  Ventimiglia  mündet,  ehedem  westlich  mündete^) ;  den  kleinen 
Menda  (16  km)  jetzt  Merla  Meira  Mele  oder  Andora  mit  gleichnamigem 


1)  Lnigi  Debartolomeis,  oro-idrognfia  deU'  Italia  und  Amati,  diziooario 
eorografico  der  Mailinder  Eneydopaedie.  Die  Gröfsenangaben  sind  den  neae- 
aten  Berechnungen  des  statistischen  Burctns  (Annnario  statistico  italiano  II, 
Roma  1881)  entnonunen. 

2)  Repetti,  diiionario  geografieo  fisico  atorico  deUa  Toscana  6B.  Florem 
1833  fg. 

3}  Entere  Form  Plin.  DI  47  leUtere  Meia  II  72. 
4)  PUn.  DI  48  Lncan  D  422. 


I  2.   Die  Flüsse  des  Nordens.  808 

Vorgebirge  und  HafeD;  westlich  bei  Genua  den  49  km  messenden 
P&reoberu  Polcevera^,  Ostlich  bei  dieser  Stadt  den  23  km  langen  Fertor 
Bisagno,  beide  recht  unbequeme  Nachbarn.  Wie  S.  231  gesagt,  bildet 
der  Maera  den  natürlichen  Abschlufs  Liguriens  und  bildete  auch  nach 
der  Eiotheilung  des  Augustus  die  Grenze  gegen  Etrurien.  Er  mifst 
65  km  und  nimmt  in  seinem  Unterlauf  rechts  den  Boactes  Vara  auf.^) 
Nach  Lucans  Zeugnifs  war  er  seicht  und  für  Kahne  unzugänglich. 
Seine  Schwemmstoffe  haben  die  ganze  Ebene,  in  der  Luna  lag,  ge- 
schaffen und  werden  jetzt  durch  die  westhche  Strömung  in  den  partus 
lunae  Golf  von  Spezia  geschleppt,  wo  die  Einfahrt  zwischen  der  Insel 
Palmaria  und  Portovenere  schon  völlig  versandet  ist.  Die  Malaria,  welche 
vereinzelt  bereits  an  der  Riviera  begegnet,  tritt  hier  in  stärkerem 
Grade  auf  um  fortan  mit  wenigen  Ausnahmen  die  ganze  Küste  der 
Halbinsel  zu  begleiten. 

DevÄmus  stellt  die  Lebensader  des  modernen  Toscana  dar^);  der 
Aufschwung  von  Florenz  wurde  durch  den  Umstand  begünstigt  dafs  es 
an  der  grofsen  Strafse  von  Rom  nach  Deutschland  belegen  war.  Die 
Bedeutung  dieser  Linie  datirt  aus  dem  Mittelalter.  In  älteren  Jahr- 
honderten  richtete  sich  der  Hauptverkehr  der  Halbinsel  von  Rom  nach 
der  PomOndung  und  lief  naturgemäfs  über  den  umbrischen  Appennin, 
ao  dessen  Fufs  die  Römer  ihre  ersten  transappenninischen  Erwer- 
bungen machten,  über  den  sie  ihre  erste  grofse  Nordchauss^e  führten. 
Auch  in  der  Kaiserzeit  ist  der  Via  Flaminia  durch  die  centralen  Ver- 
bindungsstrafsen  kein  nennenswerter  Eintrag  geschehen.  Vor  der 
Unterwerfung  des  Polands  bildete  der  Arno  die  Grenze  (S.  71)  und 
zugleich  ein  Bollwerk  ItaUens  gegen  feindlichen  Angriff.^)  Zwar  vrird 
er  leicht  überschritten ,  da  das  Bette  harten  Kiesgnind  und  zahlreiche 
Kurten  aufweist;  aber  zwischen  dem  ganzen  Unterlauf  und  dem  Gebirge 
dehnten  sich  ungeheure  Sümpfe  aus ,  Hannibal  brauchte  im  Frühjahr 
217  V.  Chr.  vier  Tage  und  drei  Nächte  um  sie  durchmessen  und  bei 
Piesole  festen  Boden  gewinnen  zu  können.  Die  Gründung  von  Flormita 
im  letzten  Jahrhundert  der  Republik  bezeugt  den  erf<rigreicben  Fort- 


1)  Plin.  11148  Porcifera  GIL.1 199  dreimal  Porcobera,  dreimal  Procobera. 

2)  Ptol.in  1,  8  Plin.  m  48  Lacan  D  426. 

3)  Dante  Purgatorio  14, 16: 

par  me%za  Toteana  ii  gpa%ia 
un  fiumicel  ehe  naMce  in  Falterana 
e  eento  migUa  di  eareo  nol  #asia. 

4)  Rhein.  Mus.  XXII  565  fg. 


804  K»p.Y|i.  Süe  Apyttminflaase. 

gang  der  Urbarkeit  jener  Landstriche;  auf  die  Errung^uBchaflan  der 
Gegenwart  kommen  wir  im  Folgenden  zu  sprechen«  Die  Qvelkn  it% 
Arno  liegen  am  N.  Falterona  (164Sm)  3&km  von  denjenigen  des  Tiber 
entfernt  bei  1356  m  Meeresh&be.  Seine  GesammtUlnge  beträgt  248  km 
und  yertheilt  sich  auf  mehrere  gesonderte  Abseimitte.  Er  durchfliefst 
zuerst  mit  starkem  Fall  in  SORiditung  das  Casenlino,  ein  frisches 
gegenwärtig  etwa  40000  Einwohner  nährendes,  im  Altertum  von  den 
umbriBchen  Cagueniini  besetztes  Bergthal,  dessen  Sohle  kaum  Ikm 
breit  ist.  Wo  er  unweit  Ärreiium  Arezio  in  freiere  Gegend  einUiU, 
wechselt  er  die  Richtung,  fliefst  nach  NW  im  Bogen  um  den  Stock  des 
Prato  Magno  herum  (S.  232)  und  ist  bei  der  Einmündung  der  Sieve 
nahezu  auf  die  nördliche  Breite  seiner  Quelle  zurück  gek^ri.  Das 
Thai  wird  aufserordentlicb  schmal,  bei  Incisa  treten  die  senkrechten 
Felswände  hart  an  einander,  man  erkennt  deutlich  wie  das  Wasser  hier 
erst  spät  sich  eine  Bahn  gebrochen  hat.  Ursprünglich  war  der  Flufs 
Yon  Florenz  ein  viel  bescheideneres  Gewässer  als  gegenwärtig,  desses 
Queliarm  die  heulige  Sieve.  Dagegen  der  Arno  strömte  in  seiner  an- 
fänglichen der  Axe  des  Appennin  sich  anschlieCsenden  Richtung  fort 
und  vereinigte  sich  bei  Orvieto  mit  dem  Tiber,  dem  er  wenig  nach- 
stehen mochte.  Wir  sahen  S.  232  dals  eine  tiefe  Einsenkung  das 
eti*urische  Hügelland  vom  Stamm  des  Gebirges  sdieidet  Dieselbe  Tvird 
durch  ein  Thal  von  etwa  40  km  Länge  9  km  Breite  gebildet,  welches  in 
zwei  Armen  ausläuft.  Der  Ostliche  endigt  mit  dem  grofsen  einge- 
schlossenen Becken  des  Trasimenus  (S.  298),  der  westUche  wird  durch 
die  kleinen  Seen  von  Montepul&iano  uud  Ghiusi  fortgeseUt,  senkt  und 
verengt  sich  alsdann,  stöfst  bei  Orvieto  mit  der  Paglia ,  6  km  daraui 
mit  dem  Tiber  zusammen.  Die  gesammte  Entfernung  von  hier  bis  zum 
heutigen  Arno  betjrägt  reichlich  100  km.  Der  Trasimenus  wie  die  Sees 
bei  Ghiusi  sind  als  Ueberbleibsel  eines  grofsen  Binnensees  zu  be- 
trachten ,  der  einstens  die  Niederung  einnahm  und  sich  erst  zu  eqt- 
leeren  begann ,  nachdem  das  Wasser  bei  Incisa  ei,nen  neuen  Ausweg 
nach  Norden  gebahat  hatte.  In  Folge  dieses  Durchbruchs  bietet  sich 
hier  das  selten  vorkommende  Beispiel  der  Verbindung  zweier  getrennter 
Stromsysteme;  denn  eine  natürlich^  Wasserscheide  zwischen  Tiher 
und  Arno  fehlt  durchaus,  künstlich  ist  daeselbe  ^in  ansehnliches  Stück 
verschoben  worden.  Im  Altertum  ging  der  Ha«ptabflufe  des  Chiana- 
thals  durch  den  Clanis  in  den  Tiber.  Um  die  Hochflut  von  Rom  abzu- 
wehren wurde  15  n.  Chr.  im  Senat  der  Vorschlag  erörtert  jenen  in 
den  Arno  abzuleiten;  die  Florentiner  widersprachen  und  es  bUeb  beim 


f  2.   Die  FlOsM  des  Nordens.  806 

Alten. 0  D^  Streit  bat  sich  in  Mittelalter  und  Neuzeit  fortgesetzt,  an 
eine  VentXndigung  war  nicht  zu  denken ,  da  jeder  der  beiden  Staaten 
das  Wasser  des  mittleren  Gebiets  dem  Nachbar  zutreiben  woUte  und 
das  einst  wie  jetat  so  lachende  Thal  von  Arezzo  und  Cortona  ward 
durch  die  Ablagerung  seiner  Bäche  in  einen  scheubliGben  Sumpf  um- 
gewandelt, den  alte  Karten  ton  Arezzo  bis  Chiusi  sich  erstrecken  lassen. 
Endlich  hat  Toscana  sich  selbst  geholfen,  durch  Colniate  1  Vs  d.  DM. 
ausgefüllt,  eine  halbe  Milliarde  Cubikmeter  Erde  tlber  einen  Raum  von 
200  Dkm  abgelagert,  eine  regelmäfsige  Neigung  des  Bodens  nach 
Norden  hergestellt  (S.  299).  Dabei  wurde  die  Wasserscheide  um  48  km 
weiter  nach  Sflden  gerückt  alssie  noch  1551  gewesen  war.  Der  ganze  Lauf 
vom  See  von  Montepulcianö  bis  zum  Arno  ist  eingedeicht  und  schiffbar; 
die  aus  dem  See  von  Ghiusi  zum  Tiber  abfliefsende  Chiana  kann  nur 
»ir  Winterzeit  befahren  werden. 

Von  der  Kbuse  hei  Incisa  nordwärts  fliebend,  vereinigt  eich  der 

Arno  mit  der  die  umgekehrte  Richtung  einhaltenden  62  km  langen 

Sieve^  die  aus  dem  Mugello^)  kommt,  und  wendet  sich  fortan  direct 

nach  Westen  dem  Meer  zu.    Bei  Florenz  öffnet  nach  Pigtaria  Pistoia 

hin  ein  weites  Thal  von  ca.  18km  Breite  40km  Länge,  durchflössen 

vom  Ombrone  (Umbro?)  und  Bisenzio  {Yiienius?).    Der  Arno  mifst 

bei  dieser  Stadt  210  m  Breite  und  windet  sich  15  km  unterhalb  durch 

die  Enge  der  Golfolina.    Dieser  Durchbruch  wie  derjenige  von  Incisa 

wird  Yon  der  toscanischen  Tradition  als  ein  Werk  von  Menschenhand 

betrachtet:  so  augenscheinlich  hat  er  die  Austrocknung  des  Florentiner 

Thalkessels  veranlagt  Wenn  man  ihn  künstlich  abdämmte,  so  würde 

der  See  sich  wieder  herstellen  lassen:  wirUich  hat  im  14.  Jahrhundert 

der  mächtige  Castruccio  Castracani  von  Lucca  den  Plan  gehegt  die 

schone  Anioetadt  derart  zu  ersäufen,  zum  Glück  aber  keinen  geeigneten 

Leiter  des  Unternehmens  gefunden.    Jenseit  der  GolfoUna  mündet 

links  die  westlich  von  Siena  entspringende  74  km  lange  Elsa  ein.    An 

der  Nordseite  öffnen  sich  die  Kessel  von  Peseta  und  Lucca  zwischen 

dem  M.  Albano  und  den  Monti  Pisani  (S.  232).    Am  Ausgang  des 

ersteren  lag  der  jetzt  ausgetrocknete  Sumpf  von  Fucecchio,  an  dem 

von  Lucca  der  See  von  Bientina.    Die  pahu  Blentina  wird  erst  im 

Mittelalter,  nicht  im  Altertum  erwähnt;  sie  liegt  tief  (SVsm  über  dem 

Meeresniveau)  und  fand  nur  im  Sommer  leichten  Abflufs  sowol  nach 


1)  Tac  Ann.  I  76.  79  TgL  Dio  LVII 14. 

2)  Der  Name  des  Thals  steht  schon  bei  Procop  b.  Goth.  Ol  5. 

Nitten,  itaL  Lftndetkuide.    L  20 


306  Kap.  VII.  DieAppenDinflusM. 

dem  Arno  als  dem  Serchio  hin.  Aber  das  Hochwasser  überschwemmte 
eine  Flache  von  2  d.  D  M.  Durch  grofsarüge  Arbeiten ,  namentlich 
einen  unterirdischen  unter  das  Amobett  hindurch  getriebenen  Stollen 
ist  neuerdings  ein  directer  Abflufs  gesichert  und  damit  der  See  aus- 
getrocknet worden.  Man  nimmt  an  dafs  der  See  erst  seit  römischer 
Zeit  entstanden  sei:  vermutlich  ist  er  ehemals  vom  Serchio  durch- 
strömt worden.  Bei  der  Einmttndung  der  von  Volterra  kommenden 
40km  langen  Era  tritt  der  Arno  in  ein  weites  Marschland  (6  d.  DM.) 
hinaus.  Die  Anschwemmung  hat  dasselbe  bedeutend  TergrOfsert:  Pisa 
war  nach  Strabo  20  Stadien  d^/s  km,  ist  jetzt  10  km  Tom  Meer  ent- 
fernt; seit  1080  (der  Gründung  von  S.  Rossore)  ist  die  Küste  ca.  5  km 
vorgerückt.  Ehedem  mündete  der  Autor  (Auierf  Ausurf)  Serchio  bei 
Pisa  in  den  Arno  ein.^)  Aus  dem  Thal  von  Garfagnana  führt  er  ziem- 
lich betrflchtliche  Niederschläge  der  Apuaner  Alpen  und  des  Appennin 
ab  (S.  232),  ist  aber  auf  seinem  ganzen  110  km  langen  Lauf  nicht 
schiffbar.  Bei  Luca  in  die  Ebene  tretend  hat  er  sein  Bette  oft  ge- 
wechselt Schon  im  Altertum  erregte  seine  Vereinigung  mit  dem  Arno 
Bedenken;  im  Mittelalter  hat  er  freiwillig  oder  gezwungen  eine  eigene 
Mündung  ins  Meer  weiter  nordwärts  gefunden.  Uebrigens  mündete 
auch  der  Arno  zu  Strabo's  Zeit  in  drei  Armen  aus  und  es  wiederholen 
sich  in  diesem  Delta  alle  jene  Aenderungen,  die  wir  in  grofserem  MaTs- 
stab  an  der  venetischen  Küste  kennen  gelernt  haben  (S.  200).  Der 
tmtu  Pisanus,  wie  er  gelegentlich  heifst^),  ist  in  Folge  dessen  ver- 
schwunden. 

Auch  die  übrigen  toscanischen  Flüsse  haben  rüstig  geschalR.  So 
der  Caedna  Cecina^  welcher  78  km  lang  südlich  an  dem  Hügel  tod 
YoUUerrae  vorbeüliefst  und  dieser  alten  Stadt  einen  Zugang  zum  Meer 
eröffnet.  Der  Name  des  Hafens  Vada  Vokterrana  deutet  die  BeschaOeo- 
heit  der  Gegend  an^):  wir  denken  an  Flufshiifen  der  Nordsee,  wenn 
vnr  die  anschauliche  Schilderung  der  Einfahrt  lesen ,  wie  das  schmale 
Fahrwasser  mit  schlanken  Baumstämmchen  abgesteckt  ist,  deren  Krone 
in  die  Augen  Mt.  Der  hier  befindlichen  Salinen  wurde  S.  107  ge- 
dacht. Durch  Colmate  ist  diese  Niederung  neuerdings  sehr  gehoben 
worden.  Das  nämliche  gilt  von  den  Niederungen  der  63  km  langes 
Comia,  welche  das  Vorgebirge  von  Populoninm  mit  dem  Festland  ver- 

1)  Strab.V  222  Avoag  Plin  UI  50  Juser  RuUl.  Nam.  I  5G6  jiuMtir,-  de  mir 
aase  92  Gregor.  Magn.  Dial.  UI  9. 

2)  Tac.  Bist.  111  42. 

3)  Raul.  1453  fg. 


§  2.  Die  FlüBse  des  Nordens.  807 

binden.   Im  Altertum  war  das  Band  zwischen  beiden  viel  schmaler: 
yon  Soden  her  drang  ein  Meerbasen  mit  dem  Hafenori  Faleria  oder 
Fabna  ein  0,  der  seitdem  versumpft  und  grofsentheils  ausgetrocknet 
ist.  Ein  noch  ansehnlicherer  Gewinn  ist  in  dem  Golf  gemacht  worden, 
welcher  halbkreisAlnnig  zwischen  den  Vorgebirgen  von  Troia  und 
Telamon  eindringt.    Man  verdankt  ihn  dem  Umbro  Ombrone,  dem 
zweitgrOfsten  Flufs  Etruriens.    Derselbe  entwässert  den  Süden  des 
toscanischen  Hügellandes,  ein  Stromgebiet  von  4200  Dkm  (76 d.  DM.) 
erreicht  mit  seinen  vielen  Windungen  eine  Länge  von  166  km.  Der 
sichere  Hafen  an  der  Mündung  virird  gerühmt.  2)    Nördlich  von  dem- 
selben lag  im  Altertum  der  laeu$  Prtlius  eine  Lagune  mit  Insel^): 
der  versumpfte  See  von  Castiglione;,  welcher  1828  eine  Fläche  von 
95  Dkm  einnahm  und  seitdem  durch  Einleitung  des  Ombrone  aus« 
geftlUt  worden  ist.  In  den  Golf  von  Telamon ,  welcher  von  dem  Vor- 
gebirg  dieses  Namens  und  dem  stolzen  mans  Argentarius  (636  m)  ein- 
gefafst  wird,  ergiefst  sich  der  kleine  (ha  sowie  nach  einem  Lauf  von 
70  km  der  AUnnia  Albegna.    Die  Bildungsgeschichte  der  Maremmen 
tritt  uns  hier  recht  anschaulich  entgegen.    Zwei  6  und  8  km  lange 
Nehrungen  haben  die  ehemalige  Insel  Argentario  an  das  Festland  ge« 
knüpft  und  eine  noch  jetzt  etwa  29  Dkm  haltende  Lagune  abgetrennt.^) 
Zwischen  beiden  springt  eine  dritte  von  den  Fluten  zerstörte  Nehrung 
vor,  deren  äufserste  Spitze  das  Städtchen  Orbetello  einninunt  mit 
antiken  Mauern :  den  Namen  den  die  befestigte  Ortschaft  im  Altertum 
führte,  wissen  wir  nicht.    Die  Lagune,  welche  nunmehr  auch  ihrer 
Austrocknung  entgegen  sieht,  diente  bislang  als  ergiebigstes  Aalrevier 
wie  die  von  Comacchio  (S.  207).  Früher  war  dies  auch  mit  den  zahl- 
reichen anderen  Lagunen  dieser  Küste  der  Fall  und  die  Klöster  Tos- 
cana's  als  Besitzer  wachten  mit  Argwohn  über  ihrer  Erhaltung.  Es 
liegt  nahe  anzunehmen ,  wird  auch  ausdrücklich  bezeugt^),  dafs  die 
Römer  die  Strandseen  gleichfalls  als  Fischbehälter  ausnutzten.    Aber 
im  Uebrigen  scheuten  dieselben  keine  Anstrengung  um  die  Gegend 

1)  Rntil.  I  371  erstere,  It.  marit.  501  Wess.  letztere  Form;  nördlich  von 
Piombino. 

2)  PliD.11151  Umbro  nam'giorum  eapax;  Rutil.  1  337 

non  est  ignobile  flumen 
quod  iuio  trepidas  excipit  are  ratet. 

3)  Cic.  pro  Mil.  74,  It.  Ant.  292  lt.  mar.  500  Wcss.  locus  ApriUt^  Plin.  a.  0. 
amntM  Prile. 

4)  Xtpivo&dXatxa  Strab.  V  225. 

5)  Rutil  I  378. 

20* 


808  Kap«  Vn.  Die  Appenninflüsse. 

gesund  zu  erhalten:  Spuren  davon  sind  bei  den  neueren  Arbeiten 
yerschiedentlich  aufgedeckt  und  verwertet  worden.  In  der  Nldie  des 
bereits  im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  veriassenen  Cosa  ist  zur  Austrock- 
nnng  des  Sumpfs  von  Burano  ein  antiker  Emissar  wieder  in  Thätig- 
keit  gesetzt  Es  folgt  der  Lago  della  Bassa  89  Dkm,  völlig  auf- 
getrocknet, dann  die  Mttndung  des  Armine  oder  Annenia  Fiora.i) 
Dieser  Flufs  am  M.  Amiata  entspringend  bildet  die  ungefthre  Grenie 
des  vulkanischen  Gebiets  (S.  257)  und  erreicht  eine  Länge  von  80  km. 
Endlich  sei  der  Abflub  des  Sees  von  Bolsena  Maria  (75  km)  und  der 
Mumo  Mignone  (65  km)  erwähnt  Als  Rutilius  416  n.  Chr.  an  diesen 
Kasten  hinführ,  war  der  sttdliche  Strich  bis  zum  Argentario  beretts 
verfiebert.  Dagegen  ist  der  Haupttheil,  die  toscanische  Maremma  erst 
im  Lauf  des  Mittelalters  mit  der  fortschreitenden  AusfaUung  und  Ver- 
sumpfung der  Lagunen  dem  fürchtbaren  Feind  zum  Opfer  gefallen. 
Das  Bild  welches  der  Dichter  in  bezaubernder  Anmut  uns  aufrollt,  hat 
in  der  Gegenwart  vfele  Züge  eingebOfst  Es  fesselt  noch  immer  durch 
seine  kohn  aufstrebenden  Vorgebirge  Inseln  und  Klippen ,  aber  die 
geschwungenen  Strandlinien  sind  abgeflacht,  die  zahllosen  Strandseeo 
verschwunden.  Die  ThStigkeit  der  Flüsse  hat  das  Festland  auf  Kosten 
des  Meeres  um  einige  Quadratmeilen  vergrOfsert. 

§3.  Der  Tiber.«) 

Der  Name  Tiberis  (amnis  Tiberinusj  Tevere)  bedeutet  wahrschein- 
lich Bergstrom.  3)  In  ältesten  Zeiten  soll  er  AUmla  gelautet  haben  und 
nach  dem  albanischen  König  Tiberinus,  der  in  seinen  Fluten  den  Tod 
fand,  umgetauft  worden  sein.^)    Man  darf  annehmen  dafs  dieser  an- 


1)  Amine  oder  Armine  It  marit  499,  Artnenta  tab.  Peot  geogr.  Rav.  Goido. 

2)  Reiche  Litteratur  s.  saggio  di  bibliografia  del  Terere  in  BoU.  d.  Sodeti 
geogr.  2.  ser.  I  p.  253  fg.  Roma  1876.  Ich  erwihne  das  HanptweriK:  Ghieaa  t 
Gambarini,  delle  cagloni  e  de'  reaiedi  delle  inondaiioni  del  Terere,  della  somni 
difficoltä  d'introdaiTe  nna  felice  e  stabile  naTigazione  da  Ponte  Nuovo  aotto 
Perugia  sino  alla  foce  della  Nera  nel  Tevere,  e  del  modo  di  renderlo  naTiga- 
bile  dentro  Roma.  Roma  1746,  fol  Linotte  in  Giom.  arcadico  Xül  XlVfg. 
Ponii  eb.  GLXIV  i-  N.  S.  XVIIL  Anbert  eb.  GGXI  i-  N.  S.  LXVL  Betocehi 
in  Atti  d.  acc  dei  lincei  n.A.  Strother  A.  Smith,  the  Tiber  and  its  triboU- 
ries,  their  natural  hiitory  and  dassical  assodations.  London  1877. 

3)  Vgl.7V&«rnnd,  da  lat  6—  osk.  f,  Tifemus  (mons,  amnii)  Tifemum 
Tifata.  Varro  LLV29  erkl&rt  den  Namen  fflr  unlateiniach. 

4)  Varro  LL.  V30,  Lir.I  3,  Featns  ep.  p.  4.  366,  Plin.in  53,  Verg.  Aeo. 
Vm  332  Georg.  IV  369,  SiL  lt.  Vm  457,  Oy.  Fast  R  389,  Dion.  Hai.  I  71  n.  A. 


i  3.   Der  Tiber.  809 

gebh'ch  nrsprttnglicbe  Name  einem  anderen   (sabinischen?)  Dialekt 
aogebOrt.   Auf  die  Farbe  ist  derselbe  nicbt  zu  beziehen ;  denn  dem 
gelben  Tiber  würde  wenigstens  in  seinem  Unterlauf  die  Bezeichnung 
weifs,  hell  gar  schlecht  anstehen.  Aber  wir  sahen  bereits  S.  140,  dafs 
die  Wurzel  aß  das  Hohe,  weithin  Sichtbare  bedeutet  und  damit  drückt 
iiMo,  unserem  Elbe  Elf  entsprechend,  dasselbe  wie  Tiber  aus,  den  aus 
den  Bergen  kommenden,  den  Flufs.  Seine  Quellen  liegenjam  Zusammen« 
stofs  des  etniskiscben  und  umbriscben  Appennin  (S.  233)  im  Gebiet 
der  Sudt  Arretium  unter  43<>  46'  n.  Br.  29»  45'  0.  L.  1167m  über 
Meer,  seine  Mündung  in  Latium  41  <>  44'  n.  Br.  29  <>  53'  0.  L.  Die  Lange 
betragt  393  km,  reichlich  das  anderthalbfache  der  directen  Entfernung. 
Plinius  rechnet  unterhalb  des  Clanis  nicht  weniger  als  42  Nebenflüsse, 
die  jedoch  durchweg  nur  als  Bache  gelten  können;  nach  solchem  Mafs- 
Stab  lassen  sich  im  Ganzen  87  namhaft  machen.    In  Wirklichkeit 
jedoch  empfilngt  der  Tiber  nur  4  bedeutende  Zuflüsse,  deren  Scbifibar- 
keit  ?on  den  Alten  bestimmt  bezeugt  wird :  Tinea  Clanü  Nor  Anio.^) 
Lombardini  berechnet  das  Stromgebiet  oberhalb  Roms  auf  16,721  Dkm 
304  d.  DM.:  wenn  man  das  untere  Gebiet,  femer  wie  notwendig 
(S.  304)  das  toscanische  Ghianathal  hinzufügt,  so  wird  die  für  das 
Altertum  gültige  Ziffer  auf  ungefthr  340  d.  D  M.  erh<dit  Das  Gebiet 
umfafet  das  Ostliche  Etrurien  Umbrien  die  Sabina  und  Latium.  Die 
genannten  Landschaften  waren  von  Natur  auf  den  Flufs  als  Handels- 
strafse,   auf  Rom  als  Absatzmarkt  für  ihre  Producte  hingewiesen. 
Die  natürliche  Abhängigkeit  erklart,   warum  sie   dem  Vordringen 
Roms  nur  einen  geringfügigen  Widerstand  geleistet,   warum  ihre 
Treue  in  den  schwersten  Krisen  des  italischen  Bundes  nicht  ge- 
wankt hat 

Der  Lauf  ist  durchweg  von  Nord  nach  Süd  gerichtet;  man  kann 
drei  Abschnitte  in  demselben  unterscheiden.  Der  Oberlauf  ca.  120  km 
lang  folgt  der  SO  Streichung  des  Centralappennin  und  wird  nach  0 
Ton  diesem,  nach  W  von  einer  gegen  das  Ghianathal  abfallenden 
ParaUelkette  eingefafst.  Bei  S.  Sepolcro  320  m  ü.  M.  tritt  der  Flufs  in 
eine  fruchtbare  amphitheatralisch  geformte  Ebene  von  ca.  20  km  Lange 
und  5 — 6  km  Breite,  ein  ehemaliges  Seebecken :  das  umbrische  Tifer- 
mm  Tiberinum  Cittä  di  CasteOo  war  der  Hauptort  dieser  Gegend.  Der 
jüngere  Plinius,  der  hier  ein  Landgut  besafs,  hat  eine  anziehende 
Schilderung  derselben  gegeben  (Kap  X  7) ;  er  bezeugt  dafs  die  Erträge 


i)  StnboV235. 


810  Kap.Vn.  Die  AppenniDflflBse. 

des  Ackerbaus  im  Winter  und  Frülqahr  nach  Rom  verschifft  wurden.^) 
Unterhalb  Tifernnm  bildet  der  Flufs  die  Grenze  Etruriens  gegen 
ümbrien,  später  gegen  die  Sabina;  er  behauptet  sein  Grenzamt  bis  io 
die  Nahe  Roms  auf  einer  Strecke  von  ca.  240  km.  Das  Thal  verengt 
sich  stellen  weis  'sehr  stark;  man  zählt  auf  der  Strecke  von  Tifernam 
bis  Perusia  4  eigentliche  Flufsengen.  Das  GefUle  ist  beträchtlich:  bei 
Ponte  S.  Giovanni  amFufs  des  Stadthttgels  von  PeriMta Perugia  hat  der 
Tiber  schon  166  m  Meereshöhe  erreicht.  Nunmehr  empfängt  er  seinen 
ersten  gröfseren  Zuflufs.  Nach  SO  nämlich  öffnet  sich  das  Hauptthal 
Umbriens  anfänglich  8,  dann  4  km  breit,  ca.  60  km  lang,  mit  264  Okm 
Flächeninhalt.  Ein  reicher  Städtekranz  umgab  dasselbe:  Spokiiumt 
Trebi,  Fulginium,  HispeUumy  Aiiiium,  Ama,  Yeitona,  Urvinum, 
Mevania.  Zu  Properz  Zeiten  befand  sich  hier  noch  zwischen  Asisi 
und  Bettona  ein  See,  der  lams  ümhtr^  welcher  unter  KOnig  Theoderich 
ausgetrocknet  ward;  ein  zweiter,  Namens  Uma  CUtorm  in  der  Nähe 
von  Foiigno  ist  ziemlich  unsicher  verbürgt. 2)  Drei  Flttsse  durchströmen 
dieses  Thal :  der  Clasius  Tinea  und  Clitumnus.  Der  Clanu»  Ghiascio 
entspringt  an  der  Centralkette  oberhalb  Iguvium,  fliefst  nach  SW, 
durchschoeidet  das  umbrische  Thal  westlich  von  Asisi  der  Breite  nach 
und  erreicht  mit  zahbreichen  Windungen  eine  Länge  von  86  km. 
Gegenwärtig  ist  er  unter  den  dreien  der  bedeutendste  Wasserann. 
Wenn  er  dagegen  früher  in  den  umbrischen  See  einmündete,  so  be- 
greift man,  dafs  und  warum  die  alten  Schriftsteller  ihn  mit  Stili- 
sch weigen  übergehen  und  statt  seiner  den  Tinea  erwähnen.')  Der 
Tinea  Topino,  70  km  lang,  entspringt  in  den  Bergen  oberhalb  Nuceria 
und  hält  eine  S Richtung  neben  der  Via  Flaminia  inne,  bis  er  bei 
Foiigno  in  die  Ebene  hinaustritt  und  nun  einen  grofsen  Bogen  nach 
W beschreibt.  SeineSchiffbarkeitim  Altertum  wird  bezeugt^)  Endlich 
kommt  von  S  aus  der  Gegend  von  Spoleto  ein  ganzes  Bündel  von 
Bächen :  der  gröfste  ist  die  Maroggia ;  ferner  befindet  sich  unter  ihnen 
der  durch  den  jüngeren  Plinius  gefeierte  Clitumnus,  der  aus  einer 


t)  Plin.  Ep.Ve,  12  metUot  ille  agroi  tecat  navium  paHens  omnisque  fru- 
ges  devehii  in  lirbenij  hieme  dumtaxat  et  vere;  autate  mmmitUhtr  immett- 
Hfue  fluminU  nomen  arenU  atveo  deserit,  autumno  re$umit» 

2)  Prop.  V  t,  124  Rhein.  Museum  XX  p.  218fg. 

3)  Gluver  It.  ant  701  hat  den  Namen  durch  Goigectur  (Clans  dSi  Cknü) 
bei  SU.  Ital.  Vm  455  hergestellt;  im  Uebrigen  begegnet  er  zuerst  in  mittel- 
alterliehen  Quellen. 

4)  StraboV227  iXizzoai  axiiptoi  xaraytov  inl  rbv  TlßeQtr  ta  ix  xov 
nsölov. 


{  3.  I>er  Tiber.  SU 

mächtigen  Quelle  in  der  Ebene  lu  Tage  tritt,  i)  In  sanfter  Neigung 
darchaehen  die  Wasserlaufe  ein  üppiges  Wiesenland,  um  sich  erst  bei 
Beragna  zu  sammeln,  untertialb  Bettona  mit  dem  Topino  und  bald 
darauf  mit  dem  Ghiascio  zu  vereinigen.  Ein  niedriger  Rücken  trennt 
den  letzteren  vom  Tiberbett;  bei  dem  Dorf  Torgiano  ist  der  Durch- 
bruch, welcher  die  Trockenlegung  des  beschriebenen  Thals  veranlaCst 
hat  Das  Gesammtgebiet  dieser  umbrischen  Flüsse  wird  auf  1988  Okm 
(36  DM.)  mit  einem  mittleren  Abflufe  von  30  Cubikmeter  in  der  Secunde 
berechnet,  dasjenige  des  oberen  Tiber  bis  zu  ihrer  Mündung  auf 
2918  Dkm  (53  DM.). 

Den  zweiten  Abschnitt  rechnen  wir  von  der  Einmündung  des 
Chiascio  bis  zu  derjenigen  der  Nera.  Er  ist  110km  lang;  der  Fall 
beträgt  in  der  Regel  1 :  1000,  doch  finden  sich  abschüssige  Strecken 
von  2  bis  7  :  1000.  Das  Thal,  anAnglich  5km  breit,  sinkt  auf  1  km 
herab.  Vom  Chiascio  18  km  entfernt,  nimmt  der  Tiber  (157  m  ü.  M.) 
am  rechten  CJfer  den  Nestore,  einen  Giefebach  auf,  dessen  Bett  sich 
volle  500  m  ausbreitet.  Der  Nestore  sammelt  die  Abflüsse  aus  dem 
Hflgelland  zwischen  Chiusi  und  Perugia,  darunter  die  von  N  konuneode 
Cina,  in  welche  der  Trasimener  See  durch  einen  unterirdischen  Stollen 
sich  entladet  (S.  298).  Der  Tiber  fliefst  in  SRichtung  weiter,  passirt 
eine  Enge  und  langt  bei  Tuder  Todi  an.  Die  Strecke  von  Todi  bis 
hierher  bietet  für  die  Schiffahrt  die  gröCsten  Hindemisse  und  Gefahren 
dar;  denn  eine  Reihe  von  Schnellen  mit  einem  Fall  bis  7,577  :  1000 
lösen  einander  in  ununterbrochener  Folge  ab.  Hier  wendet  er  sich 
in  einem  engen  Querthal  nach  W  und  zeigt  (137  m  ü.  M.)  das  Be- 
streben direct  nach  der  See  hin  durchzubrechen.  Allein  unweit  des 
heutigen  Orvieto,  bei  96  m  Meereshohe  empfängt  er  von  rechts  her 
seinen  zweiten  bedeutenden  Zuflufs,  den  Clanis  Chiana  mit  Pallia 
Paglia  und  wird  dadurch  nach  SO  fortgedrängt.  Der  Clanis  kommt  von  N. 
her  aus  dem  lacu$  Clusmus;  wir  sahen  S.  305,  wie  die  Wasserscheide 
zwischen  Arno  und  Tiber  im  Chianathal  schwankt  und  künstlich  ge« 
regelt  worden  ist.  Am  Fuis  des  Stadthügels  von  Orvieto  vereinigt  er 
sich  mit  der  von  W  fließenden  Paglia.  Die  letztere  entspringt  ao  der 
Gruppe  des  M.  Amiata  und  wird  trotz  ihrer  Wasserarmut  im  Sonuner 
oftmals  als  Hauptstrom  angesehen.  Der  Ganis  war  im  Altertum  schiff- 
bar^; der  heutige  mittlere  Abflufs  wird  auf  nur  14  Cubikmeter  be- 
stimmt. Das  Gebiet  der  Chiana  und  Paglia  beträgt  jetzt  zusammen  nur 

1)  Ptin.  Ep.yUI  8  Säet  GaL  43. 

2)  Plin.in53  StraboV235. 


812  Kap.  Vn.  Die  AppenninilflsBe. 

1332  Dkm  (24  DM.),  im  Altertum  nahezu  das  Doppelte.  Fortab 
übernimmt  der  Tiber  zu  seinem  bisherigen  Grenzamt  ftlr  eine  geraume 
Strecke  auch  dasjenige  vulkanisches  und  appenninisches  Gebiet  yon 
einander  zu  scheiden  (S.  255).  Die  Entfernung  von  der  HUndung 
der  Chiana  bis  zu  derjenigen  der  Nera  mi&t  47  km,  mit  ziemlich  regel- 
mäßigem Geflllle,  das  Thal  ist  1 — 2  km  weit  Bei  50  m  MeereshObe 
werden  dem  Tiber  die  reichen  Wassermassen  der  Nera  zugeführt  i)  und 
hier  endigt  sein  Mittellauf,  dessen  Becken  auf  2216  Dkm (40 DM.) 
Inhalt  veranschlagt  wird. 

Der  Nor  Nera  hat  seinen  Namen  von  der  hellen  weifslicheD  Farbe 
seines  Kalkwassers  erhalten,  welche  die  Dichter  mit  Recht  hervorheben; 
das  Wort  bedeutet  angeblich  im  sabinischen  Dialekt  Schwefel^  Er 
ist  126  km  lang  und  entspringt  bei  1850  m  Meereshöhe  an  der  Mos- 
tagna  deUa  Sibilla.  Er  fliefst  in  SW  Richtung  und  empfkngt  aus  den 
Bergen  von  Leonessa  die  einen  grofsen  Bogen  beschreibende  50  km 
lange  Cornia ,  dann  in  der  Nahe  von  IntmwHma  Nakars  Temi  den  an- 
sehnlichen Velino.  Nunmehr  tritt  er  in  den  fruchtbaren  Thalgnind 
von  Terni,  der  sich  bis  5  km  breit  auf  10  km  Lange  erstreckt.  Das 
hoch  und  fest  gelegene  Namia  Narni  bildet  dessen  Abschlub.  Am 
Fufs  der  Stadt  rücken  die  Höhen  nahe  zusammen,  mühsam  bahnt  sich 
der  Strom  seinen  Weg,  bis  er  unterhalb  Hortanum  Orte  in  den  Tiber 
einmündet.  In  dem  Hochthal  von  Beate  Rieti  (419  m  ü.  M.)  vereinigen 
sich  die  bedeutenden  Zuflüsse  vom  SabeUischen  Gebii^gaviereck:  der 
von  N  aus  dem  Thal  von  Antrodoco  kommende  90  km  lange  Aveiu 
Velino^),  yon  SO  her  der  am  NRand  des  Fuciner  Sees  entspringende 
Himdla  Salto  4),  endlich  der  zwischen  den  Liris-  und  Anioquellen  ent- 


1)  Ein  römisches  Sprichwort  lautet: 

il  Tevere  non  »arebbe  il  Twere 
SB  ia  JVera  imh  gH  desn  da  öevere, 

2)  Ennius  Ann.  265  Vahlen  iolpwreai  ßiqri»  unätu  seitdem  stehendes  Bei- 
wort: Verg.  Aen.  VII  517  sulpurea  Nar  albus  aqua,  dazu  Servius.  Sil.  lUl. 
Yin  453  Nar  albescentibus  undis  Auson.  Id.  XII  sulpkureus  Glaudian  I  256 
Nar  viHatus  odoro  sulphure,  —  Nach  Fra  L.  Alberti  heifst  er  N^pra  ,,.per 
anÜfirasi,  eoncio  sia  eosa  ch*a  egli  Faequa  moUo  bianea. 

3)  Der  Name  der  Seebeeken  am  AusflaCs  laeus  FeUnm  oder  FeUiU  wird 
gegenwärtig  auf  den  Hanptflnfs  ausgedehnt,  der  nach  Plin.  lil  109  Varro  l>ei 
Servius  V.  Aen.  YII  657  Avens  hiefs. 

4)  Verg.  Aen.  VII  714  dazu  Servius  und  Vibius  Seq.  Im  obersten  Tbeil 
seines  Laufes  hat  er  noch  jetst  den  alten  Namen  Imele  bewahrt»  den  er  dann 
mit  Salto  vertauscht 


{  3.  Ikr  Tiber.  818 

springeode  Toknus  Turano.i)  Ihre  Ueberschwemmungen  suchen  das 

Thal  Yon  Rieti  oftmals  heim;  denn  sie  verstopfen  mit  ihrer  starken 

Kalklosung  den  Abfall  zur  Nera,  der  auf  kQnstlichem  Wege  gebrochen 

werden  mub.    Der  Veline  stQnt  nflmlich  in  drei  Absätzen  von  ins- 

gesammt  an  200  m  Höhe  (den  berOhmten  Cascate  delle  Marmore)  zur 

Nera  hinab :  Manius  Gurius  Dentatus  hat  den  ältesten ,  jetzt  wieder 

laufenden  Durchstich  im  dritten  Jahrhundert  v.  Chr.  gemacht,  zu  dem 

in  neueren  Zeiten  zwei  andere  hinzu  gekommen  sind.  Die  Interessen 

der  benachbarten  Gemeinden  standen  einander  hierbei  schroff  gegen* 

über:  Beate  verlangte  einen  beschleunigten,  Interamna  einen  veir- 

laogsamten  Abflufs.    Im  Altertum  hat  der  römische  Senat  vermittelt'X 

in  späteren  Jahiiiunderten  verfochten  die  Parteien  ihre  Ansprache 

manchmal  mit  den  Waffen.     Mehrere  kleinere  Seen  legen  von  der 

Ntae  der  Reatiner  Ebene  Zeugnifs  ab :  der  grOfste  Ueberrest  des  laem 

Feimtia  ist  der  Lago  di  Piedilugo  ein  stiller  Bergsee,  3km  von  den 

Cascaden  entfernt.  Das  €M>iet  des  Nar  und  Velinus  umfafst  4450  Dkm 

(81  D  M.).  Ihr  Wasserreichtum  rührt  von  dem  Umstand  her  dafs  sie 

vom  Hochappennin  gespeist  werden,  der  die  mächtigsten  Niederschläge 

empftngt  (S.  224).     Der  mittl^'e  Abflufs  in  der  Secunde  beträgt 

169  Cubikmeter,  reichlich  drei  Fünftel  von  dem  des  Tiber;  er  sinkt 

nie  unter  100  und  steigt  bis  auf  2800  Cubikmeter.    Die  Schiffbarkeit 

des  Nar  konnte  sich,  von  der  FlOfserei  abgesehen,  füglich  nicht  über 

Terni  hinaus  erstrecken. 3)    GelegenUich  kam  es  vor,  dab  Reisende 

von  Namia  nach  Rom  die  Wasserstrafse  wählten,  um  dem  Staub  und 

Gedränge  der  Via  Flaminia  zu  entgehen.^) 

Von  der  Einmündung  der  Nera  rechnen  wir  den  dritten  Abschnitt, 
den  U  nt  er  lauf  des  Tiber  zu  ca.  160  km  Länge.  Das  GeßUe  bis  zum 
Aoio  beträgt  reichlich  Va  :  iOOO.  Das  Thal  ist  i— 3km  breit;  17km 
von  der  Nera  entfernt  lag  die  von  Augustus  erbaute  Brücke  (43  m  ü.  M.), 
welche  die  Flaminische  Strafse  von  etruskischem  auf  umbrischen 
Boden  hinüberleitete  zunächst  nach  Oerimlum  Otricoli  zu.  Es  folgt 
eine  Enge.  Der  Flufs  beschreibt  einen  grofsen  Bogen  um  den  So- 
racte  (S.  238),  den  er  vom  Hauptgebirge  trennt.  Unter  den  vom 
letzteren  herab  fliefsenden  Bächen  befinden  sich  die  Aja ,  Farfa  {Far- 

\)  Ovid  Fast  VI  565  Oros.  V  18, 13. 

2)  Cicero  wird  54  v.  Chr.  tod  den  Reatinera  als  Anwalt  geworben,  ad 
Att.  IV 15,  5  pro  Scanro  27,  vgl.  Varro  RR.  m  2  Tac.  Ann.  I  79. 

3)  StraboV227';riU»T09  ov  /ÄfydXoiq  axdg>eoiv, 

4)  Tacit  Ann.  III  9. 


314  Kap.  VII.  Die  Appcnninflflsse. 

farus^)^  Fosso  di  Correse.  Nunmehr  tritt  der  Tiber  (22,7  m  ü.M.)  in  die 
vulkanische  Ebene  von  Rom  und  strömt  in  einem  3 — 4  km  breiten  Thal 
majestätisch  dahin.  Bei  9m  Meereshöhe,  7km  oberhalb  der  Stadt 
nimmt  er  den  Anio  auf.  Der  Anio  Aniene  oder  Teverone  ist  ein  118  km 
langer  lebhafter  Gebirgsstrom,  dessen  kahles  klares  Wasser  von  den 
Alten  mit  gutem  Grund  gepriesen  und  in  zwei  ktlnstlichen  Leitungen 
nach  Rom  geführt  wurde.  >)  Er  entspringt  oberhalb  der  Stadt  TrAa 
TreW  an  den  Bergen,  welche  das  Fuciner  Becken  im  W  einfassen, 
unweit  der  Quellen  des  Liris  und  Turano.  Er  fliefst  nach  NW  an 
Sublaqueum  Subiaco  mit  seinen  längst  verschwundenen  Teichen,  die 
ihm  den  Namen  gaben,  vorbei  und  wendet  sich  dann  im  Bogen  nach 
SW  der  Ebene  zu.  Sein  Niveau  vor  Tibur  Tivoli  mifet  233  m  ü.  M., 
am  Fufs  des  Stadthttgels  47  m :  in  prächtigen  FäUen  stürzt  er  aus  den 
Bergen  in  das  Flachland  hinab,  wo  er  die  Grenze  zwischen  Latium  und 
der  Sabina  darstellt.  Die  Alten  nennen  den  Anio  schiffbar.^)  Freilieh 
bilden  die  Katarakten  von  Tivoli  eine  unüberwindliche  Schranke,  und 
ob  der  Oberlauf  bis  hierher  je  regulirt  gewesen  ist,  kann  fraglich  er* 
scheinen.  Dagegen  gewährte  das  untere  Stück  für  die  römische  Bau* 
kunst  wichtige  Vortheile,  die  Strabo  mit  den  Worten  hervorhebt: 
^von  Tibur  durchströmt  der  Flufs  eine  fruchtbare  Ebene  an  den 
Brüchen  des  Tiburtiner  und  Gabiner  oder  roten  Steins  vorbei,  so  dals 
die  Ausfuhr  aus  den  Brüchen  und  der  Transport  äufserst  leicht  von 
statten  geht  und  die  meisten  römischen  Bauten  mit  diesem  Material 
hergestellt  werden.^  Noch  im  16.  Jahrhundert  wurden  nach  vor- 
gängiger  Reinigung  des  Bettes  die  Travertinquadern  für  die  Peters* 
kirche  auf  diesem  Wege  angeschafft.  Das  Gebiet  des  Anio  umfafst 
1426  Dkm  (26  nM.):  sein  geringster  Abflufs  wird  auf  20,  sein 
höchster  auf  480  Cubikmeter  in  der  Secunde  angegeben. 

Von  der  Aniomündung  4  km  entfernt  passirt  der  Tiber  den  pns 
Milvhu  Ponte  MoUe;  er  fliefst  hier  7,15  m  ü.  M.  und  ist  144  m  breit 
Nach  weiteren  3  km  tritt  er  in  die  Stadt  und  durchmifst  dieselbe  von 
N  nach  S  mit  zwei  grofsen  Krümmungen  in  Gestalt  eines  5  auf  einer 
Strecke  von  4450  m.    Der  Flufsboden  in  dem  Hafen  an  derRipeUa 


1)  Farfarus  Ovid.  Met.  XIV  330  Tab.  Peut  Servins  V.  Aen.  a.  0.  Tyl.Sil. 
It.  IV  162.    Fahari»  Verg.  Aen.  VII  715  Vibins  Seq.  SidoD.  Ap.  Ep.  I  5. 

2)  Verg.  Aen.  Vn  663   SUt  Silv.  IV  4,  17   FronUn  de  Aquaed.  15.  90  fg. 
DioD.Hal.V37  xaloq  fikv  o^p^vai,  ykvxvg  dh  nlveir^ai^ 

3)  Strabo  V  236. 235  Piin.  111  54. 


{  3.  Der  Tiber.  815 

liegt  0,89  ml),  der  mittlere  FluTsspiegel  6,18  m  ü.  M.    Die  Neigung 
innerhalb  der  Stadt  ist  bedeutend,  ungefähr  ^jb :  1000.    Die  Breite  im 
Mittel  80^100 m  schwankt  stark:  bei  Ponte  S.  Angelo  75m,  bei  der 
Faroesina  war  sie  gar  bis  vor  Kurzem  durch  Vorbauten  auf  60  m  ein- 
geengt worden.    Die  im  Lauf  der  Zeiten  hineingeworfenen  Schutt- 
massen haben  die  Tiefe  sehr  ungleichmafsig  gemacht,  derart  dafs  sie 
zwischen  1  und  4  m  im  Mittel  schwankt  (am  Hafen  von  Ripetta  5  m, 
Mitteltiefe  bei  der  Insel  2,71  m,  ebendort  Hauptstrom  tiefste  Stelle 
4,90  m,  vor  der  Cloaca  maxima  3,40  m  4,60  m  3,30  m,  am  Hafen  von 
Ripa  grande  4  m).    Aus  demselben  Grunde  hat  seit  dem  Altertum  eine 
Erhöhung  des  Bettes  statt  gefunden ,  die  indessen  unter  keinen  Um- 
stünden beträchtlich  sein  kann:  nach  den  neuesten  Beobachtungen 
will  man  sie  auf  1  m  ansetzen.   Unterhalb  Roms  nimmt  der  Tiber  eine 
SW  Richtung  an ,  das  Thal  verbreitert  sich.    Nach  30  km  geht  rechts 
der  von  den  Kaisern  Claudius  und  Traian  gegrabene  Canal,  jetzt 
Ramicino  ab,  der  nach  5  km  die  See  erreicht  und  mit  einer  Minimal- 
tiefe von  1,50  m  gegenwartig  allein  befahren  werden  kann.    Der  alte 
Hauptarm  dagegen  fliefst  an  Ostia  vorbei,  8  km  lang;  seine  Mündung 
hegt  4  km  südlich  von  derjenigen  des  Canals.  Die  AUuvion  hat  das 
Aussehen  der  Gegend  gründlich  verändert.  Sie  ist  bedeutender  an  dem 
todten  Hauptarm  als  am  Canal:  dort  hat  sie  das  Land  seit  der  Kaiser- 
zeit um  4Vs  km,  hier  um  3  km  vorgerückt  2)    Von  den  aufgelösten 
LehratheOen  rührt  die  gelbe  Farbe  des  Flusses  her,  die  ihm  bei  den 
römischen  Dichtern  das  stehende  Beiwort  flamu  eingetragen  hat.  3) 
Läfst  man  das  Wasser  sich  setzen  und  klären,  so  wird  es  nicht  blos 
trinkbar  sondern  auch  schmackhaft.^)  Seine  Temperatur  steigt  selten 

1)  Nach  dem  NiTellement  von  Ghiesa  nud  Gambarini,  das  in  der  obigen 
Darstellang  benutzt  ist  nnd  den  meisten  Höhenangfaben  aus  Rom  zu  Grunde 
^^t  vgl.  Linotte  Giorn.  arc.  XIII  p.  ISdfg.  Nach  neueren  Untersuchungen  ist 
der  Meeresspiegel  zu  hoch  bestimmt  gewesen  und  liegt  der  FluTsboden  riel- 
mehr  1,86  m  ü.M. 

2)  Dies  giebt  für  das  Jahr  ein  Vorrücken  von  2  resp.  3  m.  Die  Alluvion 
scheint  indels  in  der  Neuzeit  viel  grötSser  als  im  Mittelalter  gewesen  zu  sein. 
Lanciani  Ann.  d.  Inst  1868  p.  153  will  gar  für  die  letzten  Jahre  3,10  m  bei 
FiumicinOy  9,025  m  an  der  alten  Mündung  gefunden  haben. 

3)  Hör.  Od.  12, 13  8,8  n3,18  Yerg.  Aen.  VU  31  1X816  Ov. Trist. V  1,31 
Met  XIV  448  u.  a. 

4)  Wahrend  der  älteren  Republik  und  das  ganze  Mittelalter  hindurch  bis 
1450  haben  die  Römer  Tiberwasser  getrunken.  Päpste  führten  es  auf  Reisen 
mit  sich  nnd  noch  in  diesem  Jahrhundert  ward  es  von  einigen  Klöstern  dem 
Wasser  der  Aquäducte  vorgezogen,  dessen  Kalkgehalt  gelegentlich  die  Ver- 
dauung stört. 


316  Kap.VIL  Die  Appenmnflässe. 

über  18 — 20®  und  sinkt  in  der  Neuzeit  nicht  unter  +  &<^.  Der 
F  i  8  c  h  f  a  ng  wird  bei  Rom  heute  wie  in  alten  Tagen  mit  Erfolg  be- 
triehen. 1)  Der  auf  der  Insel  gefangene  btfUB  {perea  Ubrox  L  lobm 
iupus  C.  Spigola,  eine  Art  Bars),  welcher  bis  20  Pfund  schwer  wird, 
genofs  besonderer  Schätzung.))  Der  Stor  {aeifmur  iturio)  ist  gegen- 
wärtig nicht  so  selten  wie  im  Altertum,  wo  er  ab  ein  Vorrecht  der 
kaiserlichen  Tafel  bezeichnet  wird^):  man  fischt  ihn  im  Mai  und  Juni, 
wenn  er  zu  Berg  steigt,  in  verschiedenen  GrOfsen  von  0,40— 4  m 
LSnge  und  bis  300  Pfund  Gewicht  Aale  und  andere  Fische,  die  sich 
am  Ausflufe  der  Goaken  misteten,  standen  dagegen  in  geringem 
Ansehn.  ^) 

Der  Tiber  hat  für  die  Geschichte  des  Altertums  eine  ungleich 
höhere  Bedeutung  gehabt,  als  man  nach  den  Verhältnissen  der  Gegen- 
wart auf  den  ersten  Blick  zu  schliefsen  geneigt  wäre.^)  Während  er 
einem  oberflächKchen  Reisenden  nur  ab  landschaftliche  Staffage  so 
dienen  scheint,  ist  er  keineswegs  immer  zu  dieser  bescheidenen  Rolle 
verdammt  gewesen.  Es  ist  wahr,  man  kann  Tage  lang  auf  Ponte 
Molle  stehen ,  ohne  ein  Segel  zu  erspähen  oder  einen  Ruderschbg  xn 
vernehmen.  Indessen  es  gab  eine  Zeit,  wo  der  Tiber  ein  veitleinotes 
Abbild  unseres  Rheins  darbot,  als  üppige  Villen  seine  Ufer  einrahmten 
und  ein  reger  Verkehr  auf  dem  Strom  sich  tummelte.  <^)  Die  Alten  et- 
kennen  in  der  günstigen  Handetastelfaing  Roms  zum  Binnenland  we 
zum  Meer  eine  Vorbedingung  seiner  Gröfse.'')    In  der  That  walteten 

1)  Strother  Smith  a.  0.  p.  149 fg.  handelt  eingehend  Ton  den  Tiberfiscbeo 
und  giebt  Abbildangen  deraelbeD. 

2)  Hör.  Sat  ü  2, 32  Plin.  IX  169  Varro  bei  Macrob.  Sat.  HI  16, 12, 

3)  Martial  XIU  91  Plin.  IX  60. 

4)  Juvenal  V  103. 

5)  Preller,  Rom  und  der  Tiber  in  Ber.  d.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wiasenscb. 
1848  p.  131  fg.    1849  p.Sfg.  134rg. 

6)  Hör.  Od.  II  3, 18  Plin.  IH  54  pluribus  prope  solus  quam  etteri  in  om- 
nilnu  territ  amnes  adeoHiur  adspieiturque  vilHs,  vgl.  Propert  114 

Tu  licet  abiectus  Tiberina  molHter  unda 

Lesbia  Mentoreo  vina  bibas  opere^ 
et  modo  tarn  celeret  mireris  eurrere  Untre* 

et  modo  tarn  tardas  ftinibus  ire  rate*  eqs. 

7)  Liv.V  54  non  sine  causa  dii  hominesque  hunc  urbi  condendae  hcum 
elegeruntf  satuberrimos  colles,  flumen  opportunum,  quo  ex  medUerrantit 
loeis  fruges  devehantur,  quo  maritimi  commeatus  accipiantur,  mare  vidnum 
ad  commoditates  nee  expositum  nimia  propinquitate  ad  pericula  elasthm 
extemarumy  regionum  Itaiiae  medium,  ad  incrementum  urbis  natum  mee 
locum,   Cicero  Rep.  II  5,  10  preist  die  Weisheit  des  Romulus  quod  urbem  ptr- 


i  3.  Der  Tiber.  817 

hier  dieselben  natttrücben  Bedingungen  ob,  denen  Bremen  Hamburg 
Stettin  Danzig  und  so  viele  andere  an  Flasaen  belegene  Seestädte  ihre 
Blüte  verdanken.    Die  Gr5be  des  Tiber  wird  leicht  unterschätzt:  von 
der  Aniomündung  abwärts  kann  er  nirgends  und  zu  keiner  Zeit  durch- 
watet werden  0 ,  auch  im  Sommer  sinkt  der  Wasserstand  nicht  unter 
1,12  m  und  der  Abflufs  nie  unter  160  Cubikmeter  in  der  Secunde, 
während  er  im  Mittel  267  (nach  anderen  Angaben  292)  beträgt.    Die 
Mächtigkeit  der  Niederschlage  im  Hochappennin  erklärt  diesen  aufser- 
ordentUchen  Reichtum;  denn  z.  B.  die  Seine  führt  bei  einem  fünfmal 
80  groben  Stromgebiet  kaum  die  doppelte  Wassermenge,  ein  Hoch- 
wasser der  Seine  erreicht  nicht  das  halbe  Quantum  von  einem  Hoch- 
wasser des  Tiber,  ihr  Tiefstand  sinkt  auf  den  dritten  oder  vierten  Theil 
vom  Tiefstand  des  letzteren  herab.    Am  merkwürdigsten  ist  die  Be- 
ständigkeit des  Abflusses  während  der  sommerlichen  Dürre:  wir  sahen 
dafs  sie  von  den  unterirdischen  Vorratskammern  des  Hochgebirgs  her- 
rtthrt  (S.  224).    Kleine  Dampfer  25—36  m  lang  4—5  m  breit  mit 
1,20  m  Tiefgang  fahren  noch  heute  zwischen  Rom  und  Fiumicino.  Im 
Altertum  mu&  das  Fahrwasseribedeutend  tiefer  gewesen  sein:  Last- 
schiffe von  1 570  Centner  oder  78  Tons  Tragkraft  und  Kriegsschiffe 
jeden  Kalibers  gelangten  zur  Zeit  des  Augustus  bis  an  die  Stadt  >)   Die 
Staatswerfte  lag  am  Marsfeld:   hier  wurden  während  der  Republik 
Dreiruderer  von  2,67  m  und  Fünfruderer  von  3,61  m  Tiefgang  in  und 
aufser  Dienst  gestellt  3)  Ja  sie  barg  sogar  ein  Ungetüm  mit  16  Ruder- 
reihen, auf  dem  der  Besieger  des  Königs  Perseus  gekommen  war  sich 
den  wolverdienten  Triumph  zu  holen.^)    Noch  im  4.  Jahrhundert 
n.  Chr.  konnte  das  Schiff  mit  dem  lateranensischen  Obelisken ,  der 
32  m  mifst  und  9000  Centner  wiegt,  5  km  von  der  Stadt  bei  dem  Yicus 
Alexandri  anlegen.^)  Grofse  Kauffahrer  dagegen  waren  in  der  Periode 

ennü  amrä*  et  aequabilis  [?]  ei  in  mare  late  inftuentis  potuit  in  ripa,  quo 
pOMtet  urbs  et  aeeipere  ex  mari  quo  ^eret  et  redäere  quo  redundarei  eodem" 
fue  fiumine  res  ad  vietum  euUumque  maximo  neeestariae  non  sobsm  mari 
absorberotf  eed  etiam  inveetat  aedperet  ex  terra  . . .  ond  bemerkt  mit  Recht 
öab  keio  anderer  PoDCt  in  Italien  gleiche  Vortbeile  darbot 

1)  Dion.  Hai.  IX  68. 

2)  Dion.  Hai.  III  44. 

3)  Ueber  den  Tiefgang  der  Kriegaachiffe  a.  Graaer  de  veterum  re  nayali 
TgL  S.  126. 

4)  Liv.  XLY  35  vgl.  Flut.  Gato  min.  39  und   Aber   die  navalia  Jordan 
Top.  I  1  p.  436. 

5)  Ammian  XVn  4, 13. 14  navii  ampUtudinii  antehae  inutitaiae  sub  tre- 
cenüe  remigitnu  agitanda. 


818  Kap.  VU.  Die  Appeiiiiiiiflüsse. 

des  Augustus  genötigt  vor  der  Einfahrt  einen  Theil  ihrer  Ladung  an 
FlufskShne  abzugeben  oder  nberiiaupt  auf  der  schlechten  Rhede  tod 
Ostia  vollständig  zu  löschen.^)  Ochsen  schleppten  die  Sdiiffe  hinauf; 
eine  ganze  Anzahl  beschrieben«*  Grenzsteine,  welche  die  Breite  des 
Leinp£aids  an  beiden  Ufern  bestimmten,  haben  sich  noch  vorgefunden. >) 
Die  Verbindung  mit  der  See  hat  den  Aufschwung  Roms  in  älteren 
Jahrhunderten  befördert  Dagegen  einen  Welthandel  nicht  Mos  in 
dem  Sinne,  den  wir  beutigen  Tages  mit  dem  Worte  verbinden,  sondern 
auch  in  dem  Umfang,  wie  er  sich  im  letzten  Jahrhundert  vor  unserer 
Zeitrechnung  gestaltet  hatte ,  aufzunehmen  und  zu  beherrschen  war 
der  Tiber  auf  die  Dauer  nicht  'im  Stande:  solcher  fand  am  Golf  von 
Neapel  seinen  natürlichen  Mittelpunct.  Inunerhin  war  die  Existent 
der  Welthauptstadt  an  den  Fluls  gebunden  und  der  Verkehr,  der  «ich 
auf  ihm  bewegte,  grofsartig  genug  um  die  Bezeichnung  des  Plinios 
qtuimlibet  magnarum  navium  ex  Italo  mari  eapax,  verum  m  Mo  wk 
naseentmm  mereatar  placidieeimus  als  keine  Uebertreibung  erscheineD 
zu  lassen. 

Oberhalb  Roms  bietet  die  Schiffahrt  bis  zur  EinmQndung  der 
Nera  keine  Schwierigkeiten  dar;  diesem  Flufs  nebst  demAnio,  die 
beide  aus  dem  Hochappennin  stammen,  verdankt  wie  bemerkt  der 
Tiber  seinen  sommerlichen  Wasserreichtum.  Gegenwärtig  gehen  die 
Barken  bis  Ponte  Feiice  (der  Brücke ,  welche  die  Landstrafse  na<l 
Umbrien  passirt);  sie  werden  etwa  die  Hälfte  des  Weges  durch  Dampfer 
von  1 — 1,10m  Tiefgang,  nachher  durch  Büffel  geschleppt  Mit  Aus- 
nahme der  beiden  trockensten  Monate  kann  man  etwa  alle  Woche 
einmal  einen  solchen  Schlepper  abgehen  sehen.  In  früheren  Jahren 
erlaubte  der  Wasserstand  den  Dampfern  bis  Ponte  FeUce,  den  Barken 
bis  Orte  zu  kommen.  Ueber  Orte  hinaus  wird  nur  Fl Ofser ei  be- 
trieben :  im  Herbst  und  Winter  schwimmen  die  FlOfse  zu  Thal,  um  in 
Rom  zerschlagen  zu  werden.  Die  Alten  berichten ,  dals  auch  der 
Mittel-  und  Oberlauf  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  befahren  vnirdeo.') 
Dabei  waren  allerdings  bedeutende  Hindemisse  zu  überwinden ,  die 


1)  Strabo  V  232  Dion.  Hai.  Ul  44. 

2)  Dion.  a.  0.  Procop.  beU.  Goth.  I  26.  CIL.  Vll,  1234  %.     Da(k  die 
nation  den  angegebenen  Zweck  hatte,  scheint  zwar  nicht  bemerkt  wordeo  n 
sein,  liegt  aber  in  der  Natur  der  Sache. 

3)  DioD.  Hai.  III 44  hcavav  6h  Svrog  axo*-  f^  twv  ntfymv  Hozofniyoi^ 
oxag>eaiv  evfiByi&eaiv  avankEhf^aiy  ngog  avr^v  6h  r^v  ^Pcifupf  xtd  ^den- 
rlaig  oXxaci  fieydXaig. 


{  3.  Der  Tiber.  819 

eioestheüs  durch  das  starke  GeMe,  anderntheils  durch  den  nngleichen 
Wasserstand  bereitet  wurden.  Ohne  Zweifel  lagen  die  Vertidltnisse 
ehedem  günstiger:  aber  der  Gegensatz  zwischen  einer  Regenperiode 
and  einer  Dürreperiode  bestand  damals,  wenn  auch  nicht  so  sei  vf 
ausgeprägt,  doch  ebenso  gut  wie  heute.  Der  hieraus  sich  ergeberde 
ScUufs,  dafs  der  obere  Tiber  im  Sommer  an  Wassermangel  Utt,  wird 
TOD  den  SchriftsteUem  ausdrücklich  bestätigt.^)  Zugleich  erfahren  wir, 
dals  derselbe  wie  auch  der  Tinea  und  Clanis  durch  künstliche  Slau- 
nngen  fahrbar  erhalten  wurden :  ein  umständlicher  Notbehelf ,  da  in 
der  trockenen  Zeit  die  Schleusen  sich  nur  aUe  neun  Tage  öffneten.^) 
Einen  Ueberrest  solcher  hydraulischen  Anlagen  will  man  in  dem  sog. 
muro  grosso  an  der  Chiana  bei  Carnaiola  erkennen.  Die  Gefahren, 
welche  von  den  Schnellen  drohten ,  sind  den  Alten  nicht  verborgen 
geblieben ,  und  Plinius  drückt  sich  sogar  in  seiner  gesuchten  Weise 
dahin  aus  dafs  der  Flufs  auf  lange  Strecken  nur  für  Balken ,  nicht  für 
Flöfse  passirbar  sei. 3)  Indessen  ist  dies  nicht  allzu  ernsthaft  zu  nehmen 
und  wenn  der  Wassermangel  durch  künstliche  Wehren  und  Stauungen 
bekämpft  wurde,  so  konnte  man  mit  den  übrigen  Hindernissen  leichter 
fertig  werden.  In  der  That  waren  diese  binnenlflndischen  Verbindungen 
für  Rom  Ton  entscheidender  Bedeutung.  Das  Flufsnetz  allein  ver- 
mochte jene  unabsehbaren  Holzmassen  herbeizuschaffen ,  die  Rom  für 
seine  Riesenbauten  und  namentlich  für  seine  aus  Fachwerk  aufge- 
thürmten,  periodisch  abbrennenden  Mietshäuser  verbrauchte.^)  Aufser- 
dem  erleichterte  es  die  Ernährung  seiner  Bevölkerung;  denn  neben 
der  Flöfserei  wurden  nach  bestimmten  Zeugnissen  die  Feldfrttchte  auf 
demselben  Wege  verschifft.^)  Und  wenn  auch  die  Zufuhr  ebenso  wenig 
aasreichte  als  diejenige  der  Grafschaften  für  das  heutige  London ,  so 

1)  Vgl.  S.  310  A.  1  und  die  Erzählung  von  der  Entstehung  der  Tiberinsel 
Liv.n  5  Tiberim  tenui  fluenietn  aqua,  ut  mediU  caloribu*  soleL 

2)  PUn.  III  53  Unuü  primo  nee  nisi  püeinit  eorrivaius  emssusque  navi- 
gübilüy  sieuii  Tinia  et  Cianü  influenies  in  euwiy  novenontm  ita  eoneepiu 
dierum,  si  non  adiuvent  imbres.  Dasselbe  System  wird  noch  jetzt  an  ita- 
lischen Flfissen  angewandt  s.  Lombardini  Pianura  subappenina  p.  21 ,  und  war 
Tor  Verbesserung  der  Holzwege  im  Schwarzwald  und  anderen  deutschen  Ge- 
birgen in  Gebraacb. 

3)  Er  föhrt  a.  0.  fort:  sed  TiberU  propter  aspera  et  confragosa  ne  sie 
quiäem  praeterquam  trabibus  verius  quam  ratibus  longe  tneabih't  fertur, 

4)  StraboY  p.235  (222)  führt  diese  Betrachtung  aus,  vgl.  Dion.  Hai.  I  37; 
über  die  Schwierigkeiten  des  Transportes  von  Baumaterial  Vitruv  U  7,  5. 

5)  Plin.  £p.  V  6,  12;  bei  der  Hungersnot  411  t.  Chr.  Liv.IV52  waximo$ 
cotntneatus  summe  Btruriae  studio  Tiberis  devexit;  ebenso  U  34. 


820  Kap.  yn.  Die  Appemünfifiase. 

wSre  es  doch  in  dem  einen  wie  dem  anderen  Falle  Terkehrt 
Factor  seine  Wichtigkeit  abzusprechen.  Unter  solchen  UmstSnden 
begreift  man ,  dafs  der  gesammle  Flufilauf  sorgftltig  regnlirt  war^) ; 
sowie  dafs  die  Aufsicht  über  denselben  unter  die  angesehensten  Reichs- 
fimter  gerechnet  wurde. >)  Nicht  minder  ist  klar,  dafs  nur  durch  eine 
energische  unablttsaige  Fürsorge  die  Wasserstrabe  offen  eihalten 
bleiben  konnte.  Durch  die  fortschreitende  Entwaldung  mehrten  sich 
die  Erd-  und  Schutimassen,  welche  die  Fluten  entf&hrten;  damit 
scheint  die  zunehmende  Vereandung  der  Mttndung  zusammenzuhüngeDf 
gegen  welche  die  Kaiser  machtvoll  ankämpften.  Mit  dem  VerM  des 
Altertums  war  das  Schicksal  des  Tiber  besiegelt  Einst  der  Trlger 
eines  blähenden  Verkehrs,  ist  er  seither  eine  Geilsel  ftlr  die  Land- 
Schäften,  die  er  durchzieht,  geworden.  Nach  jedem  starken  Regen 
sieht  man  ihn  wie  seine  Nebenflüsse  ihre  Ufer  ^Übertreten  und  weithiD 
versumpfen :  von  Ostia  bis  Perugia  hinauf  gewahrt  er  unnnterbrocheD 
ein  Bild  von  Verwahrlosung  und  ftebervoUer  Oede.  Freilich  sind  die 
groiisen  Erinnerungen ,  die  an  seinen  Namen  sich  knüpfen ,  taogst 
wieder  erwacht;  seit  dem  16.  Jahrhundert  sind  viele  Tractate  über  die 
Herstellung  der  Schiffbarkeit  geschrieben  worden  und  mehrere  Päpste 
haben  das  Project  ernstlich  ins  Auge  gefafst^)  Mit  gutem  Grund  ist 
es  bei  Worten  geblieben.  Denn  zwar  ist  der  Wassertransport  der 
denkbar  billigste  und  bei  dem  Stand  der  antiken  Communicationsmittel 
bot  der  Tiber  für  das  Binnenland  namentlich  in  den  (fiteren  Jabr* 
hunderten  vor  dem  Ausbau  des  Strafsennetzes  geradezu  unschätzbare 
Vortheile  dar.  Solche  existiren  nicht  mehr:  man  gräbt  mit  unermeb- 
lichen  Kosten  keine  Canäle  durch  menschenleere  verannte  Gegenden. 
Im  Altertum  war  Rom  durch  seine  centrale  Lage  die  natürliche  Haupt- 
stadt des  Erdkreises:  seit  der  oceanischen  Entwicklung  der  Neuzeit 
hat  es  diese  Gunst  der  Lage  unrettbar  eingebüfst.  Ob  es  als  Haupt* 
Stadt  eines  Nationalstaats  die  Sünden  der  Vergangenheit  bttfsend  auch 
daran  denken  kann  den  Tiber  wieder  schiffbar  zu  machen ,  mufs  die 
Zukunft  lehren. 

In  altrömischen  Gebeten  hiefs  Vater  Tiber  Serra  die  Säge  oder 
Rumon  der  Fresser  wegen  der  Zerstörungen ,  die  er  an  seinen  Ufern 


1)  Plin.  in  54  nuUi  fluviorum  minus  Ueet  inebuis  uMmqu«  iaUrikut. 

2)  Ueber  die  euratarei  ripamm  ei  aloei  Tiberii  vgl.  Preller  a.  0. 1  p.  142  fif. 

3)  Den  Anfang  macht  AngustiDiu  Steuchos  de  restitaeoda  navigatiaBe 
Tiberis  a  Trasiamno  agri  Perasini  castello  (Torgiano)  usque  Romam,  1547. 
Uoter  Benedict  XIV  arbeiteten  Ghiesa  und  Gambarini  S.  308  A.  2. 


§  3.  Der  Tiber.  821 

tarichtele.  0  ^^^  Ueberlieferung  weUs  viel  mehr  vod  dem  Schaden  ab 
dem  Nutieii,  den  er  atiftet,  aoziunerken.  Die  Frage,  wie  seine  Aus- 
schreitungen von  der  ewigen  Stadt  fern  zu  halten  seien,  hat  in 
alter  und  neuer  Zeit  von  Caesar  bis  auf  Garibaldi  neben  versUindigen 
Vorschlagen  auch  gar  schillernde  Seifenblasen  den  Köpfen  entlockt 
Der  grofse  Caesar  wollte  einen  Theil  des  Tiber  sowie  den  Anio  in 
einen  Canal  leiten,  der  quer  durch  die  Campagna  und  die  ponti* 
nisehen  Sflmpfe  laufend  bei  Terracina  münden  sollte^);  doch  blieb 
das  Unternehmen  in  sein^i  Anlangen  stocken.  Nach  der  lieber- 
schwemmung  15  n.  Chr.  tauchte  der  Plan  auf  den  Clanis  in  den  Arno 
abzuleiten ,  die  Abflttsee  des  Nar  und  Velinus  durch  Stauungen  und 
Canäle  zu  verzögern:  der  Senat  besafs  Einsicht  genug  um  hierauf 
nidit  einzugdien.')  In  der  Neuzeit  hat  man  namentlich  in  dem  Anio 
den  Uebelthflter  erkennen  und  ihn  in  einem  groben  Bogen  um  die 
Stadt  herumfahren  wollen.  Die  Fachleute  dagegen  haben  langst  nach- 
gewiesen ,  da/s  das  Uebel  als  solches  durch  natürliche  Verhältnisse 
gegeben  sei,  dafs  es  wol  gemildert,  aber  nicht  beseitigt  werden  könne. 
Und  somit  kehrt  man  zu  der  nttmlichen  Richtschnur  zurück,  welche 
die  Alten  demselben  gegenüber  eingehalten  haben.  Der  Wasserstand 
hüDgt  von  der  jeweiligen  Masse  des  gefallenen  Regens  ab.  Hierbei 
findet  allerdings  die  Einschrdinkung  statt,  dafs  die  unterirdischen 
Sammelbdiailter  des  Hochgebirgs  den  Regen  aufspeichern  und  wahrend 
der  Dürre  sidi  öffnen,  also  in  nassen  Zeiten  weit  weniger,  in  trockenen 
weit  mehr  als  sie  empfangen,  von  sich  geben.  Wie  schon  bemerkt, 
beruht  auf  diesem  Umstand  der  relative  Wasserreichtum,  den  der  Tiber 
in  den  Sommermonaten  besitzt  Indessen  versteht  sich  von  selber, 
dafs  der  grofse  Gegensatz  in  der  Vertbeilung  der  Niederschlage  an  die 
verschiedenen  Jahreszeiten,  der  den  Charakter  des  mediterranen  KUma 
bestimmt,  durch  die  Bodenbeschaffenheit  wol  abgeschwächt  aber  nicht 
ausgegtichen  werden  kann.  Deshalb  hat  der  Flufs  im  August  am 
wenigsten,  im  März  am  meisten  Wasser:  beide  Monate  differiren  im 
Mittel  2,50  m.^)   Der  Tiber  steht  hooh  im  März  Januar  und  Dooember, 


1)  Verg.Aen.ym62  dazu  Servins,  vgl.  Gic  de  nat  deor.  m  52. 

2)  Plotarch  Caea.  68. 

3)  Tac.  Ann.  I  76.  79  Dio  LVH  14.  Mit  Recht  beMfken  im  vorliegeaden 
Ftile  die  Mwiicipien:  opium0  relnu  mortaUum  eQntulMiäS0  naiuram,  qua€ 
IM  ora  ßuminiht»  suai  eurnts  uifue  originsm  iia  fiwß  d§dmdL 

4)  Betocehi  A(U  de*  Lineei  1870  XXIV  p.  262  fg.  giebt  eine  Statistik  der 
J.  1862—70. 

NiiB«o«  Ital.  LandMlnind«.   I.  21 


322  Kap.  Vll.  Die  Appenmnflüsse. 

niedrig  im  August  September  und  Juli,  wahrend  er  die  Obrigen  MoBate 
eine  mittlere  Stellung  einnimmt  Das  Minimum  des  Abflusses  betrog 
1869  die  Secunde  174,79  Cubikmeter,  dagegen  das  Maximum  1239,55 
Gubikmeter.  Bei  der  aufserordentlichen  Mächtigkeit,  welche  die  Wol- 
ken gelegentlich  in  Italien  entfalten,  kann  sich  aber  das  Maiimum  auf 
das  Doppelte  erhohen  und  das  Wasser  um  9 — 11  m  über  den  gewohn- 
lichen  Stand  steigen.  Ein  derartiger  Fall  tritt  ein ,  wenn  das  ganze 
17000  Dkm  grofse  Fluisgebiet  gleichzeitig  von  anhaltenden  Regen- 
güssen betroffen  wird.  Da  dies  verhaltnifemAfsig  selten  geschieht,  so 
werden  auch  die  Ueberschwemmungen  zu  den  selienen  Vorkomm- 
nissen geboren  und  alle  Jahrhundert  nur  ein  paar  Mal  die  Stadt 
heimsuchen.  Freilich  haben  sie  dieselbe  bisher  stets  unvorbereitet 
überrascht,  da  die  Wasser  in  Folge  der  starken  Neigung  des  Bettes 
mit  grofscr  Schnelligkeit  herankommen  und  die  Einwohner  den  Grund 
der  Erscheinung  auf  allen  möglichen  Aberglauben,  aber  nicht  auf  den 
natürlichen  Zusammenhang  mit  den  atmosphärischen  NiederBchlagen 
zurückführten.^)  Die  Flut  bewegt  sich  regelmafsig  in  drei  Absätien: 
sie  erreicht  ihren  ersten  Hohepunct  durch  die  Wasser  des  Anio, 
sinkt  dann  und  culminirt  durch  die  Zuflüsse  von  Nera  und  Paglia, 
lafst  nach  und  steigt  zum  dritten  Mal  durch  die  Gewässer  des  oberen 
Tiber  und  Topino.  Am  28.  December  1870  zeigte  der  Pegel  an 
der  Ripetta  eine  Wassersäule  in  der  Hohe  von  16,33  m  oder  17,22in 
über  dem  Meeresspiegel  an  und  blieb  Tolle  acht  Stunden  auf  diesem 
Puncto  stehen.  Begreiflicher  Weise  wurden  alle  niedriger  als  der  an- 
gegebene Betrag  belegenen  Quartiere,  u.  a.  das  Marsfeld  mit  der 
mittelalteriichen  Stadt  überschwemmt;  Rom  bot  zwei  Tage  lang  einen 
Anblick  wie  Venedig  dar,  indem  Bote  FlOfse  und  Fässer  den  Corso 
und  seine  Nebenstrafsen  durchfuhren ,  um  die  in  den  oberen  Stock- 
werken eingeschlossenen  Bewohner  mit  Brot  zu  versorgen.  Unter 
den  in  den  letzten  vier  Jahrhunderten  gemessenen  Fluten  war  die 
gedachte  eine  der  höchsten  und  wird  nur  übertroflien  von  der  Fhit 
1637  mit  17,55  m,  1606  mit  18,26  m,  1530  mit  18,95  m,  1598  mit 
19,56  m  Meereshohe.    Der  Abflufs  betrug  1870  in  der  Secunde  2000 


1)  Unter  den  verschiedenen  Ansichten  über  die  Crmehen  des  Uebels  tct- 
dient  die  verbreitete  nnd  bereits  im  Altertum  (INo  XXXIX  61)  ansgetprochenc 
Erklimng,  dntlB  bellige  S Winde  den  AbflnCs  aufstauen  sollen,  noch  am  ertica 
Beachtung.  IHe  Meerflut  kann  sieb  allerdinga  bis  ea.  20  km  von  der  Mandang 
auf  Wirts  fflhlbar  machen;  jedoch  iit  jene  Theorie  phyaikaUach  unhaltbar  und 
durch  Experimente  widerlegt  worden. 


§  8.  Der  Tiber.  823 

bis  2500  Cubikmeter;  für  den  24.  December  1598  wird  er  auf  4500 
geschätzt.  Was  die  Jahreszeit  betriBl  ^  in  welche  die  grofsen  Ueber- 
schwemmuDgen  fallen ,  so  ist  solche  durch  die  Regenperiode  Italiens 
bestimmt  abgegrenzt:  sie  können  weder  lange  vor  dem  Herbstaequi- 
noctium ,  noch  lange  nach  dem  FrUhlingsaequinoctium ,  also  nicht  in 
den  wannen  Monaten  April — August  eintreten. 

Wie  das  alte  Rom  seine  Lage  am  Flufs  energischer  auszunutzen 
verstand  als  das  heutige,  so  hat  es  umgekehrt  auch  von  den  damit  ver« 
bundenen  Nachtheilen  schwerer  zu  leiden  gehabt.  Dies  war  in  seinen 
weil  ungünstigeren  Niveauverhältnissen  begründet:  die  Thäler  und 
Ebenen  lagen  sämmüich  um  6 — 12m  tiefer,  um  welchen  Betrag  sie 
seitdem  durch  Bauschutt  erhöht  worden  sind.  Deshalb  konnte  ein 
Hochwasser,  das  gegenwärtig  unbemerkt  vorübergeht,  im  Altertum 
bedeutenden  Schaden  anrichten :  wenn  z.  B.  vier  Wochen  nach  der 
oben  beschriebenen  Flut  am  25.  Januar  1871  der  Tiber  bereits  wieder 
eine  Mcereshobe  von  13,40m  erreichte,  so  würde  er  früher  ver- 
schiedene Theile  der  antiken  Stadt  unter  Wasser  gesetzt  haben.  Aller- 
dings ist  ja  auch  seitdem  das  Flufsbett  höher  geworden ,  aber  in  un- 
gleich geringerem  Mafse.  Demnach  dürfen  wir  uns  über  die  aufser- 
ordentliche  Häufigkeit  der  Ueberschwemmungen ,  welche  in  den 
Berichten  der  Alten  entgegen  tritt,  nicht  verwundern  und  am  wenigsten 
hieraus  auf  eine  Aenderung  der  physikalischen  Bedingungen  Schlüsse 
tbon  wollen.  Die  Bauart  des  antiken  Roms  trug  dazu  bei  die  Verwü- 
stung in  einem  ganz  anderen  Licht  erscheinen  zu  lassen ,  als  heut  zu 
Tage :  die  Häuser  waren  leicht  und  schwach  aus  Lehmsteinen  errichtet, 
die  vom  Wasser  aufgelöst  wurden  und  den  Einsturz  veranlafsten.  Es 
ist  einer  der  charakteristischen  Züge  im  Leben  der  Weltstadt,  dafs 
ungeachtet  der  zahllosen  Opfer  an  Menschenleben ,  welche  der  Flufs 
wiederholt  einforderte,  die  Bevölkerung  der  Handwerker  und  Krämer 
stets  aufs  Neue  in  den  schlechten  Mietscasernen  der  Ebene  sich  zu- 
sammendrängle. Sobald  die  schweren  Tage  der  Angst  und  Not  vor- 
über waren ,  beruhigten  sich  die  Gemüter  rasch  und  alles  blieb  beim 
Alten.  Man  pflegte  in  solchen  Heimsuchungen  mehr  die  mahnende 
als  die  strafende  Hand  der  Gottheit  zu  erkennen,  i)  Freilich  fehlte  es 
in  solchen  Fällen  nicht  an  Vorschlägen  und  Plänen  um  die  Wieder- 


1)  PHd.  m  55  creber  ae  tuhitui  inerementu  et  nusquam  magis  aquis 
q^utm  in  ipta  urbe  $tagnanHlmi.  quin  immo  vatet  inielUgiiur  poHtu  ae 
flUMutor  auetu  #Mip«r  reH^nu  verius  quam  $euvu9. 

21* 


824 


Kap.  VII.  Die  Appenninflfisse. 


kehr  desUebeis  für  immer  unmöglich  zu  machen.  Indessen  beschränkte 
sich  ihre  Ausführung  darauf  das  Strombett  zu  säubern  und  zu  vertiefen: 
eine  in  jeder  Beziehung  nfltzliche  und  löbliche  Mafsregel ,  dayon  ab- 
gesehen dafs  sie  das  gesteckte  Ziel  unmöglich  erreichen  konnte.  Ohne 
Zweifel  war  für  den  Abflufs  der  Wassermassen  im  Altertum  weit  besser 
gesorgt,  aber  zur  Bewältigung  von  Hochfluten  reichte  das  Strombett 
eben  nicht  hin.  Zum  Schlufs  stelle  ich  die  überlieferten  Ueberschwem- 
mungen  ohne  Gewähr  der  Vollständigkeit  des  Verzeichnisses  zusammen: 
241  V.  Chr.  Oros.  IV  11,  6 


215 

2  mal 

Liv.    XXIV  9 

202 

XXX  38 

193 

XXXV  9 

192 

XXXV  21 

189 

12  mal? 

[12  Tage 

1           XXXVni  28 

54 

Dio     XXXIX  61 

43? 

Hör.  Od.  12 

27 

Dio    LIIi20 

23 

3  Tage  lang 

T.ni  33 

22 

LIVl 

5  n.  Gir. 

7  Tage 

LV  22  TgL  Cassiodor  chron. 

15 

LVII  14  Tac.  Ann.  I  76 

36 

LVIU  26 

69 

Tac.  Bist  I  86  Plut.  0. 4  Suet  0.  S 

QDter  Traian 

Plin.  Ep.  Vin  17 

Hadrian 

Histor.  Aug.  21 

Anton. 

.  Pius 

eb.   9 

Marc  Anrel 

eb.    8 

217 

Dio   I.XXVIU25 

371 

Amm.  Marc.  XXIX  6, 18 

589 

Gragor  Magn.  Dial.  lU  19. 

S  4.    Die  Latiner  Küste. 

Zwei  Vorgebirge  in  der  Luftlinie  200  km  von  einander  entfernt, 
der  mom  Argemariui  und  der  mont  Ciremmvm  begrenzen  den  Mittel- 
abschnitt der  tyrrhenischen  Küste  Italiens.  Es  fehlt  ihm  an  natoriicheo 
Häfen ,  die  Flufsmündungen  mufsten  Ersatz  bieten.  Aber  die  Flüsse 
lieben  es  ja  vor  ihren  Mündungen  Barren  aufzuwerfen :  gegenwärtig 
findet  sich  vor  dem  Tiber  erst  bei  1200  m  Abstand  eine  Tiefe  von  lOffl, 
wie  heutige  Seeschiffe  sie  brauchen.    Wenn  das  kaiserliche  Rom  nur 


I  4.   Die  Latiner  Kflste.  825 

mit  flufserater  AostreDgung  Beinen  Weg  zum  Meer  offen  halten  konnte, 
so  waren  die  kleineren  Hafen ,  deren  Bewohner  in  früheren  Jahrhun- 
derten mit  Auszeichnung  in  der  Fremde  genannt  wurden ,  unrettbar 
verloren.  Mit  der  Versandung  der  Hafen  geht  Hand  in  Hand  der  Ver- 
fall des  Bürgertums ,  der  Verfall  des  Ackerbaus  mit  der  Ausdehnung 
der  Latifundien,  laogsam  schleicht  die  Malaria  hinten  drein.  Ihr  ver- 
einzeltes Auftreten  wird  schon  zu  Anfang  unserer  Zeitrechnung  ver- 
merkt: ^ganz  Latium  ist  gesegnet  und  fruchtbar  —  erklart  Strabo  <) 
—  bis  auf  wenige  sumpfige  und  ungesunde  Strecken  an  der  Küste, 
wie  bei  Ardea,  zwischen  Antium  und  Lanuvium  bis  zum  Pomptiner 
Feld ,  einige  Strecken  bei  Setia  sowie  bei  Tarracina  und  Circeji.^  An 
der  ganzen  Küste  baute  das  Meer  aus  den  zurückgeworfenen  Senk- 
stoffen des  Tiber  Dünen  auf,  bildete  Lagunen,  wehrte  den  Ausflufs  der 
Gewässer.  Die  Bedingungen  waren  durchaus  geeignet  um  den  raschen 
Fortgang  des  Uebels,  das  in  der  Folge  betrachtet  werden  soll,  zu  er- 
klaren. An  diesem  Ort  nimmt  der  Süden  des  bezeichneten  Gebiets 
unsere  besondere  Aufhierksamkeit  in  Anspruch.  Die  Vorgebirge, 
welche  dasselbe  umschreiben ,  bekunden  eine  merkwürdige  Ueberein* 
Stimmung:  der  Argentario  wie  der  Circello  geboren  beide  einer  alteren 
Bfldnng  an  und  sind  erst  nachträglich  landfest  geworden ;  doch  war 
die  Anschwemmung  bei  diesem  ungleich  viel  grüfser.  Am  Abhang  der 
Volskerbei^e  (S.  238)  zieht  sich  eine  reichlich  6  d.  M.  lange  und 
2  d.  M.  breite  Ebene  mit  einem  Inhalt  von  etwa  14  d.  OM.  hin, 
welche  durch  den  Schutt  des  Gebirges  dem  Meer  abgewonnen  worden 
ist:  bei  Brunnenbohmngen  trat  der  marine  Ursprung  deutlich  zu 
Tage.  Eine  doppelte  Beihe  von  Dünen  mit  schmalen  Strandseen  da- 
rwischen versperren  der  Ebene  den  Ausgang  zum  Meer.  Die  Masse 
der  Niederschlage ,  welche  sie  von  dem  steil  abfallenden  Gebiiffe  auf- 
nehmen mufs,  ist  an  sich  schon  sehr  bedeutend.  Dazu  kommt  aber 
noch  dafs  reiche  Quellen  in  ihr  hervorbrechen ,  die  wie  man  schliefst 
vom  inneren  Hochappennin  gespeist  werden.  Der  Boden  ist  in  der 
Mitte  gefaltet,  südwärts  zum  Golf  von  Tarracina  geneigt:  südwärts 
fliefsen  der  üfms  und  Amaunw  ab.  Aber  das  Gefälle  ist  schwach, 
durchweg  etwa  0,1:1000,  die  mit  erstaunlicher  Ueppigkeitaubchiefsen- 
den  Wasserpflanzen  bringen  die  trägen  Wasserläufe  völlig  ins  Stocken; 
ein  starker  Südwest  der  das  Meer  aufstaut ,  treibt  sie  rückwärts  zu 
fliersen  ins  Land.    Es  fehlt  nicht  an  äufseren  Reizen.    Auch  nach  der 


1)  Str.  V  231. 


826  Kap.  YIL   Die  AppennioflAsse. 

sommeriicben  Glut  bleibt  die  Landschaft  frisch  und  in  cid  sattes  GrQn 
gekleidet,  desgleichen  man  auf  der  ganzen  Halbinsel  vergebens  sucht. 
Der  Reisende  welcher  sie  auf  der  schnurgeraden  baumbepflanzten  Via 
Appia  durchführt,  könnte  sich  nach  HoUand  versetzt  glauben,  wenn 
nicht  die  ragenden  Berge,  hüben  der  Gircello  drüben  die  Volskerberge 
die  Täuschung  störten.  Das  eigentliche  Sumpfgebiet  in  der  Mitte  wird 
gegenwärtig  zu  reichUch  2  d.  OM.  berechnet,  aber  der  verwilderte 
Büschwald,  der  dasselbe  nach  der  Küste  zu  ablöst,  ist  uro  nichts 
gesünder:  das  Ganze  ein  ungeheurer  Fieberheerd,  dessen  Ausdün- 
stungen die  Luft  weit  und  breit,  bis  nach  der  Hauptstadt  hin  ver^flen. 
Es  wird  nach  einer  alten  früh  verschollenen  Volskerstadt  Sue$$a  Pomiii$ 
benannt,  indem  die  Alten  bereits  die  Bezeichnung  oamptcs  Pow^imu, 
palus  paludes  Pomptinae  im  weiteren  Sinne  auf  dasselbe  anwandten.  Ein 
Schriftsteller,  dessen  Wahrheitsliebe  geringes  Vertrauen  erweckt,  will 
uns  glauben  machen,  dals  einst  24  Städte  in  den  Niederungen  gelegen 
hätten.  ^)  Von  derartiger  Uebertreibung  abgesehen,  ist  es  sicher  genug 
dafs  der  Mensch  ehemals  dies  fetle  Marschland  den  Naturkräften  nicht 
so  ohnmächtig  preisgab  wie  heut  zu  Tage.  Die  Römer  haben  es  den 
Volskern  entrissen  und  383  v.  Chr.  Colonisten  in  solcher  Anzahl 
angesiedelt,  dais  daraus  358  v.  Chr.  die  tribus  Pamptina  errichtet 
wurde. 2j  In  der  That  kann  bei  sorgfUtiger  Canalisation  der  gröfste 
Theil  zum  Fruchtbau  verwandt  werden:  noch  zu  Anfang  unseres 
Jahrhunderts  trug  der  Acker  in  mäfsigen  Jahren  das  zwanzigste  Koro. 
Luft  und  Wasser  der  Marschen  lassen  aberall  auf  der  'ganzen  Welt  za 
wünschen  übrig,  s)  Aber  dafs  es  im  Altertum  mit  der  pomptiniscbeD 
nicht  eben  schlecht  bestellt  war,  dafür  liegen  die  sprechendsten  Be- 
weise vor.  Es  genügt  einen  einzigen  auszuführen.  Die  erste  und  be- 
lebteste aller  römischen  Landstrarsen  durchschnitt  die  Marsch  ihrer 
ganzen  Länge  nach,  daneben  lief  ein  Abzugscanal,  der  von  seinem 
Mafs  (19  MiUien)  späterhin  deeamavius  hiefs.^)  Die  Beförderung  der 
Reisenden  geschah  auf  diesem  Canal,  gewifs  nicht,  wie  Westpbal 


1)  Mucianas  bei  Plin.  DI  59. 

9)  LiT.  VI  5.  21  Vn  15  Fest  ep.  p.  232  M. 

3)  Boras  Sit  I  5,  7  klagt  Aber  das  Trinkwasser;  aber  andi  das  teioer 
Gesundheit  halber  berflhmte  Ravenna  litt  daran  Mangel,  vgl.  Martial  III  56 
Sidon.  Ep.  I  5  und  8.  Von  einer  besonderen  Schädlichkeit  der  Lofl  spricht 
Vitra  V 14, 12. 

4)  Benzen  5594  (—  Wilm.  1095,  mifirerstanden)  Gassiod.  Var.  H  32.33 
Procop  b.  Goth.  111. 


I  4.  Die  Latiner  Kflste.  327 

meint 0 9  weil  die  Strafse  in  schleöbtem  Zustand  war,  sondern  der 
Billigkeit  und  Bequemlichkeit  wegen :  ihrer  dreihundert,  jeden  für  ein 
KupferslUck,  lufet  Horaz  in  die  auf  seiner  launigen  Fahrt  benutzte 
Trekscbuite  einpacken.  Die  Beförderung  geschah  in  der  Regel  Nachts, 
so  dafs  die  Reisenden  ohne  ihren  Schlaf  einzubüfsen  zugleich  das 
Scblafgeld  sparten.  2)  Wer  gegenwärtig  bei  Tage  in  raschem  Trabe  die 
idyllische  Einöde  durchR&brt,  wird  dringend  davor  gewarnt  einzunicken, 
da  er  alle  Aussicht  hätte  mit  einem  Fieber  aufzuwachen :  bei  Nacht  im 
Freien  ohne  Feuer  schlafen  wäre  sicherer  Tod.  Freilich  versteht  es 
sich  von  selbst,  dafs  die  312  v.  Chr.  erbaute  Strafse  und  das  damit  ver- 
bundene Netz  von  Abzugsgräben  wachsame  Fürsorge  eriieischte  und 
auch  in  den  besten  Perioden  des  Altertums  aufserordentliche  Eingriffe 
der  Staatsgewalt  notwendig  machte.  Der  Gegensatz  der  Interessen, 
welche  die  benachbarten  Gemeinden  an  der  Regelung  der  Wasserläufe 
hatten  —  ein  Gegensatz  der  im  Mittelalter  blutige  Kämpfe  veranlafete  — 
trug  dazu  bei  die  schwierige  Aufgabe  noch  mehr  zu  erschweren.  Aber 
wenn  der  Dunst  mit  dem  die  Weltherrschaft  das  Gehirn  der  Römer 
umnebelt,  sie  veranlafst  hat  die  durch  ihre  eigene  Mifswirtschaft  ver- 
schuldeten Schäden  auf  Wunder  der  Natur  zurückzuführen,  Erdbeben 
verantwortlich  zu  machen  für  die  Wirkungen  schlechter  Verwaltung, 
nach  allen  denkbaren  Vorwänden  zur  Beschönigung  ihrer  schimpf- 
lichen Untbätigkeit  zu  suchen ,  so  genügt  doch  ein  Blick  auf  das  was 
freie  Völker  an  der  Adria  und  Nordsee  geleistet,  um  die  Lösung  der 
Aufgabe  als  möglich  zu  erweisen.  Eine  grofse  Drainirung  führte  Consul 
Cethegus  160  v.  Chr.  aus. 3)  Dann  hat  Caesar  solche  begonnen«);  sein 
Erbe  Augustus  vollendet.  &)  Aber  weite  Sumpfstrecken  blieben  noch 
bestehen,  deren  Bewältigung  dem  Plinius  als  frommer  Wunsch  galt.^) 
Nerva  und  Traian  stellten  die  Via  Appia  mit  Brücken  und  Pflaster  in 
grorsem  Stil  her.'')  In  Betreff  des  Verfalls  verläfst  uns  die  Ueber- 
lieferung:  aus  einer  Verordnung  von  395  n.  Chr.  erhellt,  dafs  damals 


1)  Römische  Kampagne,  Berlio  1829,  p.  46:  bei  der  Einsicht  und  Sach- 
knode  des  nnennfldlichen  Wanderers  hebe  ich  den  Widersprach  ausdrAcklich 
hervor. 

2)  HoT.SatI  5, 12  StT«b.V233,  auch  letzterer  als  Augenzeuge. 

3)  Uv.  ep.  XLVI. 

4)  Sueton  44  Die  XLIY  5  XLV  9. 

5)  SehoL  m  Hör.  ars  poet.  65  nnd  Sat.  I  5. 

6)  Strab.y  233  Plin.XXVI  19  vgl.  UI  59  Vitmv  I  4, 12. 

7)  Wilm.931.932  Dio  LXVUI  15. 


328  Kap.  Vn.  IHe  Appenninflüsse. 

inLatium  und  Campanien  24  d.GH.  veraumpfl  «od  Yerlasaen  waren  0; 
König  Theodorich  hezeichnet  das  pomptinische  Gebiet  als  ittam  famo- 
mhh  aoacutf  vastitaiem.  Der  Patricier  Decius  erbot  sich  gegen  Ueber- 
lassung  des  zu  gewinnenden  Landes  das  alte  Canalsystem  und  die 
Strafse  zu  erneuern,  hat  auch  um  510  n.  Chr.  sein  Werk  zum  Ab- 
schlufs  gebracht  (S.  326  A.  4).  In  den  Gothenkriegen  hielt  es  noch 
vor,  aber  spflter  ward  die  Via  Appia  ungangbar  und  der  Verkehr  nach 
Campanien  gezwungen  weite  Umwege  am  Abhang  des  Gebirgs  zu  be- 
schreiben. y,Die  Austrocknung  der  pomptinischen  Sflmpfe  —  schreibt 
Westphal  —  war  Yon  jeher  das  Lieblingsproject  aller  Pflpste;  aber  bei 
einer  schon  an  sich  unkrflfligen  Wahh*egierung,  wo  noch  überdies  jeder 
Nachfolger  es  sich  recht  angelegen  sein  labt  alle  nicht  unmittelbar  auf 
die  Feststellung  desPfaffentums  und  der  Priesterherrschaft  hinzielenden 
Anordnungen  seines  Vorfahren  umzustofsen,  konnte  ein  so  weitschich- 
tiges Unternehmen  nicht  leicht  ausgeführt  werden.  Gewohnlidi  be- 
gnügte man  sich  die  einander  immer  widerstreitenden  Meinungen  der 
dabei  interessirten  Gemeinden  Seimoneta  Sezza  Pipemo  und  Tarncina 
zu  Temehmen  und  unausführbare  Contracte  mit  Abenteurern  aller 
Art  abzuschlielsen ;  dann  zerstörte  der  Tod  des  Papstes  die  gaoie 
Unternehmung,  bis  sie  unter  einem  anderen  yon  neuem  aber  nicht 
mit  besserem  Erfolge  vorgenommen  wurde.^  Der  kräftige  Sixtus  V 
machte  einen  Tiel  versprechenden  durch  seinen  Tod  unterbrochenen 
Anfang,  Pius  VI  1775  fg.  hat  denselben  mit  Eifer  und  Erfolg  fort- 
gesetzt, namentlich  auch  die  alte  Königin  der  Strafsen  in  musterhafter 
Weise  erneuert  Aber  nur  ein  freies  Bauerntum  wird  dies  Land  zurltck- 
erobern  und  dauernd  behaupten  können. 

§  5.   Liris  und  Volturnus. 

Das  Vorgebirge  von  Tarracina  tritt  hart  an  das  Meer  hinan,  ao 
seinem  Abhang  führt  die  Via  Appia  nach  Campanien  weiter:  dieser 
leicht  zu  sperrende,  in  der  älteren  Kriegsgeschichte  unter  dem  Nameo 
Lantulae  bekannte  Pafs  bezeichnet  die  natürliche  Grenze  zwischen 
Mittel-  und  Sttditalien.-)  Die  Berge  ziehen  im  Halbkreis  von  Tarracina 
nach  Gaeta:  ihr  Schutt  hat  den  ehemaligen  Meerbusen  {$mu$  iiNycfa- 


1)  Cod.  Theod.  XI  28, 2. 

2)  Uv.Vn  39  IX  23  XXU  15  Diod.XlX  72;  der  Name  wie  bei  den  Ther- 
mopylen  von  einer  warnen  Qaelle  Mart.  V  1,  6  VI  42,  6  vgL  VitravVDI  3, 15 
Liv.  XXXIX  44  dazu  Gluver  It.  tnt  p.  1012. 


§  5.  Lnris  und  Voltnrnus.  829 

fit»)  >)  ndiezu  ausgeftalltf  nur  einige  Seen,  unter  ihnen  als  gröfster  der 
lams  Fundanui  Lago  di  Fondi  (jetzt  noch  8  Cikm^  früher  ausgedehnter), 
sind  Obrig  geblieben.  Man  hat  noch  viel  zu  thun  um  der  3  d.  DM. 
haltenden  versumpften  Ebene,  dem  weinberüfamten  Caeadfus  ager  den 
alten  Gkinz  zurückzugeben.  Jenseit  des  Vorgebirges  von  Gaeta  beginnt 
die  groilse  Appenninbucht,  welche  den  Schauplatz  fUr  die  aufbauende 
Thätigkeit  der  campanischen  Vulkane  darstellte  (S.  264).  Sie  zerfitUl 
in  drei  Fhifsgebiete,  indem  H.  Massico  und  Rocca  Monfina  den  Liris 
im  Norden,  die  Hüben  bei  Neapel  den  Sarnus  im  Süden  von  dem 
Hauptflufs  des  oskischen  Italien,  vom  Volturnus  scheiden. 

Der  Urii  hat  nach  einer  Nachricht,  welche  Bedenken  erregen 
konnte,  ehedem  den  verbreiteten  Namen  Clanis  geführt 2)  Die  etwa 
seit  KHK)  n.  Chr.  für  den  Unterlauf  vom  Einflufs  der  Melfa  ab  ge* 
brauchte  Bezeichnung  Garigliano  wird  den  Saracenen  zugeschrieben. 
In  der  Geschichte  des  Altertums  ist  dieser  Strom  mit  dem  Stamm  der 
Volsker  eng  verknüpft  Er  entspringt  wesüich  vom  Fucinus  bei  1 1 00m 
Hübe  unter  42^  n.  Br.  im  Gebiet  der  Marser,  durchfliefet  in  SO  Rich- 
tung das  schmale  von  den  Herniker  und  Fuciner  Bergen  (S.  238)  ein- 
gefafirte  Thal  von  AtUinum  Valle  di  Roveto.  Durch  die  Eröffnung  des 
daudischen  Emissärs  (S.  208)  ist  er  auf  dieser  Strecke  durch  den  Ab- 
ftufs  eines  Gebiets  von  5  d.  DM.,  das  bis  dahin  auf  Verdunstung  an» 
gewiesen  war,  bereichert  worden.  Der  Ausgang  des  Thals  von  An- 
tinum  wird  durch  eine  Enge  beherrscht,  die  das  feste  Sora  einnimmt 
Die  Berge  treten  zurück ,  es  folgt  ein  etwa  5  km  langes  7  km  breites 
Becken  bis  Isola:  diesen  mittelalterlichen  Ort  umfafst  der  Liris  mit 
zwei  Armen ,  die  in  schonen  FaUen  der  eine  senkrecht  der  andere  auf 
schiefer  Ebene  etwa  25  m  hoch  herabstürzen.  Oberhalb  Isola  mündet 
von  Osten  her  der  Pibrmui  ein ,  der  einen  kleinen  brodelnden  Berg- 
see Lago  della  Posta  durchfliefst,  dann  sich  mehrfach  spaltet  Gcero, 
dessen  Vaterbaus  auf  einer  seiner  Auen  stand ,  spricht  voll  Entzücken 
von  ihm  —  die  ganze  Gegend  bis  Isola  besitzt  in  der  That  den  im 
Süden  so  seltenen  Schmuck  lebenden  Wassers  — :  aber  fllr  die  Ab- 
neigung der  Alten  gegen  das  Heroische  in  der  Natur  darf  man  einen 
Beleg  darin  finden ,  dafs  weder  er  noch  sonst  Jemand  der  Lirisfölle 

1)  PUn.  XIV  61  m  59  Tac  Ann.  lY  59. 

2)  Strab.  V  233  Plin.  ÜI  59  (letzterer  mit  unsieherer  Lesnng)  ans  gemein- 
samer Quelle,  die  auch  sonst  für  die  KAstenbeschrdbnng  constatirt  werden 
kann.  Der  Verdacht  ist  kaum  m  unterdrflcken,  dafs  die  Quelle  den  lAiemus 
oder  damus  mit  dem  Liris  verwechselt  habe,  wie  dies  Appitn  b.  clv.  1 39  thut 


880  Kap.  VIL  Die  Appeniünflüsse. 

mit  einer  Silbe  gedenkt  i)  Unterhalb  Isola  wird  der  Thalgmnd  wieder 
schmal,  die  einfassenden  Höhen  jedoch  wesentlich  niedriger:  der  ans 
Fregeüana  Arce  gegenüber  ist  der  Flufs  4  km  von  ihrem  Fufs  entfernt 
Bis  hierher  finden  sich  zahllose  Furten;  aber  von  dem  Thal  von  Fn- 
geUae  abwärts,  wo  die  Breite  45m  die  Tiefe  0,70 — 2m  betragt»  kann 
der  Liris  nicht  mehr  durchschritten  werden  und  gewinnt  dadurch 
militärische  Bedeutung.  Ganz  besonders  gilt  dies  von  dem  Abschnitt, 
wo  das  geräumige  Thal  der  Herniker  eine  bequeme  Verbindung  mit 
der  latinischen  Ebene  eröffnet  {via  Laiina).  Der  unweit  PraeneaU  ent- 
springende 92  km  lange  Treru$  Sacco  oder  Tolero  durchfliefst  jenes 
Thal,  an  dessen  Abhängen  links  Anagnia  Fereniinum  Frutino,  rechts 
Signia  Fahrateria  liegen.  Sein  Gebiet  ist  1560  Dkm  (28  GM.)  grofs, 
sein  mittlerer  Abflufs  beträgt  aber  nur  10  Cubikraeter  in  der  Secunde. 
Den  Uebergang  bei  der  Einmündung  beherrschte  FregeUae.  Der  Liris, 
welcher  von  Sora  ab  S  und  SW  Richtung  eingehalten,  wird  jetxt  nach  0 
und  SO  fortgedrängt  und  nimmt  links  den  Melpis  Helfa  auf.  Letzterer 
aus  den  Bergen  NO  von  Atina  kommend  mifst  60  km :  wenn  Strabo  ihn 
als  einen  grofsen  Flufs  bezeichnet^),  so  wird  dies  von  der  Schuttmenge 
herrühren,  welche  der  verheerende  Giefsbach  mitschleppt  An  der 
N  Seite  des  Liris  zieht  sich  das  ansehnliche  Thal  von  Aquinum  and 
Coiinum  hin,  das  an  schmälster  Stelle  noch  immer  8km  mifst  Aber 
nach  der  Aufnahme  von  Rapido  (30  km)  und  Peccia  (25  km)  wird  es 
zusammengeschnürt,  indem  der  Flufs  nach  S  gerichtet  ein  Knie  bildet 
Seine  Anschwemmungen  haben  eine  reichlich  3  d.  GM.  grofse  Kflstea- 
ebene  geschaffen,  deren  Lagunen  häufig  im  Altertum  erwähnt  werdeo. 
Der  Liris  durchschneidet  sie  in  SWLauf  und  mündet  bei  MnUwnm 
im  Land  der  Aurunker.  Dieser  Unterlauf,  den  die  Reisenden  auf  der 
Via  Appia  passirten,  hat  ihm  das  Beiwort  taätumw  amnis  verschafll'); 
vom  Oberlauf  wird  wie  von  der  Nera  sulfurius  gesagt^)  Das  Lob  dals 
kein  Regen  ihn  aus  dem  Gleichgewicht  bringe,  wird  ihm  von  seines 
heutigen  Anwohnern  vorenthalten.^)  Seine  gesamrote  Länge  betiffert 
sich  auf  168  km,  sein  Gebiet  auf  5020  Gkm  (91  GM.),  der  niedrigste 
Abflufs  25,  der  höchste  1340  Gubikmeter  in  der  Secunde. 


1)  Leg.  n  1  — 7,  der  spätere  Besitzer  war  Silias  Italiens  vgl  VUI  401  ff. 
Mart.  XI  48. 49. 

2)  Str.  V  237. 

3)  Hör.  Od.  I  31,7  Sit  IV  350  Vm  402. 

4)  SU.  Vin  402. 

5)  Sil  IV  35t  nuUo  muMriUi  imbri. 


i  5.   Uns  und  YoUarnos.  381 

JeDseit  des  Massicus  erstreckt  sich  der  ager  Falemus,  welcher 
durch  den  Savo  Savone  entwüssert  wird.  Den  Hauptstrom  Caropaniens 
beoannten  die  Römer  Yobumtu  den  Wähenden  Rollenden  ^)  und 
rSumten  ihm  nach  der  Eroberung  des  Landes  im  Öffentlichen  Gottes- 
dienst eine  eigene  Stelle  ein :  eine  Ehre  deren  weder  der  Po  noch  ein 
anderer  der  aufserhalb  des  Weichbildes  rinnenden  Ströme  theilhaftig 
ward.^)  Der  einheimische  Name  lautete  an  Atemm  an,  läfst  sich  aber 
nicht  mit  Sicherheit  herstellen.^)    Am  Ausgang  des  Altertums  ist  end* 
lieb  noch  CanTinus  (nach  der  Stadt  Casiltnum  an  der  Stelle  des  heutigen 
Capna)  gesagt  worden. 4)    Nach  der  herkömmlichen  Bestimmung  der 
Quelle  übertrifft  der  Voltumus  den  Lins  nur  um  kaum  20  km  Länge. 
Jedoch  würde  dieser  Vergleich  eine  falsche  Vorstellung  von  dem  Ver- 
bHUnifs  der  beiden  Flüsse  gewähren.  Gerade  wie  der  volskische  Stamm 
▼on  Latinern  und  Samniten  in  der  Mitte  erdrückt  worden  ist,  steht 
der  Liris  nicht  nur  hinter  dem  nördlichen  sondern  auch  hinter  dem 
sttdiiehen  Nebenbuhler  zurück.    Dieser  empfängt  die  Gewisser  des 
centralen  Appennin  auf  einer  Ausdehnung  von  130  km  und  beherrscht 
ein  Gebiet  von  5677  GM.  (103  DM.)  mit  einem  mittleren  Abflufs  von 
70,  der  zwischen  32  und  2000  Cubikmeter  in  der  Secunde  schwankt. 
Zwei  ungeßihr  gleich  lange  Flüsse,  der  eine  von  Norden  der  andere 
von  Süden  kommend,  verbinden  sich  und  strömen  nun  westwärts  dem 
50  km  entfernten  Meer  zu.    Auf  den  Flufslauf  und  die  Eingangsthore, 
die  er  zur  campaniscben  Ebene  öffnet,  sind  die  samnitischen  Völker, 
die  Pentrer  Hirpiner  Caudiner  für  ihren  Verkehr  mit  der  Aufsenwelt 
angewiesen.    Um  die  Beherrschung  dieser  Flufslinie  sind  im  vierten 
dritten  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  die  blutigen  Schlachten  geschlagen 
worden,  welche  die  Unterordnung  der  Osker,  die  Herrschaft  Roms, 
die  Latinisirung  der  Halbinsel  besiegelten.   Der  nördliche  Arm  ist  der 
gröfseren  Erhebung  des  Gebirges  entsprechend  weitaus  wasserreicher 
und  verleiht  deshalb  dem  Strom  seinen  Namen.    In  der  Gegend  von 
Äesemia  Isernia  vereinigen  sich  die  Bäche,  ron  denen  der  mittlere 

t)  Nach  Varro  LL.  V29  uolateiaisch;  doch  wird  die  Ableitang  von  voivere 
durch  die  Dichter  bestätigt:  LucanII4'22  eeler,  Sil.  VU!  529  tonorus,  Glaadian 
256  rapax,  Ovid.  Met  XV  714  multamqne  traheru  sub  gnrgite  arenam. 

2)  Preller,  Mjrth.'  p.521  gegen  Mommsen  CIL.  I  p.  400. 

3)  Glnver,  U.ant.  p.  1094  AUhumw.  Die  Lesarten  gehwaaken:  Fiat.  Fab. 
Max.  6  6  Ao^QOvoQ  itozaiiOQ  Sv  OiovXxovQvov  oVPoifiouoi  xakovaiv,  Pol. 
ni  92,  l  ^ABvQvov,  Serv.  %,  Vcrg.  Aen.  X  145  Capuam  ,  .  .  a  Tuseis  prius  re- 
tentam  Aliturnum  [al.  AHemum]  vocatam  vgl.  Aternus  Amitemum  Alfnterni, 

4)  Clover  It.  ant  p.  1177. 


332  Kap.  VI.  Die  AppeDniDflüste. 

VaDdra  unweit  Aufidena  Gastet  di  San^o  entspringend  der  längste  ist. 
Man  rechnet  aber  nicht  ihn  sondern  den  westlichen  Bach  als  Quellarm: 
die  Quelle  liegt  548  m  hoch  bei  41  o  38'  n.  Br.  Die  anfiingliche  S  Rich- 
tung geht  bei  Yenafrum  nach  SO  um.  Das  Thal  verbreitert  sich;  es 
wird  zur  Linken  von  dem  hohen  Gebirg  des  Mate8e(S.  241)  eingefaigt» 
zur  Rechten  von  weit  niedrigeren  (500 — 1000  m)  unzusammenhftngeD- 
den  Bergen,  deren  Lücken  verschiedene  bequeme  Ausgänge  nach  der 
Sidicinerstadt  Teanum  und  doon  Falerner  Gefilde  darbieten.  Die  Läage 
dieses  Arms  bis  zu  seiner  Vereinigung  mit  dem  Cakr  beträgt  ungefiihr 
120km.  Es  ward  S.  242  dargelegt,  wie  ein  die  Axe  der  Halbinsel 
schneidender  Querzug  das  Hochland  von  Samnium  gegen  den  loca- 
nischen  Appennin  begrenzt.  Von  dem  höheren  westlichen  Theil  des- 
selben wird  der  Calore  gespeist  Der  Calor  erreicht  eine  Länge  von 
116  km.  Vom  M.  Accelica  40^  AT  n.  Br.  her  fliefst  er  zuerst  60km 
nordwärts,  nimmt  rechts  die  Ufita  auf  und  wendet  sich  in  einem  flach 
ausgehöhlten  Thal  direct  nach  Westen  diui  Bmeüentum  zu.  Von  Norden 
her  mündet  5  km  vor  gedachter  Stadt  der  60  km  lange  Tamwrui  ein, 
der  östlich  am  Matese  hinOiefsend  bei  Saepinum  vorüber,  gewisser 
Mafsen  ein  verkleinertes  Gegenstück  zum  Volturnus  darstellt  Benevent 
liegt  am  tinken  Flufsufer  an  einem  Centralpunct  dieses  Hügellandes; 
denn  unter  seinen  Mauern  mündet  links  der  Sabatm  ein,  dessen  QueUeo 
halt  an  diejenigen  des  Calore  anstofsen,  dessen  Thal  dem  seinigea 
parallel  läuft.  Doch  ist  das  Thal  des  Sabbato  breiter  und  freundlicher: 
AbMmum  liegt  darin.  Nachdem  derart  die  Abflüsse  des  südlichen  Sam- 
nium vereinigt,  beschreibt  der  Strom  einen  Bogen  um  den  Gebirg»- 
block  herum,  der  im  mons  Tabumus  bei  Gaudium  1393m  aubteigt 
Dann  trifft  er  zuletzt  nach  SW  gewandt  7  km  unterhalb  Tele$ia  mit 
dem  nördlichen  Hauptarm  zusammen.  Das  gesammte  Gebiet  des  Calor 
stellt  sich  auf  3052  Dkm  (55  DM.),  der  miUlere  Abflufs  auf  24  Cubik- 
meter  in  der  Secunde.  Der  Unterlauf,  welcher  hiermit  beginnt,  ist 
nach  WSW  gerichtet  und  beziffert  sich  in  directem  Abstand  auf  50  km, 
unter  Einrechnung  der  Krümmungen  etwa  10  km  mehr.  Während 
die  beiden  Oberarme  namentlich  der  südliche  zahlreiche  Furten  auf- 
weisen, hört  der  Unterlauf  mit  einer  Mittelbreite  von  100  m  auf  zu 
irgend  einer  Jahreszeit  zu  Fufs  passirbar  zu  sein.  Die  Zuflüsse,  die  er 
noch  erhält,  sind  unerheblich:  ich  erwähne  den  links  kurz  vor  Caiatia 
Caiazzo  einmündenden  Isciero ,  der  das  Thal  von  Caudium  entwässert 
Durch  die  westliche  Appenninkette  hat  der  Volturnus  seine  Bahn  müh- 
sam brechen  müssen:  daher  findet  sich  hier  ein  leicht  zu  sperrendes 


§  5.  Ltris  und  YoUnrnus.  838 

DefiK,  das  nur  ron  Süden  aus  durch  den  caudinischen  Engpafs  um- 
gangen werden  kann.  Endlich  am  Fufs  des  Tifoia  (202  m)  wird  er 
firei  und  kann  ungehindert  durch  das  gelbe  Tuffland ,  das  seine  Fluten 
ähnlich  wie  den  Tiber  färbt  ^ ,  dem  Meer  zueilen ,  in  welches  er  rttstig 
seine  Mflnduug  Torschiebt  Die  miUtarische  Bedeutung  des  Unterlaufs 
leuchtet  nach  dem  Gesagten  Yon  selbst  ein  und  wird  durch  die  Kriegs- 
geschichte sattsam  erläutert.  Wie  die  Römer  die  Uebergange  über  den 
Liris  durch  Anlage  der  Festungen  Fregellae  328  v.  Chr.  und  Minturnae 
296  ▼.  Chr.  dauernd  sicherten,  so  haben  sie  es  noch  nach  dem  hanni- 
balischen  Kriege  für  zweckmäfsig  erachtet  194  v.Chr.  Voltumum  an  der 
Mündung  des  campanischen  Flusses  zu  gründen.  Es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich ,  dafs  die  Mündung  in  älterer  Zeit,  als  Etrusker  Osker  und 
Hellenen  um  den  Besitz  des  Landes  rangen ,  dem  Verkehr  wesentliche 
Dienste  geleistet  hat.  Aber  nach  Sicherung  des  Landfriedens  rerlor 
bei  der  Nähe  des  Golfs  von  Neapel  ein  so  ungenügender  Seehafen 
seinen  Wert.  Für  die  binnenländischen  Verbindungen  blieb  er  indefs 
bestehen :  die  Schiffahrt  auf  dem  Volturnus  bei  Capua  wird  ausdrück- 
lich bezeugt  >) 

Auch  die  Küste  des  gesegneten  Campaniens  wird  durch  die  An- 
schwemmungen der  Flüsse  versumpft.  Der  kleine  Clanius  (seltener 
Litemus  nach  der  Lagune  genannt)^)  spielte  selbst  im  Binnenland  der 
Feldmark  von  Aeerrae  übel  mit^):  Entwässerungscanäle  mit  dem  durch 
Metathesis  entstellten  Namen  Lagni  sind  an  seine  Stelle  getreten.  Die 
Strandseen  von  Litemum  Lago  di  Patria  und  Cumae  Lago  d^icola 
und  Lago  del  Fnsaro  haben  ihre  Zugänglichkeit  von  der  See  her 
im  Lauf  der  Zeiten  eingebüfst.  Kaiser  Nero  begann  in  seiner  un- 
reifen Art  grofse  Arbeiten  zur  Hebung  der  Küste,  die  bald  liegen 
blieben  und  von  Domitian  nach  anderem  Plan  aufgenommen  wurden.^) 
Gegenwärtig  ist  der  ganze  Strich  von  Formiae  bis  PuteoU  mit  Malaria 


1)  Stat  Sihr.  IV  3,  67  ftattum  cd^ptif  vgl.  S.  265. 

2)  LIv.  XXVI  7,  9 :  der  Bericht  tot  selir  sofaieeht  (vgl.  PoL  JX  5,  7),  dock 
kann  dieser  Zug  recht  wol  der  Wirklichkeit  enUtammeii  vgl.StH.SilT.IV,  3, 77. 

3)  Liv.  XXXII  29  App.  b.  cIt.  I  39. 

4)  Verg.  Georg.  11  225  mit  den  Schol.  Sil.  It.  Vm  537  Lykoph.  AK  718  Dion. 
Hai.  Vn  3. 

5)  Die  Nero  angeschriebene  Absicht  einen  schiffbaren  Ganal  von  Ostia 
nach  Baiae  zu  graben  (Plin.  XIV  61  Tac.  Ann.  XV  42)  ist  an  wahnsinnig  um 
ernsthaft  genommen  au  werden.  Der  Plan  die  Verbindung  zwischen  Rom  und 
PuteoU  absokfinen,  den  Domitian  ausführte,  kam  zugleich  auf  Hebung  des 
Küstenstrichs  hinaus  Stat  Silv.  IV  3,  71  fg.  Liv.  XXU  16. 


834  Kap.  VIL   Die  Appenninflösse. 

behaftet.  Dann  tritt  eine  längere  Pause  bis  unterhalb  Salerno  ein. 
Der  Samus  welcher  die  Ebene  südlich  vom  Vesuv  durchströmt,  wird 
in  strenger  Zucht  zur  Irrigation  der  Felder  angehalten.  Dieser  40  km 
lange  Flufs  besitzt  recht  viel  Wasser,  so  dafs  seine  Mündung  den  Hafen 
des  alten  Pompm  abgeben  konnte,  i)  Seit  dem  Altertum  hat  er  eine 
flache  Bucht  ausgefüllt  und  die  Stadt  1  km  weiter  von  der  See  abgerückt 
als  sie  ehedem  war.  2) 

§  6.   Grofsgriechenland. 

Die  Entwicklung  grOfserer  Flufsläufe  ist  im  letzten  Drittel  der  ita- 
lischen Halbinsel  durch  den  Bau  ausgeschlossen  (S.  240).  Statt  dessen 
enthalt  es  eine  Menge  selbständiger  Gewässer,  die  mit  ihren  scharf  be- 
grenzten Thalgründen,  ihren  beschränkten  Strandebeuen  so  recht  ge- 
eignet waren  das  individuelle  Leben  anzulocken ,  in  welchenoi  der  aller 
Unterordnung  abholde  Genius  des  Hellenentums  sich  geßel.  Der  Um- 
schwung der  Zeiten  hat  den  Städten,  welche  als  Warten  der  Gultur  aa 
diesen  Küsten  gegründet  wurden,  nur  eine  kurze  Blüte  vergönnt  Unter 
der  Römerherrschait  siechten  sie  dahin,  noch  im  Gedächtnifs  der  Lebeo- 
den lastete  die  Furcht  vor  den  Barbaresken  wie  ein  Alp  auf  dem  Ge- 
stade. So  herrscht  denn  hier  das  Schweigen  des  Grabes,  aus  dem 
die  Säulen  dorischer  Tempel  hervorragen,  gespenstischer  ak  die  Aquä- 
ducte  in  der  römischen  Campagna  oder  die  Etruskermauern  in  der 
Maremma.  Der  Bau  des  Landes  —  von  anderen  Gründen  abgesehen 
(S.  121)  —  erklärt  ohne  weiteres,  warum  die  ansehnlichsten  GriecheD- 
städte am  TarentinerGolf  lagen:  hier  münden  eben  die  ansehnlichsteo 
Ströme.  Von  dieser  allgemeinen  Regel  bildet  nur  der  nördlichste  eine 
Ausnahme.  In  den  $inm  Paestanm  Golf  von  Salerno  ergielst  sich  der 
Silarus  Sele.  Er  entspringt  auf  dem  mehrfach  erwähnten  Querzug, 
der  Lucanien  von  Samnium  trennt,  fliefst  nach  S  dann  nach  SW,  er- 
reicht eine  Länge  von  75  km.  Seine  Wassermasse  im  Unterlauf  ver- 
dankt er  dem  Tanager  Negro,  dessen  Quellen  nur  10  km  nördlich  vom 
Busen  von  Buxentum  Policastro  in  der  Luftlinie  entfernt  sind,  der 
Tanager  durchströmt  den  langen  Spalt,  welcher  in  der  Axe  des  luca- 
nischen  Appennin  hinzieht  (S.242),  das  40  km  lange  6  km  breite  frucht- 
bare Thal  von  Tegianum  Val  di  Diano,  gegenwärtig  nicht  frei  von  Malaria. 


1)  Strab.  V  247  Plin.  Ul  62  Prokop.  b.  Goth.  IV  35  data  GloTer  It  aot  p.  1 157. 

2)  Roggiero  in  der  Festschrift  Pompei  p.  9  fg.  v.  Duhn  Rhein.  Mos.  XXXVI 
p.  127.  632. 


