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Full text of "Valentin Rose. Ein Nachruf"

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VALEITH EOSE 



EIN NACHEUF 



VON 



EMIL JACOBS 



SONDERABDRUCK A US DEM ,.ZENTRALBLATT FUR BIBUOTHBKSWESEN" 
BAND XXXII] (1917) HEFT 5/7 






LEIPZIG 

OTTO HARRASSOWITZ 

1917 



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OMirlAll / Valentin Rose 

In der Morgenfriihe des 25. Dezembers 1916 ist Valentin Rose 
nach kurzer Krankheit im fast vollendeten achtundachtzigsten Lebens- 
jahre sanft entschlafen. Langer bereits als ein Jahrzehnt im Ruhe- 
stande, war er der jiingeren Generation der Koniglichen Bibliothek 
allenfalle dem Namen nacb, der mittleren kaum von Ansehen vertraut 
und selbst dem alteren Geschlecht mit Ausnabme weniger Getreuen 
seit geraumern aus den Augen entschwunden. Wie seine Personlich- 
keit, die freilich nicht jedem sick ersehloB, so bat sein Schaffen, dem 
iiberall voile Anerkennving zuteil ward, insbesondere sein amtliches 
Wirken als Direktor der Handschriften abteilung, in der Kgl. Bibliothek, 
wie es fast scheinen mochte, nur eine geringe Resonanz gefunden. 
Urn so vernehmlicher mahnt die Pflicht, die Erinnerung an sie in 
diesen Blattern fcstzuhalten. Mit wehmtitiger Freude will iob ver- 
suchen, sie zu erfiillen, einer Aufforderung der Schriftleitung des 
Zentralblattes gern Folge leistend. 

Der Mann und sein Werk, der Mensch und der Bibliothekar, sie 
sind nicht zu trennen von Valentin Rose, dem Gelehrten, und nur 
gemeinsam kann hier, unbeschadet des Rabmens dieser Zeitschrift, 
von ihnen die Rede sein. Gelehrter im innersten Wesen, aus freier 
Neigung Bibliothekar, sab Rose die Aufgabe seines Amies in der 
gelehrten beruflichen Arbeit, als deren Krone ihm die Beschaftigung 
mit den Handschriften gait. Seine freie wissenschaftliche Tatigkeit, 
aufgebaut zum grofiten Teile auf der Kenntnis der ungedruckten 
Literatur, ist eng vertmnden mit seinem amtliehen Schaffen, dessen 
Kern der Katalog der Berliner lateiniscben Handschriften darstellt. 
Befrucktende Mitarbeit an der Wissenschaft, diesem Ziele hat er hier 
wie dort dienen wollen. Herknnft und Umgebnng, Tradition und 
Selbstzucht haben ihn dabei einen Weg einscklagen lassen, den er bis 
zu Ende mit unbeirrter Sicherheit verfolgt hat. 

Valentin Rose entstammte einer alten markischen Gelehrtenfamilie. 
Am 8. Jan uar 1829 wurde er in Berlin geboren als altester Sohn 
von Gustav Rose , Professor der Mineralogie an der Universitat und 
Direktor des mineralogischen Museums, Genosse Humboldts auf der 
asiatischen Reise 1829, nachster Freund von Mitscherlich und Ehrenberg; 
neben zahlreichen anderen wertvollen Arbeiten hat er mit seiner 
Untersuchung iiber die Meteorsteine die Grundlage filr alle spSUeren 
Untersucbungen iiber diese Korper geschaffen. Valentins Onkel war 
Heinrich Rose, einer der ausgezeichnetsten Cbemiker aller Zeiten, sein 
Croft vater Valentin Rose (der jiingere), Schuler des spater beriihmt 
gewordenen Cbemikers Klaproth, mit Erfolg wissenschaftlich tatig und 
besonders verdient um die Bearbeitnng der preufiischen Pharmakopoe, sein 
Urgrofivater Valentin Rose (der altere), beide Cbemiker und Apotheker, 
auch Assessoren am Ober- Collegium medieum zu Berlin, wohin der altere 
Valentin von Neu-Ruppin iibergesiedelt war. Sie stammten ab von 
Simon Rose und dessen Sohn Christian Rose, seit 1633 Rektor der 
Schule in Neu-Ruppin und als Verfasser von Schul ■ Komodien bekannt. 



/ 



von Emil Jacobs 



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Noch heute steht das Berliner Stamnihaus der Roses, einstens vom 
,Vetter' Schinkel umgebaut, die Apotheke zum Weifien Schwan 
gegenilber der Heilig-Geist-Kapelle in der Spandauerstratie. 

Seine Vorbildnng erhielt Rose auf deni alten Joachimsthalschen 
Gymnasium m der Burgstrafie, das damala unter August Meineckea 
Leitung stand. Starke Anregungcn erhielt or hier von Karl Passow 
Wilhelm Giesebrecht und Julias Miitzell. 

Die Luft der Naturwissenschaften , die ihn im Vaterhause und 
von den Vfitern her umwehte, hat frtih auf Valentin Rose gewirkt 
zwar nicht auf die Wahl seines Unfversitatsstudinms, wohl aber auf 
sein eigenes spateres wisscnschaftlich.es Wirken entscheideuden Einnuft 
getibt. Seine Neigung ging nach einer Seite, die besonders zu pflege.i 
eine der obersten Pflichten des wisscnschaftlicuen Bibliothekara ist 
sie war wie Hire Friichte ttberwiegend literarhistorisch und auf Geschiehte 
der Wissenschaften gerichtet, nach dem Beispiel seiner Vorfahrcn auf 
Medizin und Naturwiesonschaften, aber riickwarts blickend. 

Im Herbst 1846 ging er "als Student der Philologie nach Bonn 
wo er zwei Semester Vorlesungen bei Welcker, Ritschl, Diez und 
Lassen horte, dann zog er nach Berlin zuriick, wo Boeekh, Lachmann 
Joh. Muller und Wattenbaeh sechs Semester seine Lehrer waren! 
,Qnadnennio absoluto complures annos privatim degi studiis deditus 1 , 
s_o schrieb er in der Vita zu seiner Inauguraldissertation am 2. August 1854^ 
Zu lhr benutzte er die ersten zwei Bogen eines Buehes, das gleich 
tortgedruckt als sein Erstlingswerk 1854 bei Georg Reimer in Berlin 
erachien: ,De Aristotelis librorum ordine et auctoritate commentatio'. 
Die erste Studienreise zu den Handschriftenschatzen von Hamburg 
und Hannover unternahm er bald daranf im November- December des- 
selben Jahres. Dann gait es, den ,Beruf zu ergeifen. 

Zn Neujahr 1855 wurde Rose von dem Oberbibliothekar Pertz 
zumDienst in der Kgl. Bibliothek angenommen, am 8. Januar, seinem 
beburtstage, trat er ihn an, zunachst als unbesoldeter Hilfsarbeiter, 
seit 1. Januar 1856 mit monatlichem Entgelt von zehn Talern. Am 
1. Januar 1859 wurde er Assistent mit dreihnndert, am 1. April 1863 
* Kustos mit fiinfhundertfnnfzig Talern Gehalt, das am 1. Januar 1872 
sieh auf elfhnndert Taler verdoppelte. Nun war spat die Griindung 
des eigenen Herdes moglich. Im August 1872 verheiratete er sich 
mit Mane Poggendoiff, seiner Jugendgenossin, Tochter des Herausgebers 
der Annalen der Phyaik und Chemie und Professors der Chemie an 
der Umversitat, Johann Christian Poggendoiff. Sechs Jahre spater, am 
1. Juli 1878 rflckte er zum Bibliothekar, zum vierten zunachst, auf, am 
1. Juli 1881 wurde er erster Bibliothekar. 