I  6.   Grofsgriedieoland.  885 

Um  dies  ehemalige  Seebeckeo  zu  entleeren ,  hat  er  aich  eine  unter- 
irdische Bahn  gebohrt,  indem  er  an  dem  Hügel  von  Fcmm  PopiUi  li 
Polla  yerschwindet  und  nach  6  km  bei  Pertoaa  wieder  zu  Tage  tritt,  i) 
Er  empföngt  rechts  den  Plalano,  wendet  sich  nach  W  um  nach  einem 
Laullyon  92  km  sich  mit  dem  Silarus  zu  yerbinden.  In  letzteren  fliefst 
kurz  Tor  der  Mündung  noch  der  72  km  lange  Calor  ein.  Die  Ebene, 
welche  dem  Golf  von  Salerno  durch  die  Flüsse  abgewonnen  worden 
ist,  enthält  etwa  5  d.  DM.,  ist  aber  vielfach  versumpft.  Auch  im  Alter- 
tum war  Paestum  seinen  gefeierten  Rosengarten  zum  Trotz  eine  un- 
gesunde Stadt 2):  seit  dem  Ueberfall  der  Saracenen  915  steht  sie  ver- 
lassen. Es  folgen  kleine  Küstenflüsse:  JSTofes  Alento  bei  Yelia^  der 
PyxHs  Busento  bei  Hv^otg  Buxentum  (18  km,  davon  5  km  unterirdisch) 
Qud  andere  geringeren  Namens.  Des  Öfteren  haben  wir  den  Laus  Lao 
erwähnt,  weil  er  Lucanien  von  Bruttium  (S.  64),  den  Appennin  von 
den  älteren  Granitbildungen  scheidet  (S.  243).  Auf  seinem  von  N  nach 
SSW  gerichteten  36  km  langen  Lauf  empßlngt  er  an  30  Bäche  und 
überschwemmt  seine  Ebene  an  der  Küste,  an  deren  NEnde  eine  gleich- 
namige Griechenstadt  lag.  Die  S.  294  gegebene  Schilderung  kenn- 
zeichnet die  zahllosen  Fiumaren  dieser  Küsten.  Ich  erwähne  den 
Sabatui  Savuto,  an  dessen  linkem  Ufer  Terina  lag,  den  Lameies  Lamato 
oder  Amato  auf  dem  brettischen  Isthmus  mit  einer  Strandebene  von 
4  d.  OM.,  den  Mtdma  oder  Meama  Hesima  mit  einer  verpesteten  Ebene 
Ton  5  d.  GM.,  in  der  eine  griechische  Golonie  d.  N.  stand ;  am  SEnde 
dieser  Ebene  den  Meiaurus  Harro. 

An  der  Ostseite  sind  die  Gewässer  des  unteren  Bruttium  noch 
geringfügiger  bis  zum  Isthmus,  wo  der  Cardnes  Corace  dem  Lamato 
entsprechend  den  Höhenrücken  einschnürt  (S.  244).  Plinius  der  an 
den  zahllosen  Bächen  der  Küste  mit  Stillschweigen  vorübergeht'),  hebt 
ausdrücklich  als  schiflbar  hervor  den  eben  genannten  Cardnes  sodann 
die  unmittelbar  folgenden  Crotabu  AUi,  Semirm  Simeri,  Arogas  Croc- 
chio,  Tagines  Tacina:  die  Angabe  bezieht  sich  auf  die  FlOfserei  aus 
den  Forsten  der  Sila  (S.  246).  Der  Tagines  erreicht  ca.  50  km  Länge. 
Von  seiner  Mündung  bis  zu  derjenigen  des  80  km  langen  Neaeihus 
Neto  erstreckt  sich  die  Küstenebeae  von  Groton  mit  einem  Inhalt  von 
10  d.  DM.  Das  Städtchen  Cotrone  (30  m  ü.  M.)  erfreut  sich  noch  immer 


1)  Plin.  n  225  giebt  Abertreibend  20  Millien  an,  wenn  die  Lesart  richtig  ist. 

2)  Stnb.  VI  252. 

3)  IQ  95  in  ea  ora  ftumina  innumera  ted  memaraiu  digna  0qs, 


886  Kap.Vn.  Die  AppennioflaBse. 

ertrilgliGher  Luft ,  wegen  deren  die  Vorgängerin  im  Allertam  so  ge- 
priesen wurde«  Aber  die  weite  nur  von  flachen  weDenfonnigen  HOgeln 
unterbrochene  Fläche  ist  unbewohntes  Weideland  ohne  Quelien  und 
Bttume«  Tom  Juni  bis  November' völlig  verlassen  „eine  Hölle  für  den 
entkräfteten  Wanderer.^  Durch  CanaUsation  könnte  sie  den  Rekhtum 
einer  ganzen  Provinz  begründen.    In  die  Ebene  von  Sybaris  (&  244) 
mOndet  der  HauptstrcHB  der  brettischen  Halbinsel  der  Craiki$  Crati 
aus:  die  Achaeer  haben  diesen  Namen  aus  der  Heimat  auf  ihn  Qber- 
tragen.^)  Der  93  km  lange  Crathis  entspringt  an  der  Sila  bei  830  m 
Höhe  unter  39<^  15'  n.  Br.  In  dem  Thalkessel  von  Canseniia  Cosenza, 
der  westlich  vom  M.  Gocuzzo  östlich  von  der  Sik  sttdlich  von  dem  beide 
mit  einander  verbindenden  Röcken  (S.  244)  umgrenzt  wird,  vereinigt 
er  sich  mit  einer  Anzahl  von  Bächen  und  strömt  nun  nordwärts  durch 
die  breite  Spalte,  welche  die  Küstenkette  von  der  Gebirgsinsel  Sila 
trennt.    Dies  Thal  hat  nach  Herrn  vom  Rath  in  Bezug  auf  Oede  und 
Unbewohntheit  in  Italien  nicht  seines  Gleichen :  von  Gosenza  bis  Tar- 
sia  auf  einer  Strecke  von  25  ital.  Miglien  45  km  findet  sich  ein  ein- 
ziges Gehöft.  Ostwärts  gewandt  nimmt  der  Crati  kurz  vor  seiner  Mün- 
dung links  den  Sybariß  Coscile  auf.  Die  hochberOhmte  4  d.  QH.  grofse 
Ebene  ist  ft^lsVdg  unbewohnt  ein  weites  Jagd-  Sumpf-  und  Weideland.' 
Das  Gebiet  des  Crati  beträgt  2317  Dkm  (42  D^lX  die  Mittelbreite  d« 
Unteriaufs  250  m,  der  Abflufs  kann  auf  3300Cubikmeter  inderSecunde 
steigen.  Bis  Tarent  bleibt  die  Küste  öde  und  ungesund.  Hier  Aiündef 
der  Siris  Sinni  nach  einem  Lauf  von  101  km.   Dann  in  0  und  SORich- 
tung  in  einem  geräumigen  Thal  strömend  der  Aeirii  Agri  136  km  lang: 
er  wird  noch  im  Mittelalter  schiffbar  genannt;  unweit  des  rechten  Ufers 
lag  am  Oberlauf  Grumenium,  in  der  Nähe  der  Mündung  Heraeka,  Es 
folgen  Talandrus  Salandrella  im  Unterlauf  Cavone-geheifsen  91  km, 
CoBuentui  Basen to  149  km:  Pötenüa  Potenza  liegt  an  seinem  Oberiaaf. 
Der  Bradanus  Bradano  erreicht  eine  Länge  von  167  km  und  wird  nur 
Anfangs  von  Bergen  eingeschlossen.    Schon  bei  Aeheruntia  Acereiua 
beginnt  das  Thal  sich  zu  erweitem  und  geht  allmäldich  in  jenes 
einförmige  Hügelland ,  wdches  der  apulischen  Tertiärbildung  eignet, 
über.  An  seiner  Mündung  liegen  die  Ruinen  von  MetapotUum.  Einige 
Angaben  über  Gebiet  und  Abflufs  dieser  lucanischen  Flüsse  sind  $  8 
zusammen  gestellt 


1)  Her.  r  145  Strab.  Vni  386. 


§  1.  Die  Adriititchen  FlfiiM.  887 

i  7.    Die  Adriatischen  Flüsse. 

An  der  Rflekseke  der  ilaUachen  Helbiiisel  (S.  222)  trflgt  dk  Flub- 
bilduiig  deBselbeft  einfiMmiigen  Oiarakter  wie  die  Küste  (S*  93).  Für 
die  ganse  SüdklHte  bie  jenseit  des  Garganvs  tritt  sie  überhaupt  mrttck. 
Apolien  in  der  weitesten  AMsdehnung  des  Wortes,  ein  Gebiet  ymi 
ca.  350  d.  DIL  leidet  an  Wasserarmttt^):  die  Niederschllige  sind  ge- 
legentlich so  gering  dafs  die  Ernte  terloren  geht,  Quellen  und  peren- 
nirende  Gewässer  selten,  man  ist  genötigt  das  Regen wasser  in  Cisternen 
aobuspeicheni.  Der  erste  nennenswerte  und  zugleich  ansehnlichste 
flufs  ist  der  Äufidm  Ofaoto.3)  Er  entspringt  in  der  Nftbe  des  Calor 
am  samnitisch-lucanisehen  Grenzgebiiye  (S.  242),  strömt  nach  0,  dann 
nach  N  im  Bogen  um  den  Vultur  herum,  endUch  NO  durch  die  Ebene, 
erreicht  das  Heer  nach  einem  Lauf  von  166  km.  Im  Altertum  war  das 
unlere  Ende  schitR>ar:  das  am  SUfer  belegene  Commmm  Canosa  hatte 
einen  Flubhafsn  90  Stadien  —  16  km  vom  Meer  entfernt  Seitdem 
hat  der  Waaserstand  sehr  abgenonunen,  so  dafs  aufserhalb  der  Regen^ 
zeit  Furten  m  grofser  Zahl  yorhanden  sind.  Die  Beiworte  vkkiu  läiife 
MMSif,  wdche  Borax  dem  heimatlichen  Aufidus  ertheilt,  treffen  auf 
andere  Strome  Italiens  besser  ani:  wenigstens  im  Unteriauf  ist  er  recht 
trSge.  Sein  Gebiet  wird  auf  2590  Dkm  (47  DM.)  berechnet;  der  mitt- 
lere Abflufs  auf  66,  der  jedoch  bis  2310  Cubikmeter  in  der  Secunde 
^Dwachsen  kann.  Nördlich  vom  Aufidus  bis  zum  Garganus  hin  auf 
einer  Strecke  von  reichlich  50  km  wird  die  Küste  von  Lagunen  ein- 
gefaßt, die  heut  zu  Tage  wie  zur  Romerzeit  die  Luft  ApuUens  ungesund 
machen.  Der  Niedergang  dieser  Landschaft  datirt  seit  dem  hanni- 
balischen  Kriege  und  hierdurch  wurde  das  Uebel  wenn  nicht  hervor- 
gerufen so  dodi  befördert.  3)  Die  ausgedehnteste  Lagune  ist  die  pabu 
Sahpimaf  jetzt  noch  fast  1  d.  DM.  grofs.  Im  Altertum  diente  sie  als 
Hafen  von  Solopui — Arpi  und  konnte  Flotten  aufnehmen^) :  seitdeaa 
ist  sie  so  versandet,  dab  durch  Einleitung  von  Canitlen  aus  dem  Ofanto 
und  CarapeUa  ein  versprechender  Anfang  zur  vollständigen  Ausfallung 
gemacht  ist    Dire  Miasmen  haben  zu  einer  Verlegung  des  dltesten 


t)  Stiab.  VI  281  ^  4'  hSlQ  wp  "lavdymv  xd^  •  .  .  iw&i^xiifk  Hör. 
Sat  1  6,  78.  88.  91   Od.  UI  30,  U  pmiper  afna«  Daumu  Ep.  3,  16 
AfuHa. 

2)  Pol.  m  110, 9  Streb.  VI  283  Hör.  Od.  IE  30, 10  IV  9, 2  14, 25. 

3)  Streb.  VI  285  Gaes.  b.  dv.  m  2. 

4)  Strab.  VI  283  Lncan  V  377. 
Hiii9B,  ItaLLaadMkuid«.  I.  22 


888  Kap.  Vn.  Die  AppenninflOsse. 

Salapia  schon  in  römischer  Zeit  geführt.  ^)  Die  apulische  Ebene  (S.  241) 
dacht  sich  unmerklich  gegen  den  Garganus  hin  ab;  eine  niedrige  An- 
schwellung des  Bodens  bezeichnet  die  Wasserscheide  nach  Norden. 
An  tiefster  Stelle  fliefst  der  Candelaro  nach  SO,  am  Fufs  des  Garganus 
entlang.  Auf  ihn  stofsen  im  rechten  Winkel  nach  NO  gewandt  fünf 
aus  dem  inneren  Samnium  kommende  Bäche ,  um  insgesammt  in  die 
grofse  Lagune  von  S^ntum  einzumflnden.  Dieselbe  gab  nach  Strabo's 
Zeugnifs  einen  wichtigen  Ausfuhrhafen  fOr  Korn  ab.  Von  Flufsnamen 
wird  uns  einzig  der  des  Cerbahu  Cervaro  flberliefert.^)  Dieser  ca  90  km 
lange  Bach  kommt  dem  Carapella  kaum  gleich,  verdankt  auch  nur 
ethnographischen  Gesichtspuncten  seine  Erwähnung.  Naturgemäfs 
würde  man,  ähnlich  wie  im  Norden  den  Po,  hier  den  Candelaro  als  die 
die  Appenninbäche  aufnehmende  Hauptrinne  ansehen.  Jedoch  hat  die 
Versumpfung  der  Lagunen  die  Einsicht  in  die  topographischen  Ve^ 
hältnisse  des  Altertums  sehr  erschwert.  An  der  NSeite  des  Garganus 
liegen  zwei  grOfsere  Strandseen :  der  Lago  di  Varano  75  Dkm  und  der 
langgestreckte  Lago  di  Lesina  70  Dkm.  Oberhalb  des  letzteren  lag 
Teanum  Äptäum  am  rechten  Ufer  des  Frento  Fortore.  Dieser  9S  km 
lange  Flufs  bot  und  bietet  an  seiner  Hündung  einen  kleinen  Hafen  s), 
der  jetzt  freilich  im  Sommer  oftmals  unzugänglich,  aufserdem  N  und 
OWinden  schutzlos  preisgegeben  ist.  Das  Gebiet  des  Fortore  be- 
trägt 1562  Dkm  (28  DM.),  der  mittlere  Abflufs  21  Cubikmeter  in  der 
Secunde. 

Die  zweite  Hälfte  der  adriatischen  Küste  kennt  jenen  Mangel  aa 
Wasser  nicht  mehr,  welcher  die  erste  kennzeichnet.  Die  unmittelbare 
Nähe  des  Hochappennins  schliefst  dies  aus,  wenn  auch  die  Westseite 
von  den  Wolken  viel  reichUcher  getränkt  wird  als  die  im  Regenschatten 
liegende  Ostseite  des  Gebirgs.  Aber  trotz  der  Wasserfalle  fehlt  es  auf 
dieser  langen  Strecke  bis  zum  Poland  hinauf  an  einem  beherrschen- 
den Flufssystem.  Die  ungünstige  Gestaltung  der  Küste  ist  bereits  in 
anderem  Zusammenhang  (S.  93)  dargelegt  worden:  kein  einziger  Ort 
erschien  beßlhigt  durch  Seehandel  aufzublühen ,  damit  auch  civili- 
sirend  und  staatenbildend  auf  das  Innere  einzuwirken.  Hierzu  kommt 
nun  das  Fehlen  einer  jeden  landschafüichen  Gliederung.  Zwar  sind 
einzelne  dieser  Flufsthäler,  deren  wir  einige  zwanzig  zählen,  bedeu- 
tender als  die  übrigen;  aber  ob  sie  auch  zwei  oder  drei  kleineren 

1)  Vitniv  1 4, 12. 

2)  PUn.m  103  vgl.Strab.VI  284  Lacan.V377. 

3)  PUn.  DI  103. 


I  7.  Die  Adriatischen  Flüsse.  839 

Thalern  zusammen  gleich  gesetzt  werden  können ,  verschwinden  sie 
doch  der  Gesammtmasse  gegenüber.    Ueberall  wird  die  Verbindung 
ungemein  behindert:  eine  Klause  trennt  die  Anwohner  des  Ober-  und 
Unterlaufs  von  einander,  ein  abfallender  Höhenzug  das  Thal  von  seinen 
Naehbarthftlern ;  der  grofse  Verkehr  war  und  ist  auf  den  Seestrand 
angewiesen,  dadurch  zu  bedeutenden  Umwegen  gezwungen.  Die  natür- 
liche Abgeschlossenheit  erklärt  uns,  warum  der  Cantonsgeist  in  diesen 
Landschaften  festen  Fuls  fassen ,  deren  Haltung  in  allen  grofsen  die 
Halbinsel  bewegenden  Fragen  bestimmen  konnte.    Es  schien  geraten 
an  die  historischen  Bezüge  zu  erinnern  um  die  eintönige  Aufzahlung 
der  einander  zum  Verwechseln  ähnlichen  Gewässer  zu  beleben.  Der 
Tifemus  Bifemo  entspringt  am  Fufs  des  mans  Tifemus  Hatese  unweit 
Bomanum  Boiano,  fliefst  an  Tifemum  und  Larinum  vorüber,  erreicht 
eine  Länge  von  95  km.    Von  demselben  Gebirgsstock  kommt  der  Tri- 
nius  Trigno  85  km;  in  seiner  Nähe  liegen  Bovianum  vetus  Pietrabbon- 
dante  und  Terevmtum  Trivento,  an  seiner  Mündung  ein  kleiner  Hafen,  i) 
Von  der  Bedeutung  des  Sagrus  Sangro  als  Naturgrenze  zwischen  dem 
mittleren  und  südlichen  Appennin  war  früher  (S.  228.  240)  die  Rede. 
Er  beschreibt  SO  0  NO  N  NORichtung  einhaltend  vom  Fuciner  Becken 
aus  eine  95km  lange  Kreislinie,  ohne  dafs  aufser  Äufidena  Castel  di 
Sangro  ansehnliche  Städte  in  seinem  breiten  Thal  sich  fänden.    Sein 
Gebiet  mifst  nur  1660  Gkm  (30  DM.),  sein  mittlerer  Abflufs  20  Cubik- 
meter  in  der  Secunde.    Somit  steht  er  seinem  nördlichen  Nachbar  an 
historischem  Lnteresse  nach. 

Der  Atemu9  ist  der  mächtigste  unter  allen  Flüssen  des  adriatischen 
Litorals.  Sein  Gebiet  umfalst  3130  Dkm  (57  DM.),  der  mittlere  Abflufs 
Ton  42  sinkt  bis  1 8  und  steigt  auf  2790  Cubikmeter  in  der  Secunde. 
An  den  nördlichen  Vorbergen  des  Gran  Sasso  unter  42^  34'  n.  Br.  bei 
1100  m  Meereshohe  entspringend,  durchströmt  er  in  SO  Richtung  den 
Thalkessel  von  Ämitemum,  der  von  den  höchsten  Erhebungen  der 
Halbinsel  dem  Gran  Sasso  und  M.  Velino  umsäumt  wird.  Nach  einem 
Lauf  von  ca.  80  km  windet  er  sich  durch  eine  Enge  und  tritt  in  das 
Hochthal  (340  m)  der  Paeligner  hinaus.  Hier  empfängt  er  durch  den 
von  Süden  kommenden  Gizio  reiche  Zuflüsse  der  Randgebirge  und 
hort  auf  zu  Fufs  passirbar  zu  sein.  Damit  wird  an  dem  Puncto  wo 
Aterno  und  Gizio  sich  vereinigen ,  das  natürhche  Centrum  des  Säbel- 
hschen  Gebirgsvierecks  (S.  236),  das  Centrum  einer  Einsenknng  von 


1)  Plin.ni  106. 

22* 


340  Kap.Vn.  Die  AppeDüiiiflfiflse. 

93  km  Länge  und  30  km  Breite  dargestellt  Hier  erhob  nch  Corfnhm 
dicgenige  Stadt  wetehe  91  v.  Chr.  die  aulMittdiachen  Gebirgsstämme 
unter  dem  Namen  ItkUü  nun  Sitt  dee  italieehen  Bundes «  zur  Nadi- 
fidgerin  von  Rom  auserkoren  hallen.  Die  Lage  war  wejslich  berechnet, 
in  IGtten  der  Samniten  Marser  Sabiner  Picenter  und  der  kleineren 
verbündeten  Stfimme,  aDen  ziemlich  gleichmflCsig  genähert,  dabei  von 
hoher  strategischer  Stärke.  Zugleich  deutet  die  Lage  an  warum  dieser 
Sonderbund  scheitern  murste :  der  Grund  ist  in  dessen  SteOung  zum 
Meer  und  der  an  das  Heer  geknüpften  Macht  zu  suchen.  Aus  dem 
Thal  der  Paefigner  wendet  sich  der  Atemus  nach  NO  durch  eine  von 
senkrechten  Felswänden  eingeengte  Klause ,  die  grorsartigste  welche 
der  ganze  Appennin  aufzuweisen  hat,  um  erst  bei  Inierfromhm  Torre 
dei  Pass^  in  freiere  Gegend  zu  gelangen.  Der  Durchbruch  hat  )n  Ur- 
zeiten die  Trockenlegung  der  Hochgebirgsthäler  bewirkt,  in  geschicht- 
licher Zeit  als  das  gewaltige  Thor  gedient ,  welches  sie  mit  der  Kflste 
verbindet  aber  auch  mit  Imcbter  Muhe  gesperrt  wird.  Der  Unteriavf 
durch  ein  breites  geräumiges  Thal  mifst  ca.  50  km,  'die  MOndung  ge- 
wahrt einen  der  besten  Ankerplatze  an  diesen  Kasten.  An  ihr  liegt 
die  kleine  Hafenstadt  Pescara  die  dem  FluTs  gegenwartig  ihren  Namen 
leiht,  lag  im  Altertum  Aurwum^  die  vom  Flufs  den  Namen  empfing, 
das  gemeinschaftliche  Emporinm  nicht  nur  der  angrenzenden  Vestiner 
und  Mamiciner  sondern  auch  der  binnenlandischen  Paeligner.^)  Nir- 
gends am  adriatischen  Litoral  boten  sich  günstigere  Verhältnisse  dar 
um  eine  von  dem  bevorzugten  Westen  unabhängige  Bahn  einzuschlagen. 
Die  Stamme  welche  sie  einschlugen ,  übertrafen  ihre  romischen  Be- 
drücker ohne  Zweifel  an  Tapferkeit  Aufopferung  Begeisterung,  wie 
solche  der  Kampf  für  eine  gerechte  Sache  einflofst.  Aber  die  geo- 
graphische Betrachtung  erläutert  besser  als  jede  Erzählung  vermag, 
weshalb  aller  Heldenmut  an  den  von  der  Natur  gezogenen  Schranken 
zu  Schanden  ward.  Die  Breite  der  Halbinsel  zwischen  den  Mündungen 
von  Atemus  und  Tiber  betragt  ca.  180  km>):  die  Wasserscheide  ist 
von  der  Adria  75  km,  vom  tyrrhenischen  Meer  105  km  entfernt  Jener 
ist  152  km  lang,  dieser  398  km.  Die  beiderseitigen  Plofsgebiete  stellen 
sich  auf  ca.  60  und  340  d.  DM.  Corflnium  ist  dreimal  so  weit  vom 
Meer  abgerückt  als  Rom. 


1)  Strab.  V  241 :  die  aasführliche  Behandlung,  welche  diesem  Flors  gewid- 
met wird,  legt  ein  erfreuliches  ZeugniGs  fflr  das  Yeratandnils  Strabo*s  ab. 

2)  PUn.m44  giebt  136  Millien  an:  20  km  zu  viel. 


§  7.  Die  Adrittiicbeii  FlflMe.  841 

Der  Sofinifi  Fino  und Mairimu  Piomba  sind  kurze  Bache;  dagegen 
erreicht  der  am  NFuCs  des  Gran  Sasso  bei  2000  m  Höhe  entspringende 
fomanus  eine  Lange  Ton  75  km,  der  vom  Pizzo  di  Sevo  kommende 
BAmus  Tordino  eine  solche  von  50  km.    Mehr  Beachtung  yerdient 
der  Trwhim  Tronto  der  ansehnlichste  Fluls  im  Picenerland.    Die 
Quellen  befinden  sich  innerhalb  der  Abruzzen  unweit  denjenigen  des 
Atemus  unter  42®  35'  n.  Br.  bei  1700m  Meereshohe.    Nach  Norden 
strömend  durchbricht  er  in  yeränderter  ONO  Richtung  den  Gebirgs- 
wall  in  einer  wilden  Schlucht  Das  enge  Thal  ninmit  erst  bei  Aseulum 
tiemum  einen  freundlicheren  Charakter  an.    Der  Flufslauf  beziffert 
ach  auf  115  km,  das  Gebiet  auf  1142  Dkm  (21  QM.),  der  Abflub  im 
Mittel  auf  15  Cubikmeter  in  der  Secunde.    Es  folgen  die  Abflüsse  der 
Sibilla  Aso  60  km  und  Timia  Tenna  80  km.  Dann  wird  die  Hauptkette 
wieder  unterbrochen  durch  den  75  km  langen  Chienti:  unter  den  ver- 
schiedenen Bachen  die  er  aus  dem  umbrischen  Hochland  yereinigt, 
wird  der  Flmar  Fiastra  erwähnt.  Wenig  kleiner  (94  km)  ist  die  Potenza. 
Der  45  km  lange  Aß$i$  Esino,  welcher  nördlich  von  Ancona  mündet, 
bildete  zwei  Jahrtiunderte  hindurch  die  Grenze  des  italischen  Bundes 
(S.  71).    Je  weiter  wir  in  unserer  Aufzahlung  vorrücken,  desto  mehr 
vermindert  sich  der  Wassergehalt  dieser  Flufslaufe ,  der  niedrigeren 
Erhebung  des  Appennin  entsprechend.    Die  anderen  überragt  der 
11 0  km  lange  Meiaurus,  der  in  der  gallischen  Mark  in  ahnlicher  Weise 
hervortritt  wie  der  Truentus  in  Picenum.    Er  entspringt  an  der  Alpe 
della  Luna  (S.  234)  unter  43 <^  38'  n.  Br.  bei  1214m  Meereshohe  und 
fliebt  ostwärts  an  Tifemum  Metanirente  S.  Angelo  in  Vado  und  ürvinum 
Meiaurenie  Uril>ino  vorbei.    Kurz  vor  Farnm  Sempranii  Fossombrone 
empftegt  er  den  vereinigten  Candigliano  und  Burano,  der  durch  den 
wilden  Furlopafs  sich  einen  Ausweg  gebahnt  hat :  dem  Burano  folgt 
die  Via  Flaminia.    Unterhalb  Fossombrone  erweitert  sich  das  Thal,  an 
seiner  Mündang  liegt  Faman  Fariunae  Fano.     Das  Gebiet  betragt 
1305  Dkm  (24  DM.),  der  mittlere  Abflufs  17  Cubikmeter  in  der 
Secunde.    Es  bleiben  noch  zu  erwähnen  der  90  km  lange  Pismsnu 
Foglia  und  der  60  km  lange  irtmmics  Marecchia  mit  gleichnamigen 
Städten ,  von  denen  die  letztere  die  Hauptfestung  der  Halbinsel  gegen 
das  Pohind  abgab. 

Zum  Sdriufs  mag  auch  hier  eine  vergleichende  Ueberaidit  nach 
den  Berechnungen  des  Annuario  Statistico  von  1881  eine  Stelle  finden 
(vgl.  S.  196). 


342 


Kap.  Vn.   IMe  AppenninflfiSBe. 


§8.   Uebersicht  der  Appenninflüsse. 

Lange 

Gebiet 

MitÜerer 

Abflufe 

in  der 

Secnnde 

Höchster 

Abflnfa 

in  der 

Secnnde 

Kleinster 

Abflob 

in  der 

Secnnde 

km 

Dkm 

Cnbikm 

Cnbikm 

Cabilia 

Magra 

65 

Berg    1406 
Ebene    106 

1512 

40 

3050 

12 

Serchio 

110 

Berg      389 
Ebene    778 

1167 

52 

1520 

16 

Arno 

248 

Berg    6208 
Ebene  2236 

8444 

100 

2000 

15 

Cecina 

78 

Berg      882 
Ebene      55 

937 

852 

2,7 

Ombrone 

166 

Berg    4106 
Ebene      94 

4200 

90 

1974 

Fiora 

80 

Berg      679 
Ebene      43 

722 

7 

340 

Tiber 

393 

Berg  15995 
Ebene    726 

16721 

267 

4500 

160 

Liris 

168 

Berg    4798 
Ebene    222 

5020 

1340 

25 

Volturnus 

185 

Berg    5229 
Ebene    448 

5677 

70 

2000 

32 

Sele-Tanagro 

112 

2855? 

55? 

1050 

Crati 

93 

Berg    2210 
Ebene    107 

2317 

3300 

i  8.  üebenicht  der  FlOsse. 


843 


Sioni 

Agri 

Salandrella 

Basento 

Bradano 

Ofanto 

Fortore 

Bifemo 

Trigno 

Sangro 

Aterao 

Vomano 

Tronto 

Tenna 

Chienti 

Potenza 

Esino 

Netaaro 

Foglia 

Narecchia 


kB 

101 

136 

91 

149 

167 

166 

98 

95 

85 

95 

152 

75 
115 
80 
75 
94 
45 
110 
90 
60 


Gebiet 


akm 

Berg  1196 
Ebene  107 

1303 

1740 
548 
1477 
2480 
2590 
1562 
1275 
1112 
1660 
3076 
54 
3130 

760 

1142 

512 

1125 

732 

372 

1305 

657 

472 


Berg 
Ebene 


Mittlerer 
Abfluls 
in  der 

Secunde 

Höchster 

Abflnb 

In  der 

Seennde 

Oabikn 

Cnblkm 

1100 

1340 

450 

1200 

2000 

66 

2310 

21 

1390 

18 

1070 

17 

990 

20 

1480 

42 

2790 

7 

508 

15 

1118 

7 

456 

15 

1000 

10 

650 

5 

330 

17 

1160 

8 

585 

6 

420 

Kleinster 
Abflufs 
in  der 

Secunde 


Cvbikm 


1,5 


18 


0,7 


KAPITEL  VIU. 


Die    Inseln. 

Die  Bedeatung  des  Lehnworts  Insel  wird,  abstract  betradilet, 
mit  der  denkbarsten  Schärfe  und  Klarheit  bestimnutO:  im  wirklichea 
Leben  ist  sei»  Gebrauch  beachtenswerten  Schwankungen  unterworfea. 
Die  aeekundigeo  Nordgsrmanen  haben  die  Herübernahme  ▼erschmflht: 
sie  reden  von  Ländern  ohne  zu  fragen  ob  dieselben  ganz  oder  theil- 
weise  von  dien  Wogen  umspült  seien.  Unsere  dänischen  Vettern 
rechnen  wol  die  kleinicren  Bestandtheile  ihres  Ajrehipels  wie  Falster 
Lolland  Aeripoe,  nicht  aber  das  gröfsere  Seeland  oder  Fahnen  ab 
Inseln.')  Denselben  Unterschied  macht  die  lateinische  Sprache,  indem 
sie  Sicilien  Sardinien  und  Corsiea  als  Länder  ansieht,  dagegen  die 
übrigen  sei  es  kleineren  oder  entfernteren  Inseln  nach  Analogie  der 
Städtenamen  behandelt«  Der  griechischen  Sprache  ist  der  Untenchied 
▼ollkommen  fremd:  in  der  nesiotischen  Welt  von  Hellas  sind  Erde 
und  Meer  so  unlösbar  mit  einander  verbunden ,  defs  die  Begriffe  ?on 
Grofs  und  Kl^in  vermengt  werden,  sogar  Länder  wie  der  Peloponnes  ab 
Inseln  gelten»  Man  kann  die  Anschauung  des  Röm(ers  leicht  begreifen: 
Sicilien  Sardinien  und  Corsiea  traten  ihm  zu  selbständig  und  nament- 
lich in  älteren  Jahrhunderten  zu  bedeutend  entgegen,  als  dafs  er  ihnen 
die  Eigenschaft  als  Läi^der  hätte  absprechen  können ;  ist  ja  doch  der 
Namie  Italia  (überhaupt  nur  als  Gegensatz  zu  Si^ilia  in  Umlauf  ge- 
kommen (S.  67).  Das  Altertum  hat  nicht  daran  gedacht  diese  Inseln 
dem  Festland  politisch  einzuverleiben:  als  Diocletian  sie  damit  ver- 
einigte, war  von  einer  politischen  Bedeutung  des  Actes  kaum  noch  die 
Rede;  zudem  hatte  die  Vereinigung  keinen  Bestand  (S.  85).  Auch 
unsere  Auffassung  von  einer  natürlichen  Zusammengehörigkeit  war 
den  Alten  nicht  geläufig.  Zwar  erklärt  Strabo  Sicilien  für  eine  Zugabe 
der  Appenninhalbinsel^  wie  es  einer  allgemeinen  Betrachtung  in  der 


t)  Festep.  IHM  inmiae  .  .  .  mte  terrae  quae  fluminihu  ae  mari  emi- 
nefU  eunifue  in  $ah» 

2)  Ygl.  Madvig,  Kleine  phil.  Sehrifteo,  Leipzig  1876,  p.  293  fg. 


i  1.  SidUen.  845 

Tfaat  mit  Notwendigkeit  tich  darstellt:  aber  in  Betreff  Sardimens  und 
Corsicas  wird  eine  ähnliche  Aussage  vermibt.  Man  könnte  ja  meinen« 
die  tellurisehe  Kraft,  welche  die  südeuropäischen  Halbinseln  aus  der 
Tiefe  smpor  hob>  habe  eine  yierte  zwischen  Iberien  und  Italic  in  die 
Mitte  legen  wollen,  habe  aber  nicht  ausgereicht  um  ihre  Schtfpfiing  zu 
Tolleaden  oder  sie  gegen  die  Angriffe  des  Meeres  zu  behaupten.  Immer- 
hin unierliegt  es  keinem  Zweifel  dafs  diese  mag  man  sie  nun  Anfänge 
oder  Ueberreste  dines  Continents  nennen ,  in  geographischer  Hinsicht 
zu  Italien  zählen.    Gerade  diejenige  der  beiden  Inseln,  welche  seit 
eioem  Jahrhundert  ihre  Geschicke  mit  denen  einer  fremden  Nation 
verschwistert  hat,  trägt  den  italienischen  Charakter  am  reinsten  an  der 
Stirn.  Die  Alten  haben  der  natttrUcben  Abhängigkeit  keinen  Ausdruck 
verliehen ;  die  Schwerkraft  der  Verhältnisse  machte  sich  ohnedem  gel- 
tend« Bewufst  hat  Rom  die  Führerschaft  des  Festlands,  bewufst  die 
Herrschaft  über  die  Inseln  erstrebt:  241  ▼.  Cbr.  trat  es  den  Besitz  von 
Sicilien ,  238  ▼•  Chr.  den  Besitz  Ton  Sardinien  und  Corsica  an.  Die 
Ausdehnung  dieser  Länder  (1130  d.  DM-X  welche  dem  halben  italischen 
Bundesgebiet  gleich  kam,  erwies  sich  als  ein  Verhängnifs.    Sie  führte 
Bur  Einrichtung  von  Provinzen  d.  h.  militärisch  unterworfenen  Amts- 
bezirken ,  in  denen  der  Statthdter  eine  nur  durch  seine  Amtadauer 
beschränkte  Gewalt  über  die  Unterthanen  ausübte.  Sie  rief  damit  die- 
jenige Macht  ins  Leben,  welche  späterhin  die  Volksfreiheit  zu  Grunde 
richten  sollte.    Zunächst  indefs  wurde  Rom  bei  der  Vertheidigung  des 
Erworbenen  halb  ohne  es  zu  wollen  an  die  Spitze  der  Mittelmeerländer 
gedrängt,  der  Kampf  um  die  natürlichen  Seegrenzen  Italiens  hatte  die 
Weltherrschaft  unmittelbar  im  Gefolge.  Das  Bild  das  wir  zu  entwerfen 
suchen ,  würde  unvollständig  sein ,  wenn  diese  Grenzlande  von  dem- 
selben ausgeschlossen  blieben.  Freilich  haben  wir  uns  auf  die  grofsen 
allgemeinen  Züge  zu  beschränken.    Sicilien ,  das  in  der  allgemeinen 
Gesdiichte  einen  heryorragenden  Platz  behauptet,  dessen  Blüte  vor 
die  Remerb^rrschaft  ftlllt,  kann  nur  in  einer  eigenen  Darstellung  er- 
schöpfend behandelt  werden.    Die  Westinseln  nehmen  das  geschicht- 
liche Interesse  überhaupt  nur  in  beschränktem  liafse  in  Anspruch. 

§  1.  Sicilien.^ 

Die  gröfste  und  centralste  unter  den  Inseln  des  Mittelmeers  um- 
fsfst  einen  Flächeninhalt  von  29  240  Dkm  &32  d.  QM.,  wie  gegen* 

1)  litterator  bei  Ad.  Holm,    Geschichte  Sidliens  im  Alterthom  Bd.  I, 
Leipzig  l&l^  V^.  Kap.  VI  4. 


S46  Kap.  VIIL  Die  Inseln. 

wüitig  ofBciell  aogeDommen  wird,  erstreckt  sich  Ton  30^  5'  (LUt^aeum 
Cap  Boeo)  bis  33®  11'  (Pdoris  Punta  del  Faro)  tt.  L.  Ferro,  von  36«  39' 
{Packymu  Cap  Passero)  bis  38<^  18'  (Phalaerium  prom.  Cap  Rasoculmo) 
n.  Br.  So  ungeschlacht  die  Umrisse  auf  den  antiken  Karten  ausfielen 
(S.  33),  müssen  sie  sich  doch  früh  dem  hellenischen  Volksbewufstsein 
eingeprägt  haben.  Die  alte  Benennung  TQivcntQla  Triqueira  (S.  4 
A.  1)  liefert  den  Beweis.  Sie  würde  noch  besser  zutreffen  als  der  Fall 
ist,  wenn  nicht  in  Urzeiten  die  Westspitze  des  Dreiecks  vom  Meer  zer- 
trümmert worden  wäre :  die  Aegatischen  Inseln  stellen  sich  deutlich 
als  Ueberbleibsel  dieser  zertrümmerten  Ecke  dar.  Die  Küstenlänge 
wird  820km  111  d.  H.  gerechnet,  so  dafs  das  Verhähnifs  zum  Inhalt 
sich  1 : 5  stellt,  während  es  für  das  Festland  nur  1 :  11  beträgt  (S.  217). 
Auf  die  Nordseite  entfallen  320,  die  Ostseite  215,  die  Sttdwestseite 
285  km.  Auch  die  Bildung  der  Küste  weicht  vom  Festland  vortheilbafl 
ab.  Sie  ist  durchweg  steil  und  verflacht  sich  nur  ausnahmsweise  wie 
an  der  Westspitze  bei  Lilybaeum ,  im  Süden  bei  Gela ,  im  Osten  bei 
Leontini.  Von  der  hafenlosen  Südküste  abgesehen  besitzt  sie  eine  Reihe 
vorzüglicher  Häfen :  Drepana  Pamrmu$  Mylae  Messana  Megara  Syra- 
cusae;  nur  die  beiden  erstgenannten  sind  in  Folge  fortschreitender 
Hebung  seit  dem  Altertum  versandet  (S.  290).  Die  Sicherheit  dieser 
Häfen  wird  mehrfach  durch  Küsteninseln  herbeigefflhrt,  die  nachträg* 
Uch  landfest  geworden  sind.  Die  sichelartigen  Landzungen ,  die  Dre- 
pana und  Messana  (ehedem  Zankle)  ihren  Namen  verliehen  und  zu  den 
eigentümlichsten  Erscheinungen  der  sicilischen  Küste  gehören ,  legen 
von  der  bildnerischen  Kraft  des  Meeres  Zeugnifs  ab.  Auf  den  ge- 
schützten Vorgebirgen  und  Eilanden  gründeten  die  Phönizier  und 
deren  Nachfolger  die  Hellenen  ihre  Niederlassungen  (S.  119).  In  der 
That  ist  Sicilien  nicht  blos  durch  die  erwähnten  Vergünstigungen  son- 
dern durch  seinen  ganzen  Bau  auf  eine  maritime  Entwicklung  hin- 
gewiesen. Gröfsere  Flüsse  wie  gröfsere  Ebenen  fehlen  ihm  gleich- 
mäfsig ;  die  ausgedehnteste  ist  die  vulkanische  Ebene  südlich  vom  Aetna 
(S.  274).  Das  Ganze  ist  ein  Hochland  von  6 — 700m  mittlerer  Erhebung, 
das  von  Nord  nach  Süd  sich  abdacht 

Seine  geologische  Vergangenheit  scheint  noch  wechselvoller  ak 
diejenige  des  Festlands  zu  sein,  weil  die  Umwälzungen  auf  einem  ver- 
gleichsweise beschränkten  Raum  sich  zugetragen  haben.  Die  Haupt- 
masse des  Bodens  gehört  einer  jungen  Tertiärbildung  an,  die  überaus 
zahbreiche  Einschlüsse  von  Muscheln ,  zu  drei  Vierteln  noch  lebender 
Arten,  enthält    Sie  entspricht  dem  Subappennin,  steigt  aber  doppelt 


§  t.  SidUen.  847 

so  hoch  wie  dieser  auf:  im  Innern  bei  Bnna  Castrogiovanni  erreicht 
sie  gar  eine  Hohe  von  997  m.    Wir  sahen  schon  S.  275  dafs  diese 
Huschelkalke  mit  vulkanischen  Schichten  wechsellagern ,  dafs  unter- 
seeische Vulkane  in  Verbindung  mit  den  marinen  Niederschlägen  an 
der  Erhöhung  des  Bodens  gearbeitet  haben.  Primürformationen  finden 
sich  nur  im  Nordosten.  An  beiden  Seiten  der  Strafse  von  Messina  ist 
das  Gebirge  TöUig  ttbereinstiromend  gebaut,  der  Kern  vorwiegend 
Gneifs,  daneben  auch  vereinzelt  Granit  Glimmer-  und  Thonschiefer, 
dieser  Kern  von  einem  Mantel  jungtertitfrer  Schichten  bis  zur  Hohe 
TOD  ca.  200  m  eingehüllt    Das  krystallinische  Gestein  verwittert  in 
Italien  besonders  leicht  und  darum  treten  die  verheerenden  Fiumaren 
in  ihrer  wildesten  Gestalt  gerade  im  brettischen  und  sicilischen  Ur- 
gebirge  auf  (S.  295).    Für  das  letztere  wird  gelegentlich  die  Bezeich- 
nung Peloritanisches  Gebirge  nach  dem  Gap  gleichen  Namens  ge- 
braucht: aus  dem  Altertum  dagegen  ist  NephmiuM  mans  überliefert.  0 
Nach  SW  streichend  erreicht  es  im  M.  Dinnamare  (oder  Antennamare) 
bei  Messina  eine  Hohe  von  1 130  m,  im  Senden  bei  All  1252  m,  wendet 
sich  alsdann  mit  wachsender  Erhebung  direct  nach  Westen.  Ein  bei 
Cap  Calavä  westlich  von  Tyndarii  endigender  Vorsprung  bezeichnet 
den  Abschlufs  der  Primär-  und  den  Beginn  der  Secundflrformation. 
Diese  steht  dem  Appennin  vollkommen  gleich  und  macht  auch  auf 
Sicilien  den  Haupttheil  des  Stammgebirges  aus.  Es  streicht  der  Nord- 
kOste  parallel  mit  15— 1600  m  hohen  Gipfeln  (M.  Sori  nördlich  von 
Hadranum  Ademö  1845  m)  als  geschlossene  Kette  bis  zu  einer  Ein- 
senkung,  welche  durch  die  beiden  nach  N  (Frame  Grande)  und  S 
(Fiume  Salso)  fliefsenden  Himera  gekennzeichnet  wird.    Hier  ballt  es 
sich  zusammen  und  steigt  zu  seinen  höchsten  Erhebungen  auf:  dem 
M.  S.  Salvatore  1910  m  und  Pizzo  Antenna  1975  m  südlich  von  Cepha- 
loedium  Cefalü.  Dieser  Gebirgsstock  heifst  mit  einheimischem  Namen 
le  Madonie ;  die  Alten  nannten  den  ganzen  Gebirgszug  der  Nordküste 
iVeftrodei.^    Jenseit  der  HimeraqueUen  nimmt  Äe  Erhebung  ab  und 
das  Kettengebirge  lOst  sich  allmfllich  in  einzelne  Berge  und  Berg- 
gnippen  ohne  deutliche  Ordnung  und  Zusammenhang  auf.  Unter  den 
Gipfeln  sind  bemerkenswert  der  H.  S.  Calogero  bei  Thermae  Hime^ 
rense$  Termini  1245  m,  die  steile  Rocca  Busambra  1574  m  im  Innern 
bei  Corleone,  der  H.  Cuccio  bei  Palermo  1049  m.  Die  durch  Hamilkar 


1)  Solin  5,  12. 

2)  Stnb.  VI  274  Sil.  It  XIV  236  Solin  5, 12  Gratias  Cyneg.  52S. 


348  Kap.  VDL  Die  Inseln. 

Barkas'  VertliekligiiBg  berOlmile  Heirkie  M.  S.  PeQegrind  bei  letzt- 
genannter  Stadt  ist  ein  völlig  abgesonderter  598  m  hdier  Kalksteia- 
stock,  eine  ehemalige  Kttateninsel  wie  der  Borg  der  Cärce,  die  nadi- 
traglich  landfeat  geworden  ist.  Nördlich  von  Sif ctfa  raiM  der  M.  Spa- 
ragio 1 109  m,  der  in  das  Vorgebn-ge  S.  Vito  auslaaft.  Den  Beschlub 
biMet  der  mächtige  vom  Meer  aus  751  m  aubteigende  Enp9  M.  S.  Gia- 
liano,  der  von  den  Alten  seiner  isiriirten  StaUting  wegen  geradem  ab 
Gegenstück  zum  Aetna  hingestellt  wird-O  Von  der  am  Nordrand  sich 
haltenden  orographischen  Hauptlinie  des  Landes  laufen  zahlreiche 
Seitenhnien  aus,  ohne  einer  ttbereinstimmendeta  Richtung  zu  folgen 
oder  in  übersichtlicher  Weise  sich  zu  gliedern.  Nur  verdient  der  Um- 
stand besondere  Beachtung,  dafs  in  der  WesthaUte  zwischen  dem  Eih 
bfkoi  Platani  und  dem  Hyfias  Beiice  eine  Rahe  bedeutender  Erbe- 
bungen sich  nach  der  Sftdküste  hinziehen :  dazu  gehören  der  M.  Gam- 
marata  mittwegs  zwischen  Akragas  und  Himera  mit  seinem  weithin 
sichtbaren  Doppeigipfel  1576  m,  der  M.  Rose  bei  Bivona  1436  m,  sowie 
die  wilden  Berge  von  Caltabellota  900 — 959  m  oberhalb  Sciacca.  Femer 
stellt  der  M.  Lauro  985  m  bei  Aerae  Palazzolo  die  Mitte  eines  Berg* 
landes  tertiärer  Bildung  dar,  welches  den  Südosten  zwischen  Gela  und 
'  Syrakus  einnimmt  Tief  angeschnittene  Schluchten,  welche  die  merk- 
würdige Zusammensetzung  des  Bodens  (S.  275)  aufschlieisen,  laufen 
nach  allen  Weltgegenden  aus.  Dies  abgesonderte  System  hfingt  durch 
einen  Auslaufer,  der  nördlich  von  Enna  am  M.  Artesino  1193m  an- 
setzt, nait  dem  Hauptgebirge  zusammen.  Der  Auslaufer  motu  B$ram 
im  Altertum  geheUsen^),  bildet  die  Wasserscheide  zwischen  dem  sid- 
Uschen  und  africanisdien  Meer.  In  der  weiten  Bucht,  die  von  den 
Nebroden  und  den  Heraeisehen  Bergen  umfafst  wurde,  hat  die  vul- 
kanische Kraft  den  Aetna  aufgeschüttet,  der  wie  ein  Riese  unter 
Zwergen  die  älteren  Gebirge  überragt.  Er  ist  durch  die  tiefen  Thaler 
des  JJcmne$  Alcantara  und  Symaeikus  Simeto  von  jenen  abgeschlossen 
und  hangt  nur  in  einem  schmalen  Isthmus,  der  Wasserscheide  beider 
Flüsse  (1156  m)  mit  ihnen  zusammen. 

Von  den  ca.  250  Wasserkfnfen,  die  in  Sicilien  gezahlt  werden,  ist 
kein  einziger  schiffbar.  Die  meisten  liegen  im  Sommer  trocken  und 
bereiten  nur  zur  Regenzeit  dem  Verkehr  Schwierigkeiten.  Ihr  Wasser^ 
stand  wird  vielfach  durch  die  Beschaffenheit  des  Bodens  bedingt.  Das 


1)  Pol  I  55,  7  Solin  5,  9. 

2)  Yibina  Seqn.  s.  v.  Ghryais  DM.  IV  84. 


§  1.  SicOien.  849 

zerkMtete  Kalkgebirge  spart  die  empfangenen  Niederschläge  in  unter- 
irdischen Bohlen  aar,  welche  einen  constanten  Abflufs  wahrend  der 
Dorre  siehern  (S.  224),  durch  den  sieh  nainenilich  die  kleinen  Flttsse 
des  Berglandes  im  SO  auszeichnen.  Umgekehrt  hat  das  Urgebirge  nur 
Fiumaren,  kane  perenuirenden  Bliche  aufeuweisen.  Am  Abhang  des 
Aetna  werden  die  Bftche  gänzlich  vermirst,  welche  man  nach  seiner 
Hohe  und  der  Masse  seiner  NiederschUlge  in  grofser  Anzahl  voraus* 
setzen  würde:  der  vulkanische  Sand  saugt  die  Feuchtigkeit  gierig  ein, 
hält  ae  lange  und  Iflbt  erst  am  Fufs  des  Gebirges  Quellen  hervor- 
brechen.   Aus  dem  Bau  des  Landes  ergiebt  sich  ohne  weiteres ,  dafs 
die  grOfseren  Flflsse  nach  Osten  und  Südosten  strümen  müssen.    Er^ 
wihnuDg  verdienen  folgende.     Der  Akmine$  oder  isfnes^)  Gantara 
oder  Alcantara,  welcher  den  Aetna  im  Norden  umfliefst,  erreicht  nur 
eine  Länge  von  52  km.    Dagegen  ist  der  den  Aetna  im  Westen  und 
Soden  umfassende  Symaakiu  Simeto  oder  Giarretta  als  der  bedeu- 
tendste Flufs  der  Insel  anzusehen:  weniger  wegen  seiner  Länge,  die 
sich  auf  116km  stellt,  als  wegen  der  Ausdehnung  seines  Gebiets,  das 
4387  Okm  ungefähr  80  d.DM.  drei  Zwanzigstel  ganz  Siciliens  einnimmt 
Der  mittlere  Abflufs  beträgt  90  Gubikmeter  in  der  Secunde.  Er  ent- 
steht durch  die  Vereinigung  mehrerer  Quellarme,  die  von  der  leon- 
tinischen  Ebene  Hlchertormig  in  das  Innere  eindringen.    Von  Norden 
her  kommt  der  Hadranius^  Simeto,  welcher  unweit  Badrmmm  Adem6 
den  nördlich  vom  M.  Artesino  entspringenden  Cifornomrui^)  Fiume 
Salso  aufnimmt    Er  umfliefst  nun  in  SO  Richtung  den  Vulkan  und 
nreinigt  sich  in  der  Ebene  mit  dem  dunpoi^  Dittaino,  der  von  den 
Hohen  um  Enna  herum  genährt  wird.  Endlich  kommt  noch  kurz  vor 
der  Mündung  die  Gumalunga  hinzu.  Im  Einzelnen  ist  der  Lauf  dieser 
Flosse  durch  Lavaströme  Aschenregen  und  Alluvionen  vielfach  ver* 
lodert  worden.    Die  Alten  erwähnen  verschiedentlich  den  TimlM,  der 
20  Stadien  -^  4  km  vom  Meer  aufwärts  nach  Leontinoi  zu  schiffbar 
gewesen  sei.'^)    Ob  an  den  kleinen  bei  dieser  Stadt  fliefsenden  Fiume 
S.  Leonardo  oder  aber  einen  Arm  des  Symaethus,  vielleicht  die  Guma- 
lunga zu  denken  sei,  vermögen  wir  nicht  zu  entscheiden.    Das  Mün- 
dungsgebiet ist  jetzt  versumpft,  auch  der  18  Dkm  grofse  seichte  See 


1)  Entere  Form  Thue.  IV  25,  leUter^  Plin.  m  88,  Vib.  Sequ.  Anmut. 

2)  Steph.  Byi.  n.  kS^vov* 

3)  Pol.  1 9,  4. 

4)  Diod.  XIY  95  Gic  Yerr.  lY  96  SU.  lt.  XIV  229  Vib.  Seqa. 

5)  Skylax  13  Thuc.  VI  50. 94  Diod.  XIV 14  XXO  2  Plin.  m  89. 


860  Kap.  Vm.  Die  Inselii. 

von  Lentini  erst  seit  dem  Altertum  künstlich  geschaffen  worden.  In 
Folge  dessen  Uüst  die  Luft  viel  zu  wünschen  ttbrig.  Von  M.  Lauro  her 
strömt  der  60  km  lange  Anapus  Anapo  in  den  Groben  Hafen  tob 
Syrakus  ein.  Die  anderen  Flübchen  des  Südosten  können  in  diesem 
Zusammenhang  tibergangen  werden.  An  der  Sttdkttste  macht  der 
JJnit^raFiume  Salso  dem  Simeto  den  Rang  streitig,  welchen  er  an  Länge 
(ca.  144  km)  übertrifft,  an  Ausdehnung  des  Flulsgebiets  1980  Dkm 
36  d.  dM.)  und  Gehalt  (16  Cubikmeter  in  der.  Secunde)  jedoch  nicht 
erreicht  Die  Alten  heben  den  Salzgehalt  seines  Wassers  henror,  der 
ihm  den  jetzigen  Namen  eingetragen  hat.^  Dies  rührt  im  yorUegenden 
wie  in  anderen  Fftllen  von  den  ungeheuren  Steinsalzlagern  her,  welche 
wie  die  SchwefeUager  dem  siciUschen  Tertiär  angehören :  wegen  der 
bequemeren  Gewinnung  des  Seesalzes  nimmt  man  von  ihrer  Ausbeu- 
tung Abstand.  Auch  wird  von  den  Alten  bemerkt,  dafe  der  Himera 
Sicilien  in  zwei  Hälften  theilt')  Wir  haben  oben  S.  347  dargelegt, 
dafs  das  Stammgebirge  an  der  Wasserscheide  zwischen  seinen  Quellen 
und  denen  des  nördlichen  Himera  aufhört  eine  geschlossene  Kette  dar- 
zustellen und  bedeutende  Höhen  südlich  entsendet  Der  so  gebildete 
natürUche  Einschnitt  hat  in  der  älteren  Geschichte  des  öfteren  als 
politische  Grenze  gedient  um  die  karthagische  von  der  syrakusischen 
Hälfte  des  Landes  zu  scheiden.  Die  historische  Bedeutung,  dazu  die 
Uebereinstimmung  der  Namen  erzeugte  bei  den  Alten,  welche  den 
Flüssen  die  abenteuerUchsten  Irrfahrten  zutrauten ,  den  Glauben  dals 
beide  aus  gemeinsamer  Quelle  strömten  und  wie  Einige  hinzuftlgteOf 
wunderbarer  Weise  der  eine  mit  sülsem  der  andere  mit  salzigem 
Wasser.')  Die  Quellen  liegen  in  den  Madonie  am  M.S.Salvatore  theO- 
weise  nahe  bei  einander.  Der  südhche  Himera  hat  in  seinem  weiten 
sandigen  Bett  ziemlich  viel  Wasser,  kann  aber  an  der  Mündung  wie 
im  Oberlauf  durchschritten  werden.  Nach  starkem  Regen  schwillt  er 
hoch  an  und  unterbricht  den  Verkehr  mehrere  Tage  lang.  Der  nörd- 
liche Himera  bei  der  Stadt  gleichen  Namens  heifst  zwar  jetzt  Fiume 
Grande,  kann  sich  aber  bei  einer  Lange  von  nur  45  km  mit  dem  sfld- 

1)  Diod.  XIX  109,  5  MelaOliO;  Aber  die  Salzlager  SoHn5,19  Vitrov 
Yjlj  3   7^ 

2)  Pol.  Vn  4,  2  Uv.  XXIY  6  Mela  0  119. 

3)  Vitrav  Vni  3,  7  Mela  0  119  SoUn5, 17  Vlbias  Seqa.  giebt  Stesichom 
als  Gewährsmann  an.    Sil.  It.  XIY  234 

dividuai  se  icindit  in  ora$ 
nee  minus  oecanu  peüi  ineita  quam  petit  ortus 
Nebrodei  gemini  nutrit  divortia  fontii. 


§  1.  Sidlien.  851 

liehen  Bruder  entfernt  nicht  messen.  Letzterem  steht  auch  der  zweite 
bedeutende  Fluis  des  Sttdens  der  Halycus  (oder  Ljfcus)  Platani  weit 
nach,  der  gleichfaUs  als  Grenze  zwischen  phOnizischem  und  helle- 
nischem Gebiet  gedient  hat^  Er  erreicht  bei  einem  Gebiet  von 
1717  Dkm  31  d.  DM.  und  einem  Gehalt  von  15  Cubikmetern  in  der 
Secunde  gegen  110km  Lange:  der  westUche  Quellarm  umflielst  den 
hohen  H.  Cammarata  (S.  348),  der  Östliche  kommt  von  den  Bergen,  die 
das  obere  Thal  des  Himera  einschliefsen.  An  der  Mündung  lag  Hera- 
tka  Jfmoa.  Der  letzte  ansehnliche  Fluls  ist  der  93  km  lange  Hgpsas 
Beiice,  der  aus  der  Vereinigung  von  zwei  Quellarmen  entsteht  und 
östlich  von  Sdmus  mündet:  sein  Gebiet  umfafst  965  Dkm  17  Vs  d.  DM., 
sein  mittlerer  Abflub  9  Cubikmeter  in  der  Secunde. 

Die  glückliche  Bodenmischung  bedingt  die  aufserordentUche 
Fruchtbarkeit  des  Landes,  das  in  hellenischen  Zeiten  als  Heimat  der 
Demeter,  in  römischen  als  Kornkammer  Roms  galt.  Drei  Jahrtausende 
lang  ist  es  bestellt  worden  und  verrät  noch  immer  keine  Spur  von 
Erschöpfung.  Aeufserst  mangelhaft  bearbeitet,  ungedüngt  Uefern  die 
Weizenfelder  nicht  blos  wie  Cicero  sagt  das  zehnte  sondern  das  zwölfte 
bis  sechszehnte  ja  sogar  das  achtzehnte  Korn.^  Die  Baumzucht,  welche 
ein  Fünftel  des  Areals  gegenwärtig  einnimmt,  gewährt  den  höchsten 
Ertrag  welchen  die  Bodennutzung  in  Europa  überhaupt  zu  erzielen 
vermag.  Die  Abhänge  des  Aetna  ernähren  mehr  als  300000  Menschen 
und  hier  kommt  die  erstaunliche  Dichtigkeit  einer  ackerbauenden  Be- 
völkerung von  550  Seelen  auf  den  Quadratkilometer,  über  30  000  auf 
die  deutsche  Quadratmeile  vor.  Der  Reichtum  des  gesegneten  Landes 
hat  auf  die  Culturvölker  eine  ähnliche  Anziehung  geübt  wie  die  Po- 
ebene  auf  die  Barbaren  des  Nordens.  Aber  dieser  ungleich  entbehrte 
es  der  natürlichen  Einheit.  Die  verschiedenen  Seiten  des  Dreiecks 
weisen  nach  verschiedenen  Himmelsgegenden ,  nach  Italien  Griechen- 
land und  Africa.  Wol  haben  die  Eingebornen  der  Fremden  sich  zu 
erwehren  gesucht,  unter  Führung  des  Duketios  (461—439  v.  Chr.) 
einen  langwierigen  erbitterten  Kampf  für  ihre  Freiheit  unternommen. 

1)  In  den  FriedensschlfliBsen  von  383  Diod.  XV  17,  5  nnd  338  Plut  Tim. 
34, 1  Diod.  XVI  82,  3  Oeber  den  AnUot  Mflller  fr.  hist.  Gr.  D  221  Holm  Gesch. 
Sic.I3i2. 

2)  Nach  Hohn,  Bunians  Jahresbericht  fflr  1880/81,  p.  164:  Cicero  Veir.  IH 
112  habe  als  Anwalt  der  Sicilier  den  Ertrag  unterschätzt  Dagegen  beziffert 
die  amtliche  Statistik  denselben  fflr  die  Provinz  Gatania  nnr  auf  14,  fflr  die 
ganze  faisel  1 1—12  Hektoliter  per  Hektar  nach  einem  fflnQahrigen  Mittel;  vgl. 
Kap.  X  4. 


852  Kap.  ym.  Die  Inseln. 

Allein  was  in  ItalieD  gelang,  schlag  auf  der  Insel  fehl.  Das  Innere 
ward  durch  die  KOste  bemeistert,  von  Aufsen  her  bat  Sicilien  das  Ge* 
prflge  seiner  Nationalität  erhalten  and  solche  in  Folge  dessen  im  Lauf 
der  Geschichte  so  oft  umgeUuscht  wie  kein  einziges  Land  Europa's. 
Im  Altertam  ward  es  zuerst  völlig  bellenisirt,  seit  Beginn  unserer  Zeit- 
rechnung latinisirt.  Auf  die  byzantinische  folgt  die  glanzToHe  araimcbe 
Periode,  bis  die  Normannenherrschaft  den  An^hlufa  an  Sprache  und 
Sitte  des  benachbarten  Festlandes  einleitet  Von  all  den  Volkern  die 
hier  sefshaft  geworden,  haben  Griechen  und  Semiten  am  uachhaltigsteB 
um  den  Besitz  der  köstlichen  Insel  gerungen,  ihr  Andenken  durch  die 
hervorragendsten  Denkmttler  verewigt  Der  Wettstreit  beider  erfüllt 
das  achte  bis  dritte  Jahrhundert  vor,  das  siebente  bis  zehnte  Jahrhun- 
dert nach  unserer  Zeitrechnung.  Der  nationale  und  politische  Gegen- 
satz erhalt  in  den  natttriichen  Verhaltnissen  seinen  Ausdruck.  Die 
Ostseite  ist  ohne  Frage  als  die  am  meisten  begünstigte  anzusehen.  Sie 
enthalt  die  grofste  und  fruchtbarste  Ebene,  das  ausgedehnteste  Flu&- 
system,  besitzt  vortreffliche  Häfen,  beherrscht  den  Sund  der  das  tT^ 
rhenische  mit  dem  Hauptbecken  des  Hittelmeeres  verbindet,  wird 
durch  die  Südhalfte  von  Bruttium,  die  ganz  unter  seinem  Einflufs  steht, 
erweitert.  Das  |  schmale  Littoral  des  Nordens  erscheint  dem  Osten 
gegenüber  als  Rückseite  des  Landes  und  einer  selbständigen  Entwid- 
lung  unßlhig.  Der  Süden  wetteifert  allerdings  mit  seinen  langen  Flu6- 
laufen ,  wird  aber  durch  den  Hangel  an  Hafen  in  einen  nicht  ausiu- 
gleichenden  Nachtheil  gesetzt  Dagegen  tritt  die  Westspitze  gegen  die 
Ansprüche  des  Ostens  in  die  Schranken.  Sie  steht  ihm  ja  an  Aas- 
dehnung  weit  nadi,  aber  besafs 'ehedem  vortreffliche  Hafen  und  lag  an 
der  alten  Weltstrafse ,  die  vom  silberreichen  Iberien  nach  den  Gultnr- 
staaten  des  Orients  ftlhrte.  Die  Bedeutung  des  Westens  vrar  durch 
die  Nahe  Africa's  bestimmt ;  denn  der  firemde  Welttheil  ist  demselben 
viermal  so  nahe  gerückt  wie  der  Peloponnes,  der  Weg  von  Syrakns 
nach  Athen  betragt  das  sechsfache  des  Weges  von  Liiybaeum  nadi 
Karthago.  Die  raumliche  Entfernung  bewirkte  dafe  die  Hellenen  ohne 
Unterstützung  des  Mutterlandes  die  Angriffe  der  phOniziscben  Grob- 
macbt  abzuwehren  hatten,  wahrend  diese  in  den  unbeiwangenen  See- 
festungen Hotye — Liiybaeum  Drepana  Panormus  Ausfallthore  gegen 
Sicilien  zu  steter  Verftlgung  bereit  hatte.  Die  drohende  Gefahr  nötigte 
die  hellenischen  Freistadte  mit  innerem  Widerstreben  die  Hegemonie 
von  Syrakus  anzuerkennen.  In  den  denkwürdigen  Kriegen  des  fünfteo 
und  vierten  Jahrhunderts  schwankt  das  Zünglein  hin  und  her ,  aber 


§  2.    Sardinien.  853 

Karthago  schiebt  die  Grenze  seiner  Provinz  unaufhaltsam  vor:  480 
unter  Gelon  wird  solche  ungefähr  durch  den  Lauf  des  Beiice,  hundert 
Jahr  spater  unter  Dionys  bald  durch  Platani  bald  durch  den  Himera 
bezeichnet  Bereits  345  v.  Chr.  betrachtet  sich  Karthago  als  Herrin 
von  ganz  Sicilien^  und  verleiht  in  dem  306  mit  Rom  abgeschlossenen 
Bündnifs  solchen  Ansprüchen  einen  feierlichen  Ausdruck  (S.  66).  Vor 
dem  Lose  karthagisch  zu  werden  hat  freilich  das  Schwert  des  Königs 
Pyrrhos  und  die  Volkskraft  Italiens  die  schöne  Insel  bewahrt,  aber 
dafür  ward  ihr  das  kaum  minder  harte  Schicksal  auferlegt  als  cella 
penaria  rti  fMicae^  nutrix  pkbü  Romanae  zu  dienen.^)  Und  obgleich 
die  Monarchie  die  entsetzlichen  Wunden,  welche  die  Miswirtschafl 
der  Republik  geschlagen,  zu  heilen  unternahm,  hat  auch  sie  nicht 
daran  gedacht  die  Abhängigkeit  der  Provinz  aufzuheben ,  die  bürger- 
liche Gleichheit  mit  dem  Festland  einzuführen. 

§2.   Sardinien.)) 

Ihren  reichen  natürlichen  Anlagen  zum  Trotz  hat  Sicilia  unter 
den  italischen  Landschaften  lange  Zeit  nur  den  Rang  eines  Stiefkindes 
behauptet.  Und  doch  ist  sie  glücklich  zu  preisen,  wenn  man  ihre 
Geschichte  mit  dem  Verhängnifs  vergleicht,  das  über  der  grofsen 
Schwesterinsel  lastet.  Verhöhnt  verachtet  gemifshandelt  mitFüfsen 
getreten  erscheint  letztere  als  Helotenkind  unter  den  Töchtern  Italia's. 
Altertümlich,  in  seiner  Entwicklung  verkümmert,  um  Jahrhunderte  im 
Rückstand,  ragt  das  menschenleere  Land  der  Sarden  fremdartig  in  die 
Gegenwart  hinein  und  findet  nirgend  seines  Gleichen.  Die  Betrach- 
tung seiner  Lage  und  Natur,  seiner  geologischen  Vergangenheit  trägt 
dazu  bei  die  Rätsel  seiner  Geschichte  zu  lösen.  Die  zweitgröfste  Insel 
des  Mittelmeeres  liegt  zwischen  25  ^  48'  und  27®  30'  ö.  L.,  ziyischen 
38®  52'  und  41®  16'  n.  Br.,  bedeckt  mit  den  benachbarten  Eilanden 
nach  La  Marmora  einen  Flächenraum  von  23920  Dkm  434  d.  DM., 
wahrend  officiell  24250  Dkm  440  d.  DM.  angenommen  wird.  Helle- 


i)  Fiat  Tim.  9. 

2)  de.  Yen.  fl  5  als  Ausspruch  des  alten  Gato. 

3)  Albert  de  la  Marmora,  Voyage  eu  Sardaig^ne  ou  description  statistiquc 
physique  et  politique  de  cette  tle,  Paris  et  Turin  1839—57,  3.  Abth.  in  4  Bdn. 
mit  Atlas,  dazu  itiniraire  de  llie  de  Sardaigne,  2  Bde.  Turin  1860.  Das  Itinerar 
ist  fibersetzt  von  Giov.  Spano,  Gagliari  1868;  dazu  emendamenti  ed  agginntc 
Ton  dems.  Gagliari  1874.  Ueber  La  Marmora's  Reisen  und  Forschungen  vgl.  cenni 
biografici  del  conte  A.  d.  M.  von  dems.  Gagliari  1864. 

Nitsen.  Ital.  Landesknnde.  I.  23 


854  Kap.  VllL  Die  Inseln. 

nische  Geographen  haben  ihre  Gestalt  mit  einer  Sohle  oder  einer  Fufs- 
spur  verglichen.  1)    Die  gröfste  Länge  mifst  268  km,  die  gröfste  Breite 
144  km,  die  kleinste  Breite  109  km.    Der  Umfang  wird  792  km  107 
d.  H.  gerechnet ,  so  dals  das  Verhältnifs  von  Küste  und  Flächeninhalt 
sich  1 :  4  stellt,  noch  günstiger  als  für  Sicilien  (S.  346).    Dagegen  ist 
es  weit  mehr  isolirt  als  dieses,  den  Sitzen  der  alten  Cultur  recht  fern 
gerückt:    der  Abstand  von  Italien  beträgt  ca  225  km,  von  Sicilien 
290  km,  von  Africa  190  km.    Entscheidend  war  die  Bildung  seiner 
Küsten.   Die  dem  Festland  zugewandte  Seite  (S.  98)  besitzt  nur  einen 
einzigen  Hafen,  den  von  Olbia  Terranova,  der  zwar  ausgezeichneten 
Schutz  bietet  aber  an  der  NO  Ecke  gelegen ,  auf  die  fruchtbare  Niede- 
rung im  SW  keinen  Einflufs  ausüben  konnte.    Diese  erstreckt  sich 
bei  einer  mittleren  Breite  von  ca  16  km  auf  100  km  Länge  vom  Golf 
von  Caraiit  Cagliari  bis  zum  Golf  von  Tharrus  Oristano :  in  ihr  ruht 
der  Schweipunct  des  ganzen  Landes.    Der  Golf  von  Cagliari  enthält 
eine  treffliche  Rhede  und  es  war  von  Bedeutung  dafs  er  auf  den  nächst- 
gelegenen Continent  auf  Africa  Offnet    In  dessen  Bann  ist  das  ganze 
Land  bis  auf  die  Herrschaft  Roms  geblieben.  Wol  ist  am  Ausgang  des 
sechsten  Jahrhunderts  v.  Chr.  unter  den  Joniern  mehrfach  davon  die 
Rede  gewesen  dem  persischen  Joch  sich  durch  Auswanderung  nach 
Sardinien  zu  entziehen,  aber  Karthago  kam  ihnen  zuvor  und  hielt  mit 
eiserner  Strenge  die  Fremden  fern.^)    Die  Thatsache  dafs  griechische 
Münzfunde  hier  überhaupt  nicht  vorkommen  3),  erläutert  das  Fehlen 
des  Verkehrs  und  damit  auch  des  civilisatorischen  Einflusses,  durch 
den  dies  Volk  es  allen  übrigen  zuvortbat.  Die  lange  Abhängigkeit  von 
den  Phoeniziem  hat  Caralis  zur  Hauptstadt  gemacht,  ohne  dafs  die 
ganze  Nordhälfte  bis  auf  den  heutigen  Tag  diesen  Anspruch  anerkannt 
hätte. '  In  der  That  wäre  der  Golf  von  Tharrus  oder  Oristano  weit  eher 
berechtigt  gewesen  den  Vorrang  einzunehmen,  wenn  dem  Lande  hätte 
beschieden  sein  können  ungestört  seine  eigenen  Bahnen  zu  wandeb. 
Derselbe  ist  der  räumlichen  Mitte  ziemlich  angenähert,  in  ihn  mündet 
der  Hauptstrom  aus.  Als  Sardinien  im  Mittelalter  sich  einer  gewissen 
Unabhängigkeit  erfreute,  stand  denn  auch  hier  der  glanzvollste  und 
mächtigste  Fürstensitz,  der  Sitz  der  Richter  von  Arborea.    Bekannt- 
lich hat  Aragonien  seit  1297  die  Lehnshoheit  ausgeübt  und  ist  das 

1)  Plin.  ni  85  de  mir.  ausc  100.  Pausan.  X  17  1. 

2)  Her.  I  170  V  106.  124  VI  2  Justin  XVül  7,  1  XIX  1,  3  Strab.  XVII 802. 

3)  La  Marmora  hat  auf  seinen  zwanzigjährigen  Reisen  nie  eine  griechische 
Münze  zu  Gesieht  bekoounen  (auch  nicht  auf  den  Balearen)  I  p.  8  A. 


{  2.   Sardinien.  365 

BausSavoyen  erst  1720  an  die  Stelle  spanischer  Vicekönige  getre- 
ten.  Mit  ganz  anderem  Recht  liefs  sich  diese  spanische  Herrschaft 
Aber  Sardinien  begründen  als  die  über  Sicilien  und  verschiedene  Theile 
des  Festlands  von  derselben  Macht  geübte.    Denn  zwar  wächst  die 
EntfernuDg  Spaniens  von  der  Insel  ungefähr  auf  das  Doppelte  der 
EotfemuDg  Italiens;  aber  dafür  ist  die  Insel  diesem  ab-  und  jenem 
zugewandt    Die  westliche  ist  in  jeder  Hinsicht  die  bevorzugte  Stirn- 
seite. Im  Gegensatz  zum  hafenlosen  Osten  besitzt  sie  ein  entwickeltes 
Gestade,  grofse  gut  vertheilte  Buchten  wie  den  Golf  von  Sulds  Palmas, 
Thama  Oristano,  Carhia  Alghero  und  Porto  Conte,  die  allen  Anforde- 
rungen des  Verkehrs  entsprechen.    Die  Nordseite  steht  wiederum 
zurück:  der  Hafen  von  Turrii  Lßyssonis  Porto  Torres  am  Golf  dell' 
Asioara  erinnert  freilich  in  seiner  Anordnung  an  den  von  Cagliari, 
kommt  ihm  indefs  von  weitem  nicht  gleich. 

Sardinien  ist  zu  neun  Zehnteln  gebirgig.  Der  Abstand  von  Corsica 
beträgt  1 2  km,  das  Lot  sinkt  an  tiefster  Stelle  nur  90  m,  die  zahlreichen 
Inseln  und  Klippen  deuten  den  ehemaligen  Zusammenhang  an.   Der 
geognostische  Bau  (tertiärer  Kalk  und  Granit)  diesseit  und  jenseit  des 
Sundes  stimmt  in  ähnlicher  Weise  überein,  wie  es  bezüglich  des  bret- 
tischen und  peloritanischen  Gebirges  der  Fall  ist.    Der  Durchbruch 
gehört  gleichfalls  einer  verhältnifismäfsig  jungen  Epoche  an  und  ist 
eine  jener  grofsen  Veränderungen ,  die  das  Land  nach  und  nach  er- 
faljren  hat.  La  Marmora  hat  bei  Cagliari  eine  Schicht  von  Seemuscheln, 
untermischt  mit  rohen  Topfscherben ,  in  der  Höhe  von  74  m  aufge- 
funden und  daraus  den  Schlufs  gezogen  dafs  das  Land  um  diesen  Be- 
trag gehoben  sei,  seitdem  es  von  Menschen  bewohnt  wurde.  ^  Wirklich 
haben  die  hebenden  Kräfte  die  Sandalengestalt  sehr  spät  geformt, 
indem  sie  eine  Anzahl  durch  schmale  Sunde  getrennter  Inseln  mit 
einander  vereinigten.    Das  Campidano  die  Ebene  von  Cagliari  und 
Oristano,  welche  in  der  Quaternärzeit  aus  den  Fluten  auftauchte, 
scheidet  vollständig  den  Südwesten  von  dem  Gesammtkörper  ab,  wie 
dies  ein  schmaler  Meeresarm  mit  den  Inseln  S.  Antioco  und  S.  Pietro 
noch  jetzt  thut  Aehnlich  ist  es  mit  der  Nordwestspitze  und  dem  ganzen 
Norden  gegangen ,  wobei  auch  die  vulkanische  Thätigkeit  bedeutsam 
eingegriffen  hat.    Trachyte  und  Basalte  finden  sich  namentlich  im 
Westen ;  z.  B.  bestehen  die  vorhin  erwähnten  Inseln  S.  Antioco  und 
S.  Pietro  fast  ganz  aus  Trachyt.  Dies  sind  alte  Bildungen.  Die  jüngeren 


t)  m  1,  375  2,  64. 

23* 


866  Kap.  Vlil.   Die  bielD. 

Vulkane  dagegen  haben  ihre  Thfltigkeit,  die  jetzt,  von  Mineralquellen 
abgesehen,  ganz  erloschen  ist,  nach  der  Tertiflrperiode  begonnen,  aber 
vor  dem  Auftreten  des  Menschen  beschlossen:  La  Bbnnora  vergleicht 
sie  denjenigen  der  Auvergne.  Sie  liegen  vorwiegend  am  Westrand 
der  Richtung  des  Meridians  folgend.  Erwähnung  verdienen  der  Arci 
oder  Trebina  Lada  838  m  SO  von  Oristano,  der  grobe  an  das  Albaner 
Gebirg  erinnernde  M.  Perm  1049  m,  in  dessen  Krater  das  Dorf  S.  Lu»- 
surgiu  gebaut  ist,  nicht  weit  von  Carmu.  Eine  ganze  Reihe  kleinerer 
schliefst  sich  bis  in  die  NShe  von  Sassari,  wo  das  Massiv  der  Nordspitze 
beginnt,  an.  Von  dieser  Hauptaxe  abseits  treten  Vulkane  vereinzelt 
im  Osten  bei  Orosei  auf.  Die  Tertiärbildung  ist  in  Sardinien  sehr  ver- 
breitet und  steigt  ausnahmsweise  bis  470  m  auf,  überschreitet  indefe 
im  Mittel  nicht  die  Meereshohe  von  200  m.  Daneben  verschvrindet  die 
Appenninformation ,  welche  Bau  und  Charakter  Italiens,  in  minderem 
Grade  auch  Siciliens  bedingt  Urgesteine  herrschen  durchaus  vor: 
Granit  Gneifs  Thonschiefer  Porphyr  Silur.  Dieselben  bergen  bedeu- 
tende Hetallschätze  namentlich  im  Südwesten,  der  schon  von  den  Alten 
als  der  eigentliche  Bergwerksdistrict  betrachtet  wurdet):  Blei  Zink 
Eisen  Silber  Kupfer.  Das  sardische  Gebirge  bildet  nirgends  fortlaufende 
Ketten.  Man  kann  auch  in  diesem  Chaos  kein  anderes  Princip  der  An- 
ordnung erkennen  als  dals  allgemeine  Richtungslinien  eingehalten  wer- 
den, die  in  den  verschiedenen  Hauptmassen  wechseln.  Die  Nordspitie. 
das  Bergland  von  Gallura»  die  Heimat  der  Coni  streicht  von  NO  Dtdi 
SW :  Intani  mantet  heifsen  sie  den  Alten.  ^  Die  höchste  Erhebung  findet 
sich  im  Rücken  Limbara,  wo  der  Gigantinu  1310  m,  der  Balestreri 
1320  m  aufsteigen.  Dieselben  erscheinen  viel  hoher  als  sie  wirkfick 
sind,  wegen  ihres  schroffen  Abfalls  nach  der  Querspalte,  welche  deD 
Golf  von  Otbia  Terranova  mit  dem  Westen  in  Verbindung  setxt.  Die 
Spalte  wird  an  der  gegenüber  liegenden  Seite  von  einem  bis  ]092ib 
ansteigenden  Parallelzug  eingefa&t.  Aber  das  Hauptgebii^  ändeH 
seine  Richtung,  indem  es  bis  zur  Südspitze  Cap  Carbonara  dem  Meri- 
dian folgt  Unter  40^  n.  Br.  in  der  Mitte  der  Insel  liegt  der  mächtip 
Stock  des  M.  Gennargentu,  dessen  nördlicher  Gipfel  Bruncu  de  Spio^ 
1918  m  dessen  südKcher  1865  m  mibt:  sie  sind  von  Ende  September 
bis  Ende  Mai  mit  Schnee  bedeckt  Von  dieser  Gruppe  abgesebeo. 
überschreiten  die  übrigen  Gipfel  selten  die  Hohe  von  1200  m.   Somit 

1)  It  AnL  84  giebt  an  eine  Station  Metaüa  Antas  M.  von  Igleaai,  PtoL  Ol 
3,  8  nennt  die  Insel  S.  Antioeo  MoUßio^  vgL  Solin  4,  3  RntU.  I  354. 

2)  Uv.  XXX  39  Flor.  I  22,  35  PtoL  Ol  3,  7  Glandian  XV  (beU.  GUd.)  511  /^ 


{  2.   Sardinien.  S67 

nDtencheidet  sich  das  sardische  Gebirge;Ton  dem  corsischen,  als  dessen 
Fortsetzang  es  betrachtet  werden  mub,  in  zwiefacher  Hinsicht:  erstena 
durch  seine  geringere  Erhebung,  zweitens  durch  seine  veränderte  Ab- 
dachung, die  hier  nach  West  dort  nach  Ost  gerichtet  ist«  Im  Unter- 
schied vom  Norden  und  vom  Hauptgebirge  streicht  der  metaUreiche 
Sodwesten  rechtwinkhg  zum  erstgenannten  d.  h.  von  NW  nach  SO ; 
die  höchste  Erhebung  dieses  Districts  betrügt  1243  m. 

Die  Flüsse  stehen  denjenigen  Siciliens  an  Bedeutung  nach.  Der 
grOfete  ist  der  Tgmu^)  Tirso,  der  bei  einer  Länge  von  150  km,  einem 
Gebiet  von  3100  Dkm  und  einem  mittleren  Abflurs  von  20  Cubikmeter 
in  der  Secunde  auch  während  der  Dtlrre  Wasser  hat.    Der  Lauf  ist 
nach  SSW  gerichtet,  biegt  in  der  Nähe  von  Fcrum  Trmani  Fordun- 
gianus  nach  W  um  und  theilt  auf  dieser  letzten  Strecke  die  Insel  in 
zwei  gleiche  Hälften:  der  Mündung  in  den  Golf  von  Oristano  ward 
oben  S.  354  gedacht    An  Ungestüm  wird  er  Obertroffen  durch  den 
Sa^ffut  Flumendosa.    Am  Gennargentu  entspringend  flielst  derselbe 
nach  S,  dann  nach  SO  um  nach  einem  Lauf  von  122  km  in  das  tyr» 
rhenische  Heer  zu  münden.    Sein  Gebiet  mifst  1777  Dkm,  sein  mitt- 
lerer Abflufs  15  Cubikmeter  in  der  Secunde.  An  der  Nordseite  mündet 
in  den  Golf  dell'Asinara  der  105  km  lange  Coghinas  (Gebiet  2447Dkm, 
mittlerer  Abflufs  15  Cubikmeter).  Endlich  wird  noch  der  kleine  Temus 
Temo  (40  km)  bei  Bosa  erwähnt,  weil  die  Mündung  schiffbar  ist.  An 
den  Bardischen  Flüssen  insgesammt  ist  die  Beobachtung  gemacht 
worden ,  dafe  in  der  Neuzeit  der  mittlere  Wasserstand  ab-  und  die 
Ueberschwemmungen  zugenommen  haben.  Die  Ausrodung  des  Waldes 
hat  derart  dazu  beigetragen  das  an  sich  schon  bedenkUche  Klima  be- 
deutend zu  verschlechtern.    Sardinien  galt  den  Römern  für  ebenso 
angesund  als  fruchtbar.^)    Die  Ursache  der  bOsen  Luft  suchten  sie 
begreiflicher  Weise  in  den  vielen  stagnirenden  Gewässern.  Küstenseen 
kommen  namentlich  im  Inneren  der  Golfe  in  grofser  Zahl  und  Aus- 
dehnung vor.    Sie  stehen  theils  durch  Oeffnungen  mit  dem  Meer  in 
Verbindung;  theils  werden  sie  durch  einsickerndes  Meerwasser  ge- 
speist.   Aufserdem  aber  finden  sich  in  weiter  Entfernung  vom  Meer 


1)  iL  Ani  81  Ptol.  m  3,  2  Paus.  X  17,  6. 

2)  Mela  n  123  ferliUt  9t  soH  quam  eaeli  meUoris  atque  ui  feetmda  ita 
paene  pettileru,  Cicero  schreibt  56  v.  Chr.  aa  Quintus  U  3, 7  cura  mi  frater  ut 
valeas  et  quamquam  est  hiempe,  tarnen  Sardiniam  istam  esse  eogites  Strab. 
V225Tac.  Ann.  11  85  Sil.  It.  XD  371  Mart  IV  60  Pana.  X  17,  11  Glaadian  bell. 
Gild.  514. 


358  Kap.  VnL   Die  Intelo. 

und  bis  zu  einer  Meereshöhe  von  76  m  SalzsQmpfe,  die  im  Sommer 
austrocknen  den  Boden  mit  einer  weifsen  Krystalldecke  einhüllend,  in 
der  Regenzeit  sich  wieder  füllen.  Wir  haben  in  ihnen  abgeschnittene 
Theile  der  zurückweichenden  Sunde  zu  erkennen:  die  Salinität  erin- 
nert an  diesen  ihren  Ursprung.  Nun  aber  lehrt  die  Erfahrung,  dafs 
gerade  die  Ausdünstung  stagnirender  salziger  und  brakischer  Gewässer 
mit  den  in  ihnen  faulenden  Algen  die  geßdirlichsten  Fieberkeime  er- 
zeugt: die  Toscaner  in  der  Maremma  richten  ihr  erstes  AugenmerJL 
darauf  die  Vermischung  von  Heer-  und  Süfswasser  zu  hindern.  Aus 
den  Lagunen  und  Morästen  steigen  Nebel  auf,  so  dicht  dals  man  nicht 
weiter  blicken  kann  als  die  Hand  reicht,  und  zwar  nicht  blos  in  der 
Regenzeit  sondern  auch  mitten  im  Sommer.  Treffen  sie  häufiger  in 
derjenigen  Periode  ein,  wo  das  Korn  ansetzt,  so  ist  die  Ernte  dahin. 
Der  heilsame  Nordwind ,  der  die  bOsen  Dünste  verscheuchen  könnte, 
wird  in  seinem  I^auf  durch  die  hohen  Gebirge  gehemmt.  Die  Meinung 
welche  im  Rücken  der  Limbara  den  verderblichen  Windbrecher  sucht, 
wird  schon  von  Claudian  a.  a.  0.  ausgesprochen : 

humanae  in  speciem  plantae  $e  magna  figurat 
insuia,  Sardoam  veteres  dixer9  eoUmi, 
divei  ager  fl*ugum,  Poenoi  Italotte  petenU 
opportuna  Hiu.  quae  pars  vieiniar  Afris^ 
plana  solo  ratibus  clemens;  quae  respieit  Areton^ 
immitis  seopulosa  proeax  subitisqus  sonora 
flueUbus:  Insanos  infamat  navita  mwiUs, 
hinc  hominum  peeudumque  luss^  hinc  pesÜfer  aer 
saevii  ei  exclusis  regnant  aquilonibus  austri. 

Andere  dachten  an  Corsica  (Pausanias  a.  0.).  Wie  dem  auch  sei, 
ob  der  dreifache  Gebirgswall  (Appennin  Corsica  Sardinien)  den  Pohr- 
strom  bricht  oder  die  Aspiration  der  Sahara  ihn  ablenkt,  jedenfalb  weht 
er  im  Süden  selten.  Der  Seewind  treibt  die  Miasmen  über  die  baum- 
losen Ebenen ,  die  versumpften  Flufsthäler  hinauf  tief  in  das  Land. 
Die  Intemperie  —  so  heifst  hier  die  böse  Luft  —  steigt  zu  einer  in 
Italien  unerhörten  Höhe,  beherrscht  Ebenen  und  Küsten,  mindestens 
ein  Viertel  des  gesammten  Areals  und  zwar  vorwiegend  die  fruchtbare 
Culturzone.  In  dem  Minendistrict  des  Südwestens  ruhen  die  Werke 
von  Mitte  Juni  bis  Ende  October,  die  Gutsherren  ziehen  in  die  Städte, 
die  Fremden  aufs  Festland.  Immerhin  halten  die  Eingebomen  an 
Orten  aus,  an  denen  jeder  Eingewanderte  binnen  kurzem  unfehlbar 
erliegt.  Ihr  Hauptschutz  besteht  in  der  schweren  Wollkleidung,  welche 
die  Haut  gegen  die  Berührung  der  bösen  Luft  schirmt.  Trotz  der  som- 


{  2.    Sardinien.  359 

meriicheo  Glut  sieht  man  den  Hirten  und  Bauern  auf  dem  Felde  in 
einen  weiten  Mantel  von  Schafvliersen  gehüllt,  sobald  das  Tagesgestirn 
sich  zu  neigen  beginnt.  Es  kann  weder  bezweifelt  werden ,  dab  die 
Intemperie  seit  dem  Altertum  sich  ?erschlimmert  hat,  noch  dafs  sie  den 
Aufschwung  des  Landes  wie  ein  Bleigewicht  hindert  Eine  Fülle  ?on 
Zeugnissen,  die  sich  über  ein  ganzes  Jahrtausend  von  den  Perserkriegen 
bis  zur  Tandalischen  Eroberung  erstrecken,  redet  von  der  Ergiebigkeit 
des  Bodens,  seinem  Reichtum  an  Weizen  <):  Sicilia  und  Sardinia  sind 
amwnae  pignera  '),  bmnignütimae  urbü  noitrae  nutrices  '),  neben  Africa 
die  tria  frummtaria  subtidia  rei  publicae  ^),  mit  ihrem  Verlust  sind  die 
Lebensadern  der  ewigen  Stadt  durchschnitten.^)  Wie  hat  sich  das  alles 
geändertl  In  unseren  Tagen  kommt  es  leider  oft  genug  vor,  dafs  Hun- 
gersnot als  Folge  von  Miswachs  wütet  Ein  Bruchtheil  des  Landes  wird 
oberflächlich  bestellt:  den  Ertrag  versengen  Nebel  und  Dürre  oder 
zerstören  die  Heuschrecken.  Aber  an  all  dem  Elend  sind  nicht  die 
Naturkräfte  Schuld,  sondern  die  geschichtlich  gewordenen  Verhältnisse. 
Diese  Welt  für  sich,  als  Land  zu  klein  als  Insel  zu  grols,  mit  un- 
günstiger Lage,  mit  ungünstiger  Vertheihing  von  Ebene  und  Gebirg 
bat  eigenartige  Lebensformen  hervorgebracht  Ihre  Blüte  Mt  vor  der 
zusammenhängenden  Ueberlieferung.  Die  aegyptischen  Denkmäler  leh- 
ren uns  Seezüge  der  Sarden  und  Söldnerdienst  am  Nil  im  vierzehnten 
Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung  kennen  (S.  116).  Gegen  wältig 
giebt  es  keine  Bevölkerung  im  Umkreis  des  Mittelmeers  die  der  See 
femer  stünde  als  diese:  eine  Nachwirkung  der  UeberfitUe  der  Bar- 
baresken,  welche  die  Verödung  der  Küsten  veranlafsten.<^)  Aber  dafs 


1)  Vgl.  S.  354  A.  2  Diod.  IV  29,  6  Lit.  XXX  38  Varro  RR.  U  praef.  Hör. 
Od.  I  3t,  3  Streb.  V  224  Mela  II 123  Lucan  m  65  Appian  b.  civ.  n  40  Paus.  X 
17,  t  Symmach.  Ep.  IX  42. 

2)  Flor,  n  13,  22.  3)  Valer.  Max.  VD  6,  1.  4)  Gic  de  imperio 
(iO.  Pomp.  34.           5)  SaWian  de  gab.  dei  VI  12,  68. 

6)  Der  yerstorbene  Giovanni  Spano,  dessen  Verdienste  um  die  Altertöner 
«einer  Heimat  fiber  jedes  Lob  erhaben  sind,  hat  unter  den  3000  sardischen 
Sprichwörtern,  die  er  gesammelt  (PrOTerbj  Sardi,  Gagliarl  1871)  nnr  2  —  sage 
zwei  —  beibringen  können,  die  auf  die  See  Being  haben:  p.  233  cid  dipende 
perehi  gU  anUehi  Sardi  avversarono  sempre  il  mare,  nunando  una  vita 
paeifiea  neif  arte  pagiori%ia  9  neW  agrieoliura,  in  cui  moHo  eopioti  sono 
I  prov9rbj\  Im  Inneren  giebt  es  Lente  genug,  auch  Frauen  der  besseren  Stände, 
die  keine  Ahnung  davon  haben,  dab  sie  auf  einer  Insel  wohnen.  Diese  vor 
Jahren  gemachte  persönliche  Erfahrung  wird  auch  inzwischen  kaum  durch  den 
Fortschritt  der  Bildung  flberholt  worden  sein:  Sardinien  stellt  den  gröbten 
Procentsatz  der  Analphabeten  im  ganzen  Königreich  (88). 


360  Kap.  Vm.  Die  Inseln. 

dem  Dicht  immer  so  war,  dafs  die  Sarden  in  frühen  Jahrhunderten  am 
Culturleben  Theil  genommen  haben,  dafUr  sind  aufser  den  aegyptischea 
Inschriften  auch  andere  unzweideutige  Beweise  vortianden ,  Tor  allem 
jene  merkwürdigen  Grabmonumente,  die  Nuraghen  genannt  zu  wer- 
den pflegen.  Es  sind  aus  rohen  Feldsteinen  ohne  Bindemittel  aufge- 
schichtete Kegel  bis  zur  Hohe  von  20  m  und  einem  Durchmesser  von 
30  m,  mit  einer  oder  mehreren  zuganglichen  Kammern.  So  viele  auch 
im  Lauf  der  Zeiten  zerstört  worden  sein  mögen,  zählte  ihrer  Giovanni 
Spano  noch  immer  2000  unverletzte,  t)  Eine  dunkle  Kunde  von  diesen 
Bauten  war  zu  den  Hellenen  gelangt:  sie  schrieben  sie  lolaos  dem  an- 
geblichen Ahnherrn  der  Sarden  und  seinem  kunstfertigen  Genossen 
Daedalos  zu.')  Ein  Volk  welches  derart  seine  Todten  ehrte,  hatte  unter 
allen  Umstanden  eine  gewisse  Stufe  der  Gesittung  erreicht.  Die  Kunst 
ist  zwar  eine  rohe ,  die  Idole  welche  auf  phoenizische  Anregung  hin 
hier  gefertigt  wurden,  empören  durch  ihre  Fratzenhaftigkeit  das  Auge. 
Indessen  wolle  man  nicht  vergessen,  dafs  abgeschlossene  Inseln  durch 
Altertümlichkeit  oder,  was  dasselbe  bedeutet,  durch  Armut  gekenn- 
zeichnet sind.  Der  Fauna  fehlen  eine  ganze  Reihe  der  gewöhnlich- 
sten Typen  z.  B.  Wolf  Dachs  Marder  Maulwurf  Giftschlange  Frosch 
und  alle  Thiere  wilde  wie  zahme  sind  durchgangig  in  Sardinien  viel 
kleiner  als  auf  dem  Festland.  Die  Alten  haben  den  ersten  Umstand 
bereits  bemerkt,  umgekehrt  auch  den  Mufflon ,  der  auf  diese  und  die 
benachbarte  Insel  beschrankt  ist,  vielleicht  den  Stammvater  unserer 
Schafe  erwähnt ')  Wie  mit  der  Flora  und  Fauna  verhalt  ea  sich  mit 
den  socialen  Zustanden.  Das  Verhangnifs  des  Landes  ruhte  darin  dafs 
eine  überlegene  um  viele  Jahrhunderte  fortgeschrittene  Cultur  sich  auf 
dasselbe  warf  um  seine  Weizenfelder  und  Bergwerke  auszunutzen. 
Die  Karthager  unterwarfen  die  Ebene  im  Südwesten,  wahrend  das  Ge- 
birge seine  Unabhängigkeit  behauptete.^)  Noch  schwerer  lastete  das 
römische  Joch:  über  mehr  als  ein  Jahrhundert  erstrecken  sich  die 
Berichte  unserer  Annalen  von  den  gegen  die  Bergbewohner  geführten 
Kriegen ,  wenn  man  mit  solchem  Namen  die  Jagden  bezeichnen  darf, 
welche  die  Statthalter  mit  Spürhunden  veranstalteten  um  Sklaven  Air 


1)  Memoria  sopra  1  nuraghi  di  Sardegoa  3.  ed.  GagHari  f867  nnd  in  an- 
deren Schriften.  Pais,  la  Sardegna  prima  del  dominio  romano,  Roma  1881 
(Abh.  d.  ace.  dei  Lincei  GGLXXVIII). 

2)  De  mir.  ansc.  100  Biod.  IV  30,  1. 

3)  Strab.  V  225  Paus.  X.  17, 12  Plin.  Vm  199  Aelian  hist.  anim.  XVI 34. 

4)  Diod.  V  15,  5. 


§  2.    Sardinien.  361 

den  römischen  Markt  zu  erbeuten,  i)  Der  Vater  der  Gracchen  rühmte 
sich  in  seinem  Consulat  177  v.  Chr.  ihrer  80000  erschhgen  und  ge- 
fangen zu  haben ;  doch  die  eingebrachte  Waare  fand  wenig  Liebhaber 
wegen  der  unbezähmbaren  Freiheitsliebe  der  Gefesselten:  Sarai venäles 
aliuM  aHo  nequiar  spottwolfeil  wie  ein  Sarde  ward  römisches  Sprich- 
wort >)  Es  giebt  kaum  ein  Volk  im  Gesichtskreis  Italiens,  von  dem 
die  Alten  in  solchen  Ausdrücken  der  Geringschätzung  reden.')  Wer 
Dicht  blindlings  auf  das  Evangelium  jener  Cultnrapostel  schwört, 
welche  in  dem  Gebrauch  von  Seife  und  weifser  Wäsche  das  einzige 
Heil  der  Menschheit  erblicken,  wird  nicht  ohne  Bewegung  das  Schick- 
sal der  Sarden  verfolgen.  Ein  Zug  tiefer  Schwermut  hat  sich  dem 
Nationalcharakter  unauslöschlich  eingeprägt.  Zwischen  dem  Ackerbau 
treibenden  unterworfenen  Theil  und  dem  auf  Viehzucht  beschränkten 
Gebirg  hatte  sich  unter  der  Fremdherrschaft  derselbe  natürliche  Gegen- 
satz entwickelt  den  wir  wiederholt  zu  betrachten  hatten.  Er  äufserte 
äch  in  der  Tracht:  die  Gebirgler  heifsen  peüiti  oder  masirueali,  weil 
sie  die  aus  Mufflonfellen  verfertigte  ma$truea  trugen.^)  Ihre  Unter- 
werfung ist  überaus  langsam  von  statten  gegangen.  Das  Innere  bot 
ZQ  wenig  was  die  Habsucht  reizen  konnte:  bitterer  Honig  wird  als  ein- 
ziger Ausfuhrartikel  namhaft  gemacht.^)  Die  Römer  begnügten  sich 
schliefslich  damit  dafs  die  Sarden  Ruhe  hielten  und  die  Ackerbau- 
districte  mit  ihren  Einfällen  verschonten.^  Noch  im  ersten  Jahrhun- 
dert unserer  Zeitrechnung  sprachen  Berggemeinden  den  Befehlen  der 
Statthalter  nngescheut  Hohn.'')  Aber  aUmälich  hat  die  Zeit  auch  hier 
ihre  Wirkung  geübt,  die  Sarden  wurden  latinisirt  und  haben  den 
Sprachschatz  ihrer  Bedrücker  unter  allen  Völkern  am  Reinsten  bis  auf 
den  heutigen  Tag  bewahrt. 


1)  Zonar.  VUI  18  Liv.  XXm  32. 

2)  Liv.  XL!  26  Fest.  322  M.  Anrel.  Vict  57  Gic  ad  Farn.  VU  24,  2. 

3)  Eine  Blutenlese  bei  Cicero  pro  Scauro,  vgL  die  Erklärer  in  Hör.  Sat  1 3, 3. 

4)  MlUi  liv.  XXni  40;  moitrueaU  Gic  de  prov.  cons.  15;  masiruea  Gic. 
pro  Scauro  45  Amob.  II  23.  Definirt  von  Isidor  Or.  XIX  23,  als  Schimpfwort 
Piant  Poen.  1171 ;  vgl.  Strab.  V  225.  Man  hat  die  heutige  Nationaltracht,  die 
coUettu  ein  Lederwams,  mit  der  mastruca  identifidren  woUen:  gewifs  mit 
Unrecht 

5)  Hör.  ars  poet  375  Galen  XH  71  Kflhn. 

6)  Gic  de  prov.  cods.  15  Diod«  V  15,  5  Varro  RR.  1 16  Strab.  Y  225  Tac. 
Ann.  n  85  Dio  LV  28. 

7)  Dies  geht  anschaulich  ans  dem  Hermes  II 102  fg.  veröffentlichten  Beeret 
hervor. 


362  Kap.  Yin.  Die  InseliL 

§  3.  Corsica.O 

Dag  Land  der  Corsen  nimmt  nach  Sicilien  Sardinien  und  Cypeni 
den  vierten  Platz  unter  den  Inseln  des  Mittelmeeres  ein.  Es  liegt  zwi- 
schen 26n2'  und  27013'  ö.  L  41021'  und  43n'  n.  Br.,  bedeckt  eine 
Fläche  von  8747  Dkm  159  d.  DH.  Sieht  man  von  dem  nördlich  an- 
gefügten Zipfel  des  fromutUurium  Sacrum  Capo  Corso  ab,  so  erinnert 
die  Gestalt  an  eine  Ellipse.  Die  grOfste  Länge  mifst  183  km,  die  grofste 
Breite  84  km,  der  Umfang  480 — 490  km.  Und  zwar  kommen  nur  150 
bis  155  km  auf  die  ganzrandige  Ostkttste,  also  mehr  als  das  Doppelte 
auf  den  belebteren  Westen.  Die  Entfernung  von  Etrurien  beträgt 
85  km,  von  Gallien  180  km,  von  Spanien  450  km,  von  Africa  460  km, 
von  Sardinien  12  km.  Die  Römer  betrachteten  Corsica  als  ein  blobes 
Anhängsel  ihrer  pravincia  Sardinia.  Wirklich  waren  die  beiden  In- 
seln einstmals  mit  einander  verbunden,  Richtung  und  Beschaffenheit 
der  Gebirge  stimmt  in  beiden  überein,  die  fttr  Sardinien  eigentümliche 
Armut  und  Kleinheit  der  Fauna  wiederholt  sich  in  Corsica.^  Anderer- 
seits bestehen  bedeutende  Unterschiede.  Der  nördUchen  Schwester 
fehlen  die  grofsen  Ebenen,  die  erloschenen  Vulkane,  die  unterirdischen 
Hetallschätze.  Dafür  erheben  sich  ihre  Berge  bis  hart  an  die  Schnee- 
grenze und  halten  die  Vegetation  auch  während  der  sommerlichen 
Dürre  frisch.  Der  unaufhörliche  Wechsel  der  auf-  und  abwärts  wehen- 
den Luftströmungen  verleiht  den  Pflanzen  eine  erstaunliche  Triebkraft: 
man  braucht  nur,  meldete  ein  französischer  Ingenieur  im  vorigen  Jahr- 
hundert, einen  Stock  in  den  Boden  zu  stecken,  so  schlägt  er  alsbald 
Wurzel.  Die  düstere  Eintönigkeit  Sardiniens  wird  durch  eine  Land- 
schaft voller  Farben  und  Formen  abgelöst,  durch  eine  Landschaft  von 
entzückender  Schönheit  Napoleon  auf  St  Helena  hat  nicht  zu  viel 
gesagt,  wenn  er  behauptete  mit  geschlossenen  Augen  an  ihrem  Duft 
die  Heimat  wieder  erkennen  zu  können.  Wol  erscheint  sie  mit  ge- 
ringeren Gaben  ausgerüstet,  verglichen  mit  der  SchwesterinseL  Aber 
die  Nähe  Italiens,  mit  dem  sie  einst  zusammenhing  (S.  99),  der  Einfluls 
des  Nordens  haben  die  Thatkraft  der  Bewohner  gestählt.  Mit  ganz  an- 
derem Geschick  und  Erfolg  haben  die  Corsen  den  Kampf  gegen  ein 
widriges  Schicksal  bestanden,  als  ihre  Nachbarn;  die  Augen  Europa's 
ruhten  auf  dem  Lande  nicht  nur  als  der  Wiege  eines  gefürchteten 


1)  Marmocchi,  Ab^^gi  de  la  g^graphie  de  Tue  de  Gorae,  Bastia  1851 

2)  Pol.  Xn  3,  7  fg. 


{  3.    Coraiea.  363 

Eroberers  sondern  ab  der  Wiege  eines  freien  und  heldenmütigen 
Volkes. 

In  dem  Gewirr  der  corsischen  Berge  lassen  sich  dieselben  drei 
Richtungslinien  wahrnehmen ,  die  wir  für  Sardinien  kennen  gelernt 
haben.  Ein  Knotenpunct  liegt  bei  den  Quellen  des  Golo.  Von  hier 
läuft  nach  SO  eine  Kette  mit  den  höchsten  Gipfeln  der  Inseln  aus: 
M.  Rotondo  2764  m  der  massige  M.  d'Oro  2653  m;  schon  Ptolemaeos 
führt  ihn  unter  diesem  Namen  ro  %qvoovv  ogog  auf.  Den  Bcschlufs 
macht  der  M.  Incudine  2063  m.  Zahlreiche  Nebenarme  verzweigen 
sich  Ton  der  Hauptkette  nach  SW  in  jähen  Abstürzen  endigend.  Von 
den  Goloquellen  läuft  die  zweite  Hauptkette  in  gekrümmter  Linie  nach 
NO  um  mit  der  dritten  Kette  am  Capo  Corso  zusammen  zu  stofsen :  sie 
zählt  gleichfalls  Gipfel  von  2400  m  Erhebung.  Endlich  zieht  sich  der 
Richtung  des  Meridians  folgend  von  der  Nordspitze  eine  niedrigere 
Kette  an  der  Ostseite  hinunter,  deren  Zusammenhang  durch  die  her- 
vorbrechenden Flüsse  vielfach  zerrissen  wird.  Primäre  Gesteine ,  vor 
allem  Granit,  dann  Gneiis  Porphyr  Serpentin  setzen  das  corsische  Ge- 
birge zusammen,  Tertiärbildungen  2^  300  m  aufsteigend  treten  beson- 
ders am  Capo  Corso,  an  der  Ostseite  sowie  der  Sttdspitze  zu  Tage.  Für 
die  Entwicklung  von  eigentlichen  Flüssen  fehlt  der  Raum,  die  bedeu- 
tenderen Gewässer  fliefsen  nach  Osten  in  das  tyrrhenische  Meer.  Die 
erste  Stelle  gebührt  dem  Golo,  an  dessen  Mündung  die  römische  Co- 
lonie  Mariana  hg:  er  hat  84km  Länge,  ein  Gebiet  von  9800km  und 
auch  in  der  gröfsten  Dürre  einen  Abflufs  von  2  Cubikmetern  in  der 
Secunde.  Wenig  steht  ihm  der  aus  einem  See  des  M.  Rotondo  ent- 
springende Tavignano  nach  mit  80  km  Länge  830  Gkm  Gebiet  und 
1,3  Cubikmeter  Abflufs:  an  seiner  Mündung  lag  das  alte  Aleria.  Die 
nach  Westen  strömenden  Räche  erreichen  kaum  die  halbe  Ausdehnung, 
die  Westküste  ist  zerhackt,  ihre  Golfe  sinken  zu  der  enormen  Tiefe 
von  400  m  ein.  Der  Osten  besitzt  nur  einen  wirklich  guten  Hafen  den 
portus  Syraeusanus  0  Golfo  di  Porto  vecchio.  Dagegen  ermöglichte 
seine  allmäliche  Abdachung  den  Flüssen  Küstenebenen  aufzuschütten. 
In  diesen  durch  grofse  Fruchtbarkeit  ausgezeichneten  Niederungen  ha- 
ben die  Culturvölker  des  Altertums  festen  Fufs  gefafst  und  die  Insel 
sich  dienstbar  zu  machen  gesucht.  Schon  damals  ist  die  Schädlichkeit 
des  Sumpf  klima's  gefühlt  worden,  wie  der  hier  als  Verbannter  lebende 
Hofphilosoph  Seneca^)  klagend  hervorbebt: 

1)  Diod.  V  13,  3  Ptol.  m  2,  5. 

2)  Epigr.  super  ezilio  1  vgl.  2  IHal.  XII  6,  5  7,  8  9, 1. 


364  Kap.  vm.  Die  Inseln. 

Carsiom  terribUU  eum  priwutm  ineandttU  aeUoM^ 

saevior  ostendit  cum  ferut  ora  eanu, 
paree  rehgoHs  hoc  est  tarn  paree  sepuUis, 

vivorum  cinmri  ni  tua  terra  levis. 

Ein  SaumTon  Lagunen,  die  zusammen  eineFUlGhe  von  ca.  1  d.  DM. 
bedecken»  fabt  dag  «VstliGhe  Littoral  ein.  Zur  Sommerzeit  herrschen  hier 
häufige  und  lange  Windstillen,  das  Gebirge  hält  den  reinigenden  Biistral 
oder  Nordwest  zurück.  So  brQtet  denn  die  Intemperie  ungestört,  im 
Lauf  des  Hittelalters  hat  der  Mensch  ihr  den  alten  Culturboden  preis- 
gegeben, von  Bastia  bis  Porto  vecchio  hinunter  auf  einer  Strecke  von 
ca.  150  km  findet  sich  kein  Dorf  am  Gestade. 

Corsica  setzte  dem  Eindringen  der  Gultur  schwere  Hindernisse 
entgegen.  Bei  der  bedeutenden  Erhebang  auf  engstem  Raum  geht  der 
Verkehr  von  Thal  zu  Thal,  von  Koste  zu  Küste  nur  mühselig  von 
statten.  Die  Joche  liegen  hoch:  z.  B.  auf  der  heutigen  Hauptstrafse 
von  Ajaccio  nach  Bastia  1145  m,  auf  der  Strafse  von  Bastia  nach  Capo 
Corso  966  m,  einzelne  sogar  1500— 2000  m.  Die  Steilheit  der  Pfade 
wird  durch  die  einheimische  Benennung  „Treppen**  (seal$)  genügend 
angedeutet  In  den  Berichten  welche  um  300  v.  Chr.  an  den  natur- 
kundigen Theophrast  gelangt  waren,  erscheint  Corsica  ab  ein  einziger 
Urwald.^)  „Weder  die  Cedern  vom  Libanon  noch  die  Forsten  Cyperns 
und  Bruttiums  noch  auch  die  Tannen  und  Fichten  Latiums  sollen  den 
corsischen  an  Hohe  und  Stärke  gleich  kommen.  Einst  seien  die  Römer 
mit  25  Schiffen  hingesegelt  in  der  Absicht  auf  der  Insel  eine  Stadt  zu 
gründen  und  derart  sei  die  GrOfse  der  Bäume,  dafs  bei  der  Einfahrt  in 
einige  Buchten  und  Häfen  die  Hasten  geknickt  vnirden  und  die  Schiffe 
in  Gefahr  gerieten.  Kurz  und  gut  die  ganze  Insel  sei  dicht  bestanden 
und  gleichsam  eine  Waldwildnifs.  Deshalb  gaben  sie  den  Plan  mit  der 
Stadtgründung  auf.  Einige  indessen  gingen  an  Land  und  fiülten  auf 
einem  kleinen  Fleck  eine  solche  Hasse  Holz  dafs  das  daraus  gebaute 
Flofs  50  Segel  brauchte:  das  Heer  schlug  es  freilich  in  Stücken.  Cor- 
sica also  unterscheidet  sich  weit  von  den  übrigen  Waldbndern  sei  es 
wegen  der  Ruhe,  die  man  ihm  läfst,  oder  wegen  seines  Bodens  oder 
seiner  LufL^^  Es  war  dem  Verfasser  entgangen  dafs  die  Phokäer  be- 
reits 537  V.  Chr.  die  Stadt  Alaha  (JidX.  ifarta)  erbaut  hatten  und  nur 
durch  die  vereinten  Anstrengungen  der  Karthager  und  Etrusker  ver- 
trieben worden  waren.^)  Bei  dem  unglaublichen  Verbrauch  von  Mate- 


1)  Bist  plant.  V  6.  2)  Herod.  I  t65fg. 


{  3.    Gonica.  866 

rial,  der  die  Marine  der  Alten  kennzeichnet,  mulste  dies  Waldland  sich 
den  Seevölkern  als  Besuggquelle  empfehlen.  In  den  Tagen  ihrer  Blacht 
behaupteten  die  Etnisker  die  Oberhoheit  und  liefsen  sich  ?on  den 
Eingebomen  Theer  Wachs  und  Honig  Zinsen.  ^  Ohne  den  Besitz  der 
Insel  konnte  überhaupt  kaum  von  einer  bedeutenden  Seestellung  der 
etrurischen  Küste  die  Rede  sein.  Nichts  desto  weniger  haben  auch 
Karthager  und  Hellenen  Beziehungen  mit  ihr  unterhalten :  das  eine 
ersehen  wir  aus  der  Anwerbung  corsischer  Söldner  für  die  Heere 
Karthago's^X  d^  andere  aus  dem  oben  erwähnten  Namen  des  syraku- 
sischen  Hafens.  In  dem  306  v.  Chr.  zwischen  Rom  und  Karthago  ab- 
geschlossenen Bündnifs  wurde  zwar  die  Neutralität  der  Insel  festge- 
setzt, doch  hat  letzteres  bald  darauf  sich  ihrer  bemächtigt ')  Endlich 
ward  sie  259  v.  Chr.  von  Consul  Scipio  Barbatus,  wie  dessen  berühmte 
Grabschrift  verkündet,  für  Rom  dauernd  erobert^)  Die  römische  Herr- 
schaft beschränkte  sich  indeb  auf  die  Ostküste,  an  der  auch  eine  Kunst- 
strafse  angelegt  wurde.  ^)  Zu  den  geschätzten  Besitztümern  ist  Corsica 
nie  von  den  Römern  gerechnet  worden.  Die  bekannten  Hetalladem 
lohnten  und  lohnen  den  Abbau  nicht.  Nur  Granit  wurde  auf  den  Klip- 
pen der  Südspitze  für  die  ewige  Stadt  gebrochen :  zahlreiche  Spuren 
dieser  Arbeiten  sind  noch  sichtbar.  Auber  dem  Bauhok  ^)  wird  allein 
Wachs  und  bitterer  Honig  ^)  als  Product  der  Insel  angeführt.  Ganz 
trostlos  stellte  sich  das  Land  den  Augen  Seneca's  dar:  „es  trägt  weder 
Frucht-  noch  Zierbäume,  wird  von  keinen  groben  oder  schiffbaren 
Flüssen  bewässert,  erzeugt  nichts  das  andere  Völker  erstreben  könn- 
ten, reicht  kaum  zum  Unterhalt  der  Einwohner  aus,  ist  ohne  kostbares 
Gestein,  ohne  Gold-  und  Silberadern.^'  Die  einheimische  Bevölkerung 
vom  Ertrag  des  Waldes  und  ihrer  Heerden  lebend ,  konnte  nicht  wol 
zahhreich  sein.  Diodor  beziffert  sie  auf  reichlich  30  000;  aber  da  man 
nicht  weib  ob  Weiber  und  Kinder  eingerechnet  sind,  labt  sich  mit  der 
Angabe  nichts  anfangen.  Derselbe  Gewährsmann  ^)  schildert  ihre  Sitten 
in  jenem  idealisirenden  Ton,  der  von  den  Alten  häufig  in  Betreff  ent- 

1)  Diod.  V  13,  4.  XI  68,  5. 

2)  Herod.  YII 165. 

3)  Senr.  in  Verg.  Aen.  lY  628  vgl.  FleekeiseoB  Jahrb.  1867  p.  327. 

4)  PoLllO,5  CIL.I32. 

5)  Mela  U  122  Tac  Histor.  ü  16  It.  Ant  85. 

6)  Plio.XVI197.71  Dion.  Per.  460. 

7)  PUn.  XVI  71  XXI  83  XXX  28  XXXVII  195  Verg.  Ed.  9,  30  Ovid  Am. 
I  12,  10. 

8)  Diod.  V  13  und  14  nach  Timaeos? 


866  Kap.  VIII.  Die  iDseln. 

feroter  Naturvölker  angegchlagen  worden  ist.  Volle  Lebenswahrfaeil 
spricht  dagegen  aus  dem  von  Strabo  entworfenen  Bilde  ^):  ^^Corsica 
befindet  sich  in  schlechter  Verfassung,  weil  es  rauh  und  meistentheils 
schwer  zugänglich  ist  in  dem  Grade  dafs  die  vom  Raub  lebenden  Berg- 
bewohner wilder  sind  als  die  Thiere  ihrer  V^älder.  Wenigstens  wenn 
die  römischen  Befehlshaber  gegen  sie  ziehen  und  beim  Ddl>erfaU  ihrer 
Felsennester  eine  grofse  Menge  gefangen  nehmen,  kann  man  die  Skla- 
ven in  Rom  schauen  und  darüber  erstaunen ,  wie  der  wilde  thierische 
Charakter  an  ihnen  zu  Tage  tritt;  denn  entweder  ertragen  sie  das  Le- 
ben gar  nicht  oder  bringen  durch  ihren  fuhllosen  Stumpfsinn  den 
Käufer  zur  Verzweiflung,  so  dafs  ihn  der  Kaufreut,  mag  der  Preis  auch 
noch  so  gering  gewesen  sein.^^  Es  ist  der  Abscheu  und  Hafs  der  Qber- 
feinerten  Cultur  gegen  die  Freiheit  und  Zügellosigkeit  einer  in  den 
Anfängen  befindlichen  Gesellschaft,  der  sich  in  solchen  Aussprüchen 
äufsert  Zu  höheren  Lebensformen  ist  Corsica  im  Altertum  nicht  ge- 
diehen: weder  während  der  Epoche  seiner  ungeschmälerten  Unab- 
hängigkeit —  auf  seinem  Boden  werden  die  Nuraghen  Steindenk- 
mäler und  Bildwerke,  die  dem  stammverwandten  Sardinien  eignen, 
durchaus  vermifst  —  noch  während  der  langen  Epoche  der  Fremd- 
herrschaft; lateinische  Inschriften  sind  äufserst  selten.  Um  den  lang- 
samen Fortgang  der  Civilisirung  zu  verfolgen  fehlt  uns  das  Material 
Gegenwärtig  ist  von  dem  Urwald,  der  die  Alten  in  Schrecken  setzte, 
bitterwenig  übrig.  Die  mediterrane  Culturflora  hat  ihn  verdrängt:  der 
Oelbaum  steigt  bis  1160  m,  die  Edelkastanie  bis  1950  m  aufwärts.  Auf 
diesen  Wechsel  werden  wir  in  anderem  Zusammenhang  Kap.  X  zu- 
rückkommen. 

§  4.  Kleine  Inseln. 

Was  wäre  Hellas  ohne  die  Fülle  seiner  Inseln ,  die  einer  Perlen- 
schnur vergleichbar  die  schlanken  Glieder  des  Festlands  umziehen? 
Am  politischen  Leben,  am  Aufschwung  von  Handel  und  Golonisation, 
an  der  Blüte  von  Kunst  und  Wissenschaft  gebührt  ihnen  ein  so 
hervorragender  Antheil,  dafs  es  die  nationale  Gröfse  zerstören  hiefse, 
wollte  man  ihn  vom  Ganzen  lostrennen.  Ohne  Frage  haben  die  Inseln 
und  Eilande  Italiens  in  alten  Tagen  dazu  beigetragen  die  Küstenbe- 
wohner auf  die  See  hinauszulocken,  ihre  nautischen  Anlagen  zu  wecken 
(S.  114).  Aber  sie  sind  spärlich  an  Zahl  und  über  einen  weiten  Raum 
verstreut:  von  einem  allgemeinen  Standpunct  aus  könnte  man  sich 

1)  V  224. 


S  4.   Kleine  Inseln.  867 

dieselben  forideDken ,  ohne  die  GesammteDtwicklang  des  Landes  er* 
heblich  zu  beeinträchtigen.  Am  häufigsten  werden  sie  in  späteren 
Zeiten  als  Kerker  und  Verbannungsorte  erwähnt,  in  welche  der  Wille 
des  Kaisers  Misliebige  oder  Schuldige  verwies,  i)  Auch  heutigen  Tages 
dienen  sie  derselben  unseren  nordischen  Gepflogenheiten  so  wider- 
strebenden Bestimmung:  wo  wir  eine  Sommerfrische  erwarten,  steht 
im  Süden  ein  Bagno  mit  Galeerensklaven  und  statt  aus  Erholangs- 
bedürftigen  setzt  sich  die  Gesellschaft  auf  so  manchem  reizenden  Eiland 
aus  detinirten  Brigantenhelfern  zusammen.  Am  Ausgang  des  Altertums 
als  Rutilius  seine  Kttstenfahrt  beschrieb,  hatten  Einsiedler  und  Mönche 
sich  hierher  vor  den  Versuchungen  der  Welt  geflüchtet:  aber  die  Klö- 
ster sind  sämmtlich  von  den  Saracenen  zerstört  worden.  Unter  Hin- 
weis auf  früher  Gesagtes  können  wir  uns  über  diese  Zugabe  des  Landes 
kurz  fassen.  Die  kleinen  Inseln  ordnen  sich  in  6  Gruppen,  von  denen 
die  eine  Hälfte  zu  Italien,  die  andere  zu  SiciUen  gehört:  im  tyn*heni- 
schen  Meer  liegen  3,  im  libyschen  2,  im  adriatischen  1  Gruppe. 

Die  nördlichste,  die  etrurische  Gruppe  kann  als  ein  Ueberrest  des 
Isthmus  beti*achtet  werden,  der  ehemals  Corsica  mit  dem  Festland  ver- 
band. Unter  43^  26'  n.  Br.  liegt  ürgo  oder  Gorgon^)  Gorgona,  ein 
krystallinischer  Bergstock  von  ca.  350  m  Höhe  und  3 — 4  Dkm  Inhalt. 
Gröfser  ist  Capraria  Capraia  wenig  oberhalb  des  43®.  Bei  20  Dkm 
Flächeninhalt  steigt  diese  Trachytinsel  448  m  auf.  Von  wilden  Ziegen 
hat  sie  wie  viele  andere  den  Namen  erhalten ,  der  bei  den  Griechen 
^yiXog  lautete.^  Ihre  Insassen  erregten  den  Unmut  des  Rutilius^): 

processu  pelagi  tarn  $e  Capraria  iolUty 

»quaÜet  lucifugis  intula  pleno  virit: 
ipH  $e  monaehos  Grata  cognonäne  dicunt, 

quod  MoU  nuüo  vivere  teste  vobmt. 

Ein  Sund  von  15  km  Breite  trennt  das  Vorgebirge  Populonium 
von  Ilva  Elba,  deren  unerschöpfliche  Eisenminen  früh  die  Aufmerk- 
samkeit gefesselt  haben.  Die  Schmelzöfen  verliehen  ihr  bei  den  HeUe- 
nen  den  Namen  Ai^aXri  Al&aXeia  Rufsinsel.  &)  Gegenwärtig  und 


1)  Dig.  XLVIII  22  de  interdictis  et  relegatis  et  deportaüs  XXYIU  1, 8  u.  a. 

2)  Die  erstere  Form  Heia  11122  Plin.HlSl,  die  letztere  Batil.l5t5. 

3)  VarroRR.n3  MelaJ1122  PUd.IIISI. 

4}  1 439,  Kloster  auf  Gorgona  eb.  517,  auch  von  verschiedenen  anderen  Inseln 
bezeugt 

5)  HekaUeo8(?)  und  Philistos  bei  Sieph.  Byz.  s.  v.  Diod.  V 13  Skylax  6  Strab. 
V  223  Plin.  lil  81.  NachPolybios  bei  Steph.  führte  auch  Lemnos  diesen  Namen. 


868  Kap.  vm.  Die  Inseln. 

schon  zu  Strabo's  Zrit  werden  die  Erze,  da  alles  Brennmaterial  Iftngst 
verzehrt  ist,  auf  dem  Festland  verhüttet;  aber  die  rötliche  Färbung  der 
Bergschroffen  kündet  schon  aus  der  Ferne  die  Ausbeutung  des  nütz- 
lichen Metalls  an.  Zwischen  42^  53'  und  42^  43'  n.  Br.  gelegeq  be- 
deckt die  Insel  bei  einem  Umfang  von  115  km  einen  FlAchenraum  von 
232  Gkm.  Sie  ist  aus  drei  Bergstöcken  zusammengesetzt,  von  denen 
der  westliche  im  M.  Capanne  sich  1018m  erhebt,  der  dem  Festland 
zugekehrte  nur  die  halbe  Höhe  erreicht.  Eine  erstaunliche  Menge  von 
Gesteinarten  finden  sich  hier  vereinigt:  Granit  Serpentin  Marmor  Trias 
Tertiär.  So  steil  und  ungastlich  die  Küsten  aus  der  Flut  emporragen, 
sind  sie  doch  vortrefflich  angebaut  Aber  was  den  Ruhm  Elba's  in 
alter  und  neuer  Zeit  begründete,  war  nicht  Weinbau  oder  Fischfang 
sondern  sein  vortreffliches  Eisen.  Die  Gruben  liegen  an  der  Ostkttste. 
Die  Alten  berichten  dafs  das  Eisen  nachwüchse  und  den  durch  Abbau 
erlittenen  Verlust  wieder  ersetzte.  0  Die  Meinung  mag  von  dem  Um- 
stand herrühren ,  dafs  bei  dem  oberflächlichen  Betrieb  der  Alten  der 
Abfall  sich  zu  Hügeln  von  1— 200m  Höhe  aufhäufte,  die  60  Procent 
Erz  enthalten  und  wegen  der  leichten  Gewinnung  gegenwärtig  mit 
Vorliebe  ausgebeutet  werden.  Uebrigens  ist  der  Reichtum  der  Gruben 
so  grofs  dafs  sie  nach  dem  Mafs  der  heutigen  Förderung  noch  für  eine 
lange  Reihe  von  Jahrtausenden  ausreichen  werden.  Sieben  Buchten 
gestatten  den  Schiffen  zu  landen,  der  beste  Hafen  ist  ievpartusArgoui^ 
Porto  Ferraio  an  der  Nordseite.  Nach  einem  Abstand  von  12  km  folgt 
das  flache  Planasia  ^)  Pianosa,  der  Verbannungsort  von  Augustus'  Enkel 
Agrippa  Postumus.  Von  Elba  40  km  entfernt  erhebt  sich  die  schwer 
zugängliche  Granitinsel  Oglasa^)  Montecristo  bis  ca.  650m  Höhe:  un- 
bewohnt, seitdem  die  Benedictiner  im  16.  Jahrhundert  von  denBarba- 
resken  fortgeführt  wurden.  Auf  gleicher  Breite  aber  dem  M.  Argen- 
tario  auf  17  km  nahe  gerückt  liegt  Igüium^)  Giglio  23  Dkm  grob  und 
nach  Elba  das  bevölkertste  Glied  des  toscanischen  Archipel.  Sie  be- 
steht meistentheils  aus  Granit,  den  die  Römer  hier  gebrochen  haben. 
Ihrer  bewaldeten  Höhen  (495  m)  gedenkt  Rutilius: 

eminus  Igilii  HlvoMa  eacumina  mirar, 

1)  De  mir.  aosc.  93  Strab.  V  224  Plin.  XXXIV  142  Verg.  Aen.  X  174  Bntil.  I 
351.  2)  Diod.  IV  56, 5  Strab.  V  224. 

3)  Plin.  in  80  a  speeie  dieta  aequaUs  freto  ideoque  navigiis  faUax  Varro 
RR.  m  6  Strab.  11 123  Tac.  Ann.  1 3  11 39  Die  LY  32. 

4)  Allein  von  Plin.  HI  80  erwähnt. 

5)  Gaes.  b.  civ.  1 34  Mela  11 122  PUn.  m  81  Rutil.  I  325. 


S  4.   Kleine  Inseln.  369 

Endlich  um  von  winzigen  Eilanden  abzusehen ,  mit  einer  häufig 
wiederkehrenden  Bezeichnung  Formiche  (Ameisen)  genannt,  ist  noch 
Diamum  oder  Anemmum  ^)  Gianutri  1 1  km  sttdiich  vom  Argentario 
aozuAbren.  Die  ca.  4  Dkm  grofse  Kalkinsel  mit  antiken  Trümmern 
ist  seit  dem  9.  Jahrhundert  verlassen. 

Die  campanische  Gruppe  erstreckt  sich  von  40^  59'  bis  40  <^  32' 
D.  Br.  Dire  Entstehung  durch  Vulkane  ist  froher  dargelegt  worden. 
Von  den  pontinischen  Inseln  (S.  272)^)  ist  jetzt  nur  noch  die  gröfste 
(7  Dkm)  Paniiae  Ponza  bewohnt  Die  Bömer  hatten  auf  ihr  310  v.  Chr. 
eine  Colonie  gegründet,  deren  Treue  im  hannibalischen  Kriege  gelobt 
wird.')  Unter  den  Kaisem  diente  sie  als  Verbannungsort. 4)  Die  Ruinen 
römischer  Prachtbauten  sowie  eines  Klosters,  ein  modernes  Bagno 
kflnden  ihre  wechselnden  Schicksale  an.  Die  Verbindung  mit  Ischia 
vermittelt  Pandateria  Ventotene  gleichfalls  als  Verbannungsort  ge- 
nannt^) Von  den  vulkanischen  Inseln  des  Golfs  von  Neapel  war  S.266, 
von  Capri  S.  242  die  Rede ;  wir  kommen  im  zweiten  Theil  bei  der  Be- 
schreibung dieser  Landschaft  auf  sie  zurück. 

Die  zu  Sicilien  gehörende  Gruppe  der  Liparen  ist  in  ihrer  vulka- 
nischen Natur  S.  250.  272.  280  gewürdigt  worden.  Um  580  v.  Chr. 
halten  Colonisten  aus  Rhodos  und  Knidos  dieselbe  in  Besitz  genommen 
und  lange  Jahrhunderte  zur  See  mit  Etruskern  und  Karthagern  ge- 
fochten (S.  122).  Unter  römischer  Herrschaft  herabgekommen,  nahm 
Lipara  einen  neuen  Aufschwung  durch  Augustus,  der  ihr  das  Bürger- 
recht ertheilte.  Die  hier  befindlichen  warmen  Quellen  wurden  von 
Sicilien  aus  stai^  besucht,  die  Ausfuhr  von  Alaun  warf  bedeutenden 
Gewinn  ab ,  dazu  kam  noch  der  Ertrag  von  Fischfang  und  Baumzucht 
um  den  Wolstand  zu  heben.  Von  den  kleineren  Inseln  waren  damals 
wie  heute  mehrere  wie  die  „Heidekraut-^  und  die  y^Palmeninsel^  un- 
bewohnt^) 

Als  vierte  Gruppe  rechnen  wir  die  AXyovaaai  Äegatei.'^  Wir 

1)  Mda  u.  PÜD.  a.  0. 

2)  Strab.y233  MelaII121  Plin.UISl  VarroRR.ni5. 

3)  Diod.XIXlOl  LiT.IX28  XXVDIO. 

4)  Soet  Tib.  54  Galig.  15. 

5)  Tae.AnD.1  53  XJV63  SuetTib.  53  Gal.  15  vgl.  A.2.    Die  SchreibuDg 
schwaDki  zwiadieD  Pandatarfa  und  Pandateria, 

6)  Diod.  V7  — 11  Strab.  VI  275—77  Plin.  UI  92— 94  Paus.  X  16,  7  Cic. 
Verr.  III  84. 

7)  Die  Form  Aegutae  nur  PoL  I  44,  2  vgl.  I  60,  4  Plin.  111  92.    Aegatu 
nur  bei  Römern  Lly.  XXI  10  u.  c,  Mela  n  105  Aegaiae, 

Nisi«n,  itaL  LandMlnnde.    L  24 


370  Kap.  Vm.  Die  loseln. 

haben  S.  346  die  zertrümmerte  Spitze  der  alteo  Trinakria  aus  diesen 
Bruchstücken  in  Gedanken  hergestellt.  In  der  That  scheint  die  be- 
deutende Hebung  dieser  Küsten  (S.  290)  darauf  hinzudeuten ,  dafs  die 
Erdkraft  an  dem  Wiederaufbau  arbeitet  Zwischen  dem  Festland  und 
der  Hauptinsel  Äegusa  Favignana,  die  sich  bis  326  m  erhebt,  beträgt 
die  Tiefe  nur  18  m;  vor  der  nördlichen  290  m  hohen  Pkorbantk^) 
Levanzo  56  m,  endlich  zwischen  Aegusa  und  Hiera  oder  Maritima^ 
Marittimo  160m,  an  tiefster  Stelle  270  m.  Alle  drei  bestehen  aus 
secundürem  Kalk  wie  die  sicilische  Kette  und  erscheinen  „als  die  mach- 
tigen Pfeiler,  auf  denen  der  bis  jetzt  unroUendete  Bau  West-Siciliens 
ruhen  solL'^  Das  684  m  aufsteigende  Marittimo  würde  ihm  erst  einen 
würdigen  Abscblufs  geben. 

Die  fünfte  Stelle  nehmen  die  Inseln  des  africanischen  Meeres  ein. 
Das  vulkanische  Cossyra  ist  S.  276  beschrieben  worden.  Der  36®  n.Br. 
und  der  32<>  0.  L.  trennen  MeUia  Halta^)  von  seinen  NW  anliegenden 
Nebeninseln  Gaulos  Gozzomit  Ck>mino  und  Gominotto;  die  beiden  letzt* 
genannten  sind  blofse  Klippen.  Malta  allein  bedeckt  einen  FUlcben- 
räum  von  246  Dkm,  mit  den  anderen  zusammen  374  Dkm,  gegen 
7  d.  DM.  Jene  erhebt  sich  bis  122  m,  Gozzo  bis  170  m.  Die  Gruppe 
besteht  aus  tertiärem  Kalk  und  die  aufgefundenen  Versteinerungen 
von  groben  Dickhäutern  beweisen,  dafs  dieselbe  ehemals  zu  eiDem 
Festland  gehurt  hat  Eine  unterseeiscbe  Verbindung  die  nicht  unter 
200  m  einsinkt ,  während  auf  beiden  Seiten  Tiefen  von  m^reren  tau- 
send Metern  abfallen,  bekundet  den  früheren  Zusanunenhang  mit 
Sicilien.  Die  Zerstörung,  die  hier  stattgefunden,  setzt  ihren  W^eg  lang- 
sam fort,  indem  die  Inseln  fortwährend  weiter  abbröckeln.  Die  Ent- 
fernung von  Sicilien  beträgt  nur  ein  Viertel  der  Entfernung  von  Africi. 
Nichtadestoweniger  haben  die  HeUenen  niemals  daran  denken  können 
diesen  Schlüssel  der  mediterranen  Seeherrschaft  den  Phoeniziern  so 
entwinden  (S.  118).  Dies  geschah  218  v.Chr.  durch  die  Römer,  welche 
die  Inseln  mit  der  Provinz  Sicilien  vereinigten.  4)  Wie  heut  zu  Tage 
waren  dieselben  auch  im  Altertum  dicht  bevölkert.  Ihre  günstige 
Handelslage ,  ihre  ausgezeichneten  Häfen  schufen  hier  einen  viel  be- 


t)  Ptol  m  4, 6. 

2)  'hga  v^aog  Pol.  !  60,  3  61, 7  Hin.  ffl  92  Ptol.  a.  0.  Maritima  lt.  Mar. 
492.  93. 

3)  I>e8cription  of  Malta  and  Goio  improved  on   that  of  George  Perty 
Badgtf,  Malta  1861. 

4)  Liv.XXl51  Gic.  Vcrr.  IV  108  Diod.V12  Streb.  VI  277  Sil.  XIV  251. 


S  4.   Kleine  Inseln.  371 

suchten  Stapelplatz;  aufserdem  war  von  den  Phoeniziern  eine  blühende 
Industrie  hierher  verpflanzt  worden,  die  namentlich  in  der  Anfertigung 
Ton  Frauenkleidern  hervorragte. 

Endlich  hat  die  Adria  noch  die  kleine  Gruppe  der  Tremitiinseln 
aufzuweisen.  Sie  liegt  nördlich  vom  42^  3 —  4  d.  M.  vom  Garganus 
entfernt.  Die  Alten  haben  sie  imutae  Diatnedeae  benannt  nach  dem 
Heros  der  hier  gefallen  und  bestattet  sein  soll,  wahrend  die  in  Reiher 
verwandelten  Genossen  das  Heiligtum  bewachten.  Gewöhnlich  ist  nur 
von  einer  tnnib  Diam$dea  die  Rede  d.  i.  der  gröfstcn  S.  Domenico.  ^) 
Ptolemaeos  giebt  richtig  die  Zahl  fünf  an,  von  denen  das  einige  d. 
Meilen  seewärts  gelegene  flache  Pianosa  ebenso  wie  Caprara  S.  Nicola 
und  eine  unbenannte  Klippe  nicht  bewohnt  sind.  Auf  der  Hauptinsel 
hatte  Julia  des  Augustus  unkeusche  Enkelin  nach  zwanzigjähriger  Haft 
ihr  Leben  beschlossen :  bei  dieser  Gelegenheit  erfahren  wir  den  wirk- 
lichen Namen  derselben  —  Trmerus  nach  den  Handschriften  —  und 
ersehen  dafs  er  mit  dem  heutigen  zusammenfiel.^)  S.  Nicola  trug  früher 
ein  Kloster,  jetzt  ein  Bagno. 

1)  De  mir.  ansc.  79   Lyk.  Alex.  599  m.  Schol.  Strab.  VI  284  PHn.  III  151 
X  127  Xn  6  Mela  fl  114.  —  PtoLIH  1,  69. 

2)  Tac  Ann.  IV  71,  vielleicht  entoteHt  Plin.  m  151. 


24* 


KAPITEL  IX. 


Das  Klima. 

Gluver  hat  das  fünfte  Kapitel  seines  ausgezeichneten  Werkes  be- 
titelt de  natura  coeli  solique  Italici  ae  laudibus  eins  und  darin  die  allge- 
meinen Schilderungen  aus  dem  Altertum  gesammelt,  in  denen  Fremde 
und  Eingeborne  um  die  Wette  die  Vorzüge  des  Landes  preisen.*) 
Dionys  von  Halikarnafs  schliefst  mit  der  Erklärung:  das  allerschönste 
an  Italien  sei  sein  gemäfsigtes  mit  den  Jahreszeiten  in  Einklang  stehen- 
des Klima ,  das  weder  durch  übertriebenen  Frost  noch  durch  unge- 
wöhnliche Hitze  das  Keimen  der  Frucht  und  die  Vermehrung  der  Tbier- 
welt  schädige.  Der  Zeitgenosse  Strabo  schränkt  dies  Lob  mit  gutem 
Grund  etwas  ein  und  hebt  die  aufserordentliche  Mannichfaltigkeit  der 
Luft  und  Temperatur  in  dem  langgestreckten  Gebirgsland  hervor,  aber 
erklärt  doch  auch  seinerseits  den  grOfseren  Theil  für  woUemperirt. 
Nach  Aelian  waren  die  Völker  der  Urzeit  aus  demselben  Grunde  —  dia 
rriv  rcSv  ioqcjv  evxQaalav  —  zur  Einwanderung  angelockt  worden. 
Man  begreift  es  dafs  die  Römer  zur  Verherrlichung  ihrer  Heimat  leuch- 
tendere Farben  anwenden.  Indem  Vergil  sie  höher  als  die  märchen- 
hafte Pracht  Indiens  und  Persiens  schätzt,  rühmt  er  ihr  nach: 

hie  ver  adsiduum  atque  alienit  mensibus  aestas, 
bis  gravidae  peeude»,  bii  pomis  uUUm  arbos. 

Unter  ihren  Vergünstigungen  nennt  Plinius  zuerst  tanta  ea  vitalis 
ae  perenms  saluhritasj  caeli  temperies.  Nirgends  jedoch  tritt  der  Stolz 
des  Italieners  auf  seine  sonnige  Heimat,  sein  stilles  Behagen  dals  ein 
himmelhoher  Bergwall  die  nordische  Wüstenei  absperrt,  dafs  er  warm 
gebettet  ist  wie  der  Vogel  im  Nest,  uns  anschaulicher  greifbarer  ent- 
gegen als  in  der  Einleitung,  welche  der  achtzigjährige  Varro  seinem 

1)  DioD.  Hai.  I  37  Streb.  VI  286  Ael  var.  bist  IX  16  Verg.  Georg.  U  149 
Plin.  Ul  41  XXXYU  201  (darnach  SoUo  2,  2)  Varro  RR.  I  2. 


S  1.  Allgemeiner  Charakter.  373 

Gespräch  über  den  Landbau  vorausgeschickt  hat:  „Ihr  die  Ihr  viele 
Länder  durchwandert,  habt  Ihr  irgend  ein  Land  besser  als  Italien  an- 
gebaut gesehen  7^^  „  „Ich  glaube,  es  giebt  keines,  das  so  ganz  bebaut 
sei.  Erstens  da  der  Erdkreis  in  zwei  Hälften  zerfallt  und  die  nördliche 
ohne  Zweifel  gesünder  ist  als  die  südliche  und  was  gesünder  zugleich 
fruchtbarer,  so  mufs  man  sagen  dafs  jene  zum  Anbau  geeigneter  war 
als  Asien  und  dort  liegt  Italien.  Erstens  weil  es  in  Europa  liegt,  zwei- 
tens weil  dieser  Theil  gemäfsigter  ist  als  das  innere  Europa.  Denn  im 
Inneren  sind  beinahe  ewige  Winter  und  man  darf  sich  darüber  nicht 
wundern ,  weil  die  Gegenden  zwischen  dem  Polarkreis  und  dem  Pol 
liegen ,  wo  die  Sonne  volle  sechs  Monate  hinter  einander  nicht  sicht- 
bar wird.  Daher  soll  man  auch  in  dem  Theil  des  Oceans  nicht  segeln 
können,  indem  das  Meer  fest  gefroren  ist^*'  Diesen  Aeufserungen, 
welche  einige  Jahrzehnte  vor  Eroberung  der  Alpen  und  den  germa- 
nisch^ Kriegen  des  Augustus  geschrieben  sind ,  möge  als  Gegenstück 
an  die  Seite  gestellt  werden  der  erste  Eindruck  den  Goethe  im  Februar 
zu  Neapel  empfing  ^):  „alles  ist  auf  der  Strafse,  sitzt  in  der  Sonne,  so 
lange  sie  scheinen  will.  Der  Neapolitaner  glaubt  im  Besitz  des  Para- 
dieses zu  sein  und  hat  von  den  nördlichen  Ländern  einen  sehr  traurigen 
Begriff.  Sempre  neve  case  dt  legno  gran  ignoranza  ma  danari  assai. 
Solch  ein  Bild  machen  sie  sich  von  unserm  Zustande.^  Derartige 
Stimmen  haben  diesseit  der  Alpen  ein  nur  zu  bereitwiUiges  Echo  ge- 
funden :  von  den  Anlangen  unserer  Geschichte  bis  auf  den  heutigen 
Tag  kehrt  die  Sehnsucht  nach  dem  schonen  Süden  als  ein  allgemeiner 
Zug  im  Volkscharakter  der  Germanen  wieder.  Die  herrschenden  Vor- 
steUungen,  welche  mit  dem  Namen  Italiens  verbunden  zu  werden 
pflegen ,  entsprechen  der  Wirklichkeit  nur  zum  Theil.  Das  Geschick 
hat  ihm  nicht  einseilig  seine  Gunst  zugewandt ,  sondern  daneben  be- 
denkliche Gaben  mit  in  den  Kauf  gegeben.  Es  wird  unser  Bestreben 
sein  Licht  und  Schatten  gleichmäfsig  zu  berücksichtigen  gestützt  auf 
die  Thatsachen,  welche  die  nüchterne  Beobachtung  der  Gegenwart 
ermittelt  hat.') 

1)  Ital.  Reise  25.  Febraar  1787, 

2)  Schouw,  Tableau  du  climat  et  de  la  v^g^tatfon  de  lltalie,  vol.I  (ein- 
ziger) Tableau  de  la  temp^rature  et  des  plaies  de  Tltalie,  mit  Atlas,  Gopen- 
hague  1839.  4.  Dove,  Klimatologische  Beitrage,  2B.,  Berlin  1857.  6^.  Lorenz 
ond  Reihe,  Lehrbach  der  Klimatologie,  Wien  1874.  flacher,  Beitrage  zur  phy- 
sischen Geographie  der  Mittelmeerländer  besonders  Siciiiens,  Leipzig  1877; 
ders.,  Studien  über  das  Klima  der  Mittelmeerländer,  Gotha  1879.  4,  Ergänzungs- 
heft No.  58  zu  Petermanns  Mittheilungen.   Das  neue  Italien  hat  einen  Tortreff- 


374  Kap.  IX.  Da»  Klima. 

§  1.   Allgemeiner  Charakter. 

Gebirge  und  Wüsten  scheiden  die  Küstenländer  des  Hittelmeeres 
gegen  die  Aufsenwelt  ab.  Das  so  umschlossene  Gebiet  bildet  eine  geo- 
graphische und  eine  klimatische  Einheit.  In  letzterer  Hinsichi  zeichnet 
es  sich  durch  seine  hohe  Wärme  aus.  Verschiedene  Umstände  wirken 
zusammen  um  es  aufserordentlich  zu  begünstigen:  einmal  diewest- 
Ostliche  Richtung,  welche  dem  Einfiufs  des  Oceans  freien  Spielraum 
gestattet,  sodann  der  Schutz  der  Gebirge,  welche  den  rauhen  Nord  ab- 
halten und  endlich  das  Mittelmeer  selbst,  auf  dessen  hohe  Temperatur 
bereits  S.  102  hingewiesen  wurde.  Vergleichen  wir  Deutschland  mit 
Italien,  so  liegt  jenes  ungefiihr  zwischen  den  Jahres  •Isothermen  7  bis 
10^  Celsius,  dieses  13  — 19^.  Der  Ueberschufs  an  Wärme  vertheilt 
sich  nicht  gleichmäfsig  an  die  verschiedenen  Jahreszeiten.  Der  Laie 
meint  allerdings,  dafs  der  Hitzegrad  jenseit  der  Alpen  erst^nlich 
wachse;  aber  er  kann  heibere  Tage  in  Berlin  (39,3^)  und  Hoskau 
(36,60)  erleben  als  in  Hailand  (36,3o)  und  Rom  (35,5o).  Um  das  wesent- 
liche zu  treffen ,  mufs  man  den  Satz  umkehren :  am  Hittelmeer  nimmt 
die  Hitze  nicht  zu,  sondern  die  Kälte  nimmt  ab.  Während  in  Beriin 
—  30^  und  in  Hoskau  —  42<^,  sind  in  Hailand  nur  —  15^  und  in 
Rom  nur  —  6^  beobachtet  worden.  Während  Berlin  im  Biittel  29, 
Trier  27  Tage  mit  Schneefall  hat,  schneit  es  manche  Jahre  in  Rom 
überhaupt  nicht,  durchschnittlich  1  —  2  Tage  und  dieser  Schnee  lOst 
sich  entweder  bereits  im  Fallen  auf  oder  bleibt  nicht  länger  als  einige 
Stunden  liegen.  In  Palermo  erscheint  er  als  grofse  Seltenheit:  ein 
Kenner  des  Ortes  meint,  dafs  man  ein  Jahrzehnt  warten  mübteum 
dort  eine  Handvoll  Schnee  zu  sammeln.  Die  mittlere  Temperatur  des 
Winters  (December  Januar  Februar)  beträgt  für  Berlin  —  0,3<^,  für 
Rom  +  8,12^.  Der  Abstand  wird  um  so  bezeichnender,  wenn  man  die 
Sommertemperatur  (Juni  Juli  August)  daneben  hält:  18,1  <^  und  23,62^. 
Rom  hat  also  nur  5V2^  m^hr  Sommer-,  dagegen  SVs^  mehr  Winter« 
wärme  als  Berlin.  Vergleicht  man  Friedrichshafen  am  Bodensee  mit 
Palermo,  so  hat  jenes  einen  3,12^  kälteren  Sommer,  aber  einen  12,39^ 
kälteren  Winter.  Hieraus  ergiebt  sich  ohne  weiteres,  dafs  das  Jahr  am 
Hittelmeer  viel  gleichmäfsiger  verläuft.  Zwischen  absolutem  Haximom 

liehen  meteorolog&scheD  Dienst  organisirt  Die  Ergebnisse  sind  znsammengefafet 
Ton  Gantoni,  Supplemente  alla  meteorologia  itallana,  Roma  1874.  4  (die  oeoiK 
j&hrigen  Mittel  1866  —  74)  und  im  Annnario  statistico  italiano  ü,  Roma  188t 
(elGihrige  Mittel  1866—76). 


S  l.    Allgemeiner  Charakter.  875 

und  Minimum  schwankt  das  Thermometer  in  Moskau  78,6 <^,  Berlin 
69,3^  Mailand  51,3^  Rom  43,9^  Neapel  40,4^  Palermo  38,50.  Zwi- 
schen Winter-  und  Sommertemperatur  beträgt  der  Unterschied  in 
Hoskau  27,13^  Berlin  18,4»,  Friedrichshafen  21,98^  Mailand  20,5^ 
Rom  15<>  15^  Neapel  14,05^  Palermo  12,71  <>;  zwischen  dem  wärm- 
sten und  kältesten  Monat  in  Hoskau  31,09^  Petersburg  26,50^  Berlin 
21,21  ^  Rom  16,78^  Palermo  14,36^    Das  Naturleben  Mitteleuropa's 
wird  durch  den  Gegensatz  von  Sommer  und  Winter,  einer  erwachen- 
den reifenden  und  einer  absterbenden  todten  Vegetation  bestimmt. 
Die  angeführten  Zahlen  lehren ,  dafs  dieser  Gegensatz  in  der  mediter- 
ranen Zone  seine  Schärfe  verliert.  Durch  Kälte  erleidet  das  PHanzcn- 
leben  gar  keine  oder  eine  geringfügige  Unterbrechung,  wol  aber  er- 
leidet es  eine  solche  durch  die  sommerliche  Dürre :  im  Haushalt  der 
Natur  nimmt  hier  der  Sommerschlaf  die  Stelle  des  nordischen  Winter- 
schlafs ein.  Beides  die  Winterwärme  wie  die  SommerdUrre  hängt  mit 
dem  jährlichen  Gang  der  Sonne,  mit  der  Verschiebung  des  Calmen- 
und  Passatgürtels  zusammen.  Bei  niedrigem  Sonnenstand  befindet  sich 
das  Hittelmeer  unter  der  Herrschaft  des  feuchten  Aequatorialstroms^ 
bei  hohem  Sonnenstand  unter  der  Herrschaft  des  trockenen  Polar- 
stroms, oder  mit  anderen  Worten  wiegen  im  Winter  westliche  und 
südliche  Winde  vor,  im  Sommer  östliche  und  nördliche.   Das  mittlere 
Europa  erhält  zu  allen  Jahreszeiten  Niederschläge ,  die  reichlichsten 
(z.  B.  Berlin  37  Procent  der  Jahresmenge)  im  Sommer,  den  wir  des- 
halb als  unsere  eigentliche  Regenzeit  ansehen  müssen.^)    Je  weiter 
man  in  Südeuropa  fortschreitet,  desto  geringer  werden  die  sommer- 
lichen Niederschläge,  so  dafs  man  von  einer  absolut  regenlosen  Zeit 
reden  kann,  wie  denn  z.  B.  1877  zu  Neapel  innerhalb  89  Tage,  1828 
auf  Corsica  von  Ende  April  bis  zum  30.  August  kein  Tropfen  Regen 
gefallen  ist    Die  Periode  der  Dürre  nimmt  nach  Süden  an  Dauer  zu: 
sie  wird  gerechnet  für  Florenz  1 ,  Rom  2 ,  Neapel  3,  Sicilien  4—473, 
Malta  6  Monate.    Ihre  Wirkung  wird  durch  die  Verdunstung  erhöht, 
die  bei  Rom  etwa  dreimal  so  stark  ist  als  in  Deutschland.    Aufserdem 
vertheilen  sich  die  Niederschläge  über  ungleich  kürzere  Zeiträume. 
Die  feinen  Landregen,  welche  bei  uns  den  Landmann  froh  und  den 
Touristen  traurig  stimmen,  kommen  im  Süden  selten  vor.  Es  giefst  vom 
Himmel  mit  einer  Heftigkeit  und  Fülle,  welche  gelegentlich  an  die 
Tropen  erinnert.    Aber  dem  entsprechend  dringt  die  Sonne  öfter 

1)  Tgl.  Krflmmel,  Regenkarie  von  Europa  in  Zeitachr.  f.  Erdkunde  XIII, 
Berlin  1878. 


376  Kap.  IX.   Das  Klima. 

durch:  in  Sicilien  zählt  das  ganze  Jahr  höchstens  5  sonnenlose  Tage.^) 
Freilich  darf  man  daraus  nicht  schliefsen  wollen ,  dafs  —  wie  der 
Dichter  von  Griechenland  sagt  —  ein  unbewölkter  Zeus  Ober  Italien 
lache.  Vielmehr  veranlafst  der  Aequatorialstrom  häufige  Wolkenbildung 
und  man  rechnet  z.  B.  für  Palermo  nur  19  vollkommen  wolkenlose 
Tage  auf  das  Jahr.  Aus  dem  Gesagten  erklärt  sich ,  dafs  die  uns  ge- 
läufige Ordnung  der  Jahreszeiten  am  Mittelmeer  hinfällig  wird.  Im 
Norden  wird  der  Uebergang  von  Wärme  zu  Kälte  alknälich  eingeleitet, 
die  vier  Jahreszeiten  bewahren  sämmtlich  ihren  scharf  ausgeprägten 
Charakter.  Je  weiter  nach  Süden,  desto  mehr  verwischt  sich  derselbe 
und  man  unterscheidet  schliefslich  in  Sicilien  und  im  Peloponnes  nur 
zwei  Jahreszeiten,  eine  trockene  von  4 — 5  und  eine  feuchte  von  7  bis 
8  Monaten  Dauer.  Dürre  und  Regenzeit  lösen  einander  in  jäher  Folge 
ab,  indem  Frühling  und  Herbst  auf  wenig  Wochen,  bisweilen  aufläge 
zusammenschrumpfen. 

Die  bedeutende  Ausdehnung  der  Mittelmeerländer  von  West  nach 
Ost  von  Nord  nach  Süd,  ihr  vielgestaltctes  Relief  bedingen  es,  dafs 
diese  Zone  bei  aller  Uebereinstimmung  in  den  Hauptzügen  doch  im 
Einzelnen  grofse  Verschiedenheiten  umfafst.  Seine  geographische  Lage 
weist  Italien  den  anderen  Bestandtheilen  des  Gebiets  gegenüber  eine 
Mittelstellung  an.  Sein  Klima  ist  allen  Extremen  gleichmäfsig  entrückt: 
der  Feuchtigkeit  lusitanischer,  der  Dürre  africanischer  Landstriche, 
den  schroffen  W^echseln,  welche  dem  Osten  eignen.  Mit  Griechenland 
verglichen  erscheint  es  sehr  bevorzugt.  Der  reiche  Segen ,  welcher 
der  westlichen  Culturhälfte  Europa's  im  Gegensatz  zum  slavischen 
Osten  durch  die  Nähe  des  Oceans  beschieden  worden  ist,  macht  sich 
hier  recht  fühlbar.  Das  italische  Klima  trägt  einen  maritimen,  das  grie- 
chische einen  continentalen  Chai*akter.  Die  vom  Pol  herabkommenden 
Winde  verleihen  dem  griechischen  Himmel  jene  vielgepriesene  Rein- 
heit und  Klarheit,  die  das  Auge  des  Künstlers  entzückt  Für  den  Volks- 
wirt verliert  derselbe  seine  Reize:  er  ist  zwar  klarer  als  der  italische, 
indessen  auch  rauher  wechselvoller  zu  Extremen  geneigter.  Der  Bos- 
poros  fror  mehrmals  zu;  der  Unterschied  in  der  Mitteltemperatur  des 
wärmsten  und  kältesten  Monats  beträgt  für  Byzanz  17,9^  für  das  unter 
gleicher  Breite  gelegene  Neapel  nur  16,2^.  Athen  und  Palermo  haben 

1)  Gic  Verr.  Y  26  urbem  Syraeusas  elegerat,  cuiuM  hie  situs  atque  Itaec 
natura  $*se  loci  caelique  dicitur,  ut  nulhu  umquam  dies  tarn  magna  ae  htr- 
bulenta  tempestate  fuerit,  quin  aliquo  tempore  eius  diei  solem  homines  viäe- 
rinL  Plin,II153. 


§  2.  Die  HaupteoneD.  377 

dieselbe  Polhöhe^  ersteres  eine  jährliche  Schwankung  von  19,46^  leCz- 
teres  nur  von  14,36^.  Die  Regenhöhe  Athens  mifst  nicht  mehr  als 
384  mm ,  während  Rom  800  mm  aufweist.  Diese  Ziffer  lehrt  uns  die 
Ursache  der  Armut  von  Hellas  verstehen,  zugleich  die  beispiellose 
Tüchtigkeit  seiner  Bewohner  bewundern,  die  allein  einem  so  kümmer- 
lichen Lande  zu  seiner  geschichtUcben  GrOfse  hat  verhelfen  können. 

§  2.    Die  Hauptzonen. 

Wie  das  Mittehneergebiet  im  Grofsen ,  so  bekundet  auch  Italien 
für  sich  betrachtet  starke  Abweichungen  in  kUmatischer  Hinsicht.  Sie 
werden  durch  seinen  Bau ,  seine  horizontale  und  verticale  Gliederung 
veranlafst.  Das  Land  dehnt  sich  über  nahezu  10  Breitengrade  aus  und 
erhebt  sich  auf  engem  Raum  bis  hart  an  die  Schneegrenze.  Aufserdem 
üben  locale  Einflüsse  wie  die  temperirende  Nähe  der  See,  die  Lage  an 
der  Lee-  oder  Luvseite  des  Gebirges  usw.  die  nachhaltigste  Wirkung 
aus.  Wie  stark  diese  Wirkungen  sein  können,  zeigt  ein  Vergleich  der 
liguriscben  Küste  mit  der  kaum  einen  Grad  nördUcher  belegenen  Ebene 
des  Po:  die  mittlere  Jahrestemperatur  beider  weicht  um  volle  3 — 4<^ 
ab ,  indem  der  bogenförmig  laufende  Gebirgsrücken  Ligurien  vor  den 
Nordwinden  schützt  und  zugleich  die  Sonnenstrahlen  gewisser  Mafsen 
in  einem  grofsen  Hohlspiegel  auffangt  Für  das  gesammte  Norditahen 
erscheint  die  örtUche  Lage  sowie  die  verticale  Erhebung  weit  bestim- 
mender auf  die  Temperatur  zu  sein  als  die  geographische  Breite.  Ein 
Blick  auf  die  Karte  lehrt,  dals  die  mächtigen  GebirgswäUe  der  Alpen 
und  des  Appennin  die  klimatischen  Eigentümlichkeiten  in  mannich- 
fachster  Weise  beeinflussen  müssen.  Sie  hemmen  und  brechen  die 
Luftströmungen,  welche  den  Gang  der  Jahreszeiten  regeln :  der  feuchte 
Scirocco  langt  in  der  nördlichen  Schweiz  als  trockener  Föhn  an ;  die 
Westhälfte  der  Halbinsel  ist  vor  der  östUchen  begünstigt  durch  die 
reicheren  Niederschläge,  welche  der  Appennin  ihr  verschafft.  Eine 
ganze  Menge  kleiner  klhnatischer  Bezirke  könnte  man  danach  unter- 
scheiden: die  Isotheren  und  Isochimenen  laufen  derart  durch  einander, 
dafs  sie  sich  nicht  zu  einem  fafslichen  Obersichtlichen  Bild  vereinigen 
lassen.  Indessen  kommt  es  in  einer  allgemeinen  Darstellung  nur  darauf 
an  die  Hauptzüge  hervorzuheben ,  welche  im  Leben  des  Landes  ihren 
sichtbaren  Ausdruck  gefunden  haben. 

In  zwiefacher  Richtung  ist  der  Gang  der  Geschichte  durch  Boden 
und  Klima  bestimmt  worden.   Wir  sahen  bei  der  Beschreibung  der 


878  Kap.  IX.  Das  Klima. 

einzelnen  Tlieile,  des  Nordens,  der  Halbinsel,  der  Inseln  allenthalben 
drei  Zonen  über  einander  gelagert:  Ebene  Httgel  und  Bergland.  Stets 
fafst  die  Cultur  an  der  Kaste  festen  Fais,  bemächtigt  sich  der  Ebenen, 
dringt  erobernd  aufwärts  in  die  Region  der  HOgel  und  Berge.  Der 
Schauplatz  wechselt,  aber  der  grofse  natürliche  Gegensatz  bleibt  der 
gleiche;  ob  es  sich  um  die  Granitberge  Bruttiams  oder  den  Appennin, 
ob  um  die  Alpen  oder  das  innere  Sicilien,  Sardinien  und  Corsica  han- 
delt, der  Kampf  hat  den  nämlichen  Inhalt.  Sobald  die  Ueberlieferung 
ihre  ersten  Strahlen  auf  die  Vergangenheit  wirft,  enthüllt  sie  das  Toben 
des  Kampfes,  der  all  die  langen  Jahrhunderte  bis  zum  Anfang  unserer 
Zeitrechnung  sich  hinzieht.  Die  starke  Hand  des  Augustus  macht  ihm 
schliefslich  ein  Ende,  indem  sie  das  Gebirge  in  die  Fesseln  der  Cultur 
schlägt  Der  offene  Widerstand  ist  Torbei  und  glimmt  höchstens  im 
Stillen  wie  die  Asche  auf  der  Brandstätte  fort,  bis  auch  sie  erkaltet  und 
das  ganze  Land  die  Formen  civilisirten  Lebens  sich  angewöhnt  hat 
Die  physischen  Bedingungen ,  welche  im  Einzelnen  zu  Grunde  liegen, 
sind  in  anderem  Zusammenhang  dargelegt  worden.  Dagegen  ist  jetzt 
der  Nachweis  zu  führen,  dafs  der  Siegeszug,  den  die  Cultur  Ton  Süd 
nach  Nord  beschrieben  hat,  gleichfalls  in  den  natürlichen  Verhältnissen 
wurzelte.  Durch  die  Vermittlung  Italiens  ist  das  Erbe  des  Orients 
auf  unseren  Erdtheü  übergegangen.  Bodenwirtschaft  und  Städtebau, 
Kunst  und  Gewerbe,  Schrift  und  Religion  sind  aus  der  Fremde  ver* 
pflanzt  worden.  Aber  die  Wanderung  hat  lange  Zeiträume  erfordert; 
es  bedurfte  vieler  Jahrhunderte,  bevor  die  der  mütterlichen  Erde  ent- 
führten Keime  der  neuen  Umgebung  sich  anpassen  lernten ,  heimisch 
wurden  und  damit  für  weiteres  Vorrücken  geeignete  Ableger  liefern 
konnten.  Da  war  es  denn  von  unermefslicher  Tragweite,  dafs  die  sOd* 
liehen  Ausläufer  ItaUens  in  die  warme  Zone  hineinragen ,  welcher  die 
alte  Culturwelt  des  Orients  angehört,  dafs  mithin  die  Aussaat  der  Fron- 
den in  ein  günstiges  Erdreich  fiel.  Nicht  minder  wichtig  war  es,  dafs 
die  Veredlung  des  Landes  vom  gesicherten  Anfang  aus  allmälich  einen 
gedeihlichen  Fortgang  nehmen  konnte.  In  späteren  Abschnitten  wird 
der  Gegenstand  näher  beleuchtet  werden.  Doch  schien  es  bereits  an 
dieser  Stelle  angemessen  nachdrücklich  darauf  hinzuweisen,  dafs  die 
horizontale  Gliederung  nicht  minder  bedeutsam  in  die  Geschichte  Ita- 
liens eingegriffen  hat  als  die  verlicale. 

Von  Nord  nach  Süd  wachsen  die  Jahresisothermen,  auf  das  Niveau 
des  Meeres  reducirt,  von  13®  bis  19<^.  Demgemäß  kann  man  drei 
Hauptzonen  unterscheiden.  Die  erste  mit  einer  Mitteltemperatnr  von 


§  2.  Die  Hauptzonen.  879 

13 — 14^  umfafst  das  Polaod.  Wie  dieses  in  geographischer  Beziehung 
den  Uebergang  bildet  von  der  mediterranen  Welt  zum  Inneren  des  Con- 
ti nents,  so  trifft  der  nämliche  Gesichtspunct  auf  das  Klima  zu.  Es  em- 
pfängt reiche  sommerliche  Niederschläge,  desgleichen  im  Winter  solche 
in  Gestalt  von  Schnee.  Wenn  Strabo  nicht  ganz  Italien  sondern  nur 
dem  gröberen  Theil  ein  günstiges  Klima  zuschreibt,  so  wird  er  wol 
eben  diese  Zone  von  seinem  Lobe  ausgenommen  haben.  In  der  That 
ist  das  padanische  Klima  zu  Extremen  geneigt  und  nähert  sich  weit 
mehr  dem  contiuentalen  als  dem  mediterranen  Charakter  an :  es  hat  die 
Sommerhitze  Siciliens  aber  strengere  Winter  als  Paris  oder  Hamburg. 
Die  zweite  Zone  mit  einer  (auf  das  Heeresniveau  reducirten)  Jahres- 
temperatur von  15 — 16®  befafst  die  liguriscbe  Küste  und  den  grOfseren 
Theil  der  Halbinsel  in  runden  Ziffern  von  44  bis  41  ^  n.  Br.  Einem 
Jeden  welcher  den  Rücken  des  Appennin  überschritten,  wird  der  Ab- 
stand der  beiden  Zonen  im  Gedächtnifs  geblieben  sein.  Wir  wollen 
von  dem  oben  schon  berührten  Gegensatz  zwischen  dem  Pothal  und 
der  ligurischen  Küste  absehen.  Auch  von  der  Aemilia  nach  Toscana 
ist  es  ein  augenfälliger  Sprung.  Die  Olive,  welche  nördlich  vom  Appen- 
nin nur  an  vereinzelten  Orten  ein  treibhausartiges  Dasein  geführt, 
numnt  fortan  den  Vordergrund  der  Landschaft  ein  und  eben  dieser 
Baum  ist  in  der  Pflanzenwelt  der  eigentliche  Vertreter  antiker  und  me- 
diterraner Cullur.  Bologna  hat  ungefähr  dieselbe  Sommertemperatur 
wie  das  44  Bogenminuten  südlicher  gelegene  Florenz  aber  einen  uih 
2,54®  kälteren  Winter.  Die  sommerliche  Regenarmut  macht  sich  in 
dieser  Zone  nach  Süden  zunehmend  fühlbar,  die  meisten  Niederschläge 
empfängt  der  Herbst,  in  zweiter  Linie  der  Frühling.  Der  dritte  und 
letzte  Abschnitt  mit  17 — 19®  mittlerer  Jahrestemperatur  gehört  der 
subtropischen  Zone  an,  die  durch  Winterregen  und  Dürre  des  Sommers 
gekennzeichnet  ist  Er  umschliefst  Corsica  Sardinien  Sicilien  und  die 
Umgebungen  des  Golfs  von  Tarent.  Im  Westen  des  Festlands  fällt  die 
Grenze  an  der  Küste  ungefähr  mit  derjenigen  zwischen  Mittel-  und 
Sttditalien  zusammen.  Wenigstens  zeugen  die  Agiiimenhaine  bei  Gaeta 
von  der  Annäherung  an  ein  neues  klimatisches  Gebiet;  denn  die  Zucht 
dieser  aus  den  Tropen  stammenden  Bäume  (Orange,  Citrone)  ist  dem 
Süden  allein  eigentümlich.  Auch  ist  der  Abstand  der  südlichen  von  der 
Torhergehenden  Zone  mit  hinreichender  Deutlichkeit  ausgesprochen. 
In  der  Vorstellung  der  Alten  behauptete  sie  einen  ähnlichen  Platz  wie 
bei  uns  Deutschen  der  Westen  und  Süden  unseres  Vaterlandes  im 
Gegensatz  zum  Osten  und  Norden.  Hierhin  lockte  sie  ein  ewiger  Früh- 


880  Kap.  IX.   Das  Klima. 

liDg ,  hierhin  flüchteten  sie  vor  den  Unbilden  des  römischen  Himmels. 
Ferner  kam  die  Verschiedenheit  der  geschichtlichen  Entwicklung  hin- 
zu. Die  massenhaften  Ansiedlungen  der  Hellenen  haben  sich  durchaas 
innerhalb  der  eben  umschriebenen  Grenzen  gehalten :  hier  hat  sich 
die  fremde  Flora,  welche  die  einheimische  Terdrängen,  hier  die  Cultur, 
welche  die  socialen  Zustände  des  Landes  Ton  Grund  aus  umwandeh 
sollte,  zuerst  eingebürgert,  von  hier  aus  hat  sie  sich  langsam  nach  Nor- 
den verbreitet.  Dergestalt  werden  durch  die  klimatischen  Abschnitte 
zugleich  die  Hauptphasen  in  der  Cultur-  und  geschichtlichen  Entwick- 
lung ausgedrückt:  der  erste  föUt  zusammen  mit  dem  von  den  Römern 
eroberten  Colonistenland,  der  zweite  mit  dem  italischen  Stammland, 
der  dritte  mit  dem  hellenisurten  Süden.  Bei  uns  in  Deutschland  wird 
das  Khma  milder  und  wärmer,  je  weiter  wir  nach  Westen  fortschreiten 
dem  Ocean  entgegen.  Deshalb  folgen  auch  die  Culturschichten  nicht 
der  Richtung  von  Nord  nach  Süd,  sondern  von  Ost  nach  West:  im 
Osten  das  Colonistenland ,  zwischen  Elbe  und  Rhein  das  germanische 
Stammland  und  endlich  der  Culturboden  des  Orbis  antiquus^  von  dem 
die  Civilisirung  der  Deutschen  ausgegangen  ist. 

§3.   DieWinde.i) 

Im  gemeinen  Leben  werden  und  wurden  nur  zwei  Luftströmungen 
unterschieden :  Nord  oder  Bergwind  {a^ilo,  tramontana  vento  da  terra) 
Sud  oder  Seewind  [auster  nottis^  scirocco  vento  da  fuort) ,  die  wir  in 
technischer  Sprache  als  Polar-  und  Aequatorialstrom  bezeichnen.  3)  So- 
dann haben  die  Alten  nach  den  Weltgegenden  vier  Hauptwinde  und 
endlich  eine  Windrose  von  acht  oder  zwölf  Winden  aufgestellt. 3)  An 
scharfsinnigen  Beobachtungen  fehlt  es  bei  ihnen  nicht:  z.  B.  lesen  wir 
bei  Plinius  eine  solche,  welche  das  berühmte  Dove'sche  Drehungsgesetz 
anticipirt.'^)  Allein  schon  Seneca  bemerkt  mit  Recht,  dafs  fast  eine 
jede  Landschaft  ihre  eigenen  Winde  habe.^)   Wir  fügen  hinzu  dafs  sie 


1)  Supan,  Statistik  der  unteren  Luftströmnngen,  Leipzig  1881. 

2)  Aristot.  Polit.  IV  3  Lucil.XVUöO  Strab.  I  29  Isidor  Orig.  Xffl  11,14  Tgl. 
Galen  XVI  397  Kühn. 

3)  Seneea  nat.  qnaest.  V  16fg.  Plln.  II 119  fg.  Vitror.  16  Galen  XVI  394fg. 
Köhn  GeUius  N.  A.  U  22  Veget.lV38  vgl.Salm8Biu8PliD.exercU.  1244f9. 

4)  N.  H.  II 128  omnes  venti  vicibus  suis  spirani  maiore  ex  parte  ita  ut 
contrarius  desinenti  incipiat  cum  proximi  cadentibus  surgunt,  a  laevo  lä- 
tere  in  dextrum  ut  sol  ambiunt. 

h)  Nat.  quaest.  V  17,  5  infinitum  est  si  singulos  veUm  persequi,   nuUa  emm 


§  3.  Die  WiDde.  381 

diesdbeD  mit  besonderen  anderswo  unbekannten  Namen  bezeichnete. 
Die  wenigen  von  Hause  aus  in  Latium  üblichen  reichten  für  ganz 
Italien  nicht  aus.  Die  uns  geläufige  abstracte  Bezeichnung  der  Wind- 
rose nach  den  Weltgegenden  widerstrebte  der  concreten  Denk-  und 
Sinnesweise  des  Altertums.  Somit  legte  die  Verbreitung  der  lateini- 
schen Sprache  den  Ausweg  nahe  die  gewisser  Biafsen  neutralen  grie- 
chischen Namen  anzunehmen.  Jedoch  ist  in  dieser  Hinsicht  nur  eine 
allgemeine,  keine  Tollständige  Uebereinstimmung  in  der  Litteratur  er- 
reicht worden.  Die  an  sich  verwickelte  Materie  wird  durch  den  Um- 
stand voUig  unentwirrbar,  dafs  unsere  Berichterstatter  ihre  heimat- 
lichen Anschauungen  zum  Theil  höchst  vnllkürlich  mit  den  unter  ganz 
anderen  Verhältnissen  gewonnenen  Sätzen  griechischer  Gelehrten  in 
Einklang  zu  bringen  suchten.^)  Der  Natur  der  Sache  nach  ergeben 
sich  daraus  zahlreiche  Widersprüche,  welche  auf  ein  strenges  System 
zurückzuführen  keinerlei  Sinn  hätte.  Bleiben  wir  bei  unserer  heutigen 
Erfahrung  stehen ,  so  wissen  wir  dafs  die  Vertheilung  der  Winde  von 
der  Vertheilung  des  Luftdrucks  abhängt,  dafs  die  Störung  des  Gleich- 
gewichts in  der  warmen  Jahreszeit  viel  geringer  ist  als  in  der  kalten, 
dafs  endlich  das  mediterrane  Windsystem  dem  grofsen  nordatlantisch- 
polaren  Gebiet  gegenüber  eine  Einheit  für  sich  ausmacht.  Der  Wechsel 
polarer  und  aequatorialer  Strömungen  wird  am  Mittelmeer  local  beein- 
flufst,  weil  das  Barometer  auf  dem  Lande  höher  steht,  der  Luftdruck 
grölser  ist  als  auf  dem  Meer,  und  demgemäfs  auf  dem  Meer  Minima 
sich  bilden.  Eine  einzige  grofse  Depression  giebt  es  hier  aber  nicht, 
sondern  die  Gliederung  in  verschiedene  abgesonderte  Becken  bewirkt, 
dafs  die  maritime  Depression  sich  in  mehrere  Minima  auflöst,  deren 
Supan  im  Ganzen  sechs  einnimmt.  Von  diesen  kommen  drei  unmittel- 
bar für  Italien  in  Betracht  nämlich  1)  das  ligurische  zwischen  Corsica 
und  der  ligurischen  Küste,  2)  das  tyrrhenische  bei  den  Liparen,  3)  das 
ionische  westlich  von  Griechenland  mit  einem  in  die  Adria  auslaufen- 
den Theilminimum.  Hiernach  lassen  sich  eine  Reihe  von  Windgebieten 
umgrenzen,  die  mit  den  klimatischen  Zonen  im  wesentlichen  zusammen 
fallen.  Die  Poebene  stellt  im  Winter  den  Uebergang  vom  nord-  zum 
südeuropäischen  System  dar:  polare  und  aequatoriale  Winde  sind  nahe- 


propemodum  regio  est,  qitae  non  habeat  aUquem  flatum  ex  $e  nascentem  et 
cirea  $e  eadentem, 

1)  Bei  den  Schriftstellern  lassen  sich  die  provincialen  Eindrücke  und  Diffe- 
renien  deutlich  wahrnehmen;  so  z.  B.  treffen  die  Angaben  des  Plinius  für 
die  Poebene  zn,  nicht  für  die  Halbinsel. 


382  Kap.  IX.  Das  Klima. 

zu  gleich  hfluflg.  Wenn  trotzdem  der  Winter  die  trockengte  unter  den 
vier  Jahreszeiten  ist,  so  erklärt  sich  dies  einfach  daraas  dafs  die  Regen- 
winde  beim  Ueberschreiten  des  Appennin  ihren  Feuchtigkeitsgehalt 
grOfstentheils  eingebttfst  haben.  Im  Sommer  ruft  die  verschiedenartige 
Erwärmung  von  Ebene  und  Gebirg  locale  Winde  hervor;  anfserdem 
ist  Supan  geneigt  fOr  die  Sommermonate  ein  secundäres  Minimum  io 
der  Poebene  anzunehmen.  An  der  oberen  Adria  macht  sich  im  Winter 
die  höhere  Temperatur  des  Meeres  geltend,  so  dafs  Nordwinde  durch- 
aus vorwiegen,  die  erst  im  Frtlhling  und  Sommer  südlichen  Platz 
machen.  Ganz  entsprechend  kann  man  für  die  Appenninbalbinsel  die 
Regel  aufstellen ,  dafs  im  Winter  der  Wind  vom  Land  zum  Meer ,  ini 
Sommer  vom  Meer  zum  Land  weht,  also  an  der  adriatischen  Seite  im 
Winter  West-  im  Sommer  Ostwinde ,  an  der  tyrriienischen  Seite  im 
Winter  Nord-  und  Ost-  im  Sommer  Sttd-  und  Westwinde  vorherrschen. 
Dies  Verhaltnifs  ändert  sich  in  der  dritten  klimatischen  Zone  Italiens, 
für  die  das  S.  375  ausgesprochene  allgemeine  Gesetz  unumschränkt 
gilt,  nach  welchem  die  winterliche  Regenzeit  durch  den  Aequatorial- 
strom  die  sommerliche  Dürre  durch  den  Polarstrom  bedingt  wird. 
Uebersichtlicher  als  aus  langen  Erörterungen  kann  die  Vertheilung  der 
Winde  an  die  Jahreszeiten,  welche  den  Charakter  des  Klima  bestimmt, 
aus  einigen  Beispielen  ersehen  werden ,  die  ich  den  Tabellen  Supans 
entlehne.  Die  Ziffern  geben  das  procentiscbe  Verhältnifs,  die  Expo- 
nenten die  Zahl  der  Beobachtungsjahre  an ;  die  Meteorologen  rechnen 
Winter  vom  1.  December  bis  letzten  Februar  u.  s.  f. 


IZ. 

N. 

NO. 

0. 

SO. 

S. 

8W. 

W. 

NW 

Mailand'^ 

W. 

10 

15 

6 

4 

3 

24 

16 

22 

F. 

9 

23 

13 

10 

5 

17 

9 

14 

S. 

9 

21 

9 

10 

6 

21 

8 

15 

H. 

10 

23 

10 

7 

5 

17 

10 

17 

Venedig*- 

W. 

30 

24 

14 

2 

4 

5 

11 

10 

F. 

8 

16 

24 

13 

23 

8 

4 

4 

S. 

9 

15 

17 

12 

30 

7 

5 

5 

H. 

20 

24 

17 

6 

10 

9 

6 

8 

Ancona*"' 

W. 

7 

6 

4 

15 

7 

8 

20 

33 

F. 

7 

9 

10 

28 

8 

8 

10 

20 

S. 

9 

8 

8 

28 

5 

8 

10 

24 

H. 

6 

7 

6 

29 

8 

9 

10 

25 

S  3.  IKe  Winde. 

1 

IZ. 

N. 

NO. 

0. 

SO. 

S. 

SW. 

W. 

NW 

Perugia'- 

W. 

31 

17 

8 

6 

25 

4 

6 

3 

F. 

20 

19 

4 

5 

27 

10 

7 

8 

S. 

17 

20 

5 

5 

24 

9 

12 

8 

H. 

22 

18 

4 

6 

30 

9 

8 

3 

Rom«»- 

W. 

37 

17 

11 

6 

15 

6 

5 

2 

F. 

23 

7 

8 

5 

24 

14 

15 

5 

S. 

15 

9 

5 

4 

26 

19 

19 

3 

H. 

29 

12 

8 

5 

22 

11 

9 

3 

Neapel'*- 

W. 

21 

23 

6 

6 

11 

16 

7 

10 

F. 

11 

15 

6 

6 

16 

30 

8 

8 

S. 

6 

10 

5 

8 

16 

34 

10 

11 

H. 

16 

16 

6 

6 

14 

23 

7 

11 

Syrakus'- 

W. 

10 

9 

11 

9 

10 

11 

33 

7 

F. 

13 

8 

19 

10 

9 

15 

18 

8 

S. 

18 

13 

29 

5 

12 

8 

11 

4 

H. 

13 

10 

21 

8 

13 

11 

19 

5 

888 


Die  Nordwinde  treten  in  Italien  stets  mit  Abkühlung  und  Trocken- 
heit verbunden  auf.  Sie  müssen  den  hohen  Rücken  der  Alpen  über- 
schreiten ,  verlieren  beim  Aufsteigen  die  Feuchtigkeit,  die  sie  etwa  be- 
safsen ,  werden  kälter  und  fallen  mit  Ungestüm  in  das  warme  Mittel- 
meergebiet ein.  Die  gröfste  Heftigkeit  entfalten  sie  dort  wo  die  Gegen- 
sätze der  Temperatur  hart  an  einander  stofsen,  d.  h.  im  gallisch-ligu- 
rischen  und  im  istrisch-venetischen  Littoral  und  nehmen  hier  einen 
specifisch  landschaftlichen  Typus  an,  der  wenigstens  im  ersteren  Gebiet 
die  Aufmerksamkeit  frühzeitig  gefesselt  hat  Der  Mistral  erstreckt  sich 
von  der  Ebromündung  bis  nach  Genua  aber  weht  nur  am  Lande,  da  er 
bereits  in  geringem  Abstand  von  diesem  völlig  erlischt.  Er  ist  der  cha- 
rakteristische Wind  von  Gallia  Narbonensis  und  wird  z.  B.  in  Marseille 
an  1 75  Tagen  im  Jahre  verspürt.  Die  Proven^alen  rechnen  ihn  zu  ihren 
Landplagen.  Sein  Ungestüm,  am  Stärksten  in  der  Uebergangszeit  vom 
Winter  zum  Frühling,  wird  vom  alten  Cato  in  den  Origines  ^)  so  be- 
schrieben: ventus  Cerdus  cum  loqmre  buccam  implet^  armatum  homi- 
nemplauBtrum  oneratum  pereeUit.  Nach  anderen  Schilderungen  2)  deckt 
er  Häuser  ab,  rollt  Steine  fort,  wirft  Männer  vom  Wagen  herunter,  zieht 


1)  Fr.  Vn  5  Jordan.  Gell.  N.  A.  n  22, 39. 

2)  P]iD.XVIl2t  Strab.IVl82  Diod.Y26,l  Säet.  Glsud.  17. 


884  Kap.  IX.   Du  Klima. 

ihnen  Rüstung  und  Gewand  aus.  Dies  ist  keine  Uebertreibung,  da  er  in 
der  Neuzeitr  Eisenbahnzttge  aus  dem  Geleise  getrieben  hat.  Derartiger 
Belästigung  ungeachtet  erkannten  die  Eingebomen  im  Altertum  den 
heilsamen  Einflufs  des  Mistral  dankbar  an  und  führten  auf  ihn  die  Ge- 
sundheit ihres  Landes  zurück:  Kaiser  Augustus  gab  diesem  GefQhl 
durch  Errichtung  eines  Tempels  Ausdruck,  i)  Der  Name  Cercios  und 
Circius  der  mit  dem  vocalischen  Unterschied  in  romanischen  Dialekten 
fortlebt,  auch  als  ventus  GaUieus  bezeichnet 2) ,  wurde  im  weiteren 
Sinne  auf  den  Nordwest  angewandt,  der  sonst  häufiger  eaurus  oder 
corus  heifsl.3)  Das  Gleiche  ist  mit  dem  heutigen  Namen  Mistral  der 
Fall.  Der  Umstand  dafs  Ligurien  und  Gallien  dem  Gesichtskreis  der 
Römer  unendlich  viel  näher  gerückt  waren  als  die  nördliche  Adria, 
erklärt  es  warum  kein  antiker  Schriftsteller  die  eigentümlichen  Er- 
scheinungen dieses  Gebiets  erwähnt  hat^)  In  der  That  war  es  gerade 
die  Bora,  welche  die  Schiffahrt  hier  aulserordentlich  erschwerte  und 
damit  die  lange  Vernachlässigung  der  istrischen  Gestade  verschuldete 
(S.  94).  Sie  wird  aber  nicht  blos  dem  Seefahrer  sondern  auch  dem 
Reisenden  auf  der  Landstrafse  geßlhrUch :  ihre  in  Pausen  wiederholten 
Stöfse  reifsen  Ecksteine  um,  schleudern  Geßihrte  fort,  heben  faust- 
grofse  Steine  vom  Boden  auf.  Ihre  Dauer  wechselt  nach  den  verschie- 
denen Orten  von  Tagen  zu  Wochen  und  Monaten.  Für  die  Einbürge- 
rung des  griechischen  Fremdworts  im  Norden  ist  der  Beachtung  wert, 
dafs  fast  ausschliefslich  padanische  Autoren  vom  boreas  reden,  den  sie 
mit  horrifer  gelidus  Mbemus  nivosus  saevus  furens  tmx  praecep$  ropt- 
du8  violerUus  und  ähnlichen  Eigenschaften  belegen.^}  Auf  der  Halb- 
insel heifst  er  jetzt  Tramontana  und  hiefs  einst  aquilo  Adlerswind  von 
dem  Rauschen  seiner  mächtigen  Fittiche. <^)  Varro  gedenkt  der  Winde, 

1)  Seneca  quaest.  nat.  Y  17, 5  PUd.  XYII  2t. 

2)  Gell.  II  22, 28  in  Narbonne  Cert  oder  Cierce,  im  Ebrothal  Cierzo;  itaL 
Maestro  oder  Maestrale,  prov.  Maestre  fr.  Mistral  u.  s.  w.  als  Meister  der 
Winde  s.  Diez,  Etym.  Wörterbuch. 

3)  Vitruv.  I  6,  10  Plin.  U  121  XVn  21  Veget  IV  38;  der  Name  auch  den 
Hellenen  auf  dem  Festland  und  SicUien  bekannt  Aiist  de  signis  vgL  de  mnodo  4 
Galen  XVI  406  Kühn. 

4)  Eine  dunkle  Kunde  aus  dem  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  findet  sich  bd 
Skymuos  386. 

5)  CatuU  Nepos  Vergil  Livius  Plinius,  auch  Ovid  und  vereinielt  Horax 
Od.  m  24, 38 ;  aber  Cicero  meidet  das  Fremdwort  und  übereetit  es  io  der  be- 
kannten griechischen  Fabel  durch  aquilo  Leg.  1 3  Ar.  Phaen.  247. 56. 327. 38. 85. 
498.  526. 

6)  Fest.  ep.  22  M.  Gic.  Ar.  Phaen.  247  horrisofUs  AquilonU  ati$. 


f  3.  Die  Winde.  385 

die  rasefld  vom  kalten  Pol  losgebrochen  sind ,  der  Sohne  des  Sieben- 
gestirns, die  Dachziegel  Baumzweige  und  Gestrüpp  mit  sich  schleppen,  i) 
Im  Gebirge  führen  sie  allerdings  dem  Menschen  die  Not  des  Lebens 
nahe  (S.  228),  in  der  Ebene  weniger.  Der  Aquilo  scheuchte  die  Wol- 
ken, brachte  Kalte  2);  galt  aber  als  der  gesundeste  aller  Winde.  >)  Mit 
gutem  Grund:  ob  auch  die  Tramontana  oft  rauh  und  eidg,  immer 
scharf  und  trocken  bläst,  so  reinigt  sie  die  Luft  und  giebt  den  er- 
schlafften Nerven  die  Spannkraft  zurück.  Sie  hält  im  Winter  Wochen 
lang  an  und  schafft  ein  köstliches  sonniges  Wetter.  Nach  La  Marmora 
Mt  in  Sardinien  die  schönste  Zeit  des  Jahres  (fe  $ecche  di  genntUo)  um 
die  Zeit  der  Winterwende  und  er  wird  wol  Recht  haben  auf  sie  die 
alkyo&ischen  Tage  zu  beziehen,  die  wie  Aristoteles  sagt,  im  sicilischen 
Meer  fast  regelmälsig  eintreffen.^)  Die  alte  Fabel  lafst  Zeus  dem  Eis- 
vogel 7  Tage  vor  und  7  Tage  nach  dem  Solstiz  Windstille  gewahren, 
damit  er  sein  Nest  bauen  und  brüten  könne.  Simonides  hat  sie  be- 
sungen : 

wg  bnotav  x^^^Qt-ov  xaxit  fi^va  mvioiqg 

ZA^  äfiara  xioaaQa  xal  dixa,  ka^dvsfiov  vi  fiiv 

Sgav  xaXiototv  inix^oviot 

l^v  naiSoTQO^ov  noixliag 

aXxvavoq, 

Alkyone  ist  Tochter  des  Aeolos  und  so  führt  uns  diese  Fabel  von  Neuem 
nach  der  Gruppe  der  Liparen ,  welche  in  den  Windtheorien  der  Alten 
(S.  281)  wie  denjenigen  der  Gegenwart  (S.  381)  einen  so  bedeutsamen 
Platz  behauptet  Wir  dürfen  auch  hoffen,  dafs  die  Forschung  der  Zu- 
kunft diesen  und  ähnliche  Mythen  unserem  vollen  Verstandnifs  er- 
schliefsen  werde.  In  Rom  verhalten  sich  die  nördlichen  zu  den  süd- 
lichen Winden  im  December  und  Januar  wie  46  :  16.  Aber  bereits 
im  Februar  sinkt  das  Verhallnifs  auf  19 : 9  und  die  Mandelbäume  fangen 
An  zu  blühen.  Die  Allen  setzten  Frühlingsanfang  auf  den  7.  8.  oder 
10. Februar.^)  Der  laue  West  brachte  ihn,  der  die  grimmige  Kälte  löst, 
Schwalben  und  Zugvögel  zurückführt,  der  ganzen  Schöpfung  seine  be- 
achtende Kraft  mittheilt.  Daher  hieben  sie  ihn  Favoniw  den  gün- 
stigen und  übertrugen  auf  ihn  die  nämlichen  Eigenschaften ,  welche 


1)  Bei  Nop.  p.  46  n.  lyrtw,  vgl.  Vecg.  Georg.  HI  1961g. 

2)  Seoeca  Y 18, 2  Martiai  Y  9  Galen  XYI 411  XVII 1,  31  Kühn. 

3)  PliD.  n  127  Galen  XYI  401  oi  Hk  ßo^BOt  iyuivoxe^oi. 

4)  Arist  bist.  an.  Y  8  Piin.  0  125  X  90  vgl.  Preller  Gr.  Myth.  U  249. 

5)  Yarro  RR.  1 28  Ovid  Fast  U  149  Golnm.  XI  2  Plin.  II  122. 

17 1 •■  •  B ,  It»l.  LandMlraBd«.   I.  26 


386  Kap,  IX.   Das  Klima. 

die  Griechen  ihrem  Zephyros  zuschrieben.  ^  Im  Murz  nehmen  die  süd- 
lichen Winde  an  Zahl  zu  (15 :  16).    Der  Africanerwind  kämpft  nach 
des  Dichters  Ausdruck  mit  den  Nordwinden.^)    Seine  Herkunft  gab 
ihm  den  Namen  Äfricus  Ahp  noch  jetzt  Uheedo,   Dieser  Südwest  tritt 
an  der  tyrrhenischen  Küste  mit  aufserordenüicher  Heftigheit  auf  und 
rechtfertigt  die  Bezeichnungen  der  Alten,  die  ihn  als  den  eigentlicbea 
Sturmwind  hinstellen.')    Im  April  gewinnen  zu  Rom  die  südlichen 
Winde  die  Oberhand  (18:12)  und  behaupten  sie  für  die  nächsten  vier 
Monate  in  dem  Verhältnifs  2:1.    Dasselbe  trifft  auch  für  Neapel  za» 
kehrt  sich  aber  in  Bruttium  und  Sicilien  vollständig  um  (S.  382).  Das 
Vorherrschen  südlicher  Winde  in  den  Sommermonaten  hat  dem  römi- 
schen Klima  seinen  Übeln  Ruf  verschaflTt;  denn  während  sie  zu  Neapel 
und  in  unmittelbarer  Nähe  der  See  weniger  lästig  fallen ,  passiren  sie 
auf  ihrem  Wege  zur  ewigen  Stadt  eine  sumpfige  fieberschwangere 
Ebene,  deren  Miasmen  sie  mit  sich  fortschleppen  (S.  326).^) 

Insgemein  sind  die  Alten  auf  den  Südwind  schlecht  zu  sprechen. 
Die  Namen  deuten  auf  seine  wichtigsten  Eigenschaften  hin:  der  ein- 
heimische auster  bezeichnet  ihn  als  den  Wärme  &),  der  griechische 
notus  als  den  Regen  bringenden.  <^)  Beide  haben  in  der  Neuzeit  dem 
arabischen  Lehnwort  teirocco  Platz  machen  müssen. '0     Er  bringt 


1)  Gic.  Yerr.  Y  27  Fam.  IX  24, 2  Lacrez  I  1 1  genitabilis  aura  Favoni  V  735 
Bor.  Od.  I  4  solvitur  aerit  hiemt  grata  vice  veris  et  Favoni  Plin  XVI  93  ^r- 
nitaUs  ipiritus  mundi  a  fovendo  didu»  11  122  ehelidonian  vocant  ab  hirun- 
dinis  viiu,  nonntäli  vero  amithian  ab  adventu  avium  XYIII  337.  —  D«r 
Name  ist  abgeleitet  von  favere  vgl.  Faunut, 

2)  Hör.  Od.  1  3, 12  praeeipitem  Africum  deeertaniem  aquiUmibus, 

3)  Sen.  Y  16,6  ab  oeeidente  hibemo  jifrieu$  furibundu*  et  ruetu,  apuä 
Graeeos  b'ps  dicitur.  Yerg.  Aen.  1 85  ereber  proeelHs  Jfrieus  Hör.  Od.  Ol  29,  57 
£p.  16,  22  Gaes.  b.  cIt.  III  26.  27  Schildemng  eines  solchen  Stnnns  Ratil.  I 
617--44.  4)  Galen  XYI  401  oi  ^  anh  twv  ildv  (iSvtfJLOt)  xaxunoi. 

5)  jiutter  schon  bei  Gato  und  Ennina,  verwandt  wie  es  scbdnt  mit  «r» 
u$tui  avw  vgl.  Gurtius  Gr.  Etym.*  p.  370.  Galen  XYI  411  o  d^  voxoQ  ^e^yuo; 
xal  vyQog  zy  fpiasi. 

6)  Ygl.  voxioq  feucht,  voxla  Regen,  vott^uv  nassen,  voxetv  triefen,  Gell. 
N.  A.  ü  22,  14  Gartina  a.  0.  p.  298.  —  Ovid.  Met  I  264  madidit  noiuM  n>oUt 
alii,  Amor.  I  4, 12  Ber.  2, 12  3,  58  Yerg.  Aen.  YI  355  Hör.  Ep.  10, 19  Od.  1 7, 15 
Seneca  Agam.  497. 

7)  Scirocco  vom  Sirius  (oder  gar  von  asigow)  abzuleiten  verwehren  die 
Lautgesetze;  vgl.  Dies  Etym.  W5rterb.  d.  Rom.  Spr.  Nach  einer  Mittheilvng 
N51deke's  findet  sich  reiches  Material  zur  Geschichte  des  arabischen  Wortes 
bei  Doxy,  Oosterlingen.  Yerklarende  Itjst  der  Nederlandsche  woorden,  die  uit 
het  Arabisch  ;  .  .  afkomstig  zijn,  Leiden  usw.,  1667,  p.  83  fg. 


f  3.   Die  Winde.  387 

Regen  i)  und  Gewitter. >)  Im  Winter  heifst  er  kalt  und  unfreundlich, 
da  er  mit  seinen  Wolken  die  Sonne  verhüllt ,  auf  deren  Schein  der 
Südländer  ein  unantastbares  Anrecht  zu  haben  glaubt,  und  wird  ge- 
scholten trotz  des  Segens,  den  die  Fluren  aus  seinem  Schofs  empfangen,  s) 
Im  Sommer  ist  er  meist  schwach,  da  der  Luftdruck  Ober  Land  und 
Meer  sich  ziemlich  ausgeglichen  hat:  seine  Sanftmut  wird  denn  auch 
wol  von  Reisenden  lobend  anerkannt.^)  Aber  am  Land  ist  er  schwül, 
legt  sich  wie  Blei  um  die  GUeder,  verdirbt  Blüten  uod  Reben,  der  Ge- 
sundheit im  Aligemeinen  und  ganz  besonders  durch  seine  Trockenheit 
schädlich.  &)  Die  Alten  haben  bei  diesen  Aeufserungen  eine  Abart  des 
Südwinds  im  Auge,  die  man  wol  als  trockenen  Scirocco  bezeichnen 
konnte.  Letzterer  tritt  local  und  in  allen  Jahreszeiten,  vorwiegend 
jedoch  in  den  Uebergangszeiten  Herbst  und  Frühjahr  auf,  aus  Süd- 
ost, Süd  und  Südwest  und  trägt  einen  sturroartigen  Charakter.  Er  ist 
stets  von  einem  dichten  Duost  begleitet,  der  dem  Himmel  ein  gelbes 
oder  bleifarbenes  Aussehen  verleiht  (phimbeu$  auster).  Eine  dumpfe 
Schwule  liegt  in  der  Luft,  die  wenigen  Regentropfen,  die  fallen,  bringen 
keine  Abkühlung.  Das  Thermometer  steigt  auf  das  höchste  betreffen- 
den Ortes  beobachtete  Maximum.  Die  Verdunstung  ist  aufserordent- 
lich  stark.  In  rasender  Schnelligkeit  fliegt  der  Sturm  einher,  gelegent- 
lich mehr  ab  100  km  die  Stunde.  Er  sengt  die  Blüten  und  kann  die 
Aussichten  der  Wein-  und  Ollvenernte  zu  Schanden  machen.  Er  ver- 
ursacht eine  unerti*ägliche  Beklemmung,  eine  verzweifelnde  Abspan- 
nung der  Nerven.  Zum  Glück  dauert  er  höchstens  drei  Tage,  nach 
seinem  Aufhören  atmet  Mensch  und  Thier  auf,  von  einer  schweren 
Bürde  erlöst.  In  dieser  Weise  tritt  er  auf  Sicilien  und  dem  Festland 
bis  nördlich  von  Rom  auf,  wenn  auch  je  weiter  nordwärts  in  desto 
abgescbwächterem  Grade.    Mit  den  spärlichen  Niederschlägen  pflegt 


1)  PUn.lI  126  umiäi  Afrieu»  et  praecijme  muUr  UaUoB  Ovid  Met  I  66. 
3)  Lacres  V  743  muUr  fuimine  poUens, 

3)  Verg.  Georg.  DI  278  nigerrimus  aiuter  •  .  .  phtvio  cantristat  Mg^re 
eaeium  eb.  rV261  und  Prep.  DI  26,  36  (vgl.  16,  56)  frigidui  ausUr  Tiball  I 
1,  47  geUda»  hibermu  aquas  ettm  tktdtrit  auster, 

4)  Cato  fr.  8  p.  34  Jordan  De.  Att.  YU  2, 1. 

5)  PliB.lI  126  aestuonu  muier  .  .  .  noatius  tnuter  et  magU  neeus,  far- 
tassü  qida  umidut  frigidiar  est.  minus  esurire  eo  spirante  ereduntur  am- 
manies.  Horaz  Od.  11 14,  16  frustra  per  autumnos  nffceniem  eorporiäus  me- 
iuenms  austrum  8at  II  6, 18  plwmbeus  muster  eb.  2, 41,  Od.  DI  23, 6  nee  pesU- 
ieniem  senHet  Afrieum  feeunda  vttis  Yerg.  Ecl.  2, 58.  Nach  Aristoteles  de  signis 
heifst  voTOi  .  ,  .  Sta  rb  voaw^i  ilvat. 

25* 


388  Kap.  IX.  I>as  Klima. 

ein  feiner  Staub  zu  fallen,  der  die  BUftter  mit  einer  roten  oder  milchig 
weifsen  Decke  überzieht  Die  rote  Farbe  rührt  von  der  Beimiscliuog 
oxydirter  Eiseupartikelcben  her,  die  weifse  von  gewöhnlichen  Kiesel- 
und  Kalkbestandtheilen.  Die  Erscheinung  war  den  Allea  wol  bekannt 
und  wurde  Ton  ihnen  als  Milch-  und  Blutregen  unter  die  Prodigien 
gerechnet  0  Als  Ergebnifs  seiner  mikroskopischen  Untersuchungen 
stellte  Ehrenberg  die  Ansicht  auf,  dafs  dieser  Blutstaub  aus  Sfidamerica 
stamme;  von  anderer  Seite  her  verfocht  Dove  im  Ansdilub  an  seine 
geniale  Windtheorie  die  Meinung  die  Sciroccostürme  für  Ausläufer  der 
westindischen  Cyclone  zu  erklären.^)  Allein  die  (gelehrten  der  Schweiz 
und  Italiens  suchen  dem  alten  Volksglauben  treu  den  Ursprung  des 
Scirocco  in  der  Sahara.  Bei  dieser  noch  schwebenden  Streitfrage  ist 
von  Interesse  zu  betonen,  dafs  die  Alten,  wie  der  Name  besagt,  den 
Wind  aus  Africa  herleiteten  und  seine  Wärme  aus  der  Wüste  erkürten '), 
dafs  das  Mittelalter  den  arabischen  Ausdruck  für  Wüstenwind  zur  Be- 
zeichnung desselben  anndim,  gerade  wie  die  Deutschen  den  verwandten 
Fühn,  dessen  Wirkungen  sich  über  die  Schweiz  bis  nördlich  vom  Boden- 
see erstrecken,  mit  walschem  Namen  benannten.^) 

Ueberhaupt  begegnet  in  der  Namengebung  der  Winde  nichts  häu- 
figer als  die  Herübernahme  von  Fremdwörtern  oder  die  Bezeichnung 
nach  denjenigen  Ländern,  aus  deren  Richtung  sie  wehen.  Das  Eine 
wie  das  Andere  setzt  eine  gewisse  Ausdehnung  des  geographischen 
Horizonts  voraus  und  eignet  in  Italien  erst  der  entwickelten  Verkehrs- 
epoche  unter  Augustus.  So  wird  eu(fog  Ost  oder  Südost  eingebürgert, 
der  bei  Horaz  aquosus  heifst ,  was  für  die  adriatische  LandeshftUte  ja 
auch  seine  Richtigkeit  hat&)  Die  oben  mitgetheilte  Tabelle  zeigt,  dafs 
er  in  der  Westhälfte  selten  weht  und  deshalb  fehlt  auch  ein  eigentlich 
volksttioriicher  Name  wie  aquilo  und  autier.  Wol  aber  gab  es  einen 
solchen  bei  den  Seeleuten,  denen  eine  genaue  Unterscheidung  der 
Hinunelsgegenden  am  Herzen  lag :  statt  des  gebildeten  etfina  brauchten 
sie  das  anschauliche  aus  dem  griechischen  aTtfiXuoTtig  übersetzte  i»^ 


1)  Gic  Didn.  U  68  Pilo,  fl  147  Uv.  XXIV  10  XXVI  23  XXVH  37  o.  o. 

2)  Ehrenberg,  Ober  Passatetaab  and  Blatregen,  Abb.  d.  Beri.  Akad.  1847 
p.  269  fg.  Dove,  über  Eiszeit  Föhn  und  Scirocco,  Berlin  1867. 

3)  Macrob.  Somn.  Sdp.  II  6,  20. 

4)  Föhn  «1  Favoniui,  Grimm  Deutsch«  Wörterbuch  m  1869. 

5)  Hör.  Sp.  16,  54,  leniter  pkwius  PUn.  XVIH  337.  Seneca  V  16,  4  W  «^ 
euruM  imn  dvOalt  d^matua  9H  et  notbro  semumi  nan  tamquam  MÜmui  in- 
tervenit. 


§  3.  Die  Winde.  889 

Bolamuy  80  auch  die  Bauern  im  Poland.^)  Die  Windrosen  fahren  ferner 
als  Südost  den  voltumu$  auf  und  zwar  scheint  ihm  Varro  diesen  Platz 
angewiesen  zu  haben. >)  Der  Name  war  im  Volksmund  heimisch,  wie 
uns  sowol  für  Apulien  als  Hispania  Baetica  bezeugt  wird,  ist  aber  in 
der  Schriftsprache  nicht  recht  durchgedrungen.')  In  der  Schlacht  bei 
Cannae  hatte  Hannibal  seine  Stellung  so  gewählt,  dafs  der  Voltnrnus 
aus  den  yerdorrten  Feldern  dem  römischen  Heer  dichte  Staubwolken 
ins  Gesicht  trieb.^)  An|  einen  Scirocco  hat  man  hierbei  ohne  Zweifel 
zu  denken:  ein  beliebiger  Wind  genügt  freilich  um  in  Italien  bei 
langer  Darre  Staub  von  einer  Dichtigkeit  auftuwirbeln,  dafs  kein 
Fensterrerschlufs  sein  massenhaftes  Eindringen  ins  Zimmer  abwehrt ; 
doch  legt  ihm  Columella  ausdrücklich  sciroccalen  Charakter  bei.  Aus 
der  S.  383  gegebenen  Uebersicht  erhellt,  dafs  auch  der  Nordwest  in 
der  tjrrhenischen  Landeshälfte  nicht  zu  den  häufigen  Winden  zählt. 
Immerhin  ist  sein  Name  eauru$  oder  corus  (dunkler  Herkunft)  in  der 
Litteratur  früher  und  allgemeiner  verbreitet  als  der  vorhergehende.') 
Dafs  er  als  kalt  und  stürmisch  galt,  versteht  sich  von  selbst.')  Der 
feine  Ton  untersagte  den  Gebrauch  von  provinzialen  Ausdrücken  die 
man  in  der  Hauptstadt  nicht  verstand:  auch  Horaz  entging  dem  Tadel 
nicht  wegen  seiner  den  Lesern  dunkeln  Verse '^): 

ineipit  ex  ilh  montes  JppuHa  notos 
osientart  mihi,  quos  iorret  Atabuhu» 

1)  Gell.  N.  A.  11 22,  8  mnu  .  •  .  Rmnani*  nauiieis  subsolanus  cagnami- 
naiur.  Seneca  V  16,  4  PUd.  II  119.  122.  126  XYII 131  XYIU  337.  30.  ViUuv  I 
6,  4  sagt  daf&r  allein  solantu, 

2)  SenecaY  16,  4  Yitniv  I  6,  10  Gell.  N.  A.n  22,  10  Plin.ü  119. 124. 126 
Veget.  IV  38. 

3)  LIv.  8.  A«4.  Golnm.  V6  BaeHüoe  provineiae  .  .  .  ptaedam  pariet  iic 
infesianiur  euro^  quem  ineolae  FoUumum  appeüant,  XI 2  eurui  quem  qui- 
dam  F^Uumum  appeüanU  Plinius  braucht  den  Namen  fflr  SO  ohne  Bedenken 
VI  106  XVm  338  seq. 

4)  Liv.  XXn  43  eoilra  potuerat  aversa  a  FoUumo  venia ,  qtU  eampU 
iarriÜe  eieeUaie  nubes  puiveris  vekU,  c.  46  veniue  —  Foltumum  regitmU 
ineolae  vocani  —  adversus  RomanU  eoorius  muUo  puhere  in  ipea  ora  vol- 
vendo  praepeeium  ademit  Tgl.  Seneca  a.  0.  Appian  Hann.  20  Zonar.  IX  1 . 

5)  Lncr.  VI  135  Gaes.  b.  Gall.  V  7,  3  Laber.  com.  fr.  181  Verg.  Georg,  m  356 
Colomella  Seneca  Plinina  Gellius  Vegetins  a.  0.  Galen  XVI  406  K6hn.  Um 
seine  Windrose  von  24  Winden  benennen  zn  können,  winVitmv  I  6,  tO  eau- 
ru9  and  ewue  von  einander  unterscheiden. 

6)  Lncret  Vergil  a.  0.  Plin.  XVII!  338  GraeeU  dtetue  argreeiee,  ex  frigi- 
dissimie  ei  ipee  eieui  amnet  qui  a  eepienirionU  parie  tpirani, 

7)  Sat.  1 5, 78  vgl.  Quint.  Vm  2, 13  Gell.  H  22, 25  Sidon.  Apol.  Ep.  1 5  Galen 
XVI  400  Kflbn. 


390  Kap.  IX.   Dag  Klima. 

Er  scheint  damit  nach  einem  anderen  (messapischen  ?)  Dialekt  den 
nämlichen  Scirocco  zu  meinen ,  den  wir  oben  als  Volturnus  kennen 
lernten. 0  Aufserdem  wird  der  iapyx  erwähnt:  so  hiefs  nach  der  Lage 
des  Landes  den  Griechen  der  Nordwest.  Da  er  auf  der  belehtestea 
Route  der  alten  Welt  für  die  Ueberfahrt  von  Italien  nach  Griechenknd 
in  Frage  kam ,  ist  er  der  gebildeten  römischen  Gesellschaft  unter  die- 
sem Namen  nicht  ganz  unbekannt.  2)  Im  Uebrigen  sind  die  meisten 
solcher  localer  Benennungen  für  uns  verschollen.^)  Für  den  im  Hoch- 
sommer in  der  regenlosen  Zone,  namentlich  in  Griechenland  mit 
grofser  Regelmäfsigkeit  wehenden  Nordostpassat  wird  wol  das  Fremd- 
wort etesiae  gebraucht,  okne  indefs  eigentliches  Bürgerrecht  erlangt 
zu  haben. ^) 

§4.    Die  Niederschläge. 

Die  gemäfsigte  Zone  empfängt  in  allen  Jahreszeiten  Niederschläge, 
am  reichlichsten  im  Sommer,  unter  der  Gestalt  von  Schnee  im  Winter. 
Die  subtropische  hat  eine  regenlose  und  eine  Regenzeit,  das  Maximum 
der  Niederschläge  bei  niedrigstem  Sonnenstand,  keinen  Schnee.  Ge- 
mäfs  seiner  horizontalen  Ausdehnung  vermittelt  Italien  den  Ausgleich 
zwischen  diesen  grofsen  Gegensätzen.  Wir  lesen  bei  Plinius  ^)  vota 
arhorum  frugumque  communia  9Ufit  nivi$  diutinas  sedere:  eine  Bauern- 
regel, die  im  Munde  eines  Italieners  befremdend  zu  klingen  scheint. 
In  Wirklichkeit  schneit  es  im  Poland  durchschnittlich  9,3,  in  Bologna 
sogar  15,5  Tage,  am  häufigsten  im  Januar,  der  Regel  nach  von  Novem- 
ber bis  März ,  gelegentlich  aber  auch  im  October  und  April.  Ferner 
fällt  der  Schnee  bisweilen  in  Massen,  die  in  der  Ebene  so  gut  wie  im 
Appennin  den  Verkehr  zum  Stocken  bringen,  und  bleibt  bisweilen 
3  Monate  lang  liegen.  Auf  der  Halbinsel  geniefst  man  den  Anblick 
einer  Schneelandschaft  nur  im  Gebirg.  Für  Mittelitalien  werden  durch- 
schnittlich 4,1  Schneetage  gerechnet  (Perugia  7,6  Florenz  3,2  Rom  1,4 
Ancona  1,7  Neapel  0,2);  doch  bleibt  der  Schnee  nur  selten  liegen. 

1)  Seneca  V  17,  5  Plin.  XVH  232. 

2)  Arist.  de  signis,  de  mundo  4  Hör.  Od.  I  3,  4  Verg.  Aen.yin  710  Ond 
Met.  XV  52  Sen.  V 17,  5  GeU.  U  22,  21  Veget  IV  38. 

3)  Aristoteles  de  signis  führt  ans  Sicilien  an  Katano^fäaQ  0,  von 
noQ^liSi;  aus  Tarent  Sxvktittvoq  W?,  vom  Busen  d.  N. 

4)  Lucr.  V  740  VI  730  etesia  flabra  aptilonum  Gic.  Fam.  Xu  25,  3  de  deor. 
nat.  U  131  Gaes.  b.  civ.  01107  Plin.  ü  124.  27  XVIÜ  270  Liv.  XXXVH  23, 4  Se- 
neca V  10  GelL  II  22, 30  u.  a. 

6)  XVII  14. 


§  4.   Die  Niederschlage.  391 

}VeQn  solches  kürzlich  io  Palermo  fttr  Tolie  24  Stunden  der  Fall  war, 
so  kommen  derartige  Ausnahmen  während  eines  Menschenlebens  nicht 
leicht  wieder  vor.  Die  Regenmenge  ist  in  Italien  gröfser  als  in 
Deutschland,  am  grObten  am  Fufs  der  Alpen  (S.  144)  und  im  west- 
lichen Appennin  (S.  224).  Sie  nimmt  im  Allgemeinen  nach  Süden  ab. 
Der  bevorzugte  Regenmonat  ist  der  Oclober,  am  Fufs  der  Westalpen 
auch  wol  der  Juni,  in  der  subtropischen  Zone  der  December.  Der 
ganze  Norden  empfängt  im  Sommer  noch  bedeutende  Niederschläge, 
auch  im  Appennin  bis  Apulien  hinunter  kann  man  zu  dieser  Jahreszeit 
jeden  vierten  Tag  auf  Regen  rechnen.  Dies  ändert  sich  trotz  der  vor- 
herrschenden  Aequatorialströmung  am  appenninischen  Littoral,  weil 
dessen  starke  Erwärmung  die  Verdichtung  der  Wasserdämpfc  erschwert. 
In  Folge  dessen  nimmt  die  Zahl  der  Regentage  wie  die  sommerliche 
Regenmenge  nach  Süden  constant  ab.  Der  regenärmsle  Monat  ist 
durchweg  der  Juli,  in  Oberitalien  auch  wol  Januar  oder  Februar.  Die 
Vertheilung  der  Niederschläge  an  die  Jahreszeiten  in  den  verschiedenen 
Laadachaften  erhellt  aus  folgender  Oebersicht,  die  ich  nach  Fischer's 
Studien  zusammenstelle  (die  Exponenten  bedeuten  die  Zahl  der  Be- 
obachlungsjahre,  RT  Regentage,  ST  Schneetage). 


Jahr 

Wiater 

FrühUng 

Sommer 

Herbst 

RT 

ST 

Turin«'- 

789,05 

116,08 

207,71 

249,73 

215,53 

79,6 

8,6 

Hailand''- 

966,5 

205,5 

229,9 

233,1 

298,0 

85,1 

6,5 

fiologaa'*- 

535,7 

98,4 

107,8 

159,4 

170,3 

73,5  15,5 

Florenz'*- 

1075,8 

309,6 

243,3 

196,4 

326,5 

97,8 

3,2 

Perugia"- 

1046,3 

252 

235,7 

237,8 

320,8 

113,5 

7,6 

Genua'*- 

1286 

325 

279,2 

161,3 

520,5 

93,9 

1,7 

Ancona'**- 

725 

176 

145 

144 

262 

94,8 

IJ 

Rom**- 

800 

248,61 

181,86 

79,31 

289 

111 

1,4 

Neapel**- 

896,8 

274,3 

183,5 

94,1 

344,7 

96,9 

0,2 

Palermo*'- 

590,8 

220,2 

137,6 

31 

202 

97,1 

Syrakus'*- 

463,6 

150,2 

125,4 

4,9 

182,8 

64,3 

Die  Zahl  der  Regentage  in  Deutschland  ist  beträchtlich  gröfser 
(156,5  im  Mittel),  die  Regenmenge  beträchtlich  geringer:  folglich  lie» 
fert  ein  Regentag  in  Italien  durchschnittlich  das  doppelte  Quantum, 
oftmals  aber  gewaltige  Massen.  Im  October  stürzen  wahre  Fluten  vom 
Himmel  herunter,  namentlich  am  Abhang  der  Alpen.  So  mafs  wäh- 
rend dieses  Monats  1872  der  Regenmesser  an  zwei  Orten  Piemonts 
1246,8  nun  resp.  1759,6  mm.    In  Genua  zeigte  er  in  24  Stunden 


892  Kap.  IX.  Das  Klima. 

812,2  mm  an,  in  Palermo  innerhalb  VU  Stunde  76  mm.i)  Wie  ver-« 
beerend  diese  Niederschlage  in  das  Leben  des  Landes  eingreifen ,  ist 
in  anderem  Zusammenhang  dargelegt  worden.  Wie  wenig  sie  der 
Vegetation  zu  Gute  kommen,  mit  unseren  prosaischen  Landregen  ver- 
glichen ,  ergiebt  sich  von  selbst.  Der  Aenderung  in  der  VertheiiuDg 
der  Niederschlage  an  die  Jahreszeiten  entspricht  die  verschiedene  Yer- 
theilung  der  Gewitter.  In  Deutschland  sind  solche  der  Regel  nach  anf 
die  Sommermonate  Mai  bis  September  beschrankt.  In  Oberitalien  er- 
streckt sich  ihre  Dauer  schon  langer,  nämlich  von  April  bis  October. 
Auf  der  Halbinsel  und  Sicilien  kommen  sie  das  ganze  Jahr  hindurch 
vor.  Die  Monate,  aufweiche  die  meisten  Gewitter  entfallen,  wechseln 
in  den  einzelnen  Landschaften  ziemlich  stark:  z.  B.  Genua  Juni — 
October,  Florenz  Mai  —  September,  Rom  Juni  —  October,  Palermo 
März  Mai  October,  Syrakus  October-^ December.  Im  Allgemeinen  tritt 
uns  die  Erscheinung  entgegen,  dafs  die  Gewitterperiode  in  der  subtro- 
pischen Zone  sich  in  die  Regenzeit  zurOckzieht,  wahrend  der  Sommer 
davon  verschont  bleibt.  Uebrigens  ist  es  nicht  zu  verwundem ,  dafs 
die  Ansichten  der  Alten  in  dieser  Beziehung  auseinander  gehen.  Pfi- 
nius  meint:  die  Gewitter  gehörten  den  Uebergangszeiten  an  und  waren 
in  Italien  besonders  häufig,  weil  hier  bei  dem  milden  Winter  und 
feuchten  Sommer  gewifser  Mafsen  stets  Frühling  oder  Herbst  sei.  Er 
erklart  ausdrücklich,  dafs  sie  in  Latium  und  Campanien  Winters  und 
Sonmiers  gleichmafsig  vorkommen.^)  Seneca  schreibt  die  meisten  dem 
Sommer  zu;  ein  Wetter  zur  Erntezeit  schildert  Vergil  3): 

säepe  etiam  immemum  eaelo  vtnit  agmen  aquarum 
et  foedam  glotnerant  iempestatem  imbribta  atris 
eolleoiae  ex  aUo  nubes;  mit  arduut  aether 
et  pluvia  ingenH  tata  laeta  boumque  tabores 
diluit;  implentur  fossae  et  eava  flumina  ereseunt 
cum  eonitu  fervetqu€  fretU  epirantibus  aequor, 
ip$e  pater  media  nimborum  in  noete  eoruica 
fuhnina  moUtur  dextra:  quo  maxuma  motu 
terra  tremit;  feigere  ferae  et  mortaUa  eorda 
per  gentee  humiUs  straoit  pavor:  iile  flagranti 
out  Athon  aut  Rhodopen  out  alia  Ceraunia  teto 
deieitf  ingeminant  auetri  et  dennssimu»  imber. 

1)  Der  November  1882  brachte  uns  ia  StraGsbnrg  Hochwaaser  adir  hohen 
Gnindwasaerskand  sowie  Ueberachwemmuni^n;  aber  die  32  Regentage  dieaea 
Monats  erzielten  nnr  eine  Regenhöhe  von  08  mm.  —  Vgl.  Gic.  an  Quint  lU  7. 

2)  n  135  fg.  195  übereinstimmend  Lncr.  VI  357.  An  den  Frflhling  denkt 
Boras  Od.  I  4,  7. 

S>  Sen.  nat.  qoaeat  11  57  Verg.  Georg.  I  322  fg. 


§  4.  Die  NiedenehUge.  398 

Auf  die  starke  Verdunstung  ward  S.  375  hingewiesen.  Sie 
betragt  nach  Soden  hin  zunehmend  im  Mittel  das  Dreifache  der  Nieder- 
schlagsmenge. Sie  wachst  aufserdem  bei  gröfserer  Trockenheit  der 
Lufit  und  bei  höherem  Sonnenstand.  Einen  gewissen  Ersatz  bietet 
während  der  Dürre  derThau,  welcher  nicht  selten  vor  Sonnenaufgang 
so  reichlich  f^Ilt,  dafs  er  den  Reisenden  auf  offenem  Wagen  völlig 
durchweicht.  Wie  wert  die  himmlische  Gabe  von  den  Alten  geschätzt 
wurde,  wissen  wir  aus  ihren  Dichtern  ^ : 

xolo  ^  Bvfioq 
idv^,  (iael  re  negl  ataxveaaiv  Hparj 
krjtov  ak^axovxoq ,  ox€  fpQlaaovciv  äQOVQai' 
äg  aga  aol  MeviXae  fiBxa  <pQBal  dvfiig  iav^» 

et  quaniitm  longU  carpeni  armenta  diebus 
9xigua  iantum  gelidus  ro*  noete  r^ponet. 

Aber  es  sind  doch  vorwiegend  nur  die  nördlichen  und  höher  gelege- 
nen Gegenden,  die  des  Segens  froh  werden.  Um  in  den  heifsen  Ebenen 
des  Südens  die  Vegetation  vor  dem  Verschmachten  zu  retten  reicht 
der  Thau  so  wenig  wie  der  Regen  aus.  Damit  die  Saftströmung  regel- 
mafsig  fortgehen  kann,  mufs  das  Erdreich  dauernd  durchfeuchtet  sein. 
Aber  die  sommerlichen  Regengüsse  fliefsen  oberflächlich  ab  und  ver- 
dunsten in  der  Sonne,  ohne  dafs  die  Pflanze  Zeit  behält  das  Nafs  in 
ihr  Gewebe  aufzunehmen.  Daher  kommen,  wie  Grisebach  ausführt, 
diese  Niederschläge  nicht  in  Betracht  und  der  Sommer  bleibt,  physio- 
logisch betrachtet,  für  die  Pflanzen  regenfrei.  Zum  Schlufis  füge  ich 
eine  Uebersicht  der  auf  die  einzelnen  Monate  zu  Rom  entfallenden 
Niederschläge  aus  Fischer's  Studien  bei,  nämlich  Regenmenge  Regen- 
tage Schneetage  Gewittertage  Relative  Feuchtigkeit  in  Procenten  Ver- 
dunstung (die  Exponenten  bedeuten  die  Zahl  der  Beobachtungsjahre} : 

RM85.  RT72.        ST».        GT».         RF».  V». 


Januar 

85,65 

11,7 

0,1 

0,2 

75,3 

96,3 

Febniar 

64,64 

9,6 

0,2 

0,6 

75 

114,9 

Harz 

69,62 

11,1 

0,4 

0,9 

67,9 

184,4 

April 

57,48 

10 

0 

0,7 

65,9 

225,8 

Hai 

54,76 

9,3 

0 

0,8 

61,8 

231,3 

Juni 

35,85 

6,6 

0 

1,7 

60 

273,9 

JnU 

16,79 

4,1 

0 

1,5 

56,4 

352,5 

August 

26,67 

4,5 

0 

1,4 

59,7 

357 

Septembei 

'  62,92 

8,1 

0 

1.9 

65,5 

272,1 

i)  Hom.  U.  XXm  5d6  vgl.  XIV  347  Verg.  Georg,  n  201. 


394 


Kap.  IX. 

Das  Klima. 

BMW. 

RT7J. 

ST».       GT9- 

RF9. 

V». 

October    118,31 

11,2 

0,3        1,2 

71,4 

212.6 

November  107,80 

12,7 

0           0,5 

74,1 

159,8 

December   98,42 

12,1 

0,5        0,4 

75,3 

140,8 

Jahr          800 

111 

1,4      11,8 

67,3 

2621,3 

§  5.    Die  Temperatur. 

Die  Sonne  entsendet  ihre  Strahlen  jenseit  der  Alpen  senkrechter, 
in  Folge  dessen  mit  grüfserer  Kraft  ausgerüstet  als  unter  unseren 
Breiten.    Der  Unterschied  zwischen  Sonne  und  Schatten  nimmt  be- 
deutend zu.  Man  hat  im  Februar  auf  Corsica  beobachtet  dafs  das  Ther- 
mometer an  der  Nordseite  einer  Mauer  -|-  4®  angab,  an  der  Rückseite 
derselben  Mauer  in  der  Sonne  binnen  wenig  Minuten  auf -|-  25^  stieg, 
so  dafs  also  nach  den  Worten  unseres  Gewährsmanns  Winter  und 
Sommer  nur  durch  eine  Wand  von  einander  getrennt  waren.    Aeho- 
lieh  zeigte  das  Quecksilber  im  Januai*  zu  Rom  im  Zimmer  -j-  10®,  auf 
dem  Balcon  davor  4-  25®  um  mit  Sonnenuntergang  innerhalb  einer 
Stunde  auf  +  7®  zu  fallen.    Die  Sonne  wird  in  der  kalten  Jahreszeit 
ebenso  eifrig  gesucht  als  in  der  heilsen  gemieden:  bezüglich  jener 
sagt  ein  römisches  Sprichwort  von  der  Lage  der  Wohnung  dove  hon 
va  il  soU  va  il  medico ,  bezüglich  dieser  Idfst  ein  anderes  Sprichwort 
nur  Hunde  und  Fremde  den  Schatten  verlassen,  in  dem  die  Christen 
sich  halten.  0  Nach  den  Berichten  der  Alten  ist  manche  Schlacht  von 
den  Nordländern  verloren  worden,  weil  deren  Kraft  unter  den  Pfeilen 
des  Sonnengottes  zerrann.    Fassen  wir  dagegen  die  absolute  Luft- 
wärme  ins  Auge,  welche  ein  an  geschütztem  Ort  aufgestelltes  Thermo- 
meter anzeigt,  so  erscheint  die  tägliche  Schwankung  verhältnüsmä£sig 
gering,  an  der  Küste  und  im  Winter  am  Geringsten,  im  Binnen-  und 
Hochland  am  Gröfsten.  In  Palermo  beträgt  der  Abstand  an  bewölkten 
Wintertagen  zwischen  Minimum  und  Maximum  oft  nicht  mehr  als  1  Vi^* 
Die  Luft  wird  ja  nicht  direct  von  der  Sonne,  sondern  durch  Rück- 
strahlung von  der  Erdoberfläche  erwärmt.  Das  von  der  Sonne  gespen- 
dete Wärmequantum  bestimmt  das  Klima  eines  Landes  nur  zum  Theil. 
Es  kommt  darauf  an  wie  die  Natur  im  Einzelnen  diesen  Schalt  ver- 
waltet und  hier  wirken  verschiedene  Factoren  ein.  Eine  Isothermen- 
Karle  lehrt  uns  dafs  die  Jahreswärme  in  Italien  nicht  gleichmäli»i(^ 
nach  Süden  zunimmt,  sondern  zuerst  langsam,  vom  42.  Breitengrade  ab 


1)  Vgl.  Tac.  Ann.  XV  4S. 


§  5.  Die  Temperatur.  895 

rascb.  Sie  lehrt  weiter,  dafs  das  ganze  Land  trotz  seiner  Ausdehnung 
über  10  Grade  annähernd  dieselbe  Sommerlemperatur  hat :  manche 
Städte  des  Nordens  wie  Verona  Bologna  Florenz  Ancona  sind  heifser 
als  Palermo.  Fischer  berechnet  für  das  Gebiet  zwischen  36  und  45^ 
mit  wachsender  Breite  eine  Abnahme  im  Juli  von  nur  0,36^  auf  den 
Grad.  Die  Thatsache  erklärt  sich  aus  der  schnelleren  Erwärmung  des 
Landes  im  Gegensatz  zur  See,  welch'  letztere  auf  Sicilien  und  die 
Halbinsel  im  Sommer  abkühlend  wirkt.  Das  umgekehrte  Verhältnifs 
tritt  im  Winter  ein.  Im  Januar  dem  kältesten  Monat  des  Jahres  be- 
rechnet Fischer  für  jeden  Grad  von  36 — 45^  n.  Br.  die  vierfache  Ab- 
nahme der  Wärme  als  im  Juli,  nämlich  1,31^.  Der  milde  Winter  der 
südlichen  Zone  ist  theils  auf  die  See  zurückzuführen ,  die  im  Winter 
ab  Wärmequelle  sich  darstellt  (S.  102),  noch  mehr  auf  das  Vorherr- 
schen südlicher  Winde  (S.  382).  Der  Aequatorialstrom  bringt  nicht 
blos  Feuchtigkeit  sondern  auch  Wärme:  er  veranlafst  häuGge  Wolken- 
bildung,  die  als  schützender  Schleier  in  den  langen  Nächten  die  Wärme- 
strahlung an  den  kalten  Weltenraum  hindert.  Derjenige  befindet  sich 
im  Irrtum ,  welcher  die  Heiterkeit  des  Himmels  schlechthin  mit  dem 
Begriff  des  Südens  verschwistert.  Im  Winter  ist  der  heitere  Himmel 
eher  am  Fub  der  Alpen  anzutreffen.  Nach  einem  neunjährigen  Mittel 
hatte  der  Januar  in : 

Heitere  Tage    Regentage    Grad  der  Bewölkung 


Turin      10,3 

2 

4,9 

Floreni     9,1 

9,7 

5,7 

Rom         8,2 

10 

4,2 

Neapel      7,7 

10,8 

5,2 

Palermo    3,2 

13,5 

6,5 

Die  grOfsere  Heiterkeit  des  Himmels  wie  seinen  strengen  Winter 
verdankt  das  Poland  den  Nordwinden.  Ohne  Zweifel  übt  auch  das 
hohe  Schneegebirg,  das  zwar  die  Thäler  an  seinem  Fufs  sorgsam 
schützt,  auf  die  Ebene  im  Grofsen  und  Ganzen  einen  erkältenden  Ein- 
fluls  aus.  Die  folgende  dem  Annuario  Statbtico  für  1881  entnommene 
Uebersicht  enthält  unter  Angabe  der  geographischen  Breite  und  Heeres- 
höhe die  einährigen  Mittel  der  charakteristischen  Monate  sowie  die 
Während  dieses  Zeitraums  beobachteten  Maxima  und  Minima. 

Jahr     Januar     April     Juli    0«lob«r  Ifaxin.    Miniaiuai 

Turin  45«  3'  275  m  11,9  —0,1  12,5  23,3  12,3  34,2  —  15,5 
Mailand  45«  27'  147  m  12,8  0,4  13,4  24,8  13,3  36,3  —  10,9 
Bologna  440  30'    85  ra     13,8       2,1  14,1  25,4  14,7  39,5  —   9 


396  Kap.  IX.  Das  Klima. 

Jalir      JuiiiAr    April     Joll    Oetober  Kaiim.   XiaiauB 

Florenz  43M7'  73  m  14,8  5,2  13,9  25,3  15,5  39,5  —11 

Perugia  43«   V  520  m  12,7  4  11,4  23,2  13,1  34,5  —   9,9 

Genua    44<»23'  48  m  16  7,9  14,6  24,8  17,4  33,1  —   4,8 

Ancona  43^37'  30m  15,7  5,6  14,5  26,3  17     36,1  —   3,5 

Rom       41<»54'  50  m  15,3  6,8  13,8  24,9  16,2  35,5  —    6 

Neapel    400  50'  57  m  17,4  9,7  15,4  25,8  18,8  37—3 

Palermo  380   t  72  m  17,9  11,1  15,3  25,5  20,1  40,4  —   2 

Syraku8037o  3'  13  m  18,2  11,3  15     26      20,4 

§  6.    Aenderungen  des  Klima. 

Die  Frage  ob  das  Klima  in  historischen  Zeiten  eine  merkbare  Ver- 
änderung erlitten  habe,  ist  von  Naturforschem  bisher  nur  flüchtig  ge- 
streift und  in  der  Regel  verneint  worden.  Immerhin  erkennt  die 
höchste  Autorität  auf  diesem  Felde  ausdrücklich  an,  dafs  die  Frage  als 
solche  eine  offene  sei.*}  Wenn  wir  auf  Grund  der  Ueberliefeniog  eine 
Antwort  suchen ,  so  lautet  dieselbe  dahin  dafs  das  heutige  Klima  im 
Wesentlichen  mit  demjenigen  des  Altertums  übereinstimmt,  dafs  aber 
auf  der  anderen  Seite  Abweichungen  sich  deutlich  nachweisen  lassen* 
Aeufserst  schätzbares  Material  bieten  namentlich  die  Schriften  über 
Ackerbau,  dessen  vollständige  Verwertung  nur  im  Rahmen  von  Einiel- 
Untersuchungen  möglich  sein  würde.^)  Die  römischen  Landwirte  rech- 
nen nach  dem  von  Eudoxos  (ca.  368  v.Chr;)  aufgestellten,  bei  Caesar's 
Reform  46  v.  Chr.  angenommenen  Kalender,  welcher  die  Nachtgleichen 
und  Sonnenwenden  nicht  nach  der  uns  geläufigen  astronomischen 
Anschauung  an  das  Ende,  vielmehr  in  die  Mitte  der  Jahreszeiten  ver- 
legt Mit  einigen  unerheblichen  Schwankungen  stellt  sieh  darnach^): 
Frühlingsanfang  7.  (  8.  oder  10.)  Februar,  Dauer  91  Tage 
Sonunersanfang  9.  (10.  oder  130  Mai,  Dauer  94  Tage 
Herbstanfang    11.(12.)  August,    Dauer  91  Tage 

Wintersanfang  10.  November,  Dauer  89  Tage. 

1)  Nach  Fischen  Studien  a.D. 

2)  Dove,  Rlimat.  Beitrage  II  235. 

3)  Unvollendet  ist  die  Abhandlung  Glimatologie  compar^e  de  IKalie  et  de 
TAndaloasie  andennes  et  modernes  par  Dureau  de  la  MaUe,  Paria  1849.  Der 
VerL  will  die  UnTeranderUchkeit  des  Klima  nachweisen,  aber  flbersieht  dabei 
ganz  daÜB  Andalusien  eine  3-^4*^  höhere  Wintertemperatnr  als  Mittelilalien 
besitst  und  dafs  die  auf  jenes  berechneten  Ansatse  GolumeUa's  nicht  ohne 
weiteres  anf  dieses  übertragen  werden  dürfen. 

4)  Mommsen,  Rom.  Chron.*  p.  300. 


S  6.  AenderuDgen  des  Klima.  397 

Ad  die  Kaiinderdaten  werden  die  ländlichen  Arbeiten,  bei  Columella 
auch  die  Witterungsaussichten  angeknüpft.  Der  Beginn  der  Arbeiten 
wechselt  nach  den  yerschiedenen  Landschaften ,  je  nachdem  dieselben 
ein  warmes  (loca  caUda  et  maritima)  oder  gemKfsigtes  (loca  temperata) 
oder  kaltes  {loca  frigiäa)  Klima  haben.  ^)  Das  erste  Merkmal  des  Südens 
die  sonmierliche  Dürre,  welche  das  Erdreich  zu  Staub  zerreibt,  ist  den 
ahen  Landwirten  ebenso  geläufig  wie  ihren  heutigen  Nachfahren :  die 
Chronik  meldet  sogar  dafe  181  v.  Chr.  in  sechs,  591  n.  Chr.  in  acht 
Monaten  kein  Regen  fieL^)  Aber  von  so  seltenen  Ausnahmen  abge- 
sehen, ergiebt  sich  als  unzweideutige  Regel,  dafs  die  Periode  der 
Dürre  früher  aufhörte  und  später  anfing  als  gegenwärtig.  Columella 
rechnet  auf  den  letzten  Regen  vor  der  Hitze  am  2.  Juni,  auf  den  ersten 
nach  derselben  am  23.  August,  erwartet  in  der  Zwischenzeit  nur  tem- 
pestas  d.  h.  Sturm  Hagel  Gewitter  kurz  Unwetter  aller  Art')  Die 
regenlose  Zeit,  die  jeUt  in  der  subtropischen  Zone  reichlich  4  Monate 
dauert,  erscheint  demnach  hier  um  1 — IV2  Monat  verkünst.  Der  alte 
Cato  fürchtet  den  starken  Regen  der  prima  auctumnitau  d.  h.  Mitte 
August  eintritt;  um  Rom  herum  müssen  in  der  zweiten  Hälfte  August 
die  Weinstocke  abgelaubt  werden,  damit  die  Beeren  in  der  Sonne 
durchkochen  und  vom  Regen  nicht  faulen  können.^)  Unser  Gewährs- 
mann hat  selber  Weinberge  am  Albaner  Gebirg  besessen  und  daran 
woUen  wir  erinnern  um  den  pluviui  tiatus  caeli  Roms  im  August  nicht 
für  eine  Fabel  gehalten  zu  sehen.  Eine  Bauernregel  erklärt,  wenn  es 
am  15.  August  regne,  ao  werde  das  Nämliche  vom  12.  bis  16.  Septem- 
ber der  Fall  sein.    Plinius  spricht  von  Rom  als  urbs  nimboM ,  immo 


1)  Columella  aus  Gades  gebürtig  und  in  Andalusien  begütert  legt  seiner 
ausführlichen  Darstellung  XI  2  die  dortigen  Verhältnisse  zu  Grunde.  Auch  der 
ihm  folgende  Palladius ,  der  auf  Sardinien  Güter  hatte  (IV 10),  berücksichtigt 
▼orwicgend  die  subtropische  Zone.  Dagegen  haben  der  alte  Gato,  Varro  I 
20üg.,  sowie  die  in  swei  Exenplarea  erhaltenen  menoiogie  ruäUea  ans  Rom 
(gedruckt  n.  a.  QL.  I  p.  358)  Mittelitalien  im  Auge.  Am  Wenigsten  ist  mit 
den  Daten  bei  Plinius  XVIU  anzufangen,  da  hier  zwischen  den  yerschiedenen 
Zonen  kein  Unterschied  gemacht  wird. 

2)  Ut.  XL  29,  2  IV  30, 7  Paul,  bist  Lang.  IV  2  vgL  S.  875.  —  Gato  RR.  155 
Plin.  XVIII  315.  —  Als  unheiWoUe  Störungen  im  Gang  der  Jahresietten  be- 
seicknet  Orosius  DI  4,  2  (nach  unbekannler  Quelle):  mut  inimnp^MÜvm  tiUeitoM 
kurnU  out  repenümu  eahr  veris  out  ineongruui  umar  aegtütU  vel  auiumni 
äiviUs  indigmia  if^eee^a,    Aebniich  Galen  XVI  370  Kühn  n.  0. 

3)  Die  außerordentliche  Hänfiglieit  der  Gewitter  in  Spanien,  besonders 
Sommers,  entspricht  der  Häufigkeit,  welche  Columella  der  iew^^itat  beimifst. 

4)  Gato  155  G0I.XI  2  TgLIU  9. 


398  Kap.  IX.  Das  Klima. 

vero  tota  Italia  imbrium  creatrix»^)    Unsere  Ueberlieferung  läfst  uns 
nur  in  vereinzelten  GlücksHlUen  wissen,  dafs  und  wann  bedeutende 
Niederschläge  au  bestimmten  Tagen  herabgekommen  sind.    Aber  es 
mutet  den  Leser  doch  an,  als  ob  von  einer  Sommerfrische  im  Schwarz- 
wald oder  Harz  die  Rede  sei,  wenn  Cicero  Mitte  Juni  45  v.  Chr.  nach 
wochenlangem  Aufenthalt  bei  Arpinum  schreibt,  er  habe  noch  keinen 
Fufs  vor  die  Thür  setzen  können :  ita  magnos  €t  adsiduos  imbris  kabe- 
bamus.  Auch  im  nächsten  Jahr  um  dieselbe  Zeit  erwartet  Gcero  Regen- 
wetter. 2)    Bei  näherem  Nachdenken  nimmt  dies  alles  kein  Wunder. 
Umgekehrt  müfste  es  Wunder  nehmen,  wenn  das  alte  Italien  im  Som- 
mer nicht  häufigere  Niederschläge  gehabt  hätte  als  das  heutige.  Dieses 
ist  ein  waldloses,  jenes  war  ein  waldreiches  Land  (Kap.  X  2).   Die 
Alten  kannten  bereits  aus  Erfahrung  den  Satz  fere  aquoaissitna  iunt 
quaecumque  umbrostssima^),  und  da  nun  im  Sommer  aequatoriale 
Winde  über  der  Halbinsel  wehen  (S.  382),  so  vermochte  ohne  Zweifel 
die  kühle  Walddecke  des  Appennin  die  Wolken  festzuhalten ,  welche 
an  den  stark  erhitzten  Steinlehnen  der  Gegenwart  ohne  Entleemog 
vorüber  ziehen.  Wir  haben  kein  Recht  zu  der  Annahme  dafs  die  Hasse 
der  Niederschläge  im  Altertum  grOfser,  allen  Grund  zu  der  Annahme 
dafs  sie  besser  vertheilt  gewesen  sei.    Demjenigen  welcher  unseren 
früheren  Erörterungen  über  die  Schiffbarkeit  der  Appenninflüsse  ge- 
folgt ist,  wird  die  Richtigkeit  des  Satzes  ohne  weiteres  einleuchten. 
Den  Charakter  von  Fiumaren  trugen  die  Flüsse  des  Altertums  noch 
nicht.    Gerade  im  nordöstlichen  Sicilien ,  wo  es  nach  Fischer's  Karte 
keinen  einzigen  perennirenden  Wasserlauf  giebt,  wo  der  Ungestüm 
der  Wildwasser  am  verderblichsten  tobt  (S.  295) ,  waren  die  QueDen 
im  Sommer  ergiebig,  im  Winter  trocken.^)  Dies  erklärt  sich  ja  einbch 
daraus  dafs  die  winterlichen  Niederschläge  als  Schnee  auf  den  Bergen 
aufgespeichert  wurden  und  erst  im  Sommer  abflössen.    Auch  andere 
Umstände  deuten  daraufhin,  dafs  der  Schnee  im  Appennin  später  ver- 
schwand als  heut  zu  Tage.^) 


1)  XXVI 16,  die  vorhin  erwähnte  Regel  XVIII  310.  315.   Sommerregen  in 
Etrnrien  stehend  Diod.  V  40, 5. 

2)  An  AttXm  16,  t  (vgl.  10, 3  2\,7)  XY  16b. 

3)  Seneca  nat.  qnaest.  ÜI 11, 4. 

4)  Plin.  XXXI  51  in  Sicilia  ptidetn  eirea  Mes9anttm  et  MyUu  hieme  t» 
totum  inareicunt  font§s,  ipsa  autaie  exundani  amnemque  fueiunJU 

5)  Plin.  n  229  in  agro  Pitinate  trans  Jjfpenninum  fiuviui  N&vünus  em- 
nibus  wUUUis  torrens  hruma  sieeatur.    Seneca  nat  qvtest  lY  1 1 ,  t  nnd  5 


§  6.  Aendernngen  des  Klima.  399 

Die  aDgeftlhrten  Tbatsachen  bereiten  uns  auf  die  in  klimato- 
logischer  Hinsicht  wichtigste  Erscheinung  vor :  die  Ve r  sc h  i  eb  u  n  g 
der  Erntezeiten.  Gegenwärtig  föUt  die  Heumahd  in  Mittelitalien 
um  Anfang  Mai :  sie  fiel  nach  Varro  und  den  Steinkalendern  in  den 
.Juni,  wurde  sogar  in  heifsen  Strichen  nach  Columella's  Zeugnifs  erst 
am  13.  Mai  in  Angriff  genommen.  Daraus  folgt  unzweideutig,  dafs  die 
Entwicklung  der  GrSser  ehedem  eine  langsamere,  die  Frühjahrswärme 
eine  geringere  war.  Unsere  besondere  Aufmerksamkeit  wird  durch  die 
wichtigste  Nährpflanze,  den  Weizen  in  Anspruch  genommen.  Den 
Alten  war  die  Beobachtung  nicht  entgangen  dafs  die  Zeitdauer  von 
der  Aussaat  bis  zur  Reife  in  verschiedenen  Ländern  eine  verschiedene 
sei:  in  Aegypten  wurde  im  7.,  in  Griechenland  im  9.  Monat  geerntet. i) 
Neuerdings  hat  Grisebach  auf  den  Grund  dieser  Thatsache  hingewie- 
sen.^ Im  nördlichen  Deutschland  verstreichen  zwischen  der  Aussaat 
des  Weizens  und  der  Ernte  im  Mittel  300  Tage ,  in  Latium  nur  230, 
in  Sicilien  gar  nur  187:  die  Abweichung  rtthrt  daher,  dafs  die  Ent- 
wicklung der  Pflanze  in  Sicilien  keine  Unterbrechung  erleidet,  wäh- 
rend die  Kälte  in  Latium  einen  geringeren,  im  Norden  einen  längeren 
Stillstand  herbeiführt.  Und  zwar  steht  der  Keimungsprocefs  still,  so- 
bald die  mittlere  Monatstemperatur  unter  -f-  7  Va®  sinkt:  dies  ist  gegen- 
wärtig für  Rom  durchschnittlich  vom  1.  Januar  bis  10.  Februar  der 
Fall.  Um  diese  Daten  für  das  Altertum  zu  verwerten ,  sei  zunächst 
daran  erinnert,  dafs  es  genau  dasselbe  Korn  ist,  eine  Variation  der 
Species  nicht  stattgefunden  bat.  3)  Gesäet  wird  der  Weizen  am  Mittel- 
meer, wenn  die  grofsen  Herbstregen  dem  ausgedorrten  Boden  seine 
Triebkraft  zurück  verUehen  haben  und  da  das  Maximum  der  Nieder- 
schläge in  der  subtropischen  Zone  später  eintritt  als  auf  der  Halbinsel, 
80  Terschiebt  sich  auch  nach  Süden  die  Saatzeit  tiefer  in  den  Herbst 
hinein.  Gegenwärtig  lassen  sich  im  Mittel  aufstellen :  Anfang  Novem- 
ber Rom,  etwas  später  Neapel,  20.  November  Sicilien.  Ganz  dieselben 
Zeiten  geben  die  antiken  Kalender:  Anfang  November,  Mitte  oder  un- 
bestimmt November^),  Mitte  October  in  kalten  Gegenden,  in  warmen 


sebreibi  sogar  dem  Appennin  wie  den  Alpen  ewigen  Schnee  zu:  wortaf  ich 
indefe  kein  grofees  Gewicht  legen  möchte;  vgl.  Verg.  Aen.  XU  703  Sil  It.  IV  743. 

1)  Plin.Xyin60. 

3)  Vegetation  der  Erde  I  267  vgl.  Fischer,  Beitrige  p.  111  fg. 

3)  Alpbonse  de  Gandolle,  Geographie  botaniqne  raisonnie,  2tom.   Paris 
Gen^ve  1855,  p.  930  fg. 

4)  Verg. Georg.]  219  Plin.XVIH  202  Menol.  mst 


400  Kap.  IX.  Das  Kliina. 

spater  bis  zum  1.  December  Columella,  23.  October  bis  8.  December 
Palladius.  Geerntet  wird  der  Weizen  gegenwärtig  in  Sicilien  Anfang 
Juni,  in  Mittelitalien  um  die  Mitte,  im  Poland  Ende  des  Monats:  da- 
gegen im  Altertum  nach  den  Steinkalendern  August,  nach  Varro  Juli; 
nach  ColumeUa  ist  die  Ernte  vor  Ablauf  Juli  beendigt,  beginnt  nach 
Palladius  in  warmen  Gegenden  Ende  Juni,  kommt  in  gemäfsigten  im 
Juli  zum  Abschlufs.  Ganz  entsprechend  sind  im  alten  Rom  die  Ge- 
richts- und  Geschftitsferien  der  Ernte  wegen  auf  Juli  und  August  ge- 
legt^) Indem  dergestalt  in  den  MittelmeerUndern  die  Reife  des  Wei- 
zens seit  dem  Altertum  um  einen  vollen  Monat  verfrüht  ist,  wiederholt 
sich  die  nämliche  Erscheinung  für  Deutschland:  der  Weizen,  welcher 
heut  zu  Tage  bei  Strafsburg  um  den  20.  Juli  geschnitten  wird,  stand 
im  vierten  Jahrhundert  um  den  20.  bis  25.  August  noch  auf  den  Hal- 
men. 2)  Ein  Zufall  ist  hier  ausgeschlossen :  vielmehr  mufs  der  Zeitraum 
innerhalb  dessen  die  Entwicklung  der  Pflanze  still  steht,  sich  ehedem 
in  Italien  wie  im  Elsafs  weiter  erstreckt  haben  als  in  der  Gegenwart; 
wenn  die  Mitteltemperatur  Roms  jetzt  40  Tage  hindurch  unter  7^1^ 
bleibt,  so  mufs  sie  im  Altertum  70 — 80  Tage  darunter  geblieben  sein. 
Mit  anderen  Worten  waren  die  früheren  Winter  kälter  als  die  heutigen. 
Man  hat  schon  längst  aus  der  Ueberlieferung  für  Rom  den  glei- 
chen Schlufs  gezogen.  Einige  Fälle  von  auberordentlicb  harten 
Wintern  haben  auf  die  Alten  einen  solchen  Eindruck  gemacht,  dais 
sie  denselben  einen  Platz  in  der  Chronik  einräumten.')  So  meldet  sie 
unter  dem  J.  400  v.  Chr. :  „der  Winter  war  kalt  und  reich  an  Schnee, 
so  dals  die  Wege  ungangbar  und  der  Tiber  unfahrbar  wurden.*^  Eioe 
ausführliche  Schilderung  lautet  folgender  MaÜMm:  „der  Schnee  fiel 

1)  Seneca  apocoL7,4  Plin.  Ep.  YIII  21,  2  SUt  SiW.  IV  4, 39 

eerU  iam  LaÜae  non  mUeent  iurgia  hgei, 

et  paeem  pigmr  anmu  habeij  «MiMt^tce  reöertu» 

dimiser»  forwn, 

2)  Die  unbekannte  Thatsache  erfordert  eine  kurze  Ausführung.  Die  Ale- 
manDenschlacht  bei  Strafsburg  $57  ward  während  der  Ernte  geschlagen  (km- 
mianXVI  11, 11  12, 19  collem  . . .  opertum  stgcühus  iam  maiuris)  und  iwar 
im  August,  was  einerseits  ans  dem  Tiefstand  des  Rheins  (Amm.  XVI  11,9) 
andererseils  aus  den  daürten  Bewegungen  des  Kaisers  Gonstantius  mit  Not- 
wendigkeit hervorgeht;  endlich  senMcmUe  hma  (Anun.XVI  13,  11).  Da  mb 
nach  einer  an  der  hiesigen  Sternwarte  angestellten  Berechnong  VoUaoiid  aaf 
den  16.  Augast  9  Uhr  fiel,  so  ist  das  oben  angegebene  DaUim  ToUsündif 
sicher. 

3)  400  ▼.  Chr.  Liv.  V  13   Dion.  Hai.  XU  8.  —  270  ▼.  Chr.  Zoaar.VDI  6 
Augustin.  ciT.  dei  m  17.  —  179  v.  Chr.  Ut.  XL  45. 


n 


§  6.  AenderaDgen  des  Klima.  401 

bis  zu  einer  flöhe  von  mindestens  sieben  Fufs,  Menschen  wurden  ver- 
schttttet,  viel  Vieh  erfror  oder  ging  aus  Hangel  an  Weide  zu  Grunde. 
Die  Fruchtbäume  welche  keine  starke  Kälte  vertragen  können,  gingen 
theils  aus,  blieben  theils  für  lange  Zeit  unfruchÄar.  Auch  stürzten 
viele  Häuser  ein ,  namentlich  als  der  Schnee  schmolz  und  die  Wände 
erweichte.  Ein  ähnlicher  Winter  ist  weder  früher  noch  später  in  Rom 
voiigekommen.^  Aber  von  270  v.  Chr.  heifst  es  wiederum:  „es  war 
ein  Winter  von  unglaubUcher  Strenge,  ungeheure  Schneemassen  fielen 
und  bUeben  auf  dem  Forum  volle  vierzig  Tage  hegen ,  der  Tiber  war 
▼OD  einer  dicken  Eisdecke  überzogen ,  die  Bäume  erfroren ,  die  Men- 
schen Utten  Not  und  das  Vieh  starb,  da  es  kein  Futter  finden  konnte.^ 
Aebnlich  wird  aus  einer  historisch  hellen  Zeit  179  v.  Chr.  berichtet: 
„Der  Winter  wütete  mit  Schneefall  und  aller  Art  Unwetter ,  verdarb 
die  Bäume  welche  gegen  Frost  empfindUch  sind ,  und  dauerte  länger 
als  gewöhnlich  geschieht  Sicherlich  liegt  nicht  der  Schatten  eines 
Grundes  vor  um  diese  Meldungen  zu  verdächtigen,  die  noch  lange 
nicht  an  einen  Winter  von  Mailand  und  Bologna  heranreichen.  Immer- 
hin ist  hier  nur  von  vereinzelten  Vorkommnissen  die  Rede.  Aber 
auch  im  gewöhnlichen  Lauf  der  Dinge  erlebte  das  antike  Rom  gröfsere 
Kälte  ab  das  moderne.  Von  der  berühmten  Strophe 

vides  ut  alia  stet  nive  candidum 
Soraeie^  nee  iam,  stutineant  onus 
tilvae  laborantety  geluque 
flumina  constiterini  acuta, 

sieht  unser  Jahrhundert  wol  den  ersten  Vers  sich  bewahrheiten,  nicht 
den  letzten.  Man  würde  es  schier  unbegreiflich  finden,  wenn  ein  mo- 
demer Dichter  den  Aberglauben  mit  den  Worten  JuvenaFs  ^)  geifseln 
wollte: 

hibemum  fracta  glaeie  descendei  in  amnenif 
ter  tnaiutino  THberi  mergeiur  et  ipsis 
verticibus  Hmidum  eaput  abtuet. 

Die  Quirlten  hören  nicht  mehr,  wie  der  Schnee  bei  unbewölktem 
Himmel  knirscht  {auüs ..  ,et pontas  ui  glaciet  nives puro  numine  lup- 
ptCer?) ;  sie  würden  verdutzte  Gesichter  machen  bei  der  Tagesneuigkeit 
dafs  ein  fallender  Eiszapfen  die  Kehle  eines  Jungen  durchstiefs.^)  Sie 
brauchen  weder  mit  Horaz  vor  der  Kälte  nach  Tarent  zu  flüchten  noch 
mit  Kaiser  Augustus  aufser  Unterkleidern  und  dickem  Mantel  vier 
Röcke,  alles  aus  Wolle  anzuziehen.^) 

1)  Hör.  Od.  1 9  luv.  Sat  6, 522.  2)  Hör.  Od.  IH  10, 5  Martlal  FV  18. 

3)  Her.  Ep.  1 7, 10  Säet.  Aag.  82. 
Nissen,  IteLLMdMlninae.  I.  26 


402  Kap.  IX.  Das  Klima. 

Dafs  die  Entwaldung  in  Deutschland  wie  in  den  Mittelmeer- 
ländern  eine  Modification  ihres  Klima's  herbeigeführt  haben  mflsse^ 
wird  Yon  TerschiedeDen  Forschern,  neuerdings  u.  A.  von  Fischer  nach- 
drOckUchst  behauptet.  Es  liegt  uns  fern  auf  die  theoretische  Seite  der 
Frage  einzugehen.  Aber  wir  eignen  uns  den  Ausspruch  des  genanntes 
Gelehrten  an,  dafs  der  Geograph  die  Mittelmeerländer  nie  TersteheD 
werde,  wenn  er  nicht  auch  zugleich  ein  geschulter  Historiker  sei.  Die 
Ueberlieferung  zwingt  uns  zu  dem  SchluCs,  dafs  das  alte  Italien  mehr 
Sommerregen  und  gröfsere  Winterkalte  hatte,  kurz  dem  mittelearo- 
pflischen  Typus  naher  stand  als  das  heutige.  Oder  um  MisversUndnissen 
zu  begegnen,  wir  sind  der  Ansicht,  dafs  die  Culturarbeit ,  welche  in 
unserem  Welttheil  die  einheimische  durch  eine  südliche  Flora  ver- 
drängte, die  Sümpfe  austrocknete,  die  Lander  civilisirte,  auch  dem 
Klima  einen  neuen  südlicheren  Anstrich  verliehen  hat.  Wir  vermessen 
uns  nicht  zu  sagen ,  dafs  das  jährliche  Quantum  von  Warme  su-,  oder 
die  Summe  der  Niederschlage  abgenommen  habe,  wir  sagen  nur  dafs 
beide  ehedem  anders  vertheilt  waren.  Wollte  man  übrigens  die  heu* 
tigen  Jahresisothermen  von  13 — 19<^  fQr  das  Altertum  auf  12—18^ 
oder  11 — 17^  ermafsigen,  so  hiefse  das  noch  immer  nicht  den  Grond- 
charakter  des  italienischen  Klima  antasten.  Und  indem  man  folgerich- 
tig auch  die  Isothermen  des  mittleren  Europa  herabrücken  müfste ,  so 
bliebe  für  frühere  Jahrtausende  der  Abstand  zwischen  Nord  und  Sfid 
gerade  so  grofs  wie  er  heutigen  Tages  ist. 

§  7.  Das  Naturleben. 