Roses Wunsck bei seinem Eintritt in die Kgl. Bibliothek war: 
Beschreibung der Berliner Handsehriften, der griechischen wie der 
lateinischen, und gleich beim offiziellen Besueh trng er sein Anliegen 
dem Ersten Bibliothekar Pinder vor. Es ist ihm nicht stattgegeben 
worden. Zur gleiehen Stunde mit Rose hatte auch Karl Pertz des 
Oberbibliothekars Sohn, in der Kgl. Bibliothek seine Laufbahn begonnen, 



■ 



4 Valentin Rose 

diesem wurde die Arbeit an den Handschriften iibertragen. Das 

ist der Kgl. Bibliothek zuin Verhangnis geworden! Es 1st heute 
unnbtig, Tiber die Eigenschaften des dem Vater so unahnlichen Sohnes 
nock ein Wort zu verlieren; wie er den ihm gewordenen Aaftrag 
auszufuhren versucht hat, lehrten die kiimmerlichen Relikten in zwei 
Pappkasten der Handschriftenabteilung (Cat. 477 b). Als er 1861 als 
1. Kustos der Univ.-Bibliothek nach Greifswald ging, blieb die Arbeit ganz 
liegen, bis unter Lepsius' Aegide Wattenbach zu einem neuen Anlauf 
bewogen wurde, der aber in langsamsten Tempo von der Stelle ruekend 
melir Wattenbacbs eigenen Arbeiten als der Kgl. Bibliothek zu gute 
gekommen ist. Ein mMBig starker Band mit Beschreibungen in der Art 
des Miinchener Katalogs (Cat, 477 f.) legt Zeugnis davon ab. Was wurde 
die Kgl. Bibliothek darum geben, batte man Valentin Rose semen Jugend- 
wunsch erfullt! Er aber beschied sich, nahm die Lehrzeit des biblio- 
thekarischen Handworks auf sich und wuchs so in die ,langen , aber 
niemals langweiligen' Gesellenjahre des Bibliothekars hinein. Die 
Fiihrung jeglichen Geschafts hat er durchgemacht, Die Tatigkeit 
des reifen Meisters bezeichnet die eine Arbeit: der Teil ,Medicin' des 
system atischen Kataloges der Kgl. Bibliothek, Fiinf Jahre hat Rose 
an sie gesetzt. Als sie fertig war, fugte sie sich zum trefflich 
behauenen SchluBstein von Schraders Werk: der stolze Bait des 
systematischen Kataloges der Kgl. Bibliothek war damit in der Tat 
beendet. 

Wahrend Lepsius' Krankheit und nach seinem Tode (10, VII. 1884) 
war Rose stellvertretender Oberbibliothekar. Unter nicht leichten Um- 
standen hat er dieses Arat wahrgenommen bis zum Tage von August 
Wilmanns' EinfuhriiDg als Generaldirektor der Kgl. Bibliothek (6. I. 
1886): der Umbau der Bibliothek war zu leiten, der neue grofie 
Lesesaal zu eroffnen. Die ihm wahrend dieser Zeit gebotene Moglich- 
keit freier eigener Entscheidungen hat er sofort im Sinne seiner un- 
verkiimmerten bibliothekarischen Jugendziele genutzt. Kaum drei Tage. 
nachdem ihm Lepsius' Vertretnng iibertragen ist (9. VI. 1884), setzt er 
sich — leider vergeblich — mit Energie fur die Ervverbung der noch 
freien Handschriften des Lord Ashburnham ein, mit Lagarde darin 
einig, daB ,was wir erwiirben, an Wert Beige hoch iiber das aus dem 
Besitze des Herzogs von Hamilton in den unsern Uebergegangene 
hinausragte 7 , und augenblieklich BOrgt er dafur, daB zwei vorlaufige 
Verzeichnisse von groBeren Berliner Handschriften-Erwerbungen er- 
sclieinen: W. Ahlwardts Kurzes Verzeichnis der Landbergsehen Samm- 
lung arabischer Handschriften. Berlin 1885, und: E. Sachaus Kurzes 
Verzeichnis der Sachauschen Sammlung syrischer Handschriften. Nebst 
Uebersicht des alten Bestandes. Berlin 1885, beide von ihm mit Ein- 
leitungen versehen , die zur Sachauschen Sammlung mit dem Kleinod 
des Fundberichtes zu cod. or. Fol. 355, dem Briefe des , Majors' 
von Moltke geschmtickt. Die Pflicht, errnngene Schatze vor einem 
zweiten Vergraben zu bewahren, gait ihm als eine der hochsten des 
Bibliothekars. 



von Emil Jacobs 



Wilmanns' Erscheinen hatte fttr Rose nichts Krankendes. Alte 
Freundschaft, in gemeinsamen Florentiner Tagen fester gekniipft, Tagen, 
deren Erinnerung Rose zwiefach lieb war, dachte er der liebens- 
wiirdigen Ritterlichkeit, mit der Wilmanns dort Fran Marie verehrend 
begegnet , alte Freundschaft verband die beiden. Zudem hatte Rose 
nie nach dem ,Oberbibliothekariat' gestrebt, ,Er wollte nicbt regieren, 
er wollte studieren'. Schon im Februar 1873 hatte er eine ihm durch 
Usenera Empfehlung und Vermittlung eroffnete Auesicht auf die dnrch 
Baehrs Tod erledigte leitende Stelle der Heidelberger Bibliothek ohne 
jedes Bedenken zurtickgewiesen, und jetzt war er selbst es gewesen, 
der in Gesprachen mit Althoff Wilmanns als die rechte Personlichkeit 
fttr die Fttbrung der Kg]. Bibliothek bezeichnet hatte. Ftir Rose ward 
das, was nun erfolgte, eine Art Rettung, wie er selbst ausgesprochen 
hat, und, wie er hinzufiigte, .Althoff' — auf den die Reorganisation 
der Kg! Bibliothek zuriickging — ,sein Wohltater'. Die Bibliothek 
wurde (Statut vom 16. XI. 1883) in zwei dem Generaldirektor unter- 
stellte Abteilungen getrennt. Znm Direktor der Handschriften-Abteilung 
wurde (1. April 1886, kommissarisch bereits seit 23. XII. 1885) Valentin 
Hose ernannt, mit einer gewissen ,oder vielmehr ungewissen' Selb- 
standigkeit und eigenem Fonds. 

In seinem siebenundfiinfzigsten Jahre begann innerhalb der Kgl. 
Bibliothek fur Valentin Rose noch ein neues Leben. Jetzt war ihm 
eine in der amtlichen Stellung wissenschaftliche Tatigkeit geworden, 
wie er sie sich von Anfang an gewiinscht hatte, eine Tatigkeit, die 
das Amt znm Bemf machte oder vielmehr eigentlich seinen Bernf 
endlich zum Amt. Dieses war es, zu dem er geboren war! Zwei 
Dezennien hat die Kgl. Bibliothek noch die Friiehte seines altersehnten 
neuen Schaffens ernten konnen. 

Roses Reich war nun oben in der Front des Hauses Behrenstr. 40. 
Drei kleine Raume mufiten hier ihm, dem ihn als Orientalist unter- 
sttitzenden Kollegen, den Benutzern und einem Diener geniigen. Sein 
winziger Arbeitsraum , der sich riicklings an das ,Naue-Zimmer' im 
siidlichen Pavilion des Bibliotheksgebaudes anlehnte, wo einst die 1825 
erworbene Sammlung des Hallenser Musikdirektors J. Fr. Naue, jetzt 
die Hamilton- und Phillipps-Handsckriften etanden, war nicht grofJei' 
als unten die Portierloge vor dem Amtszimmer des Generaldirektors. 
Rose jedoch kfimmerte das weuig, wichtiger war ihm, der stets mit 
der Zeit geizte, daB er vor ungebetenen Besuchern und vorlanten 
Fragern hier gesichert blieb. Zumeist hielt der im Mittelzimmer 
sitzende Diener, lange Jahre ein ehemaliger Wachtmeister der Garde- 
husaren , solche Storenfriede sorgsam fern. D ran gen sie dcnnoeh ein, 
so wufite sie Rose, der ernsthaften Gelehrten und Lernenden stets 
freundlich entgegenkam , durch eine reservierte Brummigkeit baldigst 
zu verscheuchen. 

Zweierlei lag ihm jetzt ob und am Herzen. Einmal die Ver- 
mehrung des Handschriftenbestandes. Hier zogen ihm die geringen 
Geldmittel, iiber die er verfiigen durfte, feste Schranken. Sodann die 



6 Valentin Rose 

Verzeichnung der Handschriften. Hier mnfite er aich selbst die Grenzen 
setzen. Nicht Jugendtraume — sein Sinn stand nie nach Schatten- 
haftem — Jugendziele, klar umrissen und nach einer wQhliiberlegten 
Rechnung bestimmt zu erreichende , er hatte sie vor einem Menschen- 
alter aufgeben miissen. Jetzt gait es, sich ein neues noch erreichbares 
zu stellen. Anf die griecbisehen Handschriften, die ihm urspriinglich 
am meisten am Herzen lagen, hatte er bereits verzichtet und ihre 
Bearbeitung de Boor uberlassen. Die Beschreibting der Gesamtmasse 
der lateinischen Handschriften noch zu bewaltigen, schien unmoglich, 
bedachte er seine Jahre. ,Zu spat' — das hat ihn wohl oft be- 
kummert und bedruckt, aber seine Kraft vermochte es nicht zu lahmen. 
Starke und Trost fand er in der Ueberzeugung, daS seine reife Er- 
fahrung der Verjahning junger Wunsche nun fruchtbar wurde. Wieder 
beschied er sich, schatzte die ihm voraussiehtlich noch zugemessene 
Wegstrecke und sehritt kraftig aus. 

Seine fest begrenzte Aufgabe hatte er sich folgendermaBen gestellt: 
Er wollte den alien Bestand der lateinischen Handschriften beschreiben. 
In die 1661 vom grofien Kurfiirsten begrnndete offentliche , churfiirst- 
lich-markische' Bibliothek waren die Handschriften der Hausbibliothek, 
die bereits den Niederschlag aus der Auflosung markischer Kloster 
besonders der Rischofstadt Brandenburg enthielt , gekommen. Reieh- 
liche Vermehrungen aus den alten markiscken wie aus seinen Landen 
im Osten und Westen liefi sich der Eifer des furstlichen Grunders an- 
gelegen sein. Das 18. Jahrhundert hatte dem so gut wie nichts hinzu- 
gefflgt, wohl aber Wilken eine betriichtliche Nachleae dnrch Ueber- 
fiihrung herrenloser , vergessener uud wiederentdeckter Handschriften 
des Landes gehalten , die in kleinerem Mafte durch Pertz und zuletzt 
Wilmanns erganzt wnrde. Mit Recht bezeichnet also Rose diesen so 
zusammengesetzten Bestand als , Codices electorates' im Gegensatz zu 
den , Codices regii' des 19. Jahrhunderts. Dafi die Beschreibung letzterer 
, seine Augen nicht erleben' wiirden, stand ihm fest. Urn so riistiger 
ging er nun an das Werk, das er noch vollenden wollte: die Be- 
schreibung der , Codices electorates latini'. 

Am 19. Juni 1888 erfolgte der formliche Auftrag, die lateinischen 
Handschriften der Kgl. Bibliothek zu verzeichnen. Die Arbeit war 
im beaten Gauge, da fiihrte die Erwerbung der Meerman-Phillipps- 
Handschriften ,den lateinischen Handschriften der Kgl. Bibliothek einen 
Besit-z zu, der sich durch Alter und Wert eigentlich von selbst an 
ihren Anfang stellte'. Theodor Mommsen war es gelungen, raseh die 
hochherzigen Manner zu linden, die, bevor der preuBische Staat Zahlung 
leisten konnte , die Mittel bereit stellten , um diese einzig koetbare 
Sammlung Berlin zu sichern. Im Mai 1887 hatte Rose in Cheltenham 
die Handschriften in staunenswerter Schnelligkeit bereits vorlaufig anf- 
genommen. Diesen neuen Reichtum durch den Druck der Beschreibungen 
nufzbar zu machen , war eine Pflicht, vor der der eben in der Aus- 
fiihrung begriffene Plan zunachst wieder zurucktreten mufite. Mitte 
Juli 1889 stand fest. dafi die Meerinan-Phillipps-Handschnften, die der 



L 



von Emil Jacobs 7 

alten Berliner Sammlung erst das feste Rtickgrat verlieken, ihr voran, 
filr sich und moglichst rasch zu beschreiben waren. Drei Jahre spater 
war die Arbeit getan, jedoch erst im Friihjahr 1893 erschien: Ver- 
zeichnis der lateinischen Handschriften der Konigliclien Bibliothek zu 
Berlin von Valentin Rose. Erster Band. Die Meerman-Handsehriftcn 
des Sir Thomas Phillipps. Berlin: A. Asher u. Co, 1893 (= Die Hand- 
schriften -Verzeichnisse der Kgl, Bibliothek Bd 12). 