Die  Erhebung  Italiens  bewirkt  es  dab  verschiedene  Klimata  hart 
auf  einander  stofsen.  Im  Appennin ,  der  Monate  lang  von  Schnee  be- 
deckt ist,  schlaft  die  Natur  den  nämlichen  Winterschlaf  wie  unter 
unseren  Breiten;  die  Vegetation  weist  durchaus  den  uns  vertrauten 
Charakter  der  mitteleuropaischen  Somroerflora  auf.  An  den  Küsten 
und  in  den  Ebenen  treten  neue  fremdartige  Typen  hinzu,  die  je  weiter 
südwärts  desto  mehr  an  Zahl  wachsen  und  etwa  vom  40^  ab  die  ge- 
sammte  Landschaft  erfüllen :  Oelbaum  Pinie  Cypresse  Stein-  und  Kork- 
eiche Palme  Johannisbrotbaiun  Agrumen  Opuntien  Agaven  Buchsbaum 
Myrte  Lorbeer  Oleander  Baumheide  Pistazie  Mastix  Terpentinbaam 
Sumach  Erdbeerbaum  Rohr  u.  s.  w.,  eine  Menge  immergrüner  Baume 
Strancher  und  Halbstraucher,  welche  so  ruhig  und  feieriich  in  die 
blaue  Luft  hinein  ragen.  Sie  sind  meistentheils  Fremdlinge  auf  dem 
Boden,  den  sie  einnehmen,  in  Neuzeit  Mittelalter  und  Altertum  einge- 


§  7.  Das  Nalurleben.  403 

führt,  aber  haben  sich  so  rasch  und  so  voUsUodig  eiDgebürgeri,  dafs 
mao  sie  für  die  ursprünglichen  Herren  des  Landes  halten  konnte  und 
wirklich  gehalten  hat.  Ihre  Organisation  bekundet  eine  grofse  üeber- 
eiDstimmung  und  ist  darauf  berechnet  anhaltende  Trockenheit  zu  er- 
tragen :  daher  das  steife  lederartige  gegen  Verdunstung  geschützte  Blatt, 
welches  das  zarte  Grün  unseres  nordischen  Laubes  nicht  kennt,  viel* 
mehr  einen  harten  metallischen  Glanz  zeigt.  Die  immergrünen  Ge* 
wachse  stellen  den  unveränderlichen  Hintergrund  der  Landschaft  dar. 
Sie  treiben  zu  der  Zeit,  wo  die  Laubbäume  ihr  Kleid  abwerfen  und  frO- 
stehid  ihre  nackten  Arme  zum  Himmel  emporstrecken.  Sie  sdunücken 
die  Flur  zu  der  Zeit,  wo  die  niedere  Vegetation  der  Gräser  von  den 
Sonnenstrahlen  versengt  ist  Das  Leben  der  Natur  wird  in  Italien  nicht 
einmal  unterbrochen  vrie  bei  uns,  sondern  zweimal  und  zwar  greift  die 
sommerliche  Unterbrechung  in  der  Seezone  tiefer  nachhaltiger  ein  als 
die  winterliche.  Die  einjährigen  Gräser  und  Stauden  verdorren,  wenn 
die  Senne  höher  steigt.  Hirt  und  Heerde  verlassen  im  Mai  die  Matten, 
die  ihnen  den  ganzen  Winter  hindurch  reichlichen  Unterhalt  boten 
und  die  jetzt  ab  eine  braune  verbrannte  Steppe  daliegen.  Wenn  die 
Ernte  eingebracht  ist,  tritt  die  Sommerruhe  ein,  die  je  nach  der 
Landschaft  3 — 4  Monate  dauert.  Künstliche  Bewässerung  vermag  aller- 
dings OasenfüUe  in  der  Wüste  hervorzuzaubern.  Doch  genügt  auch 
sie  nicht  um  die  Macht  der  Sonne  zu  brechen :  Fischer  erzählt  dab 
die  allersorgsamste  Pflege  in  sieilischen  Gärten  aufser  Stande  sei  eise 
Rasendecke  anders  als  fadenscheinig  zu  erhalten.  Der  Todesschki^  hi 
den  die  Natur  durch  die  Sonnenglut  versinkt ,  hat  bei  den  Alten  in 
mancherlei  schwermütigen  Sagen  und  Festen  Ausdruck  gefunden.  Die 
Syrer  erhoben  im  Juni  leidenschaftliche  Klage  um  Adonis  den  sdiönen 
Liebling  Aphroditens,  den  der  Eber  so  jählings  geftdlt  Die  Spartaner 
betrauerten  Anfangs  Juli  den  reizenden  Hyakinüios,  den  die  Scheibe 
des  Sonnengottes  zum  Tode  getroffen.  Die  Sikelioten  begingen  zur 
Erntezeit  ernst  und  würdevoll  den  Abschied  Persephone's  von  der 
Oberweh,  um  vier  Monate  später  wenn  die  neue  Saat  dem  Erdreich 
anvertraut  werden  sollte,  der  Mutter  Demeter  ein  rauschendes  Freu- 
denfest darzubringen.  <)  Der  nüchternen  Art  der  Römer  widersprach  es 
in  so  durchsichtigen  Bildern  die  Vorgänge  ihrer  Umgebung  zu  verkör- 
pern. Indefs  zeugt  das  am  13.  Juli  für  die  Gesundheit  von  Stadt  und 
Land  dem  ApoU  gefeierte  Fest  von  der  ernsten  Stimmung,  welche  die 


1)  Diod.  V  4, 5. 

26* 


404  Kap.  IX.  Das  Klima. 

Zeit  der  Hitze  auch  bei  den  Römern  henrorrief.  Das  Ende  derselben 
wird  bezeichnet  durch  die  grofsen  Spiele,  welche  Mitte  September  den 
capitolinischen  Göttern  in  der  Stadt  gegeben  wurden,  wflhrend  das  Land 
die  Geres  ehrte,  i)  Das  Datum  wird  wol  aus  dem  früheren  Eintritt  der 
Herbstregen  den  heutigen  Verhältnissen  gegenüber  (S.  397)  zu  erkU- 
ren  sein.  Der  Regen  weckt  die  Seezone  aus  ihrem  Sommerschlaf  zu 
neuem  Leben.  Frisches  Grün  spriefst  aus  dem  verbrannten  Gefilde, 
die  immergrünen  Gewächse  erneuern  ihre  Blätter,  eine  eigene  Winler- 
flora  kommt  zum  Vorschein ,  die  sich  zwar  mit  der  Blütenpracht  des 
Frühlings  nicht  messen  kann,  aber  doch  gewaltig  absticht  gegen  den 
weifsen  Hantel,  den  das  Gebirge  anzieht  Wenn  in  Italien  nach  Vergil 
ein  beständiger  Frühling  herrscht  (S.  372),  nach  Plinius  zu  allen  Jah- 
reszeiten Frühling  und  Herbst  einander  ablösen  (S.  392),  so  trifft  dies 
für  die  subtropische  Zone  bnchstäbUch  zu,  annähernd  auch  für  Mittel* 
Italien.  Nach  den  römischen  Steinkalendern  giebt  Mai  den  Futter- 
schnitt, Juni  die  Heumahd,  Juli  Gersten-  und  Bohnenernte,  August 
Weizenernte,  September  Obsternte,  October  Weinlese,  endlich  noch 
December  die  wichtige  Olivenlese.  Erst  wenn  die  Sonne  zur  Rüste 
geht  um  einen  neuen  Kreislauf  zu  beginnen,  tritt  eine  längere  Pause 
in  den  ländlichen  Arbeiten  ein,  das  fröhUche  Fest  der  Saturnalien  be- 
zeichnet ihren  Abschlufs.  Um  die  Sonnenwende  herum  werden  noch 
jetzt  die  Rosen  und  andere  im  Freien  blühende  Blumen  in  Rom  knapp. 
Im  Altertum  mufs  der  Winterschlaf  länger  gedauert  haben  (S.  400). 
Wenn  der  Februar  als  Todtenmonat  galt,  so  deutet  dies  auf  die  noch 
währende  Ruhe  der  Vegetation  hin.  Freilich  konnten  die  alten  Römer 
am  21.  Februar  den  Manen  schon  Veilchen  opfern. 2)  Aber  mit  dem 
1.  März  dem  Geburtstag  des  Ackergottes  Mars  begann  nach  der  ur- 
sprünglichen nationalen  Anschauung  das  neue  Jahr:  oS'enbar  deshalb 
weil  das  Weben  des  Lenzes  sich  erst  jetzt  machtvoll  zu  äufsern  be- 
ginnt. Seine  volle  Schönheit  entfaltet  er  im  April  und  Mai  den  blttten- 
reichsten  Monaten ,  wie  umgekehrt  August  und  September  die  blüteu- 
ärmsten  sind.  Die  italische  Flora  ist  reicher  an  Arten,  leuchtender  an 
Farbe,  stärker  an  Duft  als  die  deutsche.  Im  April  und  Mai  drängt  sich 
alles  zusammen  was  das  Dasein  begehrenswert  macht:  es  ist  die  wonae- 
volle  Jahreszeit  wie  bei  uns  der  Sommer.  Ihr  gehören  die  Freuden- 
feste des  alten  Rom  an:  Mitte  April  zog  das  Volk  weibe  Kleider  an  in 
Erinnerung  an  die  Güte  der  versöhnten  Geres  und  gab  sich  der  Lust 


1}  Plin.  Ep.  IX  39.         2)  Ov.  Fast  U  539. 


S  7.  Das  Naturleben.  405 

des  Schmauses  hin ;  Ende  April  und  Anfang  Hai  folgte  die  üppige  Feier 
der  Flora,  deren  Sinnbild  die  Rose  zum  Genufs  des  vergänglichen 
Lebens  auffordert 

Die  Ordnung  der  Jahreszeiten  spiegelt  sich  in  der  bewufsten 
wie  der  unbewufsten  Schöpfung  ab.  Den  Pfeilen  des  Sonnengottes  er« 
liegen  die  Kinder  der  Flur,  erliegen  die  Menschen.  Im  Herbst  d.  b. 
Yom  11.  August  an  (S.  396)  fürchteten  die  Alten  das  Erscheinen  des 
Todesboten,  wie  Horaz  es  schildert  ^ : 

quam  mihi  das  aegro,  dabis  aegrotare  Umenti^ 
Maeeenas,  veniam,  dum  fieus  prima  eahrpie 
duignatornn  deeorat  Uelaribus  atris, 
dum  pueri»  omnis  pater  et  matereula  paliet, 
ofßcioiaque  sedulitas  ei  opella  forensit 
addueil  febres  et  testamenta  resignaL 

Es  handelt  sich  hier  weniger  um  die  Verhältnisse  einer  in  sanitärer 
Hinsicht  mit  aUem  Recht  verrufenen  Grofsstadt,  als  um  ein  das  ge- 
sammte  Land  beherrschendes  kUmatisches  Gesetz.  In  gemäfsigten  Län- 
dern, erklärt  Galen,  ist  der  Frühling  die  beste  Jahreszeit,  in  kalten 
der  Sommer,  in  warmen  der  Winter.  Von  den  Jahreszeiten  vrirkt  der 
Frühling  am  günstigsten  auf  die  Jugend,  der  Winter  auf  das  Hannes-, 
der  Sommer  auf  das  Greisenalter.  Aber  der  Herbst  ist  allen  Ländern 
Altersclassen  und  Temperamenten  schädlich.  Auf  den  Herbst,  schreibt 
Hippokrates,  entfallen  die  acuten  und  überhaupt  die  todllichen  Krank- 
heiten; der  Frühling  ist  am  gesundesten  und  am  wenigsten  tod- 
bringend. Diese  Beobachtung  der  alten  Aerzte^)  wird  durch  die  heutige 
Statistik  vollkommen  bestätigt  und  nur  hinsichtlich  der  ihnen  weniger 
bekannten  kalten  Länder  in  etwas  richtig  gestellt  In  Mittel-  und  Nord- 
europa kommen  die  meisten  Todesfälle  auf  den  Winter  von  December 
bis  Mai:  der  schlimmste  Monat  ist  meistens  der  Januar  oder  März  mit 
einem  UeberschuTs  von  20  Procent  und  mehr  über  das  monatliche 
Mittel.  Entsprechend  nimmt  die  Sterblichkeit  von  Juni  bis  November 
ab  und  gerade  die  wärmsten  Monate  Juli  und  August  weisen  in  der 
Regel  die  niedrigste  Ziffer  unter  dem  Mittel  auf.  Indem  wir  von  den 
Schwankungen  in  den  verschiedenen  Theilen  des  Nordens  absehen,  gilt 
doch  für  alle  gleichmäfsig  der  Satz,  dafs  die  Kälte  und  die  Folgen  der 
Kälte  die  meisten  Menschen  hinraffen.  Jenseit  der  Alpen  ändert  sich 
der  Satz:  während  unsere  Aerzte  feiern,  hält  dort  der  Tod  seine  Ernte. 


1)  Ep.  1 7, 4  vgl.  Sat.  n  6, 18  Od.  U 14, 15  Juv.  Sat  4, 56  6, 517. 

2)  Galen  XYD  B  613  Hippokr.  UI 721  Kühn. 


406  Kap.  IX.   Das  Klima. 

Nach  einer  das  ganze  Königreich  Italien  umfassenden  achtjährigen  Sta- 
tistik 1)  überschreitet  der  August  um  18,  der  Juli  um  12  Procent  das 
monatliche  Mittel.  Der  günstigste  Monat  ist  der  Mai ,  der  im  Norden 
zu  den  schädlichen  zählte.  Die  Mortalität  ist  am  stärksten  in  der  heiÜBeD 
Zeit  Juli  August  September,  sodann  in  der  kalten  Zeit  December  Januar 
Februar.  Dergestalt  macht  sich  der  Sommerschlaf  wie  der  Winterschlaf 
der  Pflanzen  in  der  gesteigerten  HinftUigkeit  des  Menschengeschlechts 
fühlbar.  Die  Uebereinstimmung  der  Sterblichkeit  mit  den  klimatischen 
Zonen  springt  noch  mehr  in  die  Augen,  wenn  wir  die  einzelnen  Land- 
schaften gesondert  für  sich  betrachten.^)  Wie  die  nördliche  Zone  die 
Winterkälte  Mitteleuropa's  hat,  so  wiederholen  sich  auch  bezüglich  der 
Sterblichkeit  die  dort  beobachteten  Erscheinungen.  Die  Wintermonate 
übersteigen  das  monatUche  Mittel,  am  Meisten  der  März.  Umgekehrt 
sind  die  warmen  auch  die  guten  Monate  und  nur  darin  äufsert  sich  die 
Annäherung  an  das  mediterrane  Klima,  dafs  Juli  und  August  eine  stei- 
gende Tendenz  offenbaren.  Dieselbe  tritt  in  der  Lombardei  sehr  ent- 
schieden hervor,  in  den  anderen  Provinzen  weniger.  Aber  noch  die 
Aemilia  und  Umbrien  bewahren  durchaus  in  den  Sterblichkeitsverhält- 
nissen einen  nordischen  Charakter.  Dies  ändert  sich,  sobald  wir  deo 
Appennin  überschreitend  nach  Toscana  gelangen.  In  der  zweiten  kli- 
matischen Zone  f^llt  das  Maximum  entschieden  in  die  Periode  der  Hitze, 
während  die  kalten  Monate  December  bis  März  ein  zweites  gleich* 
mälsiger  vertheiltes  Maximum  darstellen.  Beachtenswert  ist  dabei  die 
außerordentlich  rasche  Zunahme  im  Hochsommer.  Die  Todesfälle  von 
Mai  und  August  verhalten  sich  der  Zahl  nach  annähernd  wie  2 :  3  und 
überschreiten  im  letztgenannten  Monat  die  Geburten  weitaus:  um  15 
bis  mehr  als  40  Procent.  In  der  dritten  oder  subtropischen  Zone  ver- 
schwindet das  Wintermaximum  vollständig.  Am  Günstigsten  stellt  sich 
die  Lebenskraft  im  Mai  und  Juni,  auch  wol  April  und  Mai,  sinkt  sehr 
rasch  auf  den  tiefsten  Stand  im  August  oder  Juli,  steigt  wieder  langsam 
und  ohne  Unterbrechung  von  Monat  zu  Monat  bis  in  den  Frühling.') 

1)  Italica  eeonomica  nel  1873,  Roma  1873,  p.  632. 

2)  Ich  grfittde  die  folgenden  Angaben  auf  den  Ergebnissen  einer  äebe^jib- 
rigen  Zahlnng  (1872—78),  die  vom  Ministero  di  Agricoltnra,  Direnone  di  Stt- 
tistica  unter  dem  Titel  Popolazione,  movimento  deito  stato  dvile,  parte  seconda, 
Roma  1880,  p.  360  fg.  veröffentlicht  sind.  In  allgemeinen  DarsteUnngen  wie 
Harald  Westergaard's  Lehre  von  der  Mortaüt&t  nnd  Morbilitit,  Jena  1881,  ist  die 
Bedeotnng  des  Klima  nicht  genügend  erkannt  nnd  gewürdigt. 

3)  So  in  Brattinm  nnd  Sardinien,  wahrend  in  SielUen  ein  gaas  nnbedeo- 
tender  Rückgang  im  December  nnd  Januar  stattfindet. 


§  7.   Das  Natorlebeo.  407 

Die  oben  aDgeführten  Verse  des  Horaz  gewinnen  aber  erst  ihr  volles 
VersUndnifs,  wenn  man  die  Sterblichkeit  der  einzelnen  Altersclassen 
ins  Auge  fafst.  Die  ungeheure  Steigerung  im  Hochsommer  kommt  aus- 
scifliefelich  auf  Rechnung  der  Jugend  etwa  von  der  Periode  nach  der 
Entwöhnung  bis  zum  Tollendeten  20*  Lebensjahr.  Im  Juli  August  Sep- 
tember sterben  in  der  Provinz  Rom  doppelt,  in  Toscana  mehr  als  drei- 
mal so  viel  1 — 2  JAhrige  als  im  Januar  Februar  März.  Mai  und  August 
vertialten  sich  bezüglich  der  Sterblichkeit  dieser  Kategorie  wie  2  : 5, 
ebenso  durchschnittlich  in  anderen  Landschaften.  Von  Jahr  zu  Jahr 
bessert  sich  das  Verhältnifs  und  kehrt  sich  allmfllich  um.  Das  reife  Alter 
vom  20.  aufwärts  zeigt  auch  in  der  subtropischen  Zone  die  grofste 
Hinfillligkeit  in  den  kalten,  die  grOfste  Lebenskraft  in  den  warmen 
Monaten.  Der  Frühling  ist  es,  der  den  Pfeilen  des  Sonnengottes  er- 
liegt, wie  in  der  Natur  so  im  Menschenleben.  Das  Bild  wie  Niobe  unter 
der  Kinderschaar  allein  verschont  bleibt,  ist  der  Wirklichkeit  abge- 
lauscht Aehnliche  Beobachtungen  kann  man  an  den  Geburtslisten 
machen.  Die  meisten  Geburten  zeigt  der  Februar,  weil  damit  die  Em- 
pfängnifs  in  den  Mai  fällt,  die  wenigsten  der  Juni,  der  im  entspre- 
chenden Verhältnifs  zum  September  steht.  Unter  Rücksichtnahme  auf 
diesen  entscheidenden  Gesichtspunct  erweist  sich  die  Fruchtbarkeit 
am  grOfsten  im  April  Mai  Juni ,  am  geringsten  im  August  September 
October:  eine  deutliche  Aeufserung  von  dem  schwächenden  Einflufs, 
den  die  Hitze  auf  den  Organismus  ausObt.O  Auch  die  Zahl  der  Ehe- 
schliefsungen  sinkt  im  Juli  August  September  fast  ein  Drittel  unter 
das  gewöhnliche  Mittel,  während  übrigens  die  socialen  und  religiösen 
Factoren  hier  noch  bestimmender  eingreifen  als  die  klimatischen. >) 

Es  will  mich  bedünken,  dafs  die  unerbittlichen  Thatsachen,  welche 
aus  den  Zahlen  reden ,  bei  so  manchen  Erörterungen  mythologischer 
und  ästhetischer  Art  nicht  gebührend  gewürdigt  worden  seien.  Es  ist 


1)  Italia  ecoDomica  p.  625:  nan  n  poirebbe  avere  maggior  preeisiane  di 
coinciden%e  fra  i  periodi  di  fecondila  umana  e  le  fast  elimateriehe  e  teliu- 
riche;  VitiiiTl4,4  aeitate  non  solum  in  pettilenUbut  loeU  sed  etiam  in  salu- 
hribut  omnim  earpora  ealare  fiunt  imbedlla,  ei  per  hiemem  eüitm  fuae  pestt- 
l0niisiima0  sini  regiones  efßciuntur  salubres  ideo  quod  a  refrigerüHoni^UM 
soUdaniur, 

2)  Aaf  Febroar  (GarneTal)  kommen  dreimal  so  viel  Ehen  als  auf  Min  (Fasten). 
Letzterer  Monat  war  anch  bei  den  Alien»  wenigttens  som  Theil,  rerpdot.  Ana 
welchem  Aberglauben  die  befremdende  Thatsache  hervorgeht,  daOi  dieselben  den 
Wonnemonat  Mai  gaosUch  ausschlössen,  weiüB  ich  nicht  tu  sagen  vgl.  Marquardl» 
Privatleben  der  Römer  I  p.41. 


408  Kap.  IX.  Das  Klima. 

z.  B.  unbillig  von  den  Alten  zu  yerlangen,  dafs  sie  unser  romantisches 
NaturgefQhl  tbeilen,  mit  uns  klagen  sollen  wenn  die  holde  Sommerzeit 
entschwindet:  eine  Jahreszeit,  in  der  die  Vegetation  verschmachtet  und 
der  Mensch  vor  den  Umarmungen  des  Fiebers  flachtet,  die  die  Jagend 
jählings  hinstrecken ,  das  Alter  mit  langem  Siechtum  erfüllen.  In  der 
Verschiedenheit  des  Geschlechts,  welches  Germanen  und  Romanen  den 
Himmelskörpern  beigelegt,  spricht  sich  die  Verschiedenheit  ihrer  Na- 
turauf fassung  am  deutlichsten  aus.  Unseren  Vorfahren  war  die 
Sonne  eine  milde  gütige  Frau,  der  stille  Mond  fahrte  ihnen  den  klingen- 
den Frost  unbewölkter  Wintemächte  ins  Gedflchtnifs«  Am  Mittelmeer 
wird  der  Mond  weiblich  gedacht,  die  sanfte  MondgOttin  stand  aller 
Creatur  in  ihren  schwersten  Nöten  bei.  Der  unendliche  Zauber  jener 
tageshellen  Mondnächte  des  Südens  läfst  die  mythologische  Vorstellung 
noch  heute  verstehen  und  nachempfinden.  In  ihrem  feuchten  Glanz 
waltet  Lucina ;  der  in  JugendschOne  strahlende  Bruder  sendet  Gesund- 
heit, sendet  Verderben  und  Tod,  ist  dem  Menschen  nicht  Mos  Helfer, 
sondern  auch  ein  harter  strenger  Herr.  Ein  Bewunderer  des  Südens 
bezeichnet  den  Charakter  des  Sommers  als  unempfundene  milde  har- 
monische Notwendigkeit:  die  Stldländer  selbst  würden  sich  diese  Bei- 
worte schwerlich  aneignen.  Es  ist  wie  bemerkt  (S.  374)  nicht  die  grofse, 
vielmehr  die  anhaltende  Hitze,  welche  ihnen  die  Not  des  Lebens  nahe 
bringt.  Wenn  Helios  ununterbrochen  Wochen  und  Monate  lang  das 
Regiment  führt,  wenn  am  bleiernen  Himmel  keine  kühlende  Wolke 
auftaucht,  wenn  die  ealigo  ^)  der  schwüle  Hitzenebel  in  der  Luft  brü- 
tend die  Aussicht  benimmt,  dann  kann  man  den  Gedanken  eines  un- 
abänderlich lastenden  Fatum  nachdenken,  der  dem  launenhaften  wech- 
selnden Klima  des  Nordens  von  Grund  widerspricht  Wol  erscheint 
dieses  karger  bedacht:  aber  der  Gott,  welcher  in  die  Seele  des  Ger- 
manen jene  tiefe  Liebe  zur  Freiheit  pflanzte,  die  der  Romane  nicht 
kennt,  bat  auch  dafür  gesorgt,  dafs  der  Keim  durch  keine  äufsere  Macht 
geschädigt  oder  zerstört  werde.  Wo  Helios  seine  Strahlen  senkrecht 
herabfallen  läfst,  überhob  er  den  Menschen  der  Sorge  ums  tägliche 
Brot  und  machte  ihn  zum  Knecht.  Je  spärlicher  seine  Gaben,  desto 
gröfser  wird  das  Mafs  von  Freiheit,  dessen  der  Mensch  geniefst  In 
den  wenigen  Sätzen,  die  uns  hier  verstattet  sind,  erscheint  es  leichter 

1)  ColmD.  XI 2  sepümo  kalend.  Augustoi  eanieuia  apparei:  oaUgo  aetttuua 
Plin.  nitl  umidam  a  terra ,  aUas  vero  propter  vtqtorem  fumidam  exhaleri 
eab'ginem  eeriutn  9st  Es  heiÜBt  noch  jetzt  eaüna  im  Spaniachen;  doch  steht 
die  Ableitang  nach  Diez  nicht  anfser  Zweifel. 


§  7.  Das  NatnrlebcD.  409 

den  Einflufs  zu  veranschaulicben,  welchen  das  Klima  auf  die  Gestaltung 
des  aofseren  Daseins  in  Nord  und  Süd  geübt  hat.  Um  Schutz  zu  suchen 
Tor  der  Kalte,  gruben  die  alten  Deutschen  tiefe  Hohlen  im  Erdboden 
aas  und  bedeckten  sie  mit  Mist:  in  den  dumpfen  Kellerwohnungen,  an 
denen  unsere  nordischen  Klein  -  und  Grofsstädte  mit  gleicher  Zähig- 
keit hängen,  kann  man  einen  Nachhall  jener  barbarischen  Wohn- 
weise  erkennen.  Ein  Blockhaus  mit  hohem  spitzem  Schilf-  oder  Stroh- 
dach, den  Heerd  in  der  Mitte,  bot  den  gröberen  Theil  des  Jahres  Schutz 
und  Unterkunft  Der  Italiker  meidet  den  geschlossenen  Raum,  in  den 
ihn  nur  fallender  Regen  oder  das  Dunkel  der  Nacht  scheuchte.  Ein- 
stens war  das  Blockhaus  mit  spitzem  Strohdach  auch  jenseit  der  Alpen 
ebenso  allgemein  verbreitet  wie  diesseit.  Frühzeitig  indefs  ward  es 
verdrängt  durch  das  aus  dem  Morgenland  stammende  Steinhaus  mit 
plattem  Dach,  weiter  DachOffnung  um  Luft  und  Licht  einzulassen,  stei- 
nernen Boden.  Im  toscanischen  Atrium  dem  nationalen  Haus  Altitaliens 
wird  alles  Holzwerk  nach  und  nach  beseitigt,  die  Abwehr  der  Hitze 
immer  sorgfilltiger  ausgebildet.  Nicht  blos  dem  Morgenländer,  auch 
dem  Romer  tOnte  das  Plätschern  einer  Fontäne  als  lieblichste  Musik : 
die  jüngsten  Ruinen  von  Pompeji  lehren,  wie  emsig  bedacht  der  Bür- 
gersmann darauf  war  einen  Strahl  fliefsenden  Wassers  in  das  Innere 
seines  Hauses  zu  leiten.  Im  Norden  ein  riesiger  Kamin,  im  Süden  ein 
rinnender  Brunnen  —  das  ist  die  verschiedene  Ausstattung  der  Wohn- 
balle fortgeschrittener  Epochen.  Man  kann  nicht  sagen ,  dafs  die  aus 
dem  Orient  entlehnte  Hausform  den  Bedürfnissen  des  italischen  Klima 
TöIIig  genügt  hätte.  Cicero  schreibt  in  einem  Brief:  der  Consul  sei 
durch  die  Schmähungen  des  Volkes  gezwungen  worden  die  Väter  der 
Stadt  zu  entlassen ,  als  er  bei  grofser  Kälte  Sitzung  halten  wollte,  i) 
Ganz  so  erhebt  sich  bei  uns  die  Öffentliche  Meinung  gegen  den  Schul- 
tyrannen ,  der  es  wagen  würde  die  nachmittägigen  Hitzeferien  zu  ver- 
sagen, sobald  das  Thermometer  über  20  ^  zeigt.  Die  kühlen  HaUen  des 
Südens  sind  eben  auf  Hitze,  die  warmen  Stuben  des  Nordens  auf  Kälte 
berechnet.  Freilich  hat  der  letztere  entfernt  nicht  so  viel  von  Hitze  als 
der  erstere  von  Kälte  zu  leiden  gehabt.  Man  braucht  gar  nicht  den 
Horaz  aufzuschlagen  oder  die  kindlichen  Heizvorrichtungen  an  den 
Ruinen  zu  studiren,  man  hat  noch  heute  Gelegenheit  an  den  Nach- 
kommen zu  beobachten,  wie  bitterlich  die  Alten  in  ihren  zugigen  Räu- 

1)  An  QuiDlua  11 10, 1  pridie  Idus  [Feäruarias]  cum  Appiu$  senatum  in- 
frequeniem  eoegisiet,  tatUum  fuU  frigut,  ut  pitpuU  eonvitio  nt  coaehu  nos 
dimiiUre, 


410  Kap.  IX.  Das  Klima. 

men  gefroren  hat.  Der  häusliche  Comfort  ist  diesseit  der  Alpen  aus* 
gebildet  worden,  hier  das  moderne  Haus  mit  Glasverschlufs  entstanden, 
das  in  unserem  Jahrhundert  seinen  Siegeszug  um  die  ganze  Erde  an- 
getreten hat  Aehnlich  ging  es  mit  der  Kleidung.  Die  wallendeD 
Gewänder  des  Morgenlandes  pafsten  für  den  italischen  Winter  nicht. 
Alle  Majestät  der  Toga  und  alle  Polizeivorschriflen,  die  zu  ihrem  Schutz 
erlassen  wurden ,  reichten  nicht  aus  um  sie  im  Gebrauch  zu  erhalten. 
Je  weiter  die  ROmer  nach  Norden  vorrücken,  desto  unwiderstehlicher 
verbreiten  sich  die  nordischen  Trachten.  Selbst  die  einst  so  sehr  ver- 
spotteten und  verachteten  Hosen  der  Galtier  finden  schUefslich  Auf- 
nahme. Wir  sahen  S.  402 ,  dafs  das  heutige  Klima  einen  sUdUcheren 
Charakter  trägt  als  im  Altertum.  Das  Umgekehrte  ist  mit  den  socialen 
Lebensformen  der  Fall.  Die  Alten  standen  dem  Morgenland  in  Klei- 
dung und  Wohnung,  Sitte  und  Anschauung,  Denk-  und  Lebensweise 
ebenso  nahe  wie  das  jetzige  ItaUen  dem  civilisirten  Europa.  Dies  ist  die 
Rückwirkung  von  jenen  sonnenlosen  Gegenden,  welche  der  alteVarro 
in  Schnee  und  Eis  begraben  sein  liefs  (S.  373).  Die  Natur  bestimmte 
ItaUen  zur  Vermittlerin  zwischen  Morgen-  und  Abendland,  zur  Haupt- 
trägerin europäischer  Geschichte.  Wie  es  an  beiden  Gegensätzen  theil- 
nehmend  diese  grofse  Aufgabe  lösen  konnte,  bringt  uns  vor  allem  die 
Betrachtung  seines  vielgestalteten  Klima  zum  deutlichen  Bewufstsein. 

§  8.  Die  Malaria. 

lieber  den  Einflufs  des  Klima  auf  die  Race,  über  den  Gegensatz 
zwischen  den  dunklen  schwarzäugigen  zierlichen  ROmem  und  den 
blonden  blauäugigen  Nordländern,  zwischen  feuriger  Leidenschaft  und 
bedächtiger  Ruhe  ist  viel  Zutrefiendes  und  viel  Verkehrtes  gesagt  wor- 
den. In  wie  weit  aber  Vererbung  und  Cultur  neben  dem  KUma  hierbei 
in  Betracht  kommen,  ist  eine  schwer  zu  beantwortende  Frage;  der 
Stand  der  Forschung  macht  es  zur  Pflicht  uns  auf  wenige  sichere  Tbat- 
sacben  zu  beschränken.  Unter  der  heifseren  Sonne  nimmt  das  Leben 
einen  schnelleren  Verlauf.  Das  römische  wie  das  canonische  Recht 
setzen  das  heiratsfähige  Alter  für  die  Jungfrau  auf  12,  für  den  JQog- 
Ung  auf  14  oder  15  Jahr  fest.  Wichtiger  als  derartige  absolute  Alters- 
grenzen,  die  sogar  in  deutsche  Volksrechte  übergegangen  sind,  er- 
scheint die  in  Wirklichkeit  eingehaltene  Praxis.  0  Es  unterliegt  keinem 

1)  Das  Material  bei  Friedlinder,  Darsteliangen  ans  der  Sittengeschichte  Bobs 
P  p.  467  fg. 


§8.  Die  Malaria.  411 

Zweifel  dafs  Eben  mit,  ja  auch  vor  diesem  Termin  zur  Kaiserzeit  un- 
gemein hIluOg  eingegangen  wurden.  Das  Durchschnittsalter  der  Bräute 
scheint  nicht  hoher  als  14  Jahr  angenommen  werden  zu  können.  Im 
heutigen  Italien  ist  es  nach  einer  sechsjährigen  Zählung  auf  23  Jahr 
10 Monate  für  die  Braut,  30  Jahr  7  Monate  für  den  Bräutigam  gestiegen. 
Eheschliefsungen  vor  vollendetem  15.  Jahr  i)  kommen  auch  jetzt  noch 
vor,  aber  nur  in  dem  minimalen  Verhältnifs  von  1,29  per  MiUe  für  das 
weibliche ,  0,02  per  Mille  für  das  männliche  Geschlecht.  Zudem  ge- 
hören sie  vorwiegend  Sicilien  und  den  südlichsten  Provinzen  an ,  wo 
die  Ziffer  etwa  auf  2  und  0,03  per  Mille  steigt.  Für  die  S.  410  ausge- 
sprochene Behauptung,  dafs  die  socialen  Zustände  der  Gegenwart  im 
Unterschied  von  Klima  und  Vegetation  einen  nordischen  Charakter 
tragen  gegenüber  dem  Altertum,  liefert  die  angegebene  Thatsache  den 
vollgültigsten  Beweis.  Sie  erklärt  uns  die  heutige  Fruchtbarkeit  der 
Ehen  und  die  aufserordcntlich  günstigen  Aussichten,  welche  die  wach- 
sende Volkskraft  den  Italienern  vor  anderen  Romanen  in  Zukunft  er- 
öffnet. Sie  wirft  zugleich  ein  helles  Licht  in  die  Vergangenheit.  Als 
ein  Denker  und  Patriot  wieTacitus  vom  Erzfeind  des  römischen  Namens 
meldete :  sera  invenum  vetius  eoqiu  inexhansta  pubertas.  nee  virgines 
festinantnr;  eadem  iuventa,  similii  procerttas:  pares  validaeque  miscen- 
tur,  ac  robora  parentnm  liberi  referunt . . .  hat  er  seiner  eigenen  Nation 
das  Todesurtheil  gesprochen.  Wir  haben  in  der  Neuzeit  erlebt,  wie  die 
angelsächsische  Race  über  das  Erdrund  sich  ausbreitete,  ohne  daneben 
die  hohe  Fruchtbarkeit  der  heimischen  Ehen  zu  geß(hrden.  Das  Alter- 
tum bietet  das  Schauspiel,  wie  die  italische  Volkskraft  ungeheuere  Land- 
strecken bemeistert,  aber  in  ihren  Stammsitzen,  der  Appenninhalbinsel 
langsam  versiegt  und  nur  durch  beständige  Einwanderung  künstlich 
erhalten  ward.  Man  mufs  sich  hüten  den  Verfall  der  Hauptstadt  und 
der  hohen  Gesellschaft,  der  schon  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  be- 
merkbar wird,  sofort  auf  das  ganze  Land  auszudehnen.  Langsam  sind 
die  Laster  des  Erdki*eises  in  dieser  Cloake  zusammen  geflossen,  haben 
die  nähere,  die  weitere  Umgebung,  schliefslich  alles  was  in  ihrem  Be- 
reich lag,  verseucht.  Es  hat  nie  ein  Sodom  und  Gomorrha  gegeben, 
das  die  Menschheit  so  entsittlicht  hätte  als  Rom.  Die  Sammlung  der 
stadtrOmischen  Inschriften  wird  einen  nüchternen  ziffermäfsigen  Com- 
mentar  gewähren  zu  den  Schilderungen  der  socialen  Zustände,  die  wir 


1)  It.  econom.  p.  619  nennt  diese  ineotuulH  mairimoni  non  nuno  eon- 
dannaHK  n^  rispeUi  fiiici  ehe  in  quelii  eoeiaU, 


412  Kap.  IX.  Das  Klima. 

in  der  Litteratur  lesen.  Die  mittlere  Lebensdauer  erscheint  überaus 
kurz,  Kindersegen  im  heutigen  Sinne  unerhört.  Wie  hätte  das  anders 
sein  sollen  in  einer  Gesellschaft ,  wo  eine  zärtliche  Gattin  ihrem  ver- 
storbenen Mann  die  niedlichen  Verse  auf  den  Grabstein  setzte: 

balnea  vina  venus  eorrumpuni  eorpora  nostra^ 
$ed  viiam  faeiuni  balnea  vina  venu*. 

Und  wenp  sie  nicht  absichtlich  ?ernichtet  ward,  welche  Nachkommen- 
schaft konnte  den  Verbindungen  halbwüchsiger  Buben  und  Mädchen 
entspriefsen  ?  Die  alte  Republik  kannte  diese  Frühreife  nicht  9:  vor 
vollendetem  17.  Jahr  konnte  der  Bürgersohn  überhaupt  nicht  heiraten 
und  ward  sofort  unter  die  heilsame  Zucht  des  Waffendienstes  genom- 
men; als  Blüte  der  Jungfrau  galt  das  16.  Jahr,  das  aber  in  uns  bekann- 
ten Fällen  bei  der  Verheiratung  weit  überschritten  wurde.  Uns  fehlt 
das  Material  um  ein  Durchschnittsalter  für  die  Republik  aufzustellen, 
wie  wir  das  für  die  Kaiserzeit  konnten.  Indessen  wenn  Häuser  mit  16 
lebenden  Söhnen  erwähnt  werden ,  so  braucht  uns  der  Mangel  nicht 
sonderlich  zu  grämen :  spricht  doch  die  altere  Geschichte  der  Römer 
f(lr  ihren  Kinderreichtum  beredt  genug.  Auf  das  massenhafte  Einströ- 
men orientalischen  Blutes  seit  dem  Erwerb  der  Weltherrschaft  werden 
wir  wie  den  Umschwung  der  Sitten  so  auch  die  Verschiebung  der  Alters- 
termine, die  auf  politischem  Gebiet  in  der  Kaiserzeit  wiederkehrt,  zu- 
rückfuhren. Die  seitdem  gesetzlich  anerkannte  und  praktisch  betbä- 
tigte  Frühreife  hat  den  Untergang  der  antiken  Gesellschaft  und  die 
Verödung  der  schönsten  Gauen  Italiens  zur  Folge  gehabt.  Der  einzige 
Damm,  welcher  dies  abzuwehren  vermocht  hätte,  ward  niedergerissen, 
als  die  allgemeine  Wehrpflicht  mit  der  bürgerlichen  Freiheit  beseitigt 
wurde.  Wol  hat  Augustus  durch  gesetzliche  Vortheile,  Nerva  und 
Traian  durch  milde  Stiftungen  den  Kindersegen  zu  befördern  gesucht, 
wol  ertheilten  einsichtige  Herren  einer  Sklavin  die  drei  Söhne  aufge- 
zogen halte ,  Belohnungen  und  Freiheit.  Dafs  alle  diese  Mittel  für  die 
Erhaltung  und  Vermehrung  der  Einwohnerschaft  heilsam  wirkten,  bt 
sicher  genug,  aber  ebenso  sicher  dafs  sie  eines  nicht  hindern  konnten, 
die  fortdauernde  Verschlechterung  der  Race.  Wie  viel  lauter  mufs  da- 
mals die  Sense  geklirrt  haben,  die  der  Todesgott  im  Hochsommer  über 
den  Häuptern  der  Jugend  schwingt  (S.  407)  1  Wir  sind  aufser  Stande 
die  lange  Krankheitsgeschichte  des  Altertums  mit  ihren  mannichfal- 
tigen  Verwicklungen  und  WechselHlIlen  zu  schreiben.  Die  grofse  Pest, 

1)  Marqnardt,  Privatleben  I  p.  129  Terenz  Eud.  318. 


§  S.  Die  Malaria.  413 

welche  unter  Marc  Aurel  aogeblich  die  halbe  Bevölkerung  hinraffte, 
bezeichnet  den  Anfang  vom  Ende.  Derartige  Heimsuchungen  sind  auch 
zu  anderen  Zeiten  und  bei  anderen  Völkern  eingetreten  und  glücklich 
überwunden  worden.  Zur  Genesung  hatte  das  alte  Italien  nicht  mehr 
die  Kraft.  Unter  unseligen  Öffentlichen  Zuständen  gehen  seitdem  Ab- 
nahme der  Bevölkerung  und  Zunahme  der  Malaria  fortschreitend  Hand 
in  Hand. 

Der  Hochsommer  fordert  in  warmen  Gegenden  meistens  zur  Vor- 
sicht auf.  Der  Uebergang  von  Tag  zu  Nacht  erfolgt  rasch^  die  Däm- 
merung nordischer  Breiten  ist  unbekannt,  das  crepusculum  erstreckt 
sich  kaum  tlber  eine  halbe  Stunde.  Damit  ist  eine  bedeutende  Abküh- 
lung verbunden,  namentlich  wo  der  Einflufs  des  Gebirgs  sich  bemerk- 
bar macht,  und  eine  entsprechende  Erhöhung  der  Feuchtigkeit  der 
Luft.  Man  hat  wol  bei  Sonnenuntergang  das  Gefühl,  als  würde  man 
in  ein  nasses  Laken  eingeschlagen.  Der  Wärmeunterschied  zwischen 
Sonne  und  Schatten  beträgt  in  Rom  für  den  Sommer  etwa  15^.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  dafs  die  plötzliche  Temperaturschwankung  am 
Abend  leicht  Erkältungen  veranlafst.  Aber  an  vielen  Orten  dringen 
zugleich  mit  der  Kühle  bOse  Dünste  in  die  von  der  Tageshitze  geöff- 
neten Poren  der  Haut  und  bringen  Fieber.  Die  Erfahrung  lehrt,  dafs 
stehende  Gewässer  im  Hochsommer  bestimmte  Krankheiten  erzeugen, 
die  so  ziemlich  in  den  Niederungen  der  gesammten  Erde  endemisch 
sind.  Wir  nennen  sie  Marschfieber  an  der  Nordsee,  Malariafieber  in 
Italien,  gelbes  Fieber  in  Westindien.  Ihre  Bösartigkeit  wächst  mit  ab- 
nehmender Breite.  Schon  in  Italien  kommt  neben  der  Quartana,  dem 
Wechselfieber  auch  die  perniciOse  Form  vor,  welche  den  Menschen  in 
36  Stunden  hinrafft.  Trotz  der  Verschiedenheit  der  Erscheinungen 
bleibt  das  Wesen  der  Krankheit  überall  das  gleiche:  der  Ansteckungs- 
stoff wird  von  den  im  Wasser  faulenden  organischen  Substanzen  ge- 
liefert und  verbreitet  sich  über  das  umliegende  Erdreich.  Chemisch 
ist  das  Gift  bis  jetzt  noch  nicht  nachgewiesen  worden ,  doch  hat  die 
lange  Erfahrung  eine  Reihe  untrüglicher  Regeln  über  sein  Auftreten 
gesammelt.  1)  Es  schleicht  am  Boden  hin:  daher  je  hoher  freier  kräf- 
tigem Luftzug  ausgesetzter  die  Wohnung,  um  so  gesünder  ist  sie.  2)  Es 
befilllt  den  Schlafenden  leichter  als  den  Wachenden,  weil  in  jenem  Zu- 

1)  Bunsen,  Beschreibung  der  Stadt  Rom  I  p.  82— 108. 

2)  Varro  RR.  1 12  n  qua  eruni  loea  paluitria  . . .  erescunt  animalia  quae- 
dam  minuta ,  quae  non  possunt  oeuli  eonsequi,  ei  per  aera  inius  in  corpus 
per  OS  ei  nares  perveniunt  aique  efficiunl  diffieiles  morbos. 


414  Kap.  IX.  Das  Klima. 

Stand  die  Thatigkeit  der  Hautgemfse  sieb  steigert  (S.  327).  Es  wirkt 
zu  allen  Jahreszeiten,  vorzugsweise  jedoch  im  Hodisommer,  weil  die 
Empf%lnglichkeit  der  Haut  dann  am  gröfsten,  die  Widerstandskraft  des 
Organismus  am  geringsten  ist.  Den  besten  Schutz  gegen  das  Gift  ge- 
wahrt erstens  ein  mlfsiger  nOchterner  Lebenswandel,  sodann  eine 
warme  gegen  Feuchtigkeit  und  Erkaltung  sichernde  Kleidung  aus 
Wolle,  endlich  das  Heerdfeuer  und  die  geschlossene  Ansiedlung.  Die 
Bewohner  einzelner  Gehöfte  wie  diejenigen  welche  die  Nacht  im  Freien 
zubringen  mOssen,  werden  in  Fieberstrichen  nie  unterlassen  Feuer  an- 
zuzQnden  um  die  schlimme  Luft  zu  bannen.  Letztere  hat  nach  einer 
allgemeinen  in  Italien  wie  anderen  Ländern  zahllose  Mal  bewährteD 
Erfahrung  dort  am  wenigsten  Macht,  wo  die  zahlreichsten  Feuer  rau- 
chen, die  Bevölkerung  gedrXngt  wohnt.   Ferner  kann  eine  ungesunde 
Gegend  durch  Anbau  entseucht  werden,  indem  man  die  gtehendeo  Ge- 
wisser beseitigt,  die  Wasserlaufe  regelt.  Bäume  gegen  schädliche  Winde 
und  die  von  ihnen  mitgeschleppten  Miasmen  pflanzt.   Selbst  in  den 
Maremmen,  wo  die  Küstenseen  stagniren  und  die  Mischung  von  Söfs- 
und  Salzwasser  die  schlimmsten  FauktofTe  schafft  (S.  358)  9  können 
einzelne  Orte  in  einer  tödtlichen  Umgebung  bewohnbar  gehalten  we^ 
den.   Die  Neuzeit  hat  zum  GlQck  nur  Fortschritte  in  der  Bekämpfung 
der  Malaria  aufzuweisen,  die  historische  Ueberlieferung  weist  seit  dem 
Beginn  unserer  Zeitrechnung  stete  Rückschritte  auf.   Die  Auffassung 
der  Frage  ist  wesentlich  durch  die  Verhaltnisse  der  römischen  Cam- 
pagna  bestimmt  und  häufig  in  ein  mystisches  Halbdunkel  gehflUt  wor- 
den, dem  man  überhaupt  dort  zu  begegnen  pflegt,  wo  es  sich  um  Sfln- 
den  der  heiligen  Stadt  handelt.  Die  Sache  an  sich  ist  so  einfach  und 
verstandlich  wie  sie  nur  sein  kann.  Gute  und  schlechte  Luft  giebt  und 
gab  es  in  allen  Landern  und  zu  allen  Zeiten.   Aber  die  unmittelbare 
Bedeutung  dieses  Factors  wird  im  Süden  von  Jedermann  und  weit 
lebhafter  empfunden  als  bei  uns:  deshalb  liefert  er  im  Süden  annähernd 
denselben  unerschöpflichen  Gesprachsstofl'  wie  bei  uns  unser  launen- 
haftes Wetter.  Nach  einer  hellenischen  Sage  lafst  der  delphische  Gott 
zwei  Stadtgründer  wählen  zwischen  Gesundheit  und  Reichtum  fdr  die 
zu  bestimmende  Statte.   Die  Sage  drückt  den  ganz  richtigen  Gedanken 
aus,  dafs  der  magere  Boden  der  Hügel  durchweg  gesünder  sei  als  die 
fruchtbaren  Flufsthaler.  Wir  haben  in  anderem  Zusammenbang  (S.  208. 
300)  gesehen,  dafs  die  Urbarmachung  derselben  vorgerückten  Cuitur- 
epochen  angehörte ,  unablässige  Fürsorge  und  Arbeit  erheischte.  Di^ 
Abwehr  der  bösen  Luft  ist  eine  der  ältesten  Aufgaben  griechischer 


{8.  Die  Malaria.  415 

Wi8seD8chaft  gewesen.  Die  Anlage  zahlloser  Städte  in  der  Periode  der 
Coloniaation  und  später  nach  der  Eroberung  des  Orients  stellte  einen 
Schatz  Ton  Erfahrungen  zu  Ihrer  Verfügung,  der  theoretisch  verarbeitet 
und  damit  Gemeingut  ward.  Man  hat  viel  Wesens  ?od  der  ältesten  Be* 
Siedlung  Latiums  gemacht  und  behauptet,  dafs  das  Volk  auf  einer 
niedrigeren  Culturstufe  stärker  und  föhiger  gewesen  sei  die  Ortlichen 
Schwierigkeiten  zu  besiegen.  Das  Eine  ist  genau  so  fälsch  wie  das 
Andere.  Mit  mehr  Recht  werden  wir  die  Colonisation  des  Polands  be- 
wundem, dessen  Fieber  um  nichts  milder  sind  als  die  römischen  und 
das  gleichfalls  wie  die  pontinischen  Sümpfe  aussehen  würde,  wenn 
seine  Bewohner  jemals  in  den  Marasmus  ihrer  Vorfahren  am  Tiber 
versunken  wären.  Aufserdem  war  die  Besiedlung  Latiums  in  Urzeiten 
leichter  durchführbar  als  seine  jetzige  Rückgewinnung;  damals  war 
es  ein  jungfräulicher  mit  Urwald  bestandener  Boden ,  jetzt  eine  ihres 
ursprünglichen  Besitztums  beraubte  Wildnifs,  die  vermutlich  viel  ver- 
derblicher wirkt  als  der  Urwald  jemals  gewirkt  hat.  Freilich  ist  nicht 
daran  zu  denken,  dafs  einzelne  Pioniere  sich  in  demselben  eingenistet 
und  gerodet  hätten  wie  in  Nordamerica.  Höchst  verkehrter  Weise  hat 
man  das  getrennte  Siedeln  der  Germanen ,  wie  Tacitus  es  beschreibt, 
auch  auf  das  älteste  Italien  übertragen  wollen :  im  Widerspruch  mit 
der  Ueberlieferung,  im  Widerspruch  mit  jenen  ursprünglichen  An- 
lagen, die  in  den  Pfahldörfern  zu  Tage  gefordert  worden  sind,  im  Wi- 
derspruch mit  dem  Klima.  Ein  grofser  Theil  des  Landes  hat  nur  von 
geschlossenen  Haufen  in  Besitz  genommen  und  behauptet  werden  kön- 
nen. Welch  trauriges  Los  einzelne  Gehöfte  befallen  hätte,  wie  wenig 
die  Bewohner  vermocht  hätten  auf  die  Dauer  auszuhalten  oder  vollends 
sich  auszubreiten ,  lehrt  die  Erfahrung  der  Neuzeit  zur  Genüge.  Wie 
das  Fehdeleben  der  Urzeit  dazu  zwang  hochgelegene  durch  Natur  und 
Kunst  befestigte  Orte  für  die  Dorfschaften  auszusuchen,  so  nicht  min- 
der die  Rücksicht  auf  die  Gesundheit.  Offene  Weiler  kennt  die  alt- 
italische Tradition  von  Hause  aus  nicht. 

Das  Fieber  war  und  ist  die  verbreitetste  Krankheit  Italiens.  Ge- 
genwärtig hat  das  Poland  viel  davon  zu  leiden.  Die  im  sechszehnten 
Jahrhundert  eingeführte  und  allen  Regierungsmafsregeln  zum  Trotz 
nicht  wieder  aufgegebene  Cultur  des  Reises,  welche  in  künstlich  über- 
schwemmtem Sumpfland  betrieben  wird ,  wirkt  höchst  nachtheilig  auf 
den  Gesundheitszustand  ein.  Indessen  wird  hierin  so  wenig  ein  Hin- 
dernifs  fttr  den  Ackerbau  erblickt  wie  in  den  Stoppelflebern  an  der 
^fordsee.   Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  denjenigen  Landschaften, 


416  Kap.  IX.  Das  Klima. 

welche  der  bösen  Luft  wegen  nur  spftrlich  bewohnt  oder  vollsUlDdig 
verödet  sind.  Wol  dient  der  frachtbare  Boden  zur  Weide,  wird  auch 
bisweilen  flüchtig  bestellt,  könnte  aber  leicht  die  zehn-  und  zwanzig- 
fache Zahl  von  Menschen  ernähren,  wenn  seine  gesundheiüichen  Ver- 
hältnisse normale  wären.  Im  VII.  und  VIII.  Kapitel  sind  die  in  Be- 
tracht kommenden  Gegenden  grofsentheils  namhaft  gemacht  worden. 
Die  Hauptsitze  der  Malaria  sind  die  Küstenebenen  von  der  Hacra  ao, 
das  Gebiet  der  mitteUtaUschen  Vulkane,  Grofsgriechenland,  die  apu- 
lische  Ebene,  das  Gefilde  von  Leontini,  der  Südwesten  von  Sardinien, 
die  Ostküsle  von  Corsica:  ein  Gebiet  von  mindestens  400  d.  DM., 
dessen  genaue  Umgrenzung  zwecklos  wäre.  Das  Uebel  tritt  mit  un- 
gleicher Heftigkeit  auf,  am  schUmmsten  an  den  Küsten  und  in  den 
Flufsthälern,  während  Höhenlage  ziemlich  wenn  auch  nicht  ganz  ver- 
schont bleibt.  Die  Bewohner  zeigen  durch  ihre  hagere  gelbe  Farbe 
an ,  dafs  sie  hier  nicht  alt  werden  können.  Unter  den  fremden  Feid- 
arbeitern,  welche  zur  Einholung  der  Ernte  gedungen  werden,  reifst 
der  Tod  arge  Lücken.  Die  Einöde  um  Rom  hat  die  neuere  Kunst  um 
den  Begriff  der  historischen  Landschaft  bereichert.  Ihre  unvergleich- 
liche Wirkung  auf  das  Gemüt  beruht  auf  dem  Gegensatz  von  einst  und 
jetzt.  Es  hat  ja  auch  im  Altertum  schlechte  Luft  gegeben.  Das  stolze 
Heer  Athens  413  und  später  mehr  als  eine  jener  von  Karthago  aufge- 
botenen Söldnermassen  ist  in  den  Sümpfen  von  Syrakus  zu  Grunde 
gegangen.  Aber  sehr  langsam  hat  sich  daraus  die  Pestbeule  entwickelt, 
die  den  schönen  Leib  Italia's  so  häfslich  verunstaltet.  SchädUch  hat 
zuerst  die  Verdrängung  der  Bauern-  durch  die  Gutswirtschaft  gewirkt, 
welche  nach  dem  Erwerb  der  Weltherrschaft  unaufhaltsam  um  sieb 
griff.  Isolirt  gelegene  Höfe  gewährten  niemals  den  gleichen  Schutz  ge- 
gen Malaria  wie  geschlossene  Dorfschaften.  Da  die  Grundherren  einzig 
und  allein  darauf  bedacht  waren  ihre  Rente  möglichst  zu  steigern,  so 
verwandten  sie  Sklaven  und  nur  in  ungesunden  Strichen  freie  Tage- 
löhner. Ueberhaupt  galt  in  ihren  Kreisen  der  Lehrsatz,  dafs  ein  Gut 
mit  schlechter  Luft  um  jeden  Preis  losgeschlagen  werden  müsse.  Am 
nächsten  lag  es  derartige  Ländereien  in  Weiden  umzuwandeln:  die 
Viehheerden  gedeihen,  wo  das  Fieber  den  Menschen  packt  Dadurch 
wurde  das  Uebel  verschlimmert;  denn  die  Drainirung  des  Bodens,  die 
Regelung  der  Wasserläufe,  welche  der  Ackerbau  fordert,  hört  auf 
und  mit  der  Abnahme  der  Bevölkerung  auch  der  wolthätige  Einflufs 
der  von  ihr  unterhaltenen  Feuerstellen.  Wir  hören  aus  dem  Bürger- 
krieg 49  V.  Chr.,  dafs  das  von  Sipontum  bis  Brundisium  gelagerte  Heer 


Caesars  durch  Malaria  vM  tu  teidea  halte :  gfuvts  auhmHUs  in  Apulia 
tittum^  bmndi^m  ^  ifalulmTimü  CatÜae  et  BiHpaniati  resf(ombus 
tmnem  emerc(Nm  wihiüdftiiB  ttmptiivetat^)  Gaesens  Trüpt)eb  hi^chteD 
hier  die  nHmlkbe  Erfhhruhg^  Wdche  afi  den  Deutschen  im  Mittel^ 
alter  bei  Rotti  bich  hflilflg  Wiederholt  hat,  daft  die  Malaria  besonders 
den  Nordlandern  Verderblich  Trird;^)  Die  Sailiniterkrilsge  h^en  ber^it^ 
die  südlichen  Landschaften  in  dem  Grade  verWQstet,  dafs  Pytthös  die 
Aeufserang  thun  kennte,  man  sehe  ihnen  nicht  an,  ob  sie  j6  bewohtit 
gewesen  seien. &)  Doch  datirt  ihr  völliger  Niedergahg  vom  Krieg  Han*- 
nibals  her,  dem  eine  sinnige  tlrzfthlnng  mit  gutem  Gmnd  die  vMitäs 
liaNoi  auf  seinem  Zuge  folgen  läfst.  Am  Ausgang  der  Republik  wird 
die  Gesundheit  der  Hügel  Roms  im  Gegensatz  tut  ungesunden  Umge- 
bung der  Stadt  gepriesen.^)  Dafs  es  mit  letzterer  nach  heutigem  Mab'* 
Stab  nicht  gar  schlimm  bestellt  gewesen  sein  kann,  haben  wir  b^i  der 
Betrachtung  der  Pontinischen  Sümpfte  bereits  gesehen;  Strabo  der  Jahr>- 
zehnte  in  Rom  zugebracht,  bezeichnet  ausdrücklich  gaUti  Latium  als 
gesegnet  und  fhtchtbar  mit  Ausnahme  einiger  Sumpfstreeken  (8. 325). 
Ohne  Zweifel  hat  die  geordnete  Verwaltung  der  Raisertseit  mit  Ihren 
grofsartigen  zum  gemeinen  Besten  unternommenen  Anlagen  nicht  blos 
den  materiellen  Aufschwung  sondern  auch  die  Hebung  der  sanitären 
Verhältnisse  ungemein  befördert^)  Webn  nichtsdestoweniger  am  Ende 
des  ersten  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung  neben  der  latinischen  *) 
auch  die  ganze  etrurische  Küste  Terrufen  ist,  so  haben  wir  augen- 
scheinlich einen  Forlschritt  des  Uebels  zu  erkennen. ''J  Derselbe  wurde 


1)  Gaes.  b.  civ.  III  2.  Cicero  an  Att.  XI  22,  2  schreibt  im  August  47  alten 
Stils  ans  Brundisium:  vix  susünBü  gravitatBm  huius  caeli  Tgl.  S.  337. 

2)  Vgl.  Tac.  Histor.  II  93  infamibus  Faticani  locis  magna  pars  teiendit, 
unde  erebrae  in  volgtu  mortes. 

3)  Pio  fr.  40, 27  Bekker. 

4)  Gic.  Rep.  II 11  (Rofnubu)  ioeum  deleg^i  et  fontibus  abundantem  et  in 
regUme  peetHenH  ealubrem;  eoUes  enim  sunt,  qui  eum  perflantur  ipsi,  tum 
adferunt  umbram  valUbtu,  Liv.  VII  38, 7  in  pestilenii  atque  arido  circa  urbem 
solo  Tgl.  V  54, 4  ond  A.  2. 

5)  Frontin  Aqnaed.  88.  Im  2.  Jahrhundert  ist  das  Fieber  in  Rom  ganz  all- 
gemein Galen  XVH  1, 121  KOhn  Tgl.  Ammian  XIV  6, 23. 

6)  Seneca  Ep.  105,  t  Martial  IV  60. 

7)  Plin.  Ep.  V  6, 1  amavi  euram  et  eoUicitudincm  tuam,  quod  cum  audissee 
tne  aestate  Tuseos  meoe  petiturum,  ne  facerem  suasitti,  dum  putas  insalubres, 
est  sane  gravis  et  pesHlens  ora  Tuscorum  quae  per  litui  extenditur:  eed  M 
proeul  a  mari  reeesserunt,  quin  etiam  Appennino  taluberrimo  montium  sub' 
imcenU 

Nitten,  IUI.  Uadctkuade.  I.  27 


418  Kap.  IX.  Das  Klima. 

durch  die  io  der  Kaiserzeit  stark  betriebene  Abholzuog  begünstigt 
(S.  301),  insofern  der  Ungestüm  der  Flüsse  zunahm,  die  Thäler  und 
Küstenseen  versumpften.  Doch  ist  dies  nur  nebensächlich.  Den  Aus- 
schlag gab  die  fortwährende  Degeneration  der  Bevölkerung.  Tiefer 
Friede  herrschte  Jahrhunderte  lang  in  den  italischen  Gauen.  Die  Sitten 
wurden  immer  humaner  aber  auch  immer  weichlicher.  Wie  der  phy- 
sische Mut  ausstarb,  der  zum  Waffendienst  gehörte  (S.  84),  so  nahm 
auch  die  Widerstandskraft  gegen  die  Angriffe  des  Klima  ab.  Die  Ver- 
ödung hat  in  den  verschiedenen  Landschaften  nicht  gleichen  Schritt 
gehalten  und  im  Einzelnen  manche  durch  Krieg  und  Frieden  bedingte 
Wechselfälle  durchlaufen.  Wol  ist  durch  die  Eroberung  der  Germanen 
frisches  Blut  in  die  Adern  des  siechen  Körpers  eingeleitet  w<^den,  aber 
die  staatliche  Auflösung  und  die  einbrechende  Barbarei  haben  die  Aus- 
breitung der  Malaria  beschleunigt,  welche  erst  seit  dem  17.  Jahrhun- 
dert vrirksam  bekämpft  worden  ist  Das  geeinigte  Italien  der  Gegen- 
wart hat  eine  der  schwierigsten  aber  auch  der  edelsten  Aufgaben  zu 
lösen,  indem  es  die  Schuld  der  Vergangenheit  tilgend,  an  der  Stelle  von 
Latifundien  einen  freien  Bauernstand  ins  Leben  ruft,  der  allein  die 
Malaria  mit  Erfolg  zu  bekämpfen  vermag.  Hebung  der  Bauern  lautet 
das  sociale  Programm  ItaUens  jetzt  wie  zu  den  Zeiten  des  Tiberius 
Gracchus.  Für  die  mit  Malaria  behafteten  Landschaften  trifft  das  Wort 
des  Plinius  voll  und  ganz  zu:  latifundia  perdidere  Itaiiam. 


KAPITEL  X. 


Die  Vegetation. 

Unter  den  Lflndern  der  Alten  Welt  nimmt  Italien  seiner  Lage 
nach  die  Mitte  ein.  Durch  seinen  Bau ,  seine  wagerechte  und  senk- 
rechte Gliederung,  sein  Küma  erscheint  es  berufen  die  Gegensätze  von 
Morgen-  und  Abendland  in  sich  auszugleichen ,  den  Cullursegen  des 
Orients  an  Europa  zu  übermitteln.  Dieser  weltgeschichtliche  Beruf 
findet  in  der  Vegetation  den  deutlichsten  Ausdruck.  Das  Leben  der 
Pflanze  wird  durch  den  Boden  bedingt,  der  sie  ernährt,  durch  die 
Wärme  und  Feuchtigkeit  der  Luft^  von  denen  ihr  Gedeihen  abhängt 
Sie  besitzt  aber  auch  die  Fähigkeit  aufserhalb  ihrer  ursprunglichen 
Heimat  neuen  Verhältnissen  bis  zu  einem  gewissen  Grad  sich  anzu- 
passen. Die  Verbreitung  und  Wanderung  der  Pflanzen ,  theils  durch 
unbewufste  Naturkräfte  theils  durch  den  Willen  des  Menschen  veran- 
lalst,  füllt  einen  der  anziehendsten  und  lehrreichsten  Abschnitte  allge- 
meiner Geschichte  aus:  durch  sie  ist  nicht  nur  der  landschaftliche 
Charakter  weiter  Erdräume  umgestaltet,  sondern  die  Grundlage  ge- 
sitteten Daseins  überhaupt  erst  geschaffen  worden.  ItaUen  gehört  von 
Hause  aus  jenem  grofsen  Waldgebiet  an ,  das  sich  über  Europa  und 
Sibirien  bis  an  den  Stillen  Ocean  bin  erstreckt.  Allmälich  im  Laufe 
der  Jahrtausende  hat  es  sich  davon  abgesondert:  um  die  Mitte  des 
zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr.  steht  das  Poland  erst  im  Begriff'  die  Wald- 
und  Weidewirtschaft  mit  geregeltem  Ackerbau  zu  vertauschen  (S.  74); 
um  den  Beginn  unserer  Zeitrechnung  hat  Ligurien,  dessen  Flora  heu- 
tigen Tages  mit  derjenigen  der  subtropischen  Zone  übereinstimmt,  sein 
altes  Pflanzenkleid  noch  nicht  abgelegt.  Von  den  ersten  Aeufserungen 
geschichtlichen  Lebens  bis  zur  Gegenwart  hinunter  sehen  wir  die  Vege- 
tation in  beständiger  Umbildung  begriffen,  die  eingebornen  Kinder  der 
Flur  durch  fremde  Einwanderer  eingeengt  und  verdrängt.    Wie  die 

27* 


420  Kap.  X.   Die  Vegetation. 

heutige  Flora  ein  stidliches  Gepräge  trägt  gegenüber  der  antiken ,  so 
hat  sich  der  nämliche  Hergang  im  Laufe  der  Alten  Geschichte  wieder- 
holt und  nachhaltig  in  die  Entwickelung  derselben  eingegriffen.  Als 
die  Hellenen  die  sicilischen  und  italischen  Gestade  sich  aneigneten, 
haben  sie  die  Gewächse  einer  fortgeschrittenen  Bodennutzung  hier  ein- 
geführt. Den  blutigen  Spuren  der  Legionen  folgten  Gärtner  und  Win- 
zer im  Norden  nach.  Die  syrischen  Sklaven  haben  freilich  Knechtessinn 
in  den  Gauen  verbreitet,  wo  einst  trotzige  Bauern  auf  freiem  Erbe 
gesessen,  aber  auch  in  ihrer  stillen  duldsamen  Weise  schätzenswerte 
Fertigkeiten  den  Boden  und  die  Pflanze  zu  behandeln  gelehrt.  Durch 
unscheinbare  verborgene  Arbeit,  auf  die  selten  ein  Strahl  der  Ueber- 
lieferung  fällt,  ist  das  Aussehen  Europa's  umgewandelt,  sein  rauher 
nordischer  Charakter  gemildert  und  veredelt  worden.  Bei  jeder  Be- 
trachtung dieses  denkwürdigen  Vorgangs  werden  die  Blicke  unwillkür- 
lich nach  Italien  gelenkt:  nicht  nur  weil  es  während  der  thabssiscben 
Weltepoche  den  Vorrang  vor  den  übrigen  Ländern  behauptet,  sondern 
daneben  auch  weil  es  sie  alle  an  Aneignungsvermögen  übertrifft.  Der 
letztere  Umstand  ist  schon  im  Altertum  bemerkt  worden.  Ein  kun- 
diger Beobachter  fügt  nach  Anführung  einiger  Fälle  von  gelungener 
Acciimatisation  den  Satz  hinzu  ^):  his  tarnen  exempUs  nimirum  admo- 
nemur  curae  fnortalium  ob9equeiiii8Simam  esse  Itidiam,  quae  paene  totius 
arbis  fruges  adhibito  studio  eolonorum  ferre  didicerit.  Einer  histori- 
schen Darstellung  ziemt  es  vor  allen  Dingen  die  Beziehungen  der  Vege- 
tation zum  Menschenleben ,  ihre  Wandlungen  in  alter  und  neuer  Zeit 
hervorzuheben.  Indem  wir  daran  gehen  den  Siegeszug  der  Cultur  zu 
sehildern,  sei  daran  erinnert,  dafs  derselbe  dem  Lande  nicht  aus- 
schlieblichen  Nutzen  gebracht,  vielmehr  auch  unheilbaren  Schaden  zu- 
gefügt hat  Die  Mahnung  wird  um  so  berechtigter  sein,  als  diese  der 
allgemeinen  Erfahrung  entsprechende  Thatsache  in  der  glanzvollen 
Behandlung,  welche  Victor  Hehn  dem  Gegenstand  gewidmet  hat,  durch- 
aus verdunkelt  wird.  Wir  huldigen  keineswegs  der  trüben  Lehre, 
welche  die  Cultur  ihr  eigenes  Leichentuch  weben  läfst,  welche  die 
Verödung  und  Verarmung  so  vieler  einst  blühender  Reiche  am  Mittel- 
meer auf  Aussaugung  und  Erschöpfung  ihres  Bodens  zurückführen 
will.  Italien  ist  noch  so  fruchtbar  wie  es  nur  je  gewesen,  im  Umkreb 
des  Mittebneers  verrät  die  Natur  nicht  die  Schwäche  des  Alters.  Aber 
Niemand  kann  sie  mit  offenen  Augen  betrachten^  ohne  die  tiefen 


1)  Golumella  DI  8. 


§  1.    Die  Kastenflon.  421 

Wunden  gewahr  zu  werden,  die  des  Menschen  Unverstand  und  Raub« 
gier  ihr  geschlagen.^) 

§  1.    DieKttstenflora. 

Wie  man  klimatische  Zonen  unterscheidet,  so  auch  Pflanzen- 
zoBen  oder  natüriicbe  Floren,  die  durch  Ortliehe  und  klimatische 
Schranken  von  einander  gesondert  sind.  Grisebach,  welcher  die  erste 
Tergleiehende  Darstellung  Ton  der  Vegetation  aller  Erdtheile  gegeben 
hat,  nimmt  im  Ganzen  24  verschiedene  Gebiete  an.  Davon  erstrecken 
sich  4  über  die  Länder,  welche  den  Schauplatz  der  Alten  Geschichte 
ausmachen :  im  Norden  das  Waldgdiiet  der  Ostüchen  HemisphSre,  im 
Süden  das  Saharagebiei  dei*  africaniscken  und  «rabischen  Wüste,  im 
Osten  das  Steppengebiet  des  inneraaiatischen  Hoddanda,  endlich  in  der 
Mille  das  mediterrane  Gebiet,  welches  die  Küsten  Spaniens  Sodfrank- 
reichs  Italiens  Griechenlands  der  Krim  Kleinasiens  Syriens  Kyrene^s 
Africa's  von  den  Syrien  bis  zum  Ocean  umfafst«  Der  ganae  Bezirk  leitet 
in  kÜHMtischer  Hinsicht  denUebergang  von  der  gemalsigten  zur  heifsen 
Zone  ein,  so  auch  in  seiner  Vegetation,  welche  ihren  mit  dem  übrigen 
Europa  gemeinsamen  Besitz  um  viele  unter  den  Tropen  heimische 
Pflanze»  bereichert.  Die  anfiserordentliche  Hanmdifiilti^eit  in  der 
plastischen  Gestaltung  der  Länder,  in  der  Vertheilung  von  Wärme  wid 
Feuchtigkeit  macht  sieh  freilich  sofort  geltend.  Grisebach  zählt  4200 
Arten  von  Gefikbpflanzen  als  Bestand  der  Mediterraiflora ,  aber  nidit 
mehr  ab  500  Arten  sind  allen  Theilen  gemeinsam.  Während  im  Nor- 
den die  Verbreitung  der  Pflanzen  wesentlich  durch  das  Klima  bestimmt 
wird ,  hat  das  gegliederte  Mittehneer  den  natürlichen  Austausch  der 
einzelnen  Vegelationscentren  unter  einander  ungemein  erschwert.  Der 
Osten,  Griechenland  und  Kleinasien,  bekundet  den  Einflufs  der  Steppe, 
der  Süden  den  Einflufs  der  Wüste.  Italien  weist  den  anderen  Ländern 
gegenüber  die  gröfste  Armut  an  endemiacben  Pflanzen  auf,  ist  dafür 
aber  am  Reichsten  von  Gnlturgewtfehsen  erfüllt.  Doch  wechselt  ihre 
Verbreitung,  wie  bereits  S.  377  angedeutet  wurde,  nach  den  einzelnen 


1)  Alfh.  ie  Gandolle,  G^^graphle  botaniqoe  raisonnie,  Stom.,  Paris  Ge- 
D^e  18M.  A.  GiitelMeh,  die  Vegetation  der  Erde  nach  ihrer  klimatisches  An- 
ordnung, ein  Abrin  der  vergleichenden  Geographie  der  Pflansen,  2  B^  Leipzig 
1872.  V.  Hehn,  Kulturpflanzen  und  Hausthiere  in  ihrem  Uebergang  ans  Asien 
nach  Griechenland  und  Italien  sowie  in  das  übrige  Europa,  historisch  -  lin- 
gnistische  Skizzen,  Berlin  1870,  1883*.  Th.  Fischer,  Beiträge  zur  physischen 
Geographie  der  Mittelmeerlander  besonders  Sidlicna^  Ldpng  1877. 


422  Kap.  X.  Die  VegeUtion. 

Landschaften  sehr  stark.  Am  Sttdfufs  der  Alpen,  wo  die  Agrumen  mit 
geringem  Schutz  gegen  den  Winter  fortkommen,  empfängt  eine  wahre 
Bltttenpracht  den  nordischen  Wanderer  und  gaukelt  ihm  die  lockend- 
sten Bilder  von  dem  Elysium  vor,  das  er  zu  betreten  im  Begriff  steht. 
Aber  das  Land  hält  nicht,  was  der  Willkomm  in  der  Vorhalle  versprach. 
In  geringer  Entfernung  von  den  Alpen  wirkt  das  Schneegebirge  er- 
kältend ein,  die  Vegetation  trägt  einen  wesentlich  mitteleuropäischen 
Charakter  und  kann  höchstens  als  ein  Uebergangsgebiet  angesehen 
werden.  Dies  gilt  auch  vom  gesammten  Appennin.  Zwar  entfaltet  sieb 
im  ligurischen  Littoral  unter  den  hier  obwaltenden  besonderen  Be- 
dingungen (S.  377)  eine  vollkommen  subtropische  Flora;  aber  dieselbe 
kehrt  erst  bei  Gaeta  und  Neapel  wieder,  in  Etrurien  und  Latium  fahren 
Palme  und  Orange  nur  ein  treibhausartiges  Dasein.  Im  AUgemeineo, 
kann  man  sagen ,  nimmt  nach  Süden  foitschreitend  die  Vegetation  an 
Reichtum  zu,  insofern  jede  folgende  Zone  den  Bestand  der  vorher- 
gehenden bewahrt  und  durch  neue  Arten  vermehrt:  es  ward  schon 
S.  379  bemerkt,  dafs  der  Oelbaum  auf  der  Halbinsel,  die  Agrumen  in 
Unteritalien  und  Sicilien  hinzukommen.  Indessen  ist  es  nicht  möglich 
einzelne  Abschnitte  durch  scharfe  Grenzlinien  zu  trennen :  die  Erhe- 
bung des  Landes  schränkt  die  mediterrane  Flora  oftmals  auf  einen 
schmalen  Küstensaum  ein.  Die  Höhen ,  bis  zu  denen  die  einzeben 
Vertreter  derselben  aufsteigen ,  schwanken  sehr  bedeutend  (S.  225). 
Auch  wenn  der  Oelbaum,  welchem  in  geschichtlicher  Hinsicht  die 
gröfste  Wichtigkeit  beizulegen  ist,  zum  Mafsstab  gewählt  wird,  läfst 
sich  ein  fafslicher  Mittelwert  nicht  erzielen ;  denn  erreicht  auf  Sicilien 
bis  900  m,  auf  der  Halbinsel  bis  700  m  (Fuciner  See),  bei  Nizza  bis 
780  m,  aufCorsica  (nach  Marmocchi)  gar  bis  1160  m.  Die  örtlichen 
Verhältnisse  wie  die  auf  den  Anbau  verwandte  Soi^falt  kommen  in 
Betracht  um  diese  so  weit  aus  einander  liegenden  Werte  zu  erklären. 
Immerhin  ist  bei  allem  Wechsel  der  Erscheinungen  das  gemeinsame 
Band  nicht  zu  verkennen.  Wie  der  Oelbaum  am  besten  in  der  Nahe 
des  Meeres  gedeiht  0,  so  trägt  auch  diese  ganze  Flora  einen  littoralen 
Charakter. 

Die  gesteigerte  Mannichfaltigkeit  der  Formen  und  Erscheinungen 
des  südlichen  Pflanzenlebens  gelangt  bei  der  doppelten  Unterbrecbiiog 
desselben  durch  die  sommerliche  Dürre  und  die  sinkende  Wärme  im 
Winter  zum  lebhaften  Bewufstsein.  Allerdings  entwickelt  es  sich  mit 


1)  Theophrast  h.  plant.  VI  2, 4. 


§  t.    Die  Küstenflora.  423 

ungleich  grorserer  Kraft  im  Frühling  als  im  Herbst:  Grisebach  ver- 
gleicht die  Frühlings-  mit  unserer  Sommerflora ,  die  Herbst-  mit  un- 
serer Frühlingsflora.  Aber  die  immergrünen  Gewächse  sind  es  doch, 
die  der  Landschaft  ihren  Charakter  verleihen,  indem  sie  die  laubabwer- 
fenden  Bäume  wie  Wallnufs  Feige  Aprikose  Kirsche  Mandelbaum  u.s.  w. 
in  der  Culturzone  durchaus  in  den  Hintergrund  drängen.  Sie  stehen 
weit  hinter  dem  Wuchs  unserer  Waldbäume  zurück.  Wie  die  Menschen 
des  Südens  kleiner  sind  als  die  Nordländer  ^)  aber  auch  zierlicher,  so 
leichnet  das  nämliche  Ebenmafs  die  Vegetation  aus.  Die  Niedrigkeit 
des  Wuchses  erklärt  sich  aus  ihrer  tropischen  Herkunft;  denn  diese 
Bäume  erreichen  am  Mittelmeer  ihre  Polargrenze ,  wo  überhaupt  die 
Pflanzen  zu  verkrüppeln  pflegen,  gehen  deshalb  auch  gern  in  Strauch- 
form über.  Sie  sind,  wie  S.  402  bemerkt,  immergrün  d.  h.  erneuern 
ihr  Laub,  bevor  das  alte  abgefallen  ist.  Während  der  Dürre  steht  ihr 
Lebensprocefs  still:  auf  das  dicke  starre  gegen  Verdunstung  geschützte 
Blatt  ist  die  Aufmerksamkeit  schon  früher  hingelenkt  worden.  Allen 
gemeinsam  ist  die  lange  Dauer  der  Vegetationsperiode  sowie  die  Em- 
pfindlichkeit gegen  Winterkälte.  Indem  wir  die  Zusammensetzung  der 
Hediterranflora  kurz  betrachten,  schliefsen  wir  uns  wie  überhaupt  in 
diesen  Erörterungen  eng  an  die  lichtvolle  Charakteristik  Grisebachs  an. 
Die  immergrünen  Laubbäume  gehören  vorwiegend  der 
Lorbeerform  an,  deren  breites  Blatt  an  das  der  Buche  erinnert.  Ihren 
für  die  Cultur  bedeutsamsten  Ausdruck  erhält  sie  durch  die  A  g  r  u  m  e  n 
oder  Edelfrüchte:  die  Limone  oder  Citrone  (citrus  medica)  und  die 
Orange  oder  Apfelsine  (citrus  aurantium  duke)  in  einer  Menge  von 
Spielarten.  Sie  sind  auf  die  südlichste  Zone  Italiens  beschränkt  (S.  379) ; 
ihr  Vorkommen  an  der  Riviera  und  den  lombardischen  Seen  fällt  nicht 
ins  Gewicht  Sie  ertragen  die  grOfste  Hitze,  verlangen  nur  viel  Feuch- 
tigkeit —  eine  Erinnerung  an  ihre  tropische  Heimat  —  und  müssen 
von  Mai  bis  September  künstlich  bewässert  werden :  wo  dies  nicht 
möglich,  ist  ihr  Anbau  ausgeschlossen.  Der  Stamm  wächst  nie  über 
10  m,  gewöhnlich  7 — 8  m  hoch.  Er  trägt  fast  ohne  Unterbrechung 
Blüten  und  Früchte:  geerntet  wird  im  Winter  von  November  bis  März, 
doch  auch  später  bis  in  den  Juli  hinein.  Man  kann  nichts  Reizvolleres 
als  diese  die  brettischen  und  sicilischen  Küsten  in  weitester  Ausdeh- 
nung bedeckenden  Agrumenhaine  denken :  ein  köstlicher  Wolgeruch 


1)  Golom.  ni  8  rerum  naUira  Germaniam  decoravii  altissimorum  homi- 
*»*««  exerciHbu*. 


424  Kap.  X.  Die  Vegetation. 

erfüllt  die  G^end  Meäenweit.  Dazu  ist  der  Anb^u  Überaus  gewinn« 
reich:  der  Hektar  briiigt  4000  FraiMiea  Kohgewiqn  uad  mehr,  den 
Wert  der  Ausfuhr  Siciliens  schätzt  Fächer  auf  80  Millionen«  Der  Lor* 
beer  (huirus »aftt/fiX  welcher  dieser  Form  de^  Hainen  geg^n«  bildet 
in  der  Regel  nur  2 — 3  m  bo^  Strflucher,  obersebreitet  auch  ala  Baum 
nicht  eine  H(die  von  8  m.  Das  Näinliche  gilt  ?on  d^m  verwandten  Hol* 
^nstrauoh  {ilex  aquifQUum)y  der  übrigens  in  Strauckfonn  Ober  West- 
europa bis  nach  Norwegen  hinauf  verbreitet  ist.  DiQ  Aurantiaceen  wie 
der  Loi'beer  sind  in  geschichtlicher  Zeit  Mch  Italien  verpQanit  wor* 
den«  Dagegen  sind  als  einheimische  Vertreter  der  iorbeerform  die 
immergrünen  Eichen  anzusehen,  welche  den  taub^v^erfendeo 
an  Umfang  und  Hi^ie  entfernt  nicht  gleicti  kommen^  Unter  den  ver- 
schiedenen kleinblätterigen  Arten  sind  zu  pems^n  die  Steineiche  (fiier- 
cus  iUso}  mit  bleichem  Laub,  die  Qoccuseiche  {quffcm  coicifara)  mit 
glänzendem  tiefgrttnem  Laub,  die  alle  6  Jahr  ihre  Rinde  abwerfende, 
Übrigens  der  Steineiche  ganz  ähnliche  Korkeiche  {pmcimmbmr).  Außer- 
dem giebt  es  noch  eine  Korkeiche  mit  gekerbtem  Blatt  (fuerciufacud^- 
jttier),  deren  Rinde  minder  brauchbar  ist.  Die  Olivenform,  deren 
schmales  Blatt  denjenigen  der  Weide  entspricht,  wird  durch  den  Oel- 
bäum  (oka  ewapa$a)  allein  vertreten.  Niedrig  knorrig  mil  dtinnem 
blassem  Laub  ist  er  überaus  zäh ,  erträgt  eine  vorübergehende  Kälte 
von  mehreren  Graden  wie  grobe  Hitze,  eine  4 — 5  n^onatliche  Dürre 
yrie  reichHchen  Regen.  Aber  wegen  seiner  laugen  Vegetationsdauer 
hält  er  die  niedrige  Wintertemperatur  des  {^olands  nicht  aus.  e^fernt 
sich  auch  nicht  gar  zu  weit  von  der  Meeresküste  und  verlangt  Kalk- 
felsen ads  Untergrund.  Auf  seine  Einführung  und  BedeutUQg  für  die 
antike  Volkswirtschaft  kommen  wir  in  der  Folge  zurUck.  Die  Karube 
oder  Johannisbrotbaum  (ctfrtUOMiDKiitgNa)  mit  immergrünem  geftedertem 
Blatt  erreicht  meistens  nur  eine  Hohe  von  &--6m,  bei  besonderer 
Pflege  doch  auch  20  m :  die  süfse  fleischige  Fruc^  wird  gegesseip^  Ein- 
fach gefiedertes  Blatt  haben  die  verschiedenen  Arten  der  Pistazie,  die 
iu  ItaMen  in  der  Regel  zu  Sträuchern  verküipamern»  im  Norden  dessel- 
ben auch  wol  ihr  L^tub  im  Winter  verlieren.  Hierher  geh(Hrt.di^  Pistazie 
mit  ihrer  würzigen  Nufs  (pitfacta  vero),  der  Mastixbaum  (ptlncta  te- 
tiscu»\  der  Terpentinbaum  {fistaaa  tirebzntlms)^  der  einep  roten  Farb- 
stoff liefernde  Perrükenbaum  (riu$  colmitf),  der  Svagiach  (Mus  can- 
arid),  aus  dem  eine  feine  Gerberlohe  gewonnen  wird,  die  einen  sehr 
wichtigen  Handelsartikel  darstellt:  aus  Palermo  wurde  1875  füJC  17Vs 
Hillionen  Franken  ausgeführt.    Zahlreich  sind  die  immergrüneo 


)  1.    Die  Kfistenfloia.  425 

Laubgewächse,  die  sich  nicht  zur  Höhe  toü  Bäumeii  erheben^  da«» 
gegea  die  Hacchie ,  die  dem  Süden  eigentttmlicheB  Buschwälder  und 
überhaupt  alle  Striche,  welche  die  CuUur  ihnen  preisgegeben  hat,  an-* 
Allleo.  Unter  ihnen  ist  die  grofsblätterige  Oteanderform  mit  ein^ 
Reihe  ven  Gattungen  vertreten.  Der  Oleander  (nermut  efamdcr),  des«* 
seu  Name  aus  ^odoieydfov  (^odadafvrj  Roaenlorbeer)  entstellt  ist, 
sohmflckt  die  Kiesbetten  der  Fiumaren  mit  seinen  UebHchen  Blüten. 
Der  Erdheerhaum  {arhitus  umio)  trägt  eine  unserer  Erdheere  ähnliche 
Fracht,  die  aber  von  den  Südländern  in  alter  und  neuer  Zeit  ver- 
sehffläht  wurde.  Auch  die  Myrtenform  mit  kleinem  dichtgedräng- 
tem Blatt  nimmt  in  der  immergrünen  Vegetation  eine  ausgezeichnete 
SteUong  ein.  Ihre  bekanntesten  Arten  sind  die  Myrte  [myrtus  com-- 
munii)  der  Buchsiiaum  {busm$  ampemmns)  und  der  oben  erwähnte 
Mastiibaum.  Durch  die  Hohe  ihres  Wuohses  erregt  die  Baumheide 
{mea  oriarefl)  unsere  Aufmerksamkeit,  da  sie  nicht  blos  wie  die  Erica 
auf  deo  Mooren  Deutachhnds  am  Boden  hinkrieoht  sondern  stattlich 
gleich  einem  Oleander  aufschiefst.  Dazu  kommen  die  versohiedenen 
Cietusarten ,  die  im  FrtthHng  mit  weifsen  oder  roten  Roeen  beladen 
»od,  das  hlalitloae  Spertium,  an  dessen  langen  Ruthen  zu  derselben 
Jahres^it  groi»e  Blumen  prangen,  der  Traganth  (aUragiUus  aristatus) 
Had  viele  andere  Dornsträuoher. 

Unler  den  lauhahwerfenden  Waldbäumen  deutet  die  Ka- 
alaaie  {uufanea  vesca)  durch  das  feste  Gewebe  ihres  lebhaften  fbinge* 
9M$ktM  Blattes  die  grofsere  Widerstandsfilhigkeit  gegen  die  Sonnen- 
hitze an%  Für  die  Ernährung  der  Gebirgsbewohner  in  Corsioa  wie  im 
Appennin  ist  die  Frucht  vdcfatiger  als  Getreide ;  daher  erklärt  sich  ihre 
weite  Verbreitung.  Sie  hält  auch  in  der  Ebene  aus  ebenso  wie  Ulme 
(ulimia  eamfeß^rü)  und  Pappel  (fOfmhu  Ma  und  /rentttfa),  deren  Laub 
als  ViehfttUer  dient  Dagegen  flüchtet  sich  die  zartere  Buche  (fag%», 
ähatica)  ins  Bochgehirge.  Die  Eichen  befaiuben  sieh  später  und  be- 
gegnen deshalb  der  einbrechenden  Hitze  in  veHer  Kraft;  doch  ver- 
kümmern auch  sie  leicht  und  gehen  in  StraucUem  über.  Italien  zählt 
etoe  H^ke  von  Arten :  {uaretis  oari$^  q.  ro6tcr,  g.  ptiiesceM,  q,  pedun-- 
cHbOa  VL  a.,  die  neben  den  immergrünen  gewisser  Mafeen  eine  Ver- 
mittlung zwischen  Mittel-»  und  Südeuropa  herstellen.  Unter  den  Gul- 
turbäumen  erinnern  an  die BhttbiUung  der  Buche  der  Maindelbaum 
(amygtUii^i  communis)  y  der  in  Sicilien  schon  von  Mitte  December  an, 
in  Rom  Anfang  Februar,  am.  Rhein  im  AprU  sein  festliches  milcbweifses 
fiiütengewand  anlegt;  dw  Granatbaum  (punioBkgranatum)^  dessen  pur- 


426  Kap.  X.  Die  VegeUtion. 

purroter  Apfel  den  Alten  als  ein  Symbol  der  Fruchtbarkeit  galt;  der 
schwarze  und  weifse  Maulbeerbaum  {morus  nigra  und  alba),  von  denen 
dieser  die  Seidenraupe  nährend,  den  heutigen  Reichtum  der  Lombardei 
begründet  hat.  Unter  den  Eschen  ist  die  6 — 7  m  hohe  Mannaesche 
(fraxinuB  omus)  zu  nennen,  die  schon  in  den  südlichen  Alpenthälern 
wild  wächst:  ihr  Saft  liefert  einen  Handelsartikel.  Die  nordische  Birke 
{betula  cdba)  kommt  weit  seltener  als  die  Buche  vor  und  nur  in  den 
höchsten  Lagen.  Wichtiger  ist  eine  Erle  {alnus  cordifolia)  und  als 
Zierbaum  die  schöne  von  den  Alten  gefeierte  Platane  (platanus  orien- 
talis),  die  nur  einen  Monat  Winterruhe  fordert,  während  die  aus  Ame- 
rica eingeführte  und  auch  in  Mitteleuropa  verbreitete  plaianus  oeädtH- 
taUs  4 — 5  Monate  ruht  Durch  seine  gesunde  Nährfrucht  zeichnet  sich 
der  in  vielen  Spielarten  entwickelte  Feigenbaum  (ficus  carica)  aus. 
Andere  nach  dem  Norden  verpflanzte  Obstbäume  können  Obei^ngen 
werden.  Unter  den  Gesträuchen  mit  periodischer  Belaubung  sei  eine 
zierliche  Verbenacee  (vitex  agnus  castus)  genannt,  die  mit  dem  Olean- 
der zusammen  die  Fiumaren  belebt. 

Die  Nadelhölzer  sind  nicht  wie  im  Norden  auf  die  oberen 
Bergregionen  beschränkt,  sondern  dringen  bis  unmittelbar  an  dieKflste 
vor.   Man  unterscheidet  zwei  Hauptformen:  mit  ausgebildeter  (Pinus-) 
oder  unterdrückter  Blattnadel  (Cypressenform).    Die   Pinie  (pnm 
pinea)  mit  ihrer  gewölbten  Krone  ist  einer  der  hervorragendsten  Cha- 
rakterbäume Italiens.  Sie  hält  sich  in  der  Nähe  des  Meeres  und  dringt 
über  den  Appennin  bis  Ravenna,  wo  sie  einen  berühmten  Küstenwald 
bildet.  Die  Kerne  ihrer  Zapfen  sind  als  Leckerbissen  geschätzt.  Von 
der  Ceder  (pinus  cedrus),  mit  der  sie  in  der  Anordnung  der  Nadeln  am 
Ende  der  Zweige  übereinstinunt,  weicht  sie  durch  die  ausgezeichnete 
Wölbung  ihrer  Krone  ab,  die  bei  jener  sich  flach  ausbreitet.  Die  Aleppo- 
kiefer  (pinus  htUepensis)  bleibt  an  Gröfse  hinter  ihr  zurück,  ebenso  die 
Strandkiefer  (pinus  pinoMter),  Im  Gebirge  findet  sich  neben  der  nordi* 
sehen  Kiefer  (pinus  silvestris)  die  mächtige  Lariciokiefer  (pinus  brtlao) 
als  wichtigster  Waldbaura ,  ferner  der  Eibenbaum  (taxus  baeeata)  und 
die  Edeltanne  (pinus picea).  Wie  S.  224  bemerkt,  fehlt  die  Fichte  oder 
Rottanne  (pinus  abies).  Neben  der  Pinie  ist  die  schlanke  Cypresse 
(cupressus  sempervirens)  recht  eigentlich  eine  Vertreterin  der  mediter- 
ranen Landschaft.  Ihr  dunkles  schwärzliches  Grün  machte  sie  zum 
Sinnbild  der  Trauer.    Sie  wächst  überaus  langsam  und  dadurch  er- 
langt das  Holz  eine  Festigkeit,  die  den  gewöhnlichen  Nadelholzern 
durchaus  abgeht.   Verwandt  ist  der  Wachholder,  der  aber  in  Italien 


§  1.  Die  Kastenflora.  427 

sich  nicht  zu  höherem  Wüchse  erhebt  und  ia  verschiedenen  Arten 
(iunipents  phoenicea^  oxycedrus,  maerocarpa)  an  der  Bildung  der  Busch- 
wdlder  theil  nimmt. 

Das  Tropenklima  erhält  seinen  reinsten  Ausdruck  durch  die  Fa* 
roilie  der  Palmen.  In  der  südlichen  Zone  Italiens  begegnet  die  Dattel- 
palme {phoenix  daetylifera)  den  Blicken  nicht  so  gar  selten,  trägt  auch 
bei  der  nötigen  Pflege  reife  Datteln.  Doch  beansprucht  der  stolze  Baum 
keine  Bedeutung  im  Volksleben.  Wol  aber  ist  dies  der  Fall  mit  der 
einheimischen  Form  dieser  Familie,  der  Zwergpalme  {chamaerops  hu- 
milis).  Hier  an  der  Nordgrenze  des  Verbreitungsbezirks  verkümmert 
die  Form:  von  Stamm  ist  kaum  die  Rede,  die  langgestielten  immergrü« 
nen  Blätter  schicfsen  unmittelbar  aus  dem  Boden  hervor.  Die  Aehn- 
lichkeit  des  Fächerblattes  mit  den  ausgespreizten  Fingern  der  Hand 
hat  ihr  den  Namen  palma  verschafft.  Sie  entfernt  sich  nicht  vom  Meer, 
kommt  vereinzelt  an  den  ligurischen  und  tyrrhenischen  Felsküsten, 
massenhaft  in  dichten  und  weiten  Beständen  auf  Sicilien  vor.  Mark 
und  Früchte  sind  elsbar,  aus  den  Blättern  werden  Besen  Körbe  Stricke 
u.  s.  w.  gefertigt.^)  Ein  nützliches  aber  erschreckend  hufsliches  Pflan- 
zengebilde hat  America  den  südlichen  Mittelmeerländern  mit  der  Ca c- 
insteige  {opuntia  fims  indica)  bescheert.  Da  sie  mit  dem  dürrsten 
Felshoden  vorlieb  nimmt,  ist  sie  in  Sicilien  und  Sardinien  weit  ver- 
breitet Jedes  Jahr  wächst  ein  etwa  fufslanges  Glied  im  Zickzack  her- 
aus, wahrend  die  älteren  Glieder  verholzen,  bis  zur  Höhe  von  ca.  6  m. 
Die  Ende  Sommers  reifende  Frucht  ist  für  die  Volksnahrung  von  einer 
Wichtigkeit,  die  derjenigen  der  Kartoffel  im  Norden  gleicht.  Sie  wird 
in  Hecken  gezogen ;  andere  noch  stachlichere  Arten  gewähren  einen 
undurchdringlichen  Schutz.  Bis  an  die  Alpen  dringt  die  aus  derselben 
Heimat  stammende  Agave  (agave  americana)  vor,  gleichfalls  ein  blei- 
g;niue8  Felsengewächs.  Die  schmalen  domig  gezahnten  bis  2  m  lan- 
gen Blätter  bilden  eine  Rosette,  aus  welcher  im  Frühling  der  5 — 6  m 
hohe  nackte  Blütenschaft  emporschiefst,  in  einer  überhängenden  Rispe 
von  gelben  Blumen  endigend.  Die  Blätter  werden  gewerblich  ver- 
wandt. Ein  verkleinertes  Abbild  stellt  die  Aloe  (aloe  vulgaris)  dar, 
welche  von  den  canarischen  Inseln  eingewandert  ist.  Schon  im  Alter- 
tum war  das  riesige  4 — 5m  hohe  Rohr  (arundo  donax)  eingeführt, 
das  in  der  südlichen  Wirtschaft  den  Mangel  an  Holz  ersetzen  mufs: 
der  Leser  des  Horaz  weifs,  dafs  es  für  die  Kinderwelt  als  Steckenpferd 


1)  Theophr.  h.  plant  II 6,  1 1  Gic  Verr.  V  87  Hör.  Sat  II 4, 83  Varro  RR.  1 22. 


428  Kap.  X.   Die  VegeUtion. 

diente  wie  unsere  Haselstaude.  Die  Anlage  eines  Röhrichts  (arunih- 
nHum)  gehört  seit  Cato's  Zeiten  zam  Gutsbetrieb,  i) 

Von  Gramineen  hat  Italien  zaUreichere  Arten  ab  üittelenrepa 
aufzuweisen;  doch  besitzen  dieselben  in  materieBer  Hinsicht  einen 
weit  geringeren  Wert.  Für  die  Wiesenkrfluter,  welche  einen  geschlos- 
senen Rasen  bilden,  wird  auf  der  Halbinsel  die  Luft  zu  trocken  und 
die  Kraft  der  Sonne  zu  grofs  (S.  375).  fänjfthrige  Gräser  herrschen 
^or,  die  staudenfBrmig  wie  die  Halme  eines  Getreidefeldes  wachsen 
und  gleich  diesen  rasch  vergehen  (S.  403).  Sie  genügen  weder  im 
Gebirg  noch  in  der  Ebene  zum  Unterhalt  Ton  Grofsvieh  und  deshalb 
ist  die  VicAizucht  groTsen  Stils  auf  Schafe  beschränkt  (S.  226).  Aufeer- 
dem  wird  die  LaubfQtterang  au^iebig  angewandt.  ^Gieb  den  Ochsen 
Laub  von  Ulmen  Pappeln  Eichen  Feigbäumen,  so  lange  du  davon  hast, 
den  Schafen  grUnes  Laub,  so  lange  du  davon  hast,**  rät  Gato  c.  30  und 
füttert  auch  im  Winter  aus  Mangel  an  Heu  seine  Ochsen  mit  EidMo- 
und  Epheublättem  (c.  54).  Den  Charakter  der  niederen  Vegeta- 
tion schildert  Grisebach  in  folgenden  Sätzen:  „die  Hatten  umfassen 
die  grOftte  Mannichfeltigkeit  der  verschiedensten  Kräuter,  dazu  nech 
die  Halbeträucher  und  den  Schmuck  der  Zwiebelgewächse.  Der  Bifl* 
tenschmuck  wediseh  von  Woche  zu  Woche,  aber  ist  während  des 
Frühlings  immer  reich  zu  nennen,  rricher  ab  in  irgend  einer  Forma- 
tion höherer  Breiten.  Auch  an  Schönheit  und  Bedeutung  einzclier 
Stauden-  und  LHiaceen-Formen  Übertrift  die  Hediterranflora  das  nörd- 
liche Europa  bei  Weitem.  Es  ist  gewifs  unter  den  vieUadMn  Vorzügen, 
welche  dem  Altertum  zu  Theil  wurden,  nicht  gering  anzuschlngen,  daß 
der  Naiursinn  der  Griechen  nicht  blos  durch  die  glänzendere  und  rei* 
chere  Färbung  der  Landschaft  belebt  wurde,  sondern  auch  daith 
schönere  Gestaltungen  des  organischen  Lebens,  aus  denen  er  die  Stu* 
dien  zu  seinen  Kunstwerken  schöpfen  konnte.  Wo  giebt  es  in  Norden 
eine  Pflanze ,  die  in  gleichem  Grade  wie  das  Acanthus-Blatt  sich  tm 
Zierrat  von  Arabesken  eignet  und  zugleich  durdi  die  gedrängte  Aehre 
von  prunkenden  weifeen  BhtCen  zur  Betraefatnng  des  in  sidi  Velkn- 
deten  einladet?  Aber  mit  feinem  Geschmack  wnftte  die  griechische 
Kunst  das  Geeignete  auszuwählen.  Die  Aufgabe  die  Gebilde  der  Namr 
in  plastischen  Ornamenten  nachzuahmen  löst  sie,  indem  sie  das  BbU 
des  Acanthos  zum  Schmuck  der  korinthischen  Säule  verwende!  und 
die  Ueberladung  mit  gedi*ängtett  Blumen  verschmähend,  dem  eis* 


1)  Sat  II 3, 248  equitare  in  arundm§  longa.  Cato  BK  6  Vartal  24  GoLlV  31 


§  2.   Der  Wald.  429 

fächeren  Bau  der  Lilie  den  Vorzug  giebt.  So  sind  zwar  der  Oelbaum 
und  Poseidons  Fichte  in  ihre  Gotlerwelt  verflochten,  aber  nur  der 
ebenmüfsig  gerundete  Zapfen  der  Pinie  dient  den  Thyrsusstab  zu  krö- 
nen, und  das  ewig  grünende  Laub  des  Lorbeers  die  Stirn  für  hervor* 
ragende  Leistungen  zu  bekränzen.  Es  ist  eben  der  Voriheil  des  gröfse* 
ren  Reichtums  organischer  Bildungen  den  Regungen  der  Phantasie 
einen  weiteren  Spiefarauno  zu  bieten.  Kaum  ist  der  kurze  Winter  vorn- 
über, 80  bedeckt  sich  die  Flur  mit  den  Blüten  unzähliger  Zwiebelge- 
wächse. Es  ist  die  Zeit  der  Narcissen ,  der  Tulpen  und  Hyacinthen, 
des  Crocus  und  der  Orchideen,  deren  Ernährung  viele  Monate  in  den 
unterirdischen  Organen  vorbereitet  ward  und  deren  Blütenpracht  nun 
in  wenig  Tagen  vorübereilt  Dann  folgen  die  verschiedensten  Kräuter 
und  Stauden,  die  einjährigen  Leguminosen,  die  im  Frühlingsregen 
keimen  und  oft  schon,  ehe  die  Keimblätter  verdorrt  sind,  ihre  Blüten 
und  Früchte  entwickeln,  aber  schon  zu  dieser  Zeit  ist  das  Wachstum 
so  mächtig,  dafs  aus  dem  Teppich  der  kleineren  Gewächse  üppig 
wuchernde  Synanthereen  und  Umbelliferen  sich  hoch  erheben.  In 
der  Provence  beginnt  die  Blüte  des  Acanthus  schon  im  April,  zugleich 
mit  der  des  weifsen  Asphodelus  und  einer  gelben  Doldenpflanze  (/*€- 
mfa),  deren  kräftiger  Stengel  zuvor  zu  Mannshohe  aufgeschossen  ist. 
Je  näher  die  trockene  Jahreszeit  heranrückt,  desto  mannichfaltiger  wird 
der  Blumenflor  von  Synanthereen  und  von  aromatischen  Labiaten,  und 
je  später  sie  blühen,  desto  mehr  neigen  die  unteren  Stengeltheile  zur 
Holzbildung,  so  dafs  solche  Gewächse,  die  man  Balbsträucher  zu  nen- 
nen pflegt,  sich  leichter  im  Sonuner  zu  erhalten  vermögen.  Auch  diese 
Art  des  Wachstums  gehört  zu  denen,  die  in  den  Savanen  der  tropischen 
Zone  noch  viel  allgemeiner  werden  und  die  Matten  der  Mediterranflora 
mit  ihnen  verknüpfen.  So  üppig  aber  auch  und  so  mannichfaltig  die 
Vegetation  dieser  Matten  unter  dem  Einflufs  der  Feuchtigkeit  werden 
kann,  so  ist  doch  ihr  Wert  für  die  gröfsere  Thierwelt  nur  gering.  Sie 
scheinen  vim  der  Natur  viel  mehr  für  die  Insekten  als  für  die  Säuge- 
thiere  bestimmt  zu  sein/* 

§2.    Der  Wald. 

Das  heutige  Aalien  gehört  zu  den  waldarmen  Ländern.  Nach  der 
officielleo  Statistik  sind  im  Königreich  664  d.  DM.  oder  12,34  Procent 
der  gesammten  Bodenfläche,  wenig  mehr  als  in  Griechenland  (11  p.  C), 
mit  Wald  bestanden.  Die  einzelnen  Provinzen  schwanken  hinsichtlich 
ihres  Besitzes  sehr  stark.  Sicilien  mit  nur  3,49  Procent  kann  als  das 


430  Kap.  X.    Die  Vegetation. 

waldärmste  Land  Europa*s  betrachtet  werden.  Für  Sardinien  steigt 
die  Ziffer  auf  24,57,  für  die  Provinz  Rom  auf  20,91,  Brescia  und  Ber* 
gamo  28,42  Procent  u.  s.  w.  Freilich  würden  diese  Ziffern  eine  viel 
zu  günstige  Vorstellung  erwecken,  wenn  man  unter  dem  was  die  Sn- 
tistik  Wald  nennt,  dasselbe  verstände  was  das  Wort  diesseit  der  Alpeo 
bedeutet.  So  soll  Corsica  1250  Dkm  enthalten,  enthält  aber  nur  drei 
wirkliche  Gebirgsforsten,  im  Uebrigen  fast  wertloses  Gestrüpp.  Aehn- 
lieh  verhält  es  sich  mit  den  beiden  anderen  Inseln  und  der  Halbinsel. 
Die  Italiener  bezeichnen  diese  eigentümliche  Vegetationsform  mit  dem 
Namen  Macchia  (macula)  im  Gegensatz  zum  offenen  freien  Lande. 
„Hier  —  schreibt  Hehn  —  zeigt  die  Pflanzenwelt  deuthch  die  WiriiaD- 
gen  eines  trockenen  Kiima's.  Struppige  Kräuter,  die  dem  Brand  der 
Sonne  widerstehen,  starren  pfriemenartig  immergrün  gewürzhafl  duf- 
tend an  den  Stirnen  und  Abhängen  der  Felsen;  die  Bäume,  am  Auf- 
streben gehindert,  breiten  sich  als  dornige  ästige  von  Schlingpflanzen 
dicht  durchzogene  Büsche  und  Sträucher  am  Boden  aus.  Den  unvor- 
sichtigen Wanderer  verwunden  von  allen  Seiten  die  zu  glatten  scharfen 
Nadeln  verhärteten  Haar*  und  Blattorgane  dieser  sttdUchen  Heidepflan- 
zen, die  aufserdem  noch  oft  mit  klebrigem  Saft  gegen  die  Bertthrung 
gewaffnet  sind.  Hier  ist  der  Bezirk  des  Arbutus-  und  Lentiscusstrau- 
ches,  der  Stechpalme  und  der  Kermeseiche,  des  Cistusgebflsches,  der 
Myrten-  und  Wachholderarten^  der  scharfen  Stechwinde  u.  s.  w.^^  Dies 
ist  die  traurige  Erbschaft,  welche  die  Zerstörung  des  Baumlebens  in 
ihrem  Gefolge  hat,  immerhin  noch  besser  als  der  Adlerfam  (ptern 
aquüina),  der  weite  Flächen  in  Besitz  genonunen  hat,  vom  Vieh  nicbt 
angerührt  wird  und  wegen  seiner  tiefen  lebenskräftigen  Wurzeln  nahen 
unausrottbar  ist.^  Wie  hoch  nach  Abzug  des  Gebüsches  der  eigent- 
heb  Waldbestand  Italiens  sich  stellt,  ist  schwer  zu  sagen.  Es  kommen 
noch  Eichen  von  8  m  Umfang  vor  und  die  Lariciokiefer,  die  schönste 
Conifere  Europa's  erreicht  noch  eine  Höhe  von  40 — 50  m.  Aber  der* 
artige  Erscheinungen  fallen  schon  unter  den  Begriff  des  Vorweltbcbeo, 
ihr  Anblick  wird  nur  Wenigen  vergönnt,  die  Mehrzahl  der  Italiener 
weifs  gar  nicht  wie  ein  Wald  aussieht.  Fischer  erzählt,  dafs  die  Bauern, 
welche  aus  dem  Inneren  nach  Palermo  kommen ,  mit  grofsen  Augen 
die  Ulmen  und  Platanen  der  öffentlichen  Gärten  an^unen,  die  unge- 
heure Riesen  sind  neben  den  Culturbäumen  des  Südens  und  ihnen  hier 
zum  ersten  Mal  zu  Gesicht  treten.  Die  vorhandenen  Reste  von  Hoch- 


1)  Vgl.  Celano.  U  2  Plin.  XVfll  45. 


§  2.  Der  Wald.  481 

wald  im  Gebirg  verdanken  ihre  Erhaltung  nicht  der  Einsicht  der  Be- 
sitzer, sondern  der  Unzugftngüchkeit  und  dem  Mangel  an  Abfuhrwegen. 
Seit  Eröffnung  der  Eisenbahnen  in  Bruttium  sind  die  Forsten  der  Sila 
und  Serra  S.  Bruno  ernstlich  bedroht.  Wo  die  Ausfuhr  der  Stämme 
nicht  lohnt,  werden  Sagemühlen  sich  einnisten  um  sie  zu  verkleinern. 
Im  Uebrigen  sorgen  die  Köhler  schon  jetzt  dafür  das  Holz  in  eine  trag- 
Hlhige  Gestalt  umzuwandeln.  Die  Verwüstung  hat  in  unserem  Jahr- 
handert  ihren  Hohenpunct  erreicht;  z.  B.  bedeckten  die  Wälder  des 
Aetna  zu  Anfang  desselben  noch  ca.  9  d.  OM.  und  sind  gegenwärtig 
auf  weniger  als  die  Hälflle  zusammengeschmolzen.  Sollte  sie  in  der  bis- 
herigen Weise  fortbetrieben  werden,  so  liegt  die  Zeit,  wo  der  letzte 
Hochwald  Italiens  f^llt,  in  absehbarer  Nähe. 

Der  unerbittliche  Krieg,  den  die  Cultur  gegen  den  Wald  führt,  ist 
so  alt  wie  die  Geschichte  und  die  Vorbedingung  für  allen  menschlichen 
Fortschritt.  Eine  Berechnung  hat  ergeben,  dafs  auf  der  untersten  Ge- 
sellschaflsstufe,  die  ausschliefslich  vom  Ertrag  des  Waldes  lebt,  der  ein- 
zelne Kopf  zu  seinem  Unterhalt  einen  Jagdgrund  in  Anspruch  nehmen 
mufs,  der  unter  der  Herrschaft  entwickelter  Lebensformen  mehr  als 
500  Kopfe  ernährt.  Die  Axt  lichtet  den  Urwald  zu  langsam,  das  Feuer 
wird  zu  Hülfe  gerufen  0 ;  das  frühe  Altertum  mag  oft  genug  das  Schau- 
spiel genossen  haben,  das  Homer  schildert  2): 

<ig  (J*  avafiai/idei  ßad^i^  äyxsa  ^eomöahg  nvg. 
ovgeog  d^aXioio,  ßa^eta  Sh  xalerai  vhj, 
navTtf  te  xlovii»v  aveßoq  ipXoya  elXvipat,€i, 

In  Lichtungen  siedelt  der  einzelne  Stamm,  die  einzelne  Gemeinde, 
durch  Wald  von  den  Nachbarn  geschieden.  Nach  altlatinischer  An- 
schauung fallen  die  Begriffe  Wald  und  Grenze  zusammen :  Silvanus  ist 
der  Schutzherr  von  beiden.  Wenn  bei  der  zunehmenden  Rodung  die 
Thäler  geklärt  sind,  so  bleibt  der  Bergwald  im  Gemeinbesitz  s)  und 
dieser  Umstand  trug  vermutlich  zu  seiner  Erhaltung  nicht  unwesent- 
lich bei.  Den  Hellenen  galt  Italien  seit  alten  Zeiten  als  ein  Wald- 
la  nd.  Sie  dachten  dabei  ursprünglich  nur  an  die  Sila,  deren  Beschrei- 
bung schon  S.  246  angefahrt  wurde  und  die  ihren  Ruhm  vom  Ausgang 
des  fünften  Jahrhunderts  V.  Chr.  bis  auf  unsere  Tage  herab  gerettet  hat.  4) 

1)  Plin.  XYIII 46. 47  Strab.  XIV  6S4  Colrnn.  II 2. 

2)  ü.  XX  490  vgl.  Lncr.  V  1245. 

3)  CIL.  1 199, 33  fg.  Rodorff  Grom.  Instit.  311. 

4)  Thucyd.  VI  90  ixovif^  xfiq  "iraklag  ft'Aa  cry^ova  Athen.  V  208c  Strab. 
VI  261  Plin.  in  74  XIV  127. 


482  Kap.  X.   Die  VegeUtion. 

Um  300  V.  Chr.  ist  ihre  Kunde  weiter  nach  Norden  gerückt:  Theophnst 
weib  dafs  die  grorsten  Bftume  im  Westen  sich  finden ,  grober  als  die 
Cedern  vom  Libanon  und  Cypem«  weifs  ferner  dafs  Latium  das  bret* 
tische  Land^  Corsica  (S.  364)  das  latinische  übertrifft  Er  schreibt  i): 
,,das  Land  der  Latiner  ist  ganz  feucht  und  die  Ebene  enthält  Lorbeer 
und  Myrten  und  bewundernswerte  Buchen;  denn  man  fUlt  so  lange 
Stamme,  dafs  ein  eintiger  ohne  Ansiückung  zum  Kiel  der  Tjrrhener* 
schifife  ausreicht.  Das  Bergland  enthält  Fichten  und  Tannen.  Der  hohe 
Bergstock  der  Kirke  ist  dicht  bewachsen  mit  Eichen  Tielem  Lorbeer 
und  Myrten.  Die  Eingebornen  sagen  dafs  Kirkt  hier  wohnte  und  zei- 
gen das  Grab  des  Elpenor,  aus  dem  Myrten  in  Guirlandenform  wacli- 
sen,  während  die  anderen  Myrtenbäume  grofs  sind.^*  Wir  lernen  hier* 
aus  die  wichtige  Thatsache,  dafs  die  B  u  ch  e  im  Altertum  nicht  wie  jetit 
auf  die  höheren  Regionen  beschränkt  war,  sondern  sich  bis  an  die 
Küste  erstreckte. 2)  Grisebach  hatte  —  mit  einer  Unterschätzung  und 
Vernachlässigung  der  historischen  Tradition,  die  sidi  an  dem  trefflichen 
Gelehrten  gelegentlich  bitter  rächte  —  die  Meinung  ausgesprochen, 
dafs  die  Küstenregion  von  Anfang  an  wenig  bewaldet  gewesen  und  die 
Strauchvegetation  eine  ursprQnghche  sei.  Allein  an  den  bestimmten 
Zeugnissen,  dafs  der  Wald  ehedem  in  Corsica  und  Latium  so  gut  wie 
an  der  Nordsee  die  Ufer  umsäumte,  läfst  sich  nicht  rütteln  und  die 
Myrte,  welche  gegenwärtig  an  der  Bildung  der  Macchie  so  hervor- 
ragend theilnimmt,  erscheint  bei  Theophrast  durchaus  als  Baum.  Die 
ältere  Kriegsgeschichte  bietet  zahlreiche  Belege  für  den  Waldreich- 
tum  Italiens.  Des  Ciminischen  Waldes,  den  Livius  mit  den  Wfldnissen 
Germaniens  yergleicht,  ward  S.  257  gedacht:  man  mag  in  diesem  Ver- 
gleich eine  Uebertreibung  sehen,  so  äufsert  sich  doch  in  der  ganxen 
Auffassung  eine  alte  vertrauenswerte  Tradition.  Der  Abstand  gegen 
heute,  wo  einzelne  dünne  Stämme  trübseUg  aus  dem  Gebüsch  hervor- 
ragen^ fällt  jedem  Besucher  in  die  Augen.  Die  nackte  Gegend  Ton  Gau- 
dium war  321  v.  Chr.  dicht  bewaldet;  bei  Bene?ent,  dessen  Umgegend 
zu  den  kahlsten  der  ganzen  Halbinsel  zählt,  wurden  275  t.  Chr.  die 
grofben  und  dichten  Wälder  für  König  Pyrrhos  zum  Verderbeo.') 


1)  Eist  plant,  y  S,  3.  Eine  Eiche  von  10  m  Umfang  bei  ThscoIob  erwthfit 
Pün.  XVI 242. 

2)  Klimatische  Hindernisse  standen  am  wenigsten  im  Wege,  da  die  linde 
noch  jetzt  in  Palermo  trefflich  gedeiht,  Fischer  p.  152.  Eichen  und  Buchen 
in  Rom  Plin.XVI37. 

3)  LiT.  IX  2  Plot  Pyrrh.  25. 


t  2.    Der  Wald.  488 

Ohne  Ueberfloüi  an  Holz  wären  die  groben  Flottenrflstungen  gegen 
Karthago  undenkbar  gewesen ;  wie  denn  z.  B.  264  ▼.  Chr.  220  Schiffe 
in  45  Tagen,  260  v.  Chr.  100  Fünfruderer  in  60  Tagen,  255  v.  Chr. 
220  Fflnfruderer  in  3  Monaten,  205  ▼.  Chr.  80  Kriegsschiffe  in  1 1/2 
Monaten  gebaut  und  fertig  gestellt  wurden.  ^)  Als  Poljbios  um  die  Mitte 
des  zweiten  Jahrhunderts  t.  Chr.  das  Poland  besuchte,  standen  noch 
zahb^iche  Eichenwälder  in  der  Ebene:  die  Eichehnast  reichte  aus  um 
ganz  Italien  mit  Schweinen ,  dem  gesuchtesten  Schlachtvieh  zu  ?er- 
sorgen.')  Mit  der  Zunahme  der  Bevölkerung  mufste  der  Wald  immer 
weiter  zusammen  schmelzen  und  bei  den  Grenzheiligtttmern  bheb 
schliefslich  nur  eine  Baumgruppe  übrig,  die  an  sein  ehemaliges  Dasein 
erinnerte.  Auch  von  mutwilliger  Zerstörung  abgesehen ,  wurden  die 
Stämme  in  der  Nähe  allmähch  für  die  Zwecke  des  menschlichen  Lebens 
verbraucht,  durch  Städtebau  und  Schiffsbau  verschlungen.  Der  näm- 
liche Hergang  hat  sich  in  den  verschiedenen  Ländern  zu  verschiedenen 
Zeiten  wiederholt  Die  niederdeutschen  Seestädte  haben  die  künuner- 
liche  Armut  unserer  Heiden  verschuldet,  Venedig  die  Steinwüsten  auf 
den  Gebirgen  an  der  oberen  Adria  geschaffen.  In  den  Culturländern 
des  Ostens  war  zu  Theophrasts  Zeit  das  Bauholz  bereits  knapp  gewor- 
den, s)  Unsem  von  dorther  gebürtigen  Berichterstattern  macht  der 
Waldreichtum  Italiens  unter  Kaiser  Augustus  einen  tiefen  Eindruck. 
Dionys  von  Halikamafs  erklärt  in  seiner  Schilderung  des  Landes:  „am 
allerbewundernswertesten  sind  die  Wälder  der  Berglehnen  und  Schluch- 
ten und  unbebauten  Hügel,  aus  denen  man  viel  schönes  Holz  für  den 
Schiffsbau,  sowie  viel  für  die  anderen  Arbeiten  geeignetes  in  Hülle 
und  Fülle  entnimmt  Weder  macht  das  Anschaffen  Schwierigkeit  noch 
ist  das  Holz  dem  menschlichen  Bedarf  entrückt,  sondern  der  Transport 
geht  allerwege  leicht  von  statten  mittelst  der  Menge  von  Flüssen,  welche 
die  ganze  Küste  durchströmen  und  eine  gewinnreiche  Ausfuhr  und 
Umtausch  der  Landesproducte  ermöglichen.*'  Aehnlich  berichtet  Strabo, 
dals  die  längsten  und  gröfsten  Balken  aus  Etrurien  den  Tiber  nach 
Rom  hinunter  geflöbt  wurden  und  dafs  diese  Stadt  ungeheure  Massen 
von  Bauholz  verbrauchte.  4)  Flöfse  sind  heutigen  Tages  auf  dem  Tiber 
eine  seltene  Erscheinung  (S.  318).   Jene  Beschreibungen  gemahnen 


1)  PliD.  XVI 192  Pol.  1  38,  6  Liv.  XXYin  45,  21. 

2)  Pol.  n  15, 3  Strab.  Y  218  vgl.  Uv.  XXUl  24  XXXIY  22 ;  XXI 25  bei  Modena. 

3)  Bist,  plant  IV  5,  5  ß(^j^q  S'  iazl  xonog  8q  ^ei  xal  oXm^  r^v  vav- 
nrjyi^aifiov  vkrpfi  in  Europa  Macedonlen  Thiacien  Italieo. 

4)  Strab.  V  222.  235  Dien.  I  37  vgl  Vitmv.  H  10. 

Niti«A,  itaL  Landedctuid«.    I.  28 


434  Kap.  X.   Die  YegeUtion. 

uns  an  den  Anblick,  den  der  Rhein  gewfthrt  mit  den  gewaltigen  FlOben, 
die  aus  dem  Schwanwald  zu  Thal  nach  Holland  treiben.  In  der  That 
mufs  Rom  mit  seinen  aus  Fachwerk  5—6  Stock  hoch  aufgethOrmten 
Mietscasemen  f  die  ebenso  häufig  abbrannten  wie  unsere  hohemen 
Häuser  im  Mittelalter  unter  den  Forsten  des  Appennin  tüchtig  auf- 
geräumt haben.  Wir  sahen  S.  169,  dab  es  unter  Kaiser  Tiberius  seine 
Bezugsquellen  nach  den  Alpen  hin  ausgedehnt  hat:  noch  später  be- 
zieht es  Brennholz  aus  Africa.  i)  An  den  Ruinen  Pompeji's  läfet  sich 
verfolgen,  wie  die  Jahrhunderte  fortgesetzte  Vergeudung  den  Besitz  zu 
erschöpfen  droht <)  Die  mächtigen  Balken,  welche  im  toscanischen 
Atrium  das  Dach  trugen,  werden  durch  Säulen,  das  Kernholz  durch 
Mauerwerk  ersetzt  Ehedem  hatte  sogar  die  Befestigung  der  Städte 
nicht  aus  Stein,  sondern  aus  Pfahlwerk  bestanden.')  Aber  der  Anbau 
▼on  Arundo  donax,  den  Gato  empfiehlt,  zeigt  dafs  der  Landmann  nach 
billigerem  Material  für  Weinpfkhle  Umfriedungen  Decken  usw.  auf- 
schauen mulste,  als  der  Wald  ihm  darbot  Aufserdem  ward  durch  die 
Einftthrung  von  Cultuihäumen  der  Bedarf  an  Nutzholz  in  etwas  ge- 
deckt Und  so  sehen  wir  dasselbe  noch  in  den  letzten  Zeiten  von  Pom- 
peji in  einem  Umfang  verwandt,  der  nach  den  jetzigen  PreisTerhält- 
nissen  absolut  unmOgUch  sein  wtlrde:  für  Treppen  Gallerien  Zimmer- 
decken Hausdächer  Erker  und  andere  Dinge,  die  jetzt  ausnahmslos  aus 
Stein  hergestellt  werden.  Da  der  Wald  im  Altertum  wie  heut  zu  Tage 
unter  allen  Formen  der  Bodennutzung  die  niedrigste  Rente  abwirft, 
so  ist  nicht  zu  verwundem,  dafs  noch  in  der  Kaiserzeit  fortwährend 
—  sogar  unter  Anwendung  von  Feuer  —  gerodet  wird.^)  Selbstver- 
ständlich ist  solches  in  den  einzelnen  Landschaften  nach  einem  ganz 
verschiedenartigen  Mabstab  geschehen.  Der  Waldreichtum  wird  her- 
vorgehoben von  Bruttium  (S.  431),  der  Sabina^),  Etrurien^),  den  Alpen 
(S,  170)  und  Ligurien.  Letzteres  mufste  nach  Strabo'O  Oel  und  Wein 
einfllhren,  betrieb  Wald-  und  Weidewirtschaft,  besab  viel  zum  Schifls- 
bau  geeignetes  hochstämmiges  Holz  mit  einem  Durchmesser  des  Stam- 
mes bis  zu  8  Fufs,  auch  schön  gemasertes  für  Kunsttischlerei,  das  den 


1)  Cod.  Theod.  Xm  5,  tO  dam  Gothofredns. 

2)  Vgl.  melDe  Pomp.  Studien  p.  28. 

3)  Appian  b.  civ.  I  51  YitroT  II 9,  15. 

4)  Gato  RR.  1  Goliim.  11  2  PUn.  XYm  46. 

5)  Strab.  Y  228. 

6)  Strab.  Y  222  vg).  Liy.  XXYm  45,  18  PUd.  Ep.  Y  8,  7  RoL  Nan.  I  621. 
V  Strab.  lY  202  Diod.  Y  39,  2. 


§  2.  Der  Wald.  435 

besten  arricaDischen  Arten  nicht  nachstand:  von  Genua  dem  Haupt- 
markt der  Landschaft  wurden  Hölzer  Vieh  Häute  und  Honig  verschifft. 
Was  anfilnglich  ein  Segen  war,  ist  bn  Lauf  der  Zeiten  ein  Fluch 
geworden.  Die  Alten  machten  bereits  die  Erfahrung,  dab  unverstän- 
dige Rodung  die  Wasserläure  zu  Fiumaren  umbilde  (S.  294  A.  2). 
Auf  die  weiteren  Folgen  derselben,  den  wachsenden  Ungestüm  der 
Fltlsse,  die  ungünstigere  Vertheilung  der  Niederschläge,  die  Steigerung 
der  Dürre,  die  Versumpfung  der  Thäler,  die  Beförderung  der  Malaria, 
die  Verödung  weiter  Landstriche  ist  im  Verlauf  dieser  Darstellung  oft- 
mals hingewiesen  worden.  Bei  den  Alten  ist  mehrfach  davon  die  Rede, 
dafs  die  Zeugungskraft  des  Bodens  sich  erschöpfe  und  wir  begegnen 
sogar  dem  ganz  modern  klingenden  Ausdruck  lodanium.^)  In  Wahr- 
heit war  die  Menschheit  gealtert,  nicht  die  Natur.    Aber  wenn  ein 
denkender  Betrachter  den  Gegensatz  erwogen  hätte,  den  das  niedere 
Gebüsch  oder  die  abgeschwemmte  Berglehne  zu  dem  jungfräulichen 
Waid  bildete,  der  ehedem  hier  gestanden,  so  wäre  die  Wahl  jenes  Aus- 
drucks vollkommen  berechtigt  gewesen.  Man  hat  behauptet,  dafs  alle 
Schäden  der  Cultur  wieder  gut  gemacht,  dafs  der  Appennin  neu  auf- 
geforstet werden  könne.  Wir  geben  die  Möglichkeit  theoretisch  zu. 
AUein  die  Einsicht  von  der  Nützlichkeit  einer  solchen  Arbeit  würde 
man  bei  einem  Volke  vergeblich  suchen,  das  nur  in  der  Zerstörung 
des  Waldes  seine  Freude  gefunden,  stets  die  Vorstellung  des  Unholden 
FeindUchen ,  in  der  Gegenwart  die  des  Brigantentums  mit  demselben 
verbunden  hat.  Und  wenn  das  Volk  auch  die  Einsicht  und  den  guten 
Willen  besftfse,  so  würde  nur  die  entsagende  Arbeit  vieler  Geschlechter 
hinreichen  um  das  SteingeröU  in  Waldboden  umzuwandeln.  Man  darf 
sich  keiner  Täuschung  hingeben:  der  Untergang  der  nordischen  Wald- 
bäume, die  einst  ItaUen  bedeckten,  ist  unwiderruflich  besiegelt  Einen 
vollen  Ersatz  gewähren  die  fremden  Baumculturen  in  wirtschaftlicher 
Hinsicht,  ihre  Vermehrung  wird  auch  in  klimatischer  Hinächt  von 
Nutzen  sein.  Freilich  liest  man  oft  bei  unterrichteten  Schriftstellern 
die  Behauptung,  dafs  die  heutige  Halbinsel  noch  immer  wol  bewaldet 
sei.    Um  nicht  gegen  Männer  von  Gewicht  mich  auf  das  Zeugnifs 
meinw  Sinne  berufen  zu  müssen,  erscheint  es  zweckmäfsig  eine  Ueber- 
sicht  des  Waldbestandes  (S.  430)  der  wichtigsten  Baumculturen  sowie 
des  Pfluglandes  der  einzelnen  Provinzen  nach  den  ofßciellen  Aufnah- 
men mitzutheilen.  Die  Gröfse  der  Provinzen  ist  in  Quadratkilometern, 
der  Umfang  der  verschiedenen  Nutzungen  in  Procenten  ausgedrückt 

1)  Golam.  1 1  Sen.  nat.  qoaest.  DI  15,  4  Plin.  XYII  40. 

28* 


436 


Kap.  X.  Die  Vegetation. 


Wdiutock 

OUve 

Wdd 

KatUnie 

PaogUnd 

PiemoDt 

29  269 

4,01 

•  •   •  • 

15,81 

2,21 

26,19 

Lombardei 

23  527 

5,88 

0,19 

15,64 

3,4 

39,8 

Venetien 

23464 

10,36 

0,15 

11,22 

1,03 

37,41 

Ligurien 

7104 

6,24 

11,95 

24,70 

7.6 

21,97 

Aemilia 

20  515 

8,21 

0.23 

12,28 

1,5 

55,95 

Toscana 

22  273 

9,85 

5,36 

? 

5 

35,52 

Rom 

11917 

3,69 

3,49 

20,91 

0,43 

36,32 

Umbrien  1 
Picenum  j 

19  337 

7,52 

3,94 

15,79 

0,53 

42,20 

9 

Abnizzen  1 
Apulien    J 

39  401 

6,78 

6,85 

7,66 

1 

38,94 

Campauieni 

Lucanien 

45  911 

5,32 

3,03 

11,93 

1,5 

39,81 

Bruttinm 

Sicilien 

29  241 

7,23 

3,57 

3,49 

0,1 

40,83 

Sardinien 

24  342 

0,99 

2,12 

24,57 

0,08 

19,30 

§3.  Die  Acclimatisation. 