Bald 40 Jahre hatte Valentin Rose der Kgl. Bibliothek gedient, 
Nun sah er zu einer Zeit , da die meisten daran denken , sich in den 
Ruhestand zu begeben, die fruh gestellte Lebensaufgabe erMlt — mit 
einem Anfang. Freilieh so split er kam , so glanzend war er. ,Un 
Catalogue qui pent etre cite comme un modele'! Das war das Urteil 
des Berufipn|sten, Leopold Delisles (Journal des Savants 1899 S. 318). 
Rose hatte sich zufrieden zuriickziehen konnen, aber er ging ohne Rast 
und ohne Hast seinen Weg welter. Sechs Jahre nachher, Februar 
1899 war der letzte der , Codices electorates' beschrieben , bald die 
Ordnung der Beschreibungen beendigt, und am Selling des Jahres die 
Drueklegung begonnen. Mitte 1901 konnte erscbeinen: Verzeiehniss 
der lateinischen Handschriften der Konigliclien Bibliothek zu Berlin 
von Valentin Rose. Zweiter Band. Die Handschriften der Kurfiirst- 
ltchen Bibliothek und der Kurfurstliehen Lande. Erste Abteilung. Berlin: 
A. Asher u. Co. 1901 (= Die Handschriften -Verzeichnisse der Kgl. 
Bibliothek Bd 13, Abt. 1). Ununterbrochen ging der Brack fort. 1903 
lag die ,Zweite Abteilung' fertig vor, am 13. Juni 1905 gab Rose das 
Imprimatur dee Schlufibogens fur die ,Dritte [und letzte] Abteilung', 
die noch in demselben Jahre erschien. Wenige Tage darauf reichte 
er seinen Abschied ein: er war durchs Ziel gegangen. BewuBt hinter- 
liefJ er seine Arbeit als ein Fragment in dem Sinne, als alle spater 
erworbenen lateinischen Handschriften, die , Codices regii' des 19. Jahr- 
hunderts und der Folgejahre, bei seinem Gehen des Bearbeiters harrten, 
des ,in sie hineinwachsenden Vollenders', mit der Hoffnung, dafi der 
, amicus juvenis dies Erbe antreten werde', Allerlei Aufraumungs- und 
Ordnungs-Arbeiten ftilUen die nachsten Wochen aus. Am 29. Sept. 
1905 kam Rose gleichzeitig mit seinem ebenfalls scheidenden General - 
direktor und Frennde Wilmanns zu der schlichten Abschiedsversamm- 
lung im ,Konferenzzimmer', erstaunt die Fiille der jungen Kollegen 
musternd, die in der Mehrzahl ihm ebenso unbekannt waren wie er 
ihnen. Am 30. erschien er zum letztenmal in seinem Amtszimmer. 
Tags darauf war der erste Direktor, der die 1885 neu begriindete 
Handschriften -Abteilung zwanzig Jahre geleitet, nach mehr als 50 
Jahren konigliclien Diensten wieder ein freier Gelehrter wie vor einem 
halben Jahrhundert. Urteil und Stimmung seiner Vorgesetzten bezeugte 
dem Scheidenden die konigliche Gabe der Grofien goldenen Medaille 
filr (Kunst und) Wissenschaft (28. Aug. 1913). 

Valentin Roses Katalog ist eine einzig dastehende Leistung. ,Ein 
Muster' nannte ihn Delisle, Ludwig Traube bezeichnete ihn, ebenfalls 
nach dem Erscheinen des ersten Bandes, als ,eine Art Encyklopadie, 






8 Valentin Eose 

namlich der Literatur des Mittelalters' und hat damit die eigeatliche 
GroBe des Eoseschen Werkes getroffen. Rose hat — und das wird 
stets die Hauptsache bleiben — den Inhalt der Handschriften in voll- 
kommenster Weise besehreibend ausgeschopft. Nur Holders Katalog 
der Keichenaner Handschriften kann zum Vergleich herangezogen 
warden. Palaeographisch aus Wattenbachs Schule hervorgegangen, 
von vornherein — leider — auf jedes uns heute unerlaBlich er- 
scheinende Tafelbeiwerk zu verzichten gezwungen, dem Schmuck der 
Handschriften, Malereien und Zeichnungen, sofern sie nicht Inkunabeln 
der wissensehaftlichen Illustration darstellten, gemiiB seiner Veranlagung 
ktthl gegennber stehend , hat er alles Schrift, Struktur, Ausstattung, 
Herkunft angehende mit peinlicher Sorgfalt in einer ,Einleitung' zu 
jeder Reschreibung zusammengestellt, ohne dock, wie er selbst ftihlte, 
eben zum Teil wegen des Fehlens jeglicher Abbildung, immer das 
Letzte geben zu konnen. Zudem fielen gerade in die Zeit der Druek- 
legung des Katalogs Traubes neue grundlegenden palaeographiscben 
Untersuchungen, die er schon aus Mangel an Zeit in alien ihren Konse- 
quenzen noch fiir seine Arbeit zu nutzen sich auBer Stande sah. Der 
Frage der Provenienz dagegen hat er eine Miihe gewidmet, die ihm 
Ansprueh darauf gibt, als einer der ersten ihren Wert gerade fur die 
richtige Einstellung jeder Handschrift innerhalb der Geschichte der 
Wissenschaft in seiner ganzen Bedeutung erkannt zu haben. Die groBte 
Arbeit aber, die er an jede Handschrift setzte, gait der erschopfenden 
Wiedergabe ihres inhaltes in der Beschreibung. Und mit welchen 
Mitteln hat er das zu erreichen gewufit! Fiir ihn gab es noch keine 
so bequemen Hilfsmittel wie die Werke Vatassos, Littles und Vivells, er 
hatte neben Chevaliers Hymnenverzeichnis und Wattenbachs Vaganten- 
liederanfilngen, die verhaltnismafiig selten in Betracht kamen, nur die 
Wiener Initia patrnm zur Verfugung, denn — so seltsam es auch 
scheinen mag — Andreas Schmellers von Wilhelm Meyer vervoll- 
kommnetes luitienverzeichnis hat er niemals eingesehen, das fiihrte, 
seit Wilhelm Meyer grollend die Inventarstiicke der aufgehobenen 
Kommission fiir die Verzeichnung der Handschriften im preuBischen 
Staate nach Berlin gesandt, im ,Konferenzzimmer', eine Treppe tiefer 
water Roses Arbeitsraum 20 Jahre lang bis zu Wilmanns' und Roses 
Abschied ein ebenso ungestortes wie nngemehrtes Dasein. Er hatte 
reeht behalten: die reichen Kenntnisse, die reife Erfahrung jahrzehnte- 
langer Arbeit, sie trugen nun dem spat begonnenen Katalogwerk 
Frfichte. Mit ihnen versehen und auf sie gestutzt fand er auch ohne 
solche Hiilfen durch die dichtesten Walder den Weg. An der Hand 
eines von ihm selbst zusammengestellten Verzeichnisses gedruckter 
Literatnr suchte er das Werk heraus, das er fur die ldentifizierung 
des jeweilig in Bearbeitung genommenen handschriftlichen Textes ale 
das gebotene kannte, ein — ungeduldiges — Klopfen mit dem Lineal, 
nnd der nebenan sitzende Diener hatte das verlangte aus der Bibliothek 
herbeizuholen. Aber wie oft war dennoch ein zermiirbendes, zeit- 
raubendes Suchen vonnoten! Wie viel kostbare Stunden hatte die 






von Emil Jacobs 9 

unten geruhsam stehende ,E8eIsbrttcke\ wie er sie spater scherzhaft 
nannte, ihm ersparen konnen, die uns jiingeren, so vie! uugelehrteren, 
bei unseren Beschreibungen mit einem stolzen Mantel von Gelehrsam- 
keit zu spazieren erlaubt, der in Wahrheit nur allzn oft eitel Flitter 
ist. Solchen falschen Kram hatite er von ganzer Seele , und keinen 
Fetzen davon entdeckt man in seinem Werke: seine Gelehrsamkeit 
war von Grund aus eeht. Eine gewisse Schwerfalligkeit mancher Be- 
schreibungen in sachlieber Hinsicht sowohl wie in der Ausdrucksweise 
— sie wird gelegentlicb zur Undurchsiehtigkeit — tut der Gesamt 
leistung keinen Abbrucb. 

Roses Katalog ist in der Tat ,eine Art Encyklopaedie der Literatur 
des Mittelalters', das gilt vom Ersten Bande sowohl wie vom Zweiten. 
Die Meeraian-Phillipps-Erwerbung des ersten Bandes d. k. die Codices 
des College de Clermont zu Paris, wenn auch nicht mehr in alter 
Vollstandigkeit beisammen, stellen eine durch ihre Entstehung einheit- 
liche Sammlung dar. Denys Petau, vor allem aber Jacques Sirmond 
hatten sicb die Erwerbung von Handscbriften der alten christlichen 
Literatur wie der gelebrten Kloeterstudien des 7. — 13. Jahrbunderts 
nach bestimmtem Plane auf das eifrigste nnd mit kaum wieder er- 
reichtem Erfolg angelegen sein lassen. Auf ihnen haben sich Sirmonds 
eigene Arbeiten wie die der Vater der Compagnie de Jesus um ihn 
zu einem erheblichen Teile aufgebaut. Mit Recht genossen die codices 
Claromontani seitdem hohen Ruhm. Nach der Befreiung dieser aller- 
dings mittlerweile geschmalerten Sammlung aus dem Phillippssehen Ge- 
wahrsam blieb fur den Bearbeiter ihres Kataloges, um Roses bescbeidene 
Worte zu gebrauchen, ,nichts mehr tibrig als die Wiedererkennung, 
Wiederholung und Vertiefung des Alten, von Neuem sparliche Nach- 
lese'. Tatsachlich aber hat erst Roses systematische Behandlung der 
in der gekennzeichneten Weise einst zusarnmengebrachten, fast nur aus 
Pergamentcodices des 7. — 13. Jahrhunderts bestehenden Handscbriften- 
masse, in Gruppierung und chronologischem Aufbau, seine grflndliche 
Ausschopfung ihres Inhaltes gemafi dem heutigen Stande der Wissen- 
schaften das literarhistorische Bild zusammengebracht, das sie wie kaum 
eine andere in so geschlossener Form zeigt: ,ein fur sich zeugendes 
Bild der geistigen Arbeit in den Klostern Frankreichs und der Geistes- 
entwicklung karolingisch-franzosischer Zeit vom 8./9. — 12./13, Jahr- 
hundert'. — Ganz andere Farbung zeigt der zweite, nach der gleichen 
Disposition wie der erste angelegte Band, die Beschreibung der , codices 
electorates \ Von dem boben Mittelalter des ersten finden sich bier 
dem Inhalt wie dem Alter der Handscbriften nach nur Spuren, und 
diese zumeist in den aus dem nach Frankreich blickenden Westen, 
aus Werden, Liesborn , Each u. a., in die Kgl. Bibliothek erst durcb 
die spateren Nachlesen verbrachten Handscbriften. Die eigentlichen 
markisch-brandenburgischen Studien haben spat begonnen, aus ihrer 
Frilhzeit ist das meiste zudem verloren gegan'gen, und erst aus der 
Zeit des 14/15. Jahrhunderts sind umfangreiche Zeugnisse fflr ihren 
Betrieb in den Berliner codices erhalten. ,In diesem Band liegt eben 



I 



10 Valentin Rose 

breit vor uns die grofie Papierebene des 15. Jahrhunderta und die zum 
Untergang alien Schreibwerks fuhrende Papierschmierei , von der uns 
der Buchdnick errettete.' So lautet Roses etwas hartes und der Ein- 
schrankung bediirfendes Urteil, das die sckwere Mtihsal der getanenen 
Arbeit ahnen lafit, denn Anzahl, Lesimg, Bestimmung, Einreihung der 
Handschriften batten weit groBere und zum Teil weniger lohnende 
Anfordentngen an ibn gestellt als beim ersten Band. Auch hier hat 
er ihnen vol! genii gt , und dafi die Arbeit getan ist, kann ihm nicht 
genug gedankt werden. So gemischt, zum Teil zufallig auch die Reihe 
des in diesem zweiteu Band Vereinigten erscheinen mag, der literal- - 
historische Verfolg, den Rose ihm gegeben, bietet in der Tat als eine 
encyklopadische Zusammenfassung des Erhaltenen die Grundlage fur eine 
Geschichte der wissenschaftlichen Studien in den markisch-branden- 
burgischen Landen. 

Neben der Katalogarbeit gehorte ein Teil seiner Zeit der aufmerk- 
eamsten Beobachtung jeder Moglichkeit den Handsehriftenbestand zu 
mehren. Allein beschliefiend im Rahmen der ihm zur Verfiigung 
stehenden Mittel, oder gemeinsam beratend mit dem Prennde und 
Generaldirektor und von diesem ans disponiblen Geldern stets nach 
Kraften untersttitzt, von Wilmanns' Autoritat sicb bei Kaufen auf ihm 
weniger vertrauten — und unsympathischen — Gebieten wie dem der 
Humanisten-Literatur des 15. Jahrhunderts gern lenken lassend, so hat 
Rose die Handschriften -Abteilung bei jeder sich bietenden Gelegenheit, 
zu Tage liegender, allgemein bekannter, wie verborgener, von ihm 
aufgesptirter, in frendiger Miihsal bereichert. 

Die Erwerbung der Hamiltonschen Sammlung lag vor seinem 
Direktorat, aber in geharnischten Worten hatte er seiner Zeit in dienst- 
lichem Bericht ihre Aufteilung zwischen Kupferstichkabinet und Biblio- 
thek, und mehr noch den Wiederverkauf recht willkurlich ausgewahlter 
Stiicke scharf gegeifielt. Von diesen die wertvollsten wieder zu er- 
langen, versuchte er nun, freilich erfolglos. Nur die kostbare Hand- 
schrift des Thomasin von Zirclaria (cod. Hamilton. 675) konnte er 
gelegentlieh zuriickerwerben, anderes wie die mit Gold auf Purpur ge- 
scliriebene Evangelienhandschrift, heute eine Hauptzierde der Morganschen 
Bibliothek, war langst unerreichbar geworden. Den alten ,Electorales' 
hat Rose, von wenigen vereinzelten Stiicken abgesehen, nur die spar- 
lichen Reste der Bibliothek vom Kloster Ammensleben noch hinzufiigen 
konnen (1901). Qeffentliche Versteigerungen wurden nach Kraften 
genutzt, so die der Handschriften des Carlo Morbio (1889), Giacomo 
Manzoni (1894), Lord Ashburnham (Reste der Rarrois- Collection 1901), 
vor allem aber die seit 1895 regelmafiig wiederkehrenden Londoner v 
Auktionen der Handschriften des Sir Thomas Phillipps. Weniger am \ 
Wege Jagen sehon Erwerbungsgelegenheiten aus unter der Hand aus- 
gebotenen Sammlungen wie Trivulzio-Trotti (1886) und die Codices, die 
einst Joseph Gorres besessen hatte (1902). DaB gerade von letzteren 
durch ein nicht von ihm verschuldetes Saumen sehr wertvolle Stiicke 
nicht nach Berlin kamen, hat Rose nie ganz verschmerzt. Ebenso wie 



T 



von Emil Jacobs 11 

die occidentalischen lieB er sich die orientalischen Handechriften zu 
vermehren angelegen sein, — die Hauptcrntezeit fttr die europaiscben 
Sammlungen war freilich auf diesem Gebiet seit geraumem vorbei — , 
die entscheidende Begntachtung bei Ankaufen aber tibeiiiefi er hier 
wie bei den Autographen und Nachlassen anderen. 