In  einem  Rückblick  auf  die  Pflanzenformen  der  mediterranen 
Zone  fafst  Grisebach  das  Ergebnifs  dahin  zusammen,  dafs  der  AntheO 
tropischer  Familien  an  ihrer  Zusammensetzung  bedeutend  erscheint 
gegenüber  Mitteleuropa,  unbedeutend  gegenüber  dem  östlichen  Asien 
und  den  wärmeren  Gegenden  Nordamerica's.  „Am  Mittelmeer  giebtes 
nur  einzelne  Arten  Ton  Hyrtaceen  Laurineen  Terebinthaceen  Pahnen 
und  Acanthaceen,  wahrend  in  den  beiden  anderen  Gontinenten  solche 
Uebergänge  zu  den  tropischen  Organisationen  viel  zahlreicher  in  die 
gemflisigte  Zone  eindringen/^  In  der  That  war  der  freie  Austausch  mit 
den  Tropen  durch  die  Wüste  Sahara  überaus  erschwert,  das  schmak 
Nilthal  stellte  die  einzige  natttrhche  Verbindung  zwischen  ihnen  und 
dem  Mittelmeer  dar;  endlich  gab  das  Meer  ein  neues  Hindemüs  ab 
(S.  421).  Unter  solchen  Verhältnissen  kann  man  sich  weder  über  die 
relative  Armut  der  immergrünen  Flora  noch  über  die  Erscheinung 
verwundem,  dab  ihre  meisten  und  wichtigsten  Vertreter  in  historiscber 
Zeit  durch  menschlichen  Verkehr  nach  Italien  gelangt  sind.  Aller- 
dings werden  einzelne  Arten  durch  mechanische  Ursachen  verpflanit 
sein,  indem  Meeresströmungen  Winde  Vögel  vor  Anbeginn  der  Ge- 
schichte die  Keime  auf  das  Land  übertrugen.  Aber  es  liegt  vermatlich 
nur  an  unserer  mangelhaften  Ueberlieferung,  daCs  bei  anderen  Arten 


§  3.  Die  Acclimatisation.  437 

die  späte  Einwanderung  nicht  ausdrücklich  nachgewiesen  werden  kann. 
Wenn  z.  B.  die  inunergrttnen  Eichen  als  eine  ursprüngliche  Form  gel* 
ten  (S.  424),  so  wird  diese  Annahme  durch  den  Umstand  erschüttert, 
dais  wenigstens  die  Korkeiche  dem  Altertum  fehlte.^)  Ferner  sahen 
wir  (S.  432),  dafs  die  Buche  in  Hittelitalien  einstmals  die  Ebenen  er- 
füllte. Aller  WahrscheinUchkeit  nach  trug  die  ganze  Vegetation  in 
grauer  Vorzeit  denselben  sommergrünen  Charakter  wie  das  heutige 
Mitteleuropa.  Durch  Rodung  ist  Italien  sonniger  dürrer  zur  Aufnahme 
tropischer  Gewächse  geeigneter  geworden.  Der  Gang  der  Einwande- 
rung war  durch  die  oben  angegebenen  Bedingungen  vorgezeichnet. 
Die  Pflanzen  wurden  tou  Südosten  her  nach  Sicilien  und  Grofsgrie- 
cheoland  yerbracht,  wenige  direct  von  Süden.  Während  sie  also  der 
grofsen  Axe  des  Mittehneers  folgten,  schlugen  sie  später  eine  andere 
Richtung  ein,  indem  sie  dem  Lauf  der  Küsten  sich  anschUefsend  nord- 
wärts vorrückten.  Die  Einwanderung,  welche  V.  Hehn  in  meister- 
hafter Weise  geschildert  hat,  erstreckt  sich  von  den  Anfingen  ge- 
schichtlichen Lebens  bis  auf  die  Gegenwart  herab.  Sie  gliedert  sich 
nach  vier  Hauptperioden,  die  wir  in  aufsteigender  Linie  verfolgen 
wollen,  um  von  der  heutigen  Vegetation  aus  ein  Bild  der  Vergangen- 
heit zu  gewinnen. 

Blit  der  Entdeckung  America's  und  der  Entwickelung  oceani- 
sch er  Schiffahrt  hebt  eine  Epoche  des  Austausches  aller  Erdtheile 
anter  einander  an,  deren  Ergebnils  wir  zu  übersehen  aufser  Stande 
sind.  Erst  vor  einem  reichlichen  Jahrzehnt  ist  aus  Australien  der  blaue 
Gummibaum  {euealypttu  globulu$)  eingeführt  worden,  in  dem  die  Ita- 
liener den  besten  Verbündeten  zur  Bekämpfung  der  Malaria  gefunden 
zu  haben  glauben,  der  jedenfalls  durch  schnelles  Wachstum  und  ti*e£r- 
liches  Holz  dem  waldarmen  Lande  reichen  Segen  verspricht«  Seit 
einem  halben  Jahrhundert  verbreitet  sich  in  Sicilien  die  japanische 
Mispel  {mobotkrya  japonica)j  ein  6 — 7  m  hoher  Baum,  der  im  Herbst 
blüht  und  im  April  reife  Frucht  trägt.  Der  Agrumenbau,  auf  dem 
der  Reichtum  und  die  Zukunft  der  südlichen  Landschaften  zum  guten 
Theil  beruht  (S.  423),  ist  gar  jungen  Datums;  denn  die  Goldorange 
oder  Apfelsine  gelangte  aus  China  1548,  die  noch  süfsere  und  würz- 
haftere Mandarine  (eürus  maduremis)  von  der  Insel  Madura  1828  nach 
Europa.  Aus  America  erhielt  der  Süden  den  wichtigen  Opuntiencactus 
(S.  427) ,  der  Norden  den  Mais  (zea  mats).  Der  letztere  ist  auf  die 


1)  min.  XVI  34. 


438  Kap.  X.  Die  Vegetation. 

Zone  mit  Sommerregen  beschränkt,  sein  Anbau  in  der  Lombardei  Ve- 
netien  usw.  nimmt  eine  etwas  grüfsere  Fläche  als  der  des  Weizens  ein. 
America  lieferte  ferner  die  Kartoffel  {solawum  t^iberosum)^  die  im  Sflden 
äufserst  beliebte  Tomate  (soJanum  lyeapenieHm\  den  Tabak  (ntcofioiia), 
die  Agave  (S.  427),  die  Platane  (S.  426),  die  lombardische  Pappel  Qw- 
jnilus  düatcUa) ,  die  immergrüne  Magnolie  (magnolia  grandifhra) ,  ver- 
schiedene Acazien  (robinia  pseudacacia)  u.  a.  Gleichzeitig  wurde  durch 
das  Vordringen  der  Türken  der  Blumenflor  Europa's  bereichert  um 
Tulpe  (m/ipa),  Syringe  {syringa  vulgaris)^  orientalische  Hyacinthe  {kj/a- 
cinthus  atientäUs)^  Kaiserkrone  (frUiUaria  imperialis)  u.  a.,  auch  um  die 
stattliche  Rofskaslanie  (aesculus  kippocaslanutn) 

Dieser  jüngsten  Epoche  geht  das  Mittelalter  voraus,  während 
dessen  die  Araber  im  Umkreis  des  Mittelmeers,  soweit  sie  geboten,  die 
Gewachse  ihrer  Heimat  auszubreiten  suchten.  Es  handelt  sich  um  Ge- 
wächse, die  zwar  dem  Altertum  bekannt,  aber  in  Europa  noch  nicht 
eingebürgert  waren.  Nachdem  die  Araber  blühende  Reiche  in  SicUien 
und  Südspanien  gegründet  hatten,  ward  das  Versäumnifs  nachgeholt 
Sie  verpflanzten  den  Reis  (oryza sativa)^  der  trotz  seiner  gesundheits- 
schädlichen Wirkungen  (S.  415)  gegenwärtig  auf  reichlich  40  d.  D  M. 
im  Poland  cultivirt  wird.  Das  indische  Sumpfkorn  war  den  Alten  seit 
Alexanders  Zügen  wol  bekannt,  fand  aber  nur  als  theure  Arznei  Ver- 
wendung i):  geschweige  denn  dafs  an  seinen  Anbau  gedacht  worden 
wäre.  Die  Araber  verpflanzten  ferner  die  Baumwolienstaude  (gossgphm) 
und  das  Zuckerrohr  (saccharum  ofßeinarum).  Letzteres  hat  sich  noch 
in  Sicilien,  erstere  auch  in  Unteritahen  gehalten  und  sogar  eine  vor- 
übergehende Bedeutung  während  des  americanischen  Bürgerkrieges 
erlangt  Im  Uebrigen  ruht  die  geschichtliche  Tragweite  der  Einbürge- 
rung von  Reis  Baumwolle  und  Zuckerrohr  vielmehr  darin  dafs  Sad- 
europa  die  Zwischenstation  abgab  für  ihre  Uebertragung  nach  der 
Neuen  Welt.  Wertvoller  für  Italien  war  der  im  15.  Jahrhundert  ein- 
geführte weifse  Maulbeerbaum  (fnoru$älba\  der  das  Futter  für  die 
Seidenraupe  Uefert  und  dem  Land  ermöglicht  in  der  Seidenproduction 
die  nächste  Stufe  unmittelbar  hinter  China  einzunehmen  (Wert  des 
jährlichen  Ertrags  460  Mill.  Franken).  Demselben  Volke  wird  die  Em- 
führung  der  Limone  —  wir  sagen  fölschlich  Citrone  —  {citrus  medka) 
und  der  Pomeranze  (citrus  aurantium  amarum)  verdankt.  Auch  lehren 
die  arabischen  Namen  Sumach  (S.  424)  und  Karube  (S.  424),  auf  wen 


1)  Her.  Sat.  U  3, 155. 


$3.  Die  Acdimatbation.  489 

die  Verbreitung  dieser  Gewächse  in  Sicilien  zurückgeht.  Endlich  ist 
die  Korkeiche  (S.  437)  sowie  die  geschätzte  Wassermelone  {cucumis 
eUntUus)  der  nämlichen  Epoche  zuzuschreiben. 

Unter  der  römischen  Weltherrschaft  ward  der  Obst-  und 
Gemüsebau  ausgebildet.  Unsere  Gärten  enthalten  wenig  Früchte,  die 
im  Lande  selbst  heimisch  und  veredelt  worden  sind.  Unter  diesen 
wenigen  nehmen  Apfel  und  Birne  die  erste  Stelle  ein,  indem  jener  dem 
nördlichen,  die  Birne  dem  südlichen  Europa  angehört.  Die  überwie- 
gende Mehrzahl  stammt  aus  dem  Orient,  wurde  in  Italien  acclimatisirt, 
wanderte  mit  den  Römern  an  den  Rhein  und  die  Donau.  Unser  Impfen 
{lfig>vT€V€tv)  Pfropfen  (propagare),  die  Namen  der  meisten  Obst-  und 
Gemüsearten  sind  entlehnt  Zur  yoUen  Entfaltung  gelangte  der  Gar- 
tenbau Italiens  erst  mit  der  Weltherrschaft.  Sklaven  und  Freigelassene 
aus  Syrien  Palaestina  Phoenizien  Cilicien  bürgerten  ihn  ein.  In  den 
alten  Culturlanden  der  Semiten  haben  wir  die  eigentUche  Heimat 
unserer  Gartenkunst  mitsammt  ihrer  Technik  zu  suchen.  Der  Be- 
sieger Mithridats,  L.  Lucullus  führte  74  v.  Chr.  aus  Cerasus  an  der 
pontischen  Küste  die  sauere  Kirsche  (pruntu  eeratus)  nach  Italien.  ^) 
Die  verwandte  Sülskirsche  (prunus  aotiim),  die  hier  wild  wuchs,  ward 
gleichfalls  veredelt.  Beide  wanderten  sehr  rasch  und  waren  zu  Plinius' 
Zeit  bereits  an  den  Rhein  und  nach  Brittannien  gelangt  Seitdem  das 
römische  Reich  sich  bis  Armenien  erstreckte,  wurden  auch  Aprikose 
ifrunus  armemaea)  und  Pfirsich  (amygdalus  persiea)  verpflanzt  Colu- 
mella  und  Plinius  erwähnen  sie  zuerst  2):  nach  diesem  waren  die  Pfir- 
siche anfänglich  das  Stück  mit  einem  Denar,  sogar  mit  75  bezahlt, 
aber  rasch  verbreitet  worden.  Aus  der  pontischen  Gegend  stammt 
ferner  die  K  astanie  (easianea  vesca\  die  Vergil  kennt  3)  und  die  be- 
reits für  die  Bauten  Pompeji's  Holz  geliefert  hat  Einen  wie  grofsen 
Raum  die  heutigen  Bestände  einnehmen ,  zeigt  die  S.  436  gegebene 
Uebersicht  Sie  nähren  den  Menschen  ohne  Arbeit:  um  die  Corsen 
aus  ihrer  trägen  Beschaulichkeit  aufzurütteln,  plante  die  französische 
Regierung  im  vorigen  Jahrhundert  die  Ausrottung  der  Bäume  und  er- 
liers  in  der  That  ein  Verbot  Kastanien  anzupflanzen,  das  einige  Jahr  in 
Kraft  blieb.  Aus  derselben  Heimat  stammt  die  Wallnufs  {iuglans  regia)^ 
die  Cicero  erwähnt,  sowie  die  veredelte  Lamberts-  d.  h.  lombardische 
Nufs  (coryluB  aveUanä)^)^  auch  die  Maulbeere  (morus  nigra),  deren  er- 

1)  Plin.  XV  102  Serv.  Verg.  Georg.  U  18. 

2)  Gel  X  409  Plin.  XV  39. 

3)  Verg.  Ecl.  2,  62.  Plin.  XV  88.       4)  Gic.  TuBC  V  68.  Gate  RR.  8. 


440  Kap.X.    Die  Vegetation. 

frischende  Frucht  den  Alten  mundete,  während  das  Blatt  später  zum 
Unterhalt  der  Seidenraupe  diente,  bis  der  kleinere  aber  ein  viel  feineres 
Gespinnst  liefernde  Schwesterbaum  ihn  aus  dieser  Rolle  verdrängte 
(S.  438).  In  der  Vplksnahrung  behauptet  der.  Mandelbaum  (mygdalm 
communis)  eine  Stelle;  als  sein  Vaterland  ist  Nordafrica  anzusehen 
(S.  425).  Nach  Syrien  weist  die  Pflaume  (prumu  domestica  und  pru- 
nus  imititia)^  den  augusteischen  Dichtern  wol  bekannt  wie  auch  das 
Pfropfen  auf  den  wilden  Schlehdorn.  ^)  Ebendorther  wurde  in  den 
ersten  Decennien  unserer  Zeitrechnung  die  Pistazie  (pistaeia  vera)  nach 
Italien  verpflanzt  >)  Der  Kaiserzeit  gelang  auch  die  Zucht  des  Gitronat- 
baums  (citrus  medica  cedra).  ^)  AnKttchenpflanzen  wie  verschiede- 
nen Kohl-  und  Salatarten  Wurzeln  Zwiebeln  Blattgewächsen  ist  Italien 
von  Hause  aus  reich.  Doch  hat  auch  hier  eine  bedeutende  Vermehrung 
stattgefunden.  So  taucht  um  die  Mitte  des  ersten  Jahrhunderts  n.  Chr. 
in  Campanien  die  aus  dem  inneren  Asien  herstammende  Zuckermelone 
auf  ^) ,  während  Gurke  und  Kürbis  schon  früher  bekannt  waren.  Zur 
Viehfütterung  wurden  am  Ausgang  der  Republik  die  Luzerne  {medt- 
cago  sativa\  die  4 — 6  mal  geschnitten  werden  kann,  sowie  der  Gytisus- 
strauch  (medicago  arboreäjj  dessen  Blatt  sehr  gelobt  wird,  eingefOhrL^) 
Nicht  älter  ist  in  Italien  der  Oleander  oder  Rosenlorbeer  <^),  jetzt  wie 
so  viele  Ziergewächse  verwildert  (S.  425).  Der  Hanf  (cannahis  saiiva) 
welcher  im  heutigen  Königreich  auf  1330  D  km  namentlich  am  un- 
teren Po  cultivirt  wird  und  aus  der  kaspischen  Gegend  stammt,  er- 
scheint zuerst  um  100  v.  Chr.:  in  den  Niederungen  des  Velinus  bei 
Reate  erreichte  er  Baumeshöhe.  "0 

So  bedeutendes  auch  in  römischer  arabischer  und  neuerer  Zeit 
geleistet  worden,  ist  der  entscheidende  Umschwung  im  Leben  des  Lan- 
des doch  auf  die  hellenischen  Colonien  zurückzuführen.  Die 
Erfahrung  lehrt  dafs  Pflanzen ,  die  auf  einen  jungfräulichen  Boden 
übertragen  werden,  erstaunliche  Fruchtbarkeit  entfalten,  wenn  anders 
die  klimatischen  und  örtlichen  Bedingungen  ihnen  zusagen.  Unter- 
itaUen  und  SiciUen  wurden  ein  Kornland,  das  im  fünften  Jahrhundert 


1)  Verg.  Georg.  IV  145  Hör.  £p.  i  16,  8.  Ente  ErwIhnoDg  Gate  133. 

2)  Plio.  XV  91  Xm  51.  Pallad.  IV  10  XI  12  in  25  u.  a. 

3)  PUo.  Xn  16  XIU  103.  PaUad.  IV  10. 

4)  Plin.  XIX  67. 

5)  Dem  Gato  onbekannt,  Varro  RR.  II  2  Goiom.  V  12  Plin.  XDI 130  fg. 

6)  PUd.  XVI  79;  älteste  Erwähnung  Verg.  (7)  Galez  402. 

7)  LucUius  bei  Fest.  356  M.  Pün.  XIX  174. 


§3.  Die  Acdimttisaüon.  441 

?.  Chr.  die  Handels-  und  FabriksUdte  des  Ostens  versorgle.    Das  von 
den  Fremden  gegebene  Beispiel  forderte  die  Eingeborenen  zur  Nach- 
ahmung auf.  Und  wenn  auch  die  Aneignung  der  CuUurelemente  na- 
mentlich in  den  Anfiingen  einen  nach  den  heutigen  Anschauungen 
überaus  langsamen  Verlauf  genonunen  hat,  so  machte  dieselbe  doch  un- 
aufhaltsame Fortschritte.  Durch  die  Hellenen  erhielt  das  Land,  virorauf 
wir  im  nächsten  Abschnitt  zurückkommen,  den  Weizen  und  verschie- 
dene Hülsenfrüchte.  Durch  sie  ward  es  mit  der  B  a  u  m  z  u  c  h  t  vertraut, 
derjenigen  Form  der  Bodennutzung,  welche  im  Altertum  wie  heut  zu 
Tage  den  höchsten  Nutzen  gewährte,  dabei  den  günstigsten  Einflufs  auf 
die  Milderung  der  Sitten  übte  und  endlich  einen  hervortretenden  Zug 
im  antiken  Volksleben  darstellte.  Ihre  erste  Ausbildung  ist  auf  den  Berg- 
tenrassen  der  chanaanitischen  Küste  erfolgt,  von  den  Phoeniziern  haben 
die  Hellenen,  von  diesen  die  Römer  gelernt.  Die  Heimat  des  Wein- 
stocks  (viii$  vinifera)  wird  an  den  Südrand  des  Kaspischen  Meeres 
gesetzt.  In  Rom  wufste  man ,  dab  derselbe  nicht  zum  ältesten  Besitz 
des  latinischen  Namens  gehöre,  sondern  nachträglich  herübergenom- 
men sei.O  Doch  mufs  solches  anderseits  sehr  früh  geschehen  sein, 
vielleicht  schon  vor  Gründung  der  hellenischen  Städte  (S.  451).  In  eine 
weit  jüngere  Zeit  führt  uns  der  0  el  ba  um  {olea  europaeä).  Die  Athener 
betrachteten  ihn  als  Geschenk  ihrer  Pallas  und  erzählten  dafs  es  eine 
Zeit  gab,  wo  er  auf  der  ganzen  Welt  nur  in  ihrem  Ländchen  zu  finden 
war.  In  Wahrheit  ist  er  im  südlichen  Vorderasien  zu  Hause  und  wäh- 
rend des  Zeitraums,  den  die  homerischen  Gedichte  umspannen,  nach 
Hellas  gelangt.  Es  wird  berichtet  dals  er  um  580  v.  Chr.  Italien  noch 
nicht  erreicht  hatte.  >)  In  historischer  Hinsicht  wog  seine  Einbürge- 
rung weit  schwerer  als  diejenige  des  Weinstocks.  Wenn  die  Gabe  des 
Bacchus  den  älteren  Gerstentrank  aus  dem  Bereich  der  Civilisation  ver- 
bannte, so  gewährte  die  Gabe  der  Athena  die  Möglichkeit  die  rohere 
Wirtschaft  der  Viehzucht  erheblich  einzuschränken,  indem  sie  das  ani- 
malische Fett  durch  vegetabilisches  ersetzte.  Der  Genufs  von  Bier  und 
Butter  unterschied  in  den  Augen  der  Alten  den  Barbaren  vom  civili- 
sirten  Menschen.  Noch  jetzt  fällt  der  Gegensatz  der  Küche  zwischen 
dem  Theil  von  Europa  wo  die  Speisen  mit  Butter,  und  dem  Theil,  wo 
sie  mit  Oei  zubereitet  werden ,  mit  dem  Gegensatz  von  Nord  und  Süd 
zusammen.  Gleichzeitig  mit  der  Olive  sind  auch  andere  Fruchtbäume 
verpflanzt  worden :  so  die  edle  Feige  (fieus  caricä)  „des  Weinstocks 

1)  PUd.  XIV  88  XVin  24. 

2)  Plin.  XV  1  Tgl.  Herod.  V  82.  Diod.  1 16. 


442  Kap.  X.  Die  Vegettüon. 

Schwester'^  aus  dem  semitischen  Vorderasien ,  bereits  in  die  rOmiache 
Ursprungssage  verflochten;  so  die  Quitte (pynu  a^dmwiU  die  von  Kreta 
aus  im  sechsten  Jahrhundert  auf  italischem  Boden  Fufs  gefabt;  so  der 
Granatapfel  {punica  grafuUum)  und  die  Dattelpalme  {pkoemx  dotfyb- 
fera\  welche  der  Verkehr  mit  den  Karthagern  herüber  gebracht  hatte. 
Die  beiden  Coniferen,  welche  in  der  Architektur  der  italienischea 
Landschaft  bestimmend  hervortreten  (S.  426),  schiiefsen  sieh  ihnen  an. 
Die  Cypresse  war  von  Indien  aus  als  Symbol  der  heiligen  Feuerflamme 
in  uralten  Zeiten  durch  Asien  gewandert,  die  Griechen  lernten  sie,  wie 
der  Name  besagt,  auf  Cypern  kennen.  Im  dritten  Jahrhundert  war  der 
Baum  nach  den  Idyllen  Theokrits  auf  Sicilien  häufig ,  gewohnte  sich 
aber  nur  mit  Mühe  auf  dem  Festland  ein,  wo  er  gegenwärtig  bis  an 
den  Fufs  der  Alpen  vorgedrungen  ist^)  Ungefilhr  gleichzeitig  ist  die 
Verbreitung  der  Pinie,  deren  Vaterland  nicht  ermittelt,  in  Italien  er- 
folgt 2):  von  ihrer  Wertschätzung  zeugt  der  Umstand,  dafs  die  alt- 
republikanischen Grabsteine  von  Praeneste  in  der  Form  von  Pinien- 
zapfen gearbeitet  sind.  Von  der  römischen  Aristokratie  wurde  die  Pb- 
tane  (S.  426}  mit  besonderer  Vorliebe  gepflegt:  sie  stanunt  wie  es 
scheint  vom  Taurusgebirge  Kleinasiens  und  wollte  anfänglich  im  We- 
sten gar  nicht  einschlagen. ')  Der  älteste  Verkehr  bewirkte  nicht  blos 
der  Annehmlichkeit  und  des  Nutzens  willen  die  Verpflanzung  fremder 
Gewächse.  Häufig  erscheinen  dieselben  im  Geleit  fremder  Culte,  deren 
Dienst  sie  geweiht  waren,  und  gewinnen  dann  im  Glauben  und  der  An- 
schauung des  Volkes  einen  bevorzugten  Platz.  Hit  Apollo  kam  der 
Lorbeer  (S.  424),  mit  Aphrodite  die  Myrte  (S.  425)  aus  Kleinasieo 
über  Griechenland  nach  Sicilien  und  Italien.  Nach  einer  Tradition  hat 
die  Myrte  auf  dem  Vorgebirge  der  Circo  sich  zuerst  gezeigt;  nach  einer 
andern  Angabe  fehlte  der  Loriieer  auf  Corsica :  ein  sicherer  Beweis 
dafs  er  ursprünglich  auch  dem  benachbarten  Festland  gefehlt  haben 
mufs.  ^)  Ihrer  frühen  Ausbreitung  ward  oben  (S.  432)  gedacht  Jetit 
wuchert  die  Myrte  auf  den  Felsabhängen  in  der  Nähe  des  Meeres:  ihre 
Zweige  schmücken  weder  die  Locken  der  Braut,  wie  bei  uns  üblich, 
noch  die  Stirn  des  Siegers  wie  im  Altertum,  sondern  werden  für  Besen 
Reisig  und  derartigen  unedlen  Gebrauch  geschnitten.  Mit  Aphrodite 

1)  Theokr.  11, 45  Gate  RR.  151  PUn.  XVI 139  fg.  230. 

2)  Theokr.  5,  49  Gate  RR.  48  Verg.  Ed.  7,  65  PUn.  Ep.  VI  16,  5. 

3)  Theophr.  h.  plant.  IV  5,  6  Plin.  XU  6  Macrob.  Sat.  m  13,  3  Verg.  Geoi«. 
IV  146  Bor.  Od.  II 11, 13.  15,  4.  Nux  17. 

4)  PUn.  XV  119.  132. 


§  3.   Die  Acclimatisation.  443 

kam  auch  ihre  Lieblingsblume  die  Rose  (rosa  untifolia)  sowie  ihre 
Feindin  die  Lilie  (Mttim  eandiium\  beide  aus  Asien ;  ferner  der  Safran 
(croetM  so/itmi),  der  noch  jetzt  in  Sicilien  zur  Gewinnung  der  gelben 
Farbe  gebaut  wird  und  manch  andere  Gartenblume.  Der  Anbau, 
welcher  spfiter  im  grO&ten  Umfang  betrieben  wurde,  geht  in  seinen 
ADßingen  auf  die  Griechen  zurück.  Dasselbe  gilt  von  Küchen  kräu- 
tern, namentlich  den  beizenden  Gewürzpflanzen  wie  Knoblauch  Küm- 
mel Senf,  die  von  den  Orientalen  seit  Alters  her  geschätzt  wurden,  vom 
hohen  Schilfrohr  (S.  427)  usw. 

Wir  haben  uns  auf  die  hervorragendsten  Vertreter  der  Cuhurflora 
beschränkt,  ohne  die  lange  Liste  entfernt  zu  erschöpfen.  Dagegen  sind 
wir  mit  der  Aufzählung  der  neu  gewonnenen  Hausthiere  bald  zu 
Ende.  Der  B  ü  f  f  el  (hos  huhalus\  welcher  gegenwärtig  zur  Staffage  der 
Halariagegenden  gehört,  wird  in  ItaUen  zuerst  595  n.  Chr.  erwähnt,  t) 
Der  schwere  tückische  Geselle  aus  Asien,  der  im  Sumpf  sich  wol  fühlt 
und  hier  Dienste  leistet,  fUr  welche  das  Rind  versagt,  erscheint  unseren 
Allgen  als  das  verkörperte  Sinnbild  der  Oede  und  Verwilderung,  die 
auf  den  Glanz  des  Altertums  gefolgt  ist.  In  der  Kaiserzeit  verbreitete 
sich  die  von  den  Aegyptern  längst  gezähmte  Katze:  früher  als  die  An- 
kunft der  Ratte,  mit  der  Hehn  sie  in  Verbindung  bringen  möchte. 2) 
In  die  Wildgärten  der  Vornehmen  wurde  das  Spanien  eigentümliche 
Kaninchen  (Upus  omiculw)  versetzt  ^),  das  seitdem  weit  gewandert  ist. 
Für  die  antike  Volkswirtschaft  nahm  die  Einführung  des  Esels  mit- 
sammt  der  Bastardbildungen  Maulthier  und  Maulesel  eine  gröfsere 
Wichtigkeit  in  Anspruch,  da  diese  Thiere  zum  Fahren  und  namentlich 
zum  Tragen  in  dem  gebirgigen  Lande  die  ausgedehnteste  Verwendung 
finden.  In  welche  Periode  aber  dieselbe  hinaufzurücken  und  auf  wel- 
chem Wege  sie  erfolgt  sei,  läfst  sich  nicht  mit  annähernder  Sicherheit 
sagen.  Dagegen  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dafs  die  eigentUche  Aus- 
bildung der  Viehzucht  einer  fernen  Urzeit  angehört,  als  die  verschie- 
denen Glieder  der  indogermanischen  Familie  sich  noch  nicht  von  ein- 
ander losgelöst  hatten :  die  Namen  von  Rind  Pferd  Schwein  Schaf  Hund 
Gans  Ente  sind  allen  diesen  Sprachen  gemeinsam  und  von  der  Ver- 
besserung der  Racen  abgesehen,  ist  der  Bestand  an  Hausthieren  durch 
die  Culturarbeit  nicht  wesentlich  vermehrt  worden.    Nur  die  Geflü- 


1)  Paul.  Diac.  h.  Lang.  IV  10  vgl.  Arist.  h.  anim.  II 1,  2,  4. 

2)  Plin.  X  202  Martial  Xm  69  Pallad.  IV  9  Isidor.  XU  2,  38. 

3)  Zaerat  erwihnt  Pol.  XH  3, 9  GatQn37,18  Martial  XUI 60  VarroRR.ini2 
Plin.  Vm  217  Athen.  IX  401  a. 


444  Kap.X.  Die  Vegetation. 

geizucht  macht  eine  Ausnahme.  Der  aus  Indien  stammende  Haus- 
hahn ist  durch  die  Perser,  die  ihn  als  Verkttndiger  des  Lichts  heilig 
hielten,  im  Lauf  des  sechsten  Jahriiunderts  v.  Chr.  an  die  Hellenen 
übermittelt  worden.  Frühzeitig  ist  er,  wir  wissen  nicht  auf  welchem 
Wege,  nach  Mitteleuropa  gelangt  und  von  Norden  aus  allem  Anschein 
nach  in  den  Gesichtskreis  der  Römer  getreten.  0  Von  diesen  ward  er 
gleichfaUs  anfänglich  zu  religiösen  Zwecken  verwandt  und  hat  dann 
allmäUch  in  der  Oekonomie  jene  grofse  Bedeutung  erlangt,  in  die  er  sich 
neuerdings  mit  seinem  americanischen  Vetter  dem  Truthahn  theilt.^) 
Die  Taube  ist  von  den  Semiten  gezähmt  und  dem  Dienst  der  Aphrodite 
geweiht  worden :  vermutlich  von  dem  berühmten  Tempel  auf  dem  Eryi 
aus  ward  sie  in  ziemlich  junger  Zeit  bei  den  Römern  eingeführt')  Den 
kolchischen  Fasan  lernten  dieselben  durch  griechische,  den  indischen 
Pfau  und  das  numidische  Perlhuhn  durch  karthagische  Vermittlung 
kennen :  Gegenstände  des  Luxus  und  als  solche  geschätzt. 

§  4.    Die  Cerealien.^) 

Wie  das  Pflanzenkleid  Italiens  durch  menschliche  Arbeit  gewech- 
selt und  sich  verändert  hat,  ist  im  Vorhergehenden  geschildert  worden. 
Der  Beweggrund,  welcher  den  Menschen  leitete,  ist  deutlich  genug  der 
dem  Boden  immer  höhere  Erträge  abzugewinnen.   Die  Verdichtung 

1)  Nach  HekataeoB  fr.  58  legten  die  venetischen  Hennen  aweimal  am  Tage. 
Massen  wir  auch  Anatand  nehmen  diese  Nachricht  dem  Ausgang  des  6.  oder 
dem  Anfang  des  5.  Jahrhunderts  zuzuweisen  (S.  7  A.  1),  so  bleibt  es  doch  immer 
nach  italischem  MaÜBstab  ein  sehr  altes  Zeugnifs.  Ihr  frAhes  Vorkommen  in 
Norden  wird  durch  den  Umstand  bestätigt,  dafs  sie  an  der  ligurischen  Küste 
verwildert  waren  Varro  RR.  III  9  Golum.  VIII  2.  Ich  möchte  glauben  dais  die 
Römer  den  Vogel  durch  die  Gallier  kennen  lernten  (Gaes.  b.  GaU.  V  12  ron  des 
Britten  gaUinam  . . .  guttare  fa$  non  ptiiant,  tarnen  ahtni  aninä  vohtpiatü' 
fti«  eauta)  und  einfach  als  solchen  benannten,  ähnlich  wie  er  bei  den  attisctoi 
Komikern  Uegaachq  Sgvig  und  M^6oq  oder  wie  die  Dattelpalme  qioZvti hubivsw. 
Die  abweichende  Bildung  von  galUna  stimmt  zu  der  Annahme,  daOi  der  Kamp^ 
bahn  den  Römern  zuerst  vor  Augen  trat,  vgl.  Hehn^  p.  264. 

2)  Die  bekannten  HOhnerauspicien ,  die  ursprfinglich  den  Römern  feUlen 
(Gic.  DiTin.  0  73),  werden  seit  322  t.  Ghr.  (Uv.  VIU  30)  im  Felde  häufig  e^ 
wähnt;  Tgl.  Plin.  X  49.  Was  die  wirtschaftliche  Bedeutung  betrüR,  so  tritt 
uns  solche  noch  nicht  recht  bei  Cato  RR.  89  entgegen,  um  so  deutlicher  bd 
Varro  lU  9  und  Golum.  VIU  2. 

3)  Varro  LL.  IX  56  RR.  III  7. 

4)  Magerstedt,  Bilder  aus  der  römischen  Landwirtschaft,  5tes  Heft:  der 
Feld-  Garten-  und  Wiesenbau  der  Römer,  Sondershausen  1862. 


{  4.    Di«  CemUen. 


445 


der  Bertilkeniiig  zwingt  rar  Rodung  des  Waldes,  Kornban  ist  ergiebi- 
ger als  Weidewirtachart,  Baumzucht  als  Rarabau.  Freilich  greifen  an- 
dere Veriialtnisse  bezüglich  Absatz  und  Concurrenz  hier  ein,  auf  die 
wir  in  der  Folge  zurtlckkommen.  Aber  im  Grofsea  und  Ganzen  ent- 
Bpricbt  der  Hergang  dem  aufgestellten  Schema.  In  der  Auswabl  der 
Komarlen,  von  denen  zunichst  gebandelt  werden  soll,  macht  sidi  die 
fortschreitende  VerfeioeniDg  der  Sitten  bemerkbar,  insofern  die  grö- 
beren durch  bessere  edlere  allmalich  Terdrflngt  werden.  Jedoch  ist 
wegwerfenden  Aeufoeningen  antiker  Schriflsteller  gegenüber  zu  be- 
rflcksicbtigen ,  dafs  hierbei  auch  die  Rentabilität  in  Frage  kommt 
Niemand  wird  z.  B.  bestreiten,  dafs  der  Weizen  ein  reineres  gesunderes 
Hehl  liefert  als  der  Hais  und  doch  behauptet  dieser  für  die  Volksnah- 
ruog  Oberilaliens  den  entschiedenen  Vorrang,  weil  er  doppelt  so  viel 
IrägL  Wir  schicken  unserer  Betrachtung  eine  Uebersicht  über  den 
heutigen  Kornbau  der  einzelnen  Provinzen  voraus.  Der  Flächen- 
inhalt der  Provinzen  ist  S.  436  angegeben.  Die  Ziffern  bezeichnen 
die  nach  einem  fünfjährigen  Mittel  (1870—1874)  bestellte  FUcbe  in 
Procenten: 


i 

■i 

1 

S 

¥ 

il 

1 

^ 

1 

s 

X 

e 

P 

^ 

^£ 

'1 

- 

i 

J_ 

,ai. 

«.«Dl... 

M« 

4,75 

2,62 

1,7 

0,4 

0,6 

"ÖJT 

M4 

0,16 

0,005 

M6 

9,3« 

4,29 

1,9 

0,9 

1,24 

0,44 

0,46 

0,14 

164 

VcDeUcD    .  . 

9,66 

11,01 

1,38 

1,27 

1,19 

1,77 

0,61 

0,3! 

0,47 

0,0tl8 

Ug,K«... 

11  S8 

1,59 

0,52 

0,12 

1,13 

1,02 

0,29 

0,36 

Am  : : : 

»,62 

11,06 

lilS 

0,54 

0,64 

1,7 

1,S9 

0,37 

3,52 

ö,'on 

16,09 

5,5S 

0,02 

0,47 

196 

1,66 

0,9 

0,26 

0,14 

0,08 

Born . 

Pie«aniB 

13,42 

3,93 

0,07 

0,67 

0,02 

0,02 

0,07 

0,07 

«,42 

10,67 

0,79 

0,76 

1,2 

1,73 

0,23 

0,59 

0,14 

Abninen 
Apulieo 

19,46 

4,47 

1,85 

6,06 

0,9 

1,1 

0,23 

0,12 

0,34 

CuBpuie    1 

Ucwiea 
Bmttinm      1 

12,66 

6,12 

1,62 

2,89 

1,2 

0,97 

0,20 

0,37 

0,4 

SMl«,..'. 

19,35 

0,06 

0,02 

4,44 

0,13 

0,8 

2,4 

0,03 

0,04 

0,26 

S.nlU<D  .  . 

S,IS 

0,09 

0,88 

0,09 

0,6 

0,01 

0,06 

Sdiui»  .  .  . 

16,16 

5,72 

bii"8 

1,66 

i^M 

1,05 

1,01 

0,23 

0,45 

oIjt 

Die  älteste  Frucblart  ist  gegenwärtig  vom  italischen  Boden  Ter- 
schwunden.   Als  solche  können  wir  die  Hirse,  die  gemeine  (mili'wn 

t)  d.  h.  PferdebohneD  Elchenrl»«!  LapincD  Wicken  nsw.  Die  Latame<8.440) 
wild  wenig  mehr  pbaiit 


446  lUp-X.  Die  YegeUtion. 

niyxQog)  wie  die  Kolbenhirse  (jMifttct^m  ^kvfiog)  ansehen,  die  bei  Ibe- 
rern Kelten  Sarmaten  Griechen  und  anderen  Völkern  lange  Zeit  die 
Hauptnahrung  abgegeben  hat.  Verschiedene  Eigenschaften  empfahlen 
gerade  der  Urzeit  diese  rasch  wachsende,  nie  fehl  schlagende,  gering- 
fügigste Aussaat  heischende  Sonunerfrucht  Sie  liebt  nassen  Boden  und 
auf  den  Auen,  in  den  Lichtungen  der  Flüsse  ist  sie  zuerst  und  Tomehm- 
lich  gebaut  worden.  Im  Pohind  nahm  sie  das  ganze  Altertum  hindurch 
die  Stelle  ein,  die  sie  gegenwärtig  an  den  Mais  und  Reis  hat  abtreten 
müssen  und  Strabo  erblickt  in  dieser  Cultur  den  sichersten  Schutz 
gegen  Miswachs  und  Hungersnot.  ^)  Auch  für  Gampanien  wird  der 
Hirsebrei  hervorgehoben.  2)  Vereinzelt  begegnet  jetzt  noch  in  Toscana 
die  Dhorra  oder  Mohrhirse  {$argum  vulgare)^  die  um  60  n.  Chr.  aus 
Indien  eingeführt  den  reichsten  Ertrag  aber  unedler  Beschaffenheit 
liefert. 3)  Aehnlich  wie  der  Hirse  bt  es  der  Bohne  (vieia  fitba)  er- 
gangen. Sie  wird  jetzt  als  Futterpflanze  gebaut,  gehört  aber  zu  den 
ältesten  und  wichtigsten  Nährpflanzen.  Wie  diese  schwere  nahrhafte 
Kost  in  den  deutschen  Seemarschen,  so  ward  sie  ehedem  von  den  pa- 
danischen  Bauern  und  überhaupt  von  kräftigen  Arbeitern  geschätzt.*) 
Hehn  ist  geneigt  ein  noch  höheres  Alter  dem  Anbau  der  Rübe  beizu- 
legen, die  in  der  Asche  verbrannter  Waldung  besonders  gedeihe.  In 
der  That  nahm  der  Bau  im  Poland  nach  Wein  und  Getreide  den  dritten 
Platz  ein  und  ist  auch  auf  der  Halbinsel  besonders  in  älterer  Zeit  stark 
betrieben  worden.^)  Die  Uebereinstimmung  der  Sprachen  zeigt  dafs  die 
Gerste  (nfi&i^  lat.  hordeum  ahd.  gerstä)  den  Stämmen  bereits  vor 
ihrer  Trennung  vertraut  war.  Auch  wird  sie  von  den  Alten  selbst  hoch 
hinaufgesetzt;  aber  während  sie  im  früheren  Griechenland  als  Volks- 
nahrung diente,  sank  sie  schon  bei  den  Römern  zu  ihrer  heutigen  Ver- 
wendung als  Viehfutter  herab.  ^)  Das  altröroische  nationale  Korn  ist 
der  Spelt  oder  Dinkel  {far  ador  ^etd),  wie  ofl bezeugt  wird  u.  a.  von 
Ovid7): 


1)  Pol.  n  15,  2  Strab.  V  218  Plin.  XVDI 101  Cassiod.  Var.  Xll  27. 

2)  Plin.  Xym  100.  CIL  IV  2069. 

3)  Plin.  XVm  55. 

4)  Plin.  XVOI 101  Hör.  Sat  U  6,  63  MarL  X  48,  16  Galen  VI  p.  529  Käkii. 

5)  Plin.  XVm  127  XIX  87  Plut.  Cato  maior  2,  2. 

6)  Galen  VI  p.  507  Kühn  spricht  ihr  die  Nahrkraft  ab.  Gersteration  «xrdf 
den  Trappen  als  Strafe  zuerkannt.  Plin.  XVin  72  aniiquUsimum  in  dbit  hor- 
deum ...  74  panem  ex  hordeo  anUquiM  utitatum  vita  damnatfii,  qu^dripe- 
dumque  fere  eihu  e$i, 

7)  Fast  n  515  VI  180  Dien.  Hai  U  25  Plin.  XVIH  7.  14.  62.  83. 


(  4.  Die  GerealieD.  447 

non  habuit  doeioi  ieikts  mnUqua  eolonos: 

lassabant  agiles  aspera  bella  viros, 
plus  erat  in  gladio  quam  curvo  laudis  aratro, 

neglectut  domino  pauca  ferebai  ager» 
farra  tarnen  veieret  iaeiebantj  farra  metebant, 

primiUae  Cereri  farra  reseeia  dabant 

In  dieser  Eigeoschaft  beherrschte  er  den  Cultus  der  spateren 
ZeilOf  wurde  in  der  Wirtschaft  aUmfilich  durch  den  Weizen  verdrängt. 
Er  ist  Tiel  härter  als  dieser,  erträgt  besser  Kälte  und  Hitze,  Nässe  und 
Darre;  aber  der  Ausdrusch  erfordert  weit  mehr  Arbeit  und  der  Rein- 
ertrag steDt  sich  bedeutend  niedriger.  >)  Der  Weizen  hat  sich  ver- 
mutlich von  Aegypten  aus  im  Umkreis  des  Mittelmeers  verbreitet.  Sei- 
nem Anbau  verdankten  die  griechischen  Colonien  Siciliens  und  Unter- 
italiens ihren  Reichtum  und  ihren  Ruf.  3)  Bei  den  Römern  wurde  er 
um  die  Mitte  des  fOnften  Jahrhundert  v.  Chr.  eingeltlhrt^)  Als  Poly- 
bios  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunders  das  Poland  durchreiste,  war 


1)  Marquardt,  Staatsverwaltung  in  329  A.  16  Privatleben  der  Römer  1 48. 

2)  Gato  RR.  34  Yarro  I  9  Golam.  n  9  Plin.  XVIII  83.  298. 

3)  Diod.  V  2  Herod.  VH  158  Thukyd.  DI  86  Xen.  Oek.  20, 27  Yarro  RR.  1 44. 
Sophokles  bei  PUd.  XYIII  65. 

4)  Plin.  XYin  62  popubnn  R&manum  farre  tanJtum  e  frumenio  treeenüt 
annis  usum  Ferrius  iradit.  Gegen  diese  aoOierlich  anfs  beste  beglaubigte, 
n  allem  was  wir  von  der  Wanderung  der  Getreidearten  wie  von  der  Cultur- 
entwicklung  Roms  wissen  vortrefflich  stimmende  Nachricht  ist  geltend  gemacht 
worden,  dafo  sich  bereits  in  den  Terremare  Oberitaliens  Weizen  vorfinde.  Da 
nun  Jene  Ueberreste  einer  grauen  Yorseit  angehören  sollen ,  der  Weizen  aber 
nnmfiglich  von  Nord  nach  SOd  gewandert  sein  kann,  so  bleibt  scheinbar  kein 
Aasweg  übrig  —  wenn  man  anders  die  Entdeckungen  der  Paläoethnologen  auf 
Treu  und  Glauben  hinnmimt  Wir  sind  W.  Heibig  zu  Dank  verpflichtet,  dafs 
er  uns  (In  seiner  Schrift:  die  Italiker  in  der  Poebene,  Leipzig  1879)  einen 
Uebcrblick  Aber  die  bisherigen  Ergebnisse  dieser  ohne  Griechisch  und  Latein 
and  sonstigen  gelehrten  Ballast  blühenden  Modewlssenschaft  gegeben  hat.  Dar- 
nach haben  die  PfaUdörfler  u.  a.  Weizen  Wein  und  Gel  gebaut  Heibig  will 
zwar  p.  109  an  die  Olivcnkeme  ebensowenig  glauben  wie  an  „GIgarrenstum- 
mel,  die  ja  auch  gelegentlich  in  der  oberflächlichen  Schicht  einer  Terramare 
gefunden  werden  können."  Da  aber  das  Klima  der  Poebene  früher  wärmer  ge- 
wesen sein  soll  (p.  16),  so  scheint  es  von  seinem  Standpunct  aus  unbillig  jenen 
gekämmten  und  rasirien  Urmenschen  den  Oelbau  abzusprechen.  —  Freilich  wird 
die  historische  Forschung  ein  sehr  abweichendes  Urtheil  über  jene  alten  Ueber- 
reste fällen  mOssen  als  Helbig  gethan.  Wenn  die  Fundberichte  —  worüber 
ich  voriäufig  kein  Urtheil  habe  —  genau  und  zuverlässig  sind,  so  liegen  uns 
hier  nicht  nur  Spuren  von  uritalischen  Niederlassungen,  sondern  auch  von  römi- 
schen Hinterwäldlern  aus  dem  zweiten  und  ersten  Jahrhundert  v.  Ghr.  vor.  Ich 
weib  wol  dafs  der  gemfltvolle  Reiz,  den  die  Pfahlbanidylle  auf  ihre  Yerehrer 


448  Kap.  X.   IHe  Vegetation. 

er  hier  bereits  ToIIgtflndig  eingebürgert  i)  In  den  uns  naher  bekann- 
ten Zeiten  bildet  er  die  eigentliche  Volksnahrung:  nicht  nur  die  Sol- 
daten auch  die  Sklaven  erhalten  ihre  Rationen  in  Weizen.  2)  DemgemällB 
wird  er  auch  vorzugsweise  gebaut:  Columella  rechnet  als  Mittel,  dab 
von  100  Morgen  (— >25  Hektaren)  25  mit  Winter«,  15  mit  Sommer- 
weizen,  25  mit  anderen  Nähr-  und  Futterpflanzen  bestellt  werden,  also 
nur  35  brach  liegen.^)  Neben  dem  Weizen  treten  die  ttbrigen  Korn- 
arten in  den  Hintergrund.  Der  nordische  Roggen  wurde  nur  in  den 
Alpen  gebaut  (S.  171 ).  Der  Hafer  galt  ursprünglich  nur  als  Unkrant, 
ist  aber  später  als  Viehfutter  -verwandt  worden,  während  er  bei  den 
Germanen  das  eigentliche  Korn  abgab. ^)  Viel  wichtiger  sind  die  Hül- 
se n  fruchte:  die  genügsame  Lupine  welche  keine  Arbeit  fordert,  das 
Land  düngt,  eine  Mensch  und  Thier  gleich  zuträgliche  Speise  liefert^); 
die  oben  (S.  446)  erwähnte  Pferdebohne;  die  aJs  Volksnahrung  be- 
kannte Kicher  (eicer)^);  die  von  den  Griechen  eingeführte  Erbse  {Iq^ 
ßivd-og  ervum^  nlaog  fimm)  ^);  die  grofse  und  kleine  Linse  (letu,  le»- 
^tcttb),  die  beim  Todtenmahl  verwandt  wird.^  Von  den  verschiede- 
nen Futterkräutern  wurden  Luzerne  und  Cytisus  S.  440  erwabnt: 
hierher  gehören  ferner  Wicke  (vtcta)  Hornklee  (fomnwn  Grattwm)  u.  a. 
Während  endlich  heutigen  Tages  der  Hanf  dem  Flachs  in  der  Cultar 
weitaus  den  Rang  abgelaufen  hat  (S.  440.  445),  fand  im  Altertum  das 


übt,  weseDtlich  anf  dem  Umstand  beniht,  daCs  sie  in  einem  Zeitalter  spielt, 
wo  die  Knnst  der  Zdtmessung  noch  nicht  erfanden  war.  Für  uns  proniscbe 
Menschen  bUebe  die  Sache  sehr  lehrreich,  wenn  die  (j^nfserte  Verrnntong  sdi 
bewahrheiten  sollte.  Aber  des  Wanderbaren  ist  in  diesen  Berichten  sa  Tid 
wie  s.  B.  die  Kastanie  xur  Herstellung  der  Pfahlbanten  rerwandt  sein  soll, 
obwol  der  Baum  in  der  Poebene  keine  Früchte  trage  (p.  17)!  In  'Wirklichkeit 
tragt  er  noch  diesseit  der  Alpen  and  die  ausgebreitete  Gultor  desselben  10 
Oberitalien  (S.  436)  versorgt  unsere  Märicte.  Die  von  anderen  Forscbem  g^ 
theilte  Ansicht  Hehns,  dafs  die  Kastanie  spät  eingeführt  sei  (S.  439),  Teidieot 
dabei  auch  erwogen  zu  werden:  Heibig  übergeht  sie  mit  Stillschweigen. 

1)  PoL  n  15,  2. 

2)  Gato  RR.  56  Plin.  XVDI 94  trUieo  nihil  est  ferUkus.  hoe  m  naiurg  tri- 
buii  gtiomam  eo  nuuBime  aUbat  hominem. 

3)  GoL  U  13. 

4)  Gato  R&  37  Gic  Fin.  V  91  Verg.  Georg.  I  77.  154  Dr.  Fast  1 692  Pub* 
XVm  149.  205  GoL  H  1 1. 

5)  Gol.  U  10.  16  u.  a.  PUn.  XVDI  133  fg. 

6)  Hör.  Sat.  I  6,  115  Plin.  XVHI 124. 

7)  Fest.  ep.  82  M.  Plin.  XVm  139  Vano  1  32. 

8)  Plut.  Grass.  19,  5  PUn.  XVm  123. 


§  4.   Die  Gerealien.  449 

umgekehrte  VerbältDifs  statt.  Der  Flachs  {linum  untaiinimum)  wurde 
im  Poland  sehr  stark  gebaut:  für  das  hohe  Alter  seines  Auftretens 
allhier  spricht  der  Umstand  dafs  die  Leinsaat  als  Speise  gedient  hat. 
Im  Uebrigen  war  der  Anbau  wesentlich  durch  den  Aufschwung  der 
Schiffahrt  bedingt,  da  die  linnene  Tracht  bei  den  Römern  auf  den 
Luxus  beschränkt  blieb.  Immerbin  gab  es  in  Ravenna  eine  kaiserliche 
Weberei.  ^) 

Je  nach  der  Güte  des  Bodens  wurden  verschiedenartige  Feld* 
Systeme  angewandt.  Die  Zweifelderwirtschaft  hatte  unter  den  Theo- 
retikern eifrige  Verehrer.^)  Auch  Dreifelderwirtschaft  (Brache  Getreide 
Holsenfrucht)  kommt  ¥or.^)  Aber  in  der  Regel  stellte  man  grofsere 
Anforderungen  an  das  Erdreich.  Die  Wecbselwirtschaft ,  welche  Ge- 
treide und  Hülsenfrucht  einander  ablösen  lafst,  gewährt  höhere  Erträge 
ohne  dasselbe  zu  erschöpfen ;  wie  Vergil  sich  ausdrückt  <) : 

sie  quoque  mutatis  requiesetmt  fetihut  arva 

nee  nulla  interea  est  inaralae  graUa  terrae.  * 

In  vielen  Gauen  dieses  gesegneten  Landes  wurde  Halmwirtschaft 
betrieben,  z.  B.  in  Etrurien  Jahr  aus  Jahr  ein  die  reichste  Weizenernte 
erzielt.^)  Ja  Campanien  konnte  wol  gar  mittelst  künstlicher  Bewässe- 
rung in  demselben  Jahr  drei  bis  vier  Ernten  hinter  einander  liefern 
Winterkorn  Sommerkorn  Hirse  und  Küchengewächse:  solche  Leistun- 
gen werden  ihm  auch  jetzt  wie  vor  Alters  ohne  Nachtbeil  zugemutet. <^) 
Freilich  läfst  sich  die  Frage  aufwerfen,  ob  die  Zeugungskrafl  im  Lauf 
der  Zeiten  nicht  abgenommen  habe.  Nach  der  ofßciellen  Statistik  stellt 
sich  der  Durchschnittsertrag  des  Weizens  auf  11,07  Hektoliter 
ftlr  den  Hektar  mit  Schwankungen  von  6,20  (Sondrio)  8,27  (Sardinien) 
bis  14  (Novara  Mantua  Foggia  Caserta  Catania)  14,50  (Pisa)  14,60  (Pa- 
via)  15  (Mailand),  während  Hais  von  12,32  (Sardinien)  bis  24  (Novara), 
im  Mittel  18,33  giebt.  Die  Aussaat  beträgt  etwa  1,8—2,8  Hektoliter 
Weizen  für  den  Hektar,  so  dafs  als  Durchschnitt  das  5.  höchstens  das 
8.  Korn  herauskommt.  Um  von  der  sagenhaften  Fruchtbarkeit  der 
Fluren  von  Sybaris  und  Leontini  zu  schweigen,  rechnet  Varro  als 
Durchschnitt  das  10.,  für  Etrurien  und  einige  andere  Gegenden  das 

1)  Plio.  XIX  16  Not  Dign.  49*  Marqoardt,  PrivaÜeben  U  463  fg. 

2)  Stolo  bei  Varro  I  44  Verg.  Georg.  I  71  Ovid  ex  Pont.  I  4, 13  Gel.  U  9. 

3)  Plln.  XVm  191  Verg.  Georg.  I.  73. 

4)  V.  Georg.  I  82  Plin.  XVHl  191  Gel.  H  14. 

5)  Varro  1 9.  44. 

6)  DioD.  Hai.  1  37  Strab.  V  243  Plin.  XVDI  111. 

Niii«ii,  ItaL  Landeslciinde.  I.  29 


450  Kap.  X.  Die  VegetaiioD. 

15.  Korn.  Da  nun  die  Saatmenge  ungefähr  gleich  ist,  4—7  Modii  für 
den  Morgen  d.  h.  1 ,40 — 2,45  Hektoliter  für  den  Hektar,  so  stellt  sieb 
der  Ertrag  auf  mindestens  14 — 21  Hektoliter,  mithin  bedeutend  höher 
als  die  besten  Weizenstriche  gegenwärtig  zu  erreichen  vermögen.  0 
Die  unbedingte  Zuverlässigkeit  der  ofBciellen  Angaben  vorausgesetzt  -), 
würde  die  Rechnung  trotzdem  nicht  berechtigen  die  oben  aufgewor- 
fene Frage  zu  bejahen.  Eines  ist  unzweifelhaft  gewifs,  dafs  der  Acker- 
bau in  Sardinien  und  vielen  Landschaften  des  Südens  jetzt  auf  einer 
weit  niedrigeren  Stufe  sich  befindet  als  im  Altertum.  Im  Uebrigen  wird 
der  geringere  Ertrag  an  Korn  reichlich  aufgewogen  durch  den  gestei- 
gerten Ertrag  der  Baumculturen.  Italien  ist  zwar  ein  Ackerbau  trei- 
bendes Land,  bedarf  aber  —  vom  Reis  abgesehen  —  bedeutender  Ein- 
fuhr von  Weizen  und  anderen  Cerealien,  weil  es  in  der  Baumzudit 
eine  weit  einträglichere  Bodennutzung  besitzt  Die  gewinnreiehslen 
Formen  derselben  der  Seidenbau  (S.  438)  und  der  Agrumenbau 
(S/424)  fehlten  dem  Altertum.  Jedoch  hat  sich  bereits  damals  der 
folgenreiche  Umschwung  vollzogen.  Italien  tritt  in  die  historische  Ue- 
berlieferung  des  fünften  Jahrhunderts  als  Kornland  ein,  um  sich  in 
ein  Wein-  und  Oelland  umzuwandeln.  Während  der  Weltherrschaft 
genügt  seine  Kornproduction  zum  Unterhalt  der  Bewohner  ebenso- 
wenig als  dies  heutigen  Tages  der  Fall  ist. 

§.  5.    Die  Baumzucht. 9) 

Die  Alten  unterscheiden  drei  Wirtschaftsformen:  Viehzucht 

Ackerbau  Baumzucht,  die  ursprünglich  von  einander  räumlich  getrennt 

sind.   Die  erste  dreht  sich  um  Wald  und  Weide,  die  zweite  um  offenes 

Gefilde,  die  dritte  um  eingehegte  Gärten.   Die  räumliche  Scheidung 

tritt  bei  Homer  ^)  deutlich  entgegen,  wenn  z.  B.  Diomedes  von  seinem 

Vater  erzählt: 

vale  6h  6(5fia 
a<pyiihv  ßioxoio,  SXiq  6i  ol  ^aav  aQOVQai 
TtvQOipOQOi,  noXköl  61  ipVT^v  iaov  ii^atoi  afi^i^f 
noklic  6i  ol  ngoßat*  iaxs' 

oder  wenn  die  Aetoler  sich  an  Heleager  wenden : 


1)  Yarro  I  44  Gel.  U  9  PUa.  XYIU  95.  198. 

2)  Vgl.  S.  326.  351  A.  2. 

3)  Magerstedt,  Bilder  ans  der  r^nisehen  Landwirtschaft,  Sondenfaaiueo: 
erstes  Heft,  der  Weinbau  d.  R  1858;  viertes  Heft,  die  ObstbavBBMcht  d.  R  1861. 

4)  Hom.  n.  XIY  121 IX  578  XH  313  VI  194  XX  184. 


I  5.  Die  Baomzucht.  451 

nevTi]xovv6yvov,  to  /tkv  rifuav  olvoniöoio, 
fffiiav  6h  tpiXrjv  agoaiv  neöloio  tafLiaS-ai, 

Aehnlich  stehen  in  Prosa  /^  OTtogifiog  oder  ipckij  und  yfj  Ttecpv- 
tevfiivt]^  ager  arimsarbusius  pascuus  als  sich  gegenseitig  ausschliefsende 
Begriffe.  ^)  Den  Römern  wie  den  Hellenen  galt  die  Baumzucht  als  mit 
der  Cullur  eng  verschwistert.  ,4n  Gallien  —  erzählt  Scrofa  bei  Varro  ^) 
~  jenseit  der  Alpen  drinnen  nach  dem  Rhein  zu  bin  ich  an  der  Spitze 
meiner  Truppen  in  einige  Gegenden  gelangt,  wo  weder  Wein  noch 
Oel  noch  Obst  wuchs,  wo  sie  die  Felder  mit  weifser  gegrabener  Kreide 
(Mergel)  düngten,  wo  sie  weder  Gruben-  noch  Seesalz  hatten,  son- 
dern salzige  Kohlen  aus  gewissen  verbrannten  Holzern  an  dessen  Statt 
brauchten/^   Die  Ausbildung  der  Baumzucht  lag  allerdings  viele  hun- 
dert Jahre  hinter  der  Zeit  des  Erzählers  zurück.   Wie  S.  441  bemerkt, 
ist  mit  der  Pflege  des  W  e  i  n  s  t  o  c  k  s  der  Anfang  gemacht  worden.  Bei 
den  Griechen  Homers  ist  sie  allgemein  verbreitet  und  der  Dichter  läfst 
auch  im  Lande  der  Kyklopen  Trauben  wachsen. 3)  Wenn  in  Rom  der 
Weinbau  als  nachträgUch  eingeführt  galt  (S.  441),  so  schreiben  ihm 
andere  Nachrichten  ein  hohes  Alter  zu.   Eine  alte  Tradition  läfst  ihn 
in  Latium  vor  Erbauung  Roms  betrieben  werden.  4)  Einzelne  Reb- 
sorten führten  ihre  Namen  nach  verschollenen  Gemeinden,  deren  Blüte 
einer  fernen  Vergangenheit  angehört:  so  die  aminaische,  welche  Ari- 
stoteles auf  thessalische  Einwanderer  zurückführt  ^)  und  die  von  Spina 
der  alten  versandeten  Hafenstadt  am  Po  (S.  205).^)  Der  Stammvater 
der  weit  verzweigten  sabinischen  Nation  ward  als  Erlinder  des  Wein- 
baus verehrt  ^  und  der  bei  den  älteren  Hellenen  gebrauchte  Landes- 
und Volksname  Oenotria  Oenotrer  hat  vermutlich  auf  den  Weinbau  der 
Eingebornen  Bezug.  ^)  Wenn  man  die  Geschichte  der  Halbinsel  vor 

1)  Xen.  Oekon.  19, 1  Hell.  III  2, 10  Demostb.  XX  115  Aristot.  Pol.  I  4, 1  Cic. 
Rep.  V  3. 

2)  Varro  RR.  I  7  Tgl.  S.  373 ;  mehr  bei  Hebn  *  p.  97  fg. 

3)  Od.  IX  110.  133. 

4)  Cato  bei  Maer.  Sat  III  5, 10  Varro  bei  Plin.  XIV  88  IMod.  Hai.  I  65  Ov. 
Fast  IV  879  CIL.  1  p.  392. 

5)  Ar.  bei  Phil,  lu  Verg.  Georg.  II  97 ;  Terschiedene  Deutungen,  gewöhn- 
lich auf  Gampaniea  8.  Hehn*  p.  468. 

6)  Plio.  XIV  34  Rwennati  agro  peeuHaris  Gel.  UI  2.  7.  21.  -*  Irrtflmlich 
bringt  Hehn  a.  0.  die  aidlische  vitiM  Murgwiina  mit  den  Morgeten  in  Ver- 
bindung Plin.  XIV  35. 

7)  Verg.Aen.  Vn  178  Serv.  i.  V.  Aen.  1 532,  mein  Templum  114.  131, 

8)  Kap.  XI 8. 

29* 


452  Kap.  X.  Die  Yegelalion. 

(1er  griechischen  Colonisation  ins  Auge  fafst,  so  macht  es  nicht  die  ge- 
ringste Schwierigkeit  dieser  Epoche  die  Einbürgerung  des  Weinstocks 
beizulegen.  Freilich  hat  Italien  Jahrhunderte  lang  ein  GewSlchs  her- 
vorgebracht, das  gebildete  Zungen  zum  Ausbruch  der  VerzweifluDg 
trieb  wie  280  v.  Chr.  Cineas  den  Gesandten  des  Königs  Pyrrhos.^)  Aber 
mit  dem  Vordringen  der  römischen  Waffen  nach  Norden  wurde  ein 
weites  Absatzgebiet  erschlossen,  das  die  Sieger  ohne  Rücksicht  aus- 
beuteten. Schon  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  suchten  sie  durch 
ein  Verbot  jenseit  der  Alpen  neue  Weinberge  anzulegen  die  Concur- 
renz  Galliens  unschädlich  zu  machen. 2)  Die  italische  Ausfuhr  nimmt 
den  europäischen  Markt,  Gallien  und  die  Donauländer  für  sich  in  Be- 
schlag, s)  Auf  dem  Weltmarkt  in  den  Städten  des  Mittelmeers  behaup- 
ten die  Hellenen  während  der  Republik  das  Feld :  höchstens  dafs  die 
italischen  Winzer  sich  auf  Nachahmung  der  griechischen  Weine  ver- 
legten.<)  Aber  die  Veredlung  der  einheimischen  Rebberge  machte  un- 
aufhahsame  Fortschritte,  das  berühmte  Weinjahr  des  Consuls  Opimios 
121  V.  Chr.  verlieh  dem  Anbau  einen  aufserordentlichen  Aufschwung, 
unter  Caesar  nehmen  Falerner  und  Mamertiner  neben  den  fremden 
Edelweinen  ihren  Platz  ein^),  unter  Augustus  erobert  Italien  den 
Weltmarkt.  Plinius  rechnet  80  Sorten  die  auf  demselben  concurrir- 
ten:  davon  entfallen  zwei  Drittel  auf  Italien.  <*)  Der  bisherige  Haupt- 
platz Rhodos  wird  von  Rom  völlig  überflügelt:  von  dem  Umfang  des 
hier  betriebenen  Geschäfts  steht  uns  ein  redendes  Zeugnifs  im  M.  Te- 
staccio  vor  Augen,  der  aus  lauter  zerbrochenen  Weinkrügen  zu  einer 
gröfseren  Höhe  angewachsen  ist  als  das  Capitol.  In  der  Kaiserzeil  be- 
zieht der  Orient  seine  feinen  Weine  aus  Italien '');  ja  solche  finden 
ihren  Weg  bis  in  die  indischen  Gewässer.®)  Unter  diesen  Umständen 
ist  nicht  zu  verwundern  dafs  die  Rebzucht  als  die  vortheilhafleste 
JNutzung  des  Bodens  galt.   Die  Anschläge  beziffern  die  Verzinsung  des 

1)  Plin.XIVl2. 

2)  Gic.  Rep.  m  16  vgl.  auch  für  das  Folgende  Marquardt,  Privatleben  II 427  fg. 

3)  Gic  pro  Font.  19  Athen.  IV  152  c  Diod.  V  26,  3  Gaes.  b.  GalL  H 15 IV  2 
Strab.  V  214. 

4)  Plin.  XIV  94  Gate  RR.  24. 105. 112. 

5)  Gatull27  Vairo  RR.  12  Plin.  XIV  97. 

6)  Plin.  XIV  87 ;  Gel.  DI  8  neque  enim  duHum  est  MaiMiei  Surrmtimfu* 
et  Albani  atque  Caecubi  agri  vitei  amnium  quoi  terra  susHnet  in  nohiliUtt 
vini  prineipes  esse, 

7)  Lucian  Navig,  23  Alciphron  fr,  6,  9  Didot 

8)  Peripl.  mar.  Eryth.  c.  6. 49  (Geogr.  Gr.  min.  I  p.  262. 293). 


§  5.  Die  Baomzacht.  458 

Anlagecapitals  aus  der  Traubenernte  auf  mindestens  6V2,  im  Mittel 
auf  18  Procent.  Dazu  kam  noch  der  Erlös  aus  den  Setzlingen  hinzu, 
deren  Vertrieb  ausschliefslich  Italien  vorbehalten  blieb,  i)  Die  Sage 
berichtet  dafs  die  Gallier  einst  zur  Einwanderung  in  dies  Land  bewo- 
gen worden  seien,  als  ein  helvetischer  Handwerker  Feigen  und  Trau- 
ben Oel  und  Wein  von  Rom  mit  nach  Hause  gebracht  hatte.  2)  Seitdem 
waren  die  köstlichen  Gaben  des  Südens  immer  weiter  verbreitet  wor- 
den. An  den  PomUndungen  bürgerte  sich  der  Weinbau  sehr  früh  ein 
(S.  451);  laut  einer  erhaltenen  Urkunde  wurde  er  117  v.  Chr.  bei 
Genua  betrieben.^)  Polybios  in  seiner  Schilderung  des  Polands  und 
Strabo  heben  den  Weinreichtum  desselben  hervor.  4)  Von  der  Cultur 
am  Fufs  der  Alpen  war  schon  S.  168  die  Rede.  In  Folge  der  gestei- 
gerten Nachfrage  ward  der  Kornbau  auf  den  eigenen  Bedarf  der  Land- 
wirte eingeschränkt  und  auch  der  Kornacker  dem  Weinstock  dienstbar 
gemacht.  Er  wird  mit  Laubbäumen  namentlich  Ulmen ,  deren  Laub 
als  Viehfutter  dient,  bepflanzt,  der  Zwischenraum  zwischen  den  Zeilen 
mit  Feldfrüchten  bestellt,  während  die  Rebe  an  den  Bäumen  rankt. 
Daher  heifst  der  Ulmbaum  in  Prosa  wie  bei  den  Dichtern  Gatte  des 
Weinstocks.  Diese  Verbindung  des  Ackerbaus  mit  Baumzucht  gewährt 
nach  den  Worten  eines  alten  Geschicbtschreibers  der  Gegend  ein  fest- 
liches Ansehen:  wer  von  den  Alpen  herabsteigend  die  Baumzeilen 
mit  den  zwischen  ihnen  schwebenden  Gehängen  von  Weinlaub  zum 
ersten  Mal  erblickt,  könnte  meinen  das  Land  selbst  sei  bekränzt.^)  Die 
Verbindung  fordert  sehr  fruchtbaren  Boden  und  kommt  namentlich 
in  Oberitalien  Campanien  und  Sicilien  vor.  Die  Theorie  hat  dieselbe 
lebhaft  aber  ohne  Erfolg  bekämpft  %  wenn  gleich  die  besten  Sorten 
Campaniens  Latiums  Picenums  wol  vorwiegend  in  Weinbergen  gezo- 
gen worden  sind. 


1)  C0I.IU3  Studiosi  agricolationis  hoc  primum  docendi  sunt  uberrimum 
esse  rmHium  vinearum  (ebenso  Gate  1).  Der  Verkauf  der  Settlinge  briogt  in 
einem  Jahr  den  Preis  des  Grandstflcks  ein  si  modo  non  provineiaHs  sed  ItaH- 
eus  ager  est.    Beispiele  hohen  Gewinns  Piin.  XIV  48fg.  Varro  1 2. 

2)  Plin.  XU  5  vgL  Uv.  V  33  Plnt.  Garn.  15, 2  Dion.  Hai.  XUI 1 1. 

3)  CIL.  1 199, 28.  4)  Pol.  II 15, 1  Strab.  ¥218. 

5)  Herodian  Vin  4,  5  von  der  Belagerung  Aquiieia*8  238  nach  Chr.  äfiTU- 
kovQ  (Mjhxoi  xal  SivSga  ndvra  iSixomov^  a  dk  ivenlfinQacav ,  xal  t^v 
n^oTiQOV  xoTq  xc0(>/o<?  vnaQxovcav  &Qav  xaxyaxyyov,  SMqwv  yaQ  atol- 
XOig  taoig  afi7tika>v  xe  rcQoq  iXk^kaq  6iaei  navtaxod^ev  riQXfKA^fov  iv 
kot^fjq  cxril^'^h  OTB<piv<^  &v  xiQ  xr^v  x^Q^'^  xexocfA^a&ai  ixexfiijpaxo. 

6)  Gol.  Dl  3  vgl.  de  arbor.  16. 


454  Kap.  X.  Die  Vegetation. 

Den  Ruhm  das  erste  Weinland  der  Welt  zu  sein  hat  Italien  in 
der  Kaiserzeit  behauptet.  Die  Production  wurde  andauernd  in  dem 
Hafse  gesteigert,  dafs  Domitian  sich  mit  dem  unausführbaren  Plan  trug 
dagegen  einzusehreiten.  ^)  Der  0  e  Ib  a  u  ist  jünger  (S.  441)  und  hat  nie- 
mals in  der  italischen  Volkswirtschaft  den  Umfang  einnehmen  können 
wie  der  Weinbau ,  weil  er  durch  Klima  und  Bodenbeschaffenheit  von 
demPoland  und  den  Ebenen  der  Halbinsel  fern  gehalten  wurde  (S.  424). 
Die  etnirischen  Gräberfunde  zeigen  uns,  dafs  Attica  einst  hierhin  Oel 
ausführte  gleichwie  in  späteren  Zeiten  Italien  nach  Mitteleuropa.  Zu- 
erst im  4.  Jahrhundert  wird  das  Oel  von  Thurii  erwähnt:  die  Brinamen 
olea  SalletUina  und  Cdlabrica  weisen  daraufhin  dafs  die  apulische  Halb- 
insel, welche  gegenwärtig  unter  allen  Landschaften  das  meiste  (S.  436), 
freilich  nicht  das  feinste  Oel  hervorbringt,  unter  Anregung  der  helle- 
nischen Städte  zu  dieser  Cultur  fortgeschritten  war.^)  Eine  Angabe 
läist  Italien  52  v.  Chr.  mit  der  Ausfuhr  beginnen;  doch  hatte  es  sich 
bedeutend  früher  wie  für  seinen  Wein  so  auch  für  sein  Oel  den  galli- 
schen Markt  zu  sichern  gesucht. ')  Auf  dem  Weltmarkt  errang  das 
Erzeugnifs  von  Venafrum  den  ersten  Preis  ^) ,  um  den  auch  Istrien  ^) 
und  das  südliche  Spanien  ^  mit  Erfolg  warben.  Unter  den  übrigen 
italischen  Landschaften  werden  die  Sabina  '0  und  Picenum  9)  mit  Aus- 
zeichnung genannt.  In  der  That  waren  die  Hügel  und  Vorberge  des 
Appennin  vorzugsweise  für  den  Anbau  geeignet.  Derselbe  heisdit  weit 
weniger  Ariieit  als  der  Weinstock  und  bringt  hohen  Ertrag. ')  Besondere 
Anschläge  werden  aus  dem  Altertum  nicht  überliefert:  beutigen  Tages 
gewährt  ein  Hektar  Weizenland  bei  Genua  im  Durchschnitt  einen 
Rohertrag  von  220,  ein  Hektar  Oelpflanznng  einen  Rohertrag  von 
810  Franken.  So  aufserordentlich  günstig  dies  VeriiäHnifs  erscheint, 
reicht  es  doch  lange  nicht  an  den  Gewinn  der  Agrumen  hinan.  Eia 


1)  Suet.  Dom.  7. 

2)  Athen.  U  67  b.  Gato  RR.  6  Gol.  XU  49  Piin.  XV  20. 
8)  Plin.  XV  3  Gic.  Rep.  UI 16  Streb.  IV  202  V  214. 

4)  Plin.  XV  8  prineipatum  in  hoe  quoque  bano  opUnuU  iiaUa  •  toi» 
orbe  mawume  agro  Fenafirano  vgl.  Varro  RR.  I  2,  den.  bei  M aerob.  Sat  10 
16, 12  Hör.  Od.  11 6, 16  Sat.  U  4, 69  8, 45  Streb.  V  238  Mart  XIH  101. 

5)  PUd.  XV  8  Mark.  XD  63  Gaaaiod.  Var.  XH  22. 

6)  Streb,  in  144  Ludan  Navig.  23. 

7)  Galen  XQ  p.  513  Kahn  Plm.  XV  13  Gol.  V  8  Streb.  V  228. 

8)  Mart.  143,8  V78,20  Xm36  Plin.  XV  16. 

9)  Gol.  V  8. 


§  5.  Die  Baomnicht.  455 

Hektar  Agrumen  auf  Sicilien  wirft  zehnmal  so  viel  ab  als  die  gleiche 
Flüche  bebten  Weizenbodens  im  leontinischen  Gefilde,  hundertmal  so 
viel  als  dieGebirgsforsten  des  südlichen  Deutschlands.  Von  dem  Nutzen 
antiken  Obstbaus  zeugt  die  Nachricht,  dafs  einzelne  Baume  bei  Rom 
eine  Jahresrente  von  2000  Sesterzen  (435  fiiark)  einbrachten,  i)  Ge- 
genwärtig nimmt  der  Weinstock  6,31,  der  Oelbaum  3,04  Procent  der 
Gesammtfläche  des  Königreichs  Italien  ein.  Seinen  ehemaligen  Rang 
als  Weinland  hat  es  zwar  an  Frankreich  eingebüist,  aber  mit  seiner 
Oelausfuhr  von  1 — ^2  Million  Centner  steht  es  auf  dem  Weltmarkt  noch 
immer  an  oberster  Stelle.  Die  Ausbildung  der  Baumzucht  gehört  dem 
Jahrhundert  an,  welches  auf  den  Erwerb  der  Weltherrschaft  und  die 
Zerstörung  Karthago's  folgt  Am  Schlufs  desselben  spricht  der  alte 
Varro  mit  Stolz  aus  dafs  ganz  ItaUen  ein  einziger  Baumgarten  sei.') 
Die  Wirkung  welche  diese  Umwandlung  auf  die  Nation  geübt,  indem 
sie  das  Anwachsen  der  Sklaverei  beförderte,  wird  in  anderem  Zusam- 
menhang dargelegt  werden.  An  dieser  Stelle  drängt  sich  die  Bemer- 
kung auf,  dafs  sie  nicht  wenig  zum  Untergang  des  Freistaats  beigetra- 
gen hat.  Als  einen  Haupthebel  des  Untergangs  betrachten  wir  die 
Tranksucht  der  Römer,  die  zu  einer  allgemeinen  Volkskrankheit  erst 
vermöge  des  blähenden  Weinbaus  ausarten  konnte.  3)  Noch  deutlicher 
erklärt  uns  die  Baumzucht  die  Wehrlosigkät  des  ganzen  Landes  gegen- 
über dem  gesetzlosen  Treiben  kleiner  Factionen.  Nicht  umsonst  gilt 
die  Olive  als  Sinnbild  des  Friedens.  Nach  dem  harten  Kriegsrecht  des 
Altertums  kann  der  Feind  die  Fruditbäume  umhauen  und  damit  dem 
Pflanzer  auf  Jahrzehnte  hinaus  den  Ertrag  rauben,  während  der  Hirte 
sein  Vieh  in  Sicherheit  treibt  und  der  Ackerbauer  nur  die  Ernte  eines 
einzigen  Jahres  einbttfst^)  Wol  starrte  die  Halbinsel  von  Festungen 
als  Caesar  und  die  Triumvirn  einrückten,  aber  in  allen  Krisen  der  un- 
tergehenden RepubUk  haben  die  Besitzer  nie  daran  gedacht  mit 
Preisgabe  ihrer  Pflanzungen  auf  den  Mauern  die  Freiheit  zu  ver- 
theidigen.  Damals  als  jede  italische  Stadt  dem  Hannibal  die  Thore 
schlofs,  war  das  Land  noch  arm  und  von  gartengleichem  Anbau  weit 
entfernt. 


1)  PliD.XVU8vgl.Xy39fg. 

2)  Varro  RR.  I  2  non  arbarihu  eomita  Italia  est  ut  tota  pomarhtm  vi- 
deatur? 

3)  PUn.XIVt37fg. 

4)  Vgl.  Hehn«  105  und  das  S.  453  A.5  angeführte  Beispiel. 


456  Kap.  X.  Die  Vegetation. 

§  6.    Der  Gartenbau.^) 

Den  EinfluTs  des  Auslands  auf  die  Bodencultur  haben  wir  in  den 
vorhergehenden  Ausführungen  besonders  hervorgehoben.  Vielleicht 
noch  wichtiger  als  der  Absatz  auf  dem  Weltmarkt  ist  der  eigene  Be- 
darf für  die  Umbildung  derselben  geworden.  Die  Schätze  des  Erdkrei- 
ses strömten  in  dem  herrschenden  Land  zusammen ,  seit  dem  Sturz 
Karthago's  beginnt  Rom  sich  zur  Weltstadt  zu  entwickeln,  in  verschie- 
denen Theilen  Italiens  ttben  aufblühende  Städte  eine  wenn  auch  weit 
geringere,  so  doch  immer  bedeutsame  Anziehung  auf  die  Umgegend 
aus.  Es  giebt  keine  vortheilhaftere  Nutzung  des  Bodens  als  diejenige 
ist  die  Grofsstädter  mit  ihrem  täglichen  Bedarf  an  KOchenkräutem 
Früchten  und  Blumen  zu  versorgen.  Diese  Regel  war  den  Alten  ebenso 
geläufig  wie  uns.^)  Nach  Sttden  fortschreitend  wird  die  animalische 
Nahrung  immer  mehr  durch  vegetabilische  ersetzt.  „Die  Kttcheoge- 
wächse  sind  hier  mannichfacher,  und  auf  den  Krautmärkten  der  grOlsern 
Städte  pflegt  um  die  Springbrunnen  herum  eine  verwirrende  Menge 
Wurzeln  Blätter  und  Knollen  aller  Art  den  musivischen  Steinboden 
zu  bedecken  und  die  Auswahl  zu  erschweren.  Manches  davon  ist  bei 
uns  nicht  bekannt,  nicht  gebräuchlich,  das  Bekannte  erscheint  in  zahl- 
reichen Varietäten;  auch  stammen  unsere  deutschen  Gemüse,  wie 
schon  ihr  Name  lehrt,  fast  alle  aus  Italien,  nur  wenige  sind  ursprüng- 
lich in  Deutschland  heimisch.'^  ^)  Namentlich  der  ärmere  Theil  der 
Bevölkerung,  der  nur  ausnahmsweise  Fleisch  geniefst,  ist  auf  GemQse 
angewiesen.^)  Die  Versorgung  des  Gemüsemarktes  (forum  oläo- 
rium)  nahm  im  Altertum  ausgedehnte  Flächen  in  Anspruch,  die  Gräben 
und  Glacis  der  alten  Festungen  wandelten  sich  in  der  Friedensepoche 
Italiens  in  Gartenringe  um.^)  Die  Gemeinden,  deren  Namen  in  der 
früheren  Geschichte  der  Republik  mit  Kriegen  und  Feldzügen  unzer- 
trennlich verknüpft  scheinen,  sind  jetzt  auf  den  bescheidenen  Ehrgeiz 


1)  H.  Wiskemano,  die  antike  Landwirtschaft  und  das  von  Thönensche  Ge- 
setz, Preischr.  d.  Jablonowskischen  Gesellschaft  Vn,  Leipzig  1859.  W.  A.  Becker, 
Gallos  111*29  fg. 

2)  Varro  116  itaque  sub  turbe  eolere  hortos  laU  eäcpedii,  sie  violarU  tc 
rasaria  item  multa  quae  urbs  recipit^  cum  eadem  in  longinquo  praedio,  übt 
non  Sit  quo  deferri  posiit  venale,  non  expediat  eolere. 

3)  Hehn,  Italien  40  vgl.  Galturpfl/  425. 

4)  Plin.  XIX  51  Romae  quidem  per  se  hortus  ager  pauperis  eraU  ex  kerio 
plebei  maeellum» 

5)  Cyrillische  Glosse  p.  146  Labb.  o  ivrog  ^  ixvo^  telxovg  x^tioq^  na(fd' 
6$iaoq  pomerium» 


§  6.   Der  Gartenbau.  457 

herabgesetzt  in  der  Güte  ihrer  Marktgewachse  mit  einander  zu  wett- 
eifern.  Der  alte  Cato  hatte  unter  aUen  dem  Kohl  den  höchsten  Rang 
zugesprochen  und  seine  Landsleute  stimmten  ihm  bei :  um  den  Ruhm 
den  vorzüglichsten  Kohl  zu  erzeugen  streiten  mit  einander  Aricia 
and  Ardea,  Tibur  und  Signia,  Capua  Gaudium  Gumae  Neapel  Pom- 
peji Stabiae,  die  Landschaften  der  Brettier  Marruciner  und  Sabeller.^) 
Ostia  und  Aricia  glänzen  durch  ihren  Lauch  2),  Tusculum  und  Ami- 
ternum  durch  ihre  Zwiebeln'"^),  Amiternum  und  Nursia  durch  ihre 
Rttben.4)    In  der  Spargelzucht  fand  Ravenna  nicht  seines  Gleichen: 
3  Stengel  wogen  ein  Pfund  (327  gr).^)   Auf  dem  Obstmarkt  sind 
alle  Gaue  der  Halbinsel  vertreten:  sogar  Verona  beschickt  ihn  mit 
Pfirsichen.  <^)  Besonderen  Ruf  geniefsen  die  Aepfel  von  Ameria  ^),  die 
Birnen  von  Crustumium  Tibur  Tarent,  aus  dem  Falernergau  nnd  Pice- 
Dum  ^),  die  Feigen  von  Tusculum  Herculaneum  und  der  Sabina  %  die 
Lambertsnüsse  von  Avella  und  Praeneste  ^^)  u.  s.  w.  Auch  die  Blu- 
menzucht nimmt  in  der  Wirtschaft  eine  Stelle  ein.  Aber  während 
eine  grofse  Menge  verschiedenartiger  Küchenkräuter  und  BaumfrUchte 
gebaut  wurden,  beschränkten  sich  die  Alten  auf  verschwindend  wenige 
Blumenarteo.    Mit  Rose  Lilie  Veilchen  und  Crocus  ist  ziemlich  die 
ganze  Zahl  erschöpft.  Eine  so  liebUche  Erscheinung  z.  B.  wie  die  in 
Italien  einheimische  Nelke  hat  erst  in  der  Zeit  der  Renaissance  die 
Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt.   Zwar  haben  die  Römer  einen  über- 
schwanglichen Luxus  mit  Blumen  getrieben;  aber  dieser  äufsert  sich 
nicht  wie  in  Holland  in  der  Vorliebe  für  Seltenheiten  und  neue  Arten, 
sondern  weit  derber  und  roher  in  der  Massenhaftigkeit  des  Verbrauchs. 
Um  der  Hauptstadt  zu  genügen  reichte  die  nähere  Umgebung  nicht 
aus;  die  Bezugsquellen  erstreckten  sich  bis  nach  Gampanien  und  den 
gefeierten  Rosengärten  von  Paestum.  ^  ^)  Die  allgemeine  Voiüebe  führte 


1)  Cato  RR.  156  fg.  Goi.  X  127  fg.  Fun.  XIX  136fg. 

2)  Pilo.  XIX 110  Gel.  X  139  mater  Ancia  porH, 

3)  Plin.  XIX  105. 

4)  PUn.XlX77  Cd.  X  421. 

5)  Pilo. XIX  54. 153  (vgl.  Gate  161)  Mart.  Xin2i. 

6)  PUn.  XV  48. 

7)  Gel.  V  10  Plin.  XV  50. 

8)  GoL  V  10  PliD.XV58fg.  GoLX  138  pomosum  Tibur  Verg.  Georg.  II 88. 

9)  Cato  RR.  8  Varro  1 67  Macrob.  Sat.  lU  16, 12  Plat.  Pomp.  67, 3. 

10)  Cato  8  Gol.VlO  Macrob.  Sat.  III 18, 5. 

1 1)  Martial  IX  60  Verg.  Georg.  IV  119  Ov.  Met.  XV  708  ex  Ponto  II 4, 28  Prop. 
V5,61  GoLX  37. 


458  Kap.  X.  Die  VegeUüon. 

auch  dahin  zur  Winterzeit  Blumen  in  Treibhäusern  zu  ziehen:  eine 
uns  wie  manche  andere  harmlos  dttnkende  Aeuberung  des  Luxus,  die 
im  Altertum  als  naturwidrig  gescholten  wardJ) 

Der  Gartenbau  hat  auch  eine  Gartenkunst  ins  Leben  gerufen. 
Die  alte  RepubUk  kannte  dergleichen  nicht:  in  den  Festungen  war  für 
Blumenbeete  und  Zierbflume  kein  Platz,  die  Gutsherren  aber  beschäf- 
tigen sich  mit  ihrer  Wirtschaft  und  der  Steigerung  ihrer  Bodenrente.') 
Der  Landsitz  des  Scipio  Africanus  bei  Liternum  wird  uns  ungeachtet 
der  neumodischen  Bildung  des  Inhabers  als  eine  befestigte  Burg  be- 
schrieben.^) Mit  dem  zunehmenden  Reichtum  wird  die  äufsere  Um- 
gebung behagUcher  und  anmutiger  gestaltet,  das  Raumbedürfnifs  das 
Streben  nach  Luft  und  Licht  wuchst.  Die  Ruinen  von  Pompeji  zeigen, 
dafs  in  späterer  Zeit  ein  Blumengärtchen  als  notwendiges  Zubehör 
einer  bescheidenen  Stadt wohnung  betrachtet  wurde;  in  den  engen 
Mietsgelassen  Roms  zog  man  Blumen  in  den  Fenstern.^)  Im  letzten 
Jahrhundert  v.  Chr.  werden  die  Meierhöfe,  welche  zu  Tausenden  Italien 
erfüllten,  in  wirkUche  Herrensitze  umgewandelt,  mit  jenem  massen- 
haften Aufwand  von  Mitteln,  der  dem  römischen  Luxus  eignet,  ohne 
Rücksicht  auf  Kosten  in  tollem  Wetteifer  der  Grofsen  unter  einander 
verschwenderisch  ausgestattet.  Ein  Baufieber  beseelte  die  Zeitgenosseo 
Caesars  und  seiner  Nachfolger,  desgleichen  die  Welt  nicht  wieder  ge- 
schaut hat  Um  die  Principien  ihrer  Gartenkunst  zu  erfassen,  mOgeo 
wir  von  den  heutigen  Verhältnissen  ausgehen^):  „die  Villa  ftthrtso 
zu  sagen  nur  künstlerisch  aus  was  ohne  sie  in  der  sttdeuropäischen 
Vegetation  vorgebildet  liegt.  Geradlinig,  mathematisch  gezeichnet,  mit 
schwarzen  LaubwSnden ,  in  stillen  reinen  Umrissen  umgiebt  sie  den 
Besitzer  wie  eine  humanisirte  ideale  Natur,  die  das  SauleogebSude  in 
der  Mitte  harmonisch  fortsetzt  und  in  der  die  marmornen  Götterbilder 
auf  grünem  Hintergrunde  den  schönsten  Platz  finden.  Die  Villa  ver- 
hält sich  zum  Walde  wie  der  Tempelbau  zu  den  Bergen.  Im  Winter 
erquickt  hier  den  Lustwandelnden  die  warme  Sonne  zwischen  immer- 
grünen Gewächsen ,  im  Sommer  kühlt  ihn  der  plätschernde  Spring- 
brunnen ,  indefs  der  Blick  durch  die  freien  OefTnungen  auf  die  blaue 
Sierra  oder  das  Meer  mit  seinen  Inseln  oder  auf  die  ruinenbesäte  Dm- 


1)  Sen.  Ep.  122, 8  Martini  IV  22, 5  VIO 14  Macrob.  Snt  VD  5,  S2. 

2)  Plin.  XIX  hl  Vnrro  RR.  U  praef.  Ol  2. 

3)  Sen.  Ep.  86, 4. 

4)  Meine  Pomp.  Stadien  647  Martini  XI 18. 

5)  Hehn,  Italien  76,  gegen  den  flbrigens  die  nngeknflpfte  Polemik  sieh  richtet 


§  6.  Der  Gartenbau.  459 

gegend  filUt.'^  Freilich  ist  es  ein  grofser  Irrtum  diese  Schöpfung  mo- 
derner Menschen,  die  dem  Zeitalter  der  Renaissance,  der  Naturwis- 
senschaften und  Entdeckungen  entstammt,  dem  römischen  Altertum 
luzuweisen.  Die  Ucbereinstimmung  zwischen  italienischer  und  alt- 
romischer  Gartenkunst  beschrankt  sich  auf  den  beiden  gemeinsamen 
architektonischen  Grundcharakter,  welcher  durch  die  Vertiältnisse  des 
Landes,  durch  Klima  und  Vegetation,  auch  durch  den  hohen  Wert  des 
Bodens  bedingt  ist  Aber  im  Uebrigen  mufs  man  an  letztere  einen 
recht  niedrigen  Hafsstab  anlegen.  Der  römische  Ziergarten  ist  in  der 
Stadt  entstanden  und  hat  diesen  Ursprung  nie  verleugnet.  Er  wird 
angelegt  um  mehr  Wohnräume  zu  schaffen  und  diesen  ein  groCseres 
Quantum  von  Luft  und  Licht,  Sonne  und  Schatten  zu  vermitteln.  Des- 
halb ist  er  rings  von  Säulenhallen  und  dahinter  liegenden  Zimmern 
eingefafst.  Der  erforderliche  Grund  und  Boden  wird  durch  das  Nieder- 
reifsen  von  so  und  so  viel  Bürgerhäusern  gewonnen.  Schritt  für  Schritt 
können  wir  in  Pompeji  die  aUmäliche  Ausdehnung  der  Palastgärten 
verfolgen.  Genau  nach  städtischem  Vorbild  ist  das  Landhaus  die  vitta 
pseudurhana  angelegt^)  Es  setzt  sich  zusammen  aus  einer  verwirren- 
den Menge  von  Atrien  Peristylen  Triclinien  Pahestren  Portiken  und 
Kryptoportiken,  die  unter  sich  nur  durch  den  Gedanken  verknüpft  sind 
dem  Besitzer  zu  jeder  Jahr-  und  Tageszeit  die  grOfstmOgliche  Bequem- 
lichkeit zu  bieten.  Eine  Reihe  lieblicher  Bilder,  anmutiger  Einzelheiten 
liefs  sich  derart  schaffen,  aber  keine  Einheit.  Jede  Wirkung  der  Villa 
in  der  Landschaft  war  schon  deshalb  ausgeschlossen,  weil  sie  kein 
Aufsenbau  sein  konnte,  weil  sie  ihr  Licht  durch  geschützte  Innenhofe 
erhielt.  Zwar  sind  in  der  Kaiserzeit  einzelne  Räume  mit  Glasfenstern 
ausgestattet  worden ;  aber  diese  schüchternen  Anfänge  haben  erst  nach 
mehr  als  einem  Jahrtausend  zur  Schöpfung  des  einheitlichen  modernen 
Hauses  geführt.^  Mochte  der  Aufwand  auch  noch  so  colossal  sein,  ein 
Kunstwerk  wie  die  italienische  Villa  der  Neuzeit  ward  damit  doch  nicht 
erreicht')  Man  kann  sich  kaum  etwas  Langweiligeres  denken  als  jene 
endlosen  Säulenhallen  und  jene  Masse  von  Baulichkeiten,  welche  Ha- 
drian  auf  seiner  Prachtanlage  bei  Tibur  zu  einem  gigantischen  Rari- 


1)  Wie  Vitmv  VI  8,  3  ausdracklich  hervorhebt  nnd  die  Ruinen  sattsam 
bestätigen. 

2)  Meine  Pomp.  Stnd.  697.  Auch  die  rtaisckoD  VUlen  im  Norden,  wo  das 
Klima  den  Peristylban  ansschlols,  haben  die  Landschaft  mit  ihren  langen  Fan- 
den gewifo  nicht  verschönert  vgl.  Heitner  Westdeotoche  Zeilschrift  II  15  fg. 

S)  Sali.  Gat  12  domas  atque  vilia»  in  urbütm  modum  exoBÜfieatas. 


460  Kap.  X.  Die  Vegetation. 

tätencabinet  vereinigt  hat.  Freie  Natur  duldete  der  Römer  in  seiner 
Umgebung  nicht.  Die  Herren  all  der  prunkenden  Schlösser  blieben 
reich  gewordene  Bauern  ohne  einen  Funken  ritterlichen  Sinnes.  Das 
Wild  mästeten  sie  in  engen  Gehegen  und  halbdunkeln  Vogelhäusern.^) 
Wie  Mensch  und  Thier,  so  drückten  sie  auch  der  Pflanzenwelt  den 
Stempel  der  Knechtschaft  auf.  Die  immergrünen  Gewächse  Buchsbaum 
Cypresse  Lorbeer  Myrte  werden  nicht  nur  in  Hecken  Wänden  und 
Einfassungen  gezogen,  wozu  sie  sich  vorzüglich  eignen,  sondern  aach 
verschnitten  zu  Kegeln  Kugeln  und  Namenszügen ,  Schiffen  Thieren 
und  allen  möglichen  Alfanzereien.^)  Mit  der  Monarchie  verbreitet  sich 
die  neue  Mode.  Gewifslich  hat  der  römische  topiarius  seinen  CoUegeo 
in  China  und  Frankreich  an  Kunstfertigkeit  nicht  das  mindeste  nach- 
gegeben, lieber  den  Geschmack  dieses  Rococo  mag  auch  Jeder  den- 
ken wie  er  will. 3)  Aber  wenn  Hehn  „den  Ausdruck  der  heitern  Freude 
an  Form  und  Mafs^'  darin  erblickt,  müssen  wir  doch  betonen,  dafs  eine 
derartige  Mishandlung  der  Natur  in  allen  Fallen  die  Unfreiheit  der 
menschlichen  Gesellschaft  wiederspiegelt,  aus  welcher  das  heutige 
Europa  durch  Ströme  von  Blut  sich  emporgearbeitet  hat^  durch  welche 
das  Culturreich  des  fernen  Ostens  zu  greisenhafter  Ohnmacht  verur- 
theilt  und  endlich  das  römische  Altertum  zu  Grunde  gegangen  ist. 

§  7.    Die  Landschaft. 

Dem  Leser  wird  es  nicht  entgangen  sein,  dafs  das  antike  Italien 
ein  anderes  landschaftliches  Gesicht  zur  Schau  trug  als  das  heutige. 
Wir  wollen  versuchen  die  Unterschiede  kurz  nachzuweisen.  Der  aesthe- 
tische  Charakter  eines  Landes  wird  durch  vier  Hauptfactoren  bedingt: 


1)  VarroRRin5fg.l2rg. 

2)  PUd.  XVI 76. 140  XV  122. 131  Pirmic.  Math.  VDI 10. 

3)  Der  JüDgere  Plinins  hat  eine  wahrhaft  kindliche  Frende  daran  V  6, 16 
ante  porUeum  xy»tui  in  plurimas  tpeeiet  disiineiui  eoncUusque  kuxo;  dt- 
misms  inde  pronusque  pultrinus,  cui  beiUarum  effiffiet  inmeem  advenai 
buxui  inscriptit:  acanthuM  in  piano  moüit  et  paene  dixerim  Uquidus,  ambit 
hunc  amkulaUo  preisis  varieque  tonsis  viridibus  incbisa:  ab  kis  gettoHo  uc 
modum  drei,  quae  btuntm  mulUformem  kumiiesque  et  retenias  manu  arbu- 
seuiae  eiretanii,  eb.  35  aHbi  pratulum  alibi  ipsa  buxus  inttrvenU  im  fermat 
miUe  deseripta,  litteroM  interdum  quae  modo  nomen  domini  dieunt  modo  er- 
tifieis:  aUemis  metulae  surgunt  aliemis  ineerta  tuni  poma^  et  in  opert 
urbanissimo  subita  velut  iniati ruris  imitatio,  medium  Mpathm 
brevioribus  utrimque  platanis  adornatur:  post  hae  aetaUhut  hine  inde  hh 
brieus  et  ßexuoiue^  deinde  phtres  figurae  pluraque  nomina. 


§  7.  Die  Landschaft.  461 

durch  das  Relief  des  Bodens,  durch  die  Beleuchtung,  durch  die  Vege- 
tation und  endlich  durch  den  menschlichen  Anbau.  Was  zunächst  den 
ersten  betrifft^  so  versteigt  einseitige  Schwärmerei  sich  wol  zu  der  Be- 
hauptung, dafs  die  B  e  r  g  f  0  r  m  e  n  des  Südens  schöner  modellirt,  durch 
höheren  Adel  vor  den  nordischen  ausgezeichnet  seien,  ohne  zu  beden- 
ken dafs  die  gleichen  Felsarten  v^eder  an  geographische  Längen  noch 
Breiten  gebunden  sind,  sondern  auf  der  ganzen  Erde  vi^iederkehrend 
überall  auch  die  gleichen  Bergformen  hervorbringen  mtlssen.  Die 
Majestät  der  Gebirge  hängt  von  ihrer  Erhebung  ab.  Die  Alpen  und 
die  Koste  Norwegens  führen  uns  die  Erhabenheit  der  Natur  vor  Augen, 
die  wir  am  Mittelmeer  vermissen.  Statt  dessen  ist  eine  vollendete  An- 
mut hier  ausgebreitet  Die  bewegte  geologische  Vergangenheit,  der 
Kampf  des  Festen  und  Flüssigen,  die  Vulkane  mit  ihrer  feinen  Linien- 
gebung  —  alles  hat  zusammen  gewirkt  um  an  der  tyrrhenischen  Seite 
Italiens  einen  Reichtum  an  Umrissen  zu  vereinigen ,  der  schwerlich 
irgendwo  überlrofTen  wird.  Es  fehlt  ja  auch  nicht  an  schönen  Bildern 
an  der  Adria,  aber  diese  verblassen  neben  der  überwältigenden  Fülle, 
die  in  buntem  Wechsel  von  den  Seealpen  bis  zur  Südspitze  Brultiums 
ununterbrochen  fortläuft.  Gelegentlich  ist  angemerkt  worden,  wie  in 
bekannten  Landschaftsbildern  (S.  269.  308  u.  a.)  einzelne  bedeutsame 
Züge  sich  verändert  haben ;  aber  wenn  von  dem  allgemeinen  Charakter 
die  Rede  ist,  kommen  derartige  Kleinigkeiten  selbstverständlich  nicht  in 
Betracht  Das  nämliche  gilt  von  der  Farbe,  in  welcher  der  eigent- 
liche Zauber  des  Südens  ruht  Die  Sonnenstrahlen  fallen  unter  steilerem 
Winkel,  daher  mit  gesteigerter  Kraft  ein.  Die  Gegensätze  des  Lebens, 
die  sich  unter  hohen  Breiten  vermengen,  Tag  und  Nacht  sind  scharf  ge- 
schieden :  dort  blendender  Glanz,  hier  schwarzes  Dunkel,  ein  berau- 
schendes Farbenspiel  beim  Uebergang  von  einem  zum  anderen.  Die 
höhere  Erwärmung  bewirkt  die  gröfsere  Reinheit  der  Luft.  Ohne  Trü- 
bung vermag  dieselbe  mehr  verdunstetes  Wasser  aufzunehmen  und 
schwebend  zu  erhalten  als  diesseit  der  Alpen.  „Der  höheren  Sättigung 
der  Luft  mit  Wasser  verdanken  Maler  und  Naturfreunde  das  sonnige 
Blau  der  Femen,  sowie  ihre  vielen  Abstufungen  ohne  Verlust  an  Schaffe 
der  Umrisse.  Die  höhere  Erwärmung  und  die  gröfsere  Lichtfülle  ver- 
ursachen die  Milderung  und  Besänftigung  alles  Fernen ,  und  so  ent- 
stehen jene  zarten  Farbentöne  ^  welche  uns  an  südliche  Landschaften 
zum  Nimmersattwerden  fesseln.^^  i)  Unter  den  heutigen  Reisenden  wird 

1)  0.  Peschel,  Abhandlungen  zur  Erd-  und  Völkerkunde,  N.  F.  Leipzig 
1S7S,  p.  499. 


462  Kap.  X«  Die  VcgetaÜoD. 

gern  darüber  gestritten,  ob  der  Himmel  Italiens  blauer  sei  ab  der 
uosrige  und  wo  die  tiefe  Bläue  desselben  beginne.  Es  steht  Jedem 
frei  nach  seinen  persönlichen  Eindrücken  die  Frage  beliebig  zu  beant- 
worten. Sieher  dagegen  ist,  dafs  das  Mtttelmeer  in  einer  Pracht  leuch- 
tet, von  der  man  an  den  Ufern  der  Nord-  und  Ostsee  keine  VorsteUung 
gewinnt:  purpurn  heifst  es  bei  Homer  und  vereinigt  in  der  That  alles 
was  es  an  Farbenglanz  giebt,  in  sich.  Sicher  ist  auch,  dafs  der  Mond 
mit  ganz  anderer  Kraft  die  Dunkelheit  erhellt  als  bei  uns,  dals  das 
Weben  der  Nacht  machtvoller  die  Sinne  bestrickt  Klar  und  bestimmt, 
reich  und  anmutig  wölbte  sich  der  Himmel  über  dem  Süden,  befähigte 
den  Menschen  das  Geheimnifs  sinnlicher  Schönheit  leichter  zu  erfassen. 
Wir  schauen  Berg  und  Hügel,  Land  und  Meer  in  denselben  Um- 
rissen, in  demselben  Licht  wie  die  Alten  und  eriialten  doch  andere 
Eindrücke;  denn  solche  werden  vor  allem  durch  das  Pflanzenkleid 
beeinOufst.  Dem  heutigen  ItaUen  giebt  der  Mangel  an  Wald  sein  land- 
schaftliches Gepräge.  Dafs  dessen  Zerstörung  einen  unberechenbaren 
wirtschaftlichen  Schaden  verursacht  hat,  unterliegt  keinem  Zweifel: 
ebensowenig  dafs  das  Land  durch  sie  an  Reiz  eingebüfst  hat  Unter 
diesem  blendenden  Licht,  bei  diesen  grellen  weifsen  grauen  gelben 
Farben  lechzt  das  Auge  nach  Grün.  Schweriich  würden  die  griechi- 
schen Berichterstatter  zur  Zeit  des  Augustus  mit  solchem  Entzücken 
von  der  Waldfrische  Italiens  reden,  wenn  ihre  Blicke  auf  den  wüsten 
brennenden  Berglehnen  geruht  hätten,  die  der  Appennin  gegenwärtig 
darbeut.  Ein  Waidmann  wie  Polybios  wird  vermutlich  mit  gröfeerem 
Behagen  durch  die  Forsten  des  Polands  geritten  sein,  als  der  heutige 
Reisende  die  eintönigen  Reis-  und  Weizenfelder  durchmifst.  Vollends 
die  öden  Steppen  der  Halbinsel  müssen  seit  jener  Vergangenheit,  da 
die  Buche  sich  in  den  Wellen  der  tyrrhenischen  See  spiegelte,  ebenso- 
viel verloren  haben  wie  das  Alter  gegenüber  der  blühenden  Jugend. 
Die  Stelle  des  Waldes  nehmen  jetzt  einzelne  Bäume  und  Baumgruppen 
ein.  Sie  gehören  vorwiegend  der  immergrünen  Flora  an  und  verMhea 
mit  ihren  starren  Formen  ihrer  düstern  schwärzlichen  Farbe  der  Land- 
schaft einen  architektonischen  Ausdruck.  Auch  hier  vermag  ich  der 
Ansicht  nicht  beizupflichten,  welche  für  Pinie  Cypresse  und  wie  diese 
niedrigen  Culturbäume  sonst  noch  heifsen,  eine  höhere  Stufe  der  Ent- 
wicklung in  Anspruch  nehmen  will  als  für  die  freien  Söhne  unserer 
Wälder.  Sehr  wahr  bemerkt  Fischer  dafs  die  ganze  immergrüne  Vege- 
tation „durchaus  jene  lebensvolle  Frische  Miltel-Europa's  entbehrt, 
an  der  sich  derjenige  immer  und  immer  wieder  erquickt,  der  lange 


§  7.  Die  Lindschaft.  468 

Zeit  im  sadlichen  Mittelmeergebiet  gelebt  bat.^^  Derber  äufserte  sich 
derNatursinn  eines  weltkundigen  Seemanns:  die  gepriesene  Flora  der 
Tropen  sjihe  aus  wie  lackirtes  Blech.  Es  ist  leicht  verständlich,  warum 
die  Alten  die  tropischen  Fremdlinge  um  ihre  Tempel  und  Villen  an- 
pflanzten; denn  dieselben  trotzen  dem  Winterschlaf  und  gewahren 
gerade  in  winterlicher  Jahreszeit  den  höchsten  Genufs.    Im  Uebrigen 
war  die  alte  Naturreligion  zeitlich  zu  wenig  entrückt,  als  dafs  die  Ehr- 
furcht vor  und  die  Freude  an  alten  Bäumen  aus  den  Gemütern  hätte 
gelöscht  sein  können.   „Wenn  Dir  —  schreibt  Seneca  t)  —  ein  dichter 
HaJD  von  alten  das  gewöhnliche  Mafs  überragenden  Bäumen  aufstöfst 
und  der  Schatten  der  in  einander  verschlungenen  Zweige  den  Anblick 
des  Himmels  verdeckt,  dann  giebt  der  schlanke  Baumwuchs  und  die 
Heimlichkeit  des  Ortes  und  die  Freude  an  dem  dichten  ununterbro- 
chenen Schattendunkel  im  offenen  Felde  die  Bflrgschall  von  der  Ge- 
genwart der  Gottheit^^    Es  hat  recht  lange  gedauert  —  bis  zur  Aus- 
breitung des  Christentums  — ,  bevor  die  Tempelhaine  im  Flachland 
der  Habsucht  der  Anlieger  sämmtlich  zur  Beute  üelen.^)  Von  der  re- 
ligiösen Verehrung  abgesehen,  hat  auch  der  Wald  das  aesthetische 
Gefühl  der  Alten  angeregt  und  befriedigt.  Die  Schilderungen  der  Dich- 
ter deuten  darauf  hin,  wenn  es  z.  B.  bei  Vergil  heifst '): 

fuantui  Atho$  out  fuanhu  Eryx  out  ipse  eoruseU 
cum  fremii  iHcibui  quanJhu  gaudetque  nivali 
vertiee  se  aUolleru  pater  Appenninu*  ad  auras. 

Der  jüngere  Plinius  beschreibt  das  obere  Tiberthal  folgender 
Mafsen^):  „die  Gegend  ist  wunderschön.  Stelle  Dir  ein  ungeheures 
Amphitheater  vor,  wie  es  allein  die  Natur  zu  bilden  vermag:  eine  weit 
ausgedehnte  Ebene  wird  von  Bergen  umgürtet,  die  Berge  sind  mit 
altem  Hochwald  bekrönt  und  haben  einen  reichen  Wildstand.  An  den 
Abhängen  zieht  sich  Schlagwald  hinunter,  dazwischen  fette  ErdhOgel 
(denn  Felsen  sucht  man  hier  überall  vergebens),  die  dem  ebensten  Ge- 
filde an  Fruchtbarkeit  nicht  nachstehen  und  eine  gesegnete  Ernte  wenn 
auch  etwas  später  zur  Beife  bringen.  Unterhalb  erstrecken  sich  Wein- 
berge rings  herum  und  gewähren  weit  und  breit  einen  einheitlichen 
Anblick.  Wo  sie  aufhören,  folgen  Obstpflanzungen  und  bilden  gleich- 
sam ihren  Saum  gegen  die  Ebene.  Diese  enthält  Wiesen  und  Korn- 

1)  Sen.Ep.41,3  PreUer,  Rom.  My th.«  95. 

2)  Rodorff,  Gromat.  faistitut.  26t  fg. 

3)  Yerg- Aen.  Xn  701  1164  Georg.  10332  OvidAm^DI  1, 1  LocanDUdO. 

4)  PliD.  Ep.  V  6,  7. 


464  Kap.  X.  Die  Vegetation. 

felder.  Riesige  Ochsen  und  die  stärksten  Pflüge  werden  allein  mit  dem 
Boden  fertig.  Nimmt  man  ihn  nach  der  Brache  in  AngrifT,  so  ist  er 
Sufserst  zäh  und  erhebt  sich  in  solchen  Schollen,  dafs  neunmal  ge- 
pflügt werden  mufs.  Die  Wiesen  prangen  im  Blumenflor,  Klee  und 
Gras  sind  zart  weich  und  gleichsam  ewig  jung;  denn  alles  wird  tod 
beständigen  Bächen  genährt.  Aber  trotz  der  Wasserfülle  ist  kein  Sumpf 
da,  weil  der  geneigte  Boden  das  empfangene  Wasser,  das  er  nicht  auf- 
nehmen kann ,  an  den  Tiber  abgiebt.  Dieser  schiflhare  Flufs  strömt 
mitten  durchs  Gefilde  und  trägt  alle  FeldfHlchte  nach  Rom  hinab  im 
Winter  und  Frühling;  im  Sommer  wird  er  seicht  und  trocken,  gewinnt 
dann  im  Herbst  neue  Kraft.  Die  Aussicht  auf  diese  Gegend  von  einer 
Anhühe  aus  gewährt  einen  grofsen  Genufs.  Man  glaubt  nämlich  niclit 
eine  Landschaft ,  sondern  ein  Gemälde  von  aufserordentlicher  Schön- 
heit zu  schauen:  ein  solcher  Wechsel,  eine  solche  Zeichnung  begegnet 
dem  Auge,  wohin  es  sich  wenden  mag.^'  Die  Beschreibung  traf  einst 
im  Grofsen  und  Ganzen  auf  viele  Thäler  des  inneren  Appennin  zu. 
Heut  zu  Tage  sind  die  einzelnen  Züge  deutlich  wieder  zu  erkennen: 
nur  der  Hochwald  und  der  Wasserreichtum  wird  vermifst. 

Die  Naturempfindung  wird  durch  das  persönliche  Vcrhältnifs  be- 
dingt, in  dem  der  Mensch  zur  Natur  steht  Erst  die  moderne  Wissen- 
schaft hat  den  inneren  Zusammenhang  der  ganzen  Erdoberfläche,  die 
Wechselwirkung  aller  Theile  unter  einander  aufgedeckt,  damit  zugleich 
den  Sinn  für  Hochgebirge  und  Wüste  erschlossen.  Der  Römer  er- 
götzte sich  an  schattigen  Bäumen  murmelndem  Wasser,  am  Ausblick 
über  das  weite  Heer  oder  eine  fruchtbare  anmutige  Gegend.  KOrpe^ 
liches  Behagen  geht  ihm  mit  landschaftlichem  Genufs  Hand  in  Hand. 
Die  yielen  Aeufserungen  desselben ,  welche  in  Prosa  und  Poesie  auf 
uns  gelangt  sind,  bekunden  sämmtlich  eine  idyllische  Stimmung.*) 
Solche  entsprach  auch  den  damaligen  Zuständen  Italiens.  Durch  der 
Götter  Gunst  und  die  Kraft  seiner  Bewohner  erfreute  sich  dies  geseg- 
nete Land  drei  Jahrhunderte  lang  einer  materiellen  Wolfabrt,  welche 
an  diejenige  des  heutigen  England  erinnert.  Das  Leben  gehörte  der 
Gegenwart,  nicht  einer  Vergangenheit  an,  die  zwar  frei  aber  daneben 


1 )  Quint  X  3,  24  siharum  amoenitat  et  praeterlabmitia  flumina  et  in- 
spirantes  ramU  arborum  aurae  volucrutnque  eantus  et  ipta  täte  eireumtpi' 
dendi  libertas  ad  te  trahunt:  ut  näht  remittere  potius  voluptas  ista  tide- 
atur  cogitaiionem  quam  intendere  vgl.  Friedländer,  Sittengeschichte  H  Ober 
die  Reisen  derTonristen  p.  47  fg.  nnd  das  Interesse  fCir  Natur  p.  118  fg.  A.T. 
Humboldt,  Kosmos  II  p.  6  fg. 


§  7.  Die  Landschaft  465 

auch  arm  gewesen  war.  Mochte  die  Wehmut  über  den  politischen  Um- 
schwung, den  Verfall  der  Sitten,  die  Zunahme  des  Luxus  den  ergrei- 
fendsten Ausdruck  suchen ,  der  Stolz  auf  den  strahlenden  Glanz  der 
Heimat  ist  den  römischen  Patrioten  darum  nicht  vergällt  worden. 
Noch  vor  Kurzem  war  Italien  das  Land  der  Geschichte,  der  Ahstand 
zwischen  einer  grolsen  Vergangenheit  und  einer  erhärmlichen  Ge- 
genwart empfing  den  Besucher  auf  Schritt  und  Tritt,  die  elegische 
Stimmung  die  ein  Kirchhof  hervorruft,  bemächtigte  sich  nur  zu  oft 
seines  Gemüts.  Wenn  es  der  wiedergebornen  Nation  wie  wir  hoffen 
gelingt  die  verödeten  Fluren  der  Halbinsel  der  Malaria  zu  entreifsen, 
einen  unabhängigen  Bauernstand  zu  schaffen ,  Schmutz  und  Ver- 
wahrlosung zu  beseitigen ,  dann  wird  der  Charakter  des  Landes  wie- 
der ein  einheitlicher  werden,  wie  er  im  Altertum  war.  Dem  antiken 
Menschen  ging  die  Empfänglichkeit  für  eine  elegische  Landschaft  kei- 
neswegs ab.  Den  chssischen  Boden,  wo  die  gebildete  Welt  sie  studirte, 
bot  Hellas  mit  seinen  verbissenen  Städten  und  seinen  grofsen  Erinne- 
rungen dar.  Wol  liefsen  sich  auch  am  Golf  von  Tarent  und  auf  Sici- 
lien,  in  Sybaris  und  Kroton,  Syrakus  und  Akragas  Betrachtungen  über 
die  Wandelbarkeit  menschlichen  Glücks  anstellen.  Mit  Lust  und  Eifer 
suchten  die  Touristen  wechselnde  Eindrücke  in  Italien  zu  erhaschen, 
eilten  von  der  überfeinerten  Cultur  Campaniens  in  die  menschenleeren 
Waldschluchten  Bruttiums  und  Lucaniens,  von  da  unter  den  milden 
Hinunel  van  Tarent  um  wieder  nach  der  Weltstadt  am  Tiber  zurück- 
zukehren.*) Aber  die  Verlassenheit  Grofsgriechenlands  hat  so  wenig 
den  Gesammtcharakter  bestimmen  können,  wie  etwa  Eifel  und  Lüne- 
burger Heide  denjenigen  unserer  Heimat.    Erst  nachdem  die  Mahria 
ibre  Herrschaft  am  tyrrhenischen  Meer  begründet  hatte,  in  den  Schil- 
deningen des  RutUius  und  Cassiodor  tritt  der  Verfall  als  landschaft- 
liches Element  in  den  Vordergrund,  den  er  seitdem  behauptet  hat  Von 
der  Blüte  des  Altertums  lehrt  uns  die  chissische  Einöde  Etruriens  La- 
tiums  Lucaniens  nur  die  äufseren  Umrisse  kennen.  Um  solche  zu  be- 
leben ,  müssen  wir  auf  diejenigen  Theile  des  Landes  zurückgreifen, 
welche  der  Gegenwart  angehören,  Frische  und  Kraft  des  Nordens  be- 
wahrt haben.  In  Piemont  und  der  Lombardei  umweht  uns  weit  mehr 
der  landschaftliche  Hauch  Altitaliens  als  unter  den  Ruinen  der  römi- 
schen Campagna. 

1)  Seo.  Disl.  IX  2, 13. 


Kitita.  IteLUndMlniBd«.   I.  30 


KAPITEL  XI. 


Die  TolksstSmme. 

Die  Darstellung  kehrt  zu  ihrem  Ausgang  surttck.  Das  politische 
Leben  Altitaliens  bleibt  dem  Zweiten  Bande  ▼oil>efaalten.  Indessen 
würde  ein  wichtiger  Zug  an  dem  Bilde,  das  wir  hier  su  entwerfen  so« 
eben,  fehlen,  wenn  die  Volksstftmme  die  das  Land  bewohnten,  keine 
Berücksichtigung  fänden.  Ihre  Herkunft  Bildung  Schidtsale  fallen  ent- 
weder ganz  oder  doch  grOfstentheils  aufserhalb  der  Ueberlieferung.  Sie 
werden  von  dieser  als  gegeben  vorausgesetzt  und  gewisser  Hafsen 
spiegelt  sich  die  Natur  des  Landes  in  der  Mannichfaltigkeit  seiner  Be- 
wohner wieder.  Viele  Jahrhunderte  verstrichen  bevor  der  Name  Italia 
die  Geltung  die  wir  ihm  beilegen,  erlangte;  noch  länger  hat  es  ge- 
dauert bis  innerhalb  dieser  Grenzen  gleiche  Sprache  und  Sitte  sidi 
verbreitete ,  eine  einheitliche  Nation  erstand.  Nach  einem  Ausspruch 
Q.  Cicero's  ist  die  Bürgerschaft  Roms  aus  einer  bunten  Mischung  von 
Stämmen  hervorgegangen.^)  Nach  einer  anderen  Nachricht  wurden 
die  Einwanderer  durch  das  milde  Klima  die  Fruchtbarkeit  des  Landes, 
seine  Aecker  und  Weiden,  seine  Flüsse  und  Häfen  angelockt;  sehr 
viele  Stämme,  heifst  es,  so  viel  wie  nirgend  sonst  liefsen  sich  in  Italien 
nieder;  vor  Alters  theilten  sich  1197  Städte  in  dessen  Besitz. 2)  Dieser 
Gesichtspunct  von  dem  wir  S.  57  ausgegangen  sind,  soll  nunmehr  zum 
Schlufs  näher  erörtert  werden.  In  den  meisten  Ländern  Europa's  be- 
gegnen nur  zwei  Stämme,  ein  älterer  und  ein  jüngerer,  von  denen 
jener  entweder  aus  seinem  Erbe  vertrieben,  zurückgedrängt  oder  unter- 
jocht und  seiner  Eigenart  beraubt  wird.  So  kennen  wir  auf  scandina« 
vischem  Boden  allein  die  beiden  Familien  der  Finnen  und  Germanen, 


1)  Q.  Cic.  de  pet  cons.  54  etvütts  ex  naiionum  eonveniu  eonttiiuia, 

2)  Aelian  var.  bist  IX  16. 


{  1.  Die  Liflfnrer.  467 

in  England  Kelten  und  Germanen,  in  der  deutschen  Tiefebene  Letten 
und  Slaven,  im  Süden  und  Westen  unseres  Landes  Kellen  vor  der  deut- 
schen Eroberung,  in  Gallien  neben  den  Kelten  Ligurer  und  Iberer,  auf 
der  spanischen  Halbinsel  Iberer  und  Kelten.  Die  angeführten  Beispiele 
weisen  darauf  hin,  dafs  die  Zugänglichkeit  eines  Landes,  wie  solche 
Germanien  und  Gallien  von  Scandinavien  Britannien  Iberien  unter«> 
scheidet,  das  Eindringen  verschiedenartiger  Völkerfamilien  begünstigt 
bat.  In  der  centralen  Lage  Italiens  erblickten  wir  den  Grund  für  die 
aufserordentliche  Mannichfaltigkeit  seiner  Bewohner.  Dafs  der  allge* 
meine  Volkscharakter  hierdurch  wesentlich  beeinflufst  worden  sei,  ver- 
steht sich  von  selbst.  Die  Klarheit  Glätte  Verständigkeit,  der  praktische 
Sinn  der  die  Römer  auszeichnet,  wird  aus  der  Mischung  abzuleiten  sein, 
aber  auch  der  Mangel  an  Schöpferkraft  die  aus  dem  tiefsten  Born  wah- 
ren Volkstums  emporquillt.  Jene  Eigenschaften  befähigten  die  rö- 
mische Cultur  dauernde  Eroberungen  in  einem  Umfang  zu  machen, 
welcher  der  hellenischen  trotz  ihrer  höheren  Vollendung  eben  wegen 
ihres  unvertilgbaren  nationalen  Gepräges  versagt  blieb.  Die  Latinisi- 
rung  Italiens  wird  durch  den  Erwerb  der  Weltherrschaft  eingeleitet, 
durch  den  Bundesgenossenkrieg  entschieden,  durch  die  Eroberung  der 
Alpen  abgeschlossen.  Das  römische  Bürgerrecht  bedingt  den  öffent- 
lichen Gebrauch  des  Latein :  Gericht  Verwaltung  Armee  Handel  Ge- 
sellschaft bedienen  sich  desselben,  die  Landessprachen  hören  auf  ge- 
schrieben zu  werden  und  sind  damit  dem  sicheren  Untergang  geweiht. 
Manche  derselben  sind  vor  Ertheilung  des  Bürgerrechts  zum  Rang  von 
Schriftsprachen  erhoben  worden  und  durch  erhaltene  Denkmäler  we- 
nigstens ihren  allgemeinen  Umrissen  nach  bekannt.  Die  Denkmäler 
bilden  naturgemäfs  die  Grundlage  einer  jeden  ethnographischen  For- 
schung. 0  Leider  entbehren  wir  derselben  für  verschiedene  alte  und 
bedeutende  Stämme,  welche  ihre  Unabhängigkeit  von  der  überlegenen 
Bildung  der  Nachbarn  nicht  zu  erringen  vermochten.  Für  solchen 
Mangel  gewähren  die  heutigen  Mundarten  nur  einen  dürftigen  Ersatz. 
Von  vornherein  läfst  sich  die  Annahme  nicht  abweisen,  dafs  im  Wort- 
schatz wie  den  Lautgesetzen  Berührungen  zwischen  den  Dialekten  und 
den  verschollenen  Landessprachen  statt  finden :  der  Gegensatz  zwischen 
dem  Norden  und  der  Halbinsel,  zwischen  der  gallischen  und  der  nicht 
gallischen  Hälfte  des  Nordens  ftillt  sofort  in  die  Augen  und  kann 


1)  Gesammelt  von  Ariodante  Fabretti,  Gorpos  inscriptioDnm  Italicamm  et 
Glossariam  Italicum,  Aug.  Taur.  1867  foL,  dazu  3  Supplemente,  Torioo  1872^78* 

30* 


468  Kap.  XI.  Die  YolkssÜmme. 

schlechterdings  nur  aus  einer  Nachwirkung  der  ursprünglichen  Stam- 
mes- und  Sprachverschiedenheit  erklärt  werden.  Aber  der  erkennbare 
oder  vorsichtiger  ausgedrückt  der  bisher  erkannte  Zusammenhang  bei- 
der beschränkt  sich  auf  äufserst  wenig  Erscheinungen ;  die  Länge  der 
Zeit  hat  ihn  verwischt,  i)  Was  endlich  die  historische  Ueberlieferung 
betrifft,  so  ist  streng  zu  scheiden  zwischen  den  wertvollen  Nachrichten, 
die  auf  Augenzeugen  zurückgehen,  und  jenem  Flickwerk  von  Vermu- 
tungen und  Trugschlüssen ,  mit  dem  die  Phantasie  der  Schriftsteller 
die  Anfänge  und  Ursprünge  der  Völker  auszuschmücken  liebt ^)  Das 
vorhandene  Material  läfst  an  Vollständigkeit  viel  zu  wünschen  übrig, 
reicht  indessen  aus  um  den  an  die  Spitze  gestellten  Satz  zu  erläutern. 

§  1.    Die  Ligurer.3} 

Später  als  die  Sikeler  aber  früher  als  Iberer  und  Kelten  tauchen 
die  Ligurer  in  der  hellenischen  Litteratur  auf.^)  Die  Gründung  von 
Massalia  hat  sie  den  Hellenen  vertraut  gemacht.  Ihr  Name  wird  zur 
Bezeichnung  des  gesammten  Westens  gewählt:  Hesiod  nennt  als  Haupt- 
völker an  den  Grenzen  der  Erde  Aethiopen  Skythen  und  Ligurer,  Eu- 
ripides  nennt  die  Kirke  eine  Ligurerin,  Eralosthenes  nennt  die  iberi- 
sche Halbinsel  ligurisch.^)  Die  Kühnheit,  mit  der  sie  auf  elenden  Käh- 
nen das  Heer  befuhren,  erregte  Bewunderung;  sie  fochten  regelmäfsig 
unter  den  Soldscharen  Karthago's.^^)  Die  Fabeln  welche  weit  entrückten 
Völkern  angehängt  zu  werden  pflegten,  fehlen  auch  hier  nicht:  die 


1)  Diez,  Grammatik  der  Romanischen  Sprachen  1>  p.  61  fg.  Etymologischtf 
Wörterbuch«  p.X fg. 

2)  Schwegler,  Römische  Geschichte  P  154  fg.  Tabingen  1867.  Kaspar  Zeufs 
die  Deutschen  und  die  Nachbarstamme,  München  1837.  L.  Dlefenbach,  Origines 
Europaeae,  die  alten  Völker  Earopas  mit  ihren  Sippen  und  Nachbarn,  Fraolt- 
furt  a.  M.  1861. 

3)  Albert  Bormann,  Ugastica  I— Dl  Gymnasialprogr.  Andam  1864.  65 
Stralsund  1868. 

4)  Aelteste  Erwähnung  bei  Hesiod  nach  Strabo  VII  300  und  Aescbylos  Str. 
IV  183  Dion.  Hai.  1 41.  FOr  die  tibliche  Namensform  Alyveg  braucht  Polybios 
stehend  Aiyvottvoi,  das  sich  u.  a.  Lykophr.  AI.  1356  findet.  A^ectiv  Jtyv- 
OTixog,  Strab.  IV  202  Aiyvatlvog;  Lateinisch  Ligus,  davon  Ugttria  Uguiti- 
cui  LigutUnui, 

5)  Strab.  YD  300  I  92.  93  Eurip.  Tro.  437. 

6)  Plnt  Aem.  PanL  6,  2  Diod.  Y  39,  8  Strab.  IV  203  Liy.  XL  18.  28.  - 
Herod.  YH  165  Diod.  XI 1  XYI  73  XXI 3  XXY  2  App.  Lib.  54  Pol.  117,  4  67, 7 
m  33, 16  u.  a. 