Wohlbedachte Auswahl und vorsichtig wagende Schatznng, gegriindet 
auf Gelebrsamkeit und Erfahrung, geleitet von streng wissenschaftlichen 
Grundsatzen, sie waren Roses Verdienst bei der Wahrnehnmng der 
Gelegenheiten, von denen oben einige erwahnt wurden. Weit grOfierer 
Dank noch 1st ihm zu zollen fiir das Hereinbringen einer stattlichen 
Anzahl einzeln erworbener wertvoller Stitcke. Wissen oder erfahren, 
wo noeh ein Scbatz zu heben war, er vermochte es; denn halb Europa 
hatte er nur «m der Handschriften willen durchstreift. Rasch erkennen, 
welch e Bedeutung einem Codex zukam, seine Kenntnisse nnd Erfahrung 
ermoglichten es ihm. Sehnell zugreifen, stand ihm der innere Wert 
fest: — Zaudern war nie seine Sache. Und — was nicht fehlen 
durfte das Gliick, es ist ihm hold gewesen. So versehen hat Rose, 
um allein das Wertvollste zu nennen, den Anfang des Lexikons des 
Photios fiir Berlin erwerben konnen (1901). Weder der Besitzer, der 
Grieche Georgios Maggalis, noch der den Verkauf vermittclnde Dr. 
Skevos Zervos ahnten, was die Oktavblatter der vorn und hinten ver- 
stummelten Handschrift bargen. Valentin Roses alte Augen vermochten 
in wenigen Stunden den in unbequemer Schrift des 11./12. Jahrhunderts 
gesehriebenen Miscellancodex zu durchgehen: auf den letzten 40 Blattern 
fand er den Photios. Um ein geringes brachte er den kostbaren Scbatz 
herein. Welch grofien kanm noch erhofften Gewinn er bedeutet, ist 
genugsam bekannt. Rose selbst freilich hat ihn nicht mehr, wie er 
ursprtinglich beabsichtigt, ausmiinzen konnen. Die Einsicht, dafi seine 
Augen und seine Kraft dieser Arbeit nicht mehr gewachsen waren. 
kam ihm sofort wahrend der ersten Wochen des Ruhestandes, und 
entsagend legte er den Fund in die bewahrten Hande Richard 
Reitzensteins. 

So war denn Rose im Herbst 1905 wieder frei zu eigener Arbeit, 
die er seit der eilends noch vor Beginn der Drucklegung des Kataloges 
unter Dach gebrachten Neubearbeitung seines Vitruv (1895 — 99) 
langer als ein Lustrum notgedrungen hatte ruhen lassen miissen. Denn 
obgleieh ihm kanm jemand, wenigstens gewift nicht in den spateren 
Jahren seiner bibliothekarischen Laufbahn, einen selbst unbescheidenen 
Mifibrauch der dem Staate gehorenden Zeit zum Zweck der eigenen 
wissenschaftlichen Arbeit bei seinen Verdieusten und seinem Alter 
ernstlich verdacht haben witrde, hat er sich doch niemals erlaubt, 
Stunden des ,Dienstes' fur die eigene Muse zu stehlen. Er trug das 
Gesetz in sich. Nicht einmal dienstliehe Allotrfa, um es so zu nennen, 
die ihm gelegentlich eine Erholung hatten sein konnen, hat er sich 
gestattet. So lagen z. B. Jahre lang sechs Pergamentblatter saec. XII, 
die ihm einmal Hanchecorne fiir die Kgl. Bibliothek geschenkt, ruhig 
in der Lade seines Pnltes. Nachdem beim ersten Anlauf eine sichere 



12 . Valentin Rose 

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Bestimmung nicht hatfe gelingen wollen, verschlofi sich Rose standhaft 
bis wenige Tage vor seinem Abschied dem immer neuen Reiz, in zeit- 
raubendem Sucben den Text zu verifizieren (cod. theol. lat. Fol. 674), 
und neben diesen ,Conguetudines Chiniacenses' — denn die enthielten die 
Blatter — lagerte weit mehr als ein Jahrzehnt eine von Wilhelm Meyer 
im NaohlaB von Wilhelm Miiller (f 1890) aufgefundene und Rose uber- 
sandte Pergamentrolle. Rose war ihr Wert nur allzugut bekannt, hatte 
er sie doeh selbst einst nach sehmerzlichem Suohen fur verschollen 
erklart. Dennoch ruhte sie nnbertihrt, zu geduldigem Barren auf den 
alten, einmal frei werdenden Liebhaber von diesem selbst verurteilt. 
Jetzt erst wurde sie entrollt. 

Alltftglich fast seit Oktober 1905 erschien nun der Direktor emeritus 
als Gast in seiner lieben alten Konigliehen Bibliothek, sich mit dem 
bescheidensten, einzig freien Tischchen von kaum einem Quadratmetev 
Flache gern begniigend. Dicht an dem den miide werdenden Augen 
das beste Licht spendenden Fenster las er die Rolle und stellte den 
Text seines Egidius fest. Jetzt lieB er sich gern einmal storen, stand 
frohlich Rede und Antwort auf so manche Fragen, die der neue Leiter 
der Abteilung oder der , amicus juvenis' ihm vorlegten. Heiter genoB 
er diese Stunden der Arbeit und der Zwiespraehe, verstimmt nur, wenn 
es mit dem Lesen nicht mehr recht geben wollte. Denn immer starker 
schritt die Augenschwache fort. 1907 konnte ,Egidii Corboliensis 
Viaticus de signis et symptomatibus aegritudinum' (Lpz, Teubner) noch 
erscheinen, aber in der Fortsetzung der Studien Salernitanischer Lite- 
raturgesehichte, die sich znletzt zu dem Zwecke einer Arbeit ,Ueber 
die Schriftstellerei des Mag. Petals Hispanus (Compostellanensis) und 
die Qnellen des Thesaurus pauperum' zusammenzogen , erlahmte die 
Kraft: Star auf dem rechten Auge machte die Hoffnung unmbglieh, je 
die einzelnen Faden einer vielschichtigen und unendlieh langwierigen 
Handschriftenforsehung zu einem fertigen Ganzen verbinden zu konnen. 
Im Marz 1910 schnurte er die Ausziige und Anfange zusammen und 
legte sie ad acta. Valentin Roses wissenschaftliche Arbeit war zu Ende. 