§  1.  Die  Ligorer.  469 

griechische  Bedeutung  des  Wortes  liefs  die  Ligurer  sangesfroh  erschei- 
nen und  die  Kunde  von  den  Singschwänen  am  Po  flofs  mit  dieser  Vor- 
stellung zusammen  ^) ;  weshalb  man  ihnen  aber  eine  Rippe  weniger 
als  anderen  Menschen  zuschrieb,  ist  nicht  zu  erraten.^)  Daneben  be- 
sitzen wir  aus  jüngerer  Zeit  yortrefiliche  auf  Poseidonios  zurückgehende 
Berichte,  welche  die  Eigenart  des  Stammes  vor  der  Romanisirung  schil- 
dern. Zuvorderst  wird  seine  Verschiedenheit  von  der  weitverzweigten 
Familie  der  Kelten  betont. 3)  Auch  ist  von  einer  eigenen  ligurischen 
Sprache  die  Rede,  die  für  uns  völlig  verschollen  ist.^)  Indessen  deutet 
die  auffallende  Sonderstellung,  welche  der  heutige  Dialekt  den  unter 
einander  eng  verwandten  gallo -itahschen  Dialekten  gegenüber  ein- 
nimmt^ klar  genug  auf  eine  selbständige  Abstammung  desselben  hin.^) 
Ganz  entsprechend  wird  die  abweichende  Körperbildung  hervorgeho- 
ben: mit  den  hohen  blonden  Kelten  verglichen  erschienen  die  Ligurer 
klein  behende  sehnig  zäh.^)  Sie  hatten  ferner  seit  viel  früheren  Zeiten 
als  jene  ihr  Land  im  Besitz:  Niemand  wufste  eine  Wander-  oder  Ur- 
spruDgssage  von  ihnen  beizubringen.'')  Einzelne  Schriftsteller  sind 
geneigt  in  ihnen  die  Urbevölkerung  Italiens  zu  erkennen :  so  erklärte 
PhiUstos  die  Sikeler  für  Ligurer,  liefs  Verrius  Flaccus  beide  Stämme 
ehedem  auf  der  Stätte  Roms  wohnen.^)  In  der  That  findet  sich  wenig- 
stens ein  annehmbarer  Beweis  für  ihre  ehemalige  Ausdehnung  nach 
Süden  hin.  Am  Westrand  Siciliens  safsen  die  Elymer  ein  rätselhafter 
Völkerspl  itter,  den  die  Alten  gewöhnlich  aus  Troia  herleiten,  während 
Hellanikos  ihn  vom  Festland  eingewandert  sein  läfst.^)  Die  Namen 
ihrer  Ortschaften  kehren  an  der  ligurischen  Küste  wieder,  so  dafs  eine 


1)  Plato  Phaedr.  237  a  Ov.  Met.  U  367  fg.  Pausan.  I  30,  3  Hygin  154  vgl. 
Verg.  Apd.  XI  457  dazu  Servias. 

2)  Arist.  hist.  anim.  1 15, 1  vgl.  de  mir.  ansc  89. 92. 

3)  Strab.  n  128  i&vfj  6h  xaxix^t  TCoUic  zo  oQoq  rovro  {tag  kXTtsig) 
KiXtixa  nXiiv  zmv  AiyvmV  ovxoi  6*  kregoe^itg  fjiiv  siat,  naQanhqcioi  dh 
Tolg  ßlotg. 

4)  Sen.  Dial.  Xn  7, 9.  Einzelne  Worte  Herod.  V  9  Püd.  m  122  Plat  Mar.  19 ; 
Diefenbach  a.  0.  p.  121;  aufserdem  Orkanamen. 

5)  Biondelli,  Saggio  ani  dialetü  gallo-italici,  Milano  1853. 

6)  IKod.  Y  39, 6. 

7)  Bion.  Hai.  110  Gato  Or.  II 1  Jord.  p.  9  Lignrei  omnes  fallaees  sunt,  sed 
ipti  unde  oriundi  sunt  exaeta  memoria,  tnliieraii  mendacesque  sunt  et  vera 
minus  meminere, 

8)  BioD.  Hai.  1 22  Fest.  p.  32t  M. 

9)  Dion.  Hai.  1 22  Thukyd.  VI  2,  mehr  Holm,  Gesch.  Sic.  1 374. 


470  Kap.  XI.  Die  VolkssOmme. 

Verwandtschaft  beider  Völker  nicht  abzuweisen  ist.^)    Ob  man  in  den 
Elymern  einen  versprengten  Rest  der  alten  Bewohner  Italiens  oder 
eine  zur  See  erfolgte  Niederiassung  der  Ligurer  erkennen  will,  mag 
dahin  gestellt  sein.  Im  Uebrigen  dürfen  wir  als  Thatsache  ansehen,  dab 
dieselben  neben  den  Iberern  ein  Hauptvolk  des  sfidwestlichen  Europa 
vor  Ankunft  der  Arier  ausmachten.    Die  Grenze  zwischen  Ligurern 
und  Iberern  wird  gewöhnlich  an  der  Rhone  angesetzt 3)  In  der  Folge 
haben  die  Kelten  von  Norden  her  auf  sie  gedrückt  und  ihnen  grofse 
Gebietsstrecken  entrissen.  Die  Ligurer  werden  auf  den  schmalen  Ge- 
birgskamm  beschränkt,  der  sich  um  den  Busen  von  Genua  bis  zum 
Arnus  hinzieht    Die  Wohnsitze  sind  klärlich  nicht  derart  wie  sie  ein 
siegreich  vordringender  Wanderzug  erkämpft,  sondern  die  Zufluchts- 
stätte, welche  die  Reste  einer  untergehenden  Nation  rettet')  Die  Ar- 
mut und  Wildheit  derselben  wird  von  Poseidonios  grell  ausgemalt^) 
„Sie  bewohnen  ein  rauhes  und  ganz  schlechtes  Land,  die  schwere  Ar- 
beit und  Entbehrung  macht  ihr  Dasein  mühselig  und  beladen.    Die 
einen  fällen  Holz  in  den  dichten  Waldungen  (S.  434),  die  Ackerbauer 
klopfen  Steine;  denn  der  Boden  ist  so  steinig  dals  sie  keine  Scholle 
aufreifsen  können  ohne  auf  solche  zu  stofsen.  Aller  Fleifs  erzieh  doch 
nur  eine  dürftige  Ernte.  Die  unablässige  Arbeit  und  mangelhafte  Nah- 
rung machen  den  Körper  mager  und  sehnig.    Die  Frauen  theilen  das 
Los  ihrer  Männer.  Es  ist  vorgekommen,  dafs  eine  Frau  auf  dem  Felde 
von  Wehen  befallen  ein  Kind  zur  Welt  brachte,  mit  Blättern  zu- 
deckte und  schleunigst  zu  ihrer  Arbeit  zurückkehrte  um  den  Tageloho 
nicht  einzubüfsen.  Der  Ertrag  der  Jagd  hilft  dem  Blangel  an  FeldfrQch- 
ten  etwas  ab.   Sie  sind  äufserst  gewandte  Bergsteiger.   Einige  leben 
ausschliefslich  von  Fleisch  und  wilden  Kräutern,  da  das  Hochland  (fir 
Demeter  und  Dionysos  unzugänglich  ist.  An  der  Küste  wächst  wenig 


1)  Eryx  und  porttu  ErycU  Lerici,  Segute  und  SegesU  Sestri ,  EntelU 
Stadt  und  Flnls,  Lavagna?  PtoLIUl,3. 

2)  Skyl.  3  Avien.  ora  mar.  608  Strab.  DI  166. 

3)  VgL  Avien  der  nach  altertflmlichen  Quellen  arbeitete,  Ora  mar.  132 

eespiiem  Ligurum  suöii 
canum  incolarum,  namque  Celtarum  manu 
crebrisque  dudutn  proeUis  vacuata  sunt, 
Ligureifue  puUi  tU  saepe  fort  aliquoe  agtt 
venire  in  iHa  quae  per  horreniei  tenent 
plerumque  dumos» 

4)  Diod.  y  39  lY  20  Strab.  IQ  165  lY  202  V  218  de  mir.  auac  91.  Verg. 
Georg.  II 168. 


§  t.  INe  Ugurer.  471 

herber  nach  Pech  schmeckender  Wein ,  das  Nationalgetränk  ist  Bier. 
Sie  wohoen  in  ärmlichen  Höh-  und  Schilfbutten,  meistens  jedoch  in 
natürlichen  Hohlen.  Der  ganze  Zuschnitt  des  Lebens  ist  altertümlich, 
ohne  Bedürfnisse.  Die  Frauen  besitzen  die  Kraft  und  Gewandtheit  von 
Mannern,  die  Manner  von  wilden  Thieren.  Oft  genug  ist  der  längste 
gallische  Recke  von  einem  kleinen  Ligurer  zum  Zweikampf  herausge- 
fordert und  getödtet  worden.^'  Endlich  verdient  Erwähnung  dafs  die 
Schleuder  von  ihnen  gebraucht  wurde:  eine  altertümliche  Waffe,  die 
bei  Italikern  Kelten  und  Germanen  historisch  sich  nicht  mehr  nach- 
weisen Ulfst. 0 

Der  ligurische  Dialekt  ist  heutigen  Tages  auf  das  Gelände ,  das 
30  Meilen  lang  den  Busen  von  Genua  umzieht,  ein  Gebiet  von  etwa 
100  d.  O  Meilen  beschrankt  Er  reicht  im  Westen  bis  an  den  Col  di 
Tenda,  nach  Norden  wenig  über  die  Wasserscheide,  umschUefst  im 
Osten  noch  das  Thal  der  Macra.'  Er  stöfst  im  Westen  an  die  proven- 
zalische  Sprache ,  im  Norden  an  die  gallo-italischen,  im  Osten  an  die 
toscanische  Mundart  Die  West-  und  Ostgrenze  fallen  mit  derjenigen 
zusammen,  welche  Augustus  der  neuntea  Region  Uguria  steckte,  wäh- 
rend letztere  nach  Norden  die  gallo-itaUsch  redenden  Theile  Piemonts 
bis  zum  Po  umfabte.  Wir  erkennen ,  wie  im  Verlauf  der  Geschichte 
das  StanuDgebiet  immer  mehr  zusammengeschrumpft  ist  Um  200 
V.  Chr.  erstreckt  es  sich  bis  Pisa  und  das  Gebiet  von  Arretium :  da  das 
Casentino  oder  obere  Arnothal  umbrisch  ist  (S.  304),  so  wird  man  im 
Binnenlamd  den  Stock  des  M.  Falterona  (S.  231)  als  Scheidewand  an- 
setzen können;  am  Meer  wird  gelegentlich  Pisa  als  ligurische  Stadt 
bezeichnet  3)  Die  Kostenebene,  die  nordwärts  vom  Arno  hinzieht,  hat 
mehrmals  zwischen  Etruskern  und  Ligurern  die  Herren  gewechselt, 
bis  die  RDmer  hier  177  die  Colonie  Luna  anlegten.')  An  der  Aufsen- 
seite  des  Gebirges  haben  die  Ligurer  einstens  nicht  nur  die  Abhänge 
desselben  sondern  bedeutende  Theile  der  Ebene  inne  gehabt  Vor  An- 
kunft der  Kelten  safsen  sie  bis  zum  Po,  ja  am  Nordufer  desselben  am 
Tessin  und  bei  Turin.*)  Jedoch  haben  sie  schon  damals  der  Etrusker 
sich  zu  erwehren  gehabt,  von  deren  Uebergriffcn  vereinzelte  Spuren 
auf  altligurischem  Boden  sich  erhalten  haben  (§  5).  Mit  grOfserem  Er- 
folg wurden  sie  sodann  von  den  Kelten  bedrängt  Der  Umfang  des 

1)  De  mir.  aosc.  90  Strab.  IV  202  vgl.  Peschel  Völkerkande  197  fg. 

2)  Pol  n  16,  2  JusÜQ  XX  1,  11  Lykophr.  1359. 

3)  Uv.  XU  13  vgl.  Mommsen  zu  CIL.  I  539. 

4)  Liv.  V  35,  2  Plin.  III  123.  24  Strabo  IV  204. 


472  Kap.  XI.  Die  VolkBsUmme. 

behaupteten  Gebiets  läfst  sich  nur  annähernd  umschreiben.  Den  Alten 
gelten  die  Ligurer  durchaus  als  Gebirgsbewohner.  ^)  Aber  sie  erstreck- 
ten sich  noch  zu  Augustus  Zeiten  diesseit  der  Alpen  Über  einen  etwa 
viermal  so  grofsen  Flächenraum  als  das  aus  ihrer  Sprache  abgeleitete 
Idiom  gegenwärtig  einnimmt  Unter  den  ligurischen  Stämmen,  welche 
Plinius  nach  dem  Verzeichnife  des  Kaisers  aufführt,  sind  Ortlich  be- 
stimmt die  Velleiates  durch  die  Stadt  FeQeia,  die  StatieUi  durch  iquae 
Statiettae  Acqui,  die  Bagienni  durch  Angnsta  Bagiennarum  Bene,  die 
CuburriateB  durch  Caburrum  Cavour.  Ferner  gehört  die  bis  zum  M.  Yiso 
reichende  Provinz  der  Alpes  maritimae  (S.  79)  sicher  derselben  Nation 
an.  Ja  Strabo  schreibt  ihr  auch  noch  das  Fürstentum  des  Cottius  und 
den  Stamm  der  Tauriner  zu,  so  dafs  die  Grenzen  bis  an  den  M.  Cenis 
und  den  Lauf  der  Slura  oder  des  Orco  vorgerückt  würden.  Gegen 
solche  Annahme  macht  theils  das  Zeugnifs  anderer  Schriftsteller,  theils 
das  offenbar  keltische  Aussehen  der  Ortsnamen  bedenklich. 2)  Es 
scheint  vielmehr  als  ob  die  beiden  Nationen  vielfach  durch  einander 
gerüttelt  waren ,  auf  ihre  Mischung  weist  der  für  das  transalpinische 
Gebiet  gebrauchte  Name  der  Kekroklyveg  hin  s),  zugleich  erklärt  sieb 
daraus  die  Erscheinung  dafs  derselbe  Stamm  oder  Ort  bald  keltisch 
bald  ligurisch  heifsl.^)  Uebrigens  hebt  Strabo  selbst  hervor  dals  die 
Ebene  südlich  vom  Po  von  Kelten  bewohnt  wurde. ^) 

Zwischen  beiden  Nationen  hat  eine  alte  Feindschaft  bestanden 
und  bedeutsam  in  die  Geschichte  Italiens  eingegriffen.  Einst  fand  Mas- 
salia  in  den  Kelten  eine  Stütze  gegen  die  Ligurer,  später  Rom  in  den 
Ligurern  eine  Stütze  gegen  die  Kelten.<^)  Während  vier  Jahrhunderte 
wog  an  diesen  Küsten  bis  Nizza  der  massaliotische  Einflufs  vor.  Auf 

1)  Cicero  de  lege  agr.  D  $5  Ligvres  montani  duri  at^ue  agreiUs  Verg. 
Aen.  XI  700  Jppenninieola,  vgl.  die  oben  angef.  Beschreibung  des  Poseidonios. 

2)  Strabo  IV  204  vgl.  209.  Angnstiis  schlug  die  Tauriner  zu  GalUa  trau*- 
padana,  doch  nennt  sie  Plio.  III  123  ausdrücklich  anüqua  Ligttrum  stirff. 
Polybios  UI  60,  8  rechnet  sie  zu  den  Kelten,  livius  Y  34,  8  schliefst  sie  davoa 
•US.  Aber  der  Stammname  ist  keltisch  (S.  138),  ebenso  Seingomagus^  m.  Ma- 
irona,  BriganUum^  Eburodunum, 

3)  Strabo  lY  203  de  mir.  ausc  85. 

4)  So  heifst  Clash'dium  Gasteggio  gallisch  Liv.  XXIX  11  Plut  Marc.  6^ 
ligurisch  Uv.  XXXU  29. 

5)  Str.  Y  212. 

6)  Liv.  Y  34,  8  Plut.  Aem.  Paul.  6, 2  ovvaQ  ^v  ßovXo/ihoig  toTg^Pwfialoi; 
navzdnaaiv  ixx6y}ai  ro  Aiyvcav  f^og  mantQ  ^gxoq  »  JtQoßolov  ifiXo6wy 
xilfievov  Tolg  raltnueoii  xivr^iiaciv  inaiWQOVfdivoiq  ael  mgl  xiiv  ^xaUav. 
Die  traditionelle  Feindschaft  erwähnt  auch  Diodor  Y  39,  6. 


§  1.  Die  lignrer.  473 

ihn  mag  die  sprachliche  Scheidung  zurück  zu  führen  sein,  weiche  die 
proTenzaJisch  und  italienisch  redenden  Ligurer,  die  Proyinz  Narbo  und 
die  Provinz  der  Seealpen  von  der  neunten  Region  Italiens  heutigen 
Tages  trennt  Von  Osten  her  wetteiferten  mit  den  Hellenen  die  Etrus* 
ker,  Ton  denen  wir  eine  Niederlassung  bei  Cmmelum  unweit  Nizza 
kennen.  In  der  letzten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  beginnen  die  Römer 
festen  Pub  zu  fassen :  Kriege  werden  238 — 35,  der  erste  Triumph  aus 
Ligorien  233  t.  Chr.  gemeldet.  Genua  yielleicht  eine  Gründung  ita- 
lischer Kaufleute,  zuerst  218  t.  Chr.  erwähnt  erscheint  ganz  von  Rom 
abhängig.  9  Das  Bündnifs  mit  dem  Volk  der  Anamaren  eröffnete  223 
den  römischen  Waffen  die  von  Genua  auslaufenden  Appenninpässe  und 
damit  den  nächsten  Zugang  in  die  lombardische  Ebene,  das  Herz  des 
Keltenlandes.  2)  Am  hannibalischen  Krieg  haben  die  Ligurer  sich  nur 
als  Reisläufer,  nicht  wie  die  Kelten  als  Nation  betheiligt  3) :  erst  gegen 
das  Ende  desselben  als  der  Sieg  sich  auf  die  römische  Seite  neigte,  er- 
greifen sie  für  Karthago  Partei.  In  der  That  war  es  um  ihre  Unab- 
hängigkeit so  gut  wie  um  diejenige  ihrer  Erbfeinde  geschehen.  Ein 
zweihundertjähriger  Krieg  folgt,  der  von  den  Römern  weit  mehr  als 
eine  militärische  Uebungsschule  betrachtet  ^)  und  mit  geringen  Streit- 
kräften ^)  geführt  wird ,  als  dafs  eine  rasche  und  vollständige  Unter- 
werfung des  armen  Gebirgslandes  bezweckt  gewesen  wäre.  Das  Ter- 
rain sowol  als  die  Spaltung  der  Nation  in  viele  unabhängige  Cantone 
wiesen  dem  Krieg  recht  bescheidene  Verhältnisse  an.^)  Im  Ganzen 
scheint  die  Republik  sich  auf  der  Defensive  gehalten  und  darauf  be- 
schränkt zu  haben  ihr  Gebiet  gegen  die  Plünderungen  der  Ligurer  zu 
schützen,  sowie  die  grofsen  Durchgangsstrafsen,  die  148  v.  Chr.  chaus- 
sirte  Appenninstrafse  von  Genua  an  den  Po  nebst  der  Küstenstrafse 
nach  Gallien  und  Spanien  zu  beherrschen.  Von  den  Apuanern  dem  süd- 


1)  Liv.XXI32  XXVIII46  XXX  1;  der  Name  doch  wol  von  genu  abzuleiten. 

2)  Pol.  II  32,  l  34,  5:  an  erster  Stelle  kvafuxQOfVy  an  zweiter  kvÖQotVf 
c  17, 7  jivavsg  überliefert,  vielleicht  identisch  mit  den  Mariei  Plin.  III 124.  — 
Der  Weg  ist  bezeugt  durch  Pol.  1131, 4. 

3)  Liv.  XXn  33  XXVn  39  XXVUI  46  XXIX  5  App.  Lib.  17.  40.  —  Silins 
It.  IV  593  Vni  607  läfst  sie  an  der  Trebia  und  bei  Gannae  auf  römischer  Seite 
iKämpfen. 

4)  Ausdrücklich  hervorgehoben  Liv.  XXXIX  1. 

5)  Nach  den  livianischen  Annalen  operiren  allerdings  grofise  Heere,  doch 
sind  diese  Berichte  ganz  unzuverlässig  s.  meine  Krit.  Unters,  fi.  d.  Quellen  d. 
Liv.  p.  94  fg. 

6)  Cicero  Brut.  255.  Flor.  1  19. 


474  Kap.  XI.  Die  YoUusamme. 

liebsten  Stamm  sind  1 80  v.  Chr.  47  000  Köpfe  aus  ihren  Bergen  ge- 
führt und  in  Samnium  angesiedelt  worden  ^):  ihr  Name  lebt  in  den 
Alpen  Ton  Carrara  fort  (S.  232),  aber  die  Landschaft  trXgi  seitdem 
einen  toscanischen  Charakter.  Der  Weg  nach  Gallien  ward  ofUnals  ge- 
fährdet und  die  Ligurer  standen  in  dem  Ruf  eines  treulosen  Räober- 
Yolks.^)  Anderseits  wurden  ihre  vorzüglichen  militärischen  Eigenschaf- 
ten hoch  geschätzt  und  wir  treffen  im  Laufe  des  2.  Jahiiiunderts  ^ 
zuerst  168  v.  Chr.  erwähnt  —  ansehnliche  Abtheilungen  unter  Roms 
Fahnen  fechtend  an.')  Nach  und  nach  verbreitete  sich  in  den  Berg- 
thalern  die  Cultur:  zur  Zeit  des  Augustus  unterschied  man  von  den 
civilisirten  die  freien  Ligurer  durch  das  Beiwort  CafiUati^  weil  sie  nach 
Barbarensitte  das  Haupthaar  lang  wachsen  liefsen.^)  Die  letzteren  wur- 
den 14  V.  Chr.  unterworfen  und  bildeten  die  fravinäa  Alpium  Manft- 
marum  (S.  79).  Die  alte  Tapferkeit  und  Lust  an  den  Waffen  hat  hier 
noch  lange  fortgelebt^):  erst  64  n.  Chr.  wurde  latinisches,  bedeutend 
später  das  römische  Bürgerrecht  eingeführt  <^) 

§2.   Die  Gallier. 7) 

In  Oberitalien  werden  mehrere  verschiedenartige  Mundarten  ge- 
sprochen. Sehen  wir  von  den  Grenzbezirken  ab :  dem  Provenzaliscben 
in  der  Grafschaft  Nizza  westlich  von  Mentone  und  südlich  vom  Co!  di 
Tenda,  dem  Französischen  im  oberen  Thal  der  Dora  Baltea,  dem  Deut- 
schen in  den  Ostalpen,  so  zerfilllt  das  Land  in  vier  Hauptfkmilien,  die 
nach  Lautgestallung  Satzbau  und  Wurzelbestand  jede  für  sich  eine  ab- 
gesonderte Stellung  einnehmen.  Es  sind  die  ligurische  venetische  rae- 
tische  und  gallische  Familie.  Die  letztgenannte  umfabt  ein  Gebiet  von 
ungefähr  1400  d.  DMeilen,  doppelt  so  viel  wie  die  drei  übrigen  zu- 
sammen. Der  Kamm  der  Alpen  vom  Col  di  Tenda  bis  zum  Gran  Para- 
diso, sodann  der  Ausläufer  der  das  obere  Thal  der  Dora  Baltea  rechts 
einfafst,  weiter  die  Hauptkette  vom  M.  Rosa  bis  zum  Gotthard  und  von 
hier  zum  Stilfser  Joch  bezeichnen  die  West-  und  Nordgrenze.   Die 


1)  Uv.  XL  38. 41. 

2)  Vgl.  S.  157  Uv.  XXXVn  57  de.  pro  Settio  68. 

3)  Fiat  Aem.  PauL  18  Mar.  19  Sali.  Jag.  38. 77. 93.  100. 

4)  Plm.  m  47. 135  XI 130  Dio  UV  24  Lacan  1 443. 

5)  ladt  HiBt  II 12.  13. 

6)  Tac.  Ann.  XV  82  CIL.  V  p.  903. 

7)  Am^d^  Thierry,  Histoire  des  Gaalois,  P  Paris  1857.  Biondelli,  Saggio 
fiui  dialetU  gallo-iUUci,  Milaao  1853. 


§  2.  Die  GaUier.  475 

Thäler  von  Adda  und  Oglio  gehören  dem  gallischen  Gebiet  an;  dagegen 
am  oberen  Rhein  und  Inn,  sowie  an  der  oberen  Etsch  ist  dasselbe  von 
dem  raetiachen  vielfach  durchsetit  Die  Ostgrenze  gegen  das  venetische 
wird  durch  den  Benacus  und  dessen  Abflurs  den  Mincio  dargestellt,  doch 
80  dafs  sie  noch  Hantua  und  Ostiglia  einschliefst,  ferner  durch  den 
jetzigen  Hauptann  des  Po  und  die  Adria.  Im  Süden  reicht  die  gallische 
Mundart  an  der  Küste  bis  Pesaro.  Der  Kamm  des  Appennin  scheidet 
sie  von  der  toscanischen  und,  wie  S.  471  erwflhnt,  der  ligurischen  ab. 
Unter  einander  sondern  sich  die  gallischen  Dialekte  in  drei  Gruppen : 
die  piemontesische  westlich  von  der  Sesia,  die  lombardische  nördlich 
vom  Po,  die  Umgegend  von  Pavia  und  Mantua  abgerechnet,  welche  der 
aemiiianischen  oder  sQdpadanischen  angehört  AUen  gemeinsam  ist  die 
Nasalirung,  die  Trübung  der  Laute  zu  tt  und  ö,  der  consonantische  Aus- 
laut: Eigenschaften  die  dem  Genius  des  Italienischen  ebenso  wider- 
streben ab  dem  Französischen  vertraut  sind.   „Durchmustert  man  — 
schreibt  Diez  ^)  —  über  die  Grenzen  des  alten  Italiens  hinausgehend, 
die  nördlichen  die  cisalpinischen  Mundarten,  so  glaubt  man  sich  in  eine 
andere  Welt  versetzt:  in  dieser  weiten  Landschaft,  zumal  in  der  grofsen 
Ebene  zwischen  den  Alpen  und  dem  Po  hat  die  gewaltige  Römersprache 
die  Volksmundarten  nicht  bewältigen,  sich  des  Einflusses  andringender 
Barbarensprachen  nicht  erwehren  können.^    In  der  That  gewinnen 
wir  dem  fremdartigen  Klang  der  an  unser  Ohr  schlagenden  Nasale  fol- 
gend ein  ziemlich  getreues  Bild  von  der  Ausdehnung  der  Eroberungen, 
welche  das  streitbare  Volk  der  Kelten  einst  gemacht  hat. 

In  nebelhafter  Ferne  taucht  der  Name  der  Kelten  zuerst  bei  Hero- 
dot  auf,  der  sie  aufserhalb  der  Säulen  im  westlichen  Europa  wohnen 
läfst:  als  Söldner  des  Dionys  und  anderer  Herrscher  wurden  sie  in 
Hellas  näher  bekannt')  Est  ist  ein  Stammname  ähnlich  wie  Bdgae 
und  Britanm^  haftet  an  dem  Lande  zwischen  Rhone  Garonne  Seine 
und  Rhein,  dessen  Insassen  sich  selbst  ftlr  Autochthonen  hielten,  also 
seit  unvordenklichen  Zeiten  hier  angesiedelt  waren:  die  Kunde  des 
Namens  hat  sich  von  Massalia  aus  verbreitet')  Verwandte  dieser  Sippe, 
welche  in  die  Balkanhalbinsel  eindrangen  und  in  Kleinasien  einen  Raub- 
staat gründeten,  erregten  als  Falarai  zu  Anfang  des  dritten  Jahrhun- 


1)  Etymologisches  Wörterbuch^  Vorr.  XI. 

2)  Her.  0  33  IV  49  Fiat.  Leg.  I  637  d  Xen.  Hell.  VH  1,  20.  31. 

3)  Gaes.  I  1   ipsarum  Hngua  Celiae  nosira  GaiH  appelianiur  vgl.  VI  IS 
Stnb.  IV  1S9  AmmUn  XV  9,  3. 


476  Kap.  XL  Die  Volksstlmme. 

derts  Furcht  und  Entsetzen  in  der  hellenischen  WeltJ)  Das  Wort  ist 
identisch  mit  dem  lateinischen  GaUi^  giebt  aber  die  keltische  Form  ge- 
nauer wieder  als  dieses.  In  römischer  Zeit  wird  es  für  die  Gallograe- 
ker  in  Asien  ausschliefslich  gebraucht, ^  aber  auch  auf  deren  Stammes- 
genossen in  Westeuropa  abertragen,  so  dafs  die  Griechen  ohne  Unter- 
scheidung bald  das  ältere  Kekrol  bald  das  jüngere  rakdrac  setzen, 
wahrend  dieses  durch  das  Latein  gestützt  immer  mehr  an  Boden  ge- 
winnt und  von  den  Classicisten  abgesehen  jenes  verdrängt.  Uebrigens 
ist  bereits  von  den  Alten  angemerkt  worden,  dafs  beide  Benennungen 
nach  den  Wohnsitzen  zu  trennen  wären,  dafs  die  eine  den  westlichen 
die  andere  den  östlichen  Zweigen  des  Stammes  zukäme.  Es  ist  mög- 
lich dafs  kein  anderer  Unterschied  zwischen  ihnen  besteht  als  ein  dia- 
lektischer, möglich  dafs  der  Lautwandel  die  Auswanderer  im  Gegensatz 
zu  den  Altsitzern  kennzeichnet.  2)  Die  Uebervölkerung  des  Stammlan- 
des ,  vielleicht  auch  der  Druck  anderer  von  Norden  her  drängender 
Massen  hat  die  grofse  ostwärts  gerichtete  Bewegung  veranlafst,  welche 
für  die  Geschichte  Italiens  von  entscheidender  Wichtigkeit  werden 
sollte.  Ihr  Anfang  wird  um  600  v.  Chr.  gesetzt  und  so  geringe  Gewähr 
dies  Datum  an  sich  besitzt,  drückt  es  doch  den  ganz  richtigen  Gedan- 
ken aus,  dafs  die  Bewegung  sich  über  viele  Jahrzehnte  erstreckt,  bevor 
sie  mit  der  Zerstörung  Roms  390  v.  Chr.  ihren  Höhepunct  erreicht 
hat. 3)    Unsere  Berichterstatter  zählen  mit  einigen  Abweichungen,  im 


1)  Aelteste  Erwähnungen  das  Siegesepigramm  des  Pyrrhos  Plut.  26  Kalli- 
machos  Hymn.  4,  184  Timaeos  fr.  37  Phylarch  fr.  2  MflUer  Eratoathenes  nach 
Steph.  Byz.  u.  Toliaxoßioi,  Das  Citat  Arist.  de  mundo  3  ist  ein  neuer  Beweis 
für  die  notorische  Unächtheit  dieser  Schrift 

2)  Diodor  Y  32  Zeufs,  die  Deutschen  p.  65. 

3)  Eiue  doppelte  Tradition  liegt  vor:  eine  romische  und  eine  norditaliscbe. 
Die  erste  (Diod.  XIV  113  Liv.  V  33,  2  Dion.  Hai.  XIII 11  Flut.  Gam.  15  Appian 
Kelt  2  y%\.  Plin.  XII 5)  nimmt  auf  den  Wechsel  der  Völker  im  Poland  keinerlei 
Bflckaicht,  sondern  knflpft  die  Einwanderung  der  Gallier  unmittelbar  an  den 
Fall  Roms  an;  die  zweite  (Liv.  Y  34  Pol.  II 17 fg.  vgl.  Dion. Hai.  VII 3)  steUt  die 
langsame  Verschiebung  der  Besitzverhältnisse  im  Norden  dar,  die  schliefslich 
zum  Zusammenstofs  mit  den  Römern  führt.  Beide  sind  durch  Synchronismea 
mit  der  griechischen  Geschichte,  die  erstere  mit  der  Belagerung  Rhegious  durch 
Dionys,  die  letztere  mit  der  Gründung  Massalia's  künstlich  verbunden  und 
dadurch  chronologisch  fixirt  worden.  Die  Datirung  läfst  sich  weder  beweiseo 
noch  widerlegen.  Im  Uebrigen  ist  die  padanische  Tradition  aufeerlich  wie 
innerlich  aufs  Beste  beglaubigt.  Die  von  Niebnhr  n  574  fg.  dagegen  vorge- 
brachten inneren  Gründe  bedürfen  gar  keiner  Widerlegung.  Wenn  aber  Zeofs 
p.  164  ihm  folgend  darauf  Gewicht  legt  dafs  Herodot  keine  Kelten  am  Po  ge- 


§  2.  Die  GaUier.  477 

Ganzen  flbereiDstiminend  6  oder  7  VölkerzUge  auf,  welche  nach  und 
nach  über  die  Alpen  dringend  sich  Land  erkämpften:  und  zwar  nörd- 
lich vom  Po  die  Libieii  an  der  Sesia  und  dem  Tessin  ^),  die  /nmbrei,  das 
gröfste  Volk,  in  der  Lombardei  mit  der  von  ihnen  gegründeten  Haupt- 
stadt MedioUmum^  die  Cenowiani  in  der  Gegend  von  Brescia  bis  Verona ; 
südlich  vom  Po  in  der  Gegend  von  Casteggio  die  Anamari  ^)^  in  der 
Aemilia  die  Boü  112  Gaue  zahlend  mit  dem  etruskischen  Feitina  als 
Hauptstadt,  die  Bononia  umgenannt  wurde,  westlich  von  diesen  in  den 
Niederungen  am  Meer  die  Iin^ones^),  endlich  vom  Uien$  Montone  bis 
zum  Aesis  Esino  in  der  adriatischen  Mark  die  Senones.  Dafs  eine  ge- 
^Itige  Masse  Menschen  Über  die  Alpen  gezogen,  ist  gewiis  genug; 
denn  sonst  hatten  sich  die  Spuren  ihrer  Nationalität  nicht  bis  auf  den 
heutigen  Tag  zu  erhalten  yermocht.  Anderseits  sind  die  früheren  Be- 
wohner keineswegs  voUständig  ausgerottet  oder  vertrieben  worden: 
einzelne  Städte  behielten  ihren  etruskischen  und  umbrischen  Charakter 
unter  gallischer  Herrschaft  bei,  und  soviel  wir  ersehen,  haben  einge- 
borne  Stämme  verschiedentlich  gallische  Haufen  in  ihren  Verband  auf- 
genommen.   In  Betreff  der  verwickelten  hin-  und  herschwankenden 
Verbaltnisse,  die  für  den  nationalen  Besitzstand  vorauszusetzen  sind, 
versagen  im  Einzelnen  unsere  Quellen. 

Vergleicht  man  die  heutigen  Grenzen  der  gallo-italischen  Mundart 
mit  denjenigen  welche  für  das  Altertum  sicher  bezeugt  sind,  so  ergiebt 
sich  ein  einleuchtendes  Resultat:  dieselbe  ist  im  Süden  von  Aesis  bis 
Pisaurus  vor  der  lateinischen,  im  Osten  von  Etsch  bis  Mincio  vor  der 
venetischen,  in  beiden  Fallen  vor  einer  überlegenen  Cultur  zurück  ge- 
wichen, hat  dagegen  in  den  Alpen  und  südlich  vom  Po  der  raetischen 


kannt  habe,  so  heifst  dies  dem  Herodot  (S.  8)  und  den  alteren  Hellenen 
(S.  10  fg.  138.  183  n.  a.)  eine  Kenntnifs  von  Westeuropa  znsehreiben,  die  sie 
nicht  besafsen.  Das  Volk  welches  Rom  zerstörte,  nannte  HerakleidM  Ponti- 
ko8  nicht  Kelten  sondern  Hyperboreer  Plot.  Garn.  22,  2.  Auch  ist  es  sehr 
Terständlich,  dafe  die  auf  das  padanische  Binnenland  beschrankten  Gallier  im 
fünften  Jahrhundert  nicht  in  den  hellenischen  Gesichtskreis  getreten  waren. 
Noch  bei  Skylax  18  haben  sie  nur  ein  kleines  Stflck  der  Kflste  gewonnen. 

1)  Pol.  n  17,  4  Aaoi  x€d  Asßixioi,  letztere  grflnden  nach  Plin.  HI  124 
Vercdlae.  liv.  Y  35, 2  mit  unsicherer  Lesung  Libm  considunt  posi  hos  [Cmio- 
manos]  SaUwrii  pH  proU  aniiquam  fenimn  Laevas  Ligures  ineolenies  eirea 
Tieinum  amnem;  XXI  38  Libui  Gaüi,  XXXm  37. 

2)  Pol.  n  17, 7,  Aber  die  unsichere  Form  des  Namens  S.  473  A.  2. 

3)  Nur  Pol.  II 17,  7  und  Uv.  V  35,  2  genannt,  aber  in  der  alten  Heimat 
bei  Langres  fortlebend. 


478  Kap.  XI.  Die  Vollustlmme. 

und  ligurischeD  gegenüber  bedeutende  Fortschritte  gemacht.  Wir 
stellen  zunächst  die  erhaltenen  Angaben  über  die  Ausdehnung  der  Kel* 
ten  im  Altertum  zusammen.    Die  Tawini  mitsammt  den  Anwohnern 
der  Dora  Riparia  sind  nach  den  Namen  für  ein  kelto-ligurisdies  Miscb- 
volk  zu  halten  (S.  472  A.  2).  In  der  Ebene  nördlich  vom  Po  sind  die 
Namen  von  Efortdia  Ivrea  und  Rigomagw  Trino  gallisch;  dieselbe 
Nationalität  bt  durch  eine  erhaltene  Steinschrift  für  Novaria  Novan 
gesichert  0    Die  Sakusi  im  Thal  der  Dora  Baltea  heifsen  den  Alten 
Gallier:  die  Angabe  wird  durch  die  Aufschrift  von  Goldmünzen  die  an 
der  Rhone  vor  deren  Mündung  in  den  Leman  gefunden  sind,  bestätigt; 
noch  jetzt  herrscht  hier  trotz  der  uralten  Verbindung  mit  Italien  die 
französische  Sprache.^)  Die  Wandersage  läfst  den  ersten  Volkerschnb 
durch  die  Tauriner,  über  den  M.  Genis,  den  zweiten  über  den  Poeoi- 
nus,  Grofsen  Bernhard,  nach  Italien  gelangen.  Da  der  Weg  durch  die 
Seealpen  von  den  Ligurern  beherrscht  wurde ,  ist  es  begreiflich  dafs 
die  Auswanderer  sich  in  den  Besitz  der  Binnenpässe  setzten  und  diese 
kürzeste  Verbindung  mit  dem  Mutterland  nachdrücklich  behaupteten. 
Die  Sage  läfst  gleichzeitig  mit  dem  Einfall  in  Italien  einen  anderen  ost- 
wärts gerichteten  Heerzug  am  Nordabhang  der  Alpen  sich  ausbreiten. 
Wie  es  sich  damit  in  Wahrheit  veriialte,  soll  hier  nicht  untersucht  wer- 
den.   Jedenfalls  erscheint  in  historischer  Zeit  der  grOfsere  Theil  der 
Alpen  (Savoyen  die  westliche  und  mittlere  Schweiz  Kärnten  und  Steier- 
mark) von  Kelten  bewohnt.  An  die  Salasser  grenzen  östlich  die  Upwüi 
ungefiihr  bis  zum  S.  Gotthard ,  das  ganze  Vorland  bis  zum  Corner  See 
bewohnend :  die  Valle  Leventina,  das  Thal  des  Tessin  hat  ihren  Nameo 
bis  auf  die  Gegenwart  fortgepflanzt.  Strabo  weist  sie  ausdrücklich  dem 
raetischen  Stamm  zu:  aber  seine  Beschreibung  der  Alpen  steckt  voDer 
Fehler  und  ihm  widerspricht  Cato  der  sie  den  Salassern  gleich  steilu 
also  für  Kelten  erklärt,  sowie  Plinius,  der  in  dieser  Gegend  seU^tzo 
Hause  war.^  Die  Flufsthäler  welche  auf  die  lombardischen  Seen  aus- 
münden, werden  zwar  dieser  Mundart  zugerechnet,  bekunden  indessen 
daneben  einen  ansehnlichen  Bestand  an  raetischen  Elementen.  Wie 
die  alten  Sprach-  und  Völkergrenzen  ehedem  gelaufen  sind,  läfst  sich 
nicht  mehr  ausmachen.    Nur  so  viel  ist  klar  dab  die  Gallier  sich  der 
lombardischen  Ebene  bemächtigt  haben:  der  Namensform  wie  der 


1)  Plin.  m  123. 124  Fabretti  41  CIL  V  p.  719. 

2)  Gros.  V  4, 7  Obs.  21  vgl.  Plin.  lü  134,  Fabretti  3. 4  56. 

3)  Slrab.  IV  206  Plin.  ffl  134. 


§  2.  Die  GaUler.  479 

UeberlieferuDg  nach  gehören  Cwmm  Bergomum  Brixia  ihnen  anJ) 
Vom  oberen  Rhein  und  Inn  ostwärts  bis  zum  Isonzo  wird  die  ladinische 
oder  raeto-romanische  Sprache  in  den  Alpen  gesprochen.  Doch  ist  ihr 
Zusammenhang  mehrfach  unterbrochen  und  nicht  anders  scheint  es 
mit  den  Vorfahren,  den  alten  Raetern  gewesen  zu  sein.    Namentlich 
liegt  die  Annahme  nahe,  dafs  die  Gallier  im  Etschthal  erobernd  einge* 
drangen  sind ,  da  wir  sie  am  Westufer  des  Benacus  inschrifUich  an- 
treffen. 2)  Der  Veroneser  Catull  nennt  Verona  eine  Tochter  von  Brixia, 
die  Gründung  dieser  Stadt  wie  auch  die  von  Tridmtwm  wird  den  Gal- 
liern zugeschrieben ;  der  Widerspruch  dafs  beide  von  Plinius  für  rae- 
tisch  erklärt  werden,  löst  sich  ungezwungen  durch  die  anderweitig 
bekannte  Thatsache,  dafs  die  umliegende  Landschaft  von  raetischer 
Nationalität  erfilllt  war.  3)    Wie  die  Westalpen  vom  H.  Viso  bis  zum 
S.  Gotthard  im  Besitz  der  Kelten  sind ,  so  ist  das  nämliche  mit  einem 
grofsen  Theil  der  Oslalpen  der  Fall.  Zu  den  Kelten  gehören  nach  dem 
Zeugnifs  der  Alten  die  Cismi,  deren  Gebiet  das  Thal  des  Tagliamento 
und  unter  anderen  die  Städte  Mium  Camicum  Aquileia  Tergesie  um- 
fafst^)    Jedoch  mufs  dies  Volk  auf  italischem  Boden ,  wie  im  nächsten 
Abschnitt  darzulegen  ist,  in  seinem  Grundstock  aus  nichtkeltischen 
Elementen  bestanden  haben :  ähnlich  wie  die  benachbarten  Japyden 
aus  Kelten  und  Illyrern  gemischt  waren. ^)  Kehren  wir  in  das  Binnen- 
land zurttck,  so  fäUt  die  Grenze  zwischen  Kelten  und  Venetern  unge- 
fllhr  mit  deijenigen  zusammen ,  welche  das  Stadtgebiet  Verona's  von 
denjenigen  der  Städte  Yic^ia  Vicenza  und  Ateste  Este  scheidet.   Jenes 
befafst  den  Flecken  HosttUa  Ostiglia  am  Po ,  so  dafs  die  heutigen  Dia- 
lekte am  Po  da  zusammen  stofsen,  wo  wir  die  ehemabge  Sprachgrenze 
voraussetzen  dürfen.  <^)    Innerhalb  des  weiten  keltischen  Flachlandes 
nördlich  vom  Po  behauptete  sich  nach  Angabe  der  Alten  Mantwi  als 
tuskische  SprachinseL^)  Dafs  solches  auch  südlich  vom  Po  mit  etruski- 
schen  und  umbrischen  Gemeinden  geschehen  sei,  machen  die  Denk- 
mäler überaus  wahrscheinlich,  vrird  uns  zudem  ausdrücklich  ttber- 


1)  Ut.  V  35,  t  Jusün  XX  5, 8  Zeii(l9  p.  230  A. 

2)  CIL.  V  4883,  vgl.  4858,  FabretÜ  13. 

3)  Gatnll  67, 34  Jastin  XX  5, 8  Plio.  HI  130  CIL  V  p.  390. 

4)  Triümphalfasten  115 v.Chr.  (CIL. Ip. 460)  de Galieis Kameis Uv.WXlX 
22.45.54.55  StnboIV207  VH  292.  314;  Zeobp.248. 

5)  StraboIV207  Vn 313. 315. 

6)  Tac.  HUtor.  ni  9  CIL.  Vp.  328  vgl.  S.  475. 

7)  Verg.  AeD.X200 Plin.DI  \30Maniua  Tuseorum  iratuPädmnsola reUqua. 


480  Kap.  XI.  Die  VoUustamme. 

liefert.  Im  Allgemeinen  hat  der  Appennin  dem  Vordringen  der  Gallier 
ein  Ziel  gesetzt ;  indessen  war  auch  diese  Schatzwehr  ernstlich  gefähr- 
det. Eine  Inschrift  in  bteinischer  und  keltischer  Sprache  ist  zu  Tuier 
in  Umbrien  aufgerunden  worden:  das  Auftreten  dieses  Denkmals  so 
weit  südlich  am  Tiber  ist  recht  befremdend,  gestattet  aber  schwerlich 
eine  andere  Deutung  als  dafs  in  dieser  Gemeinde  ein  gallischer  Haufe 
Aufnahme  gefunden  und  seine  Sprache  bis  in  eine  ziemlich  junge  Zeit 
bewahrt  hat  ^)  Die  Gallier,  wird  uns  gemeldet  3),  nahmen  Anfangs  nicht 
allein  Land  in  Besitz,  sondern  unterwarfen  auch  viele  umliegende  Vol- 
ker die  ihre  Unternehmungslust  fürchteten. 

Um  400  y.  Chr.  schien  alle  Aussicht  da  zu  sein,  dafs  Italien  kel- 
tisch werden  würde.  Ungefähr  der  vierte  Theil  des  ganzen  Festlands, 
darunter  die  reichen  Ebenen  Piemonts  der  Lombardei  und  Aemilia 
gehörten  dieser  Nation.  Auf  einer  etwa  30  Meilen  breiten  Basis  vom 
M.  Viso  bis  zum  Gotthard  wohnte  dieselbe  über  eine  Länge  von  70  Mei- 
len ausgestreckt  vom  M.  Rosa  bis  zum  Aesis  hinunter,  einem  KeU  ¥er- 
gleichbar  der  in  das  feste  Gefüge  eines  Baumes  hineingetrieben  worden 
ist.  Um  390  v.  Chr.  versuchte  ein  gallischer  Heerhaufe  auf  den  Trüm- 
mern Roms  eine  neue  Herrschaft  zu  gründen.  Was  ihn  nach  7  Mo- 
naten zum  Abzug  bewog,  war  weniger  das  Gold  und  am  wenigsten  das 
Schwert  der  Römer  als  viehnehr  die  natürliche  Rückwirkung  weiche 
der  aUgemeine  Umschwung  der  Besitzverhltltnisse  im  Norden  hervor- 
rufen mulste.  Die  italischen  Kelten  hatten  eine  ebenso  lange  als  offene 
Grenze  zu  vertheidigen:  die  Ligurer  Etrusker  Umbrer  auf  der  einen, 
die  Raeter  und  Veneter  auf  der  anderen  Seite  werden  jede  Gelegenheit 
benutzt  haben  den  Fremden  das  genommene  Land  wieder  zu  entreilsen. 
Der  Gegensatz  zwischen  dem  armen  Gebirg  und  der  reich  gesegneten 
Ebene,  der  in  den  letzten  Perioden  der  römischen  Republik  so  eigen« 
tümlich  hervortritt  (S.  75),  wird  bereits  für  die  keltische  Zeit  des  vie^ 
ten  Jahrhunderts  als  mafsgebend  aneriiannt.')  Die  Bedrohung  der 
Lombardei  rief  390  v.  Chr.  die  Gallier  aus  Latium  zurück.  Der  Krief 
wird  bei  den  Kelten  nicht  allein  von  der  Volksgemeinde  geführt  son- 
dern auch  unabhängig  von  dieser  durch  einzelne  Gefolgschaften;  denn 
neben  dem  Königtum  ist  schon  in  frühen  Jahrhunderlen  der  Adel  hoch 
entwickelt  und  verfügt  über  eine  bedeutende  Macht  ^)  Die  RaubzOge 

1)  OL  11408  vgl  Vp.  719  FabretüSS. 

2)  Pol.  1118,1. 

3)  Pol.  II  18,4. 

4)  Ut.  XXXIX  21. 54  PoL  H  17, 12. 


§  2.   Die  GaUier.  481 

der  GefolgschafteD  haben  die  Ruhe  der  Halbinsel  namentlich  des  nörd- 
lichen Theils  derselben  sehr  oft  gestOrU  In  der  Abwehr  abernahm 
Rom  die  Leitung  als  Vorfechterin  der  Cultur:  dieselbe  Rolle  welche 
es  gegen  das  ähnliche  Treiben  der  Samniten  im  Süden  und  mit  dem 
Damlichen  Erfolg  durchführte.  Die  Abwehr  der  Kelten  stellt  die  grofse 
Kriegsschule  fUr  Rom  dar  ^);  in  ihr  ist  jene  italische  Bürgertaktik  aus* 
gebildet  worden,  die  fast  ein  halbes  Jahrtausend  lang  in  Sieg  und  Nie- 
derlage sich  gleich  erprobt  hat,  die  offene  Aufstellung  in  Manipeln  wie 
die  ausgiebige  Verwendung  der  Wurfwaffen,  beides  darauf  berechnet 
den  ungestümen  Anprall  der  schlecht  geschützten  Barbaren  zu  brechen. 
Ein  volles  Jahrhundert  blieb  Rom  auf  die  Vertheidigung  beschrankt; 
285  V.  Chr.  schritt  es  zum  Angriff  und  konnte  191  den  letzten  Wider- 
stand der  Boier  niederschlagen.    Eifrig  drängten  die  Italiker  nach 
Norden  um  in  diesen  fruchtbaren  Gefilden  Land  zu  gewinnen.    Die 
Unterwerfung  der  Gallier  wurde  begünstigt  durch  die  ererbte  Feind- 
schaft ihrer  ligurischen  und  venetischen  Nachbarn ,  durch  den  Abfall 
der  Genomanen  und  Anamaren  von  der  nationalen  Sache:  die  Hallung 
beider  Stämme  wird  durch  die  starke  Beimischung  fremden,  raetischen 
und  ligurischen  Bluts  erklärt.   Aber  auch  wo  das  Keltentum  rein  ge- 
blieben W9T  wie  bei  Insubrem  und  Boiern ,  hatte  die  Anhänglichkeit 
an  die  Scholle  im  Lauf  der  Zeiten  zu  tiefe  Wurzeln  geschlagen,  als  dab 
sie  daran  gedacht  hätten  in  die  Fremde  aufzubrechen  oder  den  Verlust 
der  Selbständigkeit  mit  dem  Leben  zu  besiegeln.  Schon  im  Verlauf  der 
früheren  Kriege  hatte  die  Friedensliebe  der  ansässigen  Stämme  sich 
mehrfach  geäufsert  und  zum  Heil  Roms  die  Gewalt  der  über  die  Alpen 
einströmenden  Wanderscharen  gelähmt 

Die  Kelten  galten  im  Altertum  als  die  Vertreter  des  nordischen 
Typus.  Wir  sehen  sie  vor  uns  durch  die  Hand  des  Künstlers  wie  des 
Geschichtschreibers  übereinstimmend  dargestellt,  die  kampfesfreudigen 
Hünen  mit  dem  rotblonden  Haar,  dem  struppigen  Schnurrbart,  den 
goldenen  Hals-  und  Armringen,  in  Hosen  und  Mantel  ungepanzert  mit 
verwegener  Prahlerei  dem  Feind  die  nackte  Brust  darbieten.  Mag  Zeit 
und  Schauplatz  wechseln,  in  Asien  und  Griechenland,  am  Po  vrie  an 
der  Seine  oder  Themse  bekunden  die  Angehörigen  dieser  ritterlichen 
Völkerfamilie  den  nämlichen  untilgbaren  Charakter,  dessen  Spuren  in 
der  Gegenwart  sich  mühelos  verfolgen  lassen.  Ihrer  Tapferkeit  erken- 
nen die  Alten  unbedingt  den  Preis  zu,  aber  vermissen  Ausdauer  Zucht 


1)  Pol.  n  20, 8  35. 

Kissen.  Itol.  Landaslniftde.  I.  31 


482  Kap.  XI.   Die  YollEgsUmme. 

und  Gemeinsinii.  Durch  seinen  UebertritC  zum  Römerium  ist  der  be- 
gabte Stamm  su  neuen  höheren  Leistungen  befähigt  woi*den.  Man  hat 
sich  durch  Aeufserungen  der  Schriftsteiier  ku  der  Annahme  Terleiten 
lassen,  ab  ob  die  italischen  Kelten  grorstentheils  vertilgt  oder  Ter* 
trieben  worden  seien:  so  sagt  Polybios  dafs  sie  aus  der  Poebene  bis 
auf  wenige  Landschaften  am  Fufs  der  Alpen  verjagt,  sagt  Strabo  dafs 
die  Boier  notgedrungen  nach  d^  Donau  ausgewandert  wären.  9  Allein 
die  letztere  Angabe  ist  nachweisbar  irrig  und  die  erstere,  wie  aus  dem 
Zusammenhang  der  ganzen  DarsteUung  hervorgeht,  mit  starker  Ueber- 
treibuDg  ungenau  ausgedrückt.  Das  Los  der  einzelnen  SUlmme  ist 
offenbar  ein  sehr  verschiedenartiges  gewesen.  Die  Sodhälfte  der  seno- 
nischen  Mark  wurde  vollständig  gesäubert,  auch  in  der  NordhftUte  die 
Ansiedlung  latinischer  Colonisten  in  grofsem  Umfang  betrieben. >)  Mili- 
tärische Rücksichten  sind  hierfür  bestimmend  gewesen ;  denn  es  kam 
darauf  an  die  Spitze  des  in  die  Halbinsel  getriebenen  gallischen  Keils 
abzubrechen ,  den  wichtigen  Appenninttbergang  der  Via  Flaminia  zu 
sichern.  Aus  der  frühen  Latinisirung  dieses  Landstrichs  erklärt  sich 
einerseits  das  Zurückwichen  der  gallischen  Mundart  bis  an  den  Pisau- 
rus  (S.  477),  anderseits  das  verhältnifsmäfsig  zahlreiche  Auftreten  alt- 
lateinischer  Inschriften  in  diesen  Gegenden.^)  Was  sodann  die  Aemilia 
betrifft,  so  roufsten  die  Boier  191  nahezu  ihre  halbe  Feldmark  ab- 
treten^) und  zwar  den  höheren  trockenen  Saum  am  Fufs  des  Appennin, 
der  von  Ariminum  nadi  Placentia  auf  einer  Länge  von  32  d.  Meilen 
hinzieht  Die  Römer  legten  187  auf  demselben  die  Via  Aemilia  an  und 
gründeten  an  dieser  nach  und  nach  ein  Dutzend  Städte  und  Mariit- 
flecken.  Derart  waren  die  Boier  von  ihren  transpadanischen  Stammes- 
genossen abgeschnitten  und  unschädlich  gemacht.  Nichtsdestoweniger 
haben  sie  ihre  Sprache  in  der  Mundart  fortgepflanzt,  die  gerade  in  der 
Aemilia  ein  hervorragend  gallisches  Gepräge  an  sich  trägt,  findlicli 
nördlich  vom  Po  liefe  man  die  Insubrer  ungestört  wohnen :  belang- 
reiche Gebietsabtretungen  wurden  nicht  von  ihnen  gefordert  Wenn 
während  der  Republik  das  Land  zwischen  Alpen  und  Aesis  Gallia  hiefs, 
80  drückte  diese  Benennung  die  damaligen  ethnographischen  Verhält- 
nisse vollkommen  zutreffend  aus.  Erhaltene  Denkmäler  der  lateini- 
schen Sprache  sind  überaus  spärlich,  fehlen  im  westlichen  Poland  gant 

1)  Pol.  n  35, 4  Strabo  IV  195  V  213  Pilo.  III 116. 

2)  Pol.  n  19, 1 1  21,7  fg.  DioD.  Hai.  XIX  13  Kitts,  Flor.  1 8. 

3)  CIL  1 167—80  1425—28. 

4)  Liv.  XXXVI 39. 


§  a.  Die  Raeter.  488 

wxhrend  hi<er  sowol  gallisdi  als  unter  dem  Einflufs  von  Mawalia,  dessen 
Manie  auch  mit  der  römischen  concurrirte,  griechisch  geschrieben 
worden  ist  i)  Um  die  Hitte  des  zweiten  Jahrhunderts  schildert  Poly- 
bios  den  Reichtum  der  Ehene,  den  Muhenden  Ackerbau,  den  Mangd 
an  SUIdten  und  Industrie.  Mit  Wolgefallen  ruht  sein  Soidatenauge  auf 
den  hohen  selbstbewursten  Gestalten  der  kettischen  Bauern.^  Ein 
paar  Jahrhunderte  hindurch  recrutiren  aus  ihnen  vornehmlich  die  rö- 
mischen Legionen,  bis  die  erschlaffende  CiviUsation  auch  diesen  Kern- 
Stoff  verbraucht  hatte  (S.  84).  Immerhin  hat  die  nordische  Volkskraft 
hier  lange  nachgewirkt:  noch  um  100  n.  Chr.  wirtschaften  die  Grund- 
berren  mit  freien  Arbeitern,  nicht  wie  auf  der  Halbinsel  mit  Sklaven  ') 
und  dieser  Umstand  erklärt  ohne  weiteres  die  Fortdauer  der  Wehr* 
haftigkeit  in  diesen  Landschaften.  Die  entscheidende  Wendung  in  ihrer 
Geschichte  trat  durch  Caesar  ein.  Ab  er  49  v.  Chr.  mit  seinen  Vete- 
ranen den  Rubicon  überschritt,  hatte  man  in  Rom  so  Unrecht  nicht 
von  dem  neuen  Brennus  und  dem  Anmarsch  der  Gallier  zu  reden.^) 
Mit  der  Ertheilang  des  Bürgerrechts  verbreitet  sich  die  römische  Cultur 
in  reiCsender  Schnelle:  wann  die  keltische  Sprache  in  der  Ebene  aus- 
starb, wird  uns  nicht  überliefert;  in  römischer  Zeit  ist  sie  noch  ge- 
schrieben worden.^) 

§3.    Die  Raeter. 6) 

In  den  Alpen  wird  von  reichUch  einer  halben  Million  Menschen 
eine  Sprache  gesprochen,  die  man  als  raetoromanisch  churwalsch  oder 
ladinisch  (lateinisch)  zu  bexeichnen  pflegt.  Eine  selbständige  Stellung 
innerhalb  der  romanischen  Sprachfamilie  ist  ihr  bisher  lediglich  des- 
halb nicht  zuerkannt  worden,  weil  sie  bei  ihrer  ungünstigen  geogra* 
phischen  Lage  weder  eine  gemeinsame  Litteratur  noch  Schriftsprache 
hervorzubringen  vermocht  hat  Ihre  Gebietsgrenzen  haben  nachweis- 


1)  GL.  1 1429  fs.  V  p.  719  Mommsen  Ron.  Mflniwesen  397. 

2)  Pol.  U  15, 1  fg.  7. 

3)  Plin.  Ep.  m  19. 

4)  Cicero  an  Atticus  TH  11,3  vgl.  Säet  Gaes.  24. 

5)  Unsichere  Andeutungen  Gic.  Brut  I7t  GeH.  N.  A.  XI 7, 4.  Erhalten  ist 
eine  büingne  Inschrift  vom  Benacns  CIL.  V  4883  and  eine  ans  dem  nmbriachea 
Tnder  OL  1 1408. 

6)  Planta,  das  alte  Raetien  ataatlich  ond  cnltorhistoriach  dargestellt,  BerUn 
1872.  L.  Stenb,  rar  rhaetisehen  Ethnologie,  Stattgart  1854.  Aseoli,  aaggi  ladini 
-a  archlTio  glottologico  itaKano,  vol.  I,  Roma  Torino  Firenze  1873.  Gärtner, 
raetoromanische  Grammatik,  Heilbronn  1883. 

31* 


484  Kap.  XL   Die  YoUustiunme. 

bar  starii  gesdiwankt:  der  dem  ^vischen  gegenüber  gemachte  Ge- 
winn ist  durch  Einbursen  an  daa  Deutsche  sowie  die  lombardische  und 
venezianische  Mundart  yoU  aufgewogen  worden.  Von  den  Mischgebie- 
ten abgesehen,  wird  sie  gegenwartig  nur  noch  in  drei  getrennlen  Be- 
zirken rein  gesprochen:  in  GraubtLnden  am  oberen  Rhein  und  Iiw 
von  etwa  40000,  im  tirolischen  Gader-  und  GrOdenthal  östlich  der 
Eisack  von  1 1 000,  endlich  in  Friaul  von  465  000  Seelen.  In  diesem 
Ostbezirk  reicht  sie  geschlossen  von  der  Küste  zwischen  den  MQd- 
düngen  der  Livenza  und  des  Isonzo  bis  zum  Kamm  der  Alpen  hinauf 
das  ganze  Flufsgebiet  des  Tagliamento  umfassend.  Es  ist  ohne  weiteres 
deutUch  dafs  das  Latein  hier  auf  einer  anderen  nationalen  Grundlage 
sich  fortentwickelt  hat  als  in  den  benachbarten  romanischen  Ländern; 
nicht  minder  deutlich  dafs  dies  Volk  ein  zurückgedrängtes  im  Wett- 
kampf  der  Nationen  unterlegenes  sein  mufs.  Beide  Annahmen  werden 
durch  die  Ueberlieferung  bestätigt.  Der  Name  der  'PaitoL  wird  zuerst 
von  Polybios  erwähnt,  mit  dem  ja  überhaupt  die  gesammte  Alpenwelt 
in  die  historische  Beleuchtung  eintritt.^)  Alsbald  verschwindet  er  wie- 
der und  kommt  in  der  augusteischen  Litteratur  endlich  zu  Tage,  da 
die  republikanischen  Schriftsteller  seiner  nirgends  gedenken. 2)  Die 
Unterwerfung  15  v.Chr.  brachte  die  verschollene  Nation  vorübergehend 
in  AUer  Mund.  Ein  Jahrzehnt  zuvor  hatte  Livius,  der  sie  als  nächster 
Nachbar  genauer  kennen  mufste,  die  wertvollste  Auskunft  gegeben^}: 
^vor  dem  Einbruch  der  GaUier  beherrschten  die  Etrusker,  Venetien 
ausgenommen,  das  ganze  Poiand  bis  zu  den  Alpen.  Auch  die  Alpen- 
volker  gehen  zweifellos  auf  den  nämUchen  Ursprung  zurück ,  zumal 
die  Raeter:  diese  hat  die  Natur  selbst  verwildert,  so  dafs  sie  nur  den 
alten  Klang  der  Sprache  und  solchen  nur  mit  Entstellungen  beibehiel- 
ten'^. Die  Worte  geboren  nicht  jener  leichtfertigen  Geschichtsmacherei 
an ,  mit  welcher  die  Alten  die  Ursprünge  fremder  Völker  aufzuhellen 
liebten ,  sondern  geben  augenscheinlich  die  im  Norden ,  namentlich  in 
Venetien  herrschende  Ansicht  wieder.  Eine  zweite  minderwertige  Tra- 
dition begegnet  kurz  darauf  bei  Trogus  Pompeius,  der  die  Raeter  ge- 
radezu für  die  von  den  Kelten  vertriebenen  Etrusker  erklärt  und  ihren 
Namen  von  dem  Anführer  Raetus  ableitet«  Dieselbe  fand  Beistimmung 
unter  Anderen  bei  PUnius  aus  Comum ,  der  jedoch  ein  „man  glaubt*" 

1)  Bei  Stribo  IV  209  vgl.  S.  11. 139. 

2)  Mach  Servius  Verg.  Georg.  II 95  ist  die  raetische  Traube  Ton  Cato  lokend, 
voD  CatuU  wegwerfend  erwähnt  worden  vgl.  S.  168. 

3)  Liv.  V  33, 10. 


§  3.  Die  Raeter.  *  485 

beigefügt  hat.O  Die  neueren  Sprachforscher  halten  durchaus  an  der 
Verwandtschaft  der  Raeter  und  Etrusker  fest,  die  besonders  der  uner- 
müdliche Alpenwanderer  Steub  zu  begründen  gesucht  hat  Sicher  ist 
dafs  von  sprachlicher  Seite  gegen  die  Nachricht  des  Livius  kein  Ein- 
wand erhoben  wird ,  dafs  vielmehr  manche  Spracherscheinungen  wie 
die  Verdumpfung  der  Laute  im  Ladinischen  recht  gut  dazu  stimmen. 
Wenn  ein  hervorragender  Forscher  wie  Zeufs  die  Raeter  für  Kelten 
hielt,  so  wird  solche  Gleichung  schon  durch  die  Angabe  erschüttert, 
dafs  unter  Kaiser  Hadrian  die  Regimenter  angehalten  wurden  ihr  natio- 
nales Kriegsgeschrei  auszustofsen ,  die  Kelten  in  keltischer  die  Raeter 
in  raetischer  Sprache^),  aufserdem  aber  durch  die  unten  zu  behan- 
delnden Denkmaler  bündig  widerlegt.  Desgleichen  ist  sicher  dafs  jene 
Nachricht  des  Livius  vorzüglich  geeignet  ist  um  die  Schichtung  der 
italischen  Stämme,  die  grofsen  Umwälzungen  die  hier  stattgefunden 
haben,  verständlich  zu  machen :  mit  gutem  Grund  haben  Niebuhr  und 
seine  Nachfolger  sich  ihr  angeschlossen. 

Die  Tusker  benannten  sich  selbst  Rasener  und  dies  Wort  steht 
dem  Worte  Raeter  so  nahe  dafs  beide  wol  als  gleich  betrachtet  werden 
dürfen.')  In  der  That  wird  Raeter  von  den  Alten  durchaus  in  allge* 
meinem  Sinne  wie  Ligurer  Gallier  usw.  gebraucht  und  deshalb  auch 
zur  Rezeichnung  der  von  Augustus  eingerichteten  Provinz  gewählt. 
Dieselbe  wird  vom  Gotthard  und  dem  Ausflufs  des  Rheins  aus  dem 
Rodensee,  im  Norden  von  der  Donau,  im  Osten  von  Inn  und  Ziller^  im 
Süden  durch  Italien  (S.  80)  begrenzt.^)  Aber  die  politischen  entspre- 
chen den  Stammesgrenzen  nur  zum  Theil.  Schon  die  amtliche  Re- 
zeichnung des  Statthalters  procuratar  et  pro  kgato  provinciae  Raetiae 
ei  Vindelieiae  et  vaUis  Poeninae  sondert  das  von  Kelten  bewohnte  vinde- 
licische  Flachland  und  Wallis  vom  eigentlichen  Raetien  ab.  Wir  haben 
S.  478  die  Lepontier  der  keltischen  Nation  zugewiesen  und  in  der  That 
wird  im  Altertum  der  Stock  des  Gotthard  als  Westgrenze  Raetiens  an- 
gegeben, wie  er  solche  heutigen  Tages  fUr  das  raetische  Idiom  dar- 
stellt^)   Dasselbe  erstreckte  sich  ehedem  über  das  ganze  Thal  des 


1)  Justin  XX  5, 9  Plin.  HI  133  Steph.  Byz. 

3)  Arrian  Taktik  44.  Dafs  Zonmus  !  52  die  norisehen  und  luetischen  Le- 
gionen keltiseh  nennt,  fallt  nach  dem  Zasammenhang  der  Stelle  und  bei  der 
Flfichtigkelt  des  Autors  nicht  ins  Gewicht. 

3)  Dion.Hal.I30  Mflller,  Etmsker  1 163:  Deecke  widerspricht. 

4)  Eingehend  behandelt  CIL.  III  p.  707  Planta,  das  alte  Raetien  55  fg. 

5)  Ptolem.  n  12  vgl.  Strab.  lY  204. 206  Tac.  Germ.  1  Plin.  DI  135. 


486  Kap.  XL    Die  Volksstämme. 

Rheins  bis  zu  dessen  Einmündung  in  den  Bodensee  i)  und  umfalste 
ohne  Zweifel  im  Wesenüicben  das  Gebirge  bis  zum  Zülerihal,  der  po- 
litisdien  Grenze  der  Provinz.  Die  Nachricht  data  TridenUim  Febria') 
und  Verona  raetisch  seien,  konnten  wir  zwar  filr  die  Städte  selbst  nicht 
gelten  lassen  um  so  mehr  aber  fttr  deren  Umgebung  (S.  479).  hn 
Uebrigen  hangt  die  Frage,  wie  weit  die  Raeter  am  Sttdabhang  der  Alpen 
nach  Italien  hinein  gewohnt,  mit  einer  zweiten  Frage  zusammen,  wel- 
chem Stamm  die  Bugatiei  angehört  haben.  Dieser  Name  ist  der  helle- 
nischen Litteratur  voUsUindig  fremd  geblieben,  wird  dagegen  von  sehr 
beachtenswerten  romischen  Gewährsmännern  angeführt  Der  alte  Cato 
hatte  34  Gaue  derselben  aufgezählt,  darunter  die  TniiNfyUit  ValTrompia 
und  die  Cumiifim  Val  Gamonica.^)  Als  führender  Gau  werden  dkSum 
genannt,  deren  Sitz  wir  leider  nicht  bestimmen  können.  ^)  Es  scheiot 
dafs  die  Triumphalfasten  sie  für  Ligurer  halten.  Jedoch  sind  die  Euga- 
neer  unseren  Berichterstattern  so  unbekannt  und  rätselhaft,  dab  ihr 
Name  schlankweg  als  das  griechische  evyevslg  gedeutet  wird.  Den 
Schlüssel  des  Rätsels  gewährt  uns  die  Angabe  des  Livius  da(s  vor  An- 
kunft der  Veneter  das  ganze  Ldod  zwischen  Alpen  und  Meer  von  den 
Euganeern  inne  gehabt  gewesen  sei.  Aeufserungen  verschiedener  spä- 
terer Schriftsteller  stimmen  damit  überein.  ^)  Mithin  hat  dies  Volk  einst- 
mals vom  Busen  von  Triest  bis  zum  Oglio  gesessen  und  im  Osten  vor 
den  Venetern,  im  Westen  vor  den  Kelten  ins  Gebirge  zurflckweicben 
müssen.  Die  Ueberlieferung  berechtigt  in  keiner  Weise  eine  Verwandt- 
schaft desselben  mit  den  Raetern  zu  folgern ;  denn  wenn  bei  PUnius 
Verona  eine  Stadt  der  Raeter  und  Euganeer  heifst,  so  kann  daraus 
ebenso  wol  ihre  Verschiedenheit  wie  das  Gegentheil  entnommen  wer- 
den. Allein  die  Spracheinheit  weiche  Friaul  mit  den  altraetischen  Land- 
schaften an  den  Rhein-  und  Innquellen  verbindet,  zwingt  uns  die  Deber- 
seuguog  auf  dafs  die  gedachten  Stämme  sich  zu  einander  verhalten 
haben  etwa  wie  Campaner  und  Samniten  oder  vielleicht  auch  wie  Jonier 

1}  SUabo  Vn  292. 

2)  Plin.  m  130  Feltrini  [cod.  FerUn{\  et  Trideniini  ei  Beruerues  [7]  Rae- 
Hea  oppida,  Raetorum  et  Evganeorum  Ferona, 

3)  Plin.  m  134  vgl.  S.  189. 

4)  Pilo,  m  134  Strabo  IV  204;  die  Fasten  verseichnen  117  einen  Triomph 
d€  Idguribui  Stoenei»  vgl.  Liv.  ep.  62  Gros.  V  14. 

6}  Liy.  1 1  Lucan  Vü  192  (auf  diese  SteUe  stflUt  sieh  die  geleivte,  oidit 
volkatfimliche  Beseichnung  der  volkaDitchen  Hflgelgrnppe  sOdJieh  von  Padoa 
als  eoUi  Eugann)  SUios  lt.  Vm  605  Xu  216  Martial  IV  25  X  93  Xffl  S»  (Sidon. 
Ap.  carm.  2*  9  nach  Lucan)  Servias  V.  Aen.  1 242. 


f  3.    Bit  Raeter.  487 

und  Dorier.  Der  eine  siedelte  im  iniiereB  Gebirg,  der  andere  in  den 
Voralpen :  aus  diesem  Umstand  erklärt  sich  die  Tersehiedene  Benen* 
oung  wie  auch  die  grtffeere  Emp&ngltchkeit  für  die  Cultur  welche  der 
letztere  bekundet  Die  entscheidende  Stimme  gebührt  in  diesw  Frage 
den  Denkmälern.  Im  Umkreis  des  Lnganer  Sees  sind  an  vier  verschie** 
denen  Orten  etruskische  Grabsteine  gefunden  worden,  deren  Sprache 
und  Schrift  im  Ganzen  zu  der  südelmrischen  stimmt,  doch  einen  altera 
tümlicheren  Charakter  als  diese  trägt  Ein  gleichartiger  Grabstein  ward 
im  mittleren  Velllin  unweit  Sondrio  entdeckt  Für  diese  Thatsache 
giebt  es  keine  andere  Erklärung  als  dab  eben  hier  Leute  etruskischen 
Stammes  wohnten.  Dies  festgestellt,  wird  man  auch  die  Inschriften 
bronzener  Weibgeschenke  von  der  Etsch  und  deren  Seitenthälern  bei 
Trient  in  demselben  Sinne  deuten  müssen.  Die  Zeugnisse  sind  an  sich 
nicht  zahlreich;  aber  wenn  wir  den  Druck  erwägen,  den  ehedem  die 
keltische,  später  die  römische  Nationalität  hier  ausgeübt,  so  reichen 
sie  durchaus  hin  um  das  Dasein  einer  grofsen  nordetruskischen  Sprache 
zu  erhärten.  ^)  Nach  dem  Befund  der  Sprachen  glauben  wir  die  ältesten 
Völkerbewegungen  des  Nordens  folgender  Hafsen  auffassen  zu  sollen. 
Oberitalien  war  anfönglich  von  zwei  Völkerfamilien  bewohnt,  der  ligu- 
rischen  im  Westen  der  tuskischen  im  Osten.  Aus  der  letzteren  treten 
die  drei  Zweige  der  Raeter  Enganecr  und  Rasener  oder  Etrusker  uns 
entgegen.  Von  Osten  her  drangen  die  Veneter  erobernd  ein,  später 
von  Westen  die  Reiten :  beide  bemächtigten  sich  der  fruchtbaren  Nie- 
derungen. Der  örtliche  Zusammenhang  der  tuskischen  Nation  ward 
gesprengt,  um  so  mehr  als  die  Reiten  ilure  Eroberungen  auch  auf  ein- 
zelne Flufsthäler  auszudehnen  suchten.  Die  merkwürdigste  Erschei- 
nung bietet  die  Furlaner  Sprache  dar.  Da  das  Suganathal  nach  dem 
Zeugnifs  des  Plinius  raetisch  war  (S.  486  A.  2),  so  hat  die  Zugehörigkeit 
des  Friaul  zu  dieser  Familie  an  sich  nichts  Auffallendes.  Wol  aber 
heiben  die  Carner  den  Alien  Gallier,  ist  Aquileia  auf  gallischem  Boden 
gegründet  (S.  479  A.  4) ,  ist  der  hier  hauptsächlich  verehrte  Belenus 
ein  keltischer  Nationalgott  Um  diese  Thatsachen  mit  dem  Sprachbe- 
stand zu  vereinigen  bleibt  schwerlich  ein  anderer  Ausweg  übrig  als 
eine  Völkermischung  anzunehmen,  bei  der  die  Gallier  den  herrschen* 
den  Theil ,  die  Raeter  die  grobe  Hasse  darstellen  würden :  eine  An- 
nahme für  welche  Analogien  genug  sich  beibringen  lassen. 

In  BetrefT  der  Geschichte  der  Raeter  bleibt  wenig  nachzuholen 


1}  Fabretti  2  fg.  12  Suppl.  1  Corssen,  Etrusker  I  p.  919—952. 


488  Kap.  XL  Die  Yolksstämme. 

übrig.  Des  kleinen  Kriegs  den  sie  bis  auf  Aogustus  gegen  das  Flach- 
land führten,  haben  wir  S.  75.  78  gedacht.  Im  J.  15  v.  Chr.  hat  Drusus, 
mit  Horaz  zu  reden  ^),  ihre  Burgen  (arees  Alpibus  mpo9ita$  tremmiis) 
gebrochen ,  hat  Tiberius  ihren  Freiheitssinn  (devöta  morti  pecUnra  fi- 
berae)  gebeugt.  Die  Siegesinschrift  bei  Monaco  (S.  157)  führt  48  unter- 
worfene Völkerschaften  auf ,  darunter  die  TruntfiKni  in  Val  Trompia, 
die  Cämunni  in  Val  Camonica,  die  Venostes  im  Vintschgau,  die  Lepanti 
im  Thal  des  Tessin.  Was  wir  im  Einzelnen  über  deren  Abstammung 
wissen,  ist  bereits  oben  angemerkt  worden.  Ihrem  Grundsatz  die  Na- 
tionalitäten zu  theilen  und  dadurch  deren  Widerstandskraft  zu  lahmeo 
ist  die  römische  Politik  in  den  Alpen  treu  geblieben.  Die  raetischen 
Thäler  am  Sttdabhang  der  Alpen,  welche  italischen  Städten  untersteilt 
in  die  Landesgrenzen  einbefafst  wurden,  sind  begreiflicher  Weise  am 
Schnellsten  romanisirt  worden  und  haben  bereits  unter  den  Nachfol- 
gern des  Augustus  das  Bürgerrecht  sich  angemalst,  zum  Theil  mit  Er- 
folg behauptet.  2)  Dies  gilt  im  Besonderen  von  den  Gemeinden  im 
Bereich  der  lombardischen  Seen.  Dagegen  sind  die  Carner  in  den 
Ostalpen  erst  ein  Jahrhundert  später  zum  latinischen  Recht  zugelassen 
worden.^)  Hier  wie  in  der  Provinz  Raetien  ist  der  Gebrauch  der  latei- 
nischen Sprache  bedeutend  später  allgemein  geworden  als  am  Tessin 
und  der  Etsch.  Der  ursprüngliche  Grund  für  die  heutigen  Dialekt- 
grenzen hängt  vermutlich  mit  der  politischen  Trennung  zusammen. 

§4.    DieVeneter. 

Die  venezianische  Mundart  beherrscht  ungefkhr  ein  Gebiet  von 
300  d.  D  Meilen  mit  2  Millionen  Einwohnern.  Sie  reicht  im  Osten  bis 
an  den  Unterlauf  des  Tagliamento,  im  Süden  bis  an  den  Po,  im  Westen 
an  den  Mincio,  das  Hantuanische  abgerechnet  (S.  479),  dringt  endlich 
die  Etsch  und  Piave  aufwärts  bis  an  die  deutsche  Sprachgrenze  vor. 
Die  weiteren  Eroberungen  die  sie  unter  dem  Löwen  von  S.  Marco  an 
den  Küsten  der  oberen  Adria  gemacht,  brauchen  hier  nicht  berück- 
sichtigt zu  werden.  In  der  Weichheit  der  Sprache  spiegelt  sich  die 
Natur  des  Landes  wieder  ähnlich  wie  in  unseren  Seemarschen ,  oder 
wie  dasselbe  Wort  an  den  dänischen  Gestaden  einer  schmelzenden, 
unter  den  Klippen  Norwegens  einen  harten  männlichen  Klang  hat 
Von  der  gallischen  scheidet  sich  die  venezianische  Mundart  sehr  deut- 

1)  Od.  lY  14  vgl.  Vell.  U  39  Strab.  lY  206  YU  292  Dio  UV  22. 

2)  CIL.  Y  5050  dazu  Mommsen  Herrn.  lY  112  fg. 

3)  CIL.  Y  532  p.  53. 


f4.   DieVeneter.  489 

lieb  durch  das  reine  u  und  die  Erhaltung  der  Endungen  (S.  475). 
Umgekehrt  erweicht  sie  die  Tenuis  zur  Media,  lärst  die  Consonanten 
im  Inlaut  fallen ,  wandelt  das  palatale  gin  %  um.  Derart  bestätigt  die 
heutige  Stellung  der  Venezianer  den  Bericht  den  Polybios  von  ihren 
Vorfajiren  giebt:  „das  Land  zwischen  den  Cenomanen  und  der  Adria 
hatte  bereits  ein  anderes  sehr  altes  Volk  eingenommen.  Sie  werden 
Veneter  genannt,  weichen  in  ihren  Sitten  und  Ordnungen  nur  wenig 
von  den  Kelten  ab ,  sprechen  aber  eine  verschiedenartige  Sprache." 
Der  Gewährsmann  hatte  Oberitalien  persönlich  besucht,  aufserdem  eine 
Kenntnirs  des  römischen  Heerwesens  sich  angeeignet,  in  der  Wenige 
ihm  gleich  kamen:  wenn  irgendwo  so  wurde  in  den  viekprachigen 
Heerverbänden  jener  Zeit  der  Blick  für  nationale  Besonderheiten  ge- 
schärft. Dafs  ein  auf  reicher  Erfahrung  ruhendes  Urlheil  wie  das  an- 
geftlhrte  im  Altertum  aufser  Acht  gelassen  werden  konnte,  erklärt  sich 
aus  der  damaligen  Richtung  ethnographischer  Studien.  Dafs  es  ver- 
einzelt in  der  Neuzeit  bei  Seite  geschoben  worden  ist,  läfst  sich  erklä- 
ren, aber  nicht  entschuldigen.  Uebrigens  deutet  auch  Plinius  auf  eine 
Verschiedenheit  der  gallischen  und  venetischen  Sprache  hin  und  was 
schwerer  ins  Gewicht  fällt,  setzt  der  Veneter  Livius  die  Einwanderung 
seiner  Stammesgenossen  mehrere  Jahrhunderte  vor  Ankunft  der  Kel- 
ten. 1)  Das  von  ihnen  eingenommene  Gebiet  ist  kaum  halb  so  grofs 
wie  dasjenige  in  dem  heutigen  Tages  venezianisch  gesprochen  wird : 
Verona  und  das  raetische  Bergland  kommen  in  Abzug.  Nach  Osten 
liegt  Aquileia  jenseit  der  Grenze,  die  am  Tagliamento  mit  der  heutigen 
Sprachgrenze  zusammen  fUIt.  Die  Ebene  von  diesem  Flufs  bis  zum 
Po  ist  von  den  Venetern  erobert  und  behauptet  worden.^) 

Der  Volksname  begegnet  zuerst  bei  Herodot  und  zwar  ohne  Di- 
gamma^EveroP),  bei  Theopomp  Strabo  u.  A.  'Everol*),  bei  Polybios 
Oviveroii  am  Ausgang  des  Altertums  auch  Biv€%oi^),  bei  den  Rö- 
mern seit  Cato  Yeneti.  Er  kehrt  gleichlautend  für  ein  verschoUenes 
Volk  in  Paphlagonien  wieder  nach  dem  Schiffskatalog  der  Ilias  ^)  i§ 

1)  Pol.  n  17,  5  Liv.  I  i ;  PliD.  XXVI  42  and  Golam.  VI  24  geben  die  beiden 
einzigen  ziemlich  unsicheren  yenetlschen  Sprachreste,  von  den  nicht  entzifferten 
Inschriften  abgesehen. 

2)  Strabo  V  214  Plin.  lU  126. 

3)  Her.  1 196  V  9  Skylax  19. 

4)  Theop.  fr.  143  Müller,  Strabo  unterscheidet  durch  fehlende  Aspiration 
die  paphlagonischen  Eneter  1 48  Xu  542  fg.  von  den  gallischen  und  italischen. 

5)  Z.  B.  bei  Prokop,  vgl.  Julian  or.  11  7 ID.  Enstalh  zu  Dien.  Per.  378. 

6)  Hein.  D.  n  852  Strabo  XH  543. 


490  Kap.  XL  Die  Volksatäame. 

^Evecwv  o&ev  iqfnovoiv  yivog  ayuoTBQatovj  in  der  Bretagi 
nes,  wie  den  Alten  seit  Gaesara  gallischem  Krieg  bekann 
endlich  als  Name  der  Wenden,  die  durch  deutsche  Vena 
Kunde  der  Römer  gelangt  als  Venedi  bei  Plinius  Feilet  bei  1 
treten.^)  Vereinzelt  dient  er  noch  zur  Bezeichnung  eines 
Balkanhalbinsel  3)  sowie  eines  vom  Rhein  durchflossenen  Si 
theils  der  Zufall  theils  das  Streben  fremde  Namen  mund| 
machen  zu  derartiger  Uebereinstimmung  beigetragen  haben, 
wir  in  diesem  so  wenig  wie  in  ähnlichen  Fällen  zu  sagen.  I 
rische  Vers  hat  den  Anlafs  gegeben  die  Veneter  aus  Papblagc 
Troia's  Zerstörung  einwandern  zu  lassen :  eine  Verbindung  t 
bei  Cato  begegnet  und  allgemeine  Aufnahme  gefunden  hat,  i 
in  Venetien  selbst,  dessen  Hauptstadt  Patavium  seinen  Urs 
Antenor  zurückführte.  ^)  Jedoch  ist  die  Fabel  von  den  Gri( 
gegangen,  deren  Gelehrten  jener  homerische  Vers  viel  Kopfzc 
verursachte,  und  vermutlich  durch  die  Beziehungen  des  äUei 
zum  Poland  veranlafst  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  aufgel 
Strabo  verwirft  die  herrschende  Ansicht  und  hält  es  für  vt 
lieber,  dafs  die  Veneter  wie  die  anderen  italischen  Gallier  \ 
her  und  zwar  als  AbkOromUnge  der  bretonischen  Veneter  eij 
seien.  '^)  Er  würde  besser  gethan  haben  auf  den  Namen  d 
halbinsel  zu  verweisen ;  denn  wenn  Herodot  die  Veneter  de 
zurechnet,  so  entspricht  die  geographische  Lage  solchem  A 


»▼ 


1)  Gaes.  b.  Call.  UI  7  fg.  Sirabo  IV  195  Dio  XXXIX  40  o.  a. 

2)  Fun.  IV  97  Tac.  Germ.  46  Zeufs  p.  67. 

3)  Appian.  Mithr.  55  Eustath  zu  II.  II  852  dera.  za  Dion.  Per.  378.  Stnbo 
Xm  608. 

4)  Mela  lU  24. 

5)  Cato  bei  Plin.  IH  130  Nepos  bei  Plin.  VI  5  Verg.  Aen.  I  247.  Uv.  1 1 
Jusün.  XX  1,  8  Mela  U  60  Lucan  VH  192  Martial  IV  25  Sil.  IUI.  Vm  604.  - 
Die  Tradition  ist  von  padanischen  Schriftstellern  gepflegt  —  Varro  Dionys  Orid 
u.  A.  berücksichtigen  sie  nicht  —  und  in  den  GuUus  TonPataTiom  aofgenommen 
worden  Tac.  Ann.  XVI  21  Dio  LXII  26.  Sie  far  eine  Nachahnoag  dtf  römi- 
schen Aeneasfabel  zu  halten  ist  unzulässig,  da  diese  einer  jüngeren  Epoche 
angehört  (A.  6  Tgl.  S.  67). 

6)  Herodot  1 196  der  die  Veneter  illjrrisch  nennt,  kann  sie  noch  nicht  ge- 
kannt haben.  Sie  begegnet  bei  Maeandrios  ca.  280  Strabo  Xn  552,  vieUeicht 
schon  bei  Theopomp  Skymn.  389 ;  Tgl.  Strabo  XH  543  fg.  XDI  607.  Die  Blüte 
der  Tenetischen  Pferdezucht  im  5.  und  4.  Jahrhundert  mufste  ihr  Anfkonunea 
befördern. 

7)  Strabo  IV  195  V  212. 


§4.    DieVeneter.  491 

oen.  Jedenfalk  fehlt  ein  Grund  um  von  dieser  ältesten  Bestim- 
*  abxuweichen ,  die  durch  die  erhaltenen  Namen  bestätigt  wird.  ^) 
:n  RiMnern  ist  der  Volksname  nicht  durch  griechische,  sondern 
"^^^       etroskiscbe  oder  umbrische  Vermittlung  gelangt  ^j 

Einstimmig  larst  die  Tradition  die  Veneter  nach  Troia's  Fall  in 
einwandern.  Der  Stolz  den  die  Alten  darin  suchten  mit  ihrer 
t  von  Anbeginn  aller  Dinge  verwachsen  zu  sein  leiht  der  Erzah« 
les  Livius  einen  besonderen  Nachdruck.   Was  wir  von  der  Ge- 
le Venetiens  wissen,  fügt  sich  ungezwungen  hinein«  Es  scheint 
eEuganeer  von  den  Fremden  nicht  sämmtlich  vertrieben'),  son- 
uch  theilweise  unteijocht  worden  seien.  Vereinzelt  haben  rae- 
Ortsnamen  sich  erhalten.^)  Die  Pflege  der  Rossezucht,  die  im 
4.  Jahrhundert  Aufsehen  in  Hellas  erregte^),  deutet  auf  ein  ent- 
;nes  Hervortreten  des  Adels  hin.  Damit  stimmt  die  militärische 
|)|L  .         ^he  des  ganzen  Stammes  sehr  gut  ttberein.  Zwar  liat  derselbe 
^      Chr.  durch  seinen  Angriff  auf  das  keltische  Gebiet  Rom  aus  den 
^  ^'^     a  dieses  Erbfeindes  befreit;  auch  preist  Livius  die  Kampfbereit* 
^mo!^      seiner  Landsleute,  deren  Stärke  Strabo  auf  120  000  Mann  an- 
Jedoch  ist  davon  in  späteren  Zeiten  wenig  mehr  zu  spüren : 
nd  225  die  Streitmacht  der  Halbinsel  nach  Hunderttausenden 
,  brachten  Veneter  und  die  unter  gleichen  Bedingungen  leben- 
momanen  zusammen  nicht  mehr  als  20000  Mann  ins  Feld^),  in 
iteren  Kriegsgeschichte  wird  der  venelische  Name  nicht  erwähnt. 
<d  recht  eigentlich  geborene  Bundesgenossen  Roms.  Die  Was« 
seioo^^n  welche  die  Natur  des  Landes  forderte  (S.  19%  begünstigten 
die  SeCshaftigkeit  und  Arbeitstheilung;  der  Seehandel  übte  seinen  civi- 
lisirenden  Einflufs  aus.  Seit  der  letzten  Hälfte  des  5.  Jahrtiunderts  läfst 
sich  eine  griechische  Ansiedlung  in  Atria  nachweisen,  der  Tyrann 
Dionys  versorgte  von  hier  sein  Gestüt  mit  Rennpferden,  der  Geschicht- 


1)  Mommsen  CIL  Y  3019  hebt  hervor  dafs  die  wenigen  unlateinischen 
Eiseonaroen  einen  iUyrischen,  keinen  gallischen  Charakter  tragen. 

2)  Die  Vergleichung  der  Form  Italia  mit  fehlendem  Digamma  beweist  den 
ersten,  die  geographische  Lage  den  iweiten  PuncL 

3)  Liv.  1 1,  3  Eugamii  gui  inter  mare  Alptqu9  ineolebant  puUis. 

4)  TtuTümum  Treviso  verglichen  mit  TarvMedum  Station  auf  dem  Splugen. 
Die  Bezeichnung  des  Bodensees  bei  Mela  lU  24  als  laew  Fonehu  legt  sogar 
den  Scbluls  nahe  dafs  der  Volksname  der  raetischen  Sprache  angehöre. 

5)  Euripid.  Hippolyt  231  (vgl  736)  Strabo  V  212.  215  Poiemon  fr.  22 
(MOUer  m  122^Schol.  lu  Eurip.  a.  0.). 

6)  Pol.  n  18,  3  24,  7  Liv.  X  2  Strabo  V  213. 


492  Kap.  XL  Die  Yolksstimme. 

Schreiber  Philistos  leitete  einen  Canalbau  um  den  Zugang  der  Stadt 
zum  Meer  zu  erleichtem.  ^)  Man  darf  den  Umfang  des  Verliehrs  nicht 
überschätzen  (S.  175).  Polybios  tadelt  streng  die  Unwissenheit  seiner 
Landsleute  bezüglich  dieser  Gegenden,  die  märchenhaften  Erfindungen, 
mit  denen  die  Geschichtschreiber  solche  verdeckten.  ^)  Um  von  dem 
Bernsteinflufs  (S.  183)  und  von  der  Gabelung  der  Donau  (S.  10)  zu 
schweigen,  wird  die  Fruchtbarkeit  und  der  Menschenreichtum  des  Lan- 
des in  den  übertriebensten  Farben  ausgemalt:  die  Hennen,  heilst  es, 
legen  zweimal  des  Tags,  die  Schafe  lammen  zweimal  im  Jahr  und  iver- 
fen  zwei  Lämmer,  oft  auch  drei  und  vier,  bisweilen  fünf  und  noch 
mehr,  die  Veneter  nennen  fttnfeig  Städte,  das  beste  Weide*  und  Acker- 
land ihr  eigen.')  Aber  soviel  geht  doch  aus  solchen  Berichten  hervor, 
dafs  der  Grund  jenes  aufserordentUchen  Wolstandes  den  die  Veneter 
in  römischer  Zeit  entfalten,  früh  gelegt  worden  ist  In  dem  groben 
Gegensatz  welcher  die  italische  Politik  bestimmte,  zwischen  dem  zQgel- 
losen  Treiben  keltischer  Gefolgschaften  und  den  auf  Abwehr  und  fried- 
lichen Erwerb  gerichteten  Bestrebungen  war  ihre  Parteinahme  von 
selbst  gegeben.  Sie  fechten  225  v.  Chr.  auf  römischer  Seite,  halten  im 
hannibalischen  Krieg  die  Wasserstrafse  ofTen,  welche  die  Behauptung 
der  grofsen  Pofestungen  Placentia  und  Cremona  ermöglichte ,  über- 
lassen späterhin  ohne  Widerstreben  den  Römern  die  Grenzvracht  am 
Fufs  der  Ostalpen. ^)  Man  begreift  ohne  Weiteres,  dafs  die  Cultur  in 
dieser  Landschaft  früher  und  stärker  sich  geäufsert  hat  als  bei  den 
Galliern.  Eine  Anzahl  in  einem  eigentümlichen  Alphabet  geschriebe- 
ner einheimischer  Steinschriften  sind  auf  uns  gelangt^)  Auf  die  BlQte 
griechischer  Studien  läfst  sich  aus  dem  Umstand  ein  Schluls  ziehen, 
dafs  griechische  Ausdrücke  durch  die  padaoischen  Autoren  in  die  latei- 
nische Sprache  eingeführt  worden  sind.<^)  Mit  der  Ertheilung  des  lati- 
nischen Rechts  89  v.  Chr.  beginnt  die  rasche  Latinisirung.  Wie  grOnd- 


1)  Strabo  ¥212  vgl.  S.  92.  206;  Schöne,  le  antichitä  del  moseo  Bocchi 
di  Adria,  Roma  1878,  p.  XII. 

2)  Pol.  n  16,  13  17,  6  Strabo  V  215. 

3)  Pseudo-Hekataeos  fr.  58»  Steph.  Byz.  kS^la  Skymnos  375  fg.  Theopomp 
fr.  143  Mfiller  de  mir.  ansc.  119.  128;  bescheidener  Aristot  bist.  anim.  VI  1, 1 
Plin.  X  146. 

4)  Liv.  X  2,  9  semper  eoi  (Patamnos)  in  amäs  aeeolae  GaUi  habebant 
XXI  57,  5  XXXIX  22  fg.  XU  27  CIL.  I  547—549. 

5)  Fabretti  27—41  dazu  Deecke,  Mfillers  Etrasker  1 138  A. 

6)  Beispiele  S.  384.  389. 


§  5.  Die  Etnisker.  498 

lieh  sie  durchgeführt  worden ,  erhellt  aus  dem  seltenen  Voricommen 
barbarischer  Eigennamen.  ^) 

Von  den  OstUdben  Nachbarn  ist  der  Carner  bereits  S.  487  gedacht 
worden,  lieber  die  Bist r er  ist  wenig  zu  sagen.  Der  Name  ^lavQoui 
wahrend  die  Römer  an  der  aspirirten  Form  festhalten  2),  begegnet  zu- 
erst im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.^),  doch  in  ganz  nebelhafter  Ferne.  Der 
Klang  des  Namens  erzeugte  die  Vorstellung  von  der  Gabelung  der  Donau 
(S.  10)  und  man  dachte  sich  noch  zu  Anfang  des  2.  Jahrhunderts  die 
Balkanhalbinsel  so'  zusammen  geschnürt  dafs  vom  Gipfel  des  Haemos 
aus  Adria  und  Schwarzes  Meer,  Alpen  und  Donau  gleichzeitig  erblickt 
werden  konnten.^)  Hiermit  hängt  es  zusammen  daCs  die  Histrer  für 
Thraker  fi)  oder  im  Anschlufs  an  die  Argonautensage  für  Kolcher^)  er- 
klärt wurden.  Als  sie  durch  das  Vordringen  der  Römer  genauer  be« 
kannt  worden  waren,  heilsen  sie  lUyrier  ^)  und  in  der  That  weist  die 
geographische  Lage  auf  ihre  Zugehörigkeit  zu  dieser  Völkerfamilie  hin. 
Der  Stamm  erstreckte  sich  ehedem  viel  weiter  als  die  kleine  nach  ihm 
benannte  Halbinsel  (89  DM.).  Er  grenzte  ehedem  an  die  Veneter, 
reichte  also  bis  an  den  Tagliamento  und  beanspruchte  noch  181  v.  Chr. 
den  Küstenstrich,  in  welchem  Aquileia  gegründet  wurde.  ^)  Doch  haben 
die  Camer  den  Zugang  zum  Meer  erkämpft  und  ihnen,  nicht  den 
Histrem  wird  in  augusteischer  ZeitTriest  zugezählt®)  Livius  bezeich- 
net die  alten  Nachbarn  als  wilde  wegen  ihres  Seeraubs  berüchtigte 
Leute  und  erzählt  ein  paar  Kriege,  die  schliefsUch  177  ▼.  Chr.  mit  der 
Unterwerfung  endigten.  ^^) 

§5.  DieEtrusker.il) 

Toscana  oder,  wie  Machiavelli  will,  Florenz  hat  die  italienische 
Schriftsprache  geschaffen  und  noch  heutigen  Tages  wird  die  Rede  dieser 

1)  Mommsen  CIL.  V  p.  268. 

2)  GlaTer  IL  ant.  204  Mommsen  CIL.  V  p.  1. 

3)  Skylax  20  Skymn«  391  Pseado-HekaUeos  fr.  59. 

4)  Anziehender  Bericht  über  die  Besteigung  durch  König  Philipp  181  v.  Chr. 
nach  Polybios  Lir.  XL  21  fg.  Strabo  VII  313  Mela  U  17. 

5)  Skymn.  391  ApoUodor  fr.  119  (Mfiller  I  p.  451). 

6)  Kallimaehos  fr.  44  Bergk  Strabo  V  216  Justin.  XXXn  3, 13  Diod.  lY  56, 7 
Mela  n  57  Plin.  m  128. 

7)  Appian  III.  8  Strabo  YU  314. 

8)  Skylax  20  Skymn.  391  LIt.  XL  26  XUB  1. 

9)  Strabo  YII  314  Plin.  Ol  127. 

10)  Uv.  X  2  ep.  XX  XL  26  XLI  11. 

11)  Otfried  Müller,  die  Etrusker,  2  B.  Breslau  1828;  neu  bearbeitet  Ton 


494  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

Stadt  als  Muster  und  Vorbild  für  das  gesammte  Land  hingestelh.  Es 
ist  nicht  zu  erwarten ,  dafs  ein  irgend  erheblicher  Bestand  ^n  etm- 
skischen  Worten  auf  mflndlichem  Wege  fortgepflanzt  worden  sei,  da 
das  Italienische  flberhaupt  von  allen  romanischen  Sprachen  den  latei- 
nischen Wortschatz  am  treusten  bewahrt  hat  und  unter  seinen  Stamm- 
wörtern nicht  ein  Zehntel  fremden  Ursprungs  zahlt  Nur  die  aspirirte 
Aussprache  der  Toscaner  (ginrgia)  erinnert  noch  an  die  Häufung  too 
Aspiraten  welche  die  Schrift  ihrer  Vorfahren  kennzeichnet  Einen 
ahnlichen  Vorrang,  wie  Dante  für  seine  Heimat  begründet,  hat  dieselbe 
zwei  Jahrtausende  früher  besessen.  Die  etruskische  Schrift  ist  nicht 
nur  die  älteste  welche  in  Italien  aus  der  griechischen  abgeleitet  wor- 
den, sondern  bis  zum  hannibalischen  Krieg  auch  die  verbreitetste  ge- 
wesen, hat  den  Umbrem  Oskern  Venetern  und  Galliern  für  die  Bildang 
ihrer  Alphabete  als  Vorlage  gedient  Die  Denkmaler  dieser  Sprache 
erstrecken  sich  über  ein  Gebiet  von  2000  O  Meilen.  Dazu  gehört  die 
Umgegend  von  Capna,  Etrurien,  das  westliche  Umbrien  {Tnder  FeT- 
tonä)^  die  gallische  Mark  {Pisaurum  Armmum)^  die  Aemilia  {Bommia 
Rtwenna  Regium  Plaeentia)^  Ligunen  [Cemendum  BagimHi)^  MantnOy 
Raetien  (Etschthal  Val  di  Non  und  di  Cembra  Veltlin  Lugano) ,  wobei 
die  Fundstücke  aufser  Acht  bleiben,  die  augenscheinlich  durch  Han- 
delsverkehr nach  Steiermark  der  Schweiz  und  anderen  nördlichen  Lan- 
dern gelangt  sind.  Die  Zahl  der  Denkmaler  übersteigt  5000,  meistens 
jedoch  geringen  Umfangs.  Sie  zerfallen  nach  den  Schrift-  und  Wort- 
formen in  drei  Hauptgruppen,  der  geographischen  Theiinng  ent- 
sprechend. Die  nördliche  oder  raetische  Gruppe  tragt  das  altertüm- 
lichste Gepräge,  was  sich  aus  der  abgeschiedenen  dem  grofsen  Verkehr 
entrückten  Lage  von  selbst  erklart  Sie  entbehrt  zwar  auch  die  Medien 
h  gd,  besitzt  aber  noch  den  o-Iaut  Die  mittlere  Gruppe  befafst  die 
Masse  von  Inschriften ,  welche  zwischen  Po  und  Tiber  ans  TagesUcht 
gezogen  worden  sind.  Ihre  Sprache  ist  von  WoUaut  himmelweit  ent- 
fernt. Von  den  Vocalen  sind  die  getrübten  äöü  aufserdem  o  ausge- 
fallen, von  den  Consonanten  die  Mediae  b  gd^  dagegen  die  Aspiraten 
ph  ch  th  und  die  Zischlaute  $'  $z  bewahrt  Da  der  Ton  durchaus  auf 
der  ersten  Silbe  liegt,  so  werden  die  inlautenden  Vocale  häufig  syn- 
copirt  und  es  entstehen  Wortungetüme  wie  elüinuta'^KXvTaifiyi^arga 
atinta  ^^!d%alavviq  alcsti  =!5/AxijofT£g  mnih = Mevilaog  mti^ims «-« 

W.  Deecke,  Stnttgirt  1877.  W.  CorsseD,  über  die  Sprache  der  Etrasker,  2  R 
Leipiig  1874.  75;  dam  die  Kriük  von  W.  Deecke  Stattgart  1875  und  Etnis- 
kitche  Forachnngen  von  W.  Deecke  6  Hefte  Stnttg.  1876  fg. 


1 5.  Die  Etnisker.  495 

Mihxfavog  tUimunn»  —  Teka^tSvogy  deren  Verhältnifs  zu  dem  melo- 
dischen Tonfall  eines  Petrarca  und  Tasso  sich  schwer  absehen  läfst. 
Freilich  ist  die  Schreibung  vielfach  an  dem  fremdartigen  Aussehen  von 
Formen  wie  eri%  cezpz  scesetna  carpnti  usw.  Schuld.  In  der  sOdlichen 
campanischen  Gruppe  ist  das  Schwinden  der  Vocale  nicht  in  diesem 
Mafse  vorgeschritten,  obgleich  auch  hier  o  mitsammt  den  Mediae  fehlt. 
Uebrigens  macht  sich  in  Campanien  der  Einflufs  des  Oskischen  so  stark 
bemeriibar  dafs  man  fast  geneigt  ist  an  eine  Sprachmischung  zu  denken. 
Der  Zeit  nach  gehört  die  Masse  der  Denkmäler  den  beiden  letzten  Jahr- 
hunderten der  Republik  und  den  Anfängen  der  Kaiser  an ;  einzelne 
reichen  bis  ins  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  hinauf.  Die  etruskische  Natio- 
nalität hat  unter  allen  die  der  italische  Boden  umschlofs,  ihre  Eigenart 
am  Zähesten  behauptet.  Die  Widerstandskraft  schreibt  sich  theils  von 
dem  hohen  Aller  ihrer  Cultur,  theils  von  dem  tiefgreifenden  Gegensatz 
her  der  das  etruskische  und  das  römische  Wesen  scheidet.  Nach  dem 
bannibalischen  Krieg  beginnt  die  lateinische  Schrift  einen  formalen 
Einflufs  zu  Oben,  nach  dem  Bundesgenossenkrieg  begegnen  doppel- 
sprachige Grabschriften  oder  solche  in  denen  das  Alphabet  lateinisch 
die  Sprache  etruskisch  ist.  Manche  Grabkammern  zeigen  anschaulich, 
wie  schwer  es  den  Insassen  gefallen  ist  sich  der  ererbten  Sitte  ihrer 
Vorfahren  zu  eotäufsem.  Oeffentlich  trug  auch  noch  zur  Erhaltung 
bei  die  Wichtigkeit  welche  der  römische  Staat  bestimmten  theologi- 
schen Disciplinen  wie  Eingeweideschau  und  Blitzsühne  beimafs  und 
dnrch  Fürsorge  für  Bewahrung  dieser  alten  Geheimlehren  bethätigte. 
Die  so  lange  fortgesetzte  Berührung  hat  notwendig  einen  sprachlichen 
Austausch,  eine  ausgedehnte  Entlehnung  aus  dem  Griechischen  Latei- 
nischen Umbrischen  veranlassen  müssen :  die  Zahl  der  Fremdwörter 
im  Etruskischen  beläuft  sich  überaus  hoch.  Wenn  man  aber  den  ur- 
Bprünglicben  Gehalt  ins  Auge  fafst  z.  B.  die  Ausdrücke,  welche  die 
Familie  betreffen,  oder  die  Zahlen,  so  fehlt  jeder  Anklang  an  die  itali- 
schen und  die  indogermanischen  Sprachen  überhaupt.  Es  ist  auch  rein 
willkürlich  von  vornherein  die  Annahme  als  die  wahrscheinlichste  hin- 
zustellen ,  dafs  die  etruskische  mit  der  lateinischen  umbrischen  oski- 
schen Sprache  verwandt  sei.  Den  Römern  hat  sie  als  ganz  fremdartig 
barbarisch  gegolten  und  Dionys  gelangt  nach  wolerwogener  Unter- 
suchung zu  dem  Ergebnifs  <):  „ein  sehr  alter  Stamm  und  keinem  an- 
deren Stamm  weder  in  Sprache  noch  Sitte  gleich.*^  Mehr  hat  auch  die 


1}  DioD.  Hai.  I  30  Cicero  de  deor.  nat.  Uli  de  rep.  119  Gell.  N.  A.  XI 7, 4. 


496  Kap.  XL  Die  yolkasOiiime. 

neuere  Forschung  trotz  der  emsigsten  Mühe,  trotz  dem  Aufgebot  von 
arischen  semitischen  finnischen  Sprachen  nicht  herausgebracht  Der 
Versuch  das  Etruskische  ab  Glied  der  italischen  Familie  einzuverlei- 
ben,  den  ein  so  fleifsiger  und  verdienter  Mann  wie  Gorssen  unternahm, 
ist  voUstilndig  gescheitert.  Und  wenn  nun  neuerdings  sein  eifrigster 
Gegner  Deecke  uns  mit  dem  Gestflndnifs  überrascht,  der  von  Gorssen 
eingeschlagene  Weg  sei  doch  der  richtige  gewesen,  so  finden  wir  darin 
nur  einen  Beweis  für  die  Aussichtslosigkeit  das  Rätsel  mit  den  zu  Ge* 
böte  stehenden  Mitteln  zu  lösen.  Ein  paar  Seiten  eines  etruskischen 
Buches  würden  bessere  Dienste  für  die  Entzifferung  leisten  als  die  Na- 
menregister  die  wir  den  Nekropolen  entnehmen.  Und  endlich  hat  man 
nicht  den  geringsten  Grund  sich  darüber  zu  beklagen  dab  die  Einord- 
nung der  Etrusker  in  eine  bestimmte  Sippe  nicht  geUngen  will;  denn 
die  Zahl  der  bekannten  Sprachen  reicht  nicht  von  Weitem  an  die  Zahl 
der  verschollenen  hinan. 

Aegyptische  Denkmäler  des  14.  Jahrhunderts  erwähnen  einen 
Freibeuterschwarm  der  Turscha  aus  den  Ländern  vom  Nordmeer 
(S.  116);  von  welchen  Küsten  er  ausgesegelt  war,  wissen  wir  damit 
leider  noch  nicht  Uebereinstimmend  lautet  der  Name  bei  den  Umbrem 
Turskum  numem,  jünger  Tuscom  nome^  bei  den  Römern  Tum  Birutä. 
bei  den  Hellenen  TuQatjvol  jünger  TvqqtjvoL  Das  Volk  selbst  be- 
nannte sich  nach  einem  Heros  Eponymos  Rasena  oder  Rasetuui,  wel- 
cher mit  Raetus  verwandt  zu  sein  scheint.  Als  Namen  der  Nordstämme 
haben  wir  Raeti  und  Euganei  kennen  gelernt  (S.  486).  Hesiod  setzt 
die  Tyrsener  bereits  an  die  Seite  der  Latiner  (S.  5)  und  von  der  heUe- 
nischen  Colonisation  ab  vermögen  wir  wenigstens  in  grofsen  Zügen 
ihre  Schicksale  auf  italischem  Boden  zu  verfolgen.  Um  so  dunkler 
bleibt  ihre  Vorgeschichte.  In  dem  wilden  Fehdeleben  das  die  Anfänge 
der  griechischen  Geschichte  erfüUtf  erscheint  auch  ihr  Name;  manche 
alteinheimische  Sage  meldet  von  ihren  Räubereien  und  Niederlassun- 
gen, i)  Die  Geschichtschreiber  des  5.  Jahrhunderts  halten  sie  für  gleichr 
bedeutend  mit  dem  Urvolk  der  Pelasger  und  wissen  von  ihrer  Vertrei- 
bung aus  den  hellenischen  Gauen  zu  reden.  Nach  Hellanikos  landen 
sie  am  Po  von  Spina  und  gründen  von  hier  aus  ihr  Reich.  ^)  Zu  grOfserer 
Verbreitung  ist  die  Erzählung  Herodots  gelangt,  nach  welcher  das  halbe 
lydische  Volk  unter  dem  Konigssohn  Tyrsenos  ans  Mangel  an  Unter- 

t)  Hom.  Hymn.  7, 8 fg.  Herod.  1 57  Thukyd.  IV,  109  Philochoros  fr.  5  M.  Dioo. 
Hai.  I  25. 

2)  Dion.  Hai.  1 28  Diod.  XIV  113. 


§  5.  Die  Etrnsker.  497 

halt  im  Westen  eine  neue  Heimat  suchen  mufste.  Der  gänzliche  Mangel 
an  äufserer  wie  an  innerer  Beglaubigung  dieses  Märchens  ist  von  Dionys 
überzeugend  nachgewiesen  worden.  Es  wird  etwa  in  der  ersten  Hälfte 
des  5.  Jahrhunderts  ersonnen  sein  um  dem  Verkehr  zwischen  Lydien 
und  Etrurien  eine  mythische  Weihe  zu  geben,  ähnlich  wie  später  Rom 
durch  die  Aeneasfabel  in  der  politischen  Gemeinschaft  der  Hellenen 
legitimirt  wurde  (S.  67).^)  Jedenfalls  ist  das  Dogma  von  der  lydischen 
Abstammung  der  Etrusker  von  Staatswegen  anerkannt  und  im  inter- 
nationalen Verkehr  gebraucht  worden.  Dieser  Umstand  erklärt  zu- 
gleich seine  Annahme  nahezu  von  der  gesammten  griechisch-römischen 
LiUeratur.2)  Die  etruskischen  Bearbeitungen  desselben,  so  viel  wir  da- 
von wissen  3),  haben  die  Ankunft  der  Lyder  in  unmittelbare  Verbin- 
dung mit  der  Geschichte  von  Tarquinii  gesetzt.  Der  Stadtheros  Tar- 
chon  wird  als  Sohn  oder  Bruder  des  Tyrsenos  ferner  als  Stifter  des 
ZwOlfstädtebundes  diesseit  wie  jenseit des  Appennin  ausgegeben.  Jedoch 
hat  auch  Perusia  ähnliche  Ansprache  erhoben  die  Mutter  von  Felsina 
und  Mantua  zu  sein.  Diese  Traditionen  gehören  einer  jungen  Epoche 
an,  als  die  Macht  der  Etrusker  längst  gebrochen  war,  und  malen  die 
Vergangenheit  um  so  glänzender  aus,  je  weniger  die  einzelne  Stadt 
nach  dem  Umschwung  der  Dinge  zu  bedeuten  hatte.  Aber  wenn  nach 
.der  glaubhaften  Angabe  des  Livius  in  den  raetischen  Alpen  tuskisch 
gesprochen  und  wenn  nach  Ausweis  der  Denkmäler  im  Nonsberg  Veltlin 
und  am  Luganer  See  tuskisch  geschrieben  wurde,  so  leuchtet  von 


1)  Der  um  500  lebende  lydische  Geschichtschreiber  Xanthos  gchloCs  durch 
seine  Daretellung  die  Fabel  unbedingt  aus  Dion.  Hai.  1 28.  Ausdrücklich  nach 
dem  Monde  der  Lyder  berichtet  sie  Herodot  I  94.  Wenn  nun  26  n.  Chr.  im 
römischen  Senat  von  den  sardiscben  Gesandten  ein  Beschlufs  der  Lucumonen, 
der  diese  Verwandtschaft  anerkannte,  verlesen  wurde  —  Tac.  Ann.  IV  55  de- 
erehim  Etruriae  reeitavere  ut  eoraangttinti  vgl.  Fest  p.  322  M.  — ,  so  wird 
QDB  damit  der  AnlaTs,  ans  den  obigen  Daten  die  Zeit  der  Fiction  bestimmt. 

•Auf  die  Berührungen  zwischen  lydischer  und  etruskischer  Gultur  hat  O.Müller 
und  Andere  nach  ihm  mit  Recht  Gewicht  gelegt,  aber  unrichtige  Schlüsse  dar- 
aus gezogen.  Dieselben  erklaren  das  Aufkommen  der  Fabel,  aber  die  Fabel 
vermöchte  nicht  die  lydische  Musik  in  Etrurien  zu  erklären,  wie  Müller  will, 

2)  Timaeos  fr.  19  M.  Lykophron  1351  fg.  Strabo  V  219  Plut  Rom.  2  Appian. 
Lib.  66  Pausan.  II  21,  3  vgl.  Dion.  Hai.  I  28.  —  Cicero  de  divin.  I  19  fr.  p.  65 
D.  88  Baiter-Kayser  Verg.  Aen.  II 781  Vm479  IX  U  X155  Hör.  Sat  16,1  Ovid 
Met  m  583  Stat  Silv.  12,  190  IV  4, 6  Sil.  It.  IV  721  u.  o.  Rutil.  Nam.  1 596.  ~ 
Fest.  p.  322  Justin  XX  1, 7  Val.  Max.  H  4, 4  Velleius  1 1, 4  Seneca  Dial.  XH  7, 2 
Plin.  lU  50  Solin  2,  7. 

3)  Servius  zu  V.  Aen.  X  179.  198. 

Kiffen,  ItaL  LandMkand«.   I.  32 


498  Kap.  XI.  Die  Volksstämme. 

selbst  ein  dafs  diese  Nation  weder  über  das  Meer  gekommen  noch  von 
einer  kleinen  Landschaft  aus  vorgedrungen  sein  kann^  sondern  dafe 
sie  Tielmehr  in  grofsen  VOlkerzQgen  zu  Lande  von  Norden  her  einge- 
wandert sein  mufs. 

Vereinzelt  werden  dieEtrusker  Autochtbonen  genannt 0  und  darin 
erkennt  man  ein  Zeugnifs  für  ihre  lange  Ansässigkeit  im  italischen 
Lande.    Aber  mit  anderen  Volkern  mit  Ligurern  und  Umbrem  yer- 
glichen  erschienen  sie  den  Alten  doch  als  Ankömmlinge.    Ihre  Ein- 
wanderung fällt  früher  ak  diejenige  der  Veneter  und  Kelten,  später  als 
diejenige  der  Umbrer  Latiner  Osker,  kurz  der  italischen  Stämme  im 
engeren  Sinne  des  Worts.  Sie  ist  von  Osten  und  Norden  her  vermut- 
lich  in  langen  Zwischenräumen  erfolgt.    „Vor  der  römischen  Herr- 
schaft —  schreibt  Livius^)  —  dehnte  sich  die  Macht  der  Etrusker  zu 
Land  und  Wasser  weithin  aus.   Wie  sehr  sie  auf  der  Nordsee  und  auf 
der  Sttdsee,  durch  die  Italien  wie  eine  Insel  umgürtet  wird,  geboten 
haben,  beweisen  die  Namen:  die  eine  haben  die  italischen  Stämme 
tuskisch  mit  dem  gemeinsamen  Namen  der  Nation  genannt,  die  andere 
atriatisch  nach  Atria  einer  Colonie  der  Tusker;  auch  die  Griechen 
nennen  sie  tyrrhenisch  und  adriatisch.   Die  Küstenländer  beider  Meere 
bewohnten  sie  in  je  zwölf  Städten ,  anlänglich  diesseit  des  Appennin 
an  der  Südsee;  nachher  entsandten  sie  über  den  Appennin  ebenso  viel 
Colonien  als  Hauptstädte  im  Bunde  waren  und  diese  Colonien  besetz- 
ten alles  Gebiet  zwischen  dem  Po  und  dem  Fufs  der  Alpen,  ausgenom- 
men den  Winkel  der  Veneter,  die  an  dem  inneren  Busen  der  Adria 
wohnen.  Auch  die  Alpenvölker  gehen  zweifellos  auf  denselben  Ur- 
sprung zurück,  zumal  die  Raeter.''  Wir  sahen  S.  486  dafs  die  hinsicht- 
lich Venetiens  gemachte  Ausnahme  für  eine  ältere  Periode  nicht  zu- 
trifft, dafs  einstmals  vom  Meerbusen  von  Triest  und  den  carnischen 
Alpen  ab  alles  Land  raetisch  d.  h.  etruskisch  gewesen  ist.  Als  Haupt- 
städte der  Etrusker  im  Norden  werden  bezeichnet  Airia^)  Mtmtua^ 
Jfe/pum^):  letzteres  ungewifs  wo  nördlich  vom  Po  gelegen  soll  von 
den  vereinigten  Insubrern  Boiern  und  Senonen  396  v.  Chr.  am  Tage 
der  Einnahme  Veji's  zerstört  worden  sein.  Wesüich  reichte  ihr  Gebiet 
bis  an  den  Tessin,  ja  nach  Polybios  bedeutend  darüber  hinaus.    Für 

1)  Dion.  Hai.  I  26.  30. 

2)  Liv.  Y  33,  7  vgl  Pol.  H  17  Lykophron  1361. 

3)  Varro  LL.  V  161  Liv.  V  33,  7  Pilo.  UI 120  Steph.  Byt.  jit^la. 

4)  Verg.  Aen.  X  198  mit  den  Schol.  Plin.  lU  130. 
5}  Plin.  ni  125. 


§  5.  Die  EtniBker.  499 

diese  Angabe  hat  sich  neuerdings  eine  monumentale  Bestätigung  ge* 
funden.  Am  oberen  Po  in  der  Gegend  der  Bagienni  (gemuer  bei  Busca, 
Saluzzo)  ist  eine  alte  etruskische  Grabschrift  und  bei  Cemendum  in 
der  Nähe  von  Nizza  eine  kleine  etruskische  Nekropole  entdeckt  wor- 
den. Es  labt  sich  nicht  entscheiden,  ob  diese  Denkmäler  auf  Schutz- 
Terwandte,  Handwerker  und  Kaufleute,  oder  auf  einen  herrschenden 
Adel  zurückgehen.  Immerhin  beweisen  sie,  dafs  der  etruskische  Ein- 
flttfs  auch  in  Ligurien  mafsgebend  war.^)  Von  den  wechselnden  Schick- 
salen des  Küstenstrichs  zwischen  Macra  und  Amus  war  S.  471  die 
Rede.  In  der  Ebene  südlich  vom  Po  haben  sodann  die  Etrusker  auf 
Kosten  der  Umbrer  sich  ausgebreitet.  Felsina  Bologna  rechtfertigt  den 
Zusatz  prineeps  Btruriae  durch  die  Gräberschätze,  die  in  den  letzten 
Jahrzehnten  an  verschiedenen  Orten  der  Umgegend  aufgedeckt  wur- 
den und  die  Fortdauer  einer  etruskischen  Bevölkerung  in  der  Kelten- 
zeit darthun.  Diejenigen  umbrischen  Landschaften  welche  ihre  Unab- 
hängigkeit behaupteten,  hatten  von  den  fortgesetzten  Angriffen  viel 
zu  leiden;  der  Haupttheil  des  Gebiets  das  dieser  Stamm  inne  gehabt, 
ging  auf  immer  verloren.  Dazu  gehörte  nach  glaubhafter  Ueberliefe- 
rung  das  500  d.  O  Meilen  grofse  Land  zwischen  Meer  Tiber  und  Ap- 
pennin,  das  in  der  Geschichte  den  etruskischen  Namen  am  Längsten, 
ja  in  etwas  geschmälertem  Umfang  bis  auf  die  Gegenwart  herab  be- 
wahrt hat.  Auch  in  rein  umbrischen  Städten  wie  Tuder  Todi  und  Vet* 
tona  Bettona  unweit  des  Tiber  sowie  in  Pitanrum  Pesaro  an  der  Adria 
treffen  wir  etruskische  Ansiedler  an ,  wie  deren  Grabschriften  zeigen. 
Das  starke  Hervortreten  des  Adels  in  Etrurien  legt  die  Vermutung  nahe, 
dafs  die  frühere  Bevölkerung  des  Landes  vielfach  sitzen  geblieben  und 
in  Leibeigenschaft  geraten  war  2):  indessen  fehlt  ein  sicherer  Anhalt 
lim  eine  derartige  Stammesverschiedenheit  zwischen  Adel  und  Plebs 
zu  behaupten.  Dagegen  wissen  wir  bestimmt  dafs  eine  Anzahl  fremder 
rein  italischer  Völkerschaften  in  politische  Abhängigkeit  von  den  Etrus- 
kern  geraten  waren.  Unter  ihnen  befinden  sich  die  Falisker  am  Tiber 
bei  Civita  Castellana,  deren  Inschriften  den  Kampf  des  etruskischen  und 
sabinischen  Elements  anschaulich  darstellen ,  die  Römer  über  welche 
im  6.  Jahrhundert  V.  Chr.  ein  etruskisches  Königsgeschlecht  geherrscht 
hat ,  die  Latiner  von  deren  Unterwerfung  alte  Sagen  berichten ,  die 


1)  Leider  ist  HDklar,  was  wir  unter  ^vriov  verstehen  sollen,  wo  Skylax  4.  5. 
die  Grenze  zwischen  Ligurern  und Tyrrhenern  ansetzt;  vgl.  Lykophron  1356  fg. 

2)  Dion.  Hai.  IX  5  bringen  iS  inaofig  Tvg^fjvlag  ol  ^ardrcrroi  roig 
lavTctfi'  neviiJxaQ  inayo/isvoi  ein  gcofses  Heer  zusammen;  vgl.  §  6  S.  505. 

32* 


500  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

Rutuler  und  Volsker  an  der  Seekttste.^)  Endlich  war  auch  die  reichste 
Landschaft  der  Halbinsel  der  Unternehmungslust  dieses  Stammes  als 
Beute  anheim  gefallen.  „Vor  Alters,  schreiht  Polybios^),  als  die  Etnis- 
ker  die  Poebene  inne  hatten ,  bewohnten  sie  zugleich  die  wegen  ihrer 
Fruchtbarkeit  so  sehr  gefeierten  Phlegraeischen  Gefilde  um  Capua  und 
Nola.*^  Wie  in  Etrurien  und  jenseit  des  Appennin  im  Norden  sollen  sie 
ebenfalls  in  Campanien  einen  ZwOlfstfldtebund  gestiftet  haben.  Die 
erste  Stelle  in  demselben  nahm  das  später  Capua  umgenannte  Fo&icr- 
num  ein,  dessen  Gründung  mit  derjenigen  Ton  Nola  um  800  ▼.  Chr. 
angesetzt  wird.  Femer  gerieten  Herculaneum  und  Pampeii  in  ihren 
Besitz,  der  Hinerratempel  auf  dem  Vorgebirge  der  surrentinischen  Halb- 
insel galt  in  der  Kaiserzeit  als  eine  Stiftung  der  Etrusker.  Südlich  Ton 
der  Halbinsel  am  Paestaner  Golf  erstreckte  sich  bis  zum  Silarus  tuski- 
sches  Gebiet. ')  Der  über  Corsica  bis  etwa  300  ▼.  Chr.  geübten  Ober- 
herrschaft haben  wir  bereits  früher  (S.  365)  gedacht.  Vor  ihrer  Ver- 
bündung mit  Karthago  scheinen  sie  auch  mit  Sardinien  engere  Be- 
ziehungen unterhalten  zu  haben.  *) 

Die  Ueberlieferung  verwehrt  uns  die  Ausbreitung  der  etruskischen 
Macht,  die  etwa  um  600 — 500  ?.  Chr.  ihre  Höhe  erreicht  hatte,  in 
festeren  Umrissen  zu  zeichnen.  Das  Schrifttum  stand  dieser  Epoche 
zu  fern  und  noch  weniger  sind  von  den  Gräberfunden  ausgiebige  Auf- 
schlüsse zu  erwarten,  da  solche  den  Luxus  und  damit  den  einreibenden 
Verfall  erlSlutern.  Immerhin  ersieht  man  dafs  die  älteren  Hellenen 
Italien  nicht  ohne  Grund  TvqqijvIo  benannt  haben  (S.  65).  In  seiner 
weitesten  Ausdehnung  bewohnte  und  beherrschte  dieser  Stamm  ein 
Gebiet  von  etwa  3000  d.  Quadratmeilen ,  doppelt  so  viel  als  späterhin 
die  Kelten  gewonnen  haben.  Wir  verglichen  S.  480  die  letztere  Ein- 
wanderung mit  einem  Keil  der  in  das  GefQge  eines  Baums  hineingetrie- 
ben wird.  Das  Bild  läfst  sich  auch  auf  die  viele  Jahrhunderte  ältere 
Volkerbewegung  anwenden,  nur  dafs  der  etruskische  Keil  den  kelti- 
schen an  GrOlse  weit  überragt:  sein  Lager  erstreckt  sich  über  7  Län- 
gengrade vom  M.  Cenis  bis  zum  Birnbaumer  Wald ,  seine  Schneide 
dringt  3  Breitengrade  weiter  nach  Süden  vor.  Aber  darin  vornehmlich 
unterschieden  sich  beide,  dafs  die  Kelten  Italiens  sich  an  eine  mächtige 
weit  verzweigte  Nation  anlehnen,  im  engsten  Zusammenhang  mit  dem 

1)  Gato  Orig.  fr.  112  n  14  Jordan. 

2)  Pol.  U  17,  1. 

3)  Strabo  V  242.  247.  Yell.  I  7  SUt  Silv.  U  2,  2  Plin.  m  70. 

4)  Strabo  V  225. 


S  5.  Die  Etrasker.  501 

nationalen  Ganzen  einen  yorgeschobenen  Posten  desselben  darstellen, 
während  die  Etrusker  ohne  Rückhalt,  von  fremden  Volkern  umringt 
als  losgerissener  Ast  eines  uns  nicht  bekannten  Stammes  erscheinen. 
Wie  früh  im  ersten  oder  zweiten  Jahrtausend  vor  unserer  Zeitrechnung 
diese  Wanderscharen  in  und  am  Fufs  der  Alpen  sich  niedergelassen, 
von  hier  ans  ein  grofses  Stück  der  Halbinsel  erobert  haben ,  läfst  sich 
nicht  erraten.  Die  Alten  leiteten  den  Namen  TvQarjvol  von  Tvqaig  ab 
und  bezeichneten  dieselben  als  Burgen-  oder  Städtebauer.^)  In  der 
That  sind  sie  weit  eher  als  alle  ihre  Nachbarn  zu  den  Formen  civili- 
sirten  Lebens  yorgeschritten  und  deshalb  auch  die  Lehrmeister  ihrer 
Nachbarn  geworden.  „Vor  Alters,  schreibt  Posidonios  2) ,  zeichneten 
sie  sich  durch  Tapferkeit  aus,  besetzten  viel  Land,  gründeten  viele  be- 
deutende Städte.  Lange  Zeit  beherrschten  sie  die  See  und  bewirkten 
dafs  das  italische  Meer  den  Namen  tyrrhenisch  erhielt.  Für  den  Land- 
krieg erfanden  sie  die  treffliche  Trompete,  die  gleichfalls  tyrrhenisch 
heifst,  statteten  die  Anführer  mit  äufserer  Würde  aus,  gaben  den  Be- 
amten Lictoren  Elfenbeinsessel  und  mit  Purpur  verbrämte  Togen, 
richteten  in  den  Häusern  Atrien  zum  Empfang  der  Clienten  ein.  Das 
Meiste  hiervon  haben  die  Römer  herüber  genommen.  Auch  bearbeite- 
ten sie  eifrig  die  Wissenschaften  sowol  Natur-  als  Gotterlehre  und  bil- 
deten unter  allen  Menschen  die  Blitzschau  am  Gründlichsten  aus:  des- 
halb geniefsen  sie  bei  den  Weltherrschern  bis  auf  den  heutigen  Tag 
hohen  Ansehens  und  werden  zur  Deutung  der  hinmilischen  Blitzes- 
zeichen verwandt.  Die  Fruchtbarkeit  ihres  wolbewässerten  Landes 
leistet  der  Völlerei  Vorschub,  so  dafs  sie  zweimal  am  Tage  üppig  tafeln 
auf  Blumenlagem  mit  silbernem  Geschirr  von  einem  zahlreichen  Trofs 
bedient.  In  Wohnung  und  Kleidung  treiben  sie  ungebührlichen  Auf- 
wand, verbringen  kurz  gesagt  ihr  Leben  mit  Gelagen  nnd  unmänn- 
lichen Ausschweifungen,  der  alterprobten  Kraft  und  des  Knegsruhms 
ihrer  Vorfahren  veriustig.^'  Der  erschlaffenden  Wirkung  der  Civilisa- 
tion ,  der  kein  einziges  Volk  des  Altertums  auf  die  Dauer  sich  zu  er- 
wehren vermocht  hat,  ist  die  etruskische  Nation  frühzeitig  erlegen. 
Berufen  wie  sie  schien  das  ganze  Land  unter  ihrem  Scepter  zu  einigen, 
bedurfte  sie  der  höchsten  Anspannung  aller  Kräfte  nicht  nur  zur  Er- 
reichung dieses  Ziels  sondern  auch  zur  Behauptung  ihres  Besitzstandes. 
Zuerst  ward  derselbe  erschüttert  durch  den  Einbruch  der  Veneter,  als- 
dann durch  den  Einbruch  der  Kelten.  Mit  dem  Verlust  der  Poebene 

1)  Dion.  Hai.  I  26.  Tgl.  30. 

2)  Bei  Diodor  Y  40. 


502  Kap.  XL  Die  Yolksstämme. 

war  der  Zusammenhang  der  Nation  zerrissen,  der  Ansatz  des  gewalti- 
gen Keils  zertrammert.  Ungeßdir  um  dieselbe  Zeit  war  auch  dessen 
Spitze  abgebrochen  worden,  als  Rom  die  Tarquinier  vertrieb  und  seine 
Unabhängigkeit  glücklich  wahrte.  Mit  dem  Fall  Volturnums  443  t.  Chr. 
ging  Campanien  an  die  Samniten,  mit  dem  Fall  Veji's  396  die  cimi- 
nische  Landschaft  an  die  Römer  verloren.  Von  den  verschiedensten 
Seiten  her  haben  Kelten  Ligurer  Umbrer  Latiner  Samniten  Hellenen 
einander  in  die  Hände  gearbeitet  um  die  etruskische  Herrlichkeit  abzu- 
bröckeln. Schliefslich  blieb  nur  das  Land  Etrurien  übrig,  welches 
nach  einem  mattherzigen  Widerstand  um  3(K)  v.  Chr.  der  römischen 
Führung  sich  unterordnete.  Damit  war  der  Schutz  nach  aulsen  uro 
den  Preis  der  Selbstbestimmung  erkauft.  Für  diese  letzte  Periode 
etruskischer  Geschichte  fliefsen  unsere  Quellen  reichlich.  Ein  starke 
Adels-  und  Priestertum,  blühendes  Gewerbe,  Gutswirtschaft  ohne  freien 
Bauernstand,  eine  spitzfindige  Theologie  der  das  ganze  Universum  sich 
in  einer  Rindsleber  abspiegelt,  mafsloser  Luxus  ohne  Geschmack,  Gla- 
diatorenkämpfe, Zechgelage  —  das  sind  etwa  diejenigen  Züge  welche 
in  derselben  zunächst  in  die  Augen  fallen.  Aber  die  aufgedunsenen 
derbsinnlichen  Gestalten  der  Bildwerke  stehen  der  Zeit  als  man  den 
Namen  der  Tyrsener  in  Hellas  nur  mit  Schrecken  In  den  Mund  nahm, 
ebenso  fern  wie  die  Römer  unter  Nero  oder  Commodus  den  alten 
Hannibalskämpfern.  Mit  gutem  Grund  warnt  Polybios  davor  die  grofse 
Vergangenheit  der  Etrusker  mit  dem  Mab  des  zweiten  Jahiiiunderte 
V.  Chr.  zu  messen. 

§6.  Die  Umbrer.  1) 

Die  Sprache  gewährt  den  sichersten  Prüfstein  nationaler  Zusam- 
mengehörigkeit. In  den  beiden  Jahrhunderten,  welche  der  Ertheilung 
des  römischen  Bürgerrechts  an  alle  Bewohner  der  Halbinsel  voraus- 
gehen, hat  sich  ein  Gegensatz  zwischen  Italien  und  dem  Ausland  fest- 
gestellt (S.  71).  Die  Meeresgrenze  schliefst  die  Bundesgenossen  zu  einer 
Einheit  zusammen,  vereinzelt  sogar  ist  von  Stammverwandtschaft  zwi- 
schen Oskern  und  Römern  die  Rede.  ^)  Aber  an  eine  Verwandtschaft 
der  beiderseitigen  Sprachen  hat,  so  viel  wir  wissen.  Niemand  gedacht 

1)  Aufrecht  und  Kirchhoff,  die  umbrischen  Sprachdenkmäler,  2  B.  Berlin 
1S49.  51.  M.  Brial,  les  tables  Eagubines,  Paris  1875.  Bücheier  in  verstreatea 
Abhandlangen  (Bonn  1876. 78.  80  und  Fieckeisen's  Jahrb.  1875  p.  127.  313),  deren 
Sammlung  erwünscht  wäre. 

2)  Nach  Pol.  1 10,  2  erbitten  die  Mamertiner  als  oß6^)joi  Hilfe. 


§  6.  Die  Umbrer.  503 

und  in  der  That  werden  auch  die  Träger  aufser  Stande  gewesen  sein 
sich  unter  einander  mühelos  zu  verständigen.  Als  sodann  am  Ende  der 
Republik  die  antiquarische  Forschung  aufblühte,  hat  sie  das  Latein  für 
eine  griechische  Mundart  erklärt,  ohne  die  ausgestorbenen  oder  im 
Aussterben  begriffenen  Schwestersprachen  einer  weiteren  Aufmerk- 
samkeit zu  würdigen.  Sie  führte  damit  die  herrschende  Weltbildung, 
die  römische  des  Westens  wie  die  hellenische  des  Ostens  auf  einen 
und  denselben  Ursprung  zurück,  der  universalen  Richtung  der  Zeit  an- 
gemessen. Die  näher  liegende  Frage  wie  das  Latein  die  allgemeine 
Volkssprache  Italiens  geworden  und  werden  konnte,  hat  ihr  Nach- 
denken nicht  beschäftigt.  Auf  die  UeberUeferung  allein  angewiesen 
müfsten  wir  antworten :  es  sei  damit  gegangen  gleich  einem  Senfkorn, 
das  ein  Baum  wird,  dafs  die  Vögel  unter  dem  Himmel  kommen  und 
wohnen  unser  seinen  Zweigen.  Zum  Glück  indessen  sind  so  viel  be- 
schriebene Denkmäler  auf  uns  gelangt,  dafs  wir  das  Lateinische  einer 
gröfseren  Gesammtheit  einzureihen  vermögen.  Die  Mundarten  der 
Umbrer  Osker  Latiner  Volsker  Marser  Paeligner  Frentaner  Falisker 
bilden  eine  Einheit,  die  wir  mit  dem  Namen  italisch  zusammen  fassen: 
aus  den  vorhandenen  Sprachresten  läfst  sich  die  Grundsprache  her- 
stellen ,  welche  von  dem  Urvolk  vor  seiner  Spaltung  und  Ausbreitung 
gesprochen  wurde.  0  Diese  Einsicht  die  den  erhaltenen  Inschriften 
verdankt  wird,  wirft  auf  die  ältere  Geschichte  ein  willkommenes  Licht. 
Wir  begreifen,  dafs  Stämme  der  mittleren  Halbinsel  die  lateinische 
Schriftsprache  ohne  Widerstreben  annehmen  konnten ,  da  sie  den  Rö- 
mern nicht  blos  benachbart  sondern  auch  verwandt  waren.  Die  Eini- 
gung der  Halbinsel  zu  einem  Bundesstaat  unter  Roms  Führung,  die 
den  Absehlufs  der  älteren  Entwicklung  darstellt,  wird  unserem  Ver- 
ständnifs  genähert  durch  die  Thatsache  dafs  reichlich  die  Hälfte  der 
Bundesglieder  und  gerade  die  wehrhaftesten  durch  das  Band  gemein- 
samer Herkunft  unter  einander  verknüpft  waren.  Wir  dürfen,  so  spröde 
und  fremdartig  sie  sich  auch  gegenüber  stehen  (S.  68  fgOt  Gleichheit 
der  Denk-  und  Sinnesweise,  Uebereinstimmung  der  wichtigsten  Lebens- 
anschauungen bei  ihnen  voraussetzen.  Freilich  war  ein  Nationalge- 
fühl, wie  es  die  hellenischen  Stämme  vor  aller  Ueberlieferung  zusam- 
men hielt  (S.  57),  auf  italischem  Boden  ausgeschlossen.  Obwol  der 
nämlichen  Wurzel  entsprossen,  haben  die  italischen  Völkerschaften  in 
ihren  Gebirgsthälern  sich  von  einander  abgesperrt  und  jenen  sprach- 


1)  Lexicon  Italicum,  composuit  Fr.  Buechelcr,  Bonn  1881. 


504  Kap.  XI.    Die  VoHustämme. 

liehen  Gegensatz  ausgebildet ,  der  auf  den  Denkmalern  greifbar  ent- 
gegen tritt.  So  dankenswert  das  erhaltene  Material  auch  ist,  reicht  es 
doch  entfernt  nicht  aus  um  die  Schichtung  und  Anordnung  der  Mund- 
arten ,  damit  zugleich  den  Stammbaum  der  Volker  klar  zu  stellen.  Im 
Allgemeinen  macht  sich  der  Einflufs  der  geographischen  Lage  be- 
merkbar, der  Unterschied  zwischen  West  und  Ost  oder  Ebene  und 
Gebirg,  der  Unterschied  zwischen  Norden  Mitte  und  Süden.  Beide  Ge- 
sichtspuncte  sind  auch  für  die  Anordnung  der  heutigen  Mundarten  zu 
Grunde  gelegt  worden :  dem  letzteren  wird  von  der  modernen  For- 
schung das  Hauptgewicht  zugeschrieben.  Solches  trifft  in  gleicher 
Weise  für  das  Altertum  zu  und  demzufolge  werden  wir  die  Glieder  des 
italischen  Stammes  in  drei  Abschnitten  behandeln. 

Der  Norden  des  italischen  Sprachgebiets  umfafst  die  umbrische 
Mundart.  Ihre  Denkmäler  beschranken  sich  auf  einen  kleinen  Raum  von 
ein  paar  tausend  Quadratkilometern  zwischen  Tiber  und  Appennin.^ 
Sie  gehören  einerseits  dem  Strich  längs  des  Tiber,  den  Gemeinden 
Ameria  Tuder  Bettona  Asisium  an,  anderseits  Iguvmm  und  dem  Kamm 
des  Appennin,  wo  der  Tempel  des  Juppiter  Appenninus  (S.  218)  einen 
Hittelpunct  des  landschafthchen  Gottesdienstes  abgab.  Was  ihnen  an 
Zahl  abgeht,  wird  durch  das  1444  entdeckte  Ritual  von  Iguvium  die 
umfangreichste  aller  italischer  Urkunden  inhaltlich  ausgeglichen.  Es 
steht  auf  7  Erztafeln  von  denen  5  im  einheimischen,  2  im  lateinischen 
Alphabet  beschrieben  sind.  Jenes  ist  aus  dem  etruskischen  abgeleitet 
und  so  erzählt  uns  der  blofse  Anblick  der  Schriftzeichen,  dafs  die 
Umbrer  die  Elemente  der  Cultur  von  den  etruskischen  Nachbarn  über- 
kamen ,  unabhängig  von  diesen  zu  gestalten  suchten ,  aber  nach  dem 
gewaltigen  Aufschwung  Roms  etwa  um  200  v.  Chr.  wieder  fallen  liefsen 
um  sich  der  hauptstädtischen  Weise  anzubequemen.  Die  geringe  Wi- 
derstandskraft welche  die  einheimische  Schrift  entfaltet,  wiederholt 
sich  im  Bau  der  Sprache.  Sie  stimmt  in  manchen  Eigentümlichkeiten 
mit  der  oskischen  im  Gegensatz  zur  lateinischen  Uberein :  beide  haben 
im  Anlaut  p  wo  letztere  qu^  im  Inlaut  /  wo  letztere  d  hat,  bilden  den 
Infinitiv  auf  um  (otn) ,  eine  Endung  die  bei  den  Römern  nur  in  dürf- 
tigen Spuren  nachweisbar  ist.  Aber  während  die  oskische  Sprache 
reich  entwickelt,  fein  gebildet  erscheint,  bekundet  die  umbrische  einen 
völligen  Verfall  im  Lautsystem  und  mehr  noch  in  den  Endungen.  Die 
künstlerische  Pflege  welche  das  gesprochene  Wort  allein  zu  adeln 


1)  Fabretti  G.  L  It.  79—100,  1.  sappl.  105. 


{  6.    Die  Umbrer.  505 

Termag,  hat  ihr  durchaus  gefehlt.  Die  Zerrüttung  der  Sprache  spiegelt 
uns  die  Schicksale  des  Stammes  wieder,  der  in  weit  höherem  Grade  als 
seine  Genossen  verkümmert  ist. 

Der  Name  der  Umbrer  begegnet  zuerst  bei  Herodot,  der  sie  süd- 
lich vom  Alpisflufs  wohnen  und  zu  ihnen  die  Tyrrhener  aus  Lydien 
gelangen  läfst^  Bei  den  älteren  Hellenen,  denen  sie  durch  ihre  bin- 
nenlandisehe  Lage  und  durch  ihre  bescheidene  geschichtliche  Rolle 
gleichmäfsig  entrückt  waren,  geschieht  ihrer  selten  Erwähnung. 2) 
Uebereinstimmend  erscheinen  sie  der  jüngeren  Tradition  als  Urbewoh- 
ner  Italiens')  und  werden  in  dieser  Eigenschaft  häufig  neben  den  Ligu- 
rem  als  Barbaren  aufgeführt.^)  Man  brachte  ihren  Namen  mit  tn^er 
und  der  Deukälionischen  Flut  in  Verbindung.^)  Die  Erbauung  von 
Ämeria  wird  vom  alten  Cato  ins  J.  1133  v.  Chr.  hinaufgerückt.  Ferner 
meldet  die  Tradition  dafs  ihre  Wohnsitze  sich  einstmals  über  den  gan- 
zen Norden  der  Halbinsel  erstreckten,  über  Etrurien,  aus  dem  sie  durch 
die  Etrusker,  über  die  gallische  Mark,  aus  der  sie  durch  die  Senonen 
verjagt  wurdeiv^)  In  der  Aemilia  werden  die  Städte  Ravenna  und  Au- 
trium  ihnen  zugerechnet.'«)   Aber  während  der  historisch  hellen  Jahr- 
hunderte sind  sie  auf  den  Kamm  des  Appennin  und  dessen  Seitenthäler 
vomCasentino  (S.  304)  abwärts,  ein  Gebiet  von  kaum  mehr  als  lOOd. 
D  H.  Inhalt  beschränkt.  Sie  gelten  ähnlich  wie  die  Ligurer  (S.  472)  als 
Bergbewohner  s):  ihr  Landsturm  erreicht  225  v.  Chr.  nur  die  Höhe 
von  20  000  Mann.   Die  Wohnsitze  deuten  klärlich  darauf  hin,  dafs  in 
diesen  Bergen  der  Rest  eines  ehedem  grofsen  weitverzweigten  Stanunes 
eingekeilt  worden  ist.  Seine  Geschichte  geht  in  ein  beständiges  Zurück- 
weichen vor  den  drei  mächtigen  Nationen  auf,  welche  nach  einander 
um  die  Herrschaft  Norditaliens  gerungen  haben.   Die  Nachricht  dafs 
einstens  Umbrer  in  Toscana  gesessen ,  wird  durch  vereinzelte  Orts- 
namen bestätigt:  es  giebt  hier  nicht  nur  einen  Flufs  Umbro  sondern  am 
selben  einen  tractus  Umbriae^  vieUeicht  einen  abhängigen  umbrischen 

1)  Her.  I  94  IV  49. 

2)  Philistos  fr.  2  Theopomp  fr.  142  M.  Skylax  16  Skymn.  366  Arist.  Met. 
U  3,  42  de  mir.  ausc.  80  Lykophr.  AI.  1360. 

3)  Plin.  III  112  Umhrorum  gens  antiquistima  Italiae  exittimaiur  Dion. 
Hai.  1 19  n  49. 

4)  Dion.  Hai.  1 10.  13.  22.  89  VU  72. 

5)  Plin.  III 112.  1 14  Senr.  V.  Aen.  XU  753  Isidor  IX  2, 87  vgl.  Diod.  XIV  113. 

6)  PUn.m50.  112  Her.  194. 

7)  Strab.  V  214.  Pilo.  HI  115. 

8)  Pol.  11 24,  7  Sil.  It.  VUI  449. 


506  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

Gau  bezeichnend;  der  ältere  Name  von  Clusium  Camars  kehrt  bei  dem 
Bergvolk  der  Camertes  wieder,  i)  Drei  hundert  Orlschaften  sollen  die 
Etrusker  ihnen  entrissen  haben.  Insofern  die  Ziffer  nur  zum  Ausdruck 
einer  grofsen  Menge  dient,  kann  sie  durchaus  auf  Ghubwürdigkeit  An- 
spruch machen ,  da  aufser  Toscana  auch  noch  die  Aemilia  in  Betracht 
kommt  Der  Kampf  zwischen  Etruskern  und  Umbrern  hat  sich  durch 
viele  Jahrhunderte  bis  in  historische  Zeiten  hingezogen,  Ähnlich  wie 
dies  zwischen  Galliern  und  Ligurem  der  Fall  war  (S.  472).  In  sagen- 
hafter Weise  berichtet  Strabo  von  diesen  verschollenen  Dingen  2): 
„südlich  vom  Po  wohnen  Umbrer  mitten  unter  den  Römern,  auch 
Etrusker.  Denn  diese  beiden  Völker  wetteiferten  vor  der  römischen 
Herrschaft  mit  einander  um  den  Vorrang  und  ttberschritten  leicht  den 
Tiberflufs  der  sie  trennte,  sich  gegenseitig  zu  bekriegen.  Und  wenn 
nun  das  eine  Volk  einen  Heerzug  in  die  Fremde  unternahm,  so  beeilte 
sich  das  andere  in  die  nämUche  Gegend  auszurücken.  Als  die  Etrusker 
ein  Heer  gegen  die  Barbaren  am  Po  entsandt  und  gesiegt  hatten,  bald 
aber  wieder  wegen  ihrer  Schwelgerei  vertrieben  wurden,  da  zogen  die 
Nebenbuhler  wider  den  Feind  zu  Felde.  Sodann  in  der  Eroberung 
einander  ablösend  gründeten  sie  viele  theils  etruskische  theils  um- 
brische  Ortschaften ,  letztere  in  gröfserer  Zahl  da  die  Umbrer  naher 
zur  Hand  waren.  Die  Römer  aber  welche  das  Land  überkamen  and 
Colonisten  in  vielen  Plätzen  ansiedelten,  liefsen  jene  früheren  Stimme 
im  erworbenen  Besitz.  Und  jetzt  sind  alle  romanisirt,  nichts  desto 
weniger  werden  einige  Umbrer  und  Etrusker  genannt'^  Die  Daislel- 
lung  fafst  offenbar  die  eigentümliche  Verwicklung  ins  Auge  wdche  ent- 
stehen mufste,  als  im  Lauf  des  fünften  Jahrhunderts  zu  den  alten  Wi- 
dersachern ein  neuer  hinzukam.  „Boier  und  Lingonen  —  schreibt 
Livius')  —  überschreiten  den  Poeninus,  finden  das  Gebiet  nördlich 
vom  Po  von  Stammesgenossen  ausgefüllt,  setzen  auf  FlöÜBen  Ober  den 
Strom ,  vertreiben  nicht  nur  die  Etrusker  sondern  auch  die  Umbrer 
aus  ihren  Landereien,  halten  sich  jenseit  des  Appennin.  Zuletzt  wan- 
dern die  Senonen  ein  und  lassen  sich  in  dem  Strich  von  Utens  bis  Aesis 
nieder."  Seitdem  wohnten  drei  grundverschiedene  Nationen  in  dem 
Lande  zwischen  Po  und  Appennin  neben  einander:  die  herrschende 
und  zahlreichste  die  keltische,  in  einzelnen  Städten  die  etruskische  und 
umbrische.  Aber  sogar  in  dem  engen  Gebirgsland  das  ihren  Nameo 

1)  PliD.  m  51.  —  Liv.  X  25  Pol.  n  19,  5. 

2)  Strab.  V  216. 

3)  Liv.  V  35,  2. 


§6.  DieUmbrer.  507 

trägt,  ward  die  letztere  von  den  beiden  anderen  bedroht:  wir  haben 
Id  altumbrischen  SUidten  etruskische  (S.  494)  und  keltische  (S.  480} 
Niederlassungen  angetroffen.  Das  Ritual  von  Iguvium  lehrt  uns  dafs 
hier  neben  Stammesgenossen ,  Tadinaten  und  Nahartern ,  auch  Kelten 
und  Etrusker  weilten :  sie  alle  werden  bei  der  grofsen  Stthnfeier  zum 
Verlassen  der  Gemeinde  aufgefordert.^)  Indem  dasselbe  Stammver- 
wandte und  Stammfremde  vollkommen  gleich  behandelt,  erklärt  es  zu- 
gleich warum  den  Umbrern  eine  führende  Rolle  versagt  bleiben  mufste. 
Der  Grund  liegt  in  ihrer  staatlichen  Zersplitterung:  ob  Sarsinaten  Igu- 
TJDer  Tadinaten  Camerter  Naharter  Tuderter  usw.  durch  das  Gefühl  der 
Landsmannschaft  verbunden  waren,  ob  sie  sich  selbst  mit  dem  Griechen 
und  Römern  geläufigen  gemeinsamen  Namen  Umbrer  benannt  haben, 
ist  nicht  zu  erweisen.  Noch  in  der  Kaiserzeit  erkennt  man  wie  das 
politische  Leben  des  Stammes  in  Atome  zerfallen  war.  Unter  den  Re- 
gionen in  die  Augustus  Italien  theilte,  ist  die  sechste  Umbria  eine  der 
kleinsten  an  Umfang,  eine  der  reichsten  an  selbständigen  Verwaltungs- 
korpern.  Um  von  den  erloschenen  Gemeinden  zu  schweigen,  sind 
ihrer  ebenso  viel  in  Thätigkeit  als  in  dem  doppelt  so  grofsen  Etrurien, 
ebenso  viel  als  in  der  ganzen  Cispadana  oder  Transpadana.  Derart 
hatte  sich  durch  die  Stürme  der  Revolution  hindurch  in  diesem  Länd- 
chen ein  Stück  Mittelalter  erhalten ,  das  Augustus  unangetastet  liefs 
und  das  vorzügUch  geeignet  ist  das  Erlöschen  der  umbrischen  Natio- 
nalität zu  erläutern.  Es  versteht  sich  von  selbst  dafs  ein  Städtewesen 
wie  das  etruskische  hier  nicht  entstehen  konnte.  Die  älteren  Rerichte 
nennen  als  politische  Einheit  den  Gau  {tribus,  plaga).^)  Das  bäuerliche 
Siedeln  in  Dorfschaften,  zu  dem  die  Gebirgsnatur  nötigte,  mag  den 
Anlafs  zu  der  in  jüngeren  Quellen  begegnenden  Ansicht  gegeben 
haben,  nach  der  die  Umbrer  keltischer  Herkunft  sein  sollten.') 

Am  Ausgang  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  tritt  der  Stamm  in  Ver- 
bindung mit  und  Abhängigkeit  von  Rom.  Er  öffnet  den  römischen 
Waffen  den  Weg  durch  sein  Land,  als  diese  310  und  308  v.  Chr.  zu 
den   entscheidenden  Stöfsen  ausholten  welche  das  Herz  Etruriens 

1)  Tafel  VUa  nach  Br^als  Uebersetzung:  quüquU  est  eiviUOU  TadinaHi 
trihui  TadinatU  Ttuei  Mariei  lapydiei  naminit,  ito  ex  hoc  papulo.  Das 
Japwtkum  noman  wird  von  Br^al  p.  176  auf  die  Kelten  bezogen:  vermotung»- 
weise  hatte  ich  dieselbe  Deutung  TempL  p.  115  A.  vorgeschlagen.  Die  vor- 
liegende Formel  kann  freilich  nicht  uralt,  sondern  etwa  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr. 
entstanden  sein. 

2)  Liv.  IX  41, 15  XXXI  2,  6  XXXm  37,  1. 

3)  Sohn.  2, 11  Serv.  Y.  Aen.  XH  753  Isidor  IX  2,  87  XIV  4,  21. 


508  Kap.  XI.  Die  Tolksstamme. 

trafen.  ^)  Aber  die  Genugthuung  den  Erbfeind  gedemütigt  zu  sehen 
mufste  mit  dem  Verzicht  auf  die  eigene  Selbständigkeit  erkauft  wer- 
den :  der  Versuch  solches  abzuwehren  scheint  kaum  ernsthaft  gemeint 
gewesen  zu  sein.^)  In  der  That  war  kein  einziger  Stamm  Italiens  mehr 
als  dieser  auf  Roms  Schutz  angewiesen  und  wenn  auch  einzelne  Ge- 
meinden sich  in  der  Folge  dagegen  aufgelehnt,  hat  er  im  Grofsen  und 
Ganzen  genommen  willig  sich  gefügt.  Uebrigens  trug  die  römische  Politik 
nicht  wenig  dazu  bei  die  nationale  Widerstandskraft  zu  lahmen.  Dem 
Lauf  der  220  v.  Chr.  erbauten  Via  Flaminia  entsprechend ,  zieht  quer 
durch  die  Landschaft  ein  Streifen  römischen  Gebiets,  die  283  eroberte 
senonische  Mark  mit  der  Hauptstadt  verbindend.  Auf  diesem  Streifen 
liegen  die  latinischen  Festungen  Namia  (299  gegründet)  und  Spokiiwn 
(240)  sowie  die  Märkte  Forum  Flaminii  (220)  und  Forum  ^empronii 
Derart  ist  die  gröfsere  Westhälfte  Umbriens  vom  Osten  und  den  ver- 
wandten Stammen  abgeschnitten.  Aber  am  machtvollsten  entfaltet  sidi 
der  Latinismus  an  der  Adria  in  den  ehemals  keltischen  Landen :  wie 
wenig  die  Berggemeinden  seiner  Anziehung  zu  entgehen  vermochten, 
zeigt  das  Beispiel  des  um  250  v.  Chr.  geborenen  Volksdichters  Plautus 
aus  Sarsina.  Länger  hat  sich  nach  Ausweis  der  Denkmäler  (S.  504)  die 
einheimische  Sprache  diesseit  des  Appeunin  behauptet.  Jedoch  ist,  wie 
es  scheint,  bereits  vor  Ertheilung  des  Bürgerrechts  in  verbündeten 
Städten  nicht  blos  lateinische  Schrift  sondern  aach  lateinische  Sprache 
gebraucht  worden. ')  Nach  dem  iulischen  Gesetz  vom  J.  90  v.  Chr. 
konnte  von  einem  Widerstand,  wie  ihn  das  Etruskertum  geleistet  hat 
(S.  495),  keine  Rede  sein.*) 

§7.  Die  Mittelstämme. ^) 

Durch  die  Mannichfaltigkeit  seiner  Bildung  nicht  minder  als  durch 
seine  Erhebung  unterscheidet  sich  der  mittlere  Appennin  von  dem 


1)  Diod.  XX  35.  44  Uv.  IX  36,  7  37, 11  40, 18. 

2)  Liv.  IX  41,  8  fg. 

3)  CIL.  I  1412. 

4)  Br^al  p.  228.  308  setzt  allerdings  die  Anfertigung  der  igavinischen  Ta- 
feln unter  Augostus;  aber  ohne  zu  fragen  ob  die  geltenden  Rechtsbestimmoiigen 
sich  mit  dem  Inhalt  irgendwie  vereinigen  lassen  und  ohne  zu  bedenken  dals 
das  römische  Bürgerrecht  noch  unter  Claudius  an  den  öffentlichen  Gebrauch 
der  lateinischen  Sprache  gebunden  war. 

5)  W.  Abeken,  Mittelitalien  vor  den  Zeiten  römischer  Herrschaft  nach  seinen 
Denkmälern  dargestellt,  Stuttgart  1843.  Th.  Mommsen,  die  unteritalischen  Dia- 
lekte, Leipzig  1850. 


S  7.   Die  Hittelst&mme.  509 

nördlichen  und  südlichen.  In  mehreren  Parallelketten  streichend  um- 
schliefst  er  eine  Reibe  von  Längsthäiem  die  von  ansehnlichen  Wasser- 
laafen  durchströmt  werden.  Der  reichen  Bodengestaltung  entspricht 
die  Vielheit  der  Volksstiimme,  welche  selbständig  in  der  UeberUeferung 
auftreten.  Freilich  hat  keiner  unter  ihnen  aufser  dem  latinischen  ein 
bedeutendes  Schrifttum  henrorgebracht,  die  spflrlich  erhaltenen  Denk- 
mäler gestatten  nicht  die  einzelnen  Mundarten  nach  ihren  Besonder- 
heiten klar  zu  erfassen  oder  einem  grofsen  Ganzen  bestimmt  einzu- 
ordnen. Sicher  ist  dafs  alle  der  italischen  Sprachfamifie  angehören. 
Auch  haben  sie  einander  wechselseitig  beeinflufst:  von  manchen  Wor- 
ten des  Latein  wird  sabinischer  Ursprung  vermerkt,  die  oskische  Ko- 
mödie erhielt  römisches  Bürgerrecht,  das  nationale  Mafs  des  Satumiers 
war  bei  Paelignern  und  Samniten  im  Gebrauch  so  gut  wie  bei  Lati- 
nern, i)  Bereits  im  Laufe  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  ist  das  politische 
Uebergewicht  Roms  und  damit  das  Uebergewicht  seiner  Sprache  in 
diesen  Gegenden  entschieden  worden.  Ganze  Stfimme  wie  die  Herni- 
ker  306  und  die  Sabiner  290,  zum  grofsen  Theil  auch  die  Picenter 
268  v.  Chr.  werden  der  römischen  Bürgerschaft  einverleibt  Die  ver- 
bandeten  Gemeinden  bequemen  sich  der  führenden  zuerst  in  der 
Schrift  alsdann  im  Ausdruck  an.  Als  sie  sich  91  v.  Chr.  vom  Bunde 
lossagten  und  mit  den  Oskem  vereint  auf  neuer  Grundlage  einen  ita- 
lischen Staat  zu  schaffen  unternahmen,  prägen  sie  nichtsdestoweniger 
ihre  Münzen  mit  lateinischer  AnfschrifL  Diese  merkwürdige  Thatsache 
kann  schwerlich  allein  aus  der  Propaganda  erklärt  werden,  welche  die 
Mundart  des  herrschenden  Volkes  während  der  letzten  Jahrhunderte 
iD  den  Appenninthälem  gemacht  hatte.  Vielmehr  legt  sie  die  Ver- 
mutung nahe  dafs  die  Scheidewand  welche  die  Natur  zwischen  Paelig- 
nern und  Samniten  aufgerichtet  (S.  238),  auch  auf  die  Schichtung  der 
Nation  eingewirkt  hat,  dafs  der  örtlichen  Nähe  entsprechend  die  Glie- 
der der  Mittelgruppe  enger  unter  einander  verwandt  waren  als  mit 
den  Umbrem  im  Norden  oder  den  Samniten  im  Süden. 

Damit  ist  ein  Gegensatz  von  Ost  und  West  keineswegs  ausge- 
schlossen. Jedermann  weifs  dafs  das  Gebirge  in  Flora  und  Fauna ,  in 
Sprache  und  Sitte  einen  altertümlichen  Charakter  bewahrt  gegenüber 
dem  Flachland  und  es  kann  deshalb  nicht  befremden,  wenn  manche 
den  Latinern  fehlende  Erscheinungen  bei  sämmtlichen  Gebirgsstäm- 
raen  wiederkehren.  Die  nämliche  Beobachtung  ist  den  römischen  Ge- 


1)  Bücheier  Rhein.  Mus.  XXX  441  XXXID  271. 


510  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

Schichtsforschern  nicht  entgangen.  Varro  erklärt  den  See  Ton  Atft7tc 
auf  der  Reatiner  Hochebene  für  den  Nabel  Italiens.  ^)  Der  Ansatz  trifft 
auf  die  rflumliche  Mitte  in  der  Breitenausdehnung  der  Halbinsel;  doch 
kann  dieser  Gesichtspunct  nicht  malsgebend  gewesen  sein,  da  geo- 
graphisch betrachtet  der  Fuciner  See  das  natürliche  Centrum  des  gan- 
zen Landes  darstellen  würde.  Vielmehr  ist  der  Ansatz  mit  Rücksicht 
auf  das  umwohnende  Volk  der  Sabiner  gewählt  worden.  Die  Sabiner 
wurden  als  uralt  dem  italischen  Boden  entsprossen  angesehen  2),  ab 
die  Stammväter  der  mächtigsten  und  ausgedehntesten  Völkerschaften 
der  mittleren  und  südlichen  Halbinsel.  Von  den  Sabinern  werden  her- 
geleitet Picenter  Paeligner  Marser  Herniker  sowie  die  Samniten  in 
Samnium  Campanien  Lucanien  und  Bruttium;  an  der  Bildung  der  lati- 
nischen  Nation  wird  ihnen  aufserdem  ein  hervorragender  Antheil  zu- 
geschrieben. Die  Form  unter  der  ihre  Ausbreitung  erfolgt  sein  soll, 
ist  diejenige  des  ver  sacrum  (S.  62).  Bis  tief  in  die  historischen  Zeiten 
hinein  hat  sich  das  Gebirge  dieser  altertümlichen  Form  bedient  um 
der  überschüssigen  Mannschaft  die  es  zu  ernähren  aufser  Stande  war, 
ledig  zu  werden.  Die  samnitischen  Söldnerhaufen  welche  in  der  sidli- 
schen  Geschichte  seit  dem  älteren  Dionys  einen  wichtigen  Platz  ein- 
nehmen, führen  ihren  Ursprung  auf  ein  derartiges  Sühnopfer  der 
Heimat  zurück. ')  In  Urzeiten  ist  dasselbe  gleichfalls  von  den  Latinern 
dargebracht  worden  und  Rom  hat  noch  im  hannibalischen  Krieg  einen 
heiligen  Lenz  den  Göttern  geweiht.  Aber  im  Uebrigen  erscheint  hier 
das  Opfer  zu  einer  lediglich  sacralen  Handlung  herabgedrückt,  der 
grofsen  Bedeutung,  die  es  dereinst  im  Leben  der  Nation  behauptet 
hatte,  vollständig  entkleidet:  in  der  Ebene  unter  dem  Einfluls  des 
Meeres  hat  die  Politik  früh  die  Fesseln  abgestreift,  in  welche  der 
Geist  durch  die  Gebirgsnatur  geschlagen  war.  Die  Ebenen  sind  den 
häufigsten  Umwälzungen  ausgesetzt 4),  die  Tradition  weifs  hier  weniger 
von  Autochthonentum  als  von  Einwanderungen  und  Völkerkämpfen  za 
melden. 

Die  Sagen  welche  so  viele  wehrhafte  Völker  aus  heiligen  Lenzen 

1)  Fun.  in  109  in  agro  Reatino  CuHHae  lacum  in  quo  fluctueiur  tnsuU 
liaHoB  um^Ucum  esse  M,  Varro  tradit 

2)  Strab.  V  228  Sati  6h  xal  nakouoxaxov  yhfoq  ol  Saßivoi  xal  ovro- 
X^ovBq.  Damit  stimmt  überein  Gato  bei  Dion.  Hai.  n  49;  in  Betreff"  des  Citats 
bei  Servius  V.  Aen.  Vm  638  Tgl.  Jordan,  Cato  prol.  p.  XXVL 

3)  Festus  p.  158  Varro  RR.  m  16  Dion.  Hai.  I  16,  mein  Templnm  154%. 

4)  Thakyd.  I  2  /juiXtata  dh  t^g  y^g  17  d^lcTtj  del  ritg  fieraßolag  xtiv 
oixtjtogwv  bIxsv» 


S  7.  Die  Mittelstamme.  511 

der  Sabiner  entspringen  lassen,  yerdienen  unbedingten  Glauben.  Aber 
der  Name  Sabiner  niufe  von  ibnen  in  ungleich  weiterem  Sinne  ange- 
wandt worden  sein,  als  man  später  damit  verband:  eine  Landschaft 
iron  etwa  70  d.  DM.  Inhalt  war  schwerlich  hn  Stande  den  zwanzigfach 
gröfseren  Raum  zu  bevölkern.  So  wenig  die  Dorier  des  Peloponnes 
und  der  Inseln  der  Tetrapolis  am  Oeta  oder  den  Abhängen  des  Olym- 
pos  entsprossen  sein  können,  darf  die  Heimat  der  Samniten  auf  die 
Hochthaler  von  Amiternum  und  Reate  beschränkt  werden.    Wenn 
Kaiser  Augustus  die  GebirgsvOlker  von  der  Sabina  bis  Samnium  ein- 
schliefsiich  zu  einer  Region,  der  vierten,  vereinigt  hat,  so  ist  daraus 
eine  engere  Verwandtschaft  derselben  mit  Nichten  zu  folgern:  die 
geographische  Lage  die  Gemeinsamkeit  der  Lebensrichtungen  reicht 
vöUig  aus  um  die  Eintheilung  zu  erklären.    Allerdings  thut  der  am 
Velino  wie  am  Volturno  gleichermafsen  heimische  Name  Sabiner  die 
ehemalige  Einheit  beider  Stämme  gerade  so  unwiderleglich  dar  als  der 
Name  Sachsen  den  Zusammenhang  der  Rewohner  von  Kent  und  Sussex 
mit  denjenigen  der  unteren  Elbe  und  Weser.  Aber  in  welche  Zeit  die 
Einheit  zurück  reicht,  vermögen  wir  nicht  zu  erraten.  Dafs  die  Sprach- 
reste nicht  genügen  um  eine  sichere  Eintheilung  der  Mundarten  auf- 
zustellen, ward  oben  (S.  504)  bemerkt.  Ebenso  wenig  sind  wir  im 
Stande  die  Völkerbewegungen  des  ältesten  Italien  in  ihrer  zeitlichen 
Folge  und  ihrem  inneren  Zusammenhang  nachzuweisen.  So  verlockend 
die  Aufgabe  erscheint  und  so  viele  Versuche  zu  ihrer  Lösung  auch  ge- 
macht worden  sind,  bleibt  sie  nach  wie  vor  aussichtslos.  Ein  Hinblick 
auf  die  Dunkelheiten  in  unserer  eigenen  Stammesgeschichte  erläutert 
diese  Lage  der  Dinge  in  verständlicher  Weise.  Wir  zählen  nunmehr 
die  einzelnen  Völker  auf,  welche  die  mittlere  Halbinsel  bewohnt  haben. 
Die  Picentes  werden  erst  in  römischer  Zeit  von  Polybios  ab  er- 
wähnt, i)  Von  Picus  dem  Specht  des  Mars  der  einen  heiligen  Lenz  der 
Sabiner  geleitete,  haben  sie  den  Namen. ^  Nach  der  augustischen  Ein- 
theilung bewohnen  sie  die  fünfte  Region,  welche  im  Norden  an  den 
Äesis^  im  Westen  an  den  Appennin,  im  Süden  an  den  Matrinus  (S.  341) 
reicht  und  ein  langgestrecktes  Littoral  von  ungefähr  100  d.  D  M. 
Inhalt  befafst.  Die  ähesten  Stamroesgrenzen  sind  hiermit  nicht  um- 

1)  Pol.  n  2t,  7  m  86,  9.  liebliche  Namensfonn  Pieens  (vereinzelt  als  Ad- 
jectiT  Cic  de  scn.  11),  davon  Pieenus  Picmutn;  selten  Pieentinw  Pompeius 
bei  Cic.  Att  Vin  12  C,  2,  von  Sirabo  V  228.  240  vgl.  251  App.  b.  civ.  1  39  sub- 
stantivisch gebraucht. 

2)  Fest.  ep.  212  M.  Strab.  V  228.  240  Plin.  Ul  110. 


512  Kap.  XI.  Die  Yolksstämme. 

schrieben.  Es  ist  möglich  dafs  sich  solche  tther  den  Ton  den  Römern 
zur  italischen  Landesgrenze  erhobenen  Flufs  Aesis  (S.  71)  weiter  nach 
Norden  erstreckt  haben,  ohne  dafs  doch  etwas  Genaueres  über  das 
ehemalige  Verhältniis  von  umbrischem  und  picentischem  Gebiet  zu 
ermitteln  wäre.^)  Im  Süden  können  sie  nicht  wol  bis  an  den  Aterous 
gereicht  haben,  wie  Plinius  will;  denn  hier  ist  bereits  289  t.  Chr.  die 
Colonie  Hadria  gegründet  worden,  deren  Name  die  Ansprüche  Roms 
auf  die  Herrschaft  der  Nordsee  anzudeuten  scheint.  2)    Aufserdem 
ninmit  am  Fufs  des  Gransasso  das  Völkchen  der  Praetutn  mit  der 
Hauptstadt  Interamna  Teramo  eine  abgesonderte  Stellung  ein.')  Eine 
unentzifferte  altertümliche  Inschrift  ist  das  einzige  Denkmal,  welches 
▼on  der  picentischen  Mundart  auf  uns  gelangte.^)   Die  unabhängige 
Entwicklung  der  Picenter  ward  zu  früh  gestört.  Cnthätig,  ja  mit  Rom 
verbündet &)  hatte  dieser  Stamm  dem  Ringen  der  Samniten  zugeschaut; 
als  römische  Festungen  ihn  von  Norden  (Sena  fioQtca)  und  Süden 
{Castrum  novum  Hadria)  her  umschlossen,  begann  er  nachträglich  sei- 
nen Freiheitskampf  und  wurde  269. 268  v.  C^.  bezwungen.  Nach  Pli- 
nius zählte  er  bei  seiner  Uebergabe  360000  Köpfe,  so  dafs  mindestens 
3 — 4000  auf  die  Quadratmeile  gekommen  wären :  ein  überraschendes 
Ergebnifs  das  nicht  weit  hinter  der  heutigen  Dichtigkeit  zurückbleibt 
vielleicht  sogar  falls  der  Krieg  viele  Opfer  gekostet  hatte,  solche  er- 
reicht. Ein  Theil  der  Besiegten  wurde  aus  dem  Lande  fortgeführt  und 
am  Golf  von  Salerno  angesiedelt^),  die  gröfsere  Hälfte  des  Gebiets  na- 
mentlich der  Norden  und  die  Küste  von  den  Römern  eingezogen.'^ 
Die  autonomen  Gemeinden  mit  der  Hauptstadt  Äsculum  hatten  die 


1)  Die  livianische  Epitome  XV  verlegt  Ariminum  nach  Picenum  und  Po- 
lybios  U  21,  7  läfst  die  Senonen  aus  dem  ager  Picenus  vertrieben  werden.  Aber 
beide  Angaben  können  leicht  aus  der  Bezeichnung  des  ag'er  Picenus  et  GalUcns 
der  grofsen  Staatsdomäne  an  der  Adria  (Gic  de  sen.  11  Brut.  57  q.  a.)  irrtüm- 
lich entnommen  sein. 

2)  Plin.  milO  Liv.  Ep.  XI.  CIL.  IX  p.  4S0. 

3)  Pol.  m  88,  3  Liv.  XXH  9  Plin.  lU  HO. 

4)  Fabretti  2679  fg.  Mommsen ,  Unterit  Dial.  329  fg.  vgl.  Bull,  dell'  Inst 
1876  p.  57. 

5)  Uv.  X  10. 11. 

6)  Strab.  V  251  Plin.  III  70. 

7)  Wie  die  praefecturae  Gaes.  b.  civ.  I  15  und  die  Golonlen  Atueijmtm 
Poieniia  Firmum  zeigen.  In  dem  Yerzeichniis  der  Wehrfähigen  Ton  225  fehlen 
die  Picenter:  jedoch  werden  sie  wol  unter  den  Pol.  n  24,  5  genannten  Sabinen 
verstanden  sein. 


§  7.  Die  BlitteUtamme.  513 

Schrift  ihrer  latiniscben  Nachbarn  angenommen,  als  sie  ihrem  Hafs  in 
dem  blutigen  Aufstand  des  J.  91  v.  Chr.  Luft  machten.  ^) 

Der  Name  der  5a(tfit  ist  gleichfalls  den  älteren  Hellenen  unbe* 
kannt«  Er  ist  von  Sabus  einem  Gott  des  Stammes  abgeleitet.  ^)  Nach 
Strabo  bewohnen  sie  einen  schmalen  Landstrich  der  sich  vom  Tiber 
und  Nomentum  bis  zu  den  Vestinern  20  d.  Heilen  lang  hinzieht.  Ge- 
nauer giebt  uns  Plinius  dessen  Umfang  an.  ^)  Der  Kamm  des  Hoch- 
appennin  scheidet  ihn  von  Picenum.  Er  befafst  zwischen  Umbrern  und 
Vestinern  die  Hochthäler  von  Nursia  und  Amitemum^  zwischen  Um* 
brem  und  Aequern  die  Hochebene  von  Reate,  erstreckt  sich  zwischen 
dem  Tiber  unterhalb  Ocriculum  und  der  im  mom  Lucretilis  gipfelnden 
Kette  der  Sabinerberge  (S.  238)  bis  an  den  Anio  etwa  1  d.  Meile  von 
Rom.  Eine  natürliche  Einsenkung  der  die  via  Salaria  (S.  108)  folgt, 
verbindet  den  unteren  Tiber  mit  dem  Thal  von  Reate.  Die  Ueberliefe- 
rung  verknüpft  letzteres  mit  den  ersten  Anfängen  Roms  und  in  der 
That  ist  das  Gebirge  auf  diesen  Weg  gewiesen  um  mit  der  Aufsenwelt 
zu  verkehren.  Zu  einer  selbständigen  Ausbildung  von  Mundart  und 
Schrift  sind  die  Sabiner  unseres  Wissens  nicht  gelangt.  In  den  grofsen 
Kämpfen  um  die  Herrschaft  Italiens  wird  ihrer  nicht  gedacht  Aber  290 
V.  Chr.  durchzog  Curius  Dentatus  ihr  ganzes  Land  bis  zur  Adria :  es 
ward  einverleibt  und  erhielt  268  v.  Chr.  volles  römisches  Rürgerrecht.^) 
Fortan  galt  es  den  Römern  als  die  Heimat  alter  Sitte  und  Kraft  Einem 
Sohn  der  Sabina  M.  Varro  danken  wir  das  Reste  was  wir  von  der  na- 
tionalen Eigenart  Italiens  kennen. 

Am  rechten  Tiberufer  da  wo  der  Flufs  einen  weiten  Rogen  um 
den  Soracte  beschreibt  hat  sich  der  italische  Stamm  gegen  das  andrin- 
gende Etruskertum  erfolgreich  behauptet  (S.  499).  Nach  Strabo  wur- 
den die  FaUsd  von  den  Etruskern  unterschieden  und  redeten  eine 
eigene  Sprache.  ^)  Ihre  Stadt  FaUrü  galt  als  uralt  ^),  in  der  Kriegsge- 
schichte erscheinen  sie  als  Verbündete  derEtrusker.  Nach  einem  leicht- 
sinnigen Aufstand  241  v.  Chr.  wurde  die  Hälfte  ihres  Gebiets  ihnen 
abgenommen,  auch  der  Rest  vermutlich  Rom  einverleibt  Die  Denk- 
mäler bestätigen  diese  Nachrichten  durchaus.  Neben  den  jüngeren  la- 


1)  GILI644fg.  IX p.  631  fg. 

2)  Nach  Galo  bei  Dien.  Hai.  U  49  vgl.  PreUer  Myth.>  637fg. 

3)  Strab.  V  228  Plin.  UI 107  fg. 

4)  Flor.  1 10  Oxos.  Ol  22  VeUeios  114  CIL  IX  p.  396. 

5)  Strabo  V  226. 

6)  Dion.Hal.121. 

HiaaeB,  Ital.  Luidesknade.  I.  33 


514  Kap.  XL  Die  Yolksstimme. 

teinischen  und  den  älteren  etniskischen  Inschriften  finden  sich  solche 
die  in  einem  eigentümlichen  aus  dem  lateinischen  und  etniskischen 
gemischten  Alphabet  geschrieben  und  in  einer  der  lateinischen  nahe- 
stehenden Mundart  abgefafst  sind.  ^)  Die  Capenaies  am  Fufs  des  So- 
racte  gehören  dem  nämlichen  StammTcrband  an.  Dies  beweisen  nicht 
nur  ihre  Culte  sondern  auch  ihre  altertUmUche  lateinische  Schrift.  ^) 

Die  Nachbarn  der  Sabiner  im  Südosten  haben  mit  ihren  unabläs- 
sigen Einfällen  die  alten  Römer  und  deren  Geschichtschreiber  über 
Gebühr  beschäftigt. ')  Vergil  schildert  sie  «): 

et  te  montosae  misere  in  proelia  Neriae^ 
üfem^  imignem  fama  et  feUeibus  armu: 
korrida  praedpue  eui  geru  adtuUafue  muUo 
venmtu  nemorum  durU  Aequieula  glaebü, 
armati  terram  exercent  semperque  reeentis 
eonvectare  iuvat  praedas  et  vivere  rapto. 

Die  Bezeichnung  der  Aequi  als  eines  alten  Volkes  wird  durch  ihre 
Wohnsitze  bestätigt.  ^}  Auch  wird  man  keinen  Anstand  nehmen  sie 
derselben  Sippe  wie  die  umwohnenden  nahe  verwandten  Stämme  hin- 
zuzurechnen. ^)  Der  Name  verschwindet  seit  dem  Ausgang  des  vierten 
Jahrhunderts:  304  v.  Chr.  wurden  31  ihrer  Ortschaften  im  Lauf  von 
50  Tagen  erstürmt  und  verbrannt«  die  starken  Festungen  Alba  Fueen- 
tia  und  Carsioli  erhielten  den  Hauptstock  des  Gebiets  angewiesen.  '0 
Fortan  ist  nur  von  den  kleinen  Aequern  Aeguiculi  oder  le^iiteifJ^ni' 
im  Thal  des  Hmetta  Salto  die  Rede,  das  noch  jetzt  Cicolano  nach 
ihnen  heilst.  ^)  Die  ehemaligen  Grenzen  des  Stammes  lassen  sich  nur 


1)  Fabretti  2440fg.  Annali  1860  p. 211  fg.  BoUettino  deU'  bist  d.  c  a.  1861 
p.  198;  1881p.  151. 

2)  PreUer  MyUi.>239  Fabretü  2453  fg. 

3)  Liv.  VI  12,  2  vgl.  Schwegler  Rom.  Gesch.  U  691  fg. 

4)  V.  Aen.  VII 744  mit  SchoL  vgl.  Gic.  Rep.  U  36  Ov.  Fast  DI  93. 

5)  Liv.  1 32,  5. 

6)  Giuseppe  Golocd,  Gli  Eqni  I  Firenze  1866  (vgl.  Biüiett  d.  Imt  1859 
p.  114  Fabretti  2732  Zvetaieff  1  a.  a.)  will  allerdiogs  die  oskisehe  Nationalitat 
derselben  erwiesen  haben  vermittelst  einer  angeblichen  Inschrift,  die  leider  Uiren 
wirklichen  Wert  nach  bisher  verkannt  worden  ist  Ich  halte  sie  fdr  einen  ge- 
gen Grammatik  Archäologie  nnd  Geschichte  verstoGsenden  Scherz  aof  Papier; 
denn  der  1859  aufgefundene  Stein  ist  angeblich  wieder  vernichtet  worden.  Der 
Verf.  soU  noch  mehr  Oskisches  auf  Lager  gehabt  haben.  [Auch  MoBunsen  der 
die  Inschrift  CIL.  IX  p.  388  als  &cht  ansah,  iuüsert  nachträglich  eh.  p.  683 
starke  Bedenken.] 

7)  Diod.  XX  101  Liv.  IX  45  X  1.  3. 13  App.  Hann.  39. 

8)  Plin.  m  106  CIL.  IX  p.  388  fg. 


(7.   nie  Mittelst&mme.  515 

annjlhenid  feststellen.  Sie  reichten  vom  Ufer  des  Fuciner  Sees,  wo 
303  V.  Chr.  Alba  gegründet  wurde,  das  Thal  de»  Salto  entlang  bis  in 
die  Nähe  von  Rieti :  Clitemia  Capradosso  gehört  ihnen  noch  an.  Sie 
bewohnten  ferner  das  Thal  des  Tolenus  Turano  sowie  das  obere  Anio- 
tbal.  Sie  heifsen  Nachbarn  des  sabinischen  Cures;  doch  werden  der 
numi  LuereiiUs  sowie  der  Bach  Digeniia  Licenza  ausdrücklich  dem  Sa« 
binerland  zugeschrieben.  ^)  Südlich  von  Praeneste  springt  das  Gebiet 
der  Aequer  nach  Westen  bis  auf  den  Algidus  in  die  Nähe  von  Tuscu* 
lum  vor.  2)  Wenn  man  die  angeführten  Puncto  mit  einander  verbindet, 
so  ergiebt  sich  ein  Flächeninhalt  von  annähernd  45  d.  D  Meilen.  In 
den  beiden  erwähnten  latinischen  Colonien  sind  nicht  weniger  als 
10000  Mann  angesiedelt  worden,  so  dafs  für  die  Eingeborenen  an 
fruchtbarem  Acker  nicht  gar  viel  übrig  blieb. 

Als  Bergbewohner  wie  die  Aequer  gelten  die  südlich  angrenzen- 
den Hemid^);  ja  ihr  Name  hat  nach  Aussage  der  Alten  geradezu  diese 
Bedeutung  (Aema  äs  aoamiit).^}  Desgleichen  besteht  hinsichtlich  ihrer 
Verwandtschaft  kein  Zweifel,  da  sie  entweder  sabinisch  hei&en  oder 
ihre  Hauptstadt  Anagnia  eine  marsische  Pflanzung  genannt  wird.  ^)  Ihr 
Gebiet  umfafst  ein  grofses  Stück  des  Trerusthals  (S.  330),  wo  die  Städte 
Anagnia  Ferentmum  Frusino  auf  einander  folgen.  Es  hat  einst  bis  an 
den  Liris  gereicht;  aber  die  Volsker  eroberten  das  wichtige  Fregettae 
am  Uebergang  über  diesen  Flufs.  ^)  Die  seitlichen  Grenzen  werden  im 
Allgemeinen  durch  die  nach  dem  oberen  Liris  abfallende  Bergkette  so- 
wie die  Parallelkette  der  Monti  Lepini  (S.  238)  gegen  die  Volsker  be- 
zeichnet. Der  Flächeninhalt  erreicht  höchstens  20  d.  O  Meilen.  Die 
alten  Beziehungen  des  Hemikervolkes  zu  Rom  erhielten  durch  das  Waf- 
fenbündnifs  von  486  v.  Chr.  eine  dauernde  Gestalt  Später  hat  es  sich 
gegen  die  Herrschaft  Roms  erhoben  und  ist  am  Ausgang  des  vierten 
Jahrhunderts  unter  verschiedenen  Formen  diesem  Staatswesen  einver- 
leibt worden.  Wenn  eine  hernikische  Sprache  erwähnt  wird,  so  ist 
darunter  nur  eine  dialektische  Färbung  des  Latein  zu  verstehen.  ^) 
Seiner  Kleinheit  ungeachtet  hat  das  Volkchen  der  Marsi  sich  einen 


1)  Strab.  V  231  Fest.  cp.  p.  119  M.  Hör.  Od.  1 17  mit  Schol.  Si).  It.  YIII 370. 

2)  Dion.  Hai.  XI 3.  23  Uv.  m  23fg.  IV  26. 

3)  Verg.  Aen.  YII 684  Sil.  It.  IV  226  Liv.  IX  43, 6. 

4)  FesU  ep.  100  M.  Schol.  zu  Verg.  Aen.  VII 684. 

5)  Schol.  zu  Verg.  a.  0.  Jovenal  14, 180. 

6)  Liv.  Vm  22, 1  vgl.  S.  330. 

7)  Marc  Anrel  bei  Frooto  ep.IV4. 

33* 


616  Kap.  XI.  Die  Volksst&mme. 

Namen  in  der  Geschichte  zu  machen  gewufst.  Seine  Benennung  nach 
dem  Gölte  Mars^)  deutet  auf  den  Ursprung  aus  einem  heiligen  Lenz  hin, 
der  sich  bei*  den  Sabinern  mehrfach  wiederholt  (S.  510).  Ausdrfick- 
lieh  wird  es  dieser  Sippe  zugezählt. 2)  Sein  Gebiet  befafst  das  Fuciner 
Becken  bis  auf  die  den  Aequern ,  später  der  Colonie  Alba  gehörende 
Nordseite,  ferner  das  obere  Ende  des  Liristhaies  mit  der  Stadt  Anti- 
num.  Durch  Bergzüge  werden  die  Grenzen  gegen  Paeligner  im  Ostea 
(S.  238)  und  Samniten  im  Süden  (S.  240)  im  Allgemeinen  bestimmt. 
!  Den  Flächeninhalt  kann  man  annähernd  zu  20  d.  D  Heilen  rechnen. 

An  Waffenruhm  hat  kein  italischer  Stamm  es  den  Marsern  gleich  ge- 
than.  Sie  standen  in  den  Kämpfen  gegen  Samnium  auf  Roms  Seite, 
schlössen  mit  letzterem  304  v.Chr.  ein  Bündnifs^),  erklärten  von  allen 
Bundesgenossen  91  v.  Chr.  zuerst  den  förmlichen  Krieg.  Man  sagte 
damals  dafs  bislang  weder  ein  Triumph  über  noch  ein  Triumph  ohne 
die  Marser  gefeiert  worden  sei.  ^)  Es  entspricht  ihrer  geographischen 
und  politischen  Stellung  dafs  der  einheimische  Dialekt  mit  lateinischer 
Schrift  geschrieben  wurde.  ^)  Doch  hat,  wie  S.  509  bemerkt,  vor  dem 
Ausbruch  des  Unabhängigkeitskrieges  die  lateinische  Schriftsprache 
Aufnahme  gefunden. 

Eine  ähnliche  Erscheinung  bieten  die  benachbarten  Paeligm  dar. 
Direr  Ableitung  aus  Illyrien  steht  die  einleuchtende  Aussage  eines  Ein- 
gebornen,  des  Ovid  gegenüber,  der  sie  auf  die  Sabiner  zurückführt  ^ 
Von  der  Bedeutung  des  Hochthals  von  Subno  und  Corfintum^  das  sie 
bewohnten ,  war  S.  340  die  Rede.  Gegen  Marser  und  Samniten  im 
Westen  und  Süden  bilden  Bergzüge  die  Grenze  (S.  238).  Im  Osten 
scheint  der  Stock  der  Maiella  eine  natürliche  Scheidewand  abzugeben 
(S.  237) ;  jedoch  haben  die  Paeligner  auch  aufserhalb  der  Flufsenge 
des  Aternus  sich  ausgebreitet,  werden  sogar  irriger  Weise  von  griechi- 
schen Gewährsmännern  bis  an  die  Küste  und  die  Mündung  des  Sagnis 
vorgerückt'')  Im  Norden  trennen  die  den  Aternus  einfassenden  Hohen 


1)  Eine  Widmung  pro  l[egio]nibM  MarUes  »>  Marseis  in  der  Inschrift 
Herrn.  XY  5. 

2)  Javenal  3, 169  14, 180  Hör.  £p.  17, 28  und  die  S.  515  A.  4  angef.  Stellen. 

3)  Diod.  XX  44. 101 ;  verdächtig  Liv.IX41.45X3. 

4)  App.  b.  civ.  1 46  Diod.  XXXYU  2  Strab.  Y  241  vgl.  Uv.  XX  VH!  45  Gic.  in 
Yatin.  36. 

5)  Fabretti  2737. 40. 42  Herrn.  XY  5  Rhein.  Mus.  XXXÜI  489.  (HL.  IX  3654. 
3808. 12. 47.  49. 

6)  Ov.  Fast  m  95 ;  Fest  ep.  p.  222  M. 

7)  Yerwirrt  Strab.  Y  242  Ptol.  UI 1,  16;  dagegen  Plin.  UI 106. 


f  7.  Die  Mittelstamme.  517 

sie  von  den  Vestinern.  Die  Gröfse  des  Gebiets  läfst  sich  annähernd 
auf  20  d.  O Meilen  schätzen.  Wir  hören  von  ihren  ersten  Kämpfen 
340,  Ton  ihrer  Niederlage  305 ,  ihrem  Eintritt  in  das  römische  BOnd- 
nifs  304  V.  Chr.  i)  Ihrer  Wehricraft  wird  rühmend  gedacht.  ^  Ihre 
Mundart  ist  nicht  blos  geschrieben,  sondern  auch  poetisch  gestaltet 
worden.  Das  Alphabet  ist  zwar  das  lateinische,  aber  um  ein  neues  Zei- 
chen vermehrt.  *) 

Von  der  mittleren  Bergkette,  welche  im  M.  Velino  ihre  höchste 
Erhebung  findet  (S.  237),  dehnen  sich  die  Vestini  über  die  ganze  Ost- 
hälfte der  Halbinsel  bis  zur  Adria  aus.  Wenn  auch  ausdrückliche  Zeug- 
nisse vermifst  werden,  scheinen  die  Alten  sie  zur  sabinischen  Familie 
zu  rechnen.  ^)  Ohnehin  ist  diese  Annahme  durch  die  Nachbarschaft 
geboten ;  der  Name  kann  von  der  Göttin  Vesta  herrühren.  Das  Gebiet 
reicht  bis  an  den  Gransasso,  umfafst  das  Thal  des  Aternus,  bis  auf  das 
obere  sabinische  und  das  mittlere  paelignische  Stück;  der  Unterlauf 
dieses  Flusses  bildet  die  Grenze  gegen  die  Marruciner  ^),  etwa  der  Sa- 
linus  (S.  341)  die  Grenze  gegen  die  Praetuttier.  Wir  schätzen  den  In- 
halt auf  35  d.  D  Meilen.  Die  vier  Völkchen  der  Abruzzen  Marser  Pae- 
ligner  Vestiner  und  Marruciner  werden  mehrfach  zusammen  genannt^); 
die  letzteren  drei  hatten  in  dem  vestinischen  Ätemum  einen  gemein- 
samen Seehafen,  standen  also  unter  einander  im  Bundesverhältnifs.  '^) 
Den  Römern  leisteten  die  Vestiner  323  Gegenwehr,  wurden  301  v.  Chr. 
Verbündete.  ^)  Fortan  haben  sie  die  Schicksale  ihrer  Nachbarn  ge- 
theilt.  Die  Mündart  ist  mit  lateinischem  Alphabet  geschrieben  wor- 
den. ^)  Doch  ist  nur  ein  einziges  Denkmal  derselben  auf  uns  gelangt: 
die  Rauheit  des  auf  Viehzucht  angewiesenen  Ländchens  mag  solches 
veranlafst  haben,  wie  Silius  es  schildert  <o) : 

haud  ullo  levior  beUis  Festina  iuventus 
agmina  demavit^  venaiu  dura  ferarum, 
quacy  Fücelle,  tuas  areei  JHnnamque  virentem 
paseuaque  haud  tarde  redeuntia  fandet  Aveiae. 


1)  Liv.  Vn  38 IX  41. 45  X  30  Diod.  XX  90. 101. 

2)  Liv.  XXVm  45  Gic.  in  VaL  36  Strab.  V  241. 

3)  Bullettino  dell'  Inst.  d.  c.  a.  1877  p.  177.  234    Rhein.  Mus.  XXXIH  271 
XXXIV  640  XXXV  495.  CIL.  IX  p.  298. 678. 79. 

4)  Juvenal  14,  181.         5)  Strab.  V  241  vgl.  S.  237  A.  2. 
6)  LiT.  Vni  29  Pol  n  24, 12.         7)  Strab.  V  242. 

8)  LiT.  Vm  29  X  3. 

9)  CIL.  IX  3414  Tgl.  3513. 

10)  Sil.  It.  Vin  517,  Käse  Plin.  XI 241  Martial  XIU  31. 


518  Kap.  XI.   Die  yolksstamme. 

An  der  Küste  vom  Aternus  bis  nach  Ortona  zu,  landeinwärts  bis 
an  die  Abhänge  der  Maiella  ^)  bewohnten  die  Marrucmi  mit  der  Stadt 
TeaiB  Chieti  ein  Gebiet  von  weniger  als  10  d.  Q  Meilen.  Der  Name  ist 
ahnlich  wie  Marsusj  mit  dem  ihn  der  alte  Cato  in  Verbindung  bringt-), 
vom  Gotte  Mars  hergenommen  und  vermutlich  auf  gleiche  Weise  ent- 
standen (S.  516).  Die  Geschichte  des  Völkchens  Mt  mit  derjenigea 
seiner  Nachbarn  zusammen :  es  trat  304  v.  Chr.  in  den  römischen  Bund 
ein.3)  Die  Mundart  ist  mit  lateinischem  Alphabet  geschrieben  worden.^) 

V^ährend  der  Schutz  ihrer  Gebirgswälle  diesen  Cantonen  eioe 
leidlich  ungestörte  unabhängige  Entwicklung  gesichert,  hat  der  gröfste 
aller  Mittelstämme  ein  paar  Jahrhunderte  früher  seine  Eigenart  und 
Selbständigkeit  eingebürst.  Da  die  Vohd  ein  Stück  der  Kaste  nebst 
den  Pontinischen  Inseln  bewohnten  und  das  Meer  befuhren,  sind  sie 
bereits  im  vierten  Jahrhundert  in  den  Gesichtskreis  der  Hellenen  ein- 
getreten. &)  Ihre  Sprache  wurde  noch  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr. 
gesprochen  ^;  uns  ist  sie  nur  durch  ein  einziges  Denkmal  bekannt.^ 
Die  Schrift  ist  die  lateinische,  die  Mundart  steht  der  umbrischen  näher 
als  der  oskischen.  Die  Ueberlieferung  läfst  uns  in  Betreff  des  Ur- 
sprungs und  der  Verwandtschaft  des  Stammes  völlig  im  Stich.  Wie 
S.  329  bemerkt,  hat  derselbe  im  Stromgebiet  des  Liris  seinen  Haupt- 
sitz. Aber  seine  Grenzen  haben  nachweislich  stark  geschwankt.  Eioe 
Nachricht  läfst  dieselben  408  v.  Chr.  bis  an  den  Fuciner  See  reichen  ^)j 
während  später  die  Marser  nicht  nur  im  Besitz  des  Seebeckens  son- 
dern auch  des  obersten  Liristhals  mit  Antinum  erscheinen  (S.  516)* 
Umgekehrt  haben  sich  die  Volsker  am  Trerus  auf  Kosten  der  Herniker 
ausgebreitet  (S.  515).  Von  Sara  ab  betreten  wir  geschlossenen  rols- 
kischen  Boden,  der  sich  in  weitester  Ausdehnung  vom  Kanun  des  M. 
Meta  (S.  241)  bis  zum  Vorgebirge  von  AtUium  etwa  16  d.  Meilen  hin 


1)  Dies  ergiebt  sich  aus  der  Bronze  von  Rapino  (Fabr.  2741)  iotai  Merau- 
cai  lixt  v=s  civitaU  Marrucinae  iex, 

2)  Gate  Gr.  II  fr.  18  Jordan. 

3)  Diod.XIX  105  XX  101  Liv.  IX  45  XXVIU  45  App.b.civ.  139  Gic.Piul. 
Yll  23  Sil.  IUI.  XVn  454. 

4)  Mommsen,  Unterital.  Dial.  p.  336  fg. 

5)  Skylax  9  Aazlvoiv  dh  ^ovrac  'Okaol.  ^OXawv  6h  naganXov^  ^fitigai 
(Aiäq.  Liv.  IX  28. 

6)  Fest.  p.  189  M.  führt  einen  Vers  des  Komikers  Tiünios  an :  fui  obsee  et 
voUee  fabulaniur,  nam  laUne  nesciunt;  ders.  p.  293. 

7)  Mommsen,  UnteriUl.  Dial.  p.  319  fg.  Fabretti  2736. 

8)  Liv.  IV  57. 


|7.  Die  Mittelstamme.  519 

erstreckt.  Die  Wasserscheide  zwischen  Liris  und  Volturtius  bezeichnet 
die  Südgrenze,  doch  gehört  das  Mündungsgebiet,  die  Kttstenebene  bis 
Tarracina  (S.  32S)  den  Auninkern.  Letzteres  ist  eine  volskische  Stadt 
und  biefs  als  solche  Anxur,  0    D^r  Bergzug  zwischen  dem  Trerusthal 
und  der  pomptinischen  Ebene  (S.  238)  enthält  eine  Reihe  volskischer 
Städte.  Im  Üebrigeu  ist  es  nicht  möglich  die  zahlreichen  Gebietsver- 
äoderungen  namentlich  im  Küstenland,  wo  durchgreifende  Natura 
schranken  fehlen,  bestimmt  zu  erkennen.   Laut  dem  509  v.  Chr.  mit 
Karthago  abgeschlossenen  Vertrag  beansprucht  Rom  die  Oberhoheit 
über  die  ganze  Küste  Tarracina  einbegriffen ;  aber  diese  Herrschaft 
stürate  bald  darauf  in  sich  zusammen ,  die  Volsker  sitzen  später  in 
VeUtrae  und  Cotioli  am  Südfufs  des  Albaner  Gebirgs.  ^)  In  diesem 
seinem  weitesten  Umfang  kann  man  das  Stammland  zu  etwa  100  d. 
G  Heilen  veranschlagen.    Unter  mannichfachen  WechselMen  zieht 
sich  der  Kampf  mit  Rom  durch  das  fünfte  und  vierte  Jahrhundert  hin. 
Die  Einheit  und  Planmafsigkeit  des  Vorgehens  gegen  eine  lockere  Ver* 
einigung  von  Gemeinden  sicherte  letzterem  den  dauernden  Erfolg.  Aber 
den  Ausschlag  gab  doch  erst  der  Angriff  der  Samniten ,  welcher  die 
Volsker  im  Rücken  packte  und  ihnen  das  Liristhai  entrifs.    In  der 
Hitte  zwischen  Rom  und  Samnium  sefshaft  ist  der  Stamm  durch  das 
Zusammenwirken  beider  Mächte  zerrieben  worden.^)    Als  sie  dann 
später  die  Waffen  gegen  einander  kehrten,  hat  Rom  das  gesammte 
volskische  Gebiet  als  Siegespreis  behauptet.    Aufser  den  Bürgercolo- 
nien  Antium  338  und  Anxur  329  sowie  umfassenden  Bürgeransied- 
luDgen  im  Pomptinischen  sind  latinische  Colonien  nach  Circeii  393» 
nach  Velitrae  Cora  Norha^  nach  Satricum  3S5,  Setia  3S2,  Fregeüae 
328,  Pontiae  313,  Interamna  Lirinas  312,  Sora  303  geführt  worden. 
Der  eingeborne  Stamm  erlosch  ohne  Spuren  zu  hinterlassen,  der  ver- 
meintliche Nachkomme  eines  VolskerkOnigs  TuUus  Attius  ward  der 
gewaltigste  Sprachmeister  Latiums,  das  ganze  ehemalige  Volskerland 
zu  Latium  gerechnet.  ^) 

Der  Name  der  Laiini  taucht  bereits  bei  Hesiod  auf,  wird  aber  den 
hellenischen  Schriftstellern  erst  gegen  Ausgang  des  vierten  Jahrhun- 


1)  Fest.  p.  22  M.  Diod.  XIV  16  Liv.  IV  59, 4  VIU  21  XXVU  38  Plin.  m  59. 

2)  PoL  in  22,  11.  Velitrae  Liv.  II31  Vm  14.  GorioU's  Lage  annähernd  be- 
stimmbar Liv.  U  33. 39.  Gato  Gr.  1  4  Jordan. 

3)  Die  Sachlage  ist  von  den  Annalisten  verschleiert  worden ;  doch  vgl.  Liv. 
VU  19.31  Vme.  11.  19.23X1. 

4)  Plut.  Cic  1  Sil.  It  VIII 406.  —  Strab.  V  228  PUn.  Ul  59. 


520  Kap.  XI.  Die  Volksstämme. 

derts  geläufig.  0    Die  Geschichte  dieses  Stammes  Mt  Trühzeitig  mit 
derjenigen  seiner  Hauptstadt  zusammen ,  der  Name  Rom  ist  im  Aus- 
land ungleich  besser  bekannt  als  Latium.  So  läfst  der  alte  Sagenschrei- 
ber Antiochos  die  Sikeler  nicht  aus  Latium  sondern  aus  Rom  auswan- 
dern, weifs  schon  Hellanikos  von  der  Gründung  der  Stadt  zu  berich- 
ten. 2)    Soweit  die  historische  Kunde  hinauf  reicht,  tritt  das  Ansehen 
des  Stammes  durchaus  neben  dem  der  Stadt  in  den  Hintergrund:  nur 
der  Ruhm  ist  ihm  allezeit  unverkürzt  geblieben  dafs  die  welterobernde 
Sprache  von  ihm  hergeleitet  und  nach  ihm  benannt  wurde.   Der  Um- 
fang seiner  Mauern  lehrt  uns  dafs  Rom  während  der  Herrschaft  der 
Könige  den  Rang  einer  Grofsstadt  der  umgebenden  Landschaft  gegen- 
über eingenommen  hatte.    Dem  entsprechend  geht  die  litterarische 
Pflege  der  Sprache  in  ihren  ersten  Anfingen  auf  die  nämliche  Epoche 
zurück.  Während  alle  übrigen  Alphabete  Italiens  aus  dem  etruskischen 
stammen ,  haben  die  Latiner  zwar  später  als  die  Etrusker  aber  unab- 
hängig von  diesen  Lehrmeistern  die  griechische  Schrift  entlehnt«  Der 
Gebrauch  der  Schrift  wird  uns  für  das  sechste  Jahrhundert  urkundlich 
verbürgt.    Von  welchen  Grenzen  diese  zukunftsreiche  Mundart  ur- 
sprünglich umschlossen  gewesen  sei,  läfst  sieb  nur  annähernd  bestim- 
men.   Abeken  erklärt  Latium  (verglichen  mit  latus  Seite  nlaTvg)  als 
das  Plattland  im  Gegensatz  zum  Appennin,  ähnlich  wie  Campania  von 
eampus  gebildet  ist:  ein  jeder  Kenner  des  Landes  wird  die  Deutung 
ansprechend  halten.    Man  darf  im  Anschlufs  an  die  Sage  vermuten 
dafs  der  Küstenstrich  wo  Laurolavinium  die  Penatenstadt  des  latini- 
schen Bundes  lag,  einst  vorzugsweise  so  bezeichnet  worden  sei.   Im 
Uebrigen  hängt  die  Anwendung  eines  so  allgemeinen  Ortlichen  Begriffs 
durchaus  von  geschichtlichen  Verhältnissen  ab.    Eine  unverrückte 
Grenze  desselben  hat  im  Norden  stets  der  Tiber  abgegeben.   Dagegen 
ward  solche  im  Süden  bis  Sinuessa  jenseit  des  Liris  ausgedehnt,  derart 
dafs  die  ehemaligen  Gebiete  der  Aequer  Herniker  Volsker  und  Aurun- 
ker  entweder  ganz  oder  grOfstentheils  mit  einbefafst  wurden.  Der  In- 
halt der  Landschaft  im  weitesten  Sinn,  wie  sie  von  Strabo  und  Plinius 
umschrieben  wird,  beträgt  ungeßQir  ISO  d.  D Meilen. ')    Wann  diese 


1)  Hes.  Theog.  10t  1  (S.  6).  —  Skylax  8  Skymnos  234  Aristoteles  und  Kallias 
Dion.  Hai.  1 72  Theophr.  hist.  pl.  Y  8, 1. 3. 

2)  Antiochos  bei  Dion.  Hai.  1 73,  Hellanikos  nnd  Damastes  eb.  c.  72  Skylax  5 
Theopomp  bei  Plin.  HI  57  u.  A. 

3)  Strab.  y  228. 231  Plin.  Hl  54. 56. 59  Serv.  V,  Aen.  1 6  VU  38. 


§  7.  Die  Mittelfltamme.  521 

Grenze,  welche  im  römischen  Rechtsleben  eine  Bedeutung  gehabt  9, 
festgesetzt  worden  sei,  wird  nicht  ttberliefert.  Die  genannten  Gewährs- 
männer unterscheiden  ein  erweitertes  (adiectum)  und  altes  (antiquum) 
Latium ,  welch  letzteres  sie  nur  auf  50  Hillien  Länge  vom  Tiber  bis 
Circeji  sich  erstrecken  lassen.  Desgleichen  unterscheiden  die  Ge- 
schichtscbreiber  von  den  zahlreichen  über  ganz  Italien  verbreiteten 
Bundesgenossen  (nomen  Latinum)  die  Altlatiner  PmeiLatini  vor  Roms 
Gründung. ')  Diese  gelten  als  Autochtbonen  Ahorigines  und  erhalten 
von  ihrem  König  Latinus  den  Namen. ^)  Unter  der  Vorstandschaft  von 
Alba  longa  machen  sie  einen  Bund  von  30  Gemeinden  aus.  Die  Gren- 
zen des  ältesten  Latium  werden  folgender  Hafsen  bestimmt:  gegen 
NW.  durch  den  amnis  Tuschs  den  Tiber  4),  gegen  N.  durch  den  Anio&), 
gegen  0.  durch  die  Appenninkette,  an  welche  die  altlatinischen  Städte 
Tibur  und  Praeneste  sich  anlehnen ,  endlich  gegen  SO.  durch  eine  an 
den  Abhängen  der  Volskerberge  nach  dem  Vorgebirge  der  Kirke  ge- 
zogene, die  Bundesstädte  ^  Yelitrae  Cora  Norha  Setia  Satricum  Circei 
einschliefsende  Linie.  Der  Ansatz  wird  durch  die  karthagischen  Ver- 
träge bestätigt,  welche  die  ganze  Küste  bis  Tarracina  unter  dem  Na- 
men Latium  befassen.  '^  Somit  erscheint  das  älteste  Latium  durchaus 
als  ein  Küstenland,  auf  einer  Basis  von  nahezu  100km  am  Meer  hin- 
gestreckt, weniger  als  halb  so  viel  nach  dem  Gebirge  vorspringend, 
mit  einem  Flächeninhalt  von  annähernd  70  d.  DMeilen.  Indessen  kann 
von  einer  streng  in  sich  abgeschlossenen  Stammeseinheit  innerhalb 
dieses  Gebiets  keine  Rede  sein.  In  Ardea  wohnte  das  Völkchen  der 
Kurtift ,  das  in  alter  Feindschaft  mit  den  Latinem  lebte  und  in  aus- 
drücklichen Gegensatz  zu  ihnen  gesetzt  wird,  s)  Sabiner  haben  ferner 
den  Anio  überschritten  und  eine  Niederlassung  auf  dem  Quirinal  ge- 
gründet; umgekehrt  wird  auch  das  nördlich  vom  Anio  belegene  No- 


1)  Tac.  Ann.XIII26. 

2)  Fest.  ep.  p.  226  M.  PrUei  LaUtä  proprio  appeUaÜ  sunt  hi  qui  prius^ 
quam  eondsreiur  Roma  fuerunt  Liv.  I  3,  7  ab  eo  [Latino  Silvio]  eoUmiae 
aliquot  deduetae^  Pritei  Laüni  appeUati  eb.  c  32. 33  Dion.  Hai.  1 45  Ennius  bei 
Varro  LL.  Yü  28  qtuim  prisci  casei  popuK  tenuere  Latini. 

3)  Gate  Or.  1 5  Jordan  Yerg.  Aen.  VII 180  Serv.  zu  Aen.  1 6  vm  328  Liv.  I  Ifg. 
Bioo.  Hai.  1 10  Justin  XLHI 1, 3  n.  A. 

4)  Liv.  13, 5  Yerg.  Aen.  vm  473  XI 316. 

5)  Dion.  Hai.  Y  37  Plin.  UI 54. 

6)  Nach  dem  Yerzeichnirs  bei  Dion.  HaL  Y  61. 

7)  Pol.  m  22,  llfg.  23, 6  24, 5. 16. 

8)  Cato  Or.  1 12  U  21  Jordan  Liv.  1 2  lY  11  Dion.  Hai.  I  43.  57  Y  62. 


622  Kap.  XI.   Die  Volksstamme. 

metUum  unter  den  albanischen  Bundesgliedern  aufgeftthrU  Aber  am 
Meisten  hat,  wie  S.  519  bemerkt,  der  Besitzstand  im  Süden  geschwankt 
und  durch  die  Volsker  ansehnliche  Einbufsen  erUtten.  Verschiedene 
amphiktyonische  Vereine  sind  von  den  Gemeinden  der  latinischeo 
Ebene  gestiftet  worden.  ^)  Der  bedeutendste  ist  der  von  Tarquinius 
neu  geordnete  Verein  dessen  Heiligtum  der  Tempel  des  Juppiter  La- 
tiaris  auf  dem  Albaner  Berg  abgab :  47  Gemeinden  nehmen  an  der 
Stiftung  Theil,  darunter  zwei  volskische  und  sämmtliche  hemikische.^ 
Wo  unsere  genauere  Kunde  beginnt,  ist  Latium  demnach  weit  mehr 
ein  politischer  als  ein  ethnischer  BegrifT  und  hat  in  den  folgenden 
Jahrhunderten  als  ein  Haupthebel  gedient  um  das  stolze  Gebäude  rö- 
mischer Herrschaft  aufzurichten.  LcUini  heifsen  die  durch  Gleichheit 
der  amtlichen  Sprache  und  rechtliche  Vortheile  eng  an  Rom  geknüpf- 
ten Bundesgenossen,  die  in  den  Zwingburgen  der  Halbinsel  angesie- 
delt wurden.  Die  drei  Namen  Italia  Latium  Roma  sind  im  Verlauf  der 
Geschichte  immer  weiter  vorgerückt,  haben  die  durch  Alpen  und  Meer 
gesteckten  Naturschranken  überschritten :  der  erste  erfüllt  den  eng- 
sten, der  zweite  den  mittleren,  der  letzte  den  weitesten  Umkreis.  Bei 
allen  dreien  finden  wir  ihre  Ausbreitungsßlhigkeit  in  den  ältesten  An- 
wendungen angedeutet. 

§8.   Die  Osker.3) 

Im  Süden  ändert  sich  der  Bau  des  Appennin:  die  Erhebung  nimmt 
ab,  der  bunte  Wechsel  von  Hebungen  und  Senkungen  hört  auf,  das 
Land  wird  einförmiger  übersichtlicher.  Den  beiden  Ausläufern  in  de- 
nen es  endigt,  entsprechend  zerföUt  es  in  eine  grOfsere  gebirgige 
Westhälfte  und  eine  kleinere  hügelichte  Osthälfte.  Geradeso  verschwin- 
det die  Mannichfaltigkeit  von  Stämmen  und  Mundarten,  welche  die 
Mitte  der  Halbinsel  kennzeichnet;  nach  Ausweis  der  Denkmäler  haben 
sich  nur  zwei  einheimische  Sprachen  in  den  Besitz  des  Südens  ge- 
theilt,  zu  denen  von  Aufsen  her  vorübergehend  die  etruskische,  nach- 
haltiger die  hellenische  hinzu  kam ,  bis  seit  90  v.  Chr.  die  lateinische 
sie  schliefslich  aUe  verdrängte.  Ferner  stimmt  die  Abgrenzung  der 
beiden  einheimischen  Sprachen  gegen  einander  mit  der  natürlichen 
Gestaltung  des  Landes  überein ;  der  Osten  gehört  dem  stammfremden 

1)  Gate  Or.  II  21Jordan  Dion.  Hai.  IV  26. 

2)  Dion.  Hai.  IV  49. 

3)  Mommsen,  die  anteritalischen  Dialekte,  Leipzig  18&0.  4.  Joh.  ZrettieC 
Sylloge  Inscriptionnm  Oscarum,  Petropoli  1878. 


§8.   DieOsker.  628 

Messapischen,  der  Westen  einem  hervorragenden  Glied  der  italischen 
Familie  dem  Oskischen  an.  Die  letztere  übertrifft  die  erstgenannte 
Sprache  an  Verbreitung  weitaus.  Sie  führt  nicht  nach  ihren  Haupt- 
trdgern  den  kriegerischen  Samniten  den  Namen,  sondern  heifst  Helle- 
nen und  Rümern  gleichmäfsig  qxavfj  ^OrcinuiSv,  tcüv  ^Oa%iav  ri  diake-^ 
TCTog,  Ungua  obsca  osoa.  ^)  Ihre  Denkmäler  erstrecken  sich  über  einen 
Flächenraum  von  etwa  1000  d.  D Meilen,  erreichen  jedoch  nicht  die 
Zahl  von  200.  Mit  der  Masse  der  etruskischen  (S.  494)  verglichen  er- 
scheinen sie  an  Zahl  gering,  überragen  indessen  jene  an  innerem 
WerU  Grabschriften  sind  nur  ein  paai*  darunter,  sehr  viele  tragen 
einen  öffentlichen  Charakter,  auch  haben  einzelne  einen  ansehnlichen 
Umfang.  Als  untere  Zeitgrenze  dieser  Denkmäler  kann  man  das  Jahr 
80  V.  Chr.  ansetzen.  Nicht  nur  verschwindet  damals  die  Sprache  aus 
dem  amtlichen  Gebrauch,  sondern  mufe  auch  im  Munde  des  Volkes 
rasch  ausgestorben  sein.  Während  Varro  (geb.  116  v.  Chr.)  sie  noch 
als  lebend  gekannt  hat,  bezeugt  Strabo  ausdrücklich  dafs  dies  zu  sei- 
ner Zeit  nicht  mehr  der  Fall  war.  ^)  Die  Ruinen  von  Pompeji  führen 
uns  vor  Augen  wie  diese  altoskische  Stadt  im  Verlauf  von  ein  oder 
zwei  Menscbenaltern  von  Grund  aus  latinisirt  wurde:  für  die  Annahme 
dafs  nach  unserer  Zeitrechnung  die  frühere  Schrift  geschrieben  und 
die  frühere  Sprache  verstanden  worden  sei,  fehlt  jeglicher  Anhalt. 
Selbst  in  den  heutigen  Dialekten  sind  keine  sicheren  Spuren  derselben 
nachgewiesen.  Als  obere  Zeitgrenze  der  erhaltenen  Denkmäler  läfst 
sich  annähernd  das  J.  400  ansetzen,  die  Epoche  des  Aufschwungs  der 
eingebornen  Stämme:  die  Mehrzahl  ist  begreif Ucher  Weise  jüngeren 
Datums.  In  einer  verworrenen  Angabe  ist  von  verschiedenen  Mund- 
arten die  Rede  3);  dafs  die  oskische  Sprache  in  solche  zerfallen  sein 

1)  Platou  Ep.  8,  353  E  Strabo  Y  233  Steph.  Byz.  u.  FiXa.  —  Ennios  bei  Gell. 
N.  A.  XVll  17,  1  TiUnius  bei  Fest.  p.  189  M.  Fest  p.35.  68.87. 123. 131. 130. 
142.  158.  206.  212.  293.  298.  368.  375.  Varro  LL  V  131  VU  28. 29. 54  Uv.  VU  2 
X  20  Feldmesser  p.  30  Lachm.  Serv.  V.  Aen.  IX  570  Macrob.  Sat.  VI  4,  23. 

2)  Strabo  V  233.  249  VI  253.  254.  Wenn  Varro  bei  Gell.N.  A.  XI  1,5  vom 
Worte  muUa  sagt  ad  suam  memoriam  mansisse  in  Ungua  Samnitium,  be- 
zeichnet er  gleichfalls  die  Sprache  als  nicht  mehr  im  Gebrauch. 

3)  Skylax  15  fisxa  6h  'laTtvyag  dno  kglovog  /lawtzai  %^oq  iarlv,  iv 
6h  Tovvfp  T(p  idvH  yXiüaocu  tjvoi  axofiaxa  xaÖB  Accti^vioi  *Onixol  KgaiAo- 
vsg  BoQBovxlvoi  Ilevxitisig,  diijxowsg  dnb  tov  Tvgofp^ixov  neXdyovg  ek 
zov  Äöglav,  naQanXovg  t^g  dawixiSog  x^Q^i  ^fisgdv  Svo  xcd  wxrog, 
fiera  6h  Jawlzag  S^og  iazlv  'OfißQtxol  xal  noXig  iv  avvij  kyxcov  iaxi* 
Die  meistens  aogenommene  Aenderung  Sawitai  ist  ebenso  unsicher  wie  die 
Deutung  der  ganzen  anscheinend  für  ein  späteres  Einschiebsel  zu  haltenden  Notiz. 


524  Kap.  XL  Die  Yolksstamme. 

mufs,  leuchtet  bei  dem  Umfang  ihres  Gebiets  von  selbst  ein.  Indessen 
sind  wir  aufser  Stande  Abweichungen  wahrzunehmen,  sei  es  dafs  un- 
ser Material  zu  dürftig,  sei  es  dafs  der  litteransche  Gebrauch  einheit- 
lich geregelt  war.  Dagegen  ist  die  Verwendung  zwiefacher  Schrift- 
zeichen bemerkenswert.  Die  unter  dem  Einflufs  des  Hellenentums 
stehenden  Landschaften  und  Städte  Lucanien  Bruttium  Ausculum  in 
Apulien  Phistelia  in  Campanien  die  Mamertinergemeinde  in  Hessana 
bedienen  sich  des  griechischen  Alphabets,  der  selbständigere  Norden 
Samnium  und  Campanien  hat  eine  eigene  nationale  Schrift  ausgebildet. 
Die  Erfindung  derselben  weist  nach  Campanien  und  zwar  in  das  ?ierte 
oder  fünfte  Jahrhundert  nach  dem  Sturz  der  hier  vormals  blühenden 
Herrschaft  von  Etruskem  und  Hellenen.  Zu  Grunde  gelegt  ward  das 
etruskische  Alphabet,  daneben  benutzt  das  hellenische,  endlich  zwei 
neue  Zeichen  für  t  und  o  geschaffen.  Diese  durch  Schönheit  und 
Festigkeit  ausgezeichnete  Schrift  kommt  weder  nördlich  vom  Sagms 
und  Liris  noch  südlich  vom  Aufidus  und  Silarus  vor,  hält  sich  also  von 
den  mittelitalischen  wie  den  grofsgriechischen  Landschaften  gleich- 
mäfsig  fern.  Ihrem  Vordringen  nach  Süden  wehrte  die  tiefgewurzelto 
griechische  Bildung,  nach  Norden  die  Politik  Roms.  Die  Brettier  spra- 
chen nicht  blos  oskisch  wie  die  Samniten,  sondern  daneben  auch  grie- 
chisch i);  auf  den  nationalen  Gegensatz  zwischen  Mittel-  und  Sttditalien 
ist  S.  509  hingewiesen  worden. 

Der  Name  ^OttikoI  Opsci  unter  dem  Griechen  und  Römer  die 
gleichsprachigen  Völkerschaften  des  Südens  befassen,  ist  in  Campanien 
heimisch :  hierhin  setzt  sie  der  alte  Sagenschreiber  Antiochos  mit  dem 
Bemerken  sie  hiefsen  auch  Ausoner.  <)  Ein  Menschenalter  später  als 
inzwischen  die  etruskische  und  hellenische  Fremdherrschaft  in  diesem 
Theil  des  Landes  gefallen,  in  anderen  erschüttert  war,  dehnt  Thuky- 
dides  den  Namen ''OTtexeg  bis  nach  Bruttium  hin  aus  und  seitdem  steht 
seine  allgemeine  Geltung  fest.  ^)  Daneben  wird  nach  dem  gleichfalls 
campanischen  Volk  der  Ausoner  die  Halbinsel  auch  wol  bezeichnet; 
doch  ist  dieser  Gebrauch  auf  einzelne  Gelehrtenkreise  beschränkt  ge- 
blieben.^) Unter  dem  J.  445  sodann  meldet  die  Chronik  das  Volk  der 


1)  Ennius  bei  Fest.  p.  35  M.  Liv.  X  20. 

2)  Bei  Strabo  V  242  und  Aristoteles  Pol.  VII 9,  8. 

3)  Tbuk.  VI  2. 4.  Aristoteles  bei  Dien.  Hai.  I  72  Gate  p.  77  Jordan  und  die 
S.  523  A.  1  angef.  Stellen. 

4)  Vgl.  S.  65  A.  6  S.  95  A.  2.  Vereinzelt  giebt  schon  Hellanikos  dem  Namen 
eine  weite  Ausdehnung  Dien.  Hai.  1 22. 


|8.  DieOsker.  526 

Gampaser  habe  sich  gebildet  ^);  dieser  jüngere  Name  wird  in  der  Ge- 
schichtscbreibung  anfalle  jene  Soldnerscharen  angewandt,  die  von  den 
campanischen  Hafen  aussegelten  und  eine  Zeit  lang  den  Besitz  Sici- 
Uens  an  sich  zu  reifsen  drohten.  2)  Dergestalt  weisen  alle  im  vierten 
Jahrhundert  üblich  gewordenen  Bezeichnungen  auf  eine  und  dieselbe 
Landschaft  hin,  deren  Erwerb  dem  Stamm  eine  hervorragende  poli* 
tische  Stellung  verschafft  hat,  wo  auch  die  nationale  Schrift  entstanden 
ist.  Mit  dem  Umschwung  der  Dinge  verschwindet  das  älteste  Wort 
Oivixnqla  Oivanfoi,  worunter  in  der  Litteratur  des  fünften  Jahr- 
hunderts die  südwestUche  Halbinsel,  Lucanien  und  Bruttium  verstan- 
den wird.  3)  In  den  historisch  helleren  Zeiten  ist  keine  Spur  eines 
derartigen  Volkes  nachweisbar.  4)  Deshalb  erklären  die  römischen  Ge- 
lehrten Oenotria  als  das  Weinland  ^)  oder  erkennen  in  Oenotrer  eine 
Uebersetznng  des  einheimischen  Stammnamens  Sdbiniy  deren  Stamm- 
gott und  -vater  als  Winzer  dargestellt  wurde.  ^)  Man  wird  die  Möglich- 
keit der  einen  wie  der  andern  Deutung  zugeben  können.  Aber  wie  in 
dem  analogen  Falle  mit  Italia  (S.  61)  spricht  die  überwiegende  Wahr- 


1)  Diod.  XII  81.  Das  Jahr  steht  nar  annähernd  fest:  435  nach  Ensebios 
p.  106  Schoene. 

2)  Zuerst  erwähnt  413  Diod.  XIII  44,  1 ;  ders.  XIV  9. 15. 58. 61  XYI 82  Plnt. 
Dion.  27, 1,  Der  Sprachgebrauch,  besonders  deutlich  aus  Pol.  1 8, 1  vgl.  mit  Fest. 
p.  158  M.,  scheint  etwa  seit  Timaeos  flxirt  zu  sein. 

3)  Strabo  V  209  ol  ya(>  naXaiol  r^v  OlvwtQlav  ixiXovv  'IzaXiav  ino 
rov  SüceXaeov  no^fwv  (dxQi  xov  Tagavtlvov  xohtov  xal  rov  noasiSfo- 
vuixov  ikfpeovcav.  Herodot  der  in  Thurii  schrieb,  verlegt  I  167  Yelia  nach 
Oenotrien.  Sophokles  im  Triptolemos  Dion.  Hai.  I  12  läfst  an  der  Westseite 
der  Halbinsel  Oenotrien  Tyrrhenien  Ligurien  auf  einander  folgen.  Antiochos 
(Dion.  Hai.  1 12. 35  Strab.  VI  254  Arist.  Pol.  VII 9, 3)  begreift  alles  Land  zwischen 
Campanien  (Opike)  Japygien  und  der  £nge  Ton  Messina  unter  diesem  Namen. 
Uebereinstimmende  Erwähnungen  bei  Hellanikos  (Dion.  Hai.  I  22)  Pherekydes 
(Dion.  Hai.  1 13)  Pseudo-Hekataeos  fr.  30  fg.  Skymnos  247.  363. 

4)  Die  nach  gemeinsamer  Quelle  Strabo  VI  252  Plin.  IH  85  erwähnten  Inseln 
Oenotrides  Tor  Velia  verdanken  diese  Benennung  lediglich  einem  gelehrten 
Antiquar,  wie  aus  dem  Zusammenhang  bei  Plinius  deutlich  hervorgeht. 

5)  Serv.  V.  Aen.  1 532  Oenotria  dicta  est  vel  a  vino  opUmo  quod  in  Italia 
naseitur,  vel  ^  Farro  dicit  ah  Oenotro  rege  Sabinorum  vgL  Steph.  Byz.  u. 
Olv,  Nach  Hesychios  bedeutet  ro  otvfotgov  dorisch  den  Weinpfahl  und  wie 
Hehn  CuUurpflanzen  ^  66  ausführt,  wäre  Oenotrien  die  Gegend  wo  die  Rebe  an 
Pfählen  gezogen  wurde,  nicht  an  Bäumen  empor  wuchs  oder  niedrig  gehalten 
wurde. 

6)  Varro  A.  5  Verg.  Aen.  VU  178  Lydns  de  mens.  I  5  vgl.  meine  Ausfüh- 
rungen  Tempi.  113.  130. 


626  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

scheinlichkeit  und  die  bessere  Beglaubigung  für  die  Annahme  dafs  die 
hellenischen  Colonisten  bei  ihrer  Ankunft  wirklich  ein  Volk  das  Oeno- 
trer  hiefs,  angetroffen  haben.  Dies  Volk,  so  lautet  eine  durchaus  ver- 
ständige Nachricht  1),  wurde  in  Mitten  der  hellenischen  KOstenstfldte 
und  der  von  Norden  andrängenden  Samniten  erdrückt.  Dem  AntH 
ochos  war  es  schon  lange  verschollen ,  hatte  wie  er  sagt,  sich  in  Itali- 
oten  Choner  und  Morgeten  umgewandelt:  indem  er  den  Bewohnern 
Italia's  (S.  64)  oenotrischen  Ursprung  beilegt,  hebt  er  den  nationalen 
Zusammenhang  des  Westens  gegenüber  Japygien  hervor.  Der  Kampf 
mit  Hellenen  und  Römern  hat  endhch  auch  bei  den  Eingebomen 
selbst  das  Nationalbewufstsein  so  stärken  müssen,  dafs  ihm  durch 
einen  gemeinsamen  Nationalnamen  Ausdruck  veriiehen  ward.  Sie  ha- 
ben aber  keinen  der  oben  aufgezählten  sich  angeeignet,  wie  mit  lialia 
Itdlici  von  Seiten  der  Bundesgenossen  geschah  (S.  72):  am  Wenigsten 
war  auch  das  bei  den  Fremden  vorzugsweise  verbreitete  Opsct  bierfür 
geeignet ,  welches  vielleicht  Bauern  bedeutet  und  zumal  in  römischem 
Munde  einen  verächtlichen  Nebensinn  einschlofs.  >)  Eine  Münze  aus 
dem  Unabhängigkeitskrieg  des  J.  90  v.  Chr.  mit  der  Aurschrift  Safinim  — 
Sabinorum  lehrt  uns  den  einheimischen  Stammnamen  kennen. ')  Die 
Sage  leitet  die  Samniten  aus  einem  heiligen  Lenz  der  Sabiner  ab,  von 
den  Samniten  die  Frentaner  Hirpiner  Campaner  Lucaner  und  Brettier, 
welche  insgesammt  bei  Strabo  als  Samniten  bezeichnet  werden.^)  Wie 
weit  dieser  Sprachgebrauch  zurückreicht,  ist  nicht  zu  sagen :  der  Name 
begegnet  überhaupt  erst  bei  Skylax.  ^)  Alle  diese  mächtigen  Völker 
sind  verhältnifsmäfsig  jungen  Ursprungs  und  nehmen  erst  am  Ausgang 
des  fünften  Jahrhunderts  einen  Platz  in  der  Ueberlieferung  ein.  Aber 
auch  lange  vor  ihrem  Auftreten  zerfiel  der  Süden  in  eine  oskische 
West-  und  eine  iapygische  Osthälfte.  Die  Brettier  über  deren  Sprach- 
verwandtschaft kein  Zweifel  besteht,  werden  bereits  452  v.  Chr.  ab 


1)  Strabo  VI  253. 

2)  Man  leitet  das  Wort  von  der  Erdgöttin  Op*  oder  von  opsan  {operari} 
ab.  Cato  p.  77  Jordan  {=  Plin.  XXIX  14)  nos  quoque  dictitani  [Graeeil  bar- 
baros  ei  spureius  nos  ptam  aUoi  Optean  appelUtUane  foeäant.  Fest.  p.  198. 
188  M.  Schol.  ra  Jnven.  Sat  3,  207  Fabretti  Glossar. 

3)  Friedl&nder  Oskische  Mönsen  3  Mommsen  Rom.  Mt&nsw.  n.  217L  Bfldie- 
1er  Rhein.  Mus.  XXX  443. 

4)  Stnib.V241.250.242.47.49.5t  VI  2511. 54. 

5)  Die  italisehen  Söldner  im  Heer  des  Agathoklea  werden  als  Saudlen 
Tyirhener  nnd  Kelten  bezeichnet  Diod.  XX 11.  64. 


|8.  DieOsker.  527 

Bewohner  der  SOa  erwähnt  ^) ,  ja  von  Antiochos  fOr  die  ältesten  An- 
siedler erklärt  >)  und  in  der  That  war  kein  einziger  Theil  des  Appen- 
ninlandes  so  sehr  geeignet  seine  ursprünglichen  Bewohner  festzuhalten 
als  die  Waldwildnifs  des  brettischen  Gebirges  (S.  244).  Die  Fabel  des 
Hellanikos  von  dem  Rind  aus  der  Heerde  Geryons  und  dessen  Ver- 
folgung durch  Herakles  setzt  den  Gebrauch  der  italischen  Sprache  an 
der  Westküste  unzweideutig  voraus. ')  Ebenso  klar  weist  der  Name 
Oenotrer^  der  zur  Bezeichnung  der  Westhälfte  dient  ^),  auf  itaUsche 
Herkunft  &):  nach  ähnlichen  Bildungen  sucht  man  auf  der  griechischen 
Halbinsel  vergebens.  Die  Betrachtung  der  einzelnen  Glieder  dieses 
grofsen  Stammes  bestätigt  die  bisher  gewonnenen  Ergebnisse. 

An  der  Adria  folgen  auf  die  Marruciner  (S.  518)  und  werden 
mehrfach  mit  den  Völkern  der  Abruzzen  zusammengefalst  ^)  die  Fren- 
trani  oder  wie  es  die  Römer  sich  mundgerechter  machten  Freniam.  "Q 
Sie  hiefsen  Samniten,  haben  sich  oskischer  Sprache  und  Schrift  be- 
dient 9)  Die  augustische  Eintheilung  weist  ihnen  7  Gemeinden  mit 
einem  Gebiet  von  etwa  50  d.  D  M.  zu,  indem  als  Südgrenze  der  Tt/er- 
fitcf  Bifemo  angegeben  wird.  Die  Lartnates  Frentani  welche  schon 
früher  von  dem  Völkchen  unterschieden  werden,  sind  zu  Apulien  uod 
zur  zweiten  Region  geschlagen. <*)  Indessen  läfst  der  Beiname  über  die 
Verwandtschaft  nicht  im  Unklaren  und  indem  wir  mit  Strabo  die 
Grenze  des  Stammes  bis  zum  Frenio  Fortore  vorrücken ,  erhöht  sich 


1)  Am  Flusse  Traeis  noch  jetzt  Triunto  Diod.  XÜ  22  Jamblich.  Pyth.  viU  260. 

2)  Steph.  Byz.  n.  Bghrog:  kvtloxog  dh  r^v  ^raXlav  n^xov  ^ai 
xXij^vai  Bgextlav  eha  Olviüiglav.  Wir  sind  nicht  berechtigt  dies  Gitat  dem 
Antiochos  von  Syrakns  abzusprechen  weil  Strabo  VI  264  Dien.  Hai.  I  12  zn 
widersprechen  scheinen;  denn  es  ist  nicht  von  einem  Volk  die  Rede,  dabei 
nicht  ersichtlich  ob  und  wie  der  Landesname  gedeutet  war.  Unter  allen  Um- 
standen bleibt  es  ein  höchst  beachtenswertes  Zeugnirs. 

3)  Dion.  Hai.  I  35  Apollodor  bibl.  H  5,  tO  vgl.  S.  61  A.  4.  Auch  Strabo  VI 
258,  der  enge  Verwandtschaft  des  Oskischen  mit  dem  Latein  annimmt  V  233, 
labt  diese  Sprache  bei  der  Grflndung  von  Rhegion  sprechen. 

4)  Aulser  Antiochos  sei  hier  die  Genealogie  des  Pherekydes  von  Athen 
Dion.  Hai.  I  13  hervorgehoben. 

5)  Dasselbe  Suffix  in  Pmtri  Frentrani  (Freniri)  vgl.  osk.  ponitram  w^ 
pontem  triiiaamerUuä^mm  tegiamento. 

6)  Pol.  n  24, 12  Uv.  IX  45  SiL  IUI.  Vm  521. 

7)  M ommsen,  Unterit.  Dial.  309. 

8)  Strabo  V  241  ^gevtavol  Xawizixhv  i^og  ZveUieir2^8.  163—65. 

9)  Fun.  m  103.  105.  106  Strabo  V  242.  —  Liv.  XXVil  43  Gaes.  b.  civ.  1 23 
SU.  It  XV  565. 


528  Kap.  XI.  Die  VolksBtamme. 

der  Inhalt  des  Gebiets  um  15 — 20  d.  D  Meilen.  Auch  die  Grenzstadt 
Teanum  Apülum  wird  nach  ihren  oskischen  Münzen  zu  schliefeen  einst 
hinzu  gehört  haben.  ^  Das  Volk  begegnet  in  der  Ueberliefening  zuerst 
319  V.  Chr.,  tritt  304  in  die  römische  Bundesgenossenschaft  ein.-) 
Gleich  den  Cantonen  der  Abruzzen  hat  es  sich  an  den  grofsen  Kriegen 
mit  Samnium  nicht  betheiligt  oder  auf  römischer  Seite  gefochten,  da- 
gegen die  Erhebung  91  v.  Chr.  mitgemacht.') 

In  einem  langwierigen  Krieg  mit  den  Umbrern  gelobten  die  Sa- 
biner  nach  errungenem  Sieg  dem  Mars  einen  heiligen  Lenz  darzu- 
bringen. Der  ausgestolsenen  Jugend  sandte  Mars^inen  Stier  als  Füh- 
rer und  wo  der  Stier  im  Lande  der  Opiker  sich  lagerte,  da  fand  sie 
eine  bleibende  Stätte. 4)  Von  dieser  ihrer  Herkunft^}  schreibt  sich  die 
Benennung  Sabelli^)  oder  aus  Sabinites  umgewandelt  die  gewöhn- 
lichere 2avvlTai  Samnites"^)  her.  Auf  den  erhaltenen  oskischeo 
Denkmälern  nimmt  das  Volk  selbst  den  Namen  5a/Eii«ts  =«  Sabim  für 
sich  in  Anspruch  (S.  526  A.  3).  An  die  Wandersage  erinnert  die 
Stadt  Bovianum  vetus  Pietrabbondante,  welche  nach  Ausweis  ihrer 
Ruinen  und  Inschriften  einen  Miltelpunct  des  ganzen  Stanunes  abge- 
geben hat,^)  Sie  lehnt  sich  an  einen  Bergrücken  an  und  wird  gegen- 
wärtig nur  auf  Saumwegen  erreicht;  die  Gewässer  ringsum  flieben  in 
den  Trinhu  Trigno.  In  diesen  abgelegenen  Berglanden  am  Oberlauf 
des  Sangro  und  Trigno  siedelte  der  Canton  der  Caraceni  als  Grenz- 
nachbar der  Frentaner.  ^)    An  ihn  stöfst  der  kaum  häufiger  erwähnte 


1)  Mommsen,  Unterit.  Dial.  301;  Andere  weisen  sie  dem  marradntsdieo 
Teate  zu.        2)  Uv.  IX  16. 45. 

3)  Flut.  Pyirh.  16, 10  Dion.  flal.  XX  1  Appian  b.  civ.  1 39. 

4)  Strabo  Y  250  Fest.  p.  326  M.  Sisenna  fr.  99  Peter  Yarro  bei  GelL  XI  1,  5 
Appian  Samn.  4. 

5)  Aehnlich  heifsen  die  nach  dem  Golf  Ton  Salerno  Terpflaozten  Picenter 
(S.512A.  6)  Pieenäni,  die  selbständig  gebliebenen  Aeqaer  (S.  514)  AequicuU 
oder  Jequicuiani, 

6)  Strabo  a.  0.  elxbg  ^  öia  tovro  xcd  Saß^lXovq  «rvrov(  vnoxoQiKni' 
xiSg  anb  rdiv  yoviofv  nQoaayoQev^vai,  Plin.  III  107  Liv.  VIII  1  X  19,  be- 
sonders beliebt  bei  den  Dichtern. 

7)  Mommsen,  UnteritaL  Dial.  293. 

8)  Wie  Mommsen  a.  0. 171  zuerst  erkannt  und  die  späteren  Aasgrabongeo 
in  glänzender  Weise  bestätigt  haben.  Die  von  BAcheler  Rh.  Mos.  XXX  441 
behandelte  metrische  Weihinschrift  eines  Sabinorum  universontm  eensor  ist 
besonders  le^reich. 

9)  Nach  der  Bestimmung  des  Ptolemaeos  III  1,  57;  aufserdem  kommt  der 
Name  noch  vor  Zonar.  YIII 7  Tac  Bist.  lY  5. 


§8.  DieOsker.  529 

Canton  der  Pentri  am  oberen  Tifemus  Biferao :  sein  Hauptort  nörd- 
lich Tom  H.  Matese,  unter  Vespasian  durch  das  Beiwort  Utidecimanonim 
unterschieden ,  hiefs  gleichfalls  Bovianum  Boiano.  i)  Femer  kennen 
vrir  den  Canton  der  Caudini  an  der  campanischen  Grenze  mit  der  Stadt 
Caudium  Montesarchio. ')  Manche  andere  Namen  mögen  für  uns  ver- 
schollen sein.  Eine  Sonderstellung  weist  schon  die  Sage  den  Hirpini 
zu:  nicht  der  Stier,  sondern  der  Wolf  (At'rpus)  des  Mars  hatte  sie  in 
ihre  Sitze  geführt.  3)  Die  römische  Politik  hat  den  Rifs  erweitert,  alles 
Land  sOdlich  vom  Calor  bis  zur  lucanischen  Grenze  als  ein  eigenes 
Ganzes  unter  dem  Namen  des  ager  Hirpinus  von  Samnium  abgelöst  ^) 
Das  S.  240  beschriebene  Hochland  zwischen  der  campanischen  und 
apulischen  Ebene  widerstrebt  einer  städtischen  Entwicklung,  seine 
Bewohner  lebten  vor  Alters  in  Dörfern.  &)  In  Folge  dessen  wird  die 
Ermittelung  der  Stammgrenzen  hier  noch  mehr  erschwert  als  in  an- 
deren Theilen  Italiens.  Das  Gebiet  der  zu  einer  Eidgenossenschaft 
vereinigten  Cantone  heifst  den  Römern  Samnium.  ®)  Die  Geltung  des 
Namens  hat  ebenso  geschwankt  wie  diejenige  von  Italia  und  Latium, 
nur  dafs  sie  im  Lauf  der  Zeiten  zusammen  schrumpft  wo  jene  sich  er- 
weitern. Im  vierten  Jahrhundert  als  Samniten  und  Römer  im  Bunde 
mit  einander  die  Unabhängigkeit  ihrer  beiderseitigen  Nachbarn  ver- 
nichteten (S.  519),  hat  er  seine  gröfste  Ausdehnung  von  etwa  250  bis 
300  d.  D  M.  erreicht.  Die  Samniten  hatten  das  obere  Liristhai  mit 
Sora  und  FregeUae  erobert,  vielleicht  auch  die  Landschaft  der  Sidi- 
eint.  "O  Nach  dem  Periplus  gehörte  ihnen  die  Küste  zwischen  Neapel 
und  Paestum  auf  einer  halben  Tagefahrt  Ausdehnung  an.^)  Da  später 
hier  die  Picenter  angesiedelt  wurden  (S.  512),  wird  man  den  Silarus 


1)  Liv.  IX  31  Caput  hoe  erat  Pantrarum  SamniUum  longB  diti$nmum 
atque  öpulentinimum  armU  viri^que.  —  Pentrer  erwähnt  Dion.  Hai.  XVII  4 
Uv.  XXU  61. 

2)  Uy.  XXm  41  VeUeius  U  1,  5. 

3)  Strebe  y  250  Fest.  ep.  p.  106  M.  vgl.  Serv.  V.  Aen.  XI  785. 

4)  Pol.  in  91, 9  Uv.  XXII 13. 61  XXHI 1. 37. 41  XXVH  1 5  VeU.  U  16, 2  68,  3 
App.  b.  civ.  1 39  Gic.  de  div.  1 79  de  lege  agr.  lU  8  Strebe  V  250  PUo.  UI 99. 102. 
105  Ptol.  UI  1,  62. 

5)  Uv.  IX  13  Strabo  Y  250. 

6)  Schon  auf  dem  Sarkophag  des  Gonsuls  von  298  v.  Chr.  heifst  ea  Tau- 
rana[m]  Ci4atina[tn]  [in]  Samnio  C9pit  CIL.  1 30. 

7)  Uv.  X  1  Vm  19. 23  Vn  29  Vlll  16. 

8)  Skylax  11.  Herculanetun  Pompeji  (Strebo  Y  247  Liv.  IX  38)  Marcina  am 
Golf  von  Salernam  (Str.  Y  251)  sind  Bamnitisch. 

Milien,  lUL  lABdaskuttd«.    I.  34 


580  Kap.  XL  Die  Yolkastäiimie. 

„den  Grenzflufs  des  alten  Italiens'^  zugleich  als  solchen  zwischen  Sam- 
nium  und  Lucanien  ansehen  dürfen,  i)  Im  Norden  gegen  dieAbruzzen 
hin  sind  keine  Veränderungen  der  hier  bestehenden  Naturgrenze 
(S.  240)  bekannt;  auch  die  Zugehörigkeit  der  Frentaner  zum  samni- 
tischen  Bunde  läfst  sich,  so  sehr  sie  den  geographischen  Verhältnissen 
entsprechen  würde,  nicht  beweisen.  Dagegen  im  Osten  hat  der  Bund 
dnen  breiten  Saum  Apuliens  sich  angeeignet:  das  feste  Luceria  ist  in 
seinem  Besitz  sowie  Äuscuhim  das  oskische  Münzen  prägt.  ^)  Die  Er- 
werbungen erstrecken  sich  im  Süden  bis  an  das  Gebiet  von  Tarent: 
Metapont  wird  von  den  Samniten  zerstört,  Venusia  mit  einer  Feldmark 
die  20000  Colonisten  ernähren  konnte,  ist  291  v.  Chr.  in  diesen 
Strichen  gegründet  worden.')  Wie  solche  überschäumende  Macht  von 
den  Romern  aUmälich  eingedämmt  wurde,  zeigen  die  Jahreszahlen  der 
gegen  sie  angelegten  latinischen  Festungen  an :  334  Cak$  328  Fre- 
gdlae  314  Luceria  313  Saticula  312  ItUeramna  Lirinas  303  Sara 
291  Venusia.  Vor  Ankunft  des  Königs  Pyrrhos  war  Samnium  auf 
etwa  180  d.  DM.  beschränkt.  Nach  dessen  Niederlage  wurden  mitten 
in  Samnium  268  Benevenitiim  und  263  Aeiemia  zur  Beherrschung  der 
fruchtbaren  von  beiden  Armen  des  Volturnus  durchströmten  Thäler 
erbaut ;  die  Via  Appia  durchschnitt  das  Land  die  nördlichen  und  süd- 
lichen Cantone  von  einander  trennend.  Alle  Mittel  über  welche  die 
Härte  des  Siegers  verfügte ,  waren  angewandt  worden  um  dasselbe  in 
eine  Wüstenei  zu  verwandeln  ^),  verfehlten  aber  ihren  Zweck.  In  den 
Censuslisten  des  J.  225  v.  Chr.  waren  nicht  weniger  als  77000  dienst- 
pflichtige Samniten  eingetragen ,  kamen  bei  einem  Gebiet  von  etwa 
160  d.  dM.  500  Wehrßlhige  auf  die  Quadratmeile:  ein  Verhältnifs  das 
bei  keinen  anderen  Bundesgenossen  wiederkehrt^)    Die  Verwunde- 


1)  Strabo  Y  251  dtiixavai  d'  ol  UlxBvxBq  t^i^  tov  StXaQiSoq  noxaim 
xov  OQl^ovToq  dno  ravttjq  v^g  X^^C  xriv  d^alixv  ^taXlav  vgl.  liv.  VDI 17. 

2)  Liv.  IX  15  vgl.  Diod.XlX72,  Mommsen,  ünterit  Bial.  261. 

3)  StrabQ  Y  250  Anf.  u.  Bütte  YI  254.  264;  derselbe  ebenso  wie  Hör.  Sit. 
II  1,  36  schreiben  Yenusia  ausdrücklich  den  SamiiiteD  zu. 

4)  Dio  Cr.  40,  27  Bekker.  Uv.  X  15  (vgl.  Diod.  XX  SO)  duo  amnOtarM  exer- 
eitus  diversit  vagati  parHhui  omnia  tpaüo  quinquB  memum  evoMarwiL  jim- 
draginta  et  quin^ue  loca  in  Samnio  fuere  in  quibu*  Deeii  castrß  fueruni, 
üUeritu  eontuKs  sex  ei  oeioginia.  nee  valU  lanium  ae  fossarum  vettigis 
reUcta^  sed  tnulto  Ulis  imigniora  monumenia  vastiiatis  eirea  regiamoHfue 
depopulatarum. 

5)  Pol  II  24»  10.  Die  Angabe  Stnbo's  Y  250  von  88000  Muui  besieht  sich 
dem  Zasammenhaog  nach  anf  eine  frühere  Zeit 


§  8.  Die  Osker.  531 

ruDg  welche  das  Facit  einer  RechnUDg  hervorruft,  legt  sich  indem  wir 
bedenken  daTs  das  Land  mit  seinen  einfachen  Wirtschaftsformen  vom 
Schwert  des  Feindes  nicht  todtlicb  verwundet  werden  konnte  (S.455), 
dafs  im  Altertum  das  Gebirge  wehrhaft  blieb  weil  es  der  Cultur  spät 
erlag  (S,  223).  Immerhin  erregt  die  Geschichte  dieses  Volkes  unsere 
warme  Theilnahme.  Der  hannibalische  Krieg  brachte  ihm  neue  Ver- 
luste: auf  abgetretene  Ländereien  wurden  z.  B.  180  v.  Qir.  die  ligu- 
rischen  Apuaner  verpflanzt  (S.  474).  Aber  erst  in  dem  wilden  Ringen 
der  achtziger  Jahre  v.  Chr.  wird  seine  Kraft  völlig  aufgezehrt  Der 
Würger  Sulla  rechtfertigte  die  Ausrottung  des  Volks  mit  der  Ruhe 
Roms  die  solches  heische.  In  der  augustischen  Eintheilung  ist  Sam- 
nium  auf  ein  Gebiet  von  60 — 70  d.  D  H.  mit  8  Gemeinden  beschrankt 
und  befafst  die  ursprünglichen  Stammsitze,  die  Cantone  der  Caracener 
und  Pentrer.  Das  untere  Thal  des  Voltumus  ist  der  ersten ,  das  Hir* 
pinerland  der  zweiten  Region  zugewiesen. 

Die  vulkanische  Ebene  gegen  welche  das  Grenzgebirge  Samniums 
abfällt ,  die  gesegnetste  Landschaft  von  ganz  Italien  ist  den  häufigsten 
Umwälzungen  unterworfen  gewesen.  Hellenische  etruskische  oskische 
römische  Denkmäler  bekunden  wie  die  verschiedenen  Culturnationen 
hier  nach  einander  geboten  und  ihre  Nationalität  zum  Ausdruck  ge- 
bracht haben.  Als  Urbewohner  werden  Ausoner  und  Opiker  hinge- 
stellt; Antiochos  von  Syrakus  erklärt  sie  für  ein  und  dasselbe,  Poly- 
bios  für  zwei  verschiedene  Volker. 0  Reide  haben  Recht:  der  erste 
insofern  die  AngehOrigkeit  der  Ausoner  zur  oskischen  Familie  ur- 
kundlich erwiesen  ist  s),  der  zweite  insofern  dieselben  ein  besonderes 
Glied  der  oskischen  Familie  gebildet  haben.  Die  ^vaoveg  Aurunei^) 
werden  von  den  Alten  als  Autochthonen  betrachtet^);  doch  ist  ihr 


1)  Strsbo  y  242  Aristot.  Pol.  YII  9,  3. 

2)  Die  Fabr.  2745  erwähnte  MOnze  trug  die  oskische  Aufschrift  Aurunkud 
(nach  a  catalogue  of  tbe  Greek  eoins  of  the  British  museum ,  Italy  p.  75, 
London  1873).  Die  Fortdauer  der  oskischen  Sprache  im  Anninkerland  zur  Römer- 
zeit beweist  die  mit  lateinischen  Buchstaben  beschriebene  Tessera  Zvetaieff  31. 

3)  Die  Identität  beider  Formen  ist  zwar  dem  Urias  und  Dionys  entgan- 
gen, dagegen  den  Grammatikern  gelaufig  Fest  ep.  p.  18  M.  Serr.  Y.  Aen.  YH 
727.  Da  auch  die  oskische  Form  r  hat  (A.  2),  so  muis  der  Name  zu  den  Hel- 
lenen gelangt  sein  vor  dem  Einreilsen  des  Bhotacismus,  das  Ja  übrigens  auch 
im  Latein  hislorischen  Zeilen  angehört  Fest  ep.  p.  9.  23 M. 

4)  Aelian  yar.  bist  IX  16  Hellaniko^  bei  Dion.  Hai.  1 22  eb.  11. 21  Diod.  Y  7 

(Timaeos?)  Skymn.  228  Gato  Or,  Ol  1  Jordan  Fest  ep.  p.  18  M.  (ygl.  Paul.  bist. 

Lang.  0  24). 

34* 


532  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

Name  spät  und  in  beschränkteD  Kreisen  zur  Bezeichnung  der  ganzen 
Halbinsel  verwandt  worden  (S.  524).  Die  Ueberlieferung  zeigt  uns 
dies  Volk  in  reirsendem  Rückgang  begriffen.  Um  500  ▼.  Chr.  bean- 
sprucht es  noch  das  pomptinische  Gebiet  ^) ;  aber  von  den  Bergen  her 
dringen  Volsker  Sidiciner  Samniten  immer  weiter  vor,  den  ganzen 
Küstenstrich  zwischen  Latium  und  Campanien  schreibt  Skylax  den 
Volskern  zu.  In  der  letzten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  sind  die 
Aurunker  auf  das  Gebiet  zwischen  den  Mündungen  des  Liris  und  Vol- 
turnus  eingeengt  und  werden  314  v.  Chr.  durch  die  römischen  Waffen 
vertilgt.  2)  Die  Bürgercolonien  Mintumae  und  Sinuessa  296 ,  die  lati- 
nischen Cales  334  und  Stussa  313  theilten  sich  in  den  etwa  15  d. 
DH.  grofsen  Besitz;  der  Name  Aurunker  wird  fortan  nur  noch  ver- 
einzelt in  geographischem  Sinne  verwandt.')  Ihre  Nachbarn  die  5t<fa- 
cini  werden  ausdrücklich  dem  oskischen  Stamm  zugerechnet:  die 
Münzen  bestätigen  diese  Angabe. ')  Ihr  Name  lebte  in  der  Rom  ver- 
bündeten blühenden  Stadt  Teanum  Sidiänum  fort  &) ;  doch  hat  er  sich 
im  vierten  Jahrhundert  ohne  Zweifel  bedeutend  weiter  erstreckt,  als 
die  Angriffe  der  Samniten  die  grofse  Verwicklung  heri>eifilhrteD, 
welche  das  Schicksal  Campaniens  entschied.  ^)  Um  300  v.  Chr.  nach 
der  Assignation  des  ager  Fdernus  und  der  Gründung  der  oben  ange- 
führten Colonien  ist  das  Latein  bis  an  den  Unterlauf  des  Volturnus 
voi^erückt.  ^)  Südlich  von  diesem  Flufs  hat  sich  die  Landessprache 
länger  behauptet.  In  älteren  Jahrhunderten  war  sie  von  Hellenen  und 
Etruskem  unterdrückt,  seit  445  durch  die  Siege  der  stammverwandten 
Samniten  in  ihr  verkümmertes  Recht  wieder  eingesetzt  worden  (S.  524). 
Campania  die  Ebene,  wie  die  Alten  richtig  erklären S),  ist  nach  drei 
Seiten  hin  von  natürlichen  Grenzen  umgeben :  im  Osten  vom  Appen- 
nin  im  Süden  von  den  Surrentiner  Bergen  im  Westen  vom  Meer. 
Minder  scharf  scheiden  die  Rocca  Monflna  und  der  M.  Hassico  im 
Norden  das  Thal  des  Volturnus  von  demjenigen  des  Liris.  Auf  dieses 
so  umschlossene  ungefähr  50  d.  D  M.  haltende  Gebiet  wird  der  Name 


1)  Uv.  n  16. 17.  26  Dien.  Hai.  VI  32.  37. 

2)  Liv.  Vn  28  Vm  15.  16  IX  25  X  21. 

3)  Hermes  1 150  Uv.  Vm  15  Vell.  I  14. 

4)  Stnbo  V  237  FabretU  2746  vgl.  Mommsen,  Unterit.  DiaL  p.  107. 

5)  Gell.  N.  A.  X  3,  3  Gic  Phil.  U  107. 

6)  Liv.  Vn  29  Vm  1.  2.  15.  16.  17. 

7)  Uv.  Yin  11  IX  20  X  20  CIL.  X  4719. 

8)  Diod.  Xn  31  Uv.  IV  37  Fest.  ep.  p.  43  M.  Plio.  III 63  Sarv.  V.  Aen.  X  145. 


§  8.   Die  Osker.  533 

als  geographischer  Begriff  bezogen.^)  Im  vierten  Jahrhundert  unserer 
Zeitrechnung  wird  er  über  die  ganze  erste  Region  des  Augustus  bis 
an  den  Tiber  und  ttber  einen  Theil  der  zweiten  ausgedehnt,  in  den 
romanischen  Sprachen  geht  er  in  die  allgemeine  Bedeutung  von  Feld 
auf.  Als  politischer  Begriff  bezeichnet  er  dagegen  den  Römern  der 
Republik  das  Gebiet  von  Capua  und  der  von  diesem  abhängigen  Städte. 
Durch  den  Anschlufs  an  Rom  343  v.  Chr.  ward  dessen  politische  Herr- 
schaft südlich  vom  Voltumus  eingeleitet  und  in  den  folgenden  Jahr- 
zehnten behauptet.  Seit  dem  hannibalischen  Kriege  nachdem  Capua 
die  Hauptstadt  der  oskischen  Nation  211  vernichtet,  in  den  Küsten- 
städten Yoüumutn  Lüemum  Puteoli  194  Bürgercolonien  angesiedelt 
waren ,  erobert  die  Romersprache  die  Ebene  bis  an  den  Golf  von  Ne- 
apel; 180  wird  sie  im  öffentlichen  Verkehr  zu  Cumae  eingeführt.  >) 
Die  Südhälfte  dagegen  von  Nola  bis  Nuceria  bewahrte  ihren  oskischen 
Charakter  bis  zum  Aufstand  der  Bundesgenossen ,  mit  denen  sie  89 
Y.  Chr.  gemeinsame  Sache  machte. 