Ein Leben reich an freudiger und zielbewuBter wissenschaftlicher 
Tatigkeit lag hinter ihm. Nur einen Teil davon macht sein biblio- 
thekarisches Wirken aus, denn alle Stunden, die der Dienst ihm frei 
liefi — einst brauchte man nur von 9 — 1 in der Bibliothek zu sein, 
spater blieben ihm nur die Abendstunden — ■ widmete er mit wenigen 
Fran Marie gehorenden Pausen seinen Aibeiten. Jahreswochen, die 
damals wie hente viele ihrer ,Erholung- schuldig zu sein glauben, 
kanote er nicht. Freilich verbrachte er vier Jahrzehnte lang (1854 
— 1894) seine Urlaubszeit alljahrlich auf Reisen, aber diese machte er 
nicht um des geruhsamen oder genuBreichen MiiBigganges willen, sondern 
sie standen im Zeichen der ,ars venatoria', wie er seine vor allem 
auf Inedita gerichtete Suche nach Henricus Stephanus nannte. Durch 
die Lande ist er gefahren um der Bibliotheken, um der Handschriften 
willen , um Korn in seine Scheuern zu bringen. Und die Ernte ist 
eine gesegnete gewesen. Der Ertrag, gleich grofi in der sich sammelnden 

• 






von Emil Jacobs 13 

Erfahrang wie in den Funden, kam mit dieser der Koniglichen Riblio- 
thek, wenn man so sagen darf, der angewandtcn, mit jenen der reinen 
Wissenschaft zu gute, in solchem Verein einem hdchsten bibliotheka- 
rischen Ideal entspreehend , das auch heute noch gilt, wenn es audi 
nicht fiir jeden gelten kann, der den Bibliotheken von heute mit ihren 
vielseitigen, andersartigen, aber nicht geringeren Aufgaben sein Leben 
widmet. 

Die Beute jener , Jagden' erschien, nach und nach zum Druck ver- 
arbeitet, in einer Reike von Sehriften. 

Die platonisch-pythagoraeischen und liippokrateischen Studien des 
Doctoranden, die ihm von der Betrachtung der liippokrateischen Samm- 
lung ans den Weg zur aristotelischen gezeigt und belenchtet hatten, 
waren wie eine Vorbereitung zu der im Jahre 1856 von der Berliner 
Akademie gestellten und 1859 bis zum Jahre 1862 verlangerten Preis- 
aufgabe einer ,vollstandigen kritischen Sammlnng der aristotelischen 
Fragmente*. Roses Arbeit, betitelt , Aristoteles pseudepigraphus', wurde 
am 3. Juli 1862 mit dem Preise gekront, , Der Verfasser' — so nrteilte 
die Akademie — ,beherrscht die aristotelische Literatur und was mit 
ihr irgend zusammenhangt, und hat den Ernst und Eifer fiir die Auf- 
gabe auch durch die Reisen bewahrt, die er in Deutschland , Frank- 
reich und Italien machte, urn fur ihre Zwecke den Schatzen der Biblio- 
theken nachzuspuren'. . . . Gegen das im Titel verktindete ,Ergebnis' 
freilich, gegen ,die Hypothese, dafi sammt vielen Biichern, welche in 
unserm Aristoteles stehen , alle Sehriften untergeschoben seien , aus 
welchen uns Fragmente erhalten worden', erhob die Akademie wesent- 
liche Bedenken, die aueh jetzt noch ebenso bestehen wie die Voraus- 
setzung Roses in dem von ihm behaupteten Umfang bis heute nicht 
bewiesen ist. Rose ist zeit seines Lebens bei seiner Anschauung ge- 
blieben. Durch die Entdeckung der 'AB^vcth&V jrohrtla schieden 
allerdings auch ftir ihn eine Menge historischer , Fragmente' aus, aber 
an seinem allgemeinen Urteil anderte sich nichts. Der , Aristoteles 
pseudepigraphus' erschien 1863 (Lpz. Teubner). Ein Auszug der 
reinen Textstellen unter dem neutralen Titel ,Aristotelis qui ferebantur 
librorum fragmenta" wurde dem ftinften Bande der akademischen 
Aristoteles -Ausgabe, vor dem Index, 1870 einverleibt. Eine dritte ver- 
anderte Bearbeitung mit neuen Beigaben erschien endlich 1886 fiir 
die Aristoteles -Ausgabe der Teubnerschen Bibliothek, als Aristoteles 
fflr Rose langst im Hintergrunde lag, und nicht ganz mit Unrecht fand 
man sie nicht mehr auf der Hohe. 

Den Anecdota Aristotelica am Ende des , Aristoteles pseudepigraphus' 
vom Jahre 1863 folgten weiter; , Anecdota Graeca et Graecolatina. Mit- 
teilungen aus Handschriften zur Geschichte der griecliischen Wiasen- 
schaft. Heft I. 1864, Heft II. 1870 (Berlin, Ferd. Dummlers Verlag), 
auf gleichem Grunde bauteu sich auf und in gleicher Richtung be- 
wegten sich die Beitrage zu dem neugeschaffenen , Hermes' (Bd 1. 2. 
4_6. 8. 9. 1866 — 1875) und in der Zeitschrift far deutsches Altertum 
N. F. 6 S. 321 ff. Neben diesen kleineren Veroffentlichungen brachte 



14 Valentin Rose 

Rose handschriftliche Funde groBerer Stttcke in selbstandigen Ausgaben 
heraus. Sein bleibendes Verdienst ist die Auffindung und Wertung 
des codex Harleianus 2764 des Vitruv, der in Gemeinschaft mit Miiller- 
Striibing 1867 die erste wMdich kritische Angabe von ,Vitruvii de 
arehitectnra libri decern' (Lpz. Teubner) folgte; cine zweite Aufla°-e 
deren Wert die wahrscheinlich falsche Einschatzung einer von Givn' 
entdeckten Schlettstadter Handschrift ale Abkcimmling des Harleianus 
nur in beschranktem Mafie Abbruck tut, erschien, wie schon bemerkt 
1899. Ebenso sckuf Rose zuerst fiir die Anacreonteen eine verstandige 
diplomatische Grnndlage (Anacreontis Teii quae vocantur ovuxoauuca 
r/fttafiffia. Lpz., Teubner 1868; 2. AufL 1876). Als ,nunc primum edita' 
aber traten ans Licht die Ausgaben von: , Medicina Plinii quae fertnr 
una cum Gargilii MartialiB medicina', 1875, ,Caasii Felicis de medicina 
ex graecis logicae sectae auetoribus liber translatus a. 447' 1879 
,Sorani Gynaeciornm vetus translatio latina', 1882, ,Theodori Prisciani 
Euporiston libri IIP, 1894 (samtlich Lpz, Teubner). In neuer Aus- 
gabe erschien, nach der ersten in den Auecdota Graeca et Graeco- 
lahna II no 4, 1877: Anthimi de observation ciborum epistula CLnz 
Teubner). v v 

Eine neue Reihe der,Anecdota' solltel887 mit dem,Leben des heiligen 

David vonTbessalonike griechisch nach der einzigen bisher anfgefimdenen 

Handschrift [cod. Berol. graec. fol. 37] herausgegebcn von Valentin Rose' 

(Berlin, A. Asher & Co.) beginnen, aber es ist bei diesem Anfang leider 

gebheben. Die unendliche Menge von Sondernntersuchungen die ihm 

die Beschreibung der Berliner Handschriften zur Pflicht machte und 

die uberfliissig das noch auszusprechen - natiirlicli nicht mit den 

,pienstBtunden zu bewaltigen waren, verstopften und erstickten schliefi- 

a f .? 6n r: den ei ^ enen Zweeken dienenden wissenschaftlichen 

Arbeit. Denn er mnfite allein am Werk sein, kein Heifer sollte ihm 

bei der Katalogarbeit zur Seite stehen. Allein ist er seinen Weg j?e- 

gangen, hier wie in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit Lange 

bevor sich m Deutschland Pkilologen der Erforschung der Geschichte 

gnechischer Wissenschaften widmeten, hatte sich Rose ihre Erkenntnis 

zur Lebensanfgabe der eigenen wissenschaftlichen Arbeit gemaclit Rose 

ist es gewesen, der als einer der ersten vor allem auf dem Gebiete 

der Naturwissenschaften und Medizin, Faden bloBlegte, die vom Alter- 

tum zum Mittelalter — und damit wieder zu uns — fflhren Die 

Aufdeckung der Ueberlieferung , die er auf den genannten Gebieten 

dank seiner Handschriftenreiscn besser kannte als irgendwer, setzte ihn 

in den Stand seheinbar Zerrissenes wieder zu verkntipfen, Mifiachtetes 

als altes edles Gut wiederzuerkennen , dem alten Besitz neue Wert- 

stiicke hinzuzufflgen. Gleichermafien war er mit der wissenschaftlichen 

Literatur des Mittelalters wie der des Altertnms vertrant: nur so ge- 

wappnet hat er schaffen konnen, was — zu einem sehr erheblichen 

Teile — dauern wird. Der Umfang, den Valentin Roses Kenntnis 

und Konnen beschlofi, war ein seltener, fast einzig dastehender. 

Nicht mehr arbeiten konnen, das hiefl fiir Rose dem Leben den 



von Emil Jacobs 15 

Sinn nehnien. Er kam nun nicht mehr zu seiner geliebten Konig- 
lichen Bibliothek. Einmal noch betrat er in Begleitung seiner Fran 
den neuen Tempel, der sein altes Heiligtum seit Marz 1909 barg, 
verwundert und ohne Neugier, in die Geheimnisse seiner Vorzuge des 
genaueren eingeweiht zu werden, verliefi er ihn, urn nicht wieder- 
zukebren. Auf sein Ich beschrankt, auf Ruckblick und Erinnerung, 
trat jetzt dem Greise die alte Jugendneigung fur die Geschichte seiner 
Familie , filr das Erhalten des Andenkens an das Leben der Vater 
und des eigenen wieder rettend in den Vordergmnd. Auf der Flucht 
vor einem zweckloaen Leben begann er im April 1910 einen Katalog 
fiber sein ,Archiv der Familie Rose*. Zugleich flag er an, seinen 
eigenen wissenschaftlichen Nachlaii zu ordnen und zu sichten, um ihn 
vor dem unterschiedslosen Verbrennen sp&terer Erben zu schutzen. In 
angenehmer gemeinschaftlicher Arbeit mit seiner Frail, die ihn treulich 
mit ihren Augen unterstiitzte , giugen Rose die Tage voriiber. Aber 
er klagte doch: ,Es ist reeht langweilig, der Aufenthalt im Scfaatten- 
reich, auch wenn man gut schlaft und gut ifit und trinkt', wenn er 
auch gleich, wie vorwurfsvoll gegen sich selbst, hinzufiigte: ,das klingt 
recht undankbar, wenn man eine so liebevolle Gesellin neben sich bat'. 
Sie sollte ihm nur zu friih genommen werden! Scbon im Juli qualte 
ihn schwere Sorge um ihr Leben, — am 25. Oktober starb Fran Marie. 
Nur wer Roses nie geheilten Schmerz gekannt hat, weifi , was dieser 
Tod ihm bedeutete: die Kinder losigkeit hatte die Einheit der beideu 
Menschen vielleicht noch vergroftert. In die Dammerung hatte die 
versagende Sehkraft den arbeitsfrohen Mann verbannt, in die dunkle 
Einsamkeit stieB ihn nun das Ende seiner Frau. Trotzdem gelang es 
ihm, den Tod erwartend und erbittend, Herr seines Lebens zu bleiben. 
In stronger Regelmafiigkeit, wie einst, fiihrte er seine immer schmerz- 
licher als muhelos empfundenen Tage hin. Sorgsame Liebe betreute 
ihn aueh weiter. Hingebend versah ,Else' sein Hanswesen, beluimmert 
nicht nur um seine leibliche Wohlfahrt, sondern auch bedacht, ihm 
von der Umwelt zu vermitteln , was ihn interessierte. Ein Gesang 
Homer, von ihrer Hand in gioBer Schrift geschrieben, schnf ihm am 
hohen Mittag, wenn die Sonne schien, noch Viertelstunden reiner Freude. 
Taglich erschien for viele Stunden seine Nichte Ottilie Rose, sein ,lieber 
Hausgeist', dem schweren, jetzt oft triiben Ernst des Alten vollauf ge- 
ewachsen, in treuer Liebe um ihn besorgt, mit klarer Heiterkeit tiber- 
legen ihn gegen seinen Willen des ofteren nun lenkend. Besuchei, 
immer seltener werdend, versuchten ihm die Zeit zu ktirzen; von den 
alten Kollegen erschien der eine und andere Getreue in regeimaftigen 
Abstanden , dankbar in der Sophaecke empfangen. Nicht immer ge- 
dnldig wartete Rose so auf das Ende seines Lebens. Schmerzlos 
Bchlummerte er hinuber, Als sie den toten Mann hinausbrachten nach 
dem alten St. Marien-Kirchhof in der PrenzlauerstraBe, wo alle seine 
Berliner Vorfahren schon ruhen, ging der Zug durch die BehrenstraBe 
an der alten Koniglichen Bibliothek voriiber. Unter den Fenstern dort 
nachst der Ecke hieB man ihn langsam fahren: seine ,uralte Heimat 












16 



Valentin Kose 



und Kirche', — so hat er die Konigliche Bibliothek in den letzten 
von ihm gedruckten Zeilen (Selbstanzeige des Egidius, Mitteilungen 
aus dem Teubnerscken Verlag 1907 Nr 3) genannt — , grtlfite nock 
einmal Valentin Rose, 

Im Marz dieses Jabres war ich in den Raumen . die er fast 40 
Jahre lang bewohnt hat (Dessauerstr. 47) , um von ' seinen Buckern 
in Empfang zu nehmen, was sein giitiger letzter Wille dem , amicus 
juyenis ziigesprochen hatte. Ich safl in seinem Arbeitszimmer , an 
seinem Schreibtisch imd las die Dokumente seines , Arehivs 1 , seine 
eigenen fur ,Otti* geschriebenen Anfzeichnungen , die die Grundlage 
zii diesen Zeilen gegeben haben. Vor mir erscbien dentlioh sein Bild. 
Orroli, leicht gebengt, die Gestalt, von schlichter, aber sorgsamer Prlege 
im AeuOeren, angetan, wie stets, mit langem schwarzen Tuchrock- 
yoll und nngehehtet das seidige sohneeweifie Haar ob der Stirn und 
im wallenden Barte. Ich ftthlte den ihm eigenen Dreifinger-Handedruck 
und vernahm seine tiefe Stimme, grollcnd, kurz ablehnend, wenn er 
Menscken und Dingen nicht beiprliehtete, weich, leise schwankend 
schuchtern fast, als aollte verborgen bleiben, wem sein Herz mit 
Freundschaft und Giite begegnete. Und ich horte ihn mich mahnen- 
wenn ich seinem Leben nun dooh einmal nachgehen, davon reden 
schreiben wolle, sein Andenken zu ehren und mich vieler Wort© zu 
enthalten. — So sehliefle ich denn. 









Druek von Eliihardt Karras G. m. b. H. in Halle (S.).