Während  in  Campanien  seit  Alters  etruskischer  und  hellenischer 
Einflufs  einander  im  Gleichgewicht  gehalten  hatten ,  verschwindet  je- 
ner jenseit  des  Silarus  Sele  vollständig.  Im  Laufe  des  sechsten  Jahr- 
hunderts, ja  noch  später  gründeten  die  Hellenen  Pomdonia  Elea 
Pyxui  Laoi  an  der  lucanischen  Küste ,  beherrschten  die  fruchtbaren 
Gefilde  des  Tarentiner  Golfs  unbestritten.  Die  erhaltenen  Angaben 
über  die  Einwohnerzahlen  der  Griechenstädte  verdienen  allerdings 
keinen  Glauben ;  aber  der  Umfang  ihrer  Mauern  legt  von  der  ehema- 
ligen Gröfse  und  Macht  unzweideutiges  Zeugnifs  ab.  ^)  Viele  Einge- 
bome  fanden  unter  der  Bürgerschaft  Aufnahme');  noch  mehr  gerieten 
in  Abhängigkeit,  wie  denn  Sybaris  über  4  benachbarte  Völker  und  25 
Ortschaften  gebot.  Derart  wurden  die  Ebenen  und  Küsten  hellenisirt^ 
der  oskische  Stamm  auf  das  Gebirge  beschränkt.  Um  dieselbe  Zeit 
wo  die  Samniten  Campanien  erobern ,  richten  sie  ihre  Angriffe  auch 
nach  Süden.    Von  ihnen  geht  das  Volk  der  Lucani  aus  ^),  welches  wir 

1)  Pol.  in  91  schliefst  Sinoessa  und  Teanum  ein,  Strabo  V  237.  242  letz- 
teres zweifelnd,  Plin.  III 59  rechnet  auch  Sinuessa  zum  LaUum  adiecium  (S.  521). 

2)  Uv.  XL  42. 

3)  Diod.  XU  9  Strabo  VI  261.  263  Athen.  XU  519  c  Liy.  XXIV  3. 

4)  Pol.  Xn  5.  6  Diod.  Xfl  9,  2. 

5)  Strabo  Y  228  VI  253.  254  Plin.  III  71.  —  Die  Volksmflnzen  geben  als 
Namensform  Aovxavofi  und  AvxiavatVj  CIL.  I  30  Loueanam,  die  griechischen 
Schriftsteller  AevxavoL  Verschiedene  Ableitungen  Fest.  ep.  p.  119  M.  Der 
Stamm  begegnet  in  italischen  Namen  häufig. 


^34  Kap.  XL  Die  Yolksst&mme. 

zuerst  um  435  v.  Chr.  im  Krieg  mit  Thurii  befindlich  antreffen  J)  Ein- 
stens hatte  Sybaris  seine  Herrschaft  über  den  Rttcken  der  Halbinsel 
hinüber  erstreckt  und  am  tyrrhenischen  Meer  Laos  gegründet.  Diese 
Stadt  erscheint  390  v.  Chr.  in  lucanischem  Besitz  >):  vermutlich  war 
sie  es  schon  einige  Jahrzehnte  früher  als  Antiochos  von  Syrakns  den 
gleichnamigen  Flufs  als  Grenze  Italiens  hinstellte  (S.  64).  Trotz  d^ 
393  V.  Chr.  vollzogenen  Vereinigung  der  Freistädte  wird  diese  Grenz- 
linie bald  durchbrochen:  Dionys  der  Knechter  hellenischer  Freiheit 
wollte  durch  eine  Befestigung  auf  der  Enge  von  Tiriolo  wenigstens 
den  südlichsten  Theil  des  Festlands  gegen  die  Angriffe  seiner  luca- 
nischen  Verbündeten  sichern,  s)  Um  die  Mitte  des  vierten  Jahrhun- 
derts hat  der  Name  Lucanien  seine  weiteste  Ausdehnung  von  etwa 
400  d.  DM.  erreicht:  er  bedeutet  damals  die  ganze  Küste  vom  Silarus 
bis  Thurii,  Hauptstadt  ist  Petdia  am  östlichen  FuTs  der  SUa.^)  Aber 
356  V.  Chr.  WM  das  Volk  der  Brettier  in  der  Sila  von  Lucanien  ab, 
nimmt  den  Süden  von  den  Krathisquellen  ab  für  sich  in  Beschlag, 
rückt  später  seine  Grenze  bis  an  den  Laosflufs  vor.^)  Als  die  Lucaner 
notgedrungen  die  neue  Macht  anerkennen  mufsten,  haben  sie  ihre 
l^affen  nach  Osten  gewandt  um  die  Mündungen  der  Flüsse  zu  gewin- 
nen die  ihren  Bergen  entsprangen.  In  blindem  Eifer  haben  sie  die- 
sem Ziel  nachgestrebt  und  es  zu  erreichen  sich  je  nach  den  Umstän- 
den mit  Rom  oder  Samnium  mit  Tarent  oder  Bruttium  mit  Pyrrhos 
und  Hannibal  verbündet.  Doch  ohne  Erfolg:  Rom  nahm  ihnen  Posei- 
donia  ab  und  gründete  hier  273  die  latinische  Colonie  Paestumj  des- 
gleichen 193  Copia  an  der  Stelle  von  Thurii,  194  die  Bürgercolonie 
Buxentum  in  Pyxus.  Dergestalt  bUeb  der  lucanische  Bund  auf  das 
Binnenland  beschränkt  ebenso  wie  der  samnitische.  Seine  Grenzen 
werden  bestimmt  durch  die  Mündung  des  Silarus  im  Norden  —  Bbu- 
rum  Eboli  gehört  noch  dazu  —  durch  den  Laus  und  die  Ebene  von 


1)  Polyaen  II 10,  2  fg.  Fronün  Strat.  II 3, 12  Strabo  VI  264  vgl.  mit  Diod. 
XIII 106,  10  Thakyd.  VI  93. 

2)  Diod.  XIV  101,  8. 

3)  Diod.  XIV  91, 101  XVI 6  Strabo  VI  261  Pliium95. 

4)  Skylax  12.  13.  14  Diod.  XVI 15  Strabo  VI  254  Justin  XXI  3,  3  Plnt 
TImol.  34, 2. 

5)  Diod.  XVI 15.  DaDs  die  Brettier  mit  den  Lncanem  Krieg  gefOhrt  haben, 
berichtet  Justin  XXUI  1,  18.  CansenUa  die  spätere  Hauptstadt  der  Brettier 
(Strabo  VI  256  Liv.  XXIX  38  XXX 19)  ist  327  noch  lucanisch  Uv.  Vm  24,  4  (die 
Schreibung  der  Handschriften  ConsenUam  ex  Lueanu  wird  gestützt  dnrch  §  5) 
vgl.  Theopomp  bei  Plin.  HI  98. 


§  8.  Die  Osker.  585 

Sybaris  im  SfldeD ,  dnrch  den  Bradanus  im  Osten,  endlich  durch  den 
S.  242  beschriebenen  Gebirgszug.^)  Der  Flächeninhalt  iiann  nach  Ab- 
zug der  griechischen  und  römischen  Stadtgebiete  auf  etwa  180  d.  DM. 
¥eranschlagt  werden.  Seine  Streitmacht  war  in  den  römischen  Stamm* 
rollen  225  v.  Chr.  nur  jnit  34000  Mann  aufgeführt:  noch  nicht  die 
Hälfte  dessen  was  das  kleinere  Samnium ,  ebensoviel  wie  Capua  mit 
dem  zehnten  Theil  des  Gebietsumfanges  stellte.  Die  Thatsache  bt 
nicht  anders  zu  erklären  als  dafs  die  Masse  der  Bevölkerung  aus  Hö* 
rigen,  ehemaligen  Heloten  der  Griechenslädte  bestand,  welche  zum 
Waffendienst  nicht  berechtigt  waren ;  in  ähnlicher  Stellung  sehen  wir 
die  Lucaner  in  Poseidonia  als  Herren  neben  einer  stammfremden 
Plebs.  2)  Umgekehrt  erklärt  die  Thatsache  die  schwache  haltlose  Po-» 
litik  welche  der  lucanische  Adel  in  den  grofsen  nationalen  Verwick* 
lungen  befolgt  hat 

Die  bretlische  Halbinsel  vereinigt  auf  engem  Raum  die  beiden 
Naturgegensälze  welche  die  italische  Geschichte  erfüllen,  ein  rauhes 
Waldgebirge  und  ein  gesegnetes  Gestade  (S.  246).  Aufserdem  kreuzen 
sich  auf  ihr  zwei  grofse  Völkerstrafsen :  eine  von  Nord  nach  Süd  eine 
zweite  von  Ost  nach  West  gerichtete.  In  Folge  dessen  bot  sie  in 
frühen  Jahrhunderten  den  Schauplatz  der  wichtigsten  Völkerbewe- 
gungen dar.  Unsere  Gewährsmänner  standen  denselben  zeitlich  zu 
fem  um  ein  anschauliches  Bild  davon  entwerfen  zu  können.  Sie  nen- 
nen eine  Reihe  von  Namen,  der  eine  diese  der  andere  jene,  ohne  ein 
sicheres  Urtheil  zu  ermöglichen.  Auch  spricht  alle  Wahrscheinlich- 
keit dafür  dafs  das  Land  vor  Ankunft  der  Hellenen  in  mehrere  Herr- 
schaften zerfiel,  dafs  die  Japyger  sich  an  der  Ostküste  eingenistet 
hatten.  Die  Angaben  dafs  Sikeler  bei  Locri  ^)  Japyger  bei  Kroton  ^) 
Chaoner  in  der  Siritis  ^),  die  Annahme  dafs  Italer  bei  Rhegion  (S.  62) 
gewohnt  haben,  dies  alles  kann  seine  vollste  Richtigkeit  haben.  Aber 
um  die  eigentliche  Urbevölkerung  des  Landes  kennen  zu  lernen,  müs- 
sen wir  den  Blick  von  der  hellenisirten  Küste  ab  auf  das  Innere  len- 
ken. In  geschichtlicher  wie  vorgeschichtlicher  Zeit  (S.  527)  wohnten 
hier  die  BQitxLoi  Sruttii  ^)  als  Hirten  und  Köhler  wie  es  das  Klima 


1)  SlraboV251  VI  252. 253. 265  Plin.  m  71. 72. 97. 

2)  Athen.  XIV  632  a  vgl.  Niehohr  R.  G.  I  105  fg.  dessen  bedeatende  Dar- 
6telloDg  der  italischen  Stämme  Aber  GebObr  in  Vergessenheit  geraten*  ist. 

3)  Pol.  Xn  5  Thnkyd.  VI  2  doch  vgl.  S.  61. 

4)  Ephoros  bei  SUabo  VI  262.         6)  Antioehos  bei  Strabo  VI  255. 

6)  Die  Volksmfinzen  Fabr.  3020  haben  Bpittic»if  wie  die  griechischen 


536  Kap.  XL  Die  Yolksstämme. 

allein  gestattet  (S.  246).  Ob  und  wo  die  Gebirgler  der  griechischen 
Dienstbarkeit  sich  völlig  zu  entziehen  Termochten ,  wissen  wir  nicht 
Ihr  Name  wurde  zur  Bezeichnung  entlaufener  Sklaven  verwandt  ^)  und 
behielt  noch  in  römischem  Hunde  die  Bedeutung  des  Halbfreien.^)  In 
der  nördlichen  Sila  welche  vermöge  ihrer  Ausdehnung  und  Unzugäng- 
lichkeit (S.  244)  den  Unterdrückten  den  mächtigsten  Schutz  gewährte, 
haben  sie  nach  dem  Fall  von  Sybaris  ihre  Unabhängigkeit  errungen, 
452  V.  Chr.  die  sybaritischen  Fldchtlinge  welche  am  Flufs  Traeis  sich 
niederliefsen,  vernichtet.')  Es  liegt  in  der  Natur  der  Verhältnisse  dafs 
sie  ähnlich  wie  die  Alpencantone  (S.  75)  die  Sarden  (S.  361)  die  Li- 
gurer  (S.  473)  die  Aequer  (S.  514)  usw.  von  ihrer  Bergfestung  aus 
die  Ackerbauer  unaufhörlich  belästigten. ')  Jedoch  nehmen  sie  erst 
356  V.  Chr.  in  der  Ueberlieferung  einen  Platz  ein,  als  sie  sich  von  den 
Lucanern  welche  die  Oberhoheit  beansprucht  hatten,  los  machten  und 
die  griechischen  Städte  Terina  und  Hipponium  eroberten.  ^)  Sie  prä- 
gen fortan  Münzen  wie  andere  civilisirte  Staaten,  regeln  ihre  Verfas- 
sung, erweitem  ihre  Grenzen  die  in  weitester  Ausdehnung  etwa  200 


Schriftsteller,  die  Römer  meist  Brutlii,  iDSchriften  daneben  auch  Britiü  Wilm. 
1079.  1207.  1235,  Ennius  bei  Fest.  p.  35  M.  Bruttate*. 

i)  Diod.  XYI 15  TtQoatiyoQev&Tjcav  Eghtioi  dia  xo  nXelatovg  slvcu  Sov- 
Xovg'  xata  yccQ  rijv  xöiv  iyxoQlcov  6iaXsxxov  o\  dganixai  ßpixxioi  ngocff 
yo^evovxo.  Strabo  VI  255  <iv6(moxai  6h  xo  M^oq  vnh  AevxavcSv  ß^sxxlov^ 
yccQ  xaXovai  xovg  dnoaxdxag.  Man  vergleiche  die  syrakusischen  Kyllyrier 
oder  Killikyrier  Herod.  VII  155  Hesychios  u.  W.  Tlmaeos  fr.  56  Müller  sowie 
die  corsischen  Balarer  Pansan.  X 17, 9. 

2)  Gell.  N.  A.X  3, 19  Fest.  ep.  p.  31  M.  Man  vergleiche  den  verwandten  Ge- 
branch von  SarduM  (S.361)  Ligtu  (S.  474)  u.  a. 

3)  Diod.  XII 22  vgl.  S.  527  A.  1. 

4)  Liy.  XXVIII  12  XXIX  6  mo$  vitio  etiam  imitus  genU  per  latrocinU 
miUiiam  exercendi. 

5)  Ueber  den  Vorgang  sind  drei  Berichte  erhalten  die  sich  im  Wesentlichen 
vereinigen  lassen:  Strabo  VI  255  (Ephoros)  Diod. XVI 15  (Timaeos,  vgl.  fr.  56) 
Jnstio  XXIU  1  (romanhaft,  Theopomp).  Die  beiden  ersten  leugnen  nicht  dafe 
es  schon  vorher  BretUer  gegeben  habe.  Nach  Ephoros  und  Tbeopomp  besteht 
die  Masse  aus  Hirten.  Streng  genommen  widerstreiten  Ephoros  und  Timacos 
der  Angabe  (Strabo  V  228  VI  253  Justin),  dafs  die  Brettier  von  den  Lucanern 
abstammten.  Aber  da  unter  dem  nHjd^og  avd^Qwxcwv  navxaxo^^»^  (uyiStov 
doch  wol  auch  der  letztere  Stamm  yertreten  war,  vielleicht  selbst  wie  Jostin 
will  die  Anfährer  stellte,  so  kann  auch  sie  gerettet  werden:  von  der  Heftig- 
keit der  Parteikampfe  bei  den  Lucanern  zengen  die  vielen  Verbannten  bei 
Alexander  von  Epims  Liv.  Vm  24.  Der  Vermutung  ist  eben  hier  der  weiteste 
Spielraum  gestattet,  dem  Wissen  ein  änfserst  beschrankter. 


§  8.  Die  Osker.  537 

bis  250  d.  DM.  befafst  haben  mögen.  Ihr  Staatswesen  urofafst  eine 
grofse  Zahl  Ton  Gemeinden  mit  Consentia  als  Hauptstadt.  >)  Aller  An- 
strengungen ungeachtet  ist  es  ihnen  aber  niemals  gelungen  Thurii 
Kroton  Locri  Rhegion  zu  bezwingen ,  die  ganze  Halbinsel  zu  vereini- 
gen. Als  geographischer  Begriff  bedeutet  17  B^evrla  Bgemavi^  vor- 
zugsweise das  Gebirge  im  Unterschied  von  der  griechischen  Küste.  ^) 
Die  Römer  haben  die  Griechenstädte  beschirmt,  das  brettische  Staats- 
wesen als  solches  nicht  anerkannt,  l^ährend  der  samnitische  und 
lucanische  Bund  unter  den  römischen  Bundesgenossen  einen  hervor- 
ragenden Rang  behaupten,  bleiben  die  Brettier  vom  Heerbann  ausge- 
schlossen. 3)  Nach  der  Niederlage  des  Pyrrhos  wurde  der  halbe  Sila- 
wald  ihnen  abgenommen  und  zur  Staatsdomäne  erklärt.^)  Schon 
früher  mit  Karthago  verbündet  wurden  sie  durch  die  Aussicht  zu 
ewiger  Knechtschaft  verdammt  zu  sein  dem  Hannibal  rOckhaltslos  in 
die  Arme  getrieben.  Nach  heldenmütigem  Widerstand  ward  das  Volk 
vernichtet.  Bürgercolonien  wurden  194  in  Tempsa  und  Croton  122 
in  Scylacium,  latinische  Colonien  193  in  Thurii  192  in  Vibo  angesie- 
deh.  Der  ager  Bruttius  mit  der  Sila  blieb  Domäne  (A.  4).  Eine  ge- 
wisse Selbstverwaltung  ist  den  Eingebomen  verblieben,  aber  Rom 
spricht  zu  ihnen  in  lateinischer  Sprache  und  betrachtet  sie  als  Leib- 
eigene.^) An  der  Erhebung  von  91  v.  Chr.  theilzunehmen  waren  keine 
Brettier  mehr  vorhanden.  Dagegen  bot  das  verödete  Land  einen  gün- 
stigen Boden  für  Räuberbanden  und  Abenteurer  aller  Art. 

Die  Geschichte  der  oskischen  Nation  weicht  von  derjenigen  der 
übrigen  Stämme  in  wesentlichen  Stücken  ab.  Einstens  wie  es  scheint 
über  den  ganzen  Süden  verbreitet,  ist  sie  zuerst  durch  die  Japyger 


1)  Straboyi256.  Die  Zahl  der  Bundesglieder  ist  nicht  bekannt:  Liv.XXY 
1  ist  von  12  die  Rede,  aber  XXX  19  giebt  es  anTser  8  namhaft  aafgefahrten 
noch  mulii  ignobile*  popuU, 

2)  Plat  Timol.  19, 1  Athen.  Y  208  e  Pol.  156, 3  StraboYI26l  Trjv  6h  vnh^ 
xwv  noXicav  xovxwv  /jieaoyaiav  Bghxioi  xarixovai. 

3)  Die  neueren  Gelehrten  welche  die  Brettier  in  die  Liste  der  Wehrfähigen 
von  225  V.  Chr.  hineinznbringen  versucht  haben,  verkennen  die  Lage  der  Dinge : 
för  den  hellenisirten  Theil  war  im  italischen  Heerbann  so  wenig  Platz  wie  fär 
die  Sikeler,  für  die  halbwilden  Gebirgsstamme  so  wenig  wie  fflr  die  Ligurer. 
Ueberhaupt  konnte  die  aristokratische  Politik  Roms  mit  einem  ans  früheren 
Leibeigenen  zusammengesetzten  Staatswesen  sich  schwer  befreunden. 

4)  Dion.  Hai.  XX  15  Cic.  Bmt.  85.  Ein  Steuerpachter  bietet  hier  213  v.  Chr. 
eine  ineandita  turba  tervorum  agresHumque  auf  Liv.  XXY  1. 

5)  CIL.  1 196.  Appian. Hann.  61  Gell.  N.  A.  X  3, 19  Fest.ep.  p.  31  M. 


688  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

aus  dem  adriatischen  Hügelland  verdrängt,  später  durch  die  HeUenen, 
in  minderem  Grade  durch  die  Etrusker  unterjocht  worden.  Nur  im 
inneren  Appennin  hat  sie  ihre  Unabhängigkeit  behauptet  Von  hier 
aus  beginnt  sie  um  die  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  das  geraubte 
Erbe  zurückzufordern.  Unwiderstehlich  breitet  sie  sich  aus,  im  Tierten 
Jahrhundert  scheint  ihr  nicht  blos  das  Festland  sondern  auch  Sicilien  ^) 
unrettbar  verfallen.  Man  kann  die  Frage  aufwerfen  ob  diese  Wendung 
der  Dinge  nicht  als  ein  Glück  anzusehen,  ob  eine  Verjüngung  des 
Hellenentums  durch  dies  frische  Blut  nicht  möglich  gewesen  wäre. 
Mit  spielender  Leichtigkeit  eignen  sich  die  Oaker  die  fremde  Cnltur 
an.  Ein  Söldnerhauptmann  in  Katane  dichtet  griechische  Tragoedien, 
ein  lucanischer  Redner  entzückt  die  Volksversammlung  von  Syrakus, 
die  Philosophie  findet  eifrige  und  nachhaltige  Pflege. s)  Dafs  auch  eine 
bedeutende  Litteratur  in  der  Landesq)rache  vorhanden  war,  lafst  sich 
nicht  bezweifeln.  Soviel  wir  aus  den  Inschriften  entnehmen  können, 
^ist  die  Formenlehre  reiner  entwickelt  als  die  römische,  die  Ortho- 
graphie viel  consequenter  als  die  der  gleichzeitigen  römischen  Urkun- 
den^, s)  Deutlicher  sind  wir  im  Stande  die  Aneignung  der  bildenden 
Künste  zu  verfolgen.  Die  von  einem  Gampaner  verfertigte  ficoroniscbe 
Cista,  die  Grabgemälde  von  Paestum  mit  den  Darstellungen  lucanischer 
Krieger,  die  Anmut  welche  die  Schöpfungen  des  oskischen  Pompeji 
auszeichnet  im  Gegensatz  zum  römischen :  dies  und  manches  Andere 
läfst  uns  fast  beklagen  dafs  dem  oskischen  Stamme  die  Herrschaft 
über  die  Halbinsel  versagt  blieb.  Allein  der  ganze  Aufschwung  voll- 
zog sich  viel  zu  rasch  als  dafs  die  Zeit  ausgereicht  hätte  um  die  tiefen 
Gegensätze  zu  versöhnen.  Der  samnitische  Bauernstaat  welcher  als 
ebenbürtige  Macht  gegen  Rom  in  die  Schranken  trat,  hatte  die  Feind- 
schaft Aller  zu  bekämpfen :  die  Nachbarn  in  Süd  und  Nord  in  Ost  und 
West,  die  eigenen  Stammesgenossen  wie  die  Stammfremden  haben 
rüstig  an  seinem  Sturz  geschafft.  Der  Sieg  Roms  über  Samnium  war 
unmittelbar  weniger  ein  Sieg  des  latinischen  über  das  oskische  Wesen 
als  der  städtischen  Cultur  über  das  Bauerntum.  Indessen  gab  er  zu- 
gleich den  Ausschlag  für  die  Zukunft.  Als  die  Osker  unter  Hannibals 
Führung  und  zum  letzten  Mal  91  v.  Chr.  die  Waffen  erhoben  filr  ihre 


1)  Platon  £p.  8, 363E  Plat  Tim.  17, 2. 

2)  Plot  Tim.  3 1, 1  Die  Ghrysost.  or.  II  p.  1 18  ReUke  Epist  Gr.  p.  132  Hereber 
Papyras  Herc  1018  (ed.  Gomparetti  1875)  Gic.  de  sen.  41. 

3)  Mommsen,  Unterit.  DiaL  p.  116. 


§  9.   Die  Japyger.  589 

nationale  GleichberechtigUDg,  war  das  Römertum  inzwigchen  zu  sehr 
erstarkt  um  aus  seiner  Herrschaft  verdrängt  werden  zu  können. 

§  9.    Die  JapygerJ) 

Der  Südosten  Italiens  stellt  eine  natflrUche  Einheit  dar,  welche 
durch  ihre  geringe  Erhebung  ihre  geologische  Beschaffenheit  ihren 
Wassermangel  vom  Appennin  sich  absondert.  Innerhalb  derselben 
sind  drei  Abschnitte  gegeben,  welche  auch  die  wechselnden  politischen 
Eintheilungen  alter  und  neuer  Zeit  bedingt  haben.  Die  flache  Halb- 
insel zwischen  Tarent  und  Brindisi  mit  einer  höchsten  Erhebung  von 
140  m  und  einem  Flächeninhalt  von  etwa  120  d.  OH.  bildet  den  süd- 
lichen Abschnitt,  das  Hügelland  von  hier  bis  zum  Aufidus  mit  Höhen 
bis  670  m  und  etwa  150  d.  DM.  den  mittlem,  die  Ebene  jenseit  des 
Aufidus  (den  Garganus  eingerechnet)  mit  etwa  100  d.  DH.  den  nörd- 
lichen. Eine  deutlich  ausgeprägte  Grenze  gewährt  der  Appennin  ge- 
genüber der  Ebene  (S.  241);  im  Debrigen  lassen  sich  die  Grenzen 
enger  und  weiter  ziehen,  so  dafs  die  aufgestellten  Gröfsen  nur  als  an- 
nähernde Werle  zu  gelten  haben.  Nach  der  heutigen  Eintheilung  um- 
fassen die  drei  apulischen  Provinzen  22115  Dkm  402  d.  D Meilen. 
Dies  Land  hiefs  den  Hellenen  in  alter  und  lange  auch  noch  in  römi- 
scher Zeii^IaTtvyla^),  die  für  die  Schiffahrt  wichtige  Südspitze  Va/rt;- 
yla  ox^a^),  der  vom  Lande  her  wehende  Nordwest 'lä/rt;!  (S.  390), 
die  Bewohner  ^laTtvyeg,  ^)  Mit  dem  Namen  hat  sich  auch  allmälich 
eine  genaue  Umschreibung  desselben  eingebürgert:  Herodot  versteht 
darunter  die  Halbinsel  zwischen  Tärent  und  Brindisi,  Antiochos  zieht 
die  Grenze  gegen  Itaüa  bei  Metapont  (S.  64) ,  Skylax  läfst  es  von 
Thurii  bis  zum  Garganus  ^)  sich  erstrecken,  seit  Polybios  ist  seine  Aus- 


1)  MommseD,  die  uateritaliscben  Dialekte,  Leipzig  1850. 4.  flelbig,  Stadien 
über  die  älteste  italische  Geschichte,  Hermes  XI 257  fg.  Deecke,  zur  Entzifferung 
der  messapischen  Inschriften,  Rhein.  Mos.  XXXVI 576  fg. 

2)  Herod.  DI  t38  IV  99  Thukyd.  VII 33  Skylax  t4  Aristoi  Pol.  VII 9,  3  u.  a. 
Die  griechische  Form  bildet  noch  bei  Diodor  Dionys  Strabo  Plutarch  Appian 
die  Regel,  nur  yereinzelt  begegnet  AnrovA/a  das  aber  bei  Ptolemaeos  Die  Gas- 
Bios  und  den  Spateren  an  die  Stelle  tritt  und  jenes  Terdrängt 

3)  Thukyd.  VI  30. 44  VH  33  de  mir.  ausc  97.  98  Pol.  X  1, 8  Strabo  VI  277 
Dion.  Hai.  1 51  Plin.  m  100  Ptol.  IH 1, 11  Plnt.  Pyrrh.  15, 2. 

4)  Herod.  IV  99  Thukyd.  VH  33  Hellanikos  bei  Dion.  1 22  Aristot.  Pol.  V  2,  8 
Pol.lI24,lln.a. 

5)  Skyl.  14  (dx^i-jiQlovoq  Sgovg  mufs  den  Garganus  bedeuten,  da  die  Küste 
zu  6  Tag-  und  Nachtfahrten  ebenso  lang  wie  die  Incanische  gerechnet  wird. 


540  Kap.  XI.  Die  Yolksstämme. 

dehnung  im  oben  angegebenen  Sinne  bekannt,  i)  Eine  politische  Ein- 
heit ist  es  venn  man  so  will  durch  Augustus  geworden ,  der  daraus 
seine  zweite  Region  schuf,  freilich  noch  das  ganze  Gebiet  der  Hirpiner 
hinzufügte.  Vordem  zerfiel  es  in  eine  Reihe  von  Fürstentümern  oder 
Freistaaten,  die  durch  keine  Bundesverfassung  nach  Art  der  samni- 
tischen  lucanischen  brettischen  zusammen  gehalten  wurden.  Daraus 
erklärt  sich  dafs  neben  dem  allgemeinen  auch  Sondernamen  der  ver- 
schiedenen Stämme  in  Gebrauch  waren.  Am  häufigsten  erwähnen  die 
Hellenen  die  Meaainioi  als  unmittelbare  Grenznachbarn  von  Tarent, 
dehnen  auch  wol  den  Namen  Meaaanla  tlber  die  ganze  Halbinsel 
aus.  ^)  Die  römischen  Fasten  verzeichnen  266  v.  Chr.  einen  Triumph 
über  diese  Völkerschaft:  seitdem  verschwindet  sie  aus  der  römischen 
Litteratur  und  lebt  nur  in  dem  Beinamen  einer  Stadt  fort.  ^)  Statt 
dessen  treten  zwei  andere  früher  unbeachtete  Stämme  in  den  Vorder- 
grund: die  Sallentim  im  Süden  ^)  nach  denen  das  berühmte  Cap  pro- 
mnnturium  Sattefitmum  ^)  heifst,  oberhalb  von  Otranto  bis  Brindisi  die 
Calabri^)  nach  denen  die  ganze  Halbinsel  Catahria'^)  heifst.  In  dem 
mittleren  Abschnitt  den  wir  oben  ausschieden,  scheint  der  Name  der 
Japyger  ursprünglich  heimisch  gewesen  zu  sein.^)  Im  Besonderen  er- 
wähnen die  Hellenen  hier  die  nevxivioc  ®),  die  Römer  in  veränderter 
Form  die  PoediculiJ^)  Endlich  begegnet  uns  im  vierten  Jahrhundert 


1)  Pol.  HI  88, 3  Straboyi277  Diod.  XIV  117  XX  35.  80  Appian  Rann.  1^ 
17.36  b.ciy.I39. 

2)  Herod.  VII 170  Thakyd.  Vn  33  Pol.  11 24, 1 1  DI  88, 4  Strabo  VI  277  Diod. 
XIII 11  XX 104  Dien.  Hai.  137  Plnt.Pyrrh.  13. 15  AgisS  Plin.  10  99. 

3)  Uv.  Vin  24  (nach  griechischer  Qaelle)  Püd.  III 99. 100  Fest.  ep.  p.  125  M^ 
vereinielt  bei  Dichtern  wie  Verg.  Aen.  VIII6  Glnver  it.  ant.  1248. 

4)  Triumphe  267  Strabo  VI  277  Melaliee  PloUini,ll.  In  den  llTianiscbeD 
Annalen  wird  der  Maine  ganz  unbestimmt  anf  die  Umgesend  von  Tarent  nacli 
allen  Ricbtansen  hin  ausgedehnt  IX  42  X  2  XXni48  XXIV  20  XXV  1  ep.XII. 
Für  die  Halbinsel  wird  er  auch  anderswo  gebraucht  Strabo  VI  282. 

5)  Dion.Hal.I51  Sallust  bei  Serv.V.  Aen.  IH  400  MelaII68  PtoI.IOl.ll. 
£8  heifst  Brundisii  pramunturivm  Liv.  X  2  vgl.  A.  4. 

6)  Pol.  X  1,3  Strabo  VI  277  MelaII66. 

7)  Uv.  XXin  34  XUI  48  Plin.  DI  99  Ptol.  III  1,  12  Tac.  Ann.  HI  1  HistD 
83  n.  a. 

8)  Nach  Plin.  HI  102  gab  es  bei  Bari  einen  Flnfs  lapyx  a  Daedak  fiüo 
rege  a  quo  et  lapygia. 

9)  Dion,  Hai.  I  11.  13  Pol.III  88,3  (in  einer  Lücke  ausgefallen)  Strabo  VI 
277.283  Plin.  HI  99  Diod.  XXI 4  Hekataeos  fr.  57  M.  Ptol.  DI  1,13. 

10)  Strabo  VI  277. 282  Plin.  HI  102  Justin  XH  2, 12. 


§  9.  Die  Japyger.  541 

das  Tiefland  im  Norden  als  Javvla  ^),  seine  Bewohner  als  Javvioi.^) 
Strabo  der  auf  dem  Wege  nach  Rom  durch  diese  Gegend  gekommen 
ist ,  bemerkt  dab  die  Benennungen  Peuketier  und  Daunier  nicht  mehr 
angewandt  würden  —  beide  finden  sich  nur  bei  römischen  Dichtern, 
die  ja  gern  ihren  Vorbildern  gewählte  wolklingende  Ausdrücke  ent- 
lehnen —  tfnd  berichtet  weiter  dafs  die  nördlichen  Anwohner  des  Gar- 
ganus  im  Besondern  Apuler  hiefsen,  sich  Ton  den  Dauniern  und  Peu- 
ketiern  in  Sprache  und  Sitte  gegenwärtig  nicht  unterschieden,  solches 
aber  wahrscheinlich  früher  gethan  hätten.^)  Es  scheint  dafs  in  diesem 
Strich  um  Teanum  Äpulum  (S.  528)  Osker  wohnten  und  der  Name 
Apuli  durch  oskische  Vermittlung  an  die  Römer  gelangte.^)  Diese 
haben  ihn  nach  Süden  hin  über  das  ganze  Tiefland  und  das  an- 
schliefsende  Hügelland  erstreckt,  dagegen  von  Äpulia  die  Halbinsel 
Caläbria  streng  unterschieden.  ^) 

Vor  Ankunft  der  Römer  herrschte  in  dem  ganzen  Gebiet  aus- 
schliefslich  die  griechische  Schrift.  Ferner  zeigen  die  Münzen  dafs  im 
amtlichen  Verkehr  nach  Aufsen  die  griechische  Sprache  gebraucht 
wurde.  Dieselbe  schlug  so  tiefe  Wurzeln  dafs  auch  nach  Einführung 
des  Latein  89  v.  Chr.  die  Canusiner  dem  Horaz  zwiesprachig  heifsen, 
ihre  Rede  durch  griechische  Wendungen  entstellen.^)  Nach  den  Gräber- 
funden zu  urtheilen  hatte  sich  das  Land,  soweit  nicht  oskische  und 
römische  Einflüsse  ins  Spiel  kommen,  der  hellenischen  Cultur  mit 
Herz  und  Hand  ergeben.  Freilich  konnte  es  den  Hellenen  im  täglichen 
Verkehr  nicht  entgehen ,  dafs  die  Volkssprache  eine  andere  sei  als  die 


1)  de  mir.  aase.  109  Pol.  lU  88,  4  V  108, 9  IX  7, 10  Diod.  XIX  10, 2  Strabo 
VI  284. 

2)  Timaeos  fr.  13—15  M.  Lykoph.  A).  592  Pol.  DI  88,  4  X  1,  3  Dien.  Hai. 
XX  3  Strabo  VI  283  Ptol.  IH  1,  14  Plin.  lU  103  Mela  II  65. 

3)  Sir.  VI  283.  285. 

4)  Durch  ein  eigentümliches  Milsgeschick  sind  unsere  Nachrichten  über 
die  Yorrdmischen  Sprachverhältnisse  Dauniens  verwirrt  worden.  Der  dunkeln 
Glosse  bei  Skylax  haben  wir  S.  523  A.  3  gedacht.  Zerrüttet  ist  anch  die  lieber- 
liefernng  bei  Plin.  HI  104  ita  Apulorum  gensra  tria:  Team  a  duee  e  Grats 
Lueani  subaeH  a  Calchanie  quae  nuno  loea  tenent  Minaiet,  Dauniorum  eqi. 
Mit  den  hier  erwähnten  Lueani  ist  zu  vergleichen  die  frentanische  Inschrift 
Fabr.  2846  vereia*  lovkanaleis  mm  iuveniuiü  Lucanatis, 

5)  Apultu  schon  bei  Plaut.  Miles  654  Gate  fr.  p.  67  Jordan.  Die  Unter- 
scheidung tritt  schon  Pol.  II 24, 11  entgegen,  später  in  der  amtlichen  Bezeich- 
nung der  regio  ApuHa  et  CalaMa.  Diodor  XVI  5  XIX  10.  72  zeigt  dafs  die 
Benennung  Apulia  zu  seiner  Zeit  auch  den  Griechen  allgemein  geläufig  war. 

6)  Hör.  Sat  I  10,  30  mit  Schol. 


542  Kap.  XI.   Die  Yolkaetimise. 

ihrige:  sie  nennen  solche  messapiscb.  i)  In  ihr  sind  etwa  160  erhal- 
tene Grabschriften  abgerabt,  meist  kurz  und  nur  aus  Eigennamen  be- 
stehend. Diese  Denkmftler  reichen  von  der  Sttdspitze  bis  nach  Mono^ 
poli  unterhalb  Bari  und  gehören  einer  jungen  Epoche,  etwa  dem  letz- 
ten Jahrhundert  ?.  Chr.  an.  Die  Sitte  das  Gedachtnils  des  Todten 
durch  Aufzeichnung  seines  Namens  festzuhalten  hat  hier  wie  in  vielen 
anderen  Landschaften  erst  spät  allgemeinen  Eingang  gefunden.  An- 
derseits konnte  gerade  wie  bei  den  Etruskern  (S.  495)  im  Kreise  der 
Familie  die  nationale  Weise  dem  neu  eingeführten  Römertum  einen 
länger  dauernden  Widerstand  leisten.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel 
dafs  nördlich  von  dem  durch  Denkmäler  umschriebenen  Gebiet  einst 
die  nämliche  Sprache  wie  innerhalb  gesprochen  worden  ist;  denn  die 
eigentümlichen  messapischen  Namen  lassen  sich  gleichfalls  bei  Peuke- 
tiern  und  Dauniern  nachweisen.  Für  das  Fehlen  der  Inschriften  im 
Norden  gewähren  verschieden^  Umstände  die  Erklärung.  Einmal 
haben  die  unmittelbaren  Nachbarn  von  Tarent,  welche  ihre  Unabhän- 
gigkeit gegen  dasselbe  mit  Nachdruck  und  Erfolg  vertheidigten,  natur- 
gemäfs  den  nationalen  Gegensatz  schärfer  ausgebildet  als  die  dauni- 
schen Stämme  die  bei  Tarent  Schutz  vor  den  Angriffen  der  Samniten 
suchten.  Sodann  war  der  Norden  durch  den  hannibalischen  Krieg  arg 
entvölkert  und  mit  umfangreichen  Landabtretungen  bestraft  worden. 
Hier  vollzog  sich  in  Folge  dessen  die  Laünisirung  viel  früher  und 
rascher  als  auf  der  abgelegenen  Halbinsel.  Was  nun  aber  die  messa- 
pische  Sprache  betrifft,  so  steht  sie  der  hellenischen  so  nahe  dais  man 
sie  eine  hellenobarbarische  Mundart  nennen  kann.  Da  Berührungen 
mit  dem  heutigen  Albanesischen  wahrgenommen  werden,  so  ist  ftSr 
das  Altertum  eine  engere  Verwandtschaft  mit  den  gegenüber  wohnen- 
den Stämmen  von  Epirus  und  Illyrien  vorauszusetzen.  Die  sprach- 
lichen Ergebnisse  werden  durch  die  Ueberliefening  bestätigt  Schon 
Herodot  leitet  die  Messapier  aus  Kreta  >),  Pherekydes  die  Peoketier  aus 
Arkadien  her  ');  in  den  daunischen  Städten  wird  Diomedes  als  Ahnherr 
gefeiert. ')    Durch  derartige  Fabeln  verliehen  die  Hellenen  ihrem  in 

1)  Am  Bestimmtesten  Strabo  VI  282  der  bei  seiner  Ankunft  in  Brindi»  er> 
fnhr:  ty  Sh  MeatxaTiia  ykdvqn  ßg^tov  17  xeipakii  vov  iXa^v  xttXHtaL 
Anfserdem  ein  paar  AnfiUiningen  ans  den  Etymologikern,  gesammelt  bei 
Mommsen  p.  46.  70. 

2)  Her. VII 170  Strabo  V!  279. 282  Athen.  XU  522f.  Konon  25  Verg.  Aen.  DI 
401  Fest.  p.  329  M.        3)  Dion.  Hai.  1 13. 

4)  Lyk.  AI.  592  Strabo  VI  284  Jnstin  XH  2,  7  vgl  S.  371  Prdler,  Ron. 
Mytb.s  663. 


§  9.  Die  Japyger.  543 

Freund«  und  Feindscbaft  nahen  Verhdltnifs  zu  den  Eingebornen  einen 
mythischen  Ausdruck.  Eine  besonnene  Kritik  wird  daraus  nnr  die 
ohnehin  einleuchtende  Thatsache  entnehmen  darfen,  dafs  die  Japyger 
früher  auf  italischem  Boden  gesessen  haben  als  die  Hellenen.  Mehr 
Beachtung  yerdienen  diejenigen  Berichte  welche  ohne  Vermischung 
mit  der  griechischen  Heldensage  einfach  von  einer  Einwanderung  aus 
lllyrien  reden  ^) :  ja  ihre  schlichte  Einfalt  bietet  uns  die  Gewähr  dafs 
wir  es  hier  mit  einer  wirklich  volkstümlichen  Anschauung  zu  thun 
haben.  Dafs  diese  das  Richtige  trifft,  dafs  die  Japyger  über  das  Meer 
her  eingewandert  sind,  wird  zur  Gewiisheit  erhoben  durch  die  über- 
raschende Wiederkehr  der  meisten  Stammnamen  2),  die  übereinstim- 
mende Bildung  der  Ortsnamen  3),  die  Berührung  mit  Personennamen  ^) 
jenseit  der  Adria.  Und  damit  eröffnet  sich  ein  weiter  Ausblick  in  die 
Vorzeit  von  Hellas  und  Italien.  Die  grofse  Volkerflut  welche  Aeolier 
Jonier  Dorier  an  die  Gestade  Asiens  führte,  hat  ihre  Wirbel  auch  nach 
Westen  getrieben ,  hat  Japyger  Messapier  Daunier  über  den  schmalen 
Joniossund  hinüber  geworfen.  Die  folgende  Entwicklung  ist  zumeist 
durch  die  verschiedenen  Lebensbedingungen  beeinflufst  worden,  welche 
die  Einwanderer  im  Osten  und  im  Westen  vorfanden.  Dort  betraten 
sie  einen  vod  alter  Cultur  gesättigten ,  hier  einen  jungfräulichen  Bo- 
den. Immerhin  spricht  eine  grobe  Wahrscheinlichkeit  dafür  dafs  die 
Japyger  die  Gvilisirung  Italiens  eingeleitet  haben  welche  nachher  von 
den  griechischen  Colonien  so  mächtig  gefordert  wurde:  einzelne  Spu- 
ren ihres  Wirkens  lassen  sich  noch  jetzt  wahrnehmen.  ^)  Vor  Allem 


1)  PUB.  m  102  Antonin.  über.  31  Fest.  ep.  p.  69  M.  SchoL  zo  Verg.  Ed.  0, 31. 

2)  Meaaanioi  in  Lokris  Thuk.  III 101  Meaadmov  Berg  in  Boeotien  Mea- 
caniai  Ort  in  Lakonien.  —  FaXcißgioi  in  lllyrien  Strabo  Vn316.  —  XtSveg 
in  der  Sirius  neben  Xaoveq  in  Epirns.  —  Nach  P8.-Hekataeo8  bei  Steph.  Byz. 
Ttxm^/a  &V0  noXeiq  fila  iv  ry  ^iTaXlq  xtd  Mga  iv  ry  'iXXvgldi,  —  PeueeUi 
in  lllyrien  nach  Kallimachos  Plin.  in  139.  —  SaUuntum  ein  Ort  in  Dalmatien 
nach  It  Ant.  338  W.  Freilich  auch  Dolaiesfl)  cognomine  SaUetUini  in  Um- 
brien  Plin.  IH  113:  aoUten  diese  etwa  266  v.  Chr.  hierher  verpflanzt  sein? 

3)  Die  Stadtnamen  endigen  anf  nium  {Tarenium  üzenium  Hydruntum 
Siponium  vgl.  nuft  DaUunUan  SaUwUum  ArgyrunUim)  etum  {N^retum  Fe- 
retum  Soktum  vgl.  mit  Faretum)  eüum  {AMÜum  Faletium  AUUum  vgl.  mit 
MtmeUum  Eperetium  Ser^iium  Buckelium)  Heibig  a.  0.  p.  269  Kiepert,  Lehr- 
buch p.  450  A.  2. 

4)  Znsammenstellang  bei  Heibig  a.  0.  p.  269. 

5)  Heibig  weist  mit  Recht  in  seinem  vortrefflichen  Aufsatz  darauf  hin  dab 
die  Einwanderung  der  Japyger  auf  manche  Fragen  der  italischen  Culturge- 
schichte  neues  licht  wirfU    Wenn  z.  B.  panis  im  Messapischen  ncnfog  heiÜBt, 


544  Kap.  XL  Die  Yolksstamme. 

• 

aber  erklärt  die  Eiawanderung  der  Japyger  den  Gang  der  späterea 
griechischen  Colonisalion:  wenn  nicht  ein  kräftiges  und  in  gewissem 
Sinn  fortgeschrittenes  Volk  den  Südosten  bewohnt  hätte ,  so  bleibt  es 
schier  unbegreiflich  dafs  die  Hellenen  das  in  ihrem  unmittelbaren  Be- 
reich liegende  und  in  vielen  Beziehungen  verlockende  Land  unberttck^ 
sichtigt  liefsen ,  im  fernen  Westen  sich  ansiedelten  und  von  hier  aus 
ihre  Gründungen  ostwärts  langsam  vorschoben  (S.  120).  „Jedenfalls 
—  bemerkt  Heibig  sehr  wahr  gegenüber  einer  früher  verbreiteten 
Ansicht  —  machen  die  Japyger,  als  die  Geschichte  zum  ersten  Haie 
ausführlicher  über  sie  berichtet,  keineswegs  den  Eindruck  eines  ge- 
alterten und  durch  andauerndes  Unglück  ermatteten  Stammes.  Kräf- 
tiger als  irgend  ein  in  Italien  ansässiges  Volk  wissen  sie  den  Ueber- 
griifen  der  griechischen  Colonieu  zu  widerstehen:  die  Niederlage 
welche  die  Hessapier  473  den  Tarentinern  beibrachten ,  galt  zur  Zeit 
desHerodot  als  die  furchtbarste  die  jemals  ein  Griechenheer  erlitten.^  ^) 
Vor  Ankunft  der  Japyger  haben  nach  einem  alten  Gewährsmann 
Ausoner  den  Südosten  bewohnt:  die  Nachricht  wird  durch  den  Um- 
stand bestätigt  dafs  einzelne  itaUsche  Ortsnamen  hier  vorkommen.  ^ 
Die  FremdUige  beschränkten  sich  aber  nicht  auf  denjenigen  Bezirk 
den  wir  in  späteren  Jahrhunderten  von  ihnen  eingenommen  sehen, 
sondern  drangen  weithin  erobernd  vor.  Kroton  war  wie  Ephoros  be- 
zeugt, ehedem  in  ihrem  Besitz  (S.  535):  drei  Landspitzen  in  dessen 
Nähe  wurden  nach  den  Japygern  benannt,  das  hetühmie  promuniurium 
Ladnium  klingt  aufl^llig  an  Lacinienses  eine  Gemeinde  der  Liburner 
an.')  Die  Choner  in  der  Siritis  werden  wir  wegen  der  gleichnamigen 
epirotischen  Chaoner  derselben  Familie  zuschreiben  müssen.  Wenn 
ferner  Daunier  in  Campanien  erwähnt  werden  ^)  und  Benevent  gleich 
anderen  apulischen  Städten  seinen  Ursprung  von  Diomedes  herleitet  ^), 
so  läfst  sich  die  Annahme  nicht  wol  abweben  dafs  die  Fremden  quer 
durch  die  Halbinsel  gebrochen  sind  und  im  Westen  Land  gewonnen 

80  haben  die  Latioer  das  Brotbacken  (welches  Heibig  irrig  als  uralt  ansieht, 
Plin.  XVm  83)  dorther  gelernt.  Die  Verbreitang  des  Namens  Graeei  (S.  120) 
erklärt  sich  angezwangen  durch  Vermittetung  der  Japyger:  in  deren  Monde 
hiefsen  die  Stanunesgenossen  in  der  Heimat  naturgemäfs  «die  Alten*;  denn 
das  bedeutet  ja  der  Name. 

1)  Her.  VU  170  Diod.  XI  52  Athen.  XU  522  e. 

2)  Hellanikos  bei  Dien.  HaL  1 22  Anton.  Lib.  31  Heibig  a.  0.  p.  262. 

3)  Strabo  VI  261  Plin.  HI  139. 

4)  Dien.  Hai.  VU  3  Pol.  UI 91,  5. 

5)  Sery.  V.  Aen.  VIU  9  XI  246  Prokop  b.  Goth.  1 15  SoUn  2,  10  o.  A. 


§  9.   Die  Japyger.  646 

haben.  Endlich  sollen  Liburner  die  picentische  KUste,  namentlich  bis 
in  späte  Zeiten  die  Stadt  Trtientum  behauptet  haben  ^):  wir  schliersen 
daraus  auf  bedeutende  Erwerbungen  der  Japyger  im  Norden,  die 
nachher  dem  heiligen  Lenz  der  Sabiner  anheim  fielen  (S.  511).  Wie 
schon  angedeutet,  haben  die  Hellenen  sie  von  Westen  aus  zurück  ge- 
worfen. Die  Japyger  standen  zu  den  Hellenen  in  einem  ähnlichen 
Yerhältnifs  wie  Aetoler  Akamanen  Epiroten ,  welche  ja  allesammt  in 
der  Blütezeit  von  Hellas  als  Barbaren  galten.  Ihre  Lebensformen  er- 
scheinen weit  altertümUcher  als  in  den  seit  Ausgang  des  achten  Jahr- 
hunderts gegründeten  Colonien :  der  Staat  wii*d  hier  durch  die  Stadt 
dort  durch  den  Stamm  gebildet,  an  seiner  Spitze  steht  hier  die  Bür- 
gerschaft dort  das  Königtum  und  dies  StammkOnigtum  begegnet  noch 
während  des  peloponnesischen  Krieges.')  Ein  erbitterter  Kampf  ist 
zwischen  Hellenen  und  Japygern  gekämpft  worden,  von  dessen  Wech- 
selfällen wir  wenig  hören  '),  der  aber  den  letzteren  viel  Land  entzogen 
und  sie  zugleich  innerlich  umgestaltet  haben  mufs.  Wo  unsere  ge- 
nauere Kunde  anhebt,  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts 
ist  Apulien  ganz  hellenisirt,  das  Königtum  gestürzt,  die  Stämme  in  un- 
abhängige Stadtgemeinden  aufgelöst.  Von  der  Blüte  einzelner  Städte 
wie  Arpi  und  Canusium  gewann  Strabo  aus  den  verfallenen  Mauer- 
ringen eine  lebendige  Vorstellung.  Zu  uns  spricht  die  überladene 
Pracht  mit  der  die  Gräber  geschmückt  waren :  das  bemalte  und  im 
Lande  selbst  gefertigte  Thongeschirr,  das  ihnen  enthoben  wird,  wirkt 
durch  seine  Massen,  nicht  durch  seine  Schönheit.  Wie  aller  Orten  im 
Altertum  hat  der  Aufschwung  von  Handel  und  Gewerbe  viel  Reich- 
tümer angehäuft,  die  wirkliche  Volkskraft  geschädigt.  In  den  römi- 
schen Stammrollen  von  225  v.  Chr.  waren  auf  einem  Gebiet  von  etwa 
350  d.  DM.  16000  zum  Reiterdienst  neben  50000  zum  Fufsdienst 
berechtigten  Japygern  und  Messapiern  verzeichnet:  im  Vergleich  mit 
den  übrigen  Landschaften  Italiens  ein  Ergebnifs  das  ebenso  sehr  von 
dem  Wolstand  als  der  militärischen  Schwäche  der  Nation  zeugt. ^)  Von 
einer  zielbewufsten  nationalen  Politik  ist  kaum  je  die  Rede  gewesen. 
In  älterer  Zeit  wird  sie  durch  die  Anziehung  und  Abwehr  Tarents  be- 
stimmt.   Dann  folgt  die  Bedrängnifs  durch  die  reisige  Bauerschaft 

1)  Plin.  UI 112. 110  Tntentum , . .  »olum  Libumorum  in  ItaUa  reUcum  est 

2)  Thukyd.  YD  33  Strabo  VI  280.  81.  82  Prob.  Vcrg.  Ecl.  6, 31  Plin.  m  102 
Pausao.  X  13, 10 

3)  S.  544  A.  1  Strabo  VI  280  Paasan.  X  10,  6  13,  10. 

4)  Pol.  11  24, 11. 

Kiaten,  ItaL  LuidMbind*.    L  35 


546  Kip.XI.  Di«  Volkattimme. 

Samniums;  mit  offenen  Armen  werden  die  römischen  Legionen  in 
Apulien  aU  Helfer  und  Erretter  begrübt,  i)  Das  reiche  Flachland  hat 
wie  den  Kampfpreis  so  den  Schauplatz  für  die  groben  Kriege  abge- 
geben ,  in  denen  Rom  mit  Samnium  KOnig  Pyrrhos  und  Hannibal  um 
die  Herrschaft  Italiens  stritt.  Die  Bewohner  haben  dabei  häufig  die 
Partei  gewechselt.  Hit  der  Gründung  der  latinischen  Colonien  Lueeria 
314  Yenusia  291  Brundisium  244  fafst  das  Romertum  festen  Fub.  Es 
wird  später  durch  die  Bürgercolonien  Sipomum  191  und  ffepiunia  in 
Taren 1 122  ▼.  Chr.  verstärkt  Nach  dem  hannibalischen  Kriege  schlägt 
die  Sklaven-  und  Weidewirtschaft  des  römischen  Adels  in  Apulien 
ihren  Sitz  auf.  Das  HOgelland  mit  der  Halbinsel  bewahrt  seine  Eigen- 
art bedeutend  länger.  Im  Jahre  90  wird  die  Fahne  der  Empörung 
entfaltet,  der  sich  sogar  Venusia  anschliebt. ')  In  der  nachfolgenden 
Friedenszeit  hat  sich  der  ganze  ehemals  griechische  Süden  nie  wieder 
völlig  erholt. 

§  10.    Die  Inselvölker. 

Die  Umwälzungen  welche  das  Festland  betroffen,  haben  sich  über 
die  benachbarten  Inseln  fortgepflanzt.  Dies  gilt  besonders  von  der- 
jenigen Insel  welche  mit  Süditalien  eine  Cultureinheit  dargestellt,  ein 
halbes  Jahrtausend  hindurch  eine  gemeinsame  Geschichte  gehabt  hat 
Auf  Sicilien  begegnen  in  hellenischer  Zeit  drei  eingebome  Stämme, 
deren  Sitze  im  Allgemeinen  bekannt,  doch  nicht  scharf  zu  umgrenzen 
sind.  Her^EkvfiOi  im  äufsersten  Westen  mit  den  Städten  Eryx  Segett» 
Entella  haben  wir  S.  469  gedacht  Die  Namen  deuten  auf  ligurische 
Herkunft;  das  vielberufene  Dogma  von  ihrer  troianischen  Abstammung, 
von  dem  Herodot  und  Hellanikos  nichts  wissen,  scheint  erst  während 
des  peloponnesischen  Krieges,  welchem  ja  ihr  Hülfsgesuch  eine  so 
verhängnibvoUe  Wendung  verlieh,  in  Umlauf  gebracht  zu  sein.  Län- 
ger müssen  wir  bei  den  beiden  Hauptvölkern  den  Sixavol  Sicani  und 
Sixekol  Siculi  verweilen.  In  dem  mehrfach  berührten  aegyptiscben 
Text  aus  dem  14.  Jahrhundert  kommen  Schakalscha(SiculO  vor  (S.  116). 
Homer  erwähnt  beide  Namen,  vorzugsweise  den  letzteren  (S.  4  A.  1). 
Sie  werden  von  den  Späteren  häufig  mit  einander  verwechselt,  wie 
solches  die  Gleichheit  der  Wurzel  nahe  legte.  9)  Weil  nämlich  die  Si- 
kaner  an  historischer  Bedeutung  hinter  den  Sikelem  zurückstehen, 

1)  Uv.  VIII  25  IX  2.  13.  20  Diod.  XIX  10. 65. 72  XX  26. 35.80. 

2)  AppiiD.  b.  civ.  1 39. 42. 52  fg. 

3)  Besonders  von  den  Römern  Vergii  Ovid  Silias,  Gell.  N.  A.  1 10, 1  n.  A. 


$  9.  Die  Japyger.  647 

so  verscbwindet  ihr  Name  aus  dem  allgemeinen  Gebrauch  und  wird 
ab  eine  ältere  der  Üblichen  vollkommen  gleichwertige  Form  betrach- 
tet 0  Immerbin  werden  beide  in  den  Erzählungen  unterrichteler 
Gewährsmänner  lange  von  einander  gesondert.')  Die  Sikaner  hielten 
sich  selbst  für  Autochthonen  und  wurden  als  solche  in  den  ältesten 
Quellen  behandelt');  eine  im  vierten  Jahrhundert  verbreitete  Ansicht 
welche  sie  den  Iberern  als  angeblichem  Hauptvolk  des  Westens  an- 
reihen und  aus  einer  iberischen  Einwanderung  ableiten  wollte,  findet 
keinerlei  Bestätigung.  *)  Nach  einer  jüngeren  Meldung  haben  diesel- 
ben die  Umgegend  des  Aetna  freiwillig  geräumt,  die  dann  nachträglich 
von  den  Sikelern  besiedelt  wurde.  ^)  Die  allgemeine  Ueberlieferung 
läfst  ein  vom  Festland  vertriebenes  Volk  gewaltsam  einbrechen  und 
mit  den  Waffen  neue  Wohnsitze  sich  erkämpfen.  Wenn  auch  die 
Rechnungen  um  ein  paai'  hundert  Jahre  aus  einander  gehen ,  hatte 
dies  Ereignifs  doch  sich  dem  Gedächtnifs  so  unausIöschUch  eingeprägt 
dafs  der  Versuch  gemacht  werden  konnte  es  zeitlich  zu  bestimmen.  ^) 
Die  Feindschaft  zwischen  Sikanern  und  Sikelern  hat  lange  fortge- 
dauert und  bei  bekannten  Verwickelungen  sie  mit  Vorliebe  gegen 
einander  Partei  ergreifen  lassen.^  Die  Sikeler  eroberten  die  grofsere 
Ostbälfte,  drängten  die  Sikaner  nach  Westen  hin:  im  Einzelnen  die 
Grenzen  zwischen  ihnen  anzugeben  ist  nicht  möglich,  auch  mOgen 
solche  oftmals  gewechselt  haben;  gelegentlich  erfahren  wir  dafs  Byk-' 


1)  Herod.  VI!  170  Thokyd.  VI  2  Diod.  V  2,  1  Justin  IV  2, 1  Plin.  lU  86. 

2)  Thokyd.  VI  62  Diod.  XDI  8^  4  69,  6  114, 1  XIV  55,  6  XVI  9,  5  73,  2. 

3)  Thakyd.  VI  2  Diod.  V  2, 4.  Dab  unter  ol  vofufuixatoi  r<Sv  avY/Qa" 
iplwv  des  Diodor  nicht  nnr  der  c.  6,  l  citirte  Timaeos  sondern  auch  der  alte 
Antiochos  lu  verstehen  sei,  erhellt  aus  dem  Umstände  dafs  dieser  seine  sici- 
lische  Geschichte  mit  dem  Sikanerkönig  Kokalos  begann  Diod.  XII  71.  Auch 
mors  die  Polemik  des  Thnkydides  gegen  Vorgänger  gerichtet  sein. 

4)  Thnkyd.  VI  2  Philistos  bei  Diod.  V  6  Ephoros  bei  Straho  VI  270.  Ueber 
die  WestTölker  in  der  althellenischen  Litteratur  vgl.  S.  9  A.  2  S.  lt.  468. 
Vi,  ▼.  Humboldt,  Gesammelte  Werke  II  129  nimmt  einen  einzigen  Ortsnamen 
auf  Sicillen  als  iberisch  in  Anspruch:  man  könnte  keine  schroffere  Zurück- 
weisung jener  antiken  Theorie  begehren. 

5)  Diod.  V  6  Tgl.  S.  250. 

6)  Thnkydides  setst  es  300  Jahre  vor  Ankunft  der  Hellenen  d.  b.  ver- 
doppelt einfach  den  von  der  Golonisation  bis  mm  peloponnesischen  Krieg  ver- 
fitrichenen  Zeitraum.  Die  Erwägungen  welche  Hellanikos  und  Philistos  veran- 
lafsten  80  Jahre  vor  den  troischen  Zug  zurflck  lu  greifen,  sind  uns  nicht  bekannt. 

7)  So  fechten  die  Sikeler  far,  die  Sikaner  gegen  Athen  Thuk.  VI  62  Diod. 

XUI8. 

35* 


548  Kap.  XI.  Die  Volksstimme. 

kara  Carini  und  die  Umgegend  tod  Akragas  sikanisch  war.  >)  Keiner 
der  beiden  Stflmme  ist  politisch  geeint  gewesen :  sie  zerfielen  in  kleioe 
Herrschaften  in  denen  das  Königtum  noch  am  Ausgang  des  fünften 
Jahriiunderts  bestand.^  Diese  Spaltung  gestattete  den  Hellenen  sich 
nach  und  nach  der  Küsten  zu  bemächtigen,  Tiele  Gemeinden  in  Leib- 
eigenschaft, noch  mehr  in  Abhängigkeit  zu  bringen.  Der  Ausgleich 
zwischen  den  Fremden  und  Eingeborenen  schreitet  langsam  aber  ud- 
aufhaltsam  fort:  Empörungen  der  Leibeigenen  Angriffskriege  mutige 
Abwehr,  nichts  hält  ihn  auf.  Um  450  v.  Chr.  macht  ein  Sikelerf&rst 
den  letzten  Versuch  im  Inneren  ein  unabhängiges  nationales  Reich  aus 
eigener  Kraft  zu  stiften.  Nach  dessen  Scheitern  sind  die  Eingebornen 
darauf  angewiesen  im  Dienst  auswärtiger  Feinde,  der  Athener  und  zo- 
mal  der  Karthager  für  die  Freiheit  zu  fechten.  Noch  394  v.  Chr.  wird 
ihr  glühender  Nationalhals  bezeugt')  Aber  die  Tyrannis  eines  Dionys 
und  Agathokles,  der  Kampf  zwischen  Syrakus  und  Karthago  löschen 
ihn  aus,  die  städtische  Verfassung  bricht  sich  im  Inneren  Bahn  und 
mit  ihrer  DtfrchfQhrung  ist  der  hellenische  Charakter  der  gesammten 
Insel  entschieden. 

Bis  zur  Monarchie  war  Griechisch  die  aUeinige  Sprache  des  Ver- 
kehrs. Sie  herrschte  in  der  karthagischen  Provinz  wie  aufserbalb,  bei 
Elymern  Sikanern  Sikelern  Mamertinern.  Denkmäler  der  alten  Lan- 
dessprachen sind  nicht  vorhanden  und  wir  entbehren  damit  der  sicher- 
sten Grundlage  für  die  Bestimmung  der  Nationalität.  Zuvorderst  ist 
die  Stammverwandtschaft  von  Sikanern  und  Sikelern  festzuhalten, 
welche  durch  die  Gleichheit  der  nur  in  den  Endungen  abweichenden 
Namen  erwiesen  wird :  hätten  beide  verschiedenen  Familien  z.  B.  der 
iberischen  und  italischen  oder  illyrischen  angehört,  so  mUfste  der  Zu- 
fall das  sonderbarste  Spiel  getrieben  haben ,  an  das  zu  glauben  jeder 
Anlafs  fehlt  Nach  Antiochos  sind  die  Sikeler  aus  der  Gegend  von  Rom 
gekommen  und  ganz  entsprechend  erzählt  die  latinische  Tradition  de- 
ren Vertreibung.  Allein  wenn  man  die  V^idersprüche  in  den  Quellen 
des  fünften  und  vierten  Jahrhunderts  ins  Auge  fafst,  wie  ihre  Verfolger 
bald  Oenotrer  und  Japyger,  bald  Umbrer  und  Pelasger,  bald  Oenotrer 
und  Osker  heifsen,  so  wird  man  diie  einzelnen  Angaben  filr  die  Studien- 
richtung der  Urheber  verwerten  und  darauf  Verzicht  leisten  müssea 
aus  ihnen  eine  unverfälschte  Volkssage  der  grauen  Vorzeit  zu  ermit- 

1)  Thnk.  VI  2.  62  Diod.  V  6  Xm  114  Steph.  Byi.  u.  Sueavia, 

2)  Diod.  V  6,  2  Thok.  Vi  4  VII 1. 

3)  Diod.  XIV  88. 


S  10.   Die  Inselvdlker.  549 

telD.O  Immerhin  ist  dasZeugDifs  nicht  zu  unterschätzen  dafs  die  Alten 
das  Volk  diesseit  und  jenseit  des  Faro  als  gleichartig  betrachteten,  ge« 
legentlich  sogar  die  oskische  und  sikeUsche  Sprache  gleich  setzten.  ^) 
Solche  Annahme  erhalt  nun  die  willkommenste  Bestätigung  durch  eine 
Anzahl  von  Ausdrücken  die  aus  dem  Munde  der  Eingebornen  in  das 
sicilische  Griechisch  eingedrungen  sind  und  übereinstimmend  im  La- 
tein wiederkehren:  soyika^^gdu  XiftoQig'^kpus  xa^u^og  Renn- 
bahn «8  eampus  narava  «>  paiina  xartvov  «=  catinum  a^ßlvvri »» 
arvina  fioltov  ^^  mtauum  xaQxaQov  ^^  carcer  vovfifiog^^^nummuB 
kiTQa  »*  libra  oyxla  =s  unda  rtevroyKiov  »s  quincunx  olaaqov  «» 
mer  ^ayog  Schober  «-ro^^.^)  Einzelne  derselben  können  von  Sei- 
ten der  Latiner  entlehnt  sein,  die  umgekehrte  Erklärung  dafe  die  Grie- 
chen ihren  latinischen  Handelsfreunden  solche  abgeborgt  hätten ,  ist 
nahezu  unmöglich;  bei  der  Mehrzahl  ist  von  Entlehnung  im  einen  oder 
anderen  Sinne  überhaupt  keine  Rede.  Es  kommt  hinzu  dafs  die  hel- 
lenischen Colonisten  bei  ihrer  Ankunft  die  Kupferwährung  mit  der 
Unzentheilung  nach  dem  Duodecimalsystem,  welche  auf  dem  Festland 
wiederkehrt  und  innerhalb  des  antiken  Culturkreises  eine  Eigentüm- 
lichkeit Italiens  darsteUt,  vollkommen  ausgebildet  vorfanden  und  dieser 
fremdartigen  Rechnung  ihre  Siibermünzen  anpafslen.^)  Ob  die  Kupfer- 
währung einst  auf  der  Insel  oder  auf  dem  Festland  entstanden,  in  die- 
ser oder  jener  Richtung  übertragen  sei,  bleibt  hierbei  gleichgültig; 
aber  dals  Sikeler  und  Latiner  das  Pfund  und  dessen  Theile  mit  den- 
selben Namen  benannten ,  deutet  auf  ein  näheres  Verhältnifs  der  bei- 
derseitigen Sprachen  hin.  Alles  in  allem  erwogen  erscheint  der  ita- 
lische Ursprung  der  Sikaner  und  Sikeler  hinreichend  verbürgt:  Gründe 
die  dagegen  sprächen,  giebt  es  nicht;  aber  jeder  Versuch  sie  einer  an- 
deren Familie  zuzuweisen  stöfst  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten. 
Man  darf  vermuten ,  dafs  ihnen  eine  ligurische  Bevölkerung  voraus- 
gegangen sei,  von  der  ein  geringer  Rest  in  den  Elymern  übrig  blieb. 
Die  Erschütterungen  welche  das  Festland  durch  Etrusker  oder  Japyger 
erfuhr,  erklären  die  Wanderung  der  Sikeler  die  nach  der  Ueberlieferung 
zu  schliefsen  in  keine  allzu  ferne  Vergangenheit  hinauf  reicht. 

1)  DioD.  Hil.  I  22.  73  Schwegler  R.  G.  I  202  fg. 

2)  Steph.  Byz.  Fika  noXtg  Ikxeklag  .  . .  xaXslxiti  Ök  ano  norufiov  FiXa' 
o  öh  norafibq  Sri  noXXiiv  naxy^  yswa'  xavTipf  yag  ry  ^Onixwv  ^aivy 
xal  ^txekiSv  yiXav  Xiyea^ai, 

3)  Belege  0.  Müller  Etrusker  1 12,  dazu  Hesych.  agßlwti  Epicharm  fr.  p«. 
219.  21.  23  (ClGr.  ÜI  5774,  102)  254. 155  Lorenz. 

4)  Auch  Yon  Mommsen,  Röm.  Mfinzwesen  83  anerkannt. 


^50  Kap.  XL  Die  Volksstaomie. 

In  Betreff  der  Westinseln  sind  wir  weit  ungenügeoder  unterrich- 
tet Auf  Gorsica  ist  der  Schriftgebrauch  auch  in  der  Raiserzeit  ver- 
schwindend gering.  1)  In  Sardinien  ist  Latein,  vordem  und  noch  unter 
römischer  Herrschaft  ^)  Punisch  geschrieben  worden ;  aber  die  natio- 
nale Blüte  fUlt  früher  als  man  im  Abendland  an  ausgiebige  Verwen- 
dung der  Schrift  dachte  (S.  359).  Der  Mangel  an  Sprachresten  wird 
durch  die  heutigen  Mundarten  keineswegs  ersetzt.  Wie  zu  erwarten 
<S.  360),  zeichnen  sich  dieselben  durch  Altertümlichkeit  aus,  besonders 
die  von  Logudoro  d.  h.  des  mittleren  Sardinien.  Hier  tönt  uns  bona 
dies  zum  Grufs  entgegen,  lat  $  und  t  sogar  m  im  Auslaut,  pl  fl  d,  et 
und  pt  für  tt,  der  Diphthong  o«,  e  und  o  für  ie  und  uo  nebst  vielem 
Anderem  ist  treulich  bewahrt  was  die  übrigen  italienischen  Mundarten 
aufgegeben  haben.  Im  ganzen  romanischen  Sprachgebiet  hat  sich  das 
Sardische  am  wenigsten  von  seinem  Ursprung  entfernt  Man  erkennt 
dafs  die  Sarden  ihr  Latein  mehr  aus  der  Schrift  als  durch  mündlichen 
Verkehr  erlernt  haben ,  man  erkennt  dafs  das  Latein  von  einem  ganz 
verschiedenartigen  Volkstum  aufgenommen  worden  ist  als  Italien  und 
Sicilien  darbot.  Der  Süden,  das  Campidano  gehört  gleichfalls  dem  sar- 
dischen  Gebiet  an ,  wenn  auch  dessen  Eigentümlichkeiten  durch  die 
lang  dauernde  Einwirkung  fremder  Cultur  vielfach  abgeschliffen  sind. 
Aber  der  Norden,  der  Dialekt  von  Gallura  mit  den  beiden  Unterarten  von 
Sassari  und  Tempio  ist  vielleicht  eher  corsisch  als  sardisch  zu  nennen 
und  bildet  unter  allen  Umstanden  den  Uebergang  zur  anstoßenden 
Schwesterinsel.  ^)  Dergestalt  f^Ut  die  heutige  Sprachgrenze  mit  einer 
uralten  Völkergrenze  zusammen :  die  Kvqvioi  Cani  welche  der  antiken 
Litteratur  seit  Herodot  bekannt  sind^),  greifen  über  das  ihren  Namen 
tragende  Land  hinüber,  18  corsische  Gemeinden  wohnen  im  aulsersten 


1)  Das  CIL.  X  2  enthält  nur  7  InschrilleD. 

2)  GIU  X  7513. 7856. 

3)  Ascoli  Archivio  Gloitologico  Italiano  U 132  A.  »/  hguiwrenH  pud  dire^ 
per  certi  eapi,  il  sardo  per  ecceHensa;  tehiettamente  sardo  e  pero  emehe  ä 
eampidanesej  ma  non  eosi  il  gallurese^  nel  quäle  ben  iraluee  il  mbstrate 
sardo,  ma  iruieme  ti  avverte  tat  mi$ehian%a  e  stranezsa  dt  fenomeni,  ehe 
diffieilmenie  si  pud  altrwe  riieonirare,  PrineipaUuimo  fira  gU  elementi 
sopravvenuH  a  ewnporre  il  gallurese,  e  $en%a  dubbio  il  corso.  Man  pflegt 
das  GorsiBche  der  toscanischen  Mandart  zozurechoeD;  aber  die  Dialekte  dieaer 
Insel  sind  sehr  ungenügend  bekannt  Yerwandtsehafüiche  BerOhruageo  des 
Sardischen  oder  Gorsischeo  mit  dem  Spanischen  finden  nach  Aussage  Gröbers 
nicht  statt. 

4)  Her.Vn  165  Lykos  bei  Athen.  II  47  a. 


§  10.   Di«  InselTölker.  551 

Norden  Sardiniens.  >)  Der  Spanier  Seneca  welcher  8  Jahr  als  Ver- 
bannter auf  Corsica  zugebracht,  schliefst  aus  der  Uebereinstimmung 
der  Tracht  und  einzelner  Worte  dafs  Iberer  sich  hier  niedergelassen 
hatten ,  httlt  übrigens  Volk  und  Sprache  far  ein  Gemisch  in  dem  grie- 
chische iberische  ligurischc  Elemente  zusammengeflossen  seien.  <)  Se- 
neca wird  schweiüch  Ober  die  Ostküste  hinausgekommen  sein  (S.  364) : 
dafs  er  an  dieser  einen  bunten  Mischmasch  von  verschiedenen  Stäm- 
men beobachtete,  nimmt  nach  der  Lage  und  der  bisherigen  Geschichte 
nicht  Wunder;  wie  heut  zu  Tage  toscanische,  so  mögen  damals  ligu- 
rische  Arbeiter  das  Feld  bestellt  haben.  Aber  den  freien  Corsen  des 
Inneren  mufs  nach  allem  was  wir  von  ihrer  Lebensweise  sowie  der 
Matur  des  Landes  wissen,  reines  Blut  in  den  Adern  geflossen  sein.  Um 
die  Verwandtschaft  festzustellen  gewähren  die  Ortsnamen  soweit  ich 
sehe  keine  entscheidende  Auskunft.')  Es  liegt  überaus  nahe  sie  für 
Ligurer  zu  halten,  die  auch  Ilva  inne  hatten,  wie  dessen  mit  dem  Gau 
der  Ihaies  übereinstimmende  Benennung  bezeugt  Allein  wenn  Se- 
neca in  Corsica  an  die  Heimat  erinnert  wurde  und  Landsleute  wieder- 
zufinden glaubte,  so  wird  sein  Scharfblick  in  ein  unerwartetes  Licht 
gerückt  durch  die  Schilderung  Diodors.  „Am  Wunderbarsten  ist  ihr 
Verhalten  bei  der  Geburt  der  Kinder.  Wenn  nämlich  die  Frau  geboren 
hat,  wird  der  Wöchnerin  keinerlei  Rücksicht  und  Pflege  zu  Theil,  son- 
dern ihr  Mann  legt  sich  als  Kranker  nieder  und  hält  die  vorgeschrie- 
bene Frist  von  Tagen  das  Wochenbett  ab,  als  ob  ihm  der  Leib  weh 
thäte.**  Es  handelt  sich  um  die  Couvade,  eine  der  altertümlichsten 
Sitten  die  in  allen  vier  Welttheilen  begegnet  und  auf  der  Vorstellung 
beruht  dafs  das  Gedeihen  des  Neugeborenen  in  den  ersten  Lebenstagen 
von  dem  Befinden  seines  Erzeugers  abhänge  und  dieser  deshalb  allen 
äufseren  Einflüssen  entzogen  werden  müsse.    Aus  dem  Bereich  des 


1)  PÜD.  m  85  Ptol.  Dl  3, 6. 

2)  Sen.  DiaL  XII  7,  9  trantieruni  et  HtMpani  quod  ex  eimiUtudine  ritue 
adparet:  eadem  enim  tegmenta  eapitum  idemque  gemu  caleiamenti  quod 
Cantabrts  est,  et  vetba  quaedam,  nam  totus  sermo  conversatione  Graeearum 
lAgurumque  a  patrio  düeeeivU.  Diod.  V 14, 3  ßaQßctQOt  trjv  Sidlextov  l^ov- 
Tfc  iS^X^Y/iiynv  xal  ävoxazavotirov. 

3)  Ankläage  an  iberische  OrtsoimeD  sind  voriiaadeo  z.  B.  Ta^gaxipfioi  — 
Tarraeanenses  niXayza  —  PälanUa  OvQxlviov  —  Urei  Tovnjlagßaffiog'^ 
Tulela  (MartialIV55, 16)  ^Poxavoq  —  Rhodanut.  Aber  die  Ueberliefernng  bei 
Ptolemaeos,  dem  wir  fast  alles  Material  yerdaDken,  ist  wie  gleich  im  ersten 
Beispiel  eine  äofserst  schwankende  und  nnr  die  eingehende  Untersnchang  eines 
Sprachforschers  würde  hier  Klarheit  za  bringen  im  Stande  sein. 


552  Kap.  XI.  Die  Volksstamme. 

Altertums  wird  sie  allein  von  den  Corsen  und  Iberern  überliefert :  die 
Nachkommen  der  letzteren  die  Basken  haben  sie  bis  in  die  Neuzeit 
bewahrt.^)  Den  GedankensprUngen  welche  den  sinnlosen  Brauch  ver- 
anlafsten ,  ist  das  Gehirn  der  Arier  und  Semiten  unzugänglich  geblie- 
ben; sein  Vorkommen  bei  den  Corsen  weist  diese  dem  grofsen  ibe- 
rischen Stamme  zu,  welcher  vor  den  Indogermanen  Südeuropa  inne 
gehabt  zu  haben  scheint. 

Völlig  im  Dunkeln  liegt  die  Herkunft  der  Schardana  Sagdovioi 
Sardi.^)  Die  erhaltenen  Berichte  gehören  einer  jungen  Zeit  an,  in  der 
ein  foter  Sardus  Sohn  des  Makar  oder  phoenizischen  Herakles  als 
Ahnherr  betrachtet  wurde. ^)  Er  soll  eine  Colonie  aus  Libyen  geführt 
haben ,  die  sich  mit  den  Autochthonen  zu  einer  neuen  Einheit  ver- 
band. Sodann  wird  die  Einwanderung  von  Hellenen  Iberern  Troia- 
nern  gemeldet:  wir  sind  nicht  geneigt  den  historischen  Kern  der  in 
diesen  Fabeln  stecken  mag,  aus  der  umgebenden  Hülle  herauszuschä- 
len. Die  Sage  vom  Vater  Sardus  bezieht  sich  kldrlich  auf  die  Nieder- 
lassungen der  Phoenizier.  In  Betreff  der  von  diesen  vorgefundenen 
Autochthonen  sind  wir  aufs  Raten  angewiesen  und  begnügen  uns  mit 
der  Andeutung  dafs  der  Bau  des  Landes  eine  Einwanderung  aus  Africa 
anzunehmen  empfiehlt  (S.  354). 

§  11.    Die  Latinisirung. 

Die  Uebersicht  der  italischen  Volksstfimme  möge  mit  einem  Aus- 
blick auf  ihre  Vereinigung  zu  einem  nationalen  Ganzen  beschlossen 
werden.  Durch  ein  wechselvolles  Ringen  tellurischer  Mächte  hat  das 
Land  seine  jetzige  Gestalt  erhalten.  Seine  geschichtliche  Vergangen- 
heit erscheint  nicht  minder  bewegt  als  die  geologische.  Sechs,  die  In- 
seln mitgerechnet  acht  Völkerfamilien  haben  sich  in  den  Besitz  ge- 
theilt:  Iberer  Sarden  —  Ligurer  Italer  Etrusker  Illyrier  Hellenen 
Kelten;  die  Reihenfolge  bezeichnet  die  mutmafsliche  Zeitfolge  ihrer 
Einwanderung.  Unsere  Gewährsmänner  werden  nicht  müde  bei  den 
einzelnen  Landschaften  anzumerken  wie  viele  Stämme  einander  bis 
auf  die  Gegenwart  hinunter  abgelöst  haben:  wenn  auch  ihre  Ansätze 


1)  Diod.  V  14, 2  Strabo  DI  165  0.  Peschel,  Völkerkunde  p.  26.  Die  SchUde- 
roDg  des  Poseidonios  (S.  470)  lehrt  dafs  die  Gonvade  bei  den  Lignrern  nicht 
üblich  war. 

2)  S.  116  Herod.  VU 165  Plant  MiL  gl.  44. 

3)  Diod.  IV  29  V  15  Pausan.  X  17,  auch  auf  einer  römischen  Müue  ans 
auguslinischer  Zeit,  Mommsen  Münzwesen  p.  667. 


}11.  Die  Latimsirang.  553 

häu6g  der  äufseren  Beglaubigung  entbehren ,  rücken  sie  doch  einen 
volikommen  zutreffenden  Gesichtspunct  in  den  Vordergrund.  Die  na- 
tionale Spaltung  wurde  durch  die  Schicksale  der  verschiedenen  Stämme 
vergr^fsert:  Ligurer  und  Elymer  Raeter  und  Etrusker  Veneter  und 
Japyger  waren  durch  Zwischenräume  getrennt  welche  alle  verwandt- 
schaftlichen Beziehungen  zerstören  mulsten.  Die  nationale  Spaltung 
wurde  durch  die  Gliederung  des  Landes  befördert:  wenn  ein  wan- 
derndes Volk  feste  Wohnsitze  errungen  hat,  beginnt  seine  Einheit  sich 
zu  lockern ,  der  Heerbann  sich  aufzulösen  in  Gaue  und  Gemeinden, 
deren  Verkehr  und  gegenseitigen  Austausch  das  Gebirge  behindert. 
Wo  das  erste  Dämmerlicht  der  Ueberlieferung  die  Anfilnge  Italiens 
erhellt,  zeigt  es  uns  die  Stämme  in  eine  Unzahl  selbständiger  Fürsten- 
tümer zerfallen.  Nach  der  gedankenvollen  Ausführung  des  Thukydides 
wird  die  vorgeschichtliche  Epoche  überhaupt  durch  Schwäche  und 
Vereinzelung  gekennzeichnet.  Die  zunehmende  Arbeitstheilung  und 
die  durch  sie  bedingte  Zunahme  des  Verkehrs  beben  die  Vereinzelung 
und  die  daraus  entspringende  Schwäche  wieder  auf.  Mit  der  Grün- 
dung von  Städten  beginnt  die  höhere  Entfaltung  der  Cultur,  das  ganze 
Altertum  hindurch  von  den  Anfängen  bis  ans  Ende  sind  Stadtgrün- 
dungen und  Culturfortschritte  aufs  Engste  verschwistert  gewesen.  An- 
sätze zu  dieser  Entwicklung  mögen  in  vielen  Landschaften  gemacht 
worden  sein :  als  die  ersten  und  eigentlichen  Träger  derselben  treten 
uns  die  Hellenen  im  Süden  und  die  Etrusker  „die  Städtebauer^  (S.501} 
des  Nordens  entgegen.  Bis  ins  vierte  Jahrhundert  unterscheidet  die 
oberflächliche  Betrachtung  der  Fremden  zwischen  einer  barbarischen 
oder  tyrrbenischen  und  einer  hellenischen  Hälfte  des  Appenninlands. 
Das  Hellenentum  hat  Sicilien  Bruttium  Lucanien  Japygien,  ein  Gebiet 
von  etwa  1500  d.  DM.  bewältigt,  dessen  geistigen  Mitlelpunct  nach 
Olympia,  dessen  politischen  Mittelpunct  nach  Syrakus  verlegt.  Das 
Etruskertum  übt  seine  Anziehung  auf  ein  mehr  als  doppelt  so  grofses 
Gebiet  aus. 

Wir  nennen  die  Völkerfamilie  welche  die  Erbschaft  dieser  beiden 
feindlichen  Mächte  antreten  sollte,  die  italische.  Man  hat  die  Berech- 
tigung des  Namens  bestritten  und  ihn  durch  einen  gelehrten  Kunst- 
ausdruck wie  ausonisch  ersetzen  wollen.  In  Wirklichkeit  entspricht 
er  den  geschichtlich  gewordenen  Verhältnissen  auf  das  Glücklichste. 
Einheimischen  Ursprungs  ist  er  von  den  Hellenen  in  Umlauf  gebracht 
worden  das  von  ihrer  Cultur  eroberte  Festland  zu  bezeichnen.  Im 
nämlichen  Sinne  wird  er  von  den  Römern  zur  Bezeichnung  ihrer 


554  Kap.  XI.  Die  Voiksstamme. 

Heimat  bis  an  die  Alpen  ausgedehnt.  Mit  alten  Erinnerungen  von 
Stanunverwandtscbaft  hat  er  nicht  das  mindeste  zu  thun:  derartige 
Gefühle  haben  soweit  unsere  Kunde  reicht  die  Glieder  der  Familie  nur 
in  beschranktem  Umfang  mit  einander  verbunden.  Die  Nation  welche 
den  Umkreis  des  Mittelmeeres  unterwarf,  ist  nicht  durch  den  Zusam- 
menschlufs  und  die  Unterordnung  verwandter  Stämme  unter  eine 
höhere  Einheit  entstanden ,  sie  ist  nach  Vernichtung  der  Stamme  aas 
den  Trümmern  derselben  künstlich  geschaffen  worden.  Insofern  ist 
es  durchaus  in  der  Ordnung  den  Namen  des  Landes  auf  diejenigen 
Elemente  zu  übertragen  welche  die  wichtigsten  Werkstücke  zum  Bau 
geliefert  haben.  In  der  That  hat  die  den  Latinern  verbundene  Sippe, 
deren  gemeinsamen  Ursprung  nicht  die  Ueberlieferung  wol  aber  die 
Sprache  verkündet,  unter  allen  Volkerfamilien  die  um  den  italischen 
Boden  stritten,  den  weitesten  Flachenraum  bewohnt:  vom  Po  bis  zum 
libyschen  Meer,  von  den  Umbrern  bis  zu  den  Sikanern  reihen  sidi 
Gcschlechtsgenossen  wie  die  Glieder  einer  Kette  an  einander.  Freilich 
konnte  es  die  alteren  Jahrhunderte  hindurch  scheinen  als  ob  dieser 
ganzen  grofsen  Masse  eine  unabhängige  Entwicklung  versagt,  als  ob 
der  Norden  im  Bann  der  Etrusker  der  Süden  im  Bann  der  Hellenen 
gefesselt  bleiben  würde.  Indessen  hat  die  Fremdherrschaft  dem  ita- 
lischen Lande  nicht  blos  durch  die  Einbürgerung  der  Cultur  genützt, 
sondern  auch  durch  den  Schutz  den  sie  gegen  Kelten  auf  der  einen 
gegen  Karthager  auf  der  anderen  Seite  gewahrte.  Diese  von  Aufsen 
andrangenden  Gewalten  haben  sich  an  dem  Widerstand  der  Etrusker 
und  Hellenen  gebrochen,  aber  damit  zugleich  die  Erhebung  der  Ein- 
gebomen ungemein  erleichtert.  Im  Süden  ist  es  das  Gebirge  welches 
im  fünften  Jahrhundert  den  Freiheitskampf  eröffnet.  Es  pflanzt  die 
nationale  Fahne  auf:  indem  Frentaner  Sanmiten  Lucaner  Brettier  sich 
als  Verwandte  fühlen,  alle  den  Namen  Sabiner  in  Anspruch  nehmen, 
sind  sie  von  den  gleichen  Banden  umschlungen  vrie  solche  die  Helle- 
nen zusammen  hielten.  Man  kann  nicht  daran  zweifeln  dafs  die  Be- 
wegung sich  selbst  überlassen  alle  ihre  Widersacher  Hellenen  und 
Halbhellenen  bezwungen  und  damit  geendet  haben  würde  den  ganzen 
Süden  nebst  Sicilien  oskisch  zu  madien.  Dieser  Ausgang  der  Dinge 
ward  verhütet  durch  das  Eingreifen  Roms.  In  der  Mitte  der  Halbinsel 
geht  die  Erhebung  der  Eingeborenen  nicht  vom  Gebirg  aus  sondern 
von  der  Ebene,  nicht  von  einer  Landschaft  sondern  von  einer  Stadt, 
nicht  von  einer  Eidgenossenschaft  sondern  von  einem  EinheitssUat 
So  lange  Rom  um  die  natürlichen  Grenzen  seines  Stadtgebiets,  um  den 


§  tl.  Die  Latinisining.  555 

Besitz  der  mittelitalischen  Ebene  ringt,  ist  es  die  Fobrerin  der  lati* 
niscben  Städte.  Aber  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts 
als  sein  Ehrgeiz  die  Herrschaft  der  Halbinsel  erstrebt,  wird  es  die 
Führerin  der  Städte  schlechthin ,  die  Vorfechterin  der  Cultur  gegen 
das  Fehdeleben  der  Stämme.  Das  Latinertum  ist  ihm  fortan  nur  ein 
Hebel  den  es  neben  anderen  Hebeln  verwendet.  Mit  Recht  suchen  die 
alten  Politiker  das  Geheimnils  von  Roms  GrOfse  in  der  VortrefTlichkeit 
seiner  Verfassung.  In  einem  Schreiben  von  214  t.  Chr.  stellt  König 
Philipp  V  von  Macedonien  den  Hochsinn  der  Römer  in  der  Verleihung 
des  Bürgerrechts  als  Huster  auf:  sie  hätten  durch  solches  Verfahren 
nicht  nur  die  eigene  Stadt  vergröfsert  sondern  nach  nahezu  70  Orten 
Colonien  ausgesandt,  i)  In  dem  Zeitraum  von  334  bis  263  ▼.  Chr.  haben 
sie  allein  19  latinische  Festungen  angelegt,  welche  durchweg  Be- 
satzungen von  3,  4,  6000  Mann  erhielten.  Durch  Städte  wurden  die 
Landschaften  aus  einander  gerissen,  die  Stämme  zerstückelt  An  ihren 
Mauern  ward  der  Ungestüm  von  Samniten  und  Kelten,  die  Feldherrn- 
kunst eines  Pyrrhos  und  Hannibal  zu  Schanden.  Diese  Zwingburgen 
haben  aufserdem  die  Latinisining  Italiens  angebahnt 

Die  Sprachverwirrung  welche  in  Altitalien  herrschte,  erinnert  an 
die  Legende  vom  Thurmbau  zu  Babel ;  das  heutige  Oesterreich  kommt 
ihm  darin  kaum  gleich.  Rom  hat  die  Verwirrung  beseitigt,  seiner 
Rede  die  Obmacht  verschafft  über  unentwickelte  Mundarten  und  hoch 
entwickelte  Cultursprachen ,  nicht  wie  zuvor  Athen  und  in  der  Folge 
Florenz  durch  die  Ueberlegenheit  des  Genius,  vielmehr  durch  die  bru- 
tale Gewalt  von  Schwert  und  Stock.  Latein  wird  um  400  v.  Chr.  auf 
einem  Raum  von  etwa  50  d.  D  M.  gesprochen ,  soviel  wir  sehen  mit 
mancherlei  dialektischen  Abweichungen.  Die  Sprache  war  in  vollem 
Flufs  begriffen,  so  dafs  es  den  Gelehrten  um  150  v.  Chr.  Mühe  kostete 
eine  um  500  abgefafste  Urkunde  zu  verstehen.  Auch  die  heutigen 
Philologen  befinden  sich  älteren  Denkmälern  etwa  des  vierten  Jahr- 
hunderts gegenüber  in  Verlegenheit,  ob  das  wirkUch  Latein  sei  was 
sich  augenscheinlich  als  solches  ausgiebt  Innerhalb  weniger  Jahr- 
zehnte wurde  nun  Rom  eine  Grofsmacht,  gewann  ungeheure  Gebiets- 
strecken, zu  deren  Besiedelung  die  ELraft  des  latinischen  Stammes  ent- 

1)  Hennes  XVII  469,  31.  —  Asconias  zu  Cicero  Pis.  3  Baiter  rechnet  Pli- 
centia  die  letzte  der  vor  214  gegründeten  Colonien  als  die  63  sie.  Wenn  man 
aber  die  Fora  hinzuzählt,  Termindert  sich  die  Abweichung  zwischen  dieser  und 
der  Angabe  des  Königs.  Letztere  mit  Mommsen  a.  0.  483  fftr  flbertrieben  n 
halten  Ist  unnötig. 


556  Kap.  XL  Die  Volksstamme. 

fernt  nicht  ausreichte.  In  den  Colonien  mufs  die  Bevölkerung  in  ähn- 
licher Weise  gemischt  gewesen  sein  wie  in  America  und  überseeischen 
Hafenplätzen  der  Gegenwart  Die  alten  Inschriften  von  Pisaurum ,  ja 
noch  das  Latein  welches  Vitruv  von  Fanum  schreibt,  lassen  uns  ahnen 
welches  Kauderwelsch  hier  gesprochen  wurde.  Als  Fibel  für  die  Kin- 
der diente  das  Gesetzbuch ,  als  Hochschule  für  die  Erwachsenen  das 
Feldlager  und  das  Gericht.  Ein  Volk  läfst  schwer  von  seiner  Eigenart: 
bis  auf  den  hannibalischen  Krieg  hatte  das  Latein  die  eroberten  Ge- 
biete noch  nicht  bemeistert,  erkannte  in  campanischen  Bürgergemein- 
den das  Oskische,  in  etrurischen  das  Etruskische  als  vollberechtigt  an, 
konnte  an  Verbreitung  sich  weder  mit  diesen  beiden  Sprachen  noch 
mit  der  keltischen  und  hellenischen  messen.  Mit  der  Niederlage  Han- 
nibals  ist  der  Sieg  des  Latein  in  Italien  entschieden :  theils  wegen  der 
schweren  Einbufsen  die  Osker  und  Hellenen  erlitten,  theils  wegen  des 
grofsen  Zuwachses  den  die  Gewinnung  des  Pothals  in  Aussicht  stellte, 
endlich  vor  allem  durch  den  Erwerb  der  Weltherrschaft.  Im  Ausland 
bilden  die  Italiker,  Bundesgenossen  wie  Bürger  den  bevorrechteten 
Stand  und  bedienen  sich  derjenigen  Sprache,  an  deren  Gebrauch  der 
Genufs  beneideter  Vorrechte  geknüpft  war.  Aus  der  Rückwirkung  des 
Weltverkehrs  auf  die  Heimat  werden  wesentlich  die  Fortschritte  zu 
erklären  sein  welche  das  Latein  im  Laufe  des  zweiten  Jahrhunderts  in 
Hittelitalien  gemacht  hat.  Nichtsdestoweniger  haben  viele  Landschaf- 
ten mit  äufserster  Hartnäckigkeit  sein  Vordringen  bekämpft.  Die  ita- 
lische Politik  Roms  verfolgt  unablässig  das  Ziel  die  Stämme  zu  spren- 
gen ;  die  von  ihr  zu  diesem  Behuf  nach  und  nach  vertriebene  ver- 
pflanzte angesiedelte  Menschenmasse  beziffert  sich  auf  Millionen.  Trotz 
alledem  brach  91  v.  Chr.  der  gefahrvolle  Bundesgenossenkrieg  aus, 
glaubte  Sulla  die  Samniten  mit  Feuer  und  Schwert  ausrotten  zu  müs- 
sen um  Roms  Ruhe  zu  sichern.  Hit  der  Weltherrschaft  beginnt  auch 
künstlerische  Pflege  die  Sprache  zu  gestalten,  oder  wie  ein  Dichter  es 
ausdrückt: 

Poenieo  hello  secunäo  Musa  pinnato  gradu 
intuUt  se  bellieosam  in  Romuli  gentem  feram. 

Die  Bildner  sind  Griechen  Halbgriechen  Osker  Umbrer  Kelten. 
Man  kann  nicht  ohne  Bewunderung  das  Wirken  dieser  Fremdlinge 
betrachten ,  die  Festigkeit  und  Klarheit  welche  sie  einer  verwilderten 
Soldatensprache  aufnötigten.  Nach  solchen  Vorgängern  hat  der  römische 
Adel  das  Werk  vollendet,  mit  höchster  Feinheit  und  höchstem  Glanz 
geschmückt.    Mit  den  römischen  Waffen  dem  römischen  Recht  dem 


§11.  Die  Latinisirang.  557 

römischen  Handel  der  römischen  Cultur  ergreift  die  neue  Weltsprache 
Ton  den  Städten  des  Westens  Besitz.  Ein  ähnlicher  Gegensatz  zwischen 
Stadt  und  Land  wiederholt  sich  wie  er  im  siebenten  und  sechsten 
Jahrhundert  die  hellenischen  Colonien  und  die  Eingebornen  Siciliens 
getrennt  hatte.  Die  Römersprache  ist  der  Ausdruck  wie  die  Schöpfung 
der  römischen  PoUtik  und  will  noch  heutigen  Tages  über  den  Erd- 
kreis gebieten.  Die  Einheit  die  sie  den  Völkern  brachte,  war  theuer 
erkauft  Einem  Volke  angehörig  dem  Luthers  Bibel  und  ein  unerschöpf- 
licher Liederschatz  die  gemeinsame  alle  Schichten  der  Gesellschaft 
gleichmäfsig  tragende  Grundlage  der  Bildung  geschaffen  haben,  sind 
wir  kaum  im  Stande  den  geistigen  Jammer  auszudenken  der  unter  der 
gleifsenden  Decke  äuCserer  Wolfahrt  das  kaiserliche  Italien  erftlUte. 
Viele  Jahrhunderte  mufsten  vergehen,  schwere  Zeiten  einbrechen,  die 
Einheit  zerfallen ,  bevor  der  Gegensatz  von  Stadt  und  Land  versöhnt, 
die  Sprache  der  Gebildeten  und  der  Hassen  ausgeglichen  wurde,  eine 
italienische  Nationalsprache  erstand.  Und  selbst  dann  hat  das  Volk 
nur  zum  Theil  seine  Freiheit  zurück  erlangt.  Wenn  jenseit  der  Al- 
pen der  Satz  aufgestellt  wird:  ntdliana  e  lingua  letterarta,  fu  scritta 
sempre  e  non  tnaiparlaia,  so  ist  die  Ursache  dieser  Erscheinung  in  der 
Herrschaft  zu  finden  welche  die  abgestorbene  Römersprache  tlber  die 
wichtigste  Seite  des  Volkslebens  noch  immer  ausübt.  Die  Latinisirung 
hat  in  den  Landschaften  Italiens  verschieden  gewirkt,  vernichtend  im 
Süden  wo  ehedem  eine  höhere  Cultur  geblüht,  wolthätig  im  Norden. 
Darauf  ist  schon  verschiedentlich  hingewiesen  worden ;  die  Betrach- 
tung des  politischen  Lebens  wird  im  Einzelnen  die  Belege  liefern. 


Begister.*) 


Acanthns  428 

Acclimatisation  436  fg. 

Acheloos  300 

Addua  188 

Adria  89  fg :  Grobe  92  KaatenbildaDg 
93  Namen  89.  92  Strömimg  104  Tie- 
fen 93  Wildheit  90.  94.  384 

Aegaten  369  fg. 

Aegjpten  Nordländer  in  116 

Aeolos  4A.  3.  385 

Aeqner  514 

Aethicna  36 

Aetna  250.  274.  277.  280 

Africaa  386 

Agathemeroa  36 

Agrippa  M.  30 

Agrumen  379.  423.  437 

Albaner  Gebirg  252.  260.  279 

Alherti  Leandro  51 

Alkyonische  Tage  385 

Alpen :  Abschnitte  146  fg.  Ackerbau  171 
Ausdehnung  141  fg.  Bergbau  168 
Gletscher  145  Goldfelder  167  Han- 
nibals  Uebergang  139.  155  fg.  im 
Mittelalter  166  Namen  137  fg.  Na- 
turgefflhl  171  fg.  Niederschläge  144 
Pässe  150  fg.  Provinzen  79.  82.  85 
StraCsen  152  fg.  Thalbildung  143 
Thierwelt  170  Unterwerfung  78. 152 
Vegetationszonen  168  Viehzucht  170 
Wald  169  Wegebau  150fg.  Wirt- 
schaft 167 

Alpengrenze  73.  79 

Alpenstrafsen :  Gr.  Bernhard  159  Kl. 
Bernhard  158  St.  Bernhardin  162 
Birnbaumer  Wald  166  Brenner  164. 
166  M.  Cenia  158  M.  Groce  165  M. 
Gen^Trel57  St.Gotthardl62  Julier 
163  Maloja  154. 163  Reschen-Schei- 
deck  163  Saifnits  165  Septimer  162 
Simplon  161     Splflgen  162 


Alpes:  Atrectianae  147  A.  4  Garnicae 
149  Geutronicae  147  A.  Gottiae  146. 
157  Graiae  147. 158  Inliae  149. 166 
Maritimae  146.  157  Noricae  149 
Poeninae  147.  159  Raeticae  148 
Venetae  149 

Alpes  Appennioae  219 

Altersgrenzen  410  fg. 

Amphitheater  40 

Anamaren  477.  481 

Anaximander  6 

Ancona  29  A.  4 

Anio  314 

Annio  v.  Viterbo  50 

Anstedlungen  415 

Autiappennin  233 

Antiochos  t.  Syrakus  7.  17.  524 

Appennin:  Aze222.  240  Bau  221. 239 
Begrenzung  141.  219  Gbarakter  220 
Entwaldung  435  Name  217  Nieder- 
schläge 224  Pässe  235  Schnee  223. 
398  Sennerei  226  Thierwelt  227 
VegeUlionszonen  224fg.  Winde  382 

Appennin  Abschnitte  228  fg. :  centraler 
235  hemikischer  238  liguriacher  230 
lucanischer  242  sabeilischer  236  sa- 
binischer  238  samnitischer  240  tos- 
canischer  231  umbriscber  233  yoIs- 
kischer  238 

AppenninflOsse  Uebersicht  342 

Apuaner  474 

Apuaner  Alpen  232 

Apuler  541 

Aputien:  Hellenisirung  541  ÜQgelland 
243  Kflste  337  Laünisirang  542 
Malaria  337.  417  Städte  545  Tief- 
land 241 

Aquilo  384 

Anminum  Provinz  74 

Arkynien  138 

Arnus  303  fg. 


*)  Ds  ein  ToUitiBdigw  VentieliiiiCi  dtr  aBtik«!!  Ortraftneii  dem  sw«it«B  Ba»d«  toi- 
Seseb«B  werdta  loll,  aind  U«r  nv  di«  in  dtr  Dant«Uiuia  behaadtlUa  sttfii«fftkrt  woiin. 


Register. 


559 


ArCemidor  14.  17.  36 

AsiniuB  Pollio  17 

AstroDomische  Ortsbestimmong  28  fg. 
32.  48 

Atabulos  389 

Aternas  339  fg. 

Atesis  192 

Atria  29  A.  4  91  fg.  491 

Attfidus  337 

Attg^ustos:  Grabschriffc  30.  81  A.  1.  Re- 
gioDeneintbeiliiDg  35.  81  Wegebau 
152  Wellkarte  17  A.1.  31. 

Aumnker  531  fg. 

Ausar  306 

Aosoner  524.  531  fg.  544 

Ausonia  65.  95.  524 

Auster  (Muschel)  113 

Auster  (Wind)  386 

Avens  312 

Barbaresken  114.  334.  359 

Baumzucht  441.  450fg.  EinfluGs  auf 
die  BevölkeruDg  420.  455 

Bauschutt  295 

Bergbesteigungen  269.  276.  493  A.  4 

Bergformen  461 

Bergschlipfe  297 

Bemsteinflufs  183 

Bemsteinhandel  174 

Bevölkerung  Degeneration  411  fg.  418 

Bewölkung  376.  395 

Biondo  FlaTio  49 

Blumenzucht  457 

Blutregen  388 

Bohne  446 

Boier  477.  482 

Boreas  384 

Bor^ hesi  Bart.  43 

BoTtanum  yetna  528 

Brettier:  Befreiung  536  Name  536  in 
der  Sila  527  Staatswesen  537  Unter- 
gang 537 

Brot  544  A. 

Bruttium  244  fg.  Bewohner  527.  535 
Erdbeben  284 

Buche  425.  432. 

Caesar  17.  77.  483 
Calabrer  540.  543  A  2 
Galabria  541 
caligo  408 
Galor  332 
Campaner  525.  533 
Gampanien  263  fg.  Alphabet  524  Erd- 
beben 284   Etrusker  500  iOima  379 


Latinisirung  533    Name  532  (|;.   Ur- 
be wohner  531 

Ganile  213 

Gapenaten  514 

Gapraria  367 

Garacener  528 

Gamer  479.  487 

Gastaldo  J.  48 

Gato  d.  a.  20 

Gaudiner  529 

Gaurus  389 

Gellarius  53 

Gercius  383 

Gerealien  444  fg. 

Ghaoner  535.  544 

Gharybdis   105fg. 

Ghorograph  bei  Strabo  17 

Ghroniken  20 

Gicero  19.  329 

Giminischer  Wald  257 

Girceji  4.  239.  324 

aanis  299.  304.  311 

Glanius  333 

Glesis  189 

Gluver  Ph.  51  fg. 

Goelins  Antipater  22  A. 

Golmatensystem  299.  305 

Golonien  hellenische  5.  120  fg.  533 
—       römische  555 

Golumella  397 

Goralle  113 

Gorfinium  340 

Gorsen:  Abstammung  551  Gharakter 
366  Mundart  550  A.  3  in  Sardinien 
550    Zahl  365 

Gorsica:  Flora  362.  366  Flüsse  363 
Gebirge  363  Häfen  363  Lage  362 
Malaria  364  Pässe  364  bei  Ptole- 
maeos  32.  551  A.  3  Wald  364  Zu- 
sammenhang mit  Etrurien  99  mit 
Sardinien  362. 

Gorssen  W.  496 

Gossyra  276 

Gouvade  551 

Grathis  336 

crepuscolum  413 

Groton  Ebene  336 

Gypresse  426.  442 

Danville  J.  B.  Bourgulgnon  53 

Daunier  541 

Deiche  209  fg. 

Delisle  Gull.  53 

Delphin  111 

Denkmäler  37  fg. 

Deutochland  Klima  373.  374.  380.  400 


560 


Register. 


Dianiuni  369. 

Diomedes  542.  544 

Diomedes-Inseln  371 

Dionys  d.  Perieget  36 

DioDys  d.  St.  ▼.  Syrakas  10.  92 

Drepana  290 

Danenbildung  202 

Dana  185 

Ebbe  und  Flut  103  fg. 

Ehen  407.  410  fg. 

Eichen  immergrüne  424.  437 
—     laubabwerfende  425 

Eiszeit  177  fg.  222 

Elba  367 

Elymer  469.  546 

Enterbrficke  124 

Entwaldung  201.  301.  357.  402.  433 

Ephoros  10.  17 

Epopeus  252 

Eratosthenes  11.  29 

Erdbeben  283  fg. 

Erdfalle  296 

Eridanos  183 

Erosion  296 

Emteferien  400 

Erntezeiten  399  fg. 

Etesien  390 

Etrurien:  Appennin  231  Hflgelland 
232.254  Raste  306  fg.  Malaria  299. 
417.  VulkanischerTheil254fg.257fg. 
Wasserbauten  299. 

Etrusker:  Abstammung  495  fg.  Alter 
496.  498  Charakteristik  501  Denk- 
mäler 494  Einwanderung  498  Herr- 
schaft 498  fg.  Namen  496  zur  See 
115  Sprache  494fg.  Verfall  502 
Wandersagen  497 

Euch  192  fg. 

Euganeer  4S6fg.  491 

Euganeische  Hagel  253 

Europa  bei  den  Hellenen  9fg.  138fg.  468 

Eurus  388 

Fabius  17 

Fälschungen  46.  50.  514  A.  6 

Falisker  513 

Farbe  der  Landschaft  461 

FaYonius  385 

Feldmesser  25 

Feldsysteme  449 

Fieber  41 3  fg. 

Fische:  Arten  109.  111    Gonsum  112 

Extracte  1 1 2  Tiber  316  Züchtung  1 13 
Fischerei  109  fg.  114    in  den  Lagunen 

207.  307 


Fischerzünfte  113 

Fiumara  294.  398 

Flachs  449 

Fiöfserei  212.  318fg.  335.  433 

Flotten:  Bau  124.  433  Starke  12T 
Zusammensetzung  127 

Flüsse  292  fg.    im  Mythus  300 

Föhn  388 

Forbiger  A.  56 

Frentaner  527 

Fretum  Siculum  96    Strömungen  105 

Frühling  404 

Futterkräuter  448 

Gades  2 

Gallia  citerior  76  togata  78  Aufhe- 
bung der  Provinz  78 

Gallier :  Bürgerrecht  77. 483  Charakter 
481  Einwanderung  476  fg.  Gefolg- 
schaften 480  Grenzen  477  fg.  Kriege 
481  Mundart  474  fg.  Name  475  fg. 
Schrift  483  Stämme  477  Onterwei^ 
fung  482    Wehrkraft  74.  4S3 

Gartenbau  439.  456  fg. 

Gartenkunst  458  fg. 

Geburten  407 

Geflügelzucht  444 

Gemüsemarkt  456 

GrichUbarkeit  77.  82.  83 

Gerste  446 

Geschichtschreibung  althelleniache  6. 7 
römische  21 

Gewitter  392 

Gorgon  367 

Grabsteine  42 

Gradbestimmung  28.  48 

Graeci  120.    544  A. 

Gramineen  428 

Griechenland  216.  249.  293.  376 

Grofsgriechenland:  Flüsse  334  fg.  Ge- 
schichte 63.  533  fg.  537  Name  59 
Natur  246  Weltlage  246  Verödung 
334.  465 

Guido  T.  Pisa  47 

Hafenbildung  93.  94.  95.  99 

Hafer  448 

Halykus  351 

Handelspolitik  82  A.  2 

Haus  409 

Haushahn  444 

Hausthiere  443 

Hebung  seculare  96.  288  fg.  355 

Helm  V.  420.  437 

Hekataeos  7 

Hellanikos  7 

Hellenen  als  Nation  57  GolonisaüoD 
120  an  den  tyrrfaenischen  Küsten  121 


Register. 


561 


Hercyniseher  Wald  138.  161 

Herniker  515 

Herodot  8.  9 

Hesiod  5 

Hesperia  59 

Heumahd  399 

Himella  312 

Himera  350 

Hipparch  10.  13.  29 

Hippys  7 

Hirpiner  529 

Hirse  446 

Histrer  493 

Holste  Lucas  52 

Homer  3.  4 

HoDorius  Julius  36 

Hulsenfrachte  448 

Hyperboreer  138 

Hypsas  351 


Jahresanfang  404 

Jahreszeiten  376.  405  fg. 

Japyger:  Einwanderung  543  Erobe- 
rung 544  Geschichte  545  Helleni- 
sirung  541  fg.  Inschriften  542  La- 
tinisirung  542  Name  539.  543  A.  2 
Sprache  541  fg.  Stämme  540  fg. 
SUmmsagen  543  Wehrkraft  545 
Wolstand  545 

Japyx  (Wind)  390 

Iberer  In  Gorsica  551 

Iberien  215 

Igilium  368 

IgUTium  Ritual  504.  507.  508  A.  4. 

Ulyrische  VölkerfamUie  490.  493.  542 

IWa  367.  551 

Inschriften  42.  467 

Inseln  85  Auffassung  des  Worts  344 
Kleine  Inseln  366  fg. 

lonios  89  fg.  94 

Irrigation  214 

Isarcus  192 

Ischia  266 

Istros  10 

Italia  Name:  Aufkommen  60  älteste 
Form  61  Uebersicht  der  verschie- 
denen Bedeutungen  86  Umfang  60. 
64.  65.  67.  80.  85  Ursprung  62 
Wanderung  63 

lUlici  72.  83 

Italien:  Aneignungsfahigkeit  420  Bau 
57.  136.  248  fg.  landschaftlicher 
Charakter  464  fg.  Gestalt  33.  48. 
243  Gliederung  senkrechte  226. 378 
wagrechte  378  fg.    Grenze  des  Au- 

Nisitn,  ItaL  LmdMkvnd«.  L 


gnstns  79   des  Diodetian  85    Lati- 

nisimng  552  fg.     PriTÜegien  82  fg. 

Städte  44.  557    VölkerfamiUen  57. 

466    Waldland  431  fg. 
Italischer  Bund  67  fg.    Bundesgrenze 

71.  76    Macht  124 
Italische  Grundsprache  503 
Italische  Mundarten  503  fg.  509 
Itineraria  23  fg.    picta  24 


Kalender  396 

Kalkstein  296 

Karten:  des  Agrippa  30  von  Italien 
30  des  16. 17.  Jahrhunderts  48  des 
18.  Jahrh.  53  des  19.  Jahrb.  54 
Und-  27.  36    Reise-  24 

Karthago  353.  365 

KasUnie  439 

Katane  280 

Kaoffahrer  133 

Kiepert  H.  56 

Kirchen  40.  45 

Kleidung  410 

Klima  372  fg.  Aenderungen  396  fg. 
allgemeiner  Charakter  374  fg.  Haupt- 
zonen 377  fg.    Jahreszeiten  376 

Kombau  445 

Kriegsschiff  125  fg. 

Küchenpflanzen  440.  443 

Küsten  adriatische  93.  234  Italiens 
115.  217    tyrrhenische  99 


Lacus  Albanns  261 

—  Alsietiuus  260 

—  Ampsanctus  271 

—  Avernns  268 

—  Benacus  190 
-—  Ceresius  187 

—  Ciminins  258 

—  Clisius  182 

—  Eupilis  182 

—  Fucinus  298 

—  Fundanus  329 

—  Gabinus  260 

—  LariuB  180.  188 

—  Nemorensis  261 

—  Prilins  307 
->  Sabatinus  259 
~  Sebinus  189 

—  Trasimenus  298 

—  Umher  310 

—  Velinus  313 

—  Verbanus  181.  187 

—  Volsiniensis  258 

36 


562 


Register. 


LaguneD  202  fg.  307 

Lambnu  188 

Landeskunde  im  Ältertom  22 

Landfrieden  68 

Landschaft  460  fg. 

Landwirtschaft  Schriften  26 

Larinaten  527 

Latein  467.  520.  555  fg. 

Latifundien  416.  418 

Latiner  519  fg.    Bund  522 

Latium  adiectum  520  antiqunm  521 
Boden  255  fg.  260  fg.  Gesteine  262 
Küste  324  fg.   Name  520  Wald  432 

Lantnlae  328 

Lavaströme  262.  270.  279 

Lepontier  478 

Leucit  265 

Ltbumer  127 

Ligorio  P.  48 

Lifforer:  Älter  468  Kriege  473  Le- 
bensweise 470  zur  See  115  Sprache 
469  Stamme  472  Unterwerfung  474 
Wohnsitze  470  f;^. 

Ligarien:  Äppennin  230  Meer  115 
Wald  434 

Lingonen  477 

Liqaentia  195 

Liparen:  Piraterie  122  Vulkane  250. 
272  fg.  Winde  281.  381.  385  Wirt- 
schaft 369 

liris  329  fg. 

Litteratur  römische  17  fg. 

UWus  21 

Lombardini  E.  176  Ä. 

Lorbeerform  423  fg. 

Lucaner  533  fg. 

Lucanien  242.  334  fg. 


Maare  259 

Macchia  430 

Macra  303 

Magini  Änt  48 

Mais  437 

Malaria  301.  303.  308. 320. 325  fg.  329. 

333.  334  fg.  337.  350.  357  fg.  363. 

413  fg. 
MalU  118.  370 
Mannert  K.  56 

mare  88    als  Landesgrenze  85 
mare  Ädrianum  90  Ä.  6 

—  Äusoninm  95 

—  Gallicum  101 

—  Ibericum  101 

—  inferum  89 

—  lonium  95 


mare  Libycnm  101 

—  Ligosticom  100    Fische  115 

—  Mediterraneum  101 

—  Nostrum  102 

—  Sardonm  100 

—  Siculum  95 

—  Supemm  89 

—  Tyrrenom  98 
Maremma  307 
Märini  Gaetano  43 

Marmora  Ä.  delia  54.  353  Ä.  3 

Marrobbio  106 

Marruciner  518 

Marser  515  fg. 

Martianus  Gapella  36 

Masten  133 

Mastroca  361 

Matten  428 

Mediolanum  86 

Meduacus  194 

Mela  Pomponins  34 

Mella  189 

Messapier  540.  543  Ä.  2 

Metaurus  341 

Milchregen  388 

Mincins  189 

Mistral  383 

Mittelmeer:  Farbe  110.  462  Fische 
109  fg.  Flora  421  fg.  flanptrouten 
118.131  KUma  374  fg.  Name  101  fg. 
Salzgehalt  107  Strömung  104  Tem- 
peratur 102  Theile  97  Tiefen  93. 
95. 96.  97.  99. 101  Yerdunstonff  103 
Winde  381 

Mittelstämme  508  fg. 

Mommsen  Th.  44 

Mond  408 

mons  Äduia  148 

—  Älbanus  261 

—  Älburnus  242 

—  Älgidus  261 

—  Ärgentarius  307 

—  Aureus  363 

—  Caenia  146 

—  Girceiorum  239.  324 

—  Cremonis  147 

—  Eryx  348 

—  Fiscellus  237 

—  Garganns  241 

—  Gauros  298 

—  Gurgures  237 

—  Heirkte  348 

—  Heraeus  348 

—  Insani  358 

—  loTentio  230 

—  Lepinus  23S 


Register. 


668 


mons  Lncretilis  238 

—  Massiens  264 

—  Nebrodes  347 

—  Neptonius  347 

—  Ocra  149.  166 

—  Poeninus  147.  160 

—  Sila  245 

—  Soracte  238 

—  Tabnrous  241 
.   —   Tifala  241 

—  Tifernos  241 

—  Vesiüiis  147 
Mortalitöt  406  fg. 
Munidpalgesehiehten  46 
Myrte  432.  442 
Myrtenform  425 

Mythen  internationale  65. 67. 490. 497. 

542.  546 
Mythen  den  Sommer  betreffend  403 

Nadelhölzer  426 
Nar  312 

Natorgemhl  134.  408 
Natnrleben  402  fg. 
Navigation  129  fg. 
Niebuhr  B.  G.  44 
Niederschläge  390  fg. 
NotuB  386 
Nnraghen  360 

Obstbau  439.  455 

Obstmarkt  457 

Oelbau  454 

Oelbanm  379.  422.  424.  441 

Oenotrer  525 

Oenotrides  525  A.  4 

Oertel  Abraham  51 

Oglasa  368 

Okeanos  103 

Oieanderform  425 

Olivenform  424 

OUias  189 

Opike  65 

Opuntien  427 

Orca  110 

Orgns  185 

Orosius  36 

Osker:  Denkmäler  523  Geschichte 
537  fg.  Hellenismus  538  Name  524 
Schrift  524  Sprache  523  Stämme 
527  fg. 

Paeligner  516 
Palmen  427 
Pandateria  272.  369 


Panormos  290 

Pentrer  529 

Peperin  252.  262 

Periplen  10 

Peschel  0.  2 

Peuketier  540.  543  A.  2 

Pflanzenkleid  462 

Pflanzenzonen  421 

Pherekydes  7 

PhiUstos  206.  492 

Phlegraeisches  Gefilde  266  fg. 

Phoenizier  117fg.  in  Italien  119.  122 
in  Sardinien  552  in  Sieilien  119. 121 

Picenter  511  fg. 

Picennm  234 

Pinie  426.  442 

Piraterie  114.  122 

Pisae  proTincia  71.  74 

Planasia  368 

PlaTis  194 

Plinins  d.  ä.  19  fg.  34.  276 

Plinius  d.  j.  276.  281.  460  A.  3.  463 

Po:  Abflub  208  Aenderongen  des 
Laufs  186.  189.  190.  211  Deich- 
brache 210  Gebiet  184  Hochflut  209 
Lauf  185  fg.  Mündungen  191. 205  fg. 
Name  183  Quelle  184  Schiffahrt  213 
Unterlauf  187    Wasser  200 

Poedicnler  540 

Poland:  Ackerbau  446  fg.  Anschwem- 
mung 200  Bewdlkung395  Ganäle 
213  Deiche  209  Entstehung  176  fg. 
Fieber  415  Grenze  76.  77  Helleni- 
scher Handel  174  fg.  Irrigation  214 
Klima  379  Küsten  202  fg.  Marschen 
199  fg.  Rechtsstellung  75  Regen  391 
Sdinee390  Seen  179  fg.  Städte  77. 
208  Uebersicht  der  Flüsse  196  fg. 
VeffeUtion422  Wald  433  Wasser- 
recht  212  Weinbau  453  WelUtel- 
lung  174  fg.  Winde  381  Wirt- 
schaft 74 

Polybios  12  fg.  17 

Polyhistor  14 

Pompeji  269.  270.  281.  282.  288.  334. 
434.  523 

Pomptinische  Ebene  325  fg. 

Pontmische  Inseln  272.  369 

Poseidonios  14.  17 

Praettttier  512 

Prodigien  278 

Promis  G.  46 

Ptolemaeos  Claudius  31  fg.  in  der  Neu- 
zeit 47 
Purpur  113 
Puteoli  290 

36* 


564 


Register. 


Pythagoras  6 

Pytheas  11.  29.  103  Ä.  4.  139 

Raeter:  Abstammung  484  fg.  Mand- 
art  4S3  fg.  Schrift  487  Unterwer- 
fung 488 

Raetien  161.  485 

RaTenna  Geograph  v.  36 

Raphael  v.  Volterra  50 

Regen  391  fg. 

regio  annonaria  86 

regiones  urbicariae  86 

RegioneneintheiloDg  81.  85 

Reis  415.  438 

Reisebeschreibang  18.  23 

Renus  191 

Rhegion  60.  96 

Rhipae  13S 

Ritter  C.  2.  17.  56.  174  fg. 

rivaUs  301 

Rocca  Monfina  252.  265  fg. 

Rocoeo  460 

Rohr  427 

Rom:  Rauart  323  Rauschutt  295  Re- 
wölknng  395  geogr.  Rreite  29  A.  3 
Erdbeben  285  Feste  403  fg.  Fieber 
417  Holzverbrauch  434  Lage  217 
293.  309  fg.  Niederschläge  391.  393 
Seemacht  124  fg.  127.  Sociale  Zu- 
stande 41 1  fg.  Stadtplan  27  Sterb- 
lichkeit 405  fg.  412  Temperatur  396 
Temperaturschwanknng  394.  413 
Ueberschwemmnng  321  fg.  Umge- 
bung 416  Weltstellung  320  Winde 
383.  385  Winter  400  fg. 

Römer  Verhältniis  zum  Erdbeben  2S4 
zum  Hochgebirg  172  zum  Meer  88. 
115.  125.  132.  133  fg.  zu  Vulkanen 
278  * 

Rudersehiffahrt  125  fg. 

Rabe  446 

Ruinen  Vorkommen  40 

Ruscelli  Girolamo  4S 

Rutuler  521 

Sabeller  528 

Sabiner  510  fg.  513 

Saeprus  357 

Safineis  526.  528 

Sagrns  228.  240.  339 

Salasser  478 

Salinen  107  fg. 

SaUentlner  540.  543  A.  2 

Samniten:  Gantone  528  fg.  Eroberungen 

529  fg.  Grenzen  529  fg.  Namen  526. 

528  Wehrkraft  530  Vernichtung  531 


Samnium  240 

Sarden :  Abstammung  552  Goltur  360 
Mundart  550  Unabhaogigkeit  361 
Verhältnifs  zur  See  359 

Sardinien:  Rergwerke  356  Bodener- 
trag 359  FIftsse  357  Gebirge  356 
Gröfse  353  Intemperie  357  fg.  Kfiste 
98.  354  Lagunen  358  bei  Ptole- 
maeos  32  Thierwelt  360  Vulkane 
356 

Sardns  pater  552 

Scandinayien  3 

Schiffbau  124 

Schiffahrt  Anfange  116  zeitliche  Be- 
schränkung 129  fg. 

Schiffersprache  133 

Schnee  374.  390.  398 

Schwefel  275 

Scirocco  386  fg. 

Secia  190 

Seebäder  134 

Seebecken  297  fg. 

Seeleben  88.  115.  123 

Seepolizei  123.  128 

Seereisen  132 

Seeschlachten  127 

SeeUktik  124.  127 

Segel  133 

Senkung  seculare  201.  288  fg. 

Sesites  186 

Sicilien:  Rodenertrag  351.  424.  449 
Flüsse  349  fg.  Gebirge  347  Geolo- 
gische Rildung  346  fg.  Gröfse  346 
Häfen  346  sec.  Hebung  290  Klima 
376.  395  bei  Ptolemaeos  33  VdI- 
kane  272  fg.  Weltotellung  352  Winde 
382 

Sikaner:  Abstammung  549  Alter  250. 

547  Städte  548    Verfassung  60 
Sikeler:  Alter  4.  116  in  Bmttidm  61. 

535    Hellenisirung  548     in  Latiom 

548  Sprache  549     Wanderung  547. 
549 

Sicilisches  Meer  95  fg. 

Sidiciner  529.  532 

Sila  245  fg.  431 

Silarus  334.  529 

Skylax  t.  Raryanda  10 

Skylla  4.  105 

Skymnos  v.  Ghios  11 

Solinus  35 

Sommer:  Dörre  375.  397  Regen  375. 
397  fg.  Schlaf  375.  403  Sterblich- 
keit 406  Wirkung  auf  die  Pflanzen 
393.  403 

Sonne  408 


Register. 


565 


Sontios  1^96 

Spano  GioT.  359  A.  6 

Spelt  446 

Städte :  Charakter  37  Verödiuifl[  39.  41 

Städtebau :  der  Etrusker  501   Hellenen 

545.  548    Römer  555  fg. 
Steinsalz  350 
Stephanos  t.  Byzanz  37 
Steuerfreiiieit  82.  84 
Stier  im  Glauben  63 
Strabo  15  fg. 
Strandrecht  129 
Strafsen  ansgemessen  27 
Stara  185 
Subappennin  221 
Subsolanus  388 
Sybaris  63    Ebene  336 
Symaethus  349 

Syrakus:  Breite  29  A.l  Klima  376  See- 
macht 123  Temperatur  396  Winde  383 

Tacitas  19 

Tafelluxus  113 

Tanager  334 

Tanarus  186 

Tarent  95.  545    Golf  240.  243 

Tarsishandel  118 

TarUrus  192 

Tarus  189 

Tauem  137 

Tauriner  472 

Temese  4  A.4 

Tempelhaine  463 

Temperatur  374.  379.  394  fg. 

Terremare  447  A.4 

Thau  393 

Theophrast  11 

Thukydides  9  A.  2 

Thunfisch  110 

Tiber:  Fischfang  316  Flöfserei  318 
Gebiet  309  in  der  Kunst  294  Lein- 
pfad 318  Mittellauf  311  fg.  Mün- 
dung 315.  324  Name  308  Neben- 
flüsse 309  Oberlauf  309  fg.  Oberes 
Thal  463  Schiffahrt  316  fg.  Tiefe 
315.317  Ueberschwemmung  321  fg. 
Unterlauf  313  Versumpfung  320 
Wasser  315    WassersUnd  317 

Ticinus  187 

Tiliaventus  195 

Timaeos  12.  17 

tofus  280 

Toga  70.  410 

Tolenus  313 

Tolfagebirg  257 

topiarius  460 


Topographie  37  fg.  44  der  Renaissance 

50 
torrens  294 
Travertin  263 
Trebia  188 
Treibhäuser  458 
Trerus  330 
Trinakria  4 
Truentus  341 
Tuder  480 
Tuff  256.  264 
Tyrrhenia  65.  500.  553 
Tyrsus  357 

Umbrer:  in  Aemilia  506  in  Etmrien 
505  Latinisirung  508  Name  505 
Sprache  504  Städte  507  Unterwer- 
fung 508  Wohnsitze  505  Zersplit- 
terung 507 

Umbrien:  Appennin  234  Hochland  235 
Hügelland  236    Thal  310 

Umbro  307 

Urgo  367 

Valerius  Antias  22  A. 

Var  302 

Varro  20.  373.  513 

Vegetation  419  fg.  immergrüne  402  fg. 
423  fg.  436.  462 

Veneter:  Abstammung  490  fg.  Ein- 
wanderung 491  Mundart  488  fg.  Na- 
me 489  fg.  Pferdezucht  491  Reich- 
tum 492  Schrift  492  Wehrkraft  491 

Venetien  199  fg.  208  fg. 

Ter  sacrnm  62.  510 

Verdunstung  375.  393 

Vestiner  517 

VesuT  251.  268  fg.  281  fg. 

Vibius  Sequester  36 

Viehzucht  443 

Villa  459 

ViUlos  62 

Völkertafel  3 

Volksstämme  466  fg. 

Volsker  518  fg 

Voltumus  (Flufs)  331  fg. 

Volturnus  (Wind)  389 

Vofs  J.  H.  55 

Vulkane:  Ausbrüche  283    Zahl  250  fg. 

Vulkanismus  248  fg.    Theorien  277 

Vultur  271 

Wald  429  fg.  462  fg. 
Waldbestand  heutiger  430.  436 
Wasser  Thätigkeit  des  294  fg. 
Wasserbaukunst  199.  213 


566 


Register. 


Wasserfragen  211  fg.  300.  313.  327 
Wehrkraft  84 
Weinausfuhr  452 
Weinbau  451  fg. 
Weinstock  441.  451 
Weizen:  Aussaat  399    Einführung  447 
£mte  400    Ertrag  351.  449 


Westphal  J.  H.  220  A.  2.  327 
Winde  380  fg. 
Windgebiete  381  fg. 
Winter  harter  400  fg. 
Wirtschaftsformen  450 
Wohnweise  409 


